Militärtheorie im Späthumanismus: Kulturtransfer taktischer und strategischer Theorien in den Niederlanden und Frankreich (1590-1660) 9783110256628, 9783110256642

This book deals with the connection of humanism and the military based on the cultures in the Netherlands (Low Countries

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German Pages 838 [840] Year 2012

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Table of contents :
Einleitung
I. Die ›oranische Heeresreform‹ als ein Schlüsselmoment Frühneuzeitlicher Modernisierung
1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹ als Paradigmen der Frühneuzeitforschung
2. Die universalhistorische Verortung der ›oranischen Heeresreform‹: Der moderne Verfassungs-, Strategie- und Disziplinbegriff
3. Die ›oranische Heeresreform‹ als Moment des politischen Späthumanismus und der Sozialdisziplinierungsthese
4. Militärische Revolution, doppelpoliger Strategiebegriff und Staatsbildung
5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte
II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich
1. Politische Ideengeschichte und militärtheoretischer Kulturtransfer
2. Die militärtheoretische Tradition im Späthumanismus
A) Empirische Strategielehren und (politischer) Antiquarianismus
B) Texttradition und Wissensordnungen im Späthumanismus
3. Die Quellen
4. Systematik
Erster Teil: Ausprägung einer nordwesteuropäischen militärischen Kultur (ca. 1590 - ca. 1620)
I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre
1. Justus Lipsius: Integrationsfigur im Späthumanismus
A) Lipsius-Deutungen zwischen ›politischem Neustoizismus‹ und ›klassischem Republikanismus‹
B) Der Kulturhistoriker und Antiquar des Kaiserlichen Rom
C) Der Epistolograph: Konfessionskriege und respublica literaria
a. Netzwerk
b. Von der Friedensrhetorik Erasmus’ zur Polemologie Lipsius’
2. Tacitismus und Senecanismus – prudentielle politische Lehre
A) Tacitus-Rezeption, Klugheit und neulateinischer Stilwandel
B) Prudentia und virtus: politisch-militärische Verhaltenslehre
C) Seneca und die Ästhetik und Ethik des vivere civile: Stoizismus als Lebensform
D) ›Seneca paene Christianus‹: die Restauration der Stoa
E) Justus Lipsius, die Restitution der stoischen Texte und der stoische Philosoph
F) Die Herrschertugend der prudentia mixta und die taciteische Typologie der Klugheit
3. Die militärische Klugheit (prudentia militaris)
A) Kluge Kriegführung als Herrschaftskompetenz
B) Die militärtheoretischen Texte des Lipsianischen (politischen) Antiquarianismus
4. De militia Romana: Systematik der Kriegführung nach Polybios, Hist., VI, 19-42
A) Topologische Ordnung: dilectus - ordo - arma - acies - disciplina
B) Fazit: Das militärwissenschaftliche Theorem der disciplina in DMR und der Politica V, 13
C) Vegetius und Polybios
5. Lipsianische Taktik
A) stratageme und acies
B) Typus der acies: Quincunx und Intervalltheorie
6. Pragmatisch-prudentielle Geschichte und ›imitatio‹ römischer militia
7. Die militärwissenschaftliche Wirkung des Justus Lipsius
II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier (ca. 1589 - ca. 1610)
1. Verschränkung von politisch-militärischem System und dynastischer Kultur
2. Die nassau-oranischen Militärreformen in den Niederlanden
3. Die Militärtheorie von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann VII. von Nassau-Siegen .
A) Das Textcorpus: Militärtheorie, Kriegskunst und fehlende Ordnung des Wissens
B) Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau und die philologische Kultur in den Niederlanden
a. Allgemeine Rezeption der modernen militärischhumanistischen Literatur
b. Die militärtheoretische Lipsius-Rezeption der Nassau-Oranier
c. Wilhelm Ludwig von Nassau: Hannibal, Scipio und die Schlacht von Cannae - polybianisch-strategische Position und erste Intertextextualität
d. Aelian und die acies-Theorie
e. Die Feldherrnkunst Moritz von Oraniens
f. Fazit: Wilhelm Ludwig von Nassau, die Schlacht von Cannae und offene Fragen
g. Die Rezeption der griechischen, byzantinischen und der römischen taktischen Theorie in der oranischen Taktik
4. Die Kriegskunst von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau
A) Die experimentelle taktische Praxis der Nassau-Oranier - Manipelstellung und Exerzierbegriff nach Aelian dem Taktiker und Leo VI
a. Das vorläufig normative Modell Moritz von Oraniens nach einer Schlachtordnung des Vegetius
b. Die taktischen Innovationen der Nassau-Oranier
B) Die Nassau-Oranier und die Traditionen der Kriegskunst im 16. Jh
C) Der Beitrag Moritz von Oraniens zur Kriegskunst und Militärorganisation
5. Die Publizität der holländisch-oranischen Kriegskunst
A) Die Kanonisierung des Exerzierens
B) Werke zur holländischen Fortifikation und deren Verwissenschaftlichung durch Hugenotten
III. Die Militärliteratur (1610-1622) - Kompilation, Systematisierungsversuche und pragmatische Kritik
1. Johann J. von Wallhausen: systema praeceptorum der Kriegskunst nach Vegetius
A) Die Vegetius-Rezeption Wallhausens
B) Akademische Lehre
2. Die Militärtheorie Jeremie de Billons, Sr. de la Prugnes und deren Kritik durch Antoine de La Vallee, Sr. de Montissuc
Zweiter Teil: Der französische Späthumanismus im strategischen Kontext des Dreissigjährigen Kriegs - Kritik der Theorie und Praxis von Taktik und Strategie durch Humanisten, Politiker und Militärs (1630-1660)
I. Militärtheorie und strategischer Kontext (1630-1659)
1. Theorien einer Kriegsoffensive (ca. 1631-ca. 1634)
A) Der Discours pour le retablissement de la milice de France (1632) von Rene Lenormant
a. Die Theorie der zwei Kreise und das exemplum Cannae
b. Der ›Discours‹ und die strategische Praxis der französischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs
B) Henri de Rohan: Theorie der Kriegsoffensive auf Grundlage des Interesses
a. Politische Anatomie Europas und Interessenpolitik in den De l'interet des princes et Etats de la chr?tienet?
b. Der Parfaict capitaine
C) Fazit
2. Die Pläne einer Kriegsoffensive und die koordinierten militärischen Operationen holländischer und französischer Truppen ab 1635
II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie im französisch-niederländischen Späthumanismus und deren verfassungstheoretische Bedeutung
1. ›Une conception francoise qui se produira en Hollande‹
A) Die Milice und die französische Phase des Dreißigjährigen Kriegs
a. Das Interesse der französischen Militärs und Politiker an der Milice Saumaises
b. Die Milice und die französische militärische Kultur
c. Eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrich von Nassau-Oraniens - Die französisch-polybianisch geprägte militärische Kultur des Prinzen
d. Textgeschichtliche Skizze
B) Die Konstellationen im französischen Späthumanismus und die militärtheoretische Tradition: Forschungszusammenhang, Quellenforschungen, historisch-philologische Kritik
a. Theorieimmanente, binnenhumanistische Gründe für die Abfassung der Milice
b. Die Bedeutung des Kabinetts der Brüder Dupuy und Nicolas-Claude Fabri de Peirescs für den militärtheoretischen Kulturtransfer: Die gewandelten Konfigurationen der respublica literaria in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts
e. Die militärwissenschaftlichen Parallelprojekte von Saumaise und Naude
f. Restitution der Traditionszusammenhänge antiker taktischer Theorie
g. Die Kritik (französischer) Gelehrter an Lipsius' De militia Romana und die Intertextualität von Polybios und Vegetius
h. Saumaise und die griechischen Taktiker
i. Die Milice und die modernen Kommentare der antiken militia
j. Pragmatische Parallelisierung und chronologische Kritik historischer Paradoxe
k. Saumaise als Militärberater: Stoa-Rezeption und militärische Rhetorik
2. Die Militärtheorie von Claude de Saumaise und Gabriel Naude ›im Kontext‹
A) Adaptation und Pluralität der Militärtheorien im Frankreich der 1630er Jahre
B) Militärwissenschaftliche Heuristik nach Vegetius und Polybios als Derivate des strategischen Typus Machiavellis
a. Politische Methode und Ausdifferenzierung der Systematik und Semantik der disciplina im Späthumanismus
b. ›Polybianismus‹ als Alternative zum Tacitismus als späthumanistisches Phänomen
c. Mathematik und Kriegführung: Thevenot und die Sammlung der Veteres mathematicae
3. Der hellenische/griechische Wissensbegriff und die römische militia des Claude de Saumaise
A) ›Polybius philosophus‹ statt ›Seneca paene christianus‹
a. ›Pragmatische Ökumene‹ - Polybios und der Begriff der Hellenisierung
b. Die Verortung Saumaises in den theologiegeschichtlichen Kontroversen
B) Abrégé, DRMR: Kompendien einer methodus legendi historias im Zusammenhang empirischer Strategielehre
a. Kritik der militärwissenschaftlichen Heuristik des Vegetius (ERM) und Lipsius (DMR): Von der Lebens- und Verhaltensform der disciplina zur Militärwissenschaft (science, art militaire) . . .
b. Strategische Figuren: Ein hellenischer Strategiebegriff?
c. Formenlehre der militia: Die Achse Scipio-Marius/Caesaren
d. Das Organigramm der Legion und das französische Militär: Legion, Kommandostruktur und Befehlskette
4. Die politisch-militärische Habitus- und Akademielehre Gabriel Naudes
A) Kritik der Lipsianischen prudentia mixta und Umformung aristotelischer und thomistischer Habituslehre
B) Die Axiome des Herrschaftswissens in der Addition a l’histoire de Louis XI (1630)
Konfessionelle Rhetorik: Polybios vs. Louis XI
a. Das kulturpolitische Instrument nationaler historischer Mythen - Louis XI, die Reform Frankreichs und das Edikt gegen den Nominalismus
b. Ordonnanzkompanien und literarische Akkulturation (arma et litterae)
c. Die Realisierung des komplementären Wachstums von arma et litterae im SStL und SStM auf dem Hintergrund des Wissenschaftsbegriffs Bacons
C) Das Syntagma de studio militari (1637): Militärische Akademielehre
a. SStM und ERM - Naude und Vegetius: Vom plagiatorischen Umgang Machiavellis mit den ERM zur vegetisch-ciceronianischen Akademielehre
b. Die militärische Bibliographie (bibliographia polemica) als Grundlage akademischer Lehre (doctrina academica)
5. Die militärtheoretischen Momente in den regierungstechnischen Konzeptionen von Armand Jean Du Plessis, cardinal de Richelieu
A) Humanismus-Rezeption, militärische Klientel und Kriegführung des Kardinalpremier
B) Richelieus Vorstellungen zur Reform des französischen Militärs (ca. 1635 bis ca. 1639)
C) Disziplinierung der noblesse d'epee
D) Die strategischen Konzeptionen Richelieus
Konklusion
Bibliographie
I. Quellenverzeichnis
1. Handschriften
2. Gedruckte Quellen
A) Militärliteratur
a. Sciptores veteres, philologisch-kritische Kommentare antiker Militärliteratur und Taktiker, Lehrbücher des Humanismus
b. Korrespondenz
B) Politische Theorie, philosophische Traktate
C) Memoiren, Autobiographien, Biographien vor 1800
D) Editionen und Übersetzungen antiker Militärschriftsteller (19. u. 20. Jh.)
a. Taktiker - Strategen
b. Mechaniker - Mathematiker- Poliorketiker
E) Moderne Editionen antiker Philosophen
II. Sekundärliteratur
III. Abbreviaturen
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Militärtheorie im Späthumanismus: Kulturtransfer taktischer und strategischer Theorien in den Niederlanden und Frankreich (1590-1660)
 9783110256628, 9783110256642

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Frühe Neuzeit Band 160

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Therese Schwager

Militärtheorie im Späthumanismus Kulturtransfer taktischer und strategischer Theorien in den Niederlanden und Frankreich (1590–1660)

De Gruyter

Dissertation, eingereicht an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam 1. Gutachter: Prof. Dr. Bernhard R. Kroener 2. Gutachter: Prof. Dr. Martin Mulsow Datum der Disputation: 19. Juli 2008

ISBN 978-3-11-025662-8 e-ISBN 978-3-11-025664-2 ISSN 0934-5531 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. %LEOLRJUD¿VFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen 1DWLRQDOELEOLRJUD¿HGHWDLOOLHUWHELEOLRJUD¿VFKH'DWHQVLQGLP,QWHUQHWEHU http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/ Boston Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ’*HGUXFNWDXIVlXUHIUHLHP3DSLHU Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die gekürzte Fassung einer Dissertationsschrift, die 2008 an der Universität Potsdam eingereicht worden ist. Sie ist aus einer kleinen Arbeit zu Frieden, Krieg und Humanismus, zu Erasmus, Lipsius und der ›oranischen Heeresreform‹ hervorgegangen. Darin wurde bereits die auf den ersten Blick paradoxe Verbindung zwischen Militär und Humanismus thematisiert. Bernhard R. Kroener verdanke ich, dass ich über dieses Thema umfassendere Forschungen beginnen konnte. Die Gewährung eines Stipendiums des Deutschen Historischen Instituts Paris durch dessen damaligen Direktor Werner Paravicini ermöglichte Quellenforschungen in Paris und Den Haag. Für Anregungen und Literaturhinweise danke ich Andre´ Corvisier, Herve´ Coutau-Be´garie, Cornelis Maria Schulten, Jean Chagniot und Jean Be´renger. Erste Thesen und Forschungsergebnisse durfte ich mit Hannah Smith teilen. Dass die zwischen Militär- und Ideengeschichte schwebende Arbeit zu einem Abschluss gekommen ist und zu ihrem Profil im Rahmen der Ideengeschichte und Späthumanismusforschung gefunden hat, dafür bin ich Martin Mulsow sehr dankbar, mit dem ich meine Forschungsergebnisse diskutieren konnte. Ihm und Wilhelm Kühlmann danke ich zudem für die Begutachtung der Schrift für die Reihe ›Frühe Neuzeit‹. Luise Schorn-Schütte hat mir im Rahmen einer wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle an der Goethe-Universität Frankfurt a. Main nicht nur institutionellen Rückhalt gegeben, sondern auch die Anbindung der Arbeit an die historische Politikforschung ermöglicht. Dem Exzellenzcluster ›Die Herausbildung normativer Ordnungen‹ an der GoetheUniversität Frankfurt danke ich schließlich für die Gewährung des Druckkostenzuschusses. Stefanie Kießling, die das Lektorat übernommen hat, hat dazu beigetragen, dass aus der Dissertationsschrift ein Buch wurde. Gedankt sei schließlich all jenen, die mit ihrem praktischen Rat zum Gelingen des Unternehmens beigetragen haben. Insbesondere meinen Eltern bin ich für die Unterstützung der über weite Strecken institutionell nicht gestützten Arbeit sehr dankbar. Mein jüngster Bruder stand mir auf dem eingeschlagenen Weg zur Seite. Frankfurt am Main, 30. Dezember 2010

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

Die ›oranische Heeresreform‹ als ein Schlüsselmoment Frühneuzeitlicher Modernisierung . . . . . . . . . . . 1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹ als Paradigmen der Frühneuzeitforschung . . . . . . . . 2. Die universalhistorische Verortung der ›oranischen Heeresreform‹: Der moderne Verfassungs-, Strategie- und Disziplinbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ›oranische Heeresreform‹ als Moment des politischen Späthumanismus und der Sozialdisziplinierungsthese . . 4. Militärische Revolution, doppelpoliger Strategiebegriff und Staatsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte . . . . . . .

II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politische Ideengeschichte und militärtheoretischer Kulturtransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die militärtheoretische Tradition im Späthumanismus . A) Empirische Strategielehren und (politischer) Antiquarianismus . . . . . . . . . . . . . . . B) Texttradition und Wissensordnungen im Späthumanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 4

7 28 37 47

53 54 64 67 71 76 84

Erster Teil: Ausprägung einer nordwesteuropäischen militärischen Kultur (ca. 1590 – ca. 1620) I.

Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Justus Lipsius: Integrationsfigur im Späthumanismus . A) Lipsius-Deutungen zwischen ›politischem Neustoizismus‹ und ›klassischem Republikanismus‹ .

91 92 92

VIII

Inhalt

B) Der Kulturhistoriker und Antiquar des Kaiserlichen Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C) Der Epistolograph: Konfessionskriege und respublica literaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Von der Friedensrhetorik Erasmus’ zur Polemologie Lipsius’ . . . . . . . . . . . .

99 102 103 113

2. Tacitismus und Senecanismus – prudentielle politische Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A) Tacitus-Rezeption, Klugheit und neulateinischer Stilwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B) Prudentia und virtus: politisch-militärische Verhaltenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 119 C) Seneca und die Ästhetik und Ethik des vivere civile: Stoizismus als Lebensform . . . . . . . . . . . 130 D) ›Seneca paene Christianus‹: die Restauration der Stoa . 132 E) Justus Lipsius, die Restitution der stoischen Texte und der stoische Philosoph . . . . . . . . . . . 135 F) Die Herrschertugend der prudentia mixta und die taciteische Typologie der Klugheit . . . . . . . . 141 3. Die militärische Klugheit (prudentia militaris) . . . . . A) Kluge Kriegführung als Herrschaftskompetenz . . B) Die militärtheoretischen Texte des Lipsianischen (politischen) Antiquarianismus . . . . . . . . .

142 142 151

4. De militia Romana: Systematik der Kriegführung nach Polybios, Hist., VI, 19–42 . . . . . . . . . . . . . A) Topologische Ordnung: dilectus – ordo – arma – acies – disciplina . . . . . . . . . . . . . . . . . . B) Fazit: Das militärwissenschaftliche Theorem der disciplina in DMR und der Politica V, 13 . . . . . C) Vegetius und Polybios . . . . . . . . . . . . .

155

5. Lipsianische Taktik . . . . . . . . . . . . . . . . A) stratageme und acies . . . . . . . . . . . . . . B) Typus der acies: Quincunx und Intervalltheorie . .

171 171 176

6. Pragmatisch-prudentielle Geschichte und ›imitatio‹ römischer militia . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

7. Die militärwissenschaftliche Wirkung des Justus Lipsius

182

155

165 170

Inhalt

IX

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier (ca. 1589 – ca. 1610) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Verschränkung von politisch-militärischem System und dynastischer Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Die nassau-oranischen Militärreformen in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Die Militärtheorie von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann VII. von Nassau-Siegen . 196 A) Das Textcorpus: Militärtheorie, Kriegskunst und fehlende Ordnung des Wissens . . . . . . . . . 199 B) Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau und die philologische Kultur in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a. Allgemeine Rezeption der modernen militärischhumanistischen Literatur . . . . . . . . . . 209 b. Die militärtheoretische Lipsius-Rezeption der Nassau-Oranier . . . . . . . . . . . . . . 213 c. Wilhelm Ludwig von Nassau: Hannibal, Scipio und die Schlacht von Cannae – polybianischstrategische Position und erste Intertextextualität 222 d. Aelian und die acies-Theorie . . . . . . . . . 227 e. Die Feldherrnkunst Moritz von Oraniens . . . . 231 f. Fazit: Wilhelm Ludwig von Nassau, die Schlacht von Cannae und offene Fragen . . . . . . . . 232 g. Die Rezeption der griechischen, byzantinischen und der römischen taktischen Theorie in der oranischen Taktik . . . . . . . . . . . . . . 236 4. Die Kriegskunst von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau . . . . . . . . A) Die experimentelle taktische Praxis der NassauOranier – Manipelstellung und Exerzierbegriff nach Aelian dem Taktiker und Leo VI. . . . . . . . . a. Das vorläufig normative Modell Moritz von Oraniens nach einer Schlachtordnung des Vegetius . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die taktischen Innovationen der Nassau-Oranier B) Die Nassau-Oranier und die Traditionen der Kriegskunst im 16. Jh. . . . . . . . . . . . . . C) Der Beitrag Moritz von Oraniens zur Kriegskunst und Militärorganisation . . . . . . . . . . . .

239

240

241 245 246 250

X

Inhalt

5. Die Publizität der holländisch-oranischen Kriegskunst . A) Die Kanonisierung des Exerzierens . . . . . . . B) Werke zur holländischen Fortifikation und deren Verwissenschaftlichung durch Hugenotten . . . . III. Die Militärliteratur (1610–1622) – Kompilation, Systematisierungsversuche und pragmatische Kritik . . . 1. Johann J. von Wallhausen: systema praeceptorum der Kriegskunst nach Vegetius . . . . . . . . . . . . A) Die Vegetius-Rezeption Wallhausens . . . . . . B) Akademische Lehre . . . . . . . . . . . . .

251 251 252

.

262

. . .

266 269 272

2. Die Militärtheorie Je´re´mie de Billons, Sr. de la Prugnes und deren Kritik durch Antoine de La Valle´e, Sr. de Montissuc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280

Zweiter Teil: Der französische Späthumanismus im strategischen Kontext des Dreissigjährigen Kriegs – Kritik der Theorie und Praxis von Taktik und Strategie durch Humanisten, Politiker und Militärs (1630–1660) I.

Militärtheorie und strategischer Kontext (1630–1659) . . . 1. Theorien einer Kriegsoffensive (ca. 1631– ca. 1634) . . A) Der Discours pour le re´tablissement de la milice de France (1632) von Rene´ Lenormant . . . . . . . a. Die Theorie der zwei Kreise und das exemplum Cannae . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Der ›Discours‹ und die strategische Praxis der französischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs . B) Henri de Rohan: Theorie der Kriegsoffensive auf Grundlage des Interesses . . . . . . . . . . . . a. Politische Anatomie Europas und Interessenpolitik in den De l’inte´reˆt des princes et Etats de la chre´tienete´ . . . . . . . . . . . . b. Der Parfaict capitaine . . . . . . . . . . . . C) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Pläne einer Kriegsoffensive und die koordinierten militärischen Operationen holländischer und französischer Truppen ab 1635 . . . . . . . . . . .

293 296 298 298 305 307

307 322 342

343

Inhalt

II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie im französisch-niederländischen Späthumanismus und deren verfassungstheoretische Bedeutung . . . . . . 1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹ A) Die Milice und die französische Phase des Dreißigjährigen Kriegs . . . . . . . . . . . . . a. Das Interesse der französischen Militärs und Politiker an der Milice Saumaises . . . . . . . b. Die Milice und die französische militärische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrich von Nassau-Oraniens – Die französisch-polybianisch geprägte militärische Kultur des Prinzen . . . . d. Textgeschichtliche Skizze . . . . . . . . . . . B) Die Konstellationen im französischen Späthumanismus und die militärtheoretische Tradition: Forschungszusammenhang, Quellenforschungen, historisch-philologische Kritik . . . . . . . . . a. Theorieimmanente, binnenhumanistische Gründe für die Abfassung der Milice . . . . . . . . . . b. Die Bedeutung des Kabinetts der Brüder Dupuy und Nicolas-Claude Fabri de Peirescs für den militärtheoretischen Kulturtransfer: Die gewandelten Konfigurationen der respublica literaria in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . e. Die militärwissenschaftlichen Parallelprojekte von Saumaise und Naude´ . . . . . . . . . . . . f. Restitution der Traditionszusammenhänge antiker taktischer Theorie . . . . . . . . . . . . . g. Die Kritik (französischer) Gelehrter an Lipsius’ De militia Romana und die Intertextualität von Polybios und Vegetius . . . . . . . . . . . . h. Saumaise und die griechischen Taktiker . . . . i. Die Milice und die modernen Kommentare der antiken militia . . . . . . . . . . . . . . . j. Pragmatische Parallelisierung und chronologische Kritik historischer Paradoxe . . . . . . . . . k. Saumaise als Militärberater: Stoa-Rezeption und militärische Rhetorik . . . . . . . . . . . .

XI

350 350 356 361 370

370 385

388 388

395 435 437

452 498 505 513 515

XII

Inhalt

2. Die Militärtheorie von Claude de Saumaise und Gabriel Naude´ ›im Kontext‹ . . . . . . . . . . . . . . . A) Adaptation und Pluralität der Militärtheorien im Frankreich der 1630er Jahre . . . . . . . . . . B) Militärwissenschaftliche Heuristik nach Vegetius und Polybios als Derivate des strategischen Typus Machiavellis . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Politische Methode und Ausdifferenzierung der Systematik und Semantik der disciplina im Späthumanismus . . . . . . . . . . . . . . . . b. ›Polybianismus‹ als Alternative zum Tacitismus als späthumanistisches Phänomen . . . . . . . . c. Mathematik und Kriegführung: The´venot und die Sammlung der Veteres mathematicae . . . . . . 3. Der hellenische/griechische Wissensbegriff und die römische militia des Claude de Saumaise . . . . . . . A) ›Polybius philosophus‹ statt ›Seneca paene christianus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. ›Pragmatische Ökumene‹ – Polybios und der Begriff der Hellenisierung . . . . . . . . . . b. Die Verortung Saumaises in den theologiegeschichtlichen Kontroversen . . . . . B) Abre´ge´, DRMR: Kompendien einer methodus legendi historias im Zusammenhang empirischer Strategielehre . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Kritik der militärwissenschaftlichen Heuristik des Vegetius (ERM) und Lipsius (DMR): Von der Lebens- und Verhaltensform der disciplina zur Militärwissenschaft (science, art militaire) . . . b. Strategische Figuren: Ein hellenischer Strategiebegriff? . . . . . . . . . . . . . . c. Formenlehre der militia: Die Achse ScipioMarius/Caesaren . . . . . . . . . . . . . . d. Das Organigramm der Legion und das französische Militär: Legion, Kommandostruktur und Befehlskette . . . . . . . . . . . . . . 4. Die politisch-militärische Habitus- und Akademielehre Gabriel Naude´s . . . . . . . . . . . . . . . . . A) Kritik der Lipsianischen prudentia mixta und Umformung aristotelischer und thomistischer Habituslehre . . . . . . . . . . . . . . . . .

518 518

527

530 531 539 540 543 544 559

564

566 593 611

638 655

657

XIII

Inhalt

B) Die Axiome des Herrschaftswissens in der Addition a` l’histoire de Louis XI (1630) . . . . . . . . . . Konfessionelle Rhetorik: Polybios vs. Louis XI . . . . a. Das kulturpolitische Instrument nationaler historischer Mythen – Louis XI, die Reform Frankreichs und das Edikt gegen den Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . b. Ordonnanzkompanien und literarische Akkulturation (arma et litterae) . . . . . . . . c. Die Realisierung des komplementären Wachstums von arma et litterae im SStL und SStM auf dem Hintergrund des Wissenschaftsbegriffs Bacons . C) Das Syntagma de studio militari (1637): Militärische Akademielehre . . . . . . . . . . . . . . . . a. SStM und ERM – Naude´ und Vegetius: Vom plagiatorischen Umgang Machiavellis mit den ERM zur vegetisch-ciceronianischen Akademielehre . . . . . . . . . . . . . . . b. Die militärische Bibliographie (bibliographia polemica) als Grundlage akademischer Lehre (doctrina academica) . . . . . . . . . . . . 5. Die militärtheoretischen Momente in den regierungstechnischen Konzeptionen von Armand Jean Du Plessis, cardinal de Richelieu . . . . . . . . . . A) Humanismus-Rezeption, militärische Klientel und Kriegführung des Kardinalpremier . . . . . . . . B) Richelieus Vorstellungen zur Reform des französischen Militärs (ca. 1635 bis ca. 1639) . . . C) Disziplinierung der noblesse d’e´pe´e . . . . . . . . D) Die strategischen Konzeptionen Richelieus . . . . Konklusion

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . 1. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . A) Militärliteratur . . . . . . . . . . . . a. Sciptores veteres, philologisch-kritische Kommentare antiker Militärliteratur und Taktiker, Lehrbücher des Humanismus b. Korrespondenz . . . . . . . . . . .

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XIV

Inhalt

B) Politische Theorie, philosophische Traktate . . . . C) Memoiren, Autobiographien, Biographien vor 1800 D) Editionen und Übersetzungen antiker Militärschriftsteller (19. u. 20. Jh.) . . . . . . . . a. Taktiker – Strategen . . . . . . . . . . . . . b. Mechaniker – Mathematiker– Poliorketiker . . . E) Moderne Editionen antiker Philosophen . . . . .

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II. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Abbreviaturen

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Einleitung Unmittelbar vor dem Beginn der französisch-schwedischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs begann der hugenottische Gelehrte Claude de Saumaise einen Traktat über die römische militia zu verfassen. Dabei stützte er sich auf neu entdeckte Manuskripte und auf einige kritische Noten zu den modernen historisch-philologischen Kommentaren zur römischen militia. Mit der Vorgabe, sich dem ›Stil der Kriegsleute‹1 zu nähern, hatte ihm Prinz Friedrich Heinrich von Oranien den Auftrag zu dieser Abhandlung erteilt. Dessen Halbbruder Prinz Moritz von Oranien (1567–1625) hatte zusammen mit den Cousins Wilhelm Ludwig von Nassau (1560 –1620) und Johann VII. von Nassau-Siegen (1561–1623) die ›oranische Heeresreform‹ (ca. 1590 – ca. 1600) entscheidend geprägt. Doch aus der Milice romaine Saumaises und der zeitgenössischen Korrespondenz wird ersichtlich, dass die neue Heeresordnung keineswegs als ein theoretisch schlüssiges Reformmodell rezipiert wurde. Der Militärhistoriker Werner Hahlweg hat in seiner Studie zur Heeresreform der Oranier (1941) bereits darauf hingewiesen, dass die Rezeption der ›oranischen Heeresreform‹ in Frankreich auf zwei Ebenen stattfand: Zum einen in der theoretischen Auseinandersetzung mit den Ideen, die letztlich die Gestaltung des Militärs der Generalstaaten beeinflussten, zum anderen in der praktischen Umsetzung der Ausbildungsmethoden für die Landstreitkräfte.2 Doch welche ideengeschichtlichen Inhalte kamen für den kulturellen Transfer oder eine Rezeption jenseits der Truppenausbildung und der Umgestaltung der Taktik nach niederländisch-oranischem und später nach schwedischem Muster in Frage? Wie gestaltete sich der Ideentransfer innerhalb Frankreichs unter 1

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Claude de Saumaise an Andre´ Rivet, Leiden, 10. Juli 1635. In: Claude Saumaise et Andre´ Rivet. Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648. Hg. v. Pierre Leroy, Hans Bots, unter Mitarbeit von Els Peters, Amsterdam-Maarssen 1987, S. 75f. /Lettre originale autographe, UB Leyde, BPL 283, fol. 262–263. Vgl. Werner Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike. Studien zur Geschichte des Kriegswesens der Niederlande, Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens, Spaniens und der Schweiz vom Jahre 1589 bis zum Dreißigjährigen Kriege, Neudruck der Habilitationsschrift (Berlin 1941), Osnabrück 1987, S. 172: Gleichzeitig »mit dieser gründlichen theoretischen Auseinandersetzung mit den Gedanken der oranischen Reform« sei »die Einführung des neuen Ausbildungssystems bei den französischen Truppen« erfolgt.

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Einleitung

Heinrich IV., Ludwig XIII. und Richelieu – in einem Land, das zu dieser Zeit weit davon entfernt war, auf ideengeschichtlich homogene Muster der Herrschaftslegitimation und Herrschaftspraxis zu rekurrieren? Die methodische Ausrichtung der Militär- und Verfassungsgeschichte im 20. Jahrhundert mag dafür verantwortlich zeichnen, dass diese Fragen nicht aufgegriffen wurden. Auf dem Hintergrund einer Verzahnung von Heeres- und Staatsbildung hat sich der unbestrittene Modellcharakter der ›oranischen Heeresreform‹ und deren Verbreitung und Annahme in weiteren europäischen Staaten – vornehmlich Schweden, Frankreich und Brandenburg-Preußen – zu einem historiographischen Topos verfestigt.3 Die durch Wilhelm von Oranien und Johann VI. von Nassau vorbereiteten und konzeptuell wie praktisch durch Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann VII. von Nassau-Siegen umgesetzten militärischen Reformen in den Generalstaaten schufen, so der Tenor, erstmals in der Neuzeit ein systematisches, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgebildetes stehendes Heer. Diese Reform des Militärs, die sozial- und verfassungshistorisch den Übergang von feudalen Treueverhältnissen zu einer modernen Befehlskultur markierte, wurde von der Ausbildung und Grundlegung einer ›modernen‹ Militärwissenschaft begleitet und wesentlich befördert. Die Verbreitung der Reforminhalte (Lineartaktik, Organisation eines stehenden, durch den Staat unterhaltenen Heeres mit einem professionellen Offizierskorps, neustoisches Ethos) wurde im Rahmen des kulturgeschichtlichen Diffusionsmodell der ›niederländischen Bewegung‹ (Gerhard Oestreich,4 Karl Siedschlag5 und Frieder Walter6) dargelegt, 3

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5

Vgl. Gustav Roloff (1903), dessen Aufsatz (Moritz von Oranien und die Begründung des modernen Heeres, Preußische Jahrbücher, 111 (1903), S. 276: »in der schwedischen und französischen fanden die oranischen Einrichtungen günstigeren Boden und später fanden sie dann in Österreich und Brandenburg Eingang«) in den von Hans Delbrück herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern einen Auftakt markiert, Werner Hahlweg (1941) und in dessen Gefolge von Günther Martin (1960), H. L. Zwitzer (1984), Geoffrey Parker (1984), Hans Ehlert (1985), R. G. Haycock (1993), Siegfried Fiedler (1993) und John A. Lynn (1997). Gerhard Oestreich: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1595, NassA, 80 (1969), S. 135: »In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts« habe sich die kleine Republik der Niederlande, so Oestreich, »im Kampf gegen Spanien, den bisherigen Territorialstaat, behauptet und sich gleichzeitig als Handels- und Kolonialmacht, in der Landwirtschaft und Baukunst, im Steuer- und Finanzwesen, auf allen Gebieten der Geistes- und Naturwissenschaften, der Medizin, der Mathematik, der schönen Künste und der Kriegswissenschaften zum Vorbild für Europa entwickelt, bei dem auch der kommende Hegemonialstaat, Frankreich, in die Schule ging. Von dem kleinen Territorium strömten neue politische, ökonomische und militärische Energien aus, die in ihrer inneren Verbindung die im Gesamtzusammenhang noch nicht erforschte Niederländische Bewegung des 17. Jahrhunderts bilden.«; vgl. auch: Karl Wolf: Niederländischer Einfluß auf Nassau um 1600, NassA, 58 (1938), S. 95ff. Karl Siedschlag: Der Einfluß der niederländisch-neustoischen Ethik in der politi-

Einleitung

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deren charakteristischen ideengeschichtlichen Kern der politische Neustoizismus bildete. Die Rezeption oder Diffusion des in der militärischen Auseinandersetzung mit Spanien und in der Aneignung der antiken militärwissenschaftlichen Tradition entwickelten taktischen Reformmodells sieht sich in zwei Forschungstendenzen eingebunden. Die haben sich zu militärund strukturgeschichtlichen Paradigmen verfestigt, an denen sich kaum noch quellenbezogene forschungstheoretische Diskussionen entzünden. Deren Defizite gilt es zunächst aufzuzeigen.

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schen Theorie zur Zeit Sullys und Richelieus (Historische Forschungen, 13), Berlin 1978. Frieder Walter: Niederländische Einflüsse auf das eidgenössische Staatsdenken im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Neue Aspekte der Zürcher und Berner Geschichte im Zeitalter des werdenden Absolutismus, Zürich 1979, S. 15.

I. Die ›oranische Heeresreform‹ als ein Schlüsselmoment Frühneuzeitlicher Modernisierung 1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹ als Paradigmen der Frühneuzeitforschung Der oranische Heeresreformkomplex kann innerhalb zweier Erklärungsmodelle verortet werden, die sich zu einschlägigen Forschungstendenzen der Frühneuzeitforschung entwickelt haben und einen gemeinsamen Nenner in der Strukturgeschichte finden: die Theorie der militärischen Revolution (1956) und die Sozialdisziplinierungthese (1962/ 1969). Im Zusammenhang dieser Forschungsparadigmen wird die Rezeptionsgeschichte der oranischen Heeresreform an die Genese von moderner Gesellschaft, modernem Staat, modernem Militär und moderner Militärwissenschaft gebunden.1 Die These von der frühneuzeitlichen militärischen Revolution steht am Ende einer vom britischen Historiker Michael Roberts 1955 etablierten Argumentationslinie, die ihren Ausgangspunkt in der Militärgeschichte nimmt. Den militärgeschichtlich-taktischen Auftakt der ›militärischen Revolution‹ bildete demnach die Kriegskunst Moritz’ von Oranien.2 Von Bedeutung für den frühneuzeitlichen Prozess der Sozial1

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Vgl. Gerhard Oestreich, der die Bedeutung der in den Niederlanden entwickelten Militärtheorie für den frühneuzeitlichen Absolutismus unterstreicht. Vgl. Hahlweg: Einleitung. In: Kb, S. 7*: »Die Heeresreform der Oranier, die in der Hauptsache in etwa zehnjähriger kontinuierlicher Arbeit in der Zeit zwischen den Jahren 1589/90 und 1600 verwirklicht wurde und nicht zuletzt in dem Siege Moritz’ bei Nieuport (2. 7. 1600) eine glänzende Bestätigung erfuhr, bezeichnet den Beginn des modernen Militärwesens, das in etwa folgenden Stichworten zu umreißen wäre: Systematische Soldatenausbildung – Offiziersschulung – Führungskunst auf wissenschaftlicher Grundlage – systematisiertes Versorgungs- und Verwaltungswesen – Generalstab – Treffentaktik und taktische Reserven – hohe Beweglichkeit – neue Führungsstrukturen, ›Befehlskette‹ – weiter ausgebildete Technik. Dieser Beginn ist in den kriegswissenschaftlichen Papieren Johanns in allen Einzelheiten und in seiner Problematik quellenmäßig in seltener Anschaulichkeit festgehalten; man betritt gleichsam die Werkstatt der niederländischen Militärreformer.« Eine Weiterführung dieser Verbindung von niederländisch-holländischem Militär und frühneuzeitlicher militärischer Revolution s. Olaf van Nimwegen: The Dutch Army and the Military Revolutions. 1588–1688 (Warfare in History), Woodbridge 2010.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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disziplinierung sind laut Gerhard Oestreich3 die Kategorien der militärischen Klugheit als Herrschertugend (prudentia militaris) und der neustoisch-römischen Disziplin (disciplina) des Militärs, welche Justus Lipsius in den Politicorum libri sex (1589) entwickelt und systematisiert hatte. Den militärisch-praktischen Reformprozess ordnet Oestreich hierbei den militärtheoretischen Konzeptualisierungs- und Modernisierungstendenzen nach. Die Sozialdisziplinierungsthese und die Argumentationslinie der militärischen Revolution implizieren zwei Parameter von Geschichtsfunktionalität, die in ein Wechselverhältnis treten: einerseits den frühmodernen Staatsbildungsprozess mit dem Kriterium der Gewaltmonopolisierung durch den frühneuzeitlichen Fürstenstaat und andererseits die Rückwirkung des damit in Verbindung stehenden Ausbaus einer Militärverwaltung und Logistik auf die Kriegführung. Ihre Schnittfläche finden die beiden historischen Erklärungsansätze in der Mentalitätsund Strukturgeschichte. Im Zusammenhang des Erklärungsmodells der militärischen Revolution (1956) und des ›Fundamentalvorgangs‹ der Sozialdisziplinierung (1969) werden die Veränderungsprozesse hin zu Rationalisierung und Modernisierung in einem Wirkungszusammenhang von militär- und strukturgeschichtlichen Momenten verortet. Einen programmatischen Versuch diese beiden Tendenzen zusammenzuführen liefert zuerst Ralf Pröve. Er ruft dazu auf, dem Zusammenhang zwischen ›Staatsbildung‹, ›Sozialdisziplinierung‹ und ›militärischer Revolution‹ endlich die gebührende Aufmerksamkeit einzuräumen.4 Diese 3

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Vgl. seine Arbeiten der Jahre 1953–1969: Gerhard Oestreich: Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats, HZ, 181 (1956), S. 31–78; – Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, HZ, 176 (1953), S. 17–43; – Soldatenbild, Heeresreform und Heeresgestaltung im Zeitalter des Absolutismus. In: Bundesministerium für Verteidigung (Hg.), Schicksalsfragen der Gegenwart, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 298–321; – Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969; vgl. auch: – Strukturprobleme der frühen Neuzeit, Berlin 1980; – Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius. 1547–1606. Der Neustoizismus als politische Bewegung (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, 38), Göttingen 1989 (posthum herausgegeben von Nicolette Mout; ursprünglich 1954 eingereichte Habilitationsschrift). Vgl. Ralf Pröve: Dimension und Reichweite der Paradigmen ›Sozialdisziplinierung‹ und ›Militarisierung‹ im Heiligen Römischen Reich. In: Heinz Schilling, Lars Behrisch (Hg.), Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. Institutions, Instruments and Agents of Social Control and Discipline in Early Modern Europe (Ius Commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte; Sonderhefte Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, 127), Frankfurt a. Main 1999, S. 70: »Die funktionalen und essentiellen Zusammenhänge von Staatsbildung, Sozialdisziplinierung und ›militärischer Revolution‹ hat die Forschung in Deutschland erst in den letzten Jahren wirklich angemessen erkannt (und erkennen wollen). Diese Verspätung hängt vor allem mit einem beinahe einhelligen, jahrzehntelangen Verzicht der Zunft, insbesondere der Sozial- und Alltagsgeschichte, auf die Berück-

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

eingeforderte Verzahnung von ›Staatsbildung‹, ›Sozialdisziplinierung‹ und ›militärischer Revolution‹ beschreibt den Endpunkt einer Entwicklung, die die strukturgeschichtlich begründeten Umbruchs- und Umwertungsprozesse vom Ritter zum honneˆte homme5 impliziert, jedoch ideengeschichtlich kaum aufarbeitet. Dass die ›oranische Heeresreform‹ zum Schlüsselmoment taktischstrategischer, militärisch-organisatorischer, sozial- und verfassungshistorischer Modernisierung erhoben wurde, liegt darin begründet, dass sie in der Perspektive der modernen Strategie-, Verfassungs- und Disziplinbegriffe dargestellt und erörtert wurde. In der Interpretation und Historiographie der ›oranischen Heeresreform‹ lassen sich tatsächlich zwei Phasen unterscheiden: Zunächst ist der oranische Heeresreformkomplex im Methodenpluralismus und der Neuformulierung der Kriegsgeschichte im Rahmen der politischen Geschichte zu verorten. Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, wird die oranische Heeresreform in die sich ausbildende Frühneuzeitforschung eingebettet. Die Verortung der oranischen Heeresreform zwischen ›militärischer Revolution‹ und Sozialdisziplinierung fällt in die zweite Phase ihrer Historiographie. Vorerst rückt jedoch die Geschichtschreibung der ›oranischen Heeresreform‹ als universalhistorisch eingebetteter militärgeschichtlicher Gegenstand in den Blick. Wie stark die geistes-, strategie-, militärund politikgeschichtlichen Ansätze des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die Entwicklung der ›oranischen Heeresreform‹ als Gegenstand der Frühneuzeitforschung prägten, wird in einem weiteren Schritt erörtert werden. Schließlich bildet die technik- und strukturgeschichtlich orientierte ›Military Revolution Debate‹6 der achtziger und neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts einen Schlusspunkt des forschungsgeschichtlichen Überblicks. In ihrer Folge hat sich Frankreich zum besonderen Forschungsgegenstand hinsichtlich der politik- und verfassungsgeschichtlichen Revision gängiger Thesen über die militärische Revolution entwikkelt. Daneben bildete sich, in weitgehender Unkenntnis der ideengeschichtlichen Arbeiten Gerhard Oestreichs, besonders in Frankreich eine der RMA (›Revolution in Military Affairs‹) entgegenstehende Forschungsrichtung heraus, die die Verbindung von Humanismus und strategischem Denken herzustellen sucht.

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sichtigung, des Faktors ›Militär‹ zusammen. Insbesondere dessen hermeneutische Ausblendung durch jene Autoren, die sich in den 80er Jahren intensiv mit dem Sozialdisziplinierungsparadigma beschäftigt haben, muss vor diesem Hintergrund erstaunen.« David Parker: Class and State in Ancient Re´gime France. The Road to Modernity?, London-New York 1996, S. 144. Vgl. Clifford Rogers (Hg.): The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, Boulder 1995.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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2. Die universalhistorische Verortung der ›oranischen Heeresreform‹: Der moderne Verfassungs-, Strategie- und Disziplinbegriff Geschlossene Darstellungen zur ›oranischen Heeresreform‹, die sowohl den ideengeschichtlich-konstituierenden als auch den wirkungsgeschichtlichen Aspekt eingehend betrachten, liegen nicht vor.7 Die in der Regel auf einen Teilaspekt eines vielschichtigen Reformkomplexes bezogenen Arbeiten schließen fast ausnahmslos an den im Zusammenhang der Krisenerfahrung der Moderne an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelten Disziplinbegriff und die durch Hans Delbrück (neu)bestimmte Kriegsgeschichte als Subdisziplin der allgemeinen Geschichte (Universalgeschichte) an.8 Der Disziplinbegriff entwickelte sich nicht zuletzt durch die pointierte Formulierung Max Webers zu einem einschlägigen Verfassungsbegriff der Moderne. Auf diesem Hintergrund entsteht insgesamt ein kaleidoskopartiger Eindruck: strategiegeschichtliche, militärgeschichtliche, philologische/philologiehistorische und verfassungsgeschichtliche/politikgeschichtliche Positionen überlagern sich und prägen die bis dato unangefochtene Historiographie einer ›oranischen Heeresreform‹. Für die Deutung des in die Geschichtswissenschaft als ›oranische Heeresreform‹ eingegangenen politisch-fiskalischen und militärischtaktischen Reformkomplexes erscheinen daher der Methodenstreit (1888, 1893–1899)9 und der Strategiestreit (1879–1914) sowie eine neue sachliche Auffassung in der historisch-kritischen Philologie (August Boeckh) gleichermaßen bedeutsam. Philologiehistorische, geisteswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, verfassungshistorische, militär- und 7

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Auch die Habilitationsschrift von Werner Hahlweg bleibt im Hinblick auf die Wirkungsgeschichte lückenhaft. Im Vorwort zum vierten Band (1920), der das Kriegswesen bis auf die Epoche Napoleons darstellt, hat Delbrück seine Auffassung von der Stellung seiner Geschichte der Kriegskunst innerhalb der historischen Disziplinen dahingehend präzisiert, dass man seine Konzeption auch in die Kategorie der kulturhistorischen Werke einordnen könne. Seiner Auffassung nach gehört der Krieg zu den Urphänomenen des menschlichen Seins und ist daher als eine inhärente, ständig sich wandelnde Erscheinungsform der Kulturgeschichte anzusehen. Über die angemessene Gewichtung der einzelnen Faktoren und ihren Anteil an einer allgemeinen Geschichtsbetrachtung entflammte 1888 ein schon lange schwelender Streit unter den Historikern. Dietrich Schäfer, Georg von Below und Hermann Oncken bestimmten die Geschichte der Staaten und ihrer Politik als das eigentliche Arbeitsgebiet des Historikers. Eberhard Gothein, Karl Lamprecht, Walter Goetz, Alfons Dopsch und später der Niederländer Johan Huinzinga hingegen forderten eine stärkere Berücksichtigung der Sozial- bzw. der Kulturgeschichte – auch in der Landes- und Regionalgeschichte. Daran entzündete Karl Lambrecht den Methodenstreit.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

strategiegeschichtliche Themen überlagern sich. Die Universalgeschichtsschreibung und die entstehenden Sozialwissenschaft öffneten sich militärischen Themen und Fragen der Militärverfassung. Die moderne akademische Militärhistorie und die Historiographie der ›oranischen Heeresreform‹ im Besonderen standen im Kreuzfeuer eines sich ausbildenden Methodenpluralismus. Dieser scheint die moderne akademische Militärgeschichtsschreibung, wie sie sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert herauskristallisierte, erst ermöglicht zu haben. Wirkmächtig blieben auch hier die Traditionen des deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts. Die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstehende moderne Militärgeschichtsschreibung griff auf eine Facette des strategischen Denkens und der strategischen Begrifflichkeit Carl von Clausewitz’ zurück. Der Militärhistoriker Hans Delbrück (1848–1929) verlieh dem doppelpoligen Strategiebegriff des späten Clausewitz eine neue Pointe, indem er die Kategorien von Niederwerfungs- und Ermattungsstrategie (vgl. Clausewitz, Vom Kriege, VIII, 4) historisch-deskriptiv verwandte. Delbrück behauptete unter Berufung auf Clausewitz, dass es zwei gleichberechtigte Strategiesysteme gäbe: die Vernichtungs- oder Niederwerfungsstrategie und die von ihm so bezeichnete Ermattungsstrategie.10 Im Ergebnis ermöglichte die Rezeption des doppelpoligen strategischen Systems Clausewitz’ eine Analogisierung von zeitlich getrennten Strategiekomplexen: so der Perserkriege und der Burgunderkriege oder von Cannae und der oranisch-schwedischer Kriegskunst. Von besonderer Tragweite für Verfassungs- und Militärgeschichte erweist sich die Komplementarität von ›doppelpoligem strategischen System‹, Entwicklung der ›Treffentaktik‹ und ›wahrer Disziplin‹11. Die Wiederentdeckung der römischen Disziplin, und der Treffentaktik auf der Grundlage der »Wahrheits-Momente«12 der antiken Literatur sind Deutungsmuster der Kriegskunst, die sich vor allem an der Kriegskunst der Oranier festmachen lassen. Politisch-sozial gedeutet wird die Treffentaktik, insofern, als deren Entwicklung das »Leben der Völker nach außen wie nach innen« bestimmte.13 10

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Sven Lange: Hans Delbrück und der ›Strategiestreit‹. Kriegsführung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse. 1879–1914 (Einzelschriften zur Militärgeschichte, 40), Freiburg 1995, S. 1 (der Einleitung): »Seine Feststellung, daß es eine ›doppelte Art des Krieges‹ gebe, hatte Delbrück nicht als eigene Entdeckung bezeichnet, sondern stets Clausewitz als den eigentlichen ›Entdecker der Wahrheit‹ angegeben. Jener habe in der 1827 niedergeschriebenen Nachricht im Vorwort zu dessen Manuskript Vom Kriege die Entdeckung selber veröffentlicht.« Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst, Teil 2: Die Neuzeit, Neuausg. des Nachdrucks von 1962, Berlin 2000, S. 208. Ebd., S. 200. Karl Christ zitiert Hans Delbrück, Weltgeschichte I, 439; s. Karl Christ: Hans

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Der Delbrücksche Politikbegriff, doppelpoliger Strategiebegriff, Treffentaktikthese und Disziplin Delbrücks Begriff des Politischen und der Verfassung trägt nicht die Signatur Karl Lamprechts,14 sondern bleibt weitgehend hegelianisch konnotiert. Zunächst verortete er mit seiner Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte (1900–1920) die Militärgeschichte im Rahmen der politischen Geschichte. Angeregt von Lorenz v. Stein15 und Wilhelm Rüstow16 steckte er zudem das Feld ab, in dem die früh-

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Delbrück (1848–1929). In: Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte (Digitale Bibliothek, 72), Berlin 2002, S. 192. Zu Delbrücks Stellung im Methodenstreit vgl. Roger Chickering: Das Leipziger »Positivisten-Kränzchen« um die Jahrhundertwende. In: Gangolf Hübinger, Rüdiger vom Bruch, Friedrich W. Graf (Hg.), Kultur und Kulturwissenschaften um 1900, Bd. 2: Idealismus und Positivismus, Stuttgart 1997, S. 236. Vgl. Lorenz von Stein: Die Lehre vom Heerwesen. Als Theil der Staatswissenschaft, Stuttgart 1872. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Vorwort. In: Lorenz von Stein, die Lehre vom Heerwesen. Als Theil der Staatswissenschaft, Neudruck der Ausg. 1872, Biblio-Verlag Osnabrück 1967 (Bibliotheca Rerum Militarium, Quellen und Darstellungen zur Militärwissenschaft und Militärgeschichte), S. XI: Bökkenförde gibt von Steins Definition von der Lehre vom Heerwesen wieder: »Er versteht darunter ›die systematische Darstellung derjenigen Forderungen, Einrichtungen und geltenden Bestimmungen innerhalb der allgemeinen Organisation, Rechtsordnung und Verwaltung des gesamten Staatslebens, welche für das Heer als das große Organ der Kriegführung und vermöge der Grundsätze und Anforderungen der letzteren als notwendig gesetzt werden‹ (S. 37) […].«; »Darin«, so Böckenförde, »war Lorenz von Stein der Schüler und Erbe Hegels. Die Erfassung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens anhand der Begriffe und Einsichten, die das Hegelsche Denken bereitgestellt hatte, vollführte er in großartiger Weise. Er verblieb dabei nicht auf der Ebene der Philosophie, der Selbstbewegung des Geistes, sondern machte den Überschritt zur Soziologie und zur positiven Staatswissenschaft.«; Ebd. S. XII: Von Steins Einsichten »sind entwickelt am politischen Bezugspunkt einer gemäß den Prinzipien der staatsbürgerlichen Ordnung gestalteten konstitutionellen Monarchie, aber ihre Bedeutung geht oftmals darüber hinaus. Denn sie beziehen sich in vielem auf Grundfragen des wechselseitigen Zusammenhangs von Staatsverfassung und Heeresverfassung in einer staatsbürgerlichkonstitutionellen Ordnung, die auch durch den Übergang zur demokratischen Staats- und Regierungsform nicht gegenstandslos geworden sind.« Vgl. Lange: Hans Delbrück und der ›Strategiestreit‹, S. 35: Wilhelm Rüstow, Geschichte der Infanterie. Rüstow, stellte in den 50er Jahren des 19. Jh.s als einer der ersten die Kriegsgeschichte in den sozialen und politischen Zusammenhang und beeinflusste damit Delbrücks Auffassung von Kriegsgeschichte maßgeblich; Eckhardt Opitz: Der Weg der Militärgeschichte von einer Generalstabswissenschaft zur Subdisziplin der Geschichtswissenschaft. In: Hans-Joachim Braun, Rainer Kluwe (Hg.), Entwicklung und Selbstverständnis von Wissenschaften. Ein interdisziplinäres Colloquium (Studien zur Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1), Frankfurt a. Main et al. 1985, S. 57–78. Vgl. auch Gerhard Oestreichs Einleitung zu Wilhelm Rüstow: Der deutsche Militärstaat vor und während der Revolution, Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe 1850 (Bibliotheca Rerum Militarium, Quellen und Darstellungen zur Militärwissenschaft und Militärgeschichte, X), Osnabrück 1971, S. V–XIII, S. XII: »[…] die immer wieder gepredigte Einsicht in den Zusammenhang von Staatsverfassung und Heeresverfassung,

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

neuzeitlichen militärischen Modernisierungs- und Reformprozesse der Folgezeit in erster Linie als militärische Professionalisierungsprozesse erfasst werden.17 Delbrücks politischer Geschichte des Krieges und des Militärs liegen nicht nur die Interpretamente Carl von Clausewitz’ zugrunde, sondern auch der Einfluss hegelscher Staats- und Geschichtsphilosophie.18 Indem Delbrück das strategische System des späten Clausewitz aufgriff19 und – in seiner universalhistorischen Auffassung der Tradition G. W. F. Hegels folgend – den Staat mit dem Kulturstaat identifizierte, blieb er den wissenschaftshistorischen Tendenzen des 19. Jahrhunderts verhaftet.20 Delbrücks Politik- und Strategiebegriff, der die Signatur des

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in jene realen Machtverhältnisse gegenüber der geschriebenen Verfassung – das Heer als ein Stück der Verfassung – haben sicherlich auf seinen Freund Lassalle eingewirkt, dessen Sekundant bei dem tödlichen Duell Rüstow war.« Colin Jones: The Military Revolution and the Professionalization of the French Army under the Ancien Regime. In: Michael Duffy (Hg.), The Military Revolution and the State. 1500–1800 (Exeter Studies in History, 1), Exeter 1980, S. 29–48; Claudia Opitz-Belakhal: Militärreformen zwischen Bürokratisierung und Adelsreaktion. Das französische Kriegsministerium und seine Reformen im Offizierskorps von 1760 bis 1790 (Beihefte der Francia, 34), Sigmaringen 1994. Vgl. Otto Hintze: Delbrück, Clausewitz und die Strategie Friedrichs des Großen, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 33 (1920/21), S. 417–418; vgl. auch: Andreas Herberg-Rothe: Clausewitz und Hegel. Ein heuristischer Vergleich, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 10, 1 (2000), S. 49–84. Über die Verbindung von Delbrück und Clausewitz s. Raymond Aron: Penser la guerre. Clausewitz, 1: L’aˆge europe´en, Paris 1976, S. 137: »Qu’ai-je voulu prouver, par cette de´fense et illustration de Delbrück, condamne´ par tous les critiques allemands qui se piquaient de philosophie? Tout simplement que Delbrück a retrouve´, par l’e´tude historique, des ide´es auxquelles Clausewitz est parvenu a` la fin de sa vie, probablement lui aussi en re´fle´chissant sur l’histoire.« Vgl. Karl Christ: Von Gibbon zu Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit, Darmstadt 21979, S. 164: »Für Delbrücks politische wie für seine historische Anschauung gab den Ausschlag, daß er, ähnlich wie Hegel und Ranke, im Staat die idealisierte Grundformation der menschlichen Geschichte sah. Seine Betrachtungsweise ist hier transzendent. Da für Delbrücks ideale Sicht Staat und Kulturstaat identisch werden konnten, respektierte er den fast absolut gesetzten Staat. Der ›Gegensatz zwischen Staat und Individuum in seiner ewigen Unlösbarkeit ist eines der großen bewegenden Momente der Weltgeschichte. Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft.‹ Diese Sätze aus der Einleitung der ›Weltgeschichte‹ führen ins Zentrum von Delbrücks historisch-politischem Denken. Eine solche Legitimation und Anerkennung des Staates hatte notwendig auch die Anerkennung staatlicher Macht zur Folge und insbesondere die Sorge für den Ausbau der Streitkräfte.« Auch Friedrich Meineckes (Idee der Staatsräson) Darstellung der Theorie von Henri de Rohan ist bestimmt von der Idee des Machtstaates; vgl. Michael Stolleis: Friedrich Meineckes ›Die Idee der Staatsräson‹ und die neuere Forschung. In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a. Main 1990, S. 145: »Meinecke setzt in der Tat

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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deutschen Idealismus trägt, bedingt die universalhistorische Bedeutung der durch Moritz von Oranien geprägten Reformen.21 Delbrück zufolge »befestigten sich« die nördlichen Provinzen […] immer mehr in ihrer Freiheit und fanden jetzt in dem jungen Moritz […] den Führer, der die gegebenen militärischen Mittel in neue Formen zu gießen und dadurch zu erhöhter Leistung zu erheben verstand.22

Die Oranier begannen also, das »Kriegswesen der Zeit zu reformieren nach dem Muster der Alten, und in wechselseitiger Beeinflussung machten sich die beiden verwandten und befreundeten Fürsten [Moritz von Oranien und Wilhelm Ludwig von Nassau] ans Werk.«23 Vollendet und in eine umfassende Strategie eingebunden wurde Moritz von Oraniens Taktik später durch Gustav II. Adolf von Schweden.24 In der Delbrückschen Deutung des Reformwerks Moritz von Oraniens obsiegt nicht die historisch-deskriptive Anwendung des doppelpoligen Strategiebegriffs. Vielmehr liegt sein Augenmerk auf den Vorbedingungen für die Reformen: Die strukturellen Voraussetzungen, die Finanzverfassung der Generalstaaten, die Mentalität der staatstragenden Eliten sowie die Befähigung zur ›Sachkritik‹ seitens der militärischen Funktionsträger (Dynastie der Nassau-Oranier) führten im Zusammenspiel zu einer von Sachverstand getragenen Reform mit. Neben dem historischen Zusammenhang der Staatsbildung der Generalstaaten hebt Delbrück die Bedeutung der von Machiavelli herrührenden mili-

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schon auf der ersten Seite seines Buches [Idee der Staatsräson] den Staat als Machtstaat scheinbar überhistorisch als fixe Größe voraus, und zwar nicht die Realität des Staates, sondern seine Idee.«; ebd., S. 138: »Weiter ist heute die einfache Voraussetzung des ›Staates‹, genauer: die von Meinecke stillschweigend vorgenommene Verabsolutierung des nationalen Machtstaates, korrekturbedürftig. Das ›Wesen der Staatsräson‹ setzt ein ›Wesen des Staates‹ voraus, das in diesem Sinne nicht mehr ist als eine ahistorische Mystifikation der ›Allgemeinen Staatslehre‹.« ebd., S. 146: »Hypostasierung des Staates als Ewigkeitskategorie«; Stolleis kritisiert die Gesamtordnung der Idee der Staatsräson, S. 139: »Schon die Gewichtsverteilung der einzelnen Kapitel wirkt subjektiv. So hat sich etwa das RohanKapitel zu einer eingeschobenen Monographie mit nur lockerem Bezug zum Thema ausgewachsen.« GdKK, Bd. 4 [Vierter Teil], S. 178ff. Im Abschnitt zu ›Moritz von Oranien‹ des Kapitels ›Zeitalter der Religionskriege‹ legt er die prägende Rolle des Oraniers in der Heeresbildung dar. Ebd., Bd. 4, S. 179. Ebd., S. 180. Ebd., S. 199: »Der Vollender der Moritzschen Kriegskunst ist Gustav Adolf, der die neue Taktik nicht nur übernahm und ausbaute, sondern sie auch zur Grundlage einer großzügigen Strategie machte.« Delbrück vergleicht, entsprechend seinem Verfahren der Analogisierung von Strategiekomplexen, Gustav Adolf und Hannibal, ebd., S. 205f.: »Was Cannä für Hannibal ist, das ist die Schlacht bei Breitenfeld für Gustav Adolf: Der Sieg der Kunst über die wohl in hohem Maße vorhandene, aber zu plumpe militärische Tüchtigkeit. Selbst in manchen Einzelerscheinungen finden sich zwischen Cannä und Breitenfeld Ähnlichkeiten.«

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

tärischen Reformansätze25 und der philologischen Arbeiten Justus Lipsius’ (Politicorum libri sex, DMR)26 für die Militärreform der Nassau-Oranier hervor. Mehr noch als der ›Sachverstand‹ des Militärreformers Moritz von Oranien, dem die politischökonomische Struktur der Republik der Vereinigten Niederlande als sachliche Voraussetzung diente, haben die tradierten und zeitgenössischen Militärtheorien die Reformen beeinflusst. Gleichermaßen bedeutungsvoll sind neben den bereits erwähnten Arbeiten Lipsius’ die humanistischen Überlieferungen der Taktiken Kaiser Leos VI. und des Militärschriftstellers Aelian, welcher die moderne Kommandosprache inspirierte. Insbesondere die Historiographie der ›oranischen Heeresreform‹ wurde zum Exerzierfeld für die neue akademische Militärgeschichtsschreibung Delbrückscher Prägung. Delbrück verbindet in seinem Hauptwerk einer Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte (1900–1920) Strategie-, Verfassungs- und Politikgeschichte und stellt sie in ihrer Wechselwirkung dar. Als Delbrück im Zusammenhang des Strategiestreits die Kriegsgeschichte aus ihrer Funktion einer Generalstaabswissenschaft herausführte, verband er diese mit einem von hegelscher Geschichts- und Staatsphilosophie beeinflussten Kulturstaatskonzept. Hatte Clausewitz die holländische Kriegsgeschichte noch als jeglicher militärpolitischer, strategischer und taktischer Kohärenz ermangelnde Operationen gezeichnet,27 so führt Delbrück in dem Kapitel ›Moritz von Oranien‹ (GdKK, Bd. 4, 2. Buch, Kap. 3) die Wechselwirkung von der durch Moritz von Oranien (und seinen Cousins) geprägten Kriegskunst, der Antikerezeption (insbesondere LipsiusRezeption) und der politisch-sozialen Verfassung – inbegriffen die Wirtschaftsverfassung – auf; unter den spezifisch geistes- und verfassungs25

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Ebd., Bd. 4, S. 179: »Wir erinnern uns, wie Machiavelli das Kriegswesen seiner Zeit durch Wiederaufnahme der großen antiken Überlieferung zu erneuern sich vermaß. Er war damit gescheitert, nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch. Daß wir dennoch in ihm den Genius anerkennen müssen, erhellt, wenn wir nunmehr sehen, wie zwei Menschenalter nach seinem Tode die militärischen Reformen wirklich nicht nur bei der Antike, sondern direkt bei ihm, seinen Gedanken und Studien anknüpfen.« Ebd.: »Diese Schriften [Politica, De militia Romana] sind rein philologischer Natur, aber schließlich kann der Verfasser als Machiavellis Jünger doch nicht umhin, auch Blicke auf die Gegenwart zu werfen, von der man nicht etwa sagen könne, daß sie eine schlechte, sondern von der man sagen müsse, daß sie gar keine Disziplin habe; wer aber mit den Truppen der Gegenwart die römische Kriegskunst zu verbinden verstände, verkündet er, der würde sich den Erdkreis untertan machen können. ›Vorschriften können wir nicht geben, aber die Anregung (gustum dare potuimus, praecepta non potuimus), fügt er hinzu, und so ist es gekommen‹.« Carl v. Clausewitz: Strategische Beleuchtung mehrerer Feldzüge von Gustav Adolph, Turenne, Luxemburg und andere historische Materialien. In: HW, Bd. 9, Berlin 1837, S. 115–120.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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geschichtlichen Vorzeichen avanciert Moritz von Oranien hier zum »Erneuerer der Exerzierkunst«, zum »Vater der wahren militärischen Disziplin« und zum »Schöpfer des Offizierstandes«28. Eine Schlüsselrolle kommt in der Delbrückschen Geschichtsfunktionalität der Entwicklung der Treffentaktik in der äußeren und inneren Entwicklung der Nationen zu.29 Die Treffentaktikthese hält mit der Differenzierung in Innen und Außen ein strategisch-taktisches Erklärungsmodell für Staatsbildungsprozesse bereit und ermöglicht, in der historischen Analyse der Taktik und in der Analogisierung von Strategiekomplexen überzeitliche Aussagen im Hinblick auf den doppelpoligen Strategiebegriff.33 Zum Kriterium moderner Militärorganisation in Verbindung mit der Entwicklung taktischer Körper wurde Delbrück zufolge im Anschluss an die wiederentdeckte antike Disziplin die Differenzierung von Fremd- und Selbstdisziplinierung erhoben – »der entscheidende Punkt«, nach Delbrück, sei »äußerlich das Exerzieren, innerlich die Disziplin«30. Indem Delbrück sich mit seinem doppelpoligen Strategiebegriff von der strategischen Doktrin der Generäle seiner Zeit abhob, und sich vom Gegensatz von Sprach- und Sachphilologie prägen ließ, steckte er das Feld ab, in welchem sich die Interpretation von Kriegstheorie und Kriegsgeschichte im 20. Jahrhundert bewegen sollte. Insbesondere die Deutung des »kriegsgeschichtlichen Zusammenhangs von Cannae und die römische Manipularlegion«31 sollte die Interpretation der modernen 28 29 30 31

GdKK, Bd. 4, 2. Buch, Kap. 3. Ebd., Bd. 1, S. 55. Ebd., Bd. 4, 2. Buch, Kap. 3. Hans Delbrück selbst widmete sich der Schlacht von Cannae und der Problematik der Manipularlegion in einer Reihe von Artikeln: Die Manipularlegion und die Schlacht bei Cannae, Hermes (1886), S. 65–90; – Die Schlacht bei Cannae, HZ, 109 (1912), S. 481–507; – Die römische Manipulartaktik, HZ, 51 (1883), S. 239, worin er den Nachweis zu erbringen suchte, dass die bisher herrschende Auffassung der römischen Manipulartaktik unrichtig sei und durch eine andere ersetzt weden müsse; – Triarier und Leichtbewaffnete, HZ, 60 (1888), S. 238ff.; Karl Christ: Einleitung. In: Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Erster Teil: Das Altertum, Repr. 3. Auflage, Berlin 1964, S iii: »1877 [1887], als Hans Delbrücks Monographie ›Die Perserkriege und die Burgunderkriege, zwei kombinierte kriegsgeschichtliche Studien nebst einem Anhang über die römische Manipular-Taktik‹ veröffentlicht wurde, eine Monographie, die man gleichsam als Ouverture des ersten Bandes der Geschichte der Kriegskunst bezeichnen kann, klang in der Altertumswissenschaft noch immer der seit August Boeckh entfesselte Kampf zwischen reiner Sprachphilologie und Sachphilologie nach.«, ebd., S. V: »Delbrück konnte mehrfach, besonders für die Perserkriege und für die Kämpfe Caesars, den Nachweis führen, dass die in den Quellen überlieferten großen Heereszahlen aus sachlichen Gründen nicht zutreffen können. Er selbst hielt ›die Richtigstellung des Zahlen-Verhältnisses in Cäsars gallischem Krieg‹ für ›das wichtigste Ergebnis des ganzen Buches‹ (S. X). Für die allgemeine taktische Entwicklung der antiken Heeresformationen hob Delbrück bei der griechischen Phalanx die Verbindung von Waffengebrauch und Massendruck hervor, im makedo-

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Militärreformen beeinflussen. Die Entwicklung der Treffentaktik durch die Römer ist für die Form der Staatlichkeit der Kriegführung von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Zwischen Taktik und Kriegsverfassung konstatiert Delbrück enge und vielfältige Wechselwirkungen, und die Kriegsverfassung sei wiederum ein so wesentlicher Teil der gesamten Staatsverfassung eines Volkes, »dass eine allgemeine Geschichte der Kriegskunst bis auf einen gewissen Grad zur allgemeinen Verfassungsgeschichte wurde«.32 Auf dem Hintergrund Delbrückscher Sachkritik tritt eine Verbindung zwischen der Entwicklung einer römischen Berufsarmee und den modernen militärischen Professionalisierungstendenzen auf. Das entscheidende taktische Indiz der Wechselwirkung von Kriegskunst und Staatsbildungsprozess liegt laut Delbrück in der Entwicklung der Treffentaktik. »Neben ihm«, so Delbrück, »stand die durch alle Verfassungsreformen hindurchbrechende große Persönlichkeit, gestützt auf das vom Bürgertum losgelöste Heer von Berufsoffizieren und Berufssoldaten.«33 In Scipio sieht Delbrück den Vorläufer Caesars und die »Fortbildung der Kriegskunst in der Treffen-Taktik« habe »fortan das Leben der Völker nach außen wie nach innen«34 bestimmt. Delbrücks Schüler Martin Hobohm hat in seiner zweibändigen Machiavelli-Studie (1913) die Thesen seines Lehrers noch verschärft: lediglich den Oraniern und nicht Machiavelli spricht er die theoretische und praktische Befähigung zur Reform des Militärwesens zu. Denn ihnen ist es gelungen, die Entwicklung der Römer vom Bürgerheer zur immer feineren Taktik der Treffen und die damit verbundene Ausbildung eines Berufsheeres nachzuvollziehen.35 Das analogisierende, sich auf die Autorität militärgeschichtlicher Sachkritik stützende Verfahren, wofür Delbrück und Hobohm stehen, war jedoch bereits in den Kreisen der Altphilologen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts umstritten. Vertreter rein philologischer Textkritik, wie Johannes Kromayer, kritisierten das Hineintragen von Analogien aus der modernen Kriegsgeschichte, zumal diese einer wissenschaftlichen, am Text orientierten Überprüfung kaum standhielten.36 Wenngleich sich bereits zu Lebzeiten

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nischen Heer der Alexanderzeit das ›Ineinandergreifen aller einzelnen Teile‹ (S. 174), im römischen Kriegswesen die in sich folgerichtige Entwicklung von der Manipular-Phalanx zur Treffen- und Kohortentaktik – um nur einige der wichtigeren allgemeinen Akzente zu nennen.« GdKK, Bd. 1, S. 22. Ebd., S. 55. Ebd. Vgl. Martin Hobohm: Machiavellis Renaissance der Kriegskunst (Erweiterung einer im Jahre 1906 von der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin gekrönten Preisschrift), Bd. 2: Machiavellis Kriegskunst, Berlin 1913, S. 89, 103, 463, 548. Johannes Kromayer: Vergleichende Studien zur Geschichte des griechischen und

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Delbrücks eine Kritik rein philologischer Art entwickelte, die noch in der Beurteilung der Arbeiten Oestreichs und Hahlwegs durch den Altphilologen Friedrich Lammert nachwirkte37, dominierten in der Deutung des oranischen Reformwerks doch die Delbrück-Adepten38. So stehen die Arbeiten von Ludwig Plathner (1913)39 und von Martin Hobohm (1913) ganz unter dem Einfluss Delbrücks. Hobohm suchte gleich Delbrück eine Verbindung von Kriegsgeschichte und allgemeiner Geschichte herzustellen.40 Der Grundtenor dieser liegt in der Diskreditierung der strategischen Heuristik Machiavellis. Erst geleitet durch den ›Sachverstand‹ der Nassau-Oranier (vornehmlich Moritz’ und Wilhelm Ludwigs) führten Drill und Disziplin zur Begründung eines modernen Militärs.41 Der Dreischritt – Hellenisierung der römischen Taktik, – wahre Disziplin, Berufsheer und moderne, einer ›konstitutionellen Monarchie‹ entsprechende Militärverfassung – zieht sich als roter Faden durch die akademische Militärhistorie der ersten fünf bis sechs Dekaden des 20. Jahrhunderts. Von besonderer Bedeutung für den Disziplin- und Strategiebegriff ist die Hellenisierung des Römischen, sei es in Taktik und Strategie, wie sie in der Verbindung von römischer Legion und griechischer Phalanx deutlich wird, sei es die Verknüpfung von römischen und griechisch-byzantinischen Methoden in der Militärtheorie. Das Moment der ›Hellenisierung‹ der Ethik und ›Gräzisierung‹ der Taktik im frühneuzeitlichen Militär wird in der vorliegenden Studie einer Prüfung standhalten müssen, verzweigen sich in diesem doch die geistesgeschichtlichen und militärhistorischen Interpretamente des 19. Jahrhunderts.

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römischen Heerwesens, Hermes, 35 (1900), S. 217: »Die etwas chevalereske Art, mit der die Forscher auf diesem Gebiete z. Th. mit den Quellen umgesprungen sind, das Hineintragen von Analogien aus der modernen Kriegsgeschichte, die ferner Stehende nicht controlliren konnten und denen sie jedenfalls die Berechtigung absprachen, eine gut begründete alte Tradition umzustürzen, das z. Th. etwas schnelle Vorgehen, bei dem Hypothesen wie völlig gesicherte Errungenschaften hingestellt und bald wieder fallen gelassen wurden: das alles hat diese Seite der antiken Forschung leiden lassen.« Diese verdichtete sich in einem Artikel von Friedrich Lammert: Die Antike in der Heeresreform der Oranier. Gedanken zu neueren Veröffentlichungen von Werner Hahlweg und Gerhard Oestreich, NassA, 65 (1954), S. 246–250. Delbrück wirkte nicht unmittelbar schulbildend; vgl. Karl Christ: Einleitung, S. vi: »Wie schon angedeutet, war der Zuschnitt von Delbrücks Gesamtkonzeption mit ihrer Verflechtung von sachkritischer Analyse, Würdigung individueller Leistungen und allgemeiner historischer wie technischer Entwicklung so persönlich, daß Delbrück hierin gar keine Nachfolge finden konnte.« Ludwig Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule. Ein Beitrag zur Kenntnis des Kriegswesens an der Wende des 16. Jahrhunderts, Diss., Berlin 1913. Vgl. Martin Hobohm: Kriegsgeschichte und allgemeine Geschichte, Schweizerische Vierteljahresschrift für Kriegswissenschaft, 5 (1924), S. 63–92. Martin Hobohm: Machiavellis Renaissance.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Komplex der Hellenisierung – wie er in der taktisch-strategischen Interpretation bei Delbrück oder in der Einführung der neustoischen Ethik und Politik in die disciplina-Konzeption Oestreichs zum Tragen kommt – eine bedeutsame Rolle in der Deutung von Kriegskunst und Militärverfassung der Frühen Neuzeit spielte. Bereits Hegel und Dilthey sahen die Hellenisierung der Philosophie in der Stoa, im Neustoizismus begründet. Im Rückgriff auf die hegelschen und diltheyschen Begriffe von Staat und Wissen schloss Delbrück an die idealistische und hermeneutische Tradition der deutschen Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts an. Antikerezeption, Militärreform und Machtstaat Die Verbindung von Individuum, ›herausragender Persönlichkeit‹ und Staat in den militärischen Reformprozessen erfuhr deutlicher noch als in den unmittelbar von Delbrück angeregten Arbeiten bei der nachfolgenden Generation, die Werner Hahlweg und Gerhard Oestreich repräsentierten, eine leichte Akzentverschiebung. Der Schwerpunkt der beiden Arbeiten liegt auf einer engen Verbindung von Antikerezeption und Heeresreform.42 Die Arbeiten von M. Jähns und H. Delbrück haben hierfür wesentliche Weichen gestellt: Delbrück hatte nicht nur die Bedeutung Justus Lipsius’ sondern auch die der Rezeption der griechischbyzantinischen Taktiker für den Reformkomplex hervorgehoben.43 Hahlweg44 und Oestreich45 nahmen sich der Restitution der nassau42

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Diese These wird unter anderem von G. J. D. Aalders aufgenommen (De antieke oorsprong van de moderne exercitie, Tijdschrift voor geschiedenis, 58 (1943), S. 224–227). GdKK, Bd. 4, S. 180: »Das klassische Werk, auf das die oranischen Fürsten sich besonders berufen, ist die Taktik des Kaisers Leo, die 1554 in einer lateinischen Übersetzung, dann auch in einer italienischen erschienen war und von Meursius in Leyden 1620 auch griechisch herausgegeben wurde. [...] Aelian, der auch direkt von den Niederländern studiert und benutzt wurde«; ebd., S. 185f.: »Kaiser Leo schreibe darüber das Richtige vor (Tiefe von 16 Mann). Er bezeichnet weiter die Kapitel in Leos Taktik, deren Vorschriften man nachzuahmen habe und gibt schließlich ein Verzeichnis der Kommando-Ausdrücke, die er nach Aelian gebildet und in Anwendung gebracht hat. Es sind mit Einrechnung einiger, die noch nicht definitiv fixiert seien, gegen 50, und manche von ihnen leben noch in den heutigen Kommandos fort.« Vgl. Werner Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike; – (Hg.): Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen. Hg. v. der Historischen Kommission für Nassau (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 20), Wiesbaden 1973; – Einleitung. In: ders. (Hg.), Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 20), Wiesbaden 1973, S. 1–54; – Graf Johann von Nassau und die Niederlande, Blätter für die deutsche Landesgeschichte, 97 (1961), S. 61–73; – Aspekte und Probleme der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Prinz Moritz von Oranien,

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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oranischen Werke zur Kriegskunst an und rückten die charakteristische Verbindung von Antikerezeption und Militärreform in den Vordergrund. So entstand nicht nur das Bild einer nassau-oranischen Heeresreform, sondern auch deren unablösbare Verbindung mit der Rezeption antiker taktischer Theorie und antiker Ethik. Wenn es Berührungspunkte zwischen den beiden Historikern gibt, dann liegt das unter anderem daran, dass sie zeitweilig wehrgeschichtliche Studien betrieben haben. Hahlweg, der wesentlich von Delbrück und dessen Schüler Werner Elze beeinflusst war46, und Oestreich – geprägt von Fritz Hartung47 und Otto Hintze48 – unterlagen gleichermaßen dem Einfluss der universalhistorischen Deutung der ›oranischen Heeresreform‹.49 In den Titeln der beiden zentralen Schriften zur Entwick-

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Bijdragen en Mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden, 86 (1971), S. 161–177; – Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe in den hinterlassenen Schriften des Markgrafen Georg Friedrich von Baden. Eine kombinierte Studie zur Geschichte des Renaissanceproblems, Zeitschrift f. d. Geschichte d. Oberrheins, Bd. 98, N.F. 59 (1950); – Die hinterlassenen Papiere des Grafen Johann des Mittleren von Nassau, Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde, 28, 195 (1964), S. 90–93; – Johann Jacobi von Wallhausen. »Der löblichen Statt Dantzig bestellter Obristen Wachtmeister und Hauptmann«‹, Westpreußen-Jahrbuch, 29 (1979), S. 166–120; daneben Einleitungen zu einigen Editionen antiker Militärtheoretiker im 17. Jh.: – Einleitung. In: Henri Duc de Rohan, Le parfaict capitaine, 1636, Nachdruck. Hg. v. Werner Hahlweg (Bibliotheca rerum militarium, 11), Osnabrück 1972, S. 5–15; – Einleitung. In: Claudii Aeliani et Leonis Imperatoris Tactica sive De instruendis aciebus, repr. Ausg. Leiden 1613 (Bibliotheca rerum militarium, 23), Osnabrück 1981, S. V–XXV; – Einleitung. In: Johannes Scheffer (Hg., Übers.), Arriani Tactica et Mauricii Ars militaris. Nachdruck der Ausgabe von 1664 (Bibliotheca rerum militarium, 3), S. 1–14; – Einleitung. In: John Bingham (Hg., Übers.), The Art of Embattailing an Army, London 1631. Nachdruck (Bibliotheca rerum militarium, 6), Osnabrück 1968, S. V–XI. Gerhard Oestreich: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1595. Der Unterschied der nassauischen von der oranischen Staats- und Wehridee. In: (ders.) Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 311–355. Dermot Bradley: Lebensabriß Werner Hahlwegs. In: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. XX. Vgl. Gerhard Oestreich: Fritz Hartung als Verfassungshistoriker (1883–1967). In: ders., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 34–56. Gerhard Oestreich: Otto Hintzes Stellung zur Politikwissenschaft und Soziologie. In: Otto Hintze, Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Bd. 2. Hg. u. eingel. v. Gerhard Oestreich, Göttingen 21962, S. 7*–31*; – Otto Hintze und die Verwaltungsgeschichte. In: ebd. Auch Hintze hatte sich mit strategischen Fragen auseinandergesetzt: Otto Hintze, Delbrück, Clausewitz und die Strategie Friedrichs des Großen, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 33 (1920/21), S. 131–178. Vgl. Werner Hahlweg: Vorwort zum Neudruck. In: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. VIIf.: »Die vorliegende Arbeit von 1941 behandelt ein Thema, welches immer wieder Aufmerksamkeit seitens der einschlägigen Forschung im Inund Ausland erfahren hat – in dem Bewußtsein offenbar, daß dem Reformwerk der

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

lung moderner Militärwissenschaft und Wehrtheorie kommt denn auch deutlich die unterschiedliche Funktionalisierung der Antikerezeption zum Ausdruck: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung (das Manuskript wurde 1954 fertig gestellt) und Die Heeresreform der Oranier und die Antike. Studien zur Geschichte des Kriegswesens der Niederlande, Deutschland, Frankreichs, Englands, Italiens, Spaniens und der Schweiz vom Jahre 1589 bis zum Dreißigjährigen Kriege (1940/41). Oestreich kennzeichnet den Neustoizismus als eine politisch-ethische Bewegung, in der er einen umfassenden, neustoischen Disziplinbegriff und militäOranier über den niederländischen Bereich hinaus grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der Tat ist die Entstehung oder Herausbildung des modernen Militärwesens zu gewichtigem Teil mit dem schöpferisch-realistischen Wirken von Moritz von Oranien, Wilhelm von Nassau und Johann von Nassau verbunden; die oranische Reform steht in und über der Zeit. Elemente dieser Reform wie etwa die Schaffung der modernen Kommandosprache wirken noch in unsere Gegenwart hinein. Darüber hinaus muß die Heeresreform der Oranier in größeren Zusammenhängen historisch, geistig, politisch-sozial, ökonomisch und kriegstechnisch begriffen werden, d. h. sie ist kein bloßer zeitbegrenzt-isolierter oder nur auf einen bestimmten Raum beschränkter Vorgang. Vielmehr bilden geschichtlich bedeutsame, übergreifende Kräfte bei gleichzeitigem Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichsam einen komplexen Verbund; mit anderen Worten, die oranische Reform ist letzthin als ein universales Ereignis gerade im Bereich des Militärwesens zu werten, in welchem verschiedene weiterwirkende historische Impulse und Entwicklungen zusammentreffen; und erst aus diesen verschiedenen Kräften und Entwicklungen erwachsen jene Voraussetzungen und Bewegungsvorgänge, welche am Ende das Werk der oranischen Militärreform im niederländischen Raum bis auf den heutigen Tag in grundsätzlicher Hinsicht in seiner Kräfteentfaltung nach Breite und Tiefe über die einzelnen Jahrhunderte hinaus so bedeutsam erscheinen lassen.«; vgl. Nicolette Mout: Einleitung. In: Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 38), Göttingen 1989, S. 16: »Dabei kommt der Geschichte des Wehrdenkens eine besondere Bedeutung zu. Die Wehrtheorie bildet aber keinen philosophischen Gegenstand, sondern ihre Entwicklung muß ›in ihrem historischen Ablauf erfaßt werden‹. Hier liegt im Keim die Begründung der späteren Beschäftigung mit dem Werk des Justus Lipsius vor, dessen Bedeutung für die Kriegsgeschichte auch schon 1920 von Hans Delbrück kurz erwähnt worden war. Mit Delbrücks wissenschaftlicher Tendenz, der er selbst wohl nahestand, wollte Oestreich sich in dem geplanten Buch auseinandersetzen. Sie war ihm sympathisch, weil Delbrück bestrebt war, Kriegswesen und Kriegskunst in Verbindung mit Staat und Politik darzustellen, und dies war ja auch Oestreichs eigene Absicht. Er glaubte, daß die Wehrgeschichte in diesem Sinne selbständig neben Wirtschaftsgeschichte und auch Verfassungsgeschichte, so wie er sie bei seinem Lehrer Hartung kennengelernt hatte, treten und die Zusammenhänge zwischen Staatsbildung und Kriegstheorie klären könnte. Dahinter steht wohl – noch unausgesprochen – Hintzes Auffassung, daß ›Form und Geist der Staatsverfassungen nicht allein durch die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse und Interessenkämpfe, sondern in erster Linie auch durch die Notwendigkeit von Abwehr und Angriff, d. h. durch die Kriegs- und Heeresverfassung bedingt sind.‹«

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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rische Reformen verschränkt sieht. Damit verweist er auf die begriffsteleologische Struktur des Disziplin-Begriffs Max Webers (1864–1920). Hahlweg hingegen hebt auf auf eine in der Auseinandersetzung mit Clausewitz entwickelte Theorie-Praxis-Problematik ab.50 Er konzentriert sich infolgedessen auf die aus der Antikerezeption pragmatisch hergeleitete Kommandosprache der Oranier. Die Antikerezeption dient sowohl Oestreich als auch Hahlweg als Folie für die Nachzeichnung einer neuen Befehlskultur in der Armee. Diese wird entweder aus der Rezeption griechisch-byzantinischer Taktiker gewonnen und in eine moderne Kommandosprache umgeformt (Hahlweg), oder leitet sich vom politischen Neustoizismus ab, der die Selbst- und Fremddisziplinierung nahelegt (Oestreich). Während bei Hahlweg die aus der Antike hergeleiteten und sprachlich verfestigten Methoden der Truppenausbildung im Vordergrund stehen, ist für Oestreich der im Sinne einer Lebensform wiederbelebte antike Geist der Stoa als vorrangige Gestaltungsmacht des frühneuzeitlichen Staates und dessen Militärwesen ausschlaggebend.51 50

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Hahlweg hat dieser Problematik einen eigenständigen Artikel gewidmet: Umformungen im Militärwesen und das Verhältnis von Theorie und Praxis, WWR, 19 (1969), S. 181–195; jüngere Studien greifen diesen auf oder setzen sich kritisch mit ihm auseinander. Cornelis Maria Schulten: Prins Maurits (1567–1625), legerhervormer en vernieuwer van de krijgskunde, of trendvolger?, Armamentaria. Jaarboek Legermuseum, 35 (2000), S. 7–22; J. Bas Kist: De erfenis van prins Maurits, Armamentaria. Jaarboek Legermuseum, 35 (2000), S. 23–31; Jan P. Puype: Het Staatse leger en prins Maurits, wegbereider van de moderne legers, Armamentaria. Jaarboek Legermuseum, 35 (2000), S. 33– 47; Marco van der Hoeven (Hg.): Exercise of Arms. Warfare in the Netherlands. 1568–1648 (History of Warfare, 1), Leiden et al. 1997; v. a. Jaap A. de Moor: Experience and Experiment. Some Reflections upon the Military Developments in the 16th and 17th Century Western Europe. In: Marco van der Hoeven (Hg.), Exercise of Arms. Warfare in the Netherlands. 1568–1648 (History of Warfare, 1), Leiden-New York-Köln 1997, S. 17–32. 1976 schlugen die Herausgeber der Serie ›Cambridge Studies in Early Modern History‹ Oestreich vor, seinen Sammelband Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Berlin 1969), dessen erste vier Aufsätze über Lipsius und den Neustoizismus alle aus der Quelle einer Gedankenwelt gespeist wurden, in einer englischen Fassung zu publizieren. Oestreich entschloss sich, diese Aufsätze neu zu fassen. Zum Abschluss brachte er diese Neufassungen nicht mehr. B. Oestreich und Helmut G. Koenigsberger nahmen sich dessen nach seinem Tod 1978 an. Die Philosophin Nancy Sherman hat jüngst erneut die Bedeutung antiker, insbesondere stoischer Philosophie für die militärische Mentalität herausgestellt. Vgl. Nancy Sherman: Stoic Warriors. The Ancient Philosophy behind the Military Mind, Oxford 2005; Sherman stützt sich wesentlich auf Cicero, Seneca, Epiktet und Marc Aurel. Auch sieht sie in der aristotelischen Philosophie ein militärisch-ziviles Ethos angelegt. Vgl. Peter N. Miller: Nazis and Neostoics: Otto Brunner and Gerhard Ostreich before and after the Second World War, PP, 176, 1 (2002), S. 177: »Lipsius was no hero of National Socialism; indeed, none of the works I have read contains any reference to him. Nor should we conclude that Oestreich in 1953 and 1957 was parroting Nazi dogma – the 1957 article linking neo-Stoicism to virtues of the ideal

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Von der ›wahren Disziplin‹ zur Disziplin des politischen Neustoizismus Die Disziplinkonzeption, die Oestreichs Sozialdisziplinierungsthese zugrunde liegt, steht weniger in der Tradition der mit der Treffentaktikthese verbundenen Delbrückschen Disziplin, sondern geht auf die Öffnung der Geschichtswissenschaft zur Sozialgeschichte zurück. Von dem Sozialwissenschaftler Max Weber wird der Disziplinbegriff zur »Schlüsselkategorie der modernen Gesellschaft«52 erhoben. Neben der clausewitzianisch-delbrückschen Interpretation der Militärgeschichte und des Modells der Heeresreformen spielen die sich in der Krisenerfahrung herausbildenden geistes- und kulturgeschichtlichen Konstellationen53 eine Rolle in der Deutung militärischer Reformvorgänge. Die moderne Historiographie der oranischen Heeresreform ist also eng verbunden mit der der verfassungsgeschichtlichen Rolle, die der modernen Disziplin, d. h. einer teleologischen Deutung der Disziplin, beigemessen wird. So rekonstruiert Weber den okzidentalen Rationalisierungsprozess von seinem Endpunkt her als Vorgang des »Umsichgreifen[s] der Disziplin«.54 Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf die Disziplin des Massenheeres, die Amts- bzw. Beamtendisziplin, die Arbeits- und Werkstattdisziplin sowie die moderne Parteidisziplin.55 Folglich ist für ihn die militärische

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officer was, after all, his contribution to a multi-volume manual outlining politicohistorical education, published by the Defence Ministry of the Federal Republic of Germany. Perhaps there are only so many ways to describe the inner fortitude of soldiers. But it is striking that Oestreich’s evocation of Lipsius’s idea of discipline seem to pick up every single nuance and echo of the National Socialist language of Erziehung zum Wehrwillen. « P. N. Miller hingegen betont die Bedeutung des Neustoizismus für die Entstehung und Entwicklung einer modernen Zivilgesellschaft und grenzt sich damit von der lipsianischen Begründung eines modernen Militärstaates ab. Miller: Nazis and Neostoics, S. 180: »The Republic of Letters and its constituent networks of academies, salons […] is absent from Oestreich’s Europe. Over and against these miniature but proliferating civil societies that became and remain the characteristic feature of modern Western political culture, Oestreich offers us only the sodality of the armed camp. This cannot help us understand the origin and rise of civil society, which was the central phenomenon in the history of Europe during this period and the richest heritage of neo-Stoicism. Oestreich’s blind-spot for civil society can be traced to his inability to recognize that social and political change can also be driven by the forces of indiscipline.« Stefan Breuer: Sozialdisziplinierung. Probleme und Problemverlagerungen eines Konzepts bei Max Weber, Gerhard Oestreich und Michel Foucault. In: Christoph Sachße, Florian Tennstedt (Hg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik, Frankfurt a. Main 1986, S. 45. Gerhard Schuck: Theorien moderner Vergesellschaftung in den historischen Wissenschaften um 1900. Zum Entstehungszusammenhang des Sozialdisziplinierungskonzeptes im Kontext der Krisenerfahrungen der Moderne, HZ, 268 (1999), S. 35–59. Ebd., S. 51. Ebd. S. 2; Stefan Breuer: Die Evolution der Disziplin. Zum Verhältnis von Rationalität und Herrschaft in Max Webers Theorie der vorrationalen Welt, KZSS, 30

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Disziplin Ursache sozialer Disziplin. Im Anschluss an seine sozialwissenschaftliche Theorie rückt die Verfassungs- und Strukturgeschichte stärker in den Mittelpunkt – für Weber war die Waffenart ein Ergebnis und nicht die Ursache der Disziplin,56 nicht das Schießpulver, sondern die Disziplin initiierte die Wandlung.57 Oesterreichs neustoische Disziplin schreibt sich nicht nur in den modernen Disziplinbegriff ein, sondern folgt auch der Deutung der frühneuzeitlichen Stoa-Rezeption nach Dilthey. Wilhelm Dilthey hat die philosophisch-anthropologische Bedeutung des Stoizismus für den neuzeitlichen Wissenschaftsbegriff herausgestellt und die Entstehung und Verbreitung des Neustoizismus als charakteristischen geistesgeschichtlichen Moment der Frühen Neuzeit im Zusammenhang eines »natürlichen Systems der Geisteswissenschaften«58 verortet, das im Bereich der sittlichen Lebensführung zu einer von Religion und Theologie losgelösten, autonomen Moral geführt hat.59 Neben Hegel, der sich selbst mit

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(1978), S. 410; Gerhard Schuck: Theorien moderner Vergesellschaftung, S. 52: »Die Theorie der okzidentalen Rationalisierung bei Weber ist dabei keine teleologische Konstruktion einer auf die Gegenwart zulaufenden Erfolgsgeschichte der staatlichen Bürokratisierung und gesellschaftlichen Disziplinierung, sondern eine von der Gegenwartserfahrung der Jahrhundertwende ausgehende begriffliche Rekonstruktion eines primär negativ bestimmten Vorgangs: der ›Entzauberung der Welt‹.« Vgl. Sidney Anglo: Machiavelli. A Dissection, London 1969, S. 154. Vgl. Niccolo` Machiavelli: The Art or War. Hg. v. Neal Wood, S. xxxix. Vgl. Wilhelm Dilthey: Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert. In: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation, Gesammelte Schriften, Bd. 2, Leipzig-Berlin 1914, S. 90–245. Vgl. Martin Mulsows Kritik an Dilthey: Diltheys Deutung der ›Geisteswissenschaften‹ des 17. Jahrhunderts – Revisionen, Aktualisierungen, Transformationen. In: Thomas Leinkauf (Hg.), Die Deutung der Neuzeit als Muster von Geistes- und Kulturgeschichte (Cassirer-Forschungen, 10), Hamburg 2003, S. 53–68. Gegen dieses »natürliche System«, das sich noch bei Oestreich in dem praktischen Wissenschaftsbegriff des Neustoizismus findet, ist die Entwicklung unterschiedlicher militärtheoretischer Wissensordnungen aus der Heuristik und dem Handbuch Machiavellis, der Epitome des Vegetius und dem topologischen VI. Buch Polybios’ in Anschlag zu bringen. Vgl. Karl Alfred Blüher: Art. ›Neustoizismus‹, HWPh, Bd. 6 (1984), Sp. 777; Larry Frohman: Neo-Stoicism and the Transition to Modernity in Wilhelm Dilthey’s Philosophy of History, JHI, 56, 2 (1995), S. 263–287; S. 280: Die Politisierung des Glaubens im 16. Jh. führte zur Radikalisierung des Skeptizismus von Sebastian Castellio bis zu Montaigne und zur Rationalisierung der religiösen Orthodoxie in der protestantischen und katholischen Kirche gleichermaßen. Dennoch war Voraussetzung für einen rationalen Diskurs die Entwicklung des religiösen Rationalismus und der historisch-kritischen Theologie, die die Orthodoxie in Frage stellte. Dilthey argumentierte, dass dieses Kriterium in der Idee der Rationalität der religiösen Wahrheit und der gemeinsamen religiösen Wahrheit die Artikulation eines »Konzepts natürlicher Neigungen, die moralischen und religiösen Konzepten innewohnen« zu eigen ist. Die »entscheidende Verbindung in der Kette dieser großen Ideen« liegt in der »Erneuerung des Neustoizismus«, der seinen Höhepunkt im

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

der griechisch-hellenischen Philosophie von Platon bis Plotin befasste,60 sollte Dilthey die ›Hellenisierung‹61 frühneuzeitlicher Philosophie und Wissenschaft über die Rezeption der Stoa deuten.62 Auf dieser Folie wird ›Sozialdisziplinierung‹ insbesondere von historisch orientierten Sozialwissenschaftlern im Anschluss an Weber als eine von traditionaler Herrschaft idealtypisch abgegrenzte Form spezifisch moderner Vergesellschaftung verstanden. Gerhard Oestreich selbst war bestrebt, eine über den politikzentrierten Ansatz seines Lehrers Otto Hintzes hinausweisende, moderne Verfassungsgeschichte zu konzipieren, für die er die Anknüpfungspunkte in der Methodendiskussion um

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niederländischen Humanismus erreichte. [G.S., Bd. 2, S. 107]«; S. 283: »Machiavellis politisches Denken ist das Äquivalent in der politischen Sphäre von Vives Aushöhlung der natürlichen Theologie und Dilthey glaubte, daß er die zunehmende Vervollkommnung der politischen Anthropologie und des stetig wachsenden Vertrauens in die Fähigkeit des Menschen, seine Leidenschaften zu beherrschen, in den Werken von Lipsius, Charron, Du Vair und Bacon […]. Zur gleichen Zeit machten die Lehren des Absolutismus und die Volkssouveränität und das erneute Interesse an römischem Rechtsdenken die Formulierung eines allgemein gültigen Rechtsprinzips und Politikprinzips zunehmend dringlich [G.S., Bd. 2, S. 439–51]«. Die beiden Bewegungen gipfelten in Grotius De jure belli ac pacis; Wilhelm Dilthey: Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts. In: ders., Ges. Schr., Bd. 2, 1921, S. 416ff.; Günter Abel hebt in seiner philosophiegeschichtlichen Studie (Stoizismus und Frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte des modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik, BerlinNew York 1978) die Bedeutung des Stoizismus des 16. und 17. Jh.s für das moderne Denken hervor. Vgl. auch Marion George: Die Geburt der Hermeneutik aus dem Geist der Politik. Diltheys Begründung der Philosophie als pragmatische Ordnungsmacht der Moderne, Frankfurt a. Main et al. 2002. Antonio M. Battegazzore, Giancarlo Movia (Hg.): Hegel e la filosofia ellenistica: atti del Convegno di Cagliari (3.–4. April 1995), Cagliari 1998. Der Begriff der ›Hellenisierung‹ hat eine komplexe philosophiegeschichtliche Tradition. Meist wird ›Hellenisierung‹ mit der stoischen Philosophie gleichgesetzt. Im vorliegenden Zusammenhang muss jedoch ein umfassenderer und differenzierender Begriff der ›Hellenisierung‹ angesetzt werden, wird doch beispielsweise auch das Christentum hellenisiert (Walter Glawe) oder die taktischen Methoden zunehmend gräzisiert, ›hellenisiert‹. Vgl. Gabo´r Boros: Der Einfluß des Hellenismus auf die Philosophie der frühen Neuzeit. Arbeitsgespräch im Rahmen der deutsch-ungarischen Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften Budapest und der Herzog August Bibliothek vom 12. bis 13. Juli 2001 in Wolfenbüttel AHF-Information, Nr. 61, 24.9.2001 (http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/htm/2001/6101.htm) »Der sehr komplexe Traditionszusammenhang, der unter der Leitmetapher ›Einfluß‹ thematisiert wurde, ging aus von der Leistung solcher herausragenden deutschen Philosophen wie Hegel oder Dilthey, die besonders die philosophiegeschichtliche Rolle des Stoizismus eingehender untersucht hatten, seine Wiederkehr am Anfang – oder sogar als Anfang – der Neuzeit bot eine gute Gelegenheit, geschichtsphilosophische Überlegungen anzustellen und über das Wesen der sich wiederholenden Geschichte nachzudenken.«; s. Tagungsband: Gabo´r Boros (Hg.): Der Einfluß des Hellenismus auf die Philologie der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen, 108), Wiesbaden 2005.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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1900 sah: in Karl Lamprechts ›Kulturgeschichte‹, die für ihn eine »Frühform umfassender Sozialgeschichte« darstellte,63 vor allem aber in Hintzes Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der »neuen Richtungen«64. Diese wies ihm den Weg zu einer die Sozialwissenschaften integrierenden allgemeinen Verfassungsgeschichte. Teilen Hahlweg und Oestreich die Verbindung von Antikerezeption, Militärreform und die Etablierung einer neuen Befehlskultur, in der die Fremdbeherrschung des Soldaten durch den Offizier eine entscheidende Rolle in Taktik und Truppendisziplin spielt, so unterscheiden sie sich doch in einigen Punkten. Oestreich schließt an seine wehrgeschichtliche Konzeption der 1640er Jahre an und hebt auf die Bedeutung neustoischer Wehrethik ab, wie sie sich in der disciplina-Konzeption Lipsius’ artikuliert, um sie mit der Methode der Verfassungs- und Sozialgeschichte seines Lehrers Hintze65 zu verbinden. Hahlweg hingegen folgt tendenziell dem Ansatz Delbrücks und dessen Schülergeneration, die im oranischen Drill den Endpunkt einer Entwicklung hin zum stehenden Berufsheer und eine taktische Lösung, der von Machiavelli aufgeworfenen Praktikabilität des antiken römischen Modells sahen. Er verbindet die militärische Theorie-Praxis-Problematik, die in ihrem analogisierenden Verfahren an Delbrück gemahnt,66 mit dem strategischen Realismus, den er vor allem anhand der niederländischen Barrierepolitik (1646–1715) expliziert. Hahlweg stellt einen engen Bezug zwischen der Antikerezeption und der taktischen Truppenausbildung in den Niederlanden her. In diesem Sinne wurde das holländische, auf der griechischbyzantinischen Taktik basierende Exerziermodell in der französischen 63

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Gerhard Oestreich: Dreißig Jahre Historiker. In: ders., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 24. Vgl. Karl Lamprecht: Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft, Berlin 1896. Vgl. Gerhard Oestreich: Die Fachhistorie und die Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland, HZ, 208 (1969), S. 320–363. Vgl. Werner Hahlweg: Kriegsgeschichte und historischer Erkenntniswert, Wehrkunde, 10 (1961), S. 241: »Pragmatische Kriegsgeschichte womöglich als bloße Formel- oder Regelsammlung, dazu im wesentlichen nur auf das Studium der ›neuesten‹ Kriege gegründet, soll es tunlichst nicht mehr geben; sie möchte zweckvoll dem Bereich der Allgemeinen Geschichte eingefügt werden. [...] Der Pragmatismus endlich mag, wenn man diese Gegebenheiten bejaht, für uns Heutige als Erkenntnis- und Beurteilungsmittel nur noch bedingten Kurswert besitzen. Er wirkt in Richtung des homo faber, nicht des homo sapiens.«; ebd., S. 241: »Die durchaus gegebene Möglichkeit einer fruchtbaren Auswertung schöpferischer Leistungen oder Ideen weit zurückliegender Epochen durch spätere Geschlechter kommt nirgends sinnfälliger zum Ausdruck als etwa in der Reform des niederländischen Kriegswesens (und der damit verbundenen Schaffung des modernen Heeres) nach dem Vorbild der Griechen, Römer und Byzantiner durch Moritz von Oranien, Johann und Wilhelm Ludwig von Nassau und ihre Mitarbeiter, namentlich Simon Stevin.«

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Armee übernommen. Jedoch beschränkt er sich in seiner Studie Die Heeresreform der Oranier und die Antike auf die Darstellung der von der antiken Kommandosprache inspirierten Exerziermethoden der Oranier. Die Verengung der Veränderungen in der Taktik auf einen Teilaspekt, nämlich das von der römischen und griechisch-byzantinischen taktischen Theorie (Vegetius, Aelian, Leo VI., Maurikios) inspirierte Exerzieren, das in die Exerziervorschriften (Ordonnanzen) der Generalstaaten einging und somit in einer normativen Quelle identifiziert werden kann, führt zu einer strategischen Dekontextualisierung in theoretischer Hinsicht. Hahlweg schließt zwar im Sinne der Sachkritik an die CannaeInterpretation von Delbrück67 an, bezieht sich aber 1960, knapp zwanzig Jahre nach seiner Aufarbeitung oranischer Exerziermethoden, auf die Cannae-Interpretation Wilhelm Ludwigs von Nassau.68 In der der Cannae-Deutung verdichtete sich dann die taktisch-sachliche Problematik; eine strategisch-theoretische Ebene eröffnet sich in dieser Hinsicht keineswegs. In seinen späteren Studien über die Barrierepolitik der Niederländer löst sich Hahlweg von der strategisch-normativen Fragestellung, um auf die strategische Praxis abzuheben.69 67

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Hans Delbrück: Die Manipularlegion und die Schlacht bei Cannae, Hermes, 21 (1886), S. 65–90; – Die Schlacht bei Cannae, HZ, 109 (1912), S. 481–507. Werner Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, NassA, 71 (1960), S. 237–242. Werner Hahlweg: Barriere – Gleichgewicht – Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik und die Strukturwandlung des Staatensystems in Europa 1646–1715, HZ, 187 (1959), S. 54–89, S. 60: »Das leitende Prinzip aber der diesem Denken zugrunde liegenden Barriere aber besteht darin, ein Glacis oder, wie es in der Sprache der Zeit (entlehnt aus dem Bereich des Fortifikationswesens) heißt, eine ›Vormauer‹ im Raum zwischen den eigenen Grenzen und denen des mächtigen Nachbarn zu schaffen: ein Grenzverteidigungsmittel, wie es im 16. Jahrhundert etwa in der Schweiz und in der Republik als ›Ost-Barriere‹ (wenn auch noch nicht unter dieser Bezeichnung) bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts gegen Spanien (Emden, Lierort) Anwendung gefunden hat. In dem Augenblick, wo man in Holland nicht mehr Spanien, sondern Frankreich als mögliche Bedrohung der Unabhängigkeit empfindet, richtet sich der Blick von selbst auf eine ›Süd-Barriere‹ oder südliche ›Vormauer‹, d. h. auf die Spanischen Niederlande.«; S. 61: »Als dann die Republik 1648 als jüngstes Mitglied in die europäische Staatengesellschaft aufgenommen wird, bringt sie zugleich ihre außenpolitische Zielsetzung als neue Größe mit ins Spiel: das Streben nach der Verwirklichung einer haltbaren Barriere zwischen dem eigenen Staatsgebiet und Frankreich. Nicht Expansion, sonder bloße Erlangung des zur Selbsterhaltung notwendigen Maßes an tatsächlicher Sicherheit – und zwar auf defensivem Wege – gegenüber der aufstrebenden Macht Frankreichs stellt hier das Ziel der Republik dar, für die außerdem die Erhaltung des allgemeinen Friedens und des Gleichgewichts in Europa Lebensbedingung schlechthin ist.«; vgl. auch: – Die Barriere als Grundprinzip niederländischer Politik in Europa 1646–1715. In: Probleme geschichtlicher Forschung im Nordwesten. Niederschrift der vom Provinzialinstitut für westfälische Landes- und Volkskunde in Münster ... Arbeitstagung vom 14.–17. Juni in Coesfeld, s. l. 1960, S. 62–67; – Untersuchungen zur Barrierepolitik Wilhelms II. von Oranien und der

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Hahlwegs Rezeptionsgeschichte der ›oranischen Heeresreform‹, Absolutismusthese und machtpolitische These Während Hahlweg in seiner Habilitationsschrift (1941)70 die Übernahme des »oranischen Ausbildungssystems« der Infanterietruppen,71 d. h. des Drillens und Exerzierens und die theoretische Assimilation des Reformwerks durch vier Exponenten (Billon, Machault, Du Praissac, Montgommery de Courbouzon und Henri de Rohan) der französischen Militärtheorie in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jh.s in den Blick nimmt,72 richtet er die Rezeptionsgeschichte der oranischen Heeresreform an einer machtpolitischen These aus. Diese sieht das Phänomen des Aufstiegs Frankreichs zur führenden Militärmacht Kontinentaleuropas im Grand Sie`cle in der Rezeption der oranischen Heeresreform erklärt.73 Die Phase des Nach- oder Weiterwirkens der oranischen Heeresreform müsse einerseits im Zusammenhang mit dem Aufstieg Frankreichs zur ersten Militärmacht des Kontinents unter Ludwig XIV., andererseits mit der endgültigen Etablierung der Niederlande als vollberechtigtes Glied der europäischen Staatengemeinschaft im Gefolge des Holländischen Krieges (1672–1678)74 gesehen werden. Den Franzosen zur Zeit Ludwig XIV. kam es ähnlich wie vordem den niederländischen Aufständischen darauf an, die Wirksamkeit ihrer Streitkräfte zu steigern und sie im Sinne der Anforderungen von Politik und Kriegführung des Zeitalters zu modernisieren. Dabei ging man von den »Strukturen, Erscheinungs- und Wirkungsformen der oranischen Reform« aus.75 Demnach wurde ein ganzes Reformmodell rezipiert. Hahlweg stützt diese These auf die Schriften von La Vallie`re (1675), Alain Manesson Mallet

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Generalstaaten im 17. und 18. Jahrhundert, Westfälische Forschungen, 14 (1961), S. 43–80; – Konflikt – Politik – Strategie – Sicherheitsproblem. Genesis, Funktion und Schicksal des niederländischen Barrieresystems im 17. und 18. Jahrhundert. In: Heinrich Kipp et al. (Hg.), Um Recht und Freiheit. Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte, Berlin 1977, S. 1323–1339. Vgl. Miller: Nazis and Neostoics, S. 174: Hahlweg verweist den Leser in den Fußnoten auf die Werke zu ›Führertum‹ soldatische Erziehung und Drill, die vom Oberkommando der Wehrmacht veröffentlicht wurden. So die Schriften von Hans W. Ziegler, Wehrerziehung durch das Schrifttum. In: Jakob Szilska (Hg.), Erziehung zum Wehrwillen. Pädagogisch-methodisches Handbuch für Erzieher, Stuttgart [1937]; Friedrich Altrichter, Der soldatische Führer, Berlin [1938] et al. Vgl. Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 96: »Die Heeresreform ist die Grundlage für die kommende Entwicklung des Ausbildungswesens bei den modernen Heeren geworden.« Ebd., S. 167–172. Vgl. Werner Hahlweg: Die oranische Heeresreform, ihr Weiterwirken und die Befreiung und Etablierung der Niederlande. Studien und Betrachtungen, NassA, 80 (1969), S. 137–157. Vgl. ebd., S.146. Werner Hahlweg: Vorwort zum Neudruck. In: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. XIf.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

(1691) und Pierre Giffart (1696), die bezeugen, dass das System der oranischen Heeresreform durch die französischen Streitkräfte im Sinne von zusätzlicher Differenzierung und Mobilität, von Rotationsvermögen und von nochmals Flexibilität der Bewegungen des ganzen Systems des Exerzierens bei Ausbau der Kommandosprache in diesem Zusammenhang rezipiert wurde.76 An die Prämissen einer struktur- und allgemein verfassungsgeschichtlichen Verortung militärgeschichtlicher Reformprozesse schließt Hahlweg ebenso an wie an die Bedeutung der ›wahren‹, am Drillen der Soldaten diagnostizierbare Disziplin. Dass Hahlweg dem Drill die zentrale Rolle im Rezeptionsvorgang einräumt, mag an der Bedeutung liegen, die bereits Hobohm dem Exerzieren, dem Drill, in der Lösung der taktischen Problemlage im 16. Jh. eingeräumt hat.77 Hinsichtlich der Rezeption nimmt er jedoch nur auf eine Textauswahl Bezug (u. a. Rohan, bei dem dieser Rezeptionsinhalt aber kaum nachvollzogen werden kann). Obzwar Hahlweg die oranische Heeresreform als »umfassende[n] Vorgang« begreift, der eine militärgeschichtliche »Strukturwandlung« darstellt,78 und wenngleich er darauf verweist, dass der Achtzigjährige Krieg ein Festungskrieg war,79 bleibt die Problematisierung dieser Form der Kriegführung im Verhältnis zu anderen Formen der Kriegführung allgemein ausgeklammert. Während er in der Einleitung die oranische Heeresreform als alle Bereiche des Militärwesens umfassend definiert, beschränkt er sich in der Beschreibung nur auf die Tradierung der von den griechischen Taktikern inspirierten Kommandosprache und der Exerzierformen für die französischen Truppen. Es bleibt aber nicht bei den militärtheoretischen, militärgeschichtlich-systematischen Schwächen in der Darstellung. Auch die Absolutismusthese Hahlwegs ist kritisch zu hinterfragen. H. Kleinschmidt greift sie noch auf und konstatiert, dass die »Reformkonzepte der Oranier [...] in den Prozeß des sich herausbildenden Absolutismus und die Widerstände gegen das Landesdefensionswesen und das mit diesem verbundene zentralgesteuerte Exerzieren«80 einzuordnen seien. Weitere Kritik76

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Ebd.: »praktisch werden mehr oder weniger die gesamten, in der Kampfweise der oranischen Reform liegenden, Möglichkeiten wahrgenommen« und es kam zu einer »nahezu vollkommenen Ausschöpfung der in dem oranischen System von Elementarbewegungen angelegten Möglichkeiten und Perspektiven«. Vgl. Martin Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 463: »Bis zur Erfindung des Exerzierens hat die Entwicklung der Infanterie von Machiavellis Generation an stagniert.« Ebd., S.142. Vgl. ebd., S. 140. Harald Kleinschmidt: Tyrocinium militare. Militärische Körperhaltungen und -bewegungen im Wandel zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert, Univ. Habil. 1985, Stuttgart 1989, S. 149.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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punkte beziehen sich auf die Verkennung der Rezeptionsbedingungen in politischer, militärgeschichtlicher und militärtheoretischer Hinsicht. Hahlweg begreift die »Umformungen im Militärwesen« zwar grundsätzlich als »Folgewirkungen struktureller, sozialer, politischer, geistiger und ökonomischer Wandlungen in der Tiefe des zivilen Raums, d. h. der Gesamtgesellschaft«.81 Auch wendet er diese Einsicht grundsätzlich auf die strukturgeschichtlichen Voraussetzungen des Rezeptionsvorgangs an. Hinsichtlich der Rezeptionsprozesse wird er aber der sozio-politischen Dynamik des Übergangs vom durch konfessionelle Zersplitterung geprägten Zeitalter der Konfessions- und Bürgerkriege zur absolutistischen Monarchie nicht gerecht. Seine Auffassung, die Rezeption der Methoden der oranischen Heeresreform vollziehe sich vor der Folie eines bereits »durchgegliederten Einheitsstaates«82, ist angesichts der Ergebnisse der Absolutismusforschung der letzten dreißig Jahre zu revidieren.83 Diese legt nahe, die Rezeptionsgeschichte in eine nicht als einen linearen Prozess zu fassende bzw. mit klaren Zäsuren zu beschreibenden 81

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Werner Hahlweg: Umformungen im Militärwesen und das Verhältnis von Theorie und Praxis, WWR, 19 (1969), S. 181. Vgl. Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 165: »In dem durchgegliederten Einheitsstaat bestanden von vornherein gewisse Grundlagen für ein fruchtbares Wirken der neuen Lehren.«; ebd., S. 96: »In Frankreich wird das System der Reform im Wesen verstanden und vollkommen übernommen, da es der geistig-rational-methodischen Grundveranlagung seines Volkes zutiefst entspricht.« Als die schriftlich-publizistische Rezeption um 1610 einsetzte, gab es weder eine homogene französische Armee, noch einheitliche, standardisierte Waffensysteme; vgl. Kristen B. Neuschel: The Prince of Conde´ and the Nobility of Picardy. A Study of the Structure of Noble Relationships in Sixteenth-Century France, Diss., Brown University 1975; – Word of Honour. Interpreting Noble Culture in Sixteenth-Century France, Ithaca-London 1989, S. 186: »Scrutiny of the political organization of the warrior nobility has been in large part an investigation of transition – that of the state and its institutions from something loosely described as feudalism to something else described as absolutism, or, more accurately, the Ancien Re´gime. Research has revealed that the transition was much more complex than it was once thought to be. At one time the sixteenth century seemed to be a chaotic wasteland. Order was imposed only after 1600, with the introduction of absolutism. The roots of later royal hegemony have now been traced to fifteenthcentury monarchs and the conditions under which they ruled. Simultaneously, decentralized administration and representative institutions have been found to persist into the seventeenth century. The role of the warrior nobility in this transition and in the resulting regime has been approached from the perspectives of their participation in the growth of the state, their economic health, and their social cohesion as a group.«; vgl. Sharon Kettering: Clientage during the French wars of religion, SCJ, 20 (1989), S. 221–39; J. Russel Major: The Crown and the Aristocracy in Renaissance France, American Historical Review, 69 (1964), S. 631–45; Ellery Schalk: Clientage, Elites, and Absolutism in Seventeenth-Century France, French Historical Studies, XIV, 3 (1986), S. 442–446; Robert R. Harding: Anatomy of a Power Elite. The Provincial Governors of Early Modern France, New Haven-London 1978.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Übergangsphase einzubinden, d. h. die sozialgeschichtliche und machtpolitische Dynamik mit zu berücksichtigen. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf den Primat der Antikerezeption in der Begründung militärischer Reformen: Die praktischen Ressourcen und Modelle, wie sie Harald Kleinschmidt herausgearbeitet hat, werden nicht aufgezeigt, und eine Rückbindung an den Humanismus, einschließlich deren Verschränkung mit unterschiedlichen Theorien politischer Rationalität, findet nicht statt. Vielmehr muss die historische Bedeutung der militärtheoretischen Antikerezeption insbesondere im Hinblick auf den Rezeptionsvorgang erfasst werden. Dass der Theoretisierungsgrad der französischen Militärtheorie sich ausschließlich in der für die Truppenausbildung zweckdienlichen Rezeption bestimmter auctoritates wie Aelianus Tacticus spiegelt,84 wird schließlich der theoretischen Vielschichtigkeit des gesamten Textcorpus der französischen Militärtheorie im letzten Viertel des 16. und in den ersten sechs Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts nicht gerecht. Der militärische und intellektuelle biographische Hintergrund der französischen Militärtheoretiker und der militärischen Eliten, d. h. deren Biographie, Entwicklungsgang, Erfahrungshorizont und Bildungsgrad sowie das politik- und wissenschaftstheoretische Umfeld bleiben in dieser Perspektive ausgeblendet.

3. Die ›oranische Heeresreform‹ als Moment des politischen Späthumanismus und der Sozialdisziplinierungsthese Dass Oestreich im Hinblick auf die Verbreitung militärischer und politischer Reforminhalte nicht wie Hahlweg auf das Modell einer Rezeption oranischer Ausbildungsmethoden rekurriert, sondern eine politisch-systematische und kulturgeschichtliche Einbettung der Reforminhalte vornimmt, liegt in einer innovativen Erkenntnis begründet: Der (niederländische) Späthumanismus ist als ein politisches System und die ›niederländischen Bewegung‹ als ein hegemoniales kulturelles Diffusionsmodell zu verstehen. Die ›niederländische Bewegung‹ ist eingebunden in ein alternatives oder erweitertes Absolutismuskonzept: Mit der Sozialdisziplinierung beschreibt Oestreich – in Auseinandersetzung mit der älteren Absolutismusforschung – die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen des Absolutismus und damit Zielvorstellungen und Praxis frühneuzeitlicher Herrschaftsausübung. So rückwärtsgewandt wie die umfassende neustoische Disziplinkonzeption und die Verbindung von Staatsbildung und Wehrtheorie erscheinen, so innovativ ist doch Oestreichs grundsätzliche Politisierung 84

Vgl. Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 165.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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des Begriffs des Späthumanismus – eine 1931 von dem Germanisten Erich Trunz eingeführte ursprünglich literaturwissenschaftliche Konzeption.85 Oestreich spricht von der »Erkenntnis des Späthumanismus als einer politischen Strömung«86. Doch dass gerade der Begriff des Politischen bei Oestreich problematisch ist, zeigen nicht zuletzt die jüngeren Kritiken. Vor allem Martin van Gelderen bestreitet, dass der Neustoizismus charakteristisch für die politische Kultur der Niederlande gewesen sei sei.87 ›Politischer Neustoizismus‹ und ›niederländische Bewegung‹ Ausgehend von seiner ›Entdeckung‹ der Bedeutung des politischen Neustoizismus für die moderne Militärverfassung entwickelt Oestreich die Sozialdisziplinierungsthese.88 Die Lehre des politischen Neustoizismus fungiert demnach als wesentlicher geistesgeschichtlicher Baustein des ›Fundamentalvorgangs‹ der Sozialdisziplinierung. Zudem bildet sie den geistesgeschichtlichen Kern des kulturellen Hegemonial- und Diffusionsmodells der ›niederländischen Bewegung‹89. 85

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Erich Trunz: Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur, Jahrbuch für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, 20 (1931), S. 17–53. Gerhard Oestreich: Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen. Ein Beitrag zur Entwicklung des modernen Staates, Bijdragen en Mededelingen van het Historisch Genootschap, 79 (1965), S. 35; Notker Hammerstein bezieht sich auf Wilhelm Kühlmanns Deutung eines »›politisch‹ ausgerichteten Humanismus«, der vor allem »im Hinblick auf den zeitgenössischen Neustoizismus« nachgewiesen werden könne. Vgl. Notker Hammerstein: Einleitung. In: ders., Gerrit Walther (Hg.), Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000, S. 12. Vgl. Martin van Gelderen: Holland und das Preußentum. Justus Lipsius zwischen niederländischem Aufstand und brandenburg-preußischem Absolutismus, ZHF, 23 (1996), S. 29–56. Genaueres hierzu und insbesondere im Hinblick auf die Anlehnung seiner Sozialdisziplinierungs-These an Max Weber bei Gerhard Schuck: Theorien moderner Vergesellschaftung, HZ, 268 (1999), S. 36: »Eine Wurzel des Oestreichschen Konzeptes liegt in der Auseinandersetzung mit Max Weber.«; ebd., S. 38: »Oestreichs Konzeption bildete den Ausgangspunkt der geschichtswissenschaftlichen Rezeption des Disziplin-Begriffs und steht noch immer im Mittelpunkt der Sozialdisziplinierungs-Forschungen und -Debatten, auch wenn weitere Theorieansätze – neben Max Weber vor allem Norbert Elias’ Zivilisationstheorie und Michel Foucaults Theorie der Disziplinargesellschaft – mit einbezogen, der von Oestreich gezogene Untersuchungsrahmen beträchtlich erweitert und sein Konzept insgesamt einer teilweise fundamentalen Kritik unterzogen wurden.« Der Begriff der ›niederländischen Bewegung‹ geht auf Wilhelm Dilthey zurück; s. Horst Dreitzel: Von Melanchthon zu Pufendorf. Versuch über Typen und Entwicklung der philosophischen Ethik im protestantischen Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung. In: Martin Mulsow (Hg.), Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland (1570–1650). Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik (Frühe Neuzeit, 124), Tübingen

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Oestreichs Beschäftigung mit der Verfassungs-, Sozial- und Ideengeschichte bleibt nicht ohne Einfluss auf seine ›wehrgeschichtlichen‹90 Arbeiten. Im Hinblick auf den funktionalen Zusammenhangs von Militärund Verfassungsgeschichte, die Oestreich geistesgeschichtlich zu fassen sucht, treten jedoch einige Brüche auf. Die Deutung frühneuzeitlicher Militärtheorie verbindet Oestreich mit einer 1968 erstmals formulierten Theorie, die sich an dem Begriff der ›Sozialregulierung‹ respektive ›Sozialdisziplinierung‹91 orientiert. Die ›Sozialdisziplinierung‹ ist ihm nicht bloßes Konzept, Modell oder heuristisches Hilfsmittel, sondern »Fundamentalvorgang«, eine »Grundtatsache« und eine »Leitidee«.92 Dieser idealtypischen Begriffsbildung, die mit Bezug auf die Positionen Max Webers, Norbert Elias’ und später auch Michel Foucaults zu einem Forschungsparadigma oder »Leitkonzept der frühneuzeitlichen Geschichte Europas«93 mutiert, ging in den Jahrzehnten zuvor eine Auseinandersetzung mit der methodischen Problematik der Militärgeschichte und mit der politischen Theorie des Justus Lipsius voraus. Resultat dieser Bemühungen ist die 1951 begonnene Habilitationsschrift mit dem Titel Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius. 1547–1606. Darin macht Oestreich den politischen Neustoizismus zur geistigen Grundlage des frühmodernen Staates und hebt dessen Bedeutung für das frühneuzeitliche Heerwesen hervor.94 Dabei setzt er sich bewusst von der vereng-

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2009, S. 339: »Auch die Diskussionen der Historiker über die ›Sozialdisziplinierung‹ seit ca. 1960 gaben durch ihre Konzentration auf die Sozial-, Institutionenund Mentalitätsgeschichte keine Anregung, die philosophische Reflexion zu untersuchen, obwohl Gerhard Oestreich, der die Diskussion angeregt hatte und vermutlich auch den Begriff prägte, von Forschungen über Justus Lipsius ausging, von Dilthey den Begriff ›niederländische Bewegung‹ für den Neustoizismus adaptierte und seinen grundlegenden Einfluß auf das protestantische Deutschland postulierte.« Vgl. Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. In: Gesammelte Schriften, Bd. 7, Göttingen 81992, S. 342: Der Begriff fällt im Zusammenhang des Pietismus als »Teil der europäisch-amerikanischen Bewegung der christlichen Religiosität«, »der religiösen Bewegung, welche die niederländische Bewegung, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann […] umfasste.« Vgl. bereits sein Lehrer Fritz Hartung hatte sich mit der Verbindung von Staatsverfassung und Kriegsverfassung befasst. Fritz Hartung: Staatsverfassung und Kriegsverfassung, Volk und Wehrkraft (Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften), 1936, S. 54–66. Gerhard Oestreich prägte den Begriff der ›Sozialdisziplinierung‹ in dem Aufsatz ›Strukturprobleme des europäischen Absolutismus‹, Vierteljahresschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte, 55 (1969), S. 329–347. Winfried Freitag: Missverständnis eines ›Konzeptes‹. Zu Gerhard Oestreichs’ Fundamentalprozeß der Sozialdisziplinierung, ZHF, 28 (2001), S. 1. Vgl. Winfried Schulze: Oestreichs Begriff der ›Sozialdisziplinierung‹ in der frühen Neuzeit, ZHF, 14 (1987), S. 289. Vgl. Nicolette Mout: Einleitung. In: Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius. 1547–1606. Der Neustoizismus als politische Be-

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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ten Darstellung der oranischen Heeresreform als eine militärische organisatorisch-technische Neugestaltung ab: Die Erforschung der geistigen Hintergründe der epochemachenden oranischen Heeresreform zeigt, daß ihre bisherige Darstellung als einer militärischen organisatorisch-technischen Neugestaltung nicht befriedigen kann. Sie erweist sich vielmehr als Teil einer umfassenden, von der wiederbelebten römischen Stoa getragenen, politisch-ethischen Bewegung.95

In zwei Studien,96 die im Zusammenhang seiner Habilitationsschrift entstanden und die sich speziell mit dem Zusammenhang von römischem Stoizismus und oranischer Heeresreform befassen,97 erscheinen die Mentalität der zivilen und militärischen Eliten der nördlichen Niederlande, die um die Begriffe disciplina und prudentia militaris zentrierte neustoische politische Programmatik und das oranische Reformwerk idealtypisch verschränkt. Die Politica, so Oestreich, die eine »Darstellung des gesamten Kriegswesens« gebe, sei »der unmittelbare wissenschaftliche Anstoß für die nassau-oranische Heeresreform« gewesen.98 Die Politica wird bei ihm zur »Programmschrift« der oranischen Reformen.99 Der Zusammenhang zwischen politischem Neustoizismus und den militärischen Reformprozessen, die sich in den oranischen Reformen konkretisieren, ist ein geistesgeschichtlicher:

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wegung. Hg. v. ders. (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 38), Göttingen 1989, S. 19. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 30. Gerhard Oestreich: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, HZ, 176 (1953), S. 17–43; – Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats, HZ, 181 (1956), S. 31–78. Die Abhandlung ›Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform‹ (1953) zeigt, dass die weltanschauliche Hauptschrift des Neustoizismus Lipsius’ De constantia (1584) die epochemachende Heeresreform der Oranier beeinflusst, ja überhaupt erst möglich gemacht hat. In der Studie ›Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates‹ (1956) untersucht Oestreich erstmals die Wirkung der Politicorum libri sex (1589). Gerhard Oestreich: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform. In: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 16. Die mangelhafte Analyse des realgeschichtlichen Kontexts führt auch zu einer unkorrekten Einordnung der für den Reformprozess vorgeblich programmatischen Politica. Bestimmte militärisch-strukturelle Bedingungen der Reformen der 90er Jahre wurden schon vor der Niederschrift der Politica vorgenommen. So bildeten die Generalstaaten 1572 bereits das erste Regiment.1576 wurde dies um 4 Kompanien ergänzt und somit eine stehende Armee geschaffen (vgl. Marjolein C. ’t Hart: The Making of a Bourgeois State. War, Politics and Finance during the Dutch Revolt, Manchester-New York 1993, S. 34). Die 1589 von Lipsius vertretene Ansicht, einheimische Soldaten sollten bei der Rekrutierung bevorzugt werden (Politica, V, 7), ist demnach nicht präskriptiv, sondern deskriptiv zu bewerten. Gerhard Oestreich: Soldatenbild, Heeresreform und Heeresgestaltung im Zeitalter des Absolutismus. In: Schicksalsfragen der Gegenwart. Handbuch politisch-historischer Bildung. Hg. v. Bundesministerium der Verteidigung, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 307.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹ Bei einer umfassenden Verbreitung des Stoizismus in Wissenschaft und Weltanschauung, in Theologie und Philosophie, in Literatur und Staatswissenschaft wäre es verwunderlich, wenn das im Umbruch befindliche Heerwesen der Zeit von dieser Gedankenmacht unberührt geblieben wäre. Und in der Tat ist die militärische Reform der Nassau-Oranier, die das 17. Jahrhundert einleitet, wesentlich getragen von der römisch-stoischen Weltanschauung, ja – ich möchte sagen – durch sie erst ermöglicht.100

Diese neue Militärwissenschaft schreibt sich in einen überkonfessionellen Humanismus und Mentalität ein, die Christentum und Antike in einer Symbiose zusammenführt und ein Markstein in der Säkularisierung ist. Der Neustoizismus tritt Oestreich zufolge als eine unterschiedliche Konfessionen integrierende Ideologie auf, die an die Stelle christlicher Ethik tritt101 und sich mit dessen konfessionellen Ausprägungen als durchaus kompatibel erweist. Die neustoizistische ›prudentia militaris‹ bildet nicht nur den Kern der modernen Militärwissenschaft, wie sie erstmals in den nördlichen Niederlanden von den Studenten Lipsius’ vertreten wurde, sondern wird auch zu einem mentalitätsgeschichtlichen Indikator für den Übergang von einer postfeudalen zu einer frühmodernen Militärverfassung. Als Zeichen der Wirkung des Neustoizismus wird das militärische Ethos vorgestellt, welches mit der christlich-mittelalterlichen Tradition bricht und gleichermaßen die militärischen und politischen Eliten integriert. Anders als Hahlweg, der Exerzierreglements und militärische Handbücher heranzieht, greift Oestreich die Rezeption des »vierteiligen« Disziplinbegriffs (Pol. V, 13) Lipsius’ auf.102 Das auf 100

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Gerhard Oestreich: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform. In: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 15. Gerhard Oestreich: Justus Lipsius als Universalgelehrter zwischen Renaissance und Barock. In: ders., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 333: »In einer Zeit des Auseinanderund Gegenübertretens zweier christlicher Konfessionen ist durch eine breite Schicht von Theoretikern und Praktikern, aus der auf niederländischer Seite Erasmus, Lipsius und Hugo Grotius nur wie die Spitze eines Eisberges herausragen, das Christentum erneut mit der Antike verbunden worden. Diese folgenschwere Symbiose löste die tiefe christliche Religiosität des Mittelalters ab und ermöglichte einen die Konfessionen überschreitenden Standpunkt, der fest in der abendländischen Religionstradition verwurzelt blieb. Humanismus und Neustoizismus führten das neurömische Jahrhundert herauf und drückten einer ganzen Zeit ihren kulturellen Stempel auf. Sie lösten die protestantische Welt früher als die katholische aus den Fesseln, die die Kirche sich selbst angelegt hatte, und bildeten nach dem Voranschreiten Machiavellis eine Zwischenstufe auf dem Wege zur Säkularisation.« Oestreich: Soldatenbild, Heeresreform und Heeresgestaltung im Zeitalter des Absolutismus, S. 306: »Dieser umfassende vierteilige Begriff der disciplina militaris ist durch die Nassau-Oranier weitgehend verwirklicht worden. Lipsius würdigt diese Hilfsmittel der Reform im einzelnen ausführlich«; S. 315: »Auch J. de Billon (1608, 1612) geht in der Schilderung des neuen Kriegswesens von dem vierfachen Diszi-

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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der neostoischen Tugendlehre gründende militärische Ethos entwickelt sich zum Beamtenethos des absolutistischen Staates und zum Katalysator eines modernen Staats- und Gesellschaftsverständnisses. Der politische Neustoizismus wirkte also militär-, mentalitäts- und verfassungsgeschichtlich prägend. Mit der deutschen akademischen Militärgeschichtschreibung nach Delbrück verbindet Oestreich die Einsicht, dass nicht so sehr Machiavelli, als vielmehr der Neustoizismus den entscheidenden Einfluss auf Theorie und Praxis des Heerwesens in der Frühen Neuzeit ausgeübt hatte.103 Ende 1952 legte Oestreich in einem Zwischenbericht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft ausführlich die »Bedeutung von Lipsius und seiner Tugendlehre für die militärischen Reformgedanken der Zeit«104 dar. Oestreich betont darin, »daß der Humanismus nicht nur antike Ideen auf dem Gebiet der militärischen Taktik, Strategie und Technik vermittelt hatte, sondern auch Geist und Moral des modernen Heeres durch den politischen Neustoizismus geprägt«105 wurden. Er glaubt zu erkennen, dass Lipsius’ Gedanken über das Militär nicht von seiner Staatslehre zu trennen sind, und konstatiert enge Berührungen zwischen dem Neustoizismus, dem Landesdefensionswesen in Deutschland und der aus Frankreich stammenden monarchomachischen Theorie.106 Die allgemeine und umfassende Reform des europäischen Heerwesens sei nicht von den großen Militärstaaten ausgegangen, sondern vielmehr von einer sich damals entwickelnden Handelsmacht, den nördlichen Niederlanden, begonnen und beendet worden.107 Die an Oestreich anknüpfenden Historiker Werner Siedschlag und Günter Abel bauen dessen These vom Neustoizismus als fundamentale Gestaltungsmacht des frühmodernen Staates aus. Beide legen ihr Augenmerk (nicht auf Brandenburg-Preußen), sondern auf Frankreich. Abel nähert sich der Thematik über eine Verbindung von Editionsgeschichte, politischer Theorie sowie der Erfassung einiger Bibliotheks-

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plinbegriff aus, wie ihn Lipsius in seiner ›Politik‹ geprägt hat«; S. 320: »Das preußische Heer hat auch die originale Leistung Friedrich Wilhelms I. im Mannschaftsersatz eine Verbindung von geregelter Auswahl (Kantonspflicht der Untertanen) und Fremdwerbung gefunden, ein einheimisches Offizierskorps höchster Pflichterfüllung gewonnen wie auch den umfassenden vierfachen Disziplingedanken verwirklicht. Damit wurde die norddeutsche Armee die schlagkräftigste Truppe der Zeit, das Vorbild anderer Heere.« Vgl. Nicolette Mout: Einleitung. In: Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat, S. 19. Ebd. Ebd. Ebd. Oestreich: Soldatenbild, Heeresreform und Heeresgestaltung im Zeitalter des Absolutismus, S. 303.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

bestände von Privatbibliotheken,108 die er aus den inventaires apre`s-de´ce`s des minutier central des französischen Nationalarchivs zieht. Als Rezeptionsgruppen der Politica identifiziert er die Hugenotten, politiques und den Amtsadel, die noblesse de robe im Frankreich Heinrichs IV.109 Werner Siedschlag orientiert seine Dissertation über den Einfluss der niederländisch-neustoischen Ethik auf die politische Theorie zur Zeit Sullys und Richelieus an der These von der »Grundlegung der politischen Theorie des frühmodernen Macht- und Ordnungsstaates in den politischen Hauptschriften von Justus Lipsius«.110 Er lotet die Verbreitung neustoischer politischer Ideen wesentlich über die Herrschaftslehre aus. In weiterem Sinne prägend wurde diese Sicht einer machtstaatlichen Konsolidierung durch die Aufnahme des lipsianischen militärischen Reform- und Machtstaatkonzepts: Rudolf Vierhaus ordnet – wenngleich mit Fragezeichen versehen – die »oranische Heeresverfassung« im Kontext des »unaufhaltsamen Voranschreiten[s] des ›modernen‹ Staates«, außerdem in der Übernahme der burgundisch-niederländischen Behördenorganisation durch die österreichischen Habsburger und in das Konzept des ›ökonomischen‹ Staates von Landgraf Wilhelm IV. von HessenKassel ein.111 Joe¨l Cornette reduziert den systematischen Zusammenhang zwischen absolutistischem Staat und neustoischem militärischem Ethos schlagwortartig: Der vollkommene stoische Soldat wird zum Modell der Staatsdisziplin.112 Insgesamt führte die durch Oestreich verdichtete Sichtweise zu einer sozialgeschichtlichen Überformung der Militärtheorie dieses für die militärischen und verfassungsgeschichtlichen Modernisierungsprozesse vorgeblich relevanten Abschnitts und zu einer Loslösung von den historischen Voraussetzungen, wie dies die Beiträge Gerke Teitlers und Ulrich Bröcklings in besonders deutlicher Weise illustrieren. Teitlers Studie zur Genese des modernen Offizierskorps113 gründet wesentlich auf Zitaten der Thesen Oestreichs. In Anlehnung an Webers These vom Zusammenhang puritanischer Ethik und kapitalistischem Geist sowie Mertons These vom Zusammenhang protestantischer Ethik und dem 108

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Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 282: vgl. Clavis Bibliothecae Bongarsianae und die Bibliothek von Duplessis-Mornay, die den Grundstock derjenigen der Akademie von Saumur bildet; Katalog: AN, Paris. TT 266, 2. Ebd., S. 272–310. Siedschlag: Der Einfluß der niederländisch-neustoischen Ethik. Rudolf Vierhaus: Vom Nutzen und Nachteil des Begriffs der ›Frühen Neuzeit‹. Fragen und Thesen. In: ders., Frühe Neuzeit – frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen, Göttingen 1992, S. 15f. Vgl. Joe¨l Cornette: Le roi de guerre. Essai sur la souverainete´ dans la France du Grand Sie`cle, Paris 1993, S. 56. Vgl. Gerke Teitler: The Genesis of the Professional Officers’ Corps, Beverly HillsLondon 1977.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Geist empirischer Wissenschaft, stellt Teitler einen Zusammenhang zwischen einer Mittelklassegesellschaft, protestantischer Ethik und militärischen Reformen her.114 Der Soziologe Ulrich Bröckling geht in seiner Einordnung des Werks Justus Lipsius’ und der Interpretation der oranischen Heeresreform über eine Kompilation der Forschungsliteratur kaum hinaus. Auch er nimmt die Interpretation Oestreichs auf: Justus Lipsius ist der »Disziplinartheoretiker« der oranischen Heeresreform, dessen Lehren programmatisch und praktisch auf den (taktischen) Reformprozess einwirkten.115 Bröcklings Darstellung der oranischen Heeresreform leitet sich von der politischen Anthropologie des Neustoizismus ab und führt zu einer Verengung des militärgeschichtlichen Gegenstandes des Reformwerks auf Truppengliederung, -führung, -ausbildung und -aufstellung.116 Die Beiträge Cornettes und Bröcklings machen in besonderer Weise die historiographische Schwäche des Ausgangspunkts Oestreichs deutlich, die darin besteht, den militärgeschichtlichen Prozessen keine sich in erster Linie ideengeschichtlich äußernde, relativ eigenständige strukturelle und systematische Logik einzuräumen.117 Kritik der ›Sozialdisziplinierung‹ und der ›niederländischen Bewegung‹ In den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde sowohl das Konzept der Sozialdisziplinierung als auch das der ›Niederländischen Bewegung‹ auf der Grundlage ideen- und militär- und sozialgeschichtlicher Studien der Kritik (Peter Burschel, Jean Chagniot, Mark Bannister) unterzogen.118 114 115

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Vgl. ebd., S. 182. Ulrich Bröckling: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997, S. 47: »Gab Lipsius mit seiner ›Politik‹ den Oranierprinzen das methodische Gerüst für ihre Reformen, so verschaffte er ihnen mit seinen Kommentaren zu antiken Militärschriftstellern die praktischen Vorlagen.« Ebd., S. 48. Franco Cardini: La culture de la guerre. Xe–XVIIIe sie`cle, Paris 1992 [italienische Originalausgabe: Florenz 1982], S. 130f. Peter Burschel: Zur Sozialgeschichte innermilitärischer Disziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert, ZfG, 42 (1994), S. 980f. Peter Burschel stellt im Sinne der Sozialdisziplinierung die Bedeutung und den Charakter der innermilitärischen Disziplinierung als fundamentalen Professionalisierungs- und Verstaatlichungsprozess nicht in Frage, verweist aber angesichts der Entwicklung der Desertion zum Strukturproblem auf die »kontraproduktiven Folgen normierender Maßnahmen«. Vgl. Martin Dinges: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung. Probleme mit einem Konzept, GG, 17 (1991), Zitat 9 zitiert in: Schuck: Theorien moderner Vergesellschaftung in den historischen Wissenschaften um 1900, S. 40; Jean Chagniot: Quelques manifestations de la sensibilite´ baroque chez les officiers franc¸ais au XVIIe sie`cle, unveröffentlicht, S. 6: »qu’il aurait notamment amene´ les hommes de guerre de´sangoisse´s a` une soumission librement consentie.« Veröffentlichte Fassung: Quelques manifestations de la sensibilite´ baroque chez les officiers

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Dass es zwischen der politischen Kultur der Niederlande und der lipsianischen taciteischen Klugheitslehre zu unterschieden gilt, hat Martin van Gelderen mehrmals hervorgehoben. Er bestreitet die These Oestreichs, der lipsianische Neustoizismus sei von entscheidender Bedeutung für den Aufbau absolutistischer Staaten gewesen und habe den Kern des niederländischen Späthumanismus, der ›niederländischen Bewegung‹ gebildet. Denn »die Grundzüge des Neustoizismus und der Staatsräson widersprachen der politischen Kultur der niederländischen Republik«119. Arthur Herman zeichnet nach, in welchem Maße gerade Hugenotten, die in einer ersten Phase aus konfessionspolitischen Motiven heraus Adepten und nicht selten Multiplikatoren niederländischer Militärpraktiken waren, in der französischen Öffentlichkeit als einer autoritären, unitären und monarchischen Auffassungen, wie sie die Herrschaftsmethodik des Justus Lipsius kennzeichnen, entgegenstehende Republik, als Staat im Staate, eingestuft wurden.120 Das Konzept der sich wesentlich als »historisch-politische Strömung« manifestierenden ›niederländischen Bewegung‹121, die sich in geschichtstheoretischer Hinsicht auf die Sozialdisziplinierung und schließlich auf das Modernetheorem bezieht,122 erweist sich als dürftig für die

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franc¸ais du XVIIe sie`cle, centre d’e´tudes d’histoire de la de´fense, Cahier n° 7 (1998), S. 13–25. Wider die These der mentalitätsgeschichtlichen Implantierung einer neustoischen Lebensform argumentiert Mark Bannister. Er zeigt auf, dass zwischen etwa 1600 und 1610 der Einfluss des Neustoizismus noch nachzuvollziehen war. In den 1620er Jahren wurde die stoische Lehre jedoch als Fehlkonstruktion kritisiert, weil sie die Komplexität der menschlichen Natur nicht berücksichtigte und lediglich ein Verhaltensmuster im Hinblick auf die vielfältigen und komplexen Lebenslagen anbot: vgl. Mark Bannister: Conde´ in Context. Ideological Change in Seventeenth Century France (European Humanities Research Center of the University of Oxford), Oxford 2000, S. 68. Dass die taktischen, struktur- und mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen nicht Hand in Hand gingen, thematisiert Franco Cardini, der die taktischen Innovationen der Schweizer und Schweden unter anderem auf deren archaische Gesellschaftsform zurückführt. Vgl. Franco Cardini: La culture de la guerre, S. 130f. Er räumt jedoch wie Roberts ein, dass das disziplinierende Moment der Konfession entscheidend für den Erfolg der schwedischen Armee von Gustav Adolph II. bis Karl XII. gewesen sei; vgl. ebd., S. 131. Van Gelderen: Holland und das Preußentum, S. 56. Arthur Herman: The Huguenot Republic and Antirepublicanism in XVIIth-Century France, JHI, 53, 2 (1992), S. 249–69. Oestreich: Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats, S. 41. Vgl. Heinz Schilling: Die Geschichte der nördlichen Niederlande und die Modernisierungstheorie, GG, 8 (1982), S. 478: »Bereits die zeitgenössischen Beobachter haben die nördlichen Niederlande als Pioniergesellschaft und die übrigen europäischen Staaten als Nachfolgegesellschaften beschrieben, also ähnliche Kategorien verwandt, wie heute die Modernisierungstheoretiker. Namentlich Engländer, aber auch Schweden, Deutsche und Franzosen waren sich im 17. Jahrhundert ihrer relativen Rückständigkeit bewußt und betrachteten die Republik als Vorreiter einer Entwicklung, die möglichst rasch auch in ihren Ländern einzuleiten sei, und zwar durch eine direkte Kopie jenes Vorbildes.«

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Analyse militärgeschichtlicher und militärtheoretischer Vermittlungs-, Rezeptions- und Austauschprozesse. Die Entwicklung eines effizient operierenden Militärs und die geschichtliche Verfestigung des monarchischen respektive staatlichen Gewaltmonopols lässt sich nicht ausschließlich über das Modell des Lipsianischen Machtstaatskonzepts und dessen Wirkung auf die Mentalitäten militärischer und politischer Eliten erfassen.123 Selbst in einer kritischen Aufnahme dieser Argumentationslinie gehen die beiden Autoren von einem sich mentalitätsgeschichtlich manifestierenden Ethos aus. Ausgeblendet bleibt die Bedeutung der Militär- und Waffentechnologie, insbesondere der Feuerwaffen-Revolution, für die sozialgeschichtliche Umwertung und für den Machtzuwachs des monarchisch-staatlichen Gewaltmonopols.124 Ferner berücksichtigt das Konzept nicht die ideengeschichtlichen Brüche und Fragmentierungen, die durch die Aufsplittung der Militärtheorie in unterschiedliche Theoriefelder und die Vielschichtigkeit der ideengeschichtlichen Dynamik entstehen. Das liegt darin begründet, dass ein kulturelles, in eine Modernisierungstheorie eingebundenes Diffusionsmodell wie das der ›niederländischen Bewegung‹ die ideengeschichtliche Komplexität eines militärtheoretischen Kulturtransfers außer Acht lässt.

4. Militärische Revolution, doppelpoliger Strategiebegriff und Staatsbildung Das Erklärungsmodell der militärischen Revolution sucht die auf den Staat und die Gesellschaft übergreifende militärgeschichtlich-strukturelle Modernisierungslogik zu fassen:125 123

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Betrachtet man die Sekundärliteratur, die sich mit der auf dem politischen Neustoizismus gründenden Sozialdisziplinierung befasst, als auch die Studien, die im Fahrwasser und in kritischer Auseinandersetzung mit Oestreich entstanden sind, sowie die Rezeption der holländischen militärischen Kultur – sei es auf die monarchische Ideologie, sei es auf die mentalen Befindlichkeiten eines Kreises französischer Offiziere –, so stützt sich diese in quellentypologischer Hinsicht auf die Verfassungstheorie in Form politischer Klugheitslehren und die Autobiographien militärischer Eliten. Vgl. Eugene F. Rice Jr.: The Foundations of Early Modern Europe, New York 1970, S. 16. Glenn C. Buchan: The Impact of the Revolution in Military Affairs on Developing States Military Capability, Santa Monica 1995; Michael Duffy (Hg.): The Military Revolution and the State. 1500–1800 (Exeter Studies in History, 1), Exeter 1980; David Eltis: The Military Revolution in Sixteenth-Century Europe (International Library of Historical Studies, 3), New York 1995. In den siebziger Jahren erfolgte die Kritik des sich am Konzept der Niederwerfungsstrategie orientierenden Konzepts Michael Roberts durch Geoffrey Parker und dessen Ersetzung durch ein weiteres, allgemein technik- und strukturgeschichtlich (Faktor der Demographie) begründetes Erklärungsmodell der militärischen Revolution.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Auch diese Argumentation ist von einem postclausewitzschen Strategiebegriff geprägt. Michael Roberts sieht die Operationen Gustav Adolfs von Schweden, die die oranische Taktik weiterführen, von Entscheidungsschlachten gekennzeichnet. Am Ursprung einer offensiven von Entscheidungsschlachten bestimmten Taktik (Breitenfeld) sieht er die protestantische Mentalität.126 Doch er räumt ein, dass die Strategie vor und nach Gustav Adolf nicht fruchtbar war.127 Daher erweitert Geoffrey Parker die historische Perspektive und nimmt längerfristige strukturelle Entwicklungen in den Blick: das demographische Wachstum, die modernen Feuerwaffen, die Entwicklung der Artillerie und den neuen Festungsbaustil. Letzterer war nicht unerheblich für die strategische Entwicklung der Kriegstruktur in der Renaissance und der Frühen Neuzeit, da er zu einem Gleichgewicht von Defensive und Offensive128 und damit tendenziell zu einer Strategie der Ermattung führte. Auch die Argumentationslinie der militärischen Revolution weist damit Analogien zum postclausewitzschen doppelpoligen Strategiebegriff auf. Infolge der Publikation von Roberts’ Studie The Military Revolution. 1560–1660 (1956) betrachten Historiker das späte 16. und frühe 17. Jahrhundert als eine Phase beschleunigten Übergangs von der sogenannten mittelalterlich-feudalen zu einer modernen Kriegspraxis. Im Zentrum der Debatte zur militärischen Revolution stehen im Wesentlichen die geschichtsfunktionalen Wirkungszusammenhänge ökonomischer, demographischer, technischer sowie militärgeschichtlicher und mentalitätsgeschichtlicher Veränderungen, die das politische Gesicht und die soziale Struktur Europas in der Frühen Neuzeit prägten. Roberts zufolge wurde die militärische Revolution im Zeitraum von 1590 bis 1609 von Moritz von Oranien eingeleitet und von 1617 bis 1632 von Gustav II. Adolf von Schweden vollendet: In den Feldzügen Gustav 126

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Vgl. Michael Roberts: The Military Revolution. 1560–1660, Belfast 1956 (wiederabgedruckt in ders., Essays in Swedish History, London 1967, S. 195–225, und Clifford J. Rogers (Hg.): The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, Boulder, Colo., 1995, S. 13–35); – Gustavus Adolphus. A History of Sweden. 1611–1632, 2 Bde., London et al., 1953–58; – Gustav Adolf and the art of war. In: ders., Essays in Swedish History, S. 56–81. David Croxton: Peacemaking in Early Modern Europe. Cardinal Mazarin and the Congress of Westphalia. 1643–1648, Ph.D. University of Illinois at Urbana Campaign, 1996, S. 56f.: »Whatever the feelings toward a ›Military Revolution‹ in other aspects, Michael Roberts stands almost alone in believing in a revolution in strategy. But even he limits the revolution to Gustavus Adolphus, calling strategy both before and after the Swedish king ›sterile‹.« Geoffrey Parker: The military revolution. Military innovation and the rise of the West, Cambridge 21996, S. 14: »After the Renaissance, therefore, much of western Europe seemed locked into a military system in which offence and defence were almost exactly balanced.«

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Adolfs von Schweden von 1630 bis 1632 sieht Roberts den eigentlichen Brennpunkt der militärischen Revolution. Wesentliches Kriterium des revolutionären Vorgangs sei die Wiedereinführung der Entscheidungsschlacht auf Grundlage einer neuen Taktik, für die eine konstante militärische Ausbildung notwendig war. Denn infolge des Gebrauchs der Feuerwaffen durch Kavallerie und Infanterie – die zunächst den Niedergang der militärischen Ausbildung provoziert hatte – war die Entscheidungsschlacht aus dem Kriegsgeschehen verschwunden. Zu den Merkmalen der militärischen Revolution zählen laut Roberts: ein überdurchschnittliches Anwachsen der Armeen, erhöhte Steuererhebungen aufgrund der Einführung eines stehenden Heeres, die Standardisierung der Waffen, eine effektivere Koordination von Kavallerie, Infanterie und Artillerie, die Einführung der Uniform, die Schaffung stehender Armeen mit einer festen Hierarchie der Ränge und die Errichtung von Militärakademien. Geoffrey Parker greift die These Roberts’ auf und modifiziert sie in einigen Punkten.144 Auch Parker teilt die Auffassung vom Anwachsen der Armeen und der Veränderung in ihrer Zusammensetzung, die damit verbundene Notwendigkeit der Logistik, die wachsenden Kosten des Krieges, die sozialen Zwang generieren, sowie eine zunehmende Verwissenschaftlichung des Militärwesens, die sich in einem Anwachsen der Militärliteratur äußert. Anders als Roberts geht Parker aber von einer militärisch-systematisch umfassenden militärischen Revolution aus und demaskiert den Mythos der Entscheidungsschlacht. Innovativ ist Parker dahingehend, dass er den Entwicklungen des nordeuropäischen Festungs- und Belagerungskriegs nach 1530 eine besondere Bedeutung beimisst. Die trace italienne, ein in Italien zwischen 1450 und den 1520er Jahren entwickelter Festungsbaustil, besetzt eine Schlüsselrolle im Prozess der militärischen Revolution. Demzufolge gelten Spanien, Italien, die Niederlande und Frankreich als das Kernland der militärischen Revolution,129 da deren Akzeptanz der trace italienne zu einem überdurchschnittlichen Anstieg der Armeegröße führte. Parker lenkt damit den Blick auf die nicht konfessionell-ideologisch motivierte, durch technische Innovationen begründete, geographisch fixierbare Struktur Krieg. Nach Parkers Verständnis war die militärische Revolution nicht nur eine Folge der Feuerwaffen-Revolution, sondern bestand in einer Veränderung des gesamten Systems der Kriegführung, welche den Bruch zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit markierte. Wenngleich Parker Gefahr läuft, einem technischen Determinismus zu verfallen,130 liegt das Verdienst der militärgeschichtlich-strukturellen 129

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Vgl. Geoffrey Parker: Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens. 1500–1800, Frankfurt a. Main-New York 1990, S. 46. Vgl. Mahinder S. Kingra: The Trace italienne and the Military Revolution.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Breite seines Ansatzes darin, dass er die Rolle der holländischen Militärreformen als Generator einer modernen und effizienter operierenden militärischen Praxis zu relativieren vermag131 und einen breiteren militärgeschichtlich-strukturellen Hintergrund militärischer Kultur bereitstellt. Gerade die durch Ermattung gekennzeichnete Kriegführung in der Frühneuzeit leitete den modernen Staatsbildungsprozess ein und führte zu einem Erstarken der bürokratischen Nationalstaaten. Diese nicht einzig durch Schlachtengeschichte gekennzeichnete ›Struktur Krieg‹ bildete den Hintergrund für eine thematisch breite und infolge der Kriegsdichte und des dadurch hervorgerufenen Disziplinierungsund Professionalisierungsdrucks entstehende militärtheoretische Literatur. Schon Hahlweg hatte darauf hingewiesen. Parker geht jedoch mit der militärtheoretischen Legs in unsystematischer und selektiver Weise um; er nimmt keine systematische Aufarbeitung der militärtheoretischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts vor.132 Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, auf die zahlreichen Verästelungen der ›Military Revolution Debate‹ insbesondere in den achtziger Jahren einzugehen. Für den vorliegenden Untersuchungskontext scheint entscheidend, dass in der Revision der ›militärischen Revolution‹ vor allem Frankreich als Untersuchungsgegenstand in den Mittelpunkt rückt, wie die Studien von David A. Parrott, Guy Rowlands und John A. Lynn vor Augen führen. Parrott stellt in der Zusammenführung von Kriegführung, Verwaltung und Gesellschaft den Mangel an struktureller Kapazität der Regierung Ludwigs XIII. und

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1567–1648, The Journal of Military History, 57 (1993), S. 431–464; Bert Hall und Kelly DeVries weisen die These vom Einfluss der Bastion zurück, während Simon Adams und John Lynn Argumente für eine Modifizierung dieser These vortragen. Vgl. auch John A. Lynn: The trace italienne and the Growth of Armies. The French Case, The Journal of Military History, 55 (1991), S. 323: Lynn kritisiert die monokausale, technikzentrierte Erklärung des Anwachsens der Armeen und verweist darauf, dass ökonomische und demographische Entwicklungen die militärische Expansion, zumindest in Frankreich, erst ermöglichten. Im Gegensatz zu Bert Hall und Kelly DeVries (The ‹Military Revolution› Revisited, Technology and Culture, Juli 1990, S. 500–507) verwirft Lynn nicht rundweg die Rolle der trace italienne im militärischen Expansionsprozess. Geoffrey Parker: The Military Revolution. Military innovation and the Rise of the West, Cambridge 1988, S. 155: »while studying the Spanish Army of Flanders for my Ph.D. between 1965 and 1968, I looked for evidence that would support his [Roberts] model of a backward, benighted, ineffectual force. But I failed to find it. Instead at the battle of Nördlingen in 1634, Habsburg troops fighting in traditional fashion inflicted a crushing and decisive defeat on the masters of the new military science, forcing Sweden and her allies to abandon all their conquests in south Germany.« Parker: The Military Revolution (21996), S. 19ff. Insbesondere die philologischkritische Seite der Militärtheorie an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bleibt weitgehend ausgeblendet.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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Richelieus in der französischen Kriegführung des Dreißigjährigen Krieges heraus133 und stellt die Verbindung von militärischen Reformen und entwickelter Staatlichkeit infrage.134 Rowlands präsentiert eine von Klientelstrukturen geprägte französische Armee im Staat Ludwigs XIV. und die Persistenz der Werte des Schwertadels.135 Seit Mitte der achtziger Jahre geriet neben dem Forschungsparadigma der Sozialdisziplinierung und dem kulturellen Diffusionsmodell der niederländischen Bewegung auch das Erklärungsmodell der militärischen Revolution zusehends in die Kritik. Von diversen Standpunkten aus wurde der Erklärungsansatz in die Kritik genommen: gegenüber der protestantischen Taktik rückten die Spanier ins Blickfeld,136 die militärgeschichtliche Funktionalität der neuen oranisch-protestantisch-schwedischen Taktik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde hinterfragt,137 und es wurde eine Debatte geführt, ob es sich um einen evolu133

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David A. Parrott: The Administration of the French Army during the Ministry of Cardinal Richelieu, Ph.D. Thesis, Oxford 1985. David A. Parrott: The Military Revolution in Early Modern Europe, History Today, XLII, 12 (1992), S. 91–7; – Strategy and Tactics in the Thirty Years War: The ›Military Revolution‹, MGM, 38, 2 (1985), S. 7–25. Guy Rowlands: The Dynastic State and the Army under Louis XIV. Royal Service and Private Interest. 1661–1701, Cambridge 2002. Vgl. Fernando Gonzales de Le´on: ›Doctors of the Military Discipline‹. Technical Expertise and the Paradigm of the Spanish Soldier in the Early Modern Period, SCJ, XXVII/1 (1996), 63f.: Das Paradigma des modernen Soldaten steht gewissermaßen an der Schnittstelle von ethischen und technischen Parametern.; – The Road to Rocroi. The Duke of Alba, the Count Duke of Livares and the high command of the Spanish Army of Flanders in the Eigthy Years War. 1567–1659, PhD., The John Hopkins University, Ann Arbor, 1992, S. 87; Rene´ Quatrefages: L’organisation militaire de l’Espagne. 1492–1592, The`se, Paris 1989; – Los tercios espagnoles. 1567–1577 (Publicationes de la Fundacion Universitaria Espaniola. Monografias, 26), Madrid 1979; GdKW, Bd. 1, S. 562: »Die Fortschritte, welche die Kriegskunst in der zweiten Hälfte des 16. Jh. (abgesehen von rein technischen Dingen) machte, erwuchsen den großen Religionskriegen in Westeuropa: den Hugenottenkriegen und den Kriegen in den Niederlanden. In wissenschaftlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt bei den Spaniern.« Vgl. Parrott: The Administration of the French Army during the Ministry of Cardinal Richelieu; –, Strategy and Tactics in the Thirty Years War, S. 7: Auf die Kluft zwischen taktischen Theorien und der Kriegspraxis verweisend, folgert Parrott, dass das Kennzeichen der Epoche nicht als revolutionär zu begreifen sei. Vielmehr sei ein geradezu durchgängiges Scheitern an den Herausforderungen festzuhalten, die durch die Verwaltung und Aufstellung der Armeen auftraten. Der Ausgang der Schlachten sei unabhängig von den taktischen Veränderungen der Epoche erfolgt. Parrott löst damit seine strukturgeschichtliche Untersuchung der Verwaltung der französischen Armee in der ersten Jahrhunderthälfte des 17. Jh.s aus den universalhistorischen Kausalitätsmustern des Erklärungsmodells der militärischen Revolution und hinterfragt, wie bereits Parker, die Verbindung zwischen taktischen Theorien und erfolgreicher taktischer Praxis; vgl. Patrick Landier: Guerre, violences et socie´te´s en France. 1635–1659, d’apre`s les archives de l’arme´e de terre a` Vincennes (Microfiche), Paris, Univ. Diss., 1979.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

tionären oder revolutionären Vorgang gehandelt habe138 – eine im Grunde müßige Debatte, da es sich bei beiden um prozesshafte Vorgänge handelt. Vor allem neuere Ergebnisse im Hinblick auf Verwaltung und Organisation der französischen Armee im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts lehnen in puncto Strategie und Taktik das Konzept der militärischen Revolution ab; der Primat militärgeschichtlicher Prozesse im frühneuzeitlichen Prozess der Staatsbildung139 wird dahingehend relativiert, dass dem politischen Kontext und den politischen Prozessen, die in die militärische Revolution eingreifen, größere Aufmerksamkeit zukommen muss.140 Der strukturgeschichtlichen Sackgasse der militärischen Revolution sucht J. A. Lynn zu entkommen, indem er in seiner Geschichte der französischen Armee (1610–1715) die Armee schlechthin zum geschichtlichen Subjekt erhebt. Ohne die Sicht der Wandlung Roberts’ und Parkers gänzlich in Frage stellen zu wollen, optiert der amerikanische Militärhistoriker für eine alternative Theorie der Entwicklung der Armeen, die die europäische Militärgeschichte in sieben Phasen unterteilt. Gegliedert werden diese Phasen nicht durch militärische Technik, Perioden der Kriegführung oder große militärische Persönlichkeiten, sondern durch einen ›Armeestil‹.141 Lynn legt dar, dass die Veränderung der französischen Taktik, die den Reformen Moritz von Oraniens ähnelte, ungefähr zeitgleich, möglicherweise gar vor den niederländischen Reformen auftrat.142 Einschneidende militärisch-or138

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Vgl. v. a. Jeremy Black oder auch McNeill, der für diese These auf die Militärliteratur rekurriert. Vgl. Jeremy Black: A Military Revolution? Military Change and European Society. 1550–1800 (Studies in European History), Atlantic Highlands 1991; David Eltis: The Military Revolution in Sixteenth-century Europe (International Library of Historical Studies, 3), New York 1995. Vgl. Simon Adams: Tactics or Politics? ›The Military Revolution‹ and the Hapsburg Hegemony. 1525–1648. In: John A. Lynn (Hg.), Tools of War. Instruments, Ideas, and Institutions of Warfare. 1445–1871, Urbana 1990, S. 46: »Any final conclusions about the military revolution must […] take its political context into account. It was the Thirty Years’ War that led to the expansion of armies, not the converse. The relatively minor advances in weaponry and tactics between the development of effective small arms fire in the early sixteenth century and the replacement of the pike by the bayonet at the end of the seventeenth meant that on the tactical level changes were largely variations on a theme.«, S. 47: »The return to the offensive in the Thirty Years’ War was a political rather than a military imperative.«; David Croxton: A Territorial Imperative? The Military Revolution, Strategy and Peacemaking in the Thirty Years War, War in History, 5, 3 (1998), S. 253–279. John A. Lynn: Giant of the Grand Sie`cle. The French Army. 1610–1715, S. 5: »Without entirely rejecting Robert’s and Parker’s visions of change, this volume accepts an alternative theory of the evolution of armies. It separates the flow of European military history into seven periods defined not by military technology, periods of warfare, or great military personalities but by army style.« Vgl. ebd., S. 474.

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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ganisatorische und taktische Schritte, die die Rezeption des Drillens begünstigten – denn die Franzosen haben offensichtlich keine eigenständige Tradition des Drillens entwickelt143 –, gehen der Rezeption des Drills voraus. Die Imitation der holländischen Taktik könne daher keine militärische Revolution im Sinne Roberts’ in Frankreich hervorgerufen haben.144 Lynn folgert, dass die Reformen von Moritz von Oranien deshalb eine so große Wirkung auf die Franzosen erzielt haben, weil sie deren eigene taktische Entwicklung verstärkten und Verfeinerungen und Verbesserungen bereitstellten, die auf die bereits entwickelten französischen taktischen Methoden angewandt werden konnten.145 Der Vorzug der Arbeit Lynns liegt darin, dass er die eigenständige taktische Tradition des französischen Militärs berücksichtigt. Die Beschränkung auf den in der militärischen Literatur fixierten ›Armee-Stil‹ greift jedoch zu kurz und vereinfacht komplexe militärische Rezeptions- und kulturelle Transferprozesse, die sich zudem noch auf dem Hintergrund eines jeweils zu klärenden Theorie-Praxis Verhältnisses vollziehen. In seiner der Armee Richelieus gewidmeten Studie, die sich der Wechselbeziehung von Krieg, Regierung und Gesellschaft annimmt,146 argumentiert D. A. Parrott zwar auf einer repräsentativen, doch verhältnismäßig dünnen militärtheoretischen Quellengrundlage147 – so bleibt die

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Lynn geht zwar auf die den holländischen Militärreformen vorausgehende französische Militärtheorie und die besondere Disposition der französischen Taktik für die holländischen Exerziermethoden ein, doch greift er nur selten auf die Primärquellen zurück und stützt sich weitestgehend auf die Sekundärliteratur. Ebd., S. 517. Ebd., S. 474. Ebd. David A. Parrott: Richelieu’s Army. War, Government and Society in France. 1624–1642, Cambridge 2001. Ebd., S. 19–83; Je´re´mie de Billon, Instructions militaires, Lyon 1617; – Les principes de l’art militaire, Paris 1622; – Suite des principes de l’art militaire, Rouen 1641; Henri Gontaut de Biron, Maximes et advis du maniement de la guerre, ….mistakenly attributed to Andre´ de Bordeille (sic) (elder brother of Brantoˆme) and published in Brantoˆme, ed. J. Buchon. Œuvres, 2 vols., Paris 1712: Du Praissac, Discours militaires, Rouen 1625; L. de Gaya, L’art de la guerre, Paris 1689; Jan de Gheyn, Waffenhandlung von den Rören, Musqueten und Spiessen, The Hague 1608; P. Hay du Chastelet, Politique militaire ou traite´ de la guerre, Paris 1757 (Ist pub. 1667); La Fontaine, Les devoirs militaires des officiers de l’infanterie, Paris 1675; F. de La Noue, Discours politiques et militaires, Basel 1587; Sieur de Lostelneau, Le mare´chal de bataille, Paris 1647; C. Loyseau, Cinq livres du droit des offices, Chaˆteaudun, 1610; Paul Azan (Hg.): Un tacticien du XVIIe sie`cle, Ausgabe des Livre de guerre von d’Aurignac, 1663, Paris 1904; L. de Montgommery, sieur de Courbouzon, La milice francoise re´duite a` l’ancien ordre et discipline militaire des legions, Paris 1610; J. de Chastenet de Puyse´gur, Les guerres de Louis XIII et Louis XIV, 2 vols., Paris 1883; Henri de Rohan, Le parfaict capitaine, autrement l’abre´ge´ des guerres de Gaule des Commentaires de Ce´sar, Paris 1636; L. de Ville, La justice militaire de l’infanterie, Paris 1633; J. J. von Wallhausen, L’art militaire pour l’infanterie, trans. J. de Bry, Oppenheim 1615; – Art militaire a`

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Militärwissenschaft der Humanisten unberücksichtigt. Parrott konstatiert, dass Frankreich im frühen 17. Jahrhundert von einer auf den Maximen der antiken Militärtheoretiker fußenden Rhetorik neuer und schlachtentscheidender Taktik und Organisation durchdrungen wurde.148 Der Versuch, die Geschichte der Kriegskunst während der Regierungszeit Richelieus (1624–1642) in die Militär-, Sozial- und Politikgeschichte einzubinden, erweist sich infolge mangelnder Sensibilität für die politische Kultur und die Prozesse und Strukturen militärtheoretischer Austauschvorgänge als nicht hinlänglich. So werden das politische Testament, ja generell die Texte politisch-strategischer Kulturen als Fundus des taktisch-strategischen Denkens des Kardinalpremier par excellence in das Kapitel über die französische Kriegskunst während des Ministeriums Richelieus (›The French art of war during Richelieu’s ministry‹) nicht einbezogen. Die ideologische Motivation der Rezeption kann nicht durch eine mehr oder weniger kontingente Migration einer Reihe hugenottischer Militärs erklärt werden, die charakteristische Elemente der oranischen Kriegskunst mittels militärischer Handbücher in die französische Truppenpraxis importierten, und eine die katholischen Praktiken verdrängende militärtheoretische Rhetorik begründeten.149 Eine ideengeschichtliche Kontextualisierung der Militärtheorie – analog zur politischen Theorie, – erfolgte bislang nicht. Das sozialund strukturgeschichtliche Primat der erneuerten Militärgeschichte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ließ den kultur- und ideengeschichtlichen Zugriff auf militär- und sozialgeschichtliche Umformungsprozesse, die immer auch Umwertungsprozesse waren, in den Hintergrund treten.150 In ihrer Lösung von der Taktik und strukturgeschicht-

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cheval, trans. H. de Bry, Frankfurt 1616; – De la milice romaine (trans. von Vegetius), Frankfurt 1616; – Militia Gallica, Hanau 1617; – Künstliche Piquenhandlung, Hanau 1617; Sir Roger Williams, A Brief Discourse of Warre, London 1590. Parrott, Richelieu’s Army, S. 82: » However, this was to a great extent the product of individuals who shared religious and family affiliations with the originators and patrons of the theories, the House of Orange-Nassau.« Parrott reduziert den militärtheoretischen Kulturtransfer auf die Gruppe der Hugenotten: vgl. ebd. S. 28: Die hugenottische Annahme der oranischen militärischen Rhetorik und ihre Alternativen. Ebd. Es liegen vereinzelte Arbeiten vor allem von Literaturwissenschaftlern vor, die ihre Resultate jedoch nicht mit den neuen Ergebnissen der Militärgeschichtsschreibung ´ tienne Vaucheret (Le fait de la guerre, te´moignages et re´flexions de verbinden. So E Jean d’Auton a` Monluc, The`se, Lettres Paris IV 1977, Lille 1984), der sich mit der französischen Militärliteratur im 16. Jh., vorwiegend derjenigen von Monluc befasst, oder die Arbeit von James J. Supple (Arms versus Letters. The Military and Literary Ideals in the ›Essais‹ of Montaigne, Oxford 1984). Ebenfalls 1984 legte die Senatskommission für Humanismusforschung der DFG einen Kolloquiumsband zu Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus (Mitteilung XIII der Kommission für Humanismusforschung. Hg. v. Franz Josef Worstbrock, 1980)

1. ›Militärische Revolution‹ und ›Sozialdisziplinierung‹

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lichen Begründung wurde die militärische Revolution nicht mehr nur im späten Mittelalter verortet,151 sondern auf die gesamte Militärgeschichte ausgedehnt. Dass sich auch das Forschungsparadigma der militärischen Revolution in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausdünnte und kritisiert wurde,152 ist nicht dem selektiven Umgang mit einer militärtheoretischen Tradition und der mangelnden Berücksichtigung politischer Kulturen geschuldet, sondern neuen militär-, sozial- und politikgeschichtlichen Studien zur französischen Armee.153 ›Militärische Revolution‹ und ›politischer Neustoizismus‹/ ›Sozialdisziplinierung‹ sind noch nicht die Themen der Universalgeschichtsschreibung hegelianischen Zuschnitts, sondern der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konturierenden Frühneuzeitforschung. Militärische Revolution und Sozialdisiziplinierungsthese, die Verzahnung

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vor. S. darin v. a. Wolfgang Reinhard, Humanismus und Militarismus. AntikeRezeption und Kriegshandwerk in der oranischen Heeresreform, S. 185–204). Eine wegweisende Studie stellt diejenige von Franco Cardini (La culture de la guerre. Xe–XVIIIe sie`cle, Paris 1992 [italienische Originalausgabe: Florenz 1982]) dar, die mit dem engen militärgeschichtlichen Konzept bricht, um den Krieg als anthropologisches Phänomen zu beschreiben und dessen Stellenwert in der Gesellschaft, dessen demographische, ökonomische, technische, intellektuelle, juristische, ethische, philosophische und selbst künstlerische und literarische Aspekte aufzuzeigen. Jüngst konnten Heinz Duchhardt und Patrice Veit festhalten, dass das Denken über den Staat, den Krieg und über das Statut des Soldaten sich gleichzeitig entwickelte (Heinz Duchhardt, Patrice Veit (Hg.): Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Theorie-Praxis-Bilder. Guerre et paix du Moyen-Age aux Temps modernes. The`mes-pratiques-repre´sentations, Mainz 2000); Donald A. Neill: Ancestral voices. The influence of the ancients on the military thought of the seventeenth and eighteenth centuries, Journal of the Military History, 62, 3 (1998), S. 487–520; für das späte Mittelalter: Christopher Thomas Allmand (Hg.): War, Literature, and Politics in the Late Middle Ages, New York 1976; Philippe Contamine: The War Literature of the late Middle Ages. The Treatises of Robert de Balsac and Be´raut Stuart, Lord of Aubigny. In: Charles Thomas Allmand (Hg.), War, Literature and Politics in the Late Middle Ages. Essays in honour of G. W. Coopland; – L’e´crit et l’oral en France a` la fin du Moyen Age. Note sur l’alphabe´tisme de l’encadrement militaire, Francia, 9 (1980), S. 102–113; – Froissart, Art militaire, pratique et conception de la guerre. In: J. J. N. Palmer (Hg.), Froissart. Historia, Woodbridge 1981, S. 132–144; für den englischen Raum: Henry J. Webb: Elizabethan Military Science. The Books and the Practice, Madison-London 1965. In einer jüngeren Studie hat David R. Lawrence Buch- und Militärgeschichte zusammengeführt: The Complete Soldier. Military Books and Military Culture in Early Stuart England. 1603–1645 (History of Warfare, 53), Leiden-Boston 2009. Anthony Andrew (Hg.): The Medieval Military Revolution. State, Society and Military Change in Medieval and Early Modern Europe, London 1995; Clifford J. Rogers: The Military Revolutions of the Hundred Years War, The Journal of Military History, 57 (1993), S. 247–78. Vgl. die Arbeiten von Parrott, Rowlands, Landier, Croxton und Lynn. Einen Überblick über die Diskussionen bietet der Sammelband von Clifford Rogers (Hg.): The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, Boulders-Oxford 1995. John A. Lynn, David A. Parrott, Guy Rowlands.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

von Neustoizismus und frühmodernem Staat sind wiederum keine getrennten forschungsgeschichtlichen Phänomene. Vielmehr bilden sie im Rahmen der Frühneuzeitforschung einen vergleichbaren historiographischen Reflexionsstand. Kennzeichnend dafür ist, dass sowohl die Studie Geoffrey Parkers zur ›Spanish Road‹ als auch Gerhard Oestreichs Neostoicism and the early modern state in der Reihe ›Cambridge Studies in Early Modern History‹ erschienen, also in einer Reihe, die darauf angelegt ist, die Eigenart und den Charakter der Epoche als Ganzes zu erforschen.154 Die Argumentation der militärischen Revolution weist eine ähnlich systematische Schwäche wie das kulturelle Hegemonie- und Dominanzmodell der ›niederländischen Bewegung‹ oder das Rezeptionsmodell der deutschen Militärgeschichsschreibung auf. So werden Geschichten zum ›Import‹ der ›militärischen Revolution‹ geschrieben,155 ohne dass den komplexen Kulturtransfers oder politischen Kommunikationsprozes´ . Levillain im Hinblick auf die Militärsen, wie sie beispielsweise Ch.-E politik Williams III. herausgearbeitet hat,156 ein Raum eingeräumt würde. Die Argumentation der militärischen Revolution geht mit den ideengeschichtlichen Quellen ausgesprochen selektiv um. Sie konzentriert sich auf die strukturellen und technischen Voraussetzungen und Konsequenzen von militärischer Innovationen und Strategie in der Frühneuzeit. Die inneren Systeme hingegen und die zeitgenössische, kontextbezogene Konstitution von Militärtheorie, wie sie beispielsweise in der politischen Theorie schon längst praktiziert wird,157 interessierte 154

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Das Forschungsziel der Reihe lautet folgendermaßen: »In particular they focus attention on a dominant theme within it, the interplay of continuity and change as they are presented by the continuity of medieval ideas, political and social organizations, and by the impact of new ideas, new methods and new demands on the traditional structures.« Neben den gesammelten Aufsätzen Oestreichs (CUP 1981/Paperback-Edition Dez. 2008) und der Monographie Parkers zur ›Army of Flanders and the Spanish Road. 1567–1659‹ (1972, 1975) erschienen in der Reihe außerdem die Studien zum Militär. Hg. v. Michael Edward Mallett und John Rigby Hale (The Military Organization of a Renaissance State: Venice, c. 1400 to 1617, Cambridge 1984) und die jüngeren Arbeiten von James Wood (1996), David A. Parrott (2001) und Guy Rowlands (2002). John M. Stapleton Jr.: Importing the Military Revolution. William III, the Glorious Revolution, and the Rise of the Standing Army in Britain. 1688–1712, M. A. Thesis, Ohio State University, 1994; David B. Ralston: Importing the European Army. The Introduction of European Military Techniques and Institutions into the Extra-European World. 1600–1914, Chicago-London 1990. Charles-E´douard Levillain: William III’s Military and Political Career in NeoRoman Context. 1672–1702, HJ, 48 (2005), S. 321–350. Man denke insbesondere an die Arbeiten und ideengeschichtlichen Postulate der ›Cambridge School of Intellectual History‹; vgl. Eckhart Hellmuth und Christoph von Ehrenstein: Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker, Geschichte und Gesellschaft, 27 (2001), S. 149–172.

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte

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bislang weder die neue Militärgeschichtschreibung noch die (politische) Ideengeschichte der letzten vier Dekaden des letzten Jahrhunderts. Bevor wir uns eingehender der besonderen historiographischen Problematik der kulturellen Konstituierung, der translatio oder des kulturellen Transfers militärischer Methoden, Theoreme und strategischer Theorien widmen, wollen wir kurz die neuen Ansätze und Postulate militärischer Ideengeschichte in den Blick nehmen. Die Militärliteratur spielt in der Erklärung Parkers folgende Rolle: der durch die rapide wachsende Kriegsdichte entstandene Disziplinierungs- und Professionalisierungsdruck erforderte militärische Ausbildung und eine Neustrukturierung des Militärs. Infolgedessen wuchs die Militärliteratur an. Und die funktional-technische Rolle in der Neustrukturierung des Militärs und der Taktik rückte in den Vordergrund. Eine dieser Lektüre der Militärtheorie entgegenstehende Richtung führt strategisches Denken und Humanismus zusammen und zeichnet die Entwicklung von der antiken Taktik zur strategischen Ethik (Herve´ Coutau-Be´garie, Bruno Colson) nach.

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte In weitgehender Unkenntnis der Schriften Oestreichs sucht die jüngere französische-belgische Schule strategisches Denken und Humanismus zusammenzuführen und kommt, indem sie die Linie von den antiken Taktikern zur Ethik der Strategie zieht,158 zu einem mit der oben skizzierten deutschen Historiographie vergleichbaren Ergebnis. Auch Azar Gat (1989),159 Virgilio Ilari (2002),160 Everett Wheeler 158

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Bruno Colson, Herve´ Coutau-Be´garie (Hg.): Pense´e strate´gique et humanisme. De la tactique des Anciens a` l’e´thique de la strate´gie, Actes du colloque international organise´ les 19, 20 et 21 mai 1999 a` Naumur par les Faculte´s universitaires NotreDame de la Paix, en collaboration avec l’institut Royal supe´rieur de De´fense (Bruxelles) (Bibliothe`que strate´gique. Hg. v. Lucien Poirier und Herve´ Coutau-Be´garie), Paris 2000. Vgl. Azar Gat: The Origins of Military Thought from the Enlightenment to Clausewitz, Oxford 1989, S. 254: Die Inhalte des Denkens können nicht von der Frage nach der Denkweise oder von den Umständen, in denen sie handeln und auf die sie reagieren gelöst werden. Militärtheorie ist kein allgemeines Corpus von Kenntnissen, die entdeckt und entwickelt werden können, sondern ist in sich wandelnde konzeptuelle Rahmen (frameworks) eingebunden, die als Antwort auf unterschiedliche Herausforderungen entwickelt werden und die die Interpretation herausfordern. Vgl. Virgilio Ilari: Imitatio, Restitutio, Utopia. La storia militare antica nel pensiero strategico moderne. In: Marta Sordi (Hg.), Guerra e diritto nel mondo greco e romano. Contributi dell’Istituto di storia antica (Szience storice, 8), Mailand 2002, S. 269–381.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

(1988)161 und Walter Kaegi (1981)162 haben, in Abgrenzung zu der stark technikzentrierten ›Revolution in military affairs‹ (RMA), neue Wege in der Geschichte militärischer Ideen aufgezeigt. Mit den Arbeiten von Herve´ Coutau-Be´garie profiliert sich eine aktuelle französische Schule in der Strategiegeschichte, die eine strategische Ideengeschichte nahelegt, die den ideengeschichtlichen und philosophischen Raum zwischen Humanismus und strategischem Denken auslotet.163 Die französisch-belgische Schule des ›Institut de Strate´gie Compare´e‹ (ISC) in Paris unternimmt den Versuch, gegenüber der RMA ein ›europäisches‹ und ›humanistisches‹ Modell der ›militärischen Revolution‹ zu begründen, das sich von der angloamerikanischen bzw. angelsächsischen Konzeption auch dahingehend abhebt, dass es zunächst von der Restitution des klassischen strategischen Denkens ausgeht und historisch in der Renaissance der Kriegskunst allgemein und der oranischen Heeresreform im Besonderen exemplifiziert werden kann. Eine in diesem Zusammenhang grundlegende Studie ist die Arbeit Philippe Richardots zur mittelalterlichen Vegetius-Rezeption (1998).164 Diese neuen Ansätze lassen sich sowohl gegen die, an der Konzeption einer Wehrtheorie angelehnte, Ideenund Verfassungsgeschichte Oestreichs, als auch gegen eine technikzentrierte militärische Revolution ins Felde führen, verbinden diese doch eine vergleichende Betrachtung mit der Restitution antiker militärwissenschaftlichen Überlieferung jenseits strukturgeschichtlich begründeter Modernisierungstheorien. Eine solche Geschichte strategischer Ideen umgeht jene Problematik, in den Kontexten frühmoderner Kriege, die Johannes Burckhardt als ›Staatsbildungskriege‹ kennzeichnete,165 nicht 161

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Everett L. Wheeler: The Modern Legality of Frontinus’ Stratagems, MGM, 43, 1 (1988), S. 7–29. Vgl. Walter Kaegi: The Crisis in Military Historiography, Armed Forces and Society, 7, 2 (1981), S. 299–316. Vom 19.–21. Mai 1999 wurde seitens der Faculte´s universitaires Notre-Dame de la Paix de Naumur und dem Institut de Strate´gie Compare´e sowie dem Institut royal Supe´rieur de De´fense de Belgique ein Kolloquium veranstaltet, das sich dem strategischen Denken und dem Humanismus von Polybios bis Raymond Aron zuwandte (Pense´e strate´tique et humanisme: de Polybe a` Raymond Aron) und zwar im doppelten Sinne: einem historischen, im Sinne einer Imitation der Alten, und einem philosophischen, der die Sorge um den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Man kam jedoch zu folgendem Ergebnis: »Quant a` l’acceptation philosophique de l’humanisme, de prime abord peu applicable a` la de´marche strate´gique, voire a` l’oppose´, elle permet en re´alite´ de relever des dimensions insoupc¸onne´es.« Philippe Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire au moyen aˆge. Ve–XVe sie`cles (Bibliothe`que strate´gique), Paris 1998. Johannes Burkhardt: Die Friedlosigkeit der frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, ZHF, 24 (1997), S. 509–574, zitiert in: Wolfgang Reinhard: Kriegsstaat und Friedensschluß. In: Ronald G. Asch, Wulf Eckart Voß, Martin Wrede (Hg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München-Paderborn 2001, S. 50:

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte

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primär den modernen Staat und dessen materielle und ideelle Grundlagen als Telos von politischer und strategischer Lehre anzunehmen. Virgilio Ilari, der einen Abriss des strategischen Denkens von der imitatio des römischen exemplum bis hin zur restitutio griechischer und byzantinischer Militärwissenschaft erstellte,166 zeigt neue Perspektiven nicht nur bezüglich der traditio, sondern auch der Wissensformen auf. Folgende Aspekte nimmt er in den Blick: das Verhältnis von imperium und consilium, die Regeln der klassischen Militärwissenschaft von der Ordnung (tassonomia) zu den artes liberales und von der Theorie der Paideia zur Geschichte der Abfassung griechischer und lateinischer militärischer Digesten, die Übereinstimmung und Äquivalenz von klassischem und modernem Denken, das Verhältnis von strategika und geographia (Edward N. Luttwak, Basil Liddle Hart), die Entwicklung der Topoi, die sich auf die tactica, die strategika, den Seekrieg, die Poliorketik, die Organisation, die Logistik in Verbindung mit der Idee des Fortschritts, der Vervollkommnung und des Niedergangs der ars militaris und der kriegerischen virtu` und die Verwendung des strategischen Exemplums beziehen.167 Walter E. Kaegi, Jr. (1981) verweist, Michael Howard zitierend, auf die ›in Vergessenheit geratenen Dimensionen der Strategie‹. Kaegi moniert, dass es keine umfassende und solide Studie zur Geschichte des strategischen Denkens und deren Verbindung zur Historiographiegeschichte gibt.168 Es fehle an eingehenden Studien zu den Methodologien, die die wirksamste Untersuchung des strategischen Denkens und der intellektuellen Formation eines solchen Denkens in Verbindung mit anderen Formen menschlichen Denkens leisten.169 Und es mangele – mit Ausnahme der Studie von Peter Paret zu Clausewitz170 – an Untersuchungen zum gesamten Komplex des Einflusses neuer historischer Ideen auf strategische Konzeptionen. Ein solches Unterfangen bleibe eine der größten Herausforderungen und Aufgaben und bedürfe der tiefen Vertrautheit mit der Strategie und Geschichte des historischen Schreibens sowie der historischen Theorie.171

166 167 168 169 170 171

»Im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges handelt es sich laut Johannes Burkhardt freilich noch nicht um Staatenkriege, sondern um Staatsbildungskriege, die nicht auf zuviel, sondern auf zuwenig Staatlichkeit zurückzuführen sind, gleichsam um Pubertätskrisen des werdenden modernen Staates und des europäischen Staatensystems.« Ilari: Imitatio, restitutio, utopia, S. 269–381. Ebd., S. 377f. Kaegi: The Crisis in Military Historiography, S. 305. Ebd., S. 311. Vgl. Peter Paret: Clausewitz and the State, London et al. 1976. Kaegi: The Crisis in Military Historiography, S. 208; vgl. auch Kaegis Kritik an Delbrück (ebd., S. 310).

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Everett Wheeler (1988) merkt an, dass die Frage der Relevanz der antiken Militärgeschichte für die moderne Kriegführung und strategische Theorie nur selten gestellt werde; die modernen Theoretiker nähern sich dem Krieg mit den Konzepten militärischer hardware (Kriegstechnologie), wie die Studien von Martin van Creveld172 vor Augen führen.173 Kriegsregeln und Regeln des Völkerrechts, die oft eine Sanktionierung von Sitten und ungeschriebenen Regeln darstellen, die längst gebräuchlich sind, sind jedoch nicht zwingend eine Funktion der Technologie.174 Das Stratagem ist gleichermaßen ein rechtliches Konzept und eine strategische und taktische Idee.175 Die Wiederentdeckung der von Polybios interpretierten anaky´klosis-Theorie zu Zeiten Machiavellis bezeichnet eine Zäsur, von der an das moderne strategische Denken geschrieben werden kann, findet jedoch in den neueren Arbeiten keine Berücksichtigung.176 Neben der naturrechtlichen Begründung völkerrechtlicher und internationaler Ordnung durch Grotius, wurden in den letzten Jahrzehnten des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Regeln des Krieges177 auf der Grundlage der Interpretation der antiken taktischen und strategischen Theorie entwickelt. Diese ideengeschichtlichen Inhalte sind nicht zuletzt an eine politische und strategische Heuristik sowie militärische, ideologisch-konfessionelle und wissens- und wissenschaftsgeschichtliche Handlungszusammenhänge und politische Kulturen gebunden. Die Militärtheorie muss daher im Zusammenhang eines jeweils auszulotenden strategischen Kontexts betrachtet werden. Fassen wir zusammen: Ins Visier der jüngeren ideengeschichtlichen Arbeiten zur Militärgeschichte geraten deren Zentrierung auf den tech172

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Vgl. Martin van Creveld: Command in War, Cambridge Mass. 1985; ders.: Technology and War. From 2000 BC to the Present, New York et al. 1991. Vgl. Everett L. Wheeler: The Modern Legality of Frontinus’ Stratagems, MGM, 1 (1988), S. 7. Ebd., S. 9; Guy Christopher Wilson sucht die Bedeutung der technischen Wandlungen in der Militärliteratur dingfest zu machen und schließt dabei an den Paradigmenwechsel des Wissenschaftshistorikers Thomas Kuhn (The Structure of Scientific Revolutions) an: vgl. Guy Christopher Wilson: The Effects of Technology in Sixteenth Century Military Thought (Cognitive Processes), Ph.D., University of Missouri 1991. Vgl. Everett L. Wheeler: Stratagem and the Vocabulary of Military Trickery (Mnemosyne: Supplementum, 108), Leiden-New York et al. 1988, S. XIII. Vgl. GdKW, Bd. 1, S. 469: Max Jähns bezeichnet Machiavelli als den »ersten militärischen Klassiker der Neuzeit« und sieht in ihm zugleich den »Begründer des modernen Staatsrechts.« Vgl. Wheeler: Frontinus; generell zu Regeln, Gesetzen der Kriegsführung: Richard I. Miller (Hg.): The Laws of War, Lexington 1975; Jan H. W. Verzije: International Law in Historical Perspective, IX-A: The Laws of War, Alphen aan den Rijn 1978; Rene´ Bourdoncle: De l’influence des ruses sur l’e´volution du droit de la guerre (Annales de l’Universite´ de Lyon, Se´r. 3, Droit, fasc. 17) Paris 1958.

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte

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nischen Aspekt der RMA, die Einforderung der Verzahnung von strategischem und historischem Denken (Walter Kaegi), die Ausdifferenzierung der Militärtheorie in diversen Wissensformen (Virgilio Ilari) – Wissensordnungen per se werden jedoch noch nicht problematisiert – und die Berücksichtigung von Regeln des Krieges analog zur Ausbildung der im Naturrecht begründeten völkerrechtlichen Prinzipien (Everett Wheeler). Oestreich hatte diese bereits unter der Ägide des ›politischen Späthumanismus‹ (Grotius und Lipsius) zusammengeführt. Im Unterschied zur neuen strategischen Ideengeschichte belgischfranzösischer Prägung ist der Ansatz Gerhard Oestreichs allerdings dahingehend wegweisend, dass er die politisch-historische Ausrichtung des Späthumanismus hervorhebt. Der ›politisierte‹ Späthumanismus wird damit konkretisierbar, d. h. in einem sozialen und zeitlichen Kontext erfassbar. Oestreichs Politikbegriff wird zu problematisieren sein. Der politische Neustoizismus als geistige Grundlage des Militärs darf jedoch in Betracht einer jüngeren, auf die Traditionslinien Vegetius und Polybios verweisenden (H. Coutau-Be´garie, B. Colson) oder die Ausdifferenzierung strategischer Lehre (V. Ilari) in Betracht ziehenden militärischen Ideengeschichte in Frage gestellt oder zumindest relativiert werden. Geoffrey Parkers These einer militärischen Revolution in der Frühen Neuzeit konnte das sprunghafte Anwachsen der Militärliteratur und die neuen Ideen der Truppenausbildung mit den durch die Kriegsdichte und die neuen Militärtechniken hervorgerufenen Professionalisierungs- und Disziplinierungsdruck verbinden. Dass das Anwachsen der militärischen Literatur und vor allem die wachsenden Traditionsbestände nicht zuletzt im Zusammenhang von Herrschaftspraxis neuer Wissensordnungen bedurfte,178 entging sowohl der neuen militärischen Ideengeschichte als auch der sich verästelnden und zusehends ausdünnenden Debatte der militärischen Revolution, die eine spezifische Militärdoktrin lediglich als Reformrhetorik abhandelt.179 Die vorliegende Studie beschreitet zwei ineinander führende Wege: Zum einen wird ein den noch nicht gefestigten Territorialstaat transzendierender politisch-strategischer und gelehrter Kommunikationsraum respektive Kommunikationszusammenhang des Späthumanismus der 178

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Vgl. Martin Mulsow: Art. ›Pluralisierung‹. In: Anette Völker-Rasor (Hg.), Frühe Neuzeit, München 2000, S. 304f.: »[…] konzentriert sich die Pluralisierungsforschung anders als die traditionelle Wissenschaftsgeschichte nicht auf Fortschritt und Entdeckung, sondern sie beschreibt die Versuche, neue Ordnungen zu etablieren und der Wissensvielfalt Herr zu werden. Das geschah etwa durch bibliographische Kompendien [Zedelmaier] oder durch universale ›Topiken‹ und ›Systeme‹ [Schmidt-Biggemann], in denen alle verfügbaren Kenntnisse nach ihren jeweiligen ›Orten‹ […] im Gebäude des Wissens angeordnet wurden.« Parrott: Richelieu’s Army, Zitat s. supra. Parrott greift mit dem Verweis auf die Rhetorik den Ansatz der Cambridge School auf.

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I. Die ›oranische Heeresreform‹

Jahre 1590 bis 1650 restituiert. Zum anderen werden die Theoriekonstituierung und die Neuordnung gelehrten und pragmatischen Wissens in den Blick genommen. Es wird die These zu verifizieren sein, dass der entscheidende Punkt der Rezeption antiker Militärtheorie, insbesondere die des Vegetius und Polybios, auf dem Hintergrund eines historisch nicht konkretisierten Humanismusbegriffs weniger auf eine Hegung militärischer Gewalt (Coutau-Be´garie, Colson) zielt. Vielmehr werden Vegetius und Polybios als einschlägige ›Methodenautoren‹ herausgestellt, die im gelehrten Kommunikationszusammenhang des Späthumanismus die letzten großen militärwissenschaftlichen Synthesen späthumanistischer Gelehrtenkultur ermöglichten. Anders als bei Gerhard Oestreich, der das frühmoderne Militär in die Weltanschauung des Neustoizismus einbettete, verläuft die Demarkationslinie hier zwischen längerfristigen, epochenübergreifenden Traditionslinien militärischer Lehre, nämlich den Autoren Vegetius und Polybios. Ich möchte diesen Vorgang als militärtheoretischen Kulturtransfer bezeichnen, in welchem unterschiedliche taktische und strategische Theorien sowie Methodenlehren vehikuliert werden.

II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich Ich verwende den Begriff des Kulturtransfers im Sinne einer ›transmission of culture‹.1 Dabei meine ich weniger einen Transfer von Theorien und Methoden von einer territorialstaatlich gefestigten Nationalkultur oder Herrschaftsordnung in eine andere,2 sondern vielmehr jenen zwischen sich überlappenden und divergierenden politisch-strategischen und dynastischen Kulturen und Wissenskulturen – zwischen Gruppen und Generationen. Darüber grenze ich mich sowohl gegenüber einer einfachen Antikerezeption in den zentralen Kulturen der Niederlande und Frankreich, als auch gegenüber der ›niederländischen Bewegung‹, die seit Oestreich über den politischen Neustoizismus definiert wird, und einer Rezeption der ›oranischen Heeresreform‹ in Frankreich ab. Es mag der Einwand geltend gemacht werden, dass es sich hier auch um Merkmale der Rezeption bzw. einer Rezeptionsgeschichte handelt. Der Ausdruck »Rezeption« bezeichnet »im allgemeinen Sinn […] den sich naturwüchsig vollziehenden Prozeß der Übernahme fremden oder noch nicht angeeignenten Kulturguts in die eigene Lebens- und Bewußtseinssphäre.«3 Sie ist ein in der Rechtsgeschichte eingeführter Begriff. Der ›Rezeption‹ hat sich die Philosophie, vor allem Hans Blumenberg und dann Hans Gadamer angenommen. Die Auffassung von Blumenberg meint jedoch etwas anderes als die hier dargelegten Vorgänge. Blu1

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Anthony Grafton, Ann Blair (Hg.): The Transmission of Culture in Early Modern Europe, Philadelphia 1990; Grafton und Blair verstehen unter der ›transmission of culture‹ die Wege, auf denen sich eine Kultur von einer Generation oder Gruppe zu einer anderen bewegte und zwar nicht auf dem Wege einer exakten Reproduktion, sondern durch ein Anwachsen oder eine Revision. Dieses Modell fasst, anders als das oben angeführte Rezeptionsmodell oder das der ›niederländischen Bewegung‹ unter anderem die generationenbedingten Brüche in der oranisch-dynastischen Kultur, aber auch diejenigen innerhalb des späthumanistisch-gelehrten Kommunikationsraums, der gelehrten Netzwerke, Zirkel und Kabinette. Sabine Vogel: Kulturtransfer in der frühen Neuzeit. Die Vorworte der Lyoner Drucke des 16. Jahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation, N.R., 12), Tübingen 1999 verwendet diesen Begriff anders, vgl. S. 5f. Vgl. Wolfgang Schmale (Hg.): Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jh. (Wiener Schriften zur Geschichte der Frühen Neuzeit, 2), Innsbruck 2003. Hermann Fischer: Rezeption II: systematisch-theologische. In: Claus-Jürgen Thornton (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Berlin 1998, Bd. 29, S. 143–149.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

menberg hebt, wenn er von Rezeption spricht, auf die »Verwandlung oder Umbesetzung einer identifizierbaren geschichtlichen Substanz« ab. In der Geschichtswissenschaft hingegen hat die ›Rezeption‹ bislang keine umfassendere begriffliche Reflexion oder theoretische Erörterung gefunden. Es ist vor allem der anglo-amerikanischen kulturgeschichtlichen Humanismusforschung zu verdanken, dass eine historisch funktionale und kontextbezogene Konzeption eines Kulturtransfers in die Frühneuzeitforschung eingeführt wurde. Wenngleich deren begriffliche Definition gleichfalls nicht präzise ist, so haben doch die daraus hervorgehenden Arbeiten neue Perspektiven eröffnet,4 die sowohl einer Verfallsgeschichte (Jacob Burckhardt) als auch einer – dem Telos der Modernisierung verhafteten – linearen Fortschrittsgeschichte entgegensteuern. Die Konzeption des Kulturtransfers steht der politischen Ideengeschichte der ›Cambridge School of Intellectual History‹, die gleichfalls den kontextuellen Aspekt hervorhebt, sehr nahe und kann daher ergänzend zu dieser auftreten. Es gilt daher in einem ersten Schritt den Politikbegriff und den politikgeschichtlichen Zugriff zu klären, um dann in einem weiteren Schritt auf die militärtheoretische Tradition im Späthumanismus einzugehen.

1. Politische Ideengeschichte und militärtheoretischer Kulturtransfer Bei diesem ersten Schritt gilt es zwischen der Anbindung strategischtaktischer Lehren an diverse politische Methodenlehren und deren Kontextualisierung in einem politisch-strategischen und einen gelehrten Kommunikationszusammenhang zu differenzieren. Letzteres mündet in die These vom frühmodernen Staat als kultureller Prozess. Entscheidend für den kulturellen Transfer militärischer Ideen und Methoden ist, dass dieser an eine politische und strategische Ideengeschichte (Heuristik und Pragmatik) gebunden ist. Diese steht wiederum in Verbindung mit der (spät-)humanistischen Gelehrtenkultur und deren Methoden, Theorien und Wissensordnungen. Angesichts der Breite der politisch-militärischen Methodenlehren, die die Perspektive auf die Pluralisierung der Wissensordnungen eröffnet, und sich diversifizierender politischer Lehren, beispielsweise die von der Staatsräson und politische Klugheitslehren,5 sowie die Arbeiten zur neuen Politikgeschichte6, die 4

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Vgl. vor allem im Hinblick auf die Militärgeschichte den Beitrag von William Hunt: Civic Chivalry and the English Civil War. In: Anthony Grafton, Ann Blair (Hg.), The Transmission of Culture in Early Modern Europe, Philadelphia 1990, S. 204–237. Vgl. Merio Scattola: Krieg des Wissens – Wissen des Krieges. Konflikt, Erfahrung

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte

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politisch-strategische Heuristik Machiavellis und die Vielfalt militärtheoretischer Traditionslinien und Wissensordnungen, sind die ›Treffentaktikthese‹ und die Diagnose einer modernen ›wahren Disziplin‹ zu revidieren. In Anbetracht des politischen Späthumanismuskonzepts Gerhard Oestreichs, dessen auf den Neustoizismus reduzierter Politikbegriff im Lichte eben neuerer Forschungstendenzen vor allem in der Politikgeschichte zu überdenken ist, liegt es nahe, die Methoden der ›Cambridge School of Intellectual History‹ auf den militärisch-politischen Bereich zu übertragen. Drei Prämissen dieser Schule lassen sich auf den vorliegenden Themenkomplex anwenden: Die politische Kontextualisierung von Ideen, die Identifizierung von Sprechakten und die Intertextualität.7 Und in der Tat implizieren einige Momente des kulturellen Transfers militärischer Lehren ›Sprechakte‹: so verweist beispielsweise die Kritik La Valle´es, Sieur de Montissuc an den Texten von

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und System der literarischen Gattungen am Beginn der Frühen Neuzeit (Pubblicazioni del Dipartimento di Lingue e Letterature Anglogermaniche e Slave dell’ Universita` di Padove, 14), Padua 2006; – Das Naturrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des ›ius naturae‹ im 16. Jahrhundert (Frühe Neuzeit, 52), Tübingen 1999; Wolfgang Weber: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts (Studia Augustana; 4), Tübingen 1992; Horst Dreitzel: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft (zugl. Bielefeld, Univ., Habil.-Schr., 1979/80), Bd. 1: Semantik der Monarchie, Köln et al. 1991; Bd. 2: Theorie der Monarchie, Köln et al. 1991; Michael Stolleis: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. Main 1990; Herfried Münkler: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. Main 1987; Cornel Zwierlein: Politik als Experimentalwissenschaft. 1521–1526. Agostino Nifos politische Schriften als Synthese von Aristotelismus und Machiavellismus, PhJb, 113, 1 (2006), S. 28–60. Vor allem französische Autoren haben sich der politischen Theorie dessen angenommen: Yves Charles Zarka (Hg.): Raison et de´raison d’E´tat, Paris 1994; Michel Senellart: Machiavellisme et raison d’E´tat, Paris 1989; Romain Descendre: Ge´opolitique et the´ologie. Supre´matie pontificale et e´quilibre des puissances chez Botero, Il pensiero politico. Rivista di storia delle idee politiche e sociali, 33, 1 (2000), S. 3–38; – L’E´tat du monde. Giovanni Botero entre raison d’E´tat et ge´opolitique (Cahiers d’Humanisme et Renaissance, 87), Genf 2009. Positionen zur gegenwärtigen Debatte um eine neue Politikgeschichte: Vgl. Luise Schorn-Schütte: Politische Kommunikation als Forschungsfeld. Einleitende Bemerkungen. In: Angela De Benedictis, G. Corni, B. Mazohl, L. Schorn-Schütte (Hg.), Die Sprache des Politischen in actu. Zum Verhältnis von politischem Handeln und politischer Sprache von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Schriften zur politischen Kommunikation, 1), Göttingen 2009, S. 7–18. Vgl. Quentin Skinner: Visionen des Politischen, Frankfurt a. Main 2009; Skinner (vgl. ders. et al. (Hg.): Meaning and Context. Quentin Skinner and his Critics, hg. u. eingel. v. James Tully, Princeton 1988) fragt im Hinblick auf die politische Theorie danach, welche Formen politischen Denkens und Handeln dazu beitragen, ideologischen Wandel zu bewirken und zu konventionalisieren. Schließlich fragt er nach der Beziehung zwischen politischer Ideologie und politischem Handeln, welche am besten die Verbreitung bestimmter Ideologien erklärt und welche Wirkung dies auf das politische Verhalten hat.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Billon auf ein Debatte innerhalb eines Zirkels französischer Militärs. Die militärpolitische ›conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹ und deren Intertextualität mit weiteren Texten politisch-strategischer Lehre und Kultur (vgl. die Kapitel zu Rohan, Lenormant, Saumaise, Richelieu) ist ein Paradebeispiel für eine kontextbezogene Ideengeschichte. Im Unterschied zu einer ausschließlichen Ideengeschichte des Politischen gestaltet sich das Vorgehen jedoch komplexer, weil die militärischen Lehren zunächst in Verhältnis zu einer bestimmten politischen Theorie, Methodenlehre oder historiographischen Praxis, einer Position innerhalb der humanistischen Gelehrtenkultur zu bringen oder in den Kontext der ›Theorieproduktion‹ militärischer Praktiker zu setzen sind. Politisch-strategische Theorien, sei es dass diese in den Gelehrtennetzwerken ausgearbeitet wurden, sei es, dass diese von Militärs konzeptualisiert wurden, wurden nicht nur im gelehrten, sondern auch im politischen Kommunikationsraum verhandelt und damit Gegenstand politischer Kommunikation. Ihre tatsächliche strategisch-politische Relevanz folgt nicht zuletzt interessengeleiteten Entscheidungen. Dass sie auch an einen begrifflichen Wandel in der politischen Sprache geknüpft waren, legt gleichfalls die von Quentin Skinner in der Frühen Neuzeit erfasste Rhetorik konzeptuellen Wandels nahe.8 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird im Hinblick auf den Kulturtransfer nach dem praktischen und ideologischen Kontext gefragt, in dem eine Theorie nicht nur sich konstituierte oder formierte, sondern auch rezipiert wurde. Der militärtheoretische Kulturtransfer kann daher nicht losgelöst von seiner politisch-sozialen Funktionalisierung erfolgen. Die Wortkritik muss nicht nur im Zusammenhang philologischer Textkritik, sondern der Sprache (langage), der Sprechakte und im Zusammenhang humanistischer Textkritik (ars historica) vorgenommen werden. Der Ansatz einer in den historisch-politischen Kontext eingebundenen Ideengeschichte (ideas in context) und des Konzepts des Kulturtransfers nähern sich dahingehend, dass beide sich auf die Texte und deren Kontexte beziehen: Ideen können nur in ihren konkreten Zusammenhängen, ihren Methoden, Zwecken und ihrem Vokabular dargestellt werden. Es geht nicht um die Architektur vergangener sprachlicher Systeme, sondern, wie Anthony Pagden hervorhebt, um die Freiheit derer, die sich darin bewegten.9 Es kann daher nicht Ziel sein, hier eine Entwicklungsgeschichte der Taktik, die auf der durch Delbrück eingeführten metahistorischen Methode der Sachkritik basiert,10 nachzuzeichnen 8

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Vgl. Kari Palonen: Quentin Skinner’s Rhetoric of Conceptual Change, History of the Human Sciences, 10, 2 (1997), S. 61–80. Anthony Pagden: Introduction. In: ders. (Hg.), The Languages of Political Theory in Early Modern Europe, Cambridge 1987, S. 1f. Hans Delbrück überträgt die von ihm angewandte militärgeschichtliche Methode

5. Neue Wege militärischer Ideengeschichte

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und sie in ein Verhältnis zur Verfassungsgeschichte zu setzen oder im Zusammenhang der politischen Geschichte zu erklären (Delbrück). Vielmehr gilt es, diese im Zusammenhang militärwissenschaftlicher Gesamtentwürfe und einer strategisch-politischen Sprache und Heuristik darzustellen. Hilfreich ist in dieser Hinsicht Skinners Ansatz von einer Wandlung politischer Sprache (linguistic oder rhetorical turn). Allerdings bleibt der Untersuchungsgegenstand darin weitestgehend auf die Verbindung von ars rhetorica und republikanischer Sprache respektive die Sprache des ›klassischen Republikanismus‹ beschränkt.11 Weder Skinner noch Pocock beachten die militärtheoretischen Texte oder die strategemata-Traktate und die Schriften, die sich mit der Feldherrnkunst im engeren Sinne befassen. Für die Wandlung strategischer und taktischer Theorien bedeutsam ist zum einen die Entwicklung der philologischen Kritik im Zusammenhang neuer Methoden der Gelehrsamkeit oder Hilfswissenschaften,12 zum anderen die Lösung von der republikanischen Rhetorik und die Herausbildung einer politischen Heuristik und Methodenvielfalt im Späthumanismus.

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der Sachkritik auf die Militärgeschichte. Das epochenspezifische Methodenarsenal in der Konstituierung von Militärtheorie und taktischer Theorie, deren epistemische Rationalität war jedoch abhängig von einem praktischen und ideengeschichtlichen Kontext, der im Sinne der Selbstreferenzialität des militärischen Humanismus gänzlich anders geartet war als es die auf den Momenten der Technik und Geographie fußende Delbrücksche Sachkritik nahelegt. Das Delbrücksche Wechselwirkungskonzept muss im Sinne der handelnden und interpretierenden Menschen, die das selbstreferenzielle System des militärischen Humanismus konstituieren und in denen bestimmte militärtheoretische Positionen entstehen oder verworfen werden, interpretiert werden. Der erste Schritt, sich diesem zu nähern, besteht in der Rephilologisierung der Militärtheorie und der Rekonstruktion von ›Handlungszusammenhängen‹ der Interpretation, d. h. Gruppen und Netzwerken. Kari Palonen: Quentin Skinner’s rhetoric of conceptual change, History of the Human Sciences, 10, 2 (1997), S. 62; vgl. Maurizio Viroli (From Politics to reason of state. The acquisition and transformation of the language of politics. 1250–1600, Cambridge 1992, S. 1), der den Übergang von der Sprache der Politik zu der der Staatsraison skizziert. Ende des 16. Jh.s und Anfang des 17. Jh.s unterlag die Politiksprache einer radikalen Wandlung. Viroli argumentiert, dass diese ›Revolution des Politischen‹ (›revolution of politics‹), »global in scope, and wideranging in its intellectual and moral implications« war. »Not only did the meaning and the range of application of the concept of politics change, but also the status of political science, the role of political education and the value of political liberty.« Insbesondere Anthony Grafton, der sich auf die Forschungsleistung Jacob Bernays (Joseph Justus Scaliger, Berlin 1855, repr. 1965) stützen konnte, hat in seiner Biographie über Joseph Justus Scaliger (Joseph Scaliger. A Study in the History of Classical Scholarship, Bd. 2: Historical Chronology, Oxford 1993) eine wertvolle Arbeit vorgelegt. Auch Jean Jehasse (La Renaissance de la critique. L’essor de l’Humanisme e´rudit de 1560 a` 1614, Saint-Etienne 1976) und Antoine Coron, dessen The`se d’Ecole des chartes über das IV. Buch der Politica noch der Veröffentlichung harrt, sind hier zu nennen.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Zu den politisch-strategischen Ideen im Kontext politischer Rhetorik ist anzumerken, dass es auf der rhetorisch-politischen Ebene zu einer vorherrschenden politisch-strategischen Kultur kam, die als eine (polybianisch-)neorömische bezeichnet werden kann. Diese stand zwar in einem engen Konnex mit der strategisch-politischen Kultur der Generalstaaten, geht jedoch über diese hinaus.13 Diese war nicht die einzige militärwissenschaftliche Lehre im Frankreich Ludwigs XIII. und Richelieus. Aber sie trat als offensichtliches Pendant zu einer im Frankreich Richelieus zunehmend verdrängten taciteischen Kriegsraison auf. Dass dies geschah, ist der politisch-gelehrten Kommunikation ›rhetorisch‹ vorherrschenden Zirkeln, Gruppen und deren Verflechtung mit den politischen Entscheidungsträgern geschuldet. Hatte die bisherige Argumentation die Verstaatlichung der Kriegführung und die Assimilierung neuer Ausbildungsmethoden (Antikerezeption und Militärreform) in Anschlag gebracht und somit den modernen Macht- und Anstaltsstaat als Telos des geschichtlichen Prozesses angenommen – erhöhter strukturell begründeter Reformdruck führt zu einer höheren Frequenz der Kriege, zu einer Kriegsverdichtung, die mit einer Verstaatlichung einhergeht –, so steckt das Paradigma des Staatsbildungskrieges einen tendenziell anderen strategisch-heuristischen Rahmen ab. Nicht zuletzt, weil die moderne Staatsbildung zunehmend als kultureller Prozess wahrgenommen wird.14 Der Staat ist damit nicht als Telos, sondern als ein ›kultureller Prozess‹ aufzufassen, in dem sich Konfession und Politik vermengen und sich in Netzwerken statt in der Kriegsgeschichte oder den Formen der Kriegführung artikulieren. Dabei sind einerseits das ideengeschichliche Gefüge und die Konfigurationen der humanistischen Gruppen respektive Netzwerke, andererseits die soziale Dynamik militärischer Systeme – gekennzeichnet durch die von staatlicher Institutionalisierung unabhängige Gewalt (›pattern of independent violence‹)15 – und diejenige der Klientelverbände16 zu berücksichtigen, die sich gleichermaßen auf die politische, 13

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Hier greift, wenn auch die Begrifflichkeit Oestreichs und dessen Begriff des ›Politischen‹ zu hinterfragen ist, der dominante Modellcharakter des niederländischen Systems. Ich verweise hier auf die Kapitel zu Lenormant, Saumaise und Richelieu. Vgl. Ronald G. Asch, Dagmar Freist (Hg.): Staatsbildung als kultureller Prozeß. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln 2005; Dabei wird nicht mehr der moderne Staat des 19. Jahrhunderts, dessen Entwicklung rückblickend analysiert wird, als Ausgangspunkt genommen, sondern die Zeit des Umbruchs traditioneller Herrschaftspraktiken am Beginn der Neuzeit und die Entstehung neuer Herrschaftsstrukturen, die vor dem Hintergrund einer sich wandelnden politischen Kultur legitimiert und vermittelt werden mussten. Kristen B. Neuschel: The Prince of Conde´ and the Nobility of Picardy. A Study in the Structure of Noble Relationships in Sixteenth-Century France, Phil. Diss. Brown U. 1982, S. 1; Andre´ Corvisier: Arme´es et socie´te´s en Europe de 1494 a` 1789, Paris 1976, S. 85, S. 112. Vgl. Sharon Kettering (The Historical Development of Political Clientelism, Jour-

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militärische als auch wissenschaftliche Organisation17 bezogen; diese wirkten auf die Konstituierung und Interpretation spezifischer militärtheoretischer Positionen. Tatsächlich erfolgt der militärtheoretische Kulturtransfer in einer Phase, die gleichermaßen geprägt ist von Umwertungsprozessen im Selbstverständnis des französischen Adels18 und den frühmodernen Staatsbildungskriegen.19 Im Zusammenhang dieses konflikthaften kulturellen Prozesses erscheinen weniger die Sachkritik vom militärisch-pragmatischen Standpunkt aus oder die technischen Möglichkeiten kriegsgeschichtlicher Ereignisse entscheidend, sondern die für den Humanismus charakteristischen, binnenkritischen philologischen Prozesse, die eine prononciert wissenschaftsideologisch-konfessionelle Prägung aufweisen. Die im Späthumanismus auftretende Vielfalt der Kommentare20 zum antik-römischen Militärwesen stellt die Anwendung einer pragmatischen Kritik, die sich eher im Begriff eines mit dem Gegenwartshorizont verschmelzenden historischen Horizonts21 fassen lässt, und deren Bin-

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nal of Interdisciplinary History, 18, 3 (1988), S. 419–447) zu der Bedeutung von Klientelstrukturen für die politische Kultur und die Umbruchsprozesse in der Frühen Neuzeit: S. 419: »Political clientism is a system of patron-broker-client ties and networks that dominate a society’s politics and government. Social scientists have noted that this system reflects the changing structures of the state and society of which it is part. When these structures change, so does clientelism.« Im Hinblick auf militärische Klientelstrukturen vgl. Andre´ Corvisier; neue Forschungen zu den wissenschaftlichen Klientelverbänden: Jane Thornton Tolbert: A Case Study of a Seventeenth-Century Gatekeeper. The Role of Nicolas-Claude Fabri de Peiresc in the Dissemination of Science through the Correspondence Networks, University of Florida 1992; Lisa Sarasohn: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc and the patronage of the new science in the seventeenth century, Isis, 84, 1 (1993), S. 70–90. Ellery Schalk: L’e´pe´e et le sang. Une histoire du concept de noblesse (vers 1500–vers 1650), Seyssel 1996, S. 37: Schalk geht auf den Einfluss ideengeschichtlicher Umbrüche (vom 15.–17. Jh.) ein, die normalerweise die Konzeption des Adels beeinflussen sollten, die sich tatsächlich modifizierte. Doch die Umwandlung – zumindest in Frankreich – vollzog sich erst am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jh.s und fast ausschließlich unter dem Druck politischer Ereignisse und eines inneren sozialen Wandels »presque uniquement, sous la pression d’e´ve´nements politiques et de transformations sociales internes.«; vgl. auch: Davis Bitton: The French Nobility in Crisis. 1560–1640, Stanford 1969. Johannes Burkhardt: Worum ging es im Dreißigjährigen Krieg? Die frühmodernen Konflikte um Konfessions- und Staatsbildung. In: Bernd Wegner (Hg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten, Paderborn et al. 2003, S. 68. Vgl. ders.: Der Dreißigjährige Krieg (Neue Historische Bibliothek edition suhrkamp, 542), Frankfurt a. Main 1992. Vgl. Ralph Häfner (Hg.): Der Kommentar in der frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit, 115), Tübingen 2006. Vgl. Hans-Georg Gadamer (Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1960), der die Begriffe ›Gegenwartshorizont‹/›Horizont der Gegenwart‹, ›historischer Horizont‹ und ›Horizontverschmelzung‹ prägte.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

dung an unterschiedliche, nicht selten konfessionell konnotierte, politisch-strategische Methodenlehren in den Vordergrund. David A. Parrott verweist darauf, dass die an militärgeschichtlich-funktionalen Kausalitäten orientierte moderne Geschichtswissenschaft und die Bewusstseinsinhalte der militärischen und politischen Eliten im 16. und 17. Jahrhundert zu differenzieren sind: Wenn spätere Generationen von Historikern in den holländischen Reformen eine offensichtlich schlüssige Antwort auf die wachsende Bedeutung der Feuerwaffen auf den Schlachtfeldern Europas sahen, so stand für die Zeitgenossen des Wandels die sorgfältige Lektüre und das Aufgreifen der Maximen der klassischen Militärtheoretiker im Vordergrund.22 Die von den Humanisten selbst als pragmatische Kommentare – insbesondere die Gattung der paralleli trägt diese Signatur – zur römischen militia bezeichneten Schriften traten nicht nur als theoretische Grundlage historisch konkretisierbarer, praktischer Reformen auf. Vielmehr sind sie in einem forschungsgeschichtlichen Zusammenhang zu verorten, der sich auf die Restitution des Corpus antiker taktischer und strategischer Theorien bezieht. Ein wesentliches Kennzeichen der Kommentare zu den antiken Militärtheoretikern ist, dass sie als Momente einer Paideia für die politischen und militärischen Eliten auftraten, einer intellektuellen und nicht technischen Übung23 und keine unmittelbar applikative Funktion besaßen. Insbesondere im Späthumanismus entwikkeln sich unterschiedliche militärwissenschaftliche Kompendien, denen verschiedene Bildungsziele zugrunde liegen. Diese Kompendien vermitteln dem Befehlshaber keine Methoden für die Ausbildung der Truppen, sondern ein theoretisches Rüstzeug, das über eine unmittelbare applikative Befehlskultur hinausweist. Hier stand nicht in erster Linie der Transfer konkreter Ausbildungsmethoden für die Truppen in Form von Exerzierreglements im Vordergrund. Vielmehr erfolgte der kulturelle Transfer auf dem Feld taktischer und strategischer Theorien. Wir haben nun die Relevanz einer politischen Ideengeschichte ›in context‹ für den vorliegenden Ansatz ins Feld geführt. Oestreich hatte mit dem politischen System des Späthumanismus erstmals einen Versuch der politisch-pragmatischen Verortung des Späthumanismus über ein System des niederländischen Späthumanismus respektive des Neustoizismus versucht. Dass sein Politikbegriff problematisch ist, zeigt die 22 23

Vgl. Parrott: Richelieu’s Army, S. 25f. Bruno Colson: Pre´face. In: ders., L’art de la guerre de Machiavel a` Clausewitz, dans les collections de la bibliothe`que universitaire Moretus Plantin, Naumur 1999, S. 7; vgl. S. 8: Im Hinblick auf das Talent des Feldherrn ist die Praxis alleine nicht hinlänglich. Es muss die Studie der Grundlagen der militärischen Organisation hinzukommen: eine ›geistige Übung‹, die nur die Lektüre der Alten gewährleistet.

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neue historische Politikforschung, in die die Studie von Peter N. Miller zu Nicolas-Claude Fabri de Peiresc einzuordnen ist.24 Die Studie von Peter N. Miller zu Peiresc – Miller schließt an die Antiquarianismus-Konzeption von Pocock und Arnaldo Momigliano an – verdeutlicht zwar, dass die Stoa in den späthumanistischen Netzwerken einen ›zivilen‹ gelehrten Habitus darstellte, eine Kommunikationsform, einen Kommunikationsmodus konstituierte. Dieser Kontext verfügte aber über keinen einheitlichen Politikbegriff. Gegenstand der Kommunikation waren nicht zuletzt taktische und strategische Theorien und Quellen. Im Rahmen der späthumanistischen Gelehrtenkultur entstanden unterschiedliche strategisch-politische Lehren und militärwissenschaftliche Entwürfe, die sich mitnichten inhaltlich aus dem lipsianischen neustoischen politischen System herleiten lassen, sondern sich von der lipsianischen Herrschaftslehre und taktisch-strategischen Lehre dezidiert abheben. Ich optiere daher für einen Begriff des politischen Späthumanismus, der sich von den bisherigen Ansätzen abhebt, die darauf zielen, Militärgeschichte und Humanismusforschung zusammenzuführen. Vielmehr soll im Zusammenhang des politischen Späthumanismus die militärtheoretische Tradition in den Blick genommen werden. In Anlehnung an den in erster Linie auf der philologischen Methode gründenden historiographischen Ansatz des Kulturtransfers von Anthony Grafton25 soll nachgezeichnet werden, dass es im Hinblick auf den 24

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Peter N. Miller: Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century, New-Haven-London 2000. Anthony Grafton: Introduction: Notes from Underground on Cultural Transmission. In: Anthony Grafton, Ann Blair (Hg.), The Transmisssion of Culture, S. 3: Transfer ist für die Geschichte der abendländischen Hochkultur zentral und einige der im Band versammelten Beiträge zeigen, dass es keine Degradierungen, sondern Umwandlungen sind und widersprechen damit der These J. Burkhardts. Dieser ignorierte vor allem den Tatbestand, dass es sich um kreative und vielfältige Anpassungsprozesse handelt; S. 4: Die diachrone Geschichte des Transfers – seiner Gründe, seiner Modalitäten, seiner häufigen Paradoxe – erweist sich als ebenso faszinierend, wie ein starres Bild der früheren Sozialgeschichte. Die Formen des Transfers erweisen sich als so zahlreich und vielgestaltig wie die von uns untersuchten Institutionen und komplexen Gesellschaften. Vgl. zum Kulturtransfer in Frankreich in der Renaissance Sem Dresden: The Profile of the Reception of the Italian Renaissance in France. In: Heiko A. Oberman, Thomas A. Brady (Hg.), Intinerarium Italicum. The profile of the Italian Renaissance in the mirror of its European Transformations (Studies in Medieval and Reformation Thought, 14), Leiden 1975, S. 119ff.; S. 120: »For this reason, if we endeavour to trace the lines of cultural transmission and to describe the alteration of cultural products from one country to another, we must take into account the inevitable influence of third parties. In most cases – but not in all, and this makes the complication still greater – French humanism was indeed based on Italian models; but it was also affected by facts and ideas which, in only for chronological reasons, had nothing to do with these models.« Vgl. auch: Wolfgang Schmale (Hg.): Kulturtransfer. Kulturelle Pra-

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Kulturtransfer nicht zu einer Imitation, unkritischen Aneignung, einer Implantierung oder einem Import militärischer Kultur kam,26 sondern zu einer kritischen Weiterentwicklung sowie Umformung der in erster Linie ideengeschichtlich identifizierbaren Inhalte. Die Studie orientiert sich an einer Theorie des Kulturtransfers, für die der interpretierte Text – im vorliegenden Fall die Kommentare zur antiken Militärtheorie, militärwissenschaftliche Kompendien und Handschriftenforschung und -edition – das Medium darstellt, durch das die Methoden von einem Feld in ein anderes eine Wandlung erfahren.27 Dabei geht es nicht nur

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xis im 16. Jahrhundert. Wiener Tagung ›Kulturtransfer im Europäischen 16. Jahrhundert‹ (29. März bis 2. April 2002) (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit, 2), Innsbruck et al. 2003. Vgl. Sabine Vogel: Kulturtransfer in der frühen Neuzeit. Die Vorworte der Lyoner Drucke des 16. Jahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe, 12), Tübingen 1999, S. 5f.: »Methodisch fußt die Studie auf dem Konzept der Transmission of Culture. Dieser Ansatz zum Kulturtransfer geht davon aus, daß sich die Überlieferung von Kultur nicht als geradliniger, zielgerichteter Prozeß beschreiben läßt. Vielmehr macht er die Veränderungen, die kulturelle Güter bei ihrer Weitergabe erfahren, zum Ausgangspunkt der Überlegungen. Diese werden nicht als Spuren des Verfalls gedeutet, sondern als bewußter Ausdruck einer veränderten Bedeutung, die dem Überlieferten beigemessen wird. Bisher wurde das Konzept vorwiegend auf die Rezeption einzelner Texte durch einzelne Leser angewendet, indem etwa Annotationen als Quelle für den Bildungsgrad eines Lesers interpretiert wurden. Die vorliegende Arbeit greift diesen Blickwinkel auf und ergänzt ihn um einen nahe verwandten methodischen Ansatz: die historische Anthropologie, die soziales Handeln im gesellschaftlichen Kontext analysiert [Natalie Zemon Davies]. Diese beiden Ansätze treffen in dem Punkt zusammen, der für die vorliegende Arbeit zentral ist: Sie verstehen die Bedeutung, die innerhalb einer Gesellschaft einer Handlung oder einem Text beigemessen wird, als prozeßhaft und sozial vermittelt. Um jedoch mit diesen Ansätzen den Wandel vom gelehrten zum gebildeten Leser zu untersuchen, mußten sie verknüpft und erweitert werden. Das Konzept der Transmission of Culture geht davon aus, daß sich Veränderungen einzelner Texte als Indikatoren eines Bedeutungswandels verstehen lassen. Diese Grundannahme des Kulturtransfers läßt sich ausweiten auf eine Gruppe von Texten, die Zeugnis vom Wandel der Humanismusrezeption ablegt […]. Dabei wird unter ›Text‹ nicht eine sichtbare Tätigkeit oder ein konkreter Text verstanden, sondern der Umgang mit dem antiken Erbe insgesamt als soziales Handeln interpretiert, dessen Bedeutung in seinem kulturellen Kontext entsteht. Der Kulturtransfer in der frühen Neuzeit am Beispiel der Rezeption des Humanismus in Frankreich im 16. Jahrhundert wird so als eine Handlung interpretiert, die sich in den untersuchten Texten ausdrückt.« Vgl. zu den Modi des kulturellen Austauschs: Peter Burke: Kultureller Austausch (Erbschaft unserer Zeit. Vorträge über den Wissensstand der Epoche, 8), Frankfurt a. Main 2000, S. 14–24: Burke skizziert zur Beschreibung dieses Sachverhalts des kulturellen Austauschs die Begriffe ›Tradition‹, ›Rezeption‹ (Gegenstück zur Tradition, Rezeptionstheorie), ›Nachahmung‹ (impliziert die Transformation von Überlieferung), ›Aneignung‹ oder ›Plünderung‹, ›Akkomodation‹ oder ›Anpassung‹, ›Synkretismus‹, ›Synkretisierung‹. Vgl. Anthony Grafton: Introduction. In: A. C. Dionisotti, Anthony Grafton, Jill Kraye (Hg.), The uses of Greek and Latin. Historical Essays (Warburg Institute Surveys and texts, 16), Leiden 1988, S. 1: »the interpreted text becomes the vehicle by which methods are transformed, from one field to another, developing in the

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um eine Modifikation einer Disziplin in eine andere, sondern auch um eine sich verändernde Kontextbezogenheit. Besonders der militärtheoretisch-kulturelle Transfer ist gekennzeichnet durch philologisch-binnenkritischen Prozesse. Der Transfer weist zwei Merkmale auf: die Kritik vorhergehender Kompendien und Kommentare und eine erneut einsetzende Handschriftenkritik und -edition in einem sich verändernden Kriegszusammenhang und kulturellen Kontext. Diese methodische Orientierung erfordert zunächst die Restitution eines quellenhistorisch und quellentypologisch reflektierten militärtheoretischen Textcorpus,28 schließlich eine kulturelle, politische und strategische Kontextualisierung der Militärtheorie. An die Stelle der Rezeption militärischer Methoden oder auch einer Entwicklungsgeschichte der Strategie29 tritt das stärker auf den historischen Kontext abhebende Konzept des Kulturtransfers. Dieses distanziert sich deutlich von dem strukturgeschichtlichen Forschungsparadigma der ›Sozialdisziplinierung‹ und der ›militärischen Revolution‹. Ausschlaggebend für die Konstitution und Restitution der Militärtheorie im 16. und 17. Jahrhundert ist vielmehr die Traditionsforschung. Der Transfer oder die Rezeption von Militärtheorie umfasst neben der Traditionsaneignung antiker Militärliteratur, den Transfer von der philologischen Gelehrtenpraxis in die politisch-strategische Praxis oder die Truppenpraxis, den Transfer von einem noch kaum gefestigten militärisch-politischen System in ein weiteres. Statt die kulturelle Diffusion militärischer Reformen anzunehmen, müssen vielmehr sich ablösende Reformansätze, deren kulturelle Akzeptanz oder Verwerfung im Rahmen eines sich wandelnden kriegsund strategiegeschichtlichen Kontexts angenommen werden. Dies berührt vor allem Fragen von Deutungshoheit, politischer Macht, Herrschaftsgefügen und Herrschaftsmustern über die Realisierung politisch-

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process.« Grafton bezieht sich bei dieser These auf einen Artikel von Arnaldo Momigliano, L’eredita` della filologia antica e il metodo storico, Rivista storico italiana, 70 (1958), S. 442–58. Weder Roberts, Parker, Lynn, Hahlweg, noch Parrott leisten eine Erfassung des handschriftlichen militärtheoretischen Textcorpus, eine Rekonstruktion der textgeschichtlichen Zusammenhänge, eine editionsgeschichtliche Erfassung der Militärliteratur oder eine Erhellung der biographischen Hintergründe der Autoren der Militärliteratur und eine philologisch-kritische Aufarbeitung der Militärliteratur sowie deren Traditionszusammenhänge; vgl. Herve´ Coutau-Be´garie: Traite´ de Strate´gie, Paris 42003 (11999), S. 176: »Il n’en manque pas beaucoup pour que l’on soit en pre´sence d’une pense´e strate´gique ve´ritablement constitue´e. Pourtant, celle-ci n’e´clora pas au sie`cle suivant. Sans aller jusqu’a` parler de re´gression, ce que nous interdit l’e´tat tre`s embryonnaire de la recherche (le XVIIe sie`cle n’est pas mieux connu, peut-eˆtre meˆme encore moins connu, que le XVIe), on doit ne´anmoins constater qu’une approche plus technique, plus e´troitement tactique, semble dominer au XVIIe sie`cle.« Vgl. Beatrice Heuser: Den Krieg denken. Die Entwicklung der Strategie seit der Antike, Paderborn 2010.

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strategischer Konzeptionen und militärpolitischer Reformen. Militärtheorie muss jeweils in ihrem praktischen und ideologischen, in ihrem militärisch-strategischen und kulturellen Kontext herausgearbeitet werden. Dazu braucht es weiterer Detailstudien, die die Militärtheorie der Epoche weniger im Zusammenhang von Heeres- und Staatsbildung verorten, sondern stärker die jeweiligen politischen Kulturen, Herrschaftsordnungen und -formen berücksichtigen. Es sind dann allenfalls Aussagen über eine über Vernetzungen identifizierbare und sich mit politischer Rhetorik und Partikularinteressen verbindende intellektuelle Kultur in einem bestimmten politisch-strategischen Kontext möglich. Die Rezeption eines militärpolitischen Modells in Frankreich, das haben die methodischen Ausführungen deutlich gemacht, würde zu kurz greifen. Erst in der Verbindung von politischer Ideengeschichte und militärtheoretischer Traditionsgeschichte wird die Nachzeichnung eines kulturellen Transfers taktischer und strategischer Theorien ›in context‹ möglich. Von einer neuen politischen Auffassung des Humanismus und des Späthumanismus gehen wir nun zur militärtheoretischen Tradition im Späthumanismus über.

2. Die militärtheoretische Tradition im Späthumanismus Wenngleich es über die Verbindung von Humanismusforschung und Militärgeschichte weder einen Forschungsüberblick noch eine eingehende theoretische Reflexion gibt, liegen einige jüngere Arbeiten vor, die einen interdisziplinäre Zugriff suchen. Der kulturelle Transfer militärischer Theorien erfolgte wesentlich im Rahmen des Humanismus,30 der 30

Die Humanismusforschung im engeren Sinne hat sich bislang kaum der militärischen Komponente des Humanismus oder des ›militärischen Humanismus‹ – ein Begriff der zu problematisieren sein wird – angenommen: vgl. Hans Baron: The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in the Age of Classicism and Tyranny, 2 Bde., Princeton 1955; – Humanistic and Political Literature in Florence and Venice at the Beginning of the Quattrocento, Cambridge 1955; Paul Oskar Kristeller: The Classics and Renaissance Thought, Cambridge, Mass. 1955; – Studies in Renaissance Thought and Letters, Rom 1956; – Humanismus und Renaissance. Hg. v. Eckhard Keßler, 2 Bde., München 1973; Eugenio Garin: Medievo e Rinascimento. Studi e ricorde, Florenz 1954; Arnaldo Momigliano: The Classical Foundations of Modern Historiography, Berkeley-Los Angeles-Oxford 1990; Anthony Grafton nimmt sich marginal dieses Themas an; James Hankins (Hg.): Renaissance civic humanism: reappraisal and reflections (Ideas in context, 57), Cambridge et al. 2000. Aus dem Ansatz des in der Forschung nicht unumstrittenen ›Bürgerhumanismus‹ (›civic humanism‹), der von Hans Baron 1628 geprägt wurde, sind die Arbeiten von Charles C. Bayley (War and Society in Renaissance Florence, 1961) und Jan Metzger (Die Milizarmee im klassischen Republikanismus, 1999) hervorgegangen. Einzig Anthony Grafton liefert mit sei-

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gleichermaßen ein konzeptuelles Medium des Kulturtransfers und ein sozialer Kontext war.31 Dass sich die Humanismusforschung,32 abgesehen von einzelnen Ausnahmen, kaum der militärtheoretischen Traditi-

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nem Artikel zu Scaliger Wegweisendes für die vorliegende Studie: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, JWCI, 42 (1979), S. 193f.; – Portrait of Justus Lipsius, American Scholar, 56, 3 (1987), S. 382–390. Ausführlich zur jüngeren Humanismusforschung s. Gerrit Walther: Funktionen des Humanismus. Fragen und Thesen. In: ders., Thomas Maissen (Hg.), Funktionen des Humanismus. Studien zum Nutzen des Neuen in der humanistischen Kultur, Göttingen 2005, S. 9–17; S. 11: »Vielmehr beruhte die Wirkung des Humanismus gerade darauf, daß sich in ihm unterschiedliche Ideen und Bestrebungen in je spezifischen, neuartigen Kombinationen verknüpften: soziale Attitüden (wie Eleganz, Freundschaft, elitäre Abgrenzung), ästhetische Ideale (wie klassisch schöne Latinität) und gelehrte Verfahren (wie historisch-philologische Kritik). Es gab also keine fertige humanistische Doktrin, die jeweils in die Praxis ›umgesetzt‹ worden wäre. Vielmehr realisierte sich Humanismus ausschließlich als Praxis und kann daher nur als solche beschrieben werden. Kurz: historisch betrachtet ist Humanismus die Summe seiner Funktionen.«; Ebd. S. 17; Thomas Maissen: Schlusswort. Überlegungen zu Funktionen und Inhalt des Humanismus. In: ders., Gerrit Walter, Funktionen des Humanismus, S. 397: Humanismus wird als Nutzbarmachung intellektueller Techniken in zweierlei Hinsicht analysiert, so Maissen: »einerseits für wissenschaftliche Disziplinen oder öffentliche Wirksamkeit, andererseits für den persönlichen gesellschaftlichen Aufstieg.« Sich von Walther abhebend, hebt Maissen die sinnstiftende Funktion des Humanismus hervor, S. 398: »[…] daß sich der Erfolg des Humanismus nicht allein durch seine Funktionen erklären läßt, sondern eben doch auch mit seinen Inhalten zusammenhängt, so schwer sie auf einen Nenner zu bringen sind.«; Ebd., S. 402: »[…] die Kategorie ›Funktion‹ scheint mir gleichwohl nicht genügend, um das Wesen des Humanismus zu definieren. Mit ›Wesen‹ ist dabei nicht an eine Epoche sub specie aternitatis gedacht, sondern an historiographische Erklärungen dafür, daß eine Bildungsbewegung sich Bahn brach, sich […] europaweit gegen die Konkurrenz durchsetzte und sich schließlich überlebte, so daß sie nur noch in ihren formalen Errungenschaften weiter gepflegt wurde, als Mittel zum Zweck, aber nicht mehr mit dem ursprünglichen Impuls dialogischer Weltaneignung und gelehrtenrepublikanischer Sinnstiftung, mit dem Selbstzweck der Ausbildung umfassender Menschlichkeit.« Die militärische ›Funktion‹ des Humanismus wird auch in diesem Band nicht aufgegriffen. Eine Übersicht über den Humanismusbegriff der Humanismusforschung vgl. Rüdiger Landfester: Historia magistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts, Genf 1972, S. 17ff.: Landfester unterscheidet ein an der hegelschen Geschichtsphilosophie orientiertes philosophisches Humanismusverständnis, die Verbindung neuhumanistischer Wertschätzung der Antike mit christlich-katholischem Humanitätsideal (G. Toffanin, A. Renaudet, G. Müller), von einem tendenziell sozialgeschichtlichen Ansatz: 1. Humanismus als bürgerliche Ideologie (historischer Materialismus), in Abgrenzung davon A. von Martin (1931) mit seiner ›Soziologie der Renaissance‹, P. O. Kristeller, der von der Philosophiegeschichte herkommt, den Humanismus aber von der Renaissancephilosophie abhebt und diesen als »eine von einem breiteren städtischen Publikum getragene und von einer Schicht von professionellen Bildungsfunktionären repräsentierte pädagogische und literarische Bewegung« (S. 24) bezeichnet, Hans Baron, der im frühen Florentiner Humanismus ausgesprochen politische Züge (praktische Philosophie führt zu praktischer Ethik) diagnostiziert und festhält, dass sich diese

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onsaneignung im Humanismus – wir nehmen Abstand von der Begrifflichkeit des ›militärischen Humanismus‹, den Fre´de´rique Verrier als ein ›organisches Wertesystem‹ fasst33 – der Verbindung militärischer Theorien und Humanismus angenommen hat, gilt insbesondere für den sich von der Mitte des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts erstreckenden Späthumanismus.34 Für den vorliegenden militärisch-theoretischen Komplex im nordwesteuropäischen Späthumanismus gilt die in der Antike und in der Renaissance mit einer starken praktischen Tendenz auftretende Idee, dass ein systematisches Studium des Krieges mittels historischer Beobachtung, Selektion erfolgreicher Organisationsformen und der Imitation von Stratagemen möglich sei.35 Antoine Coron spannt den Bogen militärtheoretischer Traditon von Vegetius zu Turenne: Die Bindeglieder seien die Arte della guerra von Niccolo` Machiavelli und die Traktate von Justus Lipsius.36 Damit zeichnet Coron die großen Linien nach; doch die Modalitäten des kulturellen Transfers, die zwischen empirischer Strategiewissenschaft und politischem Antiquarianismus anzusetzen sind, spart er aus.

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geistige Interessenlage besonders mit innen und außenpolitischen Problemen verband. Ihn interessiert die politisch engagierte Spielart des Humanismus, der civic humanism in der Terminologie Barons. Vgl. Fre´de´rique Verrier: Les armes de Minerve. L’Humanisme militaire dans l’Italie du XVIe sie`cle, Paris 1997, die den Begriff des ›militärischen Humanismus‹ verwendet; s.a. Wolfang Reinhard: Humanismus und Militarismus. Antike-Rezeption und Kriegshandwerk in der oranischen Heeresreform. In: Franz Josef Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus (Mitteilung XIII der Kommission für Humanismusforschung – Acta Humanoria, 13), Weinheim 1986, S. 185–204. Besonders in der Literatur zum Späthumanismus findet dieser Themenkomplex, d. h. die Vernachlässigung der militärtheoretischen Schriften in der Humanismusforschung, kaum Beachtung. Vgl. Peter N. Miller: Peiresc’s Europe; Notker Hammerstein, Gerrit Walther (Hg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000; Axel E. Walter: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims (Frühe Neuzeit, 95), Tübingen 2004, v. a. S. 7ff.: ›Zum Begriff des Späthumanismus: Umrisse einer Epoche‹. Vgl. Azar Gat: The Origins of Military Thought. From the Enlightenment to Clausewitz, Oxford 1989, S. 1; vgl. ebd.: Die Militärtheorie war demnach einfach eine Synthese der besten militärischen Modelle der bekannten kulturellen römischen oder griechischen Vergangenheit; vgl. ebd., S. 2: In der Renaissance strebte Machiavelli nach einer Synthese der gesamten militärischen Erfahrung von der Antike bis zu den Entwicklungen des Spätmittelalters. Antoine Coron: Juste Lipse, juge des pouvoirs politiques europe´ens a` la lumie`re de sa correspondance. In: The´orie et pratique politiques de la Renaissance (XVIIe colloque international de Tours 1974) (De Pe´trarque a` Descartes, 34), Paris 1977, S. 452.

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A) Empirische Strategielehren und (politischer) Antiquarianismus Anstatt daher die Militärtheorie in der Komplementarität von kulturellem Muster der Renaissance und militärischer Revolution zu positionieren, gilt es ein heterogenes Modell militärischer Transformations- und Umwertungsprozesse anzunehmen, das sowohl mit einer Infragestellung des Renaissance-Paradigmas einhergeht,37 als auch eine Fortschrittsgeschichte der Taktik komplementär zur Entwicklung moderner Handfeuerwaffen38 wenn nicht revidiert, so doch beträchtlich relativiert. Die kulturelle Genese, der Transfer und die Funktionalisierung von Militärtheorie in einem selbstreferenziellen kulturellen System, d. h. politisch37

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Vgl. Neill: Ancestral Voices, S. 520: Das Renaissance-Paradigma vermag nicht zu überzeugen, wenn man die Hypothese der militärischen Revolution vor derjenigen der militärischen Evolution annimmt. Im Licht der Geschichte der europäischen Konflikte zwischen dem Niedergang des Römischen Reiches und dem Aufstieg der absolutistischen Monarchien, würde es scheinen, dass die militärischen Entwicklungen des Zeitalters der Aufklärung eher das Ergebnis des normalen Gangs der militärischen Innovation und der der Innovation gegenläufigen Tendenzen – kurz, einfache evolutionäre Anpassung – als einer plötzlichen und gewaltigen Veränderung, die der Wiederentdeckung des militärischen Genius der Antike geschuldet ist; ebd., S. 515: Nicht die bewusste Imitation ist ausschlaggebend, sondern die Methode selbst gründet auf etwas Tiefergehendem und Dauerhafterem, das unabhängig von den technischen Veränderungen ist. Neill geht von zeitbedingten und von ideengeschichtlichen Faktoren losgelösten, gleichsam metahistorischen militärischen Methoden aus. Dieser Ansatz stellt die Kompatibilität einer bestimmten Theorie mit bestimmten strukturgeschichtlichen Gegebenheiten, aber auch den generellen ideengeschichtlichen Rahmenbedingungen in Frage. Vgl. auch den epistemischen Standpunkt von Everett Wheeler (1988), S. 7: »Is it possible to find a suitable basis of comparison between ancient and modern warfare and, if so, would the degree of continuity thus proven not permit some assertion of the continued relevance of ancient military history to the study of war? The school of change, however, occupies a strong position, since the rejection of ancient military history as the result of technological advances cannot be easily denied. In contrast, the school of continuity often offers plausible but highly subjective interpretations on isolated points. An explicit, detailed, and objective case for continuity has never been presented. The following study seeks, first, to work out a methodology providing a suitable basis of comparison between ancient and modern warfare – one avoiding the hurdle of technological change, while demonstrating the case for continuity – and, second, to offer a modest plea for the continued relevance of the study of ancient military history.« Vgl. Max Jähns (GdKW) und Hans Delbrück (GdKK); Rainer Leng: Ars belli. Deutsche taktische und kriegstechnische Bilderhandschriften und Traktate im 15. und 16. Jahrhundert, Bd. 1: Entstehung und Entwicklung (Imagines Medii Aevii, 12, 1), Wiesbaden 2002, S. 13: »Ihn [Jähns] interessierten Aspekte wie Herkunft, sozialer Rang und Bildung der Autoren, kodikologische Eigentümlichkeiten, Entstehungszusammenhänge, Publikum sowie Handschriften- und Bibliotheksgeschichte gar nicht oder nur peripher. Im Vordergrund stand allein die Aussagefähigkeit der Texte und Bilder für eine Dokumentation des Fortschritts der Kriegswissenschaften. Mit einem solchen Ansatz genügte Jähns natürlich jeweils die Besprechung eines einzigen Textzeugen auch aus größeren überlieferungsgeschichtlichen Komplexen.«

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konfessioneller und wissenschaftlicher Kulturen im Späthumanismus, sind in den Vordergrund zu rücken. Dabei sind die Frage des historischen Gegenwartshorizonts, die Abwägung von Altem und Neuem, welche zum methodischen Arsenal eines Späthumanisten zählte, und die methodisch-politische und -strategische Bedeutung zu berücksichtigen. Die bereits in der diplomatischen Praxis und der politischen Lehre Machiavellis gebündelte empiristische Strategiewissenschaft spielt eine weit bedeutsamere Rolle als die Rezeption eines militärpolitischen Reformmodells – sei es das einer Bürgermiliz oder das eines stehenden Berufsheeres – durch Militärreformer und/oder Fürstenstaat. Auch zielt die vorliegende Studie nicht darauf, den ›militärischen Humanismus‹ als ein ›organisches Wertesystem‹39 zu erschließen. Vielmehr sahen sich die Gelehrten und Militärs in einen sich verändernden strategisch-politischen Kontext oder ›Gegenwartshorizont‹40 eingebunden. Dem begegneten sie mit Wissensbildung durch Sammlung der Überlieferungen und mit Reflexion von Traditionsbeständen und -mustern, ein Phänomen, das sich als (politischer) Antiquarianismus fassen lässt. Stärker ist der militärtheoretischen Traditionsaneignung und deren Einbindung in sich ausdifferenzierende Wissenskulturen/-ordnungen im Späthumanismus nachzugehen, trat doch die historisch-philologische Kultur als Leitkultur bzgl. politischer und militärischer Methodenlehren auf. Im Späthumanismus verdichtete sich der militärtheoretische Transfer auf dem Hintergrund diverser Aneignungsmethoden antiker Tradition. Die Differenzierung in eine »polyhistorisch-antiquarische« und eine »politisch-prudentistische Rezeption«41 eignet sich nicht um die 39

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Verrier: Les armes de Minerve, S. 227: »L’humanisme militaire constitue […] un syste`me de valeurs organique impliquant aussi bien une e´thique qu’un esthe´tique militaires, une the´orie qu’une pratique de la guerre.« Vgl. Luise Schorn-Schütte: Politische Kommunikation als Forschungsfeld, S. 14: Schorn-Schütte verweist auf die Debatte darüber, ob es so etwas wie zeitgenössische Denkrahmen im Sinne zeitbezogener Wissens- und Politikhorizonte gegeben hat. Die italienische Forschung der fünfziger Jahre habe diese Frage bereits aufgegriffen, die Ergebnisse aber seien nicht ausreichender rezipiert worden; vgl. Cornel Zwierlein: Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland, München 2007; vgl. V. de Caprariis, Propaganda e pensiero politico in Francia durante le guerre di religione (1559–1572), Neapel 1959. Robert Seidel: »Europa Humanistica« – Anmerkungen zum aktuellen Stand eines großen internationalen Forschungsprojektes, Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, im Auftrag des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung. Hg. v. Jürgen Leonhardt, 30, 2 (2006), S. 120–137; S. 130: »Die Späthumanisten der Generation Gruters waren nicht anders als die französischen Humanisten der Zeit um 1500 an der Entdeckung unbekannter Textzeugen interessiert, doch scheint bei letzteren der ›Aspect mate´riel‹ (Helle´nistes I, S. XIV) der Handschriften und die Tendenz ›a` personnifier les manuscrits‹ (ebd., S. XV) noch stärker im Sinne der

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Breite der militärwissenschaftlichen Antikerezeption zu erfassen. Neben den, in einen Gegenwartshorizont eingebundenen, empirischen Strategielehren ist nach der politischen Funktion eines militärisch-politischen Antiquarianismus – das politische Denken wird hier anhand der antiquarischen Praxis (J. G. A. Pocock) nachgezeichnet42 – zu fragen. Wenngleich auch die Begründung der Staatspraxis, wie C. G. Roelofsen betont, in Kontinuitäten zu vorhergehenden Epochen gedacht wurde,43 so

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Frührenaissance ausgeprägt zu sein. Gerade die Helle´nistes dieser Zeit, die das Griechische noch von spätbyzantinischen Gelehrten direkt erlernt hatten, sahen sich am Beginn einer neuen Epoche, in der es die Barbarei zu überwinden galt. […] Demgegenüber deuten sich Ende des 16. Jahrhunderts bei allem weiterhin zur Schau getragenen Pathos des ›glücklichen Entdeckers‹ doch Verschiebungen einerseits zu einer polyhistorisch-antiquarischen, andererseits zu einer politisch-prudentistischen Rezeption der antiken Texte an, womit – bei Gruter und Freher ist das überdeutlich zu sehen – auch eine Verlagerung der berücksichtigten Autorenschwerpunkte einhergeht. / (S. 130) Zentrale, immer wiederkehrende Themen in den Paratexten der französischen Humanisten sind die Ermittlung und kritische Auswertung handschriftlicher Zeugnisse sowie das Problem der Übersetzung aus dem Griechischen (in der Regel ins Lateinische).«; S. 133: »Für den dankbaren Benutzer dieser reichen Quellenpublikationen bleibt indessen genug zu tun. Abgesehen von einer Auswertung der einzelnen Paratexte im Rahmen individueller Forschungsvorhaben wären auch übergreifende Fragen zu beantworten. Eine der spannendsten gilt sicherlich den – von den Bearbeitern nur angedeuteten, nun aber auf ausgezeichneter Quellenbasis zu studierenden – Binnenverschiebungen innerhalb des frühneuzeitlichen Wissenschaftsparadigmas. Des Weiteren wären die funktionalen Veränderungen innerhalb der Antikerezeption zu analysieren, die mit dem Gegensatz ›klassischer Humanismus: Bildung als selbständige Bewegung‹ vs. ›Späthumanismus: Bildung in Abhängigkeitsverhältnissen instrumentalisiert‹ doch etwas zu schematisch umschrieben wären.«; vgl. auch: Ulrich Muhlack, Art. ›Tacitismus‹. In: Der neue Pauly, Bd. 15/3, Stuttgart-Weimar 2003, Sp. 353–358. Bei John G. A. Pocock fasst der Begriff des Antiquarianismus zunächst die Rezeption feudaler Verfassung (The Ancient Constitution and the Feudal Law). Der Begriff des ›politischen Antiquarianismus‹ lehnt sich an Peter N. Miller an und hebt auf die Selbstreferenzialität der Gelehrtenrepublik ab, aber auch ihre Verweigerung gegenüber einer müßigen, selbstgenügsamen Gelehrtenkultur. Miller sieht den Stoizismus als verbindendes Moment späthumanistischer Gelehrtenkultur in Europa, speziell im Frankreich Peirescs. Er deutet den Neustoizismus jedoch im Unterschied zu Gerhard Oestreich nicht in erster Linie als eine politisch-militärische Ethik. Vgl. Miller: Nazis and Neostoics, S. 192, Anm. 2: »Momigliano’s essay appeared in the Journal of the Warburg and Courtauld Institutes in 1950 and was republished in his first Contributo alla storia degli studi classici (1955). It is to this volume, though not to this essay by name, that Pocock refers his readers (p. 7). The pages noted by Pocock were those in which Momigliano dealt with seventeenthand eighteenth-century discussions of method and evidence.« Vgl. Cornelis G. Roelofsen: Grotius and State Practice of his day. Some remarks on the place of De Jure Belli ac Pacis within the context of seventeenth-century ›Christendom‹ and the role of contemporary precedents in Grotius’ works, Grotiana, 19 (1989), S. 4f.: Im 16. und frühen 17. Jh. hatte die ›Staatspraxis‹ eine von der in späteren Zeiten unterschiedene Bedeutung. Geschichte wurde einfach als Kontinuum gedacht, das nicht durch chronologische oder ideologische Kriterien begrenzt wurde. Grotius und seine Zeitgenossen hatten eine mittelalterliche Vor-

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

ist – insbesondere auch im Hinblick auf die Strategietraktate und die militärtheoretischen Lehren – die Einbindung in einen militärisch-strategischen Gegenwartshorizont oder in einen kulturellen Kontext bedeutsam. Die Feuerwaffen-Revolution scheint weniger prägend für die Konstitution und den Transfer von Militärtheorie als die Entwicklung historisch-philologischer Kritik und die Ausbildung und Ausdifferenzierung der Archive des Herrschaftswissens gewesen zu sein. Neben den Zitierzusammenhängen späthumanistischer Philologenkultur und der theoretischen Genese der humanistischen taktischen und strategischen Theorie ist deren Bindung an den begrifflich-konzeptuellen Wandel der Grammatik politischer Sprachen und die Pluralisierung, Ausdifferenzierung politischer Methodenlehren herauszustellen.44 Für den Späthumanismus gilt, was für den Humanismus im Allgemeinen gilt, nämlich, dass, wie Ulrich Muhlack hervorhebt, »zwischen der humanistischen Auslegungsweise als einer bestimmten Denkfigur und dem Humanismus als einer selbständigen Bewegung, die diese Auslegungsweise und damit diese Denkfigur programmatisch verkündet«,45 differenziert werden kann. Im Fokus auf dem (politischen) Antiquarianismus kommt zum Ausdruck, dass die Gelehrten nicht in erster Linie von den technischen Möglichkeiten der Ereignisse ausgingen, sondern die theoretischen Grundlagen für die strategische Praxis und Herrschaftspraxis bereitstellten. Sie partizipierten auch am allgemeinen politischen, konfessionellen und irenischen Denken. Die Pragmatik des Humanismus transzendierte die sachlichen Zwänge der Kriegsgeschichte, partizipierte aber umso mehr an der politischen und theologisch-konfessionellen Kultur des Zeital-

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stellung, die erst durch die historische Kritik des späten 17. Jh.s überwunden wurde. Die ›Modernen‹ waren noch nicht den ›Alten‹ überlegen. Im Prinzip wurde zwischen ihnen keine Unterscheidung gemacht. Beispielsweise zwischen der Widmung von De Jure Belli ac Pacis an Ludwig XIII., ›der Gerechte‹ und den ›exempla‹ aus der Biographie Joinvilles des Lebens Louis IX bestand für Grotius keineswegs Unvereinbarkeit, sie stützten sich vielmehr gegenseitig in der moralischen Zielsetzung und demonstrierten, dass es als Fürstenspiegel betrachtet werden konnte. Grotius’ Bestreben ein Recht, das auf die Praxis von »Herrschern und unabhängigen Nationen« angewandt werden konnte oder in seiner eigenen Begriffsgeschichte, hatte eine Bedeutung, die von der späterer Autoren wie Textor (1680) und natürlich Bynkershoek differierte. Ich möchte hier herausstreichen, dass der Bezug auf historisch-politische Sprachen (Pocock, Skinner) nicht hinlänglich ist, um die Theoriebildung im Kontext strategiepolitischer Debatten zu fassen. Vgl. die Kritik von Mark Bevir: Geist und Methode in der Ideengeschichte. In: Martin Mulsow, Andreas Mahler (Hg.), Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte (stw, 1925), Frankfurt a. Main 2010, S. 208. Ulrich Muhlack: Der Tacitismus – ein späthumanistisches Phänomen? In: Notker Hammerstein, Gerrit Walther (Hg.), Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000, S. 177.

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ters. Die Stoa-Rezeption stellte, wie Peter N. Miller herausgearbeitet hat, eine Dispositon der zivilen Kommunikation bereit.46 In dieser wurde die Ausbildung, die Koexistenz, wenn nicht gar die Komplementarität diverser, an unterschiedliche Traditionen anknüpfende militärischer Lehren ermöglicht. Zwischen (politischem) Antiquarianismus47 und empirischer Strategielehren differenzierten sich im Späthumanismus die militärtheoretischen Wissensordnungen aus. Die sich in der Regel im Anschluss an den ›strategischen Typus‹ Machiavellis diversifizierenden Methoden und Lehren der Feldherrnkunst bildeten sich im Späthumanismus in unterschiedliche Wissensordnungen aus; dazu trug wesentlich die Gelehrtenkultur im Späthumanismus bei, die bislang durch eine Fokussierung auf den Komplex der ›oranischen Heeresreform‹ weitgehend abgekappt worden war. B) Texttradition und Wissensordnungen im Späthumanismus Gegen die auf der Methode der Sachkritik gründende Analogisierung von Strategiekomplexen, die die Militärhistorie Hans Delbrücks bestimmte und von Martin Hobohm in der Treffentaktikthese in Analogie zu Staatsbildungsprozessen aufgegriffen wurde, gilt es nicht nur den Ansatz einer politisch-militärischen Ideengeschichte ›im Kontext‹ zu verfolgen, sondern auch die philologischen Texttraditionen im Zusammenhang sich pluralisierender und ausdifferenzierender Wissensordnungen im Späthumanismus darzulegen. Gerade die jüngere Forschung zur humanistischen Gelehrsamkeit im Allgemeinen und zu den Wissensordnungen, zu den Lehren und den Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit im Besonderen, wie sie Anthony Grafton, Wilhelm Schmidt-Biggemann, Merio Scattola, Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow hervorgebracht haben,48 hebt auf die Traditionen und die Ord46

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Peter N. Miller: Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century, 2000; ders.: Nazis and Neostoics, S. 144–186. Miller kritisiert den wehrgeschichtlichen Hintergrund der Studien zum Neustoizismus bei Gerhard Oestreich und kontrastiert diesen mit den Arbeiten von Arnaldo Momigliano. Christian Jouhaud hat allerdings zu Recht angemerkt, dass Miller die politisch-praktisch, auch die militärisch-strategische und diplomatische antiquarische Praxis ausblendet. Vgl. Christian Jouhaud, Rezension von ›Peter N. Miller, Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century‹, Annales. Histoires, Sciences Sociales, 56, 4–5 (2001), S. 1073–1075. Auf S. 1075 weist Jouhaud darauf hin, dass sich in Peirescs Papieren tausend Seiten zur Angelegenheit im Veltlin finden. Vgl. zum Begriff des ›politischen Antiquarianismus‹ neben Peter N. Miller (Peiresc’s Europe, S. 76ff.) Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2007, S. 143: ›Netzwerke gegen Netzwerke. Polemik und Wissensproduktion im politischen Antiquarianismus um 1600‹. Vgl. Merio Scattola: Krieg des Wissens – Wissen des Krieges. Konflikt, Erfahrung

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nungen gelehrten Wissens im 16. und 17. Jahrhundert ab. Von diesen Vorgängen bleibt auch die militärtheoretische Traditionsaneignung nicht unberührt. Der Blick auf die (historisch-)philologische Traditionsaneignung respektive Textrezeption im Späthumanismus verweist auf eine Pluralisierung der Wissensordnungen in der späthumanistischen Gelehrtenkultur. Diese zeichnet sich durch die intertextuell integrierende Rolle der ›Methodenautoren‹ Vegetius und Polybios aus. Gerade als ›Methodenautoren‹ erlangen Vegetius und Polybios eine die diversen militärtheoretischen Texttraditionen integrierende Funktion: Der Historiker Polybios half v. a. die griechisch-byzantinischen Taktiker (in eine Formenlehre der römischen militia) zu integrieren; der Epitomator Vegetius hingegen stellte den heuristischen Rahmen, eine camera, für eine ciceronianische auf einer Buchsammlung gründenden Militärtheorie und die knowledgemaker-Tradition, das Wissen der artes bereit. Auf diesem Hintergrund ist die Polemik zwischen Hans Delbrück und Johannes Kromayer über die Relevanz von Sach- oder Wortkritik in der Historie von Taktik und Strategie überholungsbedürftig, lässt sie doch die Traditionsaneignung und methodische Vermittlung von Taktik, Kriegskunst und Strategie in deren wissens- und philologiehistorischen Kontexten außer Acht. Johannes Kromeyer hatte die Methode der Sachkritik angegriffen, da sie nicht selten von dem tatsächlichen Inhalt der Originaltexte abweicht.49 Zwischen Delbrück und Kromeyer traten Differenzen nicht nur im Hinblick auf die Begriffe der Ermattungs- und Niederwerfungsstrategie50 auf, die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in dem sogenannten Strategiestreit gipfelte,51 sondern auch im

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und System der literarischen Gattungen am Beginn der Frühen Neuzeit, Padua 2006; Anthony Grafton, Lisa Jardine: Northern Methodical Humanism. From Teachers to Textbooks. In: dies. (Hg.), From Humanism to the Humanities. Education and the liberal arts in fifteenth- and sixteenth-century Europe, Cambridge, Mass. 1986, S. 122–157; Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica Universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983; Helmut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit, 64), Tübingen 2001. Johannes Kromayer: Vergleichende Studien zur Geschichte des griechischen und römischen Heerwesens, Hermes, 35 (1900), S. 242: »Wer es aber vorher noch nicht wußte, daß wir Modernen in dem tiefsten Dunkel herumtappen, wenn wir uns diesen Dingen nach sogenannten ›sachlichen‹ Gesichtspunkten vorgehend unseren Vermuthungen Raum geben, der kann es an dieser gewiss eigenartigen und lükkenlosen chromatischen Scala mit Händen greifen.« Karl Christ: Einleitung, S. xiii: »So setzte Johannes Kromayer Delbrücks Definition von Niederwerfungs- und Ermüdungsstrategie eine modifizierte eigene entgegen, die es ihm zugleich erlaubten, an seiner alten Auffassung des Epameinondas als eines Niederwerfungsstrategen festzuhalten, wobei er ausdrücklich einräumte, daß er diesen Begriff in ganz anderer Weise verstehe als Delbrück selbst (Vgl. Heerwesen und Kriegsführung, S. 148).« Hans Delbrück (Zu Kromayers neuer Theorie der Strategie) unterzog in: HZ, 132

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Hinblick auf die Methoden der Textinterpretation. In der Altertumswissenschaft klang in der Generation von Delbrück und Kromeyer noch immer die seit August Boeckh (1785–1867)52 entfesselte Auseinandersetzung zwischen reiner ›Sprachphilologie‹ (G. Hermann et al.) und ›Sachphilologie‹ nach.53 Für seine Rekonstruktion der Vorgänge und Entwicklungen stützte sich Delbrück neben der Interpretation der antiken Quellen in erster Linie auf das Studium der »sachlichen Bedingungen« und der »technischen Möglichkeiten der Ereignisse«, d. h. auf die »Sachkritik«, die seither zu einem festen Begriff der allgemeinen wissenschaftlichen Terminologie geworden ist.54 Da es sich beim Humanismus und beim Späthumanismus im Besonderen selbst um ein weit komplexeres kulturhistorisches Phänomen handelt, ist von der Projektion eines ›Sachverstandes‹, einer ›Sachkritik‹ in die Akteure55 Abstand zu nehmen. Die Mannigfaltigkeit der militärtheoretischen Arbeiten der Philologen und Antiquare im Späthumanismus verschließt sich den Kriterien Delbrückscher Sachkritik und damit der Analogisierung von Strategiekomplexen. An die Stelle der Sachkritik, die sich der technischen und sachlichen Voraussetzungen der Ereignisse annimmt, tritt die von den allgemeinen Pluralisierungstendenzen im Späthumanismus erfasste binnenkritische Struktur humanistischer Netzwerke und theoretischer Verwerfungen. Die Militärtheorie wandelte sich in Abhängigkeit von den humanistischen Methoden, Wissensordnungen (artes liberales, studia humanitatis, ars historica, historia literaria) sowie den Wissensformen und Gattungen (Lehrbuch, Kompendium, Kommentar, Syntagma, Manual).56

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(1925), S. 447–449 Kromayers Theorie der Strategie seiner Kritik, worauf letzterer in: HZ, 132 (1925), S. 449f. antwortete. Kromayer untersuchte in der Viertelj.Schrift f. Sozial- und Wirtschaftsgesch., 31 (1925), S. 393–408 die Frage: »Waren Hannibal und Friedrich der Große wirklich Ermattungsstrategen?« mit deutlicher Spitze gegen die Anschauungen Delbrücks. 1877 erschien August Boeckhs Enzyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften nach seinen Vorlesungen. Hg. v. Bratuscheck (21886 von Klußmann). Karl Christ: Einleitung, S. iii; vgl. auch: Helmut Coing: Die juristische Auslegungsmethode und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, Köln-Opladen 1959, S. 15: »die Auslegung aus der Sachbedeutung, das, was Schleiermacher in seiner Hermeneutik die technische Auslegung genannt hat. Dieser Auslegungskanon geht von der Einsicht aus, daß jedes sprachliche Werk auf der einen Seite eine innere Form, eine innere Struktur hat und auf der anderen Seite auf einen jenseits des sprachlichen Ausdruckes stehenden inneren Sachzusammenhang hinweist.« Ebd., S. iv. Nach Hans Delbrück und Martin Hobohm beschritt vor allem Werner Hahlweg diesen Weg. In Bezug auf die jüngeren Arbeiten zu den sich ausdifferenzierenden Ordnungen des Wissens und der Methodenpluralisierung gilt, was für die Humanismusforschung im Allgemeinen gilt: Sie nehmen sich nicht der Militärtheorie in der Frühen

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Formen der institutionellen Bindung der Militärwissenschaft an Akademien oder deren militärpolitisch-institutionellen Bindung (Legion) spielten eine bedeutende Rolle in der Herausbildung eines spezifischen militärtheoretischen Corpus. Gab es einen Bruch in der Militärtheorie vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, so lag das an einem gewandelten didaktischen Impetus, der sich der Kriegspraxis zu nähern suchte und der sich auf gewandelte institutionelle Leitbilder beziehen konnte. Rainer Leng führt an, dass neben dem fehlenden Ort für Kriegswissenschaft im mittelalterlichen Wissenschaftssystem ein weiterer Grund für die schwache Ausprägung theoretischen Wissens um den Krieg auch im Gesellschaftssystem gefunden werden kann.57 Dies stellte sich, wie zu zeigen sein wird, im Späthumanismus anders dar: Der neue Rang der militärtheoretischen Vegetius- und Polybios-Rezeption weist auf eine ›doppelbödige‹ Wissenskultur hin; so ist eine Interdependenz von philologisch-historischer humanistischer Gelehrtenkultur und der ›neuen

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Neuzeit an. Vgl. Wolfgang Dickhut, Stefan Manns, Norbert Winkler (Hg.): Muster im Wandel. Zur Dynamik topischer Wissensordnungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, 5), Göttingen 2008; vgl. Wolfgang Detel, Claus Zittel (Hg.): Wissensideale und Wissenskulturen in der frühen Neuzeit. Ideals and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe, Conference on ›Ideals and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe: Concepts, Historical Background and Social Impact‹ (Frankfurt 2000) (Wissenskulturen und gesellschaftlicher Wandel, 2), Berlin 2002. Insbesondere die Ausbildung einer ›historia literaria‹ wird gerade im Hinblick auf die militärtheoretische Tradition im Späthumanismus in Anschlag zu bringen sein. Vgl. Frank Grunert, Friedrich Vollhardt (Hg.): Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007. Vgl. Ralph Häfner, Markus Völkel (Hg.): Der Kommentar in der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit, 115), Tübingen 2006; Hemut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit, 64), Tübingen 2001. Rainer Leng: Kriegslehren im Mittelalter zwischen Artes-Literatur, Enzyclopädie und Fürstespiegel, Vortrag vor der DFG-Forschergruppe ›Bild des Krieges‹ am 5.03.1999: http://www.uni-wuerzburg.de/kriegsbild/fg55.htm, S. 12: »Zwar kannte das Mittelalter zu allen Zeiten eine ganze Reihe ausgesprochen kriegerischer Bischöfe und Äbte, die jedoch entweder gar nicht schriftstellerisch tätig waren, oder jedenfalls die literarische Beschäftigung mit dem Kriegswesen vermutlich auch aus befürchteter Erklärungsnot scheuten. Die sonstigen Träger und Vermittler des Wissens waren, ob in Kloster oder Universität, durchweg Kleriker, die nicht über kriegerische Erfahrungen verfügten, deren Sicht des Kriegswesens, wenn überhaupt, dann nur schwach ausgeprägt war. Erkannten diese dennoch im Rahmen ihrer literarischen Tätigkeit selten einmal die Notwendigkeit, Theorie und Taktik des Krieges zu behandeln, dann erfolgte eine nur mühsame Integration in vorhandene Gattungen unter strenger Bindung an die Auctoritates – was letztlich bedeutete, daß in diesen wenigen Fällen die einzig bekannten Autoritäten auf diesem Gebiet, nämlich der den realen Verhältnissen schon lange nicht mehr entsprechende Vegez herangezogen wurde. Von der anderen Seite her betrachtet, waren die tatsächlich in Kriegsdingen erfahrenen Herrschaftsträger des Mittelalters wiederum nicht interessiert und zumeist auch nicht literat genug, um ihr Wissen zu verschriftlichen.«

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Wissenschaft‹ zu verzeichnen. Die frühmoderne Wissenschaft veränderte sich, wie Noel Swerdlow, Vivian Nutton, Lynn Joy und Peter Dear zeigen, im 16. und frühen 17. Jahrhundert durch die systematische Verwendung der neu entdeckten klassischen Texte und Methoden.58 Die Geschichte des Humanismus ähnele daher stark der Wissenschaftsgeschichte. Auch sie machte eine Wandlung durch und leistete eine systematische Anstrengung zu den alten Methoden und Modellen zurückzukehren. Die Verbindungen zwischen Wissenschaft und Humanismus waren weitaus komplexer als es Bacon und Descartes suggerierten. Die zwei Kulturen, Humanismus und Wissenschaft, waren nicht eingebunden in den Konflikt, den die Pamphletisten der neuen Philosophie propagierten, sondern koexistierten und arbeiteten nicht selten zusammen.59 Der Humanismus ist sozial zunächst über den Begriff der respublica literaria zu fassen.60 Der Späthumanismus in den Niederlanden und Frankreich beschreibt einen gruppengeschichtlich identifizierbaren Zusammenhang und einen Forschungs- und Interpretationszusammenhang, dessen politische Deutungshoheit in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts keineswegs abnahm. Die Beraterfunktionen der Humanisten und deren Vernetzung sowohl untereinander als auch mit den staatlichen Funktionsträgern verdeutlichen dies. Das heißt, dass die Militärtheorie im Rahmen einer politischen Pragmatik strategisch-politisch und kulturgeschichtlich zu kontextualisieren und nicht ausschließlich strukturgeschichtlich zu kommentieren ist. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Militärtechnik und kulturelle Deutungsmuster stärker zu gewichten als dies bislang geschehen ist. 58

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Vgl. Anthony Grafton: Defenders of the Text. The Traditions of Scholarship in an Age of Science. 1450–1800, Cambridge-London 1999, S. 4f.; vgl. in dieser Hinsicht bereits bei Hahlweg und Delbrück eingeschlagene Wege. Martin Hobohm (Machiavellis Renaissance, 1913) liest die Militärtheorie Machiavellis, die in der Institution (1559) entwickelte Militärtheorie und De militia romana von Lipsius synoptisch und misst diese an der Delbrückschen Entwicklung von Treffentaktik, innerer und äußerer Entwicklung von Staaten sowie an den Kriterien des doppelpoligen Strategiebgriffs; jüngere Arbeiten zu einer philologischen Aufarbeitung des italienischen militärischen Humanismus und des militärischen Humanismus allgemein entstanden in Frankreich: Etienne Vaucheret: Le fait de la guerre, te´moignages et re´flexions de Jean d’Auton a` Monluc, The`se, Lettres, Paris IV (1977), Lille 1984; Verrier: Les armes de Minerve; Bruno Colson, Herve´ CoutauBe´garie (Hg.): Pense´e strate´gique et humanisme. De la tactique des Anciens a` l’e´thique de la strate´gie; J. D. Nordhaus: Arma et litterae. The Education of the Noblesse de Race in Sixteenth-Century France, Ph.D.,Columbia University 1974. Vgl. Grafton: Defenders of the Text, S. 4f. Zu Begriff und Semantik der ›respublica literaria‹ vgl. Marc Fumaroli: The Republic of Letters, Diogenes, 143 (1988), S. 129–152; Hans Bots, Franc¸oise Waquet: La Re´publique des Lettres, Paris 1997, S. 11–13; Franc¸oise Waquet: Les e´ditions de correspondances savantes et les ide´aux de la Re´publique des Lettres, XVIIe sie`cle, 178 (1993), S. 99–118; – Qu’est-ce que la re´publique des lettres? Essai de se´mantique historique, Bibliothe`que de l’E´cole des chartes, 147 (1989), S. 473–502.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Simon Stevin schreibt, dass das Geschütz (Artillerie) die Ursache dafür gewesen sei, dass nun weniger Feldschlachten stattgefunden hätten als zu Zeiten der Griechen und der Römer.61 Dennoch sind, wie im Verlauf der Abhandlung zu zeigen sein wird, die philologisch-sachlichen Kategorien von ordo und acies die zentralen Kategorien der Aneignung antiker militärtheoretischer Tradition. Obgleich die taktische Theorie sowohl der Humanisten als auch einer spezifischen Gruppe französischer Praktiker auf die Schlacht zielte – die machtpolitische Aufladung der Schlacht fand im Vorfeld des Eintretens Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg ihren Höhepunkt –, muss in praxi, folgt man Daniel, das römische Modell weniger in den Treffentaktiktheorien präsent gewesen sein, als in dem des Festungs- und Belagerungskrieges.62

3. Die Quellen Dass die Militärtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts im Rahmen der militärwissenschaftlichen Paideia des Humanismus zu kontextualisieren ist und damit in Abhängigkeit von geschichts- und politiktheoretischen Positionen sowie gelehrten Netzwerken und militärischen Handlungs61

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Simon Stevin: Materiae politicae. Burgherlicke Stoffen. Vervanghende Ghedachtenissen der Oeffeninghen des Doorluchtisten Prince Maurits van Orangie, &c. Gouverneur, Opperste Velt-Heer, Admirael-Generael vande Verenichde Nederlanden, &c. Beschreven deur Simon Stevin van Brugge, Superintendent van zijne Finance, Quartiermeester Generael van’t Leger, &c. En uyt sijn naegelate Hantschriften by een gestelt door Sijn Soon Hendrick Stevin, Heere van Alphen, van Schrevelsrecht, &c., Leiden, Adryaen Rosenboom, Schout tot Alphen, [ca. 1650] HAB 30.9 Pol., S. 259: »’t Gheschut vvort voor een oirsaeck ghehouden, datter nu vveynigher veltslaghen gheschieden, dan by tyden der Romeinen en Griecken ghebeurt syn. Maer ick ben daer af van ander ghevoelen, ’t vvelck bevesticht vvort mette vvatterslaghen, die by de Hollanders meer en vvreedelicker gheschiet syn, danmen bevint te vooren op soo corten tijt ghebeurt te vvesen, hoevvelmen nochtans het gheschut daer veel overfloedelicker ghebruyckt dan te velde, ghemerckt een schip alleen dickvvils meer grosgheschut op heeft, dan een grott legher na slepen can, ja meer dan in een groote vvelvoorsien Grentse stadt is.« Gabriel Daniel: Histoire de la milice franc¸oise. Et des changemens qui s’y sont faits depuis l’e´tablissement de la Monarchie franc¸oise dans les Gaules, jusqu’a` la fin du Re`gne de Louis le Grand, Amsterdam 1724, Bd. 1, S. 209: »Outre cette Re´flexion ge´nerale qui j’ai cruˆe ne´cessaire, pour qu’on n’exige pas de moi plus qu’il ne m’est possible de faire sur cette matie´re, j’en ferai encore une autre sur ce qui regarde les tems les plus reculez de noˆtre Histoire; c’est que la connoissance que nous avons de la Milice Romaine ne peut nous donner sur ce point autant de lumie´re qu’elle nous en fournit sur l’article des Sie´ges, ou` les Franc¸ois suivivrent assez la me´thode des Romains, soit pour les machines, soit pour les travaux, soit pour la manie´re d’attaquer & de de´fendre une Place: mais ils ne paroissent pas s’eˆtre si fort astreints aux meˆmes re´gles que suivoient les Romaines pour l’Ordonnance des Arme´es & pour les Batailles.«

3. Die Quellen

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zusammenhängen, der politischen Geschichte und der Kriegsgeschichte, bleibt nicht ohne Folgen für die Wahl der Quellen. Die Militärtheorie lässt sich aus diesem Grunde nicht auf die zum Zwecke der Truppenausbildung verfasste Handbuchliteratur reduzieren. Sie findet sich in diversen Quellengattungen. Neben die Exerzierreglements und Handbücher treten die gelehrte Korrespondenz, der humanistische Kommentar und die politiktheoretische Literatur. Jean Chagniot, der einen Versuch unternommen hat, die französische Militärtheorie der Frühen Neuzeit zu systematisieren,63 verweist auf zwei Möglichkeiten des Zugangs zur Kriegskunst respektive Militärtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts. Der manifestiert sich an zwei Quellentypen: Einerseits denjenigen, die sich vor allem auf die Ereignisse beziehen, d. h. narrative Werke wie Chroniken, Kompilationen, Memoiren und Autobiographien, andererseits die militärische Handbuchliteratur (manuels d’armement) und die Strategie-Traktate (traite´s de strate´gie), die es ermöglichen die Kriegskunst der Epoche zu rekonstruieren. Die Handbücher unterscheiden sich von den strategischen Abhandlungen dahingehend, dass letztere eine ›Sublimierung‹, eine Verbindung zwischen Politik und Militärtheorie oder, wie Hahlweg es formuliert, »die Relationen von Politik und Feldherrnkunst auf höchster Ebene«64 anstreben. Wie problematisch es ist, auf der Grundlage von Schlachtenschilderungen (Commynes, Monluc, Agrippa d’Aubigne´, Popelinie`re) das Arrangement der Truppen in der Schlacht und ihre Kampfweise zu rekonstruieren, hat schon P. Daniel beschrieben: die 63

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Jean Chagniot: Guerre et socie´te´ a` l’e´poque moderne (Nouvelle Clio. L’Histoire et ses proble`mes), Paris 2001, Kap. 12: ›Les e´crits militaires‹; vgl. auch das supra genannte aperc¸u von Parrott: Richelieu’s Army, S. 19–83. Während sich Chagniot der Problematik der Quellengattungen annimmt, folgt Parrott dem Begriff der Kriegskunst, den er folgendermaßen auffächert: Die französische Kriegskunst in der Theorie, die französische Kriegskunst in der Praxis, Belagerungskrieg. Vor Chagniot systematisierte Jähns die Militärliteratur in einem universalhistorischen Ansatz, wobei bestimmte militärisch-kulturelle Komplexe überzeichnet werden. Ältere Bibliographien: Johann Pohler: Bibliotheca historico-militaris, Kassel 1887–1899. Der älteste französische geschichtliche Abriss: Gabriel Daniel: Histoire de la milice franc¸oise et des changemens qui s’y sont faits depuis l’etablissement de la monarchie dans les Gaules jusqu’a` la fin du regne de Louis le Grand, 2 Bde., Paris 1721; s.a. The´odore Karcher: Les e´crivains militaires de la France, Brüssel 1866; E´douard Guillon: Nos e´crivains militaires. E´tudes de litte´rature et d’histoire militaires, premie`re se´rie: Des Origines a` la Re´volution, Paris 1898 [i.F.: Guillon, I]; Lionel Max Chassin (Hg.): Anthologie des classiques militaires franc¸ais. De Monluc a` Rougeron, Paris 1950; Fernand Schneider: Histoire des doctrines militaires, Paris 1957; Euge`ne Carrias: La pense´e militaire franc¸aise du Xe sie`cle a` 1958, Paris 1960. Werner Hahlweg: Einleitung. In: Henri Duc de Rohan, Le parfaict capitaine, 1636, Nachdr. Hg. v. Werner Hahlweg (Bibliotheca rerum militarium, 11), Osnabrück 1972, S. 14.

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Lage des Schlachtfeldes muss man dem einen entlehnen, dem anderen die Ordonnanz der Truppen und einem weiteren die Folge und Abfolge der Aktionen und der charges. Sie geben nicht immer die Gründe gewisser Bewegungen und bestimmter Dispositionen an, die gegenwärtig den Kennern dieser Materie außerordentlich erscheinen.65 Schwerer wiegt jedoch – das bleibt in diesem zweigleisig verfahrenden Schema, das die Militärtheorie einer Epoche über eine Analyse der Kriegskunst und die militärgeschichtlich-operationelle Ereignisgeschichte rekonstruiert wissen will,66 dass die ideen- und kulturgeschichtliche Perspektive ausgeklammert wird und die im Zusammenhang mit der strategischen Pragmatik einzuordnenden Quellengattungen unberücksichtigt bleiben. Entsprechend der gewählten historiographischen Position ist von einer Quellentypologie auszugehen, die im Zusammenhang mit den historisch identifizierbaren Entfaltungsräumen der Militärtheorie des Späthumanismus, den historiographischen Darstellungsmöglichkeiten, die sich aus den Quellengattungen ergeben, inhaltlich ergänzend auftretenden Quellengattungen, und der historiographischen Methode steht. Dabei spielt das oben skizzierte Forschungsparadigma eine entscheidende Rolle. Die Quellentypologie folgt folgenden Kriterien: den geschichtlich identifizierbaren Entfaltungsspielräumen von Militärtheorie, den Quellengattungen sowie der Quellentypologie, den historiographischen Darstellungsmöglichkeiten, die sich aus den Quellengattungen ergeben und schließlich der Methode. Die für die Nachzeichnung des kulturellen Transfers in Frage kommenden Quellen sind: der humanistisch-gelehrte Kommentar antiker Taktiker, die Militärliteratur, die politische Literatur (Klugheitslehren; politische Pamphletik), die konfessionellen Schriften, die gelehrte, politisch-diplomatische und militärische Korrespondenz und die Memoiren-Literatur.67 C. Gaier merkte an, dass die Mentalität der militäri65

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Vgl. Daniel: Histoire de la milice franc¸oise, Bd. 1, S. 208: »il faut prendre de l’un la situation d’un Champ de Bataille, d’un autre l’Ordonnance des Troupes; d’un autre la suite & l’ordre des actions & des charges qui se sont faites; & ils n’apportent pas touˆjours la raison de certains mouvemens & de certains dispositions qui paroissent aujourd’hui extraordinaires aux connaisseurs de cette matie`re.« Zur Problematik der Kriegskunst als Operationsgeschichte s. Richard Swain: The Written History of Operational Art, Military Review, 70, 9 (1990), S. 100–106. Marc Fumaroli: Me´moires et histoire. Le dilemme de l’historiographie humaniste au XVIe sie`cle. In: Les valeurs chez les me´morialistes franc¸ais du XVIIe sie`cle avant la Fronde, Colloque organise´ par le centre de philologie et de litte´rature romanes de l’universite´ des sciences humaines de Strasbourg et le centre ›Litte´rature et spiritualite´‹ de la faculte´ des lettres de l’universite´ de Metz sous le patronage de la socie´te´ d’e´tude du XVIIe sie`cle, Strasbourg-Metz, 18–20 Mai 1978. Hg. v. Noe´mi Hepp, Jacques Hennequin, Paris 1979, S. 26; Die Gattung der Memoiren entstand zwischen 1555–1570, zu dem Zeitpunkt als Franc¸ois Baudoin in der Verbindung zwischen Philologie und Rechtswissenschaft die Methodologie der gallikanischen

3. Die Quellen

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schen Führungsschicht, die sich in den Memoiren artikuliert, die Entwicklung der Kriegskunst vor allem in Frankreich beeinflusst hat, hielt diese doch das Monopol hinsichtlich der Konzeptualisierungen inne.68 Im Vordergrund der vorliegenden Abhandlung steht jedoch weniger das narrativ-biographische Moment, sondern der Textcorpus der französischen Militärtheorie im 16. und 17. Jahrhunderts, der für den vorliegenden militärtheoretischen Kulturtransfer relevant erscheint. Neben den Handbüchern und Traktaten, den Kommentaren der humanistischen Gelehrten sollen weitere Quellengattungen, wie die Korrespondenz, speziell die Gelehrtenkorrespondenz herangezogen werden. Die Korrespondenz dient sowohl der Restitution eines militärtheoretisch-taktischen Forschungs-, Interpretations- und Konzeptualisierungszusammenhangs als auch der Rekonstruktion der Vernetzungen und der konjunkturell-strategischen Einordnung der Militärtheorie. Es ist daher die wissenschaftlich-gelehrte Korrespondenz und die politische Korrespondenz im Rahmen der für den vorliegenden Forschungszusammenhang relevanten respublica literaria des französischen und niederländischen Späthumanismus zu berücksichtigen.69 Anhand dieser Korrespondenz lassen sich nicht nur die Vernetzungen und strategischen sowie ideologischen Positionen nachzeichnen. Sie ermöglicht auch die militärtheoretische ›Grundlagenforschung‹ des Späthumanismus und

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historischen Schule begründete; ebd., S. 27: Die deutschen Gelehrten zogen am Ende des 17. Jh.s und zu Beginn des 18. Jh.s die Bilanz des französischen Humanismus und sind sich einig in der Beobachtung, dass die Gattung der Memoiren ihm eigentümlich ist. Es war nämlich das Ergebnis einer Begegnung zwischen noblesse d’e´pe´e, die vom Humanismus gefärbt war, und dem gelehrten Humanismus (humanisme docte) der gallikanischen Robe: »l’une cherchant dans la narration de l’expe´rience directe, l’autre dans la critique des documents de premie`re main, le gage d’une historiographie ›ve´ridique‹, propre a` former une e´lite de l’action et de la responsabilite´, propre aussi a` garantir sa ›gloire‹.« Vgl. Claude Gaier: L’opinion des chefs de guerre franc¸ais du XVIe sie`cle sur le progre`s de l’art militaire, Revue Internationale d’Histoire Militaire, 29 (1970), S. 724; ebd. S. 746. Vgl. Paul Dibon: L’Universite´ de Leyde et la Re´publique des Lettres au 17e sie`cle, Quaerendo, 5 (1975), S. 26. »Laissant de coˆte´ la question de l’origine de la Re´publique des Lettres, qui risque fort de rester une quaestio disputata, mais nous fondant sur cette constatation que l’expression, sous sa forme latine Respulica literaria, parfois comple´te´e par et christiana, apparaıˆt de plus en plus fre´quemment dans les correspondances, voire sur les monuments, a` partir des dernie`res anne´es du 16e sie`cle, nous croyons pouvoir avancer que la Re´publique des Lettres pre´sente une spe´cificite´ certaine au 17e sie`cle. En ce sie`cle, le bouleversement de l’e´chiquier europe´en, en particulier l’accession fulgurante des Provinces-Unies au rang de puissance majeure, les vicissitudes de la vie e´conomique, autant que les pole´miques philosophiques et the´ologiques ou l’ouverture a` une science nouvelle ou encore l’attrait des terres lointaines et la de´couverte de civilisations reste´es coupe´es de l’Europe pendant des sie`cles, ont de´termine´ de fac¸on radicale le mouvement des ide´es. Autant, sinon plus que le sie`cle des grands syste`mes, le 17e sie`cle fut a` la fois ‹The Age of Observation› et le sie`cle de la discussion…«

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

die daran geknüpften kritischen Prozesse zu rekonstruieren.70 Ausgewertet wird der Schriftverkehr der Militärs mit politischen und intellektuellen Eliten und der militärischen Eliten untereinander, der vor allem im fonds franc¸ais der Bibliothe`que nationale liegt. Es finden sich darin jedoch nur vereinzelte Hinweise auf die literarische Rezeption und die taktische Praxis der Zeit. Hinsichtlich des ideologisch-strategischen Kontexts, darin inbegriffen die politische und konfessionelle Theorie, wurde vor allem auf die gedruckte politisch-ideologische Literatur (La Noue, Lipsius, Duplessis-Mornay, Grotius, Rohan, Richelieu, La Milletie`re, Dupuy, Saumaise) zurückgegriffen, die sich en gros in politische Pragmatik, theologische Schriften und politisch-pamphletische Schriften untergliedern lässt.71 Für die Rekonstruktion der Militärtheorie als militärtheoretischer Forschungs- und Interpretationszusammenhang und der von ihr vermittelten Theorien ist ein Rekurs auf die gedruckten Kommentare antiker Militärschriftsteller und Historiker, die in den Handschriftenfonds überlieferten Kommentare, notwendig. Diese sind aber häufig örtlich voneinander getrennt (BN Paris, fonds franc¸ais, Coll. Dupuy); Bibliothe`que Mazarine, Paris; KB Den Haag; StB, Berlin). Es liegen quellenhistorischen Zusammenhänge der Handschriften aus unterschiedlichen Beständen (KB Den Haag, StB Berlin, BN Paris, Bibl. Mazarine) vor. Neben der editionsgeschichtlichen Erfassung der gedruckten Mili70

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Vgl. vor allem: Iusti Lipsii Epistolae, 6 Bde., Casaubon, Scaliger, von Meurs, Rigault, Naude´/Dupuy (1982) [1632–1652], Peiresc/Naude´ (1983) [1629–1637], Peiresc/Saumaise (1992) [1620–1637], Rivet/Sarrau [1641–1650], Sarrau/Grotius, Sarrau (1654), Saumaise/Peiresc (1882) [1620–1637], Saumaise/Rivet (1987) [1632 et 1648], Saumaise (1636), Scaliger (1627). Hinsichtlich der politischen und konfessionellen Praxis Einzelner, so beispielsweise La Noue (Ms. f. fr. 17834, ›Avis sur la conversion de Henri IV‹; Arsenal, 3847 (170 H.F.) [La Noue, 1572]), Rohan: Bibliothe`que de l’Institut, Collection Godefroy, 206 [fol. 34 et 40: Rohan ›Discours des affaires de l’Europe, par Monsieur de Rohan retire´ a` Venise‹; fol. 46: ›Extrait du traite´ ou discours de l’interest des princes et estats de la Chrestiente´, par M. le duc de Rohan‹; f. fr. 4104, fol 290 und: Arsenal, ms: 4083, fol. 48 ff: Vertrag Rohans mit Philipp IV. (1621–1665), 3. Mai 1629, worin der den spanischen König um Subsidien für die Fortsetzung des Kriegs in Frankreich und dem spanischen König seine Dienste anbietet), Saumaise (vor allem: f. fr. 3931, 3932), Abraham de Fabert (Bibl. Arsenal, Recueil Conrart, Ms.6035), Turenne (veröffentlichte Korrespondenz; Discours l’an 1668 par Mr de Turenne sur la hollande Bibliothe`que de l’Arsenal Ms 04712, p. 4712), Friedrich Heinrich von Oranien (Hugonis Grotii Votum pro pace Ecclesiastica,…, Amsterdam, Ioan Blaeu, 1642. [Enthält am Schluß zwei französische Briefe an Hugo Grotius: der 1. von Frederik Henrik van Oranje-Nassau vom 4. Aug. 1622; der 2. von Guillaume Du Vair vom 13. Juni 1621. HAB 117. 1 Pol (3) ) und Moritz von Oranien (Lettre de Monsieur le Prince, envoyee au Comte Maurice. Ensemble la response faicte par ledict Comte Maurice audit sieur Prince, Paris, Jean Brunet, 1615. LB 36–559) wurden vereinzelte Handschriften in Form von Korrespondenzen oder Memoiren aufgefunden.

3. Die Quellen

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tärliteratur, die beispielsweise zeigt, dass die Editionen der Militärliteratur von Billon und Du Praissac wesentlich auf die Regierungszeit von Ludwig XIII. beschränkt sind, sind die fonds der Handschriftenabteilung, insbesondere der fonds franc¸ais und die collection Dupuy, für die vorliegende Quellenorientierung von herausragender Bedeutung. Ein quellenhistorisches Moment beinhaltet darüber hinaus die Restitution militärtheoretischer Schriften in den fonds und Sammlungen der Gelehrten der Bibliotheken, insbesondere der Bibliothe`que nationale. Während sich in den fonds der Collection Dupuy in erster Linie Dokumente befinden, die Aufschluss über die Rezeption antiker Militärtheoretiker geben, so findet sich im fonds franc¸ais ein militärtheoretischer Corpus vertreten, der die systematische Breite der französischen Militärtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts reflektiert. Im fonds franc¸ais liegt das Gros der Handschriften zur französischen Militärtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese beziehen sich auf die Truppenausbildung,72 auf taktisch-strategische Systeme im Zusammenhang einer Feldkriegstheorie,73 artilleristische Handschriften74 und Handschriften zur Fortifikationstheorie, zur Festungsbaukunst sowie generell zum Festungs- und Belagerungskrieg.75 Ebenfalls im fonds franc¸ais befinden sich einige für die Kriegskunst bedeutsame nur handschriftlich tradierte Memoiren76 und nicht zuletzt die zentralen Texte zur Militärtheorie um Heinrich IV.77 Militärtheoretische Sinnzusammenhänge lassen sich über Handschriften in unterschiedlichen Beständen rekonstruieren. Hinsichtlich der Rekonstruktion des militärtheoretischen Corpus ist festzuhalten, dass sich in den gleichen militärtheoretischen Kontext gehörende Handschriften in unterschiedlichen fonds befinden. So finden die in den französischen fonds aufgefundenen Handschriften nicht selten ihre Ergänzung in der Königlichen Bibliothek Den Haag und der Staatsbibliothek zu Berlin. In der Königlichen Bibliothek den Haag liegen die hand72 73

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Ms. f. fr. 142, 588, [666], 1252, 1985, 1986, 1987, 12386. Ms. f. fr.: d’Aurignac: 4269, La Vallie`re: 655, Lostelneau: 142, Anjou: 24262. Eine Ergänzung erfährt darüber hinaus das Livre de guerre von d’Aurignac (BN, f. fr. 4269) durch die Handschrift Le devoir depuis le General iusqu’a un simple soldat desselben Autors in der Bibliothe`que Mazarine (Ms. 3737). Ms. f. fr. 592, 651, 16690–16695, 20007, 23039. Ms. f. fr. 652, 658, 659, 663, 664, 1254, 1257, 12380, 14747, 19104. Gassion (Ms. f. fr. 5768, Vie du mare´chal Jean de Gassion (1609–1647)), Coligny (Ms. f. fr. 23246) und Abraham de Fabert (Ms. f. fr. n.a. 90), die um dessen Journal de campagne (Sainte-Genevie`ve, ms. 799) ergänzt werden können. Es handelt sich insbesondere um die Handschriften von Gontault de Biron (f. fr. 652, 20005), Lesdiguie`res (f. fr. 23042), der später mit Rohan zusammen arbeitete und diesen möglicherweise beeinflusst hat, und Saint-Luc (2 Mal in Ms. f. fr.: 648, 24265; anonymer Text in Bibliothe`que de l’Arsenal: ms. 1063, der mit diesem Text übereinstimmt).

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

schriftlichen Übersetzungen der Polybios-Kommentare von Patrizi (Ms 70 G 15) und Lipsius (Ms 128 A–5 und Ms. 128 A–6) ins Französische, eine französische Übersetzung Aelians des Hugenotten He´lie Poirier (Ms. 70 G 15) und ein Traktat über die Arithmetik des aus Rouen stammenden Hugenotten Guillaume le Faulx (Juli 1930), das den Exerziermodus des französischen Regiment des Gardes aufgreift (Ms. 128 A 12). Im fonds franc¸ais findet sich eine knappe Korrespondenz zwischen Saumaise und Poirier (f. fr. 3930). Die handschriftlichen Anmerkungen der französischen Gelehrten in einer Ausgabe des Polybios-Kommentars von Justus Lipsius (BN, Re´s. J. 1300) lassen sich mit dem Brief Scaligers an de Thou (Dupuy 364ter), der Revision der taktischen Theorie durch Saumaise (BN, Ms f. fr. 9741) – die eine Fundamentalkritik des römischen-taktischen Modells Lipsius’ impliziert – als auch den französischen Übersetzungen der Polybios-Kommentare von Lipsius und Patrizi (KB, Den Haag) und dem Kommentar zum antiken Heerwesen durch Friedrich Heinrich von Oranien (StB, Ms. Germ. Fol. 115) in den gleichen ideengeschichtlich-kritischen Zusammenhang einordnen. Dieser lässt sich mithilfe der zumeist veröffentlichten Korrespondenz und der Ausgaben der französischen Humanisten von antiken Taktikern deutlicher herausstellen. Daraufhin ergeben sich Verbindungen zu der Erforschung der Tradition taktischer Theorien durch Gabriel Naude´. Konkretere strategische Bezüge der Militärliteratur treten in zwei gänzlich verschiedenen Texten auf, die sich auf die Festungsstadt Sedan beziehen. Die strategische Bedeutung der Festungsstadt Sedan wird in einem anonymen, an Heinrich IV. gerichteten, in Basel 1590 gedruckten Traktat eines exilierten Hugenotten (BN R 6435) hervorgehoben. Und eine Handschrift in der Königlichen Bibliothek enthält eine Expertise Moritz von Oraniens für die Festung Sedan (KB Ms. 75 D 2). Über die soeben genannten Quellen lässt sich die militärische Kultur des französischen und holländischen Humanismus rekonstruieren. Zudem liegen einzelne Quellen vor, die den unmittelbaren militärtheoretischen Transfer holländischer Kriegskunst reflektieren. Die holländische Militärtheorie mit ihrer pragmatischen Ausrichtung wird in den fonds stellenweise direkt zitiert. So im fonds franc¸ais der Bibliothe`que nationale die Lager- (f. fr. 654) und Marschordnung (f. fr. 659) Moritz von Oraniens und Simon Stevins. Eine Handschrift aus der Collection Cange´,78 die eine historische Lagerordnung von 1602 assimiliert, dokumentiert, dass auch die Übernahme der empirischen Methode der Lagerordnung quellenkritische Implikationen hatte.79 Dieses Stück ver78

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Cange´, Re´s F. 178 (=20), fol. 97, Quartier fait par son Exce. Mgr le Prince d’Orange et l’Ammiral d’Aragon A la Haye le 14. May 1602. Ebd., fol. 97: »J’ay fait la presente Copie sur un Ms. du Cabinet de M. d’Argenson – Il m’a paru qu’il y auoit bien des fautes, je n’en ay corrige´ aucune.«

3. Die Quellen

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deutlicht darüber hinaus die Rolle der Kabinette für den militärtheoretischen, auch militärisch-pragmatischen Kulturtransfer sowie dessen technisches Moment. Fernerhin muss der theoretische Standpunkt des Texts hervorgehoben werden: nicht das bereits in veröffentlichter Form vorliegende Modell, das das Ergebnis kritischer Prozesse und Theoretisierungsleistungen ist, sondern der Text basiert auf der militärgeschichtlichen Empirie. Das Schriftstück nimmt nicht das Modell der Lagerordnung und dessen graphische Darstellung in den Wisconstigen Gedaechtnissen von Simon Stevin auf, sondern liefert eine prosaische Auflistung der sozialen Versorgungsstruktur, der Konfliktregelung im Lager und der Bezahlung des Personals (Soldaten und andere). In den Kabinetten der Gelehrten wurden offensichtlich außer den antiken militärtheoretischen Handschriften auch militärisch-organisatorische und die technischen Fragen der Kriegführung betreffende Dokumente mit realem Informationsgehalt verwahrt. Das holländische Individualexerzieren findet in einer Reihe von Handbüchern sowohl in der ersten als auch in der zweiten Jahrhunderthälfte Aufnahme. In der Collection Chaˆtre de Cange´ finden sich gedruckte Texte des Exerzierens.80 Es bleibt festzuhalten, dass die Methoden der Truppenausbildung nach den Holländern noch in einer Handschrift der zweiten Jahrhunderthälfte explizit aufgeführt werden.81 Die Biographien, Memoiren-Literatur sowie das Journal beinhalten sowohl die Momente politischer Pragmatik, die Schilderung gesamter Feldzüge und die taktische Ordonnanz singulärer Ereignisse, die nicht selten auch ikonographisch herausgehoben sind. Ein Beispiel hierfür ist die Geschichte Ramsays von Turenne, die wiederum eine Kompilation unterschiedlichster Dokumente aus dem 17. Jahrhundert ist. So stützt er sich auf die nur handschriftlich überlieferten Memoiren von Nicolas Fremont d’Ablancourt (1622–1694)82, die Memoiren von Langlade, dem 80

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BN Re´serve F 181: Fol. 142 sq.: Exercice militaire pour l’infanterie, Et tous les commandemens en general. [Janvier 1636]; Instruction prompte et facile, aux Parisiens, pour bien apprendre l’exercice du mousquet et de la pique, et les rendre parfaits en l’art militaire, Paris, Cardin Besongne, 1649. – In–4° BN RES-F–185 (139) 〈Recueil Cange´, Ordonnances militaires, 15e boıˆte, pie`ce 139, division Le´gislation〉, ein Text, der in den Corpus der Mazarinades gehört. Mazarine, 2626 (2536), Recueil de divers me´moires d’administration et de politique. Table en teˆte (F. 157), Me´moires sur les camps et exercices militaires en France, de 1683 a` 1688; folgende Handschrift datiert 1684: 3735 (2626), fol. 110: Les Evolutions selon la/methode de plusieurs antiens (sic) Capitaines et officiers de holande et Premierement / Lue c’est que Rangs et files, Chef de files demy files et serre files. Fremont d’Ablancourt, der Neffe Perrot d’Ablancourts wurde 1663 zum Botschafter in Portugal ernannt, ging später, da Hugenotte, nach Groningen und erhielt die Protektion der princesse d’Orange (vgl. Nicolas Fre´mont d’Ablancourt: Me´moires concernant l’histoire de Portugal depuis le traite´ des Pyre´ne´es (1659)

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Sekretär von Friedrich Moritz Herzog von Bouillon, dem Bruder des Vicomte de Turenne et al. Bei der Interpretation der Taktik ist hinsichtlich unterschiedlicher literarischer Gattungen Folgendes festzuhalten: Schlachtenmodelle werden in Memoiren und Autobiographien, den bevorzugten Gattungen der Historiographie des 16. und 17. Jahrhunderts aufgenommen. Es muss daher eine literarische Produktion, die – im Sinne des Konzepts einer Theorie des Feldkrieges – einer Intentionalität der politischen und militärischen Eliten wie die Bourbonen und NassauOranier sowie konfessioneller Parteien (bestimmter Dynastien, NassauOranier, Hugenotten) entspringt, von der historiographischen Verarbeitung dieser Theorie in Memoiren und Biographien und in Verbund mit der Darstellung einer umfassenderen politischen Pragmatik, ganzer Feldzüge, in die die einzelnen taktischen Modelle integriert werden, differenziert werden. Anhand einer biographischen Studie der Autoren von Militärliteratur kann festgehalten werden, dass es sich sowohl um Militärs als auch um Humanisten handelt, die wie etwa Justus Lipsius, Rigault, Casaubon oder Saumaise über keine oder wie Scaliger nur über bescheidene existentielle Erfahrungen mit der Kriegspraxis der Zeit verfügten. Hinsichtlich der militärischen Handschriften und der veröffentlichten Militärliteratur ist festzuhalten, dass vor allem Soldaten und Offiziere aus den unteren Rängen wie Salagnac, d’Aurignac, Blenau, Granhoffer, Volivier, Saint-Sandoux oder Beauregard vom Standpunkt der Praxis aus theoretisch produktiv wurden. So verdanken wir die bedeutendsten Aufzeichnungen der französischen Kriegspraxis – abgesehen von dem später zum Mare´chal arrivierten Fabert – meist namenlosen Soldaten. Diese können im Zusammenhang der Truppenausbildung und der unmittelbar praktischen Reformen interpretiert werden. Schließlich treten einige Marschälle respektive Vertreter des Hochadels auf, wie SaintLuc, Rohan, Lesdiguie`res, Abraham de Fabert, Coligny, der Duc d’Anjou, der Herzog von Nevers. Besonders dominant sind sowohl hinsichtlich der veröffentlichten Literatur als auch der Handschriften die Mitglieder des Regiment des Gardes.

4. Systematik Die Systematik folgt textuellen, d. h. der Restitution der Zitationszusammenhänge im Späthumanismus, und kontextuellen, d. h. kriegsgeschichtlichen und gruppengeschichtlichen Zusammenhängen, aus dejusqu’en 1668, avec les re´volutions arrive´es pendant ce temps-la` a` la cour de Lisbonne, Paris 1701).

4. Systematik

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nen militärtheoretische und militärisch-praktische Leitfiguren herausragen wie Wilhelm Ludwig von Nassau, Moritz von Oranien, Justus Lipsius, Claude de Saumaise, Gabriel Naude´ und Henri de Rohan. Diesen soll jeweils ein eigenständiges Kapitel gewidmet werden. Die Systematik berücksichtigt fernerhin, dass einschneidende militärtheoretische Zäsuren (1589/1590; 1595, 1631, um 1635) mit Zäsuren in der politischen Geschichte, der Diplomatiegeschichte und der Kriegsgeschichte zusammenfallen. Eine Darstellung der Rezeption oranischer Kriegskunst und Militärtheorie und der damit verbundenen kritischpragmatischen Prozesse, die sich in der französischen militärischen Kultur fortsetzen, deckt sich annähernd mit der Epoche der ideologischen Infragestellung sowie der militärischen und machtpolitischen Bekämpfung der Vormacht Spaniens und dem Zeitalter der europäischen Glaubenskämpfe (1556–1660). Auch für den französischen kulturellen und politischen Zusammenhang lässt sich festhalten, dass eine machtpolitische und militärtheoretische Unterfütterung ideologischer und konfessioneller Positionen vorliegt. Die jeweiligen theoretisch-pragmatischen Komplexe können nicht nur mit text- und theoriegeschichtlichen Tendenzen verknüpft werden, sondern stehen auch mit kriegsund diplomatiegeschichtlichen Zäsuren in Verbindung. Im Jahr 1595, dem Erscheinungsjahr von De militia romana von Justus Lipsius, datiert ein Bündnis zwischen Heinrich IV. und Elisabeth I., mit dem der Erhalt der nördlichen Niederlande als internationales Ziel der Gegner Spaniens proklamiert wurde. 1631 brachte Henri de Rohan den Parfaict capitaine in Padua zu Papier; 1634/1635 wurde Claude de Saumaise von Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien (1625–1647) mit einer Abhandlung über die römische taktische Theorie beauftragt. Beide Zeitpunkte markieren jeweils, ob verdeckt oder offen, das Engagement Frankreichs an der Seite der protestantischen Mächte im Dreißigjährigen Krieg. Frankreich trat 1631 mit dem Vertrag von Bärwald in den verdeckten und schließlich, gestützt auf ein Militärbündnis mit den sieben Provinzen der Generalstaaten, 1635 in den offenen Krieg gegen den habsburgischen Kaiser ein. Die Phase der Konzeption und Niederschrift des Traktats von Saumaise korrespondiert nahezu mit dem schwedisch-französischen Krieg (1635–1648), den Richelieu angesichts des sich abzeichnenden Kriegsverlaufs zu Ungunsten der anti-habsburgischen Mächte um 1634/35 provozierte. Das Engagement Frankreichs auf Seiten der Schweden seit 1635 markiert das Ende des Religionskriegs.83 Diesen Zäsuren folgt wesentlich die nach diachronen 83

Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, S. 146: »Nach mancherlei Auf und Ab aber kam es 1628 doch zum Mantua-Krieg, dem ersten großen innerkatholischen Waffengang, zu Frankreichs Unterstützung für das protestantische Schweden und schließlich zum offenen Kriegseintritt Frankreichs gegen Kaiser und katholische

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II. Militärtheoretischer Kulturtransfer in den Niederlanden und Frankreich

Kriterien verfahrende Gliederung: Eine erste Stufe von etwa 1590 bis 1610, in der es zur Ausbildung eines ersten oranisch-dynastischen und späthumanistisch-gelehrten militärtheoretischen Komplexes kam (sog. ›oranische Heeresreform‹), und eine weitere Stufe von ca. 1631 bis 1650–1663, in der eine grundlegende Revision antiker und moderner militärtheoretischer Tradition im Zusammenhang späthumanistischer Gelehrsamkeit vorgenommen wurde. Schließlich kann eine sich von etwa 1610 bis 1620/22 erstreckende Übergangsphase, in der wesentlich die Exegese der nassau-oranischen Kriegskunst erfolgte, herausgestellt werden. Innerhalb des nordwesteuropäischen Späthumanismus sieht man sich in doppelter Hinsicht84 mit einer neuen Generation konfrontiert, die jeweils als eine im Zusammenhang des Dreißigjährigen Krieges militärisch operierende Gruppe bzw. als forschungs- und verfassungstheoretisch produktiver Gelehrtenzirkel identifiziert werden. Im ersten Teil wird es um die Darstellung der Ausprägung einer nordwesteuropäischen militärischen Kultur im Zeitraum von ca. 1590 bis ca. 1610/1620 gehen, die sich wiederum in partikulare militärtheoretische Komplexe einschreibt (so die Militärwissenschaft der Nassau-Oranier). In diesem ersten Rahmen wird es darüber hinaus darum gehen, die erste, vor allem kompilatorische militärwissenschaflich-didaktische Phase im Zuge der dynastisch inspirierten Reformanstrengungen darzustellen (ca. 1610 bis ca. 1622), aber auch die in den unteren Rängen vonstatten gehenden militärisch-kritischen Debatten zu beleuchten. Der zweite Teil nimmt sich der auf die konstitutive und kompilatorische Phase folgenden Bemühung um die Revision und Weiterentwicklung der Tradition der taktischen und strategischen Theorie und der taktischen Praxis durch die französischen militärischen und gelehrten Eliten an. Diese vollzogen sich im Gefüge gewandelter strategischer Konzeptionen und politischer Methodenlehren und im Kontext einer Wandlungen unterliegenden politischen Pragmatik. Diese Tendenzen setzten um 1630 ein, verdichteten sich um 1635, zu dem Zeitpunkt auf

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Partei im Reich. Diese Ereignisse gelten allgemein als eine Abkehr vom Religionskrieg, insofern als das politisch-säkulare Interesse Frankreichs, die Staatsräson offenbar seinen politischen Verpflichtungen übergeordnet worden sei. Dazu kommt, daß im Pontifikat Urbans VIII. (1623 bis 1644) das Papsttum selbst mit dem Gestus der Unparteilichkeit insgeheim diese französische Sonderpolitik unterstützte.« Sowohl hinsichtlich der Entwicklung der Erforschung und Interpretation antiker taktischer Theorien und der damit verbundenen didaktischen Programmatik mit einer neuen Entwicklungsstufe, aber auch hinsichtlich der militärischen und politischen Methodenbegriffe oder Lehren.

4. Systematik

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den auch der eigentliche militärisch-praktische Rezeptionsprozess datiert wird (A. Corvisier85, D. A. Parrott86), und erstrecken sich bis zum Beginn der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts.

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Vgl. Andre´ Corvisier: Histoire militaire de la France, Bd. 1: Des Origines a` 1715, Paris 1997, S. 340. Parrott: Richelieu’s Army, S. 23f.: »It is typically assumed that France stands in some form of apostolic succession to the reformist initiatives of the Orange princes and to Gustavus Adolphus: while the benefits of tactical and organizational reform only really bear fruit in the period following the battle of Rocroi and the age of the ›great commanders‹, the period of Richelieu’s ministry is one of internal consolidation during which the lessons and prescriptions of the military reformers were being absorbed into the training, experience and assumptions of the French army. The intention of this chapter is to show, from the evidence of training, troop deployment and military practice, how unconvincing such assertions appear when examining the French army of the 1620s to early 1640s. Moreover, by raising doubts about the extent to which these prescriptions were adopted in the French case, it is possible to question the wider European context of military change. While aspects of this process have been subjected to critical scrutiny by other historians in the last two decades, the role of France in this reassessment has remained surprisingly restricted.«

Erster Teil: Ausprägung einer nordwesteuropäischen militärischen Kultur (ca. 1590 – ca. 1620)

I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politischmilitärische Klugheitslehre Bislang wurde Justus Lipsius als Philologe,1 stoisch-systematischer Philosoph,2 als politischer Historiker, der die Ambivalenz taciteischer Herrschafts- und Bürgertugenden herausarbeitete3, und als Theoretiker des politischen Neustoizismus gedeutet.4 In jüngeren Arbeiten widmet man sich wieder verstärkt dem späthumanistischen Gelehrten5 und dem stoischen Philosophen.6 Der Kriegs- und Militärtheoretiker Justus Lipsius geriet indes aus dem Blick.7 Insbesondere die ›Cambridge School‹ einer 1

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Vgl. zum Forschungsstand die Zusammenfassung in: Erik De Bom, Marijke Janssens, Toon Van Houdt, Jan Papy: Introduction. Towards a more balanced view of Justus Lipsius’s Political Writings and their Influence. In: diess. (Hg.), (Un)masking the Realities of Power. Justus Lipsius and the Dynamics of Political Writing in Early Modern Europe (Brill’s Studies in Intellectual history, 193), Leiden-Boston 2011, S. 3–7. Vor allem in einer frühen Phase wurde Lipsius als Philologe wahrgenommen. Vgl. Wilhelm Dilthey: Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts, Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften (Berlin 1904) 3, 23; Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit; Jacqueline Lagre´e: Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme. E´tude et traductions de divers traite´s stoı¨ciens (Collection Philologie et Mercure), Paris 1994; – (Hg.): Le Stoı¨cisme aux XVIe et XVIIe sie`cles. Actes du Colloque CERPHI (4–5 juin 1993), organise´ par P.-F. Moreau, Cahiers de philosophie politique et juridique, 25 (1994), Universite´ de Caen 1994. Vgl. Arnaldo Momigliano, Mark Morford und Jacob Soll. Diese Richtung setzt an einer Deutung der Tacitus-Rezeption im Rahmen des civic humanism durch Hans Baron bei Leonardo Bruni an. Vgl. Gerhard Oestreich. Marc Laureys et al. (Hg.): The world of Justus Lipsius. A contribution towards his intellectual biography, proceedings of a colloquium held under the auspices of the Belgian Historical Institute in Rome (Rome, 22–24 May 1997) (Bulletin de l’Institut Historique Belge de Rome, 68), Turnhout 1998. Vgl. Jacqueline Lagre´e; Jan Papy; Jill Kraye: Stoicism in the Renaissance from Petrarch to Lipsius, Grotiana, 22, 23 (2001), 1900, S. 21–47. Einzig die Altphilologin Jeanine de Landtsheer hat sich De militia Romana angenommen; vgl. Justus Lipsius’s De militia Romana. Polybios revived or how an ancient historian was turned into a manual of early modern warfare. In: dies., K. Enenkel, J. L. De Jong (Hg.), Recreating ancient history. Episodes from the Greek and Roman past in the arts and literature of the early modern period, Leiden et al. 2001, S. 101–122; vgl. Harald Kleinschmidt: Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bewegungen – Ordnungen

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

historisch kontextualisierenden politischen Ideengeschichte hat sich kaum der Fragestellung der Militärverfassung und der Strategielehren nach Macchiavelli angenommen. In diesem Kapitel soll eine Perspektive aufgezeigt werden, in der Lipsius die prudentia militaris im Zusammenhang seiner taciteisch-stoischen prudentiellen politischen Lehre aufgriff. Lipsius kreierte nicht in erster Linie eine neue militärische Klugheitslehre, sondern griff auf einen Begriff zurück, der bereits bei Aegidius Romanus (1243–1316),8 einem Schüler Thomas von Aquins9 und damit Adepten der Scholastik vorgeprägt ist. De militia Romana, ein Kompendium der Kriegführung im Späthumanismus, welches dem topologischen Schema der Historien VI des Polybios folgt, ist einerseits in der militärischen Handbuch-Tradition des Renaissance-Humanismus, die sich seit Macchiavelli auf die Systematik der ERM gründet, zu verorten. Andererseits schreibt es sich in den philologisch-kritischen Umgang mit den Skriptores veteres de re militari im Späthumanismus ein. Als Mittler taciteisch-stoischer prudentieller Kultur und polybianisch-militärischer Kompendienliteratur führt Lipsius zwei im Späthumanismus auseinanderstrebende Autoritäten zusammen.10 Dass dieses Unternehmen in den Gelehrtenzirkeln im Späthumanismus auf wenig positive Resonanz stieß, wird im zweiten Teil der vorliegenden Studie näher zu erläutern sein.

1. Justus Lipsius: Integrationsfigur im Späthumanismus A) Lipsius-Deutungen zwischen ›politischem Neustoizismus‹ und ›klassischem Republikanismus‹ In die deutschen verfassungs- und geistesgeschichtlichen Studien ist der niederländische Jurist, Historiker und Latinist Justus Lipsius

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– Wahrnehmungen. In: Daniel Hohrath, Klaus Gerteis (Hg.), Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Teil I (Aufklärung, 11, 2) Hamburg 1999, S. 59–60. Vgl. den Fürstenspiegel De regimine principum libri III ad Francorum Regem Philippum IIII Cognomento …, Rom 1566: Teil III: Prudentia militaris, behandelt Militärwesen und Kriegführung. Vgl. Thomas Eggensperger: Der Einfluss des Thomas von Aquin auf das politische Denken des Bartolome´ de Las Casa im Traktat ›De imperatoria vel regia potestate‹. Eine theologisch-politische Theorie zwischen Mittelalter und Neuzeit, Münster 2001, S. 69: »In den vier articuli geht Thomas auf die species der prudentia regnativa, politica, oeconomica und militaris ein, welche die Beziehung von Herrscher und Beherrschten tangieren.« Vgl. W. den Boer: The Dutch Republic and Antiquity, Bijdragen en Mededelingen Betreffende de Geschiedenis der Nederlanden, 94, 3 (1979), S. 431; ebd. zit. Arnaldo Momigliano: Essays, S. 91.

4. Systematik

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(1547–1606) weit weniger als Tacitist oder Polybios rezipierender Militärtheoretiker eingegangen, als vielmehr als derjenige Humanist, der den Neustoizismus systematisierte, politisierte und im Sinne einer Fürstenherrschaft pragmatisierte.11 Im Zeitalter der Glaubensspaltung hat er mit der Popularisierung (De constantia) und Systematisierung (Manuductio ad stoicam philosophiam) stoischer Moralphilosophie eine konfessionsübergreifende Weltanschauung und eine Philosophie geformt, die eine breite und dauerhafte Akzeptanz bei den Eliten der frühmodernen europäischen Staaten fand.12 Dieser Befund rief eine Kritik hervor, die dahingeht, dass Oestreich den politischen Neustoizismus mit seiner starken militärischen Komponente auf dem Hintergrund seiner Definition der Wehrgeschichte überzeichnete.13 Peter N. Miller hält im Anschluss an Richard Tuck die Ambivalenz Lipsius’ fest, die sich auch im gegenwärtigen Forschungsstand widerspiegelt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine neue Sicht auf Lipsius und den Neustoizismus.14 Lipsius gehört seither zur Welt der Staatsräson und militärischen Revolution ebenso wie zu der des Skeptizismus und der Selbstvervollkommnung, zur Staatsbildung und zur Geburt des Bürgers.15 Auch Gerhard Oestreich, der den politischen Neustoizismus zunächst an den Machtstaatsgedanken band,16 hat sich in seiner Habilitationsschrift allerdings in erster Linie dagegen verwahrt Justus Lipsius’ politische Lehre mit dem Begriff des Staates in Verbindung zu bringen: Im Mittelpunkt der ›Politik‹ stehe eigentlich »nicht der Staat, sondern der Staatsmann«, »nicht die Institution, sondern der Mensch«.17 Es ist 11

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Neben den bereits in der Einleitung umfassend zitierten Arbeiten von G. Oestreich ist noch ein jüngerer Beitrag von Michel Senellart anzuführen: Le stoı¨cisme dans la constitution de la pense´e politique. Les Politiques de Juste Lipse. 1589. In: Jacqueline Lagre´e (Hg.), Le stoı¨cisme aux XVIe et XVIIe sie`cles, Actes du Colloque CERPHI (4–5 juin 1993), organise´ par P.-F. Moreau (Cahiers de philosophie politique et juridique, 25), Caen 1994, S. 109–130. Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat; Nicolette Mout: Abschied vom Erasmianismus. Humanisten und der niederländische Aufstand. In: August Buck, Tibor Klaniczay (Hg.), Das Ende der Renaissance. Europäische Kultur um 1600, Wiesbaden 1987, S. 63–80; Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit. Vgl. Miller: Nazis and Neostoics. Ebd., S. 147. Ebd. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 153: »Der Krise der staatlichen Gewalt tritt Lipsius durch die Betonung der fürstlichen Autorität und der sittlichen wie militärischen Macht des Staates entgegen.« Ebd., S. 148: »Der Weg zu Lipsius ist für uns schwer zugänglich. Wir denken zuerst beim Stichwort ›Staat‹ an den Staatsaufbau, seine Verwaltungs- und Regierungseinrichtungen, die der Anhäufung der Behörden, die riesige Bürokratie, kurz, den gesamten Apparat der Macht, in dessen Mühle der einzelne Mensch völlig verschwindet oder als Staatsbeamter nur Funktionär ist. Daher rührt schon das Un-

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demnach nicht der bürokratische Machtstaat mit seiner Heeres- und Beamtendisziplin, den Oestreich bei Lipsius in erster Linie angelegt sah. Anders als Oestreich, der den militärgeschichtlichen Forschungsstand Delbrücks mit seinen aus der wehrgeschichtlichen Konzeption heraus entwickelten politischen Neustoizismus verband, legte Arnaldo Momigliano, der sich des Antiquarianismus annahm, das Augenmerk auf die Tacitus-Rezeption des Justus Lipsius. Diese deutete Momigliano als ein Medium politischer Verhaltenslehre. Jacob Soll wird diesen Ansatz Momiglianos aufgreifen. In Solls Perspektive entsteht historisch eine prudentielle politische Lehre, an der Fürst und Bürger gleichermaßen partizipieren.18 Jüngere Forschungen binden Lipsius in das Paradigma des ›klassischen Republikanismus‹ und den ›Machiavellian Moment‹ ein. John G. A. Pocock definierte den ›Machiavellischen Moment‹19 als eine ›strukturelle‹ Synthese von aristotelischer politischer Lehre respektive Tradition und deren Prädominanz über die Polybios-Rezeption.20 Mar-

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verständnis für Lipsius bei den positivistischen Historikern der Staatswissenschaft im 19. Jahrhundert und bei vielen späteren. Robert von Mohl kann angesichts der ihm bekannten Erfolge und großen Verbreitung der Staatsphilosophie von Lipsius nicht an diesem Werk vorübergehen. Aber der Betrachter des Staates als Institut und Anstalt findet keinen Zugang zu dem Niederländer der Gegenreformationszeit.« Jacob Soll: Publishing The Prince. History, Reading and the Birth of Political Criticism, University of Michigan 2005; – Amelot de La Houssaye (1634–1706) Annotates Tacitus, JHI, 61, 2 (2000), S. 167–187. Der Begriff des ›Machiavellian Moment‹ wurde von John G. A. Pocock geprägt (s. supra). Vgl. Luise Schorn-Schütte: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, S. 80f.: »Damit [›Machiavellian Moment‹] meint er die Tatsache, dass es im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa festgeschriebene, von allen verstandene Muster gab, mit deren Hilfe das benannt wurde, was als Republik und als die Teilhabe der Bürger in dieser Ordnungsform zu gelten hatte. In seiner Interpretation ist die Diskussion des Machiavelli und seiner Zeitgenossen das Vorbild, der Maßstab gewesen, an dem sich die Debatten der nachfolgenden Jahrhunderte ausrichteten und allmählich veränderten. Diese Orientierungen nennt er ›political languages‹, politische Diskurse.« James M. Blythe: Ideal Government and the Mixed Constitution in the Middle Ages, Oxford 1992, S. xiv: »Pocock insists on the persistence and reappearance in various periods of the Aristotelian tradition, and in general on the predominance of this tradition over the specific Polybian ideas (wich of course in themselves represent one aspect of the Aristotelian tradition). But he is careful to point out that in any particular case it is questionable to ascribe direct influence to the Politics, and even more to ascribe it individually or collectively to the medieval Aristotelians. [John G. A. Pocock: The Machiavellian Moment: Florentine Political Theory and the Atlantic Republican Tradition, S. 67] Further, Pocock’s methodology, as John H. Geerken points out, is more synchronistic than causal and historical – Pocock generally rejects causal and historical arguments and is concerned more with structures of relationships across time than with development through time. [John H. Geerken: Pocock and Machiavelli. Structuralist Explanation in History, pp. 309–328] Thus his pronouncements concerning an early mod-

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tin van Gelderen zufolge schrieb Lipsius sich in die politische Sprache des ›Machiavellian Moment‹ ein, verwandte er doch dessen politische Sprache. An einer Stelle verwahrte sich Gerhard Oestreich dagegen Lipsius, nach Robert von Mohl, als einen Staatstheoretiker zu betrachten, hatte er doch kaum einen Begriff des Staates entwickelt.21 Sowohl Oestreich, der die Bedeutung Lipsius’ für frühmoderne Herrschaftspraxis und Heeresorganisation herausgearbeitet und, sich darin mit der deutschen militärgeschichtlichen Deutung nach Delbrück berührend, gegenüber Machiavelli aufgeboten hatte, als auch Martin van Gelderen, der aufweist, dass Lipsius sich in die politische Sprache des ›klassischen Republikanismus‹ einschreibt und sich inhaltlich von dessen ›Werten‹ absetzt,22 lassen ein für die Traditionsgeschichte und den kulturellen Transfer politischer und militärischer Methoden bedeutsames Moment außer Acht: die traditionsgeschichtliche Besetzung der Methoden und Lehren der Kriegführung in Abhängigkeit von einem politischen Methodenbegriff. Durchweg richtete sich das Augenmerk auf die Zäsur von Bürgermiliz und stehendem frühneuzeitlichem Heer als Instrument des fürstlichen Machtstaates: Machiavelli argumentierte für ein Bürgerheer, während Lipsius für eine disziplinierte, durch den Fürsten unterhaltene stehende Armee (miles perpetuus) eintrat, die neben Söldnern einheimische Soldaten rekrutiert.23 Van Gelderen hat hervorgehoben, dass sich der Neustoizismus aus derselben klassischen Tradition wie die Florentiner republikanische Theorie entwickelt hat. Der Neustoizismus verwandte in einem hohen Maße dieselbe Sprache, dasselbe konzeptuelle Raster und identische Organisationsmuster wie die Theorien des ›klassischen Republikanismus‹. Wenn Lipsius jedoch argumentierte, dass die vita civilis nur in einer durch eine Fürstenherrschaft gekennzeichneten politischen Ord-

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ern synthesis of Polybian and Aristotelian thought are interesting (and ultimately, I believe, true) yet hardly conclusive in themselves. […] in short, in Pocock’s view, the later theory of the mixed constitution may be traced to the confluence of vague Aristotelian ideas which somehow found their way into the mentalities of fifteenthand sixteenth-century intellectuals and to the Polybian analysis of Roman society. I, however, try to show specific lines of influence of medieval thinkers.« Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 148: »der Betrachter [R. v. Mohl] des Staates als Institut und Anstalt findet keinen Zugang zu dem Niederländer der Gegenreformationszeit.« Vgl. Martin van Gelderen: The Political Thought of the Dutch Revolt. 1555–1590 (Ideas in Context, 23), Cambridge 1992, S. 184: »In its conception and argumentation Lipsius’ Neostoicism stood squarely within the tradition of Renaissance political thought, employing its political language and organizing categories.« Vgl. Martin van Gelderen: The Machiavellian moment and the Dutch Revolt. The rise of Neostoicism and Dutch republicanism. In: Gisela Bock, Quentin Skinner, Maurizio Viroli (Hg.), Machiavelli and Republicanism (Ideas in Context, 18), Cambridge 1990, S. 209.

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nung gewährleistet ist, stellte sich der Neustoizismus dem Republikanismus entgegen.24 Die Nähe zu Machiavelli manifestiert sich nicht zuletzt in den auctoritates der Hauptschriften des Latinisten. Das Werk Justus Lipsius’, ausgenommen die philosophischen Schriften, ist geradezu spiegelbildlich zu den drei Hauptschriften Machiavellis angelegt: An die Stelle der Diskurse über den altrömischen Historiker Livius tritt ein gelehrter Kommentar des Historikers der Kaiserzeit Tacitus (1574, Tacitus-Edition; 1581, erster umfassender philologischer Annalen-Kommentar). Der Principe (1513) findet sein Pendant in den Politicorum libri sex (1589). Darin festgesetzt sind die gemischte Klugheit (prudentia mixta), die militärische Klugheit (prudentia militaris), die das ciceronianischvegetische didaktische Modell Machiavellis (arma et leges; disciplina, regulae bellorum generales) aufbricht, um die scholastische Formulierung fürstlicher Herrschaft erneut einzuführen, und ein bürokratisches Moment, das sich an die Eliten des protobürokratischen Klugheitsbegriff (prudentia togata), frühmodernen Staates richtet. Die Arte della guerra, die sich die ERM des Vegetius zum Vorbild nimmt und bereits das VI. Buch des Polybios zitiert, findet ihr Pendant in De militia romana, einem Polybios-Kommentar, der die topologische Ordnung des VI. Buches der Historien aufgreift. Lipsius hebt sich von der Machiavellischen Lehre dahingehend ab, dass er den politischen Klugheitsbegriff auf dem Hintergrund des kulturtheoretischen Modells des römischen Kaiserreichs und in dessen zeitlicher Analogie zu den konfessionellen Bürgerkriegen seiner Zeit und eines erstarkenden politischen Zentralismus, nämlich den der spanischen Universalmonarchie, ausdifferenzierte. Lipsius stellte seine zivile Lehre (civilis doctrina) auf die Grundlage neustoischer Doktrin, griff die Methode des Petrus Ramus auf und suchte einen ›authentischen‹ Aristoteles wiederherzustellen.25 Eine geläufige Argumentation sieht Ma24

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Ebd., S. 219: »However, in arguing that the vita civilis could only be attained in a political order that was marked by unified, princely rule, Neostoicsm plainly refuted republicanism.« Vgl. Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 246ff.: Erneuerte Stoa, Aristotelismus und Aristoteles; »Lipsius versucht einen authentischen Aristoteles gegen die ›commentarios obscuros illos in eum et aculeatos‹ durchzusetzen, denn diese ›detorquent rectissima ingenia, et in acuminum flexuosos labyrinthos abducunt, a vero Philosophiae fine.‹ Desgleichen gilt es, eine einseitige Autoritätsfixierung aufzuheben [...] und besonders Platon, Epiktet, Plutarch und Seneca in ihr Recht zu setzen. Weiterhin zielt Lipsius’ Bemühen darauf, die enge Ausrichtung der Philosophie auf die Logik, den Aristoteles des Organon, durch Herausstellung besonders von Ethik und Politik zu unterbinden, da gerade diese beiden Bereiche den eigentlichen Gegenstand von Philosophie ausmachen. [...] Setzen wir Neustoizismus und Aristotelismus in eine Beziehung, so ist zweierlei von Bedeutung. Zum einen ist der Neustoizismus kein abgeschlossenes Schulsystem, sondern er nimmt

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chiavellis Denken um die liberta` zentriert, während der zentrale Begriff der Lipsianischen politischen Lehre die auctoritas ist. Während Machiavelli die Unvermeidbarkeit des gesellschaftlichen Konflikts in einer republikanisch verfassten Gesellschaft annahm und für eine ausgewogene republikanische Regierungsform plädierte, die Raum für eine aktive Beteiligung aller Gruppen an der Regierung schuf, so schreckte Lipsius, darin möglicherweise von erasmianischem Geist geprägt, vor jedem Anzeichen bürgerlicher Zwietracht zurück. Sein Argument war, dass ein vivere civile nur über eine zentralisierte, tugendhafte Fürstenregierung erreicht werden konnte. In dieser Analyse wird die bürgerliche Tugend auf eine geduldige Erfüllung der Aufgaben im Gehorsam unter den Fürsten reduziert. Während Machiavelli als »Philosoph der Freiheit« auftritt, gilt Lipsius als der »Philosoph von Beständigkeit und Gehorsam.«26 Der stoische Philosoph und der magister ad militam, der als Historiker und Antiquar den römischen Antiquarianismus aufgriff, gerieten bislang aus dem Blickfeld – zugunsten einer auf dem Hintergrund stoischer Ordo (universal und partikular) entwickelten ethischen Selbstkontrolle und Taktik, die die Kriegführung der Frühen Neuzeit prägte.27 Die Reduktion auf den stoischen Philosophen, dessen Ordnungsdenken – hier mag man eine Wandlung des ordo-Gedanken sehen28 – übersieht, dass Lipsius an das Traditionsspektrum des vivere civile und die Herrschaftsmethodik des principe bzw. der Speculae anschloss. Schließlich ist in Erwägung zu ziehen, dass in der erneuerten Stoa weniger Affektbeherrschung und Selbstkontrolle im Vordergrund standen, sondern die sich im Felde natürlicher Theologie bewegende Selbstbehauptung bzw. Selbsterhaltung.29 Lipsius’ Anliegen war es, die Kraft der

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bestimmte Philosopheme unter den Bedingungen der Frühen Neuzeit eklektizistisch in sich auf, gleichsam so, als bringe er die Ernte der Renaissancephilosophie für die beginnende Neuzeit ein (man denke an den extrem anthologischen Charakter etwa der Politica des Lipsius). Zum anderen handelt es sich im Verhältnis von Stoizismus zu Aristotelismus und Ramismus um das Aufeinandertreffen einer auf das Handlungsethos und die Struktur der praktischen Lebensführung zielenden und diese festlegenden Menschen- und Weltsicht einerseits mit den beiden wichtigsten Strömungen der zeitgenössischen Schulphilosophie (für B. Keckermann z. B. gibt es in der Philosophie nur die Alternative von Aristotelismus und Ramismus) andererseits.« Vgl. Van Gelderen: The Machiavellian moment and the Dutch Revolt, S. 210. Kleinschmidt: Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 59f. Vgl. Hermann Krings: Ordo. Philosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee (Philosophie und Geisteswissenschaften, 9), Halle 1941. Vgl. Hans Blumenberg: Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a. Main 1992; vgl. Martin Mulsow: Diltheys Deutung der Geisteswissenschaften des 17. Jahrhunderts. Revisionen, Aktualisierungen, Transformation. In: Thomas Leinkauf (Hg.), Dilthey und Cassirer. Die Deutung der Neuzeit als Muster von

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Selbstbehauptung, den robur animi, zu stärken.30 Es wird, nicht zuletzt im Hinblick auf die zeitgenössische Aufnahme Lipsianischer Militärtheorie, der Frage nachzugehen sein, ob nicht eher eine Lebensform, das vivere civile, verhandelt wurde, als eine Lehre von Selbst- und Fremdkontrolle. Geht man der militärtheoretischen Traditionsaneignung nach, so wird man zu einem unerwarteten Ergebnis kommen: Die Rolle Lipsius’ als frühneuzeitlichen Disziplinartheoretiker schreibt sich weniger in die Sozialdisziplinierungsthese und die Argumentationslinie der militärischen Revolution ein, als vielmehr in die philologisch-kritischen und wissensideologischen Brüche im Späthumanismus. Bislang kaum Beachtung fand – jenseits von Sozialdisziplinierung und militärischer Revolution – die herrschaftskonsolidierende Funktion antiquarischer Geschichte und eines herrschaftsstabilisierenden Technikbegriffs in Verbindung mit Lipsius’ Lehre der Kriegführung, der Semantik und der Systematik der prudentia militaris und der militärischen disciplina. Dass Lipsius als bedeutendster Epistolograph im Späthumanismus zunächst nochmals die integrierende Stellung eines Erasmus von Rotterdam einnehmen konnte und gleichzeitig auctoritas beanspruchte, liegt nicht zuletzt an seinem doktrinären Anspruch als Autor, betrachtete er sich selbst doch als einen ›magister ad militam‹. Seine Antwort auf die in den konfessionellen Bürgerkriegen auseinanderdriftende res publica christiana war denkbar vielschichtig und umfassend. Sein publizistischer und wirkungsgeschichtlicher Erfolg lag auch darin begründet, dass er die prudentielle politische Lehre nach topologischen, ramistischen Kriterien ordnete.31

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Geistes- und Kulturgeschichte, Hamburg 2003, S. 61: »Selbsterhaltung konnte verschieden konzipiert werden: innerhalb der ›idealistischen‹ philosophischen Theologie im Sinne einer Einheit, oder innerhalb einer ›realistischen‹ Philosophie, die Spekulationen mit dem Verweis auf biologische Faktizität abschneidet. Ficino und Campanella stehen für die erste, Machiavelli und Hobbes für die zweite Aneignungsweise des Begriffs.« Vgl. Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung. 1550–1650, Berlin 21993. Vgl. Merio Scattola: ›Historia literaria‹ als ›historia pragmatica‹. Die pragmatische Bedeutung der Geschichtschreibung im intellektuellen Unternehmen der Gelehrtengeschichte‹. In: Frank Grunert, Friedrich Vollhardt (Hg.), Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 50: »Die enge Verbindung zwischen Erwerb von historischem Wissen und Entwicklung praktischer Fähigkeiten, die allesamt unter dem Begriff ›Klugheit‹ erfaßt wurden, […] ist ein maßgebender Bestandteil der ethischen und politischen Lehre der frühen Neuzeit im allgemeinen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wird diese Lehre in wichtigen und erfolgreichen Lehrbüchern wie der Politica von Justus Lipsius kanonisch festgelegt.«

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Lipsius war Vertreter eines politischen Antiquarianismus, richtete sich sein Augenmerk doch auf die kulturhistorische Restitution des kaiserlichen Rom. B) Der Kulturhistoriker und Antiquar des Kaiserlichen Rom Die Verlagerung vom republikanischen Historiker Livius zu Tacitus, dem Historiker des römischen Prinzipats, äußert sich in dem divergierenden konzeptuellen Raster, in einer neuen manieristisch-barocken Ästhetik und dem gewählten empirischen Zugriff. Bezog sich Machiavelli in den Discorsi auf den Historiker der römischen Republik, so legte Lipsius seinen historiographischen Schwerpunkt auf das römische Kaiserreich und begründete damit eine imperiale römische Kulturtheorie, die die Ästhetik des anbrechenden barocken Zeitalters prägte. Lipsius verortete den allgemein kulturellen und militärischen Idealtyp im Rom der Kaiserzeit von Augustus bis zu Trajan.32 Arnaldo Momigliano hob hervor, dass die Tacitus-Rezeption Lipsius’ keine verborgene war, sondern eine bewusste Revision historischer, moralischer und stilistischer Werte im Zusammenhang einer stählernen Gelehrsamkeit.33 Gilt Lipsius den einen als vorbildlicher Stilist und Prototyp des neuzeitlichen Tacitismus, so tritt in anderen Deutungen der Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats in den Vordergrund. Lipsius’ Verdienste erstrecken sich besonders auf die römischen Antiquitäten und die Kritik lateinischer Texte, vorzugsweise archaistischer und aus der silbernen Latinität.34 In letzterer Beziehung heben wir seine Leistungen zu Plautus, Nonius, Velleius Paterculus, Valerius Maximus, dem Philosophen Seneca, des Plinius’ ›Panegyricus‹, besonders aber seine Ausgabe des Tacitus (Antwerpen 1574; 1600, 1607 und 1668) hervor.35 Dementsprechend ist auch sein lateinischer Stil eine Verschmelzung archaistischer Latinität mit der des Apuleius, Tertullian, Cyprian und Arnobius.36 Von Machiavelli unterschied Lipsius dessen historisch-philologisch fundierter politisch-militärischer Antiquarianismus.37 Im Unterschied 32

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Jehasse: Renaissance de la critique, Kap. V, S. 563 (»fait culminer Rome ›d’Auguste a` Trajan‹, en cette fin du Ier sie`cle impe´rial ou` il fixe paralle`lement l’apoge´e des lettres latines (De Magnitudine, III, 5). Cette coincidence ne rele`ve pas du hasard. Les lettres, les sciences et les arts atteignirent alors au degre´ le plus exquis qu’ait donne´ le ge´nie romain; disons le genre humain.«). Vgl. Arnaldo Momigliano: The first Political Commentary on Tacitus. In: ders., Contributo all storia degli studi classici e del mondo antico I, Rom 1955, S. 48. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Jose´ Ruysschaert: Juste Lipse et les Annales de Tacite. Une me´thode de criti-

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zu Machiavelli war Lipsius Philologe und Historiker, der unter anderem bei dem ersten Tacitus- und Seneca-Herausgeber Marc-Antoine Muret38 in die Schule gegangen war. Das ist einer der Gründe, weshalb er auf ein politisch induktives exemplum romanum verzichtete. Vielmehr ging er mit einer umfassenden, auf historisch-philologischer Kritik fußenden Kulturtheorie des römischen Kaiserreichs (wissenschaftliche TacitusEdition; Fax historia; Admiranda, sive, De magnitudine romana libri quattuor, Antwerpen 1598) in die Ideengeschichte ein.39 Lipsius schrieb auch einige Arbeiten zur historischen Methode.40 Lipsius widmet seine erste größere philologische Arbeit Tacitus, den man als Ergänzung zu Titus Livius lesen konnte und den er in den Politicorum libri sex (1589) mit Seneca in einem Programm einer Klugheitslehre der Macht zusammenführt. Polybios wird anschließend in einem weiteren ihm gewidmeten Kommentar DMR (1595) in militärwissenschaftlicher Hinsicht als Untertext eines geschichtlichen Gesamtwerks (fax historica) ausgeschöpft und mit Vegetius verbunden. Die Analecta schließlich sind hinsichtlich ihrer technischen Konzeptionen mit der vegetischen res militaris, dem aristotelischen Technikbegriff und dem mittelalterlichen Antwerk verwandt. Gleich der Militärtheorie Machiavellis lässt sich die Militärtheorie Lipsius’ nicht auf einen Text reduzieren. Sie ist hinsichtlich ihrer theoretischen Referenzen ebenso heterogen wie subversiv. Nicht zuletzt dieser Heterogenität, die vor allem eine Verbindung von Tacitus und Polybios vorsieht, ist es zu verdanken, dass der Lipsianische Humanismus im Zeitalter des Auseinanderbrechens der im christlichen Humanismus nochmals beschworenen res publica christiana, der Konfessionalisierung und der Religions- und Bürgerkriege eine Integrationskraft besaß, die derjenigen des Desiderius Erasmus vergleichbar ist.41 In seiner Politica

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que textuelle au XVIe sie`cle (Recueil de travaux d’histoire et de philologie, 3e Se´rie: fasc. 34), Löwen 1949. Vgl. Jill Kraye: The Humanist as Moral Philosopher. Marc-Antoine Muret’s 1581 Edition of Seneca. In: dies., Risto Saarinen (Hg.), Moral Philosophy on the Threshold of Modernity (The new Synthese Historical Library, 57), Dordrecht 2005, S. 307–330. Vgl. C. O. Brink: Justus Lipsius and the Text of Tacitus, Journal of Roman Studies, 41 (1951), S. 32–51. Die geschichtsdidaktischen Werke, so der Tractatus ad historiam romanam cognoscendam utiles wurde in Frankreich nicht aufgelegt. Es gibt eine Auflage von Cambridge (Jean Legate 1592) und eine von Leiden (Leiden, Franc¸. van Raphelengen, 1592), die mit der Ausgabe von Cambridge identisch ist. Auch der Tractatus peculiares octo ad cognoscendam historiam romanam utiles (1609, 1625) kennt keine französische Ausgabe. Aber in der Collection Dupuy kommt dieser Text einmal vor. Vgl. Nicolette Mout: Insbesondere in den Mittelgruppen des niederländischen Aufstands fand Lipsius eine starke Verbreitung.

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verdichten sich mehrere Tendenzen des europäischen Späthumanismus: Die Rezeption stoischer Philosophie (Seneca, Tacitus und Polybios an Stelle von Cicero, Livius und Vegetius), die Rezeption des Tacitus, die mit dem Werk Lipsius ihren Höhepunkt erreichte,42 der diesen aber erst in den Politicorum libri VI (1589) als politischen Denker verwendete43; schließlich die Polybios-Rezeption, die auch in der Politica gegeben ist, sich jedoch in De militia Romana zu einem militärwissenschaftlichen Traktat entwickelt. Aus diesem Grunde fand Lipsius insbesondere in Nordwesteuropa und vor allem im Frankreich Heinrichs IV. und Sullys (bis 1610) eine starke Rezeption. Der an der von Wilhelm von Nassau 1575 gegründeten calvinistischen Universität Leiden44 lehrende Historiker und Latinist Justus Lipsius tritt in der zweiten Jahrhunderthälfte hinsichtlich seiner sozialen Stellung in den Netzwerken der respublica literaria an die Stelle von Erasmus. Neben ihm gilt Lipsius als der bedeutendste Epistolograph des Humanismus.45 Im Zusammenhang der westeuropäischen Konfessions42

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Rudolf Pfeiffer: History of Classical Scholarship from 1300 to 1850, Oxford 21978, S. 126: Vorläufer von Lipsius war Carolus Paschalius (1581), Die Taciteische Bewegung erreicht ihren Höhepunkt mit dem Werk Lipsius. Vgl. C. O. Brink: Justus Lipsius and the Text of Tacitus, JRS, 41 (1951), S. 32–51. Arnaldo Momigliano: Tacitus and the Tacitist Tradition. In: ders., The Classical Foundations of Modern Historiography, Berkeley-Los Angeles-Oxford 1990, S. 124. Matthijs Siegenbeek: Geschiedenis der Leidsche Hoggeschool, van hare oprigting in den jare 1575, tot het jaar 1825, 2 Bde., Leiden 1829–1832. L. D. Petit: Bibliographische lijst der werken van de Leidsche hoogleeraren van de oprichting der Hoogeschool tot op onze dagen. Faculteit der Godgeleerdheit. Eerste aflevering, (1575–1619), Leyden 1894; Harm Wansink: Politieke wetenschappen aan de Leidse Universiteit 1575– (+/–) 1650, Utrecht 1981; H. T. Colenbrander: De herkomst der Leidsche Studenten, Pallas Leidensis, Leiden 1925, S. 273–303; intellektuelle Beziehungen mit Schweden: E. Wrangel: De Betrekkingen tusschen Zweden en de Nederlanden op het gebied van Letteren en Wetenschap voornamelijk gedurende de zeventiende eeuw, Leiden 1901; Französische Gelehrte an der Universität Leiden, vgl. Paul Dibon: L’Universite´ de Leyde et la Re´publique des Lettres au 17e sie`cle, Quaerendo, V (1975), S. 12: In den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts – der Jurist Hugues Doneau (1579–1587), die Theologen Lambert Daneau (1581–1582), Lucas Trelcat, Vater (1579–1587) und Sohn (1603–1607), Franc¸ois Du Jon (1592–1602), Pierre Du Moulin, Professor der Philosophie 1593–1598. Der Theologe A. Sarravia der Botanist Charles de l’Escluse. Im 17. Jahrhundert: Franc¸ois du Ban aus Autun, der Philosophie lehrte (1635–1643), Charles Drelincourt, Sohn des Pastoren von Charenton und Professor der Medizin (1668–1697) etc. vgl. S. 21: Der erste Katalog der Universitätsbibliothek Leiden wurde von P. Bertius erstellt und erschien 1595 bei F. Raphelengius; ebd., S. 23: »Dans une de ses lettres sur l’e´tat des sciences en Hollande, publie´es en 1660, Sorbie`re e´crivait: ›On est oblige´ d’avouer que les sciences humaines doivent beaucoup aux Etats de Hollande. Ils ont fait voyager a` leurs de´pens de la jeunesse studieuse qui leur a rapporte´ du Levant de fort bons livres Ms.«. Ebd., S. 24: »Le trait fondamental de l’enseignement reste la liaison e´troite, dans l’esprit d’E´rasme (institutio ad mores), de la theoria et de la praxis.« Vgl. Jan Papy: Le se´ne´quisme dans la correspondance de Juste Lipse. Du De Con-

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und Staatsbildungskriege wurde der in Wien, an der orthodox-lutherischen Universität Jena, nach einem Zwischenaufenthalt in Antwerpen, der calvinistischen Universität Leiden und an der katholischen Universität Löwen lehrende ehemalige Jesuitenschüler Lipsius zu einer Integrationsfigur des europäischen Späthumanismus, die der des Erasmus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gleichkommt. Lipsius entwirft in seiner Politica eine durch Tugenden getönte Konzeption fürstlicher Macht und ein Ordnungsmodell, das den Krieg in die zwischenstaatliche Sphäre verlagert. Das setzt Staaten bzw. Herrschaftsordnungen mit einer geordneten Militärverfassung voraus. Diese wird damit neben dem Prinzip einer Religion im Staat (unam religionem) zum maßgeblichen Stabilitätsfaktor in den konfessionellen Bürgerkriegen. Lipsius modifizierte nicht nur die politischen Positionen des Machiavelli und die christliche Philosophie des Erasmus, sondern auch die militärisch-verfassungstheoretischen und militärisch-taktischen Positionen aus den Zeiten der italienischen Kriege (1494 bis 1559/1573). C) Der Epistolograph: Konfessionskriege und respublica literaria Lipsius’ Umwandlung Machiavellischer politischer Methoden und Erasmianischer Friedensrhetorik liegt u. a. in den gewandelten Kriegsursachen und Kriegsformen begründet. In den Konfessionskriegen verbanden sich innergesellschaftliche mit zwischenstaatlichen Konflikten. Da Lipsius im Zusammenhang der Konfessions- und Bürgerkriege keine konfliktuelle Genese politischer Stabilität mehr annehmen konnte, wie Machiavelli, suchte er einen consensus der Funktionseliten des institutionellen Flächenstaates über die stoische Philosophie (stoische Naturrechtslehre, Kosmologie, Erkenntnistheorie, Anthropologie) herzustellen. Ihren moralphilosophischen Auftakt fand diese mit der als Trostschrift konzipierten Schrift über die Standhaftigkeit (De Constantia 1582) und ihren Endpunkt mit den Schriften Physiologia Stoicorum und Manuductio ad Stoicam Philosophiam (1604) und der kommentierten Ausgabe des Seneca (1605). Die Stoa scheint in seinem akademischen Leben nicht nur werkgeschichtlich eine Klammer zu bilden, sondern im Anschluss an den Ramismus ein doxographisches Ordnungssystem zu begründen, in das sich die praktische politische Theorie einschreibt. In De Constantia greift Lipsius die providentia und die bewusste Annahme des Schicksals als Mittel gegen die Niedergeschlagenheit gegenüber den öffentlichen Übeln, den mala publica auf. In der Manuductio ad stoicam philosophiam, einem Leitfaden stoischer Philosophie, entwickelt er die stantia (1583) a` la Epistolarum Selectarum Centuria Prima Miscellanea (1586), Le Journal de la Renaissance, 6 (2008), S. 49–62.

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These des Lebens im Einklang mit der Natur. In der Physiologia stoicorum legt er die Theorie der zwei Prinzipien und das Verhältnis zwischen dem aktiven, mit Gott assimilierten Prinzip und dem passiven Prinzip der Materie dar. a. Netzwerk Lipsius korrespondierte mit einflussreichen französischen Gelehrten und Staatsmännern unter die Auguste und Michel de l’Hospital, JeanJacques de Thou, Fre´de´ric Morel, Pierre Pithou, Florimond de Raemond, der Hellenist und Rhetorikprofessor am Colle`ge royal Adrien Turne`be, Nicholas Bruslart und vor allem Montaigne zählten.46 Lipsius wirkte wie Erasmus, immer bestrebt Theorie und Praxis zu verbinden. Im Unterschied zu Lipsius trat Erasmus der Welt mit eigenen Ansprüchen entgegen; er nötigte sie, ihn anzuerkennen oder doch zu respektieren; er war der Führer einer selbständigen Bewegung. Lipsius ordnete seine Ansprüche der Welt unter; er suchte ihre Anerkennung und ihren Respekt; er mochte zwar Führer sein, aber doch in einer abgeleiteten Stellung.47 Die Ausformulierung bestimmter militärtheoretischer Positionen und die Realisierung von Konzepten ist daher ohne die Nachzeichnung sowohl der Strukturen und Netzwerke aber auch der politik- und militärgeschichtlichen Dynamik undenkbar, in der sich die militärtheoretische Produktion und Konzeptualisierung eingebunden sah. Die Etablierung von regelmäßigen diplomatischen Verbindungen wurde sekundiert von militärisch-ideologischen, militärwissenschaftlichen und militärisch-praktischen Kulturtransfers. Dabei ist die Rolle der Politik- und Diplomatiegeschichte für die politischen Loslösungsprozesse und die Umsetzungsmöglichkeiten, der Spielraum für die Realisierung militärischer Reformen als interdependent zu betrachten. Diese Phänomene müssen in Verbindung mit einer Schwerpunktverlagerung in der Politisierung des Späthumanismus gedacht werden, die den Ansatz von Machiavelli und denjenigen von Erasmus von Rotterdam im politischen Neustoizismus auf die Krisensituation der Religions- und Bürgerkriege hin umformt und neue anthropologische, erkenntnistheoretische und 46

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Vgl. Margaret M. McGowan: The Vision of Rome in Late Renaissance France, New Haven-London 2000, S. 125: Der berühmteste Korrespondent war Montaigne, der De amphitheatro extensiv in den Essais verwendete, sich über das technische Detailwissen, das Lipsius über die durch die Römer erfundenen Maschinen, um die Szenen mit außergewöhnlicher Schnelligkeit und etc. verwandte. […] Montaigne schätzte Lipsius tiefes und zuverlässiges Wissen, seine Fähigkeit eine Vielzahl von Fakten oder Maße über Rom und das Reich zu sammeln und diese in kohärenter Weise zu systematisieren. Vgl. Muhlack: Der Tacitismus – ein späthumanistisches Phänomen?, S. 180.

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normative Muster generiert. Die Transformationen der politischen Heuristik Machiavellis und der religiösen Stabilitätsproblematik des Erasmianismus führen im Denken Lipsius zu einer stoisch-taciteischen Klugheitslehre der Macht, deren auctoritates Tacitus und Seneca sind. Die diplomatischen Verbindungen wurden von humanistischen Netzwerken gestützt.48 Die Verbindungen Lipsius’ nach Frankreich umfassten weitgehend die Verwaltungseliten eines noch protobürokratischen Staates. Diese waren, und das hängt mit einer spezifischen Politisierung des Späthumanismus in einem spezifischen strategischen Kontext zusammen, nicht unabhängig von macht- und konfessionspolitischen Konstellationen. Die ideologischen und militärtheoretischen Positionen können gerade im militärischen Humanismus der 1580er und 1590er Jahre nicht isoliert von den Bündniskonstellationen betrachtet werden. Die militärtheoretische Traditionsaneignung im Späthumanismus ist zunächst eingebettet in eine moralphilosophische Tendenz, die sich in den Konfessions- und Bürgerkriegen und dem niederländischen Aufstand herausbildete. Es ist daher nicht kontingent, dass im Zeitraum von 1584 bis 1610 mehr als achtzig erschienene Werke des Justus Lipsius auf französischem Boden zu verzeichnen sind.49 In beiden Zusammenhängen kristallisiert sich eine absolutistische Doktrin heraus, die jedoch jeweils nationale Besonderheiten aufweist, und den Neustoizismus als einer den Konfessionalisierungstendenzen entgegenwirkenden, vor allem staatsstabilisierenden Ideologie50 herausstellt. Der Schwerpunkt der in Frankreich herausgegebenen und übersetzten Schriften Lipsius’ liegt im Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriege auf der Constantia und der Politica. Insbesondere die Übersetzungen zeigen, dass es zu einer populären Rezeption seiner politiktheoretischen und moralphilosophischen Schriften kam. So wurden auch die Monita et exempla zweimal ins Französische übersetzt.51 Tatsächlich schien es, wie wir sehen werden, nicht die noblesse d’e´pe´e gewesen zu sein, die durch 48

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Vgl. Be´atrice Nicollier: Hubert Languet. 1518–1581. Un re´seau politique international de Me´lanchthon a` Guillaume d’Orange, Genf 1995; vgl. J.G.S.J. van Maarseveen: De Republiek en Frankrijk in het begin van de 17de eeuw, Spiegel der Historie, 1971, S. 413–468. Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 274. Vgl. Denis Crouzet: Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion. Vers 1525–vers 1610, The`se, Paris IV, 1989, S. 1490: Crouzet arbeitet die Bedeutung der neustoischen Ideologie als ›syste`me de de´sangoissement‹ heraus und hebt dessen Bedeutung als ›ide´ologie royaliste‹ hervor. Les Conseils et exemples politiques de Juste Lipse, divisez en deux livres, touchant les vertus et les vices des princes, Paris, J. Richer, 1606. BN [*E.3162; – Les Conseils et les exemples politiques, Paris, Nyverd, 1606. HAB A: 79.6 Pol.; – Le Prince parfait et ses qualitez les plus e´minentes avec des Conseils et des exemples moraux et politiques tirez des œuvres de Juste-Lipse et des plus ce´le`bres autheurs anciens et modernes … par J. Baudoin, Paris, Cardin Besongne, 1650. Re´s-E*–262.

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eine starke Lipsius-Rezeption hervorstach, sondern vor allem der Amtsadel, der zu den Hauptrezipienten Lipsius’ zählte. Nicht nur die Constantia und die Politica erlebten mehrere Übersetzungen und Auflagen im französischen Kulturraum, sondern auch seine Abhandlung über die Einheit der Religion (De una religione) durch Philippe Leroy.52 Meist wurde dieser Text mit der Politica zusammengebunden. Doch insbesondere die Rezeption der Politica in Frankreich war konjunkturell: erfolgte bis ca. 1610 eine besonders intensive Verbreitung der lateinischen und vernakularsprachlich-französischen Fassung des Werkes und erscheint somit als Signum der politischen Kultur des Frankreichs Heinrichs IV., so ebbten die Ausgaben des Werkes in der Folgezeit ab. Im Hinblick auf die anderen Schriften des Späthumanisten sind folgende Ergebnisse festzuhalten: Eine Ausgabe der Poliorketik datiert auf 1693.53 Die Kommentare zur römischen Literatur (Tacitus, Seneca, Kommentare zu Catull, Tibull und Propertius sowie geschichtsdidaktische Werke) wurden nur selten respektive gar nicht in Frankreich herausgegeben. Die Seneca-Edition (L. Annaeus, Opera, a Justo Lipsio emendat et scholiis illustrata, Antwerpen, Jean Moretus, 1605) erlebte in Frankreich drei Ausgaben (1607, 1613, 1619).54 Das Werk über die stoische Philosophie, das 1604 erstmals in Antwerpen bei Joannes Moretus herausgegeben wurde,55 wurde im gleichen Jahr erst- und letztmalig in Paris herausgegeben.56 Die Tacitus-Edition (Antwerpen, Christ. Plantin, 1574: 52

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Apologie de I. Lipsius, traictant de l’unite´ de la religion. Contre la dialogiste de de [sic] Diodore, mise en Franc¸ois par P. Le Roy, Paris, Claude de Monstr’œil, 1603. Justi Lipsii Opuscula Quae Antiquitates Romanas spectant Selectissima Tomus I. De Militia Romana. Poliorcetica, sive de Machinis, tormentis, telis. Lugduni Batavorum, Prostant apud Fredericum Haring, 1693. / Recueil factice forme´ de quelques anciennes e´ditions se´pare´es d’œuvres de Juste Lipse, avec leurs titres spe´ciaux. Le premier vol. comprend le De Militia Romana d’Anvers, 1630, et les Poliorceticon …Libri Quinque d’Anvers, 1625. le second vol. commence par le titre: Justi Lipsii Opuscula Quae Antiquitates Romanas spectant Selectissima. Tomus II. Admiranda sive de magnitudine Romana. De Amphitheatro. De Vesta & Vestalibus. De Cruce. De recta pronunciatione linguae Latinae. Accedunt Ejusdem Libri duo de Constantia. (Fleuron). Lugduni Batavorum, Prostant apud Fredericum Haring, …Les traite´s dont se compose le second vol., appartiennent aux e´ditions d’Anvers 1630, 1621, 1621, 1629, 1628 et 1628. Il est plus que probable que, dans certains exemplaires du recueil de´crit, qeulques-uns des traite´s sont d’une e´dition diffe´rente. Vgl. Van der Haeghen, S. 2651. Opera, cum scholiis J. Lipsii, M.-Ant. Mureti, etc. – M. Annaeus Seneca rhetor. Opera, cum notis And. Schotti, J. Gruteri, J. Lipsii, etc.: Paris, Adrien Pe´rier, 1607; – Paris, Pierre Chevalier, 1613; – Paris, Pierre Chevalier, 1619. Iusti Lipsii Manuductionis Ad Stoicam Philosophiam Libri Tres: LI. Annaeo Senecae, alliisque scriptoribus illustrandis, Antverpiae, Ex Officina Plantiniana, apud Ioannem Moretum, 1604; – Iusti Lipsii Physiologiae Stoicorum Libri Tres: L. Annaeo Senecae, aliisque scriptoribus illustrandis, Antverpiae, ex Officina Plantiniana, apud Ioahhem Moretum, 1604. Paris, Adrien Pe´rier, 1604.

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C. Cornelii Taciti Historiarum et Annalium Libri Qui exstant…) wurde dreimal in Paris herausgegeben (1599, 1606, 1608).57 Niemals auf französischem Boden gedruckt wurde De militia Romana.58 Der Kommentar zu Catull, Tibull und Propertius wurde einmal in Paris herausgegeben.59 Der Caesar-Kommentar (ursprünglich Leiden, Christ. Plantin, 1586) wurde 1620 in Douai bei Jean Bogaert aufgelegt. Die Livius-Edition (Antwerpen, Christ. Plantin, 1579) erfuhr nach van der Haeghen nur eine Auflage. Die Werke Senecas (Opera, a Justo Lipsio emendata et scholiis illustrata, Anvers, Jean Moretus, 1605)60 erschien in Paris,61 die L.A. Senecae epistolae (Leiden, [Bonav. et Abr.] Elzevier, 1649) kein einziges Mal in Frankreich.62 In den 1580er Jahren begann Justus Lipsius sich politisch zu äußern.63 1589 erschien seine politische Hauptschrift, die Politica. Die Leicester-Episode war vorbei: Lipsius unterhielt nun Verbindungen mit Cornelis van Aerssen, dem greffier der Generalstaaten, und über diesen mit Oldenbarnevelt und Moritz von Oranien.64 Mit van Aerssen tauschte er sich nicht nur über politische Gegenstände, sondern auch über Fragen des Festungsbaus65 aus. 57 58

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Paris, Marc Orry, 1599; – Paris, Nicol. Buon, 1606; – Paris, Pierre Chevalier, 1608. Iusti Lipsi de militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium. E parte prima historicae facis, Antverpiae, ex Officina Plantiniana, apud Viduam, & Ioannem Moretum, 1595–96; – Anvers, Jean Moretus, 1598; – Anvers, Jean Moretus, 1602; – Anvers, Vve et fils de Jean Moretus, 1614; – Anvers, Balthasar Moretus, 1630. Commentarius in Catullum Tibullum et Propertium, Paris 1604. In–8° [F. de Reiffenberg, S. 178]. Ferdinand van der Haeghen: Bibliographie Lipsienne. Oeuvres de Juste Lipse, Bd. 3, Gent 1888, S. 50: »Lipse a revu le texte d’apre`s d’anciennes e´ditions qui lui appartenaient ou qu’il devait a` l’obligeance d’autres personnes. Il se servit aussi pour ce travail des e´ditions sans notes d’E´rasme et de Ferd. Pincianus, et des e´ditions annote´es par M. Ant. Muret et par Janus Gruterus. Il a preque toujours corrige´ le texte d’apre`s d’anciennes lectures, ne se fiant a` ses conjecture que lorsque la question e´tait pour ainsi dire e´vidente. La ponctuation a e´te´ presque comple`temen re´forme´e, et des sommaires ont e´te´ mis en teˆte des diffe´rents livres.« Paris, David Douceur, Pierre Chevalier, 1607: Opera, cum scholiis J. Lipsii, M.Ant. Mureti, etc. – M. Annaeus Seneca rhetor. Opera, cum notis And. Schotti, J. Gruteri, J. Lipsii, etc.; und Paris, Adrien Perrier; Paris, Pierre Chevalier, 1613; Paris, P. Chevalier [et Adr. Tiffaine], 1619. Weitere Ausgaben der Werke Lipsius’ in Frankreich: Die Edition der Werke Tacitus’ (Anvers, Christ. Plantin, 1574) in Lyon (Lyon, Ant. Gryphe, 1576; ebd. Ant. Gryphe, 1584; Paris, Jean Gesselin, 1599; Paris, Marc Orry, 1599; Paris, Nicol. Buon, 1606; Paris, Pierre Chevalier, 1608; Gene`ve, Pierre et Jacq. Chouet, 1619). Der Valerius Maximus (Anvers, Christ. Plantin, 1585) in Lyon (Ant. De Harsy, 1607; Ve Ant. de Harsy 1612) und Douai (Jean Bogaert 1619). Nicolette Mout: In het schip: Justus Lipsius en de Nederlandse Opstand tot 1591. In: Simon Groenveld, Nicolette Mout, I. Schöffer (Hg.), Bestuurders en geleerden, Amsterdam-Dieren 1985, S. 58. Ebd., S. 61. Vgl. Justus Lipsius: Lettres ine´dites de Juste Lipse, concernant ses relations avec les hommes d’e´tat des Provinces-Unies des pays-bas, principalement pendant les an-

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Neben Lipsius wurden auch die Humanisten Scaliger, van Meurs und Saumaise in die Militärreformen der Nassau-Oranier miteinbezogen.66 Lipsius beschloss die calvinistische Universität Leiden zu verlassen und nach Löwen in die katholisch-habsburgischen Südniederlande zu gehen. Bereits 1586, drei Jahre vor dem Erscheinen der Politicorum libri sex, die ihn aufgrund seiner Befürwortung einer Religion im Staate in Konflikt mit Dirck Volckertsz Coornhert brachte, zeichnete sich dieser Entschluss ab, der sich bis 1591 hinziehen sollte.67 Sein militärwissenschaftliches Kompendium De militia Romana war dem spanischen König Philipp II. gewidmet. Justus Lipsius war nicht nur ein gefragter Militärberater, sondern ähnlich wie Duplessis-Mornay, der sich über die Festungen in Flandern kundig machte,68 auch ein Analytiker der europäischen Machtverhältnisse. Zum Zeitpunkt der Abfassung respektive Veröffentlichung der Politica galt Lipsius’ Sorge dem strategischen und politischen Erfolg Heinrich von Navarras, der in den Anfangszeiten Schwierigkeiten hatte, Autorität über die Armee zu erlangen. Nach dem Tod des letzten Valois wurde Heinrich von Navarra von der Armee zum König ernannt, dann jedoch aufgrund seiner Misserfolge von einem Großteil dieser wieder verlassen.69 Er sah sich gezwungen sich aus der Normandie zurückzuziehen, war aber gegen die Liga und die Spanier in der Nähe von Arques (1589) mit einem entscheidenden Schlag erfolgreich und konnte sich gegen die Macht und die Pläne Philipps II. durchsetzen. Lipsius hatte diesen Erfolg erhofft und begrüßt die Erklärung Heinrich IV. vom 4. August 1589, in der dieser seine Projekte für Frankreich darlegt: Les nouvelles de France me plaisent et mesme cette mode´ration aux affaires de la religion, combien que aulcuns ou chatouilleux ou crupuleux ne le trouvent bon: mais croyez moi, [schreibt er am 22. August 1589 an Cornelis van Aerssen] c’est le vray chemin pour redresser l’Etat et establir une paix ferme. Tant y a que en l’e´lection du Roy le fondement est jecte´ de la causse et le reste doibt suivre.70

Lipsius verfolgte aufmerksam die militärischen Ereignisse und reagierte auf den Sieg Heinrichs IV. in der Schlacht von Ivry (14. März 1590)

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ne´es 1580–1597. Hg. v. Guillaume G. H. M. Delprat. In: Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Eerste Deel, Amsterdam 1858. Mout: In het schip, S. 61f.: »Lipsius raakte, evenals later geleerden als Scaliger, Meursius en Salmasius, betrokken bij de legerhervorming van de Nassaus.« Vgl. Lipsius: Lettres ine´dites de Juste Lipse; Gerhard Oestreich: Neostoicism and the Early Modern State. Hg. v. Brigitta Oestreich, Helmut Koenigsberger, übers. v. David McLintock (Cambridge Studies in Early Modern History), Cambridge 1982, S. 39–56, S. 76–89. Mout: In het schip, S. 62. Zedlers, Bd. 21, Sp. 1726. Lipsius: Lettres ine´dites de Juste Lipse, S. 14f. Ebd., S. 15.

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erfreut. Schon am konkreten Verlauf dieser Auseinandersetzung hatte er reges Interesse gezeigt. In Caen erschien in Nachbarschaft zur Schlacht eine Schrift, die die Einzelheiten des Geschehens darlegt. Lipsius bekam diese augenblicklich in die Hände, schickte um den 23. August ein Exemplar an van Aerssen und hielt jenen über die aktuellen täglichen Ereignisse auf dem Laufenden. Seiner Ansicht nach standen die Befreiung oder die Unterdrückung Europas auf dem Spiel.71 Denn Lipsius sah die innenpolitische Stabilität Frankreichs kausal verkettet mit dem politischen Gleichgewicht Europas. Nach Eintreffen der Nachrichten von der Einnahme Paris’, denen Lipsius zunächst keinen Glauben schenkte, stellte er Überlegungen taktischer Natur an. Ein langer Widerstand der Belagerten erschien ihm unmöglich, zumal die benachbarten Dörfer in der Macht Heinrichs IV. standen. Der religiöse Fanatismus würde die Belagerten nicht daran hindern, sich mangels Versorgung zu ergeben.72 Eine einschneidende Zäsur, die auch einen Bruch innerhalb der respublica literaria markierte, war der Weggang Lipsius’ 1591 aus Leiden in die Südniederlande nach Löwen. Er war nunmehr nicht mehr Berater der Generalstaaten und der Oranier, sondern der südniederländischen Eliten. Wie Machiavelli erweist sich Lipsius als ein Analytiker der Machtverhältnisse und politicus nicht nur im theoretischen Sinne, sondern ganz konkret in seiner Analyse der Machtverhältnisse in Europa um 1595. 1595 schrieb Lipsius einen Brief an einen Aristokraten. Dieser enthielt zum einen eine Analyse der strategischen Verhältnisse, zum anderen spiegelt sich darin die moralphilosophische Position des Humanisten.73 In dem am 3. Januar 1595, im Jahr des Bündnisses zwischen 71 72 73

Ebd. Ebd., S. 16. Justi Lipsii Epistola, qua respondet cuidam viro principi deliberanti bellumne an pax an potius induciae expediant regi Hispaniarum cum Gallo, Anglo, Batavo, scripta 3 januarii 1595 ... BN F–6965; Gesamttitel: Eryci Puteani Professoris Lovaniensis de Induciis belgicis dissertatio politica. Hactenus Suppressa, sed nunc bono publico in Lucem emissa. Adjecta est Iusti Lipsii, ob argumenti similitudinem, de Induciis Epistola, Anno Domini 1617. // Vgl. Ferdinand van der Haeghen: Bibliographie Lipsienne. Oeuvres de Juste Lipse, Premie`re Se´rie, I, Gent 1886, S. 387f. Ausgabe von 1608: s.l.n. d’impr.: »D’apre`s le titre, cette lettre a e´te´ e´crite par Juste Lipse a` un grand seigneur qui l’avait consulte´ pour savoir si, dans les circonstances d’alors, il e´tait de l’inte´reˆt du roi d’Espagne de faire la guerre ou de conclure une paix ou une treˆve avec l’Angleterre, la France et la Hollande. Lipse se montre adversaire convaincu de la prolongation des hostilite´s. Il conseille sans re´serve la paix avec le premier de ces trois e´tats. D’apre`s lui, la reine Elisabeth ne demanderait pas mieux que d’en arriver a` un arrangement, son tre´sor e´tant entame´, son peuple aimant avant tout le commerce et la liberte´, et elle-meˆme continuant la lutte plutoˆt par crainte que par haine de l’Espagne. La paix avec la France ne rencontrerait pas plus de difficulte´s, mais comme il ignore les dispositions du roi d’Espagne et qu’il ne veut point pe´ne´trer dans ses plus intimes desseins, il se prononce pour la treˆve, qui donnerait aux populations un repos momentane´, tout en laissant survivre les anciens projets.«

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Heinrich IV. und Elisabeth I. – mit dem der Erhalt der nördlichen Niederlande als internationales Ziel der Gegner Spaniens proklamiert wird – verfassten Brief nimmt er Partei für die Spanier (mit dem selben konzeptuellen Arsenal mit dem er einst als Berater der Generalstaaten aufgetreten war). Er richtet seinen Blick auf die politische und militärische Macht Englands, der Generalstaaten und Frankreichs.74 Die Spanier können sich auf ihre Finanzverwaltung und die Disziplin stützen, ohne die kein Krieg erfolgreich geführt werden kann. Wenn der Feind Fortschritte mache, so bedeute dies ›unseren‹ Rückschlag. Er schätzt die Haltung der Holländer folgendermaßen ein:75 Die Kriegslust der Holländer sieht er im Niedergang begriffen. Die Franzosen wollten ebenfalls Frieden, befänden sich aber aufgrund des Dissenses und der Verdächtigungen des Adels (inter viros Principes) in einer weniger stabilen Lage.76 Machtpolitisch stehen sie jedoch alle gut da: Sie verfügen über wertvolle und günstig gelegene Plätze, über eine gut ausgebildete Armee und Ordnung auf dem Feld (in aerario) und in der gesamten Regierung (tota gubernatione).77 Man müsse die Republik oder Disziplin (rempublicam aut disciplinam militarem) verbessern, wenn man wolle, dass der König regiere.78

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Justi Lipsii Epistola, S. 31f.: »De re igitur audi. Deliberatur, bellum an pax cum hoste placeat, & dicam distincte` sententiam meam Hostis nobis triplex, ut nunc est status rerum, Gallus, Angla, Batavus. Duo illi externi; hic tertius internus, & rebellis potius quam hostis. Si igitur de prioribus quaeritur, a` Regis hoc consiliis totum & opibus pendet, bellum an pacem cum ijs velit; & utrum pro re conducat. Si metus ab illo Barbaro & communi hoste Austriacis non esset, ego putarem Regem tractu omnes istos posse frangere, si tantum bellum ex fide & discipline aliqua geratur. Fidem dico in pecuniarum administratione & mumerum; ut illa non dissipetur, ut haec idoneis & dignis dentur: Nam de fide in ipsum Regem, vix puto ambigendum aut quarendum. Addidi disciplinam, quoniam revera sine ea (fiant & dicantur omnia) bellum nullum feliciter satis & fortiter geretur. O militem bonum ad malum, & minores duces? sed opus est isto legum & severitatis quodam vinculo, quod constringat, & vires & viros istos utiles Reipublicae reddat; diffluunt alioquin per lasciviam, per libidinem, per ferociam: nec aliud in ista militari turba, quam rapinae aut seditiones. Tu & prudentes nostis (sic), me vera dicere; & fons malorum nostrorum est iste. Si hostis progressus fecerit, a` regressu nostro est.« Ebd., S. 33. Ebd., S. 33f. Ebd., S. 34; ebd. S. 39: »Ea pacta cum illo est, exules recepti, & vires abductae, corruptus occulte eius miles. Quid dicam? Terribilis ille & Paulo ante Neptunus, vix une navi effugit, cervices gladio praebuit, & intra annum extinctum totum bellum.« Ebd., S. 39: »Rempublicam aut disciplinam militarem emendare si volumus (debemus, si regere Regem volumus (non fiet apte` autcito` par arma. Licentia nimis invaluit, corruptio, & mala, quae optimis prote(n)tissimisq; rebus & regibus sunt perdendis.«

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Die Lipsius-Rezeption in Frankreich von 1590 bis 1610 In Frankreich kam es im Zeitraum von 1590 bis 1610 zu einer intensiven Phase der lateinischen und vernakularsprachlichen Verbreitung der Constantia und der Politica. Die ersten Rezipienten der Trostschrift und der politischen Lehre Lipsius’ waren seit 1572 in erster Linie französische Protestanten, die sich im niederländischen Exil befanden oder in den Diensten Heinrich von Navarras standen, wie Dominique Baudier (1561–1613), der Autor der Moralis et civilis sapientiae,79 Historiker, Dichter, Professor und Mitglied der Akademie von Leiden, Jean Hotman, sieur de Villiers (1552–1636), Diplomat und Rat des Königs (conseiller du roi), Jacques Bongars, der gleichfalls Polybios rezipierte und den Mare´chal de Bouillon beriet,80 Charles de l’Escluse, einem Übersetzer der Vita von Hannibal und Scipio des Plutarch,81 Josias Mercier und Je´roˆme Groslot de l’Isle. Andererseits gehörten zu seinen Rezipienten diejenigen, die Willem Beeckman die senatores litterati, kultivierte Parlamentarier nannte, darunter Jacques-Auguste de Thou, Claude Groulart (1551–1607), erster Präsident des Parlaments der Normandie, Pasquier, Pierre Pithou (1539–1596), der ein Vertreter des Gallikanismus war,82 Rechtsgelehrte, Historiker und allgemein die Humanisten und Gelehrten. Pierre Pithou trat daneben mit Arbeiten über die Konversion Heinrichs IV. hervor83 und gab zusammen mit Guy Du Faur, seigneur de Pibrac, Michel Hurault, Pierre Pithou, Jacques-Auguste de Thou und Nicolas Le Fe`vre 1592 die Epistolarum seu sermonum libri sex von Michel de l’Hospital (1505–1573) heraus.84 Überdies korrespondierte Lip-

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Moralis et civilis sapientiae monita Libris IV comprehensa. Auctore Dominico Baudio,…Leydae in Batavis, typis Ioannis Balduini, Prostat apud Ludovicum El´ pitre de´dicatoire a` Henri, prince de Galles. zevirium, Anno M.DC.XI. – E U.a. – Lectiones polybiana ms codicis augustani …Argentorati 1670 Ex epistol. …ad Lingelshemium. J–3456; – Le Secre´taire sans fard, ou Recueil de diverses lettres du Sr Jaques de Bongars, …avec une instruction a` lui donne´e par feu monsieur le mareschal de Bouillon, pour lors seigneur de Turrenne … – (s.l.n.d.) BN H–11788. Übersetzer von Plutarch: Vies de Hannibal et de Scipion l’Africain…Paris 1572. BN 8-J–7856; – Les Vies des hommes illustres grecs et romains, compare´es l’une avec l’autre par Plutarque de Chaerone´e, translate´es de grec en franc¸ois par Messire Jacques Amyot, …Auxquelles sont adjouste´es … les vies de Annibal et de Scipion l’Africain, traduites de latin en franc¸ois par Charles de l’Escluse …Lausanne, F. le Preux, 1575. BN FOL-J–426. Pierre Pithou: Les libertez de l’Eglise gallicane, Paris, M. Patisson, 1594. BN 8-LD4–25 (A). Pierre Pithou: Traicte´ de la juste et canonique absolution de Henry IIII ... [traduit du latin de Pierre Pithou), Paris, C. de Montr’œil et J. Richer, 1595. BN 8-LB35–523. Michaelis Hospitalii...Epistolarum seu sermonum libri sex, Lugduni, per H. Gazeium, 1592. BN MFICHE YC–8284.

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sius mit Guillaume Du Vair (1560–1621),85 garde des sceaux, e´veˆque de Lisieux und moralistischer Schriftsteller. Der Austausch zwischen ihm und dem Franzosen intensivierte sich um 1592. Antoine Coron bemerkt, dass der Erfolg in diesem klar umrissenen französischen Milieu mit dem Erscheinen der Politica 1589 verbunden war, welches in ein Schlüsseljahr für Heinrich IV. fiel.86 Festzuhalten ist die intensive Lipsius-Rezeption der Hugenotten insbesondere in La Rochelle.87 Spielte diese Position der Gelehrten und auch die Historiographie zunächst eine bedeutende Rolle in der Herausbildung herrschaftlicher Legitimitätsmuster

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Lipsius und Guillaume du Vair: Maxim Marin: Le stoı¨cisme de Juste Lipse et de Guillaume du Vair. In: Juste Lipse (1547–1606) en son temps. Actes du colloque de Strasbourg, BN 1994, S. 397–412. Coron: Juste Lipse, juge des pouvoirs politiques europe´ens, S. 453: »Ce succe`s dans ce milieu pre´cis nous semble lie´ a` la parution des Politica en 1589, a` un moment crucial pour la fortune d’Henri de Navarre. Les ›politiques‹ de`s la parution de ce traite´ conside´re`rent Lipse comme l’un des leurs. L’ouvrage parut en 1590 en deux e´ditions – latine et franc¸aise – a` la Rochelle et jusqu’en 1609 17 e´ditions parurent en France, dont 13 traductions.« Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 272: »Neustoisches Denken in Frankreich zwischen 1580 und 1610/20«; ebd.: »Die 1584 bei Christophe Plantin in Leiden erscheinenden De Constantia libri duo, qui alloquium praecipue continent in publicis malis, das weltanschauliche Grundwerk des eigentlichen Neustoizismus, werden im gleichen Jahr und an gleicher Stelle bereits auch in der französischen Übersetzung von Nuysement gedruckt, und auch die 1589 bei Franc¸ois van Raphelengen erstmals erscheinenden Politicorum sive civilis doctrinae libri sex. Qui ad principatum maxime spectant, das politisch-theoretische Hauptwerk des Neustoizismus, werden bereits im folgenden Jahr sowohl in der lateinischen Fassung (bei H. Haultin) als auch in einer französischen Übertragung (bei M. Villepoux, übersetzt von Charles Le Ber) im hugenottischen La Rochelle aufgelegt (1590).«; S. 273: »In unserem Zusammenhang ist diese Druckervereinigung deshalb von besonderem Interesse, weil die politische Philosophie des Lipsius allem Anschein nach zum festen Programm gehört, und weil wir damit das Lipsianische Denken in der unmittelbaren Umgebung des Königs und der Beamtenaristokratie finden.« S. 273f.: » Um den politischen Charakter der Editionsgeschichte des Lipsius in Frankreich zu verdeutlichen, wollen wir uns zwei Momente vergegenwärtigen: (a) für die Zeitspanne von 1584 bis 1610 (d. h. von dem Erscheinen der Constantia, dem Beginn der französischen Thronfrage, bis zum Tode Heinrichs IV.) lassen sich mehr als achtzig (!!) auf französischem Boden erschienene Werke des J. Lipsius ausweisen (bis zur Ausgabe der Conseils et Exemples von 1653 ist die Zahl auf etwa 120 geklettert), und (b) ein Blick auf die Druckorte sowie auf die Hauptwerke der Constantia und Politica zeigt, daß Lyon, La Rochelle, Tours und Paris die Druckorte des Lipsius sind, und daß die Ausgaben von La Rochelle und Tours im Zeitraum bis 1594 liegen (in Lyon auch noch danach bis zur Gesamtausgabe bei bei Horace Cardon 1613), während sich ab 1594 die Ausgaben nur auf Paris konzentrieren (Lyon versorgt gleichsam den Süden). Es fällt ins Auge, daß diese Chronologie und dieses Editionsitinerar mit dem politischen Itinerar Heinrichs IV. übereinstimmt.«; 277: »Einen weiteren Hinweis auf die Beziehung zu Lipsius und zum Neustoizismus liefert schließlich die Bibliothek Bongars (dazu später genauer, in der sich 29 (!) Werke des Lipsius finden.«; 280f.: »Wie sehr Lipsius, obwohl nie

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sowie einer politischen Paideia, so kann für die militärische Kultur festgehalten werden, dass sie einem vergleichbaren Impuls folgte. Lipsius stimmt mit Montaigne überein, mit dem er eine umfangreiche Korrespondenz unterhielt, wenn er die einseitige Aufwertung von Waffen im Verhältnis zu den Litterae moniert.88 Wie viele seiner Zeitgenossen hob Montaigne die Kultivierung militärischer und intellektueller Fähigkeiten gleichermaßen hervor und trat für ein ausgewogenes Verhältnis von Waffen und Bildung ein. Montaigne ging über eine einfache Bewunderung entweder für Waffen oder Bildung hinaus und lobte gleichermaßen die militärisch-praktischen als auch die intellektuellen Fähigkeiten.89 Mit Patrizi und Lipsius verband ihn die Rezeption griechischer Taktik:

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persönlich in Frankreich gewesen (nur einmal auf der Rückreise von Rom 1570 macht er Station in Doˆle, in der Franche-Comte´, um der medizinischen Promotion seines Freundes Victor Giselinus beizuwohnen), zu den humanistischen und politischen Kreisen in Paris Beziehung hat, wird auch deutlich, wenn man das sehr lange und bisher unveröffentlichte Gedicht J.-A. de Thous Ad Cl. Virum Justum Lipsius. Lugdunum Batavorum betrachtet (Dupuy, 460, fol. 43r–46v.). Aus der Fülle der französischen Humanisten, mit denen Lipsius in direkter Verbindung stand, und bei denen er höchste Wertschätzung erfuhr, seien nur noch einige wenige hier erwähnt, besonders jenes soeben genannte Haupt der Verschränkung von Humanismus und Politik, Jacques-Auguste de Thou, des weiteren die Gebrüder Pithou, der aus Genf stammende und in Paris als Bibliothekar Heinrichs IV. wirkende Isaac Casaubon; einer der engsten Freunde von G. Du Vair und J.-A. de Thou, Nicolas Le Fe`vre, schließlich noch der berühmte Jurist Jacques Cujas, der calvinistische Theologe Lambert Danneau, der für Lipsius’ eigene Geschichte höchst bedeutsame Marc-Antoine Muret, der Sohn des großen Kanzlers Michel de L’Hospital, Michel Hurault de L’Hospital, und der Nachfoler Bellie`vres im Kanzleramt (1607), Nicolas Brullart de Sillery. Joseph-Juste Scaliger bekennt sich offen dazu, daß Lipsius sein Freund sei, obwohl gerade er es ist, der in seinem Urteil über Lipsius [...] Unter den französischen Korrespondenten des Lipsius finden sich auch der für die jansenistische Entwicklung von Port-Royal so bedeutsame Jean Duvergier de Hauranne und der Verfasser des Franco-Gallia, Franc¸ois Hotman, sowie dessen Sohn Jean Hotman.« Alfredo Bonadeo: Montaigne on War, JHI, 46, 3 (1985), S. 417–427; Kyriaki Christodoulou: L’image du guerrier grec dans les Essais de Montaigne. In: Gabriel-Andre´ Pe´rouse, Andre´ Thierry, Andre´ Tournon (Hg.), L’homme de guerre au XVIe sie`cle. Actes du Colloque de l’Association RHR, Cannes 1989 (Publications de l’Universite´ de Saint-E´tienne), Saint-E´tienne 1992, S. 89–104; Robert J. Collins: Montaigne’s rejection of reason of State in De l’utile et de l’honneste, SCJ, 23, 1 (1992), S. 73–94; Daniel Me´nager: Montaigne et les guerres d’Italie. In: Montaigne e l’Italia, Atti del Congresso internazionale di studi di Milano-Lecce (26.–30. Oktober 1988), Genf 1991. James J. Supple: Arms versus Letters. The Military and Literary Ideals in the ›Essais‹ of Montaigne, Oxford 1984, S. 62f.: Die antiken Philosophen waren nicht nur »grands en science«, wie er uns wissen lässt, sie waren »encore plus grands en tout action«. Montaigne geht über eine einfache Bewunderung für die arma oder die litterae hinaus und rühmt diejenigen, die, wie viele seiner Zeitgenossen, militärische und literarische Fertigkeiten in gleichem Maße kultivierten.

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Buch II, 9 der Essais Montaignes ist eine gesteigerte taktische Mobilität zu entnehmen.90 b. Von der Friedensrhetorik Erasmus’ zur Polemologie Lipsius’ Die systematische Umsetzung der Trienter Bestimmungen durch Philipp II.91 sollte zu einem entscheidenden Teilmoment in der Motivation der Rebellion führen, welche in einen achtzig Jahre währenden Unabhängigkeitskrieg der nördlichen Niederlande (1568–1648) mündete. In diesem Krieg, der zum Angelpunkt des politischen Denkens Lipsius’ wurde, waren politische und religiöse Elemente unauflöslich miteinander verbunden.92 Der Unabhängigkeitskrieg, in dessen Anfangsphase es zu einer Verbindung von politischer und konstitutionell-kirchlicher Opposition93 seitens des Adels und des reichen Bürgertums der niederländischen Nordprovinzen gegen die Steuerforderungen des Königtums gekommen war, entwickelte sich rasch zum Religionskrieg und weitete sich schließlich zum Kampf um nationale und politische Selbständigkeit aus.94 Der nach außen gerichtete Konflikt, in dem bis zur Pazifikation von Gent (1576) die sich jeder konfessionellen Radikalisierung entziehenden Mittelgruppen eine große Rolle gespielt hatten,95 radikalisierte sich bald im Innern durch die Polarisierung der Führungseliten in tridentinischen Katholizismus und Calvinismus96 und verband sich mit einer sozialen Krisensituation.97 Bei näherer Betrachtung erweist sich daher, dass der Unabhängigkeitskrieg der Niederlande insgesamt eine sporadische Angelegenheit war, bei der verschiedene soziale Gruppen und

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Eric Werner: Montaigne strate`ge, Lausanne 1996, S. 12: »La guerre, explique Montaigne au chapitre II, 9, est d’abord et avant tout affaire de mobilite´. Les combattants doivent donc pouvoir se de´placer rapidement dans l’espace, et a` cette fin ne pas porter d’armes trop lourdes, susceptibles de les geˆner dans leurs de´placements. C’est ce qu’avaient bien compris les Parthes (dont les armes ›se preˆtaient au mouvement‹), et c’est pourquoi Montaigne les cite, comme il le fait, en exemple. Leurs armes ont valeur paradigmatique. Elles sont symboliques de la manie`re dont il convient de faire la guerre (par opposition a` l’armement moderne ou a` celui des anciens Gaulois).« Erich Hassinger: Das Werden des frühneuzeitlichen Europas, Braunschweig 1966, S. 291. Vgl. Nicolette Mout: Abschied vom Erasmianismus, S. 70. Ebd., S. 83. E. W. Zeeden: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe (1555–1648). In: Herbert Grundmann (Hg.), Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 9 1970, S. 131. Mout: Abschied vom Erasmianismus, S. 66. Vgl. Heinrich Lutz: Reformation und Gegenreformation (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 10), München 1979, S. 161. Ebd., S. 82.

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Religionen sowohl gegeneinander als auch gegen die habsburgischen Herrscher kämpften – oder manchmal mit ihnen Kompromisse schlossen.98 1584 schrieb Lipsius in De constantia, dass zwischen Adel und Volk und selbst im Innern jeder Gruppe Konflikte herrschen; keiner wisse zu gehorchen, keiner zu befehlen. Viele seien tätig in Worten und alle träge in Taten. Schließlich sei bei den Führern selbst kein Rat, geschweige denn Zuverlässigkeit zu finden.99 Justus Lipsius Biographie ist mit dem von Erasmus heftig bekämpften Bürger- und Glaubenskrieg eng verbunden. 1571, nach seiner Rückkehr nach Löwen, von der Inquisition und dem ›Rat der Unruhen‹ unter Führung des Herzogs von Alba bedroht, floh er an den kaiserlichen Hof nach Wien. Eine allgemeine Amnestie erlaubte es ihm, nach Löwen zurückzukehren.100 Zwei Jahre später geriet er infolge des Siegs des kaiserlichen Feldherrn Don Juan d’Austria (1547–1578) erneut in Gefahr. Er floh nach Antwerpen, erhielt an der Universität Leiden eine Professur und lehrte dort bis 1591. Lipsius verließ die Universität Leiden infolge des Säkularismusvorwurfs 1591; am 12. Sept. 1592 wurde er Professor der Geschichte in Löwen; am 14. Dez. 1595 wurde er zum königlichen Historiographen des Spanischen Königs ernannt, unter anderem weil er für eine Religion im Staat eintrat. In welchem Maß die Bürgerkriegssituation zum Ausgangspunkt seines moralisch-philosophischen und politischen Denkens wurde, verdeutlicht folgende Stelle aus der Constantia: »Siehe, wir werden vom Kriege hin und her getrieben und geplagt, nicht allein mit auswärtigen, sondern mit Bürgerkriegen, nicht nur mit bürgerlichem, sondern auch mit innerem Krieg.«101 Lipsius ging jedoch, als sich zwischen seinem politischen Denken – in der Politica war er für eine Religion im Staat eingetreten – und seiner konfessionell indifferenten Haltung Konflikte mit der Verfassung der Generalstaaten auftaten, 1591 erneut in die Süd-

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Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Frankfurt a. Main 1996, S. 120. Justus Lipsius: De Constantia. In: Jacqueline Lagre´e, Juste Lipse. La restauration du stoı¨cisme, Paris 1994, S. 157. Vgl. Jeanine de Landtsheer: Le retour de Juste Lipse de Leyden a` Louvain selon sa correspondance. 1591—1594. In: Christian Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps. Actes du colloque de Strasbourg, 1994 (Colloques, congre`s et confe´rences sur la Renaissance, 6), Paris 1996, S. 347–368. Gerhard Oestreich: Strukturprobleme der Frühen Neuzeit. Hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 311: »Denn wir haben nicht nur zwei Parteien, sondern aus ihnen entstehen [...] neue Parteien. Hinzu kommen Pest, Hunger, Brandschatzungen, Rauben, Morden und schließlich ein Übel über alle Übel die Tyrannei und Unterdrückung nicht des Körpers allein, sondern auch des Geistes.«

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niederlande102 und suchte in seinem letzten Lebensabschnitt den Stoizismus mit dem Katholizismus wieder zu verbinden. 1605 veröffentlichte er eine Ausgabe von Seneca, in der er die Übereinstimmung zwischen Stoizismus und Christentum stark hervorhob, was seit Erasmus undenkbar geworden war.103 Bot Lipsius in der Frühphase seines Werks mit dem moralistischen und politischen Neustoizismus eine überkonfessionelle Ideologie, die seine Rezeption in den Kreisen der gemäßigten Hugenotten, in La Rochelle und unter den politiques als auch bei den Mittelschichten des niederländischen Aufstandskriegs erklärt, so erscheint die eigentlich metaphysisch-ontologische Grundlegung des philosophischen Neustoizismus in Verbindung mit dem Katholizismus hinter den politischen Realitäten des sich ausbildenden konfessionellen Staateneuropa als Antagonismus. Die Monita et exempla politica, die zusammengebunden sind mit den Politicorum sive civilis doctrinae libri sex und ad libros politicorum notae, et de vna religione liber und mit De Constantia (Antverpiae, ex Officina Plantiniana, 1613, 1610, 1610, 1615), richtete sich im Vorwort der letzten Ausgabe an die Belgier und riet ihnen die Beständigkeit als ihre Losung anzunehmen. Die Belgier wurden hier dazu angehalten, den spanischen und katholischen Herrschern zu gehorchen und nicht den Weg des rebellierenden Holland einzuschlagen. Die Modifikationen im europäischen Humanismus sind undenkbar ohne eine Veränderung der Kriegsmotive und der Gewaltstrukturen. Lipsius’ Zeithorizont war nicht zuletzt dadurch bestimmt, dass sich, im Vergleich zu Erasmus, der in seinem Korrespondentennetz eine Integrationsfigur darstellte und als Berater von Herrschern und Ministern aufgetreten war, die Kriegsmotive geändert hatten. Der christliche Humanist Erasmus stand in einer personalen Beziehung Herrschern und 102

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Zedlers, Bd. 17, Sp. 1573: »Inzwischen musste er sich doch befürchten, es dürffte ihm dieses zu Leiden nicht allzuwohl ausgeleget werden, zumahl er, wegen einiger der Holländischen Freyheit nachtheiligen politischen Principiorum, verdächtig worden, und darüber mit dem renommirten Theodoro Volcardo Coornhaert in einem ihm gar nachtheiligen Streit und Schrifft-Wechsel gerathen war. Brucker I. c. pag. 762.765. seqq. Folglich zu denen Holländern sich nicht viel gutes mehr versahe, weßwegen er sich gleichfalls im Jahre 1591. heimlich davon schlich; wiewohl die grossen Versprechungen, die ihm von Seiten derer Jesuiten und Spanischen Niederlande geschehen, nebst der gewissen Hoffnung, durch solchen Uebergang seine Güter wieder zu erlangen, und letztlich auch das hefftige Antreiben seines über ihn viel zu sagen habenden Ehe-Weibes.« Vgl. Anthony Grafton: Joseph Scaliger. A Study in the History of Classical Scholarship, Bd. 2: Historical Chronology, Oxford 1993, S. 702: »Lipsius, […] established the firmness of his commitment to Catholic Church – something wich his long career as heretic and turnocoat could easily have called in doubt – by defending the miraculous power of a chrine of the Virgin that healed the blind and the halt. Worse still, he even lied about the pagan classics. He published in 1605 an edition of Seneca wich heavily emphasized the agreement between his Stoicism and Christianity.«

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Päpsten gegenüber, die zumindest vordergründig eine dynastische Politik verfolgten und sich in ihren politischen Motiven auf traditionelle Begründungsmuster stützten. Papst, Kardinäle, Könige und Kaiser waren für Erasmus Träger der Politik. Anders Lipsius, der von 1578 bis 1592 in der ›bürgerlichen Republik‹ der vereinigten Niederlande lebte und lehrte, deren Fundament und Stärke in der Welt des Handels und Gewerbes lagen.104 Die Auseinandersetzungen, die auf den Tod Karls V. (1558) folgten, waren nicht mehr von feudalen Rivalitäten, sondern von Faktoren wirtschaftlicher und militärischer Macht bestimmt.105 Lipsius antwortete darauf mit einer Kulturtheorie des kaiserlichen Rom, in der sich die von der Geschichtstheorie der Protestanten distanzierenden106 historisch-antiquarischen Arbeiten107 mit den Herrschafts- und Lebensformen von Tacitismus und Senecanismus verbinden. Lipsius optierte gegen eine protestantische Geschichtstheorie und für eine historischantiquarische Begründung politischer Klugheitslehre.

2. Tacitismus und Senecanismus – prudentielle politische Lehre A) Tacitus-Rezeption, Klugheit und neulateinischer Stilwandel Lipsius’ Bewunderung für Tacitus war kein Machiavellismus in getarnter Form: Hinter den eisernen Toren der Gelehrsamkeit stand eine gelehrte Revision historischer, moralischer und stilistischer Werte, wie Arnaldo Momigliano anmerkt.108Auch der Rechtshistoriker Michael Stolleis diagnostiziert in dem »neulateinischen Stilwandel vom ciceronianischen Klassizismus zum ›manieristischen‹ Tacitismus, nur scheinbar ein Oberflächenphänomen«, sondern einen »Ausdruck tiefreichender Wandlungen des Denkens und der politischen Grundstimmung«: Je mehr sich das 16. Jh. seinem Ende näherte, desto mehr erschien die Welt nicht mehr nach klaren Prinzipien geordnet, durchsichtig und beherrschbar, ästhetisch schön durch Maß und Zahl, sondern voller Paradoxa und Rätsel, unsicher und unterminiert durch Gewalt. […] Seneca und Tacitus entsprachen in ihrem lapidaren bzw. militärischen Tonfall nicht nur der allgemeinen Stimmung, sie gaben auch die

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Vgl. Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte, S. 120. Vgl. Michael Howard: Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Ritterheer zur Atomstreitmacht (Beck’sche Schwarze Reihe, 233), München 1991, S. 37. Viljo A. Nordman: Justus Lipsius als Geschichtsforscher und Geschichtslehrer. Eine Untersuchung (Suomalaisen Tiedeakatemain toiituksia. Sarja B), Helsinki 1932, S. 82. Vgl. Colette Nativel: Juste Lipse antiquaire. In: Christian Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 275–293. Arnaldo Momigliano: Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, Bd. 2, Stuttgart-Weimar 1999, S. 128.

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besseren Antworten auf die Frage, wie man sich im Bürgerkrieg und in Hofintrigen zu verhalten, wie man – aktiv oder passiv – mit der Macht umzugehen habe.109

De Politicorum libri sex (1589) ist ein Traktat taciteischer Herrschaftslehre.110 Die Autorität im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der Klugheit des Herrschers (imperator, reges, principes) ist hier Tacitus, den Lipsius mit der stoischen Ethik Senecas verbindet. Die beiden kommentierten Editionen von Tacitus (1574) und Seneca (1605) sowie seine neue Interpretation und die Verwendung der beiden Autoren – in der TacitusEdition setzte er im Bereich der Konjekturalkritik neue Maßstäbe – etablierte seinen europäischen Ruf als Philologe, politischen Denker und neustoischen Philosoph.111 Tacitus und Seneca waren die beiden Säulen, die sein Lebenswerk trugen; das kommt auf dem von Peter Paul Rubens gestalteten Titelblatt der Opera Omnia (Ed. v. 1637) besonders deutlich zum Ausdruck. Lipsius griff auf einen mittleren Stoizismus zurück, der die Auswüchse des Stoizismus und des Platonismus begrenzt, und stellte den Humanismus unter die Ägide des römischen Geistes.112 Rom erscheint als Idee, die im Zusammenhang eines aktiven und kontemplativen Lebens und mittels der durch Tacitus und Seneca dargelegten Klugheit und Weisheit im diesseitigen Leben wiederzubeleben ist.113 Lipsius wandte sich damit von der Problematik politisch-republikanischer Kriegführung ab, um sich der Stabilitätsproblematik über eine Ausdifferenzierung der Klugheit zuzuwenden und sie mit der stoischen Tugendlehre zu verbinden. Mehr als auf die historische Ursachenforschung und die Problematik der Mischverfassung Roms, wie sie Polybios leistete, richtete sich das Augenmerk Tacitus’ auf die Ätiologie des öffentlichen und privaten Verhaltens unter den spezifischen Bedingungen des Bürgerkriegs und der Tyrannis, wie sie Tacitus als Zeitzeuge eines von inneren Konflikten gezeichneten kaiserlichen Rom exemplarisch statuierte. Lipsius assimilierte die Problematik der konfessionellen Bürgerkriege über eine das römische Kaiserreich zum Vorbild nehmende Kulturtheorie und nach Seneca die stoische Lebensform: ›vivere militare est‹ (Seneca). In der Verbindung stoischer Tugend- und taciteischer 109

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Michael Stolleis: Lipsius-Rezeption in der politisch-juristischen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland. In: ders., Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a. Main 1990, S. 233f. Vgl. die sich von einer neustoischen Deutung abhebende Edition von Jan Waszink und dessen ausführliche Einleitung: Introduction. In: Justus Lipsius, Politica. Six Books of Politics or Political Instruction. Hg. v. Jan H. Waszink (Bibliotheca Latinitatis Novae, 5), Assen 2004, S. 3–213. Vgl. Jan Papy: Lipsius’ (Neo-)Stoicism: Constancy between Christian faith and Stoic virtue, Grotiana, 22, 23 (2001/2002), S. 50. Vgl. Jehasse: Renaissance de la critique, S. 10. Ebd.

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Herrschaftslehre vollzog sich die Entpolitisierung innergesellschaftlicher, religiös motivierter Konflikte. Lipsius betrachtete die Politica (1589) als Fortführung von De Constantia (1583): In der Constantia sollte der Bürger zum Erdulden und Gehorsam gebildet, in der Politica hingegen, die Herrschenden zum Regieren angeleitet werden.114 So verbindet sich die Rezeption der Stoa mit einer gleichsam konzeptuellen Inversion der Sprache des ›klassischen Republikanismus‹. Die Übel (mala), zu denen Lipsius auch die Kriege seines Zeitalters zählte, müssen in ihrer kosmischen Komplexität nach den Gesetzen des Universums erfasst werden.115 Im Unterschied zu Machiavelli, der ein Ethos der virtu` kannte, erfolgte bei Lipsius neben einer Ausdifferenzierung des politischen Klugheitsbegriffs auch eine soziale Diversifizierung politischer Anthropologie: Oestreich zufolge entstand eine selbstbestimmte, affektbeherrschte Elite. Der Bürger wandelte sich zum Untertanen eines Obrigkeitsstaates. Diese politische Anthropologie findet ihr Pendant in der militärischen Anthropologie und sieht die Trennung einer selbstdenkenden, eigenbestimmten militärischen Elite und dem fremdbestimmten einfachen Soldaten vor,116 welche nicht mehr in einem Bürgerheer mit undifferenzierter Befehlsstruktur, sondern in einer stehenden, vornehmlich aus Untertanen gebildeten Armee zu organisieren seien. In der Zusammenführung taciteischer Klugheits- und stoischer Tugendlehre und Moralphilosophie deutet sich die Verbindung von politischer Klugheit und bürgerlicher Disziplin als eine sich von der Machiavellischen virtu` abhebende politisch-militärische Verhaltenslehre an. Dabei steht sie in der Propagierung einer zivilen Lebensform dieser aber näher als die vorgeblich durch den Neustoizismus herbeigeführte Trennung von Herrschern und Beherrschten, von Herrscher und ›Untertan‹ nahelegt.

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Justus Lipsius: Politicorum sive Civilis Doctrinae Libri Sex, Nachdr. Ausg. Frankfurt a. Main/Leipzig, Richter, 1704. Hg. v. Wolfgang Weber (Historia Scientiarum, Fachgebiet Geschichte und Politik), Hildesheim-Zürich-New York 1998. s.p. [Ad lectorem de consilio et forma nostri operis]: »In quibus hoc nobis consilium, ut quemadmodum in Constantia cives formavimus ad patiendum & parendum, ita hic eas, qui imperant, ad regendum.« Vgl. Marin: Le stoı¨cisme de Juste Lipse, S. 402. Oestreich betont das vorgebliche Novum dieser Dichotomie in der militärischen Anthropologie, die das eigentlich modernisierende Moment in der Lipsianischen Verfassungstheorie ausmacht und zur Begründung des modernen Heerwesens beitrug. Vgl. Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, HZ, 176 (1953), S. 17–43; – Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats, HZ, 181 (1956), S. 31–78.

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B) Prudentia und virtus: politisch-militärische Verhaltenslehre Wenngleich in der Deutung des Werks Lipsius’ der Bruch mit dem ›Bürgerrepublikanismus‹ Machiavellis betont wurde,117 rückt die politische Lehre Lipsius’ in die Nähe der neurömischen politisch-militärischen Lehre Machiavellis, legt sie doch, freilich ein auf taciteische Klugheit (prudentia) und nunmehr der Disziplin als Lebensform gründendes politisch-militärisches ›Verhalten‹ und eine Lebensform nahe. Lipsius’ Klugheitslehre, die gleich dem Principe an die Tradition der Fürstenspiegel (specualae) anschloss, gründete gleichermaßen auf der Verbindung von Tugend (virtus) und Klugheit (prudentia) sowie von Klugheit (prudentia) und Betrug (fraus). Neben Platon und Aristoteles betrachtete Lipsius Machiavelli als einen Vorgänger, dessen »ingenium acre, subtile ingenium« anerkennenswert sei, das aber den Fürsten nicht zu Tugend (virtus) und Ehre (gloria) führe. Reihte Lipsius im ersten Teil der Politica noch klassische Herrschertugenden wie Gerechtigkeit, Klugheit, Güte, Treue und Mäßigkeit aneinander, so hat er im Folgenden der Klugheit als ›umfassende Leittugend‹ eine größere Gewichtung gegeben. Eine herausragende Quelle der Politica war Tacitus. In Tacitus sah Lipsius einen Stilisten, Historiker der monarchischen Staatsform und Lehrer der Beständigkeit (constantia).118 Doch deren Bindung an die Tugend wurde zusehends relativiert bis hin zur prudentia mixta, einer Herrschaftspsychologie, die den Betrug (Typologie der fraus) als Mittel der Politik zu einem guten Zweck (ad bonum finem) gelten lässt. In der Politica verband Lipsius in erster Linie Tacitus mit Seneca und ersetzte mittels taciteischer Epigrammatik und Aphoristik sowie aus der Stoa entwickelten Metaphern den Ciceronianismus, der eine Vermittlung zwischen den Lebensbereichen und -formen der arma und der toga vorsah. Seine Abhandlung über die römische militia (1595) ist ein Kommentar zu Buch VI, 19–42 der Historien des Polybios, der sich jedoch im Hinblick des militärischen Ausbildungsbegriffs an die vegetische disciplina anlehnt (militärisches Ausbildungssystem der disciplina, die auf das Lager bezogen bleibt). In dem folgenden antiquarischen Traktat Poliorcetica führte er die politisch stabilisierende Rolle der Militärtechnik an und bewegte sich damit in der Tradition des italienischen militärischen Humanismus, der die militärwissenschaftlich-heuristisch vegetische res militaris mit der technischen Kultur der Renaissance verbunden hatte.119 117

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Vgl. Herfried Münkler: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. Main 1987. Vgl. Arnaldo Momigliano: Der erste politische Kommentar zu Tacitus. In: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 2: Spätantike bis Spätaufklärung. Hg. v. Anthony Grafton, S. 127. Philippe Richardot: La re´ception de Ve´ge`ce dans l’Italie de la Renaissance: entre humanisme et culture technique, Studi Umanistici Piceni, 15 (1995), S. 195ff.

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

Mit dem Rekurs auf die Antiquitates schloss Lipsius darüber hinaus an gegenreformatorische italienische Tendenzen der Geschichtsschreibung des Späthumanismus an.120 Für ein induktives Verhalten oder eine Psychologie der Macht fand Lipsius Tacitus. In den Blick rückte stärker die psychologisierte, situationsbezogene Technik der Macht, die die materiellen Grundlagen der Macht mitberücksichtigt. Der entscheidende Unterschied zu Machiavelli und im Verhältnis zur antiken phronesis ist die Ausdifferenzierung und Spezifizierung des Klugheitsbegriffs. Virtus und prudentia galten als die Grundlagen der Regierung. Sie waren die duos Rectores uitae ciuilis, die zwei Lehrer des zivilen Lebens. In Buch I, 7 der Politica wird die Klugheit in Anlehnung an Aristoteles, Platon, Cicero und Tacitus als »intellectum et dilectum rerum, quae publice priuatimque fugiendae aut appetendae« definiert, das Erkennen und die Wahl der Dinge, die öffentlich (publice oder civilis) oder privat (privatim oder domestica) zu fliehen oder zu erstreben sind.121 Sie stützt sich auf und bildet sich durch Erfahrung (usus) und Gedächtnis (memoria) (I, 8). Entscheidend für ihre Konstituierung als Lebenswissen von privaten und öffentlichen Verhaltensweisen ist weniger die pragmatische Geschichte (pragmatike historia), sondern mehr die ars memoria. Lipsius leitet mit Cicero ein.122 Auf ein Livius-Zitat lässt Lipsius im Hinblick auf die Rolle der Geschichte in der Vorbereitung für die Politik ein Polybios-Zitat folgen: »verissimam disciplinam exercitationemque ad res Civiles Historiam esse« (Polyb., I, I, 2).123 Zweck legitimer Geschichte (legitima Historia) sind Wahrheit (veritas), Erklärung (explanatio) und Urteilsvermögen (iudicium).124 Diese Bestimmung legitimer Geschichte gehört bereits in die Rezeptionsgeschichte der Politica. Sie findet sich nicht in der Antwerpener Ausgabe von 1599. Die historische Erklärung (explanatio) wird hier auf Tacitus (Historien, I, 4, 1) und Polybios (III, 31) gleichermaßen gestützt.125 Aus der Geschichte könne man 120

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Eric Cochrane: Historians and Historiography in the Italian Renaissance, Chicago-London 1981, S. 438: »Indeed, the only other vocation that was considered at all compatible with antiquarian research was religion – and in particular the religion of Counter Reformation Catholicism, which was still further removed from the political and military vocations thought proper for historians.«; vgl. auch Martin Disselkamp: Technik, römische Größe und antiquarische Gelehrsamkeit. Über die Funktion und Begründung des Technischen in Justus Lipsius’ Schriften zum antiken Rom, Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit, 8, 3–4 (2004), S. 260–277. Mark Morford: Tacitean prudentia and the doctrines of Justus Lipsius. In: Torrey James Luce, Anthony John Woodman (Hg.), Tacitus and the Tacitean Tradition, Princeton 1993, S. 146. Politica, 1599 (2004), S. 290. Politica, I, 9 1704 (1998), S. 48. Vgl. auch: Iusti Lipsi ad Libros politicorum breves notae, Leiden 1592, S. 20f. Vgl. auch Jean-Marc Chatelain: Juste Lipse cice´ronien. Rhe´torique et politique de

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das Warum, das Wie und den Zweck entnehmen: »Ab Historia si quis auferat, Quare, Quomodo, Quo fine quidquid sit actum, & an ex ratione satis acciderit; quidquid in ea reliqui, id ludicrum magis erit, quam doctrina.«126 Für die Bildung der Urteilskraft sei neben Tacitus vor allem Thukydides entscheidend, »qui res nec multas nec magnas nimis scripsit, sed palmam fortasse praeripit omnibus, qui multas & magnas Elocutione tota gravis & brevis densus sententiis, sanus judiciis«127. Daneben wird Polybios gestellt, der sich stilistisch von Thukydides unterscheide, nicht aber im Hinblick auf das Urteil und die Klugheit: er pflege einen weniger narrativen Stil, sondern lehre ex professo. Es folgen die Griechen Plutarch, Xenophon, Niketas Choniates, Nicephorus Gregoras. Unter den Lateinern wird Cornelius Tacitus eine herausragende Stellung zugewiesen. Er habe Lipsius geführt und sei Livius vorzuziehen: »Latini sequuntur, quorum agmen Cornelius Tacitus mihi ducat. Ante Livium? Inquies. Non eloquentia aut aliis virtutibus: sed iis, quas nunc consideramus, Prudentiae & Iudicii notis.«128 Schließlich ergänzen Titus Livius und Quintus Curtius, Caesar, Ammian und jüngere Geschichtsschreiber wie Lambertus in Deutschland, Rodericus Toletanus in Spanien und Philippe de Commynes, Paulo Aemilio, Francesco Guicciardini, der frei von Affekten ist, Paulus Jovius und Pietro Bembo die Reihe. Die Ars historica des Justus Lipsius bezieht sich auf die historia humana als Fundament politischer Klugheit. Die Historia ist nach Lipsius in Mythologie (Mythistoria) und Historie (Historia) unterteilt. Die vera Historia untergliedert sich in die natürliche und die narrative. Die narrative Geschichte bezieht sich auf die Handlungen und Aktionen sakraler oder profaner Natur, daher spricht man von göttlicher und menschlicher Geschichte. Die säkulare Geschichte bezieht sich auf die private und die öffentliche, die sich einzelner Dinge annimmt, des Lebens, der Tugenden und der Laster (nam aut singulorum res, vitam, virtutes, vitia recenset: & Privata est, aut quae noxae, sunt gesta: & Publicum appello).129 Im Juni 1603 berichtete Lipsius an D. de Villers über seine bisherigen Arbeiten, dass er »in Constantia, in Politicis, Saturnalibus,

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l’e´loge du Cardinal de Granvelle dans les Variae lectiones. In: Christian Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 455: »Les e´tudes consacre´es a` Juste Lipse ont depuis longtemps souligne´ que sa carrie`re d’e´crivain n’avait pas e´te´ uniforme´ment ›lipsienne‹: le style de la ›brie`vete´ emphatique‹ auquel l’histoire litte´raire a de´finitivement attache´ le nom de Lipse n’est en fait que le dernier style de celuy-ci.« Politica, 1704 (1998), S. 48f. Ebd., S. 49. Ebd., S. 52. Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 245f.; zitiert aus: Cent. Misc. V, 26, III, 61 (3. Dez. 1600) zur Geschichte. Dichotomisierung auch bei P. Charron, Sag. I, 46 (politisches Weltbild); Disc. Chre´t. II, 3, S. 131 (Naturordnung).

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

Militia, Admirandis: & sparsim etiam materias, quae usui aut oblectationi generi humano essent, disposui & ordine digressi. Ordine, quem in omnibus scriptis amavi« schreibe. Die historia narrativa ist in die historia divina und humana unterteilt. Die historia humana wieder in die privata und publica. Diese verschiedenen Arten sollen [nach Horaz] erfreuen und nutzen (delectare et prodesse). Die Naturgeschichte (historia naturalis) fördert die Wissenschaft, die historia divina die Religion und die historia humana die Klugheit.130 Die prudentielle Klugheitslehre wird durch eine prudentielle Geschichte untermauert. Der Bezug auf Tacitus bildete das monarchische Moment in der politischen Theorie des Lipsius,131 legte aber gleichzeitig auch ein für den Bürger relevantes politisch kluges Verhalten nahe. In den krisenhaften Übergangszeiten der europäischen Monarchie wurde Tacitus zu einer Autorität. Der Klugheits-Begriff Lipsius’ war taciteisch. Tacitus hatte eine Geschichte geschrieben, die den selbsterlebten Ereignissen des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts ähnlich schien: die Geschichte des römischen Kaisertums zwischen Augustus und Nerva, vom Untergang der Römischen Republik über die fortschreitende Entartung des sich von allen freiheitlichen Traditionen lossagenden Prinzipats bis zur Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen principatus und libertas, eine Reihe von Erschütterungen und Konvulsionen, die exemplarische Formierungsgeschichte einer Monarchie. Da die Gegenwart in das Zeichen der Fürstenmacht getreten sei, so Muret, müsse sich der Blick auf den Geschichtsschreiber der römischen Kaiserzeit richten: ad similitudinem temporum nostrorum. Lipsius bezeichnete die taciteische Kaisergeschichte als ein theatrum hodiernae vitae, ein Theater des heutigen Lebens. Man erwartete daher von Tacitus politische Belehrung: Belehrung über die Ursachen der gegenwärtigen Krise und über die künftig einzuschlagende Richtung. Er wurde besonders deswegen geschätzt, weil er seinen Gegenstand in allen Facetten erfasst hatte und damit offenbar der Komplexität der gegenwärtigen Lage gerecht wurde. Er schrieb ebenso über die Motive, Techniken und Handlungen der Kaiser wie über die Haltung der Untertanen, über Tyrannen und Freiheitshelden, über

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Vgl. weiter Emil Menke-Glückert: Die Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation, Leipzig 1912, S. 125; ebd.: »In der historia publica setzt Lipsius an die Stelle der Geschichte von der Aufeinanderfolge der vier Monarchien die Geschichte des Wechsels von vier anderen Reichen: des orientalischen, griechischen, römischen und des der Barbaren. Die Geschichte des römischen Reiches gliedert Lipsius in die alte Geschichte, sie reicht von der Gründung der Stadt und den Königen bis zu Augustus; die mittlere von Augustus bis zur Verlegung des Regierungssitzes nach Byzanz und die neue von diesem Zeitpunkt bis zum Untergang des Reichs.« Vgl. Morford: Tacitean prudentia, Kap. 7.

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Staatsverbrechen und Bürgermoral.132 Lipsius verglich demzufolge Tiberius mit dem Herzog von Alba, den Bataveraufstand unter Julius Civilis mit der niederländischen Aufstandsbewegung und schloss damit, dass er die aus Tacitus gezogenen Regeln seinen Büchern über die Politik einverleibte.133 An der Universität Jena gab Lipsius von 1572 bis 1574 Vorlesungen über die Annalen des Tacitus. Darin hat er die Eigenschaft des Autors Tacitus hervorgehoben: Nicht den militärischen Siegen, beispielsweise denjenigen Hannibals über die Römer oder den Tod von Lukrez galt dessen Augenmerk, sondern den Fürstenhöfen, dem Innenleben der Herrscher, ihren Plänen, Befehlen und Taten; kurz: der Herrschaftspsychologie. Mit Polybios hatte Tacitus gemein, dass er nach den Ursachen fragte; beide verfuhren historisch-ätiologisch. Polybios und Tacitus waren gleichermaßen Anhänger einer anti-rhetorischen und erklärenden Geschichtsschreibung, die sich für die verborgenen Ursachen und Geheimnisse interessiert.134 Im Unterschied zu Polybios stellte Tacitus jedoch nicht die institutionellen, gesetzmäßigen Ursachen und das imperiale Wachstum in den Mittelpunkt, sondern bezog sich vor dem Hintergrund der Bürgerkriege auf die Motive politischen Verhaltens und die Selbsterhaltung des Individuums, sei es des Fürsten, des Bürgers und letztlich der Gesamtgesellschaft. Tacitus entwickelte den Prinzipat aus dem Chaos der Bürgerkriege.135 Tacitus lehre uns, die wir die Ähnlichkeit in vielerlei Hinsicht mit unserer eigenen Zeit festgehalten haben, dass dieselben Wirkungen von denselben Ursachen kommen, urteilt Lipsius. Anders aber als Polybios, 132

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Justus Lipsius: Ad Annales Cornelii Taciti liber Commentarius sive Notae, Antwerpen 1581, Widmung an die Ordines Bataviae: »Video alibi Principes in leges et iura subditosque in Principem insurgentes. Invenio artes machinasque opprimendae et infelicem impetum recipiendae libertatis. Lego iterum eversos prostratosque tyrannos et infidam semper potentiam, cum nimia est. Nec absunt etiam recitosque tyrannos et infidam semper potentiam, cum nimia est. Nec absunt etiam reciperatae libertatis mala, confusio aemualtioque inter pares, avaritia, rapinae et ex publico non in publicum quaesitae opes«, zitiert in Muhlack: Tacitismus, S. 167. Justus Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, qui ad principatum maxime sepctant, Leiden 1589: »Auctorum syllabus: quia plus unus ille nobis contulit quam ceteri omnes. Causa in prudentia viri est, et quia creberrimus sententiis, atque etiam, quia familiaris nobis et offerebat se non vocatus.«, zitiert nach E.-L. Etter: Tactius in der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts (Baseler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, 103), Basel-Stuttgart 1966, S. 136. In: Muhlack: Tacitismus, S. 169. Peter Burke: A Survey of the Popularity of Ancient Historians. 1450–1700, History and Theory, 2 (1966), S. 150: »The appreciation of Tacitus as a political writer is linked with appreciation of him as an historian who, like Polybios, is interested in explanation and above all in hidden causes and secret motives.« Karl Christ: Tacitus und der Prinzipat, Historia, 27 (1978), S. 482.

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dessen Fragen nach den Ursachen oder dem ätiologischen Raster auf eine Geschichts- und Verfassungstheorie abzielten, fragte Tacitus nach den Ursachen des konkreten, individuellen Verhaltens und dessen herrschaftspraktischer Wirkung in Zeiten des Bürgerkrieges. Unter einem Tyrannen könne man Schmeichelei und Verrat finden, die dem eigenen Zeitalter nicht unbekannt seien; nichts Aufrechtes, nichts Geradliniges und selbst kein Vertrauen unter Freunden; beständige Anklagen des Verrats (das Verbrechen derjenigen, die sich vom Laster fernhalten); Massenabschlachtungen guter Männer und ein Friede, der grausamer als der Krieg ist.136 Lipsius antwortete mit seiner Ausdifferenzierung und Funktionalisierung des Klugheitsbegriffs auf eine spezifische geschichtliche Konstellation: nämlich die Konfessions- und Bürgerkriege und die Notwendigkeit einer Verlagerung und Regulierung des Krieges im zwischenstaatlichen Bereich. Tacitus bildete die Grundlage der lipsianischen politischen Klugheitslehre. Der römische Historiker war durch Muretus und Lipsius auch im nicht-italienischen Humanismus etabliert worden (1570–1580). Muretus interessierte an Tacitus vor allem der Stilist und Historiker der Monarchie, während ihn Lipsius zusätzlich auch als Lehrer der constantia wahrnahm.137 Tacitus hatte im Vergleich zu Livius einen weniger diskursiven, sondern einen pointierten Stil (sententia, exemplum) mit einer schlagkräftigen Verbindung von moralischer und politischer Weisheit.138 Lipsius beabsichtigte universelle Lehren aus den Beispielen (exempla) der Geschichte abzuleiten und in dieser Hinsicht beinhaltete für ihn die prudentia des Tacitus eine relevantere Lehre als die Maximen von Aristoteles und Platon.139 Er verband ihn mit Seneca, dem von ihm am meisten geschätzten stoischen Philosophen. Die Bücher I–IV der Politica entwerfen eine stoische Klugheitslehre (eine Tugend- und Verhaltenslehre) für den Herrscher. Denn Lipsius teilte mit Seneca nicht nur die Neigung, aus dem militärischen Bereich seine Metaphern zu schöpfen und sich derselben philosophischen Schultradition, eben der Stoa, verbunden zu fühlen. Seneca galt Lipsius auch als der Philosoph schlechthin, dem er nicht nur in seinen eigenen philosophischen Schriften nacheiferte, sondern den er 1605 in einer maßgeblichen Gesamtausgabe auch kommentierte.140 136

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Justus Lipsius: C. Cornelii Taciti opera quae exstant I. Lipsius quartum recensuit (1. Ausg.: Antwerpen 1574; 3. Ausgabe: 1588), sig. 4, zitiert in: Richard Tuck: Philosophy and Government 1572–1651 (Ideas in Context, 26), Cambridge 1993, S. 46. Vgl. Momigliano: The first political commentary on Tacitus, S. 48. Morford: Tacitean prudentia, S. 134. Ebd., S. 136. Andreas Urs Sommer: Vivere militare est. Die Funktion und philosophische Tragweite militärischer Metaphern bei Seneca und Lipsius, Archiv für Begriffsge-

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Lipsius entwickelte eine Typologie der Klugheit. Neben der gemischten, zivilen und militärischen Klugheit benannte er noch weitere Unterteilungen. Lipsius unterschied eine Klugheit, die von anderen abhängt (ab aliis) und eine Klugheit die vom Fürsten selbst abhängt (a se). Der Rest von Buch III ist den Beratern des Fürsten gewidmet. Mehr als ein Drittel der dort vorgebrachten Zitate ist den Annalen des Tacitus entlehnt, denn auch das spezielle Interesse an den Beratern (consiliarii) des Herrschers war beiden gemein. In den letzten beiden Büchern der Politica (V, VI) dienen die Lehren der römischen Geschichte und die römischen militärischen Prinzipien Lipsius als Quelle der Klugheit im Krieg und als Leitfaden für dessen Ausführung.141 Auch in diesen beiden letzten Büchern tauchen mehr als 250 Zitate aus Tacitus’ Historien auf, insbesondere zu den bürgerkriegsbedingten Auswüchsen. Lipsius war in der Tat kein Tacitist im Sinne des italienischen Tacitismus. In den Jahren 1572–1574 nahm Lipsius die Haltung eines Kritikers des in Frankreich und Italien zu dieser Zeit favorisierten Tacitismus an. Er teilte zwar die italienische Auffassung, dass der ciceronianische Humanismus sich dem Ende zuneigt und Tacitus die Alternative dazu sei, Lipsius verwendete jedoch seinen Text, um eine Politik anzugreifen, die von den Italienern mit eben demselben Text verfochten wurde.142 Die Politica, die in der prudentia militaris eine Theorie der Kriegführung zeichnet, steht zwischen der Tacitus-Edition und dem PolybiosKommentar (DMR), sowie einer Kulturtheorie des Imperium Romanum, den Analecta. An die Stelle der wesentlich Vegetius und Frontinus folgenden Arte della guerra tritt der Polybios-Kommentar Lipsianischer Prägung (1595–1596), der nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet ist, d. h. nicht als Moment einer ars historica oder ars hermeneutica auftritt, sondern dem Schema einer säkularen, ramistischen Logik folgt (technologica) (und nicht mehr einer säkularen Rhetorik, wie bei Machiavelli). Angelehnt an das Unternehmen des Petrus Ramus, das den Aristotelismus durch eine Verbindung von Logik und Rhetorik zu überwinden suchte, unterwarf Lipsius die Politik einem umfassenden Disziplinierungsprogramm.143 Lipsius griff die historische, politische und militärische Programmatik Machiavellis auf und führte diese in Anlehnung an Erasmus mit der religiös-konfessionellen Stabilitätsproblematik zusammen. Die Politik des Lipsius impliziert eine politische Tugendlehre für den Herrscher und dessen Elite. Sie beginnt mit einschlägigen Begriffsdefinitionen (pietas,

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schichte. Bausteine zu einem historischen Wörterbuch der Philosophie, 43 (2001), S. 64. Morford: Tacitean prudentia. Vgl. Tuck: Philosophy and Government, S. 47. Vgl. Sommer: Vivere militare est, S. 64.

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fatum, virtus, prudentia, memoria, doctrina), um in der Folge systematisch, aber durchgehend in präzeptiver Absicht die Dialektik von Tugend (virtus) und Klugheit (prudentia) in der Machtpraxis zu erörtern (Erscheinungsbild des Fürsten und seiner Ratgeber, Stellung von Kirche und Glauben, diplomatische und militärische Klugheit, Ausnahmefall Bürgerkrieg).144 Tacitus enthüllte die Geheimnisse politischen Verhaltens den Herrschenden und Beherrschten gleichermaßen.145 Auf diese Ambivalenz des politischen Tacitismus als einer Herrscher- und Bürgertugend hat nach Arnaldo Momigliano Jacob Soll hingewiesen.146 Die Tacitus-Rezeption beförderte die Verschiebung von der republikanisch akzentuierten virtu` zu einer Lebensform und einer Herrschaftslehre, die auf einem Verhalten gründet, das dem Ziel der Selbsterhaltung des Fürsten und des Bürgers untergeordnet ist. Tacitus bildet mit seiner Schilderung der Bedingungen des bürgerlichen Lebens unter einer Tyrannis die ideale Ergänzung zu Livius’ Beschreibung der republikanische Tugend in nuce. Guicciardini brachte die Formel für die neue Ideologie hervor, die im Zeitalter der Religions- und Bürgerkriege besonders relevant wurde: Tacitus lehre die Tyrannen, wie man Tyrann sei und den Bürgern, wie man sich unter Tyrannen zu verhalten habe. Die Ambivalenz der politischen Verhaltenslehre Tacitus’ kam hier möglicherweise erstmals zur Sprache, konnte doch der Historiker der römischen Bürgerkriege von den Befürwortern und den Gegnern des Absolutismus gleichermaßen herangezogen werden.147 Der Einzelne müsse sich im Bürgerkrieg nach dem Vorbild der römischen Stoiker Seneca und Epiktet behaupten und in sich selbst in der Meidung der Affekte den Ruhepunkt finden: Nicht das Vaterland sei zu fliehen, sondern die Affekte, merkt Lipsius an: »Itaque non patria fugienda, sed affectus sunt & firmandus ita formandusque hic animus, ut quies nobis in turbis sit & pax inter media arma?«148 Die Vernunft führt den Menschen zu Beständigkeit (constantia) und Tugend (virtus). Die Affekte, die die Meinung (opinio) bestimmen, sind durch die Vernunft zu überwinden.149 Neben der moralischen Funktion hat die Vernunft auch eine erkenntnistheoretische: Über die Vernunft als »ein in den Menschen versenkten Teil des göttlichen Geistes« (Seneca), 144

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Conrad Wiedemann: Fortifikation des Geistes. Lipsius, der Cento und die prudentia civilis. In: Notker Hammerstein, Gerrit Walther (Hg.), Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000, S. 187. Momigliano: Tacitus and the Tacitist Tradition, S. 109. Vgl. Soll: Publishing The Prince. Vgl. Momigliano: Tacitus and the Tacitist Tradition, S. 122. Oestreich: Geist und Gestalt, S. 303. Vgl. ebd., S. 72

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d. h. die Urteilskraft, kann der menschliche Geist den göttlichen Verstand begreifen. Folgt man der ratio, nicht der von Affekten geleiteten und daher unbeständigen Meinung, dann kann die Naturgesetzlichkeit der publica mala (Krieg, Pest, Hunger, Tyrannis, Blutbäder, Armut, Schande, Tod), deren Ursprung bei Gott liegt, als nützlich für die Erziehung der Menschheit aufgefasst werden.150 Zunächst dienen die publica mala der Disziplinierung der Völker.151 Zweitens tragen sie, indem sie die Bevölkerungszahl regulieren, zur Erhaltung und Besserung der ganzen Welt bei. Und drittens wirken sie ›kulturfördernd‹, indem sie die Kräfte des Volkes spannen und die Pflege des Geistes und die verschiedenen Kunstfertigkeiten hervorbringen.152 Das bedeutet, dass die einem naturgesetzlichen Muster folgenden Wechselfälle der geschichtlichen Entwicklung durch den empirisch-historischen Verstand kalkulierbar und damit wissenschaftlich erfassbar werden. Einer intellektuellen Elite ist es möglich über den Verstand den ›göttlichen Willen‹, die aus der Vorsehung (providentia) hervorgehende Notwendigkeit (necessitas) rational zu erfassen und ihr Handeln danach auszurichten. Geistige Freiheit ist in dieser Logik Unterordnung unter den sich in der Faktizität der Geschichte manifestierenden Willen Gottes, oder um mit Lipsius und Seneca zu sprechen: Parere Deo, libertas est: »Gott zu gehorchen ist frei zu sein« (Seneca, De vita beata VII, 15, 7); schließlich: der Tugend (virtus) gehorchen heißt herrschen, ihr sich unterwerfen, Herr über die menschlichen Dinge zu sein.« Die Beständigkeit (constantia) der Untertanen und die Klugheit (prudentia) der Herrschenden sind die Voraussetzung der Selbstbehauptung der Gesellschaft in der europäischen Anarchie. Dass Lipsius auch die gesellschaftliche Verfassung als eine wandelbare, geschichtliche Größe vorstellte, hatte zweierlei Konsequenz. Einerseits wurde so auch die Politik kalkulierbar und wissenschaftlich erfassbar und damit ein normatives Politikverständnis überschritten. Andererseits hat die Trennung der Ethik in eine öffentliche und eine private – analog zur Trennung der Religion in eine private Haltung und in ein konformes öffentliches Bekenntnis – die Politik für die Theorie der Staatsräson freigegeben (H. Münkler). So habe Lipsius Tacitus’ Agricola (42, 2) seinen Wahlspruch entnommen: Demnach sei es möglich, dass auch unter schlechten Herrschern bedeutende Menschen am Leben blieben.153 Und mit dem Hinweis auf Seneca schließt die Forderung an, man solle auch dann im politischen Amt bleiben, wenn der Herrscher, dem man diene, Verbre150

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Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 82f.; – Oestreich: Strukturprobleme, S. 304. Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 83. Vgl. ebd. Münkler: Im Namen des Staates, S. 142.

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chen begangen habe, denn »vieles ereignet sich im Staat, was im Privatleben Unrecht ist, hier aber mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl und die öffentliche Ruhe hingenommen werden sollte« (Epist. Misc., 5, 45).154 In der Vorrede hat Lipsius die Intention seiner Politica festgehalten: wie schon in der Constantia, dem Krieg mit Krieg begegnen (comprimant ergo bella bello). In Analogie zu der in der Constantia formulierten Morallehre, die die Selbstbehauptung des Einzelnen durch Selbstbeherrschung und dessen aktive Fügung in das Schicksal (fatum) in den Mittelpunkt rückte, entwickelte Lipsius in der Politica eine systematische Herrschaftslehre durch die die internationale Anarchie als providentia erfassbar wurde und die Aufhebung der inneren Kriege in den Vordergrund stellte. Die Stoa bei Lipsius hatte nicht nur ein politisch-aktives Moment, sondern auch eine ausgeprägt kontemplative Seite, die mittels militärischer Metaphern eine Weltdistanzierung ermöglichte. Eine in der stoischen Moralphilosophie ästhetisierte Lebensform unterscheidet das lipsianische politisch-militärische Verhalten des Bürgers von der machiavellischen virtu`. Diese Lebensform entwickelt Lipsius auf dem Hintergrund der Deutung des Krieges als Ausdruck einer moralischen Krise. Krieg als Ausdruck einer moralischen Krise Das theatrum hodiernae vitae vor Augen, wertete Lipsius – ganz im Gegensatz zu Machiavelli – die Kriege als Ausdruck einer moralischen und weltanschaulichen Krise, die sich in der Fragmentierung des politischen und religiös-theologischen Kosmos manifestierte. Hatte Machiavelli den Krieg politisiert, so moralisierte ihn Lipsius auf dem Hintergrund einer (neu-) stoischen Kosmologie. Die Affektenlehre war entscheidend für seine Einordnung der Ursachen und Behebung konfessioneller Gewaltmanifestationen. Damit schreibt sich sein Denken nicht nur in die Sprache des klassischen Republikanismus machiavellischer Prägung ein, sondern auch in die Sprache des (stoischen) Naturrechts und in der des christlichen Humanismus erasmianischer Prägung.155 Die Transforma154 155

Ebd., S. 142f. Zum Verhältnis von Lipsius und Erasmus vgl. Pierre-Franc¸ois Moreau: Juste Lipse et Erasme. Le roˆle du stoı¨cisme dans la transformation de la philosophie chre´tienne. In: Christian Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 91–100. Moreau weist insbesondere auf die Verbindung im Hinblick auf die ars memoria hin. S. 92f.: Beide waren zudem Christen, genauer Katholiken. Lipsius jedoch stand auf Seite der Gegenreformation, während Erasmus noch an eine innere Reform der Kirche glaubte. Beide verteidigten das liberum arbitrium. Erasmus gegenüber Luther und Lipsius in seiner Schicksalslehre, wenn er diejenigen

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tionen der Politik der Macht Machiavellis und der religiösen Stabilitätsproblematik des Erasmianismus verbanden sich im Denken Lipsius zu einer stoisch-taciteischen Klugheitslehre. Daher finden sich auch eine dem Augustinismus sich annähernde Theorie des Krieges und das Aufgreifen der Lehre vom gerechten Krieg (bellum iustum). Bei Augustinus ging die Neigung zum Bürgerkrieg den Kriegen zwischen den Staaten voraus.156 Es ist die bei Machiavelli noch nicht ausgeprägte, stoisch-kosmologische Dimension, die bei Lipsius zu einer Moralisierung des Krieges führte. So handelt De Constantia von den Beispielen des Wandels und des notwendigen Todes auf der ganzen Welt (in toto Orbe). Der Himmel und die Elemente verändern sich und müssen eines Tages vergehen. Vergleichbares geschieht mit den Städten, den Provinzen und den Königreichen. »Denique gyrare hic omnia nec quidquam stabile aut firmum.«157 Alles dreht sich hier und nichts ist fest und beständig.158 Gerade die Ursachen des gewaltsamen Konflikts sah Lipsius weniger in einer positiven politischen anaky´klosis angelegt, sondern in der moralischen, religiösen Korruption. Darum schreibt sich sein Werk nicht nur in die Sprache des klassischen Republikanismus oder Bürgerhumanismus ein, dessen Grundlagen er umwertet. Legion ist daher die moralphilosophisch getönte Klage über die andauernden Gewaltmanifestationen und die Einbettung in eine kosmologische Struktur, die den Krieg wieder in einen Frieden überführt, wie beispielsweise in den Monita et exempla und den entsprechenden Kapiteln der Politica. Die wahren Ursachen der Kriege sind laut Lipsius Habsucht (avaritia), Ehrgeiz (ambitio), Zorn (ira), Rachsucht (ultio) und andere persönliche Laster (vita privata). Eine vergleichbare Kriegsursachenanalyse findet sich in Buch VI der Politica und De Constantia. In dem unvollendeten Dialog Monita et Exempla Politica De Re Militari. Hier werden die militärische

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Stoiker lobt, die nicht alles dem fatum überlassen. Im Rahmen des christlichen Humanismus dachten beide die Philosophie oder definierten sich im Verhältnis zum Erbe der antiken Philosophie. Den Aristotelismus und sein scholastisches Erbe lehnten sie ab. Beide partizipierten an der Umkehrung (renversement) des Wissenssystems – ein Charakteristikum des Humanismus, der die Metaphysik zugunsten einer Weltsicht verabschiedet, in deren Zentrum die Ethik steht und die auf eine auf den bonae litterae fußende Kultur baut. In der Constantia kommt dies deutlich zum Ausdruck, wenn diejenigen angeprangert werden, die Sprachen und Kulturen nur um ihrer selbst willen und nicht der Lebensverbesserung wegen studieren. Wolfgang Palaver: Vom Nutzen und Schaden der Feindschaft. Die mythischen Quellen des Politischen. In: Medardus Brehl, Kristin Platt (Hg.), Feindschaft, München 2003, S. 90. Lipsius: De Constantia, XVI, In: Lagre´e, Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme, Paris 1994, S. 133. Ebd.

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Klugheit und die Ursachen der Kriege mit Joannes Woverius erörtert. Im Anschluss an die von Woverius aufgeworfene Frage, warum die Kriegskunst der Menschheit schade, kommt Lipsius auf sein humanistisches Erziehungsthema zurück, sich selbst zu ändern, anstatt zu hoffen, dass eine Welt mit ihren destruktiven und niemals endenden Kriegen sich in einen besseren Ort verwandele. Der Dialog endet im vierten Kapitel mit der Ermahnung (monitum), dass Kriege nur aus einem gerechten Grund geführt werden sollten (Non nisi iusta bella bellanda).159 C) Seneca und die Ästhetik und Ethik des vivere civile: Stoizismus als Lebensform Die Ethik Senecas eines vivere civile implizierte eine Ästhetisierung der Lebensform. Die Entpolitisierung des Konfliktes und die Gründung auf einer Klugheitslehre geht nicht nur einher mit einer Pragmatik,160 sondern auch einer militärischen Ästhetisierung der zivilen Lebensform, die auf stoischen Metaphern gründet. Tatsächlich hat die stoische Philosophie eine hohe Affinität für das Denken in Metaphern.161 Erstrebte Machiavelli eine Politisierung des Krieges auf Grundlage des ciceronianischen Dialogs und der Rückbindung an die guten Institutionen über die polybianische anaky´klosis, so kann bei Lipsius eine ›Metaphernlehre‹ (›Metapherologisierung‹) des Krieges unter dem Einfluss Senecas nachvollzogen werden und eine Funktionalisierung im Hinblick auf den sozialen Konsens. In der Praefatio zur Politica hat Lipsius seine Methode beschrieben: »sic nos, e` mille aliquot particulis uniforme hoc & cohaerens corpus.« Dabei vermischt er Metaphern und Maximen, wörtlich: »Figuras verborum sententiarumque miscuimus.«162 Lag das Subversive in der republikanischen Politisierung des Krieges durch Machiavelli darin, die res publica des Livius und die res militaris des Vegetius an die anaky´klosis des Polybios zu binden und über eine ›List‹ gleichsam dialogisch zu vermitteln, so besteht das Subversive des Lipsianismus darin, 159

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Jan Papy: An unpublished dialogue by Justus Lipsius on military prudence and the causes of war: The monita et exempla politica de re militari (1605), BHR, 65, 1 (2003), S. 139. Der Lipsianische Stoizismus war aber auch eine Form ästhetischer Weltbewältigung und Krisenbewältigung, wie nicht zuletzt die Verbindungen zu Montaigne und die ästhetische Lipsius-Rezeption in Frankreich illustriert. Vgl. auch Mark Morford: L’influence de Juste Lipse sur les Arts. In: Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 235–245. Vgl. Jacqueline Lagre´e: Introduction. In: dies. (Hg.), Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme. E´tude et traduction de divers traite´s stoı¨ciens. De la constance, Manuel de philosophie stoı¨cienne, Physique des stoı¨ciens (extraits) (Collection Philologie et Mercure), Paris 1994, S. 36: Die Metaphern des Systems. Die Stoiker haben diese Ordnung durch Metaphern ausdgedrückt, die Lipsius aufgreift. Praefatio. In: Politica, s.p.

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mittels einer militärischen Metapherologie Weltdistanz zu ermöglichen, den Konflikt in das Individuum selbst zu verlagern und damit die Gesellschaft zu befrieden und zu stabilisieren. Da Lipsius sich nicht eigentlich auf die anaky´klosis-Theorie Polybios’ bezieht, sondern auf das pessimistische Weltbild des Tacitus, wird die Problematik eines zyklischen Geschichtsverlaufs nicht an eine pragmatische Geschichtsschreibung, sondern an ein Stilbewusstsein gebunden. Es ergibt sich daraus weniger das Problem von Aufstieg und Verfall, dem mit der virtu` zu begegnen ist, sondern einer auch kosmologischen Inkohärenz, der mit einer stoischtaciteischen, doxographischen Bewusstseinsbildung begegnet wird, die derjenigen Montaignes vergleichbar ist.163 Ganz offensichtlich bezeichnen diese Metaphern eine Struktur des Lebens, die nicht oder zumindest nicht im Argumentationskontext – Senecas Adressaten waren nicht Fachphilosophen, sondern in Militär und Politik avancierte Männer von Stand – auf Begriffe zurückbuchstabiert werden kann. Dabei metaphorisiert ›Krieg‹ jedoch weniger eine allgemeine metaphysische Wahrheit etwa im Stile des Herakliteischen [Der Krieg ist der Vater aller 163

Zum Verhältnis von Lipsius und Montaigne vgl. Michel Magnien: Montaigne et Juste Lipse. Une double me´prise? In: Christian Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 423–452, S. 423: »la concomitance des dates de re´flexion et de travail, l’identite´ des centres d’inte´reˆts, la similitude des modes d’e´criture sont telles qu’on semble seulement pouvoir les enregistrer comme des donne´es objectives, au mieux les souligner, puis passer a` autre chose.«; S. 424: »question du se´ne´quisme et du style coupe´«; S. 426: »en mai 1583 Lipse veut se procurer un exemplaire des Essais. Pre´cisons, un nouvel exemplaire des Essais, puisqu’il y a peu de chance que Lipse en ait parle´ ici de re´putation avec un tel enthousiasme, sans meˆme les avoir lus; sans doute un ami, The´odore van Leeuwen ou un autre, lui a-t-il parle´ de la nouvelle e´dition de 1582, qui contenait de nombreuses corrections (la premie`re e´dition e´tant fort fautive) et quelques ajouts.«; S. 438: »Quelles que soient alors ses intentions, afin d’entrecouper son texte de ›parements empruntez‹ (III, 12, 1055b), Montaigne a, entre autres, recours au nouvel ouvrage a` succe`s de Lipse, les Politica, que l’auteur lui a sans doute envoye´ de`s sa publication en 1589, on l’a vu. Or cet ouvrage dont Lipse s’est montre´ si fier, jusque dans les lettres qu’il lui a adresse´es, Montaigne l’utilise comme un simple recueil de citations, lui faisant pre`s de trente-cinq emprunts, qui sont tous des sentences [voir la liste des passages retenus, chez P. Villey, Les sources et l’e´volution des Essais, 1933, Bd. 2, S. 527–533].«; S. 438: »Ce que semble par dessus tout appre´cier Montaigne chez Lipse, c’est l’e´tendue de son savoir d’antiquaire et la suˆrete´ de son information, inlassablement appuye´e sur les testimonia qui e´tayent a` tout moment la de´monstration.«; S. 439: »Or l’usage meˆme qu’en a fait Montaigne ravale l’ouvrage au niveau de ces ›pastissages de lieux communs, dequoy tant de gents mesnagent leur estude‹, qui ›servent a` nous monstrer, non a` nous conduire‹ (III, 12, 1056c)«; S. 440f.: »C’est en effet dans les Politiques que nous percevrions la marque la plus forte de Montaigne sur Lipse. Ailleurs, autrement de´licate est l’e´tude de l’influence du Franc¸ais sur le Flamand. Entre Pierre Villey qui discernant ›une influence incontestable‹ du chapitre ›De la solitude‹ (I, 39) sur le de Constantia, affirmait d’un ton assez pe´remptoire: »C’est tre`s vraisemblablement cet exemple [celui des Essais de 1580] qui l’a invite´ a` faire lui aussi, le philosophe. Il n’e´tait jusqu’alors que l’e´rudit, il a voulu se parer de l’aure´ole du sage.«

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Dinge]; ebensowenig evoziert ›Krieg‹ zur Beschreibung von Leben bei Seneca hauptsächlich das Chaotische, Nicht-Rationalisierbare der Welt. Dieses findet der Philosoph in einem vernünftigen Kosmos durchaus noch aufgehoben. Vielmehr ist der Krieg das, worin sich der philosophisch Strebende auszuzeichnen hat: Er solle sich mit dem Schicksal, all den Äußerlichkeiten anlegen, um so zu den wahren, immateriellen Gütern gelingenden Lebens vorzudringen. Andreas Urs Sommer hält fest, dass der »Effekt der Metaphern« nicht »etwa in einer moralisch […] bedenklichen Anstachelung zu einem imperialrömischen Militarismus« liegt, sondern »paradoxerweise in der Neutralisierung des faktischen Militarismus durch Privatisierung.«164 Der Kampf wird damit zu einer rein persönlichen, innerseelischen Angelegenheit erklärt. Der Stoizismus trete somit als eine geradezu »subversive Bewegung« auf.165 ›Krieg‹ sei bei Lipius nicht weniger eine absolute Metapher als bei Seneca, die auf die »Neutralisierung des faktischen Krieges« hinausläuft. Anders als bei Seneca kann diese Metapher politisch werden und sozialstrategischen Disziplinierungs- und Uniformierungsideen zu Wort verhelfen: damit bliebe die Metapher nicht Metapher, sondern verwandele sich jenen Realitäten wieder an, denen sie entliehen worden ist.166 D) ›Seneca paene Christianus‹: die Restauration der Stoa Lipsius strebte danach ein stoisch-philosophisches System, eine theologia naturalis mit entwickelter Erkenntnistheorie, Denkmethode und Naturrechtslehre167 zu errichten. Ein Bruch zum Stoizismus erasmianischer Prägung zeigt sich darin, dass Lipsius die Stoa, den Senecanismus komplementär zur christlichen Ethik zeichnete. Mit Seneca, dem princeps ethicorum, der für ihn nahezu einen Christen darstellte (›Seneca paene Christianus‹), suchte Lipsius eine neue philosophische Synthese zwischen Christentum und Stoizismus herzustellen. Gleich Erasmus und den italienischen Humanisten sah er sich mit den wichtigen Unterscheidungen zwischen christlicher und stoischer Ethik konfrontiert. Angesichts dessen, dass Seneca in all jenen stoischen Traktaten Lipsius’ allgegenwärtig ist, die auf die Restauration des stoischen philosophischen Denkens zielen, muss hervorgehoben werden, dass die Wiederbelebung des Stoizismus durch Lipsius von anderer Art war als die der übrigen Autoren des Mittelalters und der Renaissance. Lipsius’ Neustoizismus führte die Seneca-Welle der ersten 164 165 166 167

Sommer: Vivere militare est, S. 76f. Ebd. Ebd., S. 81. Justus Lipsius: Physiologia stoicorum. In: Lagre´e, Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme, S. 207.

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Hälfte des 16. Jahrhunderts fort, wie Henry Ettinghausen hervorgehoben hat, und entsprach – wie schon ähnlich zuvor der Erasmianismus – einem Bedürfnis des Christentums, das ein Bewusstsein für die Lösung ethischer Probleme entwickelt hatte, die von den klassischen Autoren überliefert worden waren: nach mehr Augenmerk auf eine moralische Lebensführung, die durch die Übung von Vernunft und Wille realisiert wird. Gleich Erasmus, der die Selbsterkenntnis zur Grundlage einer christlich-humanistischen Philosophie im Enchiridion Militis Christiani (Antwerpen, D. Martens, 1503; Basel, J. Froben, 1518) machte und gleich Juan Luis Vives, der die Weisheit und das richtige Urteil auf einer soliden Synthese von christlicher und stoischer Moral in der Introductio ad Sapientiam (Löwen, P. Martens, 1524) gegründet sah, gab Lipsius seine letzte Interpretation des Stoizismus in der Manuductio ad Stoicam philosophiam (1604) und der Physiologiae Stoicorum libri tres (1604) und rundete damit seine philosophischen Gedanken über die Moral aus De constantia ab. Anders als Erasmus, für den Seneca der geeignete heidnische Denker für eine Propädeutik der philosophia Christiana darstellte, war für Lipsius der römische Philosoph die ausschließliche Begründung einer säkularen Ethik, die als Ergänzung zur christlichen und biblischen Moral gelten konnte.168 Die dem Stoizismus gewidmeten Werke Constantia, Manuductio ad stoicam philosophiam und Physiologia stoicorum zeugen von zwei kontradiktorischen Phasen im Leben Lipsius: De Constantia wurde verfasst, als er an der Universität Leiden, einem Zentrum des Calvinismus, lehrte. Die beiden anderen Schriften entstanden gegen Ende seines Lebens, als er Professor an der katholischen Universität Löwen war und sich mit den Jesuiten ausgesöhnt hatte.169 Im Hinblick auf die Stoa hält J. Papy Justus Lipsius für sowohl überals auch unterschätzt. Um diese beiden Bilder zu korrigieren, hat er die Briefe und die bereits benannten stoisch-philosophischen Schriften un168

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Vgl. Papy: Lipsius’ (Neo-)Stoicism, S. 51; Lagre´e: Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme, S. 119–121; Jan Papy: Erasmus’ and Lipsius’ Editions of Seneca: A ›Complementary‹ Project?, Erasmus of Rotterdam Society Yearbook, 22 (2002), S. 10–36. Maxim Marin: L’influence de Se´ne`que sur Juste Lipse. In: Aloı¨s Gerlo (Hg.), Juste Lipse. 1547–1606. Colloque international tenu en mars 1987 (Travaux de l’Institut Interuniversitaire pour l’e´tude de la Renaissance et de l’Humanisme, 9), Brüssel 1988, S. 119: »Si dans le traite´ De la Constance Juste Lipse s’ave`re quelquefois intransigeant a` l’e´gard de la morale chre´tienne, en faisant ainsi preuve d’un esprit inde´pendant, les deux autres ouvrages, la Manuductio et la Physiologia stoicorum peuvent eˆtre conside´re´s comme des actes de foi, ou` l’humaniste Chre´tien s’efforce, peut-eˆtre un peu plus qu’il ne le fallait, d’adapter les the`ses stoı¨ciennes aux dogmes chre´tiens, d’interpre´ter chre´tiennement le stoı¨cisme. Ces deux aspects qui illustrent la conciliation entre l’humanisme Chre´tien et l’humanisme paı¨en, entre les lettres sacre´es et les lettres profanes.«

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tersucht. Die Perspektive ist die einer Sequenz: Erasmus und dessen Betonung der Selbsterkenntnis, Vives und sein Eintreten für Weisheit als rechtes Urteil, und dann Lipsius, der ›Senecae paene Christianus‹ betrachtete und lebenslang eine säkulare Ethik beförderte. Die Korrektur von J. Papy zeigt auf, dass Lipsius in der Verteidigung von De constantia in den Briefen und der Manuductio nahtlos seine Interpretationen des Stoizismus mit dem Christentum zusammenführte. Dieser Stoizismus verlieh Konzepten wie Freiheit, Determinismus, Natur und Vernunft, Vorsehung und Gott eine neue Bedeutung und stellte den europäischen Geistesmenschen ein Weltbewusstsein, Rationalität, freien Willen und Individualität bereit. Lipsius verwandelte den Stoizismus in eine lebendige Kraft in der frühmodernen Philosophie. Er stellte nicht nur die Texte und eine autoritäre Interpretation bereit, sondern zeigte in seinen beiden bedeutendsten Schriften, dass die stoische Philosophie zeitrelevant war. Doch erst indem die nachfolgenden Generationen den Stoizismus als System beseitigten, machten sie ihn wirklich zeitgemäß.170 Manuductio ad Stoicam philosophiam und Physiologia Stoicorum werden im Untertitel als Anleitung zum Verständnis Senecas bezeichnet, dessen philosophische Schriften im Folgejahr als eine gewichtige neue Edition Lipsius vorlagen. Und wenn Lipsius seine abschließende christliche Interpretation des Stoizismus in dem Manuductio ad Stoicam philosophiam und in seiner Physiologia Stoicorum gegeben hätte, würde das das moralphilosophische Denken von De constantia abrunden; es bedeutete, dass seine lebenslange Beförderung einer neuen säkularen Ethik als eine wahrhafte Ergänzung zur christlichen und biblischen Moral betrachtet werden könne. Gerade die spezifische Konzentration auf Seneca bliebe von De constantia (1583/4) bis zur Seneca-Edition von 1605 bestehen.171 Entscheidend für die Heuristik der politischen Klugheit des Justus Lipsius ist, dass sie an eine durch das Naturgesetz finalisierte,172 d. h. an eine stoische Kosmologie gebunden bleibt, was beträchtliche epistemologische Konsequenzen hat. Die Anthropologie des Lipsius lässt sich nicht einfach, wie Oestreich dies vorgenommen hat, über den Modus der Affektbeherrschung definieren, der sein soziales Pendant in dem befehlenden, stoischen Offizier und dem gehorchenden Soldaten, dem Herrscher und den Untertanen findet. Vielmehr zeichnete Lipsius ein ziviles Ethos der Affektregulierung. Dieses ordnet sich in eine stoische Kosmologie ein. Im Unterschied zu Machiavelli, der den Krieg in erster Linie als politischen Konflikt einordnete, hat der Krieg bei Lipsius eine 170 171 172

Vgl. Papy: Lipsius’ (Neo-)Stoicism, S. 47–73. Ebd., S. 49. Christian Lazzeri: Introduction. In: Henri de Rohan, De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´. Hg. v. Chr. Lazzeri (Fondements de la politique), Paris 1995, S. 69: »cosmologie finalise´e de la loi naturelle«.

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kosmologische Dimension: »nata ea cum orbe nato, nec destituta nisi cum illo.«173 Kriege haben mit der Welt ihren Anfang genommen. Es gilt diese nicht als Übel zu unterdrücken, sondern ihnen gegenüber die Seele zu stärken. Lipsius hat zwar zwanzig Jahre vor seiner Untersuchung der Manuductio ad Stoicam philosophiam und der Physiologiae Stoicorum libri tres einen Dialog über den römischen Helden Thrasea Paetus entworfen, der den Titel Thrasea sive de mortis contemptu trug, dessen Handschrift er jedoch zerstörte.174 Seine Philosophie entwickelte er an Seneca und Epiktet. Lipsius zeichnete keinen Gegensatz von Leidenschaft und Vernunft: Weisheit gründet nicht auf der Unterdrückung des Gefühls durch die Vernunft, sondern rührt von der Kultivierung hilfreicher Leidenschaften, gleich der Pflanzen in einem Garten. Eine der großen Lektionen, die Lipsius aus dem Studium des Stoizismus zog, war genau die, die die Stoiker in der Antike gelehrt hatten: Die menschliche Psyche ist nicht, wie Platon (und Aristoteles) annahmen, getrennt, sondern stellt eine Einheit dar; das Gefühl ist der Vernunft nicht entgegengesetzt; und rationales Handeln und Tugend sind ohne Leidenschaft nicht denkbar.175

E) Justus Lipsius, die Restitution der stoischen Texte und der stoische Philosoph Justus Lipsius folgte zwar der breiteren stoischen Tendenz seiner Zeit; das Corpus der Stoiker wurde jedoch erst im 20. Jahrhundert durch J. von Arnim (1903–24) restituiert.176 Neue historiographische Unterscheidungen wurden eingeführt und obgleich die stoische Philosophie an einem Mangel an Texten leidet (vor allem im Verhältnis zu den Corpora von Aristoteles und Platon), wurden neue Studien vorgelegt, in denen die stoische Philosophie systematisiert und in eine Einheit gebracht wurde. Erst nach der Publikation der Stoicorum Veterum Fragmenta durch Johannes von Arnim (1903–05) war dem Ideenhistoriker ein umfassender Textcorpus zugänglich, und auf dieser ›doxographischen‹ Grundlage haben Historiker wie M. Pohlenz, A. A. Long und Julia Annas ihre Interpretationen gegründet.177 Dieser Einblick in die stoische

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´ rasme, S. 95. Zitiert in: Moreau: Juste Lipse et E Tuck: Philosophy and Government, S. 48. Ebd., S. 54. Vgl. Johannes von Arnim (Hg.): Stoicorum veterum fragmenta, 4 Bde., Stuttgart 1905–1924. Vgl. Max Pohlenz: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 1948; Anthony A. Long: Stoic Studies, Berkeley-Cambridge 1996; J. Annas: The Morality of Happiness, Oxford 1993.

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Philosophie war selbst Hugo Grotius (wie auch seinen Vorläufern und Zeitgenossen) nicht gegeben.178 Martin Mulsow hat auf dem Hintergrund der fehlenden Einheit einer solchen philosophisch-systeamtischen Grundlage zu einer konflikttheoretischen Rekonstruktion von Diltheys These der ›natürlichen Geisteswissenschaft‹ angehalten und fordert zumindest zu einer rezeptionsanalytischen Einbettung der These auf. Dilthey hat für die Epoche von Vives bis Spinoza eine Stoa-Rezeption postuliert, die entscheidend dazu beigetragen haben soll, das natürliche System der Geisteswissenschaften zu formen.179 Diese These sei in dieser Form nicht zu halten. Erstens konnte die Stoa-Rezeption des 16. Jahrhunderts allenfalls auf verstreute, dem Jahrhundert selbst als ›fabulos‹ erscheinende Fragmente zurückgreifen; und zweitens seien, die stoischen Interpretamente jeweils in völlig unterschiedlichen Problemlagen mit unterschiedlichen Beigaben in verschiedenen Lagern aufgenommen worden. Eine Einheit lasse sich nicht begründen, so Mulsow.180 Lipsius diskutierte beispielsweise weder die oikeiosis noch die notiones communes ausführlich; einzig in De Constantia (I, 2) ist ein Bezug auf die oikeiosis zu finden.181 Eine Reihe jüngerer Arbeiten schenkt weniger dem Theoretiker des frühneuzeitlichen Machtstaates sondern mehr dem stoischen Philosophen Justus Lipsius Aufmerksamkeit.182 Jacqueline Lagre´e hat herausgearbeitet, dass er sogar ein philosophisches, neustoisches System geschaffen hat;183 andere Autoren rücken Lipsius eher in die Nähe der 178

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Vgl. Hans Blom, Laurens Winkel: Grotius and the Stoa: introduction, Grotiana, N. S. vol. 22/23 (2001/2002), S. 3f. Martin Mulsow: Definitionskämpfe am Beginn der Moderne. Relationsontologie, Selbsterhaltung und appetitus societatis im 17. Jahrhundert, PhJb, 105, 2 (1998), S. 300. Ebd. Vgl. Abel: Stoizismus und frühe Neuzeit, S. 78: Abel findet sie in Manuductio II, 13. Neben der Dissertation von Günter Abel s. v.a. die Arbeiten von Lagre´e: Juste Lipse et la restauration du stoı¨cisme; – La raison ardente. Religion naturelle et raison au XVIIe sie`cle, Paris 1991; – The´orie des principes et the´ologie naturelle chez Juste Lipse. In: Mouchel (Hg.): Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 31–47; – Juste Lipse. Destins et providence. In: dies. (Hg.), Le stoı¨cisme aux XVIe et XVIIe sie`cles, Actes du Colloque CERPHI (4–5 juin 1993), organise´ par Pierre-Franc¸ois Moreau (Cahiers de philosophie politique et juridique, 25), Caen 1994, S. 37–52; Marc Laureys et al. (Hg.): The World of Justus Lipsius. A Contribution towards his Intellectual Biography. Proceedings of a colloquium held under the auspices of the Belgian Historical Institute in Rome (Rom, 22.–24. Mai 1997), Brüssel-Rom 1998; Christian Mouchel: Juste Lipse: un philosophe de transition?. In: ders. (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 7–18. Vgl. Lagre´e: Introduction, S. 35ff.; S. 35: »Juste Lipse cre´dite les stoı¨ciens de ce souci de l’ordre et de l’enchaıˆnement des matie`res qui fait que tout se tient dans le syste`me; meˆme les the`ses les plus paradoxales peuvent devenir acceptables si on ne les se´pare pas des principes qui leur donnent leur vrai sens. Il loue aussi le Portique de la finesse et de l’exactitude de ses distinctions conceptuelles particulie`rement en morale.«

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philosophia Christi des Erasmus. Wie Erasmus oder Montaigne und Sua´rez habe Lipsius kein philosophisches System geschaffen.184 In der zweiten Ausgabe von De Constantia hält er fest: »Philosophum ego agam: sed Christianum.«185 Er handele als Philosoph, und zwar als ein christlicher. M. Marin hat den Unterschied zwischen De Constantia und der Manuductio und Physiologia stoicorum hervorgehoben: In De Constantia erweist sich Lipsius als unabhängig von der christlichen Moral, die Manuductio und die Physiologia stoicorum hingegen können als Glaubensbekenntnisse (›actes de foi‹) betrachtet werden, in denen der christliche Humanist danach strebte die stoischen Thesen an das christliche Dogma anzugleichen, den Stoizismus christlich zu interpretieren.186 Auch J. Lagre´e ordnet Lipsius in die Linie des Irenismus ein, die von Erasmus über Lipsius bis zu Hugo Grotius reicht.187 Die Edition Senecas durch Erasmus in Basel (1515; 1527–29) bestach durch ihre kritische Qualität und diente bis hin zu Lipsius als Grundlage.188 Tatsächlich ist der Stoizismus ein ›Dogmatismus‹, was ihn mit der Ausrichtung des nachtridentinischen Katholizismus verbindet: Er glaubt, dass die Vernunft, dank der ›komprehensiven Vorstellung‹ in sich das Kriterium ihrer eigenen Wahrheit trägt.189 Der Stoizismus lehrt, wie man die semina veritatis und virtutis, die von selbst in der Lage sind, das gesellschaftliche Leben zu bewahren und den gesellschaftlichen Frieden hervorzubringen, zum Grad ihrer Vollendung führt. Die antike Naturphilosophie, in der großzügigsten Form, die ihr Seneca (geleitet von Platon und Cicero) verliehen hat, wird zum Mittel eines Konsenses (consensus), ohne jedoch die übernatürliche Bestimmung des Menschen zu verfehlen oder seine kreatürliche Unruhe auszulöschen.190 184

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´ rasme, S. 95; vgl. auch: Jean-Claude Margolin: Quelques Moreau: Juste Lipse et E traits de l’esprit e´rasmien dans la personnalite´ et l’activite´ scientifique de Juste Lipse. In: Gerlo, Juste Lipse. 1547–1606, S. 133–155. Margolin weist auf, dass Erasmus und Lipsius sich im Ciceronianismus berühren. Moreau: Juste Lipse et E´rasme, S. 99. Marin: L’influence de Se´ne`que sur Juste Lipse, S. 119. Lagre´e: Introduction, S. 12: »Or s’il est un trait frappant dans la continuite´ de l’humanisme chre´tien ire´niste, d’E´rasme a` Grotius en passant par Lipse, c’est que cette me´fiance envers une prise de parti philosophique oblige´e s’accompagne d’une impre´gnation forte de philosophie antique, renforce´e par une connaissance pre´cise des œuvres lie´e au travail d’e´tablissement de textes en vue d’e´ditions critiques solides. Nous voudrions rechercher ici les racines et les instruments philosophiques de l’ire´nisme religieux du premier XVIIe sie`cle et montrer le roˆle de´cisif joue´ par le ne´ostoı¨cisme.« Lagre´e: Introduction, S. 15; vgl. auch: Flores Lucii Annaei Senecae cordubensis, summo labore selecti in omnibus illius operibus. Alain Michel: Cice´ron chez Juste Lipse. Le stoı¨cisme, l’e´le´gance et le sens de la douleur. In: Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 27. Vgl. Mouchel: Juste Lipse. Un philosophe de transition? In: ders. (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 9.

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Lipsius ist, J. Lagre´e zufolge, die Wiederentdeckung des stoischen Systems in seiner Kohärenz und die Neuinterpretation der stoischen Erkenntnistheorie191 zu verdanken, wie er sie insbesondere in der Manuductio ad Stoicorum philosophiam (1604) und der Physiologia Stoicorum (1604) vornahm. Die Idee eines philosophisch-stoischen erkenntnistheoretischen Systems könne der Manuductio entnommen werden: Es sei den Stoikern zu eigen, alles zu verbinden und aneinanderzufügen wie die Ringe einer Kette, damit nicht nur eine Ordnung entsteht, sondern eine Folge (sequela) und eine Kohäsion der Gegenstände.192 Die neustoische Philosophie stellte die Methode für ein doxographisches System bereit, das mit den Lernmethoden und -techniken der ars memoria (locus communis) kompatibel war.193 In der Grundstruktur blieb das Denken der Stoa der Logik verhaftet. In den Händen der Stoiker wurde die Logik zu einer völlig eigenständigen Disziplin; sie war nun nicht mehr, wie in der aristotelischen Tradition, ein organon, ein Werkzeug der Wissenschaft, von dem gilt, dass man noch nichts kennt, wenn man sonst nichts kennt; sie ist zu einem Teil der Wissenschaft geworden, und wer sie kennt, weiß etwas.194 Ihn ihrem Bemühen um die Strukturen der Sprache und der Vernunft erforschte sie nicht nur die Strukturen des denkenden und handelnden menschlichen Geistes, sondern auch die des göttlichen Geistes und der Welt, die sich von Gott nicht wirklich unterscheidet.195 Ihre Verbindung mit der Ethik gerät niemals aus dem Blick: die Tugenden, die die dialektische Ausübung der Vernunft verlangt, will sagen das Fehlen von Hast, die strenge Kontrolle der Begriffe und Verkettungen, die Beherrschung der inneren Ordnung, sind dieselben, die auch die moralische Tugend voraussetzt.196 Die theoretische Struktur einer auf der Logik basierenden Philosophie war mit dem in vergleichbaren ›scholastischen‹ Kategorien denkenden nach-tridentinischen Katholizismus kompatibel; der stoische doxographische Wissenschaftsbegriff stand den traditionellen Lernmethoden der ars memoria (locus communis) nicht entgegen und eröffnete somit die rasche ›Pragmatisierung‹ theoretischen Wissens. Beide Eigenschaften des Lipsianischen Humanismus begründeten wohl die intensive Rezeption des Lipsianischen Werkes in breiteren Schichten der frühmodernen europäischen Staaten 191 192 193

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Lagre´e: Introduction, S. 16. Ebd., S. 35. Vgl. Ann Moss: Vision fragmente´e et unitaire. Les Politiques et les recueils de lieux communs. In: Mouchel (Hg.), Juste Lipse (1547–1606) en son temps, S. 471–478; – The Politica of Justus Lipsius and the Commonplace-Book, JHI, 59, 3 (1998), S. 421–436. Jacques Brunschwig: Art. ›Stoizismus‹. In: ders., Geoffrey Lloyd et al. (Hg.), Das Wissen der Griechen. Eine Enzyklopädie, München 2000, S. 886. Vgl. ebd. Ebd.

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und deren tendenziell überkonfessionelle Tendenz in einem Zeitalter, das geprägt war von konfessionellen Kriegen und konfessioneller Gewalt.197 Während für die Calvinisten das Konzept der providentia attraktiv war, war die dogmatische Struktur der Stoa mit dem post-tridentinischen Katholizismus im weiteren Sinne kompatibel. Gleich Machiavelli nahm Lipsius eine Geschichtstheorie an, die auf der naturphilosophischen Ebene nicht kosmische Harmonie und dauerhaften Frieden walten sah, sondern, der Empirie Folge leistend, den Krieg als Naturgesetz annahm. Die potentiell gute göttliche Ordnung des teleologischen Weltbildes wurde vom Neustoizismus mit einem starken Affekt gegen den Aristotelismus, wie er in der Neuscholastik, im gegenreformatorischen Katholizismus und im lutherischen Protestantismus gepflegt wurde,198 nicht mehr als selbstverständlich angenommen. Lipsius nahm das Chaos als naturgesetzliche Gegebenheit in der Welt an: Das ewige Gesetz der Welt seit Anbeginn heißt Geborenwerden und Sterben, Entstehen und Vergehen; alles verändert sich beständig; in der Natur, im Menschenleben und im Politischen.199 Diese Theorie korrespondierte mit der zyklischen Geschichtstheorie Polybios. Auf die antiken Historiker Flavius Josephus, Plutarch, Polybios, Appian und Florus verweisend kam Lipsius zu der Schlussfolgerung, dass Kriege mit der Erschaffung der Welt ihren Anfang genommen haben und immer bleiben werden, solange die Welt bestehen werde.200 Sie begründete aber auch eine barocke, ›doxographische‹ Mentalität des Fatalismus, auf dem Hintergrund eines durch fatum geprägten inkohärenten Geschichtsverlaufs. Lipsius erklärte den Krieg nicht wie Machiavelli politisch, sondern kosmologisch und griff damit die stoische Harmonie des christlichen Kosmosdenkens eines Erasmus an. Lipsius hat die geschichtliche Entwicklung mittels der geschichtsphilosophischen Kategorien providentia (ungeteilter göttlicher Wille), fatum (Wirken Gottes in den weltlichen Dingen) und necessitas (die der Welt immanente Gesetzmäßigkeit) unter die göttliche Direktionsgewalt gestellt.201 Die providentia stamme zwar von Gott (prima causa), sie liege aber in den Dingen selbst.202 Aus seiner auf Beobachtung fußenden Geschichtstheorie folgerte Lipsius, dass Welt und Mensch in sich gleichermaßen konfliktträchtig sind. Das Seneca entlehnte vivere militare est begründet gleichermaßen eine zivile und militärische Lebensform. Das verbindende 197 198

199 200 201 202

Vgl. Abel, Mout, Oestreich. Vgl. Michael Stolleis: Die Lipsius-Rezeption in der politisch-juristischen Literatur des 17. Jh. in Deutschland, Der Staat, 26 (1987), S. 2. Oestreich: Strukturprobleme, S. 307. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 85. Münkler: Im Namen des Staates, S. 186. Oestreich: Strukturpobleme, S. 308.

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Moment zwischen ziviler und militärischer Lebensweise ist nicht mehr die politische Energie der virtu`, sondern ein durch Affektregulierung und vita activa gekennzeichnetes Verhalten. Es scheint, dass die stoische Prägung des vivere militare an die biblischen Vorstellungen und die Aufassungen des christlichen Humanismus, wie sie sich bei Erasmus und Ignatius von Loyola finden, anknüpfte.203 Das militärische Image wurde der Gegenreformation in vollkommener Weise angeglichen, während die älteren Vorstellungen im Geiste der katholischen Reform standen, die im späten Mittelalter einsetzte.204 Im Werk Lipsius lassen sich mehrere Abschnitte festhalten, die zeitgeschichtlichen Impulsen folgen. Im Rahmen der Religions- und Bürgerkriege – die Niederlande entwickelten sich ja erst vom bürgerlichen Elitekonflikt mit konfessioneller Tendenz zum Staatsbildungskonflikt – wandte er sich Tacitus (1574, TacitusEdition; 1581 Tacitus-Kommentar) und der Stoa, speziell Seneca (1605, Opera omnia philosophia Senecae) zu, gestützt auf Originalmanuskripte und die Seneca-Edition des Erasmus.205 Nach der relativen politischen Konsolidierung und der Stabilisierung in einer Art Mischverfassung, wesentlich herbeigeführt durch die Nassau-Oranier (um 1589) und der Machtübernahme durch Heinrich IV. in Frankreich (1589), synthetisierte er in der Klugheitslehre der Politica Tacitismus, Neustoizismus und die Instrumente politischer Pragmatik (Militärverfassung, Religion im Staat und Theorie der Kriegführung), die auf Polybios zurückgehen. Auf dem Höhepunkt militärischer Reformprozesse schrieb er den Kommentar zur militärischen Organisation der Römer (DMR), der im Unterschied zu Machiavelli nicht mehr Vegetius und Cicero folgt, sondern sich wesentlich auf Polybios bezieht, an Topen aufgereiht ist und nicht mehr der ciceronianischen Dialogform folgt. In seinem Alterswerk (Manuductionis, Physiologiae) errichtete er dann ein neustoisch-philosophisches System, das Erkenntnistheorie und Naturrechtslehre um203

204

205

Ralph Keen: Militant Christianity in Erasmus’s Enchiridion and Ignatius of Loyola, Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, 13, 1 (1989), S. 1ff.; vgl. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1985: Der Zweite Brief des Paulus an Timotheus, 2, 3: »Leide mit als ein guter Streiter Christi Jesu«; Der Brief des Paulus an die Epheser, 6, 11–13: »Zieht die Waffenrüstung Gottes an, damit ihr gegen die listigen Anschläge des Teufels bestehen könnt.«; zu Bezügen zwischen Jesuiten und Militär vgl. Keen, S. 4: Der Begriff exercitationes ist ein Widerhall des lateinischen Begriffs für Armee exercitus. Die spanische Bezeichnung des Ordens als Compan˜´ıa Jesu´s enthält militärische Zwischentöne, die in dem lateinischen Begriff societas nicht gegeben sind. Ebd., S. 4: »The military image, even when perhaps only subliminally present, was perfectly fitted to the counter-reformation. The older imagery was in the spirit of the Catholic reformation that began in the late middle ages. That it informed the Catholic reaction to protestantism can nowhere better seen than in this transformation of a deeply traditional metaphor.« Lagre´e: Introduction, S. 15.

4. Systematik

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spannte. Seneca ging von den hellenischen Quellen des Stoizismus aus und prägte die spezifische Form des römischen Denkens. Die drei dem Stoizismus gewidmeten Werke – die Trostschrift De Constantia, Manuductio ad stoicam philosophiam und Physiologia stoicorum – zeugen von den zwei sich widersprechenden Phasen im Leben Lipsius: das erste wurde verfasst, als Lipsius an der calvinistischen Universität Leiden lehrte und die gewaltsamen Folgen religiöser Fragmentierung vor Augen hatte; die beiden anderen können als Glaubenszeugnisse betrachtet werden mittels derer der christliche Humanist versuchte, die stoischen Thesen an die christlichen Dogmen anzugleichen, den Stoizismus christlich zu interpretieren.206 Bezeichnenderweise enthält der moralphilosophische Impuls der Constantia und der stilistisch-philologische Bruch mit dem Ciceronianismus über den Tacitus-Kommentar den Nukleus für die Politica, die wiederum mit dem Moment einer Pragmatik militärischer Macht den Nukleus für DMR enthält, ein Polybios-Kommentar, der sich als Handbuch für gebildete Militärs anbietet. F) Die Herrschertugend der prudentia mixta und die taciteische Typologie der Klugheit Prudentia mixta, prudentia togata und prudentia militaris treten als Schlüsselbegriffe taciteisch-lipsianischer Klugheitslehre auf. Lipsius nahm in seiner politischen Lehre eine Ausdifferenzierung des Begriffs der Klugheit vor: in die taciteische prudentia mixta, welche die Macht gemäßigt mit einer Mixtur von Klugheit nahelegt, und in die Kategorien der zivilen gemischten Klugheit (prudentia togata) und der militärischen Klugheit (prudentia militaris). Zunächst erfolgt jedoch die Trennung in eine öffentliche und eine private Klugheit. In Buch III, 2 differenziert Lipsius zwischen einer selbstbestimmten Klugheit (a se) und einer von anderen herrührenden Klugheit (ab aliis). In Buch IV, 2 unterteilt er die Klugheit in togatam und militarem, die sich (Sallust zufolge) auf die Friedenskunst und die Kriegskunst beziehen: Prudentia omnis, quam in Principe quaero, duplex est: Togata & Militaris. Illam intelligo, quae in cottidiana hac gubernatione tranquillisque rebus, intervenit. Istam, quae in bello, rebusque turbatis.207

Diese Unterscheidung ist Sallust (Orat., I, de Republ. Ord.) entlehnt – bereits in dem Widmungsbrief der Variae lectiones (1569), die Lipsius mit einer allgemeinen Reflexion über das Wesen des Ruhms großer Feld206 207

Marin: L’influence de Se´ne`que sur Juste Lipse, S. 119. Politica, 1704 (1998), S. 229; 1599 (2004), S. 386.

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herrn (clari imperatores) und der großen Minister als Staatsdiener eröffnete, nahm er den ciceronianischen Topos des Gegensatzes von milita und toga auf, um die moralische Überlegenheit des Ruhms, der sich an die Toga heftet zu etablieren208 – und überführt das machiavellische Modell der Vermittlung zwischen res publica und res militaris in die Heuristik einer ausdifferenzierten Klugheitslehre. Man mag darin auch eine Umwandlung von le buone legge e le buone arme in die Lehren von der prudentia togata und prudentia militaris im Rahmen taciteischer Herrschaftslehre respektive Klugheitslehre sehen. Bereits Machiavelli hatte den Topos von le buone legge e le buone arme im Zusammenhang der Herrschaftstechnik des Fürsten zitiert (Il Principe, XII).209 Die prudentia togata unterteilt Lipsius in eine prudentia in humanis und eine prudentia in divinis, die eine Religion im Staat propagiert (unam religionem retiendam ei, & defenda). Buch IV, 13 zeichnet die prudentia mixta, in die sich der Betrug mischt (id est, ea in qua fraudes). Die prudentia mixta schließlich ist die Schule der List (fraus) und des vertretbaren Betrugs. Es ist Lipsius’ Verdienst, dass diese anrüchige Materie, den Zeitgenossen aus Machiavellis Il Principe (Kap. 17, 18) bekannt, durch die maßvolle Behandlung, die er ihr angedeihen ließ, öffentlich diskussionsfähig wurde.210 In der Literaturwissenschaft ist sie heute als die Lehre von der simulatio und dissimulatio geläufig.211 Lipsius’ Politica ist, im Gegensatz zu Machiavellis Il Principe, keine Beschreibung der Praktiken des Machterwerbs, sondern der philosophische Rechtfertigungsversuch einer prudentia mixta im Dienst gesellschaftlicher Befriedung. Lipsius’ Frage lautete, nach Wiedemann: wieviel rettende List braucht die Tugend (virtus), um in der politischen Krise zu überstehen?212

3. Die militärische Klugheit (prudentia militaris) A) Kluge Kriegführung als Herrschaftskompetenz Gleich der prudentia mixta ist die prudentia militaris eine Herrscherkompetenz. Sie bezieht sich auf den äußeren Krieg (Pol., V) und den Bürgerkrieg (Pol., VI). Indem die Tugend (virtus) mit dem klugen Handeln 208 209

210 211 212

Chatelain: Juste Lipse cice´ronien, S. 457. Niccolo` Machiavelli: Il Principe. Übers. u. hg. v. Philipp Rippel, Stuttgart 21997, ` ’ principali fondamenti che abbino tutti li stati, cosı` nuovi, come XII, S. 92, 94: »E vecchi e misti, sono le buone legge et le buone arme: e perche´ e’ non puo` essere buone legge dove non sono buone arme, e dove sono buone arme conviene sieno buone legge, io lascero` indietro el rationare delle legge e parlero` delle arme.« Vgl. Wiedemann: Fortifikation des Geistes, S. 184. Ebd. Ebd., S. 201.

4. Systematik

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oder Verhalten verbunden wird, wird die Tugendlehre der mittelalterlichen Fürstenspiegel durch eine auf ars memoria und der Erfahrung basierende Klugheitslehre ersetzt. In der Politica wird die zunehmende Dominanz einer zentralisierten Konzeption des Krieges im politischen Rahmen, d. h. eines politisch begründeten und eines auf politische Zwecke ausgerichteten Krieges, reflektiert.213 Die prudentia militaris stellt aber keineswegs ein neues Konzept der Herrschaftslehre vor. Der Begriff der prudentia militaris als Kompetenz des Fürsten findet sich bereits bei Aegidius Romanus, einem Schüler Thomas von Aquins.214 Die Lipsianische ›Politik‹ gründet auf Tugend (virtus) und Gewalt (vis). Dabei bedeutet die vis bei Lipsius wirtschaftlich gestützte militärische Gewalt, d. h. aus Steuererhebung gewonnenes Kapital (pecunia), ermöglicht den Unterhalt eines stehenden Heeres (Kriegsschatz, Kriegsvolk, Waffen und Munition). Die auf der Empirie basierende politische Klugheit wird somit zu einer relativierten Norm, ihr Zweck zielt auf die Machtregulation. Diese vis temperata (Horaz, Carm. III. 4, 66) ist gleichermaßen regulierte und maximierte Gewalt: Erst durch Klugheit und Tugend gelenkte Gewalt (vis) verheißt Stabilität. Folgt man diesem Machtbegriff, der die Verkettung militärischer Gewalt und deren Finanzierung durch den Fürsten als reale Grundlage der Politik der Klugheit annimmt, dann kommt der Wehrverfassung und der Institutionalisierung des Krieges eine zentrale Rolle zu. Staatspraxis ist unter den gegebenen historisch-politischen Bedingungen primär Kriegspraxis. Im Unterschied zu Machiavelli entwickelte Lipsius einen ›nicht-anthropologischen‹ Begriff der Gewalt, auf den sich die militärische Klugheit bezieht. Der Niederländer Justus Lipsius und der Piemonteser Giovanni Botero (1540–1617) wollten die außer Rand und Band geratene Kriegsgöttin Bellona durch eine strenge Disziplinierung, Reglementierung und Professionalisierung des Soldatenlebens bändigen.215 Im Gegensatz zu Machiavelli schrieb Lipsius, dass in der Moderne das Geld den Nerv eines Staates darstelle.216 Den zweiten Band der Admiranda, sive, de magnitudine Romana (1598) widmete er dementsprechend auch der Ökonomie des kaiserlichen Roms. Anders als Machiavelli sahen Lipsius und Botero die Ursache staatlicher Größe im ökonomischen Reichtum.217 213 214

215 216 217

Gat: The Origins of Military Thought, S. 16. Vgl. Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 72: Am Ende des 13. Jahrhunderts präzisiert Aegidius Romanus, dass die Kenntnis der Kriegskunst (prudentia militaris) eine ethische Pflicht des Königs sei, denn von dieser Kunst hängt der Frieden und alle anderen Aktivitäten ab. Metzger: Die Milizarmee im klassischen Republikanismus, S. 147. Ebd. Ebd.

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Den Kern der politischen Lehre des Justus Lipsius bildet daher die prudentia militaris. Die Verfassung eines Landes ist der Wehrverfassung zugeordnet. Die militaris prudentia ist nach Cicero die militärische Tugend, die allen anderen vorausgehe und somit der prudentia togata (ziviler Bereich) übergeordnet. Lipsius überführt in die Differenzierung der prudentia in prudentia togata und prudentia militaris die ciceronianischen Kategorien (arma et leges; nach Machiavelli: le buone legge e le buone arme). In den Theoremen von prudentia militaris und prudentia togata überdauert damit die Sprache des ciceronianisch geprägten Bürgerhumanismus. Die militaris prudentia hat eine materielle und mentale Komponente. Die materiellen Voraussetzungen eines Krieges, der Apparat (apparatus) sind Geld (pecunia), Verpflegung (commeatus) und Waffen (arma); schließlich Feldherrn und Soldaten (vires), insbesondere Fußsoldaten. Eine große Bedeutung kommt der richtigen Auswahl und Manövrierbarkeit der Soldaten zu. Lipsius beschreibt ausführlich die nach Cicero klassifizierten Grundlagen politischer Macht: Geld (pecunia), Waffen (arma) und Soldaten (vires), strategisch-taktisches Kalkül, Bündnisse (foedera) und Glück (felicitas). Die militärische Klugheit gewährleistet das Zusammenwirken von Gewalt (vis) und Tugend (virtus). Das V. Buch der Politica ist der militarem Prudentiam gewidmet und legt die Lipsianischen Leitideen einer Militärverfassung dar: die Vorbereitung eines Krieges, das Verhalten im Krieg bis hin zu einem stabilen Friedensvertrag. Die prudentia militaris bezieht sich, wenngleich sie auch nach Innen gerichtet ist, in erster Linie auf den äußeren Krieg. Im ersten Kapitel verteidigt Lipsius seine Qualifikationen für die Diskussion militärischer Themen und hebt dabei seine Bindung an die Autoritäten der Antike hervor. Die militärtheoretischen Passagen der Politica beziehen sich wesentlich auf eine Begründung der Kriegspraxis des Staates auf den Grundlagen von Gewalt (vis) und Tugend (virtus). In Buch IV, Kap. 7 beschreibt Lipsius die beiden konstituierenden Faktoren eines befriedeten Gemeinwesens: »Duo igitur sunt, quæ tranquillum id aut firmum efficiant, VIS & VIRTUS, duo item, quae turbidum aut caducum, VIS & VITIUM.«218 Die Gewalt dient dem Schutz des Herrschers und seines Reiches. Sie stützt sich auf humane und materielle Grundlagen. Die Soldatenschaft teilt sich in die Garde des Herrschers (custodes) und die allgemeinen Truppen (ordinarii).219 Zusammen mit den perpetui milites bilden die ordinarii ein stehendes Heer (Ordinarii & perpetui milites).220 Die Gewalt 218 219 220

Politica, 1704 (1998) IV, 7, S. 299; 1599 (2004), S. 414. Ebd. Ebd., S. 302.

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(vis) bezieht sich neben der bewaffneten Macht auf das Geld (Milites & Pecuniam),221 Festungen oder Kolonien (Arces aut Colonias).222 Festungen tragen zur Konsolidierung des Staates bei; sie sind jedoch verletzbarer als gemeinhin angenommen wird. Kolonien sind daher im Allgemeinen vorzuziehen.223 Steuererhebung und staatliches/herrschaftliches Gewaltmonopol werden gekoppelt. Die prudentia militaris ist eine Herrschertugend. Lipsius hebt die notwendige Bildung des Herrschers in der militärischen Klugheit hervor, denn der Frieden gründet auf den Verteidigungskünsten (V, 1). Im folgenden Kapitel entwickelt er eine Kriegstypologie und differenziert den Krieg in einen inneren Krieg, den Bürgerkrieg und den äußeren oder zwischenstaatlichen Krieg. In der Bestimmung des äußeren Krieges (Pol. V, 3) werden die Kriegsmotive (bellum iustum), die Kriegführung und die Beendigung des Krieges dargelegt. Das vierte Kapitel widmet sich Kriegsmotiven, d. h. der Frage, wann ein Krieg zu führen bzw. Gewalt anzuwenden ist. Es bieten sich mehrere Möglichkeiten: Selbstverteidigung bzw. Verteidigung der Interessen der Verbündeten. Beim Scheitern diplomatischer Verhandlungen sind Vergeltungsschläge denkbar. Auch Angriffskriege gegen Barbaren oder Heiden sind gerechtfertigt. Diese dienen dazu zu bestrafen und das Böse zu korrigieren. Doch die äußerste Rechtfertigung sind der Friede und die Selbstverteidigung. Im Denken Lipsius ist eine moralische Funktionalisierung des Krieges nachzuvollziehen. Schließlich (V, 6) geht Lipsius von den Kriegsmotiven zur Kriegführung und zur Vorbereitung sowie den Voraussetzungen der Kriegführung über, die sich auf die dreifache Rüstung zum Krieg (apparatus), d. h. Geld (pecunia), Nahrung, d. h. Logistik (commeatus) und Waffen (arma) beziehen. Letztere sollte vor dem Ausbruch des Krieges überdacht werden. Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit den Landstreitkräften (den Reitern und Fußsoldaten). Lipsius argumentiert, dass, obzwar die Reiterei in der Schlacht gewisse Vorteile gegenüber der Infanterie aufweist, gut ausgebildete Fußsoldaten die größte Quelle der Stärke sind, zumal sie flexibler, weniger kostenaufwendig und zahlreicher seien (V, 7): Nec de pugna, nimis negem: nego de Bello universo; in quo Peditem praepono. Nam ad opida propugnanda aut expugnanda, quis equitum magnus usus? Quis etiam in montanis locis aut impeditis ? Ex quo intelligitur magis necessarios reip . pedites, qui possunt ubique prodesse. Veget. 2 cap. 1.224

221 222 223 224

Ebd. Ebd., S. 303; 1598 (2004), S. 416. Ebd. Ebd., V, 7, S. 445; 1599 (2004), S. 560.

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Ein bedeutsamer Gesichtspunkt Lipsius’ ist die Proportionalität von Infanterie und Kavallerie. Es handelt sich hier um einen Topos von nicht ausschließlich militärtheoretischen (technischen, taktischen) Implikationen, sondern um einen Gesichtspunkt von verfassungstheoretischer Tragweite. Lipsius’ Urteil, der für die Überlegenheit der Infanterie über die Kavallerie plädiert, folgt zunächst taktischen Erwägungen. Entgegen der Auffassung von Polybios, der der Kavallerie eine unbestrittene numerische Überlegenheit einräumt, hält Lipsius diese nicht für gerechtfertigt. Für den Kampf schätzt er sie keinesfalls, für den gesamten Krieg bevorzugt er allerdings die Infanterie.225 Die Kavallerie ist in bergigem Gelände nahezu unbrauchbar. Auch in der Schlacht ist der Vorteil der Fußsoldaten gegenüber der Kavallerie, obgleich diese einen schnellen Sieg garantiert, nicht von der Hand zu weisen. Ist die Infanterie gut ausgebildet (aguerris) und bewaffnet, exerziert und diszipliniert, so können die Fußsoldaten dem Stoß der gegnerischen Kavallerie leicht standhalten. Voraussetzung für die Effizienz der Kavallerie sind Ordnung und Disziplin. Es wird zu diskutieren sein, inwiefern das Urteil über die Einschätzung der Kavallerie durch die antiken Militärtheoretiker, denen die Wissenschaft und die Geschicklichkeit der guten Ordonnanz (la science & la dexterite´ de les bien ordonner) unbekannt war, ein kontingentes ist oder ob es sich um eine Grundeinsicht, die den ganzen militärtheoretischen Diskurs Lipsius’ durchzieht, handelt. Es hängt schließlich von der Verfassung des Landes ab, d. h. nicht technischen Faktoren wie den Waffenarten, sondern der herrschenden Disziplin, also mentalen und organisatorischen Faktoren, ob der Infanterie oder der Kavallerie ein numerisches Übergewicht eingeräumt werden soll.226 Die Qualität der Soldaten sieht Lipsius durch Rekrutierung (dilectus) und Disziplin (disciplina) gewährleistet (V, 8). Militärische Stärke ist nicht ausschließlich eine Frage der Masse: Geschicklichkeit und Mut sind die wesentlichen Anforderungen. Die gegenwärtigen Methoden der 225

226

Justus Lipsius: Les Six livres des politiques, ou doctrine civile de Iustus Lipsius: ou il est principalement discouru de ce qui appartient a` la Principaute´. Par Charles le Ber sieur de Malassis, pres Mante, A La Rochelle, Hierosme Haultin, 1590. BN *E 2640, V, 7, S. 300: »Pour vn combat ie l’approuueroi aucunement; mais pour la guerre vniuersellement, ie le nie, i’y prefere les gens de pied.«; Politica, 1704 (1998), S. 445; 1599 (2004), S. 560. Ebd., S. 302f.: »Aux Estats, ou` la guerre est bien ordonne´e & disciplinee, les gens de pied sont meilleurs & plus vtiles, que les gens de cheual; mais ou` il n’y a ny ordre ny discipline, c’est tout le contraire. Et ce n’est pas sans raison, ny en vain, que l’ordre & la discipline fait que l’on les estime d’auantage: pource qu’ils sont plus aisez a` assembler, & tenir tous prests: & puis vn plus grand nombre de ge(n)s de pied, s’entretient & se nourrit auec moindres frais & plus petite despense. Ie conclu donc par la`, que si l’on veut considerer la guerre vniuersellement, que la plus grand force est aux gens de pied.«

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Rekrutierung – der Kauf statt der Auswahl der Soldaten – haben Korruption, Laster, Feigheit und Unordnung zur Folge. Einheimische Soldaten sollten daher fremden Söldnern vorgezogen werden, denn sie sind gehorsamer, mutiger, loyaler und im Lande mehr geschätzt (V, 9). Söldner sind zuweilen notwendig, doch sie sollten in begrenzter Zahl unter den direkten Nachbarn der Nation ausgewählt werden. Lipsius weist (V, 10) verschiedene Einwände gegen den Gebrauch von einheimischen Soldaten zurück, so beispielsweise das Argument, bestimmte Nationen brächten bessere Soldaten hervor. Er vertritt die Auffassung, dass gute Soldaten in jedem Land zu finden sind, entscheidend ist die gute Ausbildung. Dem Einwand, von bewaffneten Untertanen ginge Gefahr für den Herrscher aus, begegnet Lipsius mit der Antwort, dass ein guter Prinz auf die Loyalität seiner Untertanen zählen könne. Die Arten der Soldaten beziehen sich auf reguläre Truppen und Hilfstruppen (V, 11). Reguläre Truppen sollen beibehalten werden, aber nicht in großer Anzahl und in Friedenszeiten nicht an einem Platz. Der Kavallerie soll ein spezieller Platz eingeräumt werden, denn ihre Ausbildung erfordert mehr Zeit. Irreguläre oder Reservetruppen können zur Unterstützung der regulären Soldaten während des Krieges herangezogen werden. Reguläre Truppen sind besser aus der weniger zu Rebellion neigenden Landbevölkerung zu rekrutieren. Ein weiteres Kriterium der Rekrutierung ist (V, 12), dass nicht jeder Freiwillige genommen werden sollte. Wohnort, Alter, physische und mentale Eigenschaften, Lebensführung und Erziehung müssen berücksichtigt werden. Den verweichlichten Städtern sind vor allem Soldaten aus Wald-, Berg- und Küstenregionen vorzuziehen. Zweitens eignen sich junge Soldaten besser als alte. Die mentalen Kriterien beziehen sich, hier folgt Lipsius Vegetius oder Augustinus, auf Seele/Geist/Herz (animus) und Furchtlosigkeit (audaces). Fernerhin ist das Streben nach Ehre (gloriae avidi) und Bescheidenheit (verecundi) ein Auswahlkriterium. Selektion ist wichtig und ein fortdauernder Prozess. Das dreizehnte Kapitel des fünften Buches enthält den militärwissenschaftlich-didaktischen Kern des auf Stärke (vis) und Tugend (virtus), d. h. durch Tugend gemäßigte Gewalt, gründenden Lipsianischen Stabilitätskonzepts. Dieses bezieht sich wesentlich auf die Disziplin, die in einem gesonderten Abschnitt eingehender behandelt werden soll. Die Disziplin (disciplina) wird von Lipsius als eine Bildung des Kriegsmanns zu Kraft (robur) und Tugend (virtus) beschrieben. Die Übungen sind eine wesentliche Komponente der militärischen Disziplin. Sie umfassen Waffenübungen, Marschieren und Körperübungen. Geordnete Reihen sind wesentlich zur Förderung der Disziplin; geordnete Armeen schüchtern den Feind ein und sind leichter zu kontrollieren; und die Ordnung beugt einer Konfusion beim Marschieren,

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dem Kampf, und im Lager vor. Zwang (coerctio) ist maßgeblich für die Disziplin. Diese sollte auch Mut und Bescheidenheit im Habitus, der Sprache, der Kleidung und dem Verhalten begründen. Soldaten sollen ihren Befehlshabern gehorchen. Disziplinierte Soldaten sollen sich gegenüber der Zivilbevölkerung der Gewalt und Plünderung enthalten. Disziplin besteht darin, ein Beispiel zu geben, gutes Verhalten zu loben und schlechtes zu bestrafen. Die Eigenschaften der militärischen Eliten bestimmen den Charakter der Armee und deren Erfolg. Die Befehlshaber (duces), von denen es zwei Arten gibt, nämlich die primarii und secundarii,227 sind nicht nur nützlich, sondern notwendig (Pol. V, Kap. 14). Zur ersten Klasse zählt Lipsius allein den König (rex) oder Herrscher (princeps). In die zweite Klasse werden die Kriegsbeamten und Legaten (in der römischen Kaiserzeit Unterfeldherr und Statthalter in kaiserlichen Provinzen) eingeordnet. Lipsius wägt Argumente für oder gegen die Anwesenheit des Regenten in den Schlachten ab und kommt zu der Schlussfolgerung, dass lediglich politisch bedeutsame Entscheidungsschlachten der Präsenz des Herrschers bedürfen. Um Verwirrung vorzubeugen, soll einem erfahrenen General das Oberkommando übertragen werden. Im äußeren Krieg sollen nur wenige befehlen: »Semper enim reperies [...] plurimum nocere & multitudinem imperantium, & regimen nullum aut incertum. Thucyd. 6, 12, 15.«228 Die Generäle sollen über die fünf Eigenschaften Wissenschaft (scientia oder peritia229), Tugend (virtus), Vorsehung (providentia), Autorität (auctoritas) und Glück (fortuna, felicitas) verfügen (Pol., V, 15). Im folgenden Kapitel wird auf die Notwendigkeit eines Kriegsrats eingegangen (V, 16) oder allgemeiner formuliert auf den Nutzen der Räte und Konsultationen in Kriegszeiten. Über den Feind sind möglichst viele Informationen einzuholen, seine Solidarität gilt es zu unterminieren. Der Zeitpunkt des Kampfes ist genau zu erwägen. Manchmal können Träume oder andere Symbole ein Zeichen geben. Zu der methodischen Vorbereitung der Schlacht zählt, dass Männer aus demselben Land zusammengenommen und Söldner den größten Risiken ausgesetzt werden sollen. Die Disziplin ist auch nach der Schlacht aufrechtzuerhalten, so dass dem Feind kein Vorteil entsteht. Dem Feind soll es erlaubt sein, zu 227

228 229

Politica, 1704 (1998) V, 14, S. 489: »Illum ante omnia quaeres; talem, qualem describam. Duo enim genera Ducum: Primarii, Secundarii. Illi, QUI SUMMAE REI IMPERANT, SUISQUE AUSPICIIS ET DUCTU REM GERUNT. Isti, QUI IMPERANTIS ALTERIUS NUTU SIVE JUSSU IMPERANT; ET SUO SALTEM DUCTU REM GERUNT.« Ebd., V, 14, S. 491; 1599 (2004), S. 608. Erfahrung, Praxis, Kenntnis: s. Machiavelli (perizia), Scipione Ammirato, Gabriel Naude´.

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fliehen. Schließlich geht Lipsius mit Bezug auf die Kriegslisten des Sextus Frontinus (I. praef. in fine) auf die Stratageme ein (V, 17): Für Frontinus (Strat. 1. praef. 2) sind die von den Griechen als strategemata bezeichneten Handlungen der Generäle (sollertia ducum facta), die den Befehlshabern Beispiele für Planungen (consilium) und Vorsehung (providentia) an die Hand geben.230 Lipsius verwendet nur die römische Bedeutung der strategemata als Synonym der schlauen, verschlagenen oder getriebenen consilia (De callidis consiliis). Im Griechischen spreche man von stratagemata, merkt Lipsius an: er glaube, weil sie vom General herrühren oder von diesem erfunden sind, oder weil sie »bono illo maxime digna« seien.231 Das Verhalten nach der Schlacht soll durch Mäßigung nach deren Gewinn und das Unterlassen von Plünderung gekennzeichnet sein (V, 18); diese Regel mag im Anschluss an Vegetius geschrieben sein, der in den Regulae nahe legte, von einer Verfolgung des Feindes abzusehen. Die Thematik des Friedensschlusses (V, 19; V, 20) schließt die Lipsianische Systematik der Kriegführung ab: die fortdauernde Kriegführung wird verdammt und der Frieden gepriesen, der Sieger und Besiegtem gleichermaßen zu Gute kommt. Die Disziplin erfährt darin auch eine taktische Ausdeutung. Der ordo ist ein Unterbegriff des Disziplinbegriffs – bezieht sich auf die Untergliederung der Truppen in Regimenter, Kompanien und Eskadrone. Eine gut untergliederte, d. h. in mehrere Teile gegliederte Armee ist leicht zu teilen und wieder zusammenzuführen. Auch lässt sie sich leicht befehligen. Neben der horizontalen Struktur führt Lipsius eine vertikale Gliederung ein, die eine Befehlskette ermöglicht. Sie ist noch leichter für die Befehlsgebung, nämlich wenn der Soldat dem capitaine und der capitaine dem maistre de camp gehorcht.232 Rekrutiert werden soll das stehende Heer vornehmlich aus Einheimischen. Lipsius unterscheidet bei seiner Auswahl (dilectus) ordentliche Soldaten (stehendes Heer, Berufssoldaten auf Lebenszeit) und Reservetruppen. Auswärtige Soldaten sind bisweilen auch notwendig, aber nur hilfsweise. Das stehende Heer darf nicht zu groß sein und muss disloziert werden können, das fordern Finanzen und Staatssicherheit. Die mentale Komponente bezieht sich auf den Begriff der Disziplin (disciplina), der der materiellen in vieler Hinsicht übergeordnet ist. Die täg230 231 232

Wheeler: Stratagem, S. 1. Politica, 1704 (1998), S. 521; 1599 (2004), S. 640. Les Six livres des politiques, V, 13, S. 338: »Elle est plus aise´e encor pour les co(m)mandemens; quand le soldat obeit au capitaine, le capitiane au Maistre de ca(m)p, & sans bruit ny tumulte tous respo(n)de(n)t & obeisse(n)t. Toutes choses ne doiuent pas estre comma(n)de´es a` tous, mais l’autorite´ des chefs, & la rigueur de la discipline veut, que l’on en commande aucunes aux Maistres de camp, & d’autres aux capitaines.«

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lichen exercitia üben den Soldaten im Waffengebrauch, im Marschieren, in der Schanzarbeit und halten ihn vom Müßiggang ab. Vegetius war Lipsius’ wichtigste Quelle hinsichtlich Waffen-, Marsch- und Schanzübungen.233 Lipsius führt, darin Flavius Vegetius Renatus ERM folgend, die entscheidende Komponente des militärischen Erfolgs auf die durch Kunst (ars) und das Exerzieren (exercitus) vermittelte Disziplin zurück: »In omnio proelio, non tam multitudo et virtus indocta, quam ars et exercitum solent praestare victoriam.«234 Kunst (ars) und Übung (exercitum) führen den militärischen Sieg herbei. Die römische Disziplin des Justus Lipsius beschreibt eine Fertigkeit (ars) und ein Verhalten im Krieg (disciplina). Theorie der klugen Kriegführung (prudentia militaris, Pol. V)

233 234

Reinhard: Humanismus und Militarismus, S. 185. Oestreich: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, S. 27.

4. Systematik

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Die prudentia militaris ist eine Herrschertugend und Moment einer Herrschaftslehre. Ihr konzeptuelles Fundament enthält die Theoreme vegetianischer Militärwissenschaft, die Vegetius im Anschluss an Vergil (Aen. I, 1: arma virumque cano) auf Waffen und Männer bezieht,235 ergo den von Lipsius als Kriegsapparat bezeichneten organisatorischen Voraussetzungen der Kriegführung. Auch in der Hervorhebung des Kriegsrats, der consilia, die in der römischen Literatur (consilium) als Synonym für den Begriff Stratageme gelten,236 und der Stratageme als nützlich und ehrenhaft, schließt er militärtheoretisch an die Konzeption einer strategisch klugen Kriegführung an. Das Interesse Lipsius’ an Polybios ist taktisch und strategisch (militärtheoretisch) motiviert, zumal das Werk Polybios sowohl taktische Konzepte, einen historiographischen epistemischen Standpunkt als auch eine verfassungsgeschichtliche Einbindung der Militärtheorie erlaubt. Lipsius scheint hinsichtlich der Logisierung der Geschichte und des Handelns weniger an die bereits durch Machiavelli bemühte anaky´klosis Polybios’ anzuschließen, wenngleich Polybios in Lipsius’ Argumentation der Regeln im Krieg eine bedeutende Rolle einnimmt. Hingegen knüpft er an die bei Macchiavelli angelegte Vermittlung zwischen res republica und res militaris an. Indem er sie in die Kategorien von prudentia togata und prudentia militaris überführt, stellt er dem Fürsten eine Handlungstheorie für den Frieden und den äußeren Krieg bereit. Die theoretische Ausdifferenzierung der prudentia militaris, die dem Schema ramistischer Logik folgt, ist ebenso wie bei Machiavelli eine Verbindung von Vegetius und Polybios. Lipsius vollzieht jedoch eine Umkehrung oder Inversion. Er geht nicht plagiatorisch mit Vegetius um. Er folgt den Topoi des VI. Buches der Historien des Polybios, um unter ihnen entscheidende Elemente der vegetischen res militaris bzw. des vegetischen militärwissenschaftlichen Paradigmas zu subsumieren: die militärwissenschaftliche Kategorie der militärischen Klugheit – unterteilt in Männer (vires) und Waffen (arma) (Pol., V) –, den Begriff der römisch-vegetischen disciplina und die Technik, die in den Analecta eine ästhetische und herrschaftsstabilisierende Interpretation erfahren. Die Militärtheorie hat eine exponierte Stellung im kulturhistorischen Entwurf des lipsianischen politischen Antiquarianismus, seiner fax historica, inne. B) Die militärtheoretischen Texte des Lipsianischen (politischen) Antiquarianismus Die Texte, die Zugang zum Militärtheoretiker Justus Lipsius gewähren, sind neben dem der militärischen Klugheit (prudentia militaris) gewid235 236

Vgl. Flavius Vegetius Renatus: Epit. of Military Science, S. 29. Wheeler: Stratagem, S. 50.

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meten V. Buch der Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589) die sechs Jahre später erschienenen fünf Bücher seines Kommentars zur römischen Militärverfassung De militia Romana libri quinque, commentarius ad Polybium (Antwerpen 1595–1596) sowie eine Abhandlung über Wurfgeschosse (Poliorceticon sive de Machinis, tormentis, telis libri V, 1596237). In De militia Romanorum und Polioreticon dokumentiert Lipsius die militärische Organisation der Römer im Detail und in De magnitudine Romani imperii ordnet er diese in einem weiteren Zusammenhang ein. Die Militärtheorie schreibt sich in ein geplantes großes Werk über die Sitten (ritualia) der Römer ein. Eine Schrift, die sich dem DMR angliedert, ist Poliorceticon sive de machinis, tormentis, telis libri quinque (Antwerpen 1596), das die römischen Festungsanlagen, Belagerungs- und Wurfmaschinen auf der Grundlage mehrerer Historiker behandelt. Lipsius hatte die Absicht, seine Darstellung des römischen Kriegswesens noch um die Triumphzüge der Römer zu erweitern: ein Entwurf zu diesem Werk findet sich in seinem Nachlass der Universitäts-Bibliothek Leiden.238 In den Monita et exempla politica (1605), die Lipsius als sein unvollendetes Werk bezeichnete, war ein militärtheoretisches Kapitel vorgesehen.239 In dem unvollendeten Dialog Monita et Exempla Politica De Re Militari diskutiert Lipsius militärische Klugheit und Kriegsursachen.240 Die bei Van der Haeghen beschriebenen Monita et Exempla Politica sind nur die ersten beiden Kapitel eines auf sechs Teile angelegten Werks, das eine Ergänzung der Politica werden sollte.241 Das erste der Kapitel handelt von der Religion, das zweite, von der Regierung. Das dritte und 237

238

239 240 241

Odile Faliu: Les Travaux de Mars ou l’art militaire au XVIIe sie`cle. Une e´tude a` partir des collections anciennes de la Bibliothe`que municipale de Lyon, sous la direction de The´re`se Misaelle Moyne, Ecole Nationale Supe´rieure des Bibliothe`ques XIXe promotion, 1983, Justus Lipsius präsentiert einen Traktat über die Poliorketik in Form eines Dialoges und studiert nacheinander den Angriff der Plätze, die circonvallation, die Lager der Besatzer (camps des assie´geants), die Kriegsmaschinen und unterschiedliche Waffen. S. 76; sie`ge d’Ale´sia und S. 139–142: »une se´rie de planches tre`s pre´cises sur des machines de guerre, l’une d’entre elles faite pour aller sur l’eau.« Vgl. Nordman: Justus Lipsius als Geschichtsforscher und Geschichtslehrer, S. 41: Handschriften-Abteilung der Universitäts-Bibliothek Leiden: XVIII. MS.J. Lipsii, F. 10. S. 53–57. Papy: An unpublished dialogue by Justus Lipsius, S. 135–149. Ebd., S. 139. Ferdinand van der Haeghen: Bibliographie Lipsienne. Oeuvres de Juste Lipse, Bd. 3, S. 131: »L’auteur voulait y corroborer, par des exemples tire´s de l’histoire, les doctrines formule´es dans cet ouvrage ante´rieur. Lipse a publie´ les deux premiers articles seuls, parce qu’il de´sespe´rait de pouvoir jamais achever le reste. Le premier terme du titre: Monita, fait allusion aux nombreux conseils ou avis qui sont intercale´s dans les Exempla.«

4. Systematik

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vierte sollte der Politikwissenschaft gewidmet sein und die zwei letzten der Kriegswissenschaft. Textgeschichtlich sind zivile Verfassungsvorstellungen an die Lehren zur Militärverfassung gebunden. In der Politica wird im Rahmen der militärischen Klugheit (prudentia militaris) eine Theorie der Kriegführung gezeichnet, die von der Kriegstypologie der Religions- und Bürgerkriege geprägt ist und ein Gegenmittel zu innerem Aufruhr bereitstellt: »Istam [prudentia militaris], QUÆ IN BELLO, REBUSQUE TURBATIS.«242 Lipsius entfaltete seine militärtheoretischen Vorstellungen wesentlich in den Historica Fax (1594–1598), denen J. Jehasse den Rang einer Kulturtheorie zuschreibt. Die Militärtheorie erscheint in theoretischer Hinsicht als Bestandteil der politischen Systematik in Form der prudentia militaris, die die Strategie, die taktische Theorie und die historiographische Methode, speziell die ritualia des profanen Bereichs, umfasst. Um seine Zeit zu verändern, stellte Lipsius die antiken Sitten dar. Dabei bemühte er sich darum, seinen Zeitgenossen dieses Modell einer weltlichen dauerhaften und gelungenen Macht als kulturelle Leistung der Römer unter den konkretesten und technischsten Blickwinkeln darzustellen. Im Zeichen seiner Zeit widmete sich dieser Pazifist, so Jehasse, in erster Linie militärischen Problemfeldern.243 In der Politica interessiert wesentlich Buch V über die prudentia militaris, die in ihrer systematischen Bedeutung als eine zentrale Stütze der prudentia civilis fungiert. Hier formuliert Lipsius vornehmlich einen theoretischen Leitfaden für den äußeren Krieg (en l’estra(n)gere) – und zwar in einer Phase der europäischen Geschichte, in der in der französischen Monarchie der Religions- und Bürgerkrieg sich dem Ende zuneigte und die Generalstaaten zu Beginn der neunziger Jahre beginnen, sich außenpolitisch zu behaupten und innenpolitisch zu konsolidieren. Selbst die militärtheoretischen Schriften im engeren Sinne (Fax historica) können nicht isoliert von dem gesamtpolitischen Hintergrund der spezifischen Situation der Religions- und Bürgerkriege gelesen werden: »Atqui ea ipsi Opera, qua`m extra castra vtilita etiam sunt? Ad oppugnandu e` tuto, contra nostra haec Tormenta vnicum remedium & certum.«244 Dem Festungs- und Belagerungskrieg sind die Analecta gewidmet. Es folgt eine Abhandlung über Wurfgeschosse: Poliorceticon, sive de ma242 243

244

Politica, IV, 2, 1704 (1998), S. 229; 1599 (2004), S. 387. Jehasse: Renaissance de la critique, S. 355: »Pour transformer son temps, Lipse entreprit d’illustrer en profondeur ›les moeurs antiques‹, en pre´sentant a` ses contemporains ce mode`le de puissance temporelle durable et re´ussie que fut la grandeur romaine, sous ses aspects les plus concrets et les plus techniques. Signe des temps ce pacifique consacre ses plus gros efforts aux proble`mes militaires!« Justus Lipsius: De militia Romana, V, Dial. 20, In: Opera omnia, Antwerpen, Moretus, 1605, Bd. 6, S. 363.

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chinis, tormentis, telis. Libri quinque (1596), die Lipsius zwischen 1594 und 1595 verfasste. Dieses dem Erzbischof von Lüttich Ernst von Bayern gewidmete Werk ist ein Dialog mit Furius, Carondelet, Oranus, Billehe´ und D. Pampsonius. Poliorceticon sive de machinis tormentis. Telis. Libri quinque (Antwerpen 1596) gibt ausführliche Information über die antike Kriegführung und insbesondere über die Belagerungen. Im Poliorketikon stellt Lipsius Feuertöpfe als Schleuderwaffen gegen Befestigungen, Ersteigungstechniken von Stadtmauern mittels Leitern und ihre Abwehr, diverse mechanische Schleudermaschinen, Rammböcke, Krükken, hölzerne Belagerungstürme, Schutzdachkonstruktionen etc. vor. Solche Bücher über das antike Kriegswesen wurden in der Renaissance studiert. Über das mittelalterliche Antwerk, das in wichtigen Teilen auf den Vorstellungen antiker Kriegsingenieure beruhte, erschienen noch Bücher, als die Feuerwaffe längst ihren Einzug in die Armeen gehalten hatten.245 In Lipsius’ antiquarischen Traktaten tritt der instrumentelle Charakter technischer Einrichtungen hinter die Rolle zurück, die der Verfasser ihnen bei der Festigung einer moralischen und politischen Ordnung zuweist: Das Technische verwandelt sich so in einen Stabilitätsfaktor.246 Und die theoretische Matrix für dieses technische Stabili245

246

Ulrich Schütte (Hg.): Architekt und Ingenieur. Baumeister in Krieg und Frieden. Ausstellung Kat., Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek (Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek, 42), Braunschweig 1984, S. 395. Vgl. Disselkamp: Technik, römische Größe und antiquarische Gelehrsamkeit, S. 268; vgl. ebd., 261: »[...] ein Bedarf an Autoritäten, am Traditionalen und an Wertesystemen von allgemeiner Geltung bemerkbar. Für die technischen Leistungen, aber auch für die Politik melden sich die Fragen, wie es gelingen möchte, die neu erworbene Dynamik zu nutzen, ohne der Beliebigkeit und Unglaubwürdigkeit oder überhaupt einem allgemeinen Stabilitätsverlust Raum zu geben, und auf welche Weise sich der Verdacht des mißbräuchlichen Einsatzes zum eigenen Vorteil abwenden lasse. [...] In den Poliorceticωn libri quinque (zuerst 1596) will Lipsius dem Leser die ältere Belagerungskunst nahebringen. Als Thema wählt er, wie die Widmungszuschrift an den Erbzischof von Köln wissen läßt, ›Mechanica [...] & Poliorcetica‹ – ›das heißt, die Erfindungen der Alten, die der Belagerung oder der Verteidigung dienen.‹ In durchaus systematischer Absicht erläutert der Verfasser Konstruktion, Funktionsweise und Wirksamkeit nicht zuletzt römischer Belagerungstechnik: Der Traktat behandelt nacheinander ›Machinas, tormenta, tela‹ – Belagerungsmaschinen, Geschütze und Geschosse.«; ebd., S. 266: »Auch die Überlegenheit der römischen Militärtechnik wirkt sich nach Lipsius erst im Verbund mit einer staatsorientierten Stabilitätsgesinnung aus. Das Negativbild liefert erneut das gegenwärtige Militärwesen: Neuere technische Errungenschaften können von sich aus keine militärische Überlegenheit herstellen. Der Verfasser bezweifelt, daß man mit Hilfe von Geschossen eine Schlachtreihe ins Wanken bringen könne. Die modernen Artilleristen, soweit sie nicht im Zusammenspiel mit den in Manipeln geordneten Infanteristen auftreten, gelten geradezu als Inbegriff des Wankelmuts und als Gegenbild der geforderten ›constantia‹, als ›unsere Leichtsinnigen da (denn so nenne ich die Kanoniere)‹. Das richtige Verhalten müsse durch Gewohnheit und lange Übung trainiert werden, wenn kein Durcheinander entstehen solle.«; ebd., S. 274: »Im Modell ›Rom‹ sollen Ordnungs- und Modernisierungspotential der

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tätsmoment findet sich nicht in der polybianischen anaky´klosis, sondern im Paradigma der res militaris. Lipsius greift die vegetische Verbindung von Disziplin und Technik auf, die die vegetische Verbindung von militärischer Disziplin und Technizität des Kriegs war, und stellt sie in den Dienst der Stabilität des monarchischen Staates. Technik der res militaris und politische Stabilität (admiranda).247 Lipsius, ein Zeitgenosse von Errard und Flamand, der holländischen und italienischen Festungsbaukunst, bleibt hier in seiner technischen Perzeption und Theorie hinter dem technischen Stand der Techniken des Festungs- und Belagerungskrieges zurück. Dieses vorletzte Buch der Fax historica war Lipsius’ Beitrag zu dem Praxisfeld des Festungs- und Belagerungskrieges. Für die Rezeptionsgeschichte der theoretischen Rezeption der oranischen Heeresreformen sollte es aber keine Rolle spielen. Für die Entwicklung der französischen Methoden und Konzepte des Festungs- und Belagerungskrieges war es ohne Bedeutung und auch im wissenschaftstheoretischen Diskurs der folgenden Jahrzehnte erfuhr es keine nennenswerte Rezeption. In Fragen der Militärtechnik nahm Lipsius eine ganz und gar konservative Position ein. Der Artillerie räumte er, im Gegensatz zu den Wurfgeschossen, keine Wirkung ein. Einzig der Muskete spricht Lipsius eine effiziente Wirkung in der Kriegspraxis zu (S. 549). Seine wissenschaftliche Grundlegung bezieht sich auf die Quellen Seneca (Nat. Quest. 2. ch. 99), Aristoteles und Lukrez (in Liv. 6). Die Schilderung des antiken Belagerkungskriegs deckt sich mit seinem politischen Antiquarianismus, der in der Referenz auf den römischen Prinzipat auf die Konservierung der Fürstenherrschaft zielte.

4. De militia Romana: Systematik der Kriegführung nach Polybios, Hist., VI, 19–42 A) Topologische Ordnung: dilectus – ordo – arma – acies – disciplina Der Polybios-Kommentar De militia Romana (DMR) (1595/96) knüpft an das technische Lehrbuch der Arte della guerra von Machiavelli und den gelehrt-philologischen Kommentar an. Einer der Hauptgründe für die Beliebtheit des Polybios-Kommentars von Lipsius war, dass Lipsius, dem Rat Polybios’ folgend, die unterschiedlichen Themen in eine klare Struktur band, so dass der Kommen-

247

Technik nutzbar bleiben, alle Destabilisierungsmomente hingegen beseitigt sein. Die Geschichte scheint in Rom stillgestellt zu sein, obwohl die Aneignung technischer Überlegenheit ohne geschichtliche Bewegungsmomente nicht denkbar ist.« Vgl. Disselkamp: Technik, römische Größe und antiquarische Gelehrsamkeit, S. 260–77.

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tar als Handbuch für die Kriegführung herangezogen werden konnte.248 Der Text ist keine Polybios-Übersetzung, sondern in Komposition und Interpretation ein frei gehandhabter Polybios-Kommentar, in welchen Anmerkungen über die zeitgenössische Kriegspraxis eingestreut sind. Es ist zweitens anzunehmen – gerade im Hinblick auf die kritische Offenheit des philologischen Diskurses – dass diese Sichtweise der Militärtheorie einem bestimmten strategisch-politischen Kontext verhaftet war. Die Militärtheorie des Justus Lipsius kann zudem aus der geschichtsund politiktheoretischen Systematisierungsleistung heraus verstanden werden. Letztere ist geprägt von der Wahrnehmung der gegenwärtigen Gewaltmanifestationen der Gegenwart und impliziert einen kritischpragmatischen Apparat. Dass die Polybios-Rezeption als militärtheoretisches Appendix des politischen Neustoizismus auftritt, ist nicht selbstverständlich. Blair Worden hat aufgezeigt, dass auch die aristotelische Politikauffassung sich als kompatibel mit der militärtheoretischen Polybios-Rezeption erwies.249 Als magister ad militam hatte Polybios die Verfassungs- und Militärgeschichte als aufeinander bezogen betrachtet. Für ihre historische Erfassung forderte er die kognitive Kompetenz der militärischen und politischen Klugheit ein. So wundert es nicht, dass sich Lipsius – der sich dem eigenen Verständnis nach als Militärberater sah – an die theoretische Position Polybios’ anlehnte. Folglich stellte er in der Politica Polybios als einen in jeder zivilen und militärischen Angelegenheit erfahrenen Schriftsteller dar.250 Die jüngere Forschung hatte Machiavelli vorgehalten, er habe in seiner Renaissance der römischen Kriegskunst, die wesentlich dem Muster Vegetius folgt, die modernen Methoden der Kriegführung vernachlässigt. Eine ähnliche Tendenz findet sich im Werk Lipsius’. Die theoretische Rolle Lipsius’ in den militärisch-taktischen Umformungsprozessen, in der ›militärischen Revolution‹ angesichts seines politisch-militärischen Antiquarianismus ist zu relativieren. Außerdem muss DMR im Zusammenhang der Lipsianischen Geschichtstheorie eingeordnet werden. DMR gehört zu den Fax Historia, 248

249

250

Vgl. Gilbert Tournoy: ›Ad ultimas inscitiae lineas imus‹. Justus Lipsius and Isaac Casaubon in the Changing World of Classical Scholarship, Bulletin de l’Instiut Historique Belge de Rome, 68 (1998), S. 199. Blair Worden: English Republicanism. In: James Henderson Burns, Mark Goldie (Hg.), The Cambridge History of Political Thought. 1450–1700, Cambridge et al. 1991, S. 445: »The fountainhead of the classical political inheritance was Aristotle. His was the vocabulary with which seventeenth-century men studied the forms of government and conceived of politics as the pursuit of the good life. His account of constitutions was supplemented by Book VI of Polybius’ Histories – although this was an exclusive taste.« Lipsius: Les Six livres des politiques, V, 7, S. 300.

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die von einer universalgeschichtlichen Position ausgehen. Die bevorzugte Form der Geschichtsvermittlung war für Lipsius das Kompendium. Denn darin verbindet sich das Ziel der Kürze in der Darstellung mit dem Ideal der Verständlichkeit. Der Polybios-Kommentar lässt sich unter dieser Prämisse als das militärtheoretische Kompendium Lipsius’ bezeichnen, spiegelt er doch den Anspruch wieder ein chronologisches Schema vorzulegen und zugleich die strukturelle, topologische, problemorientierte Methode auf das Studium der alten Geschichte anzuwenden. Die Militärgeschichte ist damit dem Bereich der ritualia zugeordnet.251 Die Militärtheorie des Justus Lipsius besticht dadurch, dass Lipsius die militärtheoretischen Inhalte des VI. Buches der Historien des Polybios gemäß einer doxographisch-stoischen Methode einer Kohäsion der Gegenstände in ein eigenes System fasst. Innerhalb dieses Systems zieht er Parallelen vom in sich topologisch angelegten VI. Buch (19–42) zum modernen Militär und wägt – Symptom pragmatisch-prudentieller Historie – dessen Kompatibilität mit der zeitgenössischen sozialen und politischen Verfassung und dem Militärischen ab. Teil V des DMR (1595) kommentiert Polybios’ Historia VI, 19–42.252 Polybios entwickelt in diesem Abschnitt das Militärsystem der Römer. 19–26 beschreibt die Organisation der Armee, 27–42 die römische Lagerordnung. VI, 19 um251

252

Paul Nelles: Lipsius, Scaliger and the Historians, Bulletin de l’Institut Belge de Rome, 68 (1998), S. 235ff.: »But in addition to the use of a chronological schema, he also described a more structural, topical method for the study of ancient history, recalling the traditional notion of antiquitates. He suggested maintaining four notebooks – of memorabilia, ritualia, civilia and moralia. From the point of view of antiquarian studies the category of ritualia is by far the most important; it is divided into sacra and profana, with the latter including law, matters of military and civil administration, games, spectacles and triumphs and a host of topics in Roman private life such as marriage and funeral ceremonies, baths, and dress. The method outlined in the letter to Jacqueville combines the goal of a universal history of Rome – both diachronic and synchronic – with a determination to apprehend the ancient world in the minutiae of its individuality. As such, it is indicative of the main features of Lipsius’ broader antiquarian endeavour. These features are exhibited in early initiatives such as the historical commentary to Tacitus as well as late, rhetorically polished efforts such as the Admiranda, both constructed as a series of entries under such antiquarian capita.« Vgl. Michel Dubuisson: Polybe et la militia ›Romana‹. In: Colson, Coutau-Be´garie (Hg.), Pense´e strate´gique et humanisme, S. 16: Vor Lipsius gab es mindestens vier Übersetzungen von Polybios, Historien, VI, 19–42: von Janus Lascaris (Paris. Lat. 6124) in den 1490er Jahren; vgl. S. 16f.: von dem Florentiner Bartolomeo Cavalcanti mit den Discorso circa la milizia romana (1539), schließlich in Frankreich die Instructions sur le faict de la guerre extraites des livres de Polybe, Frontin, Ve´ge`ce, Machiavel et plusieurs autres bons autheurs (1549), die unter dem Namen Guillaume du Bellay veröffentlicht wurden, aber wahrscheinlich von Raimond de Fourquevaux stammen. Schließlich Francesco Patrizi, La militia Romana di Polibio, di Tito Livio e di Dionigi d’Alicarnasso (Ferrara 1583).

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fasst die Jahre des Dienstes, die Rekrutierung, den ordo, die Legionsgröße, die Rekrutierung der Kavallerie, den Eid (sacramentum), die Einziehung, den Eid der Bundesgenossen (socii) und die Gruppierung der Rekruten (6–10).253 In VI, 19, 7 wird beschrieben wie die Veliten die Schlacht in Verbindung mit der Reiterei der Bürger eröffneten; 7–8: Hastaten, Principes, Triarier, die Polybios erstmals nennt, die jedoch älter sind; 9–10: Die Anzahl in der Legion; 22: Die Bewaffnung bzw. Ausrüstung der Veliten; 23: Die Ausrüstung der Hastaten, Principes und Triarier, die aus dem scutum, gladius und der pila und weiterer besteht.254 Die Triarier tragen hastae anstelle von pila; 24: Die Organisation der Rekruten und die Ernennung der Offiziere.255 Ernennung und Bewaffnung der Kavallerie (25), Mobilisierung (26, 1–9). Der römischen Lagerordnung sind die Kapitel 27–42 gewidmet. 33: Der Disziplin im Lager und der Wachen.256 Lipsius fasst die römische militia des Polybios topologisch unter den Punkten Rekrutierung (dilectus), Zusammensetzung der Armee (ordo), die Waffen respektive Bewaffnung (arma), Schlachtordnung (acies) und Disziplin (disciplina), deren Sitz das Lager ist. Entgegen der gängigen verfassungs- und politiktheoretischen Lesart muss insbesondere auch aus der Perspektive der Traditionsforschung die strategisch-taktische Lesart des Lipsianischen politiktheoretischen Werks berücksichtigt werden und, wie bereits Machiavellis Kriegskunst, im Rahmen der Polybios-Tradition Erörterung finden. Im Hinblick auf De militia Romana wird die Inversion der machiavellischen politischen Theorie der Kriegführung besonders deutlich. Hatte Machiavelli einen plagiatorischen Umgang mit den ERM Vegetius’ gezeichnet und ihn durch die polybianische Theorie der Politisierung des Krieges und des republikanischen Ausbildungssystems untergraben, so ist für die militärwissenschaftliche ›Grammatik‹ des Lipsius festzuhalten, dass sie die römische militia zwar mit Hilfe der polybianischen Topoi dekliniert, jedoch hinsichtlich des Ausbildungssystems der vegetischen disciplina verhaftet bleibt (s. infra). A. Grafton hebt hervor, dass DMR nicht nur verlorene Gesichtspunkte des antiken Lebens wiedererweckt, sondern auch das Gesicht der Schlacht neu geformt hat.257 Die in DMR gezeichnete taktische Theorie 253

254 255 256 257

Frank H. Walbank: A historical Commentary on Polybius, Bd. 1, Oxford 1957, S. 726. Ebd. Ebd. Ebd. Anthony Grafton: Portrait of Justus Lipsius, The American Scholar, 56 (1987), S. 387: »This great book [DMR] not only brought lost aspects of antiquity back to life but reshaped the face of battle.«

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wird damit zum Paradigma einer gewandelten taktischen Praxis, beeinflusste sie doch nicht nur die Nassau-Oranier, sondern auch die italienischen Militärs. Weitaus bedeutsamer für den militärwissenschaftlichen Kulturtransfer ist, dass Lipsius’ Polybios-Kommentar das militärwissenschaftlichdidaktische Spannungsfeld zwischen den Alternativen Vegetius und Polybios absteckt und sich hinsichtlich der auctoritas zu letzterem bekennt: »Polybii ipsa uerba secundum has partes aptabo, ubi ea quidem erunt: qua deficient, uelut laciniam huic uesti a` me aut ab aliis adtexam.«258 Polybios stellt für Lipsius den einzigen überlieferten Autor dar, der systematisch von der militia romana, der römischen Militärverfassung in ihrer vollendeten Form handelt und damit Vegetius überragt, denn dieser hatte die Institutionen oder Sitten älterer Zeitalter und seiner Zeit vermischt und verwechselt.259 Hinsichtlich der Systematik löst sich Lipsius jedoch weitgehend von Polybios und etabliert eine sachliche Systematik (ordo), wie sie in den Enzyklopädien der Barockzeit, für die das Element der philologischen Kritik in der Anordnung des Gegenstandes selbst begründet liegt, auftreten wird und wo Topik und ordo als Methode der Kritik schlechthin gelten.260 Lipsius, der einige Kapitel Polybios zitiert und diese in eine von ihm geschaffene Systematik einbindet (I: Dilectus, II: Arma, III: Ordo: ordre entre les soldats, ordre entre les chefs, IV: Schlachtordnung (quatre choses touchant la bataille range´e), V: Lager), gibt in dieser Hinsicht das antike Muster auf: »J’en suggereray vn autre que ceste nostre definition donnera. Car il nous semble a propos de commencer par elle [Milice oder deren Definition].«261 J. de Landtsheer hat die von Lipsius verwandten Polybios-Passagen herausgearbeitet. Bei genauer Betrachtung kann man beweisen, dass Lipsius nahezu den ganzen Text von Polybios Buch VI, 19–42 kommen258

259 260

261

Justi Lipsi de militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium. In: Opera Omnia, postremum ad ipso aucta et recensita. Nunc primum copioso rerum indice illustrata, Tomus Tertius, Wesel 1675, Bd. 3, Teil I, Reprint, Hildesheim et al. 2001, S. 15f. KB, 128 A–5, fol. 4. La Milice Romaine de Iuste Lipse comprise en cinq livres commentarie sur Polybe, de la premiere partie du Flambeau historique, KB, 128 A–5, fol. 3v: »Car mesme Vegetius n’a rien de pur; et il mesle & confond les Instituts & coustumes du vieux temps et du sien. Nous nous attacherons donc a Polybe, et comme ceux qui entreprenent vn chemin incognu, prenent vne vise´e & vn certain but auquel ilz rendent & s’y tie(n)nent.«; DMR, 1675 (2001), S. 15: »Nam Vegetius quidem nihil habet meri, ac sui et superioris aevi instituta aut mores miscet ac confundit.« Vgl. Luc Deitz: Gerardus Joannes Vossius’ De philologia liber und sein Begriff der ›Philologie‹. In: Ralph Häfner (Hg.), Philologie und Erkenntnis. Beiträge zum Begriff und Problem frühneuzeitlicher ›Philologie‹ (Frühe Neuzeit, 61), Tübingen 2001, S. 23.

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tiert. Nur einige Sätze werden ausgelassen: VI, 20, 8 (der Übergang zwischen der Rekrutierung der Infanterie und der Kavallerie), VI, 24, 9 (die Meinung, dass die Befehlshaber Einheimische sein sollen, von ruhigem und beständigem Charakter, keine tollkühnen Draufgänger), IV, 32, 1–2 (mit den exakten Zahlen kann jeder den Umfang eines Lagers berechnen) und VI, 37, 2–6, die ausführlichste Passage über Prügel als Strafe für die Vernachlässigung des Wachdienstes. Ein Fragment, Polybios VI, 24, 3–5 (über die Manipeln) wird zweimal verwendet. Lipsius hält sich in den Büchern I und III streng an die polybianische Systematik des VI. Buches: Buch I entspricht Polybios VI, 19, 1–21, 5 und Buch II Buch VI, 22, 1–25, 11 der Historien. In den Büchern II (Polybios VI, 21, 6–10), 24, 1–26, 9) und V (Polybios VI, 26, 10–42) hingegen gleicht Lipsius Polybios’ Systematik an die eigene Systematik an, wie er es angekündigt hatte. Buch IV von DMR, das von der acies handelt, beruht ausschließlich auf anderen Quellen, weil die Kapitel des Polybios, die sich mit diesem Thema befassen, verloren gegangen waren.262 Die Methoden der Kriegführung, wie sie im VI. Buch des Polybios überliefert sind, weisen demnach ein Defizit im Hinblick auf die acies-Theorie auf. In einigen Fällen merkt Lipsius Schwierigkeiten mit dem griechischen Text an und schlägt in seinem Kommentar Emendationen vor. Häufiger noch weist er auf die Fehler in Lascaris Übersetzung hin. So zum Beispiel DMR III, 1, wo er seinen Begleiter auf die Tatsache aufmerksam macht, dass Lascaris das griechische Wort mit pilanos (mit einem Wurfspieß bewaffnet, die dritte Linie der Schwerbewaffneten) übersetzt, anstatt mit velites (Leichtbewaffnete). Zum Beweis führt er Polybios selbst sowie Livius und Ovid an.263 Wenn Lipsius das VI. Buch der Historien heranzieht, dann bezieht er sich auf einen Text der selbst innerhalb der Historien des Polybios herausragt: Das VI. Buch ist das erste von dreien – die anderen sind XII und XXXIV –, die gänzlich dem Spektrum der Themen außerhalb des chronologischen Rahmens der Historien gewidmet sind.264 Mehr noch als die anderen zwei Bücher ist es ein wesentlicher und integraler Teil seines Gesamtplans, der darin bestand zu erklären, »wie und aufgrund welcher Art von Verfassung« Rom zur Weltmacht aufstieg.265 Wenn Lipsius Polybios kommentiert, zitiert er den griechischen Text der Ausgabe von Janus Lascaris zusammen mit seiner eigenen lateinischen Übersetzung.266 Auch erhellt Lipsius (Teile von) Polybios’ Sentenzen oder er262 263 264

265 266

De Landtsheer: Justus Lipsius’s De militia romana, S. 109. Ebd., S. 110. Frank W. Walbank: Polybius (Sather Classical Lectures, 42), Berkeley-Los Angeles-London 1972, S. 130. Ebd. Justus Lipsius hat sich der lateinischen Übersetzung des Janus Lascaris (De Ro-

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gänzt diese mit Zitaten aus anderen Quellen, meist von römischen und griechischen Historikern.267 Hierin mag wohl der wesentliche Unterschied zu Casaubon und Saumaise liegen, die Polybios mit den griechischen Taktikern zusammenbringen. Es liegt eine Strukturierung des Denkens nach einer Logik vor, die der geschichtlichen Wirklichkeit und deren Wahrnehmung nachgeordnet ist. Sowohl die Lipsianische Kultur- als auch Militärtheorie bestechen durch ihre eigenständige Systematisierungsleistung. J. Lagre´e hat im Anschluss an ein Zitat aus der Manuductio (III, 1, S. CLXIII268) die Bedeutung von Ordnung und System im Lipsianischen Neostoizismus, die sich durch eine besondere konzeptuelle Rigorosität und Präzision auszeichnet, hervorgehoben. Ein Kennzeichen des Stoischen ist nicht schlechthin die Ordnung, ein System (ordo), sondern die sequela, die Kohäsion der Gegenstände.269 Die Tendenz zur Systematisierung, zu einem an systematischen Kriterien orientierten Kommentar statt zur rhetorischen Ordnung hat eine moralische Qualität mit gleichsam religiösen Zügen und eine logische und pädagogische Funktion.270 Indem Lipsius die moderne Welt in ganz konkreter Weise auf das antike Rom gründet, erneuert er die Begriffe von Zeit, Bild, Imitation, des Welttheaters (theatrum mundi) und schließlich den der Tradition; Rom soll systematisch die Leere in einer Welt füllen, aus der Gott sich zurückgezogen hat. Aber

267 268

269

270

manorum militia et castrorum metatione) in De militia romana bedient, in der er einige Ausdrücke von Lascaris korrigiert; vgl. Opuscula, Antv. 1630, S. 275, 276, 278, 302. Ebd. Lagre´e: Introduction, S. 35: »C’est le propre des stoı¨ciens de tout lier et attacher comme les maillons d’une chaıˆne, pour qu’il n’y ait pas seulement un ordre mais une conse´cution (sequela) et une cohe´sion des matie`res. Voici sur ce point le jugement de Cice´ron: ›Pour te dire franchement mon sentiment, admirable est chez eux l’enchaıˆnement (contextus) des matie`res; les conclusions re´pondent aux pre´misses, les propositions me´dianes aux extreˆmes, toutes a` toutes; ils voient les conse´quences et les contradictions. Et, comme en ge´ome´trie, si tu accordes les pre´misses, il te faut tout accorder‹. Pour cette raison Caton les appelle de´ductions conse´quentes (consectaria): ›les de´ductions bre`ves et inge´nieuses des stoı¨ciens me charment‹. C’est assure´ment parce qu’elles se de´duisent mutuellement les unes des autres et qu’elles se tiennent solidement enchaıˆne´es: cela meˆme est un argument de poids en faveur de la ve´rite´, car les propositions fausses ne s’accordent pas.« Ebd.: »Il loue aussi le Portique de la finesse et de l’exactitude de ses distinctions conceptuelles particulie`rement morale. Cet e´loge n’est d’ailleurs pas de pure forme: il correspond a` la me´thode meˆme pratique´e par Lipse dans la plupart de ses traite´s, et notamment dans les Politiques; cette me´thode, qui peut paraıˆtre scolaire, consiste, pour chaque question, a` proposer d’abord une de´finition conceptuelle, a` distinguer le concept des notions voisines avec lesquelles on risquerait de le confondre puis, e´ventuellement, a` le de´composer en sous-espe`ces; cela fait, Lipse en propose des illustrations majoritairement emprunte´es a` la pense´e antique pour finir a` l’occasion par quelques exemples modernes.« Ebd., S. 36: »le gouˆt de l’ordre, syste´matique plus encore que rhe´torique, a une valeur morale et quasi religieuse, tout autant que logique et pe´dagogique.«

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

diese im Prinzip religiöse Wahl des römischen Mythos als Ersatz und als Mittel gegen das Chaos, in das die Welt gefallen ist, führt zu einer rein anthropozentrischen und säkularen Konzeption.271 Der Hang zum System wird deutlich in der Definition des Militärs (militia, milice), die sich von Polybios absetzt und eine eigenwillige Interpretation Lipsius’ darstellt: Das Militär (militia, milice) sei eine Menge, die in der Waffenhandhabung ausgebildet unter einem bestimmten Gesetz (sub certa lege) angreift und verteidigt. In diese Definition habe er fünf Teile, nämlich die Aushebung (dilectus), die Ordonnanz (ordo), die Waffen (arma), die Schlachtordnung (acies oder batailles) und die Disziplin (disciplina) eingeschlossen: laquelle est une multitude propre & duite aux armes pour attaquer ou deffendre, soubs certaine loy. J’ay enclos en ceste definition cinq parties. Le Dilectus, l’ordre, les armes, l’Acies (ou la Batailles)…, La Discipline.272

Die Systematisierungskriterien leitet er systematisch und begrifflich ab. Er gleicht die Begriffe Polybios’ an das System an und ergänzt sie bei Bedarf durch seine Interpretation oder mithilfe anderer.273 Lipsius bekennt sich zu einer ausschließlich seinem Urteil folgenden Selektion. Der Disziplinbegriff Lipsius’ hat daher nicht nur im Rahmen politischer Klugheit eine sozialstabilisierende Funktion, sondern im Zusammenhang einer militärwissenschaftlichen Didaktik auch einen eindeutig militärtheoretischen Gehalt. Er wird zum militärwissenschaftlich-didaktischen Theorem, das aus der Lipsianischen Polybios-Rezeption hervorgeht. Tatsächlich ist der lateinische Begriff der disciplina militaris selbst im Altertum nicht eindeutig gewesen: die disciplina militaris konnte über mehrere Bedeutungsebenen verfügen. Wesentlich erscheint jedoch, dass die disciplina ein militärwissenschaftliches Theorem im Sinne eines Regelsystems darstellt, auf das sich die Kriegskunst stützt.274 271

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274

Vgl. Jehasse: Renaissance de la critique, V, S. 565: »Etablissant ainsi concre`tement le monde moderne sur les fondements de la Rome antique Lipse renouvelle les conceptions du temps, de l’image, de l’imitation et du the´atre du monde, de l’he´ritage enfin, dont nous avons note´ les menaces d’e´clatement a` la pre´ce´dente ge´ne´ration humaniste. C’est de´sormais Rome, omnipre´sente, qui syste´matiquement est appele´e a` remplir le vide d’un monde d’ou` Dieu semble retire´. Mais cette e´lection, au principe religieuse, du mythe romain, comme remplacement, et comme reme`de au chaos ou` le monde est retombe´, de´bouche sur une conception purement anthropocentrique et laı¨cise´e.« Milice romaine, KB, 128 A–5, fol. 3v. Ebd.: »Lesquelles je deduiray par ordre & mot a mot. Jadapteray les propres paroles de Polybe selon ces parties au moins tant qu’elles y seront. Et la` ou elles defaudront je tittray comme vne grange a cest habit ou de moy ou des autres.« Vgl. Otto Mauch: Der lateinische Begriff Disciplina. Eine Wortuntersuchung, Diss. Univ. Basel, Freiburg in der Schweiz 1941, S. 79: Die disciplina bezeichnet das System, auf die sich die Kriegskunst stützt; S. 78: »In allgemeinerem Sinne umfaßt disciplina die gesamte militärische Ausbildung, die einem Heere zuteil wird«. Vgl.

4. Systematik

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Im Polybios-Kommentar ist die militia nach sachlichen Gesichtspunkten in fünf Teile untergliedert, die Auswahl (dilectus), die Ordonnanz (ordo), die Waffen (arma), die Schlachtordnung (acies) und als letzter und wichtigster Teil die Disziplin (disciplina), deren Sitz das Lager ist. Die disciplina (V) untergliedert sich ihrerseits in drei Teile, nämlich die Pflichten (munia), das Exerzieren (exercitia) und die Gesetze (leges). Die Disziplin (disciplina) bedeutet eine Ordonnanz und ein bestimmtes Gesetz der Kriegführung; damit erfüllt der Disziplinbegriff mit der Festlegung der Regeln der Kriegführung eine taktische und strategische Funktion und eine Ordonnanz oder ein Regelsystem sich in der Armee zu verhalten; in der Festlegung der Verhaltensregeln impliziert der Disziplinbegriff ein historisch-anthropologisches Moment. Die Disziplin (discipline) ist nichts als eine Ordonnanz (ordonnance) und ein bestimmtes Gesetz (loi) der Kriegführung und betrifft die Verhaltensregeln wähauch Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 109: Bereits in der Militärtheorie des Mittelalters war der Exerzierbegriff untrennbar mit der römischen Armee verbunden, die ihren Namen (exercitum) von der Pratik der exercitatio herleitete; vgl. auch Harro Höpfl: Jesuit Political Thought. The Society of Jesus and the State. C. 1540–1630 (Ideas in Context, 70), Cambridge 2004, S. 106: Im Zusammenhang der wahren oder falschen Staatsraison begann Ribaneira Machiavellis Lehre (estudio, disciplina) über la politicia y govierno de la Republica mit der »Staatsraison, wie sie gemeinhin genannt wird« gleichzusetzen. Vgl. auch zum Begriff ›Disziplin‹ den Artikel von Gangolf Schrimpf und Gabriel Jüssen: ›Disciplina, doctrina‹, HWPh, Bd. 2, Darmstadt 1972, Sp. 256–261; Sp. 256: »Wie der korrespondierende Terminus ›doctrina‹ gehört ›disciplina‹ in das Wortfeld von Unterweisung, Schule (vgl. doctor-discipulus). Seine antike etymologische Herleitung aus ›discere‹ ist unzutreffend, zutreffed die Herleitung von ›doctrina‹ aus ›docere‹. Das in der Antike entfaltete Bedeutungsspektrum der beiden im Sprachbereich der gesamten Latinität gelehrten Termini bleibt in seinem Grundbestand gleich und erfährt in Spätantike und Mittelalter zusätzliche Erweiterungen; der Grundbestand ist reduzierbar auf die drei Hauptbedeutungen Vorgang, Inhalt, Ergebnis einer Ausbildung, die primär Wissen vermittelt. Im Rahmen der hier in erster Linie zu betrachtenden zweiten Hauptbedeutung dienen beide Termini seit Cicero, synonym mit ›ars‹, zur Bezeichnung des von den Griechen übernommenen Bildungskanons im ganzen, der εÁγκυ κλιος παιδει α; ›artes liberales‹ wird häufiger verwandt als ›disciplinae liberales‹; ›liberales doctrinae‹ begegnet selten. ›disciplina‹ und ›doctrina‹ bezeichnen ferner die einzelnen Wissensgebiete dieses Kanons; synonym stehen sie für μα ϑημα Schulfach; ebenso synonym stehen ›ars‹ und ›disciplina‹ für τε χνη (Kunst) wie für εÁπιστη μη (Wissen, Wissenschaft). – Die Bedeutung von ›Disziplin‹ (Zucht) und ›Doktrin‹ (Lehre) im heutigen Sprachgebrauch wird durch die lateinische Tradition bestimmt und geprägt«; Sp. 256f.: »Die begriffliche Entwicklung, aufgrund deren ›Di.‹ zur Ausbildung des mittelalterlichen Wissenschaftsbegriffs beiträgt, vollzieht sich weitgehend innerhalb des Kanons der freien Künste (artes liberales). Zwar bleibt ›Disciplina‹ stets synonym mit ›ars‹, grenzt sich daneben allmählich aber auch etwas dagegen ab. Das wird möglich, weil ›Disciplina‹ auch außerhalb des Kanons ε πιστη μη, das Wissen und Wissenschaft bedeuten kann, wiedergibt; dadurch, daß für Wissen eher ›scientia‹ verwendet wird, gewinnt ›Disciplina‹ allmählich auch die Bedeutung von Wissenschaft, stets jedoch mit pädagogisch-schulischem Beigeschmack, der es in der Nähe der freien Künste hält.«

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rend der Kriegführung (DMR, V, 1). Dennoch impliziert die Disziplin die Zeit (temps), die Art (manie`re), die Funktionen (fonctions) und die Aktionen (actions) des Krieges, die laut Lipsius von Polybios größtenteils, jedoch nicht hinlänglich differenziert und vollständig aufgegriffen worden seien.275 M. Colish hat in der Analyse von Ethik und öffentlichem Leben eine Ähnlichkeit des strukturellen Rahmens von Machiavellis Principe und Ciceros De officiis konstatiert; Cicero und Machiavelli war an einer Anwendung moralischer Regeln auf Zeitpunkte, Orte und Umstände gelegen.276 In der Lipsianischen Definition der Disziplin klingt ein derartiger Analyserahmen des ›Bürgerrepublikanismus‹ durchaus noch nach, folgt sie doch dem Kriterium von Zeit und Umständen. Wenn Lipsius für sein militärisch-technisches Kompendium und Breviarium des militärischen Humanismus anders als Machiavelli für Polybios Historien VI optiert, bricht er nicht mit der Vegetius-Tradition. In einigen Bereichen, wie beispielsweise dem kontinuierlichen Exerzieren, lehnt sich auch Saumaise an Vegetius an und im Rahmen seiner Theorie der acies haben die septem depugnationes einen festen Platz. Lipsius war offensichtlich mit dieser militärwissenschaftlichen Systematik, die sein Polybios-Kommentar impliziert, eine militärtheoretische Grundlegung gelungen,277 die zwischen der Disziplin, der Ordonnanz (ordres), dem Exerzieren (exercices), den Bestrafungen, den Gesetzen und der Polizey (police) und den Beispielen (exemples) differenziert. 275

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La Milice romaine, KB, 128 A–5, fol. 3f.: »elle n’est autre chose qu’vne Ordo(n)nance et vne certaine loy, de faire la guerre et de se co(n)duire en la milice. Pourtant elle contient le temps, la maniere, les fonctions, et les actions de la Guerre. Lesquelles choses Polybe traicte pour la pluspart, co(m)bien que ce ne soit pas assez distinctem. ny pleinement.« Polybios unterschlägt jedoch etwas, auf das Lipsius an anderer Stelle einzugehen verspricht. Vgl. Maria L. Colish: Cicero’s De Officiis und Machiavelli’s Prince, SCJ, 9, 4 (1978), S. 83, S. 87: »Cicero stresses at some length that circumstances alter cases.« Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 58: »In De militia romana hat er einen Kommentar zu Polybios gegeben. Dem griechischen Text folgt eine lateinische Übersetzung, die durch gleichartige Stellen aus Livius, Caesar, Cicero, Flavius Josephus u. a. erläutert wird. […] Das Werk wird elfmal neu aufgelegt und besonders von den nassau-oranischen Heeresreformern studiert.« Vgl. hierzu allgemein Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike; – Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe. In der französischen Nationalbibliothek befinden sich folgende Ausgaben: Justi Lipsii de Militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium, e parte prima Historicae facis. – Justi Lipsii de Militia romana liber quintus, qui est de disciplina. – Justi Lipsii Analecta sive Observations reliquae ad militiam et hosce libros, Antverpiae, ex officina plantiniana, apud viduam et J. Moretum, 1595–1596. J.4057; – (Un autre exemplaire avec des notes mss et les signatures de Scaliger, Heinsius, D. Huet, etc.) Re´s. J. 1300; – 1614, Antverpiae, apud viudam et filios J. Moreti. Z.3799 (1); – 1630, Antverpiae, ex officina plantiniana B. Moreti. J.5422.

4. Systematik

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B) Fazit: Das militärwissenschaftliche Theorem der disciplina in DMR und der Politica V, 13 Es gilt nun einen genaueren Blick auf die disciplina-Konzeption in De militia Romana zu werfen und deren vegetische Semantik zu betrachten. Der Lipsianische Disziplinbegriff impliziert eine militärwissenschaftliche Systematik, die in ihrer systematischen Form Tribut an die Polybiosund Vegetius-Rezeption zollt. Die disciplina in ihrer vegetisch-römischen Bedeutung zielt auf die Entfaltung von körperlicher Stärke und der darauf gründenden militärischen Tugend. Die Verbindung von Kraft und Tugend entspricht der Machiavellischen virtu`, d. h. dem römischen Tugendbegriff und dem römischen militärischen Ethos. Tatsächlich ist die Lipsianische disciplina ebenso römisch-vegetisch begründet wie die Machiavellische virtu`. Die Kraft ist Voraussetzung der Tugend und begründet eine Lebensform. Die disciplina ist das militärische analogon zur taciteischen prudentia, welche Macht und Tugend (vis et virtus) verbindet. Die im Zusammenhang der prudentia militaris entwickelte Disziplin stellt ein politisches Stabilitätsmoment dar. Neben der sozialstabilisierenden Funktionsbestimmung der disciplina des Justus Lipsius und ihrer Bindung an die constantia, ist deren militärtheoretisch-systematische Funktion herauszustellen. Die Disziplinbegriffe von Politica und DMR differieren, wenngleich der Disziplinbegriff der Politica als militärwissenschaftlich-systematische Fortführung der militärischen Klugheit erscheint. Der im PolybiosKommentar militärwissenschaftlich-systematisch entwickelte Disziplinbegriff, erfährt in der Politica eine anthropologische Ausdeutung. Justus Lipsius schreibt in der Politica seinen Konzepten einen instrumentellen Charakter zu.278 Eine militärwissenschaftliche Definition der Disziplin mit anthropologischen Implikationen leistet Lipsius in der Politica (1590: V, 13: »De la vraye & seuere discipline...sa division en quatre parties, pour enseignement«). Die Disziplin ist in vier Glieder unterteilt (exercitium, ordo, coerctio, exempla). Der Zweck militärischer Ausbildung ist Kraft (robur) und Tugend (virtus). Genau darauf zielt auch seine lateinische Beschreibung (Decriptio Disciplina) ab. Das Mittel ist die strenge Bildung des Kriegsmannes: Appello autem Disciplinam, SEVERAM CONFORMATIONEM MILITIS AD ROBUR ET VIRTUTEM. / 9. Partes ejus sive munia (uta quae varie sparsa sunt, in doctrinae quemdam gyrum redigam) facio quatuor: Exercitium, Ordinem, Coerctionem, Exempla. /10. Priores duae ad ROBUR spectant maxime; tertia ad VIRTUTEM; quarta ad utrumq. Per EXERCITIUM intelligo, ut electum militem 278

Politica, V, 16, 1599 (2004), S. 618.

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

assidue ad Arma condocefacias & ad Opus. Ipsum nomen ita suadet. nam Exercitus dicitur, quod melior fit exercitando. Varro 4. de L.L.279

In der französischen Übertragung der Politik (1590) wird die Disziplin als eine strenge Abrichtung des Kriegsmanns gemäß seiner Kraft und seiner Tugend bezeichnet: »vn seuere acco(m)modement de l’hom(m)e de guerre, conforme a` sa force & a` sa vertu.«280 Er reduziere und sammele diese Teile oder Ämter (offices), die sich unterschiedlich verteilen, in eine Lehrform (forme de doctrine). Er bilde daraus vier Kategorien: die Übung (exercice), die Ordnung bzw. Ordonnanz (ordre), die in erster Linie die Kraft (force) betreffen, die Bestrafung (chastiment), die die Tugend (vertu) betrifft, und die Beispiele (exemples), die sowohl Kraft und Tugend berühren. Die Übungen untergliedern sich in Waffenübungen (exercice des armes) und Arbeiten (opera, oeuvres). In der Politica erfolgt eine Explikation des Begriffs des ordo, der zunächst darin besteht, die Truppen in Legionen, Kohorten, Zenturien und Dekurien zu unterteilen.281 Die Ordonnanz (ordo, ordre) impliziert in der französischen Fassung eine Einteilung der Truppen in Regimenter (Legionen), Kompanien (Kohorten) und Eskadrone (Zenturien). Sie ermöglicht die taktische Flexibilität der Armee und eine Befehlskette. Der Soldat gehorcht dem capitaine und der capitaine dem maistre de camp. Unter die Ordonnanz rubriziert Lipsius die Einteilung der Distanzen in der Lager-, Marsch- und Schlachtordnung. In der Lagerordnung soll nicht nur nach Eskadronen getrennt werden, sondern auch nach Korporalschaften, sogenannten chambre´es (die sich vor allem bei Polybios und weiteren römischen Schriftstellern finden). Auch das Lager, das im Polybios-Kommentar als der Ort der Disziplin genannt wird, findet im Zusammenhang des Disziplinbegriffs der Politica Erwähnung.282 Der Sitz der Disziplin ist nach Polybios (Hist., VI, 33) das Lager. Polybios hat einen technischen und organisatorisch-institutionellen Begriff des La-

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Politica, V, 13, 1704 (1998), S. 473; 1599 (2004), S. 588f. Lipsius: Les Six livres des politiques, V, 13, S. 332f.: »vn seuere acco(m)modement de l’hom(m)e de guerre, conforme a` sa force & a` sa vertu. Ie reduiray & assembleray ses parties ou offices, qui sont diuerseme(n)t separe´es, comme en vne forme de doctrine. I’en fai quatre, l’Exercice, l’Ordre, le Chastiment, & les Exemples: les deux premieres concerne(n)t principalement la force; la troisie´me, la vertu; & la quatrie´me, l’vne & l’autre.« Politica, V, 13, 1704 (1998), S. 477: »Jam pars altera disciplinae, ORDO: qui multipliciter in Militia servandus. Primum in digerendis copiis per legiones, cohortes, centurias, decurias.« Ebd., S. 479: »Quem in castris etiam mihi serva, ut illa habeant apta dimensione vias suas, portas, fora: & sint velut ad formam minutae urbis.« Lipsius hält sich jedoch bei diesem Theorem der Lagerordnung und dessen Unterteilung an Vegetius.

4. Systematik

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gers: er handelt von den Wachdiensten und der Bestrafung, der Befestigung, der Organisation und Überwachung der Nachtwachen, Bestrafungen und Belohnungen nicht jedoch von der Ausbildung der Infanterie, dem Exerzieren, den Übungen im Lager, Bezahlung und Rationierung, Aufbruch des Lagers und Marschordnung. Er vergleicht die römische und griechische Lagerordnung und widmet sich anschließend der vergleichenden Verfassungslehre (Vergleich des römischen Staates mit anderen) (43–56). Ein entscheidender Unterschied zum Disziplinbegriff Lipsius’ ist, dass Polybios das Gruppenexerzieren nicht zu den Tätigkeiten des Lagers zählt. Für Polybios ist das Lager lediglich ein technisches, logistisches Konzept und kein Ort militärischer Ausbildung. Lipsius hingegen verortet gerade die disciplina im Lager. DMR, V, Dialog. 14 behandelt die Übungen (exercitus). G. Parker gibt diesen Terminus mit dem Wort ›Drill‹ wider.283 Tatsächlich ist dieser exercitus ein vegetischer Begriff militärischer Übungen. Der dritte Teil der Disziplin ist der Zwang (coerctio).284 Der letzte Teil der Disziplin sind die Beispiele (exempla), die sich auf Belohnung und Strafe beziehen.285 Die lateinische Definition der disciplina in DMR (V, Dialog. I) hingegen lautet wie folgt: [1595:] Disciplinam comprehendi in definitionis meæ verbis, svb certa lege. Nec enim aliud ea est, quam Præscriptum & lex quædam militandi, & in militiaˆ se gerendi. Itaque ea continet, tempus, modum, munia, opera, militiæ: & quæ pleraque Polybius exsequitur, etsi nec disposite` satis nec plene`. Sed siquid ille omittit, aut alibi aut hıˆc dicam. Politicis enim nostris Monitis siue Notis quædam reseruamus, ante` etiam a` nobis factum.286

In der französischen Übersetzung liest sich das so: Car aussi elle n’est autre chose qu’vne Ordo(n)nance et vne certaine loy, de faire la guerre et de se co(n)duire en la milice. Pourtant elle contient le temps, la maniere,

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Geoffrey Parker: The Limits to Revolutions in Military Affairs: Maurice of Nassau, the Battle of Nieuwpoort (1600), and the Legacy, The Journal of Military History, 71, 2 (2007), S. 343; George’s Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch (Gotha 1875) übersetzt ›exercitus‹ mit (1) ›in Widerwärtigkeiten geübt, hart geprüft‹ und (2) ›das taktisch geübte Heer, Kriegsheer; bes. das Fußvolk (Ggsz. equitatus)‹. Politica, 1704 (1998), V, 13, S. 479. Ebd., S. 486: »Pars ultima disciplinae, EXEMPLA: quo nomine praemia intellego & poenas. Nam profecto ad robur & virtutem militum excitandam utraq haec valde possunt.« Ivsti Lipsi de militia romana liber quintvs, qui est de disciplina, Antwerpen, ex officina Plantiniana, apud Viduam, & Ioannem Moretum, M.D. XCV, S. 4f; DMR, 1675 (2001), S. 237.

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les fonctions, et les actions de la Guerre. Lesquelles choses Polybe traicte pour la pluspart, co(m)bien qu ce ne soit pas assez … ny pleinement. Mais s’il obmet quelque chose ie le diray ou ailleurs ou icy. Car nous en reservons quelque chose pour nos advertissem.287

Der militärwissenschaftlich-systematische Disziplinbegriff in DMR besteht aus drei Unterpunkten: den Pflichten (munia), dem Exerzieren (exercitia) und den Gesetzen (leges). Die Pflichten (munia) bestehen aus Wachen (excubiae), Dienst (ministeria) und Arbeit (opera). Das Exerzieren sei gegenwärtig gänzlich vernachlässigt: »Exercitum: id quoque neglectum nobis.«288 Das Plädoyer für das tägliche Exerzieren bezieht sich auf Vegetius.

Zusammenschau der Disziplinbegriffe Lipsius’ 1. Der Disziplinbegriff in der Politica (V, 13)

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Milice romaine, KB, 128 A–5, V, 1, fol. 3f. DMR, 1595–1596, V, 20, M–2272, S. 251.

169

4. Systematik

2. Der Disziplinbegriff in DMR a. Der Disziplinbegriff als Unterbegriff des militia-Begriffs in der Systematik nach Polybios (VI, 19–42)

b. Die Disziplin im Lager (DMR, V, 1) Lager

disciplina = Ordonnanz (ordonnance) und Gesetz (loi) der Kriegführung, Verhalten in der militia

Pflichten (munia) - Wachen (excubiae) - Dienst (ministeria) - Arbeit (opera)

Übungen (exercitia)

Gesetze (leges)

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C) Vegetius und Polybios Justus Lipsius vehikuliert mit der prudentia militaris und der militia Romana keine polybianisch-republikanische Theorie der Kriegführung. Vielmehr schließt dessen disciplina-Konzeption an den mit der an Tacitus entwickelten prudentiellen politischen Lehre kompatiblen Vegetius an. Er folgt damit der Prädominanz des Vegetius in der Kriegskunst des Mittelalters und der Renaissance.289 Der spätrömische Militärtheoretiker Vegetius erweist sich mit einer prudentiellen politischen Theorie weitaus kompatibler als der Historiker des klassisch-republikanischen Rom, insofern man die Rezeption nicht auf die pragmatische Methode eines Reformprogramms, das zwischen antiker militia und moderner Militärverfassung im Sinne fürstlicher Herrschaftspraxis zu differenzieren versteht. Im V. Buch der Politica dominieren weitgehend die Vegetiuszitate. Gerade im Hinblick auf die Rekrutierung und die militärische Ausbildung referiert Lipsius nahezu ausschließlich auf Vegetius.290 Neben Polybios rekurriert er auf gleichartige Stellen aus Titus Livius, Caesar, Cicero und Josephus Flavius,291 die er eingehend kommentiert. Lipsius hatte bereits vor der Veröffentlichung von DMR Annotationen zu Buch XXI. des Livius erstellt. In seinem Nachlass in Leiden ist ein von ihm 1575 herausgegebener Kommentar zu Livius zu finden.292 Betrachtet man die Politica als eine Sammlung von loci communes – als die sie Ann Moss zufolge auch weitestgehend rezipiert wurde293 –, so überlagert die Tradierung des Vegetius die polybianische Systematik der Lipsianischen Militärtheorie. Vegetius zeichnete die Kriegführung als ein Problem von Verwaltung und Logistik; er ging auf die materiellen Voraussetzungen der Kriegführung ein, die bei Lipsius unter der Ägide prudentieller politischer Lehre die Form des apparatus (Militärverwaltung) annimmt. Im Unterschied zu Machiavelli führte er, wie auch Boi289

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Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 2: »Fondamental pour le me´die´viste et l’historien de la Renaissance, a` cause de son e´norme influence, il est presque entie`rement de´pourvu d’inte´reˆt pour l’historien de la Rome classique.« Zitat infra. Vgl. V, Kap. 12; eine besonders charakteristische Stelle: S. 467: »Neque enim longitudo aetatis, aut annorum numerus artem bellicam tradit, sed continua exercitationis meditatio. Veget. 2.cap.23.pr.«; ebd.: »Nec temere a` viris magnis abeo: tamen, me judice, non tam staturae rationem habere convenit, quam virium, Veget. I.c.5«; ebd.: »Utiliusq est fortes milites esse, quam grandes. Idem cap.6.« Auch in dem der Beschreibung der Disziplin in der Politica vorbehaltenen Kapitel sind die Vegetius-Zitate Legion; V, 13, S. 474: »Nam in omni proelio, non tam multitudo & virtus indocta, quam ars & Exercitium solent praestare victoriam. Veg. 1.c.1.pr.« Im Waffenexerzieren referiert er auf Vegetius, ebd.: »primum tyronibus, per co`ttidiana exerciua, Armorum est demonstranda doctrina. I. cap. 8.« Nordman: Justus Lipsius als Geschichtsforscher und Geschichtslehrer, S. 38. Vgl. Anne Moss: Vision fragmente´e et unitaire; – The Politica of Justus Lipsius and the Commonplace-Book.

4. Systematik

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tano, die ökonomischen Voraussetzungen und die Kriegsverwaltung (apparatus) ein. Polybios hingegen band Taktik und Strategie an eine auf historischen Gesetzmäßigkeiten gründende anaky´klosis-Lehre zurück in der nicht der Fürst, sondern das Volk über die Militärverfassung bestimmte. Wurde bislang der Systematik einer in die neustoische Philosophie eingebundenen Militärverfassung Lipsius’ große Aufmerksamkeit entgegengebracht – die Politica als Kombination stoischer Tugend- und taciteischer Herrschaftslehre294 – und der sozialstabilisierenden Funktion der disciplina, so war die taktische Theorie und die militärwissenschaftlich-systematische Dimension der Lipsianischen disciplina-Konzeption kaum Gegenstand eingehender Untersuchungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Polybios-Kommentar Lipsius’ nur selten im Verhältnis zu den Paralleli von Francesco Patrizi oder der Arte della guerra dargestellt wurde. Die Militärtheorie des Justus Lipsius lässt sich wesentlich aus dessen Polybios-Rezeption entwickeln. Dennoch ist sowohl hinsichtlich des Exerzierens als Unterpunkt des Disziplinbegriffs als auch desjenigen der Schlachtordnung (acies) Vegetius präsent. Wenn Polybios durch DMR weiteren Kreisen zu Bewusstsein kam, so bedeutet das nicht, dass der Lipsianische Polybios-Kommentar einen entscheidenden inhaltlichen Bruch mit dem antiken Militärtheoretiker Vegetius bezeichnet.

5. Lipsianische Taktik A) stratageme und acies Am deutlichsten ist die militärwissenschaftliche Differenz zwischen Machiavelli und Lipsius an der Theorie der acies festzumachen. Versuchte Machiavelli in einem vom Schweizer Gevierthaufen und den antiken Quellen ausgehenden induktiven Verfahren eine Synthese aus der Legion und der acies triplex und der mit den Schweizern identifizierten Phalanx, so ist die Quincunx-Theorie, die römische Manipularlegion des Lipsius eine philologische Rekonstruktion. Die Quincunx-Stellung war ein theoretisches Konstrukt des militärischen Späthumanismus lipsianischer Prägung.295 Sie erscheint als probater Versuch das bei Machia294

295

Wolfgang Weber: Vorwort. In: Justus Lipsius, Politicorum sive Civilis Doctrinae Libri Sex, Nachdruck der Ausg. Frankfurt a. Main-Leipzig, Richter, 1704. Hg. v. Wolfgang Weber (Historia Scientiarum, Fachgebiet Geschichte und Politik), Hildesheim et al. 1998, S. XIV. Delbrück: Die Schlacht bei Cannae, S. 488: »die intervallierte Quincunx-Aufstellung, die ja auch nicht quellenmäßig, sondern nur eine Philologenkonstruktion des 16. Jahrhunderts ist.«

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velli auftretende Problem des geordneten Rückzugs in der dreifachen Schlachtordnung zu lösen.296 Das IV. Buch von DMR ist der acies gewidmet: d. i. der ordo und die Einteilung (divisio) in unterschiedliche ›Gattungen‹ (genera) (Intervalltheorie), die Stellung der Feldzeichen und Führer (Signorum locatio et Ducum) und die Schlachtform (forma instructionis). Im Zusammenhang der Aufstellung (dispositio) und der Ordonnanz (ordo) kritisiert Lipsius Henricus Glareanus, eigentlich Heinrich Loriti (1488–1653), Carlo Sigonio (1524–1584) und Francesco Robortello: »Livius appellat multiplicare ordines [...] Ad quemlocum Glareanus, subsistere & calligare se fatetur, Sigonius & Robortellus digladiantur.«297 In der Politica (V, 16) sieht Lipsius neben der Mentalität der Soldaten, eine klug angeordnete Schlachtordnung als entscheidend für den Sieg an: »ce qui importe autant c’est l’ordre de bataille.«298 Eine weise disponierte Schlachtordnung sei im Krieg sehr nützlich.299 Lipsius führt mehrere Regeln an. Ausgehend von derjenigen Homers schildert er in einem zweiten Schritt diejenige Vegetius’. Es komme darauf an, dass der General einige ausgewählte Fußsoldaten und Reiter in die erste Reihe stellt. Die Elite der Fußsoldaten solle hinter diese gestellt werden (die Arrieregarde bilden). Unabhängig von den antiken Quellen bemerkt Lipsius, dass es von großem Nutzen ist, die Truppen in der Schlachtordnung nach Völkern und Nationen zu ordnen, und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens sind die mentalen Dispositionen der beteiligten Nationen besser in nützlicher Weise einzusetzen. Zweitens erlaubt diese Trennung eine Schonung einheimischer Soldaten.

DMR, IV, Dialog. 6, 7, 8 Die acies-Theorie entwickelt Lipsius in den Dialogen 6, 7 und 8 im vierten Buch von DMR.300 Darin geht er auf die Formen der zweifachen (bataille double) und der dreifachen Schlachtordnung (bataille triple) ein. Er bezieht sich auf Homer, Cato, Tibull, Livius, Caesar, Seneca und 296

297 298 299 300

Vgl. Niccolo` Machiavelli: Discorsi. Staat und Politik. Übers. v. Friedrich v. Oppeln-Borinkowski. Hg. v. Horst Günther (Insel-Taschenbuch, 2551), Frankfurt a. Main-Leipzig 2000, II, 16, [S. 223f.], S. 224: »Unsere Heere können nicht dreimal die Schlacht erneuern, weil das Verfahren, ein Treffen durch das andere aufzunehmen, verlorengegangen ist.« DMR, 1675 (2001), S. 207. Lipsius: Les Six livres des politiques, S. 378. Ebd. Die folgende Darlegung der Theorie der acies von Justus Lipsius stützt sich auf die Handschrift La Milice Romaine de Iuste Lipse comprise en cinq livres. Commentaire (128 A–5), die in der KB Den Haag überliefert ist.

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Scipio (die für die dritte Art, nämlich der Anordnung in drei Gros stehen). Die vierte Art der Schlachtordnung (die das Gegenteil der dritten darstellt) besteht darin, dass das Gros oder das Korps in der Mitte als erstes gegen den Feind vorrückt, wie bei Aelian und bei Hannibal in Cannae zu finden. In einem weiteren Schritt greift Lipsius zwei aufeinander folgende Schlachten auf, nämlich die Schlacht Caesars gegen Afranius und die Caesars gegen Pompeius. Bei der Darstellung der ersteren sieht sich Lipsius zu einer Textkritik veranlasst, da er die Überlieferung für nicht zuverlässig hält. Bei diesen letzten beiden Ordnungen spielt die Form keine Rolle, sondern es geht vorwiegend um die Darlegung von Stratagemen. Die Behandlung der Schlachtordnung schließt mit einigen Schlachten-Strategemen von Crassus, Manlius, ein Stratagem Caesars gegen Afranius und Caesars gegen Pompeius (Dialog 7). Lipsius ordnet in einem letzten Schritt die taktischen Figuren in den historischen Diskurs ein (Dialog 8). Hinsichtlich der Quellen bezieht sich Lipsius nicht nur auf Polybios (s. insbesondere IV, 6), sondern auch auf Vegetius und die griechischen Taktiker.

IV, 6 In Buch IV, Dialog 6 entwickelt Lipsius sein Modell von der römischen Schlachtordnung (Double et triple disposition de la bataille: et quelques formes d’icelle). Dabei greift er die sieben depugnationes Vegetius’ auf (ERM, III, 20). Im Hinblick auf die Form hat sich die römische Armee im Lauf der Zeit kaum verändert. Die Schlachtordnung war entweder doppelt oder dreifach. Die erste angeführte Ordonnanz besteht Vegetius zufolge aus einem in die Länge gezogenen Quadrat, das aus der Grundform der Phalanx abgeleitet ist. Auch den Kommentar dieser Schlachtordnung entlehnt Lipsius wörtlich Vegetius.301 Es folgt die schräge Anordnung (oblique), die nach Meinung Lipsius’ die vorteilhafteste ist. Die dritte Form ist die Trennung in drei Gros, wie sie Seneca zufolge Scipio in Spanien angewandt hat und bei denen man 301

KB, 128 A–5, Buch IV, Dial. 6, fol. 211: »Et Vegece parlant de ce subiect dit Il y a vne fac¸on de bataille a front long, l’arme´e estant quarree Comme aussi aujourdhuy et presque tousiours on a accoustume´ de livrer le combat en ceste sorte.« Vgl. Vegetius’ Epitome of Military Science, (Milner), III, 20 [How many modes for engaging in a pitched battle there are, and how the side that is inferior in numbers and strength may prevail.« Lipsius beschreibt hier die erste Aktion: »The first action has the army in rectangular formation with an extended front, just as even now it is usual to do battle almost always. However, experts in military science do not consider this type of action best, because when the line is extended over a wide area, it does not always meet with even ground.«]

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nur die cornu vorschreiten lässt, die Mitte bleibt zurück.302 Die vierte Ordonnanz basiert ebenfalls auf drei Teilen. Das Gros im Zentrum beginnt als erstes gegen den Feind zu marschieren, wie es Hannibal in Cannae praktizierte und bei Aelian zu finden ist. Lipsius legt diese Ordonnanzen den Generälen nahe: Combien vtilement nos generaux mediteroient ils et pratiqueroient choses? Et je croy qu’ils le fairont peu a peu, selon que je foy l’inclination et la disposition de quelques vns qui y profitent.303

IV, 7 In den folgenden Dialog (IV, 7) nimmt Lipsius, sich auf Vegetius, Agathasias, Suidas, Livius, Tacitus, Hesychus, Eustathius und Festius stützend, weitere taktische Figuren (figures tactiques) auf, nämlich den Keil, die Kugel, die Zange, die kreisförmige Säge (coin, globe, tenaille, tour scie). Diese Formationen wurden jedoch von den Römern nur selten praktiziert (Cato, Hesychius, Festus, Paulus Aemilius). Eine nähere Erläuterung erachtet er daher als überflüssig:304 Es seien kleine Erfindungen, Phantasiegebilde (petites inventions, figures d’esprit).

IV, 8 Anschließend (IV, 8) geht er zu den Schlachten-Stratagmene über. Als acies-exempla (stratageme) dienen ihm die Schlachten von Crassus gegen die Parther, Manlius, Caesars gegen Afranius und Caesars gegen Pompeius. Darin umreißt er die Punkte Form (Quadrat, brique, doppeltes Quadrat) und Gegner, die Gliederung einer Truppe von vier Legionen in der Schlacht (Hastaten, Principes, Triarier) und entwickelt eine Intervalltheorie (vgl. auch DMR, V, 20), die These von der Maximierung der Schlagkraft durch Abstufung und das in die Knie gehen der Soldaten sowie das Eingehen auf die Abstände zwischen den Soldaten. Bei deren Beschreibung orientiert er sich wesentlich an Polybios, zieht aber Vegetius hinzu.

302

303 304

KB Ms. 128 A–5, IV, Dial. 6, fol. 212: »vous retene´s ou retire´s de l’ennemy la troisieme et du milieu, et que vous faites seulement avancer les cornes.« Ebd., fol. 212f. Ebd., fol. 213: »Car entasser tout ce qui se presente, ou representer ou expliquer subtilement quelques figures des Tactiques, il ne me le semble pas bon: pour quelle cause Les Romains les ont rarement pratique´es aussi entre les Romains Que Caton donne exactement et par denombrement.«

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Die Urteile Lipsius’ beziehen sich auf die Form und die historische Disposition in der Schlacht. So hält er das Quadrat im ersten Beispiel (Crassus gegen die Parther) für ›wunderbar‹. Aber er schränkt dessen Anwendung ein: Es kann nur gegen eine gegnerische Armee mit starker Kavallerie eingesetzt werden. Anders verhält es sich mit einer schweren und geschlossenen gegnerischen Armee. Die Schlachtordnung Crassus’ hatte vier gleiche Seiten, so dass jede Seite zwölf Kohorten zählte. Insgesamt müssen es 44 Kohorten gewesen sein, die so in einer einfachen Ordnung aufgestellt wurden, »si tant est qu’on veuille conter deux fois les cohortes ou les Tourmes de l’angle.« Im Folgenden formuliert Lipsius eine These, die dahingehend lautet, dass die verbleibenden Kohorten in das Quadrat (quarre´) der Armee als Hilfstruppen aufgestellt wurden. Gleiches ist von den Leichtbewaffneten (bis zu 8000) anzunehmen. Diese Truppen, so die Mutmaßung, waren unter die Kavallerie oder die Kohorten gemischt, wie es der Brauch war, oder standen verstreut vor der Front. Es scheint sich hier um einen äußerst hypothetischen, neuralgischen Punkt zu handeln. Jeder Kohorte war ein Turme Kavallerie zugeordnet. Auch das bereitet Schwierigkeiten, die Lipsius dadurch zu lösen versucht, indem er annimmt, dass es ebenso viele Kavallerie-Flügel wie Kohorten gegeben habe. Schließlich fragt er: »N’estil pas mieux donc de le tourner Turme comme jay fait?« Lipsius’ Meinung zufolge wurden einige Turmes Kavallerie in die Mitte, in die Nähe der Befehlshaber gestellt, um bei Bedarf einzuspringen. Von der zweiten Form, einem doppelten Quadrat, gibt es hunderte von Beispielen. Lipsius wählt die Schlacht zwischen Römern und Latinern, wie sie durch Livius überliefert ist und wie sie Machiavelli bereits als exemplum für die fortuna in der Schlacht in den Discorsi zeichnete. Es gab vier Legionen, von denen zwei auf jedem Flügel standen. Sie waren in Hastaten, Principes und Triarier unterteilt. Es folgt ein Exkurs zur griechischen Ordonnanz nach Homer. In den ersten Rang stellt Homer die Kavallerie mit den Wagen (chariots), an die queue platziert er die besten Fußsoldaten, die gewissermaßen die Verschanzung und Verteidigung der Armee sind. In der mittleren Truppe positioniert er die schwächsten Soldaten. Diese Schlachtordnung ist wie die der Römer dreifach, d. h. drei corps in der Höhe mit Wegen und Intervallen. Sie unterscheidet sich jedoch von der römischen darin, dass die Schwächsten (les moindres & foibles) in der Mitte kämpften. Die Römer stellten diese eher auf die Front. Die Stärksten stehen vor allem am Ende (a` la queue) wie unsere Triarier. Das sind die Ordonnanzen (ordres) oder Arten (genres), wie sie Lipsius auch nennt. Diese waren in Manipule mit Intervallen unterteilt. Die Manipeln waren quarre´s, die sich nach dem corps der ganzen Legion bildeten. Wenn die Manipeln annähernd quadratisch sein sollen, so müssen auf beiden Seiten (front, largeur) zehn

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Soldaten in der Front und zwölf in der Tiefe stehen. So hat die Legion von Polybios 100 Mann in der Front und 34 in der Höhe, so dass die Triarier in sechs zu sechs geteilt werden. Das quarre´ bei Plutarch: Crassus gegen die Parther. Das doppelte Quadrat (double quarre´) findet sich, bei Livius und Eustatius dargestellt, in der Schlacht zwischen Römern und Latinern. Lipsius formuliert die Komponente der römischen Schlachtordnung vielfach in Hypothesen und verlegt sich, wo der Ursprungstext keine Auskunft bereithält, auf das Kalkül. So an folgender Stelle: Les Legions quarrees portans ou soustenans les troupes d’un pas ferme. Si donc nous voulons que les Manipules soient a peu pres justement quarre´es il y aura aux deux coste´s de la largeur ou du front dix soldats, et douze en longueur, ou hauteur. Ainsi la legion de Polybe aura de front cent hommes et trente quatre de hauteur En sorte que vous diuisiez, les Triaires (ceux y sont moindres de la moitie´) en six et dix, six de front dix de hauteur La Troupe et phalange du Roy Antiochus [Quelle: Livius] n’a pas este´ fort different de mon Calcul. Elle estoit diuisee en trente deux rangs de soldatz en hauteur.305

Schließlich interpretiert Lipsius die taktische Formation der Legion, ausgehend von der Legion des Polybios, die mehr Soldaten in der Tiefe als in der Breite zählt (150 in der Tiefe und 20 in der Länge), dahingehend, dass es in der Folgezeit zu einer Verflachung und Verbreiterung habe kommen müssen. Er zweifle nicht daran, dass danach nach der Zeit (temps) und dem Willen (volonte´) der Befehlshaber die Manipel mehr in der Breite oder dichter gewesen seien und dass die Legion eine längere Frontlinie gehabt habe, so dass es mehrere Kämpfer auf der Frontlinie gegeben habe und weniger untätige Hände.306 Als Fazit lässt sich festhalten: Lipsius führt taktische exempla, d. h. stratagemata an. Er zeichnet nicht die diversen Formen der militia nach, die diese in der Geschichte angenommen hatte, sondern rekonstruiert einen Typus der acies. Davon ausgehend, dass die römische Schlachtordnung sich in der Form kaum veränderte (DMR, IV, Dial. 6), fasst er sie in einem Typus zusammen. B) Typus der acies: Quincunx und Intervalltheorie Die acies-Theorie Lipsius’ in DMR verdichtet sich in der Quincunxstellung oder Manipulartaktik und wird nicht mittels eines Diagramms, sondern der Zeichnung einer offenen Feldschlacht repräsentiert. Dieses 305 306

Ebd., fol. 218. Ebd., fol. 218f.: »Mais je ne doute pas que puis apres les manipules nayent este´ plus au large, ou plus espais, selon le temps et la volonte´ des chefs et que la legion a eu plus de front. Cela afin qu’il y eut plus de combatans au front, et moins de mains oiseuses.«

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taktische Modell folgt den Maßen Polybios’ und Vegetius’. Ferner zieht Lipsius Tacitus, Livius und Caesar – der ein wenig verdorben ist (»les paroles sont un peu corrompu«307) – heran. Lipsius hat sich die Aufstellung der Manipel ganz anders als Machiavelli vorgestellt. In Iusti Lipsii De militia Romana libri quinque (Antwerpen 1596, S. 232ff.) ist darüber folgendes zu lesen: »habere vias inter manipulos«, es gibt Intervalle, Wege zwischen den Manipeln.308 Lipsius’ entspricht zwar dem Wortlaut der Überlieferung, es ist aber unmöglich einzusehen, wie bei dieser Stellung der Durchgang der Treffen ohne Drängen und Unordnung hätte geschehen können.309 Die Intervallierung,310 die in der Generation nach Lipsius eine große Rolle spielen sollte, kommt bereits bei ihm zum Tragen; diese wird jedoch in der Folgezeit in der taktischen Praxis nicht umgesetzt, wie Delbrück schreibt.311 Die in der Mitte befindliche Schlachtordnung (acies) besteht aus zwei Legionen (der ersten und der zweiten). Zwischen den beiden Legionen steht der Feldherr (imperator). Die Verbündeten, deren Kohorten oder Manipel nicht vollzählig sind, stehen auf den beiden Flügeln. Möglicherweise wurden sie durch die außergewöhnlichen Truppen (extraordinaires) komplettiert, die ihnen an der queue in Form von Triariern hinzufügt wurden. Der rechte Flügel der verbündeten Truppen und der außerordentlichen Truppen kämpft an der Front, denn da sind die Flügel nichts anderes als diese Flügel Infanterie der Verbündeten. Wenn man sie dem Korps zuordnet oder davon absondert, so hängt es von ihrem Willen (volonte´) ab. Die Veliten werden auf die Manipule verteilt. Die Kavallerie steht auf beiden Seiten an der Flanke. Lipsius überlegt, ob Römer und Verbündete zusammengefasst waren und kommt zu der Annahme, dass die Kavallerietruppen ebenso wie die Infanterie in Verbündete und Römer aufgeteilt waren. Sie waren in Türmen (Turmes) aufgestellt, die mehr oder weniger, je nach dem Willen des Generals gedrängt standen. Er geht schließlich davon aus, dass sie hauptsächlich an der Frontlinie aufgereiht waren. Fernerhin nimmt er an, dass die Kavallerie eine etwas weiter vorgerückte Front hatte als die Fußsoldaten, gleich den Veliten, mit denen sie verbunden waren und mit denen sie gewöhnlich kämpften. 307 308

309 310

311

Zitiert nach der frz. handschriftlichen Übersetzung, KB, 128 A–5. Vgl. Rudolf Schneider: Legion und Phalanx. Taktische Untersuchungen, Berlin 1893, S. 102ff. Vgl. ebd. Lipsius selbst räumt den Intervallen eine bedeutende Rolle ein; vgl. Polybios-Kommentar, V, 20; In dem Resüme über die Schlachtordnung schreibt er, dass die Intervalle stark zu loben seien. GdKK, IV, S. 231f.: »Sollte etwa eine klassische Reminiszenz, das unselige, noch heute spukende Gespenst, die Intervallierung der römischen Legion (Lipsius’ Quincunx nach Livius VIII, 8) mitgespielt haben? Die Folgezeit ist jedenfalls zu geschlossenen Fronten übergegangen.«

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Die Veliten nehmen keine feste Stelle ein, sondern sind auf die Intervalle oder vor der Front verteilt. Die Fußsoldaten (d. h. 1200) nehmen Polybios zufolge jeweils drei Fuß ein. Die Kavallerie beansprucht kaum mehr Raum.312 Die ganze Front beläuft sich auf 1440 Fuß, einschließlich der Intervalle zwischen Manipulen und Legionen auf 1600 Fuß, insgesamt also: 3040 Fuß in der Front. Die Höhe beträgt 34 Mann zwischen denen nach Polybios oder besser Vegetius drei Fuß Zwischenraum ist. Einschließlich der zwei großen Intervalle beläuft sich die Höhe auf 360 Fuß. Die Front zählt weit mehr, wie auch Vegetius zu entnehmen ist. Bei diesen Regeln handelt es sich jedoch nur um exemplarische Leitlinien, deren konkrete Umsetzung dem Gutdünken der Generäle überlassen sei: »Combien qu’il ny a rien icy de defini ou resolu. Ces choses estans seulement propose´es pour exemple Et elles ont este´ a la discretion des Generaux.«313 Wo Lipsius Polybios nicht zuverlässig erscheint, z. B. in Bezug auf die Intervallierung, rekurriert er auf Vegetius. Auch in Les Politiques hat Vegetius hinsichtlich der acies-Theorie durchaus noch seine Relevanz, diesmal jedoch nicht mit seinen taktischen Konzepten, sondern mit den Maximen. Wenn Lipsius in der Politica darauf verweist, dass eine Schlachtordnung von großer Bedeutung ist, führt er neben Homer eine Maxime von Vegetius an und hebt deren psychologische Wirkung in der Schlacht hervor. Es sei sehr bedeutsam für den Sieg, dass der Befehlshaber einige Ausgewählte, sowohl zu Pferd als auch zu Fuß als bereitstehende Hilfstruppen hinter die Schlacht stelle, denn die unvorgesehenen Dinge verwirren und versetzen in Unruhe.314

6. Pragmatisch-prudentielle Geschichte und ›imitatio‹ römischer militia Im Sinne der pragmatischen Geschichtsschreibung des Justus Lipsius kann im Hinblick auf seinen Polybios-Kommentar keine Imitation der römischen militia erfolgen. Aufgrund der Inkohärenzen seines taktischstrategischen Modells – es tritt eine Diskrepanz zwischen prudentieller Herrschaftslehre und polybianisch-republikanischer militia auf – legt 312 313 314

KB, 128 A–5, fol. 240f. Ebd., fol. 223. Lipsius: Les Six livres des politiques, S. 379: »[…] il importe beaucoup pour la victoire (dit-il) que le chef ordo(n)ne quelques vns e´leus & choisis, tant de cheual, que de pied, derriere la bataille tous prests & ordonnez pour le secours, & pour donner ou` il sera besoin, voire comme s’ils estoient en embuscade. Car ceux qui suruienne(n)t, & que l’on a sur les bras sans que l’on s’en doute, sont plus effroiables aux ennemis, que ceux auec qui ils sont desia aux mains & combatent. La raison, c’est que les choses inopine´es troublent & esmeuuent.«

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Lipsius nahe, von der unkritischen Imitation der römischen militia abzusehen. Er rät hingegen zu einer partiellen Imitation der römischen Schlachtordnung. Lipsius verwahrt sich gegen eine Umsetzung der polybianischen militia, insbesondere des dilectus, steht dieser doch in Widerspruch zu seiner Herrschaftslehre. Die pragmatische Ausdeutung seines Polybios-Kommentars ist geprägt von einer herrschaftsstabilisierenden, konservativen Funktion der Kriegskunst bzw. der militia. Dabei zeigt sich, dass Lipsius selbst keineswegs die technischen Bedingungen der Militärischen Revolution, wie sie an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert gegeben waren, assimiliert hat. Lipsius operiert einerseits mit der similitudo temporum und einem direkten Vergleich, der vor der Feststellung der Identität der zeitgenössischen Taktik mit der römischen nicht zurückweicht, andererseits streicht er insbesondere in Fragen der Technik und der Disziplin die Divergenzen zwischen dem zeitgenössischen militärischen System und dem römischen Modell heraus. Lipsius reagiert mit der Erneuerung der stoischen Philosophie und mit der Herrschaftskompetenz der prudentia militaris auf die irreguläre, ›konfessionell‹ motivierte Gewalt seiner Zeit. Die Lipsianische Militärtheorie ist folglich in seinem stoischen Denken verankert und stellt in Rückbindung an Erkenntnistheorie und Ethos als solche ein geschlossenes System dar, das sich als probates Mittel gegen die Zersplitterung und Diskfunktionalität des politischen Kosmos versteht. Man soll die auf der Grundlage des römischen Modells entwickelte Theorie nur teilweise in die Tat umsetzen, denn er schätze sie nicht ganz. Es gäbe viele Dinge, die von den modernen Sitten (coutuˆmes) und Waffen differieren, ja einige diesen sogar entgegengesetzt seien. Es bedürfe daher der Urteilskraft des Herrschers und seiner Generäle. Er erhofft sich von seinem Polybios-Kommentar, dass er den Unruhen in Europa ein Ende bereiten kann und das Reich Philipps III. aus diesen herausführen könne.315 Hier verbindet sich taktisches Denken mit dem Stabi315

Buch V, S. III v: »Mais que vous le pratiquiez seulement en partie, car je ne le conseille & ne l’approuue pas tout, Il y a plusieurs choses differentes de nos coustumes & de nos armes, & quelques vns contraires. Il est besoin de jugement que vous & vos Generaulx y apporterez aisement. De mon coste´ j’ay eu intention de tirer ces choses des tenebres pour l’amour de vous & desenterrer les choses mortes & enseuelies. Dieu face qu’il ne soit point en vain & que ces choses seruent a appaiser les troubles dans l’Europe & a aduancer vostre Empire hors d’icelle.«; KB, 128 A–5, s.p.: »Durant deux cens ans qu’ilz ont fait la guerre dans icelle & pour icelle ilz ont este´ tantost vaincus tantost vainqueurs mais a la fin et a l’extremite´ vainqueurs: Et cela par ce´t art militaire que nous proposons. Lequel si vous pratiquez qui doutera qu’il ne soit pour vostre bien & perpetuel aduantage. Mais que vous le pratiquiez seulement en partie, car je ne le conseille & ne l’approuue pas tout, Il y a plusieurs choses differentes de nos coustumes & de nos armes, & quelques unes contraires. Il est besoin de jugement que vous & vos Generaulx y apporterez aisement.«

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litätstheorem. Das Verhältnis zur römischen Geschichte ist folglich – angesichts des unterschiedlichen waffentechnischen und kulturgeschichtlichen Rahmens – ein distanziertes und zunächst genuin wissenschaftliches, nicht unmittelbar utilitaristisches. In Buch V, Kap. 20 von DMR unternimmt Lipsius eine komparative Studie zwischen dem Militär der Antike und dem Militär der Gegenwart. Der Vergleich der modernen mit der antiken Kriegskunst fällt grundsätzlich zugunsten der letzteren aus.316 In dieser Schlussbetrachtung bemerkt er, er habe fünf Dinge in der römischen Militärverfassung behandelt: Die Aushebung, die Ordonnanz (ordre), die Waffen, die Schlachtordnung (bataille rangee) und die Disziplin. Hinsichtlich der Aushebung urteilt er, dass sie kaum anzufechten sei, denn sie war sehr gut. Dennoch rät er von der Nachahmung der römischen Aushebung ab, denn sie sei gebunden an die Sitten (moeurs) und Lebensart (fac¸on de vivre) einer republikanischen Verfassung und daher auch nur in diesem Verfassungsrahmen zu realisieren.317 Republiken aber sind, abgesehen von Venedig, das jedoch auf eine Bürgermiliz verzichtet, im gegenwärtigen Europa nicht sehr zahlreich. Lipsius’ Anliegen ist nicht der Aufstieg nationaler Milizen. Er bemerkt, dass sie für monarchische Staaten ungeeignet seien und dass selbst eine Republik wie Venedig ihre eigenen Bürger nicht als Soldaten heranzieht. Aber die Türken zeigten, dass ein sorgfältiges System der Rekrutierung benötigt werde: was die Türken mit ihren Janitscharen machen, sei bekannt (Ausg. von 1630, S. 356: »quid Turcae in Ianizaris suis faicant non est ignotum«). Die Römer hätten zwar auch etwas über die Rekrutierung zu lehren, aber die besten Lehrer seien sie in der Schlachtordnung und der militärischen Disziplin. Die römische Überlegenheit in der Kampfordnung ist offenbar: »abite Turcae cum Ianizaris vestris, qui imaginem aliquam usurptais militiae priscae sed falsam« (weicht, ihr Türken mit euren Janitscharen, die ihr irgendein Abbild alter Militärordnung usurpiert, aber ein falsches; ebd. S. 361). Selbst die Skythen waren besser diszipliniert als die modernen Armeen. Im römischen Lager herrschten Gerechtigkeit, Keuschheit und Unschuld, und niemals waren die Römer gewaltsam oder wild, es sei denn gegen den Feind (ebd., S. 363: »iustitia, castitas, innocentia habitabat, et nusquam violenti aut reoces nisi in hostem erant«). Lipsius merkt an, dass er auf die Problematik, Untertanen auszuheben, in der Politica genauer eingeht. Jedoch hält er dazu an, die Aus316 317

GdKW, Bd. 1, S. 561. KB, 128 A–5, fol. 538: »toutesfois il seroit malaise´ a` imiter aujourd’huy selon que sont les mœurs et les fac¸ons de viure, si ce n’est peut estre en quelque republique.«

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hebungspraxis in den europäischen Staaten zu überdenken, um die Professionalität der Soldaten zu befördern. Diese sollen jung sein und längere Zeit in der Legion dienen. In Pol., V, 9 tritt Lipsius für eine aus Einheimischen bestehende Armee ein. In V, 11 wendet er sich denjenigen Gruppen zu, an die bei der Aushebung gedacht werden soll und bespricht deren Unterteilung in Berufssoldaten (Ordinaires) und Reservisten (Subsidiaires). Der Vorteil der Berufssoldaten ist, dass sie nach Ehre und Reputation streben. Lipsius wägt ab, wie die aus Berufssoldaten als auch aus Einheimischen rekrutierte Reservetruppen davon abgehalten werden können, gegen den Staat oder den Herrscher zu rebellieren. Auch soll die Reiterei den Wohlhabenden und dem Adel vorbehalten sein.318 Es folgt eine Kritik des römischen ordo. Die Unterteilung (der Teile) ist passend. Das Korps der Legionen ist zu groß, die Kohorten sind Teilstücke davon und die Manipel die Glieder. Hinsichtlich der chefs und der Zenturionen, der porte enseignes und der options fehlt nichts und ist nichts zuviel, so dass alles nützlich (utile) ist: Man könne es in vielerlei Hinsicht nützlich anwenden (»Il peut estre pratique´ vtilement en beaucoup de choses«.319) Hinsichtlich der Fragen der Militärtechnik greift er ganz konservativ auf Vegetius zurück.320 Die antiken Waffen stünden der Muskete in nichts nach.321 Auch der Artillerietechnik der zweiten Jahrhunderthälfte ist die römische Schlachtordnung gewachsen: »voire comme aujourd’huy ceux qui s’y entendent rapportent qu’ils n’ont point eu d’arme´e range´e en bataille rompue par tele coups.«322 Es folgen Bemerkungen über die leichten Waffen, die die gegenwärtigen Kriege dominieren (»nos combats sont pour la pluspart legeres.«).323 318

319 320

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322 323

Ebd., fol. 321f.: »ie ne voudroi point mettre les paysans a` cheual, cela est plus propre pour la Noblesse & pour les riches, & trop de char a` ce poure & simple peuple.« Ebd., V, 20, fol. 540. Justus Lipsius: La milice romaine de Juste Lipse. Liure Cinquie´me. Mise en Franc¸ois. KB, Ms. 128 A–6, Dialog. XX. ›Conclusion des cinq discours, et briefve comparaison de l’anciene Milice a` la Nostre.‹ Ebd., fol. 541f.: »Les fonder combiens peu moindres ont elles este´ en force a effect, que nos mousquets? [L’vsage des fondch] mais la forme en a este´ tres differente. Cela semble d’abord ridicule, mais examiner le auec moy. La bale de l’vn et de l’autre est de plomb. [541] et ne sont gaires (sic) dissemblables en la grandeur ou la figure, et pour la force et l’effet a` peine les fonder seront elles moindres. [Rand: Ont mesme force que les mousquets] Il faut que je croye ceux qui ont veu de se font trouuer a` la Guerre des Anciens, et qui lors s’en servoient [car maintenant ie ne croy pas qu’elles soient telles] puissamment: ils en scriuent donc des choses qui balancent ou font preserver, les fonder aux mousquets, quand a` leur force elle a este´ si grande en vne fonde lache aux art que souvent la bale se soudoit au milieu de la course s’estant alume´e Lucrece dit.« V, 20. V, 20, fol. 548.

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Das Urteil über die römische Schlachtordnung (acies), die triplex acies und quincunx, fällt positiv aus (»forte bon(n)ne«). An der Front stehen die schwächeren Hastaten, es folgen die stärkeren Principes und die sehr starken Triarier. Das Motiv Lipsius’ dieser Abstufung vom Schwächeren zum Stärkeren folgt der Überlegung einer progressiven und dosierten taktischen Ermüdung des Gegners.324 Nicht der chok oder die Niederwerfung, sondern die Ermattung des Gegners wird über die Lipsianische acies-Theorie vermittelt. Daraus erklärt sich möglicherweise auch die Haltung Lipsius’ gegenüber der römischen dilectus und seine Rekonstruktion der römischen Dreitreffentaktik. Die Infanterie steht in der Mitte. Sie wird von Kavalleriekorps eingerahmt, damit die Fußsoldaten nicht überrascht oder eingekreist werden. Eine besondere Bedeutung haben die Intervalle,325 in denen oder vor denen die Velites positioniert waren. Resümierend lässt sich festhalten, dass Lipsius den antiken dilectus approbiert, dessen verfassungstechnische Umsetzung unter den Gegebenheiten seiner Zeit jedoch als problematisch erachtet. Während er die römische Ordonnanz, abgesehen von der Größe der Legionen als nützlich, d. h. praktikabel auch unter den gegenwärtigen Bedingungen einstuft, hält er die antike Waffentechnik und Schlachtordnung der modernen (sei es Handwaffen oder Artillerie) für überlegen.

7. Die militärwissenschaftliche Wirkung des Justus Lipsius Mit Lipsius’ DMR kam zwar die volle Bedeutung Polybios’ für die Kriegskunst weiteren Kreisen zu Bewusstsein,326 innerhalb der späthumanistischen Gelehrtenkultur sollte er jedoch zur Zielscheibe historisch324 325

326

V, 20, fol. 560: »afin que l’ennemy fut fatigue´ par degre´s.« Vgl. Jean de Chokier: Thesaurus politicorum aphorismorum in quo principum, consiliariorum, aulicoruminstititio proprie continetur. Una cum exemplis omnis aevi: quibus insertae notae, sive etiam Monita; quae singula singulis Aphorisimis non minus venuste, quam opportune respondent. Diuisus in Libros sex. Auctore Ioannes a Chokier Patritio Leodiens. I. V. Doctore. Adiungitur eiusdem Notae, siue Dissertations in Onosandri strategicum ad Disciplinam militarem spectantes. Editio iuxta romanam secunda, Moguntiae, Ioannis Theobaldi Schönvvetten, 1613 (MDC XIII) *E–866 (1), S. 49. Vgl. GdKW, Bd. 1, S. 448; vgl. ebd., S. 561: »Diese gelehrten, für die Kenntnis des antiken Kriegswesens grundlegenden Werke sind um so wichtiger geworden und haben Epoche gemacht, weil ihr Verfasser sich nicht, wie eigentlich alle seine Vorgänger, an Vegetius anklammerte, sondern sich wesentlich auf Polybios stützte. Joest Lips’ Vergleich der modernen mit der antiken Kriegskunst fällt durchaus zu Gunsten der letzteren aus. Ein besonderes Verdienst erwarb er sich durch die für seine Zeit vortreffliche Abhandlung über die Maschinen der Alten. Freilich läuft dabei so manche Verwechselung mit mittelalterlichem Wurfzeug unter, wie er das z. T. persönlich noch an Originalen (in Brüssel) studiert; aber gerade dadurch ist er

4. Systematik

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philologischer Kritik werden (s. Zweiter Teil, Kap. II). Am 20. Juli 1594 schreibt Lipsius aus Löwen an Scaliger in Leiden: »Nos quoque sulcos ducimus, sed in pulvere minus erudito. Scripsimus ad Polybium de Militia; addimus Observationum libros eidem rei«.327 Scaliger geht auf den Polybios-Kommentar328 und auf die Poliorketik, die Kunst der Belagerung des Lipsius ein.329 Die Korrespondenz Lipsius’ mit den calvinistischen Gelehrten Joseph Justus Scaliger, seinem Nachfolger an der Universität Leiden und Isaac Casaubon, hatte demnach auch den PolybiosKommentar zum Gegenstand. 1595 datieren drei Briefe an Scaliger, mit dem er von 1575 bis 1606 eine sehr umfangreiche Korrespondenz pflegte. Mit Casaubon stand er ab 1588 in Austausch (50 Briefe), von Nicolas Rigault sind hingegen lediglich zwei Briefe aus dem Jahr 1601 überliefert.330 Vor allem mit Scaliger und Casaubon erörterte Lipsius militärtheoretische Fragen, nicht aber mit französischen Militärs, wie es beispielsweise bei den Spaniern der Fall war.331 Auch mit Heinrich Rantzau,332 der im Rahmen seiner Schlachtordnung in einem Atemzug

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wieder mittelbar Quelle geworden. – Näheres Eingehen auf diese archäologischen Arbeiten würde über den Rahmen unseres Werkes hinausführen.« Lipsius (Löwen) an Joseph Justus Scaliger (Leiden), 20. Juli 1594. In: Iusti Lipsi Epistolae. Pars VII: 1594. Hg. v. Jeanine de Landtsheer, Brüssel 1997, S. 24f., S. 215. Pieter Burman (Hg.): Sylloge epistolarum a viris illustribus scriptarum, Leiden 1727, Bd. 1, n° 236, S. 240f.: »Luculentissimum opus tuum de Militia Romana una cum literis tuis nunc primum ex Zelandia reversus accepi. Lectio non est paucarum horarum, neque animi aliud agentis. Postquam perlegero, tunc fructum, quem ex illa lectione percepero, testabor. Nam de tam arduo incepto testimonium a me, non judicium expecta. Satis est & in fructum meum, & in gloriam tuam, quod opus Lipsianum est. Interea quod possum gratias habeo muneris tui & benevolentiae tuae, quantum potest homo & tui amantissimus, & librorum tuorum helluo. Quanti vero mihi fieri debet totus labor tuus, jam constat mihi ex divina dedicatione, quam totam protinus devoravi. Meum opus de Emendatione temporum totum pene interpolatum lente duditur operarum, non mea culpa… III. Kal. Augustas. 1595.« Scaliger an Lipsius. In: Pieter Burman (Hg.), Sylloge epistolarum a viris illustribus scriptarum, Bd. 1, S. 238, n° 234. Burman: Sylloge epistolarum, Bd. 2, S. 74. Vgl. Justus Lipsius: Epistolario de Justo Lipsio y los Espan˜oles. Hg. v. Alejandro Ramı´rez (La lupa y el escalpelo, 6), Madrid 1966; 20. Juni 1595: Lipsius an F. Verdugio, Libros meos de Militia. In: ms. Lips. 3 (15), f. 27 v; 3 (16), f. 22 v, n° 47; 21. Juni 1595: Lipsius an Ch. d’Arenberg, Cum Militiae, quod ab amico accepi, mitto, ms. Lips. 3 (16), f. 21, n° 41; 15. Juli 1595: Lipsius an G. Spinola, Exemplar Militiae, quod ab amico accepi, mitto, ms. Lips. 3 (15), f. 33v; 3 (16), f. 27 v, n° 64; 31. Juli 1595: Lipsius (Löwen) an N. Damant (Madrid), Militiam meam cum Principi inscripsissem, Cent. It., 30; 2. Aug. 1595, Lipsius an J. Vivien, In Militia mea te esse gaudeo, Burman, I, p. 465, n° 440; 12. Sept. 1595: Lipsius an J. Martı´nez de Verastegui, Exemplar de Militia jam Antverpia recepi, Ramı´rez, pp. 155–156, n° 32. Heinrich Rantzau: Henr. Ranzovii Produc. Cimbr. Commentarius Bellicus: Libri Sex Distinctus, Praecepta, Consilia, Et Stratagemata, pugnae terrestris ac navalis, ex variis Eruditorum collecta scriptis, complectens ...Francofurti, Palthenius, 1595. HAB M: Jb 229 (1)

184

I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

Fronsperger und Moritz von Oranien als Beispiele anführt333 und Franc¸ois de La Noue334 und Du Bellay335 zitiert, unterhielt Lipsius einen umfangreichen Schriftwechsel. Der Humanist Henry Savile (1549–1621) korrespondierte ebenfalls mit Lipsius.336 Savile hatte einen Kommentar zum römischen Militär geschrieben (1591, 1601),337 in dem er sich hinsichtlich der Besoldung der Soldaten auf Polybios, Franc¸ois Hotman und Guillaume Bude´ bezieht,338 der insbesondere mit Jacques-Auguste 333

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Ebd., S. 187: »XIIX: In primo hostium congressu ne immensa globorum grandine tuus prosternatur exercit, flexo pede sinistro, vel oto corpore cernuo subsidat. Sic glandes transmittentur, ac sine tuorum damno hostis exhaurietur aparatus. Quo facto resurgant tui, & hostem auacuatis tormentis inermem aggrediantur. Alexander Magnus, & Georgius Fronspergius cum Venetis dimicaturus id suos docuit: & Mauritius Nassouiae Comes proxime praeterito anno comprobauit.« Ebd., S. 188: »XX: Leuioris armaturae militibus in prima acie collocatis subsidio sit exercitus robur: auxiliares impetu in hostes facto cedentes, & intra suorum ordines se recipientes ocyus in latera discurant, quibus a cornubus rursus erumpentibus, fortiores hostem excipiant & circumeant: vt docet nos in suo de militari astutia libello Sieur de la Noue, miles solertissimus & astutissimus.« Ebd., S. 188f.: »XXI: Nestoris in acie instruenda artificium describit Homer. illiad. […] Dux prudens in fronte equites currusq; locauit; Extremo pedites instruxit in agmine, belli Robur, & auxilii florem: promiscua vulgi, Corpora clauserat in medio, quibus vndiq; turba Inclusis, etaim nolentibus, esst in hostem Pugnandi ratio nequaquam libera, &c. Ita qua forma, an circulari, quadrat, triangulari, Lunari, &c. & ex quot capitib acies sit instruenda: quot, & qui, robusti ne an imbecilles, singulos inordines fuerint colloca(n)di: equitesne vel Sclopetarii in medio copiarum sumendi, an ad latera alarum loco adiungendi: excubie diurnae & noctrune quomodo ordinandae: que & quantae copiae a fro(n)te exercit, que a tergo, quae ad latera constitue(n)dae, &c. haec Ductoru(m) industriae relinquuntur: & de his prudens atq; exercitat Dux facile suo Maret statuere poterit, quid ad palmam obtinendam fuerit commodissimu, Praeterea haec omnia dilucide co(m)plexus est Gulielmus Bellaius [Du Bellay], in suo de re bellica libro, Gallice, Latine, ac Germanice dito. Quare plura de his adddere, superuacaneum arbitror.« Dupuy 348, fol. 159ff., Henry Savile a` J. A. de Thou, London, 1. Dez. 1607; Dupuy 632 [Recueil de lettres, me´moires et observations concernant les Historiae sui temporis du pre´sident Jacques-Auguste de Thou], fol. 105ff., von Henry Savile, London, Dezember 1607; Dupuy 836 [Recueil de Lettres latines adresse´es au pre´sident J.-A. de Thou par plusieurs e´rudits flamands, anglais, allemands et polonais (1588–1617). – Autographes et originaux], fol. 137: Henry de Savile, s.l., 4 cal. Mart. 1602, orig.; – Londres, 12 kal. Mart. Et 14 kal jul. 1613 (138 et 140); 12 kal. mart. 1614 (142); non. feb. s.a., orig. (143); an Savile gerichtete Briefe: Dupuy 632, fol. 107, de Thou an Sir Henry de Savile, Paris, 6 kal. Sextil. 1606; Dupuy 706 [Recueil de lettres et de minutes de lettres, latines et franc¸aises, du pre´sident Jacques-Auguste de Thou (1566–1616). – Autographe, fol. 39ff.: Henry Savile, Paris, ed. apr. 1608. Henrici Savilis, ... Commentarius de militia romana ex anglico latinus factus, Heidelbergae, typis Voegelianianis, 1601. BN J–15459 (Re´serve); – H. Savilius in Taciti histor[ias] Agricolae vitam et commentarius de militia romana, Amstelodami, apud Ludovicum Elzevirium, 1649. Henrici Savili Commentarius de militia Romana: ex Anglico Latinus factus. Übers. v. Marquard Freher, Heidelbergae, Voegelin, 1601. M:Gg 302, S. 79: Henrici Savili Commentarius de militia Romana: ex Anglico Latinus factus/[Übers.:

4. Systematik

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de Thou, der 1592 einen Brief gegen die Liga und über die Mittel zu einem Frieden zu gelangen verfasst hatte.339 Der Briefwechsel zwischen Casaubon und Lipsius setzte in den Jahren zwischen 1591–1598 aus. Dieser Zeitraum kennzeichnet die Phase, in der sich beide intensiv mit Polybios beschäftigten. Tatsächlich tauschten sich die beiden auch über die Arbeit zu Polybios aus. Casaubon setzte sich mit seiner wissenschaftlichen Polybios-Edition aber von Lipsius ab. Casaubons Arbeit zielt jedoch im Unterschied zu derjenigen Scaligers weniger auf den militärtheoretisch-taktischen, sondern auf den allgemeinen wissenschaftlichen Aspekt des Polybios-Kommentars ab. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Lipsius war das Verhältnis zwischen Scaliger und Moritz von Oranien weniger militärtheoretisch motiviert. In einem Brief an Claude Dupuy äußerte Scaliger (16. Jan. 1592), der sich im Unterschied zu seinem Vorgänger nicht als Kriegslehrer, als magister ad militam sah, seine Befürchtungen, dass er sich für die ihm angebotene Stelle als ungeeignet erachte.340 Anders als die Politica wurde DMR nie in einer französischen Übersetzung gedruckt. Wenn es eine Rezeption des Lipsianischen militärtheoretischen Kompendiums in Frankreich gegeben hat, dann war diese zunächst eine philologisch-kritische (s. Zweiter Teil, Kap. II). Die didaktische Pragmatisierung des Polybios-Kommentars durch Lipisius in der Einfügung in ein lipsianisches militärwissenschaftliches System, wurde, wie wir im zweiten Teil sehen werden, aber durchaus zum Gegenstand der Kritik. In der Militärtheorie und der militärtheoretisch-pragmatischen Performanz der Oranier wurde die Lipsianische Militärtheorie aufgegriffen, sie wirkte jedoch insgesamt nicht grundlegend. Vom polybianisch-philologischen Standpunkt wurde sie vor allem von Joseph Justus Scaliger und Saumaise angegriffen und zeitigte einen heftigen kritischen Reflex hugenottisch-calvinistischer Gelehrtenkultur. Den Franzosen, die sich

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Marquard Freher], Heidelbergae, Voegelin, 1601. M:Gg 302, S. 79f.: bezieht sich auf Sold der Römer nach Polybios, Hotman und Budaeus. Dupuy 706, fol. 128: la minute d’une lettre de J.-A. de Thou contre la Ligue et sur »les moyens de parvenir a` la paix«, 1592. Joseph-Justus Scaliger: Lettres franc¸aises ine´dites. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Agen 18791995, S. 293f.: »Ce present porteur estoit venu ici de la part des Estatz de Hollande, du conte Maurice, et de l’Universite´ de Leyden, pour quester un homme docte, digne de succe´der a` la place de Lipsius. Et d’autant qu’il n’a pas eu de moi ce qu’il en esperoit, je lui ai enseigne´ que Monsieur Passerat seroit fort propre pour ceste charge, et pour satisfaire aux auditeurs, je l’ai adresse´ a` vous pour savoir ou` le dit sieur Passerat est maintenant, et quel moien il y auroit de le tirer d’ou` il est. Je pense qu’il aimera mieux servir au public avec seurte´, que d’estre inutile parmi les bourreaux.«; Es gibt noch einen weiteren Brief an Moritz von Oranien aus Preuilly in der Touraine vom 20. Januar 1592 (Illustrissimi Viri Jo` Burden filii Epistolae, Leyden 1627, S. 885–886). sephi Julii Caes. A

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I. Justus Lipsius’ stoisch-taciteische politisch-militärische Klugheitslehre

von den aus der Antike geschöpften Paradigmen zu lösen begonnen hatten, diente die Lipsianische Militärtheorie für die taktische Praxis im Dreißigjährigen Krieg nur bedingt zum Modell. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier ist durch Justus Lipsius geprägt worden. Dahinter steht ein beachtenswerter Akkulturationsund Pragmatisierungsprozess. Der Einfluss der Lipsianischen Militärtheorie auf die der Oranier vollzog sich, sowohl in militärwissenschaftlich-didaktischer als auch in taktisch-konzeptueller Hinsicht: Die Nassau-Oranier, die selbst zum Katalysator militärwissenschaftlicher Forschung wurden, griffen die Lipsianische militärwissenschaftliche Systematik auf und ›pragmatisierten‹ diese. Hinsichtlich der Militärwissenschaft kam es aber zu keiner publizistischen Breitenwirkung wie etwa bei den moralphilosophischen Schriften des Leidener Gelehrten. Vielmehr ist das generelle Phänomen zu beobachten, dass sich die Aufarbeitung der militärtheoretischen Tradition im Späthumanismus mit der dynastischen Kultur der Oranier verband. So gab es eine Verbindung zwischen den humanistischen Netzwerken und der dynastischen Kultur der Bourbonen und der Nassau-Oranier sowie dem Haus Coligny, die sich nicht zuletzt auf die militärische Kultur beziehen. Die zwei dynastischen Pole in der Ausbildung einer für den nachfolgenden Kulturtransfer bedeutsamen militärtheoretischen Position sind in einem ersten Moment Moritz von Oranien und seine Cousins die Nassau-Oranier und Heinrich IV., der gleichfalls militärische Schriften vor allem der Soldaten protegierte, wenngleich er sie nicht direkt anregte. Letzterer war noch zu sehr einem militärwissenschaftlichen Milieu und einem noch wenig gefestigten militärischen System verhaftet. Dennoch wies Frankreich mit der durch den Herzog von Bouillon gegründeten Militärakademie in Sedan und der von Philippe Duplessis-Mornay in Saumur gegründeten Akademie sowie der am italienischen Akademiemodell orientierten Acade´mie de Pluvinel, Institutionen militärischer Ausbildung von hohem Rang auf.

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier (ca. 1589 – ca. 1610) 1. Verschränkung von politisch-militärischem System und dynastischer Kultur Die Verschränkung von militärischem System und dynastischer Kultur der Nassau-Oranier zeichnet sich auf dem Hintergrund der Mischverfassung der Vereinigten Niederlande ab.1 Die militärische Reformrolle der Nassau-Oranier ist eng mit der spezifischen Legitimitätsproblematik und der republikanischen Verfassung der Generalstaaten verbunden. Diese spezifische Konstellation sollte sich in der Selektion militärischer Probleme, so der Wahl der Schlacht von Cannae und der militärischen Reformen der Feldherrn Scipio und Hannibal artikulieren. Die Oranier praktizierten gleichsam im Gleichklang mit den Prämissen der pragmatischen Historie und der Mischverfassung der nördlichen Niederlande, die sich aus einem militärisch-aristokratischen Moment (Moritz von Oranien und seine Vettern, die den Oberbefehl gleich den Konsuln nur für die Dauer der anstehenden Feldzüge innehatten) und einem ›subsidiären‹ Moment der militärischen Organisation der Generalstaaten erschlossen, ihre Feldherrntätigkeit. Die Rezeption Polybios’ und dessen Mischverfassungstheorie war kompatibel gleichermaßen mit ständischer, ›gemischter‹ Politik und einer Herrschaftslehre, die sich auf List stützte. Beides gehörte zum militärisch-politischen Selbstverständnis der Nassau-Oranier. Anfang 1577 schrieb Johann VI. von Nassau an Herzog Julius von Braunschweig, dass er im Sinne ständischer Interessen eine ablehnende Haltung gegenüber Machiavelli einnehme.2 Johann 1

2

Vgl. zur Stellung und Funktion der Stadthalter in den Generalstaaten Horst Lademacher: Die Stellung des Prinzen von Oranien als Statthalter in den Niederlanden von 1572 bis 1584. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Niederlande, Bonn 1958; – Die Statthalter und ihr Amt. Zu den Wechselfällen einer politischmilitärischen Fiktion. In: ders. (Hg.), Onder den Oranje boom, Textband: Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederländischer Kultur in den deutschen Territorein im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999, S. 43–72; Herbert H. Rowen: The Princes of Orange. The Stadtholders in the Dutch Republic, Cambridge 1988. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 164. Über Machiavelli und die Nassau-Oranier vgl. H. L. Zwitzer: Machiavelli, Maurits en Willejm Lodewijk:

188

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

VI. von Nassau hingegen merkt an, dass in Il Principe die »beste[n]

Stratagemata« zu finden seien.3 Die militärische Kultur von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann VII. von Nassau-Siegen wurde nicht zuletzt von dem militärwissenschaftlichen Kompendium DMR angeregt. Doch die Nassau-Oranier waren nicht nur pragmatische Exegeten Lipsianischer Militärtheorie. Sie – vornehmlich Wilhelm Ludwig von Nassau – betrieben auch eigenständige Forschungen und philologische Studien, die den Hintergrund für ihre praktischen Experimente bildeten. Sie ließen sich von praktischen militärischen Traditionen beeinflussen und tauschten sich mit den Humanisten der durch Wilhelm von Oranien 1575 gestifteten Universität Leiden aus.4 Die militärische Kultur dieser Generation der Nassau-Oranier, deren Militärtheorie und praktische Reformleistungen in den 1590er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, zollte ihren Tribut nicht zuletzt auch den Kompetenzen des in ihrer Armee engagierten europäischen Adels. Die rasche Umsetzung ihrer Konzeptionen der Heeresorganisation und Ausbildung verdankte sie schließlich dem subsidiär republikanischen Verfassungssystem der Niederlande, das es erlaubte, sowohl auf einen Kern stehender Truppen zurückzugreifen als auch den Offizierskorps zu vergrößern. Tatsächlich scheint der Moment, da die Nassau-Oranier mehrere Provinzen unter ihrem gemeinsamen Oberbefehl vereinigten, gleichsam den verfassungsgeschichtlichen Auftakt der in den 1590er Jahren einsetzenden taktisch-organisatorischen Reformen zu bilden. In den nördlichen Niederlanden konstituierte sich aufgrund des frühen Entwicklungsschubes zu Beginn der Neuzeit sowie der daraus hervorgegangenen eigentümlichen Mischstrukturen der frühneuzeitlichen Republik ein besonderer Typus der Modernisierung.5 Es ergab sich weder eine fortschreitende Ausweitung der modernen Sachverhalte, noch standen Altes und Neues, »Traditionales« und »Modernes« in einem permanenten Widerstreit, der zu einem neuen Stadium drängte.6 Ich will im Folgenden nicht nochmals auf die komplexen Zusammenhänge militärischer Reformprozesse in den Generalstaaten eingehen. Dies ist an anderer Stelle hinlänglich geschehen.7 Vielmehr soll die

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5

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tijdgenoten op afstand, Mededelingen van de Sectie Militaire Geschiedenis Landmachtstaf, 10 (1987), S. 5–17. StA Wolfenbüttel, 1 Alt 9 Nr. 203, zitiert in: Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 164. Insbesondere mit Justus Lipsius, Simon Stevin, der wie Lipsius von Petrus Ramus beeinflusst worden war, Johannes van Meurs, Van Reydt u. a. Schilling: Geschichte der nördlichen Niederlande und die Modernisierungstheorie, S. 514. Ebd., S. 515. Die jüngste Forschung zur oranischen Heeresreformen (vgl. Armamentaria.

4. Systematik

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militärisch-humanistische dynastische Kultur, die für die weitere Argumentationsführung bedeutsam werden wird, nachgezeichnet werden. Die holländischen Militärreformen und deren Zäsurcharakter wurden in erster Linie über die Quellen mit einem hohen Grad an Publizität interpretiert, denen darüber hinaus ein hohes Maß an Verwissenschaftlichung und Pragmatisierung, aber auch der Ideologisierung entnommen werden kann. Die Wapenhandelinghe von De Gheyn folgten nicht zuletzt einer Propagandastrategie. Tatsächlich lässt sich das Phänomen und die spektakuläre Wirkung bzw. der Modellcharakter der Reform dadurch erklären, dass es ihr gelang, sich in der Militärliteratur des 17. Jahrhunderts als eine konstanter Topos und eine systematische Bezugsgröße zu etablieren. Diese Publizität stach Historikern ins Auge, die damit den militärgeschichtlichen Zäsurcharakter der ›oranischen‹ Militärreformen betonten. Erst jüngere Studien haben den Blick ausgeweitet hin auf die strukturellen Gegebenheiten (Marjolein ’t Hart) respektive auf die spezifischen Kommunikationsprozesse innerhalb der militärischen, systemübergreifenden Eliten auf der Praxis-Ebene,8 die zu einer Relativierung der geistesgeschichtlichen Grundlagen der Militärreformen führten. Im Unterschied zu den spanischen Offizieren, waren die holländischen Offiziere in militärschriftstellerischer Hinsicht nicht sehr produktiv, wie Gonzale`s de Le´on bemerkt, so dass die holländische Militärtheorie im Grunde fast ausschließlich als dynastisches Phänomen wahrgenommen werden kann. Es liegen nur wenige geschlossene Darstellungen zur oranischen Heeresreform vor. Hervorzuheben sind der Sammelband von Marco van der Hoeven9 und die Studien Barry Harold Nickles10 und Jan Willem Wijns.11 Wijn hat die Bestände des Staatsarchivs Wiesbaden, die Bibliotheek Departement van Defensie, Kriejgsgeschiedkundig Archief van den Gen. Staf, die Koninklijke Bibliotheek, das Algemeen Rijksarchief und das Koninklijk Huisarchief ausgewertet. An gedruckten Quellen zieht er die Korrespondenz, die spanische Militärliteratur und einige Franzosen (Me´moire von La Noue, Tavannes) heran. Nickle arbeitete mit den Beständen des Algemeene Rijksarchief: Archief Staten Generaal, Archief Raad van State, Collectie Bogaers und gedruckten Tagebüchern, Me-

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9 10

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Jaarboek Legermuseum, 35 (2000), S. 23–31) vertritt unterschiedliche Positionen in Bezug auf den Zäsurcharakter innerhalb der Geschichte der Taktik als Kriegskunst (Roberts, Parker, Hahlweg, Zwitzer). Vgl. Cornelis M. Schulten: Contribution a` l’e´tude des termes militaires franc¸ais en ne´erlandais. 1567–1625, Den Haag 1966. Vgl. Van der Hoeven (Hg.): Exercise of Arms. Vgl. Barry H. Nickle: The Military Reforms of Prince Maurice of Orange, Ann Arbor, Michigan, Univ. Microfilms [19] 75, University of Delaware, Ph. Diss., 1975. Vgl. Jan Willem Wijn: Het krijgswezen in den tijd van Prins Maurits, Utrecht 1934.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

moiren, Militärliteraturen und Korrespondenzen.12 Das Journaal scheint im Unterschied beispielsweise zu den spanischen Offizieren, die in der militärisch-technischen Literatur sehr produktiv waren, die bevorzugte Gattung holländischer Offiziere gewesen zu sein.13 In der Darstellung des Rezeptionsgegenstandes gilt es sorgfältig mehrere Ebenen zu unterscheiden. Im Hinblick auf die Rezeptionskultur obsiegt jedoch das dynastische über das sozialgeschichtlich-strukturelle Moment. Folgende Reformprozesse sind durch die dynastische Kultur der Oranier beeinflusst worden: die oranische Kriegskunst, die oranische Militärtheorie und die Ausprägung eines niederländischen, philologisch-wissenschaftlich orientierten militärischen Späthumanismus, der an Francesco Robortello anknüpft. Die Wechselwirkung zwischen diesen Ebenen ist jeweils zu problematisieren. Ob es sich dabei – wie Delbrück, Oestreich und Hahlweg annehmen – um eine geschichtsfunktionale Theorie-Praxis-Relation und ein politisch-soziales System handelte, oder lediglich um Reform-Rhetorik, wie D. A. Parrott es nahelegt, das sind die zu hinterfragenden Thesen. Dass es zu einer spezifischen Rezeption der oranischen Heeresreform als theoretisch-pragmatischen Komplex kam, hat wiederum dynastische, diplomatische, ideologisch-konfessionelle, strategische und strategiepolitische Gründe; es ist daher die Perspektive der Vernetzungen auf dynastischem und vor allem intellektuellem Gebiet einzuführen. Die Aufnahme oranischer Kriegskunst und holländischer Militärreformen sind in Abhängigkeit von den spezifischen Rezeptionsbedingungen, Konstellationen und theoretisch-legitimatorischen Konfigurationen in Frankreich darzustellen. Man wird weniger den Import eines militärpolitischen Modells in Frankreich verfolgen können, als vielmehr die kulturellen Brüche in der dynastischen Kultur der Oranier und im Humanismus selbst. Wir haben die Darstellung der holländischen respektive oranischen Militärreformen daher im Folgenden auch nach drei Gesichtspunkten gegliedert: Die Militärtheorie der Nassau-Oranier, die sich wesentlich 12

13

Vgl. Nassau-Oranier: Archives ou correspondance ine´dite de la Maison d’OrangeNassau, Ser. 2, t. 1, t. 2: 1584–1625. Hg. v. Guillaume Groen van Prinsterer, Utrecht 1857 und 1858; – Receuil des Lettres Missives de Henri IV. Hg. v. Berger de Xivrey, Paris 1846–1848. Egbert Alting: Diarium van Egbert Alting. Hg. v. W.J. Formsa und R. van Roijen, Den Haag 1964; Anthonis Duyck, Journaal van Anthonis Duyck. Hg. v. Ludwig Mulder, 3 Bde., Den Haag 1862–1866; Splinter Helmich: Journaal van Splinter Helmich. Hg. v. R. Fruin, Historisch Genootschap te Utrecht, Deel 31, Utrecht 1875; – Arend van Dorp: Brievan en Onuitgegeven Stukken van Jonkheer Arend van Dorp, Heer van Maasdam, Historisch Genottschap te Utrecht, Nieuw Reeks, Delen 44 and 45. J. B. J. N. Ridder de van der Schueren, ed. Utrecht, 1887 und 1888.

4. Systematik

191

auf die Antikerezeption bezieht, die quellenbezogene Kriegskunst der Nassau-Oranier, in der die taktische Praxis mehr oder weniger modelltheoretisch erfasst ist, und die mit den holländischen militärischen Modernisierungsprozessen respektive Veränderungsprozessen im Zusammenhang stehende Publizistik. Dass wir uns bei der Darstellung der oranischen Heeresreformen wesentlich auf das dynastische und ideengeschichtliche Moment beziehen, liegt in den Ergebnissen, die die vorliegende Geschichte des kulturellen Transfers militärtheoretischer Inhalte gezeitigt hat, begründet. Bedeutsam für die Rezeptions- und Kulturtransferinhalte der französischen Militärtheorie des 17. Jahrhunderts sind weniger die Umgestaltungen in der militärischen Organisation der Generalstaaten, die durch die Nassau-Oranier angeregt oder befördert wurden. Vielmehr muss sich die Perspektive auf die Konfigurationen innerhalb der Gelehrtenrepublik und deren Deutungshoheit in militärwissenschaftlichen Fragen richten. Darüber hinaus gibt es eine Transferebene, die die experimentell-praktische Seite der Kriegskunst Moritz von Oraniens reflektiert.14 Die Motivation für die Abspaltung der Generalstaaten lag nicht im lipsianischen politischen Neustoizismus, sondern gründete u. a. auf der Traditon der Revolte in Flandern und Brabant.15 Die holländische Militärverfassung war keineswegs von den – für den bürokratischen Absolutismus typischen – Verwaltungsstrukturen eingefasst, sondern von einer heterogenen föderalistischen und oligarchischen Kultur, die in erster Linie gewährleistete, dass für die militärischen Operationen ausreichend finanzielle Mittel bereitstanden. Die dynastische Militärtheorie und Kriegskunst kann lediglich als ein Moment in Staatsbildungsprozessen angesehen werden. Dies trifft auch auf die Niederlande zu. Die ökonomische und zivile Verfassung fiel mit einer günstigen außenpolitischen, gesamteuropäischen Lage zusammen, die längerfristig die Abtrennung der nördlichen Niederlande von dem Herrschaftskomplex der Habsburger ermöglichte.

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In der Regel handelt es sich um Randbemerkungen zu dessen Experimenten mit der Targe bei Rohan, das Zitat der Rondaße bei Courbouzon. Eine weitere Perzeption der militärtheoretischen Performanz des Oraniers lediglich bei Machault. Bei Lenormant schließlich wird dessen militärisch-organisatorisches Geschick in den Vordergrund gerückt und mit dem spanischen Verfassungsmodell kontrastiert. Vgl. Wim B. Blockmans: Alternatives to monarchical centralisation. The great tradition of revolt in Flanders and Brabant. In: Helmut G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus Europa der frühen Neuzeit (Schriften des historischen Kollegs: Kolloquien; 11), München 1988, S. 145–154.

192

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

2. Die nassau-oranischen Militärreformen in den Niederlanden Versuchen wir die konzeptuell wesentlich durch Mitglieder der Dynastie der Nassau-Oranier gestalteten militärischen Reformen in der Republik der Vereinigten Niederlande zu fassen, ergibt sich folgendes Bild: Die ›Reformen‹ weisen einen militärgeschichtlich-systematischen, politischen und ökonomischen Aspekt (Verwaltung der Finanzen durch die Generalstaaten ermöglicht eine dauerhafte Disziplinierung) auf. Entgegen der Herrschaftslehre Justus Lipsius’ erfolgte jedoch keine Etablierung eines Gewaltmonopols in der Aufgabe ständischer Ordnung. Prägend war zum einen die wissenschaftliche-philologische und ›ästhetische‹ Dimension (Stevin, Lispius, De Gheyn, De Breen), zum anderen das dynastische Moment (Verbindung mit Nassau-Dillenburg, Gedankenaustausch zwischen Moritz von Oranien und Wilhelm Ludwig von Nassau16), über das Querverbindungen zu den militärischen Systemen Nassau-Dillenburg und das souveräne Fürstentum Sedan hergestellt werden können. Moritz war zwar Geeneral van ’t leger, unterschied sich jedoch von einem modernen Feldherrn erheblich, denn den eigentlichen Oberbefehl hatten die Generalstaaten. Die Position von Moritz, so Wijn, kann man am besten kennzeichnen als die eines taktischen und technischen Leiters der Operationen und eines militärischen Beraters der Generalstaaten.17 Auf die strukturell-organisatorischen Angelegenheiten hatte er folglich keinen unmittelbaren Einfluss, sondern hatte diese mit den Generalstaaten zu koordinieren. Anders verhielt es sich mit der taktischen Theorie der Schlachtordnung und den technischen Aspekten der Kriegsführung. So soll Wilhelm Ludwig von Nassau der Initiator der Reformen gewesen sein.18 16

17 18

Parker: The Military Revolution (1996): ›The Military Revolution revisited‹, S. 18: Der europäische Kontermarsch wurde erstmals durch Wilhelm Ludwig von Nassau in einem Brief an seinen Cousin Moritz vorgeschlagen (Groningen, 8. Dez. 1594). Der Graf, der gerade Aelians Beschreibung des römischen Drills gelesen hatte, war der Ansicht, dass sechs rotierende Reihen von Musketieren »could replicate the continuous hail of fire achieved by the javelin and sling-shot throwers of the Legions. In the event ten ranks were needed at first to maintain constant fire, but musketry volleys soon became the standard battle tactics of European armies.« (Den Haag, Koninklijke Huisarchief, MS. A22-IXE–79). Wijn: Krijgswezen, S. 532. Vgl. Aalders (De antieke oorsprong van de moderne exercitie) stützt sich auf: Z. R. Fruin: Tien jaren uit den Tachtigjarigen oorlog, ’s-Gravenhage 1906, S. 80; Wijn: Krijgswezen, S. 480; Werner Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, Schriften der kriegsgeschichtlichen Abteilung im historischen Seminar der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Hg. v. Walter Elze, Seminar-Reihe, Heft 31, Berlin 1941, 137 v.v.: »De geestelijke vader der ›Romeinsche exercities‹ en van andere hervormingen is misschien Jan van Nassau de Oude, de vader van Willem Lodwijk geweest (z. Wijn, p. 480 n.17). In denzelfden tijd als Willem Lodewijk en

4. Systematik

193

Das Militär in den Generalstaaten war nicht zentral organisiert.19 Das Gewaltmonopol war nur schwach ausgeprägt: Trotz der enormen Größe der holländischen Streitkräfte, erfolgte keine Militarisierung in den zentralen staatlichen Organen.20 Ämterkauf war durchaus anzutreffen. Vor allem in den französischen Regimentern der Armee war die Käuflichkeit gängige Praxis.21 Das Beispiel der Generalstaaten scheint tatsächlich eine Ausnahme im Hinblick auf die These zu bilden, dass eine hohe Frequenz von Kriegen und hohe Steuern die Hauptargumente in der Erklärung des Aufstiegs des absolutistischen Staates seien (M. ’t Hart). Die oranischen Heeresreformen bestachen durch ihre militärwissenschaftlich-systematische Breite. Die Franzosen nahmen sich nicht nur die Taktik, sondern auch die Poliorketik (Belagerungskunst) der Oranier zum Vorbild. So wird die kluge Taktik und die unfehlbaren Methoden der Poliorketik der Nassau-Oranier als Motivation für viele junge Adelige, so den achtzehnjährigen Sillery, Sohn des secre´taires d’Etat Puysieulx, genannt. Ihre Armeen waren die Schule in der viele gentilshommes ihre Jugend verbrachten, um in die ›kluge‹ Taktik und die unfehlbaren Methoden der Poliorketik der Nassau-Oranier eingeführt zu werden.22 Ieremie Perier zufolge war Ostende eine Akademie und eine sehr gute Schule für Gouverneure, capitaines, Soldaten, Ingenieure, Ärzte und Chirurgen.23 In militärgeschichtlich-systematischer Hinsicht kam es in folgenden Bereichen zu mehr oder weniger einschneidenden Veränderungen: Der Rekrutierung und Organisation, dem Strafrecht und der Disziplin (Ordonnanz), der Bezahlung, der Bewaffnung, der Artillerie und dem Brükkenwesen, dem Festungs- und Belagerungskrieg, den Kriegsgebräuchen, der Aufklärung (Informations- und Nachrichtendienst), dem Verpfle-

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Maurits is Willem Lodewijk’s broer Johan in Nassau in denzelfden geest werkzaam (z. Hahlweg, 21f.).« Vgl. ’t Hart: The Making of a Bourgeois State, S. 191f.: »It did not exclude semiprivate fleets, nor local regiment, like waargeldes, serving city magistrates rather than central commanders. Paymaster claimed a say in the management of the armed forces.« Ebd., S. 192. Ebd., S. 216. Vgl. Aff. Etr., Hollande, 19, f° 148. Lettre de Bouthillier recommandant a` Charnace´ le fils de l’ancien secre´taire d’Etat Puysieulx, le marquis de Sillery, qui, aˆge´ de 18 ans, va faire ses premie`res armes en Hollande, zitiert in: Jean de Pange: Charnace´ et l’alliance franco-hollandaise. 1633–1637, Paris 1905, S. 35. Ieremie Perier: Histoire remarquable et veritable de ce qui s’est passe´ par chacun iour au sie´ge de la ville d’Ostende, de part & d’autre iusques a` present. Contenant les assaults, allarmes, deffenses, inuentions de guerre, mines, contre-mines, & retranchement; combats des Galleres & rencontres Naualles, auec le portrait de la ville: Et ce qui s’est passe´ en l’isle de Cadsand & au siege de l’Escluse a` l’arriue´e du Comte Maurice, A Paris, chez Olivier de Varennes, M. DC. IV, s.p. BN 21166.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

gungs- und Zugwesen, der Marschordnung, der Lagerordnung, der Taktik der Infanterie, des Gefechts der verbundenen Waffen, hinsichtlich des Flussübergangs- und der Verteidigung und der Strategie. Wie bereits von Delbrück angesprochen und von Marjolein ’t Hart erneut aufgegriffen, standen hinter der Disziplin der Nassau-Oranier weniger die Theoreme der militärischen Komponente des Humanismus respektive die disziplinarischen Verfahren der Offiziere und Feldherrn, sondern vielmehr die politisch-organisatorische und ökonomischen Kapazitäten, die eine regelmäßige Finanzierung der Armee gewährleisteten. Die Ergebnisse der Rezeptionsgeschichte bestimmen wesentlich die Darstellung der oranischen respektive holländischen Militärreformen. Die holländischen Militärreformen wurden in den Rezeptionsgeschichten des 20. Jahrhunderts als dynastisch geprägter, theoretisch-pragmatischer Komplex rezipiert und kritisiert. Diese Einsicht legt in einem ersten Schritt ein Eingehen auf die jeweiligen militärtheoretischen Dispositionen und Texte der Nassau-Oranier sowie auf die praktische Umsetzung der rezipierten Theorien nahe. Die Veränderungen in der taktischen Praxis resultierten aus den taktisch-organisatorischen Reformen, welche wiederum in einer politischen Kultur respektive einem sozialen-wirtschaftlichen System wurzelten. Außerdem sind sie der gestalterischen Performanz militärischer Eliten zuzuschreiben. Was für die holländischen Militärreformen charakteristisch war, verraten die normativen und ideengeschichtlichen Texte: Sie vollzogen sich auf beiden Ebenen. Hinsichtlich der Performanz der militärischen Eliten rückt die jüngere Forschung jedoch davon ab, die Oranier als ausschließliche Gestalter der taktischen Reformen zu sehen. Sie betont die Einflussnahme diverser europäischer militärischer Eliten infolge der kosmopolitischen Zusammensetzung der Armee und deren dynastischer Vielfalt. Bereits Oestreich hat den Einfluss der Grafschaft Nassau-Dillenburg auf die Gestaltung der holländischen Kriegskunst herausgestellt und auf die Unterschiede in der ›Wehrtheorie‹ abgehoben.24 In der Militärgeschichtsschreibung, so bei Jähns und Hahlweg, die sich auf das theoretische Profil der Nassau-Oranier konzentriere, und Plathner, der aus der Schule Delbrücks stammt, treten dahingegen lediglich die beiden, bereits für die Zeitgenossen entscheidenden Faktoren militärischer Innovationen wie sie für den ordo der Armee entscheidend wurden, auf. Auf Anregung der Nassau-Oranier wurden seit 1596 von den Generalstaaten Verordnungen erlassen, die die Stärke der Kompanien sowie das Verhältnis der Waffen untereinander regelten. Johann hält diese Reformen fest. Das Fähnlein Fußvolk bestand aus 135 Köpfen, und zwar 24

Oestreich: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg, S. 135ff.

4. Systematik

195

mit den Soldbezügen wie folgt: Kapitän, Leutnant, Fähnrich, 2. Weibel, drei Rittmeister, zwei Trommelschläger, Musterschreiber, Feldscher, Profos, dreizehn Befehlshaber, fünfundvierzig lange Spieße, dreißig Musketen, vierundvierzig Schützen und drei Jungen. Bei der Reiterei gab es nur Kürassiere und Schützenreiter. Jede Fahne war 100 Pferde stark. Über die Bewaffnung wurden zuerst 1597 allgemeine Bestimmungen getroffen, die 1599 wiederholt wurden.25 Plathner zufolge ist bei den Angaben auffällig, wie klein die Kompanien beider Waffen waren, der Infanterie wie der Kavallerie. In den französischen Religionskriegen seien meistens 150 bis 200 Mann im Fähnlein, ebenso im spanischen Heere gewesen; während die deutschen außerordentlich stark waren.26 Die Problematik dieser organisatorisch-taktischen Neuerungen war jedoch der finanzielle Punkt. Lediglich ein soziales und politisches System, das eine solide dauerhafte Finanzierung zu leisten vermochte, konnte sich an diese taktisch-organisatorische Umgestaltung in kleinere Truppen mit einer Erhöhung der Zahl der Offiziere machen: so hat es mit dem Fußvolk eine ebenmäßige Meinung; sintemal hierbevor die Fählein 4– oder auch wohl 500 Mann stark gemacht wurden und das ganze Regiment vierkantig zu einem Trupp gestellt, auch keine Abteilungen unter den Fähnlein gewesen. Und wenn man Schlachtordnung machen wollen, hat man Hinz und Kunz und also einen jeden mit den Armen an seinen Ort führen und neben vielen Fluchen Schwehren und Schmeißen eine solche Schlachtordnung zu machen einen halben Tag, welches jetzt bei der neuen Art in einer Viertelstunde geschieht, zubringen müssen.27

Vor der Neuordnung war die Normalstärke in den Niederlanden auf 150 Mann anzusetzen – zur Hälfte aus Spießern, zur Hälfte aus Schützen bestehend. Der Grund für die Reduzierung ist nicht so sehr in der Knappheit auf dem Söldnermarkt zu suchen, als vielmehr in dem auf Qualität des Heeres gerichteten Streben der leitenden Persönlichkeiten. Dem entspricht auch der reichliche Sold, der durch seine Staffelung ein geordnetes Avancement möglich machte.28

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Der Generalstaaten der vereinigten niederländischen Provinzien Mandat und Ordnung, wie es mit Musterungen dero Kriegsvolk und damit dero Fahnen und Fendlein zu vollkommener Anzahl erhalten und allerhand Betrung und Vorteil so bishero darunter vorgeloffen verhütet bleiben, gehalten werden soll. Erneut publiziert den 4. Februar 1599. Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 43. Zitiert in: ebd., S. 44f. Vgl. ebd., S. 43.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

3. Die Militärtheorie von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann VII. von Nassau-Siegen Die Militärtheorie der Generation der Nassau-Oranier in den 1590er Jahren war gekennzeichnet durch die Rezeption v. a. griechisch-byzantinischer und römischer taktischer Methoden in Form humanistischer Kommentare und moderner humanistisch-militärwissenschaftlicher Kompendien; darüber hinaus regte insbesondere Wilhelm Ludwig weitere Forschungen der Philologen an. Zum theoretische Kern der oranischen Militärtheorie, die durch die Polybios-, Vegetius-Rezeption und die Rezeption byzantinischer Taktiker – insbesondere Wilhelm Ludwig von Nassau bevorzugte die leontische Taktik, Moritz von Oranien hingegen neigte zur polybianischen Taktik29 – gekennzeichnet war, trugen Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau und Johann von Nassau-Siegen bei. Sie selektierten zwar diese antiken taktischen Theorien im Hinblick auf die militärische Pragmatik; es gelang ihnen jedoch nicht, diese in ein militärtheoretisches oder militärwissenschaftliches System zu fassen. Die Genese dieser Militärtheorie ist gekennzeichnet durch intellektuell-dynastische Kooperation, eigenständige Quellenauslegung und den Austausch zwischen den Nassau-Oraniern und den niederländischen Humanisten wie Johannes van Meurs und God. Stewechius. Der friesische Stadthalter Wilhelm Ludwig diskutierte häufig die Infanterietaktik mit seinem Sekretär Everard van Reyd und einem seiner Offiziere Johan van den Kornput. Van den Kornput und van Reyd führten Wilhelm Ludwig in die griechischen, römischen und byzantinischen Schriftsteller wie Aelian, Vegetius und den Kaiser Leo VI. ein.30 Folgt man Delbrück, so sind die Grundlagen der Reformen vielfältig. 1575 hatte Wilhelm von Oranien der Stadt Leiden eine Universität gestiftet, an der er die bedeutenden Philologen der Zeit versammelte. Hier gab Justus Lipsius 1589 die Civilis doctrina mit dem Teil De militari prudentia heraus; schon nach Löwen übergewechselt, ließ er das Buch De militia Romana folgen.31 Wer mit den Truppen der Gegenwart die 29

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Vgl. Johannes van Meurs (Hg.): Tactica sive De instruendis aciebus; Graece et Latine. Quorum hic Graece primum opera Ioannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione Latina: ambo autme Notis et Animadversionibus illustriores in lucem exeunt. Accedunt Praeliorum aliquot Descriptiones, et nonnulla lia; additis Tabulis Aeneis, et Modesti libello de vocabulis militaribus. Faksimiledruck der Ausgabe Lugduni Batavorum apud Ludovicum Elzevirium anno MDCXIII. Mit einer Einführung von Werner Hahlweg, Osnabrück 1981. Vgl. H. L. Zwitzer: The Eigthy Years War. In: Van der Hoeven (Hg.), Exercise of Arms, S. 37; ebd., S. 38: »Pictures of the Battle near Nieuwpoort in 1600 show clearly how the Spanish still arranged their troops in solid blocks, while Maurits lined up his infrantry with a depth of only ten ranks.« GdKK, Bd. 4, S. 179.

4. Systematik

197

römische Kriegskunst zu verbinden verstände, verkündete er, der würde sich den Erdkreis untertan machen können.32 Ein bedeutender Moment für die Reformen war die Vereinigung des Oberbefehls in der Hand der Nassau-Oranier. 1590 übernahm Moritz zum Amt des Statthalters von Holland und Seeland noch das des Statthalters von Geldern, Utrecht und Oberyssel. Darum spricht man auch vom »Stufenjahr in der Geschichte der Infanterie«.33 Neben Moritz stand an der Spitze der Vereinigten Niederlande als Statthalter von Friesland sein Vetter Wilhelm Ludwig von Nassau und wurde, wie es scheint, fast mehr noch als jener von der Idee ergriffen, das Kriegswesen der Zeit nach dem Muster der Alten zu reformieren. In wechselseitiger Beeinflussung machten sich die beiden Fürsten nun also ans Werk:34 Wenn wir uns nun erinnern, wie schlecht die philosophischen Theoretiker des Altertums über das praktische Kriegswesen unterrichtet waren und wie im besonderen die Hauptstelle über die römische Manipular-Taktik bei Livius (VIII, 8) auf einem schweren Mißverständnis dieses ganz unmilitärischen Historikers beruht und bis in unsere Tage die Vorstellungen verwirrt hat, so liegt die Frage nahe, ob es überhaupt möglich war, dass die Kriegsmänner um die Wende des 16. und 17. Jh.s aus einer so wirren und verfälschten Überlieferung eine praktisch brauchbare und nützliche Belehrung geschöpft haben. Aber es ist tatsächlich möglich gewesen.35

Die hier angesprochene problematische Überlieferung der römischen Schlachtordnung sollte insbesondere in der theoretischen Rezeption des oranischen Reformwerks durch Gelehrte und durch Militärs ins Gewicht fallen, wie wir im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit genauer sehen werden. In diesem Zusammenhang muss auf die Vernetzungsleistung dieser, zwischen ca. 1590 und 1610 militärtheoretisch und militärisch-praktisch wirkenden Generation der Nassau-Oranier verwiesen werden. Schließlich widmeten sich die Nassau-Oranier nicht nur dem eigenen Studium antiker Taktik, sondern sie gaben auch die notwendigen Anregungen zur Forschung (Johannes van Meurs36), pragmatischen Umsetzung (Simon Stevin) und graphischen Erfassung und ›Kanonisierung‹ der Exerziermethoden (J. de Gheyn).37 32 33 34 35 36

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Ebd. Ebd. Ebd., S. 179f. Ebd., 180f. Leonis imp. Tactica, sive de Re militari liber, Joannes Meursius graece primus vulgavit et notas adjecti . [Modesti libellus de vocabulis rei militaris, ad Tacitum Augustum.], Lugduni Batavorum, impensis Elzevirii, 1612. – In–4°. BN R–6406 und RES-R–1453. Jacob de Gheyn: Maniement d’armes d’arqvebuses, mousqvetz. et picves en conformite de l’ordre de Monseigneur le Prince Maurice, Prince d’Orange, Comte de Nassau & Gouverneur et Capitain General de Geldres, Hollande, Zeelande, Utrecht, Overyssel & represente par figures, par Jaqcques de Gheyn. Ensemble les

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Im Folgenden stehen die Handschriften im Vordergrund, die die theoretischen Vorlieben der Oranier und deren Interpretationsansätze widerspiegeln. Wir gehen auf die taktische und strategische Theorie der Nassau-Oranier ein, d. h. den militärischen Humanismus in Form der militärtheoretischen Grundlagenforschung, an der die Oranier beteiligt waren. Obgleich hinsichtlich der militärischen dynastischen Kultur der Oranier eine enge Verbindung mit dem Humanismus festzuhalten ist, neigten die Nassau-Oranier divergierenden militärischen Praxisbereichen und den korrespondierenden militärtheoretischen Grundlagen zu. Wilhelm Ludwig und Johann VII.38 waren der Philologie und Geschichte zugetan, während Moritz sich stärker für die Mathematik interessierte. Ein Buch von Tamerlan,39 Xenophons Kyropädie und Caesars Kommentare soll Moritz von Oranien immer bei sich getragen haben.40 Daher bedingen die zu differenzierenden militärgeschichtlichen Theoriebildungsprozesse eine Erweiterung des Rezeptionsgegenstandes, der mit der militärgeschichtlichen Interpretation des oranischen Reformwerks hinsichtlich der Truppenausbildung und der Einführung des Disziplinbegriffs in Verbindung gebracht wird. De facto war die Kriegführung der Holländer nicht von Schlachten bestimmt. Es gab lediglich zwei Schlachten im Verlauf des ganzen Krieges, und beide Male, bei Tournhout sowie bei Nieuwpoort hat die Kavallerie auch ohne Speerreiter den Ausschlag gegeben. Bedeutsam für die Kriegsführung war die Flexibilität der Truppen. So sei es darauf angekommen, für die zahllosen kleinen Unternehmungen, die Überraschungen, Streifereien, Rekognoszierungen und dergleichen, leichtere Truppen zu haben.41 Neben theoretischen und pragmatischen Innovationen in der Schlachtentheorie, muss auch die Tradierung der in den 1570er Jahren in

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enseignements par escrit a` l’utilite´ de tous amateurs des armes, et aussi pour tous Capitaines & commandeurs, pour par cecy pouvoir plus facillement enseigner a leurs soldatz inexperimentez, l’eniter et parfait maniement dicelles armes imprime a` Amsterdam chez Robert de Baudous, avec Privilege de l’Empereur, du Roy de France, & des Nobles & Puißans Seigneurs Messeigneurs les Estatz generaulx des Provinces unies. On les vend aussi a` Amsterdam chez Jean Janßen. 1608. BN Re´s. Fol.-Z. Adler–21. Vgl. Kb, S. 11f.: Johann rät dem capitaine, Livius, Polybius, Plutarch, Appian, Dionem, Joseph, Leo, Xenophantes, Thucydides, Vegetius, Guicciardini, Tacitus, Aelianus, Lipsius, Commynes, die Me´moires des Martin du Bellay und Giulio Savorgnano zu lesen. Abre´ge´ de la vie de divers princes, par l’historiographe de Prusse Antoine Teissier, Amsterdam 1710, S. 50, zitiert in: Delabarre-Duparq: Potrait Militaire de Maurice de Nassau, Paris 1860, S. 34. Ebd. Vgl. Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 48. vgl. auch auch Nickel und van der Hoeven.

4. Systematik

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den Niederlanden entwickelten Methoden im Festungsbau42 und dessen wissenschaftstheoretisches und -geschichtliches Umfeld berücksichtigt werden. Die jüngere Forschung, die den Reformprozess zusehends im Rahmen des Achtzigjährigen Krieges deutet, zeichnet ein differenzierteres Bild der Reformer und deren divergierenden Kompetenzbereiche.43 Diese sind noch um deren Theorieaffinitäten zu ergänzen. Moritz von Oranien hatte an der Universität Leiden zwar Vorlesungen bei Lipsius gehört, doch sein bevorzugter Theoriebereich war die Mathematik und der korrespondierende Kompetenzbereich respektive militärische Praxisbereich der Festungs- und Belagerungskrieg. Moritz, der die lineare von Wilhelm Ludwig entwickelte Taktik aufgriff, studierte selbst vorwiegend den Festungskrieg und folgte dabei den Methoden der Mathematik.44 Die meisten der Spätwerke Simon Stevins, gesammelt in den Wisconstighe Gedaechtnisse (zwei Foliobände von 1605 und 1608), sind das Ergebnis seiner Kooperation mit Moritz von Oranien.45 A) Das Textcorpus: Militärtheorie, Kriegskunst und fehlende Ordnung des Wissens Die militärtheoretischen Quellen der holländischen Militärreformen beziehen sich zum Ersten auf die Schriften der Nassau-Oranier, die wesentlich in dem 1973 von W. Hahlweg herausgegebenen Kriegsbuch Johanns 42

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Vgl. Daniel: Histoire de la milice franc¸oise, Bd. 1, S. 433; Literatur jüngeren Datums: vgl. Mahinder S. Kingra: The Trace Italienne and the Military Revolution During the Eighty Years War. 1567–1648, The Journal of Military History, 57, 3 (1993), S. 438f.: Die in den 1570er Jahren vornehmlich durch Adriaan Anthonisz aus Kostengründen entworfenen Bastionen aus Erde orientierten sich zwar an dem aus Stein gebauten Stil der trace italienne, erwiesen sich jedoch hinsichtlich des Artilleriefeuers gegenüber letzteren als überlegen; J.P.C.M. van Hoof: Fortifications in the Netherlands. c. 1500–1940, Revue Internationale d’Histoire Militaire, 58 (1984), S. 99–101; vgl. Anne Blanchard: ›Inge´nieurs de sa majeste´ tre`s chre´tienne a` l’e´tranger‹ ou l’e´cole franc¸aise de fortifications, Revue d’histoire moderne et contemporaine, 20 (1973), S. 26: Blanchard verweist im Anschluss an J.-D. Buisseret darauf, dass französische Ingenieure unter anderem bei den Holländern in die Schule gingen. Vgl. Zwitzer: The Eighty Years War, S. 39. Zwitzer zufolge profilierte sich Moritz von Oranien in der Taktik des Belagerungskrieges hinsichtlich Verwendung von Ingenieuren und Pionieren, Logistik und erhöhte Marschgeschwindigkeit der Truppe. Vgl. Olaf van Nimwegen: Maurits van Nassau and Siege Warfare. 1590–1597. In: Van der Hoeven (Hg.): Exercise of Arms, S. 113. Zwitzer: The Eighty Years War, S. 38: »Maurits’ interest in mathematics drove him to master the art of siege warfare down to the minutest detail. For him every successful siege was comparable to having solved a complicated problem.« Dirk J. Struik: The Land of Stevin and Huygens. A Sketch of Science and Technology in the Dutch Republic during the Golden Century (Studies in the history of modern science, 7), Dordrecht-Boston-London 1981 [11958], S. 58.

200

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

VII. (des Mittleren) von Nassau46 versammelt sind und zum Zweiten auf

die für Konzeptualisierung und ›Normierung‹ der Reformen bedeutsame Literatur, wie die Schriften Stevins, Isselbourgs, Van Breens und die Kanonisierung betreffend: Wallhausen, an denen Moritz von Oranien stellenweise mitgewirkt hat. Das Kriegsbuch blieb bis zur HahlwegEdition47 unveröffentlicht und kommt daher für die Darstellung literarischer Rezeptionsformen nur bedingt in Betracht. Es kann jedoch nützlich sein als deskriptives und ideengeschichtliches Werk, das Einblick gibt in die Reformbemühungen und die ideengeschichtliche Struktur des Anteils der Nassau-Oranier an den holländischen Reformvorgängen, die beträchtlich waren. Die verschiedenen Arbeiten Graf Johanns VII. von Nassau-Siegen zur militärischen Organisation stellen kein in sich geschlossenes Überlieferungskorps dar; sie bezeugen vielmehr einen Forschungs- und Überlegungsprozess, der sich über die gesamte Regierungszeit des Grafen erstreckt zu haben scheint.48 Das Kriegsbuch gibt Aufschluss über die Antikerezeption, deren praktische Umsetzung durch die Nassau-Oranier, das experimentelle Stadium der taktischen Reformbestrebungen aber auch den Festungsbau und die Artillerie. Der Großteil der Artikel ist dem Festungs- und Belagerungskrieg und dessen materiellen Bedingungen gewidmet. In diesem gewissermaßen ›hermetischen‹, dynastisch verkapselten Geschichtskomplex gilt es auch die Korrespondenz der Nassau-Oranier heranzuziehen. Es setzt ein mit einem Lektürekanon (I), einer Systematik des Kriegswesens nach den Griechen, an die sich die Evolutiones aus Aelian anfügen. Es folgen die Marschordnung nach Aelian (IV), die Systematik aus dem Polybios-Kommentar Lipsius (V: Tabulae commentariorum Lipsii ad Polybium..)49, ein Text über die Kriegführung der Römer (Militia romana teutsch), die Rekrutierung der Römer, ein Compendium militiae modernae, die Kommandosprache Moritz von Oraniens auf Niederländisch; Musketiere (VIII), Doppelsöldner (IX), Karabiner (X), ein Ma46

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Bei der Edition Hahlwegs handelt es sich im Grunde um die zweite Ausgabe zumindest von Teilen des ›Kriegsbuches‹. Die erste Edition der unter dem Begriff ›Kriegsbuch‹ zusammengefassten militärwissenschaftlichen Schriften Johanns wurde 1947 von dem niederländischen Militärhistoriker Jan Willem Wijn vorgelegt: Kriejskundige aanteekeningen van Johan den Middelste van Nassau. Werken uitgegeven door het Historisch Genootschap gevestigd te Utrecht. Derde serie No. 76, Utrecht 1947. Werner Hahlweg (Hg.): Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 20), Wiesbaden 1973. Kleinschmidt: Tyrocinium, S. 104. Vgl. Kb, S. 10: ›Tafeln von Lipsy commentaria ad Polibium. Definitio militae ex Lipsio‹.

4. Systematik

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nual für Offiziere (XI); über Scharmützel; über Treffen (XXIII), Stratageme (XXIV). Daran schließen Abschnitte über die fruchtbare Antikerezeption der Oranier an: Descriptio pugnae Cannensis ex Polybio translata (XXV) und schließlich auf Französisch der Discours du Conte Guillaume sur la bataille de Cannes (XXVI), Ex Leone Imperatore (XXVII), Ex Leone imperatore. Vorschlag, wie man sich gegen reutherey in freihem Feld zu wehren (XXVIII). Insgesamt handelt es sich um eine heteroklite, Fragment gebliebene Abhandlung,50 in der die Momente der lipsianischen Militärtheorie – sei es in Form der Systematik, sei es in Form einzelner Topoi – und Momente der zeitgenössischen Kriegführung und der militärischen Ausbildung nebeneinander stehen. Die Militärtheorie Lipsius’ wurde von den Oraniern rezipiert. Diese Rezeption lässt sich rudimentär an der militärwissenschaftlichen Systematik, am Exerzierbegriff und an der römisch inspirierten Schlachtordnung festmachen. Hinsichtlich der epistemologischen Rationalität bewegt sich das Textcorpus der Oranier zwischen militärwissenschaftlichem Grundlagendiskurs, d. h. der Rezeption antiker taktischer Theorie und den auf dem Hintergrund der Kriegspraxis entstandenen Texten. Entsprechend dem Bestreben eine taktische Theorie für unterschiedliche taktische Situationen und Handlungen zu entwerfen, so gegen die Reiterei oder für den kleinen Krieg, lässt sich die oranische Taktik, wie sie sich im Kriegsbuch darstellt, nicht auf eine neue Grundlegung und Praxis der Treffentaktik reduzieren. Bezeugen die Oranier doch ein für ihre Zeit hohes Niveau der Akkulturation an den Humanismus, wobei sie gleichzeitig die Traditionen der Kriegskunst ihrer Zeit aufgreifen. In einem ersten Schritt kommt es darauf an, die infolge der Debatte der militärischen Revolution hervorgerufene Zentrierung auf die taktische Theorie aufzubrechen und den Blick auf die Breite der von den Nassau-Oraniern aufgegriffenen Themenbereiche zu schärfen. Die militärtheoretische Produktivität respektive das militärtheoretische Interesse dieser für die Ausbildung des ersten militärtheoretisch-oranischen Komplexes bedeutsamen Generation (Moritz, Johann, Wilhelm Ludwig), schlägt sich in einer Reihe von Abhandlungen respektive Fragmenten zur Poliorketik, zum Festungsbau und zur Pyrotechnie nieder. Diese lassen darauf schließen, dass der Krieg strukturell weniger mit Schlachtenoperationen und Feldzügen geführt wurde, sondern ein Ab-

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Vgl. auch Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 28–29: »Die Aufzeichnungen des Grafen Johann bilden also kein einheitliches Ganzes. Sie sind innerlich und äußerlich ungleichartig und ermangeln jedes Systems, stellen aber dennoch im einzelnen bedeutende Dokumente militärischen Denkens dar aus einer Zeit, die so fruchtbar im Hervorbringen neuer Gedanken war.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

nutzungskrieg war, in dem die Einnahme von Festungen eine entscheidende strategische Rolle spielte. Tatsächlich finden sich auch zahlreiche Abhandlungen zur Poliorketik, insbesondere durch Johann den Älteren. Diese Texte entstanden ab 1597: die Observationes,51 die Taktik, Fortifikation und Poliorketik in den Blick nehmen (Wiesbaden, K 971), die Annotationes, die sich auf die Anfänge der Taktik und der Reitertaktik beziehen, Etliche schöne Traktaten52 [Berlin, ms. Germ. Fol. 4; Bern; Bibl. Karlsruhe: Durlach 246, 251], die von der Poliorketik handeln und die zwischen 1597 und 1610 entstanden und Von Carthauenen; Instrumenten53, Nouvelle invention d’un canon54, La pyrotechnie militaire55 (Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden, K 325, 6) enthält ein Infanterie-Exerzierreglement von Johann von Nassau (Siegen, 10. Dezember 1608). K 923 und K 925 Ausführungen zur Infanterie-Taktik. K 923, 7 enthält Ausführungen Johanns von Nassau zu den Stratagemen. Eine Synthese aus Leo und Polybios wird in Annibal et Scipion (Den Haag 1675), dem einzig publizierten militärtheoretischen Text der Oranier angestrebt. Als einschneidende militärtheoretische Zäsur wird der Brief vom 8. Dez. 1594 von Wilhelm Ludwig von Nassau gehandelt,56 der die Taktik des Kaisers Leo VI. nahelegt. 51

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›Observartiones, welche mein gnediger Herr Graff Johan, der Jünger, annotiret hatt, als derselben ettlich underschiedlich mahll in den Niederlanden gewesen und graff Moritz von wegen der Herren Stathen etliche Stete und festung belaget wie auch eingenohmen, wobei unser genediger Herr selbsten in Persohn gewesen und uff alles, so notirens werth gewesen, vleißig achtung geben. Diese observations nunmehr unter gewiss titull gebracht, welches im Novbr. Anno 97 geschah.‹ Entspricht dem III. Band des sogenannten ›Kriegsbuches‹ (K 924), dieses muss bekannter gewesen sein, denn die Kriegswissenschaft des 17. Jahrhunderts spricht noch gelegentlich davon. ›Etliche schöne Traktaten von allerhandt Feuerwercken und deren künstlichen Zubereitung...Zusammengebracht durch Johannen den Eltern, Graven zu Nassaw, Catzelnbogen, Vianden und Diez, Herren zu Beilstein. Anno 1610. Vgl. auch Berner Kodex, der vollständiger ist. Von Carthauenen; Instrument pour tirer troict avec le Canon; Vom Beschießen (im Belagerungskriege); Von Mörseln, Feuerkugeln und Pfeilen; Munition und Geschütz, so die Herren Staaten 1598 angewendet; Vom Groben Geschütz und Beschießen. Nouvelle invention d’un canon du bois pour tirer tonneaux; Über Petarden; Instrument, mit welchem man etliche 100 Centner stein gewiß in ein ort werfen kann (ein altes Werfzeug). La pyrotechnie militaire (kurzer Aufsatz); Orlogsschiffen als schwimmende Minen (wie Gianibellis Antwerpener Höllenmaschinen) mit Zeichnungen: Forme d’horloge pour donner le feu au bateau sautant; Vom Groben Geschütz; Was von den Handwerkern alle Jahr könnte ins Zeughaus gesteuert werden; Über Schiffsbrükken. Vgl. Wilhelm Ludwig von Nassau an Moritz von Oranien, Groningen, 8. Dez. 1594. In: Archives ou Correspondence ine´dite de la Maison d’Orange-Nassau. Hg. v. Guillaume Groen van Prinstetet, Se´r. 2. t. 1, Utrecht 1857, S. 334–336; vgl. Geoffrey Parker.

4. Systematik

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Bereits die systematische Breite des Kriegsbuchs von Johann VII. verdeutlicht diesen Tatbestand. Auch das Verzeichnis der Handschriften und Bücher aus der Bibliothek der Nassau-Oranier (die sich heute in der Koninglijken Bibliotheek in Den Haag befinden) verdeutlichen, dass die Handschriften die systematische Breite der Kriegskunst und der Militärwissenschaft reflektieren. Die Handschriften von Moritz von Oranien beziehen sich auf den Festungsbau,57 die Lagerordnung,58 die Schlachtordnung,59 die Pyrotechnik60 und die Waffenhandhabung.61 Die heutige Wahrnehmung der oranischen Militärtheorie und Reformvorstellungen gründet wesentlich auf der 1973 als Quellensammlung unter dem Titel Kriegsbuch des Grafen Johann VII. von NassauSiegen (1561–1623) herausgegebenen Zusammenstellung von Handschriften durch W. Hahlweg.62 Im Vorwort der Herausgeber des Kriegsbuchs durch Georg W. Sante ist zu lesen: 57

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De conste van fortificatie. Beginn 17. Jh KB. 128 A 28; – Eenentwintigh verschyden manieren van fortificatien. Opgedragen aan Prins Maurits door Adriaen van Conflans, schilder. Greschreven van 25 Juni 1593 tot 20 Februari 1594. Met gekleurde afbeeldingen. (In den orgigineelen perkamenten band met goud, waarop het jaartal 1594) KB 128 A 27; – Bref discours sur la situation du chaˆteau et ville de Sedan et leurs fortifications ...soubs correction et meilleure intention de Son Exc., le prince Maurice de Nassau. Geteekend door Gregorius Schmer v. Elb. Ingenieur. Beginn 17. Jh. KB 75 D 2; und eine didaktische Schrift: Petit apendice d’aucunes figures ge´ometricques militaires avec un petit discours de la fortiffication pour l’instruction du soldat apprenti. – Petit traitte´ de la mesure des triangles plas ou rectilignes nomme´e Triconome´trie ge´ome´trique. 17. Jh. KB 28 A 13. Verschyde legerquartieren. Beginn 17. Jh. KB 128 A 20; Formen van logeeringen (soowel ten deel als int geheel) vant leger, met syn verclaringen. 17. Jh. KB 128 A 14. Diverse slachorden. 1605–1622. Beginn 17. Jh. KB 28 A 19; – Formen van slachorden (soo wel ten deel als int geheel) vant leger. Beginn 17. Jh. KB 128 A 18. ›Division des appareils de guerre.‹ Beginn d. 17. Jh. KB 128 A 11. Corte onderwijsinge voorden Schutten belangende t recht gebruyck des roers. Evenzoo van het ›Musquet‹ en ›vande Spiesen‹. Im Auftrag von Moritz, vor 1611; – Bericht wie die junge Schützen undt Musquetirer ihre Rohren undt Musqueten zu gebrauchen. Item wie gleichfals auch die Doppelsodner undt Carapiner zue Dillenbergh underwiesen undt angeführet werdenn; Ein Büchlein vor Kriegs uns Bevelchsleuthe. Beginn 17. Jh; – Cabinet d’escrime de l’espee et poingnardt, compose´ jadis par M. Peleguin, Capitaine et l’un des quatre premiers maistres d’escrime de France. 17. Jh. (+/– 1600). Door I. De la Haye opgedragen aan Maurits. Vgl. Georg W. Sante: Vorwort, in Kb, S. V: »Das Thema geht freilich weit über den Rahmen der nassauischen Landesgeschichte hinaus; es ist vielmehr ein Stück politischer und militärischer Geschichte Europas, das hiermit aufgegriffen werden mußte. Deshalb war es schwierig, einen geeigneten Bearbeiter zu finden. Zwar ist das Kriegsbuch der Oranier in den vergangenen Jahrzehnten von der Militärwissenschaft und von der Geschichtsforschung immer wieder benutzt worden, und über die Bedeutung dieses Werkes, das uns aus der Zeit der ausgehenden Renaissance überliefert worden ist, bestand niemals ein Zweifel. Jedoch fehlten zwei Voraussetzungen für ein nutzbringendes Studium des Kriegsbuches: eine Untersuchung über die Entstehung der verschiedenen Handschriften und ein zuverlässiger

204

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Das europäische Militär in allen seinen neuzeitlichen Prägungen verdankt den nassauischen Grafen neue geistige Grundlagen, die für die gesamte militärische Erziehung und Ausbildung bis in unsere Zeit fruchtbar geworden sind.63

Beabsichtigt war eine historisch-kritische Edition des Kriegsbuchs; dennoch wurden einige Handschriften, die bei Jähns genannt wurden, nicht aufgenommen; so die in der Staatsbibliothek zu Berlin befindlichen. Es gibt ein Dokument, das die Kapitel des ursprünglich als Einheit vorhandenen Kriegsbuchs aufzählt.64 Das von dem Militärhistoriker W. Hahlweg herausgegebene Kriegsbuch, stützt sich wesentlich auf die Bestände im Hessischen Staatsarchiv Wiesbaden, bezieht aber auch weitere, für den oranischen militärtheoretischen Komplex bedeutsame Quellen mit ein, wie zum Beispiel den Briefwechsel.65 Es präsentiert Auszüge aus dem Kriegsbuch von Friedrich Wilhelm von Baden und dem Kriegsbuch von Johann Jacobi von Wallhausen, das sich im Staatsarchiv zu Danzig befindet, sowie Dokumente aus dem Zusammenhang der Gründung der Kriegsschule von Siegen. Drei Autoren erleichtern wesentlich die Rekonstruktion der Militärtheorie der Nassau-Oranier hinsichtlich ihrer Quellen. Es handelt sich um M. Jähns, den Delbrück-Schüler L. Plathner66 und W. Hahlweg.67

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und allgemein zugänglicher Text. In dem seit der Berliner Studienzeit mit dem Stoff vertrauten Militärhistoriker der Universität Münster i. W., Prof. Dr. Werner Hahlweg, wurde schließlich der Gelehrte gefunden, dem die schwierige Aufgabe anvertraut wurde.« Kb, S. 5. ›Bericht, waß für capita in diesem gantzen discours begriffen, von welchem kurtzlich tractirt wirdt‹, HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 32–35, zitiert in: Kb, S. 4–11. So der insbesondere von G. Parker besondere Bedeutung beigemessene Brief von Wilhelm Ludwig von Nassau an Moritz von Oranien über das Exerzieren der Soldaten. Groningen, 8. Dez. 1594, Kb, S. 606–608, zitiert aus: Archives ou correspondance ine´dite de la Maison d’Orange-Nassau, Se´r. 1, t. 1, S. 355. Vgl. Ludwig Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule. Ein Beitrag zur Kenntnis des Kriegswesens um die Wende des 16. Jahrhunderts, Berlin 1913. Vgl. Winfried Schulze: Die Heeresreform der Oranier, ZHF, 1 (1974), S. 233f.: »Hahlweg wählte gegenüber der ersten Edition – deren Wert durchaus anerkennend – die zweite Fassung der Schriften aus, wie sie im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden in Abschriften vorhanden sind. Wegen der zeitlichen und sachlichen Beschränkung der ersten Fassung erscheint diese Auswahl als sinnvoll und der Entstehungsgeschichte der Schriften adäquat. Da diese keineswegs alle in der Wiesbadener Vorlage erhalten sind, handelt es sich bei Hahlwegs Edition zugleich um den Versuch einer Rekonstruktion des ›Kriegsbuchs‹, so wie es von seinem Verfasser ursprünglich geplant war. Hahlweg geht dabei so weit, fehlende Teile des ›Kriegsbuchs‹ durch andere authentische Texte auszufüllen. […] Damit steht das Problem der Auswahl und Begrenzung dieser Ausgabe zur Diskussion. Hahlweg beschränkt sich, wie er detailliert begründet, bei seiner Auswahl auf die militärwissenschaftlichen Schriften, d. h. die Arbeiten über Probleme militärischer Strategie, Taktik, Bewaffnung, Exerzieren usw. Damit fallen alle militärpolitischen

4. Systematik

205

Plathner stützt sich auf die Bestände der Staatsarchive zu Wiesbaden, Münster und Düsseldorf, bei denen es sich zum größten Teil um Bestände des Alten Dillenburger Archivs handelt, das sich in der Hauptsache in Wiesbaden befindet. Plathner zitiert die Stücke K. 923 des Alten Dillenburger Archivs als Kriegsbuch I und II, K 924 III, K 925 Collectanea. Hahlweg komponiert, die häufig undatierten Stücke, aus dem Staatsarchiv Wiesbaden, dem Koninklijken Huisarchief in den Haag, der Koninklijke Bibliotheek Den Haag, dem Generallandesarchiv Karlsruhe, dem Staatsarchiv Münster/Westfalen, der Staatsbibliothek Berlin und den Archives ge´ne´rales du Royaume Brüssel. Die Komposition der Stücke folgt dann oft seiner Sichtweise der oranischen Heeresreformen. So lässt er den Brief vom 8. Dez. 1594 mit einem Exerzierreglement aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts korrelieren. Bezüge, die hingegen auf andere militärische Traditionsstränge verweisen oder sich auf die unmittelbare Vergangenheit beziehen, blendet er aus. 68 Auch einzelnen von Hahlweg aufgenommenen Dokumenten ist zu entnehmen, dass es hinsichtlich des Exerzierens bereits eine etablierte Praxis gegeben hatte und die Oranier diese gewissermaßen theoretisch fundiert und mit taktischen Konzepten verbunden haben. Ein Blick auf die praktischen Ursprünge des Drills, des Exerzierens und die Rezeption der taktischen Theorie der Oranier zeigt, dass insbesondere die taktischen Theoreme keine unproblematische Rezeption erfahren haben. Genannt sei nur das Beispiel Rohans (vgl. infra), das zeigt, dass es einen Streit um zwei taktische Modelle gegeben hat und das griechisch-byzantinische Vorbild gänzlich fallen lässt; der Text aus der Bibliothe`que Mazarine, in dem zwei römische Modelle gleichwertig nebeneinander aufgeführt werden. Nicht zuletzt die taktische Synthese von Saumaise verweist darauf,

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Arbeiten, also die praktische Anordnung und Durchführung des Defensionswesens in Nassau-Dillenburg und in anderen befreundeten Territorien betreffenden Schriften fort und werden einer späteren Publikation zugewiesen. Der oben erwähnte ›Discurs‹ sowie auch eine Reihe der im Anhang veröffentlichten Dokumente zeigen jedoch die Problematik dieser Auswahl auf. In diesen Texten finden sich viele Bezüge, die in das Gebiet der praktischen Defensionspolitik hineinreichen und somit das getroffene Auswahlprinzip zumindest teilweise unterlaufen. Andererseits meint man in Johanns ›Verteidigungsbuch‹, wenn man seiner Untersuchung durch Gerhard Oestreich folgt [Gerhard Oestreich: Eine Kritik des deutschen Wehrwesens am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, NassA, 70 (1959), S. 227–236], einige Kapitel zu erkennen, die eigentlich in die vorliegende Edition gehört hätten. Es läßt sich daher – ohne die Vorteile der vorliegenden Auswahl abzuerkennen – die Frage stellen, ob eine stärkere Beschränkung etwa der waffentechnischen Probleme zugunsten der defensionspolitischen Abhandlungen nicht die von Hahlweg betonte ›Einheit des Ganzen‹ der Heeresreform stärker zum Ausdruck gebrächt hätte.« GdKW, Bd. 1, S. 474: ›Treuer Rath und Bedencken eines Alten Kriegsmanns‹ und Herzog Albrecht von Preußen (GdKW, Bd. 1, S. 481ff.).

206

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

dass ein offensichtliches Bedürfnis nach Klärung der militärtheoretischtaktischen Grundlagen vorhanden war. Ein Vergleich mit den bei L. Plathner und vor allem M. Jähns genannten Quellen zeigt, dass Hahlweg nicht nur in der Komposition nach seinem Gusto verfahren ist, sondern auch hinsichtlich der Selektion. Die Bestände von Bern, Karlsruhe und Marburg, die von Jähns genannt wurden, nimmt Hahlweg ebensowenig auf wie die der Staatsbibliothek zu Berlin. Sein Kriegsbuch ist daher kein Dokument, dass die Gesamtheit der oranischen Militärtheorie und Reformansätze widerspiegelt. Plathner hält fest: Einzig das Inhaltsverzeichnis sei erhalten, welches erkennen lässt, dass ein übersichtliches, wohlgeordnetes Werk vorhanden war. Es enthielt unter anderem Exkurse über die Schlachten von Tournout (um 1597) und Nieuwpoort (1600), über die Seeschlacht von 1588, die Belagerung von Ostende (1600–1603), den Anschlag auf Breda, die Schanze von Zytphen. Bei alledem sollte »fleißig darauf gemerkt werden, wo etwas geirrt worden wäre«. Auch ein ›Kartenbuch in folio‹ war dabei.69 Die Selektion und Anordnung der Quellen – W. Schulze hat moniert, dass neben den Problemen militärischer Strategie, Taktik, Bewaffnung, Exerzieren die relevante, vor allem militärpolitische Aspekte keinen Eingang gefunden haben70 – fördert die Konsolidierung der Sicht einer vornehmlich oranischen Heeresreform. Man muss auf die leisen Untertöne und die systematischen Einflüsse hören, um zu sehen, dass die oranischen Heeresreformen nicht ausschließlich eine militärtheoretische Schöpfung dreier Vertreter einer Dynastie aus den antiken Quellen sind, sondern beispielsweise hinsichtlich des Waffenexerzierens auf eine bereits etablierte Praxis zugreifen konnten. Noch D. A. Parrott greift die These W. Hahlwegs auf, dass die Reformer selbst ihre taktischen und organisatorischen Innovationen auf ein Studium der militärischen Methoden klassischer Autoren stützten, vor allem Flavius Vegetius Renatus, Aelian und den byzantinischen Kaiser Leo VI. Hierin sieht er den entscheidenden Anstoß für die Entwicklung linearer Taktik, kleinerer Einheiten, eine größere Betonung auf den Drill, die Übungen und die Disziplin gegeben.71 Gelang es Hahlweg mit seiner Habilitationsschrift den Einfluss der griechischen taktischen Theorie auf die Truppenausbildung nachzuweisen, so hat er diese beachtenswerte Syntheseleistung nicht auf die Breite der theoretischen antiken Bezüge, wie Polybios und die makedonische Taktik angewandt. Eine ideengeschichtliche Interpretation des Kriegsbuchs von Johann VII. und der durch Hahlweg zu69 70 71

Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 28. Vgl. Schulze: Die Heeresreform der Oranier, S. 234. Parrott: Richelieu’s Army, S. 25.

4. Systematik

207

sammengetragenen Texte, muss noch geleistet werden, nicht zuletzt um die Ansicht zu überholen, es habe sich bei den oranischen taktischen Reformen um ein dialektisches Verhältnis von Theorie, kritischem Verstand und Praxis gehandelt.72 Tatsächlich scheint die militärtheoretische Schichtung der Militärtheorie weitaus komplexer zu sein. Hahlweg gelingt es nicht deutlich zu machen, ob und auf welche Weise die Oranier tatsächlich die Taktik des Aelian respektive diejenige des Leo mit der aus Polybios entnommenen taktischen Theorie koordinierten bzw. fusionierten und daraus eine militärtheoretische und letztlich praktische Synthese herstellten. Analysiert man den theoretischen Grundlagendiskurs, so kommt man zu keinem zufriedenstellenden, eindeutigen Ergebnis. Die theoretisch wesentlich von Mitgliedern der Dynastie der Nassau-Oranier geprägten militärtheoretischen Vorstellungen markieren einen militärtheoretischen Bruch in dem Sinne, dass von nun an nicht mehr Vegetius als Quelle des Exerzierens und der taktischen Theorien herangezogen wurde, sondern der griechische Militärtheoretiker Aelian. Insbesondere die Rezeption der oranischen Methoden als auch die sich innerhalb des theoretisch-pragmatischen Komplex manifestierenden theoretischen Inkohärenzen respektive kritischen Prozesse, wie sie insbesondere in dem militärwissenschaftlichen Entwurf Johann Jacobi von Wallhausens auftreten, der zu keinem eindeutigen Bekenntnis zu Polybios gelangt, sondern an Vegetius festhält, zeigen, dass es in taktischer Hinsicht nicht zur »Lösung des Theorie-Praxis-Verhältnisses«73 gekommen war, wie Hahlweg behauptet und wie es auch in der Überbewertung des Wirkungscharakters der in dem Brief von 1594 dargestellten taktischen Theorie für die Folgegeschichte der Taktik durch G. Parker kam. Tatsächlich erfolgte in dem theoretisch-pragmatischen Komplex der holländischen Militärreformen der 1590er Jahre weder eine theoretische noch eine praktische Lösung, wie die Fortschreibung der Kritik zeigen wird. Die Interpretationen von Hahlweg und Parker verfahren selektiv mit den Quellen, da sie auf den Kontermarsch als entscheidende militärtheoretisch begründete taktische Innovation gerichtet sind. Parker zufolge wurde der europäische Kontermarsch erstmals von Wilhelm Ludwig von Nassau in dem Brief vom 8. Dez. 1594 an seinen Cousin Moritz von Oranien vorgeschlagen. Der Graf, der gerade Aelians Beschreibung des römischen Drills gelesen hatte, legte dar, dass sechs rotierende Musketiere den kontinuierlichen Feuerhagel der Speere und Steinschleuder72 73

Vor allem Werner Hahlweg deutet die Reform unter diesem Gesichtspunkt. Hahlweg: Vorwort zum Neudruck. In: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. X.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

werfer der Legion erwidern können. Im Falle waren zunächst zehn Ränge notwendig, um ein kontinuierliches Feuer zu gewährleisten, aber Musketiersalven entwickelten sich zur Standardtaktik der europäischen Armeen.74 Doch nicht nur die Beschränkung auf das Dokument, das den Kontermarsch darstellt, sondern auch die ihm nachfolgende ideengeschichtliche Einordnung erscheinen problematisch; der ideengeschichtlich revolutionäre Charakter, die Zentrierung auf ein konkretes Datum, an dem zwar ein Konzept niedergelegt wurde, das jedoch nichts über das Verhältnis des Konzepts zu anderen Dokumenten der Oranier und dessen ideen- und praxisgeschichtliche Kontextualisierung aussagt. Man kann die holländische Entdeckung der Salventechnik dem Brief vom 8. Dez. 1594 entnehmen, worin Wilhelm Ludwig behauptet, er habe die Idee aus dem intensiven Studium der militärischen Methoden der alten Römer abgeleitet.75 Die These, dass die sogenannte Erfindung des Salvenfeuers zu einer veränderten Taktik führte, wie sie G. Parker vertritt, erscheint problematisch: Der Brief, dessen Zäsurcharakter vielfach hervorgehoben wurde, weist vielmehr auf ein offenes Problem im Hinblick auf die Reitertaktik hin. In dem Dokument treten drei Bezugsquellen auf, die gegeneinander abgewogen werden müssen und mit später datierenden Quellen zusammengelesen werden sollten. Parallelisiert man die Gesamtheit der oranischen, vom antiken Modell inspirierten militärtheoretischen Grundlagenforschung mit der Praxis und mit den in der französischen Militärtheorie präferierten Rezeptionsmodellen, so zeigt sich, dass die Isolierung eines zwar revolutionären, gleichwohl aber isolierten Theorems und die Ableitung eines militärisch-revolutionären Vorgangs, wie dies von Parker und Roberts vorgenommen wurde, zu einer Überbewertung des revolutionären Charakters der Reformen führt. Nach der Quelleneinsicht und der Synopse mit den experimentelltaktischen Unternehmungen der Oranier kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass die Oranier keine tatsächlich in ein System gefasste Militärtheorie hinterließen. Es gelang ihnen noch noch nicht eine Synthese oder wissenschaftliche Systematisierung vorzunehmen und das gesamte antik-römische Modell zu erfassen, das, wie wir später sehen werden, für die militärwissenschaftliche Grundlegung durchaus als notwendig betrachtet wurde und dem sich Wallhausen in deutlicher Abgrenzung zu 74 75

Parker: The Military Revolution, S. 19. Ebd.: »We can date the Dutch discovery of the ›volley‹ technique very precisely it first appeared, in diagrammatic form, in a letter from William Louis to his cousin Maurice dated 8 December 1594 (plate 5), and the author asserted that he had derived the idea from an assiduous study of the military methods of the ancient Romans.«

4. Systematik

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Lipsius anzunehmen versuchte. Bezüglich der theoretischen Grundlagen der taktischen Theorien herrschte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts weder theoretisch noch praktisch Konsens. Die theoretisch-pragmatische auctoritas des oranischen Reformkomplexes war daher problematisch. Der oranisch-lipsianische taktische Komplex ist, wie die Geschichte eines Kulturtransfers zeigen wird, inkohärent. B) Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau und die philologische Kultur in den Niederlanden Justus Lipsius wurde hinsichtlich der militärwissenschaftlichen Didaktik und Systematik von den Nassau-Oraniern durchaus rezipiert. Entscheidende Momente der Antikerezeption, die nicht zuletzt die strategische Position der Oranier artikulieren, wie die Schlacht von Cannae, stützen sich jedoch nicht auf DMR von Justus Lipsius, sondern auf den Text des italienischen Humanisten Niccolo` Perotti (1429–1480), der im Auftrag von Papst Nikolaus V. Polybios’ Römische Geschichte aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt hatte, und auf dessen niederländische Übersetzung durch Everhard van Reydt. Schließlich muss hinsichtlich der taktischen Theorie die Verbindung von griechischer, byzantinischer und römischer Taktik erörtert werden. Daraus entstand keine Synthese, die eine Norm für die Truppenausbildung festsetzte. Im Hinblick auf die Taktik wurde kein normatives Schlachtenmodell konstituiert, das die Vorteile unterschiedlicher antiker und moderner Traditionsstränge in einer Synthese zusammenführte, sondern ein komprehensives und offenes Modell statuiert, das spezifische taktisch-theoretische und strategische Akzente setzte, die gleichermaßen von ideengeschichtlichen, strategischen und verfassungstheoretischen Gegebenheiten beeinflusst waren. a. Allgemeine Rezeption der modernen militärisch-humanistischen Literatur Johann VII. von Nassau, Wilhelm Ludwig von Nassau und Moritz von Oranien partizipierten an der Bewegung der militärtheoretischen Traditionsaneignung im Späthumanismus, sparten dabei jedoch vor allem die Verbindung des Polybios mit dem in Frankreich entwickelten Humanismus aus. Die Oranier rekurrierten zum einen auf die Geschichtswerke italienischer Humanisten, zum anderen finden sich systematische Einflüsse der Autoren, die mittels der Antikerezeption das römische Modell in militärwissenschaftlich-systematischer und pragmatischer Hinsicht erforschen und aktualisieren. Die Nassau-Oranier nennen als zeitgenössische Autoren, die über die Kriegskunst schreiben Francesco

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Patrizi (1529–1597), Justus Lipsius (1547–1606) und den Römer Giovanni Antonio Valtrino (1556–1601).76 Fernerhin bezogen sie sich in ihren Polybios-Kommentaren auf die Übersetzung der Historien des Polybios durch Perotti77, den Engländer Henry Savile (1549–1622),78 der neben Lipsius bei der Lagerbeschreibung in den erkündigungen über das römische kriegswesen herangezogen wird, Giulio Savorgnano,79 der hinsichtlich des Festungsbaus (Regole delle fortificationi del il[lustrissi]mo signore Tiulio Savorgnano) aufgegriffen wird und auch als systematische Folie für die Einteilung des Kriegswesens dient80 und Daniel Speckle als Modell der Festungsbaupraxis81. Am häufigsten ist jedoch Lipsius vertreten, der Francesco Patrizi und Giovanni Antonio Valtrino im Hinblick auf die militärwissenschaftliche auctoritas deutlich aussticht. Neben den für die Militärwissenschaft und Kriegskunst der Oranier bedeutsamen antiken Autoren82 Livius, Polybios, Plutarch, Appian, Dion, Josephus, Leo Imperator, Xenophon, Thukydides, Vegetius, Tacitus und Aelian figurieren Guicciardini,83 Lipsius, Philippe de Commynes,84 die Me´moiren von Martin Du Bellay und für das Fortifikationswesen Savorgnano85. Die Liste gliedert sich demnach in bedeutsame römische 76 77

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K 924, Bl. 83r, zitiert in: Kb, S. 17. Kb, S. 340: Descriptio pugnae Cannensis ex Polybio translata per Volradum Plesiu, iussu Comitis Guilelmi, per quam apparet interpretis Nicolai Pirotti Sipontini translationem contrariare con[sen]sui graeco: Niccolo` Perotti (1430–1480), italienischer Humanist, der 1473 die ersten fünf Bücher von dem Geschichtswerk des Polybius ins Lateinische übersetzte; vgl. GdKW, Bd. 1, S. 62. Kb, S. 61. Kb, S. 10, 12. Kb, S. 13. Vgl. in diesem Zusammenhang das für die Epoche grundlegende Werk über die Systematik des Kriegswesens von Mario Savorgnano, Graf von Belgrado: Arte militare terrestre e maritima; secondo la ragione e l’uso de piu valorosi capitani antichi e moderni, Venedig 1599, 164; dt. Übersetzung ›Kriegskunst zu Land und Wasser‹ von Neumayr von Ramsla (Frankfurt a. Main 1618), GdKW, Bd. 1, 579ff. Kb, S. 15. Kb, S. 11: »Wer sich in kriegshistorien brauchen will, welches, wan die praxis hernachmahls hinzu kommet, einen rechtschaffenen capitaine machet, derselb sol mit fleiß nachfolgende historicos lesen«. Vgl. in diesem Zusammenhang Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 28f. Histoire des guerres d’Italie. Advenues souz les re`gnes des rois Charles VIII, Louys XII et Franc¸ois I. Escrite en italien par Francesco Guicciardini, trad. par Hier. Chomedet. Dernie´re et… Paris 1612; La Historia d’Italia di M. Francesco Guicciardini … divisa in venti libri, riscontrata con tutti gli altri historici … per Tommaso Porcacchi …Venedig 1587. Les me´moires de messire Philippe de Commines ...sur les principaux faicts et gestes de Loys XI et Charles VIII ... deux e´pistres de Jean Sleidan, avec la vie de l’autheur ...tout reveu … sur l’e´dition de Denis Sauvage, s. l. 1596. Vgl. Arte militare terrestre e maritima; secondo la ragione et uso de’ piu’ valorosi capitani antichi et moderni. Gia` descritta e divisa in quattro libri dall’ Illustrissimo Signor Mario Savorgnano conte die Belgrado; per istruttione de’ Signori suoi Ne-

4. Systematik

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Historiker, griechisch-byzantinische Taktiker (Aelian, Leo VI.) und die jüngere Militärliteratur des 16. Jahrhunderts, die mit Guicciardini, Lipsius, Commynes, Du Bellay und Savorgnano umrissen ist. Die Buchkultur und die in den dynastischen Sammlungen befindlichen Handschriften, über die die Bibliotheksinventare der Oranier Auskunft geben,86 sind ein weiteres Indiz der militärischen Kultur Moritz von Oraniens. In Moritz’ Bibliothek befanden sich Ausgaben von Aelian und Leo: Aeliani De militaribus ordinibus instituendis more Graecorum liber (Venedig 1552), Aelian. De l’ordre et instruction des batailles. Trad. en franc¸ois par Nic. Wolkir (Paris 1536); Leonis imperatoris De bellico apparatu liber Joan. Checo Cantabrig. Interpr. (Basel 1554). Die Exemplare sind noch heute in der Koninklijken bibliotheek in Den Haag erhalten. Wilhelm Ludwig schrieb, er schätze den griechischen Kaiser so hoch, zumal er aus den alten Römern das kompiliert habe, was in der Moderne (nostre temps moderne) für die Ausbildung der Soldaten, das Exerzieren der Soldaten, die Bildung der Bataillone und die Aufstellung in Schlachtordnung hinlänglich sei.87 Der niederländische militärische Späthumanismus zeitigte neben dem Œuvre von Lipsius auch – und das in einigen Fällen auf Anregung der Nassau-Oranier – die Herausgabe antiker Taktiker, so des Leo (1612, 1613, 1745)88 und des Aelian (1613, 1633, 1644)89 durch Johannes van Meurs d. Ä. 1617 datiert schließlich eine Ausgabe des byzantini-

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poti, li conti Gieronimo, Giulio, Mario, Germanico, Marc’ Antonio et Hettore …Venedig 1614: Gemeint ist das vierte Buch des Werkes, S. 225 bis 256: Libro quarto, Nel quale si tratta di quell’ attione della militia, ch’intorno alle fortezze si essercita. A. A. Wiekart: De bibliotheek van prins Maurits/The Library of Maurice of Nassau. In: Jan Piet Puype, A. A. Wiekart (Hg.): Van Maurits naar Munster. Taktiek en triomf van het Staatse leger. From prince Maurice to the peace of Westphalia. Tactics and triumphs of the Dutch army. Catalogue of objects in the exhibition of the same name at the Army Museum Delft, and reconstruction of the library of Maurice of Nassau, Delft, Legermuseum, 1998, S. 17–52; Abraham v. Dohna: Mauricii Principis Catalogues. Abraham von Dohna. 1608 [24. April] Hagae, veröffentlicht durch Anton Chroust: Die Bibliothek des Prinzen Moritz von Oranien, Oud Holland, 15 (1897), S. 11–23. Brief des Grafen Wilhelm Ludwig v. Nassau an Prinz Moritz v. Oranien, 8. Dez. 1594. In: Hahlweg: Urkunde Nr. 6, S. 255: »comme de celuy, qui a recouili hors des anciens Romains ce que a nostre temps moderne est assez suffisant et necessaire pour exercer les soldats, former des bataillons et renger des batailles.« Johannes van Meurs (der Ältere): Leonis imp. Tactica sive De re militari liber. Ioannes Meursius graece primus vulgavit et notas diecit. Leiden. Neuauflagen: 1613, 1745. Claudii Aeliani Tactica sive De motionibus ac praeceptis militaribus ad formandas et transformandas acies necessariis liber singularis… Neuauflagen: 1633, 1644. Mit dem Ende des 17. Jh.s hörten die Textausgaben u. lat. Übersetzungen der Ailianos’eschen Taktik auf.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

schen Kaisers Konstantin VII. Porphyrogenitus (905–959), der durch Johannes van Meurs herausgegeben wurde90. Auch Vegetius wurde nicht vernachlässigt. Stewechius nahm sich der Ausgabe des Vegetius nach der Ausgabe von Franciscus Modius (1556–1597) an.91 Darin enthalten ist auch die taktische Theorie von Aelian und die Geschichte Polybios’ nach Janus Lascaris (1585, 1592).92 Das erste größere Werk von Pieter Schrijver (1576–1660) kompilierte die Scriptores rei militaris,93 ganz offensichtlich an die Tradition der Scriptores rei militaris (1495–1496), wie sie Beroaldo Filippo sammelte, anschließend. Diese besonders sorgfältige Ausgabe der ERM ist mit Kommentaren von Stewechius und Franciscus Modius versehen. Sie basiert auf einem neuen Gebrauch der Handschriften. Vegetius war besonders wichtig für die Errichtung der militärischen Disziplin (s. Buch V von DMR), wie im Traktat über die Castrametatio für Simon Stevin dargelegt wurde.94 90

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Constantinus VII, Porphyrogenitus, empereur byzantin, – Constantini porphyrogennetae imperatoris opera: in quibus Tactica nunc primu`m prodeunt/Ioannes Meursius collegit, coniunxit, edidit. – Lugduni Batavorum, ex officinaˆ Eleviriana, 1617. Ouvrage non illustre´, rassemblant les textes de l’empereur et e´crivain byzantin Constantin VII Porphyroge´ne`te (905–959). Fl. Vegetii Renati, … aliorumque aliquot veterum de Re militari libri. Accedunt Frontini Strategematibus ejusdem auctoris alia opuscula. Omnia emendatius, quaedam nunc primum edita a Petro Scriverio. Cum commentariis aut notis God. Stewechii et Fr. Modii, (Lugduni Batavorum), ex officina Plantiniana Raphelengii, 1606–1607. Der zweite Teil trägt einen eigenen Titel: ›Godeschalci Stewechii Commentarius ad Flavii Vegetii Renati de Re militari libros‹, avec, comme adresse, ›ex officina Plantiniana Raphelengii, 1606‹. Enthält darüber hinaus die Texte der vorhergehenden Ausgaben: ›De Castrametatione liber‹ von Hyginus; ›de Rebus bellicis liber‹, eines Anonymus; ›Leges militaires‹ von Ruffus, übersetzt von Löwenklau, genannt Leunclavius, ›de Quaeductibus Urbis Romae commentarius‹ von Frontinus; ›de Re agraria, id est, de Agrorum qualitatibus et eorumedem controversiis liber unus‹ von Frontinus mit einem Kommentar von Aggenus Urbicius; ›de Coloniis Italiae‹ von Frontinus mit Fragmenten von Balbus et al. Fl. Vegetii Renati, … De Re militari libri quatuor, post omnes omnium editiones, ope veterum librorum correcti a Godescalco Stewechio...Accesserunt Sex. Julii Frontini Strategematoˆn libri quatuor, in eodem Francisci Modii Notae et G. Stewechii Conjectanea. Aelianus de Instuendis aciebus. Modestus de Vocabulis rei militaris. Castrametatio Rom. Ex historiis Polybii latinitate donata a Jano Lascari, etc. Accessit seorsum ejusdem G. Stewechi in Fl. Vegetium Commentarius, Antverpiae, apud C. Plantinum, 1585. R. 6414; – 1592, Lugduni Batavorum, ex officina Plantiniana, apud F. Raphelengium. Veteres de re militari scriptores quotquot exstant, nunc primaˆ vice in unum redacti corpus. I. Flavii Vegetii Renati Institutorum rei militaris libri V. II. Sexti Julii Frontini Strategematum et Strategicon libri IV. III. Claudius Ælianus De instruendis aciebus … Accedunt I. Godescalci Stewechii notae in Sex. Julium Frontinum. III. Petri Scriverii in Fl. Vegetium et Sex. Julium Frontinum animadverssiones. Vesaliae Clivorum, ex officina Andreae ab Hoogenhuysen, 1670. Der erste Titel dieses Buches lautet: Fl. Vegetius Renatus et alli scriptores antiqui de re militari. Es fehlt in dieser editio princeps die Castrametatio des Pseudo-Hyginus. Jan H. Waszink: Lo Sviluppo della filologia nei paesi bassi del nord dalla morte di

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Im unmittelbaren Umkreis der Oranier ist die Rezeption der antikrömischen Militia zu nennen: sie rezipierten besonders die vergleichenden Studien zwischen altem und modernem Militär, darunter Justus Lipsius, Henry Savile, Giovanni Antonio Valtrino, Francesco Patrizi und Cesare Campana (1540–1606), wie der im Bibliothekskatalog befindlichen handschriftlich überlieferten Ghedenck-Schrift95 von Jan Witz entnommen werden kann.96 Die Nassau-Oranier haben mit der militärtheoretischen Zusammenführung römischer Geschichtsschreibung, der politisch-militärischen Schriften des Lipsius und der auch als historicos eingeordneten antiken Militärtheoretiker Aelian, Leo VI. und Vegetius den Rahmen abgesteckt, in dem sich eine Generation später auch die Militärtheoretiker des Späthumanismus bewegen werden. b. Die militärtheoretische Lipsius-Rezeption der Nassau-Oranier Im Kriegsbuch ist, wie bereits hervorgehoben wurde, unter den späthumanistischen Militärtheoretikerin der konzeptuelle Einfluss Lipsius’ am deutlichsten. Der Einfluss Lipsius’ auf die Oranier lässt sich sowohl über die Korrespondenz zwischen dem Leidener Humanisten und den Oraniern als auch über die Lipsiuszitate in der Militärtheorie der Oranier im Kriegsbuch festmachen respektive über neustoisch-ideolgische Tendenzen, wie sie beispielsweise in Annibal et Scipion. Ou les Grands Capitaines avec les ordres et plans de Batailles des Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau auftreten, das von Alain Claude de Mestre herausgegeben wurde.97 Die Nassau-Oranier haben sowohl die Politicorum libri sex als auch den Polybios-Kommentar (DMR) rezipiert. Wilhelm Ludwig von Nassau schrieb am 14. Jan. 1590 aus Leeuwarden an Lipsius in Leyden: »Politica tua non minorem fructum«.98 Von Moritz von Oranien kennen wir nur einen Brief, der sich im August 1584 an Lipsius richtete.99 Die

95 96

97 98 99

Erasmo fino alla morte dello Scaligero, Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa. Classe di Lettere e Filosofia, 8, 1 (1978), S. 131. KB Den Haag, Signatur unkenntlich. Ghedeck-Schrift inhoudende een cort begrijp van den Crijchshandel der Romeijnen, vergaedert onder de nieuwe, meest vuyt Lipsio, henrico Sauell, Valtrino, Patricio, Caesare Campana ende andere. Door I. W. (Jan Witz.) 17. Jh. KB 73 J oder I 21; – La milice romaine de Polybe, Tite-Live et Denys d’Halicarnasse … par Franc¸ois Patrice. Traduit d’Italien en Franc¸ois par Nathanae¨l Rhuez. Selon l’e´dition imprime´e a` Ferrare chez Dominique Mamarelli … 1583. 17. Jh. KB, 70 G 15. Den Haag, Jean & Daniel Steucker, 1675; 2e Ed.: Amsterdam 1768. BN FB–5043. Burman, Bd. 1, S. 331, n° 328. 29.8.1584, Moritz von Oranien (Leyde) an Lipsius: »Gratissimi mihi fuere melones tui«; Brit. Museum, ms. Add. 12096, f. 10–11.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Nassau-Oranier waren Leser der Politica, dennoch rezipierten sie vornehmlich das militärwissenschaftliche Kompendium De militia Romana. Das mag daran liegen, dass die Politica des Justus Lipsius’ mit der prudentia militaris einen detaillierten Plan für eine disziplinierte, stehende Armee, deren Unterhaltung (Logistik) einem zentral gelenkten Fürstenstaat zufällt, lieferte. In Buch V, Kapitel 6 der Politica geht Lipsius von den Kriegsursachen zu der Kriegführung und -vorbereitung, die sich auf Geld (pecunia), Nahrung (commeatus) und Waffen (arma) beziehen, über. Lipsius war im Entstehungszeitraum des Polybios-Kommentars mehr mit den spanischen militärisch-politischen Eliten verbunden, denn mit den Oraniern, von denen im Inventarium Aloı¨s Gerlo und Hendrik D. L. Vervliet (Inventaire de la correspondance de Juste Lipse. 1564–1606) lediglich zwei Briefe erwähnt werden.100 Wilhelm Ludwig von Nassau schrieb am 14. Januar 1590 an Lipsius und lobte dessen Politica.101 Zum engeren Kreis um Lipsius, dem contubernium, gehörte keiner der Nassau-Oranier. Moritz bemühte sich nach dem Weggang Lipsius’ um Scaliger. Dabei schienen militärwissenschaftliche Überlegungen jedoch nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben.102 Der Text, der über die Polybios-Rezeption des Wilhelm Ludwig von Nassau-Dillenburg Auskunft gibt, ist der erst posthum in Den Haag unter dem Titel Annibal et Scipion 1675 edierte und stark bearbeitete Kommentar zum Zweiten Punischen Krieg. Daran fügen sich die politischen und militärischen Annotationen, Diskurse und Anmerkungen des Grafen.103 Die darin enthalten Maximen zeigen den Einfluss neu100

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S. Zitat supra; 14.01.1590, Wilhelm Ludwig von Nassau (Leeuwarden) an Lipsius (Leiden): »Politica tua non minorem fructum.« O: ms. Lips. 4; i: Burman, Bd. 1, S. 450, n° 417. Wilhelm Ludwig von Nassau (Leeuwarden) an Lipsius (Leiden). In: Burman, Bd. 1, S. 450: »Clarissime Vir, Politica tua non minorem fructum, quam delectationem nobis attulerunt. Quamobrem pro munere istius exemplaris, quod ad nos ante tres menses misisti, multas tibi habemus gratias; neque tam lenti fuissemus in referendis, nisi absentibus & ignaris nobis tuae Leovardiam fuissent allatae; & statim a reditu nostre obortum gelu vias praeclusisset. Mitimus ergo jam tandem munusculum his inclusum, quod rogamus ut aequi consulas. Vale. Leovardiae XIV. Januarii A°. 1590. stilo vetere.« Joseph Scaliger: Lettres franc¸aises ine´dites de Joseph Scaliger. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Agen-Paris 1881, S. 389: Liste des lettres franc¸aises de Scaliger imprime´es avant 1879: A Son Excellence le Prince Maurice. De Preuilli en Tou` Burden filii Epiraine, le 20 Janvier 1592. (Illustrissimi Viri Josephi Julii Caes. A stolae, Leyde, 1627, p. 885–886) Wilhelm Ludwig von Nassau: Annibal et Scipion ou les grands capitaines, avec les ordres & plans de Batailles. Et les annotations, Discours & Remarques Politiques & Militaires de Mr. le comte G. L. de Nassau, &c. auxquelles on a adjouste´ un autre traitte´ de Remarques Politiques, A La Haye, chez Jean & Daniel Steucker, 1675. BN R 25353.

4. Systematik

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stoischer Geschichts- und Moralphilosophie: Es gäbe in der Welt nichts Beständigeres als die Unbeständigkeit.104 Man solle die römische Standfestigkeit (constance Romaine) imitieren.105 Die Nassau-Oranier griffen die militärwissenschaftliche Systematik Lipsius’ auf.106 In den 1590er Jahren haben die Nassau-Oranier unter dem Begriff der acies die Definition aus dem Polybios-Kommentar DMR rezipiert; dieses Lipsius-Zitat bezieht sich wesentlich auf die Befehlshaber und die Truppenteile,107 betrifft also DMR, IV, 8. Sie griffen neben Lipsius’ Definition der militia dessen militärwissenschaftliche Systematik aus DMR auf.108 Johann VII. von Nassau rezipierte dessen Definition römischer militia: Tafeln von Lipsy commentaria ad Polibium. Definitio militia ex Lipsio. P. Die Definition der Disziplin (disciplina) folgt Lipsius. So ist in Anlehnung an das V. Buch des Polybios-Kommentars, der den Ort (in castris) und die Teile der Disziplin differenziert, zu lesen: Disciplina partes sunt: Munia oder verrichtung, quae continent ministeria excubias circuitiones et alia in castris, seint die ersten wachten, ronden und dergleichen im feltleger./Exercitia, ubungen, welchs ist dreyerley, nemlich oneris von lasten gleich in agmine oder im vortzug des veltleger (bey welcher occasio das agmen oder zugordnung beschrieben wordt) oder operis von arbeit aut de reg[imine] armorum oder von den wapen. Leges oder Kriegßarticel, welche seint unterschiedlich, und werden beschrieben aus dem Polibio diejenigen, welche belangent furta, dibstal, stipendia, besoldung, praemia, vergeldung, poenas, straffe, missionem oder abdancken./Furs letzste wirt eine vergleichung gemacht zwischen der alten und der jetzigen militia oder krigshandlung.109

Die Oranier orientierten sich bei der Entwicklung ihres Exerzierbegriffs in einem ersten Schritt an der Definition des Justus Lipsius, wie dieser sie im Polybios-Kommentar niedergelegt hat. Die Übungen (exercitiis) gliederten die Oranier nach Lipsius in exercitia oneris, exercitia operis und 104

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Ebd., S. 1f. »Le monde n’a rien de plus constant que l’inconstance mesme. Les Couronnes & les Empires quelques redoutables qu’ils soient, ont leur revers. Dieu qui en dispense, leur trace des periodes, qu’ils ne peuvent outre-passer; & une re´volution ine´vitable les arrache bien souvant aux plus illustres entreprises. Des Estats au comble de leur bonheur ont trouve´ un fatal precipice, & les autres au bord de leur ruı¨ne se sont trace´ parmi les plus grands effrois, & les plus rudes obstacles le chemin, pour arriver au comble Souverain de leur prosperite´ & de leur gloire. Or dans ces changements divers, que fait cet ordre celeste, Dieu se sert le plus souvant de moyens si estranges, que nous les admirons sans les comprendre, estans pour nous des secrets, ou` la raison s’Abysme, & qui doivent servir d’une marque e´ternelle de sa prudence infinie & de sa toute puissance.« Ebd., S. 25: »Mais en imitant la constance Romaine, de faire de nouvelles leve´es, & d’engager de nouveau le Roy Syphax.« Kb, 34f., aus: ›Tafeln von Lipsy commentaria ad Polibium. Definitio militiae ex Lipsio‹. Ebd., S. 34. Original: HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 51. Ebd., S. 31–36. Ebd., S. 35: ursprüngliches Dokument: HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 49 r bis 52 v.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

exercitia armorum. Bedeutsam schien ihnen lediglich die Weiterentwicklung der Übungen in der Waffenhandhabung. Diese untergliederten sie in Individual- und Gruppenexerzieren, das Gruppenexerzieren in die Übungen in der Schlacht- oder Zugordnung und schließlich das Exerzieren außerhalb der Schlacht- oder Zugordnung. Hier mag die Idee der Einteilung der Übungen, des Disziplinbegriffs Naude´s, in eine Disziplin innerhalb und außerhalb der Verschanzung aufflackern. Das Gruppenexerzieren außerhalb der Schlacht- und Zugordnung untergliederte sich in das Laufen (decursio), das Spazieren (deambulatio), die Veränderung der Schlachtordnung (acierum mutationem) – diese Übung kommt nur bei Vegetius vor – und die Übung des eigentlichen Treffens (depugnatio), wie es nach dem Bericht von Livius P. Scipio Africanus praktizierte. Schließlich die Übungen, ›die die Schlachtordnung nicht berühren‹ wie Springen, Schwimmen und Lasttragen (ornerum portatio). In der individuellen Waffenübung folgten die Oranier Vegetius, der in Leicht- und Schwerbewaffnete unterscheidet. Auch die Reiter (saltatio) werden in diesem Zusammenhang behandelt.110 Auch den Exerzierbegriff rezipierten sie aus dem V. Buch von DMR.111 Johann von Nassau folgt im Kriegsbuch zwar der Systematik des Lipsianischen Exerzierbegriffs, der sich zunächst auf physische Anstrengungen und die Arbeit (wercke) bezieht, er selbst will jedoch ausschließlich von den Waffenübungen (exercitiis armorum) handeln: Lipsius teilt das römische Exerzieren (die römischen Kriegsübungen) in exercitia oneris, operis et armorum: in übungen der last, der wercken und der wafen. Ich aber will die zwey ersten, welche ich nicht vor übungen, sondern vor wercke selbst halte, hierauß lassen [...] und allein von den exercitiis armorum, den übungen der waffen, reden.112

Diese Waffenübungen unterteilt er in Einzel- und Gruppenexerzieren. Das Gruppenexerzieren kennt wiederum eine Untergliederung: Übungen in der Schlacht- oder Zugordnung und Übungen außerhalb dieser.113 Die Oranier haben in ihrer Rezeption von DMR IV 8 unter dem Begriff der acies (Schlachtordnung) die Definition von Lipsius aufgegriffen, die sich auf die Vorgesetzten, die Truppenteile bezieht und die Legende der bildlichen Darstellung zu sein scheint.114 An anderer Stelle haben wir bereits bemerkt, dass die Kommandosprache des Aelian a posteriori zu der militärgeschichtlich-systematischen Entwicklung des Waffenexerzierens der holländischen Truppen entwickelt wurde, ihr daher keine unmittelbar normative Funktion hin110 111 112 113 114

Ebd. Ebd., S. 36–86. Ebd., S. 46f. Ebd., S. 47. Ebd., S. 34. Original: HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 51.

4. Systematik

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sichtlich der taktischen Praxis des einzelnen Musketiers und Pikeniers zuzuschreiben ist. Die Einführung des römischen Modells ist gekoppelt an den Abschied von der adeligen Herkunft und an die durch das Exerzieren ermöglichte machtpolitische Konsolidierung: Zudem so hat man nicht allein auß der erfahrung, dass keiner, wes standts derselbe auch sey, alß ein soldat geboren wirdt, sondern daselbige lernen unnd (sic) selbsten erfaren muss, zugeschweigen dass solche obgemelte exercitia von unsern vorfahren, den Romern, welche deßwegen großen fleiß angewendet unnd durch solche mittel, wie solches die historien außweisen, mit Gottes hilf fast die gantze welt unter iren gewalt gebracht.115

Die Systematik des Polybios-Kommentars wird insbesondere im Kriegsbuch von Johann VII. aufgenommen. Sollte Aelian der Gewährsmann für das griechische Kriegswesen sein, so hielt sich Graf Johann für seine Abhandlung über das römische Kriegswesen wesentlich an die Militia romana des Lipsius. Ludwig Plathner zufolge war seine Arbeit ein deutscher Auszug aus dem umfangreichen lateinischen Werk, wenngleich vereinzelt eigene Meinungen vertreten werden.116 Es bleibt jedoch einzuwenden, dass, wenn Lipsius auch theoretisch Aufnahme findet, das Kriegsbuch Johanns VII. insgesamt als theoretisches Corpus einer eigenständigen militärtheoretischen Systematik folgt, die sich nicht in den militärtheoretischen Polybios-Kommentar einschreibt. Der Praktiker Johann wählt eine andere Systematik, die den Polybios-Kommentar Lipsius’ lediglich als didaktischen Exkurs integriert. Es werden die römische Taktik (Moritz), die griechische Taktik, Elemente der Poliorketik, Exkurse zum Festungs- und Belagerungskrieg und des römischen moralphilosophischen Diskurses kompiliert, so dass ein Kompendium über den theoretisch-praktischen Komplex der holländischen Militärreformen vorliegt. Hinsichtlich der Systematik respektive der theoretischen Grundlagen wird sowohl auf den LipsiusKommentar rekurriert als auch auf die Systematik der griechischen Militärtheorie. Die Griechen unterteilten die Kriegskunst in Strategie, Taktik und Poliorketik (Stratagetica, tactica et poliorcetica). Die Strategie, die lediglich in den Stratagemen Frontinus und den Stratagemen von Polyaen als auch vereinzelt in der Historiographie auftritt, lehrte die Pflichten des Generalkapitäns. Zu den Taktikern sind Aelian, der am vollkommensten (»le plus parfaictement«) davon handelt, Maurikios, Onasander und Kaiser Leo zu zählen. Was die Poliorketik betrifft, so gibt es keinen antiken Autor. Zu den modernen Autoren, die sich offensichtlich – wie auch später bei Naude´ anklingen wird – in ihrer Systematik vom antiken Modell absetzten, zählen Francesco Patrizi, Justus Lipsius und Valturin Romanus. 115 116

Ebd., S. 310. Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 32.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Die Rolle der Rezeption antiker Schriftsteller ist in quantitativer Hinsicht relativ. 9, 4 % des Textes bewegen sich im Rahmen des humanistischen Diskurses. 90, 6 % des Textes hingegen sind von greifbaren militärisch-praktischen Bedürfnissen der Gegenwart der Nassau-Oranier inspiriert und stehen ohne Bezüge zum humanistischen Diskurs und antiken Modellen. So sind bereits in der Kompilation der Schriften Johann dem Mittleren von Nassau-Oranien117 durch Johann Moritz von Nassau-Siegen Inhalte von DMR Lipsius’ aufgenommen (fol. 46) wie den der Lagerordnung. Die Treffentaktik ist römisch und gliedert sich in drei Reihen. Vor den drei Reihen stehen die Velites, gefolgt von Principes, Hastati und Triarii. Zwischen der Reihe der Hastati und der Triarii steht der Imperator. Die Infanterie wird an der Seite von der Reiterei eingerahmt. Es handelt sich um das römische Modell nach Lipsius, der wesentlich Polybios, aber auch Vegetius aufgreift. Es findet sich darin aber auch noch eine zweite römische Schlachtordnung (2. Bataillon der Römer. Wan Reutterey¨ zwischen die Triarios gestelt worden). Beibehalten wird die Dreiteilung in Principes, Hastaten und Triarier. Im Unterschied zur vorhergehenden Schlachtordnung erfolgt eine Unterteilung in drei Blöcke – einen unbenannten mittleren Block und zwei Seitenblöcke, genannt linkes und rechtes Horn. Beibehalten wird allerdings die Einfassung durch Reiter auf der rechten und linken Seite. Zum Rezeptionsgegenstand wurde die Realisierung der Lagerordnung des Polybios in der Fassung von Lipsius durch holländische Offiziere, wie sie von Simon Stevin festgehalten wurde. Die pragmatische Interpretation durchläuft demnach mehrere Stufen. Zunächst die Selektion eines bestimmten antiken Modells, dann die Umsetzung in die Praxis, schließlich die Diskussionsprozesse, an denen die Offiziere (die anonym bleiben) beteiligt sind, und schließlich die Niederschrift eines sich von der humanistischen Vorlage abhebenden ›pragmatischen‹ Modells durch Simon Stevin. Die Lagerordnung von Justus Lipsius stellte die theoretische Matrix für die praktizierte Lagerordnung von Moritz von Oranien und Stevin. Lipsius platziert die Tribunen in die Nähe des Praetorum. Er nennt die Front des Lagers die Seite, auf der sich das dekumanische Tor (porte 117

Ms. Germ. Fol. 3, Von der alten Perser, Griechen und Römer Kriegführung, welche weiland der hoch und wolgeborene Grave, Herr Johann der Mitler, Grave von Nassau, Catehenellenbogen, Vianden und Dietz aus den vornehmsten griechischen und lateinischen Skribenten zusammengetragen anno 1597. Nach oben genannten Grfl. Gnaden tötlichen Hintritt durch den hoch und wolgeborenen Graven, Herrn Johann Mauritium, Graven zu Nassau usw. in eine richtige Ordnung in diesem Buch zusammentragen lassen. 1627.

4. Systematik

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de´cumane) befindet und legt fest, dass dieses Tor am nächsten an den Feinden ist. Das Modell der Lagerordnung, wie es in Simon Stevins Darstellung nachzuvollziehen ist, wird in zweifacher Hinsicht entwikkelt. Das eine stellt das Lager der Römer in »maniere accomplie«, ergo einen auf philologischer Kritik basierenden Idealtyp dar. Das zweite Modell reflektiert die historische Praxis um 1600 in der Armee der Generalstaaten, dessen Form von den zeitsymptomatischen Faktoren Geld und Umstände abhängig ist. Die Lagerordnung ist in zwei Arten unterteilt. Die erste bezieht sich auf die Methode der Generalstaaten, nach deren Mitteln und anderen Umständen. Die zweite stellt die vollkommene Methode/perfekte Art der Römer dar.118 Verbunden sind beide Modelle über die Personen Stevin, Moritz von Oranien und die mündlichen Austauschvorgänge innerhalb der Armee zwischen Offizieren und General. Insbesondere die Person Moritz von Oraniens ist ein Bindeglied zwischen beiden Modellstrukturen.119 Besondere Reputation errangen die Niederländer ob ihrer Lagerordnung.120 Die Lagerordnung von Simon Stevin wird anhand mehrerer Bildquellen erläutert. Die erste Bildquelle folgt dem Polybios-Kommentar von Justus Lipsius. Doch zunächst zu den philologischen Ursprüngen und der ideengeschichtlichen Anlehnung an das römische Vorbild. Drei Motive bedingen die Wahl des Idealtyps: Die Idee des Maßes (die zu imitieren ist) und die Idee der Perfektion, gebunden an die geschichtlichen Faktoren des unter machtpolitischen Gesichtspunkten gewerteten zivilisatorischen Standes Roms. Dieses römische Modell ist ein inte118

119 120

Simon Stevin: Les œuvres mathematiques de Simon Stevin, Leiden, Elsevier, 1634, S. 574: »Ceste Castrametation sera de deux sortes: La premiere de la maniere dont on a use´ e´s Camps des Tres-puissants Seigneurs, Messeigneurs des Estats, selon que requirent leurs moyens & autres circonstances […] La deuxiesme de la maniere accomplie, comme les Romains, estans tres grands & puissants, ont jadis loge´.« Vgl. ebd., S. 575. Erik Spans: Legerkampen op zeventiende-eeuwse schilderijen: beeld en werkelijkheid. In: Michel P. van Maarseveen, Jos W. L. Hilkhuijsen, Jacques Dane (Hg.), Beelden van een strijd. Oorlog en kunst vo´o´r de Vrede van Munster. 1621–1648: tentoonstelling, Stedelijk museum Het Prinsenhof te Delft, van 14 maart t/m 14 juni 1998, Delft 1998, S. 169: »het leger van de Republiek bestond uit granizoenene (die in steden en vestingen gelegerd waren) en het veldleger (ook wel: ›leger te velde‹). Die activiteiten van dit veldleger waren seizongebonden. Vooraftaand aan de zomercampagne werde de troepen in e´e´n groot legerkamp geconcentreerd. Een deel van de compangieen was uit garnizoenssteden afcomstig en wird gedurende de zomermaanden vrijgemaakt voor deelname aan het veldleger. Andere eenheden werden speciaal voor de zomer-campagne aangeworven. In der Abhandlung Architectura Militaris (1630) des Theoretikers A. Freitag werden drei Arten von legerplaatsen unterschieden: 1. ein Lager, das nur für kurze Dauer errichtet wird (Castra temporanea); 2. Ein Lager, das anlässlich der Belagerung von einer Stadt oder Festung eingerichtet wird (Castra strataria) und 3. Ein verschanste legerplaats voor het veldleger (Castra sustentatoria).«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

graler Bestandteil für ein generelles Modell. In der Definition (de´finition) oder Beschreibung (description) – Stevin entscheidet sich nicht eindeutig zwischen diesen beiden Begriffen – zielt Stevin auf die »forme de loger en general, avec la forme du Camp des Romains.« Die Imitation der römischen Praxis bezieht sich auf die Messung, das Maß. Castrametation bedeute Abmessung des Lagers (mesurement du camp). Das ist gleichermaßen die idealtypische Reduktion eines vom römischen Modell inspirierten Modell-Lagers. In einem weiteren Schritt werden die philologischen Quellen diskutiert und selektiert, denn unterschiedliche Personen dächten sich diverse Ordonnanzen aus (»diverses personnes s’imaginent divers ordres [...] les uns mieux que les autres«121). Die Darstellung Xenophons, die die Praxis Cyrus’ beschreibt, wird als zu allgemein verworfen. Auch Tamerlan, der im Arabischen von Alhazan erläutert wird und von dem Geistlichen de Mortemer122 ins Französische übertragen wurde, komme nicht in Frage. Die Wahl fällt auf Polybios. Patrizi, der Herzog von Urbino, Robortello, Du Choul und Lipsius stützen sich auf Polybios, denn dieser habe die Lagerordnung der Römer deutlicher beschrieben, so dass unterschiedliche Autoren daraus Pläne erstellt haben.123 Nach dem ideengeschichtlichen Vergleich fällt die Wahl auf das Modell Lipsius’, das als Beispiel dienen solle.124 Der kritische Prozess der Modellkonstruktion führt von der Tradition, die den philologisch-historischen Forschungsstand der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts reflektiert, über die Selektion, über die ›Figur‹, d. h. die Form und die Wahl der Darstellung hin zum Exemplum. Daraus ist zu folgern, dass vor der Wahl des historischen Modells und vor der pragmatischen Modellkonstruktion, wie sie in einem nächsten Schritt erläutert werden wird, bereits eine bestimmte paradigmatische Vorstellung gegeben sein muss. Das römische Modell folgt folgenden Kriterien. Es umfasst eine gleiche Anzahl an Regimentern, die sich nicht in ihrer Form verändern und immer denselben Platz einnehmen. In einem Lager gibt es die gleiche 121 122

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Stevin: Les œuvres mathematiques, S. 574. Mortemer scheint in der ersten Hälfte des 17. Jh.s ein bekannter Militärschriftsteller gewesen zu sein. Auch Lenormant würdigt ihn eines Zitates, vgl. Rene´ Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice de France, S. 21: »Tamerlan Empereur des Tartares gardoit l’ordre de camper: Mais on ne peut par son histoire remarquer qu’elle estoit la forme, non plus que celle de Cyrus dernier: L’Abbe´ de Mortemer escrit qu’il campoit tousiours de mesme forme, ce que j’ay reprouue´ au chap. 23. art. 24. [Diskussion der Lagerordnung Simon Stevins]. Car il affloit necessairement que son camp fust quelquefois plus estendu, & autrefois plus reserre´ a` cause de la situation des lieux qui se trouuoit diuerse.« Stevin: Les œuvres mathematiques, S. 575. »Polybe descrit plus distinctement la Castrametation des Romains, tellement que divers Autheurs en ont tire´ des plans.« Ebd.: »I’ai choisi & marque´ la figure de Lipsius, pour servir d’exemple.«

4. Systematik

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Anzahl an Regimentern wie bei den Römern, die Infanterie- und Kavallerie-Regimenter nehmen immer dieselbe Form und dieselbe Platzgröße ein, die Pikeniere jeder Kompanie sollen in einer der beiden Reihen der Hütten untergebracht werden und die Musketiere in der anderen Reihe, und die Hütten nach der Ordnung, die die Soldaten in ihren Reihen einnehmen. Das Lager solle immer dieselbe Form haben.125 In der Gegenwart müssen jedoch aufgrund mangelnder Macht (puissance) und Entschlossenheit (resolution), die die Bewahrung vollständiger Regimenterzahlen gewährleistet und wie sie das römische Vorbild kennzeichnete, Abstriche gemacht werden. Es liegt daher lediglich eine formale Übereinstimmung hinsichtlich Zahl und Ausmessung (Maße des Platzes) mit dem polybianischen System vor. Es kommt darum zu einer inhaltlichen und pragmatischen Modifizierung der römischen Ordnung. Eine gute Regel könne gegenwärtig einen Vorzug vor einer vollendeten Ordnung haben.126 Zu den genannten Defiziten gesellen sich noch pragmatische Überlegungen, die eine Modifizierung des polybianischen Modells notwendig erscheinen lassen. Moritz von Oranien beabsichtigte das im PolybiosKommentar Justus-Lipsius’ vorgestellte Modell in die Praxis umzusetzen. Er teilte daher jedem Soldaten den in der Quelle genannten Platz zu. Diese Regel stieß auf die Kritik der Offiziere (colonels und capitaines), die feststellten, dass der dem Polybios-Kommentar entnommene Platz zu gering veranschlagt war. Die Erfahrung bestätigte sie in ihrer Einschätzung. Die Zelte oder Hütten (huttes) überließ Moritz von Oranien (zumal abhängig von Wetter und Jahreszeit) dem Urteil der Soldaten. Nicht nur in Bezug auf den Platz und die Architektur wurde das römische Modell pragmatisch modifiziert, sondern auch hinsichtlich der Form und damit inneren Struktur. Polybios – so Stevin – habe nicht die Unterteilung der Unterkunft in jedes Manipel oder enseigne beschrieben, sondern rede nur von Rechtecken (quadrangles). Moritz von Oranien habe es danach angeordnet, was ihm für die Kriegführung der Zeit erforderlich erschien.127

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Ebd., S. 580: »[...] en un camp, egal nombre de regimens, comme entre les Romains, SON EXCELLENCE ordonneroit les regimens de l’Infanterie & de la Cavallerie tousiours de mesme forme, & d’egale grandeur de place, logeant les Picquiers de chaque compagnie en l’une des deux files de huttes, les Mousquettaires en l’autre file, & les huttes selon l’ordre que les Soldats auroyent en leur files, donnant au Camp tousiours une mesme forme.« Ebd., S. 580: »s’ensuit que quelque bonne regle sur un ordre non accompli, peut avoir maintenant plus d’usage que sur un ordre accompli.« Ebd., S. 575: »Polybe ne descrivant pas la partition des logis en chaque manipule ou enseigne, ains parle seulement des quadrangles. SON EXCELLENCE en ordonna selon ce qu’il luy sembloit que la guerre de ce temps requerroit.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Ihre Studien betrachteten die Oranier selbst als einen kritisch offenen Prozess. Auch eine Handschrift, die sich im Legermuseum Delft befindet, verdeutlicht das Experimentierstadium der Nassau-Oranier.128 c. Wilhelm Ludwig von Nassau: Hannibal, Scipio und die Schlacht von Cannae – polybianisch-strategische Position und erste Intertextextualität Eine exponierte Rolle in der Polybios- und Livius-Rezeption spielt das Aufgreifen des Exemplums der Schlacht von Cannae. Die politischstrategische Theorie der Oranier lässt sich wesentlich an diesem kriegsgeschichtlichen Exemplum festmachen. Wilhelm Ludwig von Nassaus Cannae-Studie, die er in einem Brief vom 19. April 1595 an Moritz von Oranien129 niederlegt, fällt in diesen kritischen militärtheoretischen Zusammenhang, in die Auseinandersetzung Wilhelm Ludwigs mit der Textüberlieferung. Die lateinische Polybios-Übersetzung Perottis,130 so meint er, sei vollkommen widersprüchlich – sowohl dem Sinne des (griechischen) Textes nach als auch in sich selbst. Daher habe er sich eine neue Übersetzung der betreffenden Polybios-Stelle, Wort für Wort, von dem »Herrn Plesius«131 anfertigen und durch Everhard van Reyd132 und Regenmorter wiederholen lassen; auch Aelian habe er zur Textinterpretation herangezogen, dessen Kunstausdrücke allerdings, ebenso wie die Wichtigkeit seiner Sätze, von den anderen Gelehrten – das sei durch die Erfahrung erwiesen – nicht verstanden worden seien. Diese neue Übersetzung nun weise die richtige Spur. Er, Wilhelm Ludwig, sei sehr betrübt, dass er nicht »mit Seiner Exzellenz persönlich« zu dieser Stunde über die oben genannten Schwierigkeiten sprechen könne.133 Wilhelm Ludwig zieht Aelian zur Textinterpretation des Polybios heran, speziell zur Darstellung der Schlacht von Cannae. Diese ist im Kriegsbuch mit 128

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Vgl. ›Militaire Afbeeldingen, Logieringhe, Tochten ende Slachorden‹, Legermuseum Delft, HB/P 574. Vgl. Koninklijk Huisarchief Den Haag, Inv. 13, Archief Prins Maurits, Correspondentie, No XI A–27. Niccolo` Perotti (1430–1480), Bischof von Siponti, hatte 1473 erstmalig die ersten fünf Bücher Polybii Hist. in lateinischer Übersetzung herausgegeben; Papst Nikolaus V. hatte ihm die Übersetzung des Polybios aufgetragen. Descriptio pugnae Cannensis ex Polibio translata per Volradum Pelsium jussu Comitis Cuilelmi, per quam apparet interpretis Nicolaj Pirotti Sipontini translationem contrariare consensui graeco; die Übersetzung ist im Kriegsbuch des Markgrafen Georg Friedrich von Baden sowie im Kriegsbuch des Grafen Hohann von Nassau in Abschrift erhalten, Abdr. bei Hahlweg: Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe, S. 104ff. Everardt van Reyd, Everardus Reidanus (1550–1602), Rat (Sekretär) Wilhelm Ludwigs seit 1584. Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 239f.

4. Systematik

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insgesamt drei Texten vertreten: Descriptio pugnae Cannensis ex Polybio translata per Volradum Plesium, iussu Comitis Guilelmi (sic), per quam apparet interpretis Nicolai Pirotti Sipontini translationem contrariare con[sen]sui graeco.134 Dieser Text greift nicht auf die Lipsius- und Patrizikommentare zurück, sondern auf eine lateinische Ausgabe des Niccolo` Perotti.135 Ein weiterer Kommentar von Wilhelm Ludwig von Nassau ist in Georg Friedrich von Badens Kriegsbuch aufgenommen.136 Es handelt sich um den Discours du Comte Guillaume de Nassau sur la bataille de Cannes, der aber erst in der überarbeiteten Fassung in Annibal et Scipion (1675)137 abgedruckt wurde. In dem Discours du Comte Guillaume de Nassau sur la bataille de Cannes138 findet sich eine Polybios-Rezeption der Schlachtordnung. Wilhelm Ludwig hält sich an das Buch VI des Polybios. Die Legionen sind in vier aetates untergliedert, die Veliten, Principes, Hastaten und Triarier. Von denen wird jeder wiederum in zehn Einheiten unterteilt. Auf einen problematischen Diskussionszusammenhang weist folgende Stelle hin: Or donc, depuis qu’il est assez prouve´, que la simple ordonnance de l’arme´e Romaine a este´ de douze en profondeur, et que Polybe dit: Densiora quam antea signa ponens et faciens multiplicem profunditatem ordinum frontis. Densatur autem acies secundum Aelianum in duplicatione loco vel numer. Loco hic non opus fuit, sed numero quidem necessitas voluit.139

Auch im Kriegsbuch von Johann VII. wird die für Vegetius uncharakteristische chronologische Perspektive eingenommen, indem hier der Polybios-Kommentar Lipsius’ aufgegriffen wird.140 In der Antikerezeption der Oranier wird also die Einführung eines chronologischen Rasters sichtbar. Dieses findet sich in der Erkündigung, auf was weise die Römer ihre kriege geführet haben, die einen eigenständigen Abriss Johanns VII. darstellen.141 Bezeichnend für die Erkündigung ist, dass sie nicht nur die chronologische Perspektive mitberücksichtigt, sondern Lipsius korri134 135

136 137 138 139 140

141

K 923, II, Bl. 206 und 207, zitiert in Kb, S. 340–342. Polybii Megalopolitani Historiarum libri priores quinque, Nicolao Perotto Sipontino interprete … (Basel 1557), S. 313ff. Kriegsbuch Georg Friedrich von Baden, Nr. 64, Bl. 411, zitiert in: Kb, S. 342–347. Kb, S. 129–143. Abgedruckt in: ebd., S. 342ff. Ebd., S. 343. Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 33: »Das Werk ist in 5 Abschnitte geteilt: de delectu, de ordine, de armis, de acie, de disciplina. In jedem Abschnitt ist die historische Entwicklung berücksichtigt, und die einzelnen Perioden werden auseinandergehalten, während man früher, so lange Vegez allein die Theorie beherrscht hatte, keine Unterschiede gemacht hatte.« ›Militia romana oder erkündigung, auf was weise die Römer ihre kriege geführt haben‹, StAD, Kriegsbücher Wallhausens, VI, Bl. 27 bis 91. Abbildungen aus Ms. Germ. Fol. 3, Bl. 33r, 34v, 35r, 46r, 46v, zitiert in: Kb 36–86.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

giert. Während Lipsius annimmt, die Soldaten hätten ›auf allen Seiten der anderen Soldaten gelegen‹, meint Graf Johann, dass sie jeder bei dem zugehörigen Manipel geblieben seien. Diese Anschauung entspricht ganz der nassauischen Praxis, welche Schützen und Spießer immer eng verbunden hielt und auf die stete Bereitschaft der einzelnen Abteilungen achtete.142 Die Treffentaktik hält sich an das römisch-taktische Modell nach Polybios und verbindet es mit den griechisch-byzantinischen taktischen Quellen. Die theoretische Grundlage der acies lässt sich bei den Oraniern nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Die Nassau-Oranier ließen sich neben Polybios und Livius von Flavius Aelian (der Taktiker) und dem Byzantiner Leo III. (717–741), dem Isaurier anregen.143 Die Nassau-Oranier praktizierten um 1597 die Quincunxialstellung nach der Lipsianischen acies-Theorie. Johann VII., der erst 1592 auf den niederländischen Kriegsschauplatz gekommen war, erstellte während der Feldzüge von 1597, in denen Moritz die Spanier bei Turnhout zerstreute und Rheinbergen, Moers und die Plätze in Overyssel nahm, die Annotationes zur Taktik Oraniens, die die Anfänge der neuen Taktik dokumentieren.144 Deren Kennzeichen war eine Frontverbreiterung, die Verselbständigung der Schützen, die Verkleinerung der Einheiten, die flache Aufstellung derselben, aber eine Vertiefung der Schlachtordnung durch ein reich gegliedertes Treffen-System, eben die Quincunxstellung.145 Wurden mehrere Regimenter zu einer Schlachtordnung vereinigt, so blieben zwischen ihnen Gassen von Regimentsbreite, und die hinter den andern stehenden Regimenter wurden »uff den seiten« geordnet, damit die vorderen nicht in Unordnung gerieten »wann ihre Mitgesellen zu dem Streich kommen, wie auch ihre mitgesellen, so sie entsetzen sollen, Platz haben, neben ihnen zu fechten«146. Dies ist die schachbrettförmige Schlachtordnung Oraniens, welche offenbar dem Quincunx der Römer nachgebildet war und dieselben taktischen Zwecke verfolgte wie dieser.147 In diesem Punkt erwiesen sich die Oranier als die eigentlichen Adepten der 1595 publizierten Lipsianischen acies-Theorie. In der acies-Theorie stimmten sie mit Lipsius’ Ideal der Quincunxstellung überein. Dieser hatte, wie bereit dargestellt, in der Ablösung der Treffen durch Intervalle hindurch das ›Arkanum‹ der römischen Kriegskunst erkannt.148 142 143 144 145 146 147 148

Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 33. Chagniot: Guerre et socie´te´ a` l’e´poque moderne, S. 275. Vgl. GdKW, Bd. 1, S. 735. Ebd. Ebd. Ebd. Edmund Lammert: Polybios und die römische Taktik (Jahresbericht des Königl. Gymnasiums zu Leipzig), Leipzig 1889, S. 5.

4. Systematik

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So bleibt die Feststellung Roloffs, der nicht zu sagen vermochte, ob die Theorie oder die Praxis die Einsicht in die Unzulänglichkeit der herrschenden Taktik und damit den entscheidenden Ausschlag zu den Reformen gab.149 Folgt man der Interpretation Parkers, so waren die einschneidenden Veränderungen in der holländischen Taktik und Truppenausbildung vor der Rezeption der Publikation der taktischen Theorie des Justus Lipsius erfolgt. Er liest diese Aussage aus einem Zitat Van Duycks mit dem Publikationsdatum der Politica heraus.150 Die Herausgabe der Militia Romana erfolgte demnach nach der Übersiedlung Lipsius nach Löwen und nach den praktischen Reformen. Ob Lipsius die Oranier aber bezüglich der Praxis beeinflusst hat, ist noch nicht geklärt. Es erscheint uns daher notwendig, eingehender auf die praktisch-experimentelle Seite der oranischen Kriegskunst und die tatsächliche Grundlagendiskussion zu blicken, die in systematischer Hinsicht auf Lipsius rekurrierte. Dabei ist zu bemerken, dass die Oranier sich durchaus in einem ersten Schritt in systematischer und inhaltlicher Hinsicht an das römische Modell des Lipsius anlehnten, jedoch in einem weiteren Schritt über das lipsianische Modell hinausgingen, und zwar nicht ausschließlich in pragmatischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der humanistisch inspirierten militärwissenschaftlichen Grundlagenforschung. Die Hastaten waren in Manipule unterteilt, die durch Intervalle voneinander getrennt waren, die Principes »uff ebene maßen«, die Triarier ebenfalls. Die Veliten standen sowohl vorne als auch auf der Seite. Die Reiter (equites) standen ebenfalls auf den Seiten oder in den Wegen oder Intervallen. Die Fähnlein oder Zeichen der Befehlshaber waren in fronte etc. Der tribuni primi pili und der Feldherr (imperator) standen ungefähr in der Mitte der Schlachtordnung. Die Form der Schlachtordnung war doppelt oder dreifach und auch doppelt aufeinander. Sie konnte sich in unterschiedliche geometrische Figuren verwandeln (cuneo, d. h. einen Keil oder eine Spitze, globe, einen Kegel, oder forcipi, scherweiß, turribus, wie ein Turm, oder hog, [...] segeweiß).

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150

Roloff: Moritz von Oranien und die Begründung des modernen Heeres, S. 264: »Wir erfahren nicht ausdrücklich, ob sie von der Betrachtung der Praxis aus oder auf Grund ihrer theoretischen Studien die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der herrschenden Taktik gewonnen haben.« Parker: The Military Revolution, S. 18: »The journal of a member of Maurice’s general staff, Anthonis Duyck, reveals the Dutch troops on active service during the 1590s almost constantly at their ›exercises‹, forming and reforming ranks, drilling and parading in the manner advocated in Roman times by military writers like Vegetius and Aelian, and subsequently by the political philosopher Justus Lipsius in his De militia romana, published in 1595.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Es ist folgendes Element aus dem taktischen Repertoire des Vegetius, das die Oranier wohl über Lipsius übernommen haben: So eine Bemerkung hinsichtlich der Veränderung der Schlachtordnung (mutationem acierum), die der Hypothese des Texts zufolge bereits vor Vegetius einschließlich der damit verbundenen Übungen der Soldaten existiert haben musste, jedoch von vorhergehenden Autoren nicht erwähnt worden war.151 Die von Vegetius beschriebenen Veränderungen in der Schlachtordnung müssen bereits vor der Zeit Vegetius’ praktiziert worden sein. Daher muss es auch entsprechende Übungen gegeben haben. Auch hinsichtlich des Exerzierens in Abhängigkeit von unterschiedlichen Waffengattungen wird Vegetius herangezogen.152 Über den Zusammenhang zwischen dem lipsianischen taktischen Modell und der holländischen Ordonnanz lassen sich jedoch nur Hypothesen aufstellen. Das Prinzip der Maximierung des Feuers, wie es für die oranischen Heeresreformen kennzeichnend werden sollte, findet sich im Polybios-Kommentar (IV, 8, 218 v) unter dem Stichwort ›Multiplication des rangs‹. Ausgangspunkt ist die Legion Polybios’, die 150 Mann in der Höhe und nur zwanzig in der Front zählte, was Lipsius jedoch als historisch variabel auffasst. So fand eine Ausweitung der Front zu flacheren Formationen hin statt. Er zweifele nicht daran, dass danach das Manipel breiter oder dichter gewesen sei (vgl. supra).153 Die Vervielfachung, wie sie durch Livius überliefert ist, schien in der damaligen Forschung ein umstrittener Punkt. Gaeranus ist daran gescheitert. Francesco Robortello (1516–1567)154 und Carolo Sigonio (1520–1584)155 151 152 153

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Kb, S. 47. Ebd., S. 49. Ebd., S. 218f.: »Mais je ne doute pas que puis apres les manipules nayent este´ plus au large, ou plus espais, selon le temps et la volonte´ des chefs et que la legion a eu plus de front. Cela afin qu’il y eut plus de combatans au front, et moins de mains oiseuses. Comme aussi afin que les Principe´s peussent jetter leurs dards jusques a lennemi. Ce que nous lisons auoir este´ fait souuent, & ce qui n’eust pas este´ aismenet si le premier corps de bataille eut eu vne si grande hauteur. Je trouue aussi qu’on auoit inuente´ pourceste fin, que les premiers missent le genouil a terre jusques a ce que ceux de derriere eussent tire´. Apian le remarque touchant lSulpitius le Dictateur ayant a faire contre les Gaulois. Il commande que ceux qui estoient au front se baissassent des qu’ils auroient tire´ jusques a ce que les suiuantz et troisiemes, et quatriemes, eussent tire´. Et que des que tous auroient tire´ jusques a ce que les suiuantz et troisiemes, et quatriemes, eussent tire´. Et que des que tous auroient tire´ ils se baissanssent afin que les traits ne portassent sur eux. Et combien comme vne chose singuliere, toutesfois ie croy qu’il a este fait autresfis, et que c’a este´ la` prattique ordinare. Car comment eussent autrement este´ tires auec effect tant de traits. Je peux dire cela touchant les rangs, lesqules toutesfois je ne nie point qu’ilz n’ayent este´ grandement augmente´s par fois et faits de plus grande hauteur lors que le lieu estant estroit le requeroit. Liuius appele cela Multiplier les rangs.« Überlieferte u. a. Aelianus Tacticus (BN), Livius, Tacitus. Überlieferte Aristoteles, Cicero, Livius, Suplicius Severus.

4. Systematik

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erörterten diesen Punkt ausführlich. Die Oranier rezipierten die intervallierte Manipularstellung nach Lipsius.156 In den ›Erkündigung über das römische Kriegswesen‹, tritt ein weiteres römisch inspiriertes theoretisches Modell auf, das im Unterschied zu dem an Lipsius orientierten, die historische Perspektive und die Zäsuren der römischen Taktik mitberücksichtigt.157 d. Aelian und die acies-Theorie Die Nassau-Oranier befassten sich mit der Acies nach Aelian. Im Kriegsbuch wird die römische acies aufgegriffen, jedoch um die Griechische ergänzt (Aelianus de aciebus), die sich auch in einem weiteren Dokument (Ms. Germ. Fol. 3, fol. 59r) unter dem Titel Aelianus von der Alten schlachtordnungen findet.158 Neben Polybios und Aelian ist noch Leo VI. für die acies-Theorie der Oranier bedeutsam. Das Theorem der acies des Leo VI. ist in einem lateinischen Text dargelegt. Hahlweg ergänzt diesen durch eine Skizze Wilhelm Ludwigs aus dem Kriegsbuch Georg Friedrich von Badens (Nr. 64, Bl. 407, zitiert in Kb 351). Vor allem Wilhelm Ludwig war an Leo VI. interessiert. Das bezeugt auch die pragmatische Ausdeutung der acies, die im Gegensatz zu derjenigen von Aelian (der lediglich hinsichtlich der Kommandoworte Beachtung findet), in dem Brief vom 8. Dez. 1594 als Alternative zur römischen Schlachtordnung aufgenommen und pragmatisch ausgedeutet wird. Eignet sich die römische Schlachtordnung als Modell für große Armeen gegenüber einem Ansturm der Kavallerie, so kann diejenige von Leo VI. als Matrix für kleinere Truppenkörper von 4000 bis 6000 Mann gelten. Er räume ein, dass nach dem Beispiel der Römer, die Ordonnanz, die Moritz von Oranien in Arnheim gezeigt habe, die beste und widerstandsfähigste sei. Dennoch habe sie die Tücke, dass die Truppen und die Höhe der Schlachtordnung gegen die Heftigkeit der Kavallerie nicht gewachsen sind. Selbstverständlich ziehe er eine solche Weise, die Armee in Schlachtordnung aufzustellen, den großen ›königlichen‹ Armeen vor, die die Römer hatten. Aber was die kleinen Armeen von 4000 bis 6000 Mann anbelangt, so meint er, wolle es die Vernunft, und die Notwendigkeit zwinge dazu, das Exemplum Leos aufzugreifen.159 In einem Brief, der ein Jahr später datiert, wird Polybios in Verbindung mit Aelian gebracht. 156 157

158 159

Kb, S. 34f.; ebd.: Adjuncta aciei. Ebd., S. 79ff.: im Zusammenhang ›Militia romana oder erkündigung, auf was weise die Römer ihre kriege geführt haben‹; Der Text stammt aus dem StAD (Danzig), Kriegsbücher Wallhausens, VI, Bl. 27 bis 91. – Abbildungen aus Ms. Germ. Fol. 3, Bl. 33r, 34v, 35r, 46r, 46v. Ebd., S. 90. Ebd., S. 606: »Et je confesse bien, qu’a` l’exemple des Romains, l’ordre que V. E.

228

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Eine Zwischenstufe zwischen der militärtheoretischen Grundlagenforschung und der experimentell-taktischen Praxis stellt der Kommentar vom pragmatischen Standpunkt aus dar, der sich auf die taktische Theorie des Polybios bezieht, jedoch nicht auf den Polybios-Kommentar von Justus Lipsius. Wir müssen noch eine weitere militärtheoretische Methode der Nassau-Oranier herausstreichen. Es handelt sich um die pragmatische Umformung des antiken Kommentars. Diese fällt weder in den experimentell-praktischen Bereich, noch in den Bereich der eigentlichen Grundlagenforschung. Mit der Referenz auf die Schlacht von Cannae wurde nicht nur ein kriegsgeschichtliches Modell in den modelltheoretischen Diskurs der Oranier eingeführt,160 sondern auch eine strategische Position eines Feldherrn (Scipion alias Moritz von Oranien) formuliert, die mit einer erfolgreiche Kriegführung aus der Defensive und der territorialstaatlichen Konsolidierung der Generalstaaten einhergeht. Zwar analysiert Wilhelm Ludwig die der römischen Taktik überlegene Taktik der Karthager und positioniert sich kulturtheoretisch auf der Seite der ›Barbaren‹, doch spart er die Wirkung auf die Heeresorganisation der Römer dabei nicht aus und zeichnet damit das Moment, an dem der Aufstieg der Römer zu Weltmacht dominiert.161 Bleibt die Frage zu erörtern, ob die Nassau-

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m’a monstre´ a` Ahrnem, est la meilleur et invincible; toutesfois a` ceste caute`le, que les troupes et altitudo aciei soit bastant contre la furie de cavaillerie. Bien entendu, que i’approuve entie`rement un tel fac¸on de renger une arme´e en bataille aux grands arme´es Royales, comme les Romains avoyent. Mais aux petites arme´es, de quatre a` six mille hommes, j’estime que et la raison veult et la ne´cessite´ contraindra d’imiter l’exemple de Leo Imperator, lequel livret ie tien pour une vraye instruction d’un capitain ge´ne´ral, pour se pouvoir souventefois ramentevoir de son office.« Vgl. Christoph Röck: Römische Schlachtordnungen im 17. Jahrhundert? In: Manuel Baumbach (Hg.), Tradita et inventa. Beiträge zur Rezeption der Antike (Bibliothek der klassischen Alterumswissenschaften, N.F., 2. Reihe, Bd. 106), Heidelberg 2000, S. 178: »Für ihre neuartige Schlachtentaktik setzten sich die Reformer auch eifrig mit der antiken Kriegsgeschichte, d. h. den in den Geschichtswerken überlieferten Feldzügen und Schlachten, auseinander. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die systematisch-kritische Durchleuchtung der Schlacht bei Cannae durch Wilhelm Ludwig von NassauDillenburg. Dabei beschäftigte ihn vor allem die Frage, wie es Hannibal fertiggebracht habe, mit seinen zahlenmäßig unterlegenen Truppen, die in einer flachen, weit auseinandergezogenen Schlachtordnung aufgestellt waren, die tiefgegliederten römischen Legionen zu umzingeln und zu vernichten. Für Wilhelm Ludwig bot die Aufstellung der Karthager gegenüber den Römern eine wirklichkeitsnahe Parallele zu den neuartigen flachen, aber äußerst beweglichen niederländischen Kampfformationen und den tiefgegliederten, massiven und schwerfälligeren spanischen Tercios. Dies wird gerade auch bei der Skizze, die er seinen Cannaestudien beigefügt hat, deutlich, denn die gestaffelte karthagische Heeresaufstellung ist nichts anderes als eine Grundform der neuen niederländischen Schlachtordnung. Eine eingehende Analyse der Schlacht bei Cannae musste daher brauchbare Anregungen zur Lösung praktischer Probleme der Schlachtentaktik der eigenen Zeit liefern.« Vgl. Howard H. Scullard: Scipio Africanus. Soldier and Politican, Ithaca–New

4. Systematik

229

Oranier und die Generalstaaten ihren Staatsbildungskrieg als einen Defensiv- oder Offensivkrieg auffassten. 1568 hatte Wilhelm von Nassau seinen ersten Feldzug ins Belgische unternommen, obwohl noch keine ständische Kriegsansage gegen Philipp II. erfolgt war. 1576 gingen die Aufständischen vom Defensiv- zum Offensiv-Krieg über, und drückten dieses Vorgehen in der völkerrechtlichen Terminologie der Legitimität eines bellum vindicativum aus.162 Ein starkes Moment der taktischen Polybios-Rezeption weist auch die militärische Kultur der Oranier auf.163 Die niederländischen Reformer selbst forderten neue, bessere Übersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische, beispielsweise zum Sachverständnis des Polybios. Zahlreiche Übersetzungen oder Darstellungen des antiken Kriegswesens erschienen in den europäischen Nationalsprachen. Die Cannae-Studien des Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau stellten Vorbilder für eine neue Strategie auf.164 Lipsius hatte, obzwar er auf die Oranier zu wirken hoffte, keine theoretisch überzeugende acies-Theorie geliefert. Im Unterschied zu Lipsius, der sich in seinen narrativ-analytischen Schlachtenmodellen auf Plutarch (Crassus gegen die Parther) und Livius (Römer gegen Latiner) bezog, referierte Wilhelm Ludwig von Nassau auf ein kriegsgeschichtliches Ereignis, das in der Geschichte Roms auch einen verfassungsgeschichtlichen Wendepunkt markierte: die Schlacht von Cannae. Wilhelm Ludwig von Nassau erstellte unabhängig von Lipsius eine Studie von Polybios Darstellung der Schlacht von Cannae. Er räumte ein, dass Niccolo` Perottis Übersetzung (1454) dieses Abschnitts aus Polybios unzuverlässig sei und bezog sich auf die Übersetzung von Volrad von Plessen.165 Als Lipsius die Nachricht erhielt, dass die Generalstaaten ihrem Oberbefehlshaber Moritz ein Exemplar von De militia Romana Libri Quinque, Commentarius ad Polybium verehrt hatten, dass dieses gelesen

162 163 164

165

York, S. 225: »In the Hannibalic War Rome had to face a new situation and her citizen-militia met a professional army. True, she had faced the phalanx of Pyrrhus, but the contacts had been sporadic and he had neither grappeld for long years with his enemy as Hannibal was to do nor inflicted such overwhelming defeats. Rome now had to meet a general of genius whose army was the product of his own training.« Konrad Repgen: Kriegslegitimationen in Alteuropa, HZ, 241 (1985), S. 37f. Vgl. GdKW, Bd. 2, S. 869f. Gerhard Oestreich: Die antike Literatur als Vorbild der praktischen Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert. In: Robert R. Bolgar (Hg.), Classical influences on European Culture. A.D. 1500–1700. Proceedings of an international conference held at King’s College, Cambridge 1974, Cambridge-London-New York-Melbourne 1976, S. 320. Arnaldo Momigliano: Polybius’ Reappearance in Western Europe. In: Emilio Gabba (Hg.): Polybe (Entretiens sur l’antiquite´ classique, 20), Vandoeuvres-Gene`ve 1973, S. 369.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

und noch im selben Jahr in praktische Übungen umgesetzt wurde, hegte er Bedenken, ob Moritz das Wesen der römischen Taktik, mit mehreren zur gegenseitigen Unterstützung angeordneten Manipeln zu operieren, richtig begriffen habe.166 Tatsächlich aber war der Kommentar von Lipsius theoretisch nicht sehr überzeugend: der berühmte Vergleich der makedonischen Phalanx mit der römischen Schlachtordnung in Buch XVIII, 28–32 war ihm offensichtlich unbekannt. In der Militia entwikkelt er die römische Schlachtordnung in mühsamer Exegese unklarer Livius-Passagen mit Hilfe anderer Polybios-Stellen. Aber die Oranier hatten gerade für diesen Gegenstand auch andere antike Quellen zur Verfügung, von denen sie vor allem zwei intensiv ausgewertet haben: die Taktik des Aelian sowohl in der ersten lateinischen Übersetzung des Theodorus Gaza von 1487 als auch in derjenigen des Francesco Robortello von 1552, die einer griechischen Textausgabe beigegeben war, daneben die Taktik Kaiser Leos VI. von Byzanz (865–912) in der lateinischen Übersetzung des englischen Humanisten John Cheke von 1554. 1612 erschien in Leiden die Editio princeps der Taktik des Byzantiners Leo von Johannes van Meurs, 1613 folgten Editionen des Aelian und bestimmter Teile des Polybios von Sixtus Arcerius in Franeker. Insbesondere Wilhelm Ludwig von Nassau gibt der Polybios-Rezeption einen besonderen konstitutionell-strategischen und taktisch-theoretischen Akzent, indem er Hannibal und Scipio herausgreift. Die Schlacht von Cannae ist ein Ereignis in der polybianischen Verfassungstheorie, die die römische Mischverfassung als Voraussetzung für den Aufstieg Roms annimmt.167

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Sylloges Epistolarum a Viris Illustribus scriptarum Tomi quinque, collecti et digesti per Petrum Burmannum, Leiden 1727, Bd. 1, 206, 744f. Vgl. L. Mulder (Hg.), Journaal van Anthonis Duyck, advocaat-fiskaal van den Raad van State. 1591–1602, 3 Bde., ’s Gravenhage/Arnhem 1862–1866, S. 634–663. J. Ricardo F. Martı´nez Lacy: Polybius and his Concept of Culture, Klio, 73, 1 (1991), S. 89: »As the constitution is the stepping stone of the Polybian explanation of the ascent of Rome, this has been, as it is natural, one of the more studied and better known aspects of Polybius’ work [Walbank, A Historical Commentary on Polybius, Oxford 1957–1979, 1, 635–746; 2, 645–648; 3, 774–776, idem, Polybius, S. 130–156] […] to Polybios, the distinctive character of the Roman constitution consisted in its mixture of the regal, aristocratic and democratic forms represented, respectively, by the consuls, the Senate, and the comitia. Besides, these three forms had no equal wight, for the Senate was preponderant. […] Doubtless, in Polybius’ view, the Roman constitution’s […] took place after the defeat of the Romans at Cannae in the hands of Hannibal, when it seemed as though the Carthaginians were about to take Rome. Then, the Romans showed their high spirits, defeated the Carthaginians and became a world power eventually.«

4. Systematik

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e. Die Feldherrnkunst Moritz von Oraniens Die Schlacht von Cannae gilt als Moment in der Römischen Republik, in der es ihr durch die Verlängerung des Oberbefehls und die Veränderung der Taktik gelang, aus der Defensive heraus militärische Reformprozesse einzuleiten – ohne dass es zu einer Militarisierung der politischen Institutionen und Etablierung eines Gewaltmonopols gekommen wäre.168 Die Generalstaaten bewahrten im Verlaufe des Achtzigjährigen Krieges die Verfassung einer oligarchischen Republik. Entscheidend für die Kriegführung und die Militärreformen wurde jedoch, dass ab 1589 Wilhelms Sohn Moritz von Oranien (1567–1625) bis 1591 die Statthalterschaft und Oberbefehl in den Provinzen Holland, Seeland, Overijssel, Utrecht und Gelderland in seiner Hand vereinigte, während sein Vetter Wilhelm Ludwig von Nassau (1560–1620) diese Stellung im besonders bedrohten Friesland bekleidete. Bereits 1590 begann die Gegenoffensive169 mit der Einnahme von Breda. 1594 ist der Übergang zur Offensive170 mit der Einnahme weiterer Festungen, darunter Deventer, Geertruidenburg, Nijmwegen und Groningen festzuhalten, so dass die Republik allmählich einen Sicherheitskordon um ihre Kerngebiete legen konnte, der nicht mehr durchbrochen wurde.171 Die neue Regentengeneration demonstrierte Einheit, konstituierte ein annähernd zentralisiertes militärisches Entscheidungszentrum und hob sich damit von der vorhergehenden durch französische und englische Hilfe provozierten Uneinigkeit der eigenen Befehlshaber ab. Hinsichtlich der Strategie folgte Moritz den Wünschen der Generalstaaten und seinen eigenen Neigungen, suchte begrenzte Ziele und versuchte das Territorium der Sieben Provinzen wiederzugewinnen.172 Er 168

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’t Hart: The Making of a Bourgeois State, S. 34: »The conduct of war was supervised by the Estates General, sending deputies with the army in the field. The Stadhouders Maurice and Frederick Henry obtained the highest commanding office, but only the latter was made captain general of the Union.«; S. 35: Im strengen Sinne war die ›Monopolisierung der Gewalt‹ nicht weit fortgeschritten, weil jede Stadt und jede Provinz Souveränität in der Rekrutierung der Truppen innehielt: »But in reality the only standing army was that of the Estates General, and decisions as to recruitment and disbanding had to be taken in their meetings. Disputes arose, though, concerning appointments and marching orders, in particular when troops were paid by one province but stationed in another, or when one company was paid jointly by two provinces.« Vgl. auch Arie Theodorus van Deursen: Maurits van Nassau. De winnaar die faalde, Amsterdam 2000, S. 117. Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte, S. 121. Vgl. Reinhard: Humanismus und Militarismus, S. 186. Gunther E. Rothenberg: Maurice of Nassau, Gustavus Adolphus, Raimonod Montecuccoli, and the ›Military Revolution‹ of the Seventeenth Century. In: Peter Paret et al. (Hg.), Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Oxford (1941, 1986) 31999, S. 43.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

probierte dieses Ziel in erster Linie durch einen Stellungskrieg zu erreichen und war nicht darauf aus, die Hauptkraft des Feindes zu besiegen. Zwischen 1589 und 1609 nahm er neunundzwanzig Festungen ein und hob drei Belagerungen auf, aber schlug nur die Schlacht von Nieuwpoort und diese nur zögernd.173 Er nutzte die inneren Linien der großen Flüsse, um seine Armeen von der südlichen und östlichen Front zu bewegen, was seiner Armee im Verhältnis zu ihrer Größe eine höhere Wirksamkeit gab. Vom Transport über das Wasser abgesehen, fielen ihm, wie der abgebrochene Feldzug in Brabant (1602) zeigt, schnelle Truppenbewegungen schwer.174 Schließlich wurde sein Handlungsspielraum durch den Partikularismus der Provinzen beschränkt. Überdies weigerten sich die Generalstaaten eine größere Streitkraft über das notwendige Maß hinaus aufrechtzuerhalten.175 f. Fazit: Wilhelm Ludwig von Nassau, die Schlacht von Cannae und offene Fragen Von den Nassau-Oraniern interessierte sich vor allem Wilhelm Ludwig für Polybios. Es liegen davon zwei Texte vor. Die Descriptio pugnae Cannensis ex Polybio translata per Volradum Plesium, iussus Comitis Guilelmi, per quam apparet interpretis Nicolai Pirotti Sipontini translationem contrarare con[sen]sui graeco, die von Wilhelm Ludwig angeregt wurde, an der Volrad von Plessen, mitwirkte und die sich auf Niccolo` Perotti stützt.176 Darüber hinaus liegt ein Discours du Comte Guillaume de Nassau sur la bataille de Cannes vor,177 der in einer überarbeiteten Fassung erstmals in Annibal et Scipion erschien.178 Studien solcher Art spiegeln sich in des Wilhelm Ludwigs Les grands Capitaines Annibal et Scipion (Den Haag, 1675) wieder,179 wo er sich wesentlich auf Titus Livius und Polybios stützt. Bereits unter den Oraniern dieser Generation kam es jedoch zu kritischen Brüchen hinsichtlich der Interpretation der Schlacht von Cannae. Johann Ludwig von Nassau machte kritische Be173 174 175 176 177

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Ebd. Ebd. Ebd. Kb, S. 340–342. Ebd., S. 342–347; Originaldokument: Kriegsbuch Georg Friedrich von Baden, Nr. 64, Bl. 411 bis 420. Über das Dokument und seinen Inhalt s. Hahlweg: Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe, S. 70ff.; – Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, Nass. Annalen, 71 (1960), S. 237ff. Über eine Abschrift der Cannae-Studien Wilhelm Ludwigs im Nachlass seines jüngeren Bruders Johann Ludwig mit kritischen Bemerkungen vgl. Kb, S. 647ff. Annibal et Scipion, S. 129–143; vgl. auch: Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 237ff. Ebd.

4. Systematik

233

merkungen zu den Cannae-Studien seines Bruders.180 Auch der Brief Wilhelm Ludwigs an Moritz von Oranien identifiziert die Nassau-Oranier als Adepten der polybianischen taktischen Theorie,181 überschreitet diese jedoch bereits zu Gunsten der taktischen Theorie des Byzantiners Leo VI. Wilhelm Ludwig hatte eine vergleichende Studie über Hannibal und Scipio verfasst (Descriptio pugnae Cannensis e Polybio translata per Voltradum Plesium, issu comitis Guilelmi, per quam apparet interpretis Nicolai Pirotti Sipontini translationem contrariare Graeco.), die einstmals ebenfalls in das Kriegsbuch eingereiht war, aber als verloren gelten muss und führt damit die von Lipsius vernachlässigte chronologische Perspektive182 ein. Dieser Übergang ist in vielfacher Hinsicht bedeutsam. In taktischer Hinsicht ist das Interesse für diese Epoche der römischen Geschichte insofern verständlich, da es sich um die Katastrophe eines althergebrachten, aber starren Schlachtensystems und dessen Umwandlungen in eine bewegliche Ordnung, wie sie Scipio in seiner Treffenordnung schuf, handelt.183 Nach dem Sieg Hannibals bei Cannae und der Niederlage der Römer beschlossen die Römer, den Oberbefehl für die Dauer des ganzen Krieges zu verlängern, um die Kontinuität der Kriegführung zu gewährleisten: Die politischen, verfassungsgeschichtlichen und mentalen Folgen dieser Veränderung gingen die Schlachtfelder hinaus: In Rom setzte die Ära der Feldherren ein, die Republik wurde personalisiert.184 In gewisser 180

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Kb, S. 647: [Kritische Bemerkungen Johann Ludwigs von Nassau zu den CannaeStudien seines Bruders Wilhelm Ludwigs von Nassau]: Archives ge´ne´rales du Royaume Brüssel, arch.. Merode Westerloo 1768, Livre militaire. GdKW, Bd. 2, S. 879; Kb, S. 648: In seinem Brief an Moritz vom 19. April 1595 schreibt Wilhelm Ludwig: »jay prins la peine de tracer la forme de toutes les deux nations, par le compas, sur le petit pied donnant a` chaque soldat 3 pieds en long et 7 en profondeur«; vgl. Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das CannaeProblem, S. 241. Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 22: »les textes invoque´s le sont un peu peˆle-meˆle et en tout cas avec un total me´pris de la chronologie. Juste Lipse conside`re en fait la re´alite´ romaine (ici l’arme´e) comme une et intemporelle, et le fait que tous les te´moignages dont il dispose a` part Polybe datent en fait de l’Empire.« Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 36; vgl. Scullard: Scipio Africanus, S. 73, zitiert in: Lucien Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, Journal des savants, 1, 1 (1994), S. 54: Die von Scipio in Baecula praktizierte Taktik bezeichnet eine deutliche Zäsur im Hinblick auf die hergebrachten Bewegungen der römischen Armee und eine tatsächliche Wendung in der militärischen Entwicklung; S. 54f.: Die römische Legion konnte aufgrund ihrer Schwere und massierten Form (combat en masse) gleich der Phalanx leicht besiegt, von der Seite angegriffen, desorganisiert und vernichtetet werden wie in Cannae. Man musste sie also beweglicher und kampfbereiter gestalten, indem man sie zerstükkelte, wenn nicht individualisierte. Zu diesem Zweck gab Scipion die drei traditionellen Linien auf und integrierte die Veliten in die Mitte der Legion. Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 54; s. auch Hobohm (Machiavellis Renaissance), der darin den Übergang zur Berufsarmee vorgezeichnet sieht.

234

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Weise konnten die Oranier diesen Übergang, zumindest bis zu einem gewissen Grad, auch auf ihre eigene Position beziehen.185 Schließlich erfolgt die Polybios-Rezeption in dem Abschnitt Militia romana oder erkündigung, auf was weise die Römer ihre Kriege geführt haben. In diesem Zusammenhang wird die Lagerordnung nach Polybios zitiert. Es ist jedoch festzuhalten, dass die Oranier im Unterschied zu Lipsius die geschichtliche Entwicklung dieses Theorems berücksichtigten: »In folgenden zeitten der letzten Kayser hat man auch sonsten mehr formen gebraucht.«186 Ein zweiter wichtiger Moment der Polybios-Rezeption der Oranier ist die Diskussion der Schlacht von Cannae,187 wie sie im Discours du Comte Guillaume de Nassau sur la bataille de Cannes188 und der daran anschließenden Kritik geführt wurde.189 In diesem Zusammenhang tritt das taktische Problem des geordneten Rückzugs durch die Intervalle auf, das bei Machiavelli aufgeworfen wurde (Discorsi, II, 16) und auch für Rohan noch relevant sein sollte: Car il faut diligemment noter, que par tous historiographes et spe´cialement par les exemples de batailles en Polybe et Tite Live il se peut faire asseure´e coniecture, que les velites se sont retire´s par les mesmes intervalles des trois aetates, tant par l’usage divers, d’avoir employe´ les velites tantost par le coste´, tantost par le milieu, tantost par derrie`re, tantost esgelement par le devant du front. Mais sur des Romains a este´ de faire combatre leur infanterie le plus serre´, qui se peut faire dinsinctement (sic) par petites trouppes ou par trois charges entiers, l’une apre`s l’autre, ou bien conjoincts, selon l’occasion ou ne´cessite´ s’offrante ayants gaigne´ quant et retirer les velites par les mesmes intervalles des trois aetates susdites, fuissent ab illis, qui ante exercitum collocati erant. Et apre`s, Tunc sane` pedestres copiae receptis intra ordines suos expeditis. Parquoy je ne donne nul intervalle spe´cial en la bataille pour les vellites Romains, dont suit que Hannibal (comme un chascun, qui n’imite l’Ordre Romain) a este´ force´ de faire intervalles singuliers pour ses velites. Ce qu’occassionne, que les triaires ayans receus les principes et hastatos en leur intervalles, les Romains ont mene´ trois cents vingt et huict plus de combatans par rangs et en front qu’Hanibal.190

Da in der Schlachtordnung Intervalle (intervalla) sind, ob solche so groß, dass, wenn die Musketiere herfür und neben die Piken geführt werden, gleichwohl noch Intervalla bleiben. Item, ob nicht jedes Fähnlein eine

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Geoffrey Parker: The Army of Flanders and the Spanish Road. 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Coutries’s War, Cambridge 1972, S. 11. Kb, S. 64. Bereits Hahlweg hat sich dieses Textes angenommen: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 237–242; hinsichtlich der Bedeutung der Geschichte der Feldherrn Hannibal und Scipio vgl. Lucien Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 58f.; Delbrück: Die Schlacht bei Cannae, S. 481–507. Kb, S. 342f. Ebd., S. 648. Ebd., S. 344.

4. Systematik

235

kleine Gasse zwischen sich behält, um wieder zu laden und sich hinten anzuhängen oder ob dass Bataillon ganz geschlossen ist.191

Darüber hinaus findet sich die Schlachtordnung von Polybios noch in einer Skizze (Tafel, VI b). Der bedeutendste und umfangreichste Text für die Polybios-Rezeption durch Wilhelm Ludwig ist der 1675 publizierte Kommentar zum zweiten punischen Krieg.192 Die Publikation erfolgte nicht durch Wilhelm Ludwig selbst. Seine Papiere waren offensichtlich in die Hände eines Unbekannten geraten, dessen Sohn sie 1675 veröffentlichte.193 Der Text widmet sich der Erläuterung und Ordonnanz der berühmtesten Schlachten des zweiten punischen Krieges. Es finden sich darin Ausführungen über die römische und karthagische Schlachtordnung nach Polybios und Titus Livius. Bemerkenswert ist die Interpretation der Schlacht von Cannae. Vergleichbar der Polybios-Rezeption erfolgt die Vegetius-Rezeption zunächst im Zusammenhang der Entfaltung der Legion. So wird Vegetius herangezogen, um die Zahl der Soldaten in der Legion (über 6000 Mann) festzuhalten. Auch findet sich die Übung der mutationem acierum nur bei Vegetius.194 Schließlich wird Vegetius im Zusammenhang der für die Kriegspraxis geläufigen Funktionen der Orientierung im Gelände zitiert.195 Hinsichtlich der Schlachtordnung findet Vegetius zwar Erwähnung, wird jedoch nicht als Modell akzeptiert: Vegetius beschreibt eine seltzame schlachtordnung, so etwas für seine zeit in brauch gewesen [...] Hier ist sich sehr zu verwundern, wie doch die schöne römische Ordnung in ein solch unwesen kommen.196

Wir können zusammenfassend festhalten, dass die Polybios-Rezeption der Nassau-Oranier, die in sich nicht frei von kritischen Brüchen ist, in zwei Bereichen erfolgte: in der militärwissenschaftlich-systematischen Lipsius-Rezeption und in der Umsetzung ihres eigenen didaktischen 191

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194 195 196

Ebd., S. 647: Kritische Bemerkungen Johann Ludwigs von Nassau zu den CannaeStudien seines Bruders Wilhelm Ludwigs von Nassau. Wilhelm Ludwig von Nassau: Annibal et Scipion ou les grands capitaines. Avec les Les Ordres & Plans de Batailles. Et les annotations, Discours & Remarques Politiques & Militaires de Mr. le comte G.L. de Nassau, &c. Auxquelles On a adjouste´ un autre traitte´ de Remarques Politiques. Hg. v. Alain-Claude de Mestre (Vorwort), La Haye, Jean & Daniel Steucker, 1675. Ebd., S. 28f.: »Mais je crains de faire trop le prologue, & je me porte a` la matiere mesme, apres vous avoir dit; que ce qui m’a induit a` en traiter, sont les mesmes remarques (que vous verre´s en Suite) du Comte de Guilleaume Louı¨s de Nassau, que j’eus le bonheur de rencontrer parmi des papiers de mon Pere defunt, lequel durant sa vie s’estoit tousjours applique´ a` des belles choses, & quoy qu’il mourut asse´s jeune, & que je le perdis a` l’aˆage (sic) de sept ans, il m’a laisse´ la mesme inclination.« Kb, S. 47f. Ebd., S. 55. Ebd., S. 82.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Programms, nämlich der Analyse und Interpretation der Schlacht von Cannae. Die Oranier, die sicherlich den Vegetius-Kommentar von Stewechius kannten, haben das kompilatorische Potential der Militärtheorie des Vegetius nicht für die Rekonstruktion des taktischen antiken Modells ausgeschöpft, dahingegen aber Polybios durch Aelian ergänzt. Folgende Punkte kennzeichneten die nassau-oranische Militärtheorie und unterschieden sie von Lipsius: die Historisierung, pragmatische Selektion und pragmatische Angleichung der antiken Theoreme – insbesondere des taktischen Theorems der acies und die Überschreitung der Schlachten-Exempla aus DMR – hin zu dem Versuch diverse taktische Formen der römischen militia historisch zu identifizieren. Darüber hinaus eröffnet sich bereits eine Perspektive der ›Intertextualität‹ römischer Historiker, v. a. Polybios, und der griechisch-byzantinischen taktischen Tradition. g. Die Rezeption der griechischen, byzantinischen und der römischen taktischen Theorie in der oranischen Taktik Die taktische Theorie, die durch die zweite Generation der Oranier entwickelt wurde, stützte sich auf die Breite des antiken militärtheoretischen Legs. Selbst Vegetius, der von Lipsius ›rhetorisch‹ verworfen worden war, verschwindet nicht in der taktischen Praxis. Den bis zu 3000 Mann starken schwerfälligen spanischen Tercios versuchten die Oranier kleinere und deshalb wesentlich beweglichere Einheiten entgegenzusetzen. Die taktische Grundeinheit war nunmehr der Troup, ein Bataillon, das in der Regel 400–600 Mann umfasste und vor allem der römischen Kohorte, wie sie z. B. von Vegetius beschrieben wird (ERM, 2, 6: 555 Mann), nachempfunden war.197 In der Mitte eines solche Troups standen die Pikeniere. Im Gegensatz zu den tiefgestaffelten Tercios war die Aufstellung eines niederländischen Bataillons wesentlich flacher und ermöglichte es, mehr Feuerwaffen gleichzeitig zur Wirkung zu bringen und somit insgesamt eine höhere Feuerkraft zu erzielen. Die Aufsplitterung der Armee in viele kleinere Truppenkörper führte dazu, dass eine große Anzahl mittlerer und unterer Führer geschaffen werden musste, die die Einheiten kommandierten. Hier schöpften die Oranier vornehmlich aus Aelian und Leo VI.198 Ihre Taktik war eine zweckvolle Kombination von griechisch-makedonischer Phalanx,199 römischer Treffentaktik200 und byzantinischer 197 198 199

200

Röck: Römische Schlachtordnungen im 17. Jahrhundert?, S. 174. Vgl. Hahlweg: Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe, S. 63f. Kb, S. 351: Skizze Wilhelm Ludwigs von Nassau der byzantinischen Schlachtordnung. Ursprünglich im Kriegsbuch Georg Friedrich von Baden, Nr. 64, Bl. 407. Ebd., S. 353.

4. Systematik

237

Schlachtordnung. Fernerhin findet sich im Kriegsbuch eine byzantinische Schlachtordnung.201 Das klassische Werk, auf das die oranischen Fürsten sich besonders beriefen, ist die Taktik des Kaisers Leo, die 1554 in einer lateinischen, später auch in einer italienischen Übersetzung erschien und von Johannes van Meurs in Leiden 1612 auch auf griechisch herausgegeben wurde.202 Simon Stevin hatte sich nicht nur mit der Castrametation nach Lipsius befasst, sondern auch mit der Taktik des Aelian. Neben Vegetius und Polybios werden Aelian neben Maurikios, Onasander und Leo VI. herangezogen. So in dem Aelianis de aciebus oder Aelianus von der alten Schlachtordnung.203 Ähnlich in dem Discours des Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau über die Schlacht von Cannae, wo Aelian zur Erläuterung, Ergänzung von Polybios herangezogen wird. Die Legionen seien nach der Proportion in Aelian aufgestellt: Les le´gions sont ordonnez selon la proportion in Aeliano in cornu dextro prima et quarta, in sinistro secunda et tertia et ainsi suivante. Comme aussi il faut entendre, que les maniples, de´curies et milites sont pose´ par mesme re`gle. Il est bien vray, que les legions Romains souloient estre place´es au milieu de la bataille et sociorum legiones in cornibus. Mais pour ce qu’on trouve des exemples, que cela fust quelque fois change´ et les le´gions renge´es selon les occurrences et occasions, il m’a semble´ de m’avoir este´ licite´ pour ceste foy suivre la reigle d’Aelian.204

Es lässt sich also die Tendenz entnehmen, das taktische exemplum in der Rekonstruktion antiker taktischer Theorie in historischer Perspektive zugunsten der Methode (re`gle) zu überschreiten. Die Bedeutung Aelians für die Kommandosprache und das Exerzierens wird hervorgehoben (Erkündigungen zum römischen Heerwesen) und zusammen mit Leo VI. aufgegriffen. Zum Ursprung der Übungen ist zu lesen: »bey den Alten auß Aeliano – Leone Imperatore, heut bey¨ tage nach den regeln, so in den Niederlanden stattlichen im schwanck gehen.«205 Die neuen Methoden (praecepta) und die Kommandosprache nach Aelian wird in dem Brief Wilhelm Ludwig von Nassaus an Moritz von Oranien vom 8. Dez. 1594 erwähnt: Dit syn ongeveer alle praecepta, die Aelianus gebruyckt, uytgenomen Laconicam et Macedonicam evolve, dat ick onnodich achte ende hierna daraf tot noetdruf sal gesproken worden.206

Wenn Wilhelm einfach die lakonische und makedonische Art fallen lässt, so unterscheidet er sich in dieser wissenschaftstheoretischen Hin201 202 203 204 205 206

Ebd., S. 351. GdKW, Bd. 1, S. 869f. Kb, S. 95. Ebd., S. 345. Ebd., S. 104. Ebd., S. 607.

238

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

sicht von den ersten Rezipienten der oranischen Heeresreformen im Sinne einer Rezeption des Exerzierens. Courbouzon und auch Du Praissac nahmen den lakedonischen und makedonischen Ansatz mit auf. Eine Verbindung von Rezeption der römischen Schlachtordnung und der taktischen Theorie Aelians findet sich bei Simon Stevin,207 der in den unmittelbaren Umkreis der Nassau-Oranier gehörte. Ein weiteres verbindendes Merkmal mit dem militärtheoretisch-taktischen Diskurs der Oranier ist, dass Stevin, wenn auch in getrennten Kapiteln, sowohl Aelian rezipiert (Teil VIII, Kap. 17) und die römische Schlachtordnung (Teil VIII, Kap. 13208). Der modelltheoretisch-taktische Grundlagendiskurs, wie er für die Oranier kennzeichnend sein mag, ist in zwei Briefen und einem verhältnismäßig kurzen Abriss dokumentiert. Zwischen dem vielfach zitierten Brief vom 8. Dez. 1594,209 der den oranischen Exerziermodus im Rahmen einer griechisch-byzantinischen Treffentaktik eröffnet,210 dem Brief vom April 1595211 und der Interpretation der römischen Treffentaktik am Beispiel von Cannae treten theoretische Brüche auf, die keinen Konsens hinsichtlich taktisch-theoretischer Grundlagen aufweisen. Röck hat drei Quellen der acies-Theorie oder Formen von Schlachtordnungen der Oranier herausgearbeitet und diese inhaltlich konkretisiert:212 die griechisch-makedonische (Taktik des Aelian), die römische (Lipsius, DMR, Buch VI) und die byzantinische (Leo VI.). Die griechisch-makedonische, die die Oranier aus der Taktik Aelians kannten, war prinzipiell in einen rechten und linken Flügel und ein Zentrum unterteilt. Die Flügel gehörten dabei der Reiterei und den Leichtbewaffneten, während die mit bis zu 6 m langen Spießen (Sarissen) bewaffneten Hopliten im Zentrum aufgestellt waren, und zwar so, dass sie eine ge207

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212

Stevin: Materiae politicae, Teil VIII, Kap. 17, S. 183: »Het 17 verduytsching van Elianus Griecsche woorden, angaende de Ampten en Amptlien des Chrijchsvolcx, om aer me an eenen die Elianus uyttet Griecx in Duyts fal oversetten (sic), de meyning te kennen te gheven.« Ebd., S. 258: Kap. 13: 13 Hoofstick. Vande veltslachoirdening met navolghing der Romeinsche vvyse. Oock dattet gheschut voor gheen oirsaeck mach gehouden vvorden, dat nu minder veltslaghen gheschieden, dan by tyden der Griecken en Romeinen, ghelijck veele meenen. Kon. Huisarchief Den Haag, Inv. A 22, Willem Lodewijk, Graaf van Nassau . IX E 79, minuut-schrijven d. d. 8–12–1594, abgedruckt in: Kb, S. 606–610 und in Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 240–242. Niederländisches Exerzierreglement aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts: Hahlweg stellt einen Zusammenhang zwischen dem Brief und dem im Kb 612 abgedruckten Dokument her, dessen Original sich in den Archives ge´ne´rales du Royaume Brüssel, arch. Merode Westerlo 1768, Livre militaire befindet. Koninklijk Huisarchief Den Haag, Inv. 13, Archief Prins Maurits, Correspondentie, No XI A–27, zitiert in: Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 240f. Vgl. Röck: Römische Schlachtordnungen im 17. Jahrhundert?, S. 175ff.

4. Systematik

239

schlossene und tiefgestaffelte Phalanx bildeten. Die römische Schlachtordnung war ihnen vor allem aus Justus Lipsius bekannt, der sie im IV. Buch von DMR (1595) rekonstruiert hat. Wie die griechisch-makedonische zuvor war auch die römische Schlachtaufstellung grundsätzlich in einen linken Flügel, ein Zentrum und einen rechten Flügel unterteilt. Während die Bundesgenossen und die Reiter auf den Flügeln aufgestellt waren, standen die römischen Legionen im Zentrum. Die Schlachtordnung einer Legion bestand in der Regel aus drei Treffen und wurde dementsprechend als acies triplex bezeichnet. Dabei standen in jedem Treffen zehn Manipel in einer Linie nebeneinander. Im Gegensatz zur griechisch-makedonischen Phalanx bildeten diese jedoch keine geschlossene, durchgehende Front, sondern zwischen den einzelnen Manipel gab es Intervalle, die genau die Breite eines Manipels hatten. Über das Wesen der byzantinischen Schlachtaufstellung wusste man aus der Taktik Leos VI. Bescheid. Im Kriegsbuch zeugt davon eine Abschrift von Teilen des XVIII. Kapitels der Taktik, in dem Leo eine ziemlich ausführliche Beschreibung einer byzantinischen (Reiter-) Schlachtordnung gibt.

4. Die Kriegskunst von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau Die Einflüsse des philologisch-kritischen Humanismus auf die dynastische Kultur der Oranier sind verhältnismäßig leicht zu eruieren. Die Kriegskunst der Oranier ist jedoch im Hinblick auf ihre pragmatische Traditionsausschöpfung und die kritische Anwendung antiker taktischer Theorien weitaus schwieriger nachzuzeichnen. Letztere waren nicht zuletzt von der Kriegsstruktur, d. h. in erster Linie von einer auf den Festungs- und Belagerungskrieg zentrierten Kriegführung, in der der offenen Feldschlacht de facto kein großer Raum blieb, und dem bereits existierenden militärischen System in den Niederlanden beeinflusst. Sowohl das Drillen als auch die Dreitreffentaktik haben moderne praktische Vorläufer in der unmittelbaren Vergangenheit und entsprangen der Kenntnis der Oranier vor allem des deutschen militärischen Systems und weiterer europäischer Systeme, beispielsweise des polnischen. Überdies hatte der in den Niederlanden kämpfende europäische Adel wesentlich praktische Kulturtransferleistungen geleistet.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

A) Die experimentelle taktische Praxis der Nassau-Oranier – Manipelstellung und Exerzierbegriff nach Aelian dem Taktiker und Leo VI. Die Entwicklung der mauritianisch-oranischen Taktik war ein fortwährender experimenteller Prozess.213 Anders als W. Hahlweg, der die Taktik der Oranier in einer dialektischen Theorie-Praxis-Relation sieht und ihnen eine geschichtsfunktionale Rolle und eine militärgeschichtlich normative Wirkung einräumt, geht es uns zunächst darum, festzuhalten, inwiefern es überhaupt zu einem wie auch immer gearteten Zusammenhang oder Wechselverhältnis zwischen dem militärwissenschaftlichen Grundlagendiskurs der Oranier und ihrer experimentell verfahrenden taktischen Praxis kam. Tatsächlich wirkten die Oranier in mehrfacher Hinsicht innovativ: nicht nur hinsichtlich der Elementartaktik, sondern auch im Hinblick auf die Stratageme,214 die als kultureller Bewusstseinsinhalt tradiert werden sollten. Die im Kriegsbuch aufgeführten experimentell-taktischen Dokumente beziehen sich neben dem niederländischen auch auf den deutschen und livländischen Kriegschauplatz.215 Das Ereignis von Jülich, bei dem auch französische Truppen unter dem Befehl von Rohan teilnahmen, ist von besonderem Interesse für den experimentell-taktischen Ansatz zumal Moritz offensichtlich ein am römischen Modell orientiertes Konzept umzusetzen versuchte. Es bleibt 213

214

215

Kb, S. 645, Anlage 27, ›Kurtzer bericht, wie und warumb I. Excell. Printz Moritz der musquatirer station in den schlachtordtnungen zum dritten mahl geendert‹, aus: Kriegsbücher Wallhausens, I. Ebd., S. 350: ›Strategema‹, in denen Hamilcar als Modell auftritt, ursprünglich: Hannibal; Kb, S. 334: ›Von stratagemis in treffen‹: »Es ist in den Niederlanden eine neue invention, wie die doppelsoldner alß das hertz und vornembste theil in einer schlachtordnung leichtlichen zu thrennen, vorhanden. Nemblichen, es werden gegen solche doppelsoldner persohnen, so schildt oder tarschen, wie die Römer haben pflegen zu thun epraucht und das muster außweißet; und wen man den dritten tehil solcher leut hat, so schilt tragen, und auf nachfolgende wiß armiert und gewaffnet, so seindt dieselbe mechtig gnung, die großere zal der doppelsoldner in unordnung oder fluch zu pringen.« HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 112 bis 117, zitiert in Kb, S. 261–267; Von Schlachtordnungen. Grave Moritz helt nach itziger zeit nachfolgende ordnung mit seiner schlachtordnung … [keine Datierung]; HstA Wiesbaden, K 923, t. I, Bl. 153, 154, zitiert in Kb, S. 267: Schlachtordnung [keine Zuordnung, keine Datierung]; HstA Wiesbaden, K 923, II, Bl. 79, zitiert in Kb, S. 721: [Schlachtordnung Moritz’ von Oranien] – es handelt sich um mehrere Schlachtordnungen, die Moritz während der Belagerung von Jülich (29.7. bis 2. 9. 1610) praktizierte und die sich dem römischen Modell nähern respektive von diesem inspiriert erscheinen: »[...] und dieselbe fast uf die Römer Art und form geordnet«. Es handelt sich in erster Linie um ikonographische Quellen (fol. 80 u. 81). Bl 84: ›Ordre van bataille der Franc¸oisen in dienste van de Coninck voor Gulich in haer ancommen gestelt‹ (mit Abbildung, vgl. 270); K 923, t. I, fol. 172, 173. In: Kriegsbuch, 276: Moritz von Oranien, vor Reeß, 19. Oktober 1614.

4. Systematik

241

jedoch festzuhalten, dass die französischen Truppen selbst nicht in dieses experimentelle Projekt miteingebunden wurden, sondern deren Taktik, wie sie sich bei La Noue und auch noch in der taktischen Schlachtentheorie von Je´re´mie de Billon, sieur de La Prugne findet. Der Einfluss der oranischen Taktik auf den Hugenotten Rohan war daher, wie wir an anderer Stelle noch genauer behandeln werden, nicht ein unmittelbar praktischer, sondern erfolgte über den militärwissenschaftlichen Grundlagendiskurs. Im Kriegsbuch findet sich ein Dokument, das die Schlachtordnung, die Moritz während der Belagerung von Jülich (1610), umsetzte, darstellt. Mehrmals, so der Verfasser, habe er »im felt sein volck zu exerciren angestellet und dieselbe fast uf die Römer art und form geordnet, wie nachfolgente etliche abrisse ausweyssen.«216 Die römische Art der Schlachtordnung ist dem Polybios-Kommentar Lipsius’ entlehnt.217 Die erste Skizze zeigt zwei Pyramiden, die in der Spitze zulaufen. Die zweite, eine Schlachtordnung mit Arrieregarde, Bataille und Avantgarde, deren Truppen versetzt angeordnet sind.218 Die zweite Schlachtordnung ist die Quincunxstellung.219 Die dritte Schachtordnung (Slachoirden gestelt naer t’overgaen naer der stadt Gulich op de wyse der Romeynen) ist wie folgt: Die erste Reihe bilden die Engländer, die zweite holländische Truppen, die dritte schließlich die französischen Truppen. Die vierte Abbildung, die sich auf die vorherige Abbildung bezieht, weist die Dreiteilung in Arrieregarde (Engländer), Bataille (holländische Truppen) und Avantgarde (Franzosen) auf. Die Vierte zeigt ›Slachoirden van alle de cavaillerie der vorsten Nederlanden en Franc¸oisen gestelt voor Gulich‹.220 a. Das vorläufig normative Modell Moritz von Oraniens nach einer Schlachtordnung des Vegetius Moritz von Oranien arbeitete systematisch am Ausbau eines idealen Schlachtmodells, das für die Kriegspraxis der militärischen Befehlshaber und der Soldaten gleichermaßen tauglich ist: Sein Exce pleiben auch bey einem muster von schlachtordnungen, welche gleich wohl zuvor bedacht und auch noch alle jahr verbessert wirdt, damit also nicht 216 217

218 219 220

Kb, S. 271. Jean Chagniot folgt der These, die lineare Taktik der Nassau-Oranier sei von Lipsius inspiriert. Die Synopse beider Quellen verdeutlicht dies. Vgl. Jean Chagniot: La re´volution militaire des temps modernes, Revue historique des arme´es, 207 (1997), S. 7: »Les inventeurs de ce dispositif ont cru en avoir trouve´ le mode`le dans la me´thode de combat des le´gions romaines, telle que l’a interpre´te´e Juste Lipse; Jacob de Gheyn en a donne´ la meilleure description de`s 1607.«. Kb, S. 272. Ebd., S. 273. Ebd., S. 274.

242

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

allein jeder obrister und capitain, sondern auch die soldaten dieselbe desto besser begreiffen und fassen unndt (sic) im notfal resolvirter sein köhne.221

Es folgen Schemata und Erklärungen zu dem von Moritz von Oranien zu einem bestimmten Zeitpunkt als bestes Modell angenommenen Schlachtordnungen von Kavallerie und Infanterie .222 Kein Treffen von Reitern ist stärker als die Kompaniestärke, es sei denn eine Kompanie umfasst weniger als 100 Pferde. In der Schlacht werden vier, fünf oder sechs Kompanien zusammengeschlossen (»zusamen gstosen«). In jedem Treffen von Reitern stehen nur 5 Glieder hintereinander. Je breiter die Ordnung, desto mehr können [gleichzeitig] eingesetzt werden. Der Fähnrich reitet im zweiten Glied. Zwischen jeder Fahne sind 100 Fuß Abstand (spatium). Diese Ordnung wurde vornehmlich in Scharmützeln, Besichtigungen, Verschickungen, Hinterhalten angewandt. Hinsichtlich der Infanterie sind folgende Regeln gegeben: Keine Ordnung respektive kein Treffen ist stärker als zehn Glied. Nur fünf Glied hintereinander kommen zum Treffen. Bei ausreichender Soldatenstärke kann diese Ordnung um vier oder fünf Glied verstärkt werden. Besonders wichtig sind die Doppelsöldner respektive halb Doppelsöldner halb Musketiere. Desto breiter diese die Schlachtordnung machen, desto besser. In der Schlacht stehen sie sieben Fuß neben- und hintereinander. Die Flügel sind folgendermaßen angeordnet: Die Musketiere werden neben die Doppelsöldner gestellt, getrennt durch eine zehn Fuß breite Gasse. Ein Glied gibt nach dem andern seinen Schuss ab. Nach dem Abschuss gehen sie durch dieselbe Gasse wieder zurück und laden »und also ein gliedt das ander entsetzen kahn, und haben hinden und vorn einen befelchsman gleichfalss die andern truppen; auch wie auss dem nachfolgenden abriss zu sehen.«223 Die weiteren Regimenter werden hintereinander auf den Seiten angeordnet. Die Intervalle zwischen den Regimentern, die den Kontermarsch ermöglichen, entsprechen der Regimentsbreite. Auch kannte Moritz von Oranien bereits den Trick mit dem Niederknien.224 Man pflegt zwei Reihen Musketiere in der Breite der Ordnung der Doppelsöldner aufzustellen vor diese und nebeneinander zu stellen. Nach dem Abschuss sollen sich die Musketiere hinknien, damit sie die Doppelsöldner nicht hindern. Haben wir im vorhergehenden Abschnitt die Grundelemente der Schlachtordnung Moritz von Oraniens dargelegt, so geht es im Folgenden um den konzertierten Einsatz betreffender Elemente. Jedes Regi221 222

223 224

Ebd., S. 264. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Dokument Kb, S. 261–267: ›Von schlachtordnungen‹. Kb, S. 263. Vgl. auch Lipsius, DMR, IV, 8.

4. Systematik

243

ment, das sich aus Kavallerie und Infanterie zusammensetzt, kann auf dreierlei Art in Schlachtordnung gestellt werden. Die angemessene Distanz und Proportion der Truppe ist die folgende: Die Infanterie steht in neun, zehn oder zwölf Glied hintereinander. Jedes Glied zählt vier, fünf oder sechs Personen. Ebenso das Glied der Kavallerie, dessen Glieder jedoch in vier, fünf oder sechs in einer Kompanien hintereinander angeordnet sind. Im Treffen und in der Schlachtordnung wird das Regiment in drei Teile getrennt. Noch ein weiteres Stück, das sich im Kriegsbuch befindet, verweist auf den experimentellen Charakter der Schlachtordnung. Es handelt sich um den Text Kurtzer bericht, wie und warumb I. Excell. Printz Moritz der muschquatirer station in den schlachtordtnungen zum dritten mahl geendert.225 Darin spricht Wallhausen einen zweiten aufgegriffenen Traditionsfaden der Nassau-Oranier an, nämlich das deutsche Kriegswesen. La Noue, der gewissermaßen zu der dynastischen Einflusssphäre zählt, und zwei theoretische Schriften: Treuer Rath und Bedencken Eines Alten Kriegsmanns (um 1524 geschrieben) vermerkt: Regiment und stat der fußknecht sambt ihrem artickl brief …und von der geraysigen Regiment, und wie ains aus dem ander fleust und en ains dem andern die Handbeut, auch ains on das ander nit vil frucht wirckhen mag.226

Die experimentelle Verfahrensweise bezieht sich demnach nicht nur auf das antike Modell, sondern auch auf die durch dynastische Ursprünge bedingte Vernetzung mit einem bestimmten Militärsystem. Als erste Reformmaßnahme schildert er, dass sie die Musketiere jeder Truppe teils auf die rechte, teils auf die linke Seite gestellt haben. Sie registrierten jedoch, dass der Feind insbesondere mit der Kavallerie die Musketiere stark angriff, so dass die jeweils in der Mitte stehenden Musketiere gezwungen waren sich zurückzuziehen, was im Endergebnis zu einer Konfusion führt. Der Reformvorschlag Moritz’ ging dahin, die in der Mitte stehenden Musketiere, außen neben die anderen Musketiere zu stellen, so dass es zwischen den beiden Truppen keinen Platz mehr für den Feind gebe, sondern nur den Zwischenraum von 50 Fuß. Die dritte Schlachtordnung sieht vor, dass die Musketiere 50 Fuß hinter die Piken gestellt werden, so dass sie in guter Ordnung zum Einsatz kommen können: Da kann man nun die muschquatirer mit guter ordtnung gebrauchen und darf nicht sorgen, das sie eine salve thun, da die meisten in die lufft schießen, sondern man bringt sie gliederweis an unnd laßen sie sich hineden wieder anhangen.227 225 226 227

Kb, S. 645. Daran schließt sich ein Anhang an, vgl. GdKW, Bd. 1, S. 482. Kriegsbücher Wallhausens, I, 50f., in Kb, S. 645.

244

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Als entscheidenden militärgeschichtlichen Einschnitt wertet die Forschung die taktische Formation, die im Brief Wilhelm Ludwigs an Moritz von Oranien dargelegt wurde. Die jüngste Forschung hegt jedoch Zweifel an der Bedeutung dieses Entwurfs im Rahmen der von den Oraniern inspirierten Schlachtordnungsmodelle und Praktiken. So schreibt C. van den Heuvel: Echter dergelijke praktijkgrichte experimenten terzijde, kunnen we ons niet aan de indruk onttrekken dat de door Stevin en Maurits voorgestelde hervormingen op het gebied van de slagordes minder ingrijpend zijn dan bijvoorbeeld de veel vroegere voorstellingen in de brief van Willem Lodewijk.228

Die Vorstellung von Musketieren und diese beschützenden Pikenieren, die sich als laufende Festung – in Stevins Worten pijkschansen – durch die Landschaft bewegen, ist tatsächlich die Variation eines alten Themas. Mit ihrer quadratischen Form, nach allen Seiten hin gleichstark, und manchmal auf 20 Kompanien mit einer Gesamtzahl von 2000 Mann ansteigend, gleichen sie, ungeachtet der experimentellen Lösung für die Abwechslung von Pikenieren und Musketieren, mehr dem alten spanischen Tercio als den modernen kleinen geschlossenen Einheiten, mit denen die Armee der Generalstaaten dank einer neuen Form des Kontermarsches viele Erfolge errang. Als Quelle dient die Cort ende eenvoudich onderwijs vant maken ende stellen der huijdendaechse ghebruijckelijckste slachordens ofte Bataillons mitsgaders eenighe vermakelijke formen ende curieuse questien derselve materie,229 worin Truppen in regelmäßige fünf-, sechs-, sieben- und weitere geometrische Vielecke aufgestellt wurden. Wenngleich derlei amüsante Formen (vermakelijke formen) von Schlachtordnungen nur selten realisierbar waren, widmete Moritz ihnen dennoch ein ernsthaftes Studium. Neben Moritz von Oranien setzte sich auch Wilhelm Ludwig mit den Schlachtordnungen auseinander. Davon zeugen zwei Beispiele im Kriegsbuch.230 Nach Wilhelm Ludwig gibt es drei verschiedene Arten ein Kavallerie- und Infanterieregiment in Schlachtordnung zu stellen. Doch 228

229

230

Charles van den Heuvel: Wisconstighe Ghedachtnissen. Maurits over de Kunsten en Wetenschappen in het werk van Stevin. In: Kees Zandvliet, Arthur Eyffinger (Hg.), Maurits Prins van Oranje, Zwolle 2000, S. 117f. Ebd.: »Deze titel vormt onderdeel van het handschrift Militaire Afbeeldingen, Logieringhe, Tochten ende Slachorden in de Legermuseum Delft, HB/P 574 (voormalig signatuur Bibliotheek van het Ministerie van Oorlog I A 750), fol. 86–110. Dit handschrift houdt zeer nauw verband met het manuscript Ordres des batailles (car. Nr. 106), waarin de genoemde titel overigens ontbreekt. Vgl. 106: Anoniem, circa 1625 Handschrift. Den Haag. Koninklijk Huisarchief, inv. Nr. A14-IX–2.« ›Zwo schlachtordnungen, so g[raf] Wilhelm Ludwig von Nassau gemacht‹. In: Kb, S. 267; Original: HstA Wiesbaden, K 923, t. I, Bl. 153, 154. Unter dem Punkt 28, der zwei Schlachtordnungen von Wilhelm Ludwig von Nassau ankündigt, findet sich jedoch weder eine schriftliche noch grafische Darstellung.

4. Systematik

245

Wilhelm geht zunächst von folgender Grundordnung aus: Die Ordnung folgt dem Prinzip der Möglichkeit des gegenseitigen Ersetzens. Gewöhnlich werden zwei, drei oder vier Kompanien in ein Treffen geordnet, unter die auch die Offiziere aufgeteilt werden, um sich gegenseitig zu ersetzen. Was die Infanterie betrifft, so werden die Pikeniere oder Doppelsöldner in der Mitte der Truppe und die Musketiere an den Flügeln angeordnet. Es sollen drei Grundmuster folgen, die jedoch im Text nicht zu identifizieren sind. Johann der Jüngere von Nassau zeichnet für zwei weitere Schlachtordnungen verantwortlich.231 Diese Ordnungen stammen von 1599 und wurden in der Gegend um Reeß praktiziert. Es handelt sich um mehrere Diagramme. Die Form der Pyramide ist in allen Ordnungen präsent. b. Die taktischen Innovationen der Nassau-Oranier Vor der Neuordnung war die Normalstärke in den Niederlanden auf 150 Mann anzusetzen, die zur Hälfte aus Spießern und zur Hälfte aus Schützen bestand. Der Grund für die Reduzierung ist weniger in der Knappheit auf dem Söldnermarkt zu suchen, als in dem auf Qualität des Heeres gerichteten Streben der leitenden Persönlichkeiten. Dem entspricht auch der reichliche Sold, der durch seine Staffelung ein geordnetes Avancement möglich machte. Je kleiner die Kompanien waren, desto sorgfältiger konnten die Truppen ausgebildet werden232 und desto fester waren sie auch in der Hand ihrer Führer. Freilich wurde durch die vermehrte Zahl der Offiziere auch der Heeresetat weit stärker belastet, was wohl in Deutschland die Hauptursache gewesen sein mag, dass man an den starken Fähnlein festhielt. Graf Johann spricht sich in seinem Discurs ganz entschieden für die niederländische Praxis aus.233 Er verschließt sich zwar nicht der Tatsache, dass die ›kleinen Truppen‹ teurer zu stehen kommen, meint jedoch, wenn man durch solche gute Ordnung nächst Gott die victoriam erhalte, so seien die vermeintlichen Unkosten reichlich erstattet. In den kleinen Fahnen, die aus lauter versuchten Soldaten beständen, sei besser Regiment zu halten, während in den großen allezeit viel Lumpengesindel und wenig maistres zu finden gewesen wäre. Sie seien in Garnisonen zum ›Convoyieren‹, zum ›Scharmutzieren‹ und seien für die anfallenden Gelegenheiten viel besser zur gebrauchen, weil sie ihre Befehlshaber bei sich haben. Falls die kleinen Fahnen zu schwach seien, könne man sie leicht durch zwei oder drei andere stärken . Dies bezog sich zunächst nur auf die Reiter: 231 232 233

Kb, S. 276f.; K 923, t. II, Bl. 99, 100. Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 43f. Discurs, wie ein Zeit’hero die teutschen Reutter ihre Schlachtordnungen haben pflegen zu machen, und wie jetziger Zeit dieselben breuchligen, und welcher vor die beste zu achten, wie auch das Fußvolk belangend, ADA, Collect.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

so hat es mit dem Fußvolk eine ebenmäßige Meinung; sintemal hierbevor die Fähnlein 4 – oder auch wohl 500 Mann stark gemacht wurden und das ganze Regiment vierkantig zu einem Trupp gestellt, auch keine Abteilungen unter den Fähnlein gewesen. Und wenn man Schlachtordnung machen wollen, hat man Hinz und Kunz und also einen jeden mit den Armen an seinen Ort führen und neben vielen Fluchen, Schwehren und Schmeißen eine solche Schlachtordnung zu machen einen halben Tag, welches jetzt bei der neuen Art in einer Viertelstunde geschieht, zubringen müssen. Hinzu kommt noch, dass ehrliche Gemüter, weil man alsdann sehen kann was hinter jedem steckt, desto mehr zur Tapferkeit gereizt werden.234

B) Die Nassau-Oranier und die Traditionen der Kriegskunst im 16. Jh. Die oranische Taktik stellt nicht nur eine ›pragmatische Interpretation‹ der antiken taktischen Theorie dar, sondern speist sich auch aus den Erfahrungen des im Truppenverband der Oranier und der Generalstaaten operierenden europäischen Adels, der Kenntnis der Oranier anderer militärischer Systeme, insbesondere des deutschen. Das Militär der Generalstaaten konnte im Hinblick auf die Reformprozesse davon profitieren, dass die Armee sich sowohl aus dem festen Kern einer subsidiären, von den sieben einzelnen Provinzen unterhaltenen Militärverfassung als auch auf Hilfstruppen aus anderen europäischen Armeen und deren Potential in der Kriegskunst stützen konnte und über die dynastische Kultur der Nassauer Impulse aus weiteren europäischen militärischen Kulturen erhielt.235 Im Fall des Polybios-Kommentars von Moritz von Oranien kam es zum Zusammenspiel von zwei Ebenen ideengeschichtlicher Bewusstseinsinhalte: Moritz brachte die deutsche Militärverfassung mit seiner Interpretation des Polybios zusammen. Die Taktik der Deutschen steht am Beginn seiner Argumentation, Polybios dient der theoretischen Ausformulierung. Dass die Armee der Generalstaaten kein nur aus Einheimischen rekrutiertes Militär war, das im Sinne der neuen Ausbildungsmethoden von ausgebildeten niederländischen Offizieren geleitet wurde, führte dazu, dass Methoden aus weiteren europäischen Militärsystemen in die Armee eingeführt wurden. Die Armee der Generalstaaten und der Hof der Oranier war ein Anziehungspunkt für den mittel- und westeuropäischen Adel. Die Aufreihung adeliger Offiziere aus der Schweiz, Österreich, Böhmen, Dänemark, Schottland, England und Frankreich, darunter Gaspard III. de Coligny, Graf von Chaˆtillon sur Loing, ergibt ein internationales Bild der Armee der Generalstaaten zu Beginn des 17. Jahrhunderts.236 Der böhmische 234 235

236

Plathner: Graf Johann von Nassau und die erste Kriegsschule, S. 44f. Neben den Deutschen (Nassau-Dillenburg) scheinen es vor allem die Franzosen gewesen zu sein, die die Kriegskunst der Oranier beeinflussten. Vgl. Abschnitt: ›Die Oranier und die Traditionen der Kriegskunst im 16. Jh.‹. Kees Zandvliet, Het militaire bedrijf, martiale kunst en de wetenschappen. In: ders., Arthur Eyffinger (Hg.), Maurits Prins van Oranje, Zwolle 2000, S. 239–244.

4. Systematik

247

Offizier Peter Baron von Sedlnitzky spielte eine herausragende Rolle bei der Durchführung von Moritz’ Militärreformen.237 Im Winter 1595/96 erhielt er die Aufsicht über die Exerzier-Übungen. Darin wurde sowohl vom Fußvolk als auch der Reiterei erwartet wird, dass sie sich in verschiedene Schlachtordnung stellen, kehren, wenden, schwenken, brechen et al.238 Neben den gemeinsamen Operationen mit der französischen Armee, sind französische Militärs im unmittelbaren Umkreis des stadhouders zu finden. Noch unter Friedrich Heinrich stellten Ausländer einen erheblichen Teil des Offizierskorps. Von den achtzehn Obersten, die im Beerdigungszug Friedrich Heinrichs 1647 ›rontom het lijck‹ gingen, waren mindestens zehn, vielleicht mehr ausländischer Herkunft, darunter sechs Briten.239 Dabei ist eine Dominanz der Verwandtschaft und des reichsadligen Umfeldes der deutschen Nassauer unter den Militärs des ständischen Heeres in der engsten Umgebung Friedrich Heinrichs festzustellen.240 Hahlweg vertritt die These, dass die Entwicklung der Elementarbewegungen durch die Refomer nahezu ausschließlich auf Grundlage der Vorschriften des Aelian erfolgte, während die in Leo VI. imperator enthaltenen entsprechenden Angaben in ergänzendem Sinne verwertet wurden.241 Die jüngere Forschung, namentlich H. Kleinschmidt, hat herausgestellt, dass der Drill der Oranier auf drei europäische Traditionsstränge des Drills zurückging, nämlich die griechischen Taktiker, die Landsknechte mit ihrer Schneckenformation und die englische Praxis des zentrierten Drills.242 237 238

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Vgl. Kb, S. 650: Er wird im Zusammenhang der Lagerordnung aufgeführt. Kees Zandvliet: Het militaire bedrijf, S. 240: »verscheyden slachorden stellen, keeren, wedne, swencken, breecken ende maecken, bijenvougen ende separeren, om ’t volck te wennen heure fylen [rijen] ende gelederen te houden ende om ’t breecken, veranderen ofte swencken van de slachordre wille die niet te verlaeten ofte haer daerinne niet te confunderen.« Vgl. Olaf Mörke: ›Stadtholder‹ oder ›Staetholder‹? Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofes in der politischen Kultur der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert (Niederlande-Studien, 11), Münster-Hamburg 1997, S. 185: Mörke geht schwerpunktmäßig auf die nicht zuletzt herkunftsbedingten Vernetzungen mit den deutschen Adeligen ein und nicht auf die Verbindung der Oranier mit dem französischen, insbesondere hugenottischen Adel. Ebd., S. 187. Hahlweg: Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 51. Vgl. Harald Kleinschmidt: Using the gun: Manual drill and the proliferation of portable firearms, The Journal of Military History, 63 (1999), S. 609: »The Maurician reformers and their early seventeenth-century partners consciously took up the three practical European traditions of manual drill and integrated them into a novel framework for the subjection to government controlled manual drill of professional soldiers as well as the resident population of nonmilitary professionals.They relied on the writings of the Greek tactical authors, and on the lansquenet ›snail formation‹, as well as the English practice of centralized drill.«

248

II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Auch speisten sich ihre taktischen Reformen aus der deutschen taktischen Tradition. Die Oranier rekurrierten jedoch nicht nur auf die literarische Tradition bzw. den humanistisch-militärtheoretischen Diskurs, sondern regten ihn im Gegenzug an. Sie bildeten sich ihr Urteil auch über zeitgenössische militärische Systeme respektive entwickelten ihre taktische Kritik aus der Kenntnis bestimmter militärischer Systeme, so auch das der Deutschen.243 Die dynastischen Verbindungen dürften dabei von nicht geringer Bedeutung gewesen sein. In den im Staatsarchiv zu Danzig liegenden Kriegsbüchern Wallhausens ist ein taktischer Reformansatz von Moritz von Oranien aufgegriffen, demnach dieser das alte deutsche Kriegswesen reformierte und damit auch die Schlachtordnung verbesserte.244 Handelt es sich in diesem Fall um eine kritisch-experimentelle Weiterentwicklung der taktischen Praxis der Deutschen,245 so ist die Taktik der Polen und die französische Kriegspraxis in Zitatform präsent. So treten die Oranier, die in einem Kriegsmilieu operierten, das strategisch von der Binnenstruktur der Festungen dominiert war, für die am polnischen System gebildete Meinung ein, Festungen im Landesinneren zu unterbinden und nur an den territorialstaatlichen Grenzen zuzulassen.246 Darüber hinaus finden sich Zitate der französischen Kriegspraxis der Religionskriege. Ein Zitat bezieht sich auf den Hugenottenführer im Rahmen eines Zusatzes zu einer Abhandlung über die Schlachtordnung.247 Es geht darin um die Reservetruppen. Deren dritter Teil kommt im holländischen oder deutschen System aufgrund ihrer Bewaffnung nicht zum Einsatz – ein Mangel, den die Franzosen offensichtlich auszugleichen wussten. Obgleich die Reserven in Frankreich (oder anderswo) schwach seien, können diese dennoch siegreich sein respektive entscheidend zum Sieg beitragen. Als historisches Beispiel dient die Auseinandersetzung zwischen katholischer und protestantischer Armee in 243

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Vgl. Günther Voigt: Deutschlands Heere bis 1918. Ursprung und Entwicklung der einzelnen Formationen. Hg. v. D. Bradely und H. Bleckwenn, Osnabrück 1980. Zitiert in Kb, S. 645, Anlage 27: »Demnach Ihr Excell. Printz Moritz das alte deütsche kriegswesen vorendert unndt vorbeßert, so haben sie auch die schlachtordnungen vorbessert unnd in besser ordtnung bracht.« Literatur respektive Quellen zum ›deutschen‹ System: Leonhart Fronsperger, Kriegsordnung und Regiment, Frankfurt a. M. 1565. – Kriegsbuch: 1578 und 1596; Fünf Bücher, vonn Kriegs-Regiment und Ordnung, Frankfurt am Main 1558; Kriegsbuch 1573 etc.; Von Kriegs-Regiment und Ordnung 1555. K 924, fol. –, Kb, S. 15: »Hierher gehöret ein guter discours wieder (sic) die, die da leugnen, das man keine festungen ihm land haben sol, als die Polen thun.«; vgl. hinsichtlich der militärwissenschaftlichen ›Modernität‹ des polnischen militärischen Systems: Gottlieb Friedländer: Die Einleitung zur Kriegsordnung des Markgrafen Albrecht des Ersten von Brandenburg, Herzogs on Preußen, Berlin 1845. K 923, II, fol. 95–98, zitiert in Kb, S. 303–306; der Zusatz hat folgende Signatur: K 923, II, fol. 101–103, in Kb 306f.

4. Systematik

249

der Schlacht bei Dreux (19. Dez. 1562). Obwohl schon verloren geglaubt, konnte die katholische Partei unter Führung des Herzogs von Guise diese letztlich doch für sich entscheiden. Als Gründe dafür führt er die Reserven an: Die protestantische Seite unter dem Befehl von Ludwig I. von Bourbon, Prinz von Conde´ habe über gar keine Reserve verfügt. Darum habe von Guise mit nur 100 Reservereitern gewinnen können. Der [sic] obrist von Roltzhausen [Friedrich von Rolshausen zu Friedelhausen, hessischer Obrist], alß er auch in Franckreich eine schlacht gelieffert, haben seine stal jungen, welche in einer trupen gehalten, weil alles im treffen und nichts mehr ubrig gewesen, diselbe schlacht erhalten.248

Ein weiteres Beispiel für einen effizienten Einsatz der Reserve lieferte Moritz von Oranien selbst in der Schlacht gegen die spanischen Truppen bei Nieuwpoort (1600). Hier hatte die Reserve-Kompanie des Grafen Friedrich von Solms entscheidend zum Sieg beigetragen. Das abschließende Beispiel dokumentiert die Schlachtordnung der französischen Einheiten im Zusammenhang der Belagerung von Jülich (1610). Auffällig ist hier die Ähnlichkeit mit den Grundmodellen von Franc¸ois de La Noue und Je´re´mie de Billon.249 Französische Truppen wurden auch in ebendiesem kriegsgeschichtlichen Zusammenhang eingesetzt. So bilden sie in der Slachoirden gestelt naer t’overgaen der stadt Gulich op de wyse de Romeynen, uyt welcke dese neven staende slachoirden in een paternoster tyts gemaect wierdt seer behendelycken (K 923, II, fol. 82) nach den Engländern und den Truppen der Generalstaaten die Arrieregarde/Reserve.250 In der Slachoirden van alle de cavaillerie der vorsten nederlanden en Franc¸oisen gestelt voor Gulich stellen die Franzosen die Avantgarde (K 923, II, fol. 83),251 ebenso in einer dritten Schlachtordnung (Kb, S. 275). Schließlich erfolgt das Zitat des französischen Systems in der Bestrafungspraxis.252 Verweisen die Schlachtordnungen, in denen die Franzosen als integrativer Bestandteil teilnehmen, auf die theoretische Assimilation des oranischen taktischen Modells in dem Traktat von Lostelneau, so zeigt die Schlachtordnung, in der die französischen Regimenter noch isoliert von den Truppen der 248 249

250 251 252

Kb, S. 307. Vgl. K 923, II, fol. 84, in Kb, S. 276: »Ordre van bataille der Franc¸oisen in dienste van de Coninck voor Gulich in haer ancommen gestelt. / Verclaring. / De vierhoucke […] gehacheert syn troupen ryterye, maer de andere syn altemael voetvolck, onder welcke dat musquettiers syn daer de oooo inde virhoucken geschreven syn, maer de ledighe plaetsen waren pyckiers. Tusschen yder pyck vant eerste ende leste geliten der Switsers stont een musquettier. De getallen verclaren hoe veel man in yder geliten en rje stonden.«; Abb.: Kb, S. 277. Kb, S. 274. Ebd. Ebd., S. 312f.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Generalstaaten zum Einsatz kommen, Merkmale der französischen militärtheoretischen Paradigmen der Epoche, so La Noue und Je´re´mie de Billon, sieur de La Prugne. Die Handbücher spiegeln wider, welch theoretische Vielfalt um 1610 im strategischen Milieu der Niederlande entstanden ist. Die Zitate der französischen Kriegspraxis beziehen sich in erster Linie auf die taktische Theorie. Eine Ausnahme bildet die Bestrafungspraxis. C) Der Beitrag Moritz von Oraniens zur Kriegskunst und Militärorganisation Die Rolle Moritz von Oraniens in den theoretisch inspirierten Reformvorgängen ist unumstritten. Moritz war womöglich nicht immer der Kopf hinter den Reformen, die sich in den unterschiedlichen militärischen Disziplinen vollzogen, aber sein wissenschaftliches und theoretisches Interesse für die Kriegswissenschaft diente als Nährboden für eine militärische Kultur, in der praktische Neuerungen erprobt werden konnten und worin neue Theorien über die ars militaris entwickelt wurden.253 Der theoretische Standpunkt Moritz von Oraniens lässt sich folgendermaßen charakterisieren: Sein Interesse galt nicht allein der praktischen Anwendung, sondern vor allem der Lehre, die aus der Praxis gezogen werden konnte.254 Ihm gelang es, eine disziplinierte, professionelle Streitmacht zu schaffen und damit die Basis für weitere Entwicklungen der militärischen Institutionen zu legen. Seine zweite große Leistung war die Wiedereinführung der Lineartaktik.255 Der Hauptbeitrag Moritz von Oraniens bestand dabei, so Trevor Dupuy, in der taktischen Entfaltung der Truppe.256 Er entwickelte ein taktisches System, das bei Frontalangriffen gegen die Infanterie gut funktionierte, nicht jedoch gegen einen Frontalangriff der Kavallerie.257 Moritz unterstützte die Entwicklung neuer Waffen, förderte Kartographen und benutzte Feldstecher. Er verwendete in großem Umfang Feldbefestigungen und unternahm innovative Schritte im Belagerungskrieg, wodurch er die Dauer der Belagerung reduzierte. Als ein Beispiel seiner Festungsbauinitiativen lässt sich Groningen anführen.258 Darüber 253 254

255 256

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Vgl. Van den Heuvel: Wisconstighe Ghedachtnissen, S. 121. Ebd., S. 121: »Maurits’ interesse voor de wetenschap en de kunsten droegen hierdoor niet alleen bij tot zijn persoonlijke vorming, maar ook tot die van de jonge Republiek: Tandem fit surculus arbor.« Vgl. Nickle: The Military Reforms of Prince Maurice of Orange, S. 6. Trevor N. Dupuy: The Evolution of Weapons and Warfare, New York 1984, S. 132. Ebd. Zandvliet: Het militaire bedrijf, martiale kunst en de wetenschappen, S. 256.

4. Systematik

251

hinaus hat seine Kompetenz als Feldherr, die sich in dem Jahrzehnt von 1590 bis 1600 entfaltete, zur erfolgreichen Kriegspraxis beigetragen.259 Truppen mussten im Schießen, Kontermarsch, im Laden und im Manövrieren trainiert werden. Die Grafen von Nassau unterteilten ihre Armee daher in weit kleinere Formationen, d. h. in Kompanien von 250 Mann mit jeweils elf Offizieren und in 120 Mann mit zwölf Offizieren. Regimenter von 2000 Mann wurden durch Bataillone von 580 Mann ersetzt, und es wurde ihnen der Drill beigebracht. Das Tagebuch eines Mitglieds des Generalstabs von Moritz, Anthonis Duyck, zeigt, dass die holländischen Truppen in den 1590er Jahren fast ununterbrochen exerzierten. 1599 gelang es Moritz von Oranien bei den Generalstaaten Gelder zu mobilisieren, um die ganze Feldarmee der Republik mit einheitlichen Waffen (gleiche Größe und gleiches Kaliber) auszurüsten. Etwa zu gleichem Zeitpunkt arbeitete sein Cousin Johann an einer neuen Methode militärischer Ausbildung, dem illustrierten Drill-Handbuch.

5. Die Publizität der holländisch-oranischen Kriegskunst A) Die Kanonisierung des Exerzierens Das oranische Exerzieren der Musketiere und Pikeniere wurde durch den Kupferstecher und Künstler Jacob De Gheyn grafisch erfasst. Weniger bekannt ist, da rezeptionsgeschichtlich ohne nachvollziehbares Gewicht, dessen serielle Darstellung des Exerzierens der Reiter. Die spielten in den französischen Religions- und Bürgerkriegen auf Seite der Hugenotten eine Rolle, für den holländischen Kriegskontext waren sie jedoch von geringer bzw. uns nicht bekannter Relevanz. Nicht nur das Kriegsbuch verdeutlicht somit, dass die oranische Kriegskunst sich in taktischer Hinsicht lediglich auf die Antikerezeption und die Verfassungstheorie des politischen Neustoizismus bezog. Die sorgfältige bildliche Darstellung veranschaulicht, dass die Reitertaktik in den graphischen Kanon der niederländischen militärischen Kultur, in der einige Traditionsstränge und Reflexionsebenen militärischer Kultur zusammenflossen, aufgenommen wurde.260 Es muss sich ursprünglich um eine, wie die Exerzierhandlung für die Fußsoldaten, logisch durchkonstruierte serielle Darstellung gehandelt haben. In dem vorliegenden Exemplar fehlen jedoch Stücke, so dass die systematischen Bewegungsabläufe für den Reiter nicht nachvollzogen werden können. 259

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Vgl. Aalders: De antieke oorsprong van de moderne exercitie, S. 225: »De successen, die Maurits in de jaren 1590–1600 behaalde, breustten in de eerste plaats op de snelheid van zijn bewegingen, die mogelijk was, doordat zijn soldaten niet alleen goed, maar ook volgens en uniform systeem geoefend waren.« Quatorze estampes repre´sentant des reitres, s.l., s.d. Mazarine 4020 D 2e pie`ce.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Das holländische Modell hatte als Exerzierreglement einen entscheidenden Einfluss auf die Handbuchliteratur des 17. Jahrhunderts Die Nassau-Oranier waren in die Entwicklung dieses spezifischen, die holländisch-systematische Militärpraxis festhaltenden Soldatentypus mit römischem Habitus nicht unbeteiligt, sondern beförderten dessen Propaganda expressis verbis. So kann einem Brief Johann von Nassaus an Wilhelm Ludwig von Nassau (10. Dez. 1608) entnommen werden, dass die von De Gheyn festgehaltenen Exerzierformen um 1596 oder 1598 konzipiert worden waren.261 Neben De Gheyn prägten Isselbourg und De Breen den bildlichen Kanon des holländischen Individualexerzierens, welcher nicht zuletzt die kulturgeschichtliche Tragweite des holländischen Reformmodells illustriert. B) Werke zur holländischen Fortifikation und deren Verwissenschaftlichung durch Hugenotten In den Diensten der Generalstaaten stehende meist hugenottische Ingenieure oder Mathematiker waren an der Theoretisierung und Verbreitung der holländischen Festungsbautheorie maßgeblich beteiligt. Simon Stevins Abhandlung über den Festungsbau ist in einer französischen Kompilation enthalten: Les Œuvres Mathe´matiques de Simon Stevin, überarbeitet und vervollständigt von dem französischen, in Holland lebenden Mathematiker Albert Girard (1595–1632) und 1634 posthum veröffentlicht. Viele Schriften Stevins wurden von dem Sekretär des Prinzen Friedrich Heinrich teilweise ins Französische übersetzt.262 Der Protestant Girard war aus Lothringen geflohen und hatte in Leiden Mathematik studiert. In seiner Funktion als Militäringenieur gab er die Werke anderer Flüchtlinge (Simon Stevin und Samuel Marolois) heraus.263 Er übersetzte eine Reihe mathematischer Werke und gilt als Vorläufer von Rene´ Descartes.264 Er scheint damit eine wissenschafts- re261

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Johann von Nassau an Wilhelm Ludwig von Nassau mit kritischen Bemerkungen über die bildliche Darstellung des Exerzierens der Schützen, Musketiere und Doppelsöldner in dem Werk de Gheyns. Siegen, 10. Dezember 1608, HstA Wiesbaden, K 925, zitiert in: Kb, S. 613: »Nicht zweifelndt, es werde S. Excell. [gemeint ist Moritz von Oranien] sich noch zu erinnern wissen, daß ich daßelbe vor ungefehr zehen oder zwolf jaren im Haagen durch gemelten meister verfertigen undt abreißen lassen, Ihre Excell. Aber damals nicht vor gut gefunden, solches in truck ausgehen zu lassen. Weil es aber geschehen, so hette die ubung der reuterei, welche ich ihme, dem meister, detzuemal auch gegeben, nicht ubel darbei gestandten.« Ebd., S. 58. Henri Dannreuther: Le mathe´maticien Albert Girard de Saint-Mihiel. 1595–1633 (Extrait des Me´moires de la Socie´te´ des Lettres, Sciences et Arts de Bar-le-Duc, 3e se´rie, tome III), Bar-le-Duc 1894; biographischer Hintergrund: Arch. munic. de Metz; communication obligeante de M.F. Dietsch, pasteur de l’Eglise re´forme´e de Metz, et auteur d’un livre sur son histoire. Ebd., Bibliographie der von Albert Girard übersetzten Werke: Tables des sinus

4. Systematik

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spektive theoriegeschichtliche Zwischenstellung zwischen La Rame´e bzw. Stevin, der diesen aufgegriffen hat, und Descartes einzunehmen. Seine Anmerkungen sind in der Tat sehr entwickelt und bilden gegenüber der niederländischen Fassung von Simon Stevin ein eigenständiges Werk.265 Girard hat nicht die Einleitung von Stevin übernommen, die einen holländischen Kommentar zu den Theorien über die Methode von Pierre La Rame´e enthielt, der Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Holland großen Einfluss ausübte266 und auch auf die Festungsbautheorie von Stevin zu wirken vermochte.267

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tangentes et secantes selon le reid de 10000 parties: et un traicte´ succint de trigonometrie. A la Haye, Jac. Elzewir, 1626, 120 pages in–12.°; Id., 2e e´dition (avec la Trigonome´rie). La Haye, Jacob Elsevier, 1629, 132 pages in–12°; Id. [Edition hollandaise], ’s Gravenhagen, Jacob Elsevier, 132 pages in–12°; Invention nouvelle en l’Alge`bre, par Albert Girard, mathe´maticien, tant pour la solution des e´quations, que pour recognoistre le nombre des solutions qu’elles recoivent, avec plusieurs choses qui sont ne´cessaires a` la perfection de cette divine science. (De´dicace a` M. Henry de Bergaigne, capitaine d’une compagnie de cavallerie; pour messeigneurs les Etats ge´ne´raux des Provinces-Unies des Pays-Bas, receveur des contributions de Brabant au quartier de Breda, etc.) Amsterdam, chez Guillaume Jansson Blaeuw, M.DCXXIX, in–4°, 64 pates. Id. [Re´impressions] par le Dr B. Bierens de Haan, L.L.D. Leiden, 1884, imprime´ chez Mure´ fre`res. (Cette re´impression textuelle du traite´ rarissime d’A. Girard est pre´ce´de´e d’une pre´face ou` le savant e´diteur en fait valoir le haut inte´reˆt pour l’histoire de la science au XVIIe sie`cle, et rappelle qu’il contient une voule de re´ductions et d’observations pratiques. In diesem Buch sei er der Vorläufer von Descartes, der diese benutzt habe, jedoch ohne sie zu zitieren Sic vos non vobis…); –, Des triangles, Amsterdam, chez G. Jansson Blaeuw, 1629. (C’est une partie de I, 2e e´d.); – L’Arithme´tique de Simon Stevin de Bruges, reveüe, corrige´e et augmente´e de plusieurs traictez et annotations par Albert Girard, samie´lois, mathe´maticien. A Leide, de l’imprimerie des Elseviers, 1625, in–8°, 892 pages, front. Grave´. (De´dicace a` Tre`s haut et Tre`s excellent prince et seigneur Maurice, par la graˆce de Dieu prince d’Orange, comte de Nassau,etc.); (Ouvrage posthume): Les œuvres mathe´matiques de S. Stevin, revues et augmente´es. A Leide, chez Bonaventure et Abraham Elsevier, imprimeurs ordinaires de l’Universite´, 1634, 678 pages in-f°; Samuel Marolois: Fortification ou architecture militaire. Hg. v. Albert Girard, Amsterdam, J. Janssen, 1627, 42, 46 pages, 40 pl. in f°; Id. en hollandais, ib., ib., 1627, 100 pages, 40 pl. in-f°; Marolois: Meet-Conste verbetert door A. Girard, uitg. Door E. de D. Amsterdam, Joan Jansz, 1629, 62 pages, 47 pl. in-f°. Dannreuther: Le mathe´maticien Albert Girard, S. 4. Stevin et Isaac Beeckman (qui a e´tudie´ et annote´ les e´crits de Stevin) ont suivi les lec¸ons de Rudolph Snellius, le plus important adepte des the´ories de Ramus aux Pays-Bas. Zum Einfluss Ramus’ in den Niederlanden vgl. Klaas van Berkel: Isaac Beeckman (1588–1637) en de mechanisering van het wereldbeeld/Isaac Beeckman (1588–1637) and the mechanization of the world picture (Nieuwe Nederlandse bijdragen tot de geschiedenis der geneeskunde en der natuurwetenschappen, 9), Amsterdam 1983; Paul Dibon: L’influence de Ramus aux universite´s ne´erlandaises du XVIIe sie`cle. In: Proceedings of the XIth International Congress of Philosophy, Bruxelles (1953) XIV, S. 307–311; J. J. Verdonk: Vom Einfluß des P. de la Rame´e auf Simon Stevin, Centaurus, 13 (1969), S. 251–262. Charles van den Heuvel: Stevin et Ramus. Me´thodes d’architecture militaire et civile en bois. Repre´sentations Anthropomorphiques: Un be´be´ en bois. In: Andre´

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

In dem Traite´ de fortification von Stevin manifestiert sich der Übergang von der italienischen Festungsbaumethode zum altniederländischen Festungsbausystem. Girard trat nicht nur als Übersetzer von Simon Stevin auf, sondern auch als Herausgeber von Samuel Marolois Fortification ou Architectvre militaire in lateinischer Sprache (1644).268 Auch die französische Ausgabe einer Abhandlung über Messkunde und Geometrie von Samuel Marolois269 hat Girard der Korrektur unterzogen. Ferner übersetzte er die Description et bre`ve de´claration des re`gles ge´ne´rales de la fortification von Hendrik Hondius.270 Von den mathematischen Schriften Marolois liegt ebenfalls eine kommentierte Übersetzung vor (1651).271 Dieser französischen Ausgabe ging jedoch 1627 eine durch Albert Gerhard (sic) kommentierte deutsche Ausgabe voraus.272 1634 übergab seine Witwe den Verlegern Elzevier in Leiden eine Handschrift zwecks posthumer Veröffentlichung. Es handelte sich hier-

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Corvisier (Hg.), Actes du Colloque international sur les plans-reliefs au passe´ et au pre´sent. Les 23, 24, 25 avril 1990 en l’Hoˆtel National des Invalides, Paris 1993, S. 57–70. Samuel Marolois: Fortification ou Architectvre Militaire tant offensiue que deffensive; Suppute´e et dessigne´e par Samvel Marolois. Reueüe Augmente´e et Corrige´e par Albert Girard Mathematicien, Amsterdam, Ian Ianssen, 1662./Samvelis Marolois Mathematicorum sui seculi facile` principis Artis muniendi, sive fortificationis, pars prima: continens Locorum regularium munitionem defensivam atque offensivam perfectissimam, studio atque opera Alberti Girardi, Mathematici Cl. recognita & multis notis illustrata, Amstelodami, Joannis Janssonii, M DC XLIV. Mazarine 4816 A. 1638 liegt eine niederländische Ausgabe vor: Samuel Marolois, Geometrie ofte Meet-konst Inhoudende het nootsakelijck gebruyck dienstich tot de Fortificatie. Gertijts beschreven door Samvel Marolois, Ende daer na verbetert door Albert Girard. Nu erstmael uyt het Francoys int Nederduytsch overgeset Door E. de D., A Amsterdam, Chez Ian Ianssen, 1638. Mazarine 4620 C. Und in demselben Band: Samuel Marolois, Fortificatie, Dat is/Sterckte Bouwing: So wel tot offensive als defensive Oorlogh/beschreven en noor-gestelt door Samuel Marolois. Ooversien ende verbetert Door Albert Girard Mathemat. Nu nieus uyt de Fransche in onse Nederlandtsche Tale over-geset, tot diens vande Liefhebbers der selve Konst, Door W. D., T’Amsterdam, Jan Jansz, 1628. Mazarine 4620 C. Hendrik Hondius: Description et bre`ve de´claration des re`gles ge´ne´rales de la fortification, l’artillerie, des amunitions et vivres, des officiers et de leurs commissions, des retranchemens de camp, des approches, avec la manie`re de se deffendre, et des feux artificiels, par Henry Hondius. Le tout traduit du flamend en langue franc¸oise par A.G.S. [Albert Girard], ex officina Henri Hond., Hagae comit, 1625. BN V–2302 (Re´serve). Samuel Marolois: Opera mathematica ou œuvres mathematiques traictans de geometrie, perspective, architecutre, et fortification. Par Samuel Marolois. De nouueau Reueüe, Augmente´e, et Corrige´e, par Albert Girard mathematicien. Cum Privilegio, Amsterdam, Ian Ianßen, 1651. BN Estampes Hb 32 u. Hb 32 a. Samuel Marolois: Fortification, wie ein Ort nach der wahren und FundamenthalKunst zu befestigen, anzugreiffen, zu bestürmen ode rauc wider allen feindlirchen Gewalt und Anlauff zu beschirmen, vermehret, gebessert und erläutert durch Albert Gerhard [sic] …, Amsterdam, J. Janssen, 1627. BN V–2303.

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bei um die französische Übersetzung nahezu aller Schriften Simon Stevins. Als Quelle für seine Ausgabe benutzte er die französische Edition der Castrametatio (1618),273 die niederländische Version des Sterctenbouwing (1594)274 und die Wisconstighe Ghedachtenissen (1605 und 1608). Letztere war ein Sammelwerk der Schriften Stevins und lag teilweise bereits in einer französischen Version vor (Me´moires mathe´matiques). Girard folgte in der französischen Übersetzung Stevin in Grundzügen. Wo er es jedoch als notwendig erachtete, ergänzte er diesen durch seine eigenen Theorien. Es ist wohl vornehmlich dieser Ausgabe von Girard zu verdanken, dass Stevins Ideen auch außerhalb der Niederlande Verbreitung fanden.275 Neben Girard war Didier Henrion einer jener Mathematiker und Ingenieure, die in holländischen Diensten standen und ein Werk über den Festungsbau publizierten.276 Ebenfalls mit der holländischen Festungsbaukunst befasst sich die jedoch nur handschriftlich überlieferte Abhandlung des Mathematikers L’Hoste.277 Mathias Dögen hingegen war kein militärischer Praktiker. Sein wissenschaftlicher Ausgangspunkt war die Architektur. Seine L’Architecture militaire moderne ou fortification wurde 1648 durch den aus Paris stammenden Hugenotten He´lie Poirier ins Französische übersetzt. Gewidmet ist sie Wilhelm von Nassau-Oranien.278 Systematisch gliedert er die Militärarchitektur in Hercotectonique, d. h. die Methode Plätze auszustatten, und Are´otecto273

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Nouvelle Maniere de Fortification par Escluses deescrite par Symon Stevin de Bruges. Samengebonden met: La Castrame´tation descrite par Symon Stevin de Bruges…Leiden, Matthijs en Bonaventura Elzevier, heruitgave, 1618. De Sterckenbouwing beschreven door Simon Stevin van Brugge, Leiden, Frans van Ravelingen, 1594. Antwerpen, Museum Plantin-Moretus. A1007. Catalogus. In: V. Logghe, J. T. Devreese, A. Meskens, C. van den Heuvel, D. Imhof: Spiegheling en Daet. Simon Stevin van Brugghe (1548–1620). Ongewijzigde herdruk naar aanleiding van: ›Simon Stevin, Brugghelinck‹, symposium en publieke lezingen, Brugge, Stadhuis, 11 & 12 december 1998, Brugge 9 december 1995–31 januari 1996, S. 80: »Girard echter vetaalde niet alleen, hij vulde Stevin waar hij het nodig actte ook aan met zijn eigne theoriee¨n. Zo aanvaardde deze wiskundige imaginaire getallen, in tegenstelling tot Stevin. Het is voornamelijk aan deze uitgave te danken dat Stevins idee¨n ook buiten de Nederlanden verspreid raakten.« Didier Henrion: Briefve instructions pour construire les fortifications pratiquees aux Pays Bas/par D. Henrion, professeur e´s mathematiques, Paris, s.n., 1621. I. L’Hoste: Le Sommaire de la Maniere de fortiffier les places tant regulieres qu’irregulieres, recüe & pratique´e tant e´s paı¨s bas que parmy les guerres et les arme´es de nostre temps Reduit en art et en practique conforme aux Maximes fondees sur longues et diuerses experiences par I. Lhoste Mathematicien a Son Altesse, s.l., 1629. Matthias Dögen: L’Architecture militaire moderne ou fortification: Confirme´e par diverses histoires tant anciennes que nouvelles, & enrichie des Figures des principales Forteresses qui sont en l’Europe par Matthias Dögen, natif de Darmbourg en la Marche. Mise en Franc¸ois par He´lie Poirier, Parisien, Amsterdam, Loys Elzevier, 1648. BN V–2309 (Re´serve).

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

nique, d. h. die Einnahme und Verteidigung der Plätze. Die Hercotectonique verdanke ihre Perfektionierung Moritz von Oranien (an anderer Stelle spricht er davon, dass das ihr Ziel die Verteidigung der befestigten Städte sei). Denn er sei der Einzige in den gesamten Generalstaaten, der eine uneinnehmbare Festung geschaffen habe, indem er jede ihrer Städte aufgrund ihrer Lage befestigt habe mit einem wunderbaren und neuen Fleiß, mit einer einzigartigen Klugheit und großer Urteilskraft. Er habe daher den Titel des Vaters der modernen Festungsbaukunst verdient. Ihm folgte Friedrich Heinrich, der sich als Einnehmer der Städte (illustre forceur de villes) hervortat. In der Geschichte der künstlichen Fortifikation kommt die Idee der Nachahmung der Natur zum Tragen. Damit ist eine theoretische Fundierung der Festungsbaukunst nach Kriterien des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs gegeben. An anderer Stelle notiert er, dass die Notwendigkeit keinem Gesetz folge und man die Regeln der Kunst nach der Natur richten müsse.279 Ein zweiter Faktor, der zur Theoriebildung beiträgt, ist die Notwendigkeit, welche zu terminologischen Innovationen führt. Dögen tendiert zum Primat von Erfahrung und Gebräuchlichem. Die Regeln und Maximen der Fortifikation definiert er nach Vitruv (ordonnance, disposition, dispensation oder distribution). Im Unterschied zu einer Reihe französischer Militärtheoretiker, die bei der Verteidigung auf die Kanone zählen, optiert Dögen für die Muskete, deren Reichweite ihm auch als Maßeinheit für den Festungsbau dient. Die Gründe sind: Kosten, die technischen Probleme bei der Anwendung der Kanone, Kontinuität des Musketenfeuers (in diesem Zusammenhang kommt die Rückkoppelung des Salvenfeuers durch Kontermarsch an technische Prozesse zum Tragen).280 Wenn man die Proportionen der Festung auf das Maß der Reichweite der Kanone abstimme, so ergebe sich daraus, dass durch einen großen Platz von pourpris und circuit de la ville der Gebrauch der Muskete weder nützlich, noch notwendig sei und dass es erforderlich sei, sich einer größeren Zahl von Kanonnieren als Musketieren zu bedienen. Das wiederum sei absurd. Daher sei es in der guten Architektur ein unverzeihlicher Fehler, die Proportionen einer Festung nach der Reichweite der Kanone zu richten.281 Die Opera mathematica282 von Samuel Marolois erschienen 279

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Ebd., S. 114: »Ne´cessite´ n’a point de loi. Il faut accomoder les pre´ceptes de l’Art a` la Nature, & non pas au contraire.« Ebd., S. 52. Ebd., S. 55f.: »Si au contraire on assuje´tit les proportions de la Forteresse a` la mesure de la porte´e du canon, il s’ensuivra que par un grand espace du pourpris & du circuit de la ville l’usage du mousque´t ne sera ni utile, ni ne´cessaire; & qu’il sera besoing de se pourvoir d’un plus grand nombre de canoniers, que de mousquetaires, ce qui seroit tout a` fait ridicule. Et partant c’est une erreur insuportable en bonne Architecture, de re´gler la mesure d’une forteresse, sur la porte´e du canon.« Samuel Marolois: ›Opera mathematica‹, ou Œuvres mathe´matiques…ausquels

4. Systematik

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erstmals 1615. In das Werk integriert ist die Abhandlung über Architektur und Perspektive von J. Vredeman Vriese. 1628 erschienen die Œuvres mathematiques von Samuel Marolois erneut.283 Das Werk umfasst die Praxis der Geometrie, die sich in fünf Teile untergliedert: Gebrauch des Kompasses (73 propositions), achtzehn Theoreme, den Gebrauch der Tafeln des Sinus, Tangenten und Sekanten, gleichsam in Höhe und Tiefe wie auch der Oberflächen des Plans, die Erstellung von Karten und Plänen sowie Anweisungen für den General, wie er einen Platz angreifen soll und die Unterbringung (logemens) (Figures 124 und 125). Im Zusammenhang der oranischen dynastischen Kultur in den Niederlanden kam es zur Ausbildung einer hugenottischen Militärwissenschaft. Auf die enge Durchdringung der holländischen militärischen Kultur mit der französischen hat bereits C. M. Schulten mit seiner Studie über den Einfluss französischer militärischer Terminologie auf die Niederländer aufmerksam gemacht. Kam es im Rahmen der Diffusion des Drills zu einer Verbindung von historisch-philologischer Kritik und oranischer und französischer Militärliteratur, so geht die Zusammenfügung französischer und holländischer Repräsentationsverfahren der Militärtheorie wesentlich auf die hugenottischen Gelehrten zurück. Tatsächlich erscheint ein Charakteristikum der holländischen und französischen militärischen Kultur gewesen zu sein, dass sie eine Schnittfläche über die hugenottischen Gelehrten mit bestimmten konfessionellen Anliegen darstellte, es sich daher gewissermaßen um einen

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sont ajoints les fondements de la perspective et architecture de J. Vredm. Vriese, augmente´e et corrige´e par le mesme auteur. [2e partie: Perspective, 5e–6e partie], Hagae-Comitis 1615. – L’ouvrage de J. de Vredeman de Vries [= Hans Vredeman de Vries der von 1565 bis 1604 veröffentlichte] se trouve dans le 2e volume des ›Opera mathematica‹ de Marolois; il s’agit de la traduction franc¸aise des deux premie`res parties de l’e´dition allemande de 1604–1606 catalogue´e plus haut, le texte de la 1re partie e´tant comple´te´ par 2 ff. d’additions et de corrections de S. Marolois; la 3e partie, ›Architecture‹, manque dans cet exemplaire; chaque partie a un titre gr. Propre, portant, dans un cartouche, le titre indique´ dans la notice et la date ›1615‹; ›Opera mathematica‹, ou Œuvres mathe´matiques traictans de ge´ome´trie, perspective, architecture et fortification, par Samuel Marolois, ausquels sont ajoints les fondements de la perspective et architecture, de J. Vredm. Vriese, augmente´e et corrige´e en divers endroicts par le mesme auteur, Hagae-Comitis, ex. off. H. Hondii. Umfasst: [1] Ge´ome´trie contenant la the´orie et practicque d’icelle ne´cessaire a` la fortification, 1616; [2] Perspective contenant la the´orie et practicque d’icelle. – Perspective, 5e [–6e] partie de Joan Vredem Vriese, augmente´e et corrige´e]. 1614–1615; [3] Fortification, ou Architecture militaire, tant offensive que de´fensive…, 1615. BN Microfilm M–7120. Œuvres mathe´matiques de Samuel Marolois, Traictant de la Geometrie et Fortification, Reduictes en meilleur odre, & corrigees d’un nombre infiny de fautes escoulees aux impressions precedentes: La Geometrie par Theodor Verbeeck Mathematicien. Et la Fortification par Franc¸ois van Schoten, mathematicien & Professeur e´s Fortifications & Sciences qui en despendent, en l’Vniversite´ de Leyde, Amsterdam, Guillaume Jansson Caesius, 1628.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

nahezu identischen militärisch-kulturellen Raum handelte. In dieser Hinsicht treten Bezüge zu dem Text von Guillaume le Faulx auf, in dem sich der Kulturtransfer in den 30er Jahren vermischte, respektive dass es in dieser Phase zu einer Integration französischer Elemente in der Sphäre der holländischen Militärtheorie kam, insbesondere im Umkreis Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien. Le Faulx nimmt in sein Traktat über die Arithmetik das Exerzieren des französischen Re´giment des Gardes auf. Es ist eine Vermengung militärischer Kultur nicht nur hinsichtlich der Ausbildungsmethoden festzuhalten, sondern auch in den ideengeschichtlichen Repräsentationsverfahren und -systemen. Abgesehen von La Vigene`re profitierte auch die niederländische Militärwissenschaft von den visuellen Notationssystemen, die zu einem der einschlägigen Merkmale ihrer Kultur wurden.284 Die Formulierung dieser kognitiven Verfahrensweisen muss in Bezug auf die militärtheoretischen Praktiken angewandt werden und auf ihre Übertragbarkeit überprüft werden. Jähns zufolge zeichnete sich die Militärtheorie der Oranier durch einen besonderen Pragmatismus aus.285 So bedienten sich sowohl 284

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Wolfgang Kemp: Vorwort. In: Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln 1985, S. 18f.: »Die neue Empirie des frühen 17. Jahrhunderts schafft sich angesichts einer immer noch mächtigen, übermächtigen (wie ich im Gegensatz zu Foucault meine) Tradition der Texte ihre Repräsentationsverfahren, ihre Schrift in visuellen Notationssystemen. Das ist die große Zeit der Malerei und der Wissenschaften in Holland.« GdKW, Bd. 2, S. 945f.: »Weit verschieden von diesen schulmäßigen Schriften, vielmehr unmittelbar unter den Einrücken des niederländischen Befreiungskriegs verfaßt, ist die ›Korte beschrijvinge ende af-beeldinge van de generale regelen der Fortificatie, de Artillerie, Munition ende Vivres, van de Officieren derselver ende hare Commissien, van de Leger-Aerde-Wallen, de Approchen mit het Tegenweer ende van Fyerwercken.‹ Door Henricus Hondius (Hag 1624: Kgl. Bibl. zu Berlin (H.y. 25225, bzw. 25229). Beide Exemplare stammen aus der Bücherei des Gr. Kurfürsten, und das französische trägt die eigenhändige Inschrift des Grafen Moriz v. Nassau. Das niederdeutsche Original ist ›Mijn Heeren Bailliu, Borgemeestern ende Schepenen van’s Graven-Hagn‹ gewidmet, eine bereits 1625 im Hag erschienene französische Übersetzung dagegen dem König Christian von Dänemark. Hendrik Hondius war ein ausgezeichneter Kupferstecher, was in der Illustration seines Werkes deutlich hervortritt. Dies selbst bietet eine kleine Encyklopädie der Kriegswissenschaft in 4 Teilen, deren erster der Befestigungskunst, deren zweiter dem Material der Artillerie gewidmet ist, während der dritte sich mit dem Personal und dem Marsch dieser Waffe beschäftigt, und der letzte Teil von der Feldbefestigung, den Belagerungsarbeiten sowie vom Feuerwerk handelt. Es ist das eine seltsame Anordnung, bei welcher Truppenkunde und Taktik ganz bei Seite gelassen sind; doch finden sich immerhin einige versprengte u. zw. recht interessante Angaben auch über diese Elemente. – Die strenge Scheidung des Stoffes weist darauf hin, die einzelnen Abschnitte in den Kapiteln: Waffenlehre und Befestigungskunde abzuhandeln. – Zwei oranische Schlachtordnungen, eine für Fußvolk und eine für Reiterei, haben ihre Stelle auf der vorigen Seite gefunden. Dieselbe Haltung, wie des Hondius Werk, nämlich die Richtung auf das unmittelbar Praktische und wirklich Geschehene, offenbart eine Handschrift welche sich im kgl. Archive des Hauses Oranien im Hag unter den Akten des Statthalters Prinzen Friedrich Heinrich

4. Systematik

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Lipsius im Polybios-Kommentar, Billon, Wallhausen, weniger intensiv die Oranier und Simon Stevin derselben dichotomisch verfahrenden Repräsentationsverfahren, wie sie durch Pierre de la Rame´e eingeführt wurden. Französische Gelehrte, so L’Hoste286 und Albert Girard, trugen schließlich zur Verwissenschaftlichung der oranischen Festungsbautheorie bei, indem sie sie in mathematisch neue Begrifflichkeiten fassten und damit einen Beitrag zur wissenschaftlich-didaktischen Vermittlung der holländischen Festungsbaukunst leisteten. Ein weiteres Beispiel für die militärtheoretischen Leistungen und die theoretische Assimilation holländischer Festungsbautheorie und -praxis bietet Didier Henrion. Er warMathematiker und Ingenieur des Prinzen von Oranien, lehrte ab 1607 in Paris und prägte viele junge französische Adelige. So wie Albert Girard legte er im Rahmen einer bestimmten, von den Hugenotten geprägten, Gelehrtenkultur ein Werk über den holländischen Festungsbau vor.287 Außerdem veröffentlichte er erstmals eine Tafel von Logarithmen in Frankreich und gab die Abhandlung Errards über die Geometrie im Jahre 1619 heraus.288 Die Rezeption der Methoden der ›Heeresreform der Oranier‹ lässt sich nicht als die Aufnahme eines geschlossenen, in sich schlüssigen militärwissenschaftlichen Systems, das an ein territorialstaatlich gefestigtes politisch-soziales System gebunden wäre, nachvollziehen. Vielmehr muss sie zunächst im Rahmen einer spezifischen politischen Pragmatik und einer Wissenskultur betrachtet werden, an der französische Mathematiker und Philosophen nicht nur beteiligt waren, sondern diese wesentlich prägten. Es muss nicht nur hinsichtlich der Antikerezeption die Vielschichtigkeit des niederländischen militärischen Humanismus hervorgehoben werden, sondern auch die Transparenz einer zunehmend auf den Methoden der wissenschaftlichen Revolution gründenden Militärwissenschaft, die Exempla oder Methoden nicht bloß kopierte, sondern kritisch aufnahm und wissenschaftlich weiterentwickelte und in diesem Sinne selbst zu einem Moment des oranisch-dynastischen theoretischen Reformkomplexes wurde.

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findet. Sie ist offenbar anfangs der dreißiger Jahre hergestellt. Der sie eröffnende Titel: Declaration sur les ordres de Batailles et Bataillons deckt nur einen Teil des Inhalts.« Bibl. Sainte-Genevie`ve, Ms. 1062, ›Le sommaire de la manie`re de fortifier les places tant regulie`res qu’irregulie`res, receüe et practique´e tant e`s Paı¨s-Bas que parmy les guerres et les arme´es de nostre temps, reduite en art et en practique conforme aux maximes fonde´es sur longues et diverses experiences, par I . L’Hoste, mathematicien, 1629‹; avec dessins a` la plume. 24 feuillets; – 1629. Didier Henrion: Briefve instructions pour construire les fortifications pratiquees aux Pays Bas/par D. Henrion, professeur e´s mathematiques, Paris, s.n., 1621. Ed. Jean Errard de Bar-le-Duc: La Ge´ome´trie et practique ge´ne´rale d’icelle …, Paris 1619. BN [V.18473

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Neben der mit einer Adelsakademie ausgestatteten Festungsbaustadt Sedan spielte auch die Migration, die Bindung hugenottischer Kompetenzen an die Oranier eine Rolle für die militärtheoretische Vermittlung in den französischen Raum hinein. He´lie Poirier, ein aus Paris stammender Hugenotte, schließlich schrieb auf Anregung von Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien nicht nur einen Kommentar zu Aelian, sondern er übersetzte auch Dögen und Grotius. Ein Indiz für die Popularisierung und sein Wirken in den französischen Kulturraum hinein ist seine Übersetzung des Werkes Grotius289 und der militärarchitektonischen Werke Mathias Dögens.290 Damit schien He´lie Poirier in zwei289

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Jan Waszink: Introduction. In: Hugo Grotius, The Antiquity of the Batavian Republic. With the notes by Petrus Scriverius. Hg. u. übers. v. Jan Waszink (Bibliotheca latinitatis novae), Assen, Van Gorcum, 2000, S. 33: Eine frz. Übersetzung erschien 1648 als Teil eines Buches, dessen Titel Deux Harangues Panegyriques, l’une de la Pais, l’autre de la Conorde von He´lie Poirier war und das bei Blaeu in Amsterdam gedruckt wurde (TMD 709). Dem Vorwort kann entnommen werden, dass das Buch im Zusammenhang des Jahres 1648 verortet werden muss; ebd.: »Notwithstanding his great admiration for the Dutch and their merits and achievements, Poirier wants to warn them not to forget too quickly the injuries they suffered from Spain in the recent past, and to beware of Spanish ›advances‹: even in peace, a certain degree of distrust is necessary in international politics, and the Dutch should not forget who their real friends are: ›…pluzieurs en ces provinces (comme il arrive parmi les peuples,) n’ont pas seulement efface´ de leurs aˆmes la juste douleur, qui a fourni de matie`re a` leurs triomfes, et assure´ leur liberte´: il samble, que leur facilite´ ou fatalite´, en ait emporte´ quelques uns a` l’estime et a` l’amour de leur perse´cuteurs (sic), par un e´trange changement; et plus avant encore, jusques a` la haine et au me´pris de leurs deffanseurs, fide`les allie´s, et bons amis.‹ (Au lecteur, A3v-A4r), and: ›Mais je les prie seulemant de se ressouvenir, que la puissance de nos anciens ennemis est toujours formidable, que jamais les pre´textes ne leur manqueront, ni les moyens, entre tant d’esprits qui ne samblent que trop dispoze´s a` les favorizer. Et enfin, que l’alliance des Franc¸ois sera long tams utile, a` mon avis, peut eˆtre ne´cessaire, a` la subsistance de cette Re´publique‹ (A7r). The two speeches on Peace and Concord are followed by the translation of DA, which is entitled De l’Antiquite´ de la Re´publique des Hollandois, and forms the final part of the book. It seems to be added as a reminder of the history and struggle for independence of the Dutch. Poirier has translated the text of DA including the marginal notes.« Matthias Dögen: L’Architecture militaire moderne, ou Fortification, confirme´e par diverses histoires tant anciennes que nouvelles, et enrichie des figures des principales forteresses qui sont en l’Europe, par Matthias Dögen, ...mise en franc¸ois par He´lie Poirier...Amsterdam, L. Elzevier, 1648. V–2309; fernerhin betätigte sich Poirier als Übersetzer von Godefroi Hotton, De l’Union et re´concilitation des e´glises e´vange´liques de l’Europe, ou des Moyens d’e´tablir entre elles une tolle´rance en charite´ ... par Godefroi Hotton, mis en franc¸ois par He´lie Poirier, ...ensamble un traite´ de M. Grotius: De l’Antiquite´ de la Re´publique des Hollandois, Amsterdam, J. Blaeu, 1647. D2–5137; – Deux harangues pane´gyriques, l’une de la pais, l’autre de la concorde, ...par He´lie Poirier,...ensamble un traite´ de M. Grotius: De l’Antiquite´ de la Re´publique des Hollandois, Amsterdam, J. Blaeu, 1648. Mfiche M–21177; Discours pane´gyrique du bonheur de la France sous le re`gne de Louis le Juste, par He´lie Poirier,...Paris, J. Dugast, 1635. LB36–3073; – Les Soupirs salutaires de He´lie Poirier, ..., Amsterdam, J. Blaeu, 1646. YE–7751.

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erlei Hinsicht an die von Pieter Schrijver gelegten Achsen anzuknüpfen.291 Die Rezeption der oranischen Kriegskunst erfolgte demnach nicht nur auf der Ebene der taktischen Theorie, sondern ebenso im Rahmen einer auch von der Mathematik (Geometrie, Arithmetik) geprägten Wissenskultur. So wird eine durch Moritz von Oranien am 14. Okt. 1622 im Lager von Dorvich praktizierte Marschordnung zwischen eine Abhandlung über die Arithmetik und die Geometrie aufgenommen, woran sich dann noch eine Abhandlung über den Festungsbau anschließt.292 Innerhalb der Generation der Nassau-Oranier von Moritz, Johann und Wilhelm Ludwig haben wir einen relativ klar zu umfassenden theoretischen Komplex angetroffen, der sich im Kriegsbuch verdichtete. In den 1630er Jahren jedoch bildete sich ein militärtheoretischer Komplex heraus, in dem es zu einer Verschmelzung von französischer und holländischer Militärtheorie kam.

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Schrijver trat sowohl mit einer Aelian-Edition als auch Anmerkungen zum Werk Grotius hervor. Vgl. The Antiquity of the Batavian Republic; Anonymi De rebus bellicis liber, scriptus, ut videtur, ad Theodosium Aug. ejusque filios Honorium et Arcadium Caess. 1607, R–6415. Ms. f. fr. 7118, fol. 17.

III. Die Militärliteratur (1610–1622) – Kompilation, Systematisierungsversuche und pragmatische Kritik Die militärische Handbuchliteratur zwischen 1603/1610 und 1622 ist gekennzeichnet durch die Herausbildung eines Corpus wiederholt aufgelegter Werke der literarisch häufig inkohärenten Kompilation, innermilitärischer praktischer Kritik und einem dezidiert wissenschaftlichpraktischen Impetus, einer didaktischen Stoßrichtung, die auf die Truppenausbildung zielt. Auch die hinter den oranischen Reformen stehenden taktischen Theorien werden 1624 in einem zweibändigen Werk zusammengefasst.1 Die Militärtheoretiker des oben benannten Zeitraums waren Exegeten der Militärtheorie unter den Oraniern und Heinrich IV. Sie gaben die Impulse für die französische militärwissenschaftliche Didaktik der Folgezeit. Dabei spielte nicht so sehr der oranische Reformkomplex als klares theoretisches System eine Rolle, vielmehr wirkten vereinzelte Ansätze fort. Diese erste Phase schien jedoch über das Stadium der Kompilation und der militärwissenschaftlichen Polemik nicht hinauszukommen. Theoretische Brüche und das Bemühen um neue Methoden der didaktischen Vermittlung der neuen, in der Regel holländisch inspirierten Ausbildungsmethoden sind die hervorstechenden Kennzeichen einer Literatur, die bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts eine ungebrochene editionsgeschichtliche Konjunktur aufwies. Exemplarisch steht hierfür das Werk Wallhausens. Wie bei Wallhausen waren auch die Werke der ersten Generation französischer Militärtheoretiker, die die holländischen Ausbildungsmethoden rezipierten, kompilatorischer Machart und tradierten kein schlüssiges taktisches Modell, das sowohl in theoretischer als auch pragmatischer Hinsicht zu überzeugen vermochte. Wallhausen gilt als einer der bedeutendsten deutschen Militärschriftsteller des 17. Jahrhunderts. Zur dynastischen Kultur der Nassau-Oranier stand er in enger Verbindung. 1599 begab er sich unter Moritz von Oranien in den Kriegsdienst. 1

Oestreich: Soldatenbild, Heeresreform und Heeresgestaltung im Zeitalter des Absolutismus, S. 304: »Schon 1624 konnte ein Sammelwerk von zwei Bänden mit über 2000 Folioseiten alle bis dahin veröffentlichen Kriegsschriftsteller aus Griechenland, Rom und Byzanz vereinigen.«

4. Systematik

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Seit 1615 war er mit einer Reihe militärwissenschaftlicher Schriften hervorgetreten. Johann VII. von Nassau-Siegen machte ihn zum Direktor der Kriegsschule in Siegen und beauftragte ihn mit der Ausarbeitung eines didaktischen Programms für dieselbe. Auch Wallhausens Werk besticht durch eine Kompilations- und Synthesebemühung, die sowohl an Johann VII. anknüpft als auch eine kritische Aufnahme der taktischen Theorie des an Polybios orientierten Kommentars von Justus Lipsius enthält. Er zielte darauf, einen theoretischen Corpus für die Bildung des Adels, ein Programm für eine Militärakademie und einen praktischen Kanon für die Truppenausbildung bereitzustellen. Wallhausen zählte zu den führenden Interpreten der Reform des niederländischen Militärwesens unter Moritz von Oranien.2 Doch er war kein Interpret respektive Exeget der oranischen Kriegskunst, sondern strebte danach, ein militärwissenschaftlich-didaktisches Programm zu entwerfen und zu realisieren, das durch enzyklopädische Breite besticht und sich abhebt von den militärtheoretischen Grundlagen Justus Lipsius’. Im Zeitraum von 1615 bis 1620 verdichteten sich die Schriften Wallhausens. 1615 erschienen das Alphabetum pro Tyrone Pedestri (April 1615, Frankfurt a. Main, Bry), die Kriegskunst zu Fuß (März 1615, Oppenheim, De Bry; Drucker: Galler, 1615), die das Truppenexerzieren und das Individualexerzieren (Pike, Muskete) aufgreift, die französische Fassung L’Art militaire pour l’infanterie von denen es zwei Versionen gibt (die eine Oppenheim: Bry; Oppenheim: Galler, 1615; die andere Franeker, imp. De Ul. Balck 1615). 1616 ist das Jahr, in dem der Großteil der Schriften Wallhausens erscheint: Programma Scholae Militaris (Frankfurt a. Main, P. Jacobi, 1616), die Romanische Kriegskunst (Frankfurt, Jacobi, 1616), die ebenfalls in Frankfurt im Selbstverlag erscheint, die französische Übersetzung Milice Romaine (Francfort sur le Main, Jacques, 1616), das Manuale Militare, bei dem es sich um eine Übersetzung des Werks von Du Praissac handelt (Frankfurt, Selbstverl.; Jacobi), die Kriegskunst zu Pferd (Frankfurt a. Main, De Bry, 1616), die im gleichen Jahr in einer französischen Fassung der Art de chevalerie vorliegt (Frankfurt, Paul Jacobi, Lukas Jennis, 1616). 1617 das Buch über die Außführliche Beschreibung und Rettung zu Siegen (Hanau, Author, 1617), die Übersetzung der Milice von Courbouzon (Hanau, Traslator, 1617) mit dem Titel Militia Gallica, Archiley Kriegskunst (Hanau, Selbstverlag), deren Hauptgegenstand die Artillerie ist, die Künstliche Picquen-Handlung, die das Individualexerzieren 2

Werner Hahlweg: Johann Jacobi von Wallhausen. ›Der löblichen Statt Dantzig bestellter Obristen Wachtmeister und Hauptmann‹, Westpreußen-Jahrbuch, 29 (1979), S. 166.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

mit Pike und Schwert behandelt und sich vom De Gheynschen Pikenexerzieren abhebt (Hanau, Selbstverlag). Zu Beginn der 1620er Jahre erscheinen noch Defensio Patriae (1621) und die ›Camera militaris‹ oder Kriegskunst-Schatzkammer (Frankfurt 1621). Ein Charakteristikum dieser Schwellenliteratur ist die Kompilation, die Synthese militärisch-literarischer Traditionslinien und die Notwendigkeit einer praktischen, auch institutionellen Vermittlung der in den Niederlanden entwickelten Ausbildungsmethoden. Wallhausen übersetzte Du Praissac und Courbouzon, während Billon vielfach von Wallhausen abgeschrieben haben soll3. Tatsächlich ist eine Interdependenz zwischen dem militärwissenschaftlich-didaktischen Entwurf Johann Jacob v. Wallhausens und der französischen Militärtheorie der Jahre von ca. 1610 bis ca. 1620 festzuhalten. Wallhausen hält in seiner Milice romaine die Autorität des antiken Modells, obgleich in Sitten und dem Vorgehen der Armee gänzlich unterschiedlich, als Grundlage für die militärwissenschaftliche Didaktik hoch: Da unser Jahrhundert ein anderes sei, fordere es andere Sitten (coutuˆmes) und Verfahren (proce´dures) der milice. Aber man solle wissen, dass er es als weniger notwendig erachte, einem solchen Einwurf zu entgegnen, da der gute Soldat, der weise und erfahrene Ritter (chevalier), keine derartigen Forderungen stelle, wie derjenige, der bereits zu gut weiß, von welcher Bedeutung eine solche Sorgfalt ist. Um den einfachen Soldaten und den ›Novizen‹ zufriedenzustellen, der davon überzeugt sei, etwas Bemerkenswertes zu vollbringen und zu bewirken, ohne genauer nachgeforscht zu haben, die Grundlagen, die antike Disziplin, vor allem die der Griechen, Lakedämonier und Römer zu lernen, irrt sich beträchtlich. Der sei weit davon entfernt die Soldatenehre in Anspruch nehmen zu können. Er werde nur mit großer Mühe akzeptiert, wenn er nicht bei den Tyronen in die Lehre gehe.4 3

4

Vgl. Anthoine de La Valle´e, sieur de Montissuc: Parentheses, et documents militaires … Ensemble sont remarquees, & corrigees les erreurs commises par le Sieur de la Prugne dans son livre des Principes de l’Art militaire, Lyon, Barthelemy Ancelin, 1619. Johann Jacob v. Wallhausen: La Milice Romaine traicte´, auquel est monstre, comment deuant quelques mill annees on enseignoit les nobles arts Militaires es escholes publiques. Auec la traduction de Flave Vegece en langue Franc¸oise. Mis en lumiere pour le bien des amateurs de la Milice, & enrichy de plusieurs figures. Par Jean Jacques de Wallhausen, capitaine, &c. Auec priuilege especial, Imprime´s a` Francfort sur le Main, par Paul Jaques, aux fraix (sic) de l’Autheur, 1616, s.p.: »Et de faict, nostre siecle estant bien aultre, requiert außi des aultres coustumes & procedures de milice. Mais qu’un tel sache que i’estime beaucoup moins necessaire, de respondre a` telle obiection, pource que le bon soldat, sage & experimente´ cheualier, ne fera` point telles demandes, comme celuy qui scait desia` trop bien, de quelle importance sont telles diligences: & de respondre aux Momes & Zoiles, ce

4. Systematik

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Wallhausen strebte nach einer Synthese diverser militärtheoretischer Traditionsstränge. Das beweisen zum einen sein Bemühen um eine Renaissance des Vegetius, der ihm die theoretischen Grundlagen für sein Kriegsschulenkonzept (1616) lieferte und zum anderen sein Übersetzungsplan zu Aelian.5 Diese Übersetzung lag schließlich 1617 neben der Übersetzung der Milice franc¸oise von Montgommery de Courbouzon vor. Im gleichen Jahr war eine Abhandlung über Schlachtordnungen geplant, die jedoch nie erschien.6 Wallhausen hat mehrere Übersetzungen französischer zeitgenössischer Verfasser unter seinem Namen erscheinen lassen, die mehr oder weniger als Plagiate anzusehen sind. Auch in anderen seiner Schriften hatte er fremdes Gedankengut – nicht zum wenigsten das seines einstigen Gönners Johann von Nassau – in freier Weise benutzt. Die Militia Gallica oder Franzoisische Kriegskunst (Hanau 1617) von Courbouzon übertrug er ins Deutsche. Die Manuale militare oder Kriegß Manual (Frankfurt a. Main 1616) sind ein deutsches Plagiat von Du Praissacs Les Discours militaires. Doch gerade dieses kompilatorische Verfahren macht den Wert und die Bedeutung von Wallhausens Arbeit aus: dieVermittlung der Militärtheorie, wie sie im Rahmen der von den Oraniern geprägten Reformen zu verorten ist.7 Wallhausen steht für eine Anknüpfung an den theoretischen Komplex wie er von den Nassau-Oraniern geschaffen wurde – darauf weist die Handschrift (Danzig) hin, die offensichtlich eine Kopie des Kriegsbuchs von Johann von Nassau ist – und markiert einen theoretisch-paradigmatischen Bruch mit Lipsius.

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seroit iecter les perles & roses aux pourceaux. Toutesfois pour contenter aulcunement les simples & nouices, ie dis: qu’il fault scauoir, que celuy, qui se persuade pouuoir faire, ou effectuer quelque chose remarquable, sans auoir recerche´ [sic] de bien pres, & des le fondement, la discipline des anciens, & principalement des Grecs, Lacedemoniens, & Romains se trompe grandement: & tant s’en fault, qu’il se puisse vanter de l’honneur de soldat; qu’a` gran peine il est admis, s’il ne se resould de mieulx apprendre, entre les Tyrons.« Nach dem ersten Teil, in dem Wallhausen wesentlich die militärische Ausbildung der Tyronen und Novizen nach den Exerziervorstellungen von Vegetius darlegt, kündigt er eine Ergänzung dieser durch eine Übersetzung des Aelian ins Französische und Deutsche an, s. Wallhausen, Milice Romaine, S. 73: »Quand a` ce que puis apres leur estoit impose´ en general, & a` quoy tous ensemble ils estoint obligez, tu le verras, Dieu aydant, la foyre de Pasques prochaine, en laquelle sera´ aussi publie´ Aelian es langues & Allemande & Franc¸oise, auec des figures plus propres, pour estre tant mileux entendu.« Vgl. Hans Zopf: Johann Jacobi von Wallhausen als Kriegsschriftsteller, Weichselland. Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins, Heft 37, Danzig 1938, S. 41: Kriegskunst von Schlacht Ordnungen, Frankfurt a. Main 1617: Im Messkatalog der ›Fastenmeß‹ 1617 für den Herbst angekündigt; im Herbstakatalog d. J. aufgeführt; wohl nie erschienen. Es sollte das dritte Buch der erwähnt. Enzykl. werden. Wallhausen selbst weist 1621 in seiner ›Defensio patriae‹ auf ein von ihm geplantes Buch mit dem Titel ›Kriegskunst von Schlachtordnungs-Exempeln‹ hin. Ebd., S. 36.

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Ein Kennzeichen dieser post-reformatorischen Phase, d. h. der Phase der nach den einschneidenden Reformen entstandenen Literatur und deren Aufnahme durch theoretisierende militärische Praktiker, wie Wallhausen, Courbouzon, Du Praissac und Billon, ist, dass sie einen militärtheoretisch-interdependenten Corpus bildeten. Insbesondere Wallhausens Bemühen bei seiner Suche nach militärtheoretischen Grundlagen machte ihn zum Kompilator und Plagiator. Es erfolgten bald Übersetzungen von Du Praissac ins Niederländische und durch Wallhausen ins Deutsche. Wallhausen übersetzte auch Montgommery de Courbouzons französische Kriegskunst.

1. Johann J. von Wallhausen: systema praeceptorum der Kriegskunst nach Vegetius Wallhausens geplantes ›systema praeceptorum‹ verweist auf eine für die späthumanistische Militärwissenschaft insgesamt charakteristische Tendenz: So wertete er die auctoritas des Vegetius im Zusammenhang einer Akademielehre und eines verteidigungspolitischen Konzepts auf. Er revalorisierte die systematisch-antiquarische Gattung der ERM und strich gegenüber einer an der Quelle des VI. Buches der Historien Polybios’ orientierten Militärwissenschaft das historisch-philologische ›Potential‹ der spätantiken Epitoma heraus. Auf die Niederlande wirkten unterschiedliche strategische Kulturen: einerseits ein Verteidigungskonzept, für das Vegetius steht; andererseits eine polybianisch-griechische auf die Kriegsoffensive angelegte Militärtheorie, die sich weniger mit einem obrigkeitsstaatlich-fürstlichen als vielmehr bürgerlich-republikanischen Ansatz verbunden hatte. Von Nassau-Dillenburg (und den Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation) ging schließlich das Verteidigungskonzept des Landesdefensionswesen aus.8 Als Wallhausen ein Programm für die Militärakademie in Siegen entwarf, wählte er Vegetius zur Vorlage, zum ›Methodenautor‹, hob dessen Bedeutung für die taktische Theorie hervor und versuchte ihn gegenüber der lipsianischen Polybios-Rezeption aufzuwerten. Nicht nur der Quellenwert der ERM wird herausgestrichen, sondern auch deren Bedeutung für einen pragmatischen Ansatz in der Militärwissenschaft. Die Vegetius-Rezeption hat bei Wallhausen zwei Merkmale: Sie bezieht sich auf Vegetius als philologische Quelle für die Taktik und auf das in den ERM angelegte Ausbildungssystem im Sinne einer synchronen Wissensordnung. 8

Vgl. Oestreich: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg, S. 135ff.

4. Systematik

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Das fragmentarisch-kompilatorische-experimentelle Kriegsbuch Johann VII. von Nassau kann militärwissenschaftlich-systematisch zwischen DMR von Justus Lipsius, von dem es einige Momente aufnimmt, und dem an den ERM von Vegetius orientierten Akademieprogramm Wallhausens verortet werden. Wenn Wallhausen Vegetius als militärtheoretische Grundlage annimmt, so zeichnet sich mit dieser Option im militärtheoretischen kulturellen Komplex der Oranier dennoch ein Bruch ab: Wilhelm Ludwig, Johann und bedingt Moritz von Oranien rekurrierten doch auf Polybios und hoben insbesondere auf das CannaeProblem und die griechisch-byzantinische Taktik ab. Wallhausen hob Vegetius auf die Ebene der pragmatischen Militärtheorie von Polybios. Auch gewann Wallhausens Vegetius-Rezeption (und die Vegetius-Rezeption im Späthumanismus) gegenüber der Vegetius-Rezeption des frühen und späten 16. Jahrhunderts9 eine neue wissenschaftliche Qualität. Das ist das wesentliche Novum der Vegetius-Rezeption des Späthumanismus, in der man wesentlich unter Ägide des Polybios von der literarischen Form der Veteres de re militari scriptores zu einer neuen didaktischen Synthese antiker taktischer Theorien zu gelangen suchte. Im Unterschied zu Lipsius, dessen Werk am Anfang des oranischen Reformkomplexes der 1590er Jahre stand, und der die auctoritas des Polybios gegenüber der von Vegetius aufbot, besticht das systema praeceptorum Wallhausens dadurch, dass Vegetius hinsichtlich seines militärtheoretischen Gesamtentwurfs, seiner militärtheoretischen Grundlagen und seiner taktischen Theoreme revalorisiert wird. Bereits Kleinschmidt hat auf den kompilatorischen Charakter des Œuvres Wallhausens zumindest im Hinblick auf das Exerzieren hingewiesen.10 Wallhausen hielt Vegetius für einen sehr belesenen Mann, der gleichermaßen mit dem Lateinischen und Griechischen vertraut ist: während man bei den übrigen älteren und jüngeren griechischen und römischen Autoren nur einen ereignisgeschichtlichen Bericht finde, wie bei9

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Vgl. Verrier: Les armes de Minerve, S. 160: In der zweiten Hälfte des 16. Jh.s war die Ausbildung des Soldaten von der Unterweisung der Führer bis zur Ausbildung der Rekruten Gegenstand einer internationalen Debatte. Die fehlende körperliche und geistige Vorbereitung der Soldaten und »Offiziere« wurde zum Leitmotiv in der militärischen trattatistica. Die Humanisten stützten ihre Forderungen auf die Autorität Vegetius’. Der Traktat von Vegetius stellte nämlich den Soldaten in den Mittelpunkt des militärischen Systems und reduzierte die gesamte Kriegskunst auf zwei Begriffe: Selektion und Ausbildung. Kleinschmidt: Tyrocinium, S. 135: »Wallhausens Werk ist [...] in sich nicht einheitlich. Bereits im Jahre 1615 brachte er Exerziervorschriften ganz anderer Art heraus als die, deren Ablauf soeben beschrieben wurde. In jenen abweichenden Exerziervorschriften sollte das Feuerwaffen-Exerzieren im Marsch und im Bataillon vollzogen werden und enthielt auch Übungen zur Schildwacht. Im Jahre 1621 schließlich formulierte Wallhausen ein dem niederländischen stark ähnelndes MusketenExerzieren in 46 Griffen, wobei er sogar bei der Schuldwacht feuern ließ.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

spielsweise bei Titus Livius, so legen diese jedoch nicht die Mittel oder Instrumente der Macht der Römer dar. Gleiches ließe sich bei den modernen Historikern beobachten. Keiner reiche an Vegetius heran. Das Urteil Lipsius’ über Vegetius, dass sich nichts ›Süßes‹ und Gefälliges (poly) in dessen Schriften finde, erscheint ihm seltsam. Wallhausen ist konträrer Auffassung. Zumal auch Lipsius selbst die Polybios hinzugefügten Passagen Wort für Wort Vegetius entlehnt habe. Und noch ein Kritikpunkt trifft Lipsius: wenn dieser so gut in der militärischen Praxis bewandert sei wie in der Theorie, so wäre er zweifelsohne in seinem Urteil nicht so furchtsam und hastig gewesen. Er habe nicht den Schlüssel zur richtigen Vegetius-Lektüre gefunden. Dieser Schlüssel sei seit mehreren Jahren verloren, und da er nicht gebraucht worden sei, sei er verrostet. Er sei sich sicher, dass, wenn Lipsius eine Kenntnis dieses Schlüssels besessen habe, er süßen und lieblichen Wein daraus gezogen und wahrscheinlich ein anderes Urteil über Vegetius gefällt hätte. Dies werde in anderen, noch der Veröffentlichung harrenden, modernen Kommentaren deutlicher herausgestellt werden.11 11

Johann Jacob von Wallhausen (Hg.): Flave Vegece Rene, conte constantinopolitain, homme illustre, de la Milice Romaine, reparty en cinq Livres. Traduict en Langue Franc¸oise, aux fraix de Jean Jacques de Wallhausen/&c. Pour le bien & instruction des Tyrons & Nouices. Arte Marte, Frankfurt a. Main, Paul Jacques, 1616, S. 13f.: »En oultre cest’ honneur susdit, il [Vegetius] a aussi este´ homme treslettre´, & verse´ en la langue Latine & Grecque. Chose qui se voit tres-bien en ses escripts, esquels il a faict beaucoup plus qu’aulcun aultre historien. Car si on recerche tous les aultres tant Grecqs que Latins, & vieulx & nouueaulx: on n’y trouuera` que des seuls recits des choses aduenues./Tite Liue, & aultres ont escript beaucoup des grans faicts des Romains, mais du principal, asc¸auoir des moyens par lesquels ils sont paruenus & montez en telle grandeur, il n’y en a point de memoire. Le mesme voit on aussi es historiens nouueaulx & modernes. Mais entre tous il n’y en a pas vn qui se puisse esgualer a` nostre Vegece. Dont ie ne me peulx assez esmerueiller de l’estrange iugement de Justus Lipsius, qu’il fait tres-inconsidere´ de cestuy nostre autheur, disant que Vegece n’a rien de doulx ne de poly en ses escripts; en ce qu’il fait vn meslange, de la vieille & nouuelle milice: & que Polybe le deuance de beaucoup. Mais quant a` moy, i’en dis tout le contraire: & mesme, tout ce que dict Lipsius adiouste en ses commentaires au traicte´ de Polybe, est pris comme de mot a` mot de nostre Vegece. Chose qui se peult demonstrer par plusieurs passages. Et si Lipse eut este´ si bien vse´ a la prattique de la milice, comme il se faict verse´ en la theorie, sans doubte aulcun il n’eust este´ si temeraire & hastif en son iugement. Et semble qu’il ayt leu Vegece comme celuy, qui trouuant vne noix, s’amuse a` la regarder, sans se soulcier de briser l’escorce, pour gouster la doulceur de ce qui est cache´ dedans. Ainsi en faict aussi Lipse: Il s’amuse aux escorces & choses plus viles: & laisse la` les choses plus doulces & vtiles; comme ie le monstre assez au clair en ceste premiere partie de la milice Romaine: mais Lipse n’en faict aulcune mention: ne scay s’il ne les a entendues, ou ne les a voulu entendre. Car pour dire le vray, les escripts de Vegece resemblent vn vaisseau, duquel on ne puis pas seulement du vin pur, doulx & aimable: mais aussi vne doulceur qui se surpasse soy mesme, moyennant qu’il l’ouure de la vraye clef, ou rencontre le robinet propre. Et fault sc¸auoir qu’en ce fase il n’y a pas vn robinet de bois & commun, d’ont chascun se peult seruir: mais il y a vn de laton auec vne clef, laquelle estant oste´e, on n’en peult tirer

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Es scheint also, dass bereits in den Jahren der Erstellung des VegetiusKommentars Wallhausens auch andere Militärtheoretiker an eben dieser Korrektur der philologischen Kritik arbeiteten. Die von Wallhausen vorgenommene Vegetius-Übersetzung schreibt sich in einen problematischen paradigmatischen militärtheoretischen Zusammenhang ein. Die Notwendigkeit einer neuen Kritik von Vegetius und weiterer Quellenforschung, die über den Rahmen des vegetischen Systems hinausgehen, klingt bei ihm bereits an, wenn er eine Ausgabe von Aelian ankündigt, die 1617 auch tatsächlich zustande kommen sollte.12 A) Die Vegetius-Rezeption Wallhausens Neuartig an dieser bei Wallhausen anklingenden Vegetius-Rezeption des Späthumanismus war, dass das Werk Vegetius’ nicht als militärische Exempla-Sammlung oder ob seines technischen Charakters, wie noch bei Machiavelli rezipiert wurde. Für Stewechius (Vegetius und Frontinus-Kommentar) und Wallhausen galt Vegetius als ein spätantiker Autor, der die unterschiedlichen römischen und griechischen militärtheoretisch-taktischen Traditionsstränge kompilierte und daher für die wissenschaftliche Rekonstruktion des antiken taktischen Modells Bedeutsamkeit erlange. Es ging nunmehr um einen philologisch-kritischen Zugang zu dem Militärschriftsteller Vegetius. Die Vegetius-Rezeption des Späthumanismus wurde zunehmend verwissenschaftlicht und keineswegs durch eine einseitige Polybios-Rezeption ersetzt. Wallhausen, der sich auch als Courbouzon-Übersetzer betätigte, unternimmt in der Romanischen Kriegskunst – sich bewusst von Lipsius absetzend – eine deutliche Aufwertung des Vegetius gegenüber Polybios, wobei er die Notwendigkeit eines neuen kritischen Zugangs heraushebt.13

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aulcune liqueur. Or ceste clef a este´ perdue plusieurs anees, & n’estant vse´e, s’est du tout en reouille´e. Et suis asseure´, si Lipsius l’eut eüe, pour en pouuoir tirer le vin doulx & aimable; sans doubte il eut prononce´ vn aultre sentence de nostre Vegece tant Illustre. Comme, Dieu aydant, il sera´ plus clairement demonstre´ en aultres escripts uiuants, qui auec le temps seront mis en lumiere.« Aelianus, niemals vor diesem aber nun ex fundamento dilucide, clare und … [Übersetzung], Frankfurt a. Main 1617. S. dt. Übersetzung bei Jähns; GdKW, Bd. 2, S. 873f.: »Daß Vegetii diese seine scripta sind ein rechtes Faß und Gefäß, da nicht allein Merum oder ein süßer lauterer Getranck, sondern Süßigkeit auß gezapfet und geschöpffet wirdt, wann du nur den rechten Schlüssel zum Kranen, darauß du zapffen willst, brauchest. Dann in diesem Faß, darinnen dieses edle Merum lieget, nicht wie in andern Fässern ein schlechter hölzerner Zapffen ist, daraus ein jeder zapfen kann,d er darüber kommet; sondern wisse, es stecket ein Messinger Kranen mit einem Schlüssel darinnen, durch welchen, so er herausgezogen ist, niemands auß dem Faß etwas zapffen kann. Welcher Schlüssel bißhero etliche viel hundert Jahre verloren, verborgen, ja

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Wallhausen betrachtete Vegetius nicht isoliert, sondern im Zusammenhang einer umfassenderen Restitution antiker Legs. So gab er 1617 den Aelian heraus.14 Im gleichen Jahr 1617 veröffentlicht Wallhausen in Frankfurt am Main eine Kriegskunst von Schlacht-Ordnungen. Der Übersetzer des Vegetius-Kommentars von Wallhausen ins Französische schreibt, dass Vegetius ein Schriftsteller von sehr guten Lateinund Griechischkenntnissen gewesen sei, der im Gegensatz zu den römischen Historikern über kompilatorisches Talent und eine Syntheserespektive Interpretationsfähigkeit verfügt habe, der sich zudem nicht nur auf die Ereignisgeschichte bzw. die narrativen taktischen Modelle beschränkte, sondern auf die Mittel, die die Macht des römischen Imperiums begründet haben. Denn, wenn man all die anderen Griechen und Römer, sowohl die Alten als auch die Jüngeren erforsche, so finde man darin lediglich die Erzählung des Geschehenen. Titus Livius und andere haben viel von den großen Taten, den res gestae (grans faicts) der Römer geschrieben, doch vom Wichtigsten, nämlich von den Mitteln, durch welche sie zu einer solchen Größe gelang waren, bemerken sie nichts. Dieselbe Tendenz könne man bei den modernen Historikern verfolgen. Aber unter allen gäbe es keinen, der Vegetius gleichkäme.15 Mit der Herausstreichung dieser Qualitäten versuchte Wallhausen Vegetius den gleichen Stellenwert wie Polybios einzuräumen. Deutlich ist die Referenz Wallhausens und seine betont alternative Position mit dem expliziten Bezug auf Vegetius, wenn er davon spricht, dass dieser mehr als andere Militärschriftsteller der Antike (besonders auch mehr als Polybios) die Mittel zur Macht eines Staates darstelle. Der Text von Vegetius lieferte den Rahmen für weiterführende quellenkritische Studien antiker taktischer Theorie, einen Fundus taktischer Theoreme und eine kulturtheoretische Referenz für den Machtstaat. Auch in der Ritterkunst (1616) unter der Überschrift Underricht der Adelichen Ritterkunst zitiert Wallhausen Vegetius an erster Stelle.16 Diese

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verrostet gelegen. Hette Lipsius den gehabt und alßdann frisch auß diesem Vegetio gezapfet: er sollte ein andern Meynung und Judicio von diesem Illustri Vegetio gesetzt haben; welches alles der gutherzige Leser auß meinen Schrifften hinfüro, so da in Beschreibung der Romanischen Kriegskunst vor den Augenschein kommen sollen, klärlicher sehen und spüren wirdt.« Aelianus, niemals vor diesem aber nun ex fundamento dilucide, clare und … mit Kupfferstücken [Übersetzung], Frankfurt a. Main 1617. Wallhausen: Milice Romaine. Johann Jacob von Wallhausen: Ritterkunst. Darinnen begriffen/I. Ein trewherziges Warnung schreiben wegen deß Betrübten Zustands jeziger Christenheit. II. Underricht aller Handgriffen so ein jeder Cauallirer hochnötzhig zu wissen bedarff. Vor diesem niemals an Tag gegeben/Nunmehr aber aller Rittersleuten/Adelspersonen/und dere Kunstliebenden zu Nutz und Wolfefallen Practicirt, beschrieben/und mit schönen Kuperstucken gezieret. Durch Johann Jacobi von Wallhausen/Der Statt Danzig Obristen Wachtmester une Hauptman u. Mit Keyerlicher

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Revalorisierung Vegetius’ durch einen Soldaten gegenüber der narrativ verfahrenden, an Polybios, Titus Livius oder auch Tacitus orientierten Schlachtengeschichte, die eine Kritik an dem kulturtheoretischen und militärwissenschaftlichen Polybios-Kommentar impliziert, greift genau diesen an dessen Fundamenten an. Weniger die diskursiv-didaktische Stoßrichtung der Militärwissenschaft, wie sie Lipsius, Rohan und Saumaise repräsentieren, sollten sondern dieses Aufgreifen Vegetius’ ist im Zusammenhang zu sehen mit einer applikativen und enzyklopädisch verfahrenden Stoßrichtung, die, obgleich sie hinsichtlich der anthropologischen Muster auf das traditionelle Modell zurückgreift, der Militärwissenschaft den Weg zu den Methoden der wissenschaftlichen Revolution eröffnete. Damit einher geht eine militärische Ethik, die sich auf das Wollen, Ehren und Gehorchen bezieht.17 Wallhausen bezichtigt Lipsius, infolge der Quellenauswahl zu wenig den instrumentellen Charakter der römischen Macht, d. h. der einzelnen Theoreme und Konzepte wie sie bei Vegetius verdichtet auftreten zu erkennen. Die These wird vertreten, dass Vegetius sich mehr noch als beispielsweise Polybios für eine genuin militärwissenschaftliche Didaktik und einen pragmatischeren und analytischeren Zugang zum römischen Modell (und dessen impliziertes Machtstaatskonzept) eignet. Vegetius verzeichnet demzufolge gegenüber Polybios ein höheres Maß an militärwissenschaftlichem Pragmatismus im Dienste machtstaatlicher Konsolidierung, so wollten es zumindest Wallhausen und dessen Übersetzer. Es wird die Wendung von den ›grands faicts‹, den einschneidenden Ereignissen, in denen sich die Macht manifestiert, zu den Mitteln der Macht (moyens) vollzogen. Es geht jedoch nicht mehr ausschließlich, wie bei Machiavelli um den Maximenschatz (die Kriegsregeln) des Militärtheoretikers der Spätantike, sondern um dessen Darstellung des antiken militärischen Modells in seiner Integralität. Wallhausens sich gleichsam enzyklopädisch auffächerndes Programm einer Militärschule und in letzter Linie seine taktische Theorie und militärische Anthropologie gründeten nicht auf der Feldherrnkunst des Polybios, sondern auf dem militärwissenschaftlichen Paradigma der ERM von Vegetius. Wenngleich Wallhausen De Gheyn rezipierte, bezog

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Mayestatt Freyheit, Gedurckt zu Franckfurt am Mayn/durch Paulum Jacobi/in Verlegung Lucas Iennis, 1616, S. 1. Vgl. auch ebd., S. 18: »Es werden bey ihnen besser in acht genommen diese drey Stücklein/ I. Velle wollen. II. Vereri ehren oder Förchten. III. Obedire gehorchen und Gehorsam leisten. [...] Ach es were wol zu wünschen/daß wir Christe(n) solche Kriegsdisciplin under under (sic) auch hetten.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

er die theoretischen Grundlagen des Exerzierens nicht auf Aelian und die griechisch-byzantinischen Tradition im Allgemeinen, sondern Vegetius. Wallhausen hebt sich von einem genuin griechisch-byzantinischen Exerzierideal ab. Das verdeutlicht nicht zuletzt die Abhandlung über den Gebrauch der Piken (1617).18 Es zeugt von Unkenntnis der umfassenderen militärtheoretischen Zusammenhangs im Späthumanismus, wenn man Wallhausens Versuch das militärtheoretisch-praktische Wissen unter der Ägide Vegetius zu systematisieren als ›Triumph des Mittelmaßes‹ bezeichnet.19 Das Werk Wallhausens ist geradezu charakteristisch für den Übergang von einem bereits in Zweifel gezogenen lipsianischen Polybios-Kommentar zu einer Systematisierung nach vegetisch-akademischen Kriterien und einer (im Anschluss freilich an Stewechius) geforderten neuen historisch-philologischen Kritik des spätantiken Militärtheoretikers. B) Akademische Lehre Kennzeichnend für den Zugriff Wallhausens auf die Kriegskunst war sein definitorisches Bemühen und die enzyklopädisch militärwissenschaftlich fundierte, systematisch-pragmatische Breite seines Zugangs, für das insbesondere das Corpus militare (1617) als Beleg gelten kann. Darin hat er gleich Lipsius, Stevin und Billon (vgl. auch La Rame´e: der den Bruch mit bestimmten Konventionen der Rhetorik vollzieht) dichotomische Aufspaltungen bestimmter Themen vorgenommen und sie in Diagramme gefasst. Der definitorische Ansatz kommt nochmals im ersten Teil des Corpus militare verdichtet zum Ausdruck.20 Die Enzyklopädisierungstendenz ist sowohl bei Wallhausen als auch später bei Naude´ mit einer Systematisierungsleistung mit einem didak18

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Wallhausen: Künstliche Picquen-Handlung. Darinnen Schrifftlich und mit Figuren dieses Adeliches exercitium angewisen und gelehret wirdt. Allen dero Liebhabenden/insodernheit aber den in der Kriegs- und Ritterschulen zu Siegen in der Graffschafft Nassaw artium militarium Studiosis. Vor diesem niemals an Tag/Jetzt also hergegeben von Johann Jacobi von Wallhausen der Kriegs- und Ritterschuel daselbsten Obristen unnd Directorn. Mit sonderbarer Freyheit begabet. Getruckt zu Hanaw/In verlegung deß Authoris. Anno Hye MIsantehac CVIX Datae. (1617). Vgl. Sidney Anglo: Vegetius’s ›de re militari‹. The Triumph of Mediocrity, The Antiquaries Journal, 82 (2002), S. 247–269. Johann Jacob von Wallhausen: Corpus Militare: Darinnen das heütige Kriegswesen in einer Perfecten und absoluten idea begriffen und vorgestelt wird …, Hanau, Author, 1617, S. 1: »Die Kriegskunst/ist/eine Kunst oder Wissenschaft wol Krieg zu führen/zu Wasser/zu Landt/in gewissen Reguln und praecepten verfasset/Nützlich und Nötig/umd das Menschlich geschlecht wol zu regieren/und zu beschützen. Veruhet in zwey Stucken: Deren das erste der Mann/so entweder Ordinari oder Extraordinari. Das zweyte die Waffen: so entweder Ordinari oder Extraordinari. Der ordinari Mann wirdt eigentlich der jenige Kriegsmann geheissen/so da zu Fueß oder zu Pferdt.«

4. Systematik

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tischen Ziel verbunden gewesen. Bei Wallhausen schlägt sie sich in der Außführlichen Beschreibung und Rettung zu Siegen nieder.21 Die Kriegskunst soll in ein System von Regeln (systema praeceptorum) gefasst werden, um in einer Akademie (Kriegsschul) vermittelt werden zu können: Also das kein Zweiffel ist/dieweil die Kriegskunst in ein gewisses systema praeceptorum verfast werden kann/auch allbereit verfast ist/dass dieselbe auch gleich andern Künsten in der Kriegsschul gelehrt und gelernt werden könne.22

Den geeigneten Ort für die praecepta der Kriegführung ist eine camera: Wallhausen bündelt die Vielfalt der römischen Kriegs-strategemata in einer camera militaris, einer Kriegskunst-Schatzkammer.23 Wallhausen spricht von der Unzulänglichkeit individueller Erfahrung auf dem Kriegsschauplatz der Niederlande und betont die Notwendigkeit einer Vermittlung mittels einer institutionalisierten Militärwissenschaft in den jeweiligen Ländern. Damit schreibt sich die holländische Kriegskunst in eine spezifische national-kulturelle und territorialstaatlich eingebundene, militärwissenschaftliche Didaktik ein, die sich sowohl der theoretischen, der angewandten Militärwissenschaft als auch der Truppenausbildung annimmt. Wallhausen schreibt in der Außführlichen Beschreibung, dass das Drillen und das Truppenexerzieren nur ein Teil der Kriegskunst respektive der Ausführung der Kriegskunst sei.24 Im Unterschied zu den Nassau-Oraniern, insbesondere Wilhelm Ludwig von Nassau, der sich an den griechisch-byzantinischen Taktikern und Polybios (Cannae-Problem) orientierte, rekurrierte Wallhausen hinsichtlich der militärwissenschaftlichen Didaktik, aber auch hinsichtlich verteidigungspolitischer Vorstellungen auf Vegetius. Die Defensio Patriae oder Landrettung (1621), die das Konzept einer Militärverfassung auf antik-römischem Modell und insbesondere im 21

22 23

24

Johann J. von Wallhausen: Außführliche Beschreibung und Rettung zu Siegen, der in der Graffschaft Nassaw, unlängst bestellten löblichen Kriegs- und Ritterschulen, Hanau, Author, 1617. HAB A: 16 Bell. (3). Ebd., S. 19. Johann J. von Wallhausen: Camera Militaris: Oder Kriegskunst Schatzkammer: Darinnen allerley Kriegs-Stratagemata zu Wasser und Land von Anfang der Welt biß auff Caesarem Augustum heutige Stunde zugebrauchen gezeiget werden … hergegeben von Johan. Jacobi von Wallhausen, Frankfurt, Aubry; Schleich, 1621. Wallhausen: Außführliche Beschreibung und Rettung zu Siegen, S. 21: »Zu dem/ob wol in den Niderlanden und sonderlich auff der Herrn Staden seiten/under dem vortrefflichsten Kriegs-Helden Prinz Morizen u. die gemeinen Soldaten im Trillen (wie man es nennet) oder in der Waffenhandlung/und den Zug- und Schlachtordnungen fleissig angeführet und geübt worden/so ist doch solches nur ein Stück der Kriegskunst/oder vielmehr ein stück der ubung der Kriegskunst/und gleichsam das A.B.C. welches auch kein gemeiner Soldat/ohne viele ander sachen wissenschafft/in hohen Aemptern oder Bevehlen ihm recht nuz machen kann. Dann sonsten ein jeder der allein das Trillen gelernet hette/zu hohen Bevehlen mit [sic] nuze(n).«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Rekurs auf Aristotels und Vegetius darlegt, nennt Vegetius (ERM, I, 1) als Lehrer der Kriegskunst (»unser[en] Doctor artium militarium«): Insonderheit in dieser unser Materia von der Defension Patriae, Womit sie die Alten von Anfang der Welt hero ihr Land unnd Leutt erobert/gewonnen/geschuzet/erhalten unnd beschirmet. Dasselbig weiset uns unser Doctor artium militarium Vegetius lib I. cap. I. Nulla … Wir sehen vor Augen/dass das Römische Volck durch kein ander Mittel die ganze Welt ihnen unterthänig gemacht hat/alß allein durch die Ubung der Waffen/durch die Kriegsdisciplin zu Feldt/in Lägern/und Underhaltung der Kriegsgebräuche.25

Hinsichtlich der Rekrutierung bezieht er sich auf Vegetius (Delectus, so generalis) und Polybios (Option particulari). In den Niederlanden, so Wallhausen im Folgenden, wurden keine militärtheoretischen Grundlagen vermittelt. Wallhausen war ein Theoretiker des Landesdefensionswesens.26 Neben Siegen, Leiden, Breda (in denen jeweils bedeutende Institutionen militärischer und ziviler Ausbildung nicht zuletzt infolge der Initiative der Oranier errichtet wurden), war Sedan ein weiterer Stützpunkt dieses militärisch-kulturellen Komplexes, der ähnliche Merkmale aufweist: die Errichtung einer Adelsakademie, dynastische Vernetzungen mit den Nassau-Oraniern in Breda respektive Den Haag (ColignyBouillon-Nassau-Oranier-Nassau-Siegen), militärthereotisch kreative Eliten und eine für die jeweiligen sich noch ausprägenden respektive sich arrondierenden Territorialstaaten strategisch bedeutsame Position. Gleich Nassau-Dillenburg war Sedan bedeutsam für die Kappung der spanisch-habsburgischen Machtaterie, der ›Spanish Road‹. In gewissem Sinne schien die französische Militärtheorie der 1630er Jahre die durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vereitelten Pläne einer Kriegsakademie wiederaufgegriffen zu haben, wobei die Gelehrsamkeit sich diesmal im Rahmen einer kulturell-nationalen Bildungsbewegung auf die französische Herrschaftsordnung bezog. Wallhausen hingegen bezog sich hinsichtlich der militärtheoretischen Grundlagen nicht nur auf Vegetius, sondern auch auf Aristoteles. Die aristotelische Billigkeit (Epikie) – wiederaufgegriffen im römischen Zivilrecht –, die als Gegenteil von persönlichem Ehrgeiz auftritt, bezeichnete er als eine Vertragsgrundlage: »Die Gleichheit und Billichkeit ma25

26

Johann Jacob von Wallhausen: Defensio Patriae oder Landrettung: Darinnen gezeigt wirdt I. Wie alle und jede in Stätte unnd Communen ihre und der ihrigen Underthanen Rettung und Schutzung anstellen sollen. II. der Modus bene belligerandi, viel hundert Jahr bißher gefählet; Zu hochnöthigstem und besten Nutzen in diesen sehr gefährlichen und betrübten zeitten hergegeben unnd mit Kupfferstücken angewiesen durch Johann Jacobi von Wallhausen derzeit Churf. Maintzbestelten Obr. Leuteuant [sic], Franckfurt am Main: Aubrius; Aubrius; Schleich, 1621. HAB L. 16.5 Bell.2° (1), S. 17. Vgl. Wallhausen: Außführliche Beschreibung und Rettung zu Siegen; – Defensio Patriae.

4. Systematik

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chet die Verträge warhafftig.«27 Wallhausen stellte Überlegungen zur Bündnispolitik, zum Bürgerkrieg, zur politischen Stabilität, zum Verteidigungs- und Präventivkrieg und dem Eroberungskrieg an. Er folgte dabei in großen Zügen der aristotelischen Definition der Gerechtigkeit.28 Charakteristisch ist, dass er den Begriff der Gerechtigkeit dem des Ehrgeizes gegenüberstellte. Sein Denken basierte auf einer Dialektik von Kriegs- und Friedenskunst. Er kannte, wie durch Lipsius systematisch formuliert, eine Trennung zwischen äußerem und innerem Krieg. Der äußere Krieg ist ein Ventil des inneren Krieges und hat somit eine politisch respektive sozial stabilisierende Funktion. Für Wallhausen war in erster Linie die Stabilisierung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und dessen Verteidigungsrolle gegenüber den Türken bedeutsam. Tatsächlich sah er den Hauptfeind im osmanischen Reich. So schreibt er in der Art militaire pour l’infanterie, die Herrscher, Potentaten und christlichen seigneurs haben von dem christlichen Bündnis gegen Heiden, Türken, Tartaren und andere Verfolger der christlichen Religion gehandelt.29 Wallhausens Defensio patriae (1621) enthält eine Verfassungstheorie auf Grundlagen der römischen Disziplin nach dem Vegetius-Kommentar von Stewechius auf dem Hintergrund der religiös motivierten Bürgerkriege, deren Beginn er etwa in die 1530er respektive 1540er Jahre hinein datiert.30 Die Defensio patriae bezieht sich auf die Vegetius-Edition von Godescalcus Stewechius:

27 28 29

30

Wallhausen: Corpus militare, partis I, S. 29. Ebd. Wallhausen: L’art militaire pour l’infanterie, Oppenheim, Bry und Galler, 1615, S. 22: »Les Princes, Potentats & Seigneurs Chrestiens ont traicte´ des alliances Chrestiennes pour la gloire de Dieu, sa parole & leurs subjets, contre les Payens, Turcs, Tartares & autres persecuteurs.« Wallhausen: Defensio Patriae, S. 129f.: »Man besiehe innerhalb 80 Jahren die greulich Blutbade/so wir in Europa gehabt /unnd nur Christen wider Christen/eigen Glaubens genossen wider ihr Glaubensgenossen/Vetteren/Schwäger/gegen Vetteren/Schwägern/Benachbarte gegen Benachbarte/Brüder gegen Brüder/ein Statt wider die ander/Hennr wider ihre eigne Stätte/in summa Vätter gegen ihre eigne Kinder und nechste Gefreundte/unnd da es nicht gilt/propter religionem, sed propter Regionem, und religio in jederem Ort/praetextum Regionis, und die Religio der Deckel der Region ist/zu verwunderen uber die Langmüthigkeit Gottes/daß er so lang hatt können zu sehen. Zu befahren/es ist einer auff den Beine(n) und werden wir nicht von den innerlichen Kriegen ablasssen/es wirdt einer kommen der nicht fragen wirdt/cuius religionis, sed Regionis, er wirdt nicht fragen/bistu Papistisch / Lutherisch / Caluinisch / Zwinglisch / Widerteufferisch / Manistisch / Armenianisch? Nicht/was glaubstu? Sonderen waß hastu? der kann die comoediam spielen/die der Habich mit der Mauß und Fröschen spielte/dann diese beyde der Frosch und die Mauß zanckten sich mit einander/und einer den anderen ahn einen zwirnen Faden gebunden /welcher der stärckste wäre/in dem sie also zancken/so kame der Habich/nahme sie alle beyde /führt sie weg unnd frasse sie/u.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

so durch Flauium Vegetium zusamen getragen/und beschrieben worden/Zeugnuß giebt/under allen lib. I. cap. 18. Longae securitas pacis, homines partim ad delectationem ocij, partum ad ciuilia traduxit officia. Ita cura militaris exercitij primo negligentius agi, postea dissimulari, ad postremum, olim in obliuionem perducat cognoscitur. &c.: Tot itaque Consulibus, tot Ducibus, tot Exercitibus amissis, tunc demum ad vicotriam peruenerunt, com vsum exercitiumque militre condiscere potuerunt &c.).31

Und an anderer Stelle führt er ihn im Zusammenhang der Kriegskunst und dem modus bene belligerandi an: Dennoch derselbige modus so viel hundert Jahr von Abgang der Römer ihrer Monarchy/biß auff unsern heutigen Tag/nicht eins auffgesucht/beschrieben/gelehret/und gepracticiret worden/sondern ist verborgen geblieben. Eben dieses klaget mit mir der Hochgelehrte weiser Her/Godeschalcus Stevvechius in seiner dedication commentary¨ in Flauium Vegetium, da er also sagt: Militaris disciplina, quam non vni populi hodie amissam dolent, qua ratione recuperari potissimum debeat, quae situm est. Mihi sic videtur: deberi primum peti ex commentary¨s, post, arte & scientia eorum, qui castra secuti sunt, confirmari: ac tandem ipso vsu & experientia perdisi. Oder/Dass die Kriegskunst und Disciplin verlohren/beklagen heutiges Tags nicht wenig Völcker: dieselbige aber an Tag und Vorschein zu bringen/hat man sehr sich bemühet/unnd zwar meinem guttdüncken unnd erachtens nach/halt ichs darfür/dassß dieselbige auß hinderlassenen Schrifften/so von der Kriegskunst geschrieben/unnd Wissenschafft/deren/so dem Krieg beygewohnet/und dem Läger nach gefolgt /könne widerumb in vorigen Standt gebracht werden/und also durch den täglichen Gebrauch un Versuchung/wiederumb erlehrnet werden.32

Der Widmung Wallhausens an Kaiser Ferdinand II. ist zu entnehmen, dass Vegetius die Arten der Kriegführung, die modi bene belligerandi, die Kriegskunst und die Disziplin zu entnehmen seien.33 Dass sich Wallhausen, wie später auch Naude´ im Unterschied zu den Calvinisten Saumaise und Rohan, an einem aristotelischen Begriff von politischer Stabilität orientiert hat und die Verfassung als christliche Verfassung betrachtete, korrespondiert mit deren Präferenz für Vegetius als militärwissenschaftlichem Methodenautor. Wallhausen bevorzugte Ve31 32 33

Ebd. Ebd., S. 114. Ebd., S. 6: »Habd zwar vor fünff Jahren in meinem ersten außgangenen Tractätlein der heutigen Kriegskunst zu Fuß/deß Modi bene belligerandi etwas gedacht/derogestalt verhoffendt/daßß hoch erfahrnere/weisere/gelährtere/unnd trefflichere Kriegsleuthe denselbigen Modum hetten mögen ans Liecht/und in Vorschein kommen lassen/aber nun fast in die fünff Jahr bißher/noch keiner denselbigen zu demonstriren gemercket/vielleicht vieller ihr Bedencken/darüber nicht wissendt. [...] Welches Züberlein ist der jenige Modus bene belligerandi, so vor viel tausent Jahren alle Monarchen/biß auff die Römische und deß Imperatoris Iustiniani Zeitten/gebraucht/und von ihnen erhalten worden. Von welchem Modo bene belligerandi zu melden/deß Flauij Vegetij Rath und Weise/ich aller underthänigst/schuldigst/gehorsambst/folgen will/der in seinem Prologo und Ingressu lib. I dem hochlöblichsten Imperatori Iustiniano, solche seine anbefohlene Arbeit zu dediciren und in gnädigsten Schutz zu nehmen.«

4. Systematik

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getius vermutlich nicht zuletzt deswegen, weil es sich um einen Autor der Spätantike handelt, der sich zur christlichen Religion hingezogen fühlte.34 Explizit ist dies in der Widmung der Kriegskunst zu Fuß angeführt: der treffliche berümbte Kriegskunst Lehrer und Scribent Flauius Vegetius Renatus, Comes Constantinopolitanus &c. In seinem ersten Buch am 13. Capitel [sic]: Nihil neque firmius, neque felicius neque laudabilius est Republica, in qua abundant, milites eruditi. Non enim vestiium… In welchen kurzen Worten/dieser trefflicher/auch Christlicher Kriegskunst Lehrer Vegetius uns weiset/wo durch ein beständiges/glückseliges und löbliches Reich oder Herrschafft bey Fürstenthummen undd Stätten erhalten wirdt: Nemblichen durch die Menge wolerfahrner geschickter Kriegsleute: Welches er sehr stattlich unnd mit (sw) kräfftigen unwiderleglichen Argumenten beweiset und darthut. Dann (sagt er) stattliche Kleider/grosse Reichtum/Menge und Uberfluß an Geld/Goldt/Silber/Juwelen und Edelgestein, die haben unsere Feinde nicht zu unser Ehrerbietung und Gehorsam/oder zu unser Gnaden angedrieben/sondern allein das schrecken der Waffen.35

Die politische Lehre Wallhausens grenzt sich von der ratio status und vom Machiavellismus ab: Gemeinwohl, Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit sind hier entscheidende Paramater, wenngleich auch in utilitaristisch-pragmatischer Abwägung. Die Bezugsgröße ist Gott. In seinem politischen Diskurs rekurriert Wallhausen auf den Kirchenvater Augu34

35

Vgl. Walter Goffart: The Date and Purpose of Vegetius’ ›De Re Miliari Traditio‹, 33 (1977), S. 93.: »At one time, no doubt, the Romans marched forth to subdue the ends of the earth; Vegetius reminds us of it, but he gives no thought to resuming the march. The world is conquered; it must now be retained. The prescriptions he offers have in view an Augustinian just war of defense. The practical concerns of Vegetius are mirrored in his historical ›exempla‹, whose choice is guided by contemporary relevance rather than nostalgia. He surrounds the ›invincible emperor‹ with the conventional formulas of military might, but the fact of Vegetius’ being Christian allowed him to strip the past of all religious overtones: the Roman people conquered in no other way than by the practice of arms, the discipline of camps, and military experience; and even long ago they often forgot the art of war. There is no sense of imperial destiny; instead, weakness in the recurrent theme: What were the old Romans worth by comparison with numerous Gauls, the tall Germans, the many vigorous Spaniards, the rich and wily Africans, the prudent and skilful Greeks? Only training and discipline allowed them to overcome the natural endowments of their opponents.« Wallhausen: Kriegskunst zu Pferdt. Darinnen gelehret werden/die initia und fundamenta der Cavallery/aller vier Theilen: Als Lanzierers/Kührassierers/Carbiners und Dragoens/was von einem jeden Theil erfordert wirdt/was sie praestiren können/ssampt deren exercitien. Newe/schöne Inventionen etlicher Batailien mit der Cavallerey ins Werck zustellen. Mit dargestelten Beweistumben/was an den edelen Kriegskünsten gelegen: Und deren Fürtrefflichkeiten/uber aller Kunst und Wissenschafften. Vormals alles nie an Tag gegeben. Gepracticiret/beschrieben und mit schönen künstlichen Kupfferstücken angewisen von Johann Jacobi von Wallhausen/der löblichen Statt Danzig bestelten Obristen Wachtm: und Hauptman. Mit Röm. Keys. May. Freyheit nicht nachzutrucken/stechen/äzen oder nachzmachen/begnadet, Gedruckt zu Franckfurt am Many/bey Paull Jacobi. In verlegung Iohann-Theodori de Bry, 1616.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

stinus (354–430), den Humanisten Fulvio Orsini (1529–1600), Vegetius (4. Jh.) und Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.). Wallhausens Anliegen war eine Reform des Ritterstandes und die Ausbildung der Untertanen eines Landes in der Waffenübung. Es ging ihm nicht um eine ›republikanische‹ Militärverfassung. Der Disziplinbegriff Wallhausens war auch weit davon entfernt eine Neuschöpfung aus dem Geist des Neustoizismus zu sein, sondern verband sich mit dem traditionellen Ritterideal, wenn es darum ging die gegenwärtig depravierte Adelsverfassung zu geiseln.36 Griff Johann VII. in den Skizzen für sein militärwissenschaftliches Kompendium auf den Polybios-Kommentar von Justus Lipsius zurück, so gründete Wallhausen sowohl sein politisches, sein militärwissenschaftlich didaktisches Programm, als auch seine politische Theorie auf den von Stewechius edierten Vegetius. Er bezog sich auf die Dedication ad Serenissimum Illustrissimum, potentissimum Principem Carolum, Calabriae, Lotharingiae, Barri ac Geldriae Duci, &c. Bei Wallhausen verband sich die Bezugnahme auf Aristoteles mit einer anderen Funktionsbestimmung der Militärverfassung als die des ›politischen Neuzstoizismus‹, als dessen primäres Ziel die öffentliche Befriedung durch Militarisierung gilt. So zitiert Wallhausen die Politica des Aristoteles, Buch VII, Kap. 14, das besagt, dass die Kriegsübungen, das Exerzieren, nicht von den Menschen in der Weise erdacht und aufgenommen werden sollen, dass dadurch den Nicht-Betroffenen (Unschuldigen) eine schwere Dienstbarkeit aufgeladen werde, sondern damit diese nicht zu dienen gezwungen werden. Die soldatische Mentalität wird hier nicht zum Modell für den zivilen Teil der Gesellschaft. Darüber hinaus soll durch das Kriegswesen eine Regierung in die Lage versetzt werden, für das Gemeinwohl der Untertanen (Underthanen) einzutreten. Das Militär, so betont Wallhausen ausdrücklich, solle nicht gegen die Untertanen einer Herrschaft eingesetzt werden.37 Der Staat gründet nicht auf einer philosophia militaris respektive disciplina militaris, sondern auf der Freiheit gleicher Bürger, die der Herrscher zu schützen hat. 36

37

Wallhausen: L’art militaire pour l’infanterie, S. 21: »Mais comment est-il aujourd’huy quant a` la discipline militaire? ils ont une merveilleuse souvenance de leur serme(n)t! considere´s les mutinations & honorables complots (penses que voire) qui jusques a` prese(n)t se sont esleves en plusieures endroits, le Lecteur favorable, verra fort bien, s’il se trouve en eux une seule estincelle de l’ancienne chevaleureuse, noble & vraye discipline militaire.« Vgl. Defensio Patriae, S. 19f.; vgl. Aristoteles: Politik, übers. v. E. Rolfes, Hamburg 1990, S. 271: »Ferner muss man auf die Übung im Kriegswesen nicht zu dem Ende Bedacht nehmen, um solche, die es nicht verdienen, zu knechten, sondern der Zweck soll erstlich sein, nicht selbst von anderen geknechtet zu werden, sodann zweitens die Hegemonie zum Besten der Beherrschten, nicht behufs der Knechtung aller zu erlangen, endlich drittens, ein Herrenregiment über die zu gewinnen, die es verdienen, Sklaven zu sein.«

4. Systematik

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Wallhausen trennt in einen inneren und einen äußeren38 sowie einen defensiven und offensiven Krieg39. Er vertritt die Ansicht vom Landesdefensionswesen als Verteidigungskrieg und betrachtet diesen – nach dem göttlichen und natürlichen Recht (iuris diuini & naturalis) – als Pflicht der Obrigkeit (defensio suisuorumque subditorum). Die Entscheidung für einen der antiken Autoren drückt sowohl eine Wahl für eine bestimmte theoretische Begründung des modo belli belligerandi, aber auch eine bestimmte Konzeption einer militärwissenschaftlichen Didaktik aus. Hinter der Tacitus-, Polybios- oder VegetiusRezeption stehen nicht nur unterschiedliche Auffassungen militärischer Ausbildung, sondern auch unterschiedliche Verfassungsnormen. In Verbindung mit dem Vegetius-Kommentar Godescalcus Stewechius hielt Wallhausen den Verteidigungskrieg für erlaubt, während der Angriffskrieg gegen christliche Staaten verboten ist. Trat in Archiley Kriegskunst und der Künstlichen Picquen-Handlung die Vegetius-Rezeption meist in der Widmung oder in der Anrede an den Leser im Zusammenhang der Begründung einer militärwissenschaftlichen Didaktik (und nicht der taktischen Theorie im engeren Sinne) auf, so nahm Wallhausen in der Kriegskunst zu Pferdt (1616) und in der Defensio patriae (1621) eine politiktheoretische Ausdeutung Vegetius’ vor. Besonders in der Defensio patriae (1621), die von der zweiten Gestalt des Defensivkriegs handelt,40 rekurrierte Wallhausen auf Aristoteles, Augustinus, Hieronymus Osorius, Bischof zu Silves in Algarbien (De regis institutione & disciplina libri VIII., Köln 1574; Paris 1583), Francesco Patrizi (lib. 4, de Reg, Tit. 2 und lib. 5 de institutione Reipulicae), Platon und den Vegetius-Kommentar von Godescalcus Stewechius. Darin lässt sich ein Programm erkennen, dass dem dem Tacitismus oder auch einer polybianischen Militärdoktrin entgegensteht. Der Bezug auf Francesco Patrizi (1413–1492) aus Siena stützt die aristotelische Tendenz. Patrizi hatte zwei Werke verfasst: De institutione reipublicae und De regno, die bis zum Ende des 16. Jahrhunderts eine große Reputation hatten. Der erste Traktat skizzierte die Institutionen einer idealen, sich selbst regierenden Gemeinschaft und argumentierte für eine Bürgermiliz, die weit mehr Protektion gewährleistete als Söldnertruppen. Patrizis Argumentation basierte weitgehend auf der Analyse des militärischen Ethos, wie sie im dritten Buch der Nikomachischen Ethik (III, 6–10, 1115a–1117b) dargelegt ist.41

38 39 40 41

Wallhausen: Defensio Patriae, S. 1. Ebd. Ebd., S. 1. Vgl. Charles C. Bayley: War and Society in Renaissance Florence. The De Militia of Leonardo Bruni, Toronto 1961, S. 231.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Den römischen Disziplinbegriff entwickelte Wallhausen nach Vegetius (I, 7).42 Abgesehen von Du Praissac, der die Phalanx und die römische Treffentaktik aufgriff, rezipierten die ersten Exegeten der oranischen Kriegskunst und ›Reproduzenten‹ der holländischen Methoden wie Billon, Courbouzon, Du Praissac und Wallhausen das Modell nur selektiv. Die theoretische Leistung Wallhausens besteht denn auch eher in einer Kompilations- und Sammelleistung, die er in ein vegetisch inspiriertes System einzubinden suchte. Wallhausen entwarf unter der Ägide Vegetius’ nicht nur seine taktische Theorie und einen didaktisch alle militärischen Praxisbereiche integrierenden didaktischen Gesamtentwurf, sondern berücksichtigte auch die Übersetzungen von Du Praissac und Montgommery de Courbouzon. Fernerhin wurde seine Arbeit über das römische Militärwesen nach Vegetius ins Französische übersetzt.

2. Die Militärtheorie Je´re´mie de Billons, Sr. de la Prugnes und deren Kritik durch Antoine de La Valle´e, Sr. de Montissuc David Parrott, der die Schriften zur Kriegskunst der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Blick nimmt, schreibt diesen nicht zu Unrecht einen rhetorischen und ästhetischen Charakter zu.43 Dieses Verdikt trifft insbesondere die taktische Theorie Je´re´mie de Billons, Sieur de la Prugnes, dessen Werk eine verhältnismäßig geringe militärwissenschaftliche Kohärenz aufweist.44 Diese theoretische Inkohärenz fiel bereits den Zeitgenossen auf. Die Parentheses et documents militaires (1619, 1622) des Militärs Antoine de La Valle´e, Sieur de Montissuc weisen auf eine generelle Problematik postlipsianischer und postoranischer militärischer Methoden hin: Weder Lipsius und die Nassau-Oranier, noch deren französische Adepten im ersten und zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts vermochten ein praktizierbares und widerspruchsloses taktisches Modell zu statuieren oder eine ›wahre Disziplin‹ (vraye discipline), die Billon nach Lipsius annimmt, zu vermitteln. La Valle´es Kritik bezieht sich auf Billons Instructions militaires, divise´es en six livres (Lyon 1617) und Principes de l’art militaire (1612). Aber Billon war sich beim Verfassen der Institution der Kritik und des Kreises der Kritiker, die ihn treffen sollten, durchaus bewusst. Als er seine Instructions militaires 1617 veröffentlichte, sah er sich veranlasst in 42 43 44

Wallhausen: L’art militaire pour l’infanterie, S. 13. Parrott: Richelieu’s Army, S. 33. Ebd., S. 36: »The evidence for a shift towards a more recognizably modern and coherent view of tactics and organization is hard to detect.«

4. Systematik

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der ›Responce de l’autheur a` ce que l’on peut dire sur cest œuvre‹ der Kritik seiner Kollegen vorzubeugen. Er setzte sich vor allem gegen den Vorwurf der Kompilation zur Wehr. Knapp zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Instructions militaires, die offensichtlich bereits 1612 in handschriftlicher Form vorgelegen haben, veröffentlichte Antoine de La Valle´e, Sieur de Montissuc die Parentheses et documents militaires (1619), die eine Kritik der Militärtheorie Billons vom theoretischen und vom pragmatischen Standpunkt enthalten. Dabei gerieten vor allem die kompilatorische Machart und die Defizite hinsichtlich der Praktizierbarkeit der dargelegten militärischen Methoden ins Visier des Kritikers La Valle´e. La Valle´e bemängelte die Redundanz, die Widersprüchlichkeit, die kompilatorische Machart und die mangelhafte didaktische Kompetenz Billons (»mais il ne les enseigne point«).45 Der Kommentar La Valle´es zu den Instructions militaires und den Suites von Billon hat eine didaktische Stoßrichtung, die darauf zielte das Urteil der Leser bei der Lektüre zu schärfen. La Valle´e nennt zwei Gründe für seinen Kommentar der Schriften Billons: Diejenigen, die Bücher lesen, sollen künftig für deren Qualitäten und Mängel sensibilisiert werden, um sie von den schlechten zu unterscheiden. Ein weiterer Grund bezieht sich auf die Kommodität der Leser, so dass dieser sich nicht irre, wenn er Dinge zweimal dargestellt sehe.46 Er weist darüber hinaus darauf hin, dass seine Kritik keineswegs singulär sei, sondern die kritischen Punkte in seinem Regiment als nicht praktikabel angesehen wurden. Vor allem der Einfluss Niccolo` Machiavellis und Wallhausens kann über La Valle´es Kritik nachvollzogen werden. Billon hat aus unterschiedlichen Autoren kompiliert: so Corset, ehemaliger capitaine der gardes des Franc¸ois de Mandelot, lieutenant general pour le Roy in Lyon (seit 1571 Gouverneur in Lyon), Louis Montgommery de Courbouzon und dem capitaine Enea Cervellino, sergent major der Republik Venedig (Militar Disciplina del capitano Enea Cervellino, Venedig 1617), sowie 45

46

La Valle´e: Parentheses, et documents militaires. Traictans parfaictement des fortifications, sie`ges, tranches, batteries, poincter les canons, tirer plans des Prouinces & Royaumes, faire toutes sortes de bataillons, du deuoir des rondes & sentinelles, d’exercer, faire loger, marcher & combattre les gens de guerre: aussi du moyen de mettre promptement en ordre de bataille tel nombre d’hommes qu’on voudra avec toutes les reigles pour ce necessaire. Ensemble sont remarquees, & corrigees les erreurs commises par le Sieur de la Prugne dans son livre des Principes de l’Art militaire…, Lyon, Barthelemy Ancelin, 1619. Ebd., S. 32v: »I’ay esclaricy ces choses pour deux raisons: l’vne, afin que ceux que lise(n)t les liures, prennent garde pour l’aduenir a` ce qui est de bie(n) da(n)s iceux, & le discerner d’auec le mauuais, l’autre pour la commodite´ des lecteurs, afin qu’ils n’entrent en quelque erreur, trouuant les choses deux fois escrites, & les prie receuoir mon labeur en bon(n)e part, lequel ie desire estre a` leur contentement.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

Petrus Apian und Rainer Gemma Frisius (Cosmographia Liber Petri Apiani, studiose corr. ac erroribus vindicatus per Gemman Phrysium, Antwerpen 1529), die die Tafeln erstellt haben.47 Das zweite Buch, das sich mit den Qualitäten der Befehlshaber befasst, ist aus den Artikeln von Boivin kompiliert.48 Das zweite Kapitel über die ›wahre militärische Disziplin‹ und alle im Krieg notwendigen Ordonnanzen (›traicte´ de la vraye discipline militaire, & de tous ordres necessaires en guerre‹) habe, so La Valle´e, Billon Lipsius entnommen: Es sei eigentlich zu nichts zu gebrauchen.49 Das dritte Kapitel, das von den Ordonnanzen, dem ersten Teil der Disziplin handelt (›premiers des ordres, premiere partie de la discipline‹), stütze sich ebenfalls auf Lipsius und andere Autoren, die Billon jedoch nicht nenne, darunter Polybios (Historien, VI), Vegetius, Josephus (Jüdischer Krieg, VI, 13), J. J. v. Wallhausen (Art militaire pour l’infanterie), Onasander (Kap. 7), De Langey, Courbouzon sowie die Ordonnanzen des französischen Königs.50 Ins Auge fällt der nach wie vor starke Einfluss Machiavellis, der in der französischen Militärliteratur bereits früh in den Rang eines militärischen Klassikers erhoben worden war. Den Franzosen wurde Machiavellis Werk zunächst nicht durch eine Übersetzung, sondern durch eine Verarbeitung vermittelt, welche den Titel führt: Instruction sur le faict de la guerre, extraites des livres de Polybe, Frontin, Ve´ge`ce, Cornazani, Machiavel et plusieurs autres bons auteurs (Paris). Dann erst folgte Charriers Traduction d’Onozandre, de Frontin, de Modeste, d’Elien et de Machiavel (Paris 1546): Die Zusammenstellung mit Namen kanonischer Autoren der Antike beweist am besten, dass Machiavelli von den Franzosen durchaus als Klassiker betrachtet wurde.51 Dem Verfasser hat offensichtlich nicht die, in Form eines Dialogs abgefasste, italienische Fassung vorgelegen, sondern die, in ein militärisches Kompendium mutierte, französische Übersetzung, deren Systematik sachlichen Gesichtspunkten folgt.52 Angesichts der bereits einsetzenden Diffusion holländischer Ausbildungsmethoden mag es als Anachronismus erscheinen, dass Billon in den Methoden des Gruppenexerzierens noch auf Machiavelli rekurriert: In Kap. 38 des 10. Artikels schreibt er, dass die Konversionen (Wendungen) immer sehr schön anzusehen seien und sehr notwendig seien, 47 48 49 50 51 52

Ebd., S. 148f. Ebd., S. 81. Ebd., S. 107f. Ebd., S. 108. GdKW, Bd. 1, S. 470. S. Übers. von Jehan Charrier: L’art de la guerre … L’estat aussi et charge d’un lieutenant ge´ne´ral d’arme´e, par Onosander, Paris 1546; Übers. c. 1614 bei Chappelain, Paris, erschienen (HAB A: 79.7 Pol.). Erneut herausgegeben 1635: Discours de l’estat de paix et de la guerre, Paris. BN FB–11184.

4. Systematik

283

denn man stellt immer die besten Männer in die Front des Bataillons und wenn der Feind sich an der queue zeigt oder man umdrehen möchte, so ist das Bataillon plötzlich in der gleichen Form gedreht und die Männer stehen in Kampfstellung. La Valle`e kritisiert: Diese Stellung, die Billon Machiavelli (AG, IV, 1) entlehnt habe, sei jedoch eine widersinnige Stellung: »A cela responds qu’il n’y a point d’apparence en tout cela; outre que ce n’est pas du sien, mais de Machiauelle«; denn die besten Männer an die Bataillonsfront zu stellen, hieße das ganze Korps auf den zwei oder drei ersten Rängen zu sichern (AG, IV, 1) und sich auf den Rest nur hinsichtlich der Zahl zu verlassen. Es hieße, die letzten Ränge auf ihre bloße Zahl zu degradieren und damit in ihrem Selbstwert zu mindern, der sich auf den Mut (courage) stützt.53 Danach (n° 5) folge ein Bataillon, in dem die Musketiere in Kreuzform stehen, von dem Billon nicht nur die Wissenschaft darlege. Man sehe, dass darin fünf Mal mehr Musketiere als Pikeniere stehen. Auch diese Ordonnanz habe er Machiavelli entlehnt (AG, II, 2: AG, frz. Übers., 1546: II, 2: De la mode d’armer de maintenant, & de l’inuention de la pique).54 Es folgen zwei Bataillone, die versetzt angeordnet sind. Diese Ordonnanz stamme, wie Billon einräumt, von La Noue (III, 25). plus facile a` estre deffaicte: par ainsi donc on void que ce ne sont que vaines redites inutiles, & ou` il y a beaucoup de choses a` redresser: comme par le 10. article, du 20. chapitre, il dict.

Er sagt, es gäbe nichts Einfacheres als ein Bataillon ohne Arithmetik zu bilden (AG, II, 8).55 Die Kapitel 5 bis 10 enthalten unterschiedliche Übungen (exercices), die alle in einem Kapitel hätten zusammengefasst werden könnten. La Valle´e bemängelt, dass diese Kapitel der Milice Romaine, der französischen Vegetius-Übersetzung von Wallhausen, dem Onasander, der Discipline militaire von Du Bellay (I, 6), Machiavelli (AG, II, 656) und der Definition der Reihe (file) und die Art diese aufzu53

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56

La Valle´e: Parentheses, et documents militaires, S. 133f.: »& ne se fier au reste que pour le nombre; que si on tient cela pour maxime, & que les soldats le scachent ou y prenne(n)t garde, ils cognoissent qu’on les mesestime, & qu’on ne se sert d’eux, que pour la quantite´, plustost que pour quelque asseurance qu’on aye de leur courage; & par ce mesme moyen on leur faict auoir mauuaise opinion d’eux mesmes.« Ebd., S. 140v. Ebd., S. 24: »Il n’y a rien plus ayse´, que de former vn bataillon, sans Arithmetique, ny a` autre finesse, car qui sc¸ait le nombre des hommes on assigne vne hauteur raisonnable au bataillon selon les gens contre qui on a affaire, & puis il ne faut que coupper autant de rangs que l’on veut le bataillo(n) haut, & faire tousiours marcher le reste iusqu’a ce qu’ils se trouuent vis a` vis de la teste de ceux qui sont couppez, puis on couppe autant de rangs, & ainsi on continue tant qu’il y a d’hommes, & c. cela est tire´ de Machiauelle [Rand: Machiauelle 8. ch. Du 2. liure de l’art de la guerre].« Vgl. Niccolo` Machiavelli: L’art de la guerre ... L’Estat aussi et charge d’un lieutenant ge´ne´ral d’arme´e, par Onasander. Hg. u. übers. von Jehan Charrier, Paris, J. Barbe´, 1546: II. 6: ›De l’exercice des gens de guerre‹.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

stellen Polybios (Historien, VI), Montgommery de Courbouzon und Wallhausens Art militaire pour l’infanterie (I, Teil 4) entlehnt sind.57 Vom ersten Blatt 39 bis zum 54. gibt es zwölf verschiedene Formen mit vier corps Kavallerie, die logisch verbunden sind, denn jede neue Figur folgt aus der Vorhergehenden, sonst stellt er nicht mehr und will nicht mehr Bataillone in einer geraden Linie eine nach der anderen. Indem Billon auf diese Weise diversifiziert, vergrößere er lediglich sein Buch. Darüber hinaus habe er dies Machiavelli entlehnt (AG, III, 358).59 Billon stützt, La Valle´e zufolge, die Methode des Individualexerzierens auf die Übersetzung der ERM des Vegetius durch Johann Jacobi von Wallhausen (La Milice Romaine),60 das 7. Kapitel des Onasander, die Discipline Militaire von Guillaume du Bellay (I, 6) und die Arte della guerra von Niccolo` Machiavelli (AG, II, 6). Was die Errichtung der Reihe (file) betrifft, so beziehe sich Je´re´mie de Billon auf Polybios (VI), auf Montgommery de Courbouzon und die Kriegskunst zu Fuß (art militaire pour l’infanterie) von Johann Jacobi von Wallhausen (Erstes Buch, IV, 2).61 Das sechste Kapitel, in dem er das Individualexerzieren des Fußsoldaten behandelt, stützt sich auf Wallhausens Kommentar zu Vegetius (Kap. 12 bis 19), Onasander (Kap. 7) und der Discipline militaire von Langey (I, 6) und der Arte della guerra von Machiavelli (II, 6), dem auch die Kapitel sieben bis neun entlehnt seien. Das 10. Kapitel, das sich der Reihe (file) und deren Aufstellung annimmt, ist Polybios (VI), Courbouzon und Wallhausens Kriegskunst zu Fuß (Buch I, Teil IV) entlehnt.62 57 58

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La Valle´e: Parentheses, et documents militaires, S. 110. AG, frz. übers. durch Jehan Charrier: 1546: III. 3: ›La fac¸on que les Suysses tiennent en leurs bataillons‹. Ebd., S. 53vf.: »2 Depuis le premier 39. feuillet iusqu’au 54. ce sont douze diuerses formes auec quatre corps de Caualerie, & le tout tire consequence auec les ordres precedents, sinon que maintenant il ne met plus guieres, & ne veut plus les bataillons a` droicte ligne l’vn derriere l’autre: mais ce n’est que pour grossir son liure en les diuersifiant de la forme des des precedents, outre qu’il a tire´ de Machiauelle.[Rand: Machiauelle 3. chap. du 3. liure de l’art de la guerre.].« Es könnte sich um folgende Passage handeln: Buch I, Kap. 26: Comment les tyrons sont enseignez et exercez a` garder les ordres & distances en bataille (Gruppenexerzieren: Formveränderungen); Buch II, Kap. 23: De l’exercice des soldats. Vgl. La Milice romaine traicte´, auquel est monstre, comment deuant quelques mill annees on enseignoit les nobles arts Militaires es escholes publiques. Auec la traduction de Flave Vegece en langue Franc¸oise …1616. FB–3138. Johann Jacob Wallhausen: L’art militaire pour l’infanterie … descrit en langue allemand par Jean Jaques de Wallhausen; traduit nouvellement en franc¸ais, Franeker, U. Balck, ca. 1615, repr. Paris 1978. BN Microfiche M–1835 Microfiche M–1835, Buch I, Teil IV, 2, S. 99f.: Recite les mots usitez en l’exercice: 48 Kommandoworte. La Valle´e: Parentheses, et documents militaires, S. 109vf.: »LES chapitres 5.6.7.8.9 & 10. contiennent diuers exercices lesquels pouuoient estre tous mis en vn seul chapitre, mais le grand mal qu’il y a, cest que ce n’est pas tout du sein, car pour ce

4. Systematik

285

Die griechischen Taktiker Aelian und Leo VI. spielen darin keine bedeutende Rolle, jedoch die taktische Theorie, wie sie sich in Vegetius und Polybios findet als auch Machiavelli und Du Bellay, alias De Fourqevaux. Die Kritik des elften Kapitels Billons bezieht sich auf den Kontermarsch (»que ceux qu’on a vne fois estably Chefs de file, Chefs de demy file, & serre, & tous les autres nommez entre deux seront tousiours tels, & parce moyen si tost qu’il commande faictes voz files, a` ce mot le bataillon est faict.«63). Dies könne nur funktionieren, wenn die Soldaten unsterblich seien und man sicher sein könne, dass sie niemals ihren Platz verließen, denn bei einem Scharmützel (escarmouche) seien es die chefs de file, die als erstes getötet werden. La Valle´e schlägt daher vor, wie er es selbst früher praktiziert habe, alle Soldaten zum chef de file auszubilden.64 Neben den militärtheoretischen Grundlagen sind vor allem einzelne Topoi Gegenstand innermilitärischer Kritik. So bezieht sich die Kritik La Valle´es auf die Bataillone, das Exerzieren und die Schlachtordnung von Billon. Die Kritik der Schlachtordnung bezieht sich nicht primär auf die Modellbildung, der sich La Valle´e weniger inhaltlich, sondern methodisch-theoretisch nähert. Sein Augenmerk gilt der Positionierung der chefs, den praktizierten Exerziermethoden in der Schlachtordnung und den Bataillonsformationen. Er berücksichtigt nicht die für die Entwicklung der Schlachtordnung und deren methodisch-modellhaften Charakter einschlägigen Kapitel des zweiten Buches der Instructions militaires, so Kapitel 18, 23 und 24. Die genannten Kapitel bezögen sich, La Valle´e zufolge, offensichtlich auf die Principes de l’art militaire, seien jedoch falsch zugeordnet. Eine positive Kritik erfährt die Anordnung der Befehlshaber (chefs) in der Schlachtordnung. Im 4. Kapitel (unklar bleibt, in welchem Buch und in welchem Kapitel) behandelt Billon ›les places ou se mettent tous les Chefs povr vn iour de bataille‹. La Valle´e hält dieses Kapitel für sinnvoll, zumal Schlachten zu besagtem Zeitpunkt kaum zum Erfahrungsschatz militärischer Eliten zählten. Doch ist er der Ansicht, Billon habe

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qui despend du 6. chapitre intitule´, premiere partie de l’exercice de l’homme de pied seul & en particullier. Il est prins sur la Milice Romaine faicte par Vvalhansen sur Flaue, Vegece aux 12.13.14.15.16.17 & 19. chapitres, Onosander chapitre 7. Discipline Militaire du Seigneur de Langey chapitre 6.liure premier, & sur Machiauelle au 6. chapitre du 2. liure de l’art de la guerre, les 7.8. & 9. chapitres despendent du precedent: mais pour le 10. qu’est intitule´ que c’est que file & comme il la faut dresser, Il a tire´e de Polybe a` la parcelle du 6. liure, de M. de Courbouzon, chapitre 2. de Vvalhansen en son liure de l’Art Militaire pour l’infanterie en la 4. partie du premier liure.« Ebd., S. 110f. Ebd., S. 111.

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

diese mangels Anschauungsmaterial konstruiert. Dennoch vermutet La Valle´e, Billon habe einer der Ordonnanzen beigewohnt und habe daraus seine Ordnung zusammengeklaubt (recueilly l’ordre65). Wenngleich im historischen Diskurs fest etabliert, ergäben sich auch ohne den Rat der Historiker die Schlachtordnungen auf natürliche Weise. Daraus spricht eine Skepsis gegenüber den taktischen Lehren der gelehrten Humanisten, die mit einer Infragestellung der auctoritas der Antike einhergeht.66 In den Instructions militaires (Kapitel 23) behandelt Billon im Zusammenhang der Ordonnanzen, die gegenüber den Türken praktiziert werden, die Anordnung der Befehlshaber (chefs) in der Schlacht (bataille). Für jede Armeefront sind zwei Mareschaux de Camp und Sergents de bataille vorgesehen. Auf jedem Flügel der Armee ein Mareschal de camp und ein Sergent de bataille. Die zwischen den beiden batailles stehende Kavallerie soll von mindestens zwei Mareschaux de Camps angeführt werden. Jedes Korps von 4000 Fußsoldaten und jedes Korps Kavallerie soll einen übergeordneten Chef erhalten. Auf jedes gros von 400 Pferden vier chefs kommen; für jede Truppe von 400 Musketieren 4 capitaines. Die übrigen capitaines werden an mehreren beliebigen Stellen aufgestellt. Die Kritik seitens La Valle´es an bestimmten Bataillonsformationen, am Exerzieren, der schematischen Darstellung einschließlich der Erklärung Billons fließen ineinander. In der Kritik der Bataillone, wie sie sich in Kapitel 22 des zweiten Buches der relevanten Kapitel der Principes de l’art militaire (insbesondere II, 46: Infanterie-Bataillone gegen Kavallerie) verdichtet, dominiert der militärtechnische, speziell der waffentechnische Aspekt. Es geht um den effizienten und praktisch möglichen Umgang mit den Waffen, der von Billon offensichtlich realitätsfern oder gar nicht behandelt wird. Infolgedessen kommt es zu Bataillonskonstruktionen, die der Realität der zeitgenössischen Kriegführung, so die Auffassung La Valle´es, nicht gewachsen sind. Nicht behandelt werde fernerhin die Handhabung der Pike gegen die Kavallerie. Ein Defizit, das La Valle´e sich anschickt in Kap. 21 zu beheben. Er habe beschrieben, wie man die Pike gegen die Infanterie zu halten habe, denn Billon übergehe dies.67 65 66

67

Ebd., II, 4, S. 109. Vgl. He´le`ne Ve´rin: La gloire des inge´nieurs. L’intelligence technique du XVIe au ´ volution de l’Humanite´), Paris 1993, S. 295. XVIIIe sie`cle (L’E La Valle´e: Parentheses, et documents militaires, II, 22, S. 147f.: »I’ay monstre´ comme il faut tenir la picque contre l’Infanterie, sur le chapitre 21. de ce liure, parce que le Sieur de la Prugne ne l’enseigne pas au sien, & ne peux iuger pourquoy il a mis cela en oubly, attendu que c’est vne des principales choses des effects des coups de main: mas (sic) il faut croire que puis qu’il a creu auoir la science tout seul,? ne la pas voulu rendre commune.«

4. Systematik

287

Die für die Rezeptionsgeschichte der holländischen Methoden bedeutsame Kritik ist die Inkompatibilität zwischen Bataillonsform und Kontermarsch, ja gar die von La Valle´e angenommene Nicht-Praktizierbarkeit des Kontermarsches. Im zweiten Buch Kap. 22 heißt La Valle´e zwar die Option Billons für die Platzierung der Musketiere in der Bataillonsmitte für gut (le bataillon ou` il a mis les mousquetaires au milieu, keine präziseren Angaben). Billon beschreibe jedoch nicht hinlänglich die von den Musketieren zu befolgenden Richtlinien für das Schießen. Das bedeutet für die Handhabung der Pike einen großen Schritt machen, die Pike in die linke Hand nehmen und seinen linken Ellenbogen auf das linke Knie stützen und die Pike auf Höhe der Pferdebrust halten. Den rechten Arm über den linken legen und das Schwert in die Hand nehmen, um sich im Falle des Brechens der Pike durch den Aufprall des Pferdes zu verteidigen. Oder sei es, dass die Pikeniere sich nur in eine solche Stellung bringen, weil es bequemer für sie ist und um die Wirkung der Musketiere zu erleichtern. Die Pikeniere müssen sich rechts niederknien, so dass die Musketiere über ihren Kopf schießen können, ohne sie zu verletzen. Wenn der erste Rang schießt, so soll er sich nach dem Schuss niederknien und nachladen, während der zweite schießt und so weiter. Und dies in alle vier Richtungen, denn es ist möglich, dass die Kavallerie von allen vier Seiten angreift.68 Es ist ebendiese Form, die bei Lostelneau, in Abänderung des Modells Moritz von Oraniens, als beste Taktik gegen einen Kavallerieangriff gewertet wird. Dass die Bataillonsformationen Billons auch im Regiment de Chappes, aus dem Billon hervorging, nicht unangefochten waren, davon zeugt ein Zitat La Valle´es, dem zu entnehmen ist, dass es einige Offiziere im Regiment von Chappes gebe, die über mehr Wissen verfügten respektive den gleichen Kenntnisstand wie Billon hätten und nicht alle 68

Ebd., II, 22, S. 139f.: »mais le Sieur de la Prugne ne descrit pas bien l’obseruation des mousquetaires a` tirer, & ne luy sert de dire, que si l’on veut que ceux du dedans tire(n)t, qu’il faut faire mettre le genouil en terre aux picques de deuant, parce que c’est vne maxime a` obseruer inuiolablement que les picquiers doiuent mettre la picque en deffence contre la Cauallerie; ainsi que luy mesme le dict au 12. Chapitre du present liure 6. Article, & comme encores il le dict au present chapitre 46. Article 19. Qui est mettre le bout contre le milieu du trauers du pied droit; faire vn pas fort gra(n)d; prendre la picque de la main gauche; & appuier so(n) coude gauche sur le genouil gauche; & tenir la picque a` la hauteur du poictral des cheuaux; passer le bras droit par dessus le gauche; & mettre l’espee a` la main pour s’en defendre au cas que la picque fust rompue par le choca des cheuaux, ou autrement. Or est il que les picquiers ne se mettent en telle posture que pour plus de commodite´ pour eux, & pour faciliter l’effet de leurs mousquetaires: Il faut donc que les picquiers s’agenoüillent sur le genouil droit: ce qu’estant; les mousquetaires de deda(n)s tirent par dessus leur teste sans les pouuoir offencer, sc¸auoir le premier rang tire: quoy fait, il se met a` genouil, & charge, cependant que le second tire; & ainsi de l’vn a` l’autre: & pour ce faire, & tirer des quatre faces, parce qu’il est croyable que la Cauallerie attaquera des quatre costez.«

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II. Die militärische Kultur der Nassau-Oranier

seiner Schriften billigten. Diese seien vernunftbegabt und fähig in der Kriegskunst und den Regeln des Krieges, so dass sie einen großen Teil Billons korrigierten.69 Daraus ist zu entnehmen, dass die Bataillone offensichtlich nicht der französischen Praxis und dem militärwissenschaftlichen Verständnis der ersten beiden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts entsprachen. Der Grund, weshalb La Valle´e das intellektuelle Instrument der Rechentabellen zur Erstellung von Bataillonen fortführt, ist, dass Billon zwar eine Vielzahl unterschiedlicher Formen mit unterschiedlicher Anzahl von Männern beschreibt, jedoch nicht das Wie und die Form, die Ränge und die Reihen erklärt. Der methodische Einwand bezieht sich auf die nicht-vorhandene respektive nur mangelhaft gegebene theoretische Herleitung unterschiedlicher Bataillonsformen und die Widersprüche zwischen Darstellung und Legende. Schließlich verweist er auf die kompilatorische Machart des Texts, indem er Einflüsse von La Noue und Machiavelli nachweist. Der Einfluss scheint nicht nur auf die Oranier und La Noue gewirkt zu haben, sondern noch Saint-Luc griff die Bataillonsformen nicht nur von La Noue, sondern auch von Coligny und Heinrich von Navarra auf und praktizierte sie während seiner Tätigkeit in den Regimentern Picardie und Piemont.70 Der Text verdeutlicht, dass hinsichtlich der Bataillone Frankreich über eine relativ eigenständige militärische Tradition verfügte. La Valle´e kritisiert nicht zuletzt die konkrete didaktische Vermittlungsarbeit von Billon. So schreibt er, dass Billons Text und Unterweisung seinen Absichten zuwiderlaufe.71 Auch das militärwissenschaftliche Hilfsmittel einer Tabelle (table), die er von Corset, einem ehemaligen capitaine des gardes von de Mandelot, lieutenant ge´ne´ral pour le Roy in Lyon, Courbouzon (der ebenfalls die Zahl 4000 annimmt), von Enea Cervellino, einem sergent major der Republik Venedig (Militar Disciplina del capitano Enea Cervellino, Venedig 1617) und aus der Kosmographie von Petrus Apian und Gemmia Frisius (Cosmographia Liber Petri Apiani, studiose corr. ac erroribus vidicatus per Gemman Phrysium, Antwerpen 1529) rezipiert haben soll und deren Kenntnis – sie solle vom Soldaten auswendig gelernt werden – Billon für die Erstellung unterschiedlicher Bataillone (in Zusammensetzung und Anordnung) nach verschiedenen Kriegssituationen (occurences und occasions) für unerlässlich hält, sei nicht praktikabel:

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Ebd., II, S. 163: »ie les cognois si capables de raison, & de reigles de la guerre, qu’ils en improuueront vne grande partie.« Ms. f. fr. 12366, fol. 27, 28, 50, 44v. La Valle´e: Parentheses, et documents militaires, II, 22, S. 147: »telleme(n)t que ses escrits & enseignements sont contraires a` ses desseins.«

4. Systematik

289

»toutes lesquelles choses ne se pourroyent faire exactement ny promptement par sa table comme il dict.«72 Hinsichtlich beider Kritikpunkte führt La Valle´e alternative Konzepte an, d. h. Rechenoperationen und Schemata, die sich deutlich von denjenigen Billons unterscheiden. So schreibt er: Il ne reste qu’vne chose a` ce bataillon: c’est que le Sieur de la Prugne n’enseigne pas le moyen de le faire par science ny tous les autres aussi, mais ie tascheray de les enseigner a` ceux qui l’ignorent.73

Auch entlehnt er stellenweise seine Bataillonskonfigurationen unterschiedlichen Autoren: Die in Kreuzform angeordneten Musketiere sind aus der AG (II, 2) von Machiavelli gezogen, die folgenden sich flankierenden Bataillone stammen aus den Discours politiques et militaires (III, 25) des Franc¸ois de La Noue. Trotz der offensichtlich theoretischen Schwächen, die die Militärtheorie Lipsius’ und die praktische Diffusion des holländischen Ausbildungssystems durch Je´re´mie de Billon aufwies, konstituierte sich in der Regierungszeit Ludwig XIII. ein fester Corpus an Handbuchliteratur zur Truppenausbildung, in dem die holländischen Ausbildungsmethoden einen zentralen Rang einnahmen. Billon, Du Praissac und Courbouzon sollten über vier Jahrzehnte zum festen militärtheoretischen Kanon zählen, zu dem sich noch weitere Autoren gesellten, die oft in singulären Editionen zur Diffusion holländischer Exerziermethoden beitrugen.

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Ebd., S. 148. Ebd., S. 140.

Zweiter Teil: Der französische Späthumanismus im strategischen Kontext des Dreissigjährigen Kriegs Kritik der Theorie und Praxis von Taktik und Strategie durch Humanisten, Politiker und Militärs (1630–1660)

I. Militärtheorie und strategischer Kontext (1630–1659) In den 1630er Jahren und insbesondere um 1635 erfolgte mit dem Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg sowie der Partizipation am Achtzigjährigen Krieg als Bündnispartner der Generalstaaten zunächst eine Verdichtung und intensive Weiterentwicklung der französischen Militärtheorie in zwei Richtungen. Auf der einen Seite entstand eine Reihe von Texten in Form von Journalen oder Traktaten, die im Anschluss an die Kriegskunst der Militärtheoretiker um Heinrich IV. und die Kriegskunst der Franzosen, Niederländer und Schweden einen dynamischen integralen Feldzug entwarfen, zu realisieren trachteten oder a posteriori theoretisierten. Dabei lösten sie sich weitgehend von den in der antiken taktischen Theorie überlieferten Figuren und Formen.1 Auf der anderen Seite, und davon nicht unabhängig (es liegen gruppengeschichtliche Zusammenhänge vor), vollzog sich im Späthumanismus eine neuerliche und intensive Auseinandersetzung mit der antiken militärtheoretischen Überlieferung und mit der modernen Militärtheorie. Hier lässt sich erneut nachvollziehen, dass die Entstehungs- und insbesondere die Publikationsdaten von militärischen Traktaten in der nordwesteuropäischen militärischen Kultur mit politischen und kriegsgeschichtlichen Zäsuren korrespondieren: Das Jahr 1559 bildete mit dem Frieden von Cateau-Cambre´sis den Scheidepunkt zwischen den Habsburg-Valois Kriegen und den französischen Religions- und Bürgerkriegen. Im Jahr 1559 wurde auch die Institution de la discipline militaire au royaume de France veröffentlicht.2 Gleichzeitig setzte die französische taktische Machiavelli-Kritik ein. 1595 schließlich begann sich die französische Monarchie unter Heinrich IV. zu konsolidieren. Auch den Generalstaaten war es infolge einer klugen Bündnispolitik, einer stabilen Militärverfassung und der Kriegskunst der Oranier gelungen, sich zu festigen. Die Jahre 1631 und 1635 schließlich markieren das zunächst verdeckte, dann schließlich offene Engagement Frankreichs im 1

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Beispiel: D’Aurignac. Vgl. Paul Azan: Un tacticien du XVIIe sie`cle. Le mare´chal de bataille d’Aurignac, Paris 1904. Institution de la discipline militaire au royaume de France. A Treshault & Trespuissant Prince Antoine Roy de Navarre, Lyon 1559.

294

I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Dreißigjährigen Krieg an der Seite der Generalstaaten. Die Niederlage bei Nördlingen im September 1634 setzt eine entscheidende Zäsur mit politischen, kriegsgeschichtlichen und militärtheoretischen Folgen: die schwedische Macht entlang des Rheins brach zusammen3 und die Richelieusche Politik des verdeckten Krieges (guerre couverte) fand ein Ende.4 Die französische Intervention im Veltlin, mit der der Herzog von Rohan beauftragt wurde, erwies sich umso notwendiger, zumal die Armee des Herzogs von Feria, die das Veltlin passierte, in hohem Maße zur Niederlage der Schweden bei Nördlingen (1634) beigetragen hatte. Richelieu schuf diplomatisch günstige Bedingungen für einen Feldzug von großer Tragweite: der Krieg sollte sich auf einer Frontlinie von der Rheinmündung bis nach Italien erstrecken.5 Breitenfeld hatte für H. Delbrück dieselbe Bedeutung für die moderne Militärgeschichte wie die Schlacht von Cannae in der antiken Militärgeschichte. In Breitenfeld triumphierte das schwedische System. Wallenstein, der Nachfolger Tillys, reduzierte die Tiefe der Pikeniere, modifizierte die Taktik des schwedischen Modells und führte die leichte Artillerie ein.6 In Lützen und dann in Breitenfeld widerstand die kaiserliche Infanterie der schwedischen und führte die Entscheidung durch die Kavallerie herbei.7 In diesem Rahmen kam es erneut – vergleichbar dem im vorigen Abschnitt dargelegten Komplex – zu einer militärtheoretischen Performanz, die sich in unterschiedlichen theoretischen Ansätzen äußerte. Weniger in den Niederlanden denn in Frankreich, insbesondere zum Zeitpunkt und im unmittelbarenVorfeld des Eintritts Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg, kam es in einem durch Vernetzungen zu definierenden strategischen Kontext zu einer militärwissenschaftlichen Revision und Systematisierung der taktischen Theorie – die Oranier gelangten ja zu keinem System und auch der Entwurf Wallhausens, dessen Einflüsse auf Lostelneau nachzuweisen sind, blieb rudimentär. Schien der niederländische militärische Späthumanismus und dessen Quellen, die Aufschluss über die Realisierung taktischer Theorien geben, wesentlich abgeschlossen, so setzte nun in Frankreich in einem spezifischen strategischen Kontext eine militärtheoretische Produktion ein, die hinsichtlich der militärischen Humanismus ihren Tribut sowohl an den niederländischen militärischen Gelehrtenkultur als auch an den italienischen militärischen Humanismus zollte. 3 4

5

6 7

Croxton: Peacemaking, S. 97f. Jörg Wollenberg: Richelieu. Staatsräson und Kircheninteresse. Zur Legitimation der Politik des Kardinalpremier, Bielefeld 1977, S. 333. Dominic M. Pedrazzini: Ope´rations franco-suisses en Montagne. La campagne de la Valteline (1635), Revue internationale d’Histoire Militaire, 65 (1988), S. 142. Piero Pieri: Guerra e politica negli scrittori italiani, Mailand-Neapel 1955, S. 83. Vgl. Ebd., S. 82f.

4. Systematik

295

Sekundiert wird die Ausprägung eines Textcorpus von den biographischen Optionen einiger Personen der französischen militärischen Eliten und eingefasst von einer politischen Pragmatik und strategischen Doktrinen, die zu Beginn der dreißiger Jahre datieren. Im Zusammenhang dieser Theorie eines Feldkrieges kann man nicht eindeutig festhalten, ob die Theorie, die strategische Intention, die politische Pragmatik oder die Erfahrungen der militärischen Eliten ausschlaggebend waren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es im Zusammenhang des Dreißigjährigen Krieges zu einer Verdichtung taktischer, strategischtheoretischer und wissenschaftstheoretischer Entwicklungen kam, die miteinander in Verbindung gebracht werden können. Begleitet wurden sie von einer ebenso einschneidenden Wandlung in der Ordonnanz der französischen Armee. Ein kausal-geschichtsfunktionaler Zusammenhang kann zwischen diesen Entwicklungen allerdings nicht hergestellt werden. Sehr wohl kann aber über personen- und gruppengeschichtliche biographische Zusammenhänge eine Verbindung ausgemacht werden, wenngleich über die Theoreme und Methoden aufgrund der unterschiedlichen theoretischen Genese keine Wirkungsgeschichte der herausgearbeiteten Ideen nachgezeichnet werden kann. Hinsichtlich der militärischen Kultur kam es nicht nur zu einer kulturellen Schwerpunktverlagerung nach Frankreich, sondern im Unterschied zum ersten militärtheoretisch-pragmatischen Komplex, wie ihn die militärische Kultur der Nassau-Oranier zeitigte, in den 1630er Jahren auch zu einem Auseinanderklaffen zwischen militärwissenschaftlichhumanistischer Erforschung antiker taktischer Theorien und der mehr oder weniger expliziten Loslösung der militärischen Eliten – wie es d’Aurignac im Livre de la guerre formuliert – vom humanistisch-taktischen Paradigma. Dennoch brachte diese militärwissenschaftlich-humanistische Grundlagenforschung ein Ergebnis mit pragmatischer Stoßrichtung hervor: Diese auf der Grundlage der restitutio der antiken taktischen Tradition vorgenommene Interpretation manifestierte sich nicht in einer experimentell verfahrenden militärischen Praxis, sondern in der allgemeinen militärwissenschaftlichen Paideia in der politischen Lehre in Frankreich sowie einer reflektierten Herrschaftspraxis. Dafür fehlte die ›Personalunion‹, die Bündelung von Kompetenzen in der Kriegskunst und genuin militärtheoretischen Kompetenzen in einem dichten dynastischen Netzwerk sowie deren Kompatibilität mit der Verfassung und der Militärverfassung. Henri de Rohan verfügte zwar über theoretische Kenntnisse und bestach in der Kriegskunst: seine von Brüchen gezeichnete Biographie – vom Klienten Heinrichs IV. entwickelte er sich zum Widersacher der französischen Monarchie und Exulanten und wurde von Richelieu schließlich zurückbeordert – verhinderte jedoch ein erfolgreiches Zusammenwirken des Generals mit dem Politiker Richelieu oder dem Monarchen.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

In einem ersten Schritt wird das Textcorpus hinsichtlich seiner theoretischen Bezüge in der Zeit zu identifizieren und chronologisch einzuordnen zu sein.

1. Theorien einer Kriegsoffensive (ca. 1631– ca. 1634) Zu Beginn der 1630er Jahre wurden mit dem Parfaict capitaine (1631, publ. 1636),8 dem Inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´stiente´ (1633, publ. 1634) und dem von Rene´ Lenormant, Sieur Du Bois verfassten Discours pour le restablissement de la milice de France (1632, 1633)9 Texte vorgelegt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie eine Kriegsoffensive der französischen Monarchie nahelegen. Sowohl das Discours pour le restablissement de la milice de France als auch der Inte´reˆt des princes et des e´tats de la chre´tiente´ sind konjunkturelle Schriften mit einem empirisch-analytischen Ansatz. Zu verorten sind sie im Kontext des wieder erstarkenden französisch-habsburgischen Gegensatzes. Beide Texte tragen die Merkmale der meisten politischen Texte der ersten Jahrhunderthälfte: sie analysieren kurz und unmittelbar die Konjunktur oder Ereignisse.10 Henri de Rohan, der einer der einschlägigen Militärtheoretiker des 17. Jahrhunderts war und einer der bedeutenderen Strategen (zumindest 8

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Vgl. Guillon: Nos e´crivains militaires, Bd. 1, S. 101f.: Rohans Parfaict capitaine entstand während seines Aufenthalts in Padua 1631, sollte aber erst 1636 erscheinen. Etwa zur gleichen Zeit verfasste er einen Traite´ de la corruption de l’ancienne milice et des moyens de la remettre dans son ancienne splendeur, in der er die militärische Regeneration der Italiener vorschlug. 1633, als er sich bei den Graubündnern aufhielt, schrieb er seine Studie De l’inte´reˆt des princes et Estats de la chre´tiente´, die er Richelieu widmete. Er untersuchte darin die Politik, die den unterschiedlichen Staaten konveniere und vor allem diejenige, die Frankreich zustehe. Seine Betrachtungen sollten vom Kardinal geschätzt werden; die Me´moires sur la guerre de la Valteline (4 Bücher) wurden erstmals 1758 von Beat Fidel Zurlauben (1720–1799), Generalleutnant der Schweizer Garde in Paris, ediert: Me´moires et Lettres de Henri Duc de Rohan, sur la guerre de la Valteline. Publie´s pour la premie`re fois, & accompagne´s de notes ge´ographiques, historiques & ge´ne´alogiques, 3 Bde., Paris 1758; s. auch Collection Michaud, t. V, 2e se´rie. Rene´ Lenormant, Sieur du Bois: Discours pour le restablissement de la milice de France. Contenant les fonctions depuis le simple soldat iusques a` celles du General d’arme´e, ensemble les exercices tant de l’Infanterie que Cauallerie: La forme de ranger les arme´es en bataille en raze Campagne, & lieux Montueux: Le moyen pour recognoistre la capacite´ des Ingenieux en la Theorie & pratique de la Fortification, Castrametation, feux d’Artifices & autres choses dependantes de la deffensiue & offensiue de guerre. La maniere de bien establir la Nauigation Franc¸oise, pour les arme´es nauales & le commerce: Et autres voyes & moyens extraordinaires pour mettre la Milice de France a` son periode…, Rouen, Charles Osmont, 1632. BN V 18021. Vgl. Lazzeri: Introduction, S. 132.

4. Systematik

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theoretisch) werden sollte, da er Kriegskunst und Staatskunst aufeinander bezog, sollte paradoxerweise und im Unterschied zu Gustav II. Adolf im Zusammenhang der Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte keinen Platz erhalten.11 Es war Friedrich Meinecke, der ihm in seiner Geschichte der Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte (1924) ein monographisches Kapitel widmete,12 wenngleich er ihn jedoch aus dem empristisch-strategiewissenschaftlichen Kontext isolierte. Vielmehr als den Text von Rohan ausschließlich im Zusammenhang der Lehre der Staatsräson zu sehen, gilt es ihn in der strategisch-taktischen Literatur zu kontextualisieren. Gemeinsam ist den Entwürfen des aus der Normandie stammenden Militärs Rene´ Lenormant und des ehemaligen Generals der Hugenotten Rohan, dass sie zum Zeitpunkt des verdeckten Engagements Frankreichs im Dreißigjährigen Krieg eine offensive Kriegführung theoretisch begründeten. Lenormants und Rohans Texte treffen sich in einem entscheidenden Punkt: Sie sind in politischer Hinsicht empirisch-analytisch und zeitgebunden. Christian Lazzeri schreibt zu Rohans Inte´reˆt des Princes et des Etats de la Chre´tiente´, dass sich dieses Buch der konkreten politischen Analyse der äußeren und teilweise der inneren Lage der französischen Monarchie in einer für deren politische Stabilität, territoriale Integrität, wirtschaftliche Konjunktur und internationale Stellung besonders gefährlichen und komplexen politischen Lage widmete. Diese konkrete und konjunkturelle Analyse war vergleichend ausgerichtet. Damit nahm Rohan die analytische Perspektive des politisch-militärischen Beraters ein, wie sie beispielsweise Lipsius in dem Brief von 1595 eingenommen hatte und wie sie für die diplomatische Korrespondenz im Allgemeinen kennzeichnend war. Die politischen Maximen sollten von den Regierenden des französischen Staates, in erster Linie Richelieu, umgesetzt werden, dem nahegelegt wurde, eine dem Staatsinteresse folgende Politik zu betreiben.13

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Lediglich in einer Fußnote zitiert Delbrück GdKK, Bd. 2, S. 880: »Herzog Henri Rohan berichtet später in einer Schrift (zit. GdKK, Bd. 2, S. 951), Moritz habe gefunden, daß die Bewaffnung mit Schilden besser sei, habe aber seine Ansicht, da er ja nicht Souverän war, nicht durchschießen können.« Vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 452. Vgl. Stolleis: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, S. 139: »Schließlich lassen sich viele Einzelheiten des Buches zurechtrücken oder ergänzen. Schon die Gewichtverteilung der einzelnen Kapitel wirkt subjektiv. So hat sich etwa das Rohan-Kapitel zu einer eingeschobenen Monographie mit nur lockerem Bezug zum Thema ausgewachsen, das Kapitel über Friedrich d. Großen ist verhältnismäßig sehr breit und sagt mehr über Meineckes Borussismus als über den relativ unbedeutenden ›Antimachiavell‹ des Kronprinzen.« Lazzeri: Introduction, S. 2f.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Sie bildeten ein die Militärverfassung und die Doktrin der Kriegführung betreffendes Pendant zu den zahlreichen auf die innere Verfassung bezogenen Schriften um 1630. Sowohl der Text von Rohan als auch derjenige von Lenormant schreiben sich in eine bestimmte politische und ideologische Gesamtkonfiguration ein. Von 1631 bis 1632, dem Zeitpunkt, zu dem Richelieu seine Macht zu festigen sucht, erschienen gleichzeitig vier dogmatische und technische Traktate, die sich mit der Staatsregierung befassten: Le Prince von Jean Louis Guez de Balzac (1631), De la souverainete´ du Roi (1632), Le Ministre d’Etat, avec la ve´ritable usage de la politique moderne von Jean de Silhon (1631) und Le Conseiller d’Etat ou recueil ge´ne´ral de la politique moderne von Philippe de Be´thune (1632).14 Mit der Technisierung der Macht im Innern korrespondierte eine Lehre der äußeren expansiven ›Selbstbehauptung‹. Im Unterschied zu Balzac, Silhon und Philippe de Be´thune dachten sie die französische Verfassung und Militärverfassung in Abhängigkeit von einer expansiven äußeren Politik. Wenngleich die beiden Texte auf eine offensive, anti-habsburgische Politik der französischen Monarchie zielen, so referieren sie auf unterschiedliche theoretische Begründungsmuster. Während Rohan in der Tradition italienischer machtpolitischer Rationalität an das Interesse (inte´reˆt) appellierte, ging die Argumentation Lenormants von der Mischverfassung aus, die er in der Verfassung der Generalstaaten realisiert sah. Letztere eröffne lediglich die Möglichkeit einer defensiven Kriegführung. A) Der Discours pour le re´tablissement de la milice de France (1632) von Rene´ Lenormant a. Die Theorie der zwei Kreise und das exemplum Cannae Empiristisch-strategisch angelegt ist nicht nur der Traktat des Inte´reˆt pour les princes et des Etats oder der Parfaict capitaine, sondern auch der Discours pour le restablissement de la milice de France, ein Diskurs über die Reform des französischen Militärs15 des aus Falaise in der Norman14

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Louis Andre´ zit. in: Franc¸oise Hildesheimer: Introduction. In: Testament politique de Richelieu, Paris 1995, S. 13. Rene´ Lenormant, escuyer, sieur du Bois: Discours pour le restablissement de la milice de France. Contenant les fonctions depuis le simple soldat iusques a` celles du General d’arme´e, ensemble les exercices tant de l’Infanterie que Cauallerie: La forme de ranger les arme´es en bataille en raze Campagne, & lieux Montueux: Le moyen pour recognoistre la capacite´ des Ingenieux en la Theorie & pratique de la Fortification, Castrametation, feux d’Artifices & autres choses dependantes de la deffensiue & offensiue de guerre. La maniere de bien establir la Nauigation Franc¸oise, pour les arme´es nauales & le commerce: Et autres voyes & moyens extra-

4. Systematik

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die stammenden Rene´ Lenormant, Sieur du Bois. Darin wird das holländische Modell politisch, militärisch und unter strategischem Blickwinkel systematisiert. Auch vergleichende Aspekte, wie z. B. zwischen dem holländischen und spanischen Kriegsrat oder der französischen Verfassung der Kavallerie und der holländischen Hierarchie kommen dabei zum Tragen. Lenormant trat in seinem Discours für die Idee eines Europas unter französischer Vorherrschaft ein. Insbesondere Spanien und die Türkei unter den Einfluss Frankreichs zu bringen, sei das Ziel.16 Er schreibt in der Pre´face, dass der französische König mithilfe des vorliegenden Buchs die Kriegsordnungen (ordres de guerre) der Vergangenheit und der Gegenwart übertreffen könne. Er habe diese Dinge herausgearbeitet, so dass seine Majestät erkennen könne, dass ihm ohne eine gute Kriegsordnung (bon ordre de guerre) die Eroberung von Spanien nicht gelingen könne.17 Im Zentrum der vergleichenden Analyse steht die Militärverfassung. Der Traktat Lenormants orientierte sich an den militärisch-strategischen Kategorien einer Kriegsdefensive (defensive de guerre) und einer Kriegsoffensive (offensive de guerre) sowie an den geopolitischen Kategorien des inneren und äußeren Kreises (cercle inte´rieur und cercle exte´rieur). Die defensive Kriegführung wird anhand der Militärpolitik der Generalstaaten und der Strategie Moritz von Oraniens illustriert. Ihr ist der vierte Teil der Verfassung bzw. Politik (police) gewidmet. Sie basiert auf dem Handel, einer liberalen Wirtschaftspolitik, einem im Verteidigungszustand befindlichen Land, festen Landes- und Seegrenzen und der Errichtung guter Garnisonen. Alle diese politisch-strategischen Kriterien erfüllten die Generalstaaten. Dazu gehörte auch, dass der Prinz von Oranien die quadratischen Bataillone (bataillons quarrez) missbilligte und die alte Taktik (milice) der Griechen aufgriff, wobei er wegließ, was ihm davon unbrauchbar erschien. Fernerhin führte er in Nachahmung der Griechen und Römer die Lagerordnung auf das Wesentliche zurück und führte sie zu ihrer Vollendung. Lenormant versucht dies anhand eines Vergleiches der Lagerordnung des Prinzen Moritz mit der des Polybios zu belegen. Zur defensiven Kriegführung gehöre fernerhin die Perfektionierung der holländischen Festungsbaukunst (boulevards, courtines et al.), die Befestigung der Grenzen auf dem Festland und zum Meer hin. Moritz errichtete eine gute Ordnung (ordre). Mit seinen See-

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ordinaires pour mettre la Milice de France a` son periode…, Rouen, Charles Osmont, 1632. BN V 18021. Ebd., S. 139. Ebd., S. 147: »Aussi sa Maieste´ suiuant le contenu de ce liure pourra exceller tous les ordres de guerre tant du passe´ que du present: I’ay mis en auant ces choses afin que sa Maieste´ considere que son bon hevr sans vn bon ordre de guerre ne peut paruenir a` la conqueste d’Espagne, &c.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

streitkräften erlangte er Siege. Er hat sich in all seinen Armeen niemals der Rekrutenkompanien bedient, sondern zog nur Soldaten aus den Stadtgarnisonen der grenzfernen Städte heran, die er durch die neu rekrutierten Kompanien ersetzte. Schließlich errichtete er einen Kriegsrat. Die holländische Militärverfassung, die wesentlich durch Moritz von Oranien geprägt wurde, diente Lenormant als Modell einer defensiven Kriegsverfassung und Kriegführung. Lenormant verlässt jedoch den strategischen Rahmen des holländischen Verfassungsmodells, wenn er eine offensive Strategie darlegt. Eine Grundmaxime der Kriegsoffensive (offensive de guerre) im fünften Teil der police ist, dass der äußere Kreis den innern bestimmt; ein Beispiel hierfür sei Jülich-Kleve, das von den Generalstaaten aus diesem Grunde nicht hat eingenommen werden können. Eine Offensive müsse vom äußeren Kreis ausgehen und habe das Naturell der Gegner sowie deren Kriegsordnung und die Lage ihres Landes zu berücksichtigen. Als Beispiel dient Lenormant Spanien: Dessen Truppen gleichen einem Körper ohne Kopf, denn wenn der Nachschub (secours) ihnen durch den äußeren Kreis Frankreichs, d. h. dessen See- und Landstreitkräfte unterbunden werde, seien sie vom strategischen Zentrum isoliert. Auch die zentrale Befehlsgewalt der Spanier in Sizilien, Neapel und Mailand und weiteren Besitzungen in Europa könne dadurch nicht mehr wirken. Der aus dem Abschnitt über die strategischen Überlegungen des Souveräns vor einer Eroberung (Kap. 19, Art. 3 und 5) gezogenen Konsequenz zufolge, wäre es ein Leichtes, jede Verbindung der zehn Provinzen von Flandern nach Spanien zu unterbrechen. Zur Kriegsoffensive gehört auch der Plan eines Übergriffs auf die Türkei über Konstantinopel, der eine Fortsetzung des Kriegs in Ungarn impliziert. Rene´ Lenormant leitete aus dem Primat des Festungs- und Belagerungskriegs nicht das Exerzieren als zentrale Praxis ab, sondern die strategische, aus logistischen Überlegungen resultierende Einnahme und Haltung fester Plätze. Denn ob dieser guten Ordnung zögere ein General nicht Städte und Zitadellen durch Belagerungen einzunehmen, zumal er wisse, dass die zwei zentralen Anliegen darin bestehen, die Rückzüge zu sichern und den Belagerten die Kommunikation abzuschneiden. Für eine schrittweise Eroberung spreche, dass sie nach der Wissenschaft in der vorgeschlagenen Zeit in Gehorsam gebracht werden könne, was sich in der Regel auf zehn Wochen, zwei oder drei Monate erstrecke. Die Aushungerung ziehe sich über vier, fünf oder sechs Jahre hin. Der erste Weg sei der sicherste (asseure´), so Lenormant.18 18

Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice, BN V 9396, s.p.: »Car par ce bon ordre vn General d’arme´e ne doute de prendre les villes & citadelles par sieges, d’autant qu’il sc¸ait que les deux principaux poincts sont d’asseurer ses retraictes & d’oster la communication aux assiegez, en apres Iuger si elles sont pren-

4. Systematik

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Pagan schrieb, dass ganz Europa sich gegenwärtig über die geringe Widerstandsfähigkeit der Festungen wundere. Die stärksten hielten nicht länger als sechs Wochen stand, und die Besten könnten sich nicht ohne eine benachbarte Armee halten.19 Die politischen Stabilitätserwägungen Lenormants sind von einer Mischverfassungstheorie geprägt, als deren sozialstabilisierendes Ferment die Gerechtigkeit (justice) angenommen wird. Die Gerechtigkeit ist Moment der Defensive. Für die offensive Kriegführung ist ein Kriegsrat nach dem Vorbild Moritz von Oraniens eine Voraussetzung; dieser soll im Rahmen der monarchischen Verfassung Frankreichs realisiert werden. Lenormant stellte einen Zusammenhang zwischen Lagerordnung und wirtschaftlicher Konjunktur eines Landes her. Die Errichtung freier Lager und die damit verbundene Auslagerung der Soldaten aus den Dörfern, d. h. eine Trennung von militärischem und zivilem Leben, gewährleiste die ökonomische Entwicklung der Städte. Die in Frankreich beliebte Sitte der Unterbringung der Truppen in den Dörfern sei von Moritz von Oranien zurückgewiesen worden. Er habe die Lagerordnung der Römer herangezogen, diese reformiert und den anderen militärischen Vervollkommnungen hinzugefügt, so dass niemals eine Republik in kürzerer Zeit zu einem Sechstel des Reichtums gelangt sei als Holland.20 Die Lagerordnung, die den Zweck habe, die Soldaten außerhalb der Dörfer zu logieren, ist eine Ursache der wirtschaftlichen Prosperität der Generalstaaten.21 Tatsächlich handelte es sich bei der Unterbringung

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ables pied a` pied ou par famine: Les attaquant pied a` pied il est asseure´ a` cause de sa science de les reduire en vn obeissance dans le temps propose´, comme de six sepmaines, deux mois ou trois mois pour le plus: Mais les prenant par famine il faut attendre que les assiegez ayent mange´ leurs viures, ce qui est aucunesfois de longue duree comme de quatre, cinq a` six ans, ainsi qu’il aduint de Calais sous le regne de Philippes de Valois: La premiere voye est la plus asseuree quand la situation du siege le permet, car par icelle l’ennemy s’estonne, les villes se rendent d’elles mesmes, les nations estrangeres quittent le party de l’ennemy.« Blaise-Franc¸ois de Pagan: Les Fortifications dv comte de Pagan, A Paris, chez Cardin Besogne, M. DC. XLV. Mazarine Re´serve 4816 B: »Mon Dessein n’est donc pas de monstrer ou` l’Artifice des Hommes peut conduire ce´t Art, mais d’adiouster aux inuentio(n)s de tant de grands Capitanes & de ta(n)t de celebres Autheurs des nouueaux Aduantages pour la deffence des Places. Toute l’Europe s’estonne aiourd’huy de leur peu de Resista(n)ce, les plus Fortes ne durent pas plus de six Sepmains, les Meilleures ne se peuuent conseruer sans le voisinage d’vne Arme´e, & l’on ne demande plus pour les attaquer si elles sont bonnes, mais si la circonuallation s’en peut acheuer deuant que l’Ennemy soit en presence.« Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice, S. 15. Vgl. ebd., S. 211f.: »Ceste maniere vsite´e en France«, schreibt Lenormant, »a` loger les villages a este´ reprouue par le feu Prince Maurice, qui au lieu d’icelle a pris la castrametation des anciens Romains, & l’ayant reforme´e & ioincte a` des autres perfections militaires, a mis la Hollande a` vn tel periode, que iamais Republique en si peu de temps n’est arriuee a` la sixie´me partie des richesses qu’elle possede.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

der Truppen in den Dörfern um einen der wunden Punkte des Verhältnisses von zivilem und militärischem Leben.22 Die Kontrastierung des holländischen Kriegsrats (Conseil de guerre) – einer Aristokratie mit starker Zentralmacht, die der stadhouder Moritz repräsentierte – mit dem militärpolitischen System der Spanier bringt die Vorzüge des ersteren zutage. Handelte es sich doch bei der spanischen Verfassung um eine Tyrannis, die sich im Kriegsrat fortsetzte. Rene´ Lenormants Reform der französischen Armee schrieb sich in die politische PolybiosTradition ein, die sich an dem anaky´klosis-Schema festmachen lässt. Das überschritt er zugunsten eines militärisch begründeten Absolutismus und des ›äußeren Kreises‹ und statuierte damit eine Ideologie der Kriegsoffensive, die über die narrativen Modelle nach Scipio und Caesar hinausgeht und eine strategische Doktrin auf die Grundlage der Geometrie stellt. Lenormant rückt in die Nähe eines polybianischen komparativen Paradigmas,23 indem er einen konstitutionellen Vergleich durchführte und die strategie- und geopolitischen Figuren von innerem (Defensive) und äußerem Kreis (Offensive) annahm. Der polybianische Methoden- und Strategiebegriff ist hier mit einem Verständnis der Verfassung und der Geographie verbunden.24 Rene´ Lenormant entwarf den e´tat de guerre auf der Grundlage einer kapitalistischen Wirtschaftsverfassung, einer entwickelten Stadtkultur und einer gesellschaftlichen, auf den Prinzipien der Gerechtigkeit gründenden Ordnung. Sein Discours kritisiert zunächst den französischen Staat (estat), in dem Unfrömmigkeit, die sich in der offenen Blasphemie äußerte, und Ungerechtigkeit (im Sinne eines ungerechten Steuerwesens, das zur Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung führte) herrschten; diese provozierten im Verbund die Unordnung (confusion). Lenormants Diskurs, so die erklärte Absicht, zielt auf die Wiederherstellung der politischen und militärischen Ordnung. Ferment der Gesellschaft bzw. der politischen Ordnung sei eine distributive Gerechtigkeit, die eine freie Wirtschaftsverfassung in seinen Grundzügen nicht ablehnt, sondern im Sinne der gesellschaftlichen Stabilität zu regulieren trachte. Es sei nicht die Menge der Menschen und der Nationen, die einen Staat tragen, sondern Gerechtigkeit, Gesetze und Ordnung (iustice, loix & ordres). Die Republik der Vereinigten Niederlande habe sich auf der Grundlage dieser Trias unter dem charismatischen General Moritz von Oranien 22 23

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Georges d’Avenel: Richelieu et la monarchie absolue, Bd. 3, Paris 1887, S. 108. Vgl. Lacy: Polybius and his Concept of Culture, S. 89: »after describing the Roman constitution and comparing it to others, he finally contrasts it to the Carthaginian, first in their political institutions, and then in military power.« Vgl. Kenneth Sacks: Polybius on the writing of history (University of California publications: Classical Studies, 24), Berkeley 1981, S. 191.

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militärisch und politisch zu behaupten vermocht. Die Selbstbehauptung Hollands, die die gute Ordnung Moritz von Oraniens trotz der militärischen Stärke eines mächtigen spanischen Monarchen befestigt habe, führe dies vor Augen. Der Gerechtigkeit, den Gesetzen und der guten Ordnung habe er die Sorge um den Schutz des Staates hinzugefügt. Sein Fleiß habe der Bewahrung vor Unruhen, Parteiungen, der Pest und dem Ruin des Staates gegolten. Es sei nicht hinlänglich, sich im Inneren zu konsolidieren, sondern man müsse auch nach außen hin rüsten; so habe Moritz von Oranien den Gegnern die Gelegenheit zu schaden genommen, indem er die eigenen Straßen befestigt und die der Feinde angegriffen hat, so dass diese in die Defensive gedrängt wurden.25 Lenormant, die Verfassung Hollands vor Augen, trat für einen Kriegsstaat (e´tat de guerre) auf der Grundlage einer kapitalistischen, wenngleich staatlich gelenkten Wirtschaftsverfassung ein, die auf einer entwickelten urbanen Kultur und dem sozialen Ferment der Gerechtigkeit gründete. Der französische König werde die milice der alten Griechen und Römer bewundern, welche Moritz von Oranien zu Beginn der holländischen Kriege aufgriff und damit die Grundlagen für seine Eroberungen legte. In dieser Hinsicht, so glaubte Lenormant, könne man eine Ordnung errichten, die diejenige der alten und modernen Nationen übertreffe, indem man die taktisch-strategischen Modelle Scipios und Caesars, ja selbst das Exemplum Moritz von Oraniens, durch das strategische Schema einer offensiven und defensiven Kriegführung ersetze.26 Die Kreistheorie ist am antiken strategischen Modell nach Polybios-Scipio orientiert: In dem Kapitel, das vom General handelt (Ms. f. fr. 666, Kap. 39) wird Moritz von Oranien als Vorbild dargestellt und die Kreistheorie nach dem zweiten punischen Krieg präzisiert: Et en suite eust ordonne´ ses arme´es nauales et terrestres pour tenir [Il sera parle´ du cercle exterieur en la 2. partie de ce liure] le cercle exterieur en la deuxieme guerre Carthaginoise.27

Ausgehend von der Verfassung der Republik der Vereinigten Niederlande, deren ökonomische, politische und militärische Verfassung einen inneren Kreis bezeichnete, nahm Lenormant mit der Erweiterung der 25

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Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice, Vorwort: »establissement de celuy de Hollande, que le bon ordre du prince Maurice a` affermy malgre´ les forces d’un puissant Monarque. A la Iustice, loix & bon ordre il ioignit le soin, dilligence pour appuyer & garantir son Estat de trouble, son industrie pour estouffer & estreindre les divisions peste & ruine d’vn Estat: Outre cela il iugeoit que ce n’estoit pas assez de se munir au dedans, mais aussi au dehors, en ostant aux ennemis les occasions de nuire en fortifiant ses auenue¨s, attaquant celles des ennemis, afin que les retenus sur la deffensiue, ils ne songeassent a` l’offensiue.« Vgl. ebd., S. 17f. Ms. f. fr. 666, fol. 128.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

strategischen Konzeption um einen äußeren Kreis, der den inneren bestimmt, eine Anpassung der holländischen militärischen Hierarchie an die französische vor: Man solle die Holländer nicht imitieren, sondern in der Wiedererrichtung der französischen Milice die französischen Traditionen militärischer Hierarchie und Organisation beibehalten. Einer der neuralgischen Punkte des Verhältnisses von ziviler Welt und militärischer Welt war die Praxis die Truppen in Dörfern unterzubringen.28 Die Trennung von ziviler Struktur, ökonomischem Leben und Kriegsstruktur schrieb sich auch in die Politik Heinrichs IV. ein und war ein hervorstechendes Merkmal der Kriegführung der Generalstaaten. In einer weiteren Quelle wurden die Allianzen mit fremden Mächten damit begründet, dass die Landbevölkerung ökonomisch geschont werden müsse.29 Die bereits erwähnte Kontrastierung des holländischen militärpolitischen Systems (Conseil de guerre) mit dem spanischen diente der Entwicklung einer verfassungspolitischen These, derzufolge die Monarchie allen anderen Regierungsformen vorzuziehen sei.30 Die Rolle, die Lenormant dem Kommerz beimaß, fügte sich in das von Richelieu inspirierte Klima der Zeit.31 Die von Lenormant gezeichnete Strategie, die mit der Dialektik einer offensiven und defensiven Strategie (offensive-deffensive) und dem geometrischen Muster des äußeren und inneren Kreises operierte, sollte für die taktische Praxis und Theorie jedoch kaum fruchtbar werden. Es zeigt aber, wie weit die taktischen Einzelkonzepte und Analyseraster sich in eine prononciert anti-spanische Tendenz einschrieben. Der Diskurs erscheint als ein Gegenentwurf zu Giovanni Boteros Della ragion di stato (1589), vertrat dieser doch eine defensive Theorie des Krieges, die im Hinblick auf eine offensive Strategie ausschließlich nicht-militärische Mittel zuließ.32 28 29

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D’Avenel: Richelieu et la monarchie absolue, S. 108. Fontenay: Advis au Roy pour facilement prendre Montauban, La Rochelle et autres villes occupe´es par les rebelles, 1622 MFICHE LB36–1876, S. 13: »Ce seroit icy vn secours qu’on tireroit a` peu de frais d’Italie & d’Espagne, sans oppression du pauure paisan, n’estant questio(n) par ceste voye, de mettre a` la campagne aucunes troupes estrangeres.« Vgl. Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice, S. 211f. ´ tat du CarDenis Avenel (Hg.): Lettres, Instructions diplomatiques et papiers d’E dinal de Richelieu, Bd. 3: 1628–1630, Paris 1858, S. 178f.: De l’utilite´ du commerce, et des divers commerces qui se peuvent faire tant dans le royaume que dehors, en Afrique, aux deux Indes et au Nord. Arch. des Aff. e´tr. Fr., 1628, tom. 49, pie`ce 51. [1628]: »La subsistance et la richesse des Holandois, qui, a` proprement parler, ne sont qu’une poinge´e de gens re´duits en un coin de la terre ou` il n’y a que de l’eau et des prairies, est un exemple et une preuve, qui ne rec¸oit point de contredist, de l’utilite´ du commerce.« Höpfl: Jesuit Political Thought, S. 96.

4. Systematik

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b. Der ›Discours‹ und die strategische Praxis der französischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs Ein Beispiel für die empirische Reflexivität der ›Discorsi‹-Literatur, wie sie Cornel Zwierlein aufgearbeitet hat,33 ist vielleicht noch in einem höheren Maße als die Discours politiques et militaires von La Noue der Diskurs zur Wiedererrichtung des französischen Militärs von Lenormant. Besonders deutlich tritt dies hinsichtlich dem Restablissement de la milice de France (1631, 1632) hervor, von der es eine handschriftliche Abschrift gibt, die eine Kritik der Operationen der Feldzüge der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges miteinschließt. Offensichtlich wurden diese Texte und insbesondere das Restablissement de la milice de France im Rahmen der Kriegführung des Dreißigjährigen Krieges tatsächlich rezipiert und reflektiert und in der strategischen Pragmatik verwandt, um freilich die defizitäre Praxis im Hinblick auf die theoretische Vorlage zu bemängeln. Dem Text ist folgender Erfahrungshorizont des Verfassers (N.N.) zu entnehmen: Er begleitete sowohl die Armee der Franzosen in Deutschland und die französische Armee in Lothringen. Frankreich fehlte es im Krieg in Deutschland wie auch im Krieg im Piemont an Nachschub.34 In Kap. 19 ›Quelles considerations vn Souuerain doit auoir auant que d’entreprendre la conqueste d’une prouince‹ bezieht sich der Text auf folgenden konkreten Zusammenhang: Mit der Einnahme einiger Städte konnte man die Verbindung zwischen mehreren Provinzen unterbrechen. Er erachtete schließlich Strassburg als verbündete Stadt, die sehr gut gelegen war, um diesen Krieg zu befördern; schließlich die befestigten Plätze (lieux forts d’assiette) am Ufer dieses Flusses und in diese Forts gute Garnisonen zu stellen. So belagerte man das am Rhein gelegene Breisach, das der einzige Durchgang des Kaisers ins Elsass war. So lagen nur noch Mainz, Worms und Speyer am Rhein, das die Schweden hielten, mit denen man verbündet war. Schließlich Thionville, das die Verbindung zwischen Metz und Koblenz abschnitt. Und stände das Elsass, das reich an Getreide, Wein, Früchten und Holz war, seiner Majestät zur Verfügung, wo doch auch die zehn Provinzen Flanderns, das Land Lüttich, Jülich usw. zwischen Frankreich, Holland, dem Rhein und der Schweiz eingeschlossen seien und so leicht eingenommen werden können: Denn zwischen ihnen war jede Verbindung unterbunden. Was Dänemark betraf, war Dünkirchen der Durchgang; durch diesen mussten Konvois für die Sicherung der Munition gehen. Andernfalls wäre es notwendig gewesen diesen Platz vom Meer aus einzunehmen, man musste dann aber die Engländer fürchten. 33 34

Vgl. Zwierlein: Discorso und Lex Dei, S. 25, 31–34. Ms. f. fr. 666, fol. 93.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Laut Verfasser könne man mit diesem Plan Deutschland ohne eine Schlacht erobern: Vn General d’armee sc¸achant sa fonction pourroit en recueillant les choses deduites en cet article conquerier l’Alemagne sans donner bataille, et ainsi continuer cette trace dans la Turcquie jusqu’a` Constantinople et y metre le siege: En cet ordre Il faut se preualoir des lieux auantageux en se retrenchant tousiours: parcquoy Il faut auoir des pionniers a` suffisance ou au lieux diceux se seruir des fantassins comme en Hollande en les payants: et doit le General ainsi que le Prince Maurice Imiter Cesar en ses forts et retrenchements desquels j’ay parle´ cy dessous en ses grandes necessitez tirer des consequences du siege d’Alexia represente´ le plus sommairement qu’il m’a este´ possible […] en outre l’on peut selon les occasions et les lieux tirer de grandes consequences des deux articles suiuantes.35

Die anonyme (sehr freie) Abschrift von Lenormants Text36 verdeutlicht, wie die strategische Theorie des Lenormant im Unterschied zu derjenigen des Rohan, von dem kein vergleichbarer Text auf uns gekommen ist, in eine strategisch-praktische Doktrin mutierte. Sie zeigt nicht nur zwei strategische Kategorien mit ihren geopolitischen Dimensionen auf, sondern verweist auch auf den Übergang von einer defensiven Kriegführung zu einer offensiven, auf Eroberung zielenden Strategie. Damit wird sie zu einem Brückentext zwischen der strategischen Praxis der Niederlande, die wesentlich auf Territorialstaatsbildung zielte, und einer strategischen Konzeption, die den Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg prägen sollte. Die Handschrift greift die Militärtheorie von Lenormant auf und misst daran die militärischen Operationen in Flandern, die auf das Territorium des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation übergriffen. Zu den strategischen Reflexionen vor einer Eroberung gehöre wesentlich das Abschneiden der Verbindung durch die Einnahme von Städten mit der man die Verbindung zu mehreren Provinzen abschneiden könne, was Ludwig XIII. mit der Einnahme von Nancy, La Mothe, Phillipsbourg und weiteren Plätzen vorgeführt habe. Das strategische Ziel bestand nicht ausschließlich, wie eine auf die Taktik (Tercio vs. Lineartaktik) verengte Argumentation nahe legt, in der Brechung der Macht der Spanier, sondern darüber hinaus in der Verteidigung des christlichen Europa gegenüber den Türken, wie die 35 36

Ebd., fol. 66f. Ms. f. fr. 666 ist eine Abschrift des Restablissement de la milice de France. Die Handschrift im fonds franc¸ais der Bibliothe`que nationale (Ms. f. fr. 666, ›L’art militaire‹, commenc¸ant par: ›Le soldat piquier ou mousquetaire doit apprendre (s’il ne le scait) de son caporal ou anspessade‹ et finissant par ›…Ledit conseil, tres capable de reconoistre toutes choses, maintiendra l’Estat a` jamais en bon ordre.‹), die im Katalog irrtümlicherweise in das 16. Jh. datiert wird (Anc. 7120 hoch 6, Colbert 3165), stimmt mit dem Text weitgehend überein, unterscheidet sich aber hinsichtlich der Systematik. Während der erste Teil sich mit der Truppengliederung und Truppenausbildung befasst, sind in einem zweiten Teil die verfassungstheoretischen Grundlagen aufgeführt.

4. Systematik

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anonyme Abschrift des Traktats von Lenormant nahelegt: Man bedürfe einer guten Ordnung, um Deutschland rasch besiegen zu können, und danach dürfe dem Türken keine Zeit eingeräumt werden, an die Eroberung des Christentums zu denken.37 B) Henri de Rohan: Theorie der Kriegsoffensive auf Grundlage des Interesses a. Politische Anatomie Europas und Interessenpolitik in den De l’inte´reˆt des princes et Etats de la chre´tienete´ Die politische Empirie Rohans beruht nicht auf der Theorie der ›zwei Kreise‹, sondern auf der Kategorie des ›Interesses‹, die wesentlich auf Francesco Guicciardini (1483–1540) zurückgeht und von Lottini und Giovanni Botero (1569–1617) aufgegriffen wurde. Der Begriff des Staatsinteresses (inte´reˆt d’Etat) wurde im 16. Jahrhundert in den Berichten venezianischer Diplomaten systematisch verwendet.38 Die Herleitung einer Interessenpolitik aus der diplomatischen Praxis dürfte Rohan, der zu Beginn der dreißiger Jahre und vier Jahre vor der Niederschrift des Inte´reˆt des princes et des Etats eine Analyse der machtpolitischen Situation Europas verfasste, näher gestanden haben, als die taciteische Herrschaftslehre. Neben der diplomatischen Praxis etablierte sich das ›Interesse‹ als heuristische Kategorie, die von der italienischen Staatstheorie des Giovanni Botero formuliert wurde. Rohan lehnte sich an die italienische Lehre der ragione di stato an und geriet damit in Gegensatz zur Verfassung der Republik der Vereinigten Niederlande; es sei nicht unwahrscheinlich, dass sich Rohan in Italien mit den italienischen Theoretikern der Staatsraison wie beispielsweise Trajano Boccalini (1556–1613), der erklärte, dass das Interesse der Tyrann der Tyrannen sei, und Bonaventura, der festhielt, dass die Staatsraison die Herrschenden leite, vertraut gemacht hat, merkt E. Thuau an.39 Rohan konzentrierte sich auf die außenpolitische Behauptung und Expansion, die er mit dem Interesse begründete und die er mit dem Interesse des Aristokraten verband: es war ihm an einer Militarisierung der französischen Monarchie durch eine ›Kriegerkaste‹ gelegen. Die monarchische Verfassungsform erschien Rohan unabdingbar für einen wirksamen Angriffskrieg.40 Die Verbindung von Interesse und Be37

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Ms. f. fr. 666, fol. 68: »c’est pourquoy Il faut un bon ordre pour vaincre promptement l’Allemagne pour en suite ne donner temps au Turq de penser a` l’envahissement du christianisme.« Vgl. Lazzeri: Introduction, S. 103. Vgl. E´tienne Thuau: Raison d’E´tat et pense´e politique a` l’e´poque de Richelieu (L’E´volution de l’Humanite´), Paris 22000 [1. Ausg. 1966], S. 313. Henri de Rohan: Le Parfaict capitain. Autrement, l’abrege´ des guerres de Gaule

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

wahrung sowie Vergrößerung eines Staates war weniger von Machiavelli, für den die römische Geschichte als Modell politischen Handelns diente, sondern von der italienischen ragione di stato-Literatur von Botero bis Palazzo (conception de l’Etat du prince) inspiriert und insbesondere Guicchiardini entlehnt, den bereits Franc¸ois de La Noue 1593 kommentiert hatte.41 Rohan schreibt: Die Fürsten kommandieren die Völker, und das Interesse kommandiert die Fürsten: »Les princes commandent aux peuples et l’inte´reˆt commande aux princes.« Die Kenntnis dieses Interesses (la connaissance de cet inte´reˆt) gehe vor derjenigen der Handlungen der Fürsten; der Fürst könne sich täuschen, sein Rat korrumpiert sein, das Interesse aber fehle niemals. Je nachdem ob es gut oder schlecht verstanden werde, lasse es Staaten (e´tats) leben oder zugrunde gehen. Es habe das Wachstum (accroissement) oder zumindest den Erhalt (conservation) zum Ziel; und es ändere sich im Lauf der Zeit.42 Man könne in der Lenkung der Staatsregierung keine unveränderliche Regel errichten: darin deutet sich bereits der Ansatz eines de mutatione artis militaris an, die Regeln der Taktiker und mitnichten eine am antiken Begriff der aristotelischen phronesis oder taciteischen prudentia entwickelte situationsbezogene Form der Politik und Kriegführung. Was die Umwälzung der weltlichen Dinge (re´volution des affaires de ce monde) angehe, so verursache diese auch die Veränderung der Grundmaximen einer guten Regierung. Aus diesem Grunde ließen diejenigen, welche sich mehr von den Beispielen der Vergangenheit leiten ließen als von den gegenwärtigen Gründen beträchtliche Versäumnisse zu Schulden kommen.43 Die Vergrößerung eines Staates setze die Vorherrschaft und das ›Wachstum‹ des Militärs, d. h. der militärischen Eliten im Staat voraus. Im Unterschied zu den gens de robe longue sah Rohan einen Kriegsstaat durch einen militärisch aktiven Herrscher (prince)44 garantiert: damit stellte er sich der von der ›Robe‹ vertretenen Meinung entgegen, dass der Krieg durch einfache Lieutenants führen zu lassen sei, anstatt die Person

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des commentaires de Cesar, avec quelques remarques sur icelles, suiuy d’vn Recueil de l’Ordre de guerre des Anciens, ensemble d’un Traitte´ particulier de la Guerre, Paris, Jean Houze´, 1636, S. 367. Francesco Guicciardini: Histoire des guerres d’Italie, avec les observations politiques, militaires et morales du Sr. De la Noue, Paris 1593. Henri de Rohan: De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´, S. 161. Ebd.: »on ne peut e´tablir une re`gle immuable dans le gouvernement des Etats. Ce qui cause la re´volution des affaires de ce monde, cause aussi le changement des maximes fondamentales, pour bien re´gner. C’est pourquoi, ceux qui en ces matie`res se guident plus par les exemples du passe´ que par les raisons pre´sentes, font par ne´cessite´ des manquements notables.« Vgl. PC, Kap. 22, ›Quel est le meilleur qu’un grand Prince fasse la guerre en personne ou par Lieutenant.‹

4. Systematik

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des Fürsten zu riskieren.45 Jeder, der ein Amt im Staat, in der Maison du Roi, in der Armee übernehme, solle eine militärische Ausbildung durchlaufen haben.46 Rohan stellte den Staat radikal auf die Kriegspraxis nicht eines Untertanenverbandes, sondern eines durch Ehre und Ehrgeiz motivierten Adels (gens d’honneur et d’ambition).47 Rohan war in erster Linie ein militärischer und politischer Akteur.48 Seine um 1630 formulierten strategischen Maximen und Theoreme wurden erst 1634 (Inte´reˆt) und 1636 (Parfaict capitaine) veröffentlicht. 45

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Ebd., S. 380f.: »Tellement que toutes les choses balance´es, ils conclüent que les inconuenients sont beaucoup plus grands de hazarder la personne du Prince dans les guerres, que de les faire conduire par ses Lieutenants. Cette opinion est principalement maintenue par les gens de robbe longue, ennemis naturellement des gens de guerre, & qui conseruans mieux leur authorite´ dans la paix, que dans la guerre, ne de-conseillent pas seulement d’aller en personne a` la guerre; mais mesme conseillent de souffrir toute sorte d’ignominie plustost que de la faire.« Vgl. ebd., S. 223. Vgl. ebd. Bibl. de l’Arsenal: Ms. 4083 (575 H. F.). Recueil de traite´s: fol. 48: ›Traite´ du duc de Rohan avec le roi d’Espagne. 3 mai 1629‹; fol. 116: ›Traite´ fait par Louis XIII avec les officiers des troupes que commandait le duc Bernard de Weimar. 9 octobre 1639‹; fol. 154: ›Lettre de M. le Prince [Henri II, prince de Conde´] a` M. de Rohan, avec la re´ponse. Novembre 1628‹. Ms. 4734 (628 H.F.): fol. 242: ›Lettre de M. le duc de Rohan, ambassadeur extraordinaire pour le Roy en Suisse, escripte a` l’archiduc Le´opold. Coyre, 25 apvril 1632‹; avec la re´ponse de l’archiduc Le´opold; fol. 244: ›Pouvoir donne´ du Roy a` M. le duc de Rohan pour commander ses arme´es en la Valteline, du 2 juillet 1633‹. [Ms. 4738. Recueil de 47 pie`ces relatives aux relations de la France avec la Sue`de, le Danemark et les Electeurs. 1634–1680, fol. 4: ›Lettre d’Oxenstier, ministre de Sue`de, au mare´chal de Bre´ze´. 20 Mars 1635‹. Original signe´. Cachet]. Ms. 4114. Recueil Conrart. Tome IX. Premie`re partie (Microfilm R 3 669), p. 267: ›Raisons de la paix faite devant Montpellier‹, par le duc de Rohan; p. 283: ›Lettre de M. le Prince a` M. de Rohan. Montpellier, 4 novembre 1628‹; p. 289: ›Response du sieur de Rohan a` M. le Prince. 6 novembre 1628.‹; p. 291: ›Apologie de M. le duc de Rohan sur les derniers troubles de France a` cause de la Religion. – C’est un labeur bien ingrat de servir au public, surtout un party foible et volontaire…‹; p. 207: ›Discours politique de M. le duc de Rohan, fait pendant son se´jour a` Venise.‹ ›Ce morceau a e´te´ imprime´ dans la Bibliothe`que militaire de M. le baron de Zurlauben, t. III, p. 134‹. Ms. 4113. Recueil Conrart. Tome VIII, p. 189: ›Copie de la lettre de M. de Rohan (Henry) au sieur de la Roque. Castres, 14 de´cembre 1624‹; p. 225, ›De´claration de M. le duc de Rohan, pair de France, contenant le justice des raisons et motifs qui l’ont oblige´ a` employer l’assistance du roy de la Grande-Bretagne et prendre les armes pour la deffence des Eglises re´forme´es de ce royaume‹. Ms. 3135 (145 B.F). Recueil Conrart, p. 577: ›De l’inte´rest des princes et Estats de la chre´tiente´, a` monsr la (sic) cardinal de Richelieu‹. Incomplet. Ms.? 4111. Recueil Conrart. Tome VI, p. 983: ›Relation ve´ritable et particulie`re de ce qui s’est passe´ a` la Valteline, de quelle sorte le sieur duc de Rohan a traite´ avec les Grisons et de ce qui s’est ensuivy en l’exe´cution dudit traite´, par le baron de Lecques‹ Ms. 7055, Autographe (1635). Die Kopie (p.189) gibt Auskunft über die Motive des militärischen Widerstandes Rohans: dem Führer der Hugenotten werde am Hof keine Gerechtigkeit zuteil. Zeigt, dass Rohan finanzielle Unterstützung von den Spaniern bekommt; fol. 189: »Mais pource que je sc¸ay qu’a` la Cour il n’y a justice, ny pour le general de ceux de la Religion, ny pour mon

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Das 1638 posthum erschienene De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´ war, nach der Namensgebung von Le Mercure franc¸ais 1634, eine Anatomie der Staaten und schrieb sich in einen internationalen Kontext ein, der von dem Jahrhundertkonflikt zwischen Frankreich und Spanien geprägt war, welcher das Hauptproblem für die Regierenden und die französischen politischen und konfessionellen Kräfte darstellte.49 Das 1634 abgeschlossene Werk kann als eine Unterstützung der Politik Richelieus im Vorfeld des Eintritts in den Krieg gelten sowie als eine Offerte, nach der Rückkehr aus dem venezianisch-paduanischen Exil, in den Dienst des Königs von Frankreich zu treten. Seit 1631 befehligte Rohan französische Truppen, Schweizer Regimenter und die Milizen der Graubündner, die zusammen im Veltlin eingesetzt werden sollten. Für Rohan persönlich war die Definition der französischen Monarchie als Kriegsstaat (e´tat de guerre) existentiell. Nach der militärischpolitischen Niederlage der hugenottischen Partei musste der calvinistische Adlige seine weitere Karriere absichern. Dementsprechend verteidigte er das Kriegsstaatsmodell. Sein strategisches Konzept entwickelte er in Kap. 19 des Traite´ de la guerre (›De la de´ffense des Estats selon leurs forces et situations‹). Das politisch-strategische Denken korrespondiere in diesem Punkt mit dem Bemühen um eine Entmilitarisierung (de´castrame´tation) der militärischen Binnenstruktur im französischen Territorium als Reflex auf die konfessionellen Bürgerkriege. Man solle wenige, aber gute Festungen haben, die man nur an den Grenzen verteilt, nicht aber im Innern der Staaten, denn die Bürgerkriege seien gefährlicher als die zwischenstaatlichen Kriege. Gäbe es keine Festungen im Landesinneren, so würde man niemals ein großes Reich angreifen, denn das würde bedeuten, einem die Grundlagen zu nehmen, die man zur Kriegführung und zum Überdauern befähige.50 Lenormant konzeptualisierte den Kriegs-

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particulier, Je n’ay treuue´ a` propos d’en faire aucune plainte, sc¸achant bien la response qu’on y feroit.«; fol. 190: »Quant a` l’argent d’Espagne, c’est de quoy je ne m’excuse point, pource que je sc¸ay bien que ceux qui m’en accusent sc¸auent bien que je n’en ay point touche´; mais il n’y sorte de querelle d’Ameand qu’on ne me cherche, & en est bien faˆche´ de ce que jusqu’icy on n’a sceu treuuer aucune chose contre moy pour [coloer] les inuectiues qu’on me fait.«; fol. 191: Rohan steht in Verbindung mit The´ophile Brachet de la Milletie`re: »Je n’e´cry plus a` Mr de la Miletie´re le croyant party pour venir me treuuer.« In der De´claration (p.225) gibt sich Rohan antispanisch. Ms. 4083 (575 H. F.). Recueil de traite´s, fol. 48: ›Traite´ du duc de Rohan avec le roi d’Espagne. 3 mai 1629‹. Vgl. Lazzeri: Introduction, S. 129. Rohan: Traite´ de la guerre, S. 364f.: »Neantmoins si les vns & les autres sont attaquez ils doivent se servir des deffenses propose´es cy desus: seulement diray-ie qu’ils ne doivent avoir de forteresses que bonnes, & en petit nombre, & seulement sur les frontieres, & nulles dans le cœur de l’Estat; pour ce qu’ayans plus a` craindre

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staat (e´tat de guerre) als Instrument innerer Konsolidierung und entwarf das Szenario außenpolitischer Expansion. Auf der Folie der Verfassung der Generalstaaten zeichnete er eine für Frankreich anzustrebende Verfassung, die eine offensive Kriegführung ermöglicht. Rohan schrieb Moritz von Oranien zu, die römische Disziplin wiedererweckt und damit den Kriegsstaat begründet zu haben, der nur auf der Grundlage einer kontinuierlichen Kriegführung politisch überlebensfähig sei.51 Rohans Position52 konkretisierte sich nach der militärischen und politischen Niederlage der Hugenotten (1628). Ein erster politiktheoretischer, handschriftlicher Traktat Rohans entstand bereits während seines Aufenthalts in Venedig53 und richtet sich an die Herrscher und Staaten Italiens, insbesondere die Republik Venedig, aber auch die Kurfürsten (Princes Electeurs) des Heiligen Römischen Reiches. Darin verdichteten sich seine politisch-strategischen Vorstellungen um den Dualismus zwischen Spanien und Frankreich und die expansionistische Tendenz der französischen Monarchie. Rohan trat dafür ein, dass Frankreich sich im Zusammenhang des Dreißigjährigen Krieges auf die Seite der Protestanten im Reich stelle, zumal der Feldzug in Mantua nicht hinreiche, die spanische Macht zu brechen. Rohan prangerte in diesem Traktat die innenpolitisch motivierte Außenpolitik in der Frühphase der Regierung Ludwigs XIII. an.54 Die politische Führungsrolle schlug er Gustav Adolf

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les guerres civiles que les estra(n)gers, & sans lesquels on n’attaqueroit iamais vn Grand Empire; c’est leur oster la principale racine qui les fait entreprendre & subsister.« Rohan: De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´, S. 212: »Maurice, […], e´leve´ de`s son enfance dans les armes, a songe´ principalement a` l’e´tablissement de la discipline militaire comme la seule ne´cessaire alors pour maintenir l’Etat. En quoi il a surpasse´ tous les capitaines de son temps; si bien que cet Etat se trouvant tre`s bien e´tabli pour subsister a` la guerre et tre`s mal pour se maintenir dans la paix, il est e´vident que son vrai inte´reˆt est de continuer la guerre.« Vgl. Bibl. Mazarine, II, 275, 376, 486: Discours sur la mort de Henri le Grand; II, 375, 376: Discours sur le gouvernement de la Reine me`re; II, 375, 376: Avis sur les divisions de Hollande (1618); II, 377, Traicte´ avec le roi d’Espagne. Solange u. Pierre Deyon: Henri de Rohan. Huguenot de plume et d’e´pe´e. 1579–1638, Paris 2000, S. 213: »Discours politique de M. le duc de Rohan fait pendant son se´jour a` Venise conserve´ dans le fonds Conrart de la Bibliothe`que de l’Arsenal (4114 tome IX) et dont deux copies existent aussi au Cabinet des manuscrits de la Bibliothe`que nationale et a` la Bibliothe`que de l’Institut (Fonds franc¸ais ancien 4104, et Collection Godefroy 206, fol. 33). On peut leur joindre aussi Enrico de Rohan, autobiografia dettata al cavallere Fortunato Sprecher, Venise, 1864. Il s’agit de propos et de souvenirs que Rohan aurait confie´s a` Sprecher en 1637, a` Coire et que celui-ci aurait offerts au doge Francesco Erizzo en 1640.« Vgl. auch: Victor Ce´re´sole: La re´publique de Venise et les Suisses. Premier releve´ des principaux manuscripts ine´dits des archives de Venise se rapportant a` la Suisse, Venedig 1864, S. 81. Ms. f. fr. 4104, fol. 290v: »Car durant la Jeunesse du Roy regnant on a voulu

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

zu. Für Deutschland gelte, dass es weniger über Macht, denn gute Führung verfüge. Den Protestanten fehle in Deutschland ein militärischer Koordinator. Wenn Gustav Adolf von den Generalstaaten durch die Bindung (diversion) spanischer militärischer Kräfte, Soldaten aus England und Geldmittel aus Frankreich gestützt würde, so könne in Deutschland eine Wende zugunsten der protestantischen Seite eintreten.55 Mit dem Verweis auf die finanziellen Ressourcen der französischen Krone stellte er sich Richelieus Auffassung entgegen: 1631 erklärte Richelieu, Frankreich habe zu wenig Männer, die zur Kriegführung geeignet seien, und wünsche deshalb, sich an dem Kriege mehr durch Politik und Geld als direkt zu beteiligen.56 Rohan plädierte für den Kriegsstaat, der eine Militarisierung der gesamten Gesellschaft impliziert. So monierte er, dass die meisten Staaten mehr auf der zivilen Verwaltung (Polizey) gründeten als auf dem Krieg (guerre) und mehr auf Selbsterhaltung denn auf Wachstum (s’accroistre) ausgerichtet seien.57 Lenormant hatte Holland als ein nach den Kriterien der Stabilität funktionierendes Verfassungsmodell herangezogen und für den von ihm geopolitisch gezeichneten inneren Kreis angenommen. Mit dem äußeren Kreis und dem politisch-strategischen Theorem einer offensiven Kriegführung ging er darüber hinaus, führte es mit dem monarchischen Moment zusammen und münzte es so auf Frankreich um. Rohan hingegen verwarf das holländisch republikanische Verfassungsmodell und folgte einer Theorie der Staatsraison, deren politisches und auch verfassungstheoretisches Telos in der Selbstbehauptung des Staates einzig durch militärische Expansion liegt. Das hat zur Folge, dass das innenpolitisch stabilisierende und konsolidierende Moment der Wirtschaft und der städtischen Eliten zugunsten eines Primats militärischer Eliten im Staat zurückgedrängt wird. Im inneren Kreis Lenormants traten die Kriegs- und die Friedenspraxis der Gesellschaft und des Staates als Pendants auf, während bei Rohan die Kriegspraxis der Eliten als staatsbegründend und staatserhaltend angenommen wurde.

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conseruer la paix au dedans de l’Estat, par la profusion des finances, Et au dehors, en acheptant lamitie´ de la Maison d’Autriche, aux despans des Allie´s de celle de France.« Ebd., fol. 292: »Pour l’Allemagne, il se uoit maintenant que le parti des Protestans a plus manque´ de bonne conduitte que de puissance, et que cette grande persecution quil souffre la plus anime´ qu’affoiblie: Les hommms, les belles Villes, et largent luy reste encore: Il ne falloit que luy remettre le cœur au uentre, et auoir un bon conducteur: Dieu le luy a suscite´, assauoir le Roy de Suede. Sil est assiste´ de lEstat des pays bas par diuersion, des soldats d’Angleterre et de largent de France. Il y a apparence d’une grande restauration et reuolution daffaires en ce pais la`.« Moritz Ritter: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation, Bd. 3, S. 518, zitiert in: GdKK, Bd. 4, S. 260. PC: Traite´ de la guerre, S. 221.

4. Systematik

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Als der Parfaict capitaine entstand, befand sich die französische Monarchie in einer besonders gefährlichen außen- und innenpolitischen Lage – in einer für die politische Stabilität, territoriale Integrität, ökonomische Entwicklung und internationale Lage gegenüber den anderen europäischen Staaten komplexen Situation, so Chr. Lazzeri. Diese konkrete und konjunkturelle Analyse war komparativ angelegt; sie analysierte die innere und äußere Politik der anderen europäischen Staaten. Aber sie sollte im Licht von politischen Maximen oder Vorschriften verstanden werden, die die Regierung des französischen Staates, in erster Linie Richelieu, in die Tat umsetzen sollte.58 Es ist bezeichnend, dass der machtpolitische Theoretiker der französischen Monarchie vor seinem Exil als Hugenottenführer sowohl das konfessionelle als auch das monarchische Prinzip durchbrach und für sich eine vom Interesse geleitete Politik einforderte, war dies doch der gemeinsame Nenner, auf den sich Kardinal Richelieu und der bei der französischen Krone in Ungnade gefallene Hugenotte (zumindest hypothetisch) einigen konnten. Für den Verteidiger der Interessen der hugenottischen Partei galten in machtpolitischer Hinsicht weder politische noch konfessionelle Loyalitäten. Das politisch-diplomatische Handeln Rohans selbst folgte dem Interesse. Schließlich durchbrach er am 3. Mai 1629 mit dem Vertragsschluss mit Philipp IV. (1621–1665) das konfessionelle Prinzip.59 Darin äußerte sich der Wunsch der Hugenotten, dem spanischen König zu dienen. Rohan ging davon aus, dass die Staatsraison (raison d’Estat) es ihm erlaube, ihm mit einer Geldsumme beizustehen, um den Krieg, den er seit einigen Jahren in Frankreich führte, fortzusetzen. Rohan bat den spanischen König nicht nur um Subsidien, die zur Unterhaltung eines im Languedoc, der Provence und der Dauphine´ engesetzten Heeres von 12 000 Fußsoldaten und 12 000 Reitern dienen sollten, sondern trug dem spanischen König seine militärischen Dienste an.60 Er wollte darüber hinaus den Katholiken in seinem Macht58

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Lazzeri: Introduction, S. 1f.: »Ce petit livre […] e´tait consacre´ a` l’analyse politique de la situation exte´rieure et partiellement inte´rieure de la monarchie franc¸aise dans une conjoncture politique particulie`rement dangereuse et complexe pour la stabilite´ politique, son inte´grite´ territoriale, son de´veloppement e´conomique et sa position internationale au regard des autres Etats europe´ens. Cette analyse concre`te et conjoncturelle se voulait avant tout comparative et, a` ce titre, elle devait s’attacher a` l’examen de la situation inte´rieure et exte´rieure des autres Etats europe´ens. Mais elle devait eˆtre comprise a` la lumie`re de ›maximes‹ ou de ›pre´ceptes‹ politiques que les gouvernants de l’Etat franc¸ais, Richelieu au premier chef, e´taient appele´s a` mettre en œuvre pour bien conduire la politique que re´clamait l’inte´reˆt de l’Etat.« Arsenal, Ms. 4083, fol. 48ff. Ebd., fol. 48f.: »Il offre tout humble seruice a sa Mte´ Catholique laquelle pourra l’employer quand et comme bon luy semblera /Ledit sieur Duc de Rohan offre d’entretenir la guerre, et icelle conseruer pour tout le temps qu’il plaira a Sa Mate´ Catholique, et de ne traicter la paix en particulier ny en general sans sceu et con-

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

bereich Gewissensfreiheit (liberte´ de conscience) gewähren. Er würde in Zukunft weder einen Sonder- noch Generalfrieden ohne die Zustimmung des spanischen Königs eingehen wollen. Bereits 1624 hatte Rohan Subsidien vom spanischen König erhalten.61 Rohans Rhetorik des Interesses und seine Feldkriegstheorie, die er im Parfaict capitaine nahelegte – wir verweisen auf ein folgendes Kapitel – prädestinierten ihn für eine die verfassungsökonomischen Grundlagen der Zivilgesellschaft kaum reflektierende Kriegführung. Rohan selbst operierte später im Verlauf seines Feldzugs im Veltlin unabhängig von einer ökonomischen Basis, regelmäßiger Versorgung im Namen der französischen Krone und des Interesses des Kardinalpremiers. Denn nach dem Friedensschluss von Charasco (16. April 1631) war Rohan von Richelieu mit dem Kommando über ein Truppenkontingent betraut worden, das Graubünden gegen eine spanische Invasion sichern sollte und am 11. Dez. 1631 hatte ihn die ständische Vertretung Graubündens zum Oberbefehlshaber der Miliz des Kantons gewählt. In gewisser Weise hat er im Verzicht auf die Reflexion des inneren Kreises, die Bedingungen antizipiert, unter denen seine eigene Kriegspraxis der folgenden Jahre stand. Wenn Rohan die guerre gegen die police anführte, dann verbarg sich dahinter lediglich ein weiterer Aspekt seiner Interessenpolitik. Das ›Interesse‹ ist auch dahingehend zu deuten, dass Rohan sich einer Rhetorik bediente, die auf die Wahrung der Interessen des Schwertadels zielte: Keiner könne in irgendeinem Amt Karriere machen, der nicht durch die militärische Hierarchie gegangen sei. Die Hoffnung des Aufstiegs (l’esperance de s’accroistre) biete einen starken Anreiz für jeden, den Kriegsberuf (mestier de la guerre) auszuüben.62 Indem Rohan an die Kategorie des Interesses anschloss, nahm er nicht auf Lipsius, sondern auf Botero Bezug, der mit diesem Begriff ein

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sentement de sa Mate´ Catholique moyennant qu’il luy plaise l’aider de six cen mille escus d’or payables en argent comptant en deux payes, et la premiere par aduance./Moyennant lequel secours il sera oblige´ d’entretenir d’ordiniare douze mille hommes de pied et douze cens cheuaux pour lequel secours il sera oblige´ d’entretenir d’ordiniare douze mille hommes de pied et douze cens cheuaux pour faire telle diuersion qu’il plaira a sa Mte´. Catholique en bas et haut Languedoc Prouence ou Dauphine´ au chois de sa Mate´.« Arsenal, 4113, Recueil Conrart, t. VIII, p. 189, ›Copie de la lettre de M. de Rohan (Henry) au sieur de la Roque.‹ Castres, 14. Dez. 1624: p. 190: »Quant a` l’argent d’Espagne, c’est de quoy je ne m’excuse point, pource que je sc¸ay bien que ceux qui m’en accusent sc¸auent bien que je n’en ay point touche´; mais il n’y forte de querelle d’Ameand qu’on ne me cherche, & en est bien faˆche´ de ce que jusqu’icy on n’a sceu treuuer aucune chose contre moy pour coloer les inuectiues qu’on me fait.« PC, S. 223f.: »bref que nul ne se puisse aduancer en aucun charge, qui ne passe par les degrez de la guerre. Et comme l’esperance de s’accroistre est vn fort aiguillon pour encourager vn chacun a` exercer le mestier de la guerre.«

4. Systematik

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anti-machiavellisches Konzept bereitstellte (ope´rateur nouveau de stabilite´ sociale).63 Rohan löste dieses jedoch aus seinem theoretischen Programm und partikularisierte es, um seinen eigenen Anspruch, der auf den Vorrang des Krieges (guerre) vor der zivilen Verwaltung bzw. Polizey (police) zielte, zu legitimieren. Er griff die Rhetorik der arma et litterae auf, um den Vorrang des Militärs im Staat einzufordern. Er trifft sich darin mit der Rhetorik Richelieus (was kein Zufall sein dürfte), dem, analog zur Rearistokratisierung der spanischen Armee, an einer offensichtlichen Rearistokratisierung der französischen Armee gelegen war. Hier treffen zwei rhetorische Strategien aufeinander: die des exilierten, um Einfluss ringenden Hugenotten und des Kardinalpremiers, dessen Stellung kaum gefestigt war und deren Wege sich wenig später wieder kreuzen sollten. Der Parfaict capitaine ist in einer Hinsicht nichts weniger als ein Beitrag zur fundamental-verfassungstheoretischen Frage, die unter neuen theoretischen Vorzeichen, eine Revision der Verfassungswirklichkeit zugunsten einer auf der Kriegspraxis gründenden Verfassung einfordert. Damit wurde er ›innenpolitisch‹ zum eminent politischen Text, in dem es um die Vorherrschaft des Krieges (guerre), d. h. des Schwertadels oder der zivilen Ordnung (police), d. h. des Beamtenadels, im französischen Staat geht: Rohan bemängelte, dass die meisten Staaten seiner Zeit mehr auf einer zivilen Verwaltung als auf dem Militär beruhen (»sont plus fondez sur la police que sur la guerre«) und infolgedessen mehr darauf zielen sich zu konservieren als zu wachsen. Den Grund dafür sah er darin, dass nahezu alle Regierungen von gens de lettres bestimmt werden, die den gens de guerre feindlich gesonnen sind; und so bediene man sich eher Söldnern (auxiliaires) als der Einheimischen (subiects naturels), was eine sehr schädliche Maxime sei.64 63

64

Michel Se´nellart: La raison d’E´tat antimachiavellique. Essai de proble´matisation. In: Christian Lazzeri, Dominique Reynie´ (Hg.), La raison d’E´tat. Politique et rationalite´, Paris 1992, S. 77: »on va voir que Botero en tire des conse´quences radicalement non-machiave´liennes. Alors que l’inte´reˆt, chez Machiavel, fonctionne comme agent de conflit, suscitant und lutte sans fin – inte´reˆt des princes, de´termine´ par l’appe´tit de puissance –, il apparaıˆt au contraire chez Botero comme un facteur d’ordre et de cohe´sion sociale – inte´reˆt de sujets, de´termine´ par le de´sir de s’enrichir: ›inte´reˆt apaise tous‹ (L’interesse acqueta tutti, III, 2, f. 125v).« PC, S. 221f.: »La pluspart des Estats d’aujourd’hy sont plus fondez sur la police que sur la guerre; & taschent plustost de se conseruer, que de s’accroistre. Ce qui vous y fait voir les lettres fleurir; & les armes s’abastardir; si bien que les Estats qui ont pour fondement la guerre gourmandent les autres. L’exemple du Turc a` la honte des Chrestiens, & celuy du Roy d’Espagne au preiudice de l’Allemagne, & de l’Italie, en sont deus preuues manifestes. Ce qui cause ce mal, est que les gens de lettres ont occupe´ presque par tout le gouvernement des Estats, lesquels a` cause qu’il haissent les gens de guerre, les font tousjours mal traitter; & mesmes conseillent de se seruir plustost d’auxiliaires que de leurs subiects naturels; qui est vne maxime tres pernicieuse.«

316

I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Die Kategorie des Interesses erlaubte es Rohan persönliche Interessen mit allgemeinen politisch-nationalen Zielsetzungen zu verschmelzen. Die Gründe hierfür sind in seiner komplexen, wechselhaften Biographie zu verorten ist. Henri II de Rohan stammte aus altem Schwertadel, wurde von Heinrich IV. 1603 zum duc et pair ernannt. Dieser hat ihm 1605 eine der herausragendsten charges du militaire des colonel-ge´ne´ral des Suisses, die er 1610 bei der Belagerung von Jülich befehligte verliehen. Mit der Ehe seines Großvaters Rene´ I de Rohan mit Isabelle d’Albret trat die Familie zur reformierten Religion über, und Henri de Rohan wurde zum zweiten Vetter des künftigen Heinrich IV. Mit den Mortemarts und den Harcourts gehörte das Geschlecht der Rohans zu dem Adel, der mindestens so alt wie der der Kapetinger war.65 Rohan war nicht nur Verwandter und Protege´ Heinrichs IV., sondern auch Schwiegersohn Sullys. Seine erste charge, die des Generals der Suisses und Grisons, kommandierte er bei der Belagerung von Jülich (1610). Und während der Abwesenheit des Generals de La Chaˆtre befehligte er die ganze Armee. Wenn Rohan im Rahmen der Behandlung der Rezeption der holländischen Militärreformen eine Bedeutung beigemessen wird, dann aufgrund dieser biographischen Gegebenheit, die in die Frühphase seiner militärischen Karriere fiel und ihn in die Nähe der praktischen Realisierung der Vorgaben durch den philologischen Diskurs rückt. Eine politisch-strategische Wende, bedingt durch die Verhandlungen, die mit dem Frieden von Cherasco (6. April 1631) endeten, unterbrach diese diplomatische Tätigkeit Rohans. In Padua zur Muße verdammt, verlagerte er seine Aktivität auf das militärtheoretische Feld. Neben dem Parfaict capitaine verfasste Rohan in Padua auch einen Traite´ de la corruption de la Milice ancienne & des moyens de la remettre en sa premiere splendeur, principalement en Italie. Von Italien, so überliefert Fauvelet du Toc, glaubte er, dass es die wahrhaften Soldaten liefere, die an die römischen Soldaten anknüpften.66 Im Exil angekommen, begann eine verhältnismäßig kurze militärische Ruhephase (August 1629 bis Ende 1631), in der seine bedeutenden politischen, strategischen und militärtheoretischen Schriften entstanden. Rohan ist zwischen zwei, wenn nicht drei (Frankreich eingerechnet, dessen militärtheoretische Performanz jedoch nicht sehr stark war) europäischen Militärtheorie generierenden Systemen zu verorten: Auf der einen Seite steht das niederlänisch-holländische, das in einer verhältnismäßig kurzen Zeit zu einer militärtheoretisch-systematischen Verdichtung gelangte, die in den ersten beiden 65

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Pierre Goubert: Pre´face. In: Solange und Pierre Deyon, Henri de Rohan. Huguenot de plume et d’e´pe´e. 1579–1638, Paris 2000, S. 9. Fauvelet du Toc: Histoire de Henry, duc de Rohan, pair de France, Paris 1667, S. 112: »& qu’ils n’avoient degenere´ de la valeur des anciens Romains que par la seule faineantise & le defaut d’exercice.«

4. Systematik

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Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verstärkt publizistisch auftrat, aber auch in puncto der Theoreme (und nicht lediglich der militärischen Ausbildungsmethoden) in einem spezifischen militärtheoretisch-dynastischen Netzwerk eine, wenn auch begrenzte Form der Öffentlichkeit fand. Auf der anderen steht die weiter zurückreichende Tradition der italienischen Militärtheorie, insbesondere Venedigs. Im August 1629 war Rohan zusammen mit La Valette dorthin gekommen. Venedig besaß eine reiche militärtheoretische Vergangenheit, war hier doch schon seit 1573 ein Zentrum der Produktion militärischer Literatur.67 Im Falle eines Krieges wolle er von der Republik Venedig auf Empfehlung des Königs eingestellt werden, um seine Vergangenheit ausmerzen zu können.68 Er wollte jedoch zunächst das Kommando über die venezianischen Truppen erhalten, auf das er infolge der skeptischen Haltung der Venezianer mehrere Monate warten musste.69 Zehn Monate nach seiner Ankunft im Juni 1630 erhielt er den Oberbefehl über die Truppen der Republik. Infolge der militärischen und politischen Niederlage der Hugenotten hatte er mit Frankreich zu diesem Zeitpunkt gebrochen. Am 19. Febr. 1631 schrieb er: »J’ai dit un adieu pour jamais a` la France et chose aucune ne m’y peut faire retourner«.70 Folgende Bemerkung im Parfaict capitaine erscheint daher existentiell motiviert und ist nicht nur als Reflex einer meritokratischen, calvinistischen Position zu verstehen, sondern auch als Reaktion eines aufstiegswilligen, von persönlichem Ehrgeiz motivierten Adeligen zu deuten.71

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Vgl. John R. Hale: A humanistic visual aid. The military diagram in the Renaissance, Renaissance Studies, 2, 2 (1988), S. 289. Zitiert aus einem Brief des Botschafters d’Avaux vom 28. August 1629. In: Deyon: Henri de Rohan, S. 123: »eˆtre employe´ par la Re´publique a` la re´commendation du roi et qu’il travaillait en sorte, quelque part qu’il fuˆt, qu’il effacerait bien le passe´.« Lettre a` sa me`re 8 janvier 1631. Laugel, S. 386, zitiert in: Deyon: Henri de Rohan, S. 126. Lettre a` sa me`re 9 mai 1631. Laugel, pie`ces annexes, p. 392 suiv., zitiert in Deyon: Henri de Rohan, S. 126: »M. de Rohan fait son possible pour eˆtre employe´ et j’y contribue pour ce qui de´pend de moi, mais on lui objecte les brouilleries qui pourraient naıˆtre entre les ge´ne´raux de´ja` en charge et que pendant la guerre de France il a traite´ avec l’Espagne, enfin que le roi ne le recommande pas se´rieusement.« PC, S. 372f.: »Pour moy i’aduoüe franchement que i’aimerois mieux estre chasse´ de mon paı¨s dans vn autre, ou` l’esperance me resteroit, & aux miens de pouuoir paruenir a` quelque chose de plus que ie suis; que de demeurer dans le mien priue´ de cette eseprance, en trouuant rien de si dur que d’oster a` l’homme l’esperance, qui est celle qui en ce monde, & pour les biens du monde luy fait entreprendre toutes choses; & qui pour les biens de l’autre vie, fournit de constance pour souffrir toutes choses: aussi n’y a-il rien qui distingue tant l’ho˜me de la beste, y mesme de l’homme regenere´ de l’homme sensuel, que l’esperance. Ce qui me fait conclure qu’il ne faut jamais oster a` l’homme l’esperance de pouuoir obtenir vne conditio˜ meilleure que celle qu’il possede, afin de ne le ietter dans le desespoir.«

318

I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Zu dem bereits angerissenen biographischen Kontext ist noch die militärische Erfahrung im Rahmen der letzten Hugenottenkriege und der – gewissermaßen in zeitlicher Parallelität zur Abfassung des Parfaict capitaine verlaufende – Aufenthalt in Venedig und die darauf folgenden Operationen im Veltlin (1635) zu nennen. In der Übergangsphase, vom militärischen Kopf der Hugenotten zum General der französischen Truppen im Veltlin, war Rohan entweder als Befehlshaber venezianischer Truppen oder, im Falle des Scheiterns, als Befehlshaber in den schwedischen Truppen Gustav II. Adolf vorgesehen.72 Der Padua-Aufenthalt ergab sich pflichtgemäß. Rohan sollte im Auftrag der Republik Venedig die Truppen in die Lage versetzen, in Padua zu kämpfen. Rohan bildete daraufhin die Soldaten aus, inspizierte die Befestigungen, die die venezianischen Besitzungen schützten, und stellte Pläne für neue Befestigungsanlagen auf. Fauvelet du Toc berichtet, dass Rohan in Padua einige Bücher verfasste. Darüber hinaus entwarf er einen Plan, um die Besitzungen der Republik Venedig in der Lombardei durch Befestigungen (forts) zu umfassen, deren vorteilhafte Lage diejenige in die Lage versetzt hätten nur schrittweise vorzugehen und damit verhindert hätten, dass der Krieg auf einen Schlag in das Landesinnere getragen wurde.73 Einige Thesen, wie die zur Verfassung der Generalstaaten, die Rohan in den später publizierten Inte´reˆt des princes et Etats eingeflochten hat, können auf die dem Padua-Aufenthalt vorausgehenden Me´moires zurückgeführt werden.74 In Venedig machte sich Rohan zunächst daran, seine Me´moiren (Me´moires sur les choses advenues en France depuis la mort de Henri le Grand jusqu’a` la paix faite avec les re´forme´s, au mois de juin 1629) zu verfassen, in denen er, wie der Abbe´ Le Gendre meint, gleichermaßen gut vom ›Krieg‹ und vom ›Kabinett‹ handelt (»qui parle e´galement bien 72

73 74

Vgl. Jack A. Clarke: Huguenot Warrior. The Life and Times of Henri de Rohan. 1579–1638, Den Haag 1966, S. 182: »Rohan counted heavily upon Richelieu’s support for his candidacy and at first the Cardinal did not disappoint him. On August 6 and again on the 11, Claude de Mesme, Count D’Avaux, the French Ambassador to the Venetian republic, appeared before the Senate to urge Rohan’s appointment as military chief of the Republican army, or failing that, to any other command post available.«; vgl. Johannes Bühring: Venedig, Gustaf Adolf und Rohan. Ein Beitrag zur allgemeinen politischen Geschichte im Zeitalter des dreissigjährigen Kriegs aus venezianischen Quellen (Hallesche Abhandlungen zur Geschichte, 20), Halle 1885, S. 70f. Fauvelet du Toc: Histoire de Henry, duc de Rohan, S. 112f. Arsenal 8°. S. 15534, Henri de Rohan: ›Advis de Henri, duc de Rohan, sur le subjet des divisions d’Hollande, en l’an 1618‹ (S. 117) und ›Discours politique de Henri, duc de Rohan, compose´ pendant son se´jour a` Venise‹ (S. 134), sowie ›Nouvelles anecdotes de la vie de Henri, duc de Rohan‹. In: Bibliothe`que Militaire, historique et politique. Hg. v. Be´at-Fide`le de La Tour de Zurlauben, A Cosmopolis et se vend A Paris, chez Vincent, Imprimeur-Libraire de Mgr le Duc de Bourgogne, 1760, Bd. 3; auch als Handschrift vorhanden.

4. Systematik

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de la guerre et du cabinet«).75 Erschienen sind sie erst 1644, sechs Jahre nach seinem Tode. In Padua entstanden Le parfait capitaine, autrement l’Abre´ge´ des guerres de la Gaule des Commentaires de Ce´sar (Fertigstellung des Manuskripts: 1631; Fertigstellung der ersten Drucklegung am 4. September 1636) Paris 1636, dessen dritte Ausgabe (Paris 1640) durch einem Traite´ de la guerre ergänzt wird.76 Darüber hinaus entstand dort der Traite´ de la corruption de la Milice ancienne et des moyens de le remettre en sa premiere splendeur, principalement en Italie. Hierin vertrat er die Meinung, dass dort die wirklichen Soldaten geboren werden und diese im Verhältnis zu den alten Römer nur durch Faulheit und mangels Exerzierens degeneriert seien.77 Nachdem Rohan Ende 1631 zum Botschafter bei den Graubündnern ernannt wurde, schrieb er 1633 in Graubünden den Traktat De l’inte´reˆt des princes et Estats de la chre´tiente´, den er Richelieu widmete. Neben der Synthese der Wissenschaft des Generals verfasste er ein Tagebuch der Belagerung von Montpellier78 und am 11. Sept. 1633 ein Me´moire für einen Kriegszug im Veltlin.79 Wenngleich er zeitweilig als Befehlshaber anstelle von Gustav Adolf vorgesehen war, zeigte er sich von der Art der Kriegführung in Deutschland keineswegs inspiriert.80 Im Zusammenhang seines Einsatzes im Veltlin, wo er eine sehr exakte Karte der Region erstellte, verfasste er wiederum einen politisch-theoretischen Text mit dem Titel Traitte´ du Gouvernement des Treize Cantons. Rohan war kein systematischer Militärtheoretiker. Der Praktiker bediente sich der Sprache des Humanismus, um am politisch-strategischen Diskurs zu partizipieren, bildete die Antike und Rom doch, wie Rohan selbst einräumte, die Leitkultur in dieser Zeit.

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Art. ›Rohan‹. In: Euge`ne u. Emil Haag (Hg.), La France protestante, Bd. 8, S. 495. Ebd., S. 496. Fauvelet du Toc: Histoire de Henry, duc de Rohan, S. 112. Ms. f. fr. 4102 (= Microfilm 8676), fol. 203: Me´moires ou Journal du siege de Montpellier. Ms. f. fr. 4106, fol. 147f., Me´moire de ce qui est necessaire pour executer le dessin de la Valteline (Fait a` Coire le 11 Septembre 1633). Daniel Veraguth: Herzog Rohan und seine Mission in Graubünden und im Veltlin, Inaugural-Dissertation, Univ. Bern, Biel 1892, S. 156: zitiert aus einem Brief Rohans aus dem Jahr 1638: »entre l’inclination que j’ai de voir la fac¸on de guerre d’Allemagne, toute diffe´rente de celle que j’ai exerce´e, j’engagerais de me voir inutile en Suisse, tandis que la guerre serait allume´e partout ailleurs. J’espe`re au moins que nous bataillerons et cela me fera passer une partie de ma me´lancolie.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Der prince-soldat vs. einen durch rebellischen Adel provozierten Bürgerkrieg Die Bestimmung des Staates als Kriegsstaat impliziert bei Rohan eine antirepublikanische Tendenz. Rohan hält fest: Ein souveräner Fürst sei eher denn eine Republik mit ihren langwierigen Entscheidungsprozessen fähig, große und schnelle Eroberungen zu machen. Eine monarchische Verfassung und ein auf Kriegspraxis basierender Staat ergänzen sich daher mehr, denn sie erfüllen die Kriterien der Geheimhaltung, der wagemutigen Entscheidungsfähigkeit und der schnellen Exekutivgewalt. Eine Republik zügele zudem die Autorität der Befehlshaber (capitaines). Allerdings könne eine Republik, die sich immer an diese Maximen halte, ein erobertes Territorium besser und länger erhalten; denn im Gegensatz zur Erbmonarchie ist die Republik das politisch stabilere Gebilde.81 Auch an anderer Stelle richtete Rohan seine Kritik auf die Erbmonarchie und die ihr innewohnenenden Faktoren politischer Instabilität und ungesicherter Machterhaltung. Diene die Monarchie grundsätzlich der Machtmaximierung, so impliziere die Erbmonarchie das Risiko des raschen Machtverfalls. Die stete Nährung der äußeren Kriege wird als Präventivmaßnahme gegen den Bürgerkrieg, die inneren Kriege verstanden. Die äußeren Kriege ermöglichen es, den von Ehrgeiz getriebenen Adel zu beschäftigen und so einem Bürgerkrieg vorzubeugen. Das Mittel den Bürgerkrieg zu verhindern sei, die Rebellischsten und Mutigsten in den äußeren Kriegen einzusetzen, wo sie ihren Ehrgeiz befriedigen und stets bewaffnet bleiben können. Der Fürst müsse an der Spitze dieser Armee stehen, so dass sich niemand gegen ihn richten könne.82 Äußere Kriege werden somit als probates politisches Instrument gegen die 81

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PC, S. 367f.: »Le Prince Souuerain est plus capable de faire de grandes & promptes conquestes qu’vne Republique pource que se trouuant secret en son conseil; hardy en sa resolution; prompt en son execution, & ne craindre point d’estre contredit de personne; il fait plus de co(n)questes en dix anne´es de sa vie, qu’vne Republique qui est moins secrette; qui est longue a` se resoudre; qui bride l’authorite´ des (sic) ses Capitaines, & qui a´ toute heure contredit ses actions, ne sc¸auroit faire en cent ans: aussi vne Republique qui va tousiours selon ses maximes, qui n’est sujecte au deffaut d’vne personne, & dont le gouuernement ne rec¸oit alteration pour la mort d’aucun d’eux, conserue bien mieux, & plus long-temps ce qu’elle a conquis; qu’vn Prince, qui souuent & presque tousiours a vn successeur aussi faineant qu’il a este´ vertueux. Neant-moins ie veux icy establir autant pour les vns que pour les autres, les vrayes maximes pour bien asseurer vne conquestes; lesquelles consistent en deux; a` sc¸auoir d’oster la volonte´ a` ceux que vous auez conquis de se reuolter, & le moyen de le pouuoir faire.« Ebd., S. 384: »que le moyen d’empescher les guerres ciuiles, est d’occuper les plus remuants & courageux aux guerres estrangeres; ou` ils trouuent dequoy satisfaire a` leur ambition: comme aussi d’estre tousiours arme´; pource que cela refroidit les plus eschauffe´s: & que le Prince soit a` la teste de son arme´e, afin que nul ne se puisse preualoir d’icelle contre luy.«

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Strukturschwächen der Adelsverfassung und der daraus resultierenden ungehegten Gewalt. Das erste und mächtigste Mittel gegen den Bürgerkrieg bestehe darin, den äußeren Krieg zu schüren, da er die Trägheit bekämpft und alle beschäftigt.83 Die innere Konsolidierung der Monarchie werde auch dadurch herbeigeführt, dass sie nur über wenige gute Festungen an den Grenzen verfügt. Festungen im Innern der Staaten begünstigen den Bürgerkrieg und den Angriff auf das Land von außen.84 Mit dieser Äußerung wird eine Kritik an der Erbmonarchie respektive einer Monarchie auf Lebenszeit ausgesprochen. Das Verhältnis von Festungs- und Belagerungskrieg und Schlacht wurde weniger im taktischen, als vielmehr im strategischen Denken im Parfaict capitaine von Rohan angerissen. Rohan trat für ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen einer auf der Festungsstruktur und einer auf mobilen Kriegsstrukturen basierenden Kriegführung ein. Er riet davon ab, die Nachbarn – er mag an die Niederlande oder auch Italien gedacht haben, – kurz die trace italienne zu imitieren, bei denen eine im Verhältnis zu einer mobilen Landarmee hohe Dichte an Festungen auftritt. Das sicherste sei es, sich auf die eigene militärische Macht zu stützen, nämlich auf eine gute Armee und gute Festungen. Erst beide im Verbund begründen militärische Macht. Die Festungen seien notwendig für die Verteidigung des Landes gegenüber der gegnerischen Armee; Festungen ohne Armee seien gleichfalls wirkungslos.85 Es müsse eine Verbindung von Befestigungen und Armee gewährleistet sein. Hier solle man sich nicht auf die Vorstellungen der Nationen verlassen, die ohne die Lage ihrer Städte und das öffentliche Wohl zu berücksichtigen, wenn sie ihre Nachbarn sich befestigen sehen, alles blind imitieren wollen. Es sei eine ebenso gefahrvolle Angelegenheit mehr Festungen zu haben, als man unterhalten oder halten könne oder aber 83

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Ebd., S. 365: »Outre cela il ne faut perpetuer les gouuernements, ny aux familles, ny mesmes a` vie: mais le principal. & plus puissant remede contre la guerre ciuile, est d’entretenir la guerre estrangere; laquelle chasse l’oisiuete´, occupe tout le monde, & particulierment satisfait aux esprits ambitieux & remuants: elle bannit le luxe, elle agguerit vostre peuple, & vous maintient en telle reputation parmy vos voisins, que vous estes l’arbitre de tous leurs differents.« Ebd., S. 364f.: »seulement diray-ie qu’ils ne doiuent auoir de forteresses que bonnes, & en petit nombre, & seulement sur les frontieres, & nulles dans le coeur de l’Estat; pource qu’ayans plus a` craindre les guerres ciuiles que les estra(n)geres, & sans lesquels on n’attaqueroit iamais vn Grand Empire; c’est leur oster la principale racine qui les fait entreprendre & subsister.« Ebd., S. 356: »le plus seur est de se fonder sur ses propres forces; a` sc¸auoir sur vne bonne arme´e, & de bonnes forteresses; ie dis les deux ioincts ensemble, pource que l’arme´e sans forteresses estant foible, & n’osant rien hazarder laisse a` l’ennemy les viures de la campagne, & le moyen de subsister a` vos despens, & enfin de voux ruyner. Et les forteresses sans arme´e ne peuuent vous conseruer qu’auta(n)t de temps que vous aurez fait magazins de viures dans icelles: mais ces choses estans proportionne´es auec iugement on peut faire vne grande resistance.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

auch gänzlich auf Festungen zu verzichten. Er bevorzuge allerdings überhaupt keine Festungen als zu viele.86 Rohan zog den Schluss, dass man gerade über so viele Festungen verfügen solle, dass diese die Armee nicht daran hindern, einen Feldkrieg zu führen (tenir campagne). Diejenigen über die man verfüge, sollen so gut befestigt und ausgerüstet sein, dass sie in der Lage seien, die Grenzen abzusichern, so dass der Gegner, bei einem Übergriff, auf unüberwindliche logistische Schwierigkeiten stoße.87 b. Der Parfaict capitaine Werner Hahlweg bezeichnet den Parfaict capitaine als eine »französische Interpretationsvariante der oranischen Heeresreform« und hebt deren hohen Quellenwert hervor.88 Damit unterschlägt er aber die Einbettung 86

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Ebd., S. 356f.: »Icy il ne faut se laisser aller a` la fantaisie des peuples qui sans considerer les assiettes de leurs villes, ny le bien public, quand ils voyent leurs voisins se fortifier, veulent tous les imiter; chose e´galement perilleuse d’auoir plus de forteresses qu’on n’en peut garder; ou de n’en auoir point du tout: encor aymerois-je mieux le dernier que le premier, pource qu’au moins hazardant vne bataille, vous faites la moitie´ de la peur a` vostre ennemy: mais par l’autre voye, il faut perir asseurement sans pouuoir autre chose que d’allonger sa perte: car la jalousie que vous auez de co(n)seruer toutes vos forteresses, en y laissant de grosses garnisons, vous oste le moyen de tenir vne arme´e a` la campagne«. Ebd., S. 358f.: »Si bien que ie conclus qu’il faut auoir si peu de forteresses qu’elles ne vous empeschent pas de tenir la campagne: & celles que vous auez, les si bien fortifier & munir qu’elles puissent faire vne grande resistance, & les si bien placer qu’elles tiennent en bride les grandes villes, & qu’elles asseurent les frontieres, afin que l’ennemy fasse difficulte´ de laisser derriere soy vne place qui puisse incommoder les viures.« Werner Hahlweg: Einführung. In: Le parfaict capitaine. Autrement l’abre´ge´ des guerres de Gaule des commentaires de Ce´sar, Neudruck der Ausgabe von 1636 (Bibliotheca rerum militarium, 11), Osnabrück 1972, [S. 5–15], S. 13f.: »In diesem Sinne [Zusammenhang der militärischen Revolution] erscheint der ›Parfaict Capitaine‹ in mancher Hinsicht als eine französische Interpretationsvariante der oranischen Heeresreform; seine Aussagen besitzen gerade in Verbindung mit der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte dieser Reform hohen Quellenwert. So ist es auch kein Zufall, daß Rohan teilweise unmittelbar auf das Geschehen des niederländischen Reformwerkes Bezug nimmt, wie dies etwa sein bekannter Bericht über die von Moritz von Oranien angestellten Exerzierversuche niederländischer Soldaten mit römischer Bewaffnung und Ausrüstung beweist. [...] Er bejaht vollkommen das neue System der niederländischen Militärreform, und er wirbt mit seinem Werk für sie bei den französischen Streitkräften. Im übrigen weist Rohan wie vor ihm Wilhelm Ludwig von Nassau auf die grundsätzliche Bedeutung der Belagerung von Alesia hin. Den Oraniern folgend, bejaht er auch die Notwendigkeit des Soldatenexerzierens [jedoch nicht des Waffenexerzierens nach griechischem Muster, einschließlich der Kommandosprache, Devalorisierung griechische Quellen, Abwendung von griechischen Quellen, da keine gesicherte Grundlage und einseitige Betonung des römischen Modells].«; ebd., S. 14.: Der Parfaict capitaine sei, so Hahlweg, »ein Brevier der Feldherrnkunst von Rang, das auf Grundlagen der oranischen Heeresreform aufbaut, wie eine Lehrschrift, die auf persönlichen

4. Systematik

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des Breviariums der Feldherrnkunst in eine an die italienische Staatsraisonkultur und den italienischen Humanismus angelehnte militärische Kultur. Die theoretische Inkohärenz des Texts: zwischen italienischer und oranisch-dynastischer militärischer Kultur Wie die politische Sprache des ›Interesses‹ ist auch die des perfetto capitano89 italienischen Gattungen, Mustern und der militärischer Kultur verhaftet. Mit der Option für Caesar hebt sie sich von der militärischdynastischen Kultur der Oranier in den 1590er Jahren und der militärpolitischen Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande ab. Der Parfait capitaine ist ein uneinheitlicher Text. Daniel Perreaux schreibt in dem Advertissement des Parfaict capitaine, dass das Buch durch seine Lehre (doctrine), seine Urteilskraft (jugement), Systematik (ordre) und seine Zusammensetzung (composition) besteche.90 So komplex und heterogen wie Rohans Biographie sei auch seine Militärtheorie, deren epistemologische Rationalität, Quellengrundlage und Systematik. Die Werke Rohans seien ein Spiegel der ideengeschichlichen Tendenzen am Beginn der Regierungszeit Ludwig XIII., merkt G. Serr an.91 Der Parfaict capitaine erschließt sich als ein Buch, das drei unterschiedliche Texte vereinigt. An den Parfaict capitaine autrement l’abrege´ des guerres de Gaule des Commentaires de Ce´sar, der sich zum einen in eine Narration der Kriegshandlungen Caesars, die sich wesentlich auf die Besetzung entscheidender Punkte, in der Lagerbefestigung und in dem Streben, den Feinden die Verbindung abzuschneiden bezieht,92 und deren Kommentierung durch Rohan vom militärisch-pragmatischen Standpunkt vornimmt, schließt sich ein Polybios-Kommentar, der sich an Francesco Patrizi anlehnt und systematisch verfährt (Recueil de l’ordre de guerre des Anciens)93 und der Traite´ de la guerre (traicte´ par-

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Kriegserfahrungen des Verfassers beruht. Es vermittelt einen gewiß anschaulichen, zugleich knapp gefassten, klaren und zuverlässigen Aufriß des damaligen Militärwesens aus der Sicht eines prominenten französischen Truppenführers und Politikers.« Vgl. Marcello Fantoni (Hg.): Il ›perfetto capitano‹: immagini e realta` (secoli XV–XVIII); atti dei seminari di studi, Georgetown University a Villa Le Balze, Istituto di Studi Rinascimentali di Ferrara 1995–1997 (Biblioteca del Cinquecento, 98), Rom 2001. PC, s.p.: »il [das Buch] est admirable en toutes choses en doctrine, en iugement, et son ordre, en sa composition.« Georges Serr: Henri de Rohan. Son roˆle dans le parti protestant. 1610–1616, Aixen-Provence 1946, S. 10. GdKW, Bd. 1, S. 77. Nach dem letzten behandelten Krieg Caesars (De la guerre d’Espagne), folgt die Ordonnanz der Griechen (ordre militaire des grecs, et particulierement, de leur pha-

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

ticulier de la guerre) an, bei dem sich Rohan auf die zeitgenössischen militärtheoretischen Schriften wie die Literatur zur Festungsbautheorie und die Literatur zur Poliorketik stützte. Ihm sei nicht daran gelegen, von allen ›Funktionen des Krieges‹ (fonctions de la guerre) zu schreiben. Dies haben bereits so viele vor ihm getan, es wäre eine überflüssige Angelegenheit.94 Er beschränke sich auf allgemeine Bemerkungen über alle Dinge, die damit zusammenhängen und die man gegenwärtig in die Praxis umsetzen könne. Er berühre nur, was ihn die Erfahrung gelehrt habe.95 Rohan zielte auf eine systematisch fundierte Synthese der Kriegskunst, die praktizierbar war und die er aus eigener Erfahrung bestätigen konnte. Bereits der Systematik, die sich in einen historisch-narrativen Teil und einen systematischen Teil aufspaltet, ist zu entnehmen, dass Rohan auf unterschiedliche theoretische Modelle referierte. Die im Rahmen des Traite´ de la guerre behandelten Topoi sind weniger auf einer am antiken Modell geschulten modelltheoretischen Ebene zu verorten, sondern folgen in erster Linie einer ›pragmatischen‹ Argumentation, die zwar die Militärliteratur und Militärtheorie der Zeit im Hinterkopf hat, sich jedoch nicht wie diese dem Detail zuzuwenden beabsichtigt. Der Caesar-Kommentar enthält die Narration und den pragmatischen Kommentar der Feldzüge. An den Caesar-Kommentar schließt ein systematischer Abschnitt ohne eigenständigen Titel an, der sich der römischen und griechischen taktischen Theorie annimmt (antikes taktisches Modell und Verfassungsmodell). Er beschäftigt sich mit der militärischen Ordonnanz der Griechen, vor allem der Phalanx und der römischen Disziplin.96 Der militärwissenschaftlich-systematische Disziplinbegriff subsumiert folgende Momente: Rekrutierung und Waffen (Kap. 1), Unterteilung einer Legion, Marschordnung, Lagerordnung, Ordonnanzen und Wachen (gardes du camp), Strafen und Belohnungen, Belagerungen, Bemerkungen über einige antike Schlachten, Vergleich der griechischen

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lange), die militärische Disziplin der Römer (discipline militaire des romains), die sich in mehrere Kapitel untergliedert, die wesentlich den wissenschaftstheoretischen Diskurs reflektiert und hinsichtlich der Problemstellungen und der Kategorien mit dem Stand des nordwesteuropäischen militärischen Humanismus analogisiert werden kann. PC, S. 219: »IE n’entreprends icy de traitter toutes les fonctions de la guerre en particulier, pource que tant de personnes en ont escrit que ce seroit vne chose superflue¨. Ie me contente de faire des remarques generales sur toutes les choses qui en de´pendent, & qui se peuuent mettre aujourd’huy en pratique, ne voulant toucher que ce que l’experience me peut auoir enseigne´ & sur tout estre si bref que ie ne puisse ennuyer long-temps le Lecteur.« Ebd. Ebd., S. 161.

4. Systematik

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und römischen Armeen und der Ordonnanz (ordo). Der Traite´ de la guerre stützt sich auf die moderne Literatur zum Festungs- und Belagerungskrieg.97 Im Parfaict capitaine finden sich Bezüge zum philologischen Forschungsstand und zur Militärliteratur, die die Mängel im Hinblick auf die griechisch-byzantinische Taktik konstatieren. Darüber hinaus spiegeln sich darin die zeitgenössischen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des taktischen Modells. Der Parfaict capitaine beginnt mit einem Abriss der gallischen Kriege Caesars (Abrege´ des guerres de Gaule), es folgen die Bürgerkriege (guerres civiles), in deren Rahmen das narrative Schema durchbrochen wird und eine systematische Verfahrensweise hervorscheint: So dissertierte Rohan in der Abhandlung über die Bürgerkriege über den militärischen ordo der Griechen, die militärische Disziplin der Römer, die Unterteilung einer Legion, das Marschieren, die Lagerordnung, die Ordonnanz der Lagerwachen, die Strafen, den Sold, die Schlachtordnung – und bis hierhin können sachliche Entsprechungen mit Patrizi herausgelesen werden – die Belagerung und antike Schlachten. Dieser topologische Abschnitt schließt mit einem Vergleich der Armeen und militärischen ordres der Römer mit denjenigen der Griechen. Obgleich Rohan bereits in diesem ersten Abschnitt zu einer topologischen Darstellung übergegangen ist, folgt der Traite´ de la guerre ausschließlich dieser Darstellungsweise. Er behandelt sukzessive folgende Punkte: Die Auswahl der Soldaten, die militärische Disziplin, den Gehorsam der Soldaten, Marschordnung, Lagerordnung, Schlachten (des Batailles), Festungen, Verteidigung gegenüber Überraschungsangriffen, Angriff durch Belagerung, Verteidigung der festen Plätze gegen Belagerung, die Artillerie, Gepäck und Pioniere, Spione und Führer (guides), Logistik (vivres), die allgemeinen Ämter (charges) einer Armee und ihre Funktion, vom Angriff der Staaten unter Berücksichtigung von deren Macht und Lage, Mittel eine Eroberung zu sichern und einem Alliierten beizustehen. Schließlich erörtert Rohan, ob es besser sei, dass der Herrscher oder der Lieutenant den Krieg führe. Er schließt den Traktat mit einigen Ausführungen zur Reputation. Daneben, und damit kann er möglicherweise als Adept des Patrizi-Modells – Patrizi schöpft aus Polybios, Titus Livius und Diogenes von Halikarnassos – kenntlich gemacht werden, bezog sich Rohan gleichfalls auf Livius. Tatsächlich behandelte Patrizi die römische Ordonnanz nach Livius.98 97

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Zeitgenössische militärtheoretische Schriften: Literatur zur Festungsbautheorie und Poliorketik: PC, S. 269: »Ceux qui voudront sc¸auoir le detail des fortifications le trouueront dedans vne infinite´ de liures ou` elles sont descrites, & encor mieux dans l’exercice de la guerre ou` tous les iours l’experience y fait adjouster quelque chose.« Die Unterteilung der Militärtribunen (I), die Unterteilung der römischen Legion

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Die im Traitte´ de la guerre angestellten Überlegungen zum Festungsbau und den Regeln des Festungs- und Belagerungskrieges mögen im Rahmen seines Padua-Aufenthaltes entstanden sein, wenngleich Rohan vielfach darauf hingewiesen hat, dass hinsichtlich des Festungsbaus und der Poliorketik eine Fülle von ausreichender Literatur vorhanden sei, die jedoch – und hier kommt die Vorstellung vom militärtheoretischen Fortschritt hervor – in der Kriegspraxis für Modifikationen offen sei. Hinsichtlich der Poliorketik, der Petarden und Minen etc. schrieb Rohan: »Pource que ce qui se peut escrire la` dessus est escrit, & qu’il faut que l’expe´rience approuve le reste, ou` tous les iours on change, ou on y adjouste quelque chose de nouveau.«99 Die Bemerkungen Rohans über die Waffen sind diskursiv und abhängig von der Reflexion der Kriegspraxis und der Kriegstypologie der Moderne, aber es finden sich darin auch Werturteile über die Kompatibilität moderner Waffenformen mit der antiken Taktik. Muskete und Pike seien Waffengattungen, die sich mit dem Festungs- und Belagerungskrieg vertragen. Da sich der Krieg in der Moderne mehr auf Belagerungen als auf Schlachten beziehe, benötige man eine größere Zahl Musketiere als Pikeniere.100 Es findet sich dabei ein interessantes Rezeptionsmoment, wenn er z. B. die Einführung der Targe fordert. So rezipierte Rohan die bereits in ein experimentelles Stadium gelangte Intention der Einführung dieser antik-römischen Waffengattung durch Moritz von Oranien, um diese erneut einzufordern. Er führte damit die militärtheoretisch-experimentelle Praxis des Oraniers fort, um sie in eine taktische Kombination mit Musketen und Piken einzubinden. Auch die Lagerordnung des Oraniers findet Erwähnung.101

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(II), die Unterteilung der Fußsoldaten bei Servius Tullius, Diogines und Livius (III), die Ordonnanz der Legion wie sie von Livius überliefert wird (IV), die Bewaffnung und Waffenform (forma del l’armi) nach Polybios, die scileta und Unterteilung der Centurionen und der Tergiduttori (VI), die Unterteilung und Bewaffnung der Kavallerie, die raunanza und Unterteilung der Übung der Bundesgenossen (VIII), Lagerordnung (IX), Wahl des Lagers und der Wachposten (X: le leggi del Camp & delle guardie), Strafen und Belohnung (XI), Umfang und Art des Solds (XII: paghe), Aufhebung des Lagers und Marschordnung (XIII), der Apparat ein Lager zu bilden (apparecchio) und ein Vergleich des römischen mit dem griechischen Lager (XIV), die gewöhnliche und außerordentliche Art di porsi in battaglia per far giornata (XV). Soweit zu dem Polybios-, Titus-, und Diogenes-Kommentar, bei der zu der topischen Auflistung Rohans herauszulesen sind. PC: Traite´ de la guerre, Kap. XI: De l’attaque par sieges, S. 307. Vgl. auch PC: Traite´ de la guerre, Kap. VIII: Des forteresses, S. 269: »Ceux qui voudront scauoir le detail des fortifications le trouueront dedans vne infinite´ de liures ou` elles sont descrites; & encor mieux dans l’exercice de la guerre ou` tous les iours l’experience y fait adjouster quelque chose.« Ebd., S. 233. Ebd., S. 254f.: »Il n’y a peuple qui s’en soit seruy si exactement que les Romains; &

4. Systematik

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Rohan übernahm – seine politische Lehre und seine Interessenlehre stehen dem entgegen – die taktische Theorie der Oranier nicht als militärpolitisches Konzept, vielmehr führte er einige allgemeine Momente ihrer militärtheoretischen Performanz an, um sie in einigen Fällen weiterzuentwickeln. In seiner politischen Hauptschrift, dem Inte´reˆt des princes et de l’Etat, wird die strategisch-taktische Kompetenz Moritz von Oraniens hervorgehoben, der, obgleich er den Streitkräften Spinolas unterlegen war, die Lage seines Landes zu nutzen wusste: Maurice, prince d’Orange (capitaine auquel on doit le re´tablissement de l’ancienne discipline) quoique bien infe´rieur aux forces de Spinola se pre´valut si bien de la situation de son pays qu’il rendit vains ses efforts.102

Bezeichnend ist, dass hinsichtlich verfassungstheoretischer Momente – im Unterschied zu Lenormant – die Holländer nicht in Betracht kommen; diese wirkten sich in militärtheoretisch-reformerischer Hinsicht eher kontraproduktiv aus. Neben W. Hahlweg vertritt auch D. A. Parrott (letzterer im Anschluss an Auguste Laugel) die Auffassung, der Parfaict capitaine sei eine direkte Fortsetzung der oranischen Kriegskunst. Parrott schreibt, dass Le parfaict capitaine, autrement l’abre´ge´ des guerres de Gaule des Commentaires de Ce´sar (Paris 1636), das Schlüsselwerk Henri de Rohans, von dessen in einem Volontariat bei dem Prinzen Moritz von Oranien 1606 gemachter militärischer Erfahrung beeinflusst gewesen sei.103 Bei näherer Betrachtung ist die Auffassung, dass es sich beim Parfaict capitaine um eine Interpretationsvariante der oranischen Heeresreform handelt, zu nuancieren. Moritz von Oranien wird zur Fußnote degradiert. So wenn Rohan als Beispiel anführt, dass ihm eine wesentliche vom antiken Modell inspirierte Reform aufgrund der Verfassungsstruktur der Generalstaaten nicht gelungen sei. Rohan maß Moritz zusammen mit Spinola am antiken Modell, der Belagerung von Alexia, hinter der die Leistungen der beiden weit zurückblieben. Eine bedeutendere Rolle wird Moritz von Oranien in der pragmatischen Ausdeutung der Lagerordnung eingeräumt. Auch finden dessen Experimente mit der

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de nostre temps Maurice Prince d’Orange les a remis en vsage, ou pour le moins leur a donne´ vne grande perfection. Le retranchement du camp asseure vne arme´e, en ce qu’elle n’est iamais disperse´e par les villages, ou tousiours quelque quartier est en danger d’estre enleue´.« Vgl. Rohan: De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´, S. 209. Vgl. Parrott: Richelieu’s Army, S. 28; stützt sich auf: Auguste Laugel: Henry de Rohan. Son roˆle politique et militaire sous Louis XIII. 1579–1638, Paris 1889, S. 37f.: »The key work of the quintessential military Calvinist, Henri duc de Rohan – Le parfaict capitaine, autrement l’abre´ge´ des guerres de Gaule des Commentaires de Ce´sar (Paris, 1636) – is influenced by his military experience of the Dutch armies, where he had served a military apprenticeship with prince Maurits in 1606.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Targe Erwähnung104 und das verschanzte Lager, das Moritz von Oranien nach dem römischen Modell umgesetzt hat.105 Zwar spricht die experimentelle Schärfung der antiken Tradition – »ceux qui en ces matie`res se guident plus par les exemples du passe´ que par les raisons pre´sentes, font par ne´cessite´ des manquements notables.«106 – für die Zuordnung zur Kriegspraxis der Oranier, die Option für den Strategen Caesar hingegen widerspricht fundamental der politischen und dynastischen Kultur der Niederlande und der Akkulturation der Generation der Nassau-Oranier in den 1590er Jahren. Der Abre´ge´ des guerres de Gaule: Handlungstheorie eines Caesarischen Strategen Der Abre´ge´ des guerres de Gaule legt das Modell eines Caesarischen Strategen nahe. Rohan hat das strategische Verhalten des Feldherrn, die res gestae,107 nunmehr nicht mehr nach Vegetius und Frontinus, sondern Caesars in dem Abre´ge´ des guerres de la Gaule des Commentaires de Ce´sar aufgegriffen. Caesar als Modell einer Theorie des Feldkrieges: Handlungstheorie eines caesarischen Strategen (Generals) und die machtpolitische Bedeutung und Theorie der Schlacht (acies) Seit Machiavelli steht Caesar, so will es die Meinung der Militärhistoriker des letzten Jahrhunderts, nicht nur für eine offensive Strategie, sondern auch für eine Form des Feldkrieges, deren Zweck die Niederwerfung des Gegners ist.108 Rohan wählte Caesar jedoch nicht, weil er in 104

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PC, S. 228: »Maurice Prince d’Orange a eu grande enuie de se seruir de la Targe, & en ayant fait faire diuerses espreuues a trouue´ qu’elle a non seulement resiste´ a` la picque, mais que la moitie´ moins de Targes a tousiours entre´ dans les rangs de deux fois autant de picques & les a rompue¨s: neantmoins n’estant que chef des arme´es d’vn Estat, & non Prince souuerain & absolu, il n’a ose´ faire vn si grand changement, soit qu’il craignoit la cauallerie qui se trouue aiourd’huy tres bien arme´e, ou bien le reproche de quelque mauuais succe´s.« Ebd., S. 254: »Ie ne descriray icy la forme des camps retra˜chez, mais seulement l’vtilite´ d’iceux, ne pouuant assez m’esmerueiller de ce qu’ils auoient este´ du tout delaissez. Il n’y a peuple qui s’en soit seruy si exactement que les Romains; & de nostre temps maurice Prince d’Orange les a remis en vsage, ou pour le moins leur a donne´ vne grande perfection.« Henri de Rohan: De l’inte´reˆt des princes et des Etats de la chre´tiente´, S. 159. Grotius an Oxenstierna, 16. Okt. 1636. In: BW, Bd. 7, Den Haag 1969, S. 444: »ex Caesaris Iulii rebus gestis [C. Julius Caesars Commentarii De Bello Gallico] utilia profert documenta.« Hobohm, Machiavellis Renaissance Bd. 2, S. 574: Machiavelli, A.d.g. I, ed. 1905, S. 96f.: »Die Absicht dessen, der Krieg führen will, ist, mit dem Feind im Felde kämpfen und eine Schlacht gewinnen zu können. – Der Feldkrieg (guerra campale)

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ihm einen Niederwerfungsstrategen im postclausewitzianischen Sinn sah, sondern weil er sich mit der Option für Caesar in eine nationalfranzösische literarische Tradition einordnete. Er schrieb sich in die von Martin und Guillaume du Bellay 1569 begründete Gattung der Me´moires d’e´pe´e ein, die ihre humanistische Legitimität auf Caesar gründeten.109 Rohan nahm Caesar auch in seinen Memoiren zu seinen Feldzügen in Graubünden als Modell110 – dem Veltlin hatte sich bereits der Protestant Agrippa d’Aubigne´ angenommen111. Das römische Modell implizierte ein Modell der politischen Entscheidungsschlacht.112 Die Entscheidungsschlacht konnte jedoch nur als taktisches (utopisches) Ziel angesehen werden, denn in der Kriegspraxis der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gab es keine Entscheidungsschlachten respektive eindeutigen militärischen Siege, die machtpolitisch ausgeschöpft werden konnten.113 Die Schlacht als politisches Instrument ist daher ein Machiavellisches Theorem, wie sie ein spezifischer

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ist der notwendigste und ehrenhafteste. Wer gut versteht, dem Feinde eine Schlacht zu präsentieren, bei dem würden die anderen Fehler, die er in der Kriegsführung macht, erträglich sein; aber wer dieser Kenntnis (disciplina) entbehrt, mag er auch in den anderen Einzelheiten Vorzügliches leisten, wird niemals einen Krieg mit Ehren führen.«; ebd. Zitat aus: A.d.g. IV, ed. 1905, S. 165: »Wenn man die Schlacht gewinnt, so muss man mit aller Schnelligkeit den Sieg verfolgen und darin Cäsar nachahmen, nicht Hannibal, welcher nach dem Sieg über die Römer bei Cannae stehen blieb, und so die Herrschaft über Rom verlor. Cäsar ruhte niemals nach dem Siege, sondern verfolgte den geschlagenen Feind mit größerer Kraft und Furie, als er den unversehrten Feind angegriffen hatte.«; Disc. II, 6: »Der strategische Stil der Römer bestand in erster Linie darin, daß sie, wie die Franzosen sagen, die Kriege kurz und derb führten (corte et grosso).« Fumaroli: Me´moires et histoire, S. 24. Vgl. Memoires et lettres de Henri de Rohan, sur la guerre de la Valteline. Publie´s pour la premiere fois, & accompagne´s de notes ge´ographiques, historiques & ge´ne´alogiques. Par M. le baron de Zur-Lauben, Chevalier de l’ordre militaire de S. Louis, Brigadier d’Infanterie, Capitaine au re´giment des Gardes-Suisses, & Associe´-Correspondant-Honoraire de l’Academie Royale des Inscriptions & BellesLettres, 3 Bde., Paris, Vincent, 1757. BN 8-LB36–30 (1–3): Vgl. S. xlj: schriftstellerisches Vorbild Caesars: »Me´moires de la Valteline, faicts par M. le duc de Rohan…un des secretaires du duc de Rohan a compose´ le manuscrit qui contient un de´tail tre`s-circonstancie´ de la marche de ce ge´ne´ral dans la Valteline.« Vgl. Gilles Baderier: Agrippa d’Aubigne´ et la Valteline: un texte ine´dit, Papers on French Seventeenth Century Literature, 28, 54 (2001), S. 141–151. Helmuth Schneider: Taktik. II. Rom. In: Der neue Pauly. Enzykopädie der Antike. Hg. v. Hubert Cancik, Helmuth Schneider, Bd. 11, Sp. 1227: »In der Antike wurden Kriege sehr häufig durch eine einzige Schlacht entschieden. Unter dieser Voraussetzung war es die wichtigste Aufgabe eines röm. Feldherrn, einen Feldzug so zu führen, daß unter möglichst günstigen Umständen gegen den Gegner gekämpft werden konnte. T.[aktik] beschränkte sich damit nicht auf die Aufstellung des Heeres zur Schlacht und die Führung der Truppen in der Schlacht, sondern schloß alle Operationen zur Herbeiführung der Entscheidungsschlacht ein.« Vgl. Croxton: A Territorial Imperative? The Military Revolution, Strategy and Peacemaking in the Thirty Years War, S. 253–279.

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politisch-strategischer Diskurs produzierte. Henri de Rohan schrieb – sich von der Kriegsstruktur seiner Zeit abhebend – Folgendes und verwies auf die machtpolitische Bedeutung der Schlacht, gesetzt dem Fall man habe eine durchstrukturierte und disziplinierte Armee zur Verfügung: Von allen Kriegsaktionen sei die ruhmreichste und wichtigste die Schlacht. Der Gewinn einer oder zwei dieser Schlachten lasse ganze Reiche gewinnen oder verlieren. Augenblicklich führe man den Krieg mehr mit List (renard) als mit Stärke (lion). Man stütze sich mehr auf Belagerungen, denn auf Schlachten. Dennoch gebe es auch heute noch unterschiedliche Nationen, die die meisten ihrer Kriege durch Schlachten gewinnen, so die Türken und die Perser und selbst unter den Christen habe man im Deutschen Reich einige Schlachten gesehen, deren eine allen protestantischen Herrschern eine Niederlage bereitet hat. Eine gut disziplinierte Armee, die die Schlacht nicht fürchte, habe einen wunderbaren Vorteil in strategischer Hinsicht gegenüber derjenigen, die sie fürchtet. Daher trete diese Art des Krieges gegenwärtig nicht mehr so häufig wie in der Vergangenheit auf. Dennoch solle deren Wissenschaft nicht vernachlässigt werden.114 Auf diesem Hintergrund wird die Funktion des taktischen militärtheoretischen Diskurses in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und die Suche nach den Konzepten aus der antiken Literatur zu erörtern sein. Die acies-Theorie Rohans (Polybios und Livius): Aufgreifen der Problematik Machiavellis und Verweis auf ›de mutatione artis militaris‹ Im Unterschied zu Lenormant, der in seinem Discours pour le restablissement de la milice de France die taktischen Diagramme der Holländer aufnahm und publizierte, griff Rohan die Theorien römischer Schlachtordnung unabhängig von deren Realisierung im niederländischen Kriegskontext auf. Vielmehr zeichnet sich ab, dass hinsichtlich der antiken taktische Theorie keine gesicherten Grundlagen vorliegen. 114

PC, S. 257f.: »De toutes les actions de la guerre la plus glorieuse & la plus importante est de donner bataille; le gain d’vne ou de deux acquiert ou bouleuerse les Empires entiers: Anciennement toutes guerres se decidoient par les batailles; ce qui causoit les conqueste si promptes; Maintenant on fait la guerre plus en renard, qu’en Lion; & elle est plustost fonde´e sur les sieges que sur les combats: Neantmoins il y a encor aujourd’huy diuerses nations qui decident la plus part de leurs guerres par batailles, comme les Turcs, & les Perses: & mesme parmy les Chrestiens nous auons veu depuis donner diuerses, batailles en Allemagne, dont vne seule auoit comme asseruy tous les Princes Protestans. Et vne arme´e bien discipline´e, & qui ne craint point la bataille, a vn merueilleux aduantage en tous ses desseins contre celle qui la craint. C’est pourquoy encor que la meniere de guerre auiourd’huy ne soit point si frequente a` hazarder les batailles que par le passe´, il ne faut pas pourtant en negliger la science.«

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In der Militärtheorie Rohans finden sich philologische Spuren, die auf die Notwendigkeit der Quellenkritik und des Kommentars der antiken taktischen Theorie verweisen. Rohan beteiligte sich zwar nicht aktiv an der militärtheoretischen ›Grundlagenforschung‹, denn dazu waren seine theoretisch-philologischen Kompetenzen zu gering.115 Im Zusammenhang der Theorie über die Schlachtordnung oder die Hervorhebung der spärlichen Quellenlage hinsichtlich der Rekonstruktion der griechischen Ordonnanz wird deutlich, dass lipsianische oder mauritianische Taktik keineswegs ein Modell statuierte. Rohan zeichnete die schlechte Quellenlage hinsichtlich der griechischen Ordonnanz für deren Unklarheit verantwortlich: Die Ordonnanz der Griechen finde sich nur unklar bei deren Autoren, da die meisten der von ihnen verfassten Bücher verloren gegangen oder nur Fragmente überliefert seien, so dass es schwierig sei, die Taktik der Griechen exakt zu rekonstruieren.116 An zwei Stellen tritt die Problematik der Interpretation des taktischen Modells der Römer auf. Es betrifft zunächst die unterschiedliche Benennung der taktischen römischen Einheiten (Kohorte, Zenturie, Manipel) durch unterschiedliche Schriftsteller. Unter den Autoren lägen mannigfaltige Bedeutungen der Begriffe Kohorte, Zenturie und Manipel vor, die alle das Gleiche bedeuteten.117 An einer Stelle bei Titus Livius tauche die Unterscheidung von Legion und Kohorte auf; schließlich von der Kohorte zur Centurie und von der Centurie zum Manipel (Manipule), was wohl daher rühre, dass die Legionen auf 6000 und 7000 Mann erhöht wurden, so dass man Unterteilungen (subdiuisions) machte.118 An die nicht unproblematische Livius-Deutung Machiavellis in den Discorsi gemahnt folgende Reflexion der acies triplex: Sie bezieht sich auf den Rückzug der einzelnen Soldaten während der Schlacht nach ihrem jeweiligen Kampfeinsatz. Von den zwei Alternativen, dem Rückzug in Reihen oder den Rückzug in Korps zu organisieren, plädierte Rohan für Letzteres. Diese taktische Option muss vor der dem Hintergrund der bereits in den Discorsi problematisierten Dreitreffentaktik, der Rolle der Reservetruppen und der taktischen Regenerierbarkeit der Legion respektive der Armee gesehen werden. Denn zur Zeit von Rohan, wie er selbst bemerkt, stellte man die Truppen in zwei Reihen auf. Die Römer fanden eine bessere Lösung, indem sie sie in drei Reihen organisierten. Die Regenerationsfähigkeit der Armee durch gestuften Einsatz sei taktisch von großer Bedeutung, denn sie garantiere den Sieg.119 115 116 117 118 119

Vgl. Fauvelet du Toc: Histoire de Henry, duc de Rohan. Vgl. PC, S. 145. Vgl. ebd., S. 173. Ebd. Ebd.

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Die taktische Problematik bei Rohan dreht sich um die Frage, ob der Rückzug der in der ersten Linie kämpfenden Truppen in Reihen (files) oder in ganzen Truppen von jeweils zwanzig Mann erfolgen soll. Rohan optierte für die zweite Lösung, da sie einen geordneten Rückzug und die dreimalige Erneuerung der Schlagkraft der Truppe ermöglicht. In Kap. VII (Ordre de bataille) wird die römische Schlachtordnung vermittelt. Rohan evoziert zunächst den problematischen Diskussionszusammenhang, denn es gebe unterschiedliche Meinungen zur römischen Schlachtordnung (ordre de bataille).120 Die einen wollen, dass die Hastaten den Angriff der Feinde auffangen, indem sie sich zwischen die Reihen in den ordo der Principes zurückzögen, und diese beiden wiederum in den ordo der Triarier und so den Kampf dreimal erneuerten, während die anderen die Ansicht vertreten, dass es durch einzelne Trupps geschehe, welches er für wahrscheinlicher halte: denn die Umsetzung der ersten Theorie halte er nicht nur für unmöglich, sondern auch für nachteilig. Die andere hingegen erachte er als praktikabel und sehr nützlich, zumal mehrere Korps, von denen jedes annähernd zwanzig Mann umfasst, die ein Bataillon angreifen, es leicht vernichten können. In Kapitel VIII des Parfaict capitaine wird die römische Schlachtordnung der griechischen vorgezogen. Rohan folgerte, dass die Waffen und die Ordonnanz der Römer der der Griechen überlegen seien, denn die kleinen Truppen passen sich im Verhältnis zu den großen besser an alle Lagen an. Auch haben sie den Vorteil zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu kämpfen, was dazu führe, dass die Schlacht ausdauernder bzw. hartnäckiger geführt werden könne, als wenn man auf einmal die gesamten Truppen zum Einsatz bringe.121 Schließlich ließe sich einfacher, schneller und geordneter aus mehreren kleinen Truppen eine große bilden als aus einer großen mehrere kleine.122 Rohan räumte jedoch ein, dass die griechische Kriegskunst sich besser mit den modernen Waffengattungen vertrage; die Waffen der Griechen ähneln den modernen Waffen (Schwert, Pike, Muskete) mehr als die römischen.123 Dieses Paradox, dass er die 120 121

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Ebd., S. 199: »diversite´ d’opinio(n)s sur l’ordre de bataille des Romains.« Ebd., S. 217f.: »ie conclues que les armes & Ordres des Romains sont meilleurs que ceux des Grecs: pource que les petites troupes s’accommodent mieux a` toutes assiettes que les grandes; que combattans a` diuerses fois, on opiniastre plus les batailles, que quand l’on combat a` la fois, & qu’il est plus facile de faire promptement, & sans desordre de plusieurs petites troupes vne grosse, que d’vne grosse en faire plusieurs petites.« Ebd. Ebd., S. 227f.: »Les armes plus ordinaires de l’Infanterie du temps present, sont pour la defensiue le pot, la cuirasse, & les Tassettes: & pour l’offensiue l’espe´e, la picque & le mousquet, qui sont plustost les armes des Grecs que des Romains. Surquoy il faut remarquer que nos mousquets nous serue(n)t comme faisoient les armes armes de iect aux anciens; si bien que le corps de la bataille consiste aux

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Phalanx im Hinblick auf die Taktik verwarf und die modernen Waffengattungen als den griechischen ähnlich betrachtete, zeigt, dass er das an der griechisch-byzantinischen Militärtheorie entwickelte oranische Waffenexerzieren und die römische Quincunx nach Lipsius theoretisch nicht assimiliert hat. Er schildert auch, dass die Arquebuse a` meche die Infanterie in den konfessionellen Bürgerkriegen zerstört hat und dass Moritz von Oranien die Targe eingeführt hat.124 Gleich Wilhelm Ludwig von Nassau125 diskutierte Rohan die Schlacht von Cannae. In der Kritik von Wilhelm Ludwig von Nassau werden zwei Punkte abgehandelt, die auch für Rohan von zentraler Bedeutung sind: Der erste Punkt bezieht sich auf die Truppengröße und -dichte: Die Römer kämpften in kleinen, gedrängten Truppen. Der zweite Punkt, der hier zum Tragen kommt, betrifft die Intervalle. 126 Als Anhänger der Grundsätze Moritz von Oraniens wünschte sich Rohan Infanterieregimenter zu 1440 Mann, zusammengesetzt aus 600 Spießträgern, 600 Musketieren und 240 Rondartschieren (Schildträgern).127 Rohan plädierte für eine Verkleinerung der Truppenkörper, d. h. schmälere, kleinere Körper, die ein Bataillon wirksam aufzulösen vermögen. Das antike Modell – im vorliegenden Fall die Schlacht von Zama: Scipion l’Africain y remporta sur Hannibal la victoire qui mit fin a` la deuxie`me guerre punique (202 v. Chr.) – bezeugt, dass die in Kohorten disponierte Schlachtordnung einer in Reihen (files) aufgestellten Schlachtordnung überlegen ist. Die von Rohan verworfene Auffassung ist wie folgt: Um sich in Reihen (file) zu gliedern, müssen die Hastaten in der Breite (large a` large) kämpfen, so dass sich zwischen zwei Reihen (files) immer zwei weitere logieren können. Hierin liegt die Instabilität

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picques, qui est vne arme tres propre pour resister a` la cauallerie, pource que plusieurs ioinctes ensemble fon tvn corps fort solide & tres difficile a` rompre par la teste a` cause de leur longueur, desquelles il s’en trouue quatre ou cinq rangs, dont les fers outrepassent le front des soldats, & tiennent tousiours les escadrons de cauallerie esloignez d’eux, de douze ou quinze pieds. Maurice Prince d’Orange a eu grande enuie de se seruir de la Targe.« Ebd., S. 230f.: »l’arquebuse a` mesche on l’a aussi comme delaisse´ pour ce que dans les guerres ciuiles elle ruinoit l’Infanterie.«; S. 228: Versuch der Einführung der Targe durch Moritz von Oranien. Vgl. Hahlweg: Wilhelm Ludwig von Nassau und das Cannae-Problem, S. 137–242; Der Originaltext befindet sich in den Archives ge´ne´rales du Royaume Brüssel und ist in die Anlagen des Kb, S. 647f. aufgenommen. Kb, S. 647: »1. Que les Romains ont combattu serres et par petites troupes, ou par trois charges entie`res l’une apre`s l’autre. […] 3. Weill in der schlachtord[nung] intervalla seyndt, ob solche groß, wan die musquetirer herfür und neben di picquen geführet werden, gleichwohl noch intervalla bleyben. Item, ob nicht jedes fähnlein eyne kleyne gaß zwischen sich behält, umb wieder zu laden und sich hinden anzuhencken, oder ob das bataillon gantz geschlossen ist.« PC, 227ff., zitiert in: Friedrich Pieth: Die Feldzüge des Herzogs Rohan im Veltlin und in Graubünden, Bern 1905, S. 131.

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(debilite´) dieser ersten Ordnung begründet. In der Schlacht kann sie ein Bataillon weder umwerfen (renverser) noch unterstützen. Auch können die so entfernten Reihen sich, während sie kämpfen, nicht aufrecht erhalten und ihre Abstände einhalten. Die von Rohan gutgeheißene Ordnung hat folgende Vorteile (utilitez): Mehrere corps zu je etwa 120 Mann greifen ein Bataillon an, das sie leicht auflösen können. Sie können sich, ohne aus der Ordnung zu geraten und ohne ihre Abstände aufzugeben, zurückziehen. Die zweite, nachfolgende ordre kann die Distanzen leicht füllen. Dies gilt auch für das dritte corps, das an die Stelle des zweiten tritt. Fernerhin belegt dies die Beschreibung (description) der Schlacht von Zama, die Scipio gegen Hannibal führte. Scipio stellte die Kohorten der Principes, die gegenüber den Intervallen der hinter ihnen stehenden Hastaten standen, um einen Durchgang für die Elefanten zu lassen, was deutlich macht, dass die Schlachtordnung in Kohorten und nicht in Reihen angeordnet war.128 Die Problematik bei Rohan bezieht sich auf den Gegensatz von Kohortenstellung oder einer Aufstellung in Reihen (files). In Kap. X folgen dann Bemerkungen über einige antike Schlachten. Dort wird die Idee der Einzingelung des Feindes aufgeführt. Bemerkung hinsichtlich der Schlachtordnung sind auch dem Kap. XI zu entnehmen, die in der Tradition Polybios’ einen Vergleich der Waffen und militärischen Ordonnanz (ordre militaire) der Römer mit derjenigen der Griechen enthält. Bezeichnend für das taktisch-theoretische Schlachtenmodell Rohans ist, dass es an jeder Stelle klar für das römische Modell optiert, was auch damit zusammenhängen mag, dass die Quellenlage hinsichtlich des griechisch-byzantinischen Modells unsicher ist. Eine große Bedeutung in der Anordnung der Schlachtordnung gestand Rohan, wie bereits in der Entwicklung des römischen Modells, der Aufteilung und stufenweisen Einsetzung der Soldaten in der Schlacht zu. Eine Reservetruppe sei sehr wichtig. Doch Rohan ging darüber hinaus, er schlug vor, nicht nur eine Reservetruppe, sondern eine ganze zweite und eine vollständige dritte Schlachtordnung einzusetzen. Hier wird der Sprung von den Reservetruppen zu einer acies, die, wie die der Römer (Hastaten, Principes, Triarier), drei Regimenter in Folge zum Einsatz bringt, vollzogen. Rohan führte die chronologische Perspektive in die Darstellung der römischen Taktik ein. Den Beginn macht Romulus. Man wählte in der Regel vier Legionen (zwei pro Konsul). Bei Machtzuwachs der Republik und bei Schwächung der Gesetze fanden sich unter Caesar in den galli128

Ebd., S. 200: »Scipion [...] fit metre les cohortes des Princes qui estoient vis a` vis des interualles des Hastaires derriere eux, afin de laisser des rues pour le passage des Elephans: ce qui monstre clairement que l’ordre de la bataille estoit dispose´e par cohortes, & non par files.«

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schen Kriegen bis zu zehn Legionen. Insgesamt gab es zehn Militärtribunen für jede Legion und diese teilten sich in Alte und Junge. Die Anzahl der Infanteriesoldaten variierte: von 3000, 3200, 4000 bis zu 6200. Auch die Kavallerie schwankte zahlenmäßig. Auch auf die Aushebung von Soldaten der mit den Römern Verbündeten ging Rohan ein: Man hebe eine vergleichbare Anzahl an Infanterie aus und das Doppelte an Kavallerie, so dass es in einer konsularischen Armee vier Legionen gehabt haben dürfte, zwei römische Legionen und zwei der Verbündeten.129 Die Tribunen wählten die Jüngsten und Ärmsten als Veliten, die weiteren als Hastaten, die Kräftigen als Principes, die ›Weisesten‹ (sages) als Triarier. Als Waffen werden aufgezählt: morion, petite rondache, dards, l’espe´e, archers, targues, haute de quatre pieds, la salade, le gardecoeur, cuirasse. Rohan folgte dem Schema der triplex acies (Hastaten, Principes, Triarier). Die Veliten, seit der Belagerung von Capua in Gebrauch, bildeten keinen isolierten Körper, sondern waren sowohl in der Schlachtals auch in der Lagerordnung mit den drei anderen (ordres) vermengt. Im Kap. II steht die Unterteilung (compartiment) einer Legion in 4200 Fußsoldaten und 300 Kavalleristen im Zentrum der Betrachtung. Die politisch-strategische Bedeutung der Schlacht und ihre Zuordnung zu einem römischen Begriff der Kriegswissenschaft (science de la guerre) Obgleich in der Kriegspraxis seiner Zeit die Belagerungen über die Schlachten dominierten, plädierte Rohan für die Schlacht als vorzuziehende Aktion.130 Die Perser und Türken praktizieren Schlachten. Auch in Deutschland habe man erfolgreiche Schlachten beobachten können,131 von denen eine alle Protestanten unterwarf – Rohan dachte hier möglicherweise an die Schlacht am Weißen Berg (8. Nov. 1620).

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Ebd., S. 168: »dont on leuoit pareil nombre d’Infanterie, & le double de Caualerie, si bien qu’en vne arme´e Consulaire il deuoit y auoir quatre Legions, deux Romaines, & deux des allies.« Notwendigkeit einer Militärwissenschaft, die sich der Schlacht annimmt: PC, S. 258: »C’est pourquoy encor que la maniere de guerre d’auiourd’huy ne soit point si frequente a` hazarder les batailles que par le passe´, il ne faut pas pourtant en negliger la science.«; die ausgesprochen machtpolitische Bedeutung der Schlacht: ebd., S. 258: »mesme parmy les Chrestiens nous auons veu depuis peu donner diuerses batailles en Allemagne, dont vne seule auoit comme asseruy tous les Princes Protestans.«, ebd., S. 265: »Or pource que le gain & la perte des batailles trainte apres soy de telles consequences, qu’elle donne ou oste les Empires tous entiers; on s’est resolu d’opposer des places fortes aux conquerants pour arrester auec peu de gens leur premiere furie, & ruiner leurs arme´es.« Vgl. ebd., S. 258.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Die politisch-strategische Bedeutung der Schlacht, wie sie in der Vergangenheit aufgetreten war, hob sich von der Kriegspraxis seiner Zeit ab. Ist die politisch entscheidende Schlacht ein Ausnahmezustand, so soll dennoch deren Wissenschaft nicht vernachlässigt werden. Die Schlacht bildete im Denken Rohans ein politisches Mittel, das losgelöst von der Reputation auftritt und dessen effizienter Einsatz durch pragmatisches Handeln gesteuert werden kann. Dabei zielt die Kriegswissenschaft (science de la guerre) in erster Linie darauf die Handlungsinitiative zu erlangen und zu bewahren, so dass man sich nie den Kampf aufzwingen lassen muss.132 Rohan zufolge bestehe die Wissenschaft des Generals (science du general) nicht so sehr darin, die Truppen aus der Unordnung und Zerstreuung zu führen, was eigentlich nur eine durch den Mut motivierte Handlung sei (action de courage), als vielmehr die Truppen im richtigen Moment nacheinander und nicht alle auf einmal kämpfen zu lassen.133 Rohan forderte die Kriegswissenschaft (science de la guerre), die Befolgung der Ordonnanz (observation de leur ordre), die Verschanzung des Lagers (retranchement de leur camp), die exakte Befolgung der militärischen Disziplin (observation exacte de la discipline militaire) und eine natürliche Tapferkeit (vaillance oder auch vaillance naturelle) als Kompetenzen des Generals ein.134 Die Kriegswissenschaft (science de la guerre) richte sich wesentlich auf die Erlangung der Handlungsinitiative (»car la science de la guerre consiste principalement a` ne combattre que quand on veut«135). Die Besonderheit der militärwissenschaftlichen Systematik ist, dass sie die Instrumente berücksichtigt, die die Handlungsinitiative in einem Feldzug gewährleisten. Diese Kenntnis scheint der Praxis und den Konzeptionen der hugenottischen Militärwissenschaft der Religions- und Bürgerkriege entlehnt. Um die Handlungsinitative zu haben, müsse man über eine zuverlässige Logistik (ordre des vivres) verfügen, in der Waffenhandhabung gut geübte Soldaten haben und die Befolgung aller Ordonnanzen (ordres) sowie die Kenntnis der Erstellung von Verschanzungen (scavoir bien faire ses retranchements) gewährleisten.136 In der Darlegung der Disziplin der Griechen, d. h. der griechischen Kriegsverfassung, griff Rohan einen Gegenstand auf, der weder in die 132

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Ebd., S. 117: »car la science de la guerre consiste principalement a` ne combattre que quand on veut.« Ebd., S. 262: »la science du General d’arme´e n’est tant a` rallier des troupes en desordre & esperdue¨s (qui n’est proprement qu’vne action de courage,) comme a` faire combattre ses troupes bien a` propos, les vnes apres les autres, & non toutes a` la fois.« Ebd., S. 35. Ebd., S. 117. Ebd.

4. Systematik

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engere semantische Systematik des Disziplinbegriffs fällt, noch dem historisch-philologischen Diskurs zuzuordnen ist. Er stellte machtpolitische Reflexionen an. Die Militärverfassung der Griechen sei aufgrund ihres wirtschaftlichen Potentials und der föderativen Struktur defensiv gewesen. Sie habe der Bewahrung der Freiheit und nicht dem Wachstum gedient.137 In den militärtheoretischen Diskurs flossen nicht nur seine Überlegungen zu einer offensiven Strategie in einer zentralisierten monarchischen Verfassung ein. Diese Überlegungen verbanden sich auch mit der These, dass lediglich die Zentralisierung militärisch-technokratischer Kompetenzen zu effizienten Militärreformen führen könne, d. h. die Idee der monarchischen Zentralisierung/des politischen Absolutismus tritt nicht nur im Zusammenhang mit dem in einem politisch-militärischen Disziplinbegriff/Praxis der Disziplin wurzelnden strategischen Entwurf auf, sondern bezieht sich auch auf eine effizientere Durchsetzung militärisch-technischer Reformen, wie sie beispielsweise der oranische Statthalter Moritz aufgrund der Verfassung der Generalstaaten nicht zu leisten vermochte. Die Maximen der römischen Kriegskunst werden auch im ersten Teil des Parfaict capitaine in den Kommentaren der Schlachten Caesars entwickelt. So erklären sich die Siege der Römer weder durch ihre große Zahl noch durch ihre Tapferkeit (vaillance), sondern durch die Kriegswissenschaft (science de la guerre), die sie beständig praktizierten, durch die Befolgung ihrer Ordnung und durch die Einfassung (retranchement) ihrer Lager.138 Die Verschanzung (retranchement) ist ein wichtiges Moment in der Feldkriegstheorie Rohans, denn in ihm ist die Idee angelegt, die Vorteile einer mobilen Armee mit denjenigen von Festungen zu verbinden. Das ›retranchement‹, scheint der eigentliche Kern militärisch-taktischer Effizienz im Denken Rohans zu sein. So formulierte er beispielsweise im Rahmen des strategischen Diskurses gegen Ende des Parfaict capitaine: Wenn sich die Streitkräfte (forces) nicht disproportional zu den eigenen verhalten, so könne man das eigene Land bewahren, ohne es aufzugeben, indem man mit der Armee und den Festungen den Feind erschöpfe, die Versorgung abschneide und sich immer in dessen Nähe verschanze, 137

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Ebd., S. 159f.: »Il est bien vray que la constitution de ces Republiques estoit plus propre pour maintenir heureusement leur liberte´, que pour s’accroistre. Car encor qu’ils s’addonnassent tout aux armes, & que nuls n’en fussent exempts; la pauurete´ & le petit nombre de soldats de chaque Republique a` part, les empeschoit de faire de grandes progre´s; comme aussi leurs diuisions; estant difficile que tant de Republiques souueraines se puissent accorder; sinon pour vne necessite´ commune de se deffendre […] mais non pour vne co(n)queste; ou` on se peut accorder, ny des commandemens, ny des partages des choses conquises.« Ebd., S. 12.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

so dass er keine bedeutsame Belagerung unternehmen könne: Denn, wenn ein Eroberer nicht vorrücke, geht er zurück; es sei ihm unmöglich in dem Land, das er erobern wolle, zu bestehen, wenn es ihm nicht gelinge eine wichtige Festung einzunehmen, wenn man auch von einer Macht angegriffen werde, die sich zu den eigenen Streitkräften disproportional verhält.139 Rohan präzisierte die Bereiche dieser Wissenschaft (science), nämlich eine gute Ordnung der Versorgung der Armee (Logistik), in der Waffenhandhabung und den unterschiedlichen Ordonnanzen, geübte Soldaten und gute Kenntnisse der Soldaten beim Errichten von Verschanzungen.140 Demnach soll dem Akzidentellen, Zufälligen in der Kriegführung kein Raum mehr gegeben werden. Die acies steht folglich in Verbindung mit den militärischen Praxisbereichen respektive einzelnen militärischen Handlungen sowie dem Disziplinbegriff. Im Zusammenhang dieser allgemeinen Theorie führte Rohan sieben zentrale Maximen an, die, käme es denn zur Schlacht, berücksichtigt werden sollen. Vor dem Erfahrungshorizont der modernen Kriegführung unterstrich er die Bedeutung von Reservetruppen. In dieser Hinsicht wird sowohl die Abweichung vom als auch der Modellcharakter des römischen Modells in der Schlachtordnung der Gegenwart deutlich.141 Diese Thesen zur Schlacht gehen nicht auf seine eigenen, in den Operationen in den Cevennen und auf andere Kriegsschauplätzen in Frankreich gemachten Erfahrungen zurück. In den Memoiren142 werden keine offenen Feldschlachten dargestellt, sondern vornehmlich Hinterhalte143 139

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Ebd., S. 360f.: »si c’est par des forces qui ne soient pas trop disproportionne´es aux vostres, vous pouuez sans deserter vostre paı¨s le conseruer, & auec vostre arme´e & vos forteresses consommer l’ennemy, en luy incommodant ses viures, & se retranchant tousiours si proche de luy que vous luy empeschiez de faire aucun siege d’importance: car si vn conquerant n’aduance, il recule, & luy est impossible de subsister dans vn paı¨s qu’il veut conquerir si d’abord il n’y prend pied, & ne s’y affermit par quelque prise considerable, si aussi vous estes attaquez par vne puissance du tout disproportionne´e a` vos forces.« Ebd., S. 117: »& pour ce´t effect faut donner bon ordre aux vivres, bien exercer les soldats au maniement de leurs armes, & a` l’observatio(n) de tous ordres, & sc¸auoir bien faire ses retranchements.« Vgl. Ebd., S. 260f. Henri de Rohan: Me´moires du duc de Rohan sur les choses advenues en France depuis la mort de Henri-le-Grand jusques a` la paix faite avec les Re´forme´s au mois de juin 1629. Augmente´s d’un quatrie`me livre (Collection des Me´moires relatifs a` l’histoire de France, Bd. 18). Hg. v. Petitot, Paris 1822. Ebd., S. 187: »[...] il se trouva en embuscade a` une lieue de Tonneins avec six ou sept vingts maıˆtres arme´s de toutes pie`ces, en trois troupes, qui les laisse`rent passer; puis apre`s, la premie`re troupe prit la queue, la seconde vint en flanc, et la dernie`re, plus forte qu’aucune, vint au milieu pour les soutenir. Le marquis de La Force, a` qui il fit mettre pied a` terre, et quelque trente chevaux ou` il n’y avoit que dix cuirasses.

4. Systematik

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und die Einnahme von Festungen.144 Die eigene Praxis war von Kampfformen wie dem kleinen Krieg und später dann, in den Feldzügen in Graubünden, durch die guerre de montagne bestimmt. Lassen sich hinsichtlich der Schlachtordnung Bezüge zwischen der Option für das römische Modell, die Analyse der gegenwärtigen Kriegführung im Verhältnis zur Kriegführung in der jüngeren Vergangenheit und die konzeptuell-pragmatische Ausdeutung des effizienten Einsatzes der Schlacht und der römischen Schlachtordnung als möglicher Matrix für eine politisch wirksame Kriegführung herstellen, so gilt dies nicht für den Festungs- und Belagerungskrieg, bei dem keine unmittelbaren Bezüge von antikem Modell und modernen Theoremen und Maximen auftreten. Im Parfaict capitaine (IX) zitierte Rohan die Belagerung Alexias durch Caesar als selbst von Moritz von Oranien und Spinola unerreichtes taktisches Modell und plädierte, trotz der technischen Innovationen (mines, machines foudroyantes), für die römische Praxis. In Kap. VIII des Traite´ de la guerre führt er konkrete Festungsbauregeln an. Man müsse bei den Festungen vier Hauptregeln beachten, nämlich, dass die Verteidigungslinie nur in Reichweite der Muskete sei, dass der angle flanque´ nicht mehr als neunzig und nicht weniger als sechzig Grad geöffnet sei, dass der Hals der Bastion nicht zu eng sei und dass die Flanke am größten sei.145 In Kapitel XI (De l’attaque par sieges) sieht er sich veranlasst, die gängige Verteidigung der Schanzen (tranche´es) zu korrigieren.146 Schließlich räumt er in Kap. XII ein, dass die Artillerie in einer gewissen Weise die Art der Kriegführung verändert habe. Eine gut ausgerüstete, disziplinierte, geduldige, gut verschanzte und gut logierende Armee von 30 000 bis 40 000 Mann kann starke Armeen durchaus auseinandersprengen, die mangels Versorgung sich selbst zerstören.147 Im Parfaict capitaine liegen zwei Disziplinbegriffe vor. In dem auf die narrative Struktur des Caesar-Kommentars folgenden, nach sachlichen Gesichtspunkten geordneten Abschnitt – hier manifestiert sich die Patri-

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Ledit marquis donne avis a` Rohan et a` La Force que les ennemis marchoient a` lui; ils tournent et l’approchent, et lui commandent de charger […].« Ebd., S. 224: »[1622] Ainsi prit fin cette tentative des partisans de Chaˆtillon pour le remettre dans le parti en cre´dit. Apre`s quoi Rohan allant a` Montpellier, mit hors de la ville quinze ou seize des principaux partisans de Chaˆtillon, et donna tout l’ordre ne´cessaire, comme il avoit fait a` Montauban, pour soutenir un sie´ge, tant pour les munitions de guerre et de bouche que pour les fortifications.« PC, S. 266f.: »L’on doibt obseruer aux forteresses quatre choses principales; a` sc¸auoir, que la ligne de deffence ne soit que de la porte´e du mousquet; que l’angle flanque´ ne soit ouuert de plus de nonante degrez, ny serre´ de plus de soixante, que la gorge du bastion ne soit trop estroicte?; & que le flanc soit le plus grand qu’on pourra.« Ebd., S. 305. Vgl. ebd., S. 17.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

zi-Rezeption Rohans – wird der römische Disziplinbegriff als Oberbegriff für die folgenden Kapitel der Rekrutierung verwendet. Rohan bewegte sich auf zwei Diskursebenen bei der Entwicklung der Konzeption der discipline: eine systematische und eine historisch-kritische. Hauptmerkmale seiner Disziplin, die er inhaltlich-systematisch nicht exemplifizierte, sondern über die daraus hervorgehenden Aktionen definierte, sind: Belohnung, Bestrafung, Exerzieren, Ordnung, militärische Disziplin. Disziplin (Kap. III) und Gehorsam (Kap. IV) bilden zwei getrennte Kapitel. Aus dem Gehorsam, dem ein zentraler Platz in der Entwicklung des Disziplinbegriffs (bereits in Kap. III) eingeräumt wird, leitet sich die Ordnung ab. Durch die Disziplin erhalte sich das militärische Exerzieren. Sie impliziere den Gehorsam und damit einen Begriff militärischer Hierarchie. Konkrete Hierarchievorstellungen werden in dem Abschnitt über die Rekrutierung der Soldaten im Traite´ de la guerre behandelt. Die Rekrutierung soll dem sehr guten römischen Modell folgen.148 Aufstiegswillige und nach Ehre Strebende (gens d’honneur et d’ambition) sollen kein Amt im Königreich, im maison du Roi oder unter den gens de guerre erhalten, wenn sie nicht eine gewisse Anzahl von Jahren in den bandes als Soldat gedient haben. Keiner solle zum Maistre de camp ernannt werden, der nicht erst capitaine de cavallerie gewesen sei, und keiner Mareschal de camp, der nicht ehrenhaft andere Ämter ausgeübt habe; keiner General, der sich nicht des Amts des Mareschal de camp würdig erwiesen habe. Im Kap. 17 über die militärischen Ämter (charges militaires) werden die unterschiedlichen militärischen Grade dargelegt: Dem Capitaine General folgt der Lieutenant General oder Mareschal de camp General. Alle Funktionen in der Armee sind in vier Teile (Kavallerie, Infanterie, Artillerie, Vivres) eingeteilt. Die Kavallerie, die in Kompanien unterteilt ist, aus denen man Regimenter bildet, wird von einem Lieutenant General befehligt. In der Infanterie befehligt der Sergent de Bataille, der die Infanterie in Schlachtordnung bringt, die colonels; »Comme aussi les Sergents Majors de brigade doiuent estre pris des Sergents Majors des Regiments.«149 Auf Detailfragen des Exerzierens geht der Text nicht ein, denn diese verändern sich in der Praxis kontinuierlich. Er insistiert jedoch darauf, dass die Kenntnis der Waffenhandhabung von unbedingtem Nutzen sei.150 148 149 150

Ebd., S. 220. Ebd., S. 346. Ebd., S. 240: »je ne m’amuseray icy a` dire le particulier des exercices militaires qu’ont fait faire au soldat pource que les liures en sont pleins, & que l’vsage y change tousiours quelque chose: ie diray seulement qu’il n’y a rien si vtile que d’exercer chaque soldat a` bien porter les armes, a` s’en seruir; a` bien tenir son rang, & a` bien executer en iceluy tous les changements qui luy sont ordonnez.«

4. Systematik

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Das folgende Kapitel ist dem ›Gehorsam‹ gewidmet, der sich auf die permanente Aktivität der Soldaten zwecks Vermeidung der Trägheit (oisiviete´) bezieht. Denn diese korrumpiere die Sitten (moeurs) und die Disziplin (discipline). Rohan unterscheidet zwischen den anthropologischen Pendants, die der Kriegskunst/der ›Wissenschaft‹ bzw. der ›Disziplin‹ zuzuordnen sind. Daher besteht die Wissenschaft des Generals einer Armee nicht so sehr darin, die in Auflösung begriffenen und versprengten Truppen zusammenzuführen, was im eigentlichen Sinne nur ein Akt des Mutes sei, als vielmehr darin, die Truppen rechtzeitig, nacheinander und nicht alle auf einmal kämpfen zu lassen.151 Rohan subsumierte unter dem Begriff der ›römischen Disziplin‹ die Aushebung und Bewaffnung (Kap. 1), die Untergliederung einer Legion in 4200 Fußsoldaten und 300 Reiter (Kap. 2), die Marschordnung (Kap. 3), die Lagerordnung (Kap. 4), die Ordonnanz und Bewachung des Lagers (Kap. 5), Belohnung und Bestrafung (Kap. 6), den Sold (Kap. 7), die Schlachtordnung (Kap. 8) und die Belagerung (Kap. 9). Bei Rohan deutet sich eine auch systematische Trennung zwischen science und discipline an, wie sie das ›System des modernen Krieges‹ kennzeichnet. So schreibt Chagniot, dass, wenn Roberts die Verteidigung des Systems des modernen Krieges, die De´fense du syste`me de guerre moderne von Jacques Antoine Hippolyte de Guibert gelesen hätte, er ein zusätzliches Argument, welches seine These stützt, gefunden hätte. Der Graf de Guibert schätzte tatsächlich, dass zu Zeiten des Herzogs von Parma, der Nassau-Oranier und Gustav Adolfs die Kriegskunst ihr Gesicht verändert habe: man begann das Gewicht auf die Positionierung, auf die Verschanzungen und die Kriegsplätze zu legen. In den Kriegen von Flandern ereignete sich diese Revolution, denn die Holländer, die immer in gleicher Stärke gegen die Spanier kämpften, waren dazu angehalten, sich durch die Kriegskunst und die Disziplin zu bestärken. Ihnen ist das moderne Befestigungssystem, der Gebrauch der Verschanzungen, die man auf den Feldkrieg anwandte, und schließlich die ersten Züge dieser Art der Kriegführung, mittels derer man mit unterlegenen Kräften, befördert durch die Hindernisse des Landes und die Ressourcen der Kunst, verteidigt, verzögert und die Invasionen gegenüber überlegenen Armeen abwehrt, zu verdanken.152 151

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PC, S. 262: »C’est pourquoy la science du General d’arme´e n’est tant a` rallier des troupes en desordre & esperdue¨s (qui n’est proprement qu’une action de courage,) comme a` faire combattre ses troupes bien a` propos, les vnes apres les autres, & non toutes a` la fois.« Vgl. Jean-Paul Charnay (Hg.): Comte de Guibert. Strate´giques, Paris 1977, S. 558, zitiert in: Chagniot: Guerre et socie´te´ a` l’e´poque moderne, S. 275: »Si M. Roberts avait lu la De´fense du syste`me de guerre moderne, il y aurait trouve´ un argument supple´mentaire en faveur de sa the`se. Le comte de Guibert estimait en effet qu’a` l’e´poque ‹du prince de Parme, de Nassau, de Gustave, l’art (militaire) changea de

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

C) Fazit Hier liegen zunächst zwei Interpretationsvarianten der Strategie und Militärpolitik der Nassau-Oranier und der Generalstaaten vor. Diejenige von Lenormant hebt auf eine neorömische, polybianische strategische Kreislehre ab und sieht im äußeren Kreis, einer Kriegführung unter dem Oberbefehl des französischen Königs, die Möglichkeit einer Kriegführung unter Vermeidung von Schlachten. Neben dem Inte´reˆt des Princes verdeutlicht Lenormants Re´tablissement de la milice de France, dass die nach dem Frieden von La Rochelle auftretenden Machtstaatskonzeptionen nicht vom politischen Neustoizismus und dessen politisch-militärischer Systematik geprägt waren, sondern von der Perzeption des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Systems der Generalstaaten und der polybianisch-livianischen strategischen Theoreme. Es handelt sich um einen der wenigen Texte, die die niederländische Kriegspraxis militärisch-strategisch und empirisch und nicht ausschließlich taktisch oder über das antike Modell oder rein intellektuell assimilieren. Die Interpretation des Rohan bedient sich zunächst der Sprache italienischer militärischer und politischer Kultur und schließt an die Theorie eines Feldkrieges (guerra campale) an. Sie weist Bezüge zur Militärtheorie der Nassau-Oranier auf, wenn es um die Aneignung römischer Treffentaktik geht. Seine Distanz zum griechischen ordo, trotz der Einsicht, dass die modernen Waffen eher der griechischen Ordonnanz entsprechen, begründete Rohan mit der mangelhaften theoretischen Erforschung griechischer taktischer Theoretiker. Rohans Einsicht in die Forschungsdefizite im Hinblick auf den griechischen ordo und die Treffentaktikthese, seine historischen Kriterien folgende Einsicht in die historischen Mutationen der römischen Legion verweisen auf eine weitere Deutungsebene der oranischen Militärtheorie als eines Phänomens dynastischer militärpolitischer Kultur, die es an anderer Stelle eingehender darzulegen gilt. Die beiden genannten Interpretationsvarianten differieren jedoch dahingehend, dass die rohansche entgegen der Natur der Kriegführung seiner Zeit, die Schlacht als zentrales Mittel der Kriegführung betrachface: on commenc¸a a` mettre de l’importance et du prix aux positions, aux retranchements, aux places de guerre. C’est aux guerres de Flandre que nous devons cette re´volution, parce que les Hollandais, luttant toujours contre les Espagnols a` nombre ine´gal, furent oblige´s de se renforcer par l’art et par la discipline. C’est a` eux que l’on doit le syste`me de fortification moderne, l’usage des retranchements adapte´s a` la guerre de campagne et enfin les premiers e´le´ments de ce genre de guerre, au moyen duquel, avec des forces infe´rieures, aide´es des obstacles du pays et des ressources de l’art, on de´fend, on retarde, on empeˆche les invasions contre des arme´es supe´rieures›.«

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tete; Lenormant sah hingegen in der Theorie des äußeren Kreises eine Möglichkeit der Vermeidung von Schlachten. Sowohl Lenormant als auch Rohan setzten sich hinsichtlich der theoretischen Begründung der strategischen Position von den holländischen Doktrinen einer defensiven Kriegführung ab. Mit dem caesarischen Strategen und der Diagnose einer noch kaum erforschten griechischen Taktik verwies Rohan auf Forschungsdesiderate, die sich die Humanisten zu beheben anschickten. Der theoretisch inkohärtente Parfaict capitaine (disciplina-Konzeption) weist, die noch nicht hinlänglich durchgearbeiteten und einer Lösung zugeführten Grundlagen der Kriegführung auf, die Saumaise sich anschickte im Abre´ge´ de la milice des Romains zu beheben. Dazu gehörte auch die Treffentaktik, die offensichtlich noch keiner Lösung zugeführt war, die Einsicht, dass die römische Legion und acies Veränderungen unterlag, der noch kaum erforschte ordo der Griechen, die Angleichung der holländischen Begriffe an die Hierarchie des französischen Militärs und die in beiden Ansätzen, dem von Lenormant und dem von Rohan gegebene, offensive Doktrin. Rohan steht exemplarisch für die nach Lipsius offensichtlich philologisch keiner Lösung zugeführte Treffentaktik. Dass um 1635 im Rahmen der westeuropäischen respublica literaria eine weitere Konzeptualisierungsangstrengung unternommen wurde, das verdankt sich nicht zuletzt dem offenen Eintreten Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg und den Operationen französischer Militärs im Verbund mit den Truppen der Republik der Vereinigten Niederlande.

2. Die Pläne einer Kriegsoffensive und die koordinierten militärischen Operationen holländischer und französischer Truppen ab 1635 Tatsächlich lässt sich ein Zusammenhang zwischen einer offensichtlichen Lösung der Patt-Situation des Krieges im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation durch einen strategischen Plan, der mit einem relativ kurzfristigen dreijährigen Feldzug rechnete, und einer erneuten militärwissenschaftlichen Konzeptualisierungsleistung festhalten. Am 5. Juni 1634 legte Franc¸ois van Aerssen den Plan vor, Frankreich dazu zu bewegen, Spanien in den Niederlanden anzugreifen und wies die Verknüpfung dieses Ereignisses mit dem Verlauf des Krieges in Deutschland auf. Seine Exzellenz sei der Auffassung, dass der wahre und der schnellste Weg, die Macht Österreichs zu brechen, darin bestehe, mit dem König von Spanien zu brechen und diesen im Verbund mit den Generalstaaten anzugreifen. Davon hänge der Kriegsverlauf (e´ve´nement de la guerre) ab, der sich mit so vielen Schwankungen in Deutschland ereigne.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

Das Unternehmen sei weder gewagt noch lange. In drei Jahren könne das Ende herbeigeführt werden. Der vorgetragene strategische Plan gehe dahin, dass nicht Stadt für Stadt eingenommen werden solle, ergo eine an einem Festungs- und Belagerungskrieg orientierte Kriegführung aufgegeben werden, sondern eine Strategie verfolgt werde, die es ermögliche, alle auf einmal einzunehmen. Dies sei möglich, wenn Frankreich und die Generalstaaten sich strategisch-taktisch abstimmten und die Logistik der Spanier konterkarierten.153 Am 18. August 1634 schreibt van Aerssen an Friedrich Heinrich, dass der König von Frankreich dazu veranlasst werden solle, mit Spanien zu brechen.154 Dieses Zitat van Aerssens verdeutlicht die Pläne der Holländer, die gleichzeitig die strategischen Rahmenvorstellungen für die geplanten militärischen Operationen absteckten. Van Aerssen erhoffte sich von einem gemeinsamen Vorgehen der französischen Monarchie und der Generalstaaten eine Lösung auch der äußerst inkonstanten und unkalkulierbaren Kriegsvorgänge in Deutschland. Er dachte an einen kurzen Feldzug, der in höchstens drei Jahren zu einer politischen Entscheidung führen solle. Der Affekt der holländischen aber auch der französischen Eliten gegen die starre und kostenaufwendige Struktur des Festungskrieges und die Bevorzugung eines effizient konzertierten Vorgehens der französischen und holländischen Truppen im Verbund zur Überwindung des zeit- und damit auch kostenaufwendigen Festungsund Belagerungskrieges durch eine dynamische Struktur des Feldzugs, scheint in dieser strategischen Option zu wurzeln. Die militärisch-politischen Eliten, insbesondere Friedrich Heinrich von Oranien und dessen Diplomaten sahen den Unabhängigkeitskrieg der Generalstaaten in Verbindung mit den Kriegsereignissen, dem Verlauf der Operationen in Deutschland. So schrieb van Aerssen am 26. Juli 1637 an Friedrich Heinrich, dass der Rückzug der Schweden nach Pommern ihre Lage im Reich verschlechtern werde. Frankreich müsse bessere Hilfe leisten oder sich besser gegen die Folgen der Übereinkunft wappnen, denn alles 153

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Archives ou correspondance ine´dite de la maison d’Orange-Nassau. Hg. v. Guillaume Groen van Prinsterer, 2e se´rie, t. 3, S. 72, im Folgenden wird das gesamte strategische Konzept dargelegt: »Son Exc. tient que la vraye et plus courte voye de ravaller la grandeur d’Austriche (sic), en relevant celle de France pour tout jamais, seroit de rompre avec le Roy d’Espagne, et de l’assaillir vivement, et conjointement avec nous au Pays-Bas, de quoy de´pend l’e´ve´nement de la guerre qui s’entretient avec tant de variations en l’Empire. L’entreprinse n’est ny hazardeuse ny longue; trois ans et moins en feront l’effect; il n’est pas question d’y prendre ville apre`s ville, ains comme touttes a` la fois, sy concertons bien noz desseins ensemble; car, sy empeschons que rien n’entre ny sorte des Pays-Bas, comme il est ayse´ de faire, la disette de touttes choses les forcera de se rendre, il ne reste que d’achever ce peu qu’ilz tiennent encor sur la Meuse; et leur oster quant et quant la mer, en mettant d’entre´e du jeu le sie`ge devant Duynkerke.« Ebd., S. 72f.

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werde über Frankreich und über Friedrich Heinrich hereinbrechen.155 Damit wurden die Niederlande (Flandern) zum strategischen Epizentrum der französischen und holländischen Kriegführung in der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges. Im Unterschied zu den strategischen Vorstellungen der Niederländer, die die Bedeutung Flanderns für den Kriegsverlauf in Deutschland hervorhoben, war die französische Strategie mehrpolig angelegt. Sicher ist jedoch, dass die offizielle französische strategische Position, im Unterschied zu derjenigen der Römer und Türken, zur gleichen Zeit Angriffe an mehreren Fronten startete (Deutschland, Flandern, Graubünden, Italien). Doch anfangs legte auch Richelieu in den Krieg in Flandern besondere Hoffnungen, die jedoch unter anderem aufgrund der militärischen Inkompetenz Friedrich Heinrichs, wie es die Sichtweise Richelieus will, enttäuscht wurden. Obgleich der Krieg in Flandern nicht den Erfolg gehabt habe, den man sich davon versprach, so erschien es dennoch unmöglich, ihn in der Planung nicht als vorteilhaft zu betrachten.156 Richelieus Ansinnen war es offensichtlich, im Vorfeld des aktiven Eintritts in den Dreißigjährigen Krieg, die wenigen vorhandene Streitkräfte in Flandern zu konzentrieren, um wenigstens an diesem Kriegsschauplatz eine offensive Kriegführung zu ermöglichen, zumal die französischen Streitkräfte nicht hinreichten, eine offensive Kriegführung an mehreren Fronten zu beginnen.157 Die theoretische Option, eine Theorie des Feldkrieges weiterzuentwickeln, zu entwerfen oder auszubauen, korrespondiert mit der diplomatisch-strategischen Option von van Aerssen. Diese schreibt sich in die strategische Orientierung der Generalstaaten nach dem Tod Moritz von Oraniens ein, die von einer defensiven zu einer offensiveren Haltung übergingen. Die Generalstaaten waren mit der Einnahme von

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Ebd., S. 101: »La retraicte des Sue´dois vers la Pome´ranie va empirer nostre condition en l’Empire. La France les doibt mieux secourrir, ou s’armer plus puissamment contre les suittes de leur accord, car tout viendra fondre sur elle et sur V. A.« TP, S. 75: »Bien que celle de Flandres n’eust pas le succe`s qu’on en pouvoit attendre, il estoit impossible de ne la concevoir pas avantageuse en son projet.« Hermann Weber: Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele 1634/35. In: Konrad Repgen (Hg.), Krieg und Politik. 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien, 8), München 1988, S. 211: »Die Streitkräfte, die Frankreich aufbringen und finanzieren konnte, davon war Richelieu in dem Sommer-Avis ausgegangen, würden ein offensives Vorgehen nur an einer der drei möglichen Fronten erlauben. War diese Front Flandern, so mußte die Strategie dem Reich und Italien gegenüber defensiv bleiben. Aber selbst dafür reichten die 1634 vorhandenen Truppen nicht aus. Im August 1634 wurde mit Aushebungen begonnen, man hatte jedoch Schwierigkeiten, die notwendige Anzahl von Soldaten zusammenzubringen, und man hatte Ende des Jahres noch keinen Überblick über den effektiven Stand.«

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

s’Hertogenbosch (Sept. 1629) und der Einnahme von Maastricht (August 1632) zur Offensive übergegangen.158 Diese hat jedoch nichts mit einem Feldzug, wie er von den Franzosen beispielsweise in Savoyen geführt wurde, oder dem späteren ›grande guerre‹ gemein. Im Unterschied zur vorhergehenden defensiven Strategie errichteten die Generalstaaten einen Festungsgürtel an ihrer Ostund Südgrenze und besetzten strategisch gelegene Städte und Festungen außerhalb ihrer Grenzen, um den Gegner soweit als möglich von den Generalstaaten fernzuhalten.159 Letztendlich gelang es jedoch nicht, diese strategischen Absichten umzusetzen. In den einzelnen taktischen Entscheidungen folgte man realiter nicht einer zu Beginn umfassend angelegten Strategie. Auch der kleine Krieg und der Belagerungskrieg war beispielsweise für die Wintermonate 1635–1636 vorgesehen, zumal man sich auf die gut befestigten Grenzplätze der Generalstaaten verlassen konnte.160 Grundsätzlich wurde diese zweite Phase des Dreißigjährigen Krieges in der Forschung vernachlässigt – sei es hinsichtlich einer Rekonstruktion der operativen Ereignisse und der strategischen Optionen, sei es hinsichtlich der Aufarbeitung der militärischen Operationen.161 Am 23. April 1634 legte der französische König seine Vorstellungen nieder, die denjenigen von van Aerssen recht nahekommen. Die Befehlshaber der jeweiligen Armeen, der Prinz von Oranien und die französischen Marschälle sollen ihre Aktionen genau abstimmen. Ihre Aufgabe bestehe darin, den Gegner zu bekämpfen (combat). Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man sich soweit als möglich verbinden (attacher). Wenn die Feinde sich in einem Lager verschanzten, so dass man sie nicht 158

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Vgl. David A. Parrott: The Causes of the Franco-Spanish War of 1635–59. In: Jeremy Black (Hg.), The Origins of War in Early Modern Europe, Edinburgh 1987, S. 95. Zwitzer: The Eighty Years War. In: Van der Hoeven (Hg.), Exercise of Arms, S. 43f. Ms. f. fr., 3758, fol. 132, Lettre de Mr le mareschal de Chastillon a` Mr le prince d’Orange, escripte de Paris, le 5 octobre 1635: »qu’on se contentera de faire la petite guerre durant cet hyuer, et de tenter des surprises de places de part et d’autre.« Vgl. Croxton: Peacemaking, S. 21f.: »Historians have a long tradition of neglecting the last half of the Thirty Years’ War: in general works on the war, the years from 1618 to 1635 – which cover just over half the war – often get three-quarters or more of the coverage. […] Militarily, there is no modern account of the campagins of the last years of the war. […] Though tactics and strategy had evolved from the methods of Gustavus and Wallenstein, there is no general study of them, and correspondingly little understanding.« Ausgenommen Jan Willem Wijn: Military Forces and Warfare. 1610–48. In: J. P. Cooper (Hg.), The New Cambridge Modern History, Bd. 4: The Decline of Spain and the Thirty Years War. 1609–48/59, Cambridge 1970, S. 202–225. Unzulänglich: William P. Guthrie: The Battles of the Thirty Years War. From the Battle of Wittstock to the Treaty of Westphalia, Westport 2003.

4. Systematik

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mehr zum Kampf zwingen könne, so soll man versuchen, sie entweder auszuhungern oder sie in ihrem Lager bezwingen soweit die Kriegsraison dies zuließe.162 Demnach sollte es zu einer Fusion der beiden Truppen in einer von einem dynamischen Feldzug geprägten Kriegführung kommen, welche die Notwendigkeit einer neuartigen Durchstrukturierung nahelegt, einer Ordonnanz, die eine effiziente Kooperation der beiden nationalen Truppenkörper ermöglicht, zumal ein großer Wert auf die Fusion der beiden Armeen in der Schlachtordnung gelegt wurde.163 Dem Vertrag vom 8. Febr. 1635 zufolge sollten Frankreich und die Generalstaaten zwei Armeen von jeweils 25 000 Fußsoldaten und 5000 Reitern bereitstellen, um nach Gutdünken im Verbund oder getrennt zu operieren.164 Anfänglich war vorgesehen, dass die beiden Armeen ausschließlich im Verbund operierten, denn Richelieu schrieb an Charnace´ und Bouthillier, dass er nicht nachvollziehen könne, zu welchem Zweck man die Ordonnanz der Armeen verändert habe, die durch den letzten Vertrag festgesetzt war. Diesem zufolge sollten nämlich die Armeen immer verbunden sein.165 Es scheint daher ein Bedarf zur theoretischen Einfassung der Aktionen vorhanden gewesen zu sein, zumal die französischen Truppen, die schnell und massenhaft ausgehoben worden waren, der Disziplinierung bedurften.166 Darüber hinaus bestand möglicherweise ein ›Akkulturationsbedarf‹, wie ihn Lenormant bereits skizziert hatte; die holländische Befehlskultur ließ sich nicht ohne tiefgreifende Einschnitte auf die französische Ordonnanz übertragen. Bereits die Handschrift des aus Rouen stammenden Hugenotten Guillaume le Faulx, die Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien gewidmet war, verdeutlicht, dass es bereits zu Beginn der 30er Jahre des 162

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Ms. f. fr. 3758, fol. 38: »Les deux Arme´es estans joinctes S.M. estime que la premiere fin que lon doit auoir, Est de combattre les Ennemis, A quoy il se faut attacher autant qu’il sera possible. Si les ennemis se mettent en estat par quelque Campement qu’on ne puisse les contraindre a combattre, En ce cas Il faut tascher ou de les affamer et faire par ce moyen, ou de les forcer dans leur Campement si la raison de la guerre leur permet.« Ebd., fol. 38v. Henri Lonchay: La Rivalite´ de la France et de l’Espagne aux Pays-Bas. 1635–1700. E´tude d’histoire diplomatique et militaire, Brüssel 1896, S. 68. Vgl. Avenel, IV, 645, zitiert in: Jean de Pange: Charnace´ et l’alliance franco-hollandaise. 1633–1637. Pre´face du marquis de Charnace´, Paris 1905, S. 120: »Richelieu e´crivit donc a` ses deux commissaires Bouthillier et Charnace´: ›Messieurs Bouthillier et de Charnace´ se souviendront que je n’entends pas a` quelle fin on a change´ l’ordre des arme´es porte´ par le dernier traite´, par lequel elles devoient toujours estre conjointes‹.« Vgl. Henri de Campion: Me´moires de Henri de Campion suivis de Trois entretiens sur divers sujets d’histoire, de politique et de morale. Hg. v. Marc Fumaroli, Mercure de France, Paris 1967, S. 61.

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I. Militärtheorie und strategischer Kontext

17. Jahrhunderts zu einer Durchdringung oder zumindest gegenseitigen Kenntnis holländischer und französischer taktischer Methoden kam.167 Die gemeinsamen Operationen von holländischen und französischen Truppen in Flandern respektive an der Nordgrenze Frankreichs gingen über das Jahr 1642 und die 1644 beginnenden Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Spanien hinaus. Vom 20. April 1646 datiert eine Instruction von Ludwig XVI. an den sergent de bataille Sieur de Rouette, die jeweiligen Pläne des Feldzugs, wie in den vorigen Jahren, abzustimmen. Der König wünsche die Verbindung mit den Generalstaaten fortzuführen und die Armeen zusammen gegen ihre gemeinsamen Feinde zu verwenden. De Rouette, wurde beauftragt, mit dem Prinzen von Oranien die strategischen Ziele für die die Armeen während des folgenden Feldzugs verwendet werden, wie vordem abzustimmen.168 Bezeichnenderweise waren diejenigen Eliten, die eine bestimmte strategische und konfessionell-ideologische Position einnahmen auch diejenigen, die militärtheoretisch produktiv waren. Dass ein Feldzug (campagne) an bestimmte strategische Ziele gebunden war, die jedoch nicht zwingend vom Monarchen ausgingen, verdeutlicht die Reflexion des Mare´chal Fabert im Vorfeld der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges (1635). Abraham Fabert legte Ludwig XIII. die Vorteile, die Frankreich aus den letzten Feldzügen habe ziehen können dar, und zeigte ihm auf, dass, wenn man nach Deutschland eindringe, die Österreicher davon abhalten könne, in Lothringen einzufallen und ihre Absicht sich die Champagne einzuverleiben durchkreuzt. Fernerhin besitze

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Den Haag, KB, Ms 128 A 12, Guillaume le Faulx (Hugenotte, aus Rouen stammend): Petit traicte´ d’arithme´tique ou est demonstre´ utilite et service que l’on peut tirer tan des nombres rompus que des progression arithmetique, geometrique armonique et de lextraction de la racine quarree a cube et lexercice de lart militaire. Van Guillaume le Faulx van Rouen. Opgedragen aan Frederik Hendrik, 1 Juli 1630, fol. 3: Die Offiziere des Regiment des gardes des französischen Königs seien sehr erfahren: »[...] Cappitaines du Regiment des gardes du Roy de france estans bien experimentez [...].« Ms. f. fr. 4173, fol. 213f., ›Instruction de Louis XIV au Sr Rouette, sergent de Bataille, s’en allant en Hollande, pour concerter, de la party du roy, avec Mr le prince d’Orange, les desseins de la campagne de 1646, Paris 20 avril 1646.‹: »Le Roy desirant garder une parfaitte union auec Messieurs les Estats et employer ses forces conjoinctement auec leurs contre les Ennemis communs, Sa ma.te´ a resolu par laduis de la Royne regente sa mere d’enuoyer en Hollande […] le sieur de Rouette sergent de bataille en les arme´es auquel elle a une particuliere confiance pour communicquer et concerter auec Monsieur le Prince d’orange les dessins ausquels les arme´es de´stine´es contre la Flandres seront employe´es pendant la campagne prochaine aussy quil a este´ faict aux anne´es preceddentes, Et pour ..led. S Prince de faire agir celles desd. sieurs les Estats aux mesmes fins, Et Sa Mate´ a voullu faire donner aud. s. de Rouette le…memoire pour luy donner dInstruction ou ce qui luy a este´ a present de lune voix sur ce subject.«

4. Systematik

349

Frankreich noch gute Garnisonen in Mainz und in den benachbarten Plätzen, die Ludwig XIII. noch gewogen waren.169 Die militärischen Operationen der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges, die die empirischen Modelle der Feldkriegstheorie zeitigen sollte, schreiben sich in eine zu Beginn der 30er Jahre formulierte strategische Doktrin ein, die sich von der den niederländischen Befreiungskrieg bis 1622 bestimmenden defensiven Doktrin abhob und auf unterschiedliche Begründungsmuster zurückgriff.

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Joseph Barre: Vie de M. le marquis de Fabert, mare´chal de France, Bd. 1, Paris 1752, S. 147f.: »Le moment de parler au Roi e´tant arrive´, Fabert lui exposa en peu de mots les avantages que la France avoit tire´s de la derniere campagne: il fit voir qu’en pe´ne´trant dans l’Allemagne on avoit empeˆche´ les Autrichiens de se jetter dans la Lorraine, & d’exe´cuter le projet qu’ils avoient concerte´, de mettre a` contribution la Champagne: que l’on avoit mis de bonnes garnisons dans Mayence & dans les Places voisines qui tenoient encore pour sa Majeste´; & qu’ils avoient oblige´ le Landgrave de Hesse-Cassel a` ne point e´couter l’Empereur, qui sollicitoit fortement ce Prince de se de´clarer contre les Allie´s.«

II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie im französischniederländischen Späthumanismus und deren verfassungstheoretische Bedeutung 1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹ Claude Sarrau schrieb am 27. Mai 1644, dass es sich bei der lateinischen Fassung der Abhandlung über die römische militia von Claude de Saumaise, die er in Druck geben werde, noch um eine französische Konzeption handele, die sich in Holland ereignen werde: »Sa Milice Latine qu’il va mettre sous la presse est encore une conception franc¸oise qui se produira en Hollande.«1 Statt die Milice an das Konzept eines miles perpetuus als Machtinstrument einer Fürstenherrschaft zwecks Stabilisierung der Herrschaft und Disziplinierung eines Untertanenverbandes zu koppeln, wie es von Justus Lipsius im Rahmen der prudentia militaris in der Interpretation der Sozialdisziplinierungsthese vorgebildet ist, scheint es angemessener deren Verbindung zur Theorie des Feldkrieges nachzugehen, wie er von Niccolo` Machiavelli in den Kriterien der begrenzten Dauer des Oberbefehls, der Disziplin und des Wissens eine Schlacht zu entscheiden konzeptualisiert wurde. Dafür spricht zunächst der konjunkturelle Charakter des Textes – fürchtete Saumaise doch, dass die Arbeit mit dem Fortschreiten der Kriegsereignisse »plus de saison« wäre – sowie die ideengeschichtliche Nähe zum Discours pour le restablissement de la milice de France von Lenormant und dem Parfaict capitaine von Henri de Rohan und der strategischen Kreislehre von Lenormant (Discours pour le restablissement de la milice de France) vorgezeichneten offensiven Doktrin. Die Milice des Saumaise gehört damit mitnichten in die Debatten um ein stehendes, durch den fürstlich-absolutistischen Staat unterhaltenes Heer, sondern ist, so die These, im Kontext einer empiristischen Strategiewissenschaft, speziell einer Theorie des Feldkrieges (the´orie de la guerre de campagne) anzusiedeln, die die französische Phase des Dreißigjährigen Kriegs zum Hintergrund hat. Folgen 1

Sarrau an Rivet, 24. Mai 1644. In: Correspondance inte´grale d’Andre´ Rivet et de Claude de Sarrau. 1641–1650, Amsterdam 1980, Bd. 2, S. 279.

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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wir der Bemerkung Saumaises, so bezieht sich seine Aktualitätssorge präzise auf den Zeitraum der Operationen in der Picardie und Flandern. Die Aussage derzufolge die Milice, wenn er diese nicht bald einem Ende zuführe, »plus de saison« sei, datiert vom 12. Sept. 1636, mehr als ein Jahr nach dem inoffiziellen Beginn der militärischen Operationen der Franzosen in Flandern am 22. Mai 1635 und einige Zeit nach der Auftragsvergabe 1634. Die vernakularsprachliche französische Fassung, der Abre´ge´ de la Milice des Romains2 des hugenottischen Leidener Gelehrten Claude de Saumaise (1588–1653) ist eine von Friedrich Heinrich von Oranien in Auftrag gegebene Arbeit, die im kriegsgeschichtlichen Zusammenhang der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges erfolgte und die wesentlich während seiner zeitweiligen Aufenthalte in Frankreich und im besonderen in Burgund (der letzte Aufenthalt datiert 1640–1643) niedergeschrieben wurde. Saumaise beabsichtigte über die römische Disziplin zu schreiben, wie er Peiresc am 13. April 1636 in einem Brief mitteilte.3 Claude de Saumaises militärtheoretisches Projekt ist eng mit dem kriegsgeschichtlichen Zusammenhang der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges verbunden. In den Niederlanden operierten französische und niederländische Truppen gemeinsam; in Deutschland verbanden sich schwedische und protestantische Truppen. Die Milice steht gleichermaßen in enger Verbindung mit der militärisch-dynastischen Kultur der Oranier und dem französischen Humanismus calvinistischer Prägung und französischer nationalkultureller Tradition im Hinblick auf die Militärorganisation der Legion. Sie stieß auf ein breiteres Interesse bei französischen Militärs und Politikern. Claude de Saumaise entstammte einer amtsadeligen Familie aus Dijon in Burgund. Sein Vater war Rat im Parlament von Dijon (conseiller 2

3

Die Interpretation stützt sich nicht auf die originale Handschrift, sondern den im f. fr. 9741 liegende ›Abbre´ge´ de la milice des Romains, par M. de Saumaise [1588– 1653].‹ Papier. 144 pages. 305 sur 195 millime`tres. Cartonne´. (Provient des Je´suites de Paris. – Supple´ment franc¸ais 4011.) Glosse, fol. 1: arrache au desir de Harrert au 5 juillet 1703 Mesnil. Darin legt er die Elemente seiner Theorie dar: vgl. Saumaise an Peiresc, Dijon, 13. April 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, Claude de Saumaise: Lettres ine´dites, e´crites de Dijon, de Paris et de Leyde, a` Peiresc. 1620–1637. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Dijon 1882, S. 47: »Pour ce qui est des peines militaires, selon la discipline des Romains, j’en ai traite´ au fort long dans mon premier livre ou` j’ai discouru de la discipline, laquelle je se´pare d’avec l’art. Et comme j’ai divise´ tout l’ouvrage en deux parties, qui sont la discipline et la science, ou l’art militaire, je donne la plus grande part a` la discipline, et en fais mon premier livre, et je montre que les Romains ont plus fait par cette discipline, exactement et rigoureusement observe´e que par la science, de laquelle ils n’ont eu que bien tard connoissance et l’ont prise des Grecs, ne tenant la discipline que d’eux-mesmes. Or, vous sc¸ave´s que les peines et les re´compenses sont de cette discipline.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

au parlement de Dijon)4 und unter dem Druck der Bartholomäusnacht (1572) zum Katholizismus konvertiert. Saumaises Mutter war Protestantin und Saumaise selbst bekannte sich gleichfalls zum Calvinismus. 1623 heiratete er Anne Mercier, die Tochter des Hugenotten und Staatsraats Heinrichs IV. Josias Mercier. Nach philosophischen Studien in Paris bei Isaac Casaubon, setzte er 1606 sein Studium an der Universität Heidelberg bei dem Rechtsgelehrten Denis Godefroy fort. Als Saumaise 1610 nach Frankreich zurückkehrte, schlug er zwar als Advokat die gerichtliche Laufbahn ein, widmete sich aber, gestützt auf das große Vermögen seiner Frau, bald ganz der Gelehrsamkeit. Er trat zunächst mit größeren Arbeiten zu Plinius und Selinus hervor. 1631 nahm er als Nachfolger Scaligers eine Honorarprofessur an der Universität Leiden an. Während seiner Aufenthalte in Frankreich, wo er ein brevet als conseiller d’e´tat erhielt, verweilte er vor allem in Dijon bei dem Parlamentspräsidenten Brulart. Bei einem Besuch in Frankreich wurde er von Conde´ und Richelieu umworben. Richelieu stellte ihm ein ansehnliches Jahresgehalt in Aussicht, unter der Bedingung, die Geschichte seines Ministeriums zu schreiben – ein Anerbieten, das Saumaise ausschlug. Patin (16. Febr. 1645) schrieb dazu: M. de Saumaise m’a dit lui-meˆme en secret, […] qu’il euˆt bien marri d’employer le talent que Dieu lui avait donne´ au service et a` l’histoire farde´e de ce ministre qui avait failli a` ruiner l’Europe par son ambition.5

1644 erhielt er dennoch einen Pensionsbrief von Ludwig XIII., es bleibt aber zweifelhaft, ob ihm je etwas darauf bezahlt wurde. Die Milice6 ist, obgleich sie sich als umfassende militärtheoretische Synthese des römischen Modells begreift, ein ›konjunktureller‹, zeitge4

5 6

Vgl. Jean Richard: Quelques aspects de l’histoire du Parlement de Dijon, Me´moires de l’Acade´mie des sciences et arts de Dijon, 123 (1976–1978), S. 135–146; Georges Chevrier: Les de´buts du parlement de Dijon (1477–1487), Annales de Bourgogne, 15 (1943), S. 93–124. Thuau: Raison d’E´tat et pense´e politique, S. 163. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Alphonse Willems: Les Elzevier. Histoire et annales typograhiques, Brüssel 1880, S. 199, n° 808: »Saumaise avait entrepris ce traite´ vers 1634, a` la demande du prince d’Orange, qui de´sirait connaıˆtre ›la manie`re de camper des Romains et celle de ranger en bataille.‹ Suivant le de´sir du prince, il le re´digea d’abord en franc¸ais. En 1637 il se rendit a` Paris pour le faire imprimer, mais ne trouva pas d’e´diteur dispose´ a` s’en charger (Salmasii Epist., p. 189). Les Elzevier se montre`rent plus accommodants. L’impression e´tait de´ja` assez avance´e en 1644 pour que l’ouvrage fuˆt porte´ (sans indication de prix) dans le catal. officinal publie´ en cette anne´e. Nous voyons par ce document que le traite´ de Saumaise devait paraıˆtre simultane´ment en latin et en franc¸ais. / Malheureusement l’auteur, engage´ en d’incessantes controverses, n’avait gue`re de temps a` consacrer a` son œuvre. Non pas qu’il la perdıˆt de vue: au contraire, il se promettait constamment d’y revenir. Ainsi, en 1648, il de´clarait qu’il allait y travailler sans de´semparer, aussitoˆt qu’il aurait mis au jour son e´crit contre Didier He´rault (n° 645); c’est du moins ce que marquaient les Elzevier a` Cl. Sarrau, qui ne manqua pas d’en fe´licier

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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bundender Text – und unterscheidet sich darin keineswegs vom Parfaict capitaine von Rohan oder dem Traktat von Lenormant, die ebenfalls in einem spezifischen strategischen Kontext entstanden und publiziert wurden. Ohne die Rahmenbedingungen der letzten Phase des Achtzigjährigen Krieges, in der es zu konzertierten Aktionen französischer und holländischer Truppen kam, wäre es nicht zu seiner Ausarbeitung bereits in der gelehrten Kritik angelegter Theorien gekommen. Die Milice, eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrichs von NassauOranien, lässt sich in vielerlei Hinsicht kontextualisieren: So am augenfälligsten im kriegs- und politikgeschichtlichen Zusammenhang des Dreißigjährigen sowie Achtzigjährigen Kriegs, zwischen der Niederlage der protestantischen Truppen bei Nördlingen (1634) und dem konzertierten militärischen Engagement der Holländer und Franzosen im Dreißigjährigen Krieg. Es liegt daher nahe, dass der Text auf ein taktischkonzeptuelles Defizit der protestantischen Mächte reagierte, aber auch auf einen strategischen Plan, der Flandern als einen strategischen Schwerpunkt auch für den Erfolg der Kriegführung in Deutschland annahm und in diesem Rahmen französische und holländische Truppen im Verbund agieren sehen wollte. Nach dem Sieg der Schweden bei Lützen (16. Nov. 1632) war die Schlacht bei Nördlingen (5./6. Sept. 1634), in der die Schweden und deutschen Protestanten von den spanischen und kaiserlichen Armeen geschlagen wurden,7 eine der blutigsten und beharrlichsten Schlachten in der Geschichte: die Verbündeten erlitten eine

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Saumaise: ›Scribit Elzevirius junior te, post absolutum librum contra Heraldum, totum jam esse in adornanda militia romana.‹ (Sarravii Epist., p. 186) Mais ces bonnes re´solutions ne tinrent pas. A peine de´barrasse´ de He´rault, Saumaise s’embarquait dans une nouvelle pole´mique a` propos de l’exe´cution de Charles Ier d’Angleterre, tant et si bien qu’il mourut, en 1653, avant d’avoir mis la dernie`re main a` son livre. / Pris au de´pourvu par cet e´ve´nement, les Elzevier re´solurent d’en finir une bonne fois, et de mettre en vente l’ouvrage tel quel: ›Salmasii commentarius de re militari iam ante decennium edi coeptus est,‹ e´crit N. Heinsius, le 18 avril 1654, ›finem operi se iam imposituros Elzevirii minantur, quaquam mutilo et imperfecto.‹ (Epist. Ad Magliabechium, t. I, p. 197.) Mais ils se ravise`rent par la suite, et le soin de la publication fut confie´ a` G. Horn. Celui-ci accepta cette taˆche, et le Traite´ de la Milice romaine parut enfin en 1657, avec une pre´face de l’e´diteur. Le volume est de´die´ par Jean Elzevier a` J. Aug. de Thou.« Vgl. Parrott: Richelieu’s Army, S. 107: »Over-confidence in Swedish military capability inherited from Gustavus Adolphus and inadequate local information encouraged the protestant commanders to risk a battle fought from a position of unnecessary weakness, the consequence of which profoundly altered the balance of military power in the Empire. Suddenly, the prospect of an offensive aimed at the elimination of France’s military capacity and the removal of cardinal Richelieu became a possibility. Despite a traditional historiography which argues that ›for a long time Richelieu had been prepared for the day when France would have to move from covert to open war‹, there was no reason for Richelieu to anticipate that an event such as the battle of Nördlingen would occur, or to shape his policies against such a remote eventuality.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

totale Niederlage, wofür man die Schweden verantwortlich machte, die daraufhin von nahezu allen ihren protestantischen Verbündeten verlassen wurden; das Gewicht des Krieges wurde fast ausschließlich auf Schweden und Frankreich abgewälzt. Von nun an agierten und verhandelten Franzosen und Schweden auf Augenhöhe; die Niederlage machte die Schweden von den Franzosen abhängig. Das erste Ziel des schwedischen Kanzlers Axel Oxenstiernas war, den Vertrag mit Frankreich zu erneuern. Im Juli 1634 ernannte Oxenstierna Grotius zum Rat der Königin von Schweden und zu deren Botschafter am französischen Hof.8 Am 21. April traf Grotius Oxenstierna in Soissons und die beiden brachen zusammen nach Paris auf. Verhandlungen zwischen dem Kanzler und dem Kardinal Richelieu fanden statt. Die Unterhandlungen erstreckten sich auf die Kriegserklärung Frankreichs an den deutschen Kaiser, die Zahlung von Subsidien an die Schweden und die Sendung einer Armee, die mit den schwedischen Streitkräften in Deutschland zusammenwirkte. Die Waffen der Schweden triumphierten wieder: In Pommern errang der General Baner wichtige Vorteile über die Kaiserlichen und im Elsass war der Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar erfolgreich. 1636 stießen die Generäle ins Zentrum der österreichischen Besitzungen vor.9 Ob der Traktat von Saumaise sich in die koordinierten Operationen französischer und niederländischer Truppen einschreibt oder sich gar in die zunehmende militärische Verdichtung an der Nordostgrenze Frankreichs (Picardie) eingebunden sieht – erste Garnisonen sind dort entstanden10 – mag dahingestellt sein. Dass die Niederlage der schwedischprotestantischen Truppen bei Nördlingen (6. Sept. 1634) eine Revision der römischen Taktik, an der sich die Feldherrn Moritz von Oranien und seine Cousins sowie Gustav Adolf II. von Schweden orientiert haben, nahelegte, ist eher zu vermuten. Mit noch größerer Wahrscheinlichkeit schreibt die Milice sich gegenüber der osmanischen Bedrohung in eine umfassendere, gleichsam die Konzeption einer res publica christiana aufgreifende europäische Stabilitätskonzeption ein, die im ›Grand Dessein‹ von Sully, der nicht die militärisch-instiutionelle Matrix von Polybios VI. aufgriff, sondern sich auf die excerpta de legationibus stützte und damit an die politisch-diplomatische Seite der Polybios-Tradition anknüpfte, ihr Pendant zu finden scheint. 8

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Grotius machte seinen öffentlichen Eintritt in Paris am 2. März 1635. Die erste Unterredung Grotius’ mit Richelieu fand am 28. März 1635 statt. Vgl. Charles Butler: The Life of Hugo Grotius. With brief minutes of the civil, ecclesiastical, and literary history of the Netherlands (repr. der Ausg. London: J. Murray, 1826), Leiden 1984, S. 167–169. Näheres hierzu bei David Potter: War and Governement in the French Provinces. Picardy. 1470–1560, Cambridge 1993.

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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Eine Geschichte des Kulturtransfers bzw. eine militärtheoretische Traditionsgeschichte ›unterläuft‹ die militärischen Heeresreformkomplexe, die sich der Historiographie des 19. Jahrhunderts erschlossen, oder die politische Ideengeschichte Friedrich Meineckes. Sie ermöglicht vielmehr die Nachzeichnung bisher kaum erkannter strategisch-intellektueller Zusammenhänge. Diese reichen von Patrizi, Scaliger, Casaubon, Wallhausen, Sully, Rohan, Lenormant, Peiresc, Naude´ bis hin zu Richelieu. Im Vorfeld und zeitgleich mit den diplomatischen Aktivitäten und der tatsächlichen Kriegführung, verdichtete sich ein breiterer militärwissenschaftlicher Forschungszusammenhang um 1634/35 zu einer Gesamtsynthese der römischen militia durch den französischen Humanisten Claude de Saumaise. Saumaises Arbeit ist zwar, wie im Verlauf des folgenden Kapitels dargelegt werden wird, eine Arbeit, deren Quellenlage es erlaubt, einen Forschungszusammenhang zu rekonstruieren und eine an der Schnittfläche von französischer, insbesondere hugenottischer Gelehrtenkultur, und oranischer dynastischer Kultur entstandene militärwissenschaftliche Syntheseleistung des gelehrten nordwesteuropäischen Späthumanismus; in der französischen Militärtheorie und der französischen militärischen Bildungsbewegung ist die Milice jedoch kein isolierter Text. Dieser kann vielmehr hinsichtlich des humanistischen Forschungszusammenhangs der Quellenforschung mit dem Syntagma de studio Militari von Gabriel Naude´ vergleichend betrachtet werden. Schließlich können konzeptuelle Einflüsse dieser beiden großen militärtheoretischen Entwürfe des französischen Späthumanismus im politischen Testament von Armand Duplessis, Cardinal de Richelieu – gelesen als ein Traktat der Regierungstechnik des Kardinalpremier – aufgefunden werden. Dass es sich um eine ›französische Konzeption‹ handelt, dafür können einerseits äußere Umstände und der zeitgeschichtliche Entstehungskontext, die Vernetzungen und der gruppengeschichtliche Zusammenhang angeführt werden. Anderseits zeigt eine werkimmanente Analyse, dass der Text Bezüge zur französischen Militärverfassung aufweist. In einem ersten Schritt werden wir auf den ersten Aspekt eingehen und in diesem die biographisch nachvollziehbaren Entstehungsbedingungen des militärtheoretischen Werks Saumaises schildern. In ideengeschichtlicher Hinsicht schreibt sich die Milice in die Polybios-Rezeption ein, dem tragenden Pfeiler der Militärdoktrin des Hauses Nassau-Oranien (Moritz von Oranien, Friedrich Heinrich von Oranien), Justus Lipsius’ und auch der französischen Gelehrten (Casaubon). Schließlich muss die Milice im Zusammenhang einer französischen philologischen Forschungstradition gesehen werden, die sich der Restitution der antiken Taktiker annahm (Rigault, Casaubon,

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Machault, Henri de Valois Sieur d’Ocre). Mit der Kritik an der taktischen Polybios-Interpretation von Justus Lipsius führt Saumaise letztlich die polemische Spitze der französischen Zeitgenossen einer systematischen Gesamtrevision zu, die zumindest hypothetisch als theoretischer Hintergrund für eine französische Verfassungsreform auf der Grundlage der Legion diente. Ein Merkmal des Textes ist dessen militärisch-kulturelle Zwitterstellung. Hatte die Arbeit Saumaises ihren wissenschaftstheoretischen Ursprung vorwiegend in der französisch-protestantischen Wissenschafts-, Gelehrten- und Kabinettskultur, so gipfelte sie in ihrem Endergebnis in einem polybianischen System, das eine Kritik, ja eine Polemik der Lipsianischen, aus der taktischen Theorie abgeleiteten Kategorien und Normen implizierte und dabei calvinistische verfassungstheoretische Vorstellungen transportierte. A) Die Milice und die französische Phase des Dreißigjährigen Kriegs Die Verbindung zwischen dem europäischen Krieg der 30er und 40er Jahre des 17. Jahrhunderts und dessen Phase in den Niederlanden, der mit dem Kriegsverlauf und den Ereignissen im Heiligen Römischen Reich verbunden war, und der Milice ist in mehrerlei Hinsicht gegeben. Zum einen ist die Milice hinsichtlich ihrer Entstehung in den Ereigniszusammenhang der zeitgenössischen Kriegs- und Militärgeschichte zu verorten, zum anderen kann festgehalten werden, dass die in besagtem Kriegszusammenhang operierenden militärischen Eliten sich für die theoretische Arbeit Saumaises interessierten. Saumaise räumte ein, dass sein philologisches Unternehmen durch das aktuelle Kriegsszenario respektive das in erster Linie intellektuelle Interesse seines Auftraggebers an der Parallelisierung von römisch-taktischem Modell und der modernen Kriegskunst motiviert sei, wenngleich er zugestehen müsse, dass er dem Wunsch des Auftraggebers, seine Arbeit möglichst genau auf die Natur des Krieges abzustimmen, nicht nachzukommen vermocht habe. Am 10. Juli 1635 schrieb Saumaise an Andre´ Rivet, dass Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien das ihm von Rivet überreichte Probestück hinsichtlich des Inhalts sehr geschätzt habe, jedoch nicht was die Terminologie anbelange, die er als ungeeignet für die Thematik erachte, denn er nähere sich nicht hinlänglich den modernen Methoden der Kriegführung und dem ›Stil der Kriegsleute‹.11 Die Milice war demnach 11

Saumaise an Rivet, Leiden, 10. Juli 1635. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 75f. /Lettre originale autographe, UB Leyde, BPL 283, f. 262f.: »Ce que ie vous dis, vient de ce qu’on m’a rapporte´ que son Excell[ence] avoit fort approuve´ cet eschantillon que vous lui ave´s fait voir, pour la chose et non pour la frase, qu’il a iuge´e n’estre pas propre a` manier un tel subiect comme n’approchant pas asse´s a` l’usage de nostre temps et au stile des gens de guerre.«

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als ein militärwissenschaftliches Kompendium für die in dem relevanten strategischen Kontext operierenden militärischen Eliten gedacht. Als Auftragsarbeit des Prinzen von Oranien implizierte diese zwar keine unmittelbare Auseinandersetzung des Autors mit der zeitgenössischen Kriegspraxis – Saumaise reflektierte keine konkreten Ereignisse, wie beispielsweise die Texte von Lostelneau, der an die Erfahrungen seines von Moritz von Oranien geprägten Vaters anknüpfte, und d’Aurignac, der unter Turenne diente12 –, sie kann jedoch nicht, wie Aussagen von Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien und das Interesse von militärischen und politischen Eliten bezeugen, von dem vorliegenden militärtheoretischen und taktisch-strategischen Kontext der 30er Jahre des 17. Jahrhunderts abstrahiert werden. Die Interpretation der antiken Kriegsschriftsteller, so wolle es der Auftrag, führte dessen ungeachtet, als militärisches Vergleichssystem die moderne französische Militärverfassung ein. Auch versäumte der Herausgeber Georg Horn der posthum veröffentlichten DRMR (1657) in der Praefatio nicht, darauf hinzuweisen, dass die historische Darstellung des antiken Kriegswesens sich der zeitgenössischen militärischen Wandlungsprozesse bewusst war. Werde Gustav Adolf von Schweden zugeschrieben, in der militia viel korrigiert zu haben, so werde Moritz von Oranien als Begründer (instaurator) der modernen Militärarchitektur bezeichnet.13 Saumaise war nicht nur humanistischer Gelehrter, sondern auch Akteur in den ideologisch-machtpolitischen europäischen Konstellationen und Parteigänger Frankreichs sowie der Generalstaaten in den politischkonfessionellen Konflikten seiner Zeit. Die unterschiedlichen politischen Kulturen der beiden Länder brachten ihn, den Anhänger einer sich zunehmend der absolutistischen Doktrin verschreibenden calvinistischen politischen Kultur, in eine nicht unkomplizierte Zwischenposition. Er verfolgte die Kriegshandlungen vor allem in Flandern, wie seine Korrespondenz mit dem Diplomaten und Politikern Wicquefort, Brasset und de Willem bezeugt.14 Gegenstand dieser Korrespondenz waren 12 13

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Vgl. Paul Azan: Un tacticien du XVIIe sie`cle. DRMR, s.p.: »Sic nostra memoria Gustavus Adolphus Suecorum Rex multa in militia correxit. Sic Mauritius Nassovius universæ Architecturæ militaris non tam instaurator quam author perhibetur. Pari ratione examinanda militia Africanorum, maxime Ægyptiorum & Æthiopum, qui duo populi longinquas expeditiones susceperunt sub Sesostri sive Sesako & Tirhaka sive Tearcone.« Vgl. Carl Rennert: Abraham de Wicquefort. Inaugural-Dissertation, Univ. Diss. Halle, Halle 1880, S. 10f.: »Wicquefort soll dann in Diensten des Herzogs von Weimar gestanden haben, wie man sagt, auf eine Empfehlung hin, die ihm von seinem Bruder Joachim gegeben worden war; doch findet sich nirgends ein sicherer Beweis für diese Angabe. Ebenso unbeglaubigt ist die Nachricht, daß er bei der Gesandschaft der Staaten in Paris beschäftigt worden. Dagegen steht fest, daß er seit dem Jahre 1846 (sic) als Minister-Resident des Kurfürsten von Brandenburg

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

der europäische Krieg, der Westfälischen Friede, die inneren Angelegenheiten Frankreichs – insbesondere die Fronde und die Finanzierung des Krieges gegen Spanien – sowie der englischen Bürgerkrieg, in dem er die Partei des hingerichteten Königs Karl I. ergriff. Gegenüber den Westfälischen Friedensverhandlungen nahm der anti-spanisch gesonnene Hugenotte eine ablehnende Haltung ein. Auch in einem Brief von Brasset wurde ihm seine Parteinahme für den König bestätigt.15 Sowohl der europäische Krieg als auch der innere französische Konflikt der Fronde, wurde mit einer klaren Perzeption militärischer Machtverhältnisse und Möglichkeiten wahrgenommen, vermittelt und diskutiert und eine eindeutige pro-monarchische, Position formuliert, die ihn in Konflikt mit der Verfassungswirklichkeit der Republik der Generalstaaten geraten ließ. Saumaises ambivalente Position zwischen der Republik der Generalstaaten und der französischen Monarchie tritt in einem Manifest des französischen Königs zutage, unter das er seinen Namen setzen sollte. Falls er seinen Namen darunter setze, so teilte ihm Wicquefort mit, käme er möglicherweise in Konflikt mit den Generalstaaten, die gegenüber den französischen parlementaires so wohlwollend verfahren.16 Die

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am Pariser Hofe fungiert. Fabian von Dohna war im September 45 nach Paris gekommen, angeblich um die Titulaturfrage zu erledigen, in Wahrheit, um die Stimmungen am Pariser Hofe zu exploitiren. (Vgl. auch veröffentlichte Urkunden und Aktenstücke des Großen Kurfürsten) [...].«; S. 23: »Anfang 1663 war an Stelle des französischen Gesandten Thou der Graf d’Estrades in den Haag gekommen. Ich weiss nicht, ob Wicquefort schon in früherer Zeit Beziehungen zu ihm gehabt hat, sicher ist, daß er hier im Haag zu den vertrautesten Freunden des Gesandten zählt, und eine Erkältung dieses Verhältnisses erst durch den Abschluss der Tripleallianz hervorgerufen wird, die einen Bruch in der traditionellen Politik der Generalstaaten bildet, und mit Recht als die erste Veranlassung zu dem Feldzuge von 1672 anzusehen ist.« Ms. f. fr. 3931, fol. 29f., Brasset an Saumaise, Den Haag, 10. Aug. 1649: »vostre zele au seruice du Roy, et de vostre aversion contre les Rebelles. Je n’en auray pas attendu cette preuue literale pour rendre des tesmoignages en bon lieu, Dez le 16 de l’autre moys J’en fais un assez ample article dans une de mes despesches a la cour, Ce que je vous dis […] non pour vous obliger, mais pour macquiter de mon obligation que je tiendray tousjours estre de vous honorer.« Ms. f. fr. 3932, fol. 97, Wicquefort an Saumaise, Den Haag, 21. Nov. 1649: »Bien tost apres ie receus celle que vous m’avez fait lhonneur de m’escrire sur le subiect du Manifeste du Roy, scavoir si vous y devez mettre vostre nom ou non, qui est une question pour dire la verite´ delicate et difficile a resouldre. Car si vous ne le mettez pas, vous ne suivez pas du Roy Si vous le mettez, vous choquerez peutestre les Estats de Hollande, qui sont si complaisans aux Parlamentaires, qu’ils ont proteste´ solennelmed. Contre les autres Provinces, qui refuserent de donner audience a Stricklant. Si ce refus, a leur opinion a donne´ offense au parlement, a plus grande raison croieront ils davoir este´ donne´ subiect par vostre livre: et ainsi les dits Estats de Hollande feront tout ce qu’ils pourront pour empescher la vente. Si vostre nom ne se void pas, ils ne pourront pas se formaliser contre personne, ains ignorer lautheur, et ne se mesler de rien. Je serois dadvis que Mr Elzevier se hastassent si

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englischen Revolutionäre bezeichnete Saumaise als ›teuflische Parteigänger‹ (factionaires Diaboliques).17 Tatsächlich entwickelte Saumaise einen starken Affekt gegen die englische Revolution, und Abraham de Wicquefort regte die Abfassung eines Pamphlets gegen die Enthauptung des englischen Königs an.18 Saumaise sah dessen machtpolitische Entkräftigung in der finanziellen Schwäche begründet und fürchtete, dass das Gewicht bald zugunsten Spaniens ausschlage.19 Er reflektierte wie

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bien que le livre fut acheve´ devant les plaintes que Stricklant en pourra faire et les resolutions qui en pourront estre prises a ses instances.« Ms. f. fr. 3932, fol. 22, Wicquefort an Saumaise, Den Haag, 1. Febr. 1649: »pour peu des nouvelles & un raisonnement mal consu vous me rendez un discours politique qui minstruit beaucoup. Cest a la verite´ un pas de cleve que ces Messr. icy ont commis d’envoy¨er des Ambass.r Extraord. vers des rebelles, et, comme vous dites, des factionaires Diaboliques; en ce avec des instructions qui contiennent des ordres plus favorables pour ces gens la, que pour un Roy¨ que toute l’Europe reconnoit pour legitime. A quoy¨ sert il de dire que cesdits Ambass.r doibvent demeurer en termes de Neutralite´ que pour asseurer ces Barbares, que lon veut demeurer icy¨ en termes d’indifference et les declarer a la fin pour tels qu’ils pretendent en estre?« Ebd., fol. 32, Wicquefort an Saumaise, Den Haag, 19. Febr. 1649: »Vostre lettre du 17 de ce mois contenant des marques bien expresses d’une iuste indingation contre ces bourreaux d’Angleterre et des remarques bien solides sur la brutalite´ de leurs procedures et la tasche que ceux de la Religion Reformee en ont receue¨, m’a donne´ occasion d’en faire part a M. Boswel, a qui la dite lettre a servy¨ de grande consolation, pour avoir appris par ce moien le iugement d’une personne sans passion, et qui en peut iuger mieux qu’un autre de liniustice d’une telle procedure. Cest ce qui m’a donne´ subiect de parler, il y a plus de 3 sepmaines au d. S. Boswel, touchant un Manifeste que le Prince de Galles alors feroit bien de publier apres la mort du Roy¨ son Pere; et luy dire qu’on vous en devroit ne chercher de vouloir prendre la peine de le faire en Latin et Francoys, puis que personne ne le scauroit faire mieux quant a la matiere et les raisons par lesquelles on doit esmouvoir a compassion et a lassistence tous les Roys et Princes de la Chrestiente´, ny¨ a la forme pour l’exacte connoissance que vous auez de ces deux langues. J’ay fait souvenir ledit Sr. Beswel, que nous auons eu la nouuelle de ce triste accident, et en ay parle´ aussi au secret. Mon proche voisin, qui en a fait ouverture a S.H. de telle sorte qu’elle en a pris goust et dit qu’elle en vouloit parler au Roy¨, croy¨ant que led. Secret en pouvoit bien tot recevoir ordre de faire le voyage de Leyden pour vous en prier. Ce fut avanthier que S.A. luy tint de discours. Je ne scay pas encore, si elle a depuis parle´ au Roy ou non. Tant y a Monsieur que i’y remarque de linclination assez grande. Sil y a de faute de mon coste´ den estre cause, iespere que vous me pardonnez […] et personne n’en scaura estre blasme´ que moy¨.« Ebd., fol. 1619, Wicquefort an Saumaise, 1649: »Et suis bien de vostre opinion que la maladie, qu’il y a aux finances de France est plus dangereuse, puis qu’elle ne peut causer qu’une grande alteration au corps, Si lon n’y applique au plustost les remedes necessaires. Il est trescertain, que cest Estat patira aussi, si la balance se va pancher du coste´ des Espagnols, mais cest dequoy¨ on se soucie fort peu, et lon ne se souciera pas plustost que quand ils seront derechef reformidables. Lon est encore dans le sentiment; que la France a trop de lavantage sur lEspagne et quil en faudra rabettre sur les moyens qu’on y a de restraindre ou incommoder le commerce des habitans de ce Pay¨s. Je croy¨ que vous scavez desia que 4 Navires Hollandois ayant este´ arrache´s en la Mer Mediterranee lon ayt envoy¨e´ un Commissaire en France pour solliciter relaschemt. qui en a obtenu aussi.«

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vordem Rohan das europäische Mächtegleichgewicht in Abhängigkeit von der inneren Verfassung der jeweiligen Staaten. Dass der Calvinist dabei eine absolutistische, antirepublikanische Haltung annahm, machte ihn den Generalstaaten suspekt. Saumaise interessierte sich zunächst für den Fortgang der Kriegsereignisse in den Niederlanden. Über die strategischen Entscheidungen der französischen Krone respektive der militärischen Eliten hielt ihn in erster Linie Brasset auf dem Laufenden. Generell ist ein gesteigertes Interesse der intellektuellen Eliten, so von Grotius, Dupuy und Saumaise an den Operationen der letzten Phase des Achtzigjährigen Krieges festzuhalten; das Augenmerk Saumaises richtet sich jedoch auf die Leistungen einzelner Militärbefehlshaber und deutet in nur sehr begrenztem Maße auf ein experimentelles, empirisch-technisches Interesse oder ein Interesse an der taktischen Praxis hin. In dem Briefwechsel mit Brasset jedenfalls finden sich keine Reflexionen über einzelne Operationen, sondern nur ein allgemeines Interesse am strategisch-taktischen Erfolg, der oft in einer sachlichen Analyse von Truppenstärke und detailgenauer Schilderung zum Ausdruck kommt. Die Korrespondenz zwischen Brasset und Saumaise verdeutlicht, dass ein Informationsfluss zwischen den intellektuellen französischen Eliten der Niederlande (in denen das hugenottisch-französische Element stark vertreten war) und dem französischen Hof hinsichtlich militär- und kriegsgeschichtlicher Vorgänge in den Niederlanden stattfand. Einer der früheren Briefe datiert vom 19. August 1634.20 Am 28. Juli 1640 informierte Brasset Saumaise, er habe vom Hof die Bestätigung des »grand faict d’armes« des Grafen von Harcourt erhalten.21 Es folgen einige Bemerkungen zur Versorgung (vivres), d. h. Informationen logistischer Natur.22 Am 18. Juni 1648 unterrichtete Brasset Saumaise über folgenden Vorgang: Aus l’Escluse war zu vernehmen, dass der mare´chal von Rantzau sechs- bis achttausend Mann auf fünfzig Salandres landen ließ, die sich dann des Damms von Ostende bemächtigten. Rantzau hielt diesen Platz belagert.23 In einem Brief von Brasset (16. März 1649) wird berichtet, dass 20 21

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Ms. f. fr. 3931, fol. 2. Ebd., fol. 4f.: »J’y ce matin eu de la cour la confirmation bien specifique du grand faict d’armes de M. le conte de Harcourt, qu’a` soustenu et repousse´ deux efforts de toute l’arme´e Espagnole, et celuy d’une sortie de Turin qui n’estoit pas de moins de six mil hommes de pied, et huict cens chevaux, il a` couste´ m/4 morts aux ennemis, et a nous pas vne centaine. Et tous leurs viures et munitions ont fourny aux mortes plus quil ne leur faloit peut attendre le renfort et les rafraichissemens de M. le vicomte de Turenne party au mesme […] avec m/7 hommes de pied et m/2 chevaux.« Und weiter: »Tous les dehors d’arras sont gagnez […] M. de la Meilleraye a defaict le conte de Buquoy auec ses bandes d’ordonnance dont plus de 8000 sont demeurez sur la place.« Ebd., fol. 5. Ebd., fol. 14: »Receuez tousjours a bon compte sil vous plaist l’aduis qui vient

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Saumaise ihn am 14. März desselben Jahres nach Neuigkeiten von dem mare´chal Rantzau fragte.24 Am 17. April 1649 folgte ein Brief, in dem Brasset die strategischen Hintergründe darlegte. Man denke nicht mehr daran, den Krieg nach außen zu tragen;25 diese Aussage verweist auf das Ende einer offensiven Kriegführung. Mehr noch als der Kriegsschauplatz in Deutschland,26 wurde in der Geschichtsschreibung der Kriegsschauplatz in Flandern, sei es hinsichtlich einer Rekonstruktion der Struktur der operativen Ereignisse bzw. der strategischen Optionen, sei es hinsichtlich der Aufarbeitung der militärtheoretischen Perspektive und des Aspekts der Kriegskunst, vernachlässigt.27 a. Das Interesse der französischen Militärs und Politiker an der Milice Saumaises Die eingeforderte pragmatische Orientierung des militärtheoretischen Forschungsprojekts fand das Interesse der in den Niederlanden operierenden französischen Militärs. So ist einem Brief Rivets an Saumaise vom 4. Okt. 1639 zu entnehmen, dass alle seine Freunde seinen Ruhm herbeisehnten und dass er an der Abhandlung über die Milice arbeiten und diese fertigstellen solle und man ihm auch noch aus dem Lager schriebe.28 Sarrau berichtete an Rivet, dass Saumaise festgehalten habe,

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d’arriver de l’Escluse par un expert despesche´e a` M. de Rhingrave que M. le Mareschal de Ranzau ayans fais embarquer de sept a huict mil hommes sur cinquante Salandres se sont empare´ de la digue d’Ostende et tiendront cette place assiegez.« Ebd., fol. 24: »le 14 vous me demandez des nouvelles de M. le Maral de Rantzau, car l’extraict joint a pa premiere en pertois une article, et masquoit le commandement de dunquerque donne´ a vn gentilhomme que je sc¸ay vous honorer tres part.ment.« Ebd., fol. 30: »Je voy qu’en suite l’on ne songe plus qu’a porter la guerre au dehors, et de vendre aux ennemis bien avant chez eux la visite qu’ils ont faicte sur nostre frontiere, afin de les surmonter par civilite´, comme […] ils l’ont este´ par la force.« Vgl. Croxton, Peacemaking, S. 21f.: »Historians have a long tradition of neglecting the last half of the Thirty Years’ War: in general works on the war, the years from 1618 to 1635 – which cover just over half the war – often get three-quarters or more of the coverage. […] Militarily, there is no modern account of the campaigns of the last years of the war. […] Though tactics and strategy had evolved from the methods of Gustavus and Wallenstein, there is no general study of them, and correspondingly little understanding.« Lediglich Jan Willem Wijn (Military Forces and Warfare. 1610–48. In: J. P. Cooper (Hg.), The New Cambridge Modern History, Bd. 4, Cambridge 1970, S. 202–225) nimmt sich dieses Abschnitts eingehender an. Rivet an Saumaise, 4. Okt. 1639. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 137f. vgl. lettre originale autographe, Ms. f. fr. 3929, fol. 16: »Tous vos amis desirent ardamment et pour vostre honneur et pour la satisfaction de Son Altesse que vous travailliez et acheviez vostre Milice. On m’en escrit encore du Camp. Et ce sera un labeur qui aemulos omnes tuos deterrbit.«

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dass Titus Livius nicht selten die alte mit der jüngeren Militia verwechselte. Die gebildeten Soldaten ihrer Quartiere werden sehen, dass er in dieser Art von Literatur etwas über das Gewöhnliche hinaus wisse. Er weise die Missgriffe und Irrtümer nicht nur der modernen Autoren nach, sondern auch mehrerer antiker Autoren, ohne selbst Titus Livius nachzusehen, dass er häufig die alte Militärverfassung mit der jüngeren verwechselte.29 Die Dokumente, die einige Militärs als Leser der Milice ausweisen, datieren beide aus den vierziger Jahren (1644 und 1646). Verbindungen führen neben Conde´, der auch mit Jacques-Auguste de Thou korrespondierte,30 zu Franc¸ois de l’Aubespine, seigneur de Hauterive, dem Bruder des ehemaligen garde des sceaux de France Chaˆteauneuf und colonel in der Armee der Generalstaaten, dem er seinen Traite´ de la Milice vermutlich zur Lektüre überlassen hatte.31 Auch der Mare´chal Jean de Gassion (1609–1647) war ein Leser Saumaises (1646).32 Gassion, ein hugenottischer Militär, entstammte der noblesse de robe. Eine solche Herkunft war in der französischen Armee eine Ausnahme, setzte diese sich doch weitestgehend aus der noblesse de race zusammen.33 Eingesetzt war Gassion in Leipzig, Ingolstadt und Lützen (1632) und als lieutenant ge´ne´ral au governement de Flandres von 1636–1641 in Flandern.34 Einem 29

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Sarrau an Rivet, 26. März 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 233: »Les sc¸avants guerriers de vos quartiers verront que ce n’est pas pour neant qu’il se vante de sc¸avoir quelque chose au dela du commun en ce gendre de litterature. Il monstre au doigt et a l’œil les beveües et mespris non seulement des modernes mais aussi de plusieurs des anciens sans pardonner mesme a Tite Live qui confond souvent l’ancienne et derniere milice.« Dupuy 709, fol. 117ff., J. A. de Thou au prince de Conde´, par J. A. de Thou, Paris, 12 juin 1610, copie de P. Dupuy. Rivet an Sarrau, 30. Mai 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 282: »Il [Saumaise] a done´ son soldat a Monsr de Haute-rive (sic).«, ebd., S. 283: »C’est a` Franc¸ois de l’Aubespine, seigneur d’Hauterive, fre`re de l’ancien garde des sceaux de France Chaˆteauneuf, et colonel dans l’arme´e des Etats (lettre CXXXIX, n. 8–9), que Saumaise a, semble-t-il, donne´ a` lire sa Milice Romaine (lettre XCVII, n. 9)«; Lettre CXXXIX, n. 8–9. Ms. f. fr. 3930 (fol. 8): Lettre de mare´chal de Gassion,…a` monsieur de Saumaise,...Au camp de Mardic, ce 30e aoust 1646. Vgl. Guy Rowlands: The ethos of blood and changing values? Robe, e´pe´e and the French armies. 1661–1715, Seventeenth Century French Studies, 19 (1997), S. 101: Guy Rowlands verweist auf die Herkunft des Hugenotten Gassion aus dem Amtsadel: »The standard-bearer for the robe in the first half of the century had been the huguenot Jean, comte de Gassion, whose father had been pre´side´nt a` mortier of the Pau Parlement, and who had been raised to the dignity of mare´chal de France in 1643. Gassion acted as a precedent for the elevation to the mare´chalat of Nicolas Catinat, sieur de la Fauconnerie, exactly fifty years later.« Ms. f. fr. 5768, ›Vie du mare´chal Jean de Gassion (1609–1647), par le sieur Du Prat‹, fol. 3f.: »Son premier maistre fut le duc de Rohan; Et son second, le grand Gustaue, Roi de Suede. Ces deux grands homes lui firent voir dans leur conduite et par leurs beaux exploits, tout ce que la plus haute valeur esgalee par une prudence consomme´e sc¸ait entreprendre et peut executer.«

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Brief Gassions an Saumaise ist zu entnehmen, dass der Leidener Philologe für ihn eine geschätzte militärwissenschaftliche Autorität darstellte. Der von Gassion überlieferte Text bezeugt, dass eine theoretische Rezeption der militärischen Eliten Saumaises vorgelegen hat. Dies mag nicht nur durch seine Herkunft aus der noblesse de robe bedingt sein, sondern auch konfessionelle Gründe haben. Gassion formulierte sein Verhältnis zu dem Gelehrten in dem hier selbstreflexiv verwandten Topos von arma et litterae. Er bediene sich nur allzu gerne Pastors Du Prat, der nach Holland reise, um Saumaise von der Wertschätzung, die er seiner Person entgegenbringe, in Kenntnis zu setzen. Gassion rühmte sein außerordentliches Verdienst, das Saumaise an die erste Stelle der Gelehrtenwelt gebracht habe. Seine intellektuelle Brillianz sei bis zu ihmdurchgedrungen und er wisse, dass er von allen menschlichen Wissenschaften ein so vollendetes Ganzes geschaffen habe, so dass er den Intelligentesten aller Berufe das Gesetz (loi) gebe. Er habe Du Prat damit beauftragt, ihm eines seiner Werke zu bringen, dem er sich während des Winterlagers widmen wolle. Seine Lebensweise, die ihn sehr in Anspruch nehme, hindere ihn nicht daran, über diejenige Saumaises einige Überlegungen anzustellen: Die Soldaten arbeiten für das Vergängliche, während die Gelehrten für die Ewigkeit schaffen. Während die Soldaten zerstören, bauen die Gelehrten auf. Die Soldaten wenden Zwang und Gewalt an, die Gelehrten hingegen Sanftheit (douceur) und Überredungskunst (persuasion).35 Das Interesse an dem Forschungsprojekt Saumaises kam demnach aus zwei Richtungen. Zum einen von einem Personenkreis im spezifisch flandrischen Kriegskontext, in dessen Zusammenhang auch einige Texte entstanden, die im Rahmen einer Theorie des Feldkrieges zu fassen sind. 35

Ms. f. fr. 3930, fol. 8f.: »Je me sers volontiers de l’occasion de M.r du Prat Pasteur de ma maison qui a desire´ daller voir ses anciens amis en Hollande pour vous tesmoigner l’estime que ie fai de vostre personne, et de cet extraordinaire merite que vous a donne´ le premier rang entre les scauans. L’esclat de ces belles lumieres que Dieu vous a` donne´es est venuˆ iusques a` moi, et ie scai que de toutes les sciences des hommes vous auez compose´ vn tout si accompli que par la vous donnez la loy aux plus intelligens de toutes les professions J’ai donne charge a` Mr. du Prat de m’aporter quelqune (sic) de ces belles ouures que vous auez donne´es au public. Et heures de repos que ie ne puis esperer que dans le quartier d’hyuer ce me sera vn diuertissement tres agrable (sic). Ceste condition de vie ou ie suis qui me donne assez doccupation, ne m’enpesche (sic) pas de faire sur la vostre une relextion (sic) assez frequente. Nous trauaillons pour le perissable, et vous pour l’eternite´. Nous destruisons et vous construisez. Nous emploions la contrainte et la force, et vous la douceur et la presuasion en donnant la lumiere d’un nombre infini dimportantes merites, quon n’auoit iamais connue¨s. Vous voiez Monsieur que ce bruit qui menuironne de´puis tant de temps, ne ma pas empesche´ de sc¸auoir de vos nouuelles: La parfaite connoissance que iai de vostre merite fait que ie desire auoir part en vostre affection et moien de vous tesmoigner la mienne: s’il sen presente quelque occasion vous verrez par effect que ie suis.«

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Sowohl die französischen militärischen Eliten als auch der durch die französische militärische Kultur geprägte Friedrich Heinrich von Oranien zeigten ein Interesse an der militärtheoretischen Aktivität des Leidener Humanisten. Schließlich Saumaise, der sich in einem politischmilitärischen, hugenottischen und wesentlich von der Partei der Politiker bestimmten Gelehrtennetz bewegte. Die Milice ist demnach in der französischen Kabinettskultur, in deren Umkreis entstand und zirkuliert haben mag,36 zu verorten. Darin bündelten sich strategiepolitische Kommunikationsstränge. Wie sich dieser Zusammenhang zwischen gelehrter Kommunikation und dem politisch-strategischen und wissenschaftsideologischen Kontext37 gestaltete, kann anhand der Milice selbst, insbesondere deren handschriftlichem Exemplar, und anhand der Korrespondenz nachvollzogen werden. Die politisch-strategische Lage beförderte nicht nur die wiederholte Herausgabe bestimmter Handbücher zur Truppenausbildung, sondern übte auch eine gleichsam katalytische Wirkung auf die humanistische militärtheoretische Forschung und deren pragmatisch-taktische und pragmatisch-verfassungstheoretische Deutung aus. Saumaise fand sich in der Situation eines militärischen Beraters in Nordwesteuropa, dessen strategischer sich zeitgleich mit dem militärisch-kulturellen Schwerpunkt nach Frankreich verlagert hatte. So ambivalent wie seine politische Stellung und Meinung war auch seine Militärtheorie. Der Impuls für das Werk ging zwar auf den Prinzen von Oranien zurück (1634); ein erstes handschriftliches Exemplar entstand jedoch auf französischem Boden in Dijon. Neben einigen Themen von nebensächlicher Bedeutung, wie der hellenistischen Sprache und der Tragödie, 36

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Vgl. Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 18: »Claude de Saumaise, ›le prince des commentateurs‹, auteur de 80 livres imprime´s et de 60 manuscrits, dont un De re militari Romanorum qui resta ine´dit non par de´sinte´reˆt de l’auteur ou faute de l’e´diteur, mais parce que les autorite´s conside´re`rent qu’un tel sujet relevait du secret militaire.« Wissenschaftsideologischer und -organisatorischer Kontext meint eine bestimmte ideengeschichtliche Konfiguration, wie sie sich räumlich im Späthumanismus an den zwischen Holland und Frankreich oszillierenden französischen und holländischen Eliten über Korrespondenz und Werkeditionen festmachen lässt, vgl. Rudolf Pfeiffer: History of Classical Scholarship from 1300 to 1850, Oxford 21978, Teil 3, Kapitel X: ›Classical scholarship in Holland and in post-renaissance France, Italy, and Germany‹, S. 124–142. S. 125: Pfeiffer hebt jedoch auch die wissenschaftsideologischen Unterschiede zwischen Frankreich und Holland heraus. So war das Interesse am Lateinischen in den Niederlanden im Gegensatz zu Frankreich stärker ausgeprägt. In Frankreich war das Interesse am Griechischen stärker entwikkelt. Der gemeinsame intellektuelle Raum schien vielmehr durch einzelne, herausragende Personen konstituiert zu sein. Vgl. ebd., S. 123: »The influx of French writers on the first half of the seventeenth century was a blessing for Holland, […] the contingent of classical scholars was a relatively small, but it was an important one.«

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hatte Saumaise während seines damaligen Frankreichaufenthalts auch an seiner dem Prinzen von Oranien gewidmeten Schrift über die römische militia gearbeitet, die er während seiner ersten vier bis fünf Jahre in Leiden vernachlässig hatte.38 Nicht nur der Prinz von Oranien, der aus dem Studium des antiken Militärsystems Lehren für die Praxis ziehen wollte, hatte ein offensichtliches Interesse an einer Weiterentwicklung der philologischen Kritik. Am 16. Juli 1635 schrieb Grotius an Nicolaes van Reigersberch, dass Saumaise von den Kuratoren die Erlaubnis erhalten habe, nach Frankreich zu reisen.39 Kaum einen Monat später, am 10. August 1635, benannte Grotius in einem Brief an van Reigersberch den Grund der Rückkehr Saumaises nach Frankreich.40 Während seines Parisaufenthalts war Saumaise nicht nur mit Richelieu, sondern auch mit Henri II. de Bourbon, dem Prinzen von Conde´, zusammengetroffen.41 Der französische König hatte 1636 Conde´ beauftragt, Saumaise in Frankreich zurückzuhalten,42 so will es die eine Version. Die andere ist die Folgende: Henri de Bourbon, prince de Conde´ (1588–1646), der Vater des Grand Conde´, wird sich beim König und bei Richelieu darum bemühen, Saumaise in Frankreich zurückzuhalten.43 Conde´ drängte Saumaise im Sommer 1638, drei Jahre nach der Präzisierung des Projekts 1635, ihm seine Milice zu widmen. Das Hauptmotiv des Drängens Conde´s zur Rückkehr Saumaises nach Frankreich sei, dass dieser ihm sein Werk über die Milice dediziere. Er wollte sehen, was er darüber in Dijon gearbeitet habe und suchte ihn mit ebendiesem Vorsatz in seinem Kabinett auf.44 Am 11. Jan. 1642 berichtete Saumaise aus Dijon am 38 39

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Sarrau an Rivet, Paris, 27. Mai 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 279. Grotius an van Reigersberch, 16. Juli 1635. In: BW, Bd. 6, S. 89: »Monsieur Saummaise heeft contentement van de curateurs ontfangen, meent een reysken voor drie maenden in Franckerijck te doen.« Grotius an van Reigersberch, 10. Aug. 1635. In: BW, Bd. 6, S. 157. Pierre E. R. Leroy: Le dernier voyage a` Paris et en Bourgogne, (1640–1643), du re´forme´ Claude Saumaise. Libre e´rudition et contrainte politique sous Richelieu (Studies van het Instituut voor Intellectuelle Betrekkingen tussen de Westeuropese Landen in de Zeventiende Eeuw, 9), zugl. Nijmegen, Kath. Univ., Diss., 1983, Amsterdam-Maarssen 1983, S. 82. Peiresc an Saumaise, Aix, 9. Mai 1636, Paris, BN, Ms.n. a. fr. 5172, ff. 173–174. In: Nicolas-Claude Fabri de Peirescs: Lettres a` Claude Saumaise et a` son entourage. 1620–1637. Hg. v. Agne`s Bresson, Florenz 1992, S. 269. Nicolas-Claude Fabri de Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637 (Biblio 17, 12). Hg. v. Phillip Wolfe, Paris-Seattle-Tübingen 1983, S. 89. Saumaise an Rivet, Sommer 1638. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 98: »Je vous dirai ce que ie ne vous ai point encore dit que le principal subiect que le prince de Conde´ [a] de presser mon retour en France, est afin que ie lui dedie cet ouvrage de milice. Il vouloit voir de ce que i’en avois de fait a` Dijon et me vint voir expres en mon cabinet. Deux ou trois iours apres il me fit entendre sa volonte´ par l’un des siens et mesme on me parla d’y trouver place pour le siege qu’il alloit entreprendre qu’on croioit devoir avoir plus heureuse issue qu’il n’a eu.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Sarrau, dass er mit Conde´ zusammengetroffen sei und sich vor allem über religiöse Themen unterhalten habe.45 Es kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob Conde´ tatsächlich ein militärtheoretisches Interesse an der Arbeit von Saumaise hegte oder ob diese Forderung lediglich in seiner generellen Haltung als Mäzen begründet lag.46 Fest steht, dass Conde´ ein allgemeineres Interesse an Polybios hatte, wurde ihm doch 1634 ein Polybios-Kommentar durch Chevigny-Villers gewidmet,47 der alle Merkmale der pragmatischen Polybios-Rezeption des 45 46

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Zitiert in: Leroy, S. 164. Vgl. Orest A. Ranum: Artisans of Glory. Writers and Historical Thought in Seventeenth-Century France, Chapel Hill 1980: Kap. V: Patronage and History from Richelieu to Colbert: S. 148: »By the mid-seventeenth century the blending of aristocratic and robe values resulted in an extension of the ideal of the patron to include virtually that entire governing elite. Prominent churchmen, princes, nobles, parlementaires, and the socially vague but politically and culturally powerful group, the royal ministers, in some sense all felt the social obligation to patronize the arts, including the writing of history.«; S. 148f.: »Concurrently with influences in education and the society at large, equally powerful bureaucratic influences would culminate in he social type of the honneˆte homme.«; S. 149: »As a patron of letters, and particularly of history, Cardinal Richelieu also attempted through his creatures to control the literary and scholarly activities of France. The Cardinal’s ›protection‹ of an author had a very explicit meaning; in a sense it signified that the writer was his creature. Through humanist propaganda, during the course of the sixteenth century, French kings had become recognized as the principal patrons of the realm.«; S. 150: »The active patronage of lettres was something Louis XIII could not accomplish. […] At the same time, his brother Gaston; his mother Marie de Me´dicis; those rebellious princes of the blood Conti, Soissons, Conde´, and Beuafort; the other princes; prominent ecclesiastics; and leading parlementaires all competed in the arena of patronage to establish their own networks of dependencies and a certain control over literary activity./ The intellectual, political, and to a lesser extent social values and beliefs of these groups varied widely. During periods when the prince did not attempt to establish dependencies in the monde des lettre´s, writers of history could select from among various modes of political and intellectual values. Together the values and political beliefs of all these groups constituted the boundaries of the political culture. In a sense, diversity of viewpoints was circumscribed within the limits of diversity represented by these groups. The reign of Louis XIII saw a decline in the influence of the parlementaires as patrons, largely because their own sons rejected robe political and social values; the influence of the princes would have its ups and downs throughout the century./ A writer was permitted to have several patrons simultaneously. Nevertheless, a patron’s protection tended to establish something like exclusive rights over the writer’s work. The social and political positions of the nobleman’s clients or of Richelieu’s creatures in the royal councils were fixed by dependencies. In theory the writer felt more or less compelled to respect his patron’s views. In practice this obligation was much less constraining than it might appear.« Chevigny Villers: Traitte de l’anciene milice romaine, tire de Polybivs et enrichy de plusieurs authorites Ou` il se verra l’ordre de leurs Arme´es, de leurs Soldats, & de tous ceux qui leur commandoient, de qu’elles Armes ils vsoient offensiues & deffensiues leurs recompences, leurs Loix, & leur chastiments. A tres-hault, & trespuissant Prince Monseignevr le Prince de Conde´, Premier Prince du Sang, & premier Pair de France, Duc d’Anguien & de Chasteau-Roux Gouuerneur pour sa

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militärischen Späthumanismus in sich vereinigte. Dieser Traktat beschäftigt sich, wie der Autor im Vorwort an den Leser resümiert, mit folgenden Punkten: der militärischen Übung (exercice militaire), den Bataillonsformen (forme de batailllons), der Anordnung ihrer Lager (disposition de leurs camps) und dem Treffen (conflit). Chevigny-Villers setzte die Tradition der pragmatisch-militärtheoretischen PolybiosKommentare fort, indem er das römische militärtheoretische Modell, wie es durch Polybios überliefert worden war, um die römische Geschichtsschreibung ergänzte und dies in Beziehung zum zeitgenössischen militärischen System setzte, danach strebend, die modernen Dinge mit den Alten zu verbinden.48 Auch versuchte Saumaise bei der Quellenbeschaffung die Gunst (faveur) der ›plus grands de France‹ zu erlangen, als es darum ging ein griechisches Buch aus der Bibliothek in Florenz zu erhalten.49 Saumaise entwickelte sich in Frankreich jedoch nicht zum Höfling, sondern blieb ein Gelehrter, der den Kabinetten (insbesondere dem Kabinett Dupuy) verbunden war.50 So korrespondierte er, wie auch Abraham de Fabert, der zeitgleich mit Saumaise sein Journal de campagne und die Me´moiren niederschrieb, mit Valentin Conrart, einem der Gründer der Acade´mie franc¸aise, Marin Mersenne, Naude´, Perrot d’Ablancourt, ergo nicht nur Philologen, sondern ein Kreis von Personen, in dem sich die wissenschaftliche Revolution zu kristallisieren begann. Er unterhielt einen regelmäßigen Briefverkehr mit den Brüdern Dupuy, die gleichsam die Funktion von ›Regierungsberatern‹ innehatten. Vor diesem Hintergrund lässt sich die eingangs zitierte Äußerung Saumaises vom Mai 1644 verstehen. Im Zusammenhang des antihabsburgischen Krieges kam es zu einer Verschiebung des strategisch-politischen Schwerpunkts nach Frankreich, insbesondere nach Paris. Das Kabinett der Brüder Dupuy wurde zu dieser Zeit zu einem »Umschlagplatz« für theoretische Kriegsbegründung und Kriegskompetenz.51 Sie

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Majeste´ en Bourgogne Bresse, & Berry, &c. Par le Sieur de Chevigny Villers Gentil-homme Bourguignon, Dijon, Nicolas Spirinx, 1634. Mazarine A 12425. Ebd.: »ie me suis essaye´ d’en faire un rapport avec les nostres, mariant les choses modernes, avec les Ancien(n)es.« Saumaise an Rivet, Leiden, 23. Okt. 1646. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 502. »L’ide´e qu’on donne ici de M. Saumaise comme d’un grand et sage politique ne sert qu’a` le travestir. C ¸ a e´te´ non pas un scavant de cour … mais purement … un scavant de cabinet«, Remarque de B. de La Monnoye sur le pre´ambule de la Vita Salmasii, zitiert in: Leroy, S. 53. Vgl. Klaus Garber: Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy. In: Sebastian Neumeister, Conrad Wiedemann (Hg.), Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 14). Wiesbaden 1987, Bd. 1, S. 71–92.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

implizierte ein taktisches Modell für die in einem spezifischen Kriegszusammenhang operierenden Truppen, nämlich Flandern, die Niederlande. Die theoretische Konstituierung der Milice war zudem abhängig vom philologischen Forschungsstand, dem Zugang zu den diversen europäischen Fonds, Archiven und Bibliotheken; Saumaise war fest in die Netzwerke gelehrter, die antiken Handschriften vermittelnde Schaltstellen eingebunden. Dabei wurde insbesondere der provenzalische Antiquar Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, der u. a. mit dem Cabinet Dupuy verbunden war, zum Vermittler wichtiger Handschriften. Am 12. Sept. 1636 schrieb Saumaise an Peiresc, dass er den Urbikios erwarte und die Kapitel des Africanus, denn man müsse noch vor einem Friedensschluss mit der Abhandlung über das antike Militärwesen herauskommen, andernfalls sei diese nicht mehr gefragt, ›plus de saison‹.52 Erneut wird hier Saumaises Zwitterstellung manifest. So ist bei ihm am 2. Mai 1637 zu lesen, er erwarte die Handschrift des Vegetius. Im gleichen Atemzug nennt er seinen Arnobius.53 Er habe Schwierigkeiten es zu unterlassen, gewisse Dinge darin zu schreiben, die die politischen Autoritäten der Generalstaaten beleidigten.54 Am 11. Mai 1636 teilte Saumaise Peiresc mit, dass diejenigen, die ihn unter Druck setzten, Mächte seien, denen er den Gehorsam zu verweigern nicht wage. Dennoch sah er sich gedrängt, nach Holland zurückzukehren.55 Im Sommer 1635 präzisierte er sein Projekt.56 Von da an sammelte Saumaise Handschriften und Bücher und begann mit der Abfassung. Im September 1635 begab er sich nach Frankreich. Im Lauf des Jahres 52

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Saumaise an Peiresc, Paris, 12. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Bd. 1, Genf 1972, S. 285: »Pour m’y faire aller tant plustost, j’attens l’Urbicius et les chapitres de l’Africanus. Il faut sortir de cette milice avant que nous ayons la paix; autrement elle ne seroit plus de saison.« Vgl. [Arnobius d. Ä. (Rhetor)] Arnobii Afri adversus gentes libri VII, cum recensione viri celeberrimi (Cl. Salmasii), et integris omnium commentaries (videlicet Theodori Canteri, Godescalci Stewechii, Gebharti Elmenhorstii et Desiderii Heraldi). Editio novissima (cura Antonii Thysii), Leiden, J. Maire, 1651. BN C–1616 [beteiligt: Dirk Canter, Geverhard Elmenhorst, Didier He´rauld (Hg.), Claude Saumaise (Hg.), Godescalc Steewech). Saumaise an Peiresc, Leiden, 3. Mai 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, S. 94: »J’attends un Ve´ge`ce Ms. Pour mon Arnobe, il ne s’imprime pas encore. J’aurai bien de la peine a` me tenir d’y mettre des choses, qui offenceront ceux de la` haut. Si je ne le fais, j’offencerai ceux du Pays Bas.« Saumaise an Peiresc, Dijon, 11. Mai 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, S. 257: »Ceux qui me tiennent ainsi le bec en l’eau sont des puissances, ausquelles je n’oserois de´sobe´ir. Cependant je suis presse´ de m’en retourner en mon pays de Hollande, et en ai desja` receu lettres par lettres. Pendant cette incertitude de ce que je deviendrai, je ne suis pas capable d’arrester mon esprit a` une seule sorte d’estude.« Lettre XXXII.

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1644, zu dem Zeitpunkt als ihn Ludwig XIV. an Frankreich zu binden hoffte, machte er einen Versuch der Synthese und schrieb mehrere Kapitel, die er sofort dem Drucker Elzevier überließ.57 Die Elzeviers waren gezwungen, mehr als zehn Jahre lang die Milice zu behalten. Zunächst haben seine eigenen Zweifel, dann der Tod des Prinzen von Oranien im Jahr 1647 die Fertigstellung der Milice verzögert. Die Herausgeber veröffentlichten dann posthum einige Kapitel des unvollendeten Werkes.58 Nicolas Perrot d’Ablancourt hingegen weiß zu berichten, dass das Werk unvollständig geblieben sei, weil es Saumaise nicht gefiel. Denn obgleich es erst nach seinem Tod veröffentlicht worden sei, wurde es zu seinen Lebzeiten gedruckt, und er habe den weiteren Druck unter dem Vorwand unterbunden, dass er noch eine Handschrift aus der Bibliothek von Florenz erwarte, die ihm, wenn D’Ablancourt sich nicht täusche, durch den jungen Vossius beschafft worden war oder doch zumindest deren Kopie. Der nun vorliegende Text, dessen Veröffentlichung er zu seinen Lebzeiten verhindert habe, enthalte nur das seitdem Gedruckte, so d’Ablancourt.59 Friedrich Heinrich hat den Text niemals in seiner vollendeten Form gesichtet. So ist einem Brief des Prinzen von Oranien an Rivet vom 19. Okt. 1646 aus dem Lager von Venlo zu entnehmen, dass man ihn seit langem auf den Kommentar Saumaises über die römische militia (milice romaine) warten lasse, doch vor mehr als vier oder fünf Jahren habe man begonnen ihm davon zu erzählen, und er wolle sich nun darüber unterrichten, welche Kenntnis er von diesem Buch habe, ob man noch etwas erwarten könne, und wann es veröffentlicht werde.60

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Lettre CLXXXVI. Leroy, S. 67. Les stratagesmes de Frontin. De la traduction de Nicolas Perrot, Sieur d’Ablancourt, avec vn petit traite´ de la bataille des romains, Paris, Louis Billaine, 1664, BN R 36613, S. 229: »son ouvrage n’est demeure´ imparfait, que parce qu’il ne luy plaisoit pas. Car quoy qu’il n’ait este´ publie´ qu’apres sa mort, il estoit imprime´ durant sa vie, & il y a trente (sic) ans qu’il en fit arrester l’impression, sous pretexte de quelque manuscrit qu’il atendoit de la Bibliotecque de Florence, & qui luy fut aporte´ depuis, si je ne me trompe, ou pour le moins sa copie par le jeune Vossius. Ce que nous avons donc maintenant, n’est que ce qui estoit imprime´ de´s lors, dont il a empesche´ tant qu’il a vescu la publication.« Archives ou correspondance ine´dite de la maison d’Orange-Nassau. Hg. v. Guillaume Groen van Prinsterer, 2e se´rie, t. 4: 1642–1650, Utrecht 1859, S. 170: »Il y a si long temps que l’on me faict espe´rer ce que M. de Saumaise auroit commente´ sur le subject de la milice romaine, qu’en fin, n’en voyant rien paroistre, apre`s ce me semble plus de quatre ou cinq anne´es qu’on m’en a commence´ a` parler, j’ay voulu vous prier par cestes de m’adviser quelle cognoissance vous avez de ce livre, s’il fault encore en attendre quelque chose, et pour quand vous croyez qu’il pourra veoir le jour. J’auroy agre´able que vous m’en informiez.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

b. Die Milice und die französische militärische Kultur Wenngleich Sarrau an Rivet 1644 schrieb, dass es sich um ein für den holländischen Raum geeignetes Werk handele – »C’est un ouvrage bien agreable et divertissant et propre pour le pays ou` il est a present.«61 –, so ist vor allem der Abre´ge´ de la milice des Romains dennoch eine französische Konzeption, wird darin doch im Anschluss an die Tradition der Paralleli militari die moderne französische Militärorganisation als Vergleichssystem angeführt. Nachdem Saumaise Rivet 1643 die an der chronologischen Achse entwickelte römische Taktik der lateinischen Fassung des Werks mitgegeben hatte,62 meldete Sarrau bekanntlich am 27. Mai 1644, dass es sich auch bei seiner Milice Latine, die er dem Druck übergeben werde, noch um eine französische Konzeption handele, die sich in Holland ereignen werde.63 Der militärtheoretisch-taktische Diskurs entwickelte sich damit an der systematischen Peripherie, an der Nahtstelle zweier unterschiedlicher Militär- und Verfassungssysteme, wie sie der Text von Rene´ Lenormant bereits reflektierte. Er ging jedoch aus einer kulturellen Konstellation hervor, die sich durch die an Frankreich orientierte dynastischmilitärische Kultur Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien, die strategisch-politische Schwerpunktverlagerung nach Frankreich, die von einer national-kulturellen Bewegung sekundiert wurde, und die wissenschaftsideologischen Gegebenheiten der hugenottischen Gelehrtenkultur ergab. Die französische Prägung der Arbeit lag auch in der kulturellen Ausrichtung des Auftraggebers begründet. Friedrich Heinrich von Oranien hatte, anders als Moritz von Oranien, als Sohn von Louise de Coligny eine prononciert französische Ausbildung genossen. c. Eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrich von Nassau-Oraniens – Die französisch-polybianisch geprägte militärische Kultur des Prinzen Die gleichfalls undatierte Abhandlung über die Kriegskunst (L’art de la guerre) von Friedrich Heinrich von Oranien64 ist in diesem Komplex 61 62

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Sarrau an Rivet, 1. April 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 239. Sarrau an Rivet, 6. März 1643. In: Correspondance inte´grale d’Andre´ Rivet et de Claude Sarrau. Hg. v. Hans Bots, Pierre Leroy, Bd. 1: La Re´publique des lettres a` la fin du re`gne de Louis XIII. Septembre 1641–mai 1643, Amsterdam 1978, S. 416: »Heduus noster parle de partir tout de bon aussi tost/ apre`s Pasques et cependant a faict un ample commentaire de la Milice Romaine ou il distingue celle du temps des Consuls d’avec celle du temps des Cesars, ce que Patrice, Lipse, Savile, ni autres n’avoient encores ose´ entreprendre. Il vous en portera un magnifiquement gros roulleau tout prest a mettre sous la presse.« Sarrau an Rivet, 24. Mai 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 279. Fre´de´ric Henri de Nassau-Orange, L’Art de la Guerre. Escript de la main propre de Son Altesse le Prince Fred.-Henri. Prince d’Orange de Tresglor. Kopie in Berlin,

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eines philologischen Kulturtransfers zu verorten, in dem zunehmend französischsprachige Traktate seitens der Humanisten verfasst wurden. Über die Kommunikation zwischen dem Prinzen und dem französisch-calvinistischen Gelehrten gibt die Korrespondenz Aufschluss. In diesem Zusammenhang drängen sich einige Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Humanismus bzw. philologischer Interessenlage in den Niederlanden und Frankreich und dem politischen Kontext auf. Die militärische Allianz, die das Geburtsland Saumaises mit seinem Gastland verband, erleichterte dessen Übersiedlung. Gegen Spanien erhofften sich die Holländer und Franzosen dieselben Siege und kalkulierten die gleichen Schläge. Der Gelehrte verfasste damals mit martialischer Feder regelrechte Kommunique´s.65 Möglicherweise sollte diese erneute Auseinandersetzung mit der antiken Taktik des unter Trajan wirkenden Griechen Aelian, das von Lipsius nicht behobene Desiderat einer neuen Interpretation der antiken Taktik (die ja beabsichtigt war) beheben. Saumaise schrieb am 1. Juni 1635 aus Leiden, dem Zeitpunkt, zu dem er begann an einem Text über die römische militia zu arbeiten: Er sei nun zu einem feineren Argument gelangt als die robes, das er zugunsten des Prinzen von Oranien mache, der ihm vor langer Zeit vom römischen Militär (milice) reden ließ, wo er zeige, dass bislang keiner die von den Römern praktizierte Art des Lagerns und der Schlachtordnung verstanden habe.66 Am 2. März 1637 präzisierte er in einem in Leiden verfassten Brief, er könne, ohne die Einsicht der Taktik des Urbicius und die Kapitel des Africanus, sein Werk nicht zu Ende bringen. Dessen ungeachtet drängte ihn Friedrich Heinrich dazu, ihm vorzulegen, was er ihm über dieses Thema versprochen habe. Der Prinz wolle sich mit ihm über die Schwierigkeiten unterhalten, die er in den Büchern über das römische Militärwesen vorfindet, und erwarte, dass er ihm seine Schrift vorlegt, schreibt Saumaise.67 War zunächst an eine

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Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz MS. Germ. fol. 115; von demselben gibt es noch: ›Art militaire du Capiteine Genl. Escript par la main propre de Son Altesse Fred. Henri. Prince d’Orange de Tresglor. Mem. en l’an 1614.‹ und den ›Abbrege´ du Maistre de Camp Genl. extraict du George Basta, 1614‹. Roger Zuber: De Scaliger a` Saumaise. Leyde et les grands ›critiques franc¸ais‹, Bulletin de la socie´te´ de l’histoire du Protestantisme Franc¸ais, 126, 4 (1980), S. 485. Saumaise an Peiresc, Leiden, 1. Juni 1635. In: Les correspondants de Peiresc. Bd. 5, S. 32f.: »Je suis maintenant sur un plus noble argument que celui des robes, et lequel j’ai entrepris en faveur du prince d’Orange, qui m’en avoit fait parler il y a longtems, qui est la milice romaine, ou` je montrerai que personne jusques ici n’a entendu la manie`re de camper et de ranger en bataille, que les Romains ont pratique´e.« Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, 1882, S. 86f.: »Je porte encore avec une grande impatience l’effect de la promesse qu’on vous a faite, touchant les tactiques d’Urbicius et les chapitres de l’Africanus. Je ne scaurois mettre fin a` mon ouvrage, que je ne les aye veus. Ce-

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kleine Arbeit über die römische Lager- und Schlachtordnung gedacht, so weitete sich das Projekt mit der Zustimmung Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien bald zu einer großen wissenschaftlichen Synthese zur römischen militia aus.68 Am 20. Mai 1640 berichtete Constantin Huygens an Andre´ Rivet: Il m’a promis de laisser a l’imprimeur en partant ses livres de primatu [De primatu Papae], qui sont prets il y a plus de douze ans, esquelz il n’y aura rien des animosite´z de ce temps, et qu’il tiendra sa Milice preste pour son retour. En attendant j’espere que son Altesse en fera une reelle qui menera plus de bruit et apportera plus de fruict.69

Als Saumaise Burgund zu Beginn der zweiten Augustwoche 1643 endgültig verließ70, hatte er die Milice vollendet71 und kehrte im Dezember 1643 nach Holland zurück.72 Am 28. Sept. 1643 teilte Andre´ Rivet Claude Sarrau mit73 – Saumaise befindet sich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich –, dass Friedrich Heinrich von Oranien, der sich in der Polemik zwischen Heinsius und Saumaise auf die Seite des letzteren stellte, auf die Milice Saumaises als etwas Einzigartiges warte und dass man versuchen müsse, ihn zufrieden zu stellen.74 An Rivet meldete Huygens am 26. Juli 1646 aus Den Haag:

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pendant le prince d’Orange me presse de lui donner ce que je lui ai promis sur cette matie`re, et m’en a desja` fait escrire plusieurs fois depuis que je suis arrive´, sans ceux qui me l’ont dit de bouche de sa part. […] Il veut m’entretenir a` ce qu’il m’a fait dire sur tout plein de difficulte´s qu’il trouve dans les livres, sur la milice romaine, attendant que je lui pre´sente mon escrit.« Saumaise an Du Puy, prieur de Saint-Sauveur [Jacques Dupuy], Leiden, 8. April 1635. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 322: »Je travaille maintenant pour luy [Friedrich Heinrich]. Je n’avois dessein que de faire un petit abbrege´ pour luy faire entendre la maniere de camper des Romains et celle de renger en bataille. Il a trouve´ bon que ie m’estendisse plus loing et que je luy explicasse tout l’estat de la Milice Romaine, ce que je faictz. Si je ne l’acheve icy, j’auray plus de moyen de le mieux polir en France, principalement pour ce qui est du style que je n’ay jamais eu guie´res bon en nostre langue, pour ne m’y estre pas exerce´, et que j’ay encore acheve´ de gaster depuis que je suis en ce beau paı¨s parmy ces ventres de bie`re ou` je suis devenu fort flegmatique et catarreux, mais c’est pour cracher tousjours du latin.« Constantin Huygens an Andre´ Rivet, 20. Mai 1640. In: De Briefwisseling van Constantijn Huygens. 1608–1687, Teil 3. Hg. v. J. A. Worp, ’s Gravenhage 1914, S. 30. Leroy, S. 95. Saumaise an Rivet, Dijon, 24. April 1643. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648; 1643 an Spon: »Le bon M. Saumaise est parti le 4 de ce mois pour la Hollande: utinam felici cursu naviget. C’est le grand bien de la re´publique litte´raire qu’il soit la`, afin qu’il nous y fasse imprimer tant de beaux livres qu’il a tout preˆts.« Robert Mandrou: Histoire de la pense´e europe´enne. Des humanistes aux hommes de sciences. XVIe et XVIIe sie`cles, Paris 1973, S. 155. Vgl. auch Claude Sarrau: Ad Hugonem Grotium epistolae...Voir Groot (Hugo de). Epistolae ad Gallos…, Lipsiae 1674. BN 8-Z–2755; Claudii Sarravii,…Epistolae, opus posthumum…– Arausioni 1654. BN Z–14088: MFICHE Z–14089. Rivet an Sarrau, Den Haag, 28. Sept. 1643. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2,

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A cette heure il va faire continue¨r la Milice, s’il me tient promesse et aux imprimeurs. Il sera bien abboye´, et n’a plus a esperer de Rome que des fagots. Car il ne faict pas la petite bouche de nommer le Pape le vray Antichrist.75

Im Okt. 1646 entschuldigte sich Saumaise, obgleich er angekündigt hat, einige Kapitel der Milice seien in Druck gegangen, nochmals bei dem oranischen Fürsten mit folgender Begründung: seit er vor sechs Jahren nach Burgund zurückgekehrt sei, habe er ein Buch aus der Bibliothek in Florenz über das Thema der Milice erwartet, ohne dessen Kenntnis er es nicht gewagt habe, seine Schrift zu veröffentlichen. Er sei bereits seit zwanzig Jahren hinter diesem Buch her und habe die Gunst der »plus grands de France« in Anspruch genommen, um es zu erhalten.76 Am 29. Jan. 1647 schrieb Constantin Huygens an Saumaise: Vous pouvez croire, Monsieur, que ces discours auront fini dans la mention de vostre Milice. Mais je ne sc¸ay si vous advoüerez que je me soye rendu caution de ce que S. A. la verra dans peu de moiz, sur les asseurances que M. Rivet m’en a donne´es. Vous nous esclarcirez, s’il vous plaist, de nos doubtes.77

Auf die Kritik Friedrich Heinrichs von Oranien hin sah sich Saumaise veranlasst, der Milice einen Zeitbezug zu geben und sich Kenntnisse über die Terminologie in der Lektüre der aus der militärischen Praxis kommenden Militärschriftsteller anzueignen. Wenn der Prinz von Oranien nicht gänzlich die Schreibweise Saumaises verbessert hätte, so hätte er nicht geendet wie er angefangen habe, zumal er von Tag zu Tag mehr Kenntnisse in der Sprache der Soldaten (langage des guerriers) durch die

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S. 164: »il s’attend a la Milice de M. de S[aumaise] comme a quelque chose de singulier et il faudra qu’il tasche de le contenter.« Constantin Huygens and Andre´ Rivet, 6. Aug. 1640. In: De briefwisseling van Constantijn Huygens. 1608–1687, Teil 4. Hg. v. J. A. Worp, ’s Gravenhage 1915, S. 334 und weiter merkte er an: »Tout le reste de l’escrit est ferme et solide, et y a peu de personnel. Quoy-qu’il ait pris un nom emprunte´, il ne dissimule pas a` present qu’il en soit l’auteur, et il veut bien que son imprimeur fasse valloir sa marchandise sous son vray nom.« Saumaise an Rivet, Leiden, 23. Okt. 1646. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 502: »Pour response a` la vostre sur le subiect de ce qu’on a desire´ savoir de moi par vostre moyen, touschant la Milice Romaine que i’ai promise a` S. A., il est vrai que la promsesse est un peu vieilles, et que l’effect tarde trop, mais divers empeschements qui sont venus a` la traverse en sont cause et me doivent servir d’excuse envers S. A. Je vous les dirai touts, afin qu’on ne die plus que des pedants ont occupe´ iusques ici ma plume a` mille sottises. Il y a six ans que prenant conge´ de S. A. pour aller en Bourgogne apres la mort de feu mon Pere, ie lui promis ce traicte´ de la Milice et lui dis aussi que i’attendois un livre grec qui traittoit de cette matiere et que l’on gardoit dans la Bibliotheque de Florence, sans lequel ie ne pouvois me resoudre a` publier ce que i’avois sur ce subiect. Qu’il y avoit pres de vingt ans que i’estois apres pour l’avoir et avois employe´ la faveur des plus grands de France, mais quenfin depuis peu on m’en donnoit bon esperance.« Huygens an Saumaise, s.l., 29. Jan. 1647. In: De briefwisseling van Constantijn Huygens, Teil 4, S. 380.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Lektüre der Militärschriftsteller, die Soldaten waren.78 Anders als Lipsius, der sich selbst zum magister ad militam erhob und bei dem die Militärs in die Schule gingen, eignete sich Saumaise auf Veranlassung von Friedrich Heinrich von Oranien die moderne militärische Begrifflichkeit an. Offensichtlich war das Interesse Friedrich Heinrichs durch die eigenen militärwissenschaftlichen Arbeiten motiviert, wie sein Interesse an den taktischen Theoretikern und dem römischen Militärwesen verrät, über die Saumaise zu schreiben beabsichtigte. Dabei sind die Handschriften der Taktik des Urbicius – es handelt sich um Urbicius’ Epitedeuma, ein kurzes Pamphlet, das in der Regierungszeit Kaiser Anastasius (491–518) entstand und das von der Taktik für die Landstreitkräfte handelt und ein Ratgeber für einen Kaiser darstellte79 – und die Kapitel des [Julius] Africanus80 von entscheidender Bedeutung für die Fertigstellung der taktischen Abhandlung. 1522 wurde Urbicius erstmals in De nominibus ordinum militarium (Basel) verwendet (Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek, München). 1525 unter dem Titel Orbikiu to¯n peri to strateuma taxeo¯n in dem Lexicon Graecum (Basel, Valentinus Curio) von Pierre Gilles (1490–1555) und in Farrago Libellorum Omnium, quos in Superioribus Aeditionibus adiectos comperimus (Paris 1525) und erneut 1532 in Onomato¯u atthiko¯n eklogai (Lutetiae, Vascos, 1532) 78

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Saumaise an Rivet, Leiden, 10. Juli 1635. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 75f.: »Si le prince n’avoit point totalement [ap]prouve´ ma fac¸on d’escrire, ie ne lairrois pas d’achever comme i’ai commence´ d’autant que je me fait tous les iours plus scavant au langage des guerriers par/la l[ecture], de nos ecrivains qui ont este´ du mestier, et qu’aussi les lettres qu’il en a veu qu’ont este´ broche´es qu’a` la haste.« Vgl. Geoffrey Greatrex, H. Elton, R. Burgess: Urbicius’ Epitedeuma. An edition, translation and commentary, BZ, 98, 1 (2005), S. 35–74; S. 74: Obzwar es in einigen der Handschriften des Strategikon von Maurikios enthalten ist, wurde es in den jüngeren Ausgaben von Dennis und Gamillscheg nicht herausgegeben. Der einzige moderne Text wurde von H. Miha˘escu in der Ausgabe von Maurikios Strategikon (Arta Militaraˇ, Bukarest 1970, S. 368–373) mit einer rumänischen Übersetzung herausgegeben. Ein weiterer Text von Urbicius befindet sich in Scheffers Ausgabe von 1664 (Johannes Scheffer (Hg. u. Üb.): Arriani Tactica et Mauricii Ars Militaris, Uppsala 1664; Faksimile: Osnabrück 1967, S. 364–370); Französische Übersetzung: Charles-The´ophile Guischardt: Me´moires Militaires sur les Grecs et les Romains, Bd. 2, La Haye 1758, S. 104–106. Eine englische Übersetzung findet sich in der Dissertation von P. Rance: Tactics and Tactica in the sixth century, PhD thesis, St. Andrews 1994, S. 266–268. Vgl. supra bei Casaubon; Julius Africanus lag, nach der Erstausgabe durch The´venot, Mathematici veteres (1693), S. 275–316, der nur die späteren Handschriften der aus des Julius Africanus κεστοι erhaltenen militärischen Sammlung heranzog, noch nicht vor. Erst J.-R. Vieillefond hat eine Ausgabe auf Grundlage der besten Handschriften erstellt, so unter anderem dem Laurentianus LV 4 (vgl. Jules Africain: Fragments des Cestes provenant de la collection des tacticiens Grecs. Edite´s avec une introduction et des notes critiques par J.-R. Vieillefond, Paris 1932).

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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durch Thomas (Magister) aufgenommen. Nochmals beigedruckt wurde Orbikiu to¯n peri to strateuma taxeo¯n in dem durch Guillaume Bude´ (1468–1540), Jacques Toussain (1498–1547), Conrad Gesner (1516– 1565), Hadrianus Junius (1511–1575), Robert Constantin (1530–1605), Johann Hartung (1505–1579) und Marcus Hopper (–1565) zusammengestellten Lexikon Helle¯norho¯maı¨kon, hoc est Dictionarium Graecolatinum. Supra omnes editiones postremo nunc hoc anno ex variis et multis praestantioribus linguae Graecae authoribus, commentarijs, thesauris [et] accessionibus, non duntaxat allegationum, sed etiam plurimarum vocum simplicium acutario locupletatum, illustratum (Basel, Ex Officina Henricpetrina, (1565)). Nicolas Rigault (1577–1654) hatte das Epite¯deuma des Urbicius in seinen Onasander-Kommentar (1599/1600) aufgenommen.81 1599 gab Rigault den Onasander und zugleich griechisch mit lateinischer Übersetzung und Anmerkungen heraus. Der Urbicius (Urbikios) war dem XII. Buch des Strategikos von Maurikios entnommen und Saumaise erkannte in dieser Schrift die Taktik Kaiser Hadrians.82 Obgleich Urbicius bereits – wenn auch nicht im Zusammenhang der Sammlungen der scriptores veteres de re militari, aber in etwa in der gleichen Zeitspanne, in der das Buch VI des Polybios in der Renaissance übersetzt respektive rezipiert wurde – im 17. Jahrhundert auf eine, wenngleich schwache Überlieferungstradition zurückblicken konnte, erfolgte die erste Ausgabe erst 1664 durch den deutsch-schwedischen Humanisten Johannes Scheffer (1621–1679), der als seine Vorgänger Scaliger, Casaubon, Lipsius, Saumaise und Panvini anführt. In Schweden war er am Hof der Königin Christine mit Descartes, Nicolas Heinsius, Claude de Saumaise und Isaac Vossius zusammengetroffen.83 Auf Anregung der Tochter Gustav Adolfs, Christine von Schweden (1628–1689), edierte Scheffer den Pseudo-Maurikios (Mauricii Strategicum) zusammen mit der Ars tactica (Τε χνη τακτικη ) von Arrian (Arriani Tactica)84 (136/37 n. Chr.). Der Urbicius ist in Mauricii Strategicum 81

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[Strategicus] Onosandru strategikos. Onosandri Strategicus. Sive: De imperatoris institutione: Accessit ›Urbikiu Epite¯deuma‹, Nicolaus Rigaltius P. Nunc primum e` vetustis codd. Graecis publicavit, Latina` interpretatione & notis illustravit, Lutetiae Parisiorum, Saugranius & Des Rues, 1599; Urbikiu Epite¯deuma/Nicolaus Rigaltius P. In: Iani Grvteri varii discursus; Sive Prolixiores Commentarii ad aliquot insigniora loca Taciti atque Onosandri, Heidelberg 1600. Nunc primvm Graece Et Latine in Lvcem Dedit. G. Rathgeber: Art. ›Onosandros‹. In: J. Ersch, J. G. Gruber (Hg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, Dritte Section, 4. Teil, Leipzig 1833, S. 11. Allan Ellenius: Johannes Schefferus and Swedish Antiquity, JWCI, 20, 112 (1957), S. 61. Arriani Tactica et Mauricii artis militaris libri duodecim omnia, nunquam ante publicata, Graece primus edit, Versione latina notisque illustrat Joannes Schefferus Argentoratensis, Upsaliae, Henricus Curio, MDCLXIV.

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(S. 364–370) eingefügt und beginnt mit folgenden Worten: »Vrbicii inventum. Propositae dispositiones inventae quidem sunt a veteribus, & propositae, utmilites imminentes aliqundo hostium uncursiones melius possint sustinere.85« Alphonse Dain hält es für wahrscheinlich,86 dass der Vossianus Gr. 12 (L) in Leiden (17. Jh.) zeitweilig der Bibliothek der Königin Christine in Stockholm angehörte. Er stammt (S. 8f.) seinerseits aus B (Parisinus 2435) ab. Der Parisinus Gr. Suppl. 83 (E) wurde laut Unterschrift 1652 von Pierre Daniel Huet aus L in Stockholm abgeschrieben. Im Dienste der Königin Christine standen damals eine Reihe von Philologen, darunter Johannes Scheffer, Heinsius, Naude´, Saumaise und Vossius, die alle Kenner des antiken Kriegswesens waren.87 Saumaise schrieb am 2. März 1637, dass er mit großer Ungeduld die Einlösung der die Taktik des Urbicius und die Kapitel des Julius Africanus betreffenden Versprechungen erwarte. Er könne sein Werk nicht vollenden, bevor er diese nicht eingesehen habe. Dennoch dränge ihn der Prinz von Oranien, ihm das Angekündigte vorzulegen; er habe ihm schon mehrmals seit seiner Ankunft schreiben lassen. Auch wolle der Prinz ihm von seinen Schwierigkeiten berichten, auf die er bei der Lektüre der Bücher über die römische militia (milice romaine) gestoßen sei, und er erwarte, dass Saumaise ihm seine Schrift vorlege.88 Die Epitedeuma des Urbicius liegen im Mediceio-Laurentianus unter dem Titel Maurikios Strategikon, die dem Urbicius zugeschrieben wird, Ambrosianus graecus 139 (B 119 sup), c. 959, 93r–59v Urbicius’ Tacticon und die drei Epigramme, Neapolitanus gr. 284 (III C 26) aus der Mitte des 11. Jh. Urbicius Epitedeuma (99v), nach dem Strategikon des Maurikios 85

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Arriani Tactica et Mauricii Ars Militaris, Uppsala 1664; Faksimile: Osnabrück 1967, S. 364. Alphonse Dain: Les manuscrits d’Ascle´piodote le philosophe, RevPhil, 9 (1935), S. 5. Über die Geschichte der Handschriften klärt Friedrich Lammert auf: Griechisches Kriegswesen. Bericht über das Schrifttum der Jahre 1918–1938. In: Jahresberichte über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft, Bursians, 274 (1941), S. 38f. Der Parisinus Gr. Suppl. 1252 (M) ist erst im 19. Jh. von dem Hss-Ankäufer Minoides Mynas vor 1848 aus E abgeschrieben worden; vgl. H. Schöne: Über den Mynascodex der griechischen Kriegsschriftsteller in der Pariser Nationalbibliothek, Rheinisches Museum, LIII (1898), S. 432ff. Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 288f.: »Je porte encore avec une grande impatience l’effect de la promesse qu’on vous a faite, touchant les tactiques d’Urbicius et les chapitres de l’Africanus. Je ne sc¸aurois mettre fin a` mon ouvrage, que je les eye veus. Cependant le prince d’orange me presse de lui donner ce que je lui ai promis sur cette matie`re, et m’en a desja` fait escrire plusieurs fois depuis que je suis arrive´, sans ceux qui me l’ont dit de bouche de sa part.[…] Il veut m’entretenir a` ce qu’il m’a fait dire sur tout plein de difficulte´s qu’il trouve dans les livres, sur la milice romaine, attendant que je lui pre´sente mon escrit.«

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(20v–99v). Der Parisinus gr. 2442, der gleichfalls aus der Mitte des 11. Jahrhunderts stammt, ist in zwei Teile geteilt: der zweite Teil, der Maurikios’ Strategikon (1–61r) und Urbicius’ Epitedeuma enthält, befindet sich im Barberinianus gr. 276 (II 97).89 Friedrich Heinrich verwandte offensichtlich die Arbeit Saumaises für seine eigenen militärwissenschaftlichen Studien, die in dessen Kriegskunst (L’art de la guerre) niedergelegt sind. Es war weniger ein etabliertes Modell der Truppenpraxis, das sich militär- oder kriegsgeschichtlich identifizieren lässt, als vielmehr die dynastische und die genuin theoretische Form, in der die mit den holländischen Militärreformen der 1590er Jahre in Verbindung stehende Militärtheorie als theoretisches Phänomen in der Gelehrtenwelt kritisch rezipiert, konzeptuell weiterentwickelt und neu systematisiert wurde. Dass bislang die oranische Militärtheorie wie sie sich auf Anregung von Friedrich Heinrich von Oranien in einem gewandelten strategischen Kontext herausbildete, unberücksichtigt blieb, verdeutlicht, dass die Militärtheorie der ersten Generation der Nassau-Oranier und der damit in Verbindung stehenden militärtheoretischen ›Grundlagenforschung‹ sich in der ersten Jahrhunderthälfte nicht als gültiges militärwissenschaftliches und strategisches Paradigma durchzusetzen vermochte. Die oranische Kriegskunst muss daher in den konfessionellen und kulturellen Brüchen des westeuropäischen Späthumanismus und im strategisch-politischen Kontext um 1635 analysiert werden. Friedrich Heinrich von Oranien sammelte während seiner Statthalterschaft eine Reihe von Hugenotten um sich, die die militärtheoretische Kritik auf dessen Anregung hin, weiter forcierten und neu systematisierten, in Übersetzungen verbreiteten oder auch auf neue mathematische Grundlagen stellten: Zu diesen zählten neben dem bedeutenden Hellenisten Claude de Saumaise der aus der Normandie stammende Mathematiker und Soldat Guillaume le Faulx und der Pariser Hugenotte und Philologe He´lie Poirier. Bereits die Mutter des Prinzen, Louise de Coligny (1555–1620), holte hinsichtlich der Erziehung ihres Sohnes den Rat des protestantischen Politikers Philippe Duplessis-Mornay ein.90 Fer89 90

Alle Angaben aus: Greatrex et al.: Urbicius’ Epitedeuma, S. 44f. Philippe Duplessis-Mornay: Advis sur l’institution d’un enfant, que l’on veut nourrir aux lettres; envoie´ a` Madame la Princesse d’Orenge, a` son instance sur le subjet de son fils. In: Memoires et diverses lettres de Messire Philippes de Mornay, seigneur du Plessis Marli, baron de la forest sur Sevre, &c. Conseiller du Roy en ses Conseils d’Estat & Prive´, Capitaine de cent hommes d’armes de ses Ordonnances, Gouuerneur & Lieutenant General pour sa Majeste´ en la Seneschausse´e, Ville & Chasteau de Saumur, &c. Contenant out ce qui s’est fait & passe´ en ses Negotiations depuis l’anne´e 1589. iusques en 1600, Paris, Simeon Piget, M. DC. XLVII, ´ tude sur sa S. 69ff.; s. auch: Le´on Marle´t: Louise de Coligny, princesse d’Orange. E vie. In: Louise de Coligny: Correspondance de Louise de Coligny. Princesse

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nerhin unterhielt Louise de Coligny eine Korrespondenz mit Scaliger.91 Heinrich IV. legte Louise de Coligny nahe, ihren Sohn an den französischen Hof zu senden. Friedrich Heinrich besuchte daraufhin die von Antoine de Pluvinel gegründete Acade´mie-Maneige.92 In einem Brief an Scaliger, der diesen dazu bewegen sollte, den vakanten Lehrstuhl an der Universität Leiden zu besetzen, äußerte Louise de Coligny die Hoffnung, dass ihr Sohn bei Scaliger studieren möge.93 Friedrich Heinrich wurde auf Kosten der Staaten von Holland durch seine Mutter erzogen. Der jüngere van der Does, Witenbogaert und Daniel Taffin waren seine Lehrer an der Universität Leiden. 1593 schenkten ihm die Generalstaaten ein Regiment von 20 Fähnlein und das Gouvernement von Geertruidenberg. 1597 reiste er mit seiner Mutter nach Frankreich, wo letzte Hand an seine Erziehung gelegt wurde. Wie sein Halbbruder Moritz von Oranien, Sohn Wilhelms des Schweigers und Annas von Sachsen, der die polybianische Taktik in Verbindung mit der taktischen Tradition der Deutschen rezipierte, und seine Vettern, die auf Niccolo` Perrotti und partiell auf Justus Lipsius referierten,94 nahm sich Friedrich Heinrich ebenfalls Polybios an. Anders als sein Halbbruder schloss er jedoch an die französische militä-

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d’Orange. 1555–1620. Hg. v. Paul Marchegay und Le´on Marlet, repr. Ausg, Paris 1887, Genf 1970, S. XXVI: Sie wandte sich hinsichtlich eines Studienplans für Friedrich Heinrich an Duplessis-Mornay, der ein Bewunderer des Admirals war; Louise de Coligny an Du Plessis-Mornay, Middelbourg, Juli 1591. In: Correspondance de Louise de Coligny, S. 95ff. Briefe an Joseph Justus Scaliger, ’s-Gravenhage 1593. Universitätsbibliothek Leiden: Kluis: Brieven-BPL 1886. Marle´t: Louise de Coligny. In: Correspondance de Louise de Coligny, S. XLII. Louise de Coligny an Scaliger, Den Haag, 9. Jan. 1593. In: Correspondance de Louise de Coligny, S. 99: »Croyez-m’en, je vous prie, et me donnez ce contentement commun d’avoir aide´ a` cette publique utilite´, et ce particulier de vous voir en lieu ou` mon fils ait ce bien de vous approcher, car je me de´libe`re meˆme de l’envoyer dans quelque temps a` Leiden.« GdKW, Bd. 2, S. 869f.: »Von der höchsten Wichtigkeit aber wurde es, daß Polybios, der seit des Lipsius Veröffentlichungen dem bis dahin fast allein herrschenden Vegetius den Rang abgelaufen hatte, als Lehrer der römischen Treffentaktik in Deutschland, ja auch in Frankreich, geradezu wie eine Offenbarung wirkte. Und nirgends wurde diese neue Lehre lebendiger, nirgends übte sie unmittelbareren Einfluß auf die praktische Kriegführung als in den Niederlanden, wo Polybios den leitenden Männern des großen Unabhängigkeitskrieges, zumal dem Prinzen Moritz von Oranien und dem Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau, bedeutungsvolle taktische Anregungen gewährte und wo derselbe Autor sogar in den Vordergrund der wissenschaftlichen Jugenderziehung des fürstlichen Geschlechts trat. Die kgl. Bibliothek zu Berlin besitzt das Diarium eines Vortrags, den Prinz Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647) als Knabe hörte. Es führt den Titel ›Annotationes et excerptae in militaribus‹ und ist in französischer Sprache geschrieben. Der Vortrag liegt in einzelnen Teilen, z. B. im 5. Kapitel (des usages du compartiment de l’arme´e) ausführlich von der Hand des Lehrers, auszugsweise von der Hand des Prinzen vor [nicht in ms. fol. Germ., befindet sich nicht mehr in der Staatsbibliothek].«

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risch-humanistische Kultur an. In der Bibliothek des Prinzen befanden sich die französischen Übersetzungen des Polybios-Kommentars von Justus Lipsius95 und der milice romaine von Francesco Patrizi.96 Bereits in der Erziehung des Prinzen lag der Schwerpunkt auf einer ›polybianischen Paideia‹. In einem Brief Constantin Huygens an Andre´ Rivet vom 6. Okt. 1636 wird die Notwendigkeit angesprochen, einen Abbre´ge´ der fünf Bücher des Lipsianischen Polybios-Kommentars für den Prinzen ins Französische zu übertragen. Man dachte dabei nicht an Pariser Übersetzer im Allgemeinen, sondern im Besonderen an Saumaise, der sich gerade auf dem Weg in die Niederlande befand.97 Am 9. Okt. folgte ein weiterer Brief aus Den Haag, in dem Huygens erneut die Hoffnung auf ein baldiges Eintreffen Saumaises samt seiner gesamten alten und neuen Tak95

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KB, Ms 128 A–5, La Milice Romaine de Iuste Lipse Comprise en cinq livres Commentaire sur Polybe De la premiere partie du Flambeau historique [enthält Buch I–IV]; KB, Ms 128 A–6, La milice romaine de Juste Lipse. Livre Cinquie´me. Mise en Franc¸ois [enthält Buch V]. KB, Ms 70 G 15, La milice romaine de Polybe, Tite-Live et Denys d’Halicarnasse…par Franc¸ois Patrice. Traduite d’Italien en Franc¸ois par Nathanae¨l Rhuez. Selon l’e´dition imprime´e a` Ferrare chez Dominique Mamarelli…1583. Constantin Huygens an Andre´ Rivet, 6. Okt. 1636. In: Briefwisseling Constantijn Huygens. 1608–1697, Teil 2: 1634–1639, ’s-Gravenhage 1913, S. 199: »La vostre m’a este´ rendue¨ par Monsieur Pollot, de laquelle il y a longtemps que j’ay medite´ le subjet, et ne seroy pas a` present sans avoir contente´ le desir de son Excellence, si j’eusse creu le pouvoir faire dignement. Car combien que ce ne soient pas mes estudes, et que ce champ ne soit pas de ma culture, j’eusse neantmoins tasche´ d’y mettre ma faux. Ce n’est point sans raison qu’y ayant a Paris tant d’interpretes qui ne font autre mestier, et ausquelz rien n’eschape, nul n’a cependant mis la main a cet ouvrage pour le rendre franc¸ois. Il faut bien qu’ilz y ayent trouve´ de la difficulte´, ou qu’ilz ayent creu ne le pouvoir faire que de mauvaise grace. En effect Lipsius s’est accommode´ a l’eschole, et a voulu servir a ceux qui en public enseignent l’histoire. Cela luy a faict mesler tant de critique, et d’allegation d’auteurs, que je ne croy pas que son Excellence ne s’en ennuyast, s’il entendoit son latin, et qu’en franc¸ois il n’y trouvast plusieurs discours et paroles inutiles a son but. Je laisse les paroles perdue¨s du dialogue, mais y ayant peu de texte, et un long commentaire ou il est question souvent si telz ou telz ont bien traduit ce mot grec, si le texte n’est point corrompu en Polybe, s’il faut changer ce mot en celuy ci. Vous scave´z que ce n’est pas une estude agreable a un prince. J’estimeroy donc plus a son goust, si on luy traduisoit l’abbrege´ qui a este´ faict des cinq livres de la milice Romaine [De Militia Romana libri quinque, Commentarius ad Polybium], ou tout ce que Lipsius en dit est fort judicieusement choisi, et les choses superflue¨s laisse´es, comme les diverses citations de tant d’auteurs, par lesquelles il monstre sa grande lec¸on, et les disputes critiques, ou semblables choses. Or ne cognoy-je point d’escholier franc¸ois qui puisse bien faire cela, et de l’adresse duquel je voulusse respondre. Je ne l’oseroy mesme de la mienne. Neantmoins si vous juge´z que son Excellence se contente de se suc, sans rien obmettre de la chose ni de l’ordre, j’y donneray les heures que je pourray, et tascheray de luy en faire veoir au plustost quelque partie, de laquelle il pourra juger du reste, et selon le goust qu’il y prendra, on pourra poursuivre tous les cinq livres. Quant a Mons. de Saumaise, j’apprens qu’il est a Dieppe, ou il attend le convoy des marchands y attendent avec impatience […] nous l’aurons ici

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tiken zum Ausdruck bringt. Man wolle ihn nicht in Frieden lassen, bis er all sein Wissen vom Kriege niedergeschrieben habe.98 Bereits die Erziehung Friedrich Heinrichs war stark an Polybios orientiert. Die Staatsbibliothek in Berlin besaß die Mitschrift eines Vortrags, ein sogenanntes ›Diarium‹, das Friedrich Heinrich in seiner Jugend hörte. Es führt den Titel Annotationes et excerptae in militaribus und ist in französischer Sprache geschrieben. Der Vortrag liegt in einzelnen Teilen, z. B. im 5. Kapitel (des usages du compartiment de l’arme´e) ausführlich von der Hand des Lehrers, auszugsweise von der Hand des Prinzen vor. Doch sind neben Polybios auch andere Autoren berücksichtigt, so Franc¸ois de La Noue.99 Außerdem wurden rein geschichtliche Studien meist im polybianischen Stil geschrieben. So bewahrt die Berliner Bibliothek Extracten uyt van Syn Hocht Prins Friderick Hinrick geschreven auf, die ebenfalls jener Lehrzeit angehören.100 Darüber hinaus versah Friedrich Heinrich die Polybios-Edition von Louis Meigret

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au premier jour. J’en suis bien [d’accord] avec vous qu’il est Asiatique, et qu’il retire difficilement sa main de dessus le tableau, mais j’espere neantmoins qu’il fera quelque chose de plus exact, et qu’a son retour il ne tardera pas longtemps a le faire veoir, comme je l’en solliciteray souvent, si Dieu le nous rameine et nous conserve a ce temps.« Bisher konnten wir nur die oben genannte Übersetzung von DMR ins Französische, die offensichtlich in die Statthalterschaft Friedrich Heinrichs von Oranien fällt, ausfindig machen. Gemäß G. Parker, der J. Landtsheer zitiert, muss bereits Moritz von Oranien eine Übertragung ins Französische in Auftrag gegeben haben: vgl. Geoffrey Parker: The Limits to Revolutions in Military Affairs. Maurice of Nassau, the Battle of Nieuwpoort, The Journal of Military History, 71, 2 (2007), S. 343: »Maurice also had a French translation made (my thanks to Jeanine de Landtsheer, who identified the manuscript La milice romaine in the Koninklijke Bibliotheek, ’s Gravenhage, The Netherlands, as a translation of Lipsius and not of Patrizi, as the Library’s catalogue claims.« Constantin Huygens an Andre´ Rivet, 9. Okt. 1636. In: Briefwisseling Constantijn Huygens, Teil 2, S. 201f: »Ik zou geen geschikte vertaler zijn voor het werk. De heer Chabanes [Isaac Chabanes, der 1636 Rektor der Lateinschule in Maastricht geworden war], over wien gij spreekt, is niet meer te Oudewater, maar te Maastricht, waar hij weinig leerlingen heeft; hij zal dus de taak gaarne op zieh nehmen. ›Si vous l’employe´z, je seroy d’advis qu’en traduisant la version du fragment de Polybe sur le latin de Lipse, il mist en parallele celle de son oncle, qui est beaucoup meilleure, et c’est un ouvrage de peu de feuillets. Pour l’autre duquel vous a parle´ Monsieur Raphelis, j’ay veu de son style, et ses preparatifs pour la version de Thuanus. Je crois aussi qu’il pourroit reussir. Mais il est bien loin, et l’ouvrage qu’il a entrepris est de longue haleine‹. Hierbij gaat de vertaling van het Epitome der Fax Historica van Lipsius: gij kunt nu zelf beoordeelen, wat de heer Chabanes er van gemaakt heeft. ›Le vent qui souffle a present pousse le convoy a Dieppe, lequel, comme j’espere, nous ramenera Monsieur de Saumaise et toutes ses Tactiques vieilles et nouvelles. Nous ne le laisserons point en paix, tant qu’il ait escrit tout ce qu’il sc¸ait de la guerre‹.« GdKW, Bd. 2, S. 870. Ebd.

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(1558) mit Noten.101 Er entwickelte ein Profil in der Kriegskunst, das dem seiner Verwandten nicht unähnlich war.102 Im Unterschied zu Moritz von Oranien und dessen Nassauer Vettern, deren praktischer Referenzrahmen in erster Linie die deutschen militärischen Methoden waren und die von Lipsius militärtheoretisch beeinflusst waren, war Friedrich Heinrich von Oranien hinsichtlich seiner Erziehung mehr von der französischen militärischen Kultur geprägt. Seine Affinität zur französischen Bildung ist wohl auch der Grund dafür, dass Friedrich Heinrich vor allem in den Niederlanden angesiedelte französische Hugenotten wie He´lie Poirier und Claude de Saumaise mit militärwissenschaftlichen Auftragsarbeiten bedachte. Der aus Rouen stammende und in den Diensten von Friedrich Heinrich von NassauOranien stehende Guillaume le Faulx legte in einem kleinen Traktat über die Arithmetik (1630)103 eine mathematische Anleitung zur Erstellung mehrerer Arten von Bataillonen vor, die der militärische Praktiker internalisieren solle. Ferner riet er diesem zur emsigen Lektüre der Unterweisungen von Billon und dessen Principes militaires sowie der Discours politiques et militaires von La Noue. Diese Autoren sollten, die rein technische Bildung übersteigend, mittels der Anleitung zu geschickter Waffenhandhabung dazu dienen, zum wahren Grad der Ehre (honneur) und des Adels (noblesse) aufzusteigen: par vertu et valeur des armes dextrement manies et portez tans pour la manuetention […] pour seruice de Dieu de ton Roy, Prince et souuerain que du bien de ta patrie a qui tous homme est oblige´ des sa naissance et ainsi que dict tres bien ce grand et renome philosophe Platon.104

Charakteristisch ist auch die Verbindung von Waffenübungen, platonischem Hellenismus und hugenottischer Adelskonzeption. Le Faulx stützte seinen Traite´ vorwiegend auf französische und holländische Quellen. Dass militärtheoretische Traktate in militärpolitische Allianzen und dynastische Verbindungen eingebunden waren, bezeugt le Faulx’ Widmung an Heinrich IV., Wilhelm und Moritz von Oranien sowie Elisabeth I. von England.105 101

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Les cinq premiers livres des Histories de Polybe …avec parcelles du VI, VII, VIII et XVI. Autrefois trad…par Louis Maigret … Ausquelz sont ajoute´es parcelles des liures XI, X, XI, XII, XIII, XIIII, XV, XVII. Ensemble le dessein du camp des Rommeins, Lion, Jan de Fournes, 1558. in: Handschriften en Boeken uit de Boekerij van Oranje Nassau ter Koninklijke Bibliotheek. 1450–1702, S. 27. Im dritten Buch befinden sich Anmerkungen mit Tinte und Bleistift von Friedrich Heinrich. GdKW, Bd. 2, S. 964. Petit traicte´ d’arithme´tique. Van Guillaume le Faulx van Rouen. Opgedragen aan Frederik Hendrik, 1 Juli 1630. Den Haag, KB, 128 A 12. KB, 128 A 12, IVv. KB, Ms. 128 A 12, s.p.: »Nostre souuerain monarque henry le grande de treseureuse memoire et comme aussi feu Monseigneur vostre pere et feu Monseigneur

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Auch Saumaises Traktate nehmen, gleich ihrem Autor, der wesentlich zwischen Leiden, Paris und Dijon oszillierte, eine, durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher politischer und militärpolitischer Systeme bedingte Zwitterstellung ein. Zunächst sind sie der dynastischen militärischen Kultur des Oranierprinzen Friedrich Heinrich zuzuordnen. Im militärtheoretischen Kontext Friedrich Heinrichs stehen der Abre´ge´ und De re militari romanorum neben der Übersetzung des Kommentars Polybios nach der Version von Lipsius und derjenigen Patrizis, letztere durch Nathanae¨l Rhuez,106 ins Französische übersetzt – bei den beiden handschriftlich überlieferten Übersetzungen aus dem Lateinischen handelt es sich um die einzigen in französischer Sprache. Das Interesse an Francesco Patrizi war offensichtlich auch bei den Oraniern vorhanden. Vergleichbar der Rezeption der Humanisten wurde auch hier Lipsius neben Patrizi gestellt. Die Auftragsarbeit Saumaises ist in die Bemühungen Friedrich Heinrichs einzuordnen, nach einer optimalen Untergliederung der Legion zu suchen – ein offensichtlich von der vorhergehenden Generation der Oranier nicht gelöstes taktisches Problem. Daneben trat 1652 die französische Aelian-Übersetzung des Pariser Hugenotten He´lie Poirier, der der Philologengeneration Saumaises angehörte und in den Diensten der Statthalter Friedrich Heinrich und Wilhelm stand. Auch hierbei handelte es sich um eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrichs von Oranien. Der in praktischen militärischen Angelegenheiten kaum bewanderte Hugenotte He´lie Poirier verwies, nicht frei von einem rhetorischen Duktus, auf die Unvollkommenheit vorhergehender Arbeiten zur taktischen Materie.107 Damit schien er aufzugreifen, was bereits Louis de Machault

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frere et la deffunte Royne dangleterre elizabet tous quatre de tres heureuse memoire a leglise de dieu Jesus christ nostre seul sauuer lequel nous enseigne en son Euangile de rendre a tous seigneurs tout honneur.« KB Den Haag, Ms. 70 G 15, La milice romaine de Polybe, Tite-Live et Denys d’Halicarnasse…par Franc¸ois Patrice. Traduite d’Italien en Franc¸ois par Nathanae¨l Rhuez. Selon l’e´dition imprime´e a` Ferrare chez Dominique Mamarelli…1583. Les Tactiques de Claude Aelian. Traite´ de la manie´re de me´tre les arme´es en bataille, et de leurs mouvemens et formes dife´rantes, selon l’usage et la discipline que les anciens Gre´cs ont observe´e. Mis en franc¸ois par le comandement de son Alte´sse Monseigneur le Prince d’Orange & dedie´ A.S.A. Monseigneur le Prince Guillaume Prince d’Orange Comte de Nassau etc. son fils aisne´. Par Helie Poirier Parisien, M. DC. XLII. (1642), Den Haag, KB 128 A–8; Poirier bezieht sich auf folgende Autoren: Homer, Aeneas, Stratokles, Hermias, Frontinus, Kineas von Thessalien, Pyrrhus (Epirote), Alexander (dessen Sohn), Pausanias, Evangelus, Polybios (Megalopolitanus), Eupotemus, Iphikrates, Poseidonios, Bion, etc.: »Mon de´ssein est d’aporte´r un reme´de au mal que j’ai moi me´me e´prouve´, quand posse´de´ du de´sir de m’instruire en ce´te conoissance, je ne trouvois point de Maistre sufisant pour me l’aprandre.«

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bemerkt hatte.108 Im Unterschied zu Johannes van Meurs,109 der sich auf Francesco Robortello und Theodoros Gaze110 bezog, machte sich die Kritik Poiriers lediglich an dem Gazeschen Text fest. Es ging Poirier nicht zuletzt um begriffliche Präzisierungen, denn es lag kein terminologischer Konsens vor.111 Dem Aelian-Kommentar Poiriers ist eine Verfeinerung der Techniken und Methoden zu entnehmen.112 Zwischen den beiden für Friedrich Heinrich arbeitenden Hugenotten Claude de Saumaise und He´lie Poirier liegt ein knapper Briefwechsel vor. Poirier hatte demnach Saumaise sein Werk mit Bitte um Korrektur vorgelegt, wie einem Brief vom 17. Jan. 1649 entnommen werden kann.113 Auch hoffte Poirier, dass sein Aelian-Kommentar, der jedoch niemals veröffentlicht werden sollte, mit der Protektion Saumaises erscheinen werde.114 Ohne intensive Studien und ohne umfassende Erfahrung sei es unmöglich, zu einer genauen Kenntnis der unterschiedlichen Formen der Schlachtord-

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Louis de Machault, sr. de Romaincourt: La Milice des grecs et Romains traduite en franc¸ois du Grec d’Aelian et de Polybe, et dediee´ au Roy, Paris, Hierosme Drouart, 1615, S. 1f.: »Mais pour dire en vn mot, j’ay recognu que tous ces auteurs la` escriuent pour ceux qui y sont desia sc¸auans. Partant ce qui m’arriua du commencement lors que ie m’addonay a` la recherche de ces choses, de ne trouuer personne qui me peut enseigner, ny les escrits des auteurs precedens auoir suffisamment dequoy m’instruire, j’essayeray tant qu’il me sera possible de faire en sorte qu’il n’arriue plus a` personne, […].« Leonis imp. Tactica, sive de Re militari liber, Joannes Meursius graece primus vulgavit et notas adjecti . [Modesti libellus de vocabulis rei militaris, ad Tacitum Augustum.], Lugduni Batavorum, impensis Elzevirii, 1612. – In–4°. BN R–6406 und RES-R–1453; Cl. Aeliani et Leonis imp. Tactica sive De instruendis aciebus, graece et latine. Quorum his graece primum opera Iohannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione latina, ambo autem notis et animadversionibus illustr. in lucem exeunt. Accedunt praliorum aliquot descriptiones, et nonnulla alia, Lugduni Batavorum, apud L. Elzevirium, 1613. 3 parties en 1 vol. in–4°, fig et pl. (Leiden) BN R–6408. In: Flavi Vegeti Renati viri inl. De re militari libri quatuor; post omnes omnium editiones ope veterum librorum correcti a Godescalco Stevechio…Lugduni Batavorum MDXII). Erste Ausgabe Rom, 15. Febr. 1487 (Eucharius Silber). KB Den Haag, 128 A–8, Kap. 23, fol. 51: »Ce sont ce´s termes que i’entreprens de vous faire entandre et de vous expliquer, encore que je sache bien que ceux qui ont e´crit de cete matiere, ne se sont pas toujours se´rvis de ce´s meˆmes fac¸ons de parler.« Seine Abhandlung über die antike Taktik bezieht sich auf die Phalanx, die makedonische Phalanx, die Disposition der Kavallerie in Raute (lozange) und Reitern in Rauten (turmes en forme de lozange), Dreieck oder Quadrat, Kommandoworte, Konversion, Reversion, Pe´ripasme und Ecepe´rispasme, Schwenkungen in Reihen und Rängen (makedonische, lakonische und korische), die Art Schwenkungen zu machen usw., wobei eine Verfeinerung der taktischen Theorie Aelians zu beobachten ist. So beispielsweise in Kap. 32, wo nicht nur von der Konversion, sondern auch von der Infle´xion und Circonfle´xion der Truppen nach rechts und nach links und der Art sie wieder in die Ausgangsposition zurückzuführen sind, die Rede ist. Ms. f. fr. 3930, fol. 130. Ebd.

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nung (formes diffe´rentes des ordres de bataille) und der Art diese zu verändern zu gelangen.115 In der Art de la guerre Friedrich Heinrichs von Oranien wird die These vertreten, dass eine Armee ohne Ordonnanz (ordre) und ohne gute Unterteilung nicht siegen könne: entscheidend sei, dass sie sich nach dem Zusammentreffen mit dem Feind wieder in Ordonnanz stellen können.116 An die These von der gut untergliederten, sich während des Kampfes von selbst regenerierenden Truppe, schließt Friedrich Heinrich eine Reihe unterschiedlicher Beispiele der Untergliederungen an. Er geht auf die Untergliederung und das Exerzieren der Hebräer, die allgemeine Untergliederung der Griechen (compartiment commun des Grecs), bei der er sich an Urbicius hält, ein – es mag hier ein Zusammenhang mit der von Saumaise gesuchten Handschrift auftreten. Es folgt die Unterteilung nach Aelian, die die vollständigste Darstellung der griechischen Ordonnanz enthält, die Unterteilung der römischen Armee (Milice Romaine): ebenfalls Unterteilung der römischen Armee (compartiment de l’armee Romaine), die Unterteilung des Maurikios und der Tartaren. Die Griechen, Makedonier und Römer hatten immer einen Teil ihrer Soldaten in außerordentlicher Stellung für Scharmützel (escarmouches) und einen Teil in regulärer Ordnung. Friedrich Heinrich versuchte sich in dieser Hinsicht in einer Parallelisierung der alten und der modernen Taktik, die sich in den Waffen unterscheide, genauer hinsichtlich der Pike und der Arkebuse. Daran schließt eine allgemeine Abhandlung über den Vergleich der alten mit den modernen Waffen an. Neben allgemein politisch-strategischen Maximen nimmt die Ordonnanz oder Taktik (ordo), einschließlich der Bewaffnung, eine bedeutende Stelle in der Kriegskunst Friedrich Heinrichs ein, was zu der These berechtigt, dass die Auftragsarbeit an Saumaise sich in dieses spezifische strategisch-dynastische Interesse einfügt. Die Kriegskunst Friedrich Heinrichs hatte die Abwehr der Türken und nicht der Spanier zum Ziel. Tatsächlich sind die taktischen Entwürfe der nordwesteuropäischen militärischen Kultur nicht zwingend als Alternative und Gegenmodelle zum spanischen Tercio zu verstehen, sondern auch als Antwort auf die militärische Bedrohung seitens der Türken, wie der anonyme Text aus der Bibliothe`que Mazarine,117 aber auch 115

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KB Den Haag, 128 A–8, Kap. 21, fol. 49: »Sans beaucoup d’e´tude et d’e´xpe´riance, il est impossible de parvenir a` une exacte conaissance, de´s formes dife´rantes de´s ordres de bataille et de la manie´re de le´s changer.« Ebd., fol. 25v: »Tellem[ent] qu’en combatant, s’ils venoient a` se confondre et mettre en desordre par la furie de l’ennemy, ils savoyent se remettre en ordo´nance.« Mazarine, 3734 (1627), ›Livre contenant en abre´ge´ tout ce quy regarde l’art et la discipline militaire, extraict et tire´ des plus grands autheurs quy ont traitte´ de cette science, et divise´ en cinq livres pour mieux distinguer les diverses matie`res qu’il traite‹ (vers 1640).

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Heinrich Rantzaus Commentarius bellicus dokumentieren.118 Beide schlugen die Halbmondform vor. Indem Francesco Patrizi die Türken in seiner Militia romana (1583) aufgriff, wollte er aufzeigen, dass die römische Taktik, nach der sich die moderne europäische Taktik zu richten habe, der türkischen weit überlegen sei. Die Waffen der Türken, die gegenwärtig zu fürchten seien, seien ja fast von keinem Wert im Vergleich zu denjenigen der Römer, merkt Patrizi an.119 Und weiter: diejenigen machten sich also lächerlich, die befürchteten, die Macht der Türken könne derjenigen der Römer gleichkommen. Wie Justus Lipsius und bereits Niccolo` Machiavelli war Patrizi der Ansicht, dass die Artillerie nur wenig zur Steigerung der Schlagkraft einer Armee beitrage. Die Erfindung der Artillerie habe die Römer sicherlich nicht dazu veranlasst ihre Taktik zu verändern. Denn deren Ordonnanz sei der zeitgenössischen weit überlegen, so dass sie die Artillerie nicht zu fürchten brauchten.120 d. Textgeschichtliche Skizze Nach meinem Kenntnisstand liegen insgesamt vier Versionen (zwei Abbre´ge´s in Französisch, eine lateinische Handschrift und eine posthume lateinische Edition) der Auftragsarbeit über das römische Militärwesen vor:121 Zwei (bis drei) Handschriften in französischer Sprache (BN, fonds 118

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Henr. Ranzovii Produc. Cimbr. Commentarius Bellicus: Libri Sex Distinctus, Praecepta, Consilia, et Stratagemata, pugnae terrestris ac navalis, ex variis Eruditorum collecta scriptis, complectens …, Francofurti, Palthenius, 1595, S. 189. Franc¸ois Patrice [Francesco Patrizi], Milice Romaine, Den Haag, 73 J 21, fol. 8. Ebd.: »si les armes des Turcs, si redoutables aujourduy, sont de fort petite, voire presque de nulle estime, en comparaison des Romains, il m’est avis que celles-la seroient bien ridicules, qui redoutant les forces du Turc voudroient estre parangonnees a` celles des Romains. Lesquelles sans doute ne changeroient point leurs Ordonnances, comme plusieurs s’imaginent, et ne feroient pas moins d’exploits, pour la nouvelle invention de l’artillerie. Car veu qu’elle feroit moins de dommage en leurs ordres, qu’e´s nostres, ils auroient aussi moins de sujet de la craindre, que nous n’en avons. Outre ce que pour redoute´e qu’elle soit, elle n’a encores donne´ ni gaigne´ aucune bataille, contre aucun Prince d’Europe.« Wir konnten zwei handschriftliche französische Fassungen (Abre´ge´s) des Texts aus dem 17. (Dijon) und einer Handschrift (Paris), die aus dem Besitz der Jesuiten stammt, identifizieren: f. fr. 9741, ›Abbre´ge´ de la milice des Romains, par M. de Saumaise [1588–1653].‹ Papier. 144 pages. 305 sur 195 millime`tres. Cartonne´. (Provient des Je´suites de Paris. – Supple´ment franc¸ais 4011.) Randglosse, fol. 1: arrache au desir de Harrert au 5 juillet 1703 Mesnil; Bibliothe`que de Dijon, Fonds Baudot, 1152 (200), ›Abbre´ge´ de la milice des Romains‹, copie du manuscrit de Saumaise. Papier. 140 pages. 270 sur 177. cartonne´ (Provient de Jean-Baptiste Lantin de Damerey (1680–1756), Doyen du Parlement de Bourgogne und Mitglied der Akademie von Dijon). Die lateinische Fassung liegt in gedruckter und in handschriftlicher Form vor. Die handschriftliche Form trägt den Titel De militia Romanorum (Ms.in–4°), während die gedruckte Ausgabe den Titel De re militari romanorum

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franc¸ais; Bibliothe`que municipale de Dijon), eine lateinische Handschrift (Ms. in–4° mit dem Titel De militia Romanorum), die Philibert de La Mare,122 Rat im Parlament von Dijon, erbte und von der unklar ist, ob sie mit dem gedruckten Buch (DRMR) übereinstimmt. P. Papillon erwähnt darüber hinaus einen übersetzten Abriss (Abbre´ge´) dieses Werks (Upp. 140, in-fol),123 der sich im Besitz von Louis Saumaise, Sieur de St-Loup, einem der Söhne des Autors befand und von dem auch der Rat Jean-Baptiste Lantin de Damerey (1680–1756), Doyen du Parlement de Bourgogne und Mitglied der Akademie von Dijon, eine Kopie besaß.124 Neben der gedruckten lateinischen Fassung und den beiden handschriftlichen französischen Abre´ge´s (von denen das Pariser Exemplar offensichtlich durch die Jesuiten überliefert wurde), lag offensichtlich noch ein Brief (Epıˆtre) zu De re militari vor, den Saumaise an Sarrau richtete und in dem er Heinsius zu widerlegen suchte.125

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liber, opus posthumum (Lugd. Bat. 1657) trägt und posthum von dem in Leiden lehrenden deutschen Historiker Georg Horn (1620–1670) herausgegeben wurde; vgl. Lucien Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 23, Anm. 34: »F. H. d’Orange avait commande´ a` C. Saumaise un ouvrage re´sumant l’art militaire des Anciens. Celui-ci l’e´crivit en latin, langue dans laquelle il fut publie´ un an apre`s sa mort. C. Saumaise fit pour le prince une e´tude en franc¸ais, conside´re´e comme perdue. L’ayant retrouve´e, nous pre´parons la publication de ce manuscrit.«; Philibert Papillon (Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Dijon 1745, S. 272f.) gibt folgenden Abriss der Geschichte der französischen Handschrift: »Traite´ de la Milice Romaine. C’est une Traduction abrege´e de son Ouvrage Latin sur la meˆme matie`re. Il la fit en faveur du Prince d’Orange. Elle contient 140. pages in folio. L’original e´toit autrefois chez Loüis Saumaise, de Saint-Loup, fils de l’Auteur. M. Lantin, Doyen du parlement de Bourgogne, en a une copie. Saumaise vouloit faire imprimer cette Version, comme il paroıˆt par ces paroles: [I] Brevi, ut spero, proditurus. Elle est loüe´e dans une Lettre Ms. de Sorbie`re a` M. de la Mare, date´e du 11 . Novembre 1661, laquelle j’ay vue¨ chez ce dernier.« Philibert de la Mare: Philiberti de la Mare senatoris Divionensis commentarius de bello burgundico, s.l. 1642. BN LB36–3606, verarbeitet die Kriegsereignisse in Flandern um 1636. Dort wird der Flandernfeldzug in Lateinisch mit entsprechendem Vokabular aus dem antiken, römischen Modell beschrieben; vgl. auch Barre: Vie de M. le Marquis de Fabert, Bd. 1, S. 177–182 zu den Eregnissen 1636: »An 1636: Gallas qui pensoit a` faire une irruption en Bourgogne, prit si bien ses mesures qu’il e´vita une bataille«. Es war letztlich ein erfolgreicher Feldzug gegen Gallas. Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die lateinische posthume Edition und die vernakularsprachliche Fassung, die sich im fonds fr. der französischen Nationalbibliothek befindet: Ms. f. fr. 9741, ›Abbrege´ de la milice des Romains, par M. de Saumaise‹. ´ . u. E. Haag (Hg.), La France protestante, Genf 1966, Bd. 9, Art. ›Saumaise‹. In: E S. 170. Saumaise an Sarrau, 29. Nov. 1642, zitiert in: Leroy, S. 179: »L’Epıˆtre que je vous adresse De re militari est desja commence´e. Elle sera acheve´e pour le jour de l’An. C’est un Ecrit tout plein de paradoxes. Je me promets pourtant d’y eˆtre infaillible, quoique le Sr Heins m’ait menace´ de renverser tout ce que j’e´crirois sur cette matie`re. Nous le verrons venir. Je devois par avance ce petit Ecrit au public, affin qu’on voie que je ne suis pas menteur. Il y a trop longtemps que je l’avois promis. Il n’y a qu’un discours sans preuves, lesquelles je re´serve pour le grand ouvrage qui

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Interessant dürfte auch seine Liste von fünfundneunzig Werken sein, die Saumaise mit Anmerkungen versehen hat und von denen er den größten Teil in der Bibliothek von Philibert de La Mare, die vermutlich die königliche Bibliothek (Paris) erworben hat, eingesehen hat. Die Übrigen gehörten dem Präsidenten des Parlaments von Dijon, Magistrat und Archäologen Jean Bouhier (1673–1746) oder befanden sich in der Bibliothek von Leiden. Von den durch De la Mare ererbten Handschriften Saumaises erstellte Philibert Papillon 1716 eine detaillierte Liste. Die posthume Ausgabe von 1657 schließlich ist eine 143 Seiten umfassende Arbeit, in der Saumaise das römische Heerwesen und dessen Entwicklung von Scipio zu Caesar in den Mittelpunkt stellte.126 Der ›Maire‹ sollte die französische Fassung am ersten Tag erhalten. Über den Fortgang der lateinischen Fassung finden sich Anmerkungen in der Correspondance inte´grale.127 Sehr rasch entwickelte sich das Projekt einer bescheidenen auf Französisch abgefassten Arbeit zu einer umfassenderen Synthese der Entwicklung der Kriegskunst in Rom von der Republik zum Kaiserreich.128 Folgt man einer Aussage des Hugenotten Alexandre Morus, so habe Saumaise seine Arbeit unterbrochen oder auch beendet, weil er eine Handschrift aus der Bibliothek von Jacques Bongars129 in die Hände bekam, die Dinge enthielt, die ihn in Verlegenheit brachten.130 Trotz eigener Zweifel und den nicht enden wollenden Quel-

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sera pour le Prince d’Orange et qui est plus que la moitie´ fait. La Milice des Romains est une maitresse qui n’a encor e´te´ baise´e de personne, quoiqu’elle ait au force galands.« Anmerkung von Leroy: »Cette e´pıˆtre sur la Milice Romaine et qui devait eˆtre de´die´e a` Sarrau ne vit jamais le jour; re´dige´ en franc¸ais, cet abre´ge´ du grand traite´ destine´ au prince d’Orange est demeure´ manuscrit. Voir Dijon, Bibl. Mun., ms. 1152). Pierre Leroy, Hans Bots: Introduction – Remarques introductives aux pe´riodes de cette correspondance. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. XVIIIf. Rivet an Sarrau, Den Haag, 14. Nov. 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 434, 436 (Brief CCXCIII, n. 9.). Zu diesem Zweck häufte Saumaise mehrere Handschriften an und redigierte einen französischen Abre´ge´ und mehrere Kapitel in Latein, die er den Elzeviers im November 1644 überließ. Im Juli 1646 lagen nahezu zwei gedruckte ›signatures‹ vor. Vgl. Christoph v. Steiger: ›Ein herrliches Präsent‹. Die Bongars-Bibliothek (Jacques Bongars) seit 350 Jahren in Bern, Handschriften und Drucke aus 1000 Jahren, Ausstellung vom 24. Okt.–13. Nov. 1983, Bern 1983. Vgl. Ms. f. fr. 24423, fol. 142; vgl. Leroy, S. 67: Nach seinem Tod forderten die Elzeviers G. Hornius auf, ein Vorwort für den bereits fertiggestellten Teil zu verfassen und veröffentlichten es 1657 unter dem Titel De re militari romanorum liber, opus posthumum: »Tre`s vite le projet d’un modeste travail re´dige´ en langue franc¸aise se de´veloppa en une vaste synthe`se de l’e´volution de l’art militaire a` Rome, de la Republique a` l’Empire. Dans ce but il accumula plusieurs manuscrits, re´digea un Abre´ge´ en franc¸ais, plusieurs chapitres en latin qu’il donna a` composer aux Elzeviers en novembre 1644 (C. I. Rivet/Sarrau, II, 434); en juillet 1646 il y avait pre`s de deux ›signatures‹ imprime´es (ebd., III, p. 441). D’apre`s Morus, si Saumaise arreˆta son travail, c’est qu’il avait rec¸u un manuscrit ›de la bibliothe`que de Mr de Bongars‹ contenant ›des choses qui l’embarassoient…‹ (Paris BN, ms. fr. 24423,

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lenrecherchen scheint er 1644 die Milice den Elzeviers überlassen zu haben, wie einem Brief Rivets an Sarrau vom 28. Nov. 1644 zu entnehmen ist. Die Überlieferungsgeschichte des Werks ist demnach ausgesprochen komplex. Man kann sich ihr über die Entstehungsgeschichte der Milice nähern und wird entdecken, dass sie in einen breiteren Forschungszusammenhang eingebettet ist. B) Die Konstellationen im französischen Späthumanismus und die militärtheoretische Tradition: Forschungszusammenhang, Quellenforschungen, historisch-philologische Kritik a. Theorieimmanente, binnenhumanistische Gründe für die Abfassung der Milice Die Auftragsarbeit von Friedrich Heinrich von Oranien stieß nicht nur auf das Interesse der in dem genannten Kriegszusammenhang operierenden Militärs. In weit höherem Maße fand Saumaises Arbeit Resonanz in französischen Gelehrtenzirkeln, die an einer Revision der Arbeiten zur antiken Taktik interessiert waren. Der Impuls für eine Abhandlung über die römische Heeresverfassung geht zwar auf den Statthalter der Vereinigten Niederlande zurück, Saumaise konnte zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe jedoch auf Forschungsergebnisse zurückgreifen, die sich kritisch mit den bisherigen Deutungen der antiken militia auseinandersetzen.131 Im Jahr der Auftragsvergabe schrieb Saumaise am 15. Okt. 1635 einen Brief an den königlichen Parlamentsrat Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, in dem er die in der Milice aufgegriffenen Probleme das römische Militärwesen darlegte: Zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe habe er zwar am wenig-

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p. 142). Apre`s la mort de l’e´rudit les Elzeviers demande`rent a` G. Hornius de re´diger une pre´face a` ce qui e´tait de´ja` compose´ et donne`rent au public: De re militari romanorum liber, opus posthumum, Lugd. Bat. 1657. Papillon no. 45. Voir aussi G. Cohen, p. 319 et la lettre de Saumaise a` Rivet donne´e ici (lettre X).« Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2 führt unter der Kategorie »Ouvrages manuscrits de Saumaise, qui e´toient chez M. de la Mare (Je les vis au mois de Juin 1716 & j’en tirai les Titres sur les originaux. M. de la Mare, dans sa Vie Ms. de Saumaise, a parle´ de plusieurs Mss. de ce Sc¸avant, qui ont e´te´ egare´s. Clement & M. de la Mare en avoient promis l’Edition. Voy. Epist. Sarrau ad Salmas. pag. 73. Edit. de M. Burman, in 4° & breve Apologet. Maresii pro Salmasio.« auch eine lateinische Handschrift auf: S. 270: »De Militia. In 4° aussi gros que le pre´ce´dent. Voy La Vie de Peiresc, par Gassendi, pag. 297.« Extrait d’une lettre de Saumaise a` Peiresc, Leyde, 15 octobre 1635, BN Dupuy 583, ff. 92v–97 (copie), zitiert in: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc: Lettres a` Claude Saumaise et a` son entourage. 1620–1637. Hg. v. Agne`s Bresson, Florenz 1992, S. 389ff.: »C’est un dessein ou` j’ai este´ porte´ par le commandement du prince d’Orenge, lors que j’y pensois le moins, sur lequel toutesfois j’avois de long temps de fort belles [f. 94] remarques, qui renversent presque tout ce qui en a este´ dit.«

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sten daran gedacht, er habe aber einige schöne Anmerkungen, die all das, was Franzosen, Italiener und ›unsere‹ Latinisten dazu geschrieben haben, revidierten.132 Demzufolge war die offizielle Auftragsvergabe durch den Prinzen von Oranien lediglich ein weiterer äußerer Anlass, der Saumaise dazu bewegte, bereits vorliegende Forschungsergebnisse und skizzierte Thesen zu bündeln und schriftlich niederzulegen. Auch vertiefte und erweiterte er auf dem Hintergrund der konkreten Auftragsvergabe um 1635 seine Quellenforschungen (insbesondere ein Manuskript des Urbicius schien ihm unverzichtbar) für die Milice. Doch nicht nur die kontinuierliche Erweiterung der Quellengrundlage verzögerte die Fertigstellung, auch die Darstellung seiner Forschungsergebnisse ging ihm nicht leicht von der Hand. Zu Beginn der Arbeit ließ Saumaise verlautbaren (20. März 1635), dass er Schwierigkeiten habe, sich stilsicher im Französischen zu artikulieren. Die kritische Selbsteinschätzung des Altphilologen mag damit zusammenhängen, dass sich der kulturelle Kontext mit der Gründung der Acade´mie franc¸aise (1635) und der wissenschaftlich-funktionalen Rolle, die der französischen Vernakularsprache infolgedessen eingeräumt wurde, verändert hatte. Die Latinität, nachdem sie in der politischen Wissenschaft durch Bodin aufgegeben worden war, verlor auch in der Militärwissenschaft an Bedeutung. Er sei in seiner Milice weit fortgeschritten und er glaube, dass er sich hinsichtlich der Terminologie besser behelfe, als er gedacht habe, was hingegen seine sachliche Kompetenz anbelange, so glaube er den Gegenstand vollkommen zu beherrschen.133 Neben dem Bestreben im Zusammenhang der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges, auch der französisch-schwedische Krieg genannt (1635–1649), und auf dem geostrategischen Hintergrund der Niederlande ein Kompendium der römischen militia zu erarbeiten, suchte die Milice auch ein theorieimmanentes Desiderat zu beheben. Im Hinblick auf die taktische und strategische Überlieferung ist dabei ein Bestreben zu beobachten, das der mangelnden historischen Kenntnis 132

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Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus. Accedunt de laudibus et vita ejusdem prolegomena. Accurante Antonio Clementio, Lugduni Batavorum, Adriani Wyngaerden, 1656. HAB Li 7735.1, S. 179–183, Saumaise an Peiresc, Paris 15. Okt. 1635, S. 179 (bis): »Nous laisserons l’Arabie pour revenir a` Rome, & parler de nostre Milice Romaine. C’est un dessein ou` j’ay este´ porte´ par le commandement du PRINCE d’ORANGE, lors que j’y pensois le moins, sur lequel toutefois j’avois de long temps de fort belles remarques, qui renversent presque tout ce qui en a este´ dit par ceux qui en ont escrit jusques icy, tant Franc¸ois & Italiens, que du peuple Latin, c’est a` dire de Nos Critiques.« Art. ›Saumaise‹. In: Haag (Hg.), La France protestante, S. 154: »Je suis fort avant dans ma milice […] je crois que j’en sortirai mieux a` mon honneur que je ne pensois, pour ce qui est des paroles; car pour la chose, je croi la posse´der en perfection; pour le moins, si on conside`re ce qui s’en est fait jusques ici.«

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der Vorgänger entgegenzuwirken versuchte. Damit setzte sich auch hier eine Entwicklung fort, die für den Bereich des Naturrechts schon bei Hugo Grotius’ De iure belli ac pacis (1625) sichtbar wurde. Darin hatte dieser den Theologen Francisco Vitoria, Henricus Gorcumenis und Wilhelmus Mathies sowie den Juristen Johannes Lipius, Franciscus Arias, Johannes de Lignano und Martinus Laudensis historische Unkenntnis vorgeworfen.134 Der in die Entstehungsphase der Milice fallenden Korrespondenz kann entnommen werden, dass in französisch-niederländischen Humanistenkreisen die Abhandlung über das römische Militärwesen mit großem Interesse erwartet wurde. Rivet schrieb am 18. Januar 1644 an Sarrau, dass Friedrich Heinrich von Oranien ihm viel von seinen Schriften und was mit diesen in Zusammenhang stehe, übermittele und dass Saumaise baldmöglichst darlegen solle, was an Bedeutsamem über die alte Militärorganisation vorläge, denn dies werde sehr gewünscht und seit Langem erwartet.135 Doch im April 1646 widmete sich Saumaise nochmals weiteren Quellenstudien. Er schreite in seiner Arbeit immer noch fort und forciere diese soweit es ihm möglich sei. Je mehr er sich mit der Materie auseinandersetze, umso mehr schöne Dinge entdecke er, die noch nicht angegangen worden seien und die noch nicht bekannt seien. Er wünsche sich, dass sein Stil seiner Wissenschaft gleichkäme. Er glaube ein vollkommenes Werk versprechen zu können.136 134

135

136

Benjamin Straumann: Hugo Grotius und die Antike. Römisches Recht und römische Ethik im frühneuzeitlichen Naturrecht, Baden-Baden 2007, S. 92: »Sie alle hätten zu einem reichen Gegenstand überaus wenig gesagt und die dabei zum Naturrecht gehörigen Dinge mit denjenigen des divinen Rechts, des Rechts der Völker, des Zivilrechts sowie des kanonischen Rechts vermischt und verwechselt. Damit wiederholt Grotius den bereits erhobenen Vorwurf einer mangelnden Differenzierung zwischen den verschiedenen Rechtsquellen […] Allen seinen Vorgängern habe es hauptsächlich an historischer Gelehrsamkeit, der historiarum lux gefehlt […] Die Vermengung disparater Rechtsquellen und das Fehlen historischer Kenntnisse: Dies sind die beiden grundlegenden Mängel, die Grotius seinen Vorgängern zum Vorwurf macht.« Rivet an Sarrau, 18. Jan. 1644. In: Correspondance inte´grale, Bd. 2, S. 181: »Son Alt[esse] d’Orange m’entretint fort de luy, de ses escrits et ce qui en despend. Je fus bien-aise de courir en ce champ, et le fi avec tous les advantages a moy possible, et ne dis/rien que la verite´. Mais il faudra que nostre ami desploye au plustost ce qu’il a de principal sur la milice ancienne; car cela est ardamment desire´ et long temps attendu. Quand il viendra ici, il en sera somme´. Son Alt[esse] desire aussi qu’il ne soit plus diverti a ces puntilles, et qu’on establisse au moins un silence reciproque.« Saumaise an Rivet, 12. April 1646. In: Correspondance e´change´e entre 1632 et 1648, S. 471: »Je poursui tousiours mon travail et la presse le plus que ie puis. Et plus i’enfonce matiere et plus de belles choses i’y descouvre qui n’ont point este´ touche´e et qui ne sont point sceue¨s. Je voudrois que mon stile pust egaler en cela ma science, ie crois promettre un ouvrage parfait [Apre`s ses travaux contre Grotius, Saumaise s’e´tait remis a` sa Milice]. Mais c’est trop se vanter, et ne le veux plus que d’estre.«

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Es kann demnach zwischen den konkreten, in erster Linie kriegsgeschichtlich bedingten Umständen einer Auftragsarbeit und einem breiteren militärtheoretischen forschungsgeschichtlichen Impuls unterschieden werden, der lange vor der Inauftraggabe durch den oranischen Prinzen einsetzte. Dieser hatte seinen Ursprung in der französisch-calvinistischen Wissenskultur um 1600 und der Militärtheorie der 1590er Jahre. In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts verbindet sich diese mit einem umfassenderen Ansatz einer kritischen Aufarbeitung der gesamten antiken taktischen Tradition. Friedrich Heinrich von Oranien forderte eine kurze Abhandlung über die Organisation, die Kriegskunst und die Art des Lagerns der Römer.137 Dass aus dieser Auftragsarbeit eine umfassende Synthese der taktischen Theorie in der ersten Jahrhunderthälfte wurde, die einen hohen Tribut an eine zwischen Holland und Frankreich oszillierende und eine wesentlich von Hugenotten geprägte Wissenskultur zollte, mag mit einem spezifischen Interesse französischer militärischer, politischer und intellektueller Eliten zu begründen sein. Zudem bildete die Gruppe der Förderer und Rezipienten den Kern der Beförderer der wissenschaftlichen Revolution in Frankreich, in deren Sphäre das Forschungs- und militärtheoretische Syntheseprojekt sowohl Saumaises als auch das Syntagma de studio militari Naude´s fallen. In den 1630er Jahren verdichteten sich die formal unterschiedlichen militärtheoretischen Werke Naude´s und Saumaises, die auf ein militärwissenschaftlich-didaktisches Programm verweisen, das verfassungstheoretisch relevant wurde und als Moment regierungspraktischer Reflexionen auftrat. Saumaise und Naude´ leisteten erneut Quellenforschungen und setzten sich mit der modernen Militärliteratur, insbesondere der des Späthumanismus auseinander. Friedrich Heinrich gab mit seinem Auftrag zwar den äußeren Impuls zu diesem Vorhaben. Aber Saumaise hat an anderer Stelle angemerkt, und auch Rohan hat im Parfaict capitaine angedeutet, dass sich hinter diesem individuellen Forschungsinteresse ein kollektiver Forschungszusammenhang taktischer Theorien abzeichnete, der sowohl über das gruppengeschichtliche Moment, aber auch über eine breitere militärtheoretische Forschungsleistung der gelehrten französischen Eliten identifiziert werden kann. Dieser Forschungszusammenhang fand im Zusammenhang des Dreißigjährigen Krieges mit den nahezu zeitgleich entstehenden militärwissenschaftlichen Arbeiten von Saumaise und Naude´ (1637) einen Kulminationspunkt. Beide nahmen sich der Restitution der antiken taktischen Theorie an, sei es in Form einer historischen Synthese bei Saumaise, sei es in bibliographisch-literärhistorischer Form bei. 137

Leroy, S. 67: »un petit traite´ de l’ancienne Milice et de la maniere de camper des Romains.«

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Diese Forschungsleistung ist undenkbar ohne die Netzwerke der nordwesteuropäischen Gelehrtenkultur. Es gilt festzuhalten, dass die von den Oraniern geprägten Militärreformen in theoretischer Hinsicht in der nordwesteuropäischen Militärwissenschaft keineswegs ein etabliertes militärtheoretisches Modell hervorgebracht haben, sondern es ein wesentliches Merkmal dieses theoretischen Zusammenhangs war, dass es nach Lipsius und den Kommentaren der Jahre 1590 bis 1610 zu einer erneuten philologischen und interpretatorischen Kraftanstrengung kam, an der ein gruppengeschichtlich zu identifizierender Personenkreis beteiligt war, der in die französische Kabinettskultur verweist. In diesem Zusammenhang ist die Milice des Saumaise zwar aufgrund ihrer strategisch-pragmatischen Stellung eine herausragende Arbeit, jedoch kein isolierter Text. Deutlich wird dieser Reflex bereits in Rohans Parfaict capitaine. Der Parfaict capitaine ist weit weniger eine theoretische Assimilation der oranischen Kriegskunst, sondern verweist in vielerlei Hinsicht auf die theoretischen Brüche und die keineswegs unhinterfragte Etablierung eines militärwissenschaftlichen und taktisch-pragmatischen Modells und auf die kritische Lage, in der sich die taktische Theorie nach den offensichtlich einschneidenden, theoretisch motivierten Reformen der Oranier befand – eine Situation, wie sie für das Jahrzehnt, an dessen Beginn Rohans Traktat entstanden war, kennzeichnend werden sollte. Dies manifestiert sich in den Hinweisen, dass es erstens hinsichtlich der griechischen taktischen Theorie keine quellenhistorisch gesicherten Grundlagen vorlägen, zweitens, dass es beträchtliche Meinungsverschiedenheiten über das Modell der römischen Schlachtordnung gebe. Als dritter Punkt wird die terminologische Unsicherheit hinsichtlich der römischen Ordonnanz thematisiert,138 und schließlich zeigt der Text Rohans, dass der militärtheoretische Polybios-Kommentar Lipsius’ keineswegs als militärwissenschaftliches und militärisch-verfassungstheoretisches Paradigma für die französischen Militärtheoretiker galt, sondern in einigen wenigen, jedoch für die Begründung der Tradition der französischen Militärtheorie im 17. Jahrhundert bedeutsamen Fällen der PolybiosKommentar des Francesco Patrizi demjenigen des Lipsius vorgezogen wurde. Im Unterschied zu Lipsius verstand sich Patrizi nicht als ein magister ad militam. Er sei nie Soldat gewesen und habe niemals ein Militärlager gesehen, er sei weder ein militärischer Stratege noch ein Antiquar, sondern ein (platonischer) Philosoph.139 138

139

PC, S. 173: »Parmy les Autheurs il y a de la diuersite´ entre les noms de Cohorte, Centurie, & Manipule, lesquels icy signifient vne mesme chose, mais en quelque endroit de Tite Liue on y void la distinction de la Legion a` la Cohorte; de la Cohorte a` la Ce(n)turie; de la Centurie au Manipule.« Cochrane: Historians and Historiography, S. 443; Vgl. ebd., S. 443f.: »And he took

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Die Arbeit Saumaises, die sich auf die Restitution des Corpus der antiken taktischen Theorie stützte und deren zentrales methodisches Anliegen einer historisch-kritischen Studie der römischen militia war, kommt diesem von Rohan ausgesprochenen Desiderata entgegen. Sowohl die im Parfaict capitaine auftretenden Zweifel als auch das Unternehmen eine Gesamtrevision der Kommentare zur antiken taktischen Theorie tragen die Signaturen eines von den hugenottischen Gelehrten geprägten Späthumanismus. Die Militärtheorie von Rohan markiert gegenüber der vorhergehenden kompilatorischen Phase in zweierlei Hinsicht eine Zäsur. Er optierte hinsichtlich der militärtheoretischen Grundlagen für die römische Ordonnanz, erwähnte aber, wie es auch in den dreißiger und vierziger Jahren bei anderen Autoren nachvollzogen werden kann, dass es zwei römische Modelle der Treffentaktik gebe. Zum anderen offenbarte Rohan einen kritischen Sinn im Hinblick auf die Quellengrundlagen des griechischen bzw. griechisch-byzantinischen Modells der Phalanx. Gerade hinsichtlich der kritischen Haltung gegenüber dem tradierten antiken Quellencorpus, der damals als Grundlagenkanon der taktischen Theorien schlechthin galt, verweist er auf die künftigen Forschungsleistungen von Saumaise und Naude´. Rohan hatte, wie bereits bemerkt, in der Rezeption der römischen Treffentaktik zwei etablierte Auffassungen diesbezüglich diskutiert. Er machte auf die Notwendigkeit einer forschungsgeschichtlichen Revision der griechischen Taktiker aufmerksam. Auf die Relevanz des griechisch-byzantinischen Modells ging er kaum ein. Rohan zufolge hat hinsichtlich der militärtheoretisch-philologischen Grundlagen antiker Taktiker ein Forschungsdesiderat vorgelegen, so dass den Humanisten in dieser Hinsicht weitere Anstrengungen abverlangt werden mussten. Die Ordonnanz (ordo) der Griechen finde sich ziemlich undeutlich bei ihren Autoren, denn die meisten ihrer Bücher seien verloren gegangen. Aus den überlieferten Fragmenten sei sie nur schwer genau rekonstruierbar.140 Demnach waren die Grundlagen für die taktischen Schwenkungen, das Gruppenexerzieren nach griechisch-byzantinischen Methoden weniger gesichert, als dies die auf pragmatische Diffusion zielenden Exerzierübungen nach Aelian der Holländer suggerieren. Bereits Courbouzon verwies auf den lückenhaften Forschungsstand hinsichtlich der griechischen Taktiker. Den Stand der römischen und griechischen Überliefe-

140

up the study of antiquities late in his career not in order to be of service to generals but simply because he was tired of arguing with Holy Office bureaucrats about the orthodoxy of his version of Platonic philosophy.« PC, S. 145: »L’ordre des Grecs se trouue assez obscurement dans leurs Autheurs pource que la pluspart des liures qu’ils en ont escript sont perdus, & ne nous en restent que des morceaux; si bien qu’il est difficile de le pouuoir recueillir bien exactement.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

rung schränkte Courbouzon auf folgenden Kreis ein: unter die Römer zählte er Cato, Cornelius, Celsus und Frontinus . Für die Griechen steht bei Courbouzon einzig Aelian; die Römer sind durch Vegetius und Polybios vertreten. Ein Desiderat sind folgende Quellen, die nicht überliefert sind: Kineas, dessen Sohn Alexander, Pyrrhus, Clarcus, Pausanias, Iphikrates und Posidonius.141 Die individuellen Positionen der beiden sind als symptomatisch für einen Forschungszusammenhang zu werten. Ein hervorstechendes Merkmal dieses Forschungszusammenhangs war, dass er sich hinsichtlich des Methodenverständnisses und der Forschungsziele von Justus Lipsius absetzte. Die Arbeit Rohans erscheint hier als kritischer Übergangstext, der aber gleichzeitig die kompilatorische Phase beendet und zu Gesetzmäßigkeiten zu gelangen trachtet. Dieses Defizit spiegelte sich kurz darauf in den Forschungsanstrengungen von Naude´ und Saumaise wider; insbesondere Saumaise knüpfte an dieses Desideratum an. Die Kritik Saumaises war ein Projekt, in das die für die französischen Gelehrten des Späthumanismus der Jahre von ca. 1590 bis ca. 1610 einschlägigen kritischen Positionen einflossen, und das sich sowohl auf die gelehrten Ressourcen Frankreichs und deren Verbindung mit den umfangreichen Quellenbeständen der italienischen Bibliotheken als auch auf ein Netzwerk in Frankreich stützen konnte. Zudem profitierte es von den diplomatisch-militärpolitischen Konstellationen der Endphase des Achtzigjährigen Krieges als Teilmoment des Dreißigjährigen Krieges. Die Verbindungen Saumaises lassen sich gleichermaßen in die Niederlande und nach Frankreich verfolgen. Mit seiner Stellung in diesem spezifischen Kontext schloss er an Justus Lipsius an, der mit den einflussreichen französischen Gelehrten und Staatsmännern korrespondierte. 141

Louis Montgommery de Courbouzon: La milice francoise reduite a` l’ancien ordre et discipline Militaire ses Legions: telle & co(m)me la souloyent obseruer les anciens Franc¸ois, a` l’imitation des Romains, & des Macedoniens ... A Paris, chez Barthelemy du Ion …, 1610. Au Lecteur, s.p.: »Or est-il tout constant que les deux meilleures metodes de faire la guerre, sont deriue´es de la Milice Grecque, & de la Romaine, bien fort differentes en plusieurs manieres: mais en cela conformes, qu’il faut auste´rement, & exactement obseruer les reigles militaires. Plusieurs autheurs en ont escrit afin de la laisser a` la posterite´, mais le temps les a tellement rongez qu’il ne s’en treuue plus que des fragments tous lacerez, & imparfaits, de ce peu qui nous reste: car pour les Grecs, nous ne recouurons plus ce qu’en ont laisse´ Cyneas Thessalien, son fils Alexander, le Roy Pirrus, Clarcus, Pausanias, Iphicrates, Posidonius, & grand nombre d’autres. Pour les Romains, Caton, Cornellius, Celsus, Iulius Frontin, & autres innumerables, desquels la barbarie, & ignorance de plusieurs siecles nous a priuez, & ne recouuro(n)s plus gueres d’autres Grecs que Elian, & d’entre les Romains, Vegece, & Polibe, lequel bien que Grec & en langue Grecque, a escrit de la discipline Militaire des Romains, l’ayant aprise soubs Scipion duquel il estoit familier amy.«

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b. Die Bedeutung des Kabinetts der Brüder Dupuy und Nicolas-Claude Fabri de Peirescs für den militärtheoretischen Kulturtransfer: Die gewandelten Konfigurationen der respublica literaria in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts kam es zu einer paradoxen Erscheinung: Es trat kein magister ad militam mehr auf, der, wie Lipsius in Fragen der Militärdoktrin eine Deutungshoheit für sich beanspruchte. Das liegt zweifellos in den Konstellationen gelehrtenrepublikanischer Zirkel und Netzwerke begründet, die mit Claude Fabri de Peiresc zwar einen ausgezeichneten ›Wissenschaftsorganisator‹ vorzuweisen hatten, aber keine unangefochtenen, in Fragen europäischer Politik autoritativen Humanisten wie Erasmus oder Lipsius. Neben den ›Wissenschaftsorganisator‹ – eine durchaus neue Erscheinung im Zusammenhang der wissenschaftlichen Revolution – traten nun verschiedene Autoren, die von unterschiedlicher ›intellektueller Warte‹ aus die militärtheoretische Überlieferung zu fassen suchten. Nach Erasmus und Lipsius, die durch irenische Rhetorik142 bzw. durch eine stoisch-polemologische Lehre integrierend zu wirken suchten, kann nunmehr in einem strategisch-politisch kohärenten Kontext der französischen Monarchie unter der Regierung Richelieus und Ludwig XIII. eine Ausdifferenzierung militärischer und politischer Methodenlehren beobachtet werden. Die Erforschung und (pragmatische) Interpretation antiker taktischer und strategischer Legs waren keine Einzelleistungen. Vielmehr müssen sie im Rahmen eines Netzwerkes verortet werden, in dem die Rezeption und der Transfer strategischer und taktischer Theorien stattfanden. Anders als im Vorfeld der holländischen Militärreformen, für die die Gründung der Universität Leiden durch Wilhelm von Oranien (1575) einen entscheidenden Impuls gebildet hatte, kam nun Frankreich und Paris im Besonderen eine Rolle in der Konstituierung neuer Militärtheorien zu. Die dort vorhandenen kulturellen Fonds waren weit stärker als die niederländischen mit griechischen Quellen bestückt, und die Stadt entwickelte sich zunehmend zum wissenschaftlichen Zentrum des Späthumanismus.143 Der militärwissenschaftliche Forschungszusammenhang zeichnet sich auf dem Hintergrund neuer Konstellationen der respublica literaria ab. Um 1600 hatten sich zwei Hauptzentren humanistischer Studien herausgebildet: das eine in Holland und Brabant, das andere in Venedig (Padua); und es traten nunmehr drei Fürsten der 142

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Vgl. John M. Headley: Gattinara, Erasmus and the Imperial Configurations of Humanism, ARG, 71 (1980), S. 64–98. Vgl. Garber: Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus, S. 71–92.

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respublica literaria auf: die beiden Rivalen des Nordens Joseph-Justus Scaliger (dessen Nachfolger Saumaise sein sollte), Justus Lipsius (und dessen Nachfolger Erycius Puteanus) und der an der Universität Padua lehrende Gian Vincenzo Pinelli. Nach der Publikation des Edikt von Nantes, konnte Jacques-Auguste de Thou, in seinem hoˆtel de la rue Saint-Andre´-des-Arts eine enzyklopädische Bibliothek sammeln, die nach seinem Tod 1617 der Sitz des Kabinetts Dupuy144 werden sollte, »foyer central de plus en plus inconteste´ de la Re´publique des Lettres europe´enne jusqu’en 1651.«145 Seit den dreißiger Jahren wurde Pierre Dupuy in ganz Europa der ›Papst von Paris‹ genannt.146 Im nordwesteuropäischen Späthumanismus kam es nicht nur zu einer Korrespondenz über konfessions- und machtpolitische Fragen, sondern die Gelehrten tauschten sich auch über ihre militärtheoretischen Quellenforschungen aus. In diesem Austausch kam hugenottischen Gelehrten wie Scaliger und Saumaise eine Schlüsselrolle zu. Ihre Verbindungen reichten in die für die Konstituierung strategischer Theorien bedeutsamen französischen Kabinette, und sie hatten den nicht zuletzt für die militärische Kultur der Generalstaaten und der Oranier einflussreichen Leidener Lehrstuhl inne. Anhand der Korrespondenz von Lipsius, Casaubon, Saumaise, Gronovius, Peirescs, der Brüder Dupuy, Sarrau, Scaliger und Rigault, Naude´, sowie Henri de Valois kann sowohl das Bemühen um die Restitution antiker taktischer Tradition über die Handschriftenforschung als auch die militärtheoretische Kritik nachvollzogen werden. Einen besonders intensiven Austausch pflegte Saumaise mit Gronovius, der 1670 einen Polybios-Kommentar vorlegte.147 144

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Je´roˆme Delatour: Les fre`res Dupuy. In: Christiane Berkvens-Stevelinck, Hans Bots, Jens Häseler (Hg.), Les grands interme´diaires culturels de la re´publique des lettres. Etudes de re´seaux de correspondances du XVIe au XVIIe sie`cles, Paris 2005, S. 88: »N’en de´plaise a` leurs amis Balzac et Chapelain qui, par malice, de´nommaient leur acade´mie pute´ane, les Dupuy soutenaient l’usage du franc¸ais contre le latin; ils e´crivaient donc en franc¸ais.« Zum ›esprit de corps‹ des Kabinetts vgl. Garber: Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus; Giuliano Ferretti: Introduction. In: Philippe Fortin de La Hoguette, Lettres aux fre`res Dupuy et a` leur entourage. 1623–1662 (Le corrisponze letterarie, scientifiche et erudite al rinascimento all’ eta` moderna, 7,1), Bd. 1, Florenz 1997, S. 1–91. Marc Fumaroli: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc. Prince de la Re´publique des Lettres. In: IVe Centenaire de la Naissance de Gassendi. Confe´rence organise´e par l’Association Pro-Peyresq dans la Maison d’Erasme a` Anderlecht le mercredi 2 juin 1992, Brüssel, Privatdruck 1993 URL: http://www.Peiresc.org/fumaroli.htm [Stand: 2010–07–03]. Marc Fumaroli: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc; vgl. auch ders.: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc. Prince de la Re´publique des Lettres, Rivista di letterature moderne e comparate, 49, 1 (1996), S. 39–62. Dem Vorwort dieses Kommentars kann die Traditionslinie entnommen werden, in welche sich dieser einschreibt: Polybii Lycortae F. Megalopolitani historiarum libri qui supersunt, interprete Isaaco Casaubono. Jacobus Gronovius recensuit, ac

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Diese Netzwerke und die Kabinettskultur, an der die politiques wesentlich partizipierten, war für die Ausbildung und Konstituierung taktischer Theorien, einer militärwissenschaftlichen Paideia, den militärtheoretischen Informationstransfer und den diplomatisch-informativen Austausch von Bedeutung. In der Kabinettskultur wurden nicht nur diplomatisch-machtpolitische Positionen reflektiert – in den Papieren Peirescs finden sich tausend Seiten, die sich mit der Frage des Veltlin befassen – und begründet, sondern auch militärwissenschaftliche Grundlagenforschung in Form von Quellenforschung, Textkonstitution, -restitution und Interpretation befördert. Besonders deutlich ist dieser Vorgang anhand des Quellentransfers und der Quellenforschung nachzuvollziehen. Die Militärtheorien von Naude´ und Saumaise, die sich um eine forschungsgeschichtliche Aufarbeitung oder auch Revision der antiken taktischen Theorie und deren Interpretation bemühten, fielen in einen nahezu identischen Forschungszusammenhang. In der Militärtheorie der Renaissance und der strategischen Heuristik Machiavellis hatten noch die römischen Militärschriftsteller Vegetius und Frontinus einen nahezu unangefochtenen Rang eingenommen. Nun wandte man sich aber – nicht zuletzt im Rahmen der erstarkenden PolybiosRezeption oder, allgemeiner ausgedrückt, einer römisch-griechischen Kulturtheorie und einer allgemeineren Konzeption pragmatischer Geschichtsschreibung – der griechischen taktischen und strategischen Legs zu. Die restitutio und die Kritik antiker taktischer Theorien, eine kollektive Forschungsanstrengung, die gruppengeschichtlich zu identifizieren ist, wurden von Naude´ und Saumaise gebündelt. Besonders transparent ist dieses Anliegen in dem SStM (1637) von Gabriel Naude´, der in seiner kommentierten militärischen Bibliographie eine Übersicht über die in den Bibliotheken befindlichen Handschriften gibt. Darüber hinaus erteilt er darin über die Personen Auskunft, die an der Entdeckung der Handschriften beteiligt waren, und nennt die Indizes und die Bibliotheken, in denen sich die betreffenden Handschriften befanden. Den Maurikios hat Naude´ in folgenden Bibliotheken aufgespürt: Der Biblioteca Altempsiana, die 1567/68 von dem österreichischen Kardinal Mark Sittich von Hohenems erworben worden war, derjenigen des Francesco Barberini (Handschrift in angeschlagenem Zustand), der Bibliothek des Vatikans und der Mailänder Biblioteca Ambrosiana, wo er als vollständiger Text zusammen mit anderen Autoren vorliegt (Mauricii strategicorum libri duodecim). Der Aeneas Tacticus befand sich in der Kurfürstlichen Hofbibliothek von Bayern (Münutriusque Casauboni, Fil. Ursini, Henr. Valessi, Jac. Palmeri & suas notas adjecit […] Anteae, vetustißimi Tactici, Commentarius de toleranda obsidione, cum interpretatione ac notis Isaaci Casauboni, tom. 1, Amsterdam, Johannes Janson a` Waesberge, & Johannis van Someren, 1670: Praefatio, s.p.

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chen) (»in Bavaria non duobis libris, sed capitibus LXXIX, distinguitur«). Darunter befinden sich auch die für Saumaise bedeutsamen Schriftsteller Urbicius, gefolgt von Leo VI. und Julius Africanus. Julius Africanus, von dem sich Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek, der Bibliotheca Palatina, der Bibliotheca Barberina, der Bibliotheca Farnesiana, in den Bibliotheken von München und Paris befinden, wurde von Casaubon und Rigault aufgegriffen. Daneben interessierte Saumaise sich für Apollodoros (in der Bibliothek des französischen Königs und der Vatikanischen Bibliothek), Athenaeus, den er in einer Pariser Privatbibliothek gesichtet hat, und Biton, der sich auf dem Kodex der Vatikanischen Bibliothek und der des französischen Königs befindet, und welchen er aus der Pilleniana, der Biblioteca Farnesiana und weiteren Bibliotheken habe. Philon von Byzanz, der den Beinamen Handwerker (Mechanici) trug, wurde von Casaubon für sein Werk über den Festungs- und Belagerungskrieg herangezogen (de fabrica turrium murorum, & aliarum munitionum primo` agitur; deinde tolerandae obsidionis dantur praecepta), fernerhin verwerteten ihn Lucas Holstenius (1596–1661), der Kustos der Vatikanischen Bibliothek, und Leone Alacci (1586–1669) in der Diatriba de Philonibus. Lucas Holstenius widmete sich vor allem den Handschriften des Arrian und Asklepiodotos.148 Sowohl Nicolas Rigault (1577–1654) als auch Adrien Turne`be (1512–1565) haben Pappi, Biton, Ctesibius [Belopoeica], Diadis Vitruv (libro ultimo, quo totus est de machinis bellicis) herangezogen, die in den Bibliotheken Farnesiana, Pinelli und in der Vaticana zu finden waren. Saumaises Forschungsinteresse bezog sich auf Heron,149 Autor einer Schrift über den Geschützbau, der Belopoiika, der demnächst, wie Naude´ bemerkte, in den griechischen Schriftstellern der römischen militia durch Saumaise herausgegeben werde.150 Auch Leone Alacci, den Naude´ oft nennt, hat sich dieses Schriftstellers in den Diatriba de Philonibus angenommen. Aesculapius wird im Zusammenhang der unterschiedlichen Naumachi[c]a & Strategica genannt, für den sich, folgt man dem SStM, Claude de Saumaise interessierte.151 Der Parisinus gr. 148

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Alphonse Dain: Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, REA, 71 (1969), S. 342. Heron von Alexandria, einer der vielseitigsten griech. Mathematiker im Ausgang des 2. Jh. v. Chr. Die angewandte Mechanik vertritt Herons Abhandlung über den Geschützbau, deutsch in den ›Griechischen Kriegsschriftstellern‹ von Köchly und Rüstow (1. Teil, 1853). Eine Ausgabe seiner Werke mit deutscher Übersetzung lieferte W. Schmidt (Bd. 2 mit Nix, 1899–1901, 2 Bde., dazu Supplement 1899). SStM, S. 520: »Salmasii decretis, qui propediem illustratos antiquae militae scriptores graecos editurus est …«. SStM, Secundus, IV, 8: »Quae velut Hippoliti me(m)bra huc illicque dispersa iacent, & Aesculapiu(m) suum in Salmasio expectant, qui Graeca haec omnia, suis quaeque auctoribus restituat, probet, escutiat, damnet, & obelo ac asterismo, prout illi omnium acutissimo censori videbitur, notet.«

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2528, der von der Hand Saumaises stammt, enthält lediglich eine Kopie des Traktats über die Taktik, der Asklepiodotos dem Philosophen,152 einem Neuplatoniker und Panaitios-Schüler, zugeschrieben wird.153 Darüber hinaus enthält dieser Traktat einen Text (fol. 8r bis fol. 9v), der nicht zu diesem Traktat gehört. Es handelt sich um eine Teilkopie der Scholien von Aelian, die an den Rändern des Parisinus gr. 2442 vermerkt sind. Das ist nicht erstaunlich, denn Saumaise, der ein Spezialist für militärische Texte war, hat dieses grundlegende Manuskript für die Studie der Überlieferung der griechischen Taktiker verwendet (Scholie 7 bis Scholie 26).154 Saumaise bezog das Gros seiner Quellen aus der königlichen Bibliothek in Paris, an deren Inventar er wenige Jahre zuvor mitgewirkt hatte. Nicolas Rigault erstellte einen Kommentar zu Onasander auf der Grundlage der älteren und jüngeren mediceischen Handschrift, die er aus der Bibliothek der Königin Katharina bezog und noch eine andere neuere Handschrift und diejenige des Fre´de´ric Morel (1558–1630).155 1601 trat er mit einem Glossar zu der sich auf die Militärverfassung beziehenden Terminologie der nach Justinian herrschenden Kaiser hervor.156 Rigault war der Hauptautor dieses fünf Sektionen umfassenden Katalog.157 Mit Hautin hatte er einen 1622 fertiggestellten Katalog erar152

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Vgl. Asklepiodotos: Traite´ de Tactique. Übers. u. hg. v. Lucien Poznanski, Paris 1992 (22002). Der Traktat wurde im 1. Jh. v. Chr. verfasst. Es handelt sich um ein rein theoretisches Handbuch der makedonischen Phalanx, das sich auf keinen historischen Zusammenhang bezieht. Es bezeichnet einen Schritt in der strategischen Reflexion, da es die Beschreibung der Truppenbewegungen im Raum auf mathematische und geometrische Grundlagen stellt. Vgl. Lammert: Griechisches Kriegswesen, S. 38f.: »Es kann natürlich kein Zweifel darin bestehen, dass für den Asklepiodotostext allein uns seine Bedeutung als Quelle der anderen Hss der Taktikerkodex Laur. LV 4 (F) maßgebend ist. Dieser entstammt dem 10. Jh., die übrigen Hss dem 16.–19. Jh. und hängen von ihm ab. Köchly, der von diesem sehr wohl wusste, so z. B. Griechische Kriegsschriftsteller II 1, S. 129, hat gleichwohl die Editio princeps 1855 in diesem Bande der Gr. Kr. nach den drei Parisini 2522 (A), 2435 (B) und 2528 (C) gegeben. A und B sind Abschriften des 16. Jh. aus F; C aber stammt erst wieder aus B, der Anmerkungen von Saumaise enthält, der C daraus abschrieb.« Lucien Poznanski: Des scholies d’E´lien le Tacticien copie´es par Claude Saumaise (Paris. gr. 2528), Revue d’histoire des textes, 14–15 (1988), S. 267. Onasander, Lutetiae Parisiorum 1599, 2 parties en 1 vol. E*–654; Ed. et Trad. Onosander. Strategicus…Heidelbergae, 1604/1605. 4 parties en 1 vol. BN *E 655 (1–4); Voir a` l’article Jean de Chokier de Surlet les re´impressions du ›Strategicus‹ d’Onasander traduit par Nicolas Rigault. Nicolas Rigault: Nicolai Rigaltii Glossarium. De verborum significatione, quae ad novellas impp. Qui in Oriente post Iustinianum regnauerunt, de re militari constitutiones pertinent, Paris, C. Morellum, 1601. BN RES-F–892. Aus: Le´opold Delisle: Le cabinet des manuscrits de la bibliothe`que impe´riale. E´tude sur la formation de ce de´poˆt comprenant les e´le´ments d’une histoire de la calligraphie de la miniature, de la reliure, et du commerce des livres a` Paris avant l’invention de l’imprimerie, Bd. 1, Paris 1868, S. 199. Vgl. Conf. Delamare: Cl.

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beitet. Auch Johannes van Meurs158 und Louis de Machault, die etwa zeitgleich einen Kommentar zu Aelian vorlegten – letzterer in Verbindung mit Polybios –, rekurrierten auf die Bestände der Königlichen Bibliothek in Paris. Van Meurs’ Forschungsinteresse richtete sich auf Athenaeus, Biton, Heron Ctebiis, Apollodor, Julius Africanus und Heron von Alexandria (12. Okt. 1637).159 Neben der französischen Königlichen Bibliothek stützte sich Saumaise auch auf die Bestände der privaten Bibliothek von de Thou.160 Diese wurde ab 1617 von den Brüdern Dupuy geleitet und enthielt eine bedeutende Handschriftensammlung. Zudem war sie ein Treffpunkt für die eher gelehrten Mitglieder libertinärer Gesellschaften.161 Bereits der Vater der Brüder Dupuy, Claude Dupuy (1546–1594), legte den Grundstock für die Bibliothek. Im Hinblick auf die militärische Kultur sind darin Arrian (mit Einschränkungen), Vegetius,162 Frontinus, Polybios163

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Salmasii vita, II, vii; fonds Bouhier, 102, p. 44. Der Originalkatalog ist jedoch nicht überliefert. Der erste wurde von Nicolas Rigault selbst mit einer großen Klarheit verfasst (est relie´e au chiffre de Louis XIII, et forme le n° 10364 du fonds latin: microfilm 10054 und 10055). Die zweite Kopie (n° 23 du fonds Bouhier= fonds latin 17918) [indique a` la fois les cotes des manuscrits et les pages de l’exemplaire original du catalogue: mais il n’y a point de table alphabe´tique]. Joannis Meursii Criticus arnobianus tributus in libros septem. Item Hypocriticus munutianus. Excerpta ms. regii parisiensis. Editio altera …Lugduni Batavorum, ex. Off. L. Elzevirii, 1599. BN Z–13166. Gerardus Joannes Vossius, William Laud, Paulus Colomie`s: Doctissimi Clarissimique Gerardi Joannis Vossii Et ad Eum Virorum Eruditione Celeberrimorum Epistolae, apud Sam. Smith & Benj. Walford, 1693, S. 169: »Est hic vir quidam doctus, penes quem sunt libri aliquot Manuscripti Graeci, quos ut amplissimo magistratui urbis vestrae, ad Ornamentum Bibliothecae illic pulicae, cui praefectus filius tuus, venales offerrem, a me petiit: neque ego id negare homini amicissimo potui. Sunt autem isti uno volumine comprehensi: 1 Athenaei [...] [;] Bitonis [...] [;] Heronis [...] [;] Heronis Ctesibii [...] [;] Apollodori […] [;] Bitonis [...] [;] Julii Africani […] [;] Heronis Alexandrini [...] [;] Idem liber cum superiore, nis quod figurae variant: ideoque nonnullius plane pretii. Hos indicat quadringentis Florenis Hollandicis.« Saumaise an Jacques Dupuy (Paris, au logis de M. de Thou), s.l., s.d. [1636]. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, 1882, S. 154. Es geht um eine Vegetius-Handschrift. Die Collection Dupuy ist das Werk der Brüder Pierre und Jacques Dupuy, Söhne von Claude Dupuy, Rat im Parlament von Paris (1546–1594), der diesen eine Sammlung alter Handschriften überlassen hat. 1616 hatte Jacques-Auguste de Thou Pierre Dupuy mit der Aufsicht über seine Bibliothek betraut. Sie erstellten einen neuen Katalog der Handschriften und der gedruckten Schriften, der als Grundlage das Inventar von Nicolas Rigault (1622) heranzog. Vgl. John F. Boitano: Naude´’s advis pour dresser une bibliothe`que. A window in the past, Seventeenth century French Studies, 18 (1996), S. 13; ebd.: »Yet the Bibliotheca Thuana is perhaps the most striking example of erudite libertine interests in, if not passion for, the occult.« Je´roˆme Delatour: Une bibliothe`que humaniste au temps des guerres de religion. Les livres de Claude Dupuy d’apre`s l’inventaire dresse´ par le libraire Denis Duval (1595) (Me´moires et documents de l’e´cole des chartes), Paris 1998, S. 246:

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und Caesar164 vertreten. Claude Dupuys Bibliothek war noch, anders als die seiner Söhne, humanistisch ausgerichtet. Die Brüder Dupuy, die in der Schule von Jacques-Auguste de Thou erzogen worden waren, wählten einen anderen Weg als ihr Vater, war es doch ihr Bestreben Staat und Monarchie zu stützen. Andererseits blieben die Brüder Dupuy den politischen Prinzipien der Familie de Thou treu, die auf einem Gleichgewicht zwischen dem König und dem Parlament, als dem Repräsentativorgan der Untertanen, gründeten. Auch kritisierten sie die Macht seines ersten Ministers Richelieu. Die Söhne von Jacques-Auguste de Thou gingen sogar aus dieser stillen Opposition in eine offene über. Franc¸ois Auguste de Thou kostete die Feindschaft mit Richelieu 1642 das Leben, seinen Bruder brachte sie ins Exil. Unter Ludwig XIII. verwaltete die Familie den Tresor von Chartes und die Bibliothe`que du Roi, was sie in die Lage versetzte, die Handschriften bereitzustellen und sie nach ihrem Ermessen zu veröffentlichen. Der Einfluss des Kabinetts schwand in dem Maße wie die königliche Macht anwuchs. Mit der Gründung der staatlichen Akademien wurde die Familie de Thou ihrer Sammlungen beraubt, die sie über ein halbes Jahrhundert betreut hatte. Die Edition der Klassiker hatte sich verbessert und damit die Ansprüche der Gelehrten. Man unternahm keine ernsthafte Edition mehr, ohne zuvor alle bekannten Manuskripte zu kollationieren: obgleich man sie philologi

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»*1095.Ve´ge`ce, Flaii Vegecii Renati, …Epithoma institutorum rei militaris de comentariis Augusti, Trajani, Adriani necnon etiam Frontini, [Paris, P. Ce´sar, J. Stoll, av. 1476]« BN Re´s. R–1189; »*1096. Ve´ge`ce, Frontin, Elien, tacticien, Modestus, Guillaume Bude´, e´ e´d. The´odore Gaza trad., Fl. Vegetii Renati, … de re militari libri quatuor. Sexti Julii Frontini, … de strategematis libri totidem. Æliani de instruendis aciebus liber unus. Modesti de vocabulis rei militaris liber unis … Collata sunt omnia ad antiquos codices …, Paris: Chrestien Wechel, 1553.« BN Re´s. R–261. Signiert und annotiert von Claude Dupuy, außer dem Text von Aelian (Varianten eines ›v.c.‹ für Vegetius); »tit. transversal de Pierre presque efface´ ›Fl. Vegetius com observationibus Cl. PVTEANI.‹«; S. 253: »*1759. Ve´ge`ce. – Fabius Planciades Fulgentius. – Alexandre le Grand. – Dare`s de Phrygie. – Passio sanctorum Donationi et Rogatiani, cum missa. – Terminorum nonnullorum ecclesiasticorum explicatio. – Sermo in dedicatione templi, […] IXe–XIVe s. (Dupuy 161, Regius 4950, Boivin; Latin 6503).« Ebd., S. 129: Polybe. Hg. v. Arnoldus Arlenius, Peraxylus, übers. v. Nicolo` Perotti u. Wolfgang Musculus, Polybii Megalopolitani historiarum libri priores quinque, Nicolao Perott, … interprete, item epitome sequentium librorum … Wolfgango Musculo interprete…, Basel, Johann Herwagen, 1549, in-fol. (2.373.7 R; non identifie´). Ebd., S. 252: »*1747: Caius Julius Ce´sar, Commentarii,….XVe s. … a e´te´ de´tache´ d’un volume ancien plus important«; Daneben steht: »*1748: Honore´ Bouvet, L’arbre des batailles, … XVe s. (Dupuy 140, Regius 7443, Boivin; Francais 1265, microfilm 7177)«; ebd., S. 256: »*1789. Caius Julius Ce´sar, De bello Gallico libri septem (cum Hirtii libri octavo), de bello civili libri tres, liber de bello Alexandrino, liber de bello Africano, liber de bello Hispanico,… XVe s. (Dupuy 237, Regius 5266, Boivin; Latin 5774).«

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nannte, überließen die Brüder Dupuy die Edition des Ovid anderen Humanisten wie Heinsius.165 Nicht nur der französische Gelehrtenzirkel, mit dem er verbunden war, sondern auch die Bibliothek des französischen Monarchen hatten für Saumaise eine große Bedeutung, zumal sie reichhaltiger bestückt war als die niederländischen Bibliotheken, die ihm zudem wegen seines Zerwürfnisses mit Heinsius nicht zugänglich waren.166 Grotius zufolge war Saumaise Nicolas Rigault167 und Heinsius feindlich gesonnen, während er mit Gerardus Joannes Vossius (1577–1640),168 Professor für Rhetorik 165

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Ebd., S. 102; ebd.: »Ce nouvel engagement devait changer leur bibliothe`que et leur fac¸on de l’utiliser. Ils lurent les classiques, ils en tire`rent des maximes morales dont ils firent des cahiers.«; S. 103: »C’est donc transmue´e en bibliothe`que e´rudite que la bibliothe`que humaniste de Claude Dupuy devait entrer a` la Bibliothe`que du roi, amorcant la renaissance de celle qui est aujourd’hui la Bibliothe`que nationale de France.« Saumaise an Peiresc, Paris, 12. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 286f.: »Outre la compagnie de mes amis que je regrette en quittant la France, je plains aussi l’esloignement d’une bibliothe`que qui pouroit seule satisfaire a` mes curiosite´s de toutes sortes, ou` je vais en un pays ou` toutes les bibliothe`ques des particuliers sont ferme´es; et celle du public quoi qu’ouverte a` tout le monde, elle ne l’est pas a` moi, par la bonne humeur du bibliothe´caire [Daniel Heinsius, mit dem Saumaise zerstritten war], et laquelle, quand bien elle me seroit patente, ne me sc¸auroit pas fournir grand’chose, outre quelques livres arabiques, que Golius a apporte´s.« Anmerkungen zum Kritiker Rigault: Bonaventura de Smet, dit Vulcanius, Theasaurus utriusque linguae, hoc est Philexeni aliorumque veterum authorum glossaria latino-graeca et graeco-latina; Isidori glossae latinae; Veteres grammatici latini et graeci qui de proprietate et differentiis vocabulorum utriusque linguae scripserunt. Edita omnia atque recogniat studio et opera Bonaventura Vulcanii, … cum ejusdem notis in quibus innumerae compliatorum et scribarum mendae corriguntur, plurimi etiam veterum authorum loci emendantur atque illustrantur, pleniorem eorum quae hoc opere continentur indicem pagina ab hinc septima repraesentat, Lugduni Batavorum, excudebat J. Patius, 1600. – La premie`re partie de l’ouvrage reprend, dans sa premie`re moitie´, partie de l’e´dition du ›Thesaurus graecae linguae‹ publie´ par Henri Estienne en 1572–1573; elle contient entre autres le ›Philoxeni Lexicon latino-graecum vetus‹, le ›Glossarium latino-grecum B. Benedicto…attributum‹ et le ›Lexicon graeco-latinum…Cyrilli‹. Dans la seconde moitie´, aux titres et auteurs cite´s dans le titre, il faut ajouter le ›Veterum grammaticorum de proprietate et differentiis latini sermonis libelli‹, compilant divers grammariens anciens, dont Frontin, ainsi que le ›Libellus de similibus et differentibus vocabulis‹ d’Ammonius, assez proche de l’e´dition puble´e par Estienne, de´ja` cite´e. … X 141. Saumaise korrigierte eine Ausgabe des Tertullien: Tertullien – 1612, Lutetiae. Re´s. S. 612: avec des notes Ms. de Claude Saumaise. Vgl. Cl. Salmasii Epistola ad Andream Colvium, super cap. XI primae ad Corinth. Epist. De caesarie virorum et milierum coma. [Ger. Joh. Vossii Epistola.], Lugd. Batavor., ex offic. Elzeviriorum, 1644. BN G–32500; Johannes Brandt, Clarorum virorum epistolae centum ineditae de vario eruditionis genere, ex museo Johannis Brant,…Amstelaedami 1702. BN Z–14200; Vossius zeichnet für einen CaesarKommentar verantwortlich: Commentarii de Bello Gallico et civili. T. lus, Mannhemii 1779. J–13341; Joannes Gerardus Vossius, Commentarius de rebus pace belloque gestis Dom Fabiani Senioris Burggravii a` Dhona, Lugduni Batavorum

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und Theorie in Leiden, befreundet war.169 Neben der Bibliothe`que du Roi waren für Saumaise auch weitere Bibliotheken in Frankreich und Italien bedeutsam. So die Bibliothek von Jacques Bongars170 und vor allem diejenige Jacques-Auguste de Thous, mit dem er korrespondierte171 und der aufgrund seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in Italien Zugang zu den italienischen Beständen hatte.172 Aus der Bibliothek de Thous hoffte Saumaise eine Handschrift Vegetius’ zu erhalten.173 Am 6. Aug. 1640 schrieb Constantin Huygens an Andre´ Rivet, dass er auch von Sir William Boswell, dem englischen Botschafter bei den Generalstaaten, Handschriften griechischer Taktiker erhalten habe: Il a rec¸eu par Monsieur Boswel force tactiques grecs manuscripts, et trouvera l’Urbicius a Paris, et promet d’apporter avec luy sa Milice complette, qui devra estre meilleure que celle qu’il exerce a present.174

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1628. BN M–9917. Er machte sich um die Erfassung griechischer und lateinischer Historiker verdient: Gerardi Ioannis Vossii de Historicis graecis libri quatuor, Lugduni Batavorum, apud. J. Maire, 1623. BN 8-J–10026; – 1624; –1650; Gerardi Joannis Vossii de Historicis latinis libri tres, Lugduni Batavorum, apud J. Maire, 1627. [On trouve parmi les pie`ces limin., une Ele´gie de Pieter Schrijver ›dit‹ Petrus Scriverius et un pane´gyrique de Caspar Barlaeus] Z–10304; vgl. C. S. M. Rademaker: The correspondence of Gerardus Joannes Vossius. 1577–1649, Lias, 9 (1982), S. 19–31. Hugo Grotius: Hugonis Grotii Epistolae ad Gallos. Editio novissima, prioribus auctior, cui item additae sunt Claudii Salmasii et Claudii Sarravii ad Hugonem Grotium Epistolae. Hg. v. Joachim Gesenius, Leipzig 1674. BN 8-Z–2755, S. 269, S. 434f., etc.; vgl. Nicholas Wickenden: G. J. Vossius and the humanist concept of history (Respublica literaria neerlandica), Van Gorcum 1993, S. 11, n° 51: »Vossius had favoured Salmasius’s appointment, and remained on friendly terms with him. See in particular Vossius to Grotius, 6 April 1630. In: Grotius, BW, Bd. IV. Hg. v. B. L. Meulenbroeck.« Vgl. Paris BN, Ms. f. fr. 24423, fol. 142. Vgl. Henri Osmont: Deux lettres de Cl. de Saumaise a` J.-A. de Thou sur les anthologies grecque et latine, Revue de Philologie, 19 (1895), S. 182–187. Antoine Coron: Quelques aspects de la bibliothe`que de Jacques-Auguste de Thou, Bulletin du bibliophile, 3–4 (1988), S. 277: »les relations familiales et la position sociale de de Thou le mettaient en situation d’employer les services de personnages exte´rieurs a` la Re´publique des lettres, qu’aucun membre de celle-ci, meˆme Scaliger, n’aurait pu solliciter. Les circonstances ont fait qu’un certain nombre de ses parents ou de ses proches se´journe`rent en Italie, le pays reˆve´ des amateurs. Savary de Bre`ves, allie´ a` de Thou, y fut ambassadeur de 1608 a` 1614. De`s son arrive´e, il sert d’interme´diaire […] Jusqu’a` son retour en France il fut a` la disposition de son cousin. En 1613, ayant recu une liste particulie`rment longue, il se met en chasse […] Outre les ambassadeurs, le personnel eccle´siastique se´journant a` Rome e´tait mis aussi a` contribution. Le cardinal d’Ossat, en 1601, envoie le dernier ouvrage du P. Chaco´n. En 1611, le cardinal de La Rochefoucauldt, qui vient de de´couvrir un Nouveau Testament, le sieur Ribe`re, lui a dit pouuoir inte´resser de Thou, e´crit a` celui-ci qu’il le lui fait parvenir.« Saumaise an Jacques Dupuy (Paris, au logis de M. de Thou), s.l., s.d. [1636]. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, S. 149–156, hier S. 154f. Constantin Huygens an Andre´ Rivet, 6. Aug. 1640. In: De Briefwisseling van Constantijn Huygens, Teil 3, S. 79.

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Am 12. Juni 1639 wartete Saumaise noch auf den Urbicius aus Rom, um seine Milice fertigstellen zu können.175 Zwischen der militärtheoretischen ›Grundlagenforschung‹ und den Beständen und Verantwortlichen der Königlichen Bibliothek kann eine personelle Identität festgehalten werden. Namentlich seien genannt: Isaac Casaubon, von 1600 bis 1610 Bibliothekar (garde de la Bibliothe`que du Roi), Polyaen-Herausgeber, der den Text des deutschen Philologen Justus Vultejus (1528–1575) anhängte176 – in der British Library (London) liegen Exzerpte einer Kopie der 1589 erstellten PolyaenusEdition, die der Universität Leiden gehören und von Franciscus Iunius im späten 17. Jahrhundert annotiert wurden (Harley, 5637ff. 20–47) vor. Zudem trat Casaubon als Aeneas-Kommentator hervor.177 Nicolas Rigault hatte 1599 einen Onasander-Kommentar vorgelegt178 und Saumaise erarbeitete in den 1630er Jahren eine theoretische Synthese der antiken militia auf der Grundlage des Corpus der antiken taktischen Theorie arbeitete. Sie stützten sich nicht nur auf die Bestände dieser Bibliothek, sondern waren auch eng mit ihr als Institution verbunden. Rigault und Saumaise waren ab 1622 an der Katalogerstellung beteiligt. Vor allem Saumaise war damit intensiv beschäftigt, denn der Katalog soll ihn die meiste Zeit und den meisten Fleiß gekostet haben.179 Es kann 175

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Constantin Huygens an Andre´ Rivet, Den Haag, 12. Juni 1639. In: De Briefwisseling van Constantijn Huygens, Teil 2, S. 460: »Dieu nous a rendu Mons.r de Saumaise, lequel recommence a travailler, et vous en aure´z bientost quelques pieces. Il attend encore l’Urbicius de Rome pour achever sa Milice, et il en est asseure´.« Jean-Pierre Nice´ron: Memoires pour servir a l’histoire des hommes illustres dans la re´publique des lettres, avec un catalogue raisonne´ de leurs Ouvrage. 43 Bde., Paris 1727–1745, Bd. 18, S. 136: »Polyaeni Stratagematum Libri VIII. Graece & Latine, edente cum Notis Isaaco Casaubono. Lugduni 1589, in–16. Casaubon est le premier qui ait publie´ le texte Grec de cet Auteur; la Version qu’il y a jointe n’est pas de lui, comme on le dit mal a` propos dans la Bibliotheque Curieuse d’Hallervord. C’est celle de Juste Vulteius, qui avoit de´ja` paru en 1550.« Polybii Opera Graece & Latine ex versione Isaaci Casauboni. Accedit Aeneas Tacticus de toleranda obsidione, Graece & Latine, Paris. 1609. in – fol. It. Hanoviae 1609. Edition copie´e sur celle de Paris. Onosandri strategicus. Sive de imperatoris institutione. Accessit...Nicolaus Rigaltius P. nunc primum evetustis codd. Graecis pulicauit, latina interpretatione & notis illustravit, Lutetiae Parisiorum, apud Abrahamum Saugranium, 1599. E* 762 (Re´serve); Ed. et Trad. Onosander. Strategicus…, Heidelbergae 1604/1605. 4 parties en 1 vol. BN *E 655 (1–4). Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 265: »Catalogus Graecorum & Latinorum Mss. qui anno 1622. Operaˆ atque industriaˆ VV.CC. Nic. Rigaltii, Cl. Salmasii, & Jo. Hautini, primu`m perfecti, denuo recogniti & aucti fuerunt an. 1645. operaˆ & studio clariss. Pet. & Jac. Puteanorum. Ce Catalogue est imprime´ dans la nouvelle Bibliothe`que des Mss. du P. Labbe, pag. 269. 1653. in 4°. Je suis surpris qu’aucun Bibliothe´caire n’ait range´ ce Catalogue parmi les Ouvrages de Saumaise. C’est peut-eˆtre celuy de ses Ouvrages, qui lui a le plus couˆte´ de tems & d’aplication. Il y travailla une anne´e entie`re avec Rigault, qui en eut toute la re-

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angenommen werden, dass die Vorarbeiten für die Milice, die er bereits vor der Auftragsvergabe durch den Prinzen von Oranien geleistet hatte, in Verbindung mit der Katalogerstellung stehen. Tatsächlich setzt die Kritik und der damit einhergehende Forschungszusammenhang, in den Philologen wie Scaliger, Casaubon, Rigault – in erster Linie die erste Generation der Kritiker – Machault, Henri de Valois, Seigneur d’Ocre, Peiresc und Naude´ eingebunden waren, bereits in den 1590er Jahren und besonders nach Erscheinen von Lipsius’ DMR ein. Unter den französischen Kritikern mahnte bereits Scaliger an, eine Ausgabe der Taktiker vorzunehmen: Er dachte dabei vor allem an Athenaeus, Biton und weitere römische und griechische Autoren.180 In den Jahren 1635–1637, als sich Saumaise den Recherchen zum Militärwesen der Alten widmete, stützte er sich auf die byzantinischen Taktiker, die Peiresc auf Veranlassung seines Freundes in Italien kopieren ließ. Peiresc ließ für Saumaise aus den Beständen der Bibliothek in Florenz und der Biblioteca Ambrosiana in Mailand, wie einem Brief an Gronovius zu entnehmen ist, Handschriften kopieren, worin der Urbicius jedoch nicht vollständig vorhanden war.181 Während seines Aufenthalts in Florenz gegen Ende 1642 hatte auch Vossius’ Werke militärischer Strategie von Urbicius und Arrianus für Saumaise kopiert.182 Saumaise hatte zudem, nicht zuletzt weil er an der Katalogerstellung beteiligt war, Kenntnisse von den in der Königlichen

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compense, ayant e´te´ gratifie´ par le Roi d’une pension. M. de la Mare dit [Vie manuscrite de Saumaise] que Saumaise le re´digea en 1623. Le P. Jacob, Carme, en a parle´ dans son Traite´ des plus belles Bibliothe`ques, pag. 473.« Epistolae, Lugd. Batav., Elzevier, 1627, Nr. 420, S. 776f.: »Quod si illae, quae ab auctoribus positae erant, exstarent, nihil esset, quod peritum morari lectorem posset. Peritum intelligo, qui in mechanicis, & in Geometricis non sit tyro Nam quantumvis Graece doctus, nisi aliquem harum artium usum habeat, omnem operam ludet. Haec tentare, mi doctissime amice, periculosa alea est. Iamdudum enim Athenaeus, Biton, & alii Latine & Graece loquentes prodiissent, absque illis obicibus foret, quas tetigi.«; Nr. 421, S. 777: »Scripsi ad te, quid mihi videretur de auctoribus τακτικω ν; opus esse, quod non nisi doctissimi intelligunt, id est, pauci, praesertim Athenaeum, quem ne doctissimus quidem, & ab omnibus artibus paratissimus, digne tractare possit.«; Nr. 423, S. 780f.: τακτικω ν scio neminem satis pro dignitate eam editionem praestare posse. In magnis tamen voluisse sat est. In tua potestate situm est, facere; tui arbitrii, experiri an labor ille feliciter succedat. Ego omnia, quae tu vis, volo. Gratias tibi de tuis in Tacitum ago.« Brief Saumaises an Gronovius (undatiert). In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 213: »Intellexi ex ejus epistola Urbicium integrum in Bibliotheca Florentina extare, nec opus est, ut ab ipsos quaeras. Nunc mihi efficiendum video ut omni modo librum illum ex Bibliotheca magni Ducis nanciscar. Nam qui describitur ex Ambrosiana, non est integer.« Henk Th. van Veen, Andrew McCormick: Tuscany and the Low Countries. An Introduction to the Sources and an Inventory of Four Florentine libraries (Italia e i Paesi Bassi, 2), Florenz 1985, S. 29.

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Bibliothek aufbewahrten Taktikern (Paris, BN Ms. gr. 1385,183 1774,184 2435,185 2442,186 2443,187 2445,188 2524,189 2540,190 lat. 7241). Einige tragen die Korrektur von seiner Hand (Ms. gr. 2435191). Saumaise selbst kopierte die Handschriften (Paris, Ms. gr. 2528192) oder war deren Besitzer (Ms. gr. 2446,193 2529,194 2539195). Bereits Franz I. ließ besonders grie183

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Nice´ron: Memoires, Bd. 18, S. 141f.: Leonis Sapientis imp. De re militari constitutiones xx. XIII s. Parch. 267 (Fontebl.-Reg. 3033.) [...] »Casaubon est l’Auteur de la traduction de Polybe, & d’Aeneas Tacticus; il avoit dessein d’ajouˆter a` tout cela un Commentaire; mais sa mort l’a empeˆche´ de l’executer, & on n’a de lui qu’une petite partie de cet Ouvrage, qui fut imprime´ apre`s sa mort, comme je le dirai plus bas. « Chronologia brevis ad Adamo usque ad Michaelem et Theophilum impp. (D v); – Septem sapientum apophthegemata, auctore Demetrio Phalereo (J); – Cebetis Thebani tabula (1); – Aeliani variarum historiarum libri XIV. (19); – Polyaenie stratagematum libri VIII. (189); – Xenophontis respublica Lacedaemoniorum (331); – Bessarionis cardinalis epistola ad Michaelem Apostolium (341); – Andronici Callisti monodia in CP. (345); – Sententiae variae, ex Euripide, etc. (354v) (XVIe sie`cle, copie´ en partie par J. Lascaris, Fontainebl.-Reg. 3064. Athenai de machinis (1); – Bitonis de constructione bellicarum machinarum et catapultarum (7v); – Heronis liber de constructione chirobalistae (14); – ejusdem belopoiı¨corum libri IV. et V. (47); – Asclepiodoti philosophi tactica (75); – Aeliani, vel Aeneae, liber de obsidione toleranda (86); – Anonymi opusculum de eodem. XVIe s. Pap. 121 fol. Peint. (Hurault.-Reg. 2175). Aeliani tactica (1); – Onosandri strategicus (24); – Mauricii strategici libr. I.–II. et III. initium (43); –Athenaei de machinis (56); – Bitonis de constructione bellicarum machinarum et catapultarum (62); – Heronis liber de constructione chirobalistae (68); – ejusdem belopoiı¨ca, fine mutila (71); – Ex Apollodoro poliorcetica (79); – E Philonis belopoiı¨cis libri IV. et V., fine mutili (92). XI.e s. (Medic.-Reg. 2174). Aeliani tactica (1); – Onosandri strategicus (30); – Aeneae, vel Aeliani, liber de obsidione toleranda (56). Copie´ par Ange Verge`ce. (Fontebl.-Reg. 2731). Onosandri strategicus (1); – Aeliani tactica (21); – Mauricii strategici libri XI. (34v); - Urbicii castrum mobile (113); – Athenaei de machinis (114); Bitonis de constructione bellicarum machinraum et catapultarum (122v); Heronis liber de constructione chirobalistae (127 v°); – Heronis Ctesibii belopoiı¨ca (130); – Ex Apollodoro poliorcetica (142); – E Philonis belopoiicis libri VI. et V. (164v); – Julii Africani cesti (200v); Anonymi opusculum de obsidione toleranda ...(222v); – Leonis imp. Tacticorum fragmenta (241); – [Nicephori] liber de re militari (303); – ejusdem capita varia de eodem (320). XVIe s. (Medic.-Reg. 2173) M. Aeliani tactica (1); – Leonis Sapientis imp. Tacticorum excerpta (38); – Bregorii Cyprii, CP. Patriarchae, proverbia, alphabet (44). Copie´ en 1457 (en partie) par Jean Rhosos. (Medic.-Reg. 3219). Aeliani tactica (1); – Leonis imp. Tactica (53v); ... XVIe s. (Fontebl.-Reg. 3501). Athenai de machinis (1); – Betonis de constructione bellicarum machinarum et catapultarum (7v); – Heronis liber de constructione chirobalistae (14); – ejusdem belopoiı¨corum libri IV. et V. (47); – Asclepiodoti philosophi tactica (75); – Aeliani, vel Aeneae, liber de obsidione toleranda (86); – Anonymi opusculum de eodem. XVIe s. Pap. 121 fol. Peint. (Hurault.-Reg. 2175). Asclepiodoti philosophi tactica. Copie´ par Cl. Saumaise. Pap. 18. fol. (Delamare.Reg. 3219, 5) P. Leonis Sapientis imp. Tactica (6); – Leges militares, ex Rufi tacticis (59v!); – Cantus militaries …; Rhetorica militaris …; Julii Africani cesti, initio mutili; – Epicteti enchiridion …; Leonis imp. Problemata miliatria; – Arriani tactica; – ejusdem …;

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chische Manuskripte für die Königliche Bibliothek sammeln196 und schuf damit den Grundstock für die philologische Besonderheit der französischen Gelehrtenkultur des Späthumanismus, die sich durch ihre speziellen Kenntnisse des Griechischen vom italienischen Humanismus abhob. Zu den reichen Quellenbeständen der italienischen Bibliotheken hatte insbesondere Peiresc Zugang. Dafür waren nicht nur Verbindungen innerhalb der respublica literaria notwendig, sondern auch Beziehungen zur politischen Welt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahm Peiresc die Schnittstellenfunktion zwischen den italienischen und Pariser Akademien ein. Seine eigene Inspiration rührte von seinem Studium in Padua, seinen Kontakten mit Pinelli, den Bibliotheken von Florenz und dem Physiker Della Porta in Neapel197 her. Auch Louis de Machault zog die Quellen für einen pragmatischen Kommentar aus einer Handschrift des Aelian, von dem bislang nur eine Übersetzung ins Französische (1536) vorlag,198 aus der Bibliothek des französischen Königs. Somit drängt sich der Verweis auf den Zusammenhang zwischen Bibliothek, bibliographischer Forschung mit dem Ziel einer Rekonstruktion taktischer Theorien und der Regierungskunst auf. Es handelt sich dabei um eine Militärdoktrin, die man in den Kabinetten lerne, meinte Scipione Ammirato: »une doctrine militaire qu’on apprend au cabinet«.199 Die in den Kabinetten gruppierten Gelehrten fungierten als politische und militärische Berater und stützten sich für die Grundlegung ihrer Lehren auf den bedeutsamen Apparat in Form privater und öffent-

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Onosandri strategicus; Aeliani tactica; Urbicii tacticum. XVIIe s. (Delamare.-Reg. 2173, 2) M. Urbicii tactica et strategica, libris XII. XVIIe s. (Delamare.-Reg. 3219, 4) P. Arriani tactica, e cod. Florentino; – Lesbonactis opusculum de figuris. XVIIe s. (Delamare.-Reg. 3501, 3) P. Robert Muchembled: Cultures et socie´te´ en France du de´but du XVIe sie`cle au milieu du XVIIe sie`cle, Paris 1995, S. 66: »L’appui du roi aux lettre´s est alors important. Malgre´ son e´ducation rudimentaire et son ignorance du latin, Franc¸ois Ier aide activement les savants. Il fait acque´rir des manuscrits grecs et encourage les traductions d’historiens grecs pour ›l’endoctrinement de sa noblesse‹.« Vgl. u. a. Miller: Peiresc’s Europe, S. 6. Von Aelian lag bisher nur eine Übersetzung in die französische Vernakularsprache vor. Bemerkungen zu Aelian und dem französischen vernakularen militärtheoretischen Traditionsstrang: Französische Übersetzungen: 1536, 1611, 1615, 1757. Scipione Ammirato: Discours politiques et militaires Sur Corneille Tacit. Hg. u. übers. v. Laurens Melliet, Lyon 1618, S. 528f.: »Quand donc le Roy auroit tant de soldats qu’il en pourroit enuoyer dehors, & en acco(m)moder vn Prince son amy, les faisant (sous sa protection, sous son ordre, & sous es Capitaines) payer de´s l’heure de leur de´part iusques a` celle de eur (sic) retour, il me semble que par vne grande suffisance, sans endommager ny incommoder le Roy, ains auec son grand honneur, & aduantage, ils pourroient mettre en vsage & practique la doctrine militaire qu’on apprend au cabinet.«

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licher Sammlungen sowie auf Netzwerke, die ihnen Zugang zu den reichen Quellenbeständen italienischer Archive und Bibliotheken verschafften. Es war nicht nur das Ziel der kommentierten politischen Bibliographien Naude´s, sondern auch der militärbibliographischen und literärhistorischen Sammlung Naude´s und derjenigen Saumaises ideologischkonzeptuell durch ein politisches und militärwissenschaftlich-didaktisches Programm zur Konsolidierung der französischen Monarchie beizutragen. Naude´ schrieb ein auf den studio liberali aufbauendes Programm neuer Lernmethoden.200 Die bibliographische Erfassung militärischer Literatur diente der Fundierung militärtheoretischen Wissens und folglich der Ausbildung kognitiver Kompetenzen der Eliten der frühmodernen französischen Monarchie. Es scheint ein direkter Zusammenhang zwischen bibliographischer Forschung, Handschriftenforschung und gouvernementaler Interessenlage, die infolge humanistischer Netzwerke über die Grenzen des Territorialstaates hinausgriff, gegeben zu sein.201 Die Sammlung der Brüder Dupuy, in deren Kabinett die Fäden einer militärwissenschaftlichen Kabinettsdoktrin zusammenliefen, umfasst nicht nur einzelne Stücke für den relevanten militärtheoretischen kritischen Forschungs- und Interpretationszusammenhang,202 sondern auch 200

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Naude´ ist auch der Autor eines Traktats über das Studium der artes liberales: De studio liberali, der in seinen Dissertationes de studiis instituendis (Amsterdam, 1645) veröffentlicht wurde. Er sucht darin die beste Studienmethode zu definieren: überlegen um zu verstehen, sein Gedächtnis schulen, um sich etwas zu merken, seine Kenntnisse in zehn Hauptbereichen des Studiums. La Bibliographie politique du Sr Naude´, contenant les livres et la me´thode ne´cessaires a` estudier la politique avec une lettre de M. Grotius et une autre du Sr Haniel sur le mesme sujet, le tout traduit du latin en franc¸ois [par Charles Challine. – Paris, Vve de G. Pele´, 1642, In–8° BN [Q. 3470]. Vgl. Moore: The manuscript tradition of Polybius, S. 76: Parisinus, BN, Gr. 1651 (olim Reg. 2545): ›Excerpta antiqua‹ aus den Büchern VII–XVIII. ›Ex Bibliotheca Putiana‹, die Handschrift gehörte einst den Brüdern Dupuy; ebd., S. 20f.: Parisinus, BN, Gr. 1796 (olim Reg. 3466). »Dated to the middle of the sixteenth century from the fact that both volumes are in the hand of Angelus Vergetius, whose dated manuscripts cover the period 1535–69. C 3 consists of two identical volumes, containing Books I–II (Parisinus, B.N., Gr. 1796) and III–IV (Ox., Bodl. Laud. Gr. 4). On the first fly-leaf recto of the first volume is the note ›Isaacus Casaubonus, dono Verderii Lugdunensis‹, and below this ›Isaac Casaubonus Putanis Fratribus D. D. 1609‹. The identity of Verderius is uncertain; Casaubon (1559–1614) received the volume from him, and gave it to the brothers Dupuy, who were both collectors of manuscripts and in charge of the French Royal Library from 1645 until their deaths […]. Casaubon used the first volume of C 3 for his edition of 1609, but not the second.«; ebd., S. 95f.: »H 12. Parisinus, BN, Gr. 1652 (›Excerpta antiqua‹ from books VI–XVIII) […] H 12 omits X, 27, 1–13. There are marginal notes in the hand of Janus Lascaris (1445–1535), but this does not necessarily indicate that H 12 belonged to him; it did belong to the brothers Dupuy: [Vgl.] C 3.«

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einige Handschriften zum politisch-konfessionellen und machtpolitischen Standpunkt, die für die ideologische Untermauerung der Interessen der französischen Monarchie bedeutsam waren. Das Kabinett der Bürder Dupuy legitimierte die Machtansprüche der französischen Krone durch Quellen. Neben Saumaise und Naude´ stand auch Philippe Fortin de La Hoguette (um 1585– nach 1652), der in England mit Francis Bacon zusammengetroffen war,203 in Verbindung mit Pierre Dupuy und Peiresc. Er korrespondierte mit den Gelehrten seiner Zeit darunter auch Montre´sor und Daniel Huet. Fortin de La Hoguette unterschied in Les Elements de la politique zwischen drei Lebensformen, denen er drei Künste (arts) zuordnete. Der empfindsamen (sensitiv) die mechanischen Künste (arts me´caniques), der vernünftigen die freien Künste (arts libe´raux) und der intellektuellen die Wissenschaften (les sciences).204 Fortin de La Hoguette ging ursprünglich von einer Identität militärischer und ziviler staatlicher Funktionsträger bei den alten Griechen aus. Der Niedergang des Rechtswesens provozierte jedoch auch den Niedergang des dritten Standes: Ainsi il ne se faut point estonner si la fonction de la Iustice, apres son diuorce d’auec celle des armes, a este´ reduite auec le tiers Estat, comme ayant de´roge´ a` la noblesse de son premier employ.205

Die an der militärtheoretischen Kritik beteiligten respektive in diesem Zusammenhang stehenden Personen, wie Rigault, Casaubon, Saumaise und de Thou, Dupuy, Naude´ waren auch am Ausbau und der Systematisierung der humanistischen Bibliotheken – der Bibliothe`que du Roi (Rigault, Saumaise) und der Bibliothe`que Mazarine (Naude´) – beteiligt. Die Brüder Dupuy hatten eine umfangreiche Sammlung von juristischen, literarischen und historischen Stücken angelegt. Die Sammlung beinhaltet unter anderem einige Portefeuilles Peirescs, die Korrespondenz der Dupuys und Memoiren, die von Pierre Dupuy für die Veröffentlichung oder für die Missionen mit denen er beauftragt wurde, verfasst oder zusammengetragen wurden. Die Collection Dupuy enthält nicht nur Korrespondenzen und ideologische Texte zum Gallikanismus 203

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Philippe Tamizey de Larroque: Lettres de Philippe Fortin de la Hoguette, Socie´te´ des Archives historiques de la Saintonge et de l’Aunis, Bd. 16, Paris-Saintes 1888, S. 13: »Trois ans apre`s avoir si e´nergiquement proteste´ contre le favoritisme, La Hoguette fit un voyage en Angleterre. Ce fut en cette occasion qu’il vit de pre`s l’illustre chancelier Bacon, lequel ne devait pas tarder a` quitter ce monde (9 avril 1626). Ce fut alors aussi qu’il dut se procurer certains manuscrits de l’e´minent philosophe, manuscrits dont, un peu plus tard, Peiresc s’informait avec cette ardente curiosite´ qui s’appliquait a` tant d’objets divers. D’angleterre le voyageur se rendit en Hollande.« Philippe Fortin, seigneur de la Hoguette: Les Elemens de la politique selon les principes de la nature, Paris, Antoine Vitre´, 1663, S. 183f. Ebd., S. 223.

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und zur Begründung der Interessen des französischen Königs (Coll. Dupuy, 404–406), sondern auch eine Reihe von Texten, die die Orientierung des militärischen Humanismus (humanistische Kritik antiker Militärhistoriker) illustrieren. Darunter den Brief Scaligers an de Thou über die römische militia, einige Stücke über Titus Livius, Tacitus, Frontinus und Caesar und moderne Autoren wie Scanderberg und Machiavelli. Ausgenommen bleibt allerdings Vegetius. In einem Recueil von Briefen, die von Joseph Justus Scaliger, Pierre Pithou und anderen an J.-A. de Thou adressiert sind und auch Noten von Pierre Pithou enthalten, findet sich der Auszug einer Zeichnung, die von dem Kardinal Jean du Bellay 1535 für die Befestigung von Paris erstellt wurde.206 Dies als Nebenbemerkung, dass sich in der Collection Dupuy nicht nur Kommentare antiker Taktiker befinden, sondern auch ein vereinzelter Text zur militärischen Festungsbaumethode der Renaissance.207 Eine besondere Bedeutung hat der Brief Scaligers an de Thou, der einen ›pragmatischen‹ PolybiosKommentar darstellt.208 Daneben treten Texte zur Diplomatie, Friedensund Kriegspraxis im konfessionellen Zeitalter und im Dreißigjährigen Krieg.209 Einige Stücke zeugen von der Lipsius-Rezeption im Hinblick 206

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Dupuy 383, ›Recueil de lettres franc¸aises adresse´es au pre´sident J.-A, de Thou, par Joseph-Juste Scaliger, Pierre Pithou, etc., et de notes de P. Pithou (1582–1613)‹. Dupuy 383, Recueil de lettres franc¸aises adresse´es au pre´sident J.-A, de Thou, par Joseph-Juste Scaliger, Pierre Pithou, etc., et de notes de P. Pithou (1582–1613) cyfin darin enthalten: fol. 145: ›Extraict d’ung desseing faict pour la fortification de Paris par Mr le cardinal [Jean] Du Bellay, l’an 1535‹ copie de P. Pithou. Dupuy 394ter–395: Recueil des lettres et d’opuscules latins de Joseph Scaliger – Autographes. Dupuy, In 394ter, fol. 199 die bereits exzerpierten Bemerkungen über die römische Armee, die auch in den Epistolae abgedruckt sind: Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais. Dupuy 588, fol. 178: ›Exemples par histoires et traictez, que les Espagnols faisans des traictez de paix n’ont pas voulu que l’on ait parle´ dans les traictez des places qu’ils s’estoyent re´serve´ par les traictez pre´ce´dens, bien qu’elles eussent este´ usurpe´es‹. Dupuy 404–406: [Recueil de me´moires de Pierre Dupuy relatifs aux liberte´s de l’Eglise gallicane et aux droits du Roi sur la Navarre, les Deux-Siciles, l’Aragon, Geˆnes, etc.] La plupart de ces me´moires ont e´te´ publie´s dans le Traite´ des droits et liberte´s de l’Eglise gallicane (Paris, 1639, 3 vol. in-fol.), et dans le Traite´ touchant les droit su Roi (Paris, 1655, in-folio). Dupuy 404, fol. 19: Me´moires originaux de P. Dupuy, dont beaucoup ont e´te´ compose´s sur l’ordre du cardinal de Richelieu, et pie`ces concernant les liberte´s de l’Eglise gallicane: ›Pour le faict de l’e´lection du ge´ne´ral de l’ordre S. Antoine de Viennois‹, 1637. / Fol. 220: ›Le droit du roi au roiaume de Navarre, contre les pretensions des Espagnols‹, par P. Dupuy, 1629. / Fol. 241: ›Traicte´ contre les pretentions des rois d’Angleterre sur le royaume de France, et sur aucunes provinces dudict roiaume‹, par le meˆme, 1631. / Fol. 267: ›Droit du roi de France sur le roiaume d’Angleterre‹, par le meˆme, 1631. Dupuy 405, fol. 273 et 277:» Me´moires originaux de P. Dupuy sur les droits du Roi: Comte´ en Flandre‹, 1631; / fol. 303 et 305: Comte´ d’Arthois / fol. 315: Lille, Douai et Orchies, 1631. / fol. 352: ›du droict du Roi au roiaume de Bourgogne, contre les

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auf die richtige Methode des Lesens der Geschichte (1637) und die Leges regiae et leges X. virales (Plantin 1576).210 Auch ein Exemplar de l’inte´reˆt des princes et Estats de la Chrestienete´ des Duc de Rohan, das von Antoine de Lome´nie stammt und auf 1634 datiert, liegt in der Collection Dupuy sowie einige Manifeste und Verträge Rohans von 1637 das Veltlin betreffend.211 Auch im fonds franc¸ais finden sich viele Kommentare zu antiken Autoren und Militärschriftstellern. Besonders zahlreich sind die Auszüge aus den Historien des Polybios.212

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pretentions des empereurs d’Alemagne, et comme il posse`de a` juste titre le Lionois, le Dauphine´, la Provence, la Bresse, le comte´ d’Auxonne et autres seigneuries qui estoient antien[n]ement dudict roiaume‹, 1632. Dupuy 406, fol. 536: ›Traitte´ sur le faict de l’Electeur de tre`ves, et comme il est au pouvoir des princes allemans de faire des traictez avec les princes estrangers sans offenser l’Empereur‹, fe´v. 1637. Die Lipsius-Rezeption in der Collection Dupuy: Dupuy 449 [Recueil de textes grammaticaux, litte´raires et historiques, ne grec et en latin, copie´s ou annote´s par Claude et Pierre Dupuy, Pierre Pithou, Nicolas Rapin, Claude Saumaise, etc.], fol. 9: ›Leges regiae et leges X. virales, J. Lipsii opera studiose` collectae‹, avec de´dicace autogr. d’Andre´ Schott a` Jacques Bongars, Anvers, Plantin, 1576, in–4 impr.; Dupuy 488, fol. 104: ›Via ac methodus legendi cum fructu historiam, J. Lipsio auctore‹ XVIe et XVIIe sie`cles; 1637. Noch weitere interessante Stücke sind darin befindlich: so fol. 102: ›Ordo imperatorum Romanorum‹. Über Rohan: Dupuy 248, ›De l’inte´rest des princes et Estats de la Chrestiente´‹, par le Duc [Henri Ier] de Rohan. XVIIe sie`cle. – 56 feuillets – petit in–4°. – Provient d’Antoine de Lome´nie. – 1634. Antoine de Lome´nie (1559–1638) war von 1606 bis 1638 secre´taire d’Etat de la Maison du Roi. S. 490, ›Discours‹. S. 122, ›Sa nomination de ge´ne´ral des e´glises re´forme´es‹. Dupuy 538, ›Manifestes et traite´s‹ (Aktionen im Valteline betreffend): So fol. 280: ›Traite´ conclus entre la duc de Rohan et les Grisons‹, 26 mars 1637, en italien, copie de J. Dupuy u. a. auch fol. 298: ›Relation ve´ritable et particulie`re de ce qui s’est passe´ en la Valteline…‹, [1637] XVIe et XVIIe sie`cles, 1640. Ms. f. fr. 485, Extraits de ›Philostrate, Pausanias, Strabo, Aristote, Codinus; des orateurs grecs, de ›Polybe‹, de ›Xenophon‹, de ›Cujas‹; par M. de Mesmes. Papier. XVIIe sie´cle. – (Anc. 7050 hoch 14, de Mesmes 460). Ms. f. fr. 703, fol. 101: De ›Polybe‹ [par M. de Mesmes,] avec notes marginales, commencant par: ›Il ne faut jamais faire la guerre a` des ennemis qui sont pauvres et barbares…‹ et finissant par: ›…quoique vous le voulies, si je ne me vange pas‹. Papier. XVIIe sie`cle. (Anc. 7140 hoch 2, de Mesmes 510); f. fr. 706, Extraits de ›Polybe‹, traduction commenc¸ant par: ›S’il fust arrive´ que par ceux qui ont avant nous ecrit des actions, eust este´ omise la loüange de l’histoire…‹ et finissant par: ›…ce seroient plus tost les paroles de ses soldats que celles d’Alexandre‹. Papier. XVIIe sie`cle. – (Anc. 7140 hoch 3, de Mesmes 516). Ms. f. fr. 1014, ›Extraict des concions des historiens graecs et latins, recueillies par Henry Estienne‹, savoir: ›Concions de Thucidide, de Xenophon (fol. 52), de Polybe (fol. 74), de Herodian (fol. 78), de Saluste (fol. 81), de Tite Live (fol. 101), de Tacite (fol. 143), de Quinte Curse‹ (fol. 151). Papier. XVIIe sie`cle (Anc. 7320 hoch 5 et 6, de Mesmes 489 et 490). / n.a. 1030, XVIIIe, XIXe. s. / n.a. 5968, Ms. f. fr. 24259, [24258– 24260: Traite´s relatifs a` l’art militaire] – Recueil de notes sur l’art militaire, sur l’histoire militaire de la France, sur ›M. Amelot de La Houssaye‹ (fol. 35), ›sur Polybe‹ (fol. 69), etc. XVIIIe sie`cle; f. fr. 18817, Prospectus de la traduction de V. Thuillier (1721); n.a. 2802, Remarques. (XVIII.e s.): Bemerkungen über PolybiosKommentar von Folard.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Hinsichtlich der praktischen gruppengeschichtlichen Zusammenhänge der Erforschung und des Interpretierens antiker Militärliteratur, ist festzuhalten, dass insbesondere in den 1630er Jahren einige Fäden der Kommunikation und Vermittlung im Kabinett der Brüder Dupuy zusammenliefen. Die französische Kabinettskultur schien jedoch erst in den dreißigein diesen Jahren für die Arbeiten Saumaises und Naude´s – und anderer, wie Marin Mersenne (1588–1648), der heute als der ›Sekretär des gelehrten Europa‹213 bezeichnet wird und der sich mit der Ballistik befasste214 – eine bedeutende Rolle als Katalysator zu spielen. Saumaise widmete De Acia & Fibulis Antiquorum Jacques Dupuy. Marin Mersenne erörterte mit dem Jesuiten Denis Petau und dem Calvinisten Claude de Saumaise Probleme der Chronologie, mit Peiresc Fragen der Musik, mit Rene´ Descartes solche der Mathematik und mit dem flämischen Arzt und Chemiker Jan Baptista van Helmont der Chemie.215 Der Vater der Brüder Dupuy verfasste eine erst Mitte des 17. Jahrhunderts veröffentlichte Schrift216 zur Usurpation oder ›präskriptiven Aneignung‹ (prescriptive acquisition), in der der Verfasser die These vertritt, dass die Präskription nicht unter souveränen Herrschern vollzogen wird.217 Dieses Konzept hat beträchtlich die Begründung der Forderungen der französischen Krone und der Unveräußerlichkeit der königlichen Domäne gestützt.218 Im Kabinett Dupuy wurden jedoch nicht nur die Rechtfertigungen für das machtpolitische Vorgehen der französischen Monarchie ausgearbeitet, sondern die Brüder Dupuy partizipierten auch an der Erforschung der taktischen Theorien bzw. waren stets darüber informiert. Darüber hinaus zeugt die Collection Dupuy noch heute von der militärtheoretischen Sammlungsaktivität der Kabi213

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Pierre Costabel: Art ›Mersenne‹. In: Franc¸oise Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand Sie`cle, Paris 1990, S. 1019. F. Marini Mersenni minimi cogitata physico mathematica. In quibustam naturae qua`m artis effectus admirandi certissimis demonstrationibus explicantur, Parisiis, Antonii Bertier, M.DC.XLIV, Kap. VI. De Ballisticis, feu Acontismologicis Phaenomenis. Burke: Kultureller Austausch, S. 95. Pierre Dupuy: Traittez concernant l’histoire de France, sc¸avoir la condamnation des Templiers avec quelques actes, l’histoire du schisme, les papes tenant sie`ge en Avignon et quelques proce criminels …, Paris, chez la veuve Mathurin du Puis, Edme martin, 1654. oder: – Traite´ de la majorite´ de nos rois et des re´gences du royaume, avec les preuves tire´es tant du Tre´sor des Chartes du Roy que des registres du Parlement …ensemble un Traite´ des pre´e´minces (sic) du Parlement de Paris, …Paris, Vve M. Du Puis, 1655. BN 4-LE5–2. Ernest Nys: Le droit international. Les principes, the´ories, les faits, Bd. 2, Brüssel 1912, S. 39. Fritz Dickmann, art. Cit., in Friedensrecht und Friedenssicherung, 1971, 36–78, zitiert in: Wollenberg: Richelieu, S. 95.

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nette. Das Kabinett Dupuy war kein ideologisch fest umrissener Kreis,219 obgleich es gewisse programmatische Schwerpunkte gab: es versammelte gallikanische Juristen und Geistliche, Anglikaner, holländische arminianisch geprägte Calvinisten, die allesamt ein bestimmtes Forschungsziel verfolgten.220 Es ist gerade auch im Hinblick auf die militärtheoretische Forschungsleistung, an der die Mitglieder Gabriel Naude´, Nicolas Rigault und Saumaise beteiligt waren, auf die Bedeutung der Kabinette für die pragmatische politische Doktrin hinzuweisen. Die Kabinette in Frankreich besaßen durchaus politisches Gewicht. Sie waren Verwahrungsorte für Dokumente, die einen Schlüssel zur Macht lieferten. Das Kopieren dieser Schriftstücke kam einer politischen Aktivität gleich.221 Ein Text aus der Collection Cange´,222 der eine Lagerordnung von 1602 aufgreift, verdeutlicht, dass die Übernahme der empirisch begründeten Methode der Lagerordnung gleichwohl quellenkritische Implikationen

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Leroy, S. 223: »une sympathie mutuelle, par des gouˆts communs, certes, mais on pourrait y voir aussi une illustration de cette convergence intellectuelle qui rassemble autour du cabinet Dupuy des courants de pense´e si divers et souvent en apparence si contradictoires. Dans ces tentatives de re´union des Eglises, comme sur les projets d’avenir de Saumaise, l’ombre du cardinal Richelieu, qui vit alors ses dernie`res semaines de pouvoir, pe`se lourdement. Fr.-A. de Thou avait e´te´ le premier en juillet 1640 a` offrir ses services a` Saumaise dans la pre´paration d’une entrevue entre l’homme de lettres et l’homme d’e´tat.« Marc Fumaroli: Pre´face. In: Bruno Neven (Hg.), E´rudition et religion aux XVIIe et XVIIIe sie`cles. Paris 1994, S. V: »La science des Re´forme´s franc¸ais (Joseph-Juste Scaliger, Isaac Casaubon, Claude Saumaise), celle des juristes et clercs gallicans (de Thou, Pithou, Rigault, les fre`res Dupuy, Peiresc), celle des anglicans, celle du calvinisme ›arminien‹ hollandais travaillent a` la fois a` restaurer la ve´rite´ de l’Antiquite´ paienne et chre´tienne, et a` la prendre pour pierre de touche d’une ›pie´te´ lettre´e‹ plus pure et de´livre´e des ›scories‹ accumule´es par les ›aˆges obscurs‹.« Miller: Peiresc’s Europe, S. 78: »Study of Sir Robert Cotton, for example, Peiresc’s friend and another antiquary who published nothing in his lifetime, has stressed the relationship between his learning and library on the one hand, and his political action on the other. Collections like his, or Pierre and Jacques Dupuy’s in Paris, were centres of political activity because they were repositories of documents that held keys to power and whose copying out constituted a political activity. Contemporaries understood this power: the arrest of ›Veteranno the Antiquary‹ and the seizure of his collection in Mermion’s eponymous parody (1641) is believed to be a veiled reference to the arrest of Cotton and the closure of his library ten years earlier. What might be thought of as purely past-oriented (antiquarian in the modern sense) learning actually served very present needs. Lipsius’ editions of Roman military treatises, for example, fuelled the military reforms of Prince Maurice of Nassau. One of Peiresc’s correspondents, the jeweller Vermeil from Montpellier, brought them with him to Ethiopia where he trained the army in this modern Dutch, ancient Roman strategy.« Cange´, Re´s F. 178 (= 20), fol. 97, Quartier fait par son Exce. Mgr le Prince d’Orange et l’Ammiral d’Aragon, A la Haye le 14. May 1602.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

hatte.223 Dieses Stück verdeutlicht darüber hinaus nicht nur die Rolle der Kabinette für den genuin miliärisch-konzeptuellen Kulturtransfer, sondern auch deren Relevanz für den Transfer militärischer Methoden. Nicht das bereits in veröffentlichter Form vorliegende Modell, das das Ergebnis kritischer Prozesse und Theoretisierungsleistungen ist, sondern der Text basiert auf der unmittelbaren Beobachtung. Bezeichnenderweise zeichnet das Stück nicht das theoretische Modell der Lagerordnung und dessen graphische Darstellung in den Wisconstigen Gedaechtnissen von Simon Stevin, sondern eine prosaische Auflistung der sozialen und der Versorgungsstruktur, der Konfliktregelung im Lager und der Bezahlung des Personals. In den Kabinetten der Gelehrten wurden offensichtlich nicht nur Stücke zur taktischen Theorie und den militärtheoretischen Grundlagendiskurs verwahrt, sondern ganz realistische militärisch-organisatorische und die technischen Fragen der Kriegführung betreffende Dokumente. Die Bedeutung der Kabinette für die Formierung der Militärtheorie des frühen 17. Jahrhunderts zeigt sich auch am Beispiel Antoine de Villes: Die Erstellung von fortifikatorischen Traktaten schrieb sich in die Forschungstendenz der europäischen Gruppen von Gelehrten ein, die durch ihre Korrespondenz und die Kabinette die Grundlagen der experimentellen Wissenschaften legten.224 Dem Übersetzer von Scipione Ammirato zufolge wurde in den Kabinetten eine militärische Doktrin ausgearbeitet, die für taktische Reformen in der Armee herangezogen wurde. Demnach waren die Kabinette nicht nur für die militärtheoretische Wissensorganisation bedeutsam, sondern auch für die Militärpolitik der Regierung. Insbesondere während der Regierungszeit von Richelieu erarbeitete das Kabinett Dupuy die politische Ideologie, die sich jedoch nicht ausschließlich als offizielles Organ der Regierung verstand, mit großer sozialer Strahlkraft auch auf die militärischen Eliten. Das Kabinett war ein Ort geheimer Diplomatie und humanistischer Gelehrsamkeit. Neben der Tatsache, dass ihre Arbeiten über die Rechtsgeschichte geradezu vollständig dem Interessenschwerpunkt des Königs und Richelieu entsprachen, versuchten die Brüder Dupuy nach dem politischen Kräftespiel der Gegenwart, eine persönliche Meinung zu bilden, die sich auf eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Dokumenten stützte und die bald von der ganzen nobilitas literaria geteilt wurde. Sie bildeten systematisch Privatarchive neben den offiziellen Staatsarchiven

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Ebd., fol. 97: »J’ay fait la presente Copie sur un Ms. du Cabinet de M. D’Argenson – Il m’a paru qu’il y auoit bien des fautes, je n’en ay corrige´ aucune.« Jean-Franc¸ois Pernot: Un aspect peu connu de l’oeuvre d’Antoine de Ville, inge´nieur du roi (1596?–1656?): approches d’un type de documents: les gravures des traite´s de fortifications, Revue historique des Arme´es, 5, 1 (1978), S. 34.

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aus, und damit eigene Referenzsysteme, zu denen lediglich ein Zirkel ausgewählter Sympathisanten Zugang hatte.225 Daneben legten viele Adelige Handschriftensammlungen an.226 Dass die Kabinette mit de Mesmes,227 in dessen Fonds sich ebenfalls ein Polybios-Kommentar befindet, und Naude´ mit Grotius und Haniel verbunden waren,228 lässt die Konturen der französisch-niederländischen späthumanistischen Gelehrtenkultur hervortreten. Die Polybios-Kritik der französischen Philologen ist diesem Kreise um Jacques-Auguste De Thou zuzuordnen – Scaliger richtete seinen Brief an de Thou; dieser Kreis war auch für die Politisierung des Späthumanismus229 maßgeblich. Eine herausragende Rolle für die Quellenforschungen Naude´s und Saumaises spielte der in Aix-en-Provence ansässige Antiquar NicolasClaude Fabri de Peiresc (1580–1637), Conseiller au parlement d’Aix, der gute Verbindungen nach Italien unterhielt und der vielleicht noch prononcierter und aktiver eine militärtheoretische Forschungstendenz erkennen lässt. Kabinette aber auch einzelne Personen wie Peiresc oder De Thou waren nicht nur Beförderer der wissenschaftlichen Revolution oder der politischen Legitimitationstheorien, diplomatische ›Werkstätten‹, sondern auch Vermittlungszentralen bzw. Knotenpunkte der für die Restitution der antiken taktischen Theorie relevanten Forschungen. Mit seinem Bemühen die unterschiedlichen intellektuellen und konfessionellen Strömungen zu integrieren, folgte Peiresc Erasmus und

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Klaus Garber: A propos de la politisation de l’humanisme tardif europe´en. Jacques de Thou et le ‹Cabinet Dupuy› a` Paris. In: Christiane Lauvergnat-Gagnie`re, Bernard Yon (Hg.), Le Juste et l’injuste a` la Renaissance et a` l’aˆge classique. Actes; colloque international 1983, Saint-E´tienne 1986, S. 175: »Au-dela` du fait que leurs travaux d’histoire du droit correspondaient pleinement aux centres d’inte´reˆt du Roi ou de Richelieu, les fre`res Dupuy tente`rent de se forger sur le jeu des forces politiques en pre´sence, et inde´pendamment de la couronne, une opinion personnelle, e´taye´e par une multitude de documents tre`s diversifie´s, et bientoˆt partage´e par toute la nobilitas literaria. Ils proce´de`rent a` la constitution syste´matique d’archives prive´es, outre celles officielles de l’E´tat, ce qui leur fournit leurs propres points de repe`re auxquels put avoir acce`s un cercle de sympathisants choisis.« ´ tude d’Histoire sociale), Georges d’Avenel: La Noblesse franc¸aise sous Richelieu (E Paris 1901, S. 286: »Quelques seigneurs recueillent et font copier des pie`ces rares; ils forment ainsi des bibliothe`ques des manuscrits auxquelles ils semblent attacher grand prix.« Gabriel Naude´: Advis pour dresser une bibliothe`que pre´sente´ a` Mgr le pre´sident de Mesme, par G. Naude´, Paris, F. Targa, 1627. BN MFICHE Q–3536; – 1644; – 1876; – 1963: Nachwort: Horst Kunze: 16-Q–1096. Gabriel Naude´: La Bibliographie politique du Sr Naude´, contenant les livres et la me´thode ne´cessiares a` estudier la politique avec une lettre de M. Grotius et une autre du Sr Habiel sur le mesme sujet, le tout traduit du latin en franc¸ois [par Charles Challine], Paris, Vve de G. Pele´, 1642. Z-PAYEN–1139; MFICHE Q–3470. Vgl. Garber: A propos de la politisation de l’humanisme tardif europe´en.

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Justus Lipsius.230 Seine Auffassung vom Haupt der respublica literaria unterschied sich dennoch von der eines Erasmus oder Justus Lipsius, der sich vor allem als ein ›Autor‹ verstand, und das im buchstäblichen Sinn des Wortes. Auch Joseph Justus Scaliger, Saumaise oder Mersenne waren in diesem Sinne weniger ›princiers‹ als Peiresc. Dieser richtete sich nach dem Vorbild Gian Vincenzo Pinellis. Tatsächlich bildete er das forschungsorganisatorische Gravitationszentrum und den Angelpunkt der Gelehrtenrepublik des zweiten Viertels des 17. Jahrhunderts – Peirescs Geburtsjahr 1580 markiert den Tod von Montaigne, sein Todesjahr 1637 fällt mit dem Discours de la me´thode von Descartes zusammen . Zu seinen besten Freunden und geistigen Erben zählten Pierre und Jacques Dupuy.231 M. Fumaroli schreibt im Hinblick auf Peiresc, dass dieser eine Synthese zwischen dem Erbe von Guillaume Bude´, Bembo und Erasmus herzustellten vermochte.232 Tatsächlich hatte Erasmus selbst zwei Konkurrenten: Bembo in Italien und Guillaume Bude´ in Frankreich, der bereits danach strebte, für die französische respublica literaria einen universalen Anspruch einzufordern. Aber Erasmus geistiges Reich war vom Papst, dem Kaiser und dem englischen, deutschen, flämischen Adel anerkannt und nicht an einen Staat oder eine Nationalsprache gebunden.233 Peiresc hingegen gelang es wahrhaft europäisch zu sein, und nach seinem Tod 1637 schloss sich Europa zunehmend an eine wesentlich französisch geprägte respublica literaria an.234 Die militärwissenschaftlichen Arbeiten von Saumaise und Naude´ reflektierten dieses Zusammenfließen des italienischen und des auf Bude´ zurückgehenden intellektuellen Strangs, um dessen Synthese sich Peiresc bemühte und deren Forschungen er durch die Vermittlung von Quellen und Informationen stützte. Der Antiquar Peiresc war für die Vermittlung der Quellen von herausragender Bedeutung. Peiresc hatte nach dem Tod von Du Vair, dessen Sekretär er war, Paris verlassen und war in die Provence umgesiedelt, wo er eine der Stützen des Cabinet Dupuy bildete.235 Peiresc entstammte einer Touloner amtsadeligen Familie und wurde in Avignon von Jesuiten erzogen. Auf seinen Reisen nach Italien (1600–02), die Nie230 231 232 233 234 235

Fumaroli: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, s.p. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Je´roˆme Delatour: Le cabinet des fre`res Dupuy, http://www.Peiresc.org/ 2004/delatour.htm [Stand, 2010-07-02], s.p.: »Ses lettres aux fre`res Dupuy, lues dans leur cercle, l’y faisaient passer pour pre´sent. Plus qu’une correspondance prive´e, elles constituent un te´moignage direct de l’activite´ intellectuelle et politique d’une des assemble´es prive´es les plus importantes de l’Ancien Re´gime.«

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derlande und England (1606) und während seines Aufenthalts in Paris im Umkreis von Guillaume du Vair knüpfte er ein dichtes Netzwerk . Peiresc arbeitete neben Saumaise und Naude´ auch Louis de Machault und Henri de Valois zu. Er stand im Mittelpunkt eines Netzwerkes, das wesentlich am Quellentransfer für die militärtheoretische Grundlagenforschung beteiligt war. Diese Gelehrtenrepublik funktionierte nach klientelen Prinzipien.236 Sie durchbrach territorialstaatliche und nationale Schranken, verband den Humanismus mit der Wissenschaft, milderte wissenschaftliche Rivalitäten ab und brachte Kultur und Politik zusammen.237 Peiresc stand im Zentrum eines Netzwerkes, das die kulturellen, intellektuellen und politischen Kräfte seines Zeitalters bündelte.238 Es war für die Entwicklung der wissenschaftlichen Revolution, und dies gilt nicht zuletzt auch für die kritische Fortführung der Militärwissenschaft, eine wesentliche Voraussetzung mit außerwissenschaftlichen Patronage-Netzen verbunden zu sein und von diesen unterstützt zu werden, die auch auf die Forschungstendenzen einen Einfluss auszuüben vermochten.239 Seine Funktion als ›Makler‹ war nicht nur politisch.240 Er verband die Späthumanisten des 16. Jahrhunderts mit den libertins e´rudits des frühen 17. Jahrhunderts und brachte Menschen unterschiedlicher nationaler und konfessioneller Herkunft zusammen. Als Peiresc 1600 nach Italien reiste, um seine Studien zu vollenden, traf er mit Giovan Vincenzo Pinelli, einem italienischen Bibliophilen und Patron zusammen, der ihm die großen Humanisten des 16. Jahrhunderts, wie Justus Lipsius, Joseph Scaliger und Jacques de Thou, nahebrachte. Er traf dort auch auf Galileo Galilei, der einen Traktat über die Ballistik verfasste.241 Im Auftrag Pinellis reiste Peiresc durch ganz Italien, um 236

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Lisa T. Sarasohn: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc and the Patronage of the New Science in the Seventeenth Century, Isis, 84, 1 (1993), S. 71: »In both political and cultural terms, patronage was one of the basic structural components of early modern European society.« Ebd., S. 90. Ebd., S. 70. Vgl. ebd., S. 74: Während der Umfang und die Wirkung der Patronage auf die Entwicklung der neuen Wissenschaft und der wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst diskutierbar ist, ist es unbestritten, dass es wesentlich für die Hauptfiguren der wissenschaftlichen Revolution war, durch außerwissenschaftliche PatronageNetzwerke verbunden zu sein und gestützt zu werden. Ihre Arbeit ist nicht nur das Produkt einer individuellen Anstrengung oder das Ergebnis eines fruchtbaren Zusammenspiels zwischen kooperativen Forschern, sondern ein Amalgam dieser Faktoren und der Wünsche und Anfragen ihrer Patrone oder Vermittler. Diese Vermittler fungierten als intermediäre Instanzen zwischen großen Protektoren des Hofes und den Klienten, die diesen zu dienen wünschten und bildeten oft ihre eigenen Netzwerke mit Sub-Klienten aus. Vgl. zur Stellung und Rolle Peirescs Jane T. Tolbert: A Case Study of a Seventeenth-Century Gatekeeper. Vgl. Pierre Gassendi: Peiresc 1580–1637. Vie de l’illustre Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, conseiller au Parlement d’Aix. Übers. v. Roger Lasalle, Paris 1992.

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Bücher und Handschriften zu besorgen. Dabei gab er ihm Empfehlungsbriefe zu den prominenten Patronen der Littera in Rom und Florenz. Nach dem Tode von Du Vair pflegte Peiresc weiterhin intensive Verbindungen zum französischen Hof über Alphonse-Louis du Plessis de Richelieu, den Bruder des Kardinal-Ministers. Darüber hinaus wurde Peiresc (seit 1625) Klient einiger italienischer Kardinäle, vor allem Francesco Barberinis, des Neffen von Papst Urbans VIII. Bereits 1606 hatte er die wichtigsten Städte der Generalstaaten besucht.242 Peiresc forderte Hugo Grotius auf, sein De iure belli ac pacis (1625) abzufassen,243 das eine neue Definition des Krieges über die Begriffe status, actio et executio leistete.244 Er beobachtete den Fortschritt der politischen Macht der Generalstaaten: am 17. Okt. 1632 schrieb Peiresc an Dupuy, dass die Macht der Generalstaaten derart gestiegen sei, dass sie Spanien nicht mehr fürchten müssen, sondern im Gegenteil Spanien und ganz Europa diese zu fürchten haben.245 Er stand nicht nur in Verbindung mit den französischen Botschaftern Benjamin Aubery, sieur du Maurier, einem Freund du Vairs, und Jean de Thumery, sieur de Boissise, und den Gelehrten Erpenius, van Meurs und vor allem Grotius, sondern auch mit den Druckern. In den dreißiger Jahren waren, was militärwissenschaftliche Quellen anbelangt, insbesondere Naude´ und Saumaise ›Klienten‹ Peirescs. Am 27. Jan. 1636 sandte Naude´ Peiresc einen Abriss seines Syntagmas militärwissenschaftlicher Studien mit der Bitte es für den Druck zu empfehlen.246 Am 9. März wartet er auf Peirescs Meinung im Hinblick auf den Inhalt seines Syntagma de arte militari.247 Noch am 26. Mai 1636 bat 242

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Vgl. Raymond Lebe`gue: Les correspondants de Peiresc dans les anciens Pays-Bas (Collection nationale, 3e se´rie, n° 35), Brüssel 1943. Grotius an Peiresc, 11. Jan. 1624. In: Lebe`gue (Hg.), Les correspondants de Peiresc dans les anciens Pays-Bas, S. 64. Peter Haggenmacher: Grotius et la doctrine de la guerre juste, Paris 1983, S. 457. Lebe`gue (Hg.): Les correspondants de Peiresc dans les anciens Pays-Bas, S. 55: »est maintenant accrue jusqu’a` un point qu’ils peuvent ne redouter plus celle d’Espagne, mais se rendre redoutable et a` celle d’Espagne et a` toute l’Europe.« Naude´ an Peiresc, Rom, 27. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 45: »j’y ay adjouste´ le contenu de mon Syntagma de studio militari lequel je vous supplie, monsieur, vouloir prendre la peine de parcourir et si vous le treuvez a propos de me vouloir tant obliger que d’en escrire vostre jugement en trois mots a` son Eminence, afin qu’estant desja assez bien dispose´ pour le faire imprimer, cela lui donne encore d’avantage de volente´ de le faire. Je n’estime pas que le livre puisse estre moins que de cinquante ou soixante feuilles in quarto, lesquelles, s’il me falloit faire imprimer a` mes de´pens, me tourneroient a` trop grand prejudice.« Das dem Brief beiliegende Manuskript trägt den Titel: Ordo syntagmatis de studio militari cum militare stadium referebatur tam ad militem quam ad ducem propterea de utriusque officio. In hoc syntagmate disseritur, etc. (Ms. f. fr. 9544, fol. 105–108). Es handelt sich um eine detaillierte Analyse des Syntagma. Naude´ an Peiresc, Rieti, 29. März 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2,

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ihn Naude´ um seltene Bücher oder Handschriften de Arte militari.248 Das Syntagma Buch wurde schließlich aufgrund der Intervention Peirescs bei dem Kardinal Giovanni Francesco Guidi di Bagno gedruckt.249

Saumaises Netzwerk und seine Stellung im Netzwerk von Peiresc und dem Cabinet Dupuy Saumaise tauschte sich mit Hugo Grotius (Militiam nostram cum veteri non inutiliter comparavi)250 und Gronovius251 über militärwissenschaftliche Gegenstände aus. Mit den Brüdern Dupuy sprach er über politische Themen,252 mit Johannes van Beverwyck (1594–1647) korrespondierte er

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1972, S. 75: »J’attens vostre advis sur le contenu de mon Syntagma de arte militari. Je commence maintenant a` le copier et repolir pour le mettre soubs la presse aux depens, comme je croy, de Son Eminence. Je voudrois bien que ce fust chose qui vous fust agreable, et a` mes autres amis aussi.« Naude´ an Peiresc, Rieti, 26. Mai 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 85. Naude´ an Peiresc, Rieti, 30. Juni 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 93: »L’estampeur est enfin venu s’establir en ceste ville de Rieti et si nous avions le papier que le marquis a promis nous commencerions l’e´dition de mon livre de laquelle je me protesteray tousjours vostre oblige puisque M. le Cardinal me l’a accorde´e a` vostre requeste.« Saumaise an Hugo Grotius, Leiden, 5. Juli 1637. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 250; Saumaise an Grotius, Leiden, 8. April 1635, S. 155f.: »In Militia nunc Romana sum, quam ut tractarem & Gallica quidem lingua, quidam ex Proceribus nomine PRINCIPIS, quia jubere poterant cum rogarent, obtinuerunt. Maluissem Latine` scribere. Non rerum sed verborum inopia laboro quae Latine` eam materiam persquuto sponte se dedissent ultro ambientia poni. Nunc ignota conquirentem, & vi trahentem vix subsequuntur. Evici tamen, ut potui, ut potui maximas difficultates, & Militiam nostram cum veteri non inutiliter comparavi.« Saumaise an Gronovius, 23. April 1637. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 213; Saumaise an Gronovius, 3. Mai 1637, S. 216: »Non opus erit sollicitare Lindenbrogium de mittendo Patricio. Habeo Italicum quo bene utor, & jam usus sum. Si in propinquo fuisset qui Latinum haberet, aut esset apud hominem magis tractabile, non illibenter usum ejus petiissem. In excerptis tuis Livianis velim scire quomodo legatur hic locus ex lib. VI. cap. XXXVI.« Saumaise an Dupuy, Leiden 5. Juni 1634. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 98: »Pour nos nouvelles, elles sont aussi seches, que le temps. Il part demain des Ambassadeurs extraordinaires d’ici, qui vont faire des complimens & des remerciemens pour le nouveau traicte´. Mr. le Conte de Laval a bien fait parler de luy en ces Quartiers. Vous aurez veu son Manifeste, & les lettres quil a escrites au Roy, & au Prince d’Orange. Il y a un Capitaine Rochellois prisonnier a` Flessingue par l’ordre du Prince, sur les avis qu’on a eu, qu’il avoit une entreprise sur la ditte Ville, pour la mettre entre les mains de l’Espagnol en faveur du dit Conte. Je crois que nos gens se reposeront tout cet este´, s’il ne sont attacquez, & l’ennemi n’est pas en estat de ce faire. Les affaires d’Allemagne prosperent tousjours pour les Suedois, & peut estre plus que nous ne voudrions.«

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gleichfalls über die militia romana.253 Peiresc sandte er 1631 einen kurzen Einblick in seine Handschriftenkritik antiker Taktiker,254 und mit Gerhard Vossius (nullli dicta de castrametatione & aciei instruendae modo)255 tauschte er sich über den militärtheoretischen Gegenstand seiner Forschungen aus. Sein bevorzugter Korrespondent in militärtheoretischen Fragen war aber Peiresc, mit dem Saumaise sich zwischen 1620 und 1637 über die Armee, die Lagerordnung, die Legion, die pilani, den primipilus (ranghöchster Zenturio), die Hastaten, Principes, Triarier, die Kriegsgerichtsbarkeit, alte Waffen, die militärische Kleidung der Griechen und Römer, die antike Taktik, die byzantinischen und lateinischen Militärtheoretiker und das römische Militärwesen (militia) austauschte. Wenngleich sich unter seinen Korrespondenten eine Reihe protestantischer Geistlicher befand, so führte doch sein Beziehungsnetz in die Kabinette, das Kabinett Dupuy und die Kreise der sich abzeichnenden wissenschaftlichen französischen Revolution, für die insbesondere Peiresc steht. Saumaise korrespondierte mit Me´nage, dem Astronomen und Sekretär von Jacques Dupuy Ismae¨l Boulliau (1605–1691),256 der mit dem Präsidenten de Thou in Verbindung stand und dessen Bibliothek betreute, den Brüdern Dupuy und Claude Sarrau (–1651), ein gelehrter Hugenotte und Rat im Parlement von Rouen und ab 1639 in Paris. In den Niederlanden pflegte er Kontakte zu Antoine Rivet und dem Geographen, Naturforscher, Philologen und Direktor der Ostindienkom253

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Saumaise an Johannes Beverovicio, Leiden 7. April 1635. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 151: »Mario Typographo significavi ne dissolveret tabulas compositas de vitae Termino, me enim in animo habere, statim post absolutam meam Militiam Romanam, Termino illi finem ac terminum figere. Si redeo in Gallias, quod ab nostrorum Curatorum decreto pendet, ibi curabo edendum illud opus, cum tua Epistola, aut prout statues. Nam priusquam hinc discedam, te videbo. De loco Johannis variae fuere hactenus sententiae doctorum hominum, nulla« (S. 269: Epistola. Johanni Beverovicio. Leiden, 5. November 1637). Io van Bevervvyck (Beverovicius) war Medicus. Er stammte aus Dordrecht und wurde nach seinem Studium in Leiden ebenda Ratsherr. Aufgrund seiner vielen Verdienste und trefflichen Eigenschaften wurde er zu verschiedenen wichtigen politischen Diensten herangezogen. Saumaise an Peiresc, Grigny, 7. Nov. 1631. In: Claudii Salmasii viri ill. epistolarum Liber primus, S. 73f. Saumaise an Vossius, Leiden, Ende Mai 1635. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 154: »praesertim cum & aliud opus in manibus habeam, quod in gratiam PRINCIPIS, ac paene jussu ejus susceptum est, de Militia Romana. Quo in opere multa hactenus parum cognita proferam, & nullli dicta de castrametatione & aciei instruendae modo. Fortassean & in Tacticis me futurum Grammaticum dicent, ut in Botanicis dixerunt. […] De his focalibus multa dixi in meis de Re Vestiaria, quae interim jacent dum Militiam peregero.« Vgl. Henk J. M. Nellen: Ismae¨l Boulliau (1605–1694). Astronome, e´pistolier, nouvelliste, et interme´diaire scientifique, APA-Holland University Press, Amsterdam et Maarssen, 1994; ders.: Un Voyage au Levant au XVIIe sie`cle: Ismael Boulliau a` Smyrne et a` Constantinople (1646–1647), Lias, 18, 1 u. 2 (1991), S. 1–36 u. 141–71.

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panie (compagnie des Indes) Joannes de Laet (1593–1649). Verbindungen bestanden auch zu Valentin Conrart (1603–1675), dem ständigen Sekretär der Acade´mie franc¸aise, dem protestantischen ›Kontroversisten‹ The´ophile Brachet de La Milletie`re (1588–1665)257 und zu den hugenottischen Pastoren J. Mestrezat, E. Aubertin und vor allem J. Daille´. Die konfessionellen Grenzen überschritt er mit seiner Verbindung zu JeanFranc¸ois Paul de Gondi, cardinal de Retz (1613–1679), Kardinal, Erzbischof von Paris und dem Politiker, Gelehrten, Kritiker und Dichter Gilles Me´nage (1613–1692). Weitere Mitglieder des Kabinetts Dupuy, wie Christofle Justel (1580–1649),258 Genealoge und Kanoniker, Berater von Heinrich IV., schließlich Sekretär des Herzogs von Bouillon (1610–1623) und mit der Bildung der Bibliothek der Acade´mie protestante de Sedan beauftragt,259 Hadrien Valois (vermutlich: Henri de Valois (1603–1676), Seigneur d’Orce´, Historiograph Frankreichs und Latinist), Gabriel Naude´ und Nicolas Rigault, mit dem zusammen er den Katalog der Bibliothek des Königs erstellte, zählten zu den Korrespondenten. Karl Ludwig, der Kurfürst von der Pfalz, schrieb zwei Briefe an Saumaise (1644 und 1645). Auch Marin Mersenne (1638), J.-A. de Thou, van Aerssen van Sommelsdyck, Perrot d’Ablancourt, Poirier, P. Du Prat, Constantin Huygens standen mit dem Leidener Gelehrten in Verbindung. Dabei scheint es sich jedoch nur um eine Gelegenheitskorrespondenz gehandelt zu haben. Sehr viele Briefe an Saumaise liegen hingegen von dem Übersetzer und Philosophen Samuel Sorbie`re (1615–1670) vor, der neben der Diffusion von Pierre Gassendi und Thomas Hobbes sowie der Übersetzung von Mores Utopia (1643) auch die Edition der Reisebeschreibung von Henri de Rohan besorgte (Voyage du Duc de Rohan, faict en l’an 1600, Amsterdam, Elsevier, 1646). Auch von Samuel Desmartes und Diodati, Theodor Haak und Friedrich Spanheim, Andreas Clovius, Hendrik Thibaut, Charles Drelincourt, Isaac de La Peyre`re, Adam Stevart, Samuel Bochart, aus Stockholm und Amsterdam, Ismael Boulliau, aus Paris und Venedig, und Jacques de Godefroy (23. Mai 1649, 6. Juni 1649: fol. 417 und 419) sind Briefe überliefert. 1628 gab Nicolas-Claude Fabri de Peiresc den Auftrag, in Zypern die Eklogen oder Auszüge aus dem Porphyrogennetos zu suchen. Er schickte 257

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The´ophile Brachet de La Milletie`re: Re´publique du sieur de La Milletie`re ...Avec une briefve explication des causes et des moyens d’une le´gitime re´formation, Paris 1640. BN 16-D–2023. Recueil des e´dicts, ordonnances, de´clarations, s.l. 1634. F–12422; – Le Temple de Dieu, ou Discours de l’Eglise, J. Sedan, impr. de J. Jannon, 1618; – Histoire ge´ne´alogique de la maison de Turene …Paris, chez la Vve M. Du Puy, 1645. Vgl. Discours du duche´ de Bouillon et du rang des ducs de Buillon en France [par Christofle Justel], 1633.

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die Ergebnisse dennoch nach Paris zu Grotius, Saumaise und weiteren Gelehrten. Vor allem Hugo Grotius, der die berühmten Fragmente des Nikolaos von Damaskus (geb. ca. 64 v. Chr.) beschrieb und interpretierte, nahm sich dieser an.260 Um 1634 kommentierte und edierte Henri de Valois die Auszüge aus Polybios von Nikolaos von Damaskus und weiterer Historiker und übertrug Polybios ins Lateinische.261 1635 suchte Peiresc dann für Saumaise nach der Urbicius-Handschrift und weiteren Taktikern in Italien, vor allem in der Bibliothek Ambrosiana.262 260

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Gassendi: Peiresc, S. 188: »Il avait aussi donne´ mission de rechercher a` Chyptre les manuscrits sur lesquels on avait retrouve´, on l’a de´ja` rappele´, les e´glogues ou extraits Porphyroge´ne´tiques; mais ces manuscrits ont e´te´ a` ce point perturbe´s qu’ils ne purent eˆtre repe´re´s par aucune exploration, quelque diligente qu’elle fuˆt. Il en fut tre`s afflige´, lui qui avait e´labore´ son jugement sur une unique donne´e, comme on proce`de sur un ongle d’animal; il en avait conc¸u un grand espoir. Afin que du moins ne fussent pas frustre´s du profit de cette donne´e des chercherus se´rieux, il estima qu’il fallait envoyer ladite donne´e a` Paris, pour que Grotius, Saumaise et autres e´rudits, chacun pour sa recherche, la parcourent et en extraient ce qui leur e´tait utile. S’y appliqua surtout Grotius, qui, a` son exhortation, se consacra aussitoˆt a` de´crire et interpre´ter les ce´le`bres fragments de Nicolas Damasce`ne qu’il lui envoya aussi (avec une lettre de´dicatoire).« Ebd., S. 237: 1634: »Et enfin d’autres documents, mais j’ajoute seulement la modestie avec laquelle il accueillit la de´dicace des extraits de Polybe, de Nicolas Damasce`ne, et d’autres historiens, fait par le tre`s e´rudit Henri de Valois, de noble re´putation, qui les e´dita en grec, les traduisit en latin, les illustra de notes.« Vgl. Moore: The manuscript tradition of Polybius, S. 130f.: »P. Turonensis 980 (olim 955). Bibliothe`que Municipale, Tours. [Die ›Excerpta de virtutibus et vitiis‹] […] P. enthält Exzerpte aus Polybios (II–XXXIX). [...] P. was bought for Nicholas-Claude de Fabri, Seigneur de Peiresc, in Cyprus in 1627.« Er sandte es nach Paris, um es herauszugeben, »a task eventually undertaken by Valesius; after this it was sent to a M. Petit, probably never returend to its original owder, and, after passing to the de Lesdiguie`res family, was sold to the Convent of Marmoutiers, near Tours. [...] There are two surviving copies of portions of P. both of the seventeenth century; the first, Parisinus, BN, Gr. 2550, does not contain any Polybius. The second, in Vaticanus Barb. Gr. 237 […] has six short excerpts from Polybius on fos. 1031-106 […] All these passages, together with others from other authors which occur in the manuscript, are from de Virtutibus et Vitiis. The next section of the volume, which is not in the same hand, is headed ›Escerpta quedam ex historicis Graecis missa a Domino Peirescio‹, and also contains passages found in P.« Vgl. auch: T. BüttnerWobst: Der Codex Peirescianus, Berichte über die Verhandlungen der Königl. Sächs. Gesellsch. Der Wissenschaften zu Leipzig (Phil.-Hist.Cl.), XLV (1893), S. 261–352. Gassendi: Peiresc, S. 239: 1635: »Fit un de´tour jusqu’aupre`s de lui le cardinal The´odore Trivulce, qui, regagnant alors l’Italie, accepta de se charger de copier a` la Bibliothe`que Ambrosienne Orbicius et d’autres auteurs ›tactiques‹ que Peiresc s’e´vertuait puissamment a` posse´der; ne´cessaires qu’ils e´taient a` Saumaise.«; ebd., S. 240: 1635: »Tandis qu’il espe´rait d’Italie les livres ›tactiques‹ dont j’ai parle´, il envoya entre-temps a` Saumaise des dessins varie´s d’e´pe´es, glaives, haches et autres armes qui chez les Anciens, e´taient en bronze, et, nomme´ment, de deux casques dont l’un avait e´te´ envoye´ du pays des Samnites dans les Abruzzes, et l’autre avait e´te´ trouve´ au lac Trasime`ne, exactement, avec des oreillettes pendantes qui subsistaient encore, des deux coˆte´s. Pour l’aider a` traiter de la milice romaine, il ne lui

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Eine besonders intensive Korrespondenz pflegte Saumaise, neben Grotius, mit Gronovius, der 1670 den Polybios-Kommentar des Casaubon in drei Bänden edierte, wo er auch auf Henri de Valois, seigneur d’Ocre, der ebenfalls mit Peiresc korrespondierte,263 rekurriert und Saumaise zumindest erwähnt. Grotius, der sich zwischen etwa 1621 und 1631 in Frankreich aufhielt, wo ihm von Ludwig XIII. eine Pension gezahlt wurde, war über das Milice-Projekt, wie seiner Korrespondenz zu entnehmen ist, informiert.264 Ein Interesse hegte er auch für die militärischen Operationen und die theoretischen Arbeiten, darunter den Parfaict capitaine von Henri de Rohan.265 Dabei wird deutlich, dass

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envoya pas seulement cela, mais aussi des dessins de fibules de diverses sortes, destine´es a` comple´ter un ouvrage qu’il avait entrepris sur le veˆtement; c’e´tait a` la faveur d’une discussion sur l’Acia mollis, dont Cornelius Celse a pre´cise´ quelque part qu’il ne fallait pas l’utiliser trop noue´e sur des sutures par agratage lors de la cicatrisation des plaies.« Vgl. Dupuy 688, fol. 70: Henri de Valois an Peiresc. Grotius an Saumaise, 11. Juni 1635. In: BW, Bd. 6, S. 23: »Deinde, ut, si forte jam de Militia opus absolvisti, aut non ita te labor ille distinet, ut non paucas horas subsecare possis in gratiam amici veteris ac veri ad oram libri Anthologiae, quem mitto, asscribas ea, quae aut judicio tuo, quod facio fecique semper maximi, aut auctoribus libris melioribus emendanda censes, ut ad ea latinam versionem immutem facturus non me tantum, sed et eos, qui mea lecturi sunt, hujus beneficii tui debitores. Si brevi sperare esset tuam tant locupletiorem Graecorum epigrammatum editionem [...].« Grotius an Nicolaes van Reigersberch, 10. Okt. 1636. In: BW, Bd. 7: S. 433: »Cerbellon [Giovanni, graaf Serbelloni] is sterck ende Rohan – qui nobis librum edidit ›le capitaine parfaict‹’ – seer swack in de Valteline, soodat daer afbreuck gevreest werdt.«; ebd., S. 440f.: 16. Okt. 1636, an Willem de Groot: »De principe Arausionensi [Frederik Hendrik], qui facturus sit, magna hic exspectatio est. Galli nihil aliud quam sua defensant in Burgundia Picardiaque. / At Itali principes, praesertim Parmensis [Odoardo Farnese, Herzog von Parma], sua perdunt. Rohanius ad Iulii Caesaris res scripsit observata lectu digna boni ducis formam contentia. Quod polliceretur. / Mileterius [The´ophile Brachet de la Milletie`re], acer quondam adversator Tileni [Daniel Tilenus], librum edidit [Christianae concordiae inter catholicos et evangelicos in omnibus controversiis instituendae consilium], quo plane, verbis tantum mutatis, in illius concedit sententiam. […]«; ebd., S. 444: 16. Okt. 1636, Grotius an Oxenstierna: »Dux Rohanius non satis habens exemplo instruere milites addidit et librum, quo ex Caesaris Iulii rebus gestis [C. Julius Caesars Commentarii De Bello Gallico] utilia profert documenta.«; ebd., S. 446: 17. Okt. 1636, Grotius an Ludwig Camerarius: »Dux Rohanius, cum ad res agendas multa ei desint, suo exemplo probat non esse eam fortunae vim, ut eripere sapienti possit, ne se utilem publico praestet. Edidit nobis Commentarium in Commentarios Caesaris, dignum opus et se et Caesare, quo perfectissimum ducem – is libri titulus est – et describit et facit.«; ebd., S. 450: Okt. 1636, Grotius an van Reigersberch: »Den hertogh von Rohan heeft een boeck gemaect: ›Le capitaine parfaict‹, zijnde discoursen op het beleit van Caesar in’t stuck van oorlogh.«; ebd., S. 523: 21. Nov. 1636, Grotius an L. Camerarius: »Librum Rohanii ducis, ut primum potero, mittam. Mitto interim quae de cladibus a Galassio acceptis hac in urbe in majus, ut fieri solet, vulgantur.«; ebd., S. 530: 27. Nov. 1636, Saumaise an L. Camerarius: »Proficiscentem ad Batavos nobilem Suedum D. Sternschildium [Clas Stjernsköld, later Zweeds koniklijk commissaris in de provincie Västmanland] rogavi, ut ducis

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Grotius im Unterschied zu Peiresc und Naude´ offenbar vor der Erstveröffentlichung des Parfaict capitaine Kenntnis von dem Werk hatte. Peiresc hingegen hat erst verhältnismäßig spät den Parfaict capitaine nach dessen Veröffentlichung kennengelernt. Am 27. Jan. 1637 bedankte sich Peiresc bei Dupuy, ihm den Parfaict capitaine von Rohan gesandt zu haben.266 Peiresc spielte eine exponierte Rolle in der Organisation und Bereitstellung von Handschriften, die er insbesondere in den italienischen Beständen aufspürte. Selbst veröffentlichte er nichts, korrespondierte aber mit den führenden Köpfen der respublica literaria in Rom, Paris und Antwerpen wie Gassendi, Pozzo, Auguste de Thou, Naude´, den Brüdern Dupuy und Rubens.267 Darüber hinaus vermittelte Peiresc Quellen an die französischen Militärtheoretiker von Louis de Machault über Henri de Valois bis zu Claude de Saumaise und Gabriel Naude´. Peiresc selbst war von der Notwendigkeit einer Vegetius-Kritik auf neuer quellenkritischer Grundlage überzeugt. Damit trat er nicht nur als Förderer der Polybios-Forschung,268 sondern auch als Befürworter einer neuen Vegetius-Kritik auf. Gassendi berichtet, dass Peiresc Saumaise eine vierhundert Jahre alte Vegetius-Handschrift, die er zuvor mit einer anderen verglichen hatte, sandte.269 Henri de Valois konnte sich bei seiner lateinischen Polybios-Edition auf Peiresc stützen und sich kritisch mit dem Polybios-Kommentar Casaubons auseinandersetzten.270 1627 befasste sich Peiresc bereits mit der Restitution des Polybios. Darin kommt der gleiche Forschungsimpuls zum Ausdruck, den auch die Gesamtsynthese von Saumaise kennzeichnet. Peiresc bezog aus Zypern den Band Sur les Vertus et les Vices des Konstantin Porphyrogenitus, der Auszüge aus

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Rohanii novum lectuque dignissimum opus ad te perferret.«; ebd., S. 564: 12. Dez. 1636, Grotius an L. Camerarius: »Spero recte ad vos pervenerit D. Sternschildius, nobilis Suedus, cui librum Rohanii ad te perferendum dederam.« Peiresc an Dupuy, 27. Jan. 1637. In: Lettres de Peiresc aux fre`res Dupuy. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Bd. 3: Janvier 1634–juin 1637 (Collection de documents ine´dits sur l’histoire de France, 2e se´rie), Paris 1892, S. 637. Margaret M. McGowan: The Vision of Rome in Late Renaissance France, New Haven-London 2000, S. 81. Vgl. u.a. Henri de Valois, seigneur d’Orce´, Trad. et Annot: Polybe de Me´galopolis. Polybii, Diodori Siculi…Parisiis 1634. 2 ex. BN J. 3269 und Re´s. J.1543. Gassendi: Peiresc, S. 261: »Alors qu’il allait envoyer a` Saumaise lui-meˆme un manuscrit de Ve´ge`ce vieux de quatre sie`cles, il le fit d’abord comparer avec un autre d’a` peu pre`s la meˆme anciennete´, par les soins e´rudits de Fabrot de´ja` nomme´, qui indiqua en marge beaucoup de diffe´rences d’une part entre les deux, d’autre part avec les e´ditions re´alise´es jusque-la`.« Henri de Valois, Seigneur d’Orce´ et al.: Polybii diodori sicvli Nicolai Damasceni Dionysii Halicar Appiani Alexand Dionis et Ioannis Antiocheni Excerpta et Collectaneis Constantini Avgusti Porphyrogenetae Henricus Valesius nunc primum Graece` edidit, Latine vertit, Notisque illustrauit, Paris, Mathurini Du Puis, 1634. J–3269, vgl. Widmung an Peiresc.

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Polybios, Diodor, Nikolaos von Damaskus und weiteren Historikern enthielt, mit Hilfe derer vorhandene Lücken ausgefüllt werden konnten.271 Dem zweiten Band (fol. 362) der Papiere von Peiresc in der Bibliothek von Carpentras kann entnommen werden, dass die Handschrift des Konstantin Porphyrogenitus (heute in Tour), von der in Brief 82 Peirescs an Dupuy die Rede ist, für Dupuy, Grotius, Saumaise und Rigault bestimmt war. Peiresc schickte diese Handschrift zusammen mit einigen arabischen Bänden an de Thou.272 Das militärtheoretische Interesse Peirescs bezog sich jedoch nicht ausschließlich auf die antike Militärtheorie. Unter seinen militärtheoretischen Handschriften befindet sich auch die Kriegsordonnanzen Karls von Burgund273 und L’Ordre de chevalerie.274 Louis de Machault Peiresc arbeitete nicht nur Saumaise, Naude´ und De Valois zu, sondern auch Louis de Machault. Der Mathematiker und Militärtheoretiker Louis de Machault konnte sich dank der Hilfe Peirescs auf die Handschrift von Julius Africanus und weiterer Taktiker aus der Vatikanischen und der Ambrosianischen Bibliothek beziehen. Machault stützte sich allerdings in dem zuvor verfassten Aelian-Kommentar, der die taktische Theorie des Aelian mit der des Polybios und Aeneas des Taktikers verbindet, lediglich auf die entsprechenden Bestände der Bibliothe`que du Roi.275 Dass Peiresc 1622 für Machault versuchte, weitere Taktiker zu 271 272

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Gassendi: Peiresc, S. 199. Vgl. Henri Osmont: Les Manuscrits et les livres annote´s de Fabri de Peiresc, Annales du Midi, 1 (1889), S. 338: »Ce volume grec manuscrit de Constantin Porphyrogene`te, ou` sont les fragments et eclogues de Polybe, Nicolaus Damascenus, et autres anciens; in-folio, couvert e carton et parchemin, pour Messrs Du Puy, Grotius, Saulmaise et Rigault. Peiresc adressait ce manuscrit a` de Thou, avec quelques volumes arabes et diffe´rents objets de curiosite´ provenant du Levant.« Ebd., S. 323: Chronique de Bourgogne, ms., en laquelle est l’estat de la maison du duc Charles de Bourgogne, ensemble des ordonnances de sa guerre. Petit ce´re´monial. Chronique depuis l’an 1400 jusques en 1457; fol., ms. en papier, boys et veau rouge. Ebd. S. 330. Louis de Machault, sieur de Romaincourt: Æliean. De l’ordonnance des anciennes bandes et arme´es greques. Conforme´ment a` l’ordre estably par Philippe & Alexandre le Grand son fils Roys de Macedone. Traduit de Grec en Franc¸ois & dedie´ av Roy, Paris, Nicolas Barbote, 1611. BN J 16488, s.p.: »Finalement Amy Lecteur ie vous aduertiray que ce qui sera trouue´ moins en ceste traduction Fra(n)coise qu’e´s Latines, de Gaze & Robortel [Robortello] a este´ retranche´ sous la foy d’vn ancien exemplaire Grec escrit a` la main, estant en la Biblioteque de sa Majeste´, dans lequel la plus part des redites que Robortel a fait entrer dans son texte, ne sont audit exemplaire qu’annotations cotte´es en marge, aussi se trouueront plusieurs passages, la traduction desquels meriteroit quelque esclaircissement, parce qu’elle est fort differente du texte vulgaire que ie me suis enhardy corriger: I’espere auec

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besorgen, so Exemplare des Julius Africanus in der Vatikanischen Bibliothek und der Biblioteca Ambrosiana in Mailand sowie weiterer, nicht genau ausgeführter Taktiker, weist darauf hin, dass Machault an ein größeres militärtheoretisches Unternehmen dachte, als an eine kritische Ausgabe des Aelian, die die Vorgänger Robortello und Gaze überholt: Peiresc erhielt noch aus der Vatikanischen Bibliothek und der Biblioteca Ambrosiana gewisse Exemplare des Africanus und weiterer Taktiker für Louis de Machault, der versessen auf die Militärschriftsteller und Mathematiker gewesen zu sein scheint, vermerkt Gassendi.276 Machault befasste sich vor 1611 mit der Taktik des Polybios und Aelian. Im Unterschied zu Lipsius, dem der berühmte Vergleich der makedonischen Phalanx mit der römischen Schlachtordnung im Buch XVIII, 28–32 unbekannt geblieben war,277 griff Machault diesen auf. Der theoretisch-pragmatische Komplex der ›oranischen Heeresreform‹ der 1590er Jahre regte die französischen Militärschriftsteller an, sich neue theoretische Grundlagen der militia durch die Hinzuziehung neuer Handschriften zu schaffen. Wenn Louis de Machault, schreibt, ein großer Feldherr seiner Zeit habe teilweise die Infanterieordnung der Römer und Makedonier umgesetzt und dieses Meisterstück des Krieges mit einem vorteilhaften Frieden gekrönt, evoziert er die dynastisch-reformatorischen Leistungen Moritz von Oraniens, die in den zwölfjährigen Waffenstillstand mündeten.278 Die Arbeit von Louis de Machault galt also zunächst dem Versuch Aelian mit Polybios zu verbinden. Machault hielt sich in seiner Definition der Sergenterie an Aeneas und Polybios279. Machault zeigte damit, dass er sowohl an das militärpolitische Exemplum des Moritz von Oranien und das Prooemium des Polybios-Kommentars Isaac Casaubons anschließt. An die bildliche und textliche Darstellung der Taktik des Aelian reiht sich eine militärtheo-

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l’ayde de Dieu leuer toutes difficultez a` la prochaine edition qui vous contentera mieux que celle-cy.« Gassendi: Peiresc, S. 159f.: »Il [Peiresc] obtint encore de la Vaticane et de l’Ambrosienne de Milan certains exemplaires d’Africanus et d’autres tacticiens, en faveur de Louis de Machault, vaillant personnage et fe´ru d’auteurs militaires et mathe´maticiens. Il s’agit de quelqu’un a` qui Peiresc de´montra par un beau diagramme le moyen de multiplier les figures d’une seule et meˆme chose, entre deux miroirs de´clinant l’un par rapport a` l’autre late´ralement.« Reinhard: Humanismus und Militarismus, S. 193. Vgl. Ms. f. fr. 1237, Aelian de la Sergenterie des grecs. Contenant l’Art de ranger en Bataille, Gens de pied et de Cheual. Traduit de Grec en Franc¸ois, et de´die´ au Roy par Lovys de Machault sieur de Romaincourt, 1615: »vn grand Capitaine ayant de nostre temps mis en vsage, partie de l’ordre de l’Infanterie Romaine et Macedonienne, a` couronne´ ses Illustres chef-d’ouures de guerre par vne auantageuse paix.« Ebd., fol. 4: »Aeneas donne ceste definition de la Sergenterie, Science des mouuemens ou de´marches de la guerre. Polybe dit que c’est quand quelqu’vn prenant vne multitude confuse d’hommes, les sc¸ait bien assortir, & mettre en files & par troupes, les instruisant vtilement en ce qui est de la guerre.«

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retische Rezeption des Polybios in Auszügen aus dem VI. und XVII. Buch der Historien an.280 Machaults Kommentar zur griechischen Militärtheorie und der taktischen Theorie der Kavallerie legt die Raute (lozange) als Grundform frei (Kap. 16: Des escadrons de Caualerie en lozenge, triangle ou quarre´; Kap. 17: Quatre manieres de former les escadrons en lozenge). Er schlug diese griechische Ordnung als theoretisches Modell für die moderne Kavallerie vor, das in der Praxis verfeinert werden soll.281 1611 wurde Machaults Übersetzung Aelians ins Französische herausgegeben, die Bezüge zum oranischen Reformwerk aufweist.282 Die erste Übersetzung in die französische Vernakularsprache datiert damit zwei Jahre vor der Veröffentlichung von Johannes van Meurs’ Cl. Aeliani et Leonis imp. Tactica, sive de Instruendis aciebus, graece et latine im Jahr 1613.283 Interessant ist zu bemerken, dass das 280

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Creation des Maistres de Camp; Distribution des Maistres de camp a` chaque legion (fol. 97); Choix des soldats pour partager aux legions; Enroollement de la Caualerie.; Le serment militaire; Leue´es par les villes co(n)federe´es (fol. 98); Quatre sortes de Gens de Pied (fol. 99); Nombre d’iceux en chacune legion; Ils les diuisent en telle fac¸on que les plus aagez nomme´s Triaires sont six cent, les Princes douze cent, autant les hastaries, le reste & les plus ieunes Velites, que s’il ya des Hastaires, ler este & les plus ieunes Velites, que s’il y aplus de quatre mil hommes en vne legion ils font le partage en mesme proportion hormis les Triaires qui sont tousiours six cent.; Armes des Enfans perdus; Le pauois Romain, (fol. 99); L’espe´e; Salade & greue; Les espieux; Le Pennache; Le Plastron ou cotte de maisles; Demy-piques pour les Triaires (fol. 100); Capitaines de bandes; Enfans perdus distribuez par les bandes; Deux Capitaines & deux port-enseignes en chaque bande; Brigade de Caualerie. (fol. 101); Armes des Caualiers Romains; Rendez vous en armes (fol. 102); Caualerie & Infanterie extraordinaire. (fol. 103); Maniere de camper des Romains (fol. 103); Logement pour les suruenans. (fol. 107); Le trauail des Retranchemens. (fol. 108); Les Commandeme(n)s & le mot du Guet comment donne´s; Les Rondes (fol. 110); Punition des crimes & delits Militaires (fol. 111); Recompenses des actes de valeur & proüesses. (fol. 112); La solde & Amunition. (fol. 113); Le Deslogement. (fol. 114); Fac¸on de Marcher.; Assiete du Camp. (fol. 115); fol. 148: Comparaison de la Phalange Macedonienne auec l’ordonnance ou legion Romaine. Tire´e du dixseptiesme liure de Polybe. Machault: Æliean, 1611, S. 23f.: »comme l’imitation de cet ordre est chose grandement importante, il ne la fault pas enseigner superficiairement, mais apres auoir faict plusieurs essais de chacune des figures aux exercices iournaliers, & recognu la plus aise´e, & de meilleur seruice, la practiquer a` bon escient.« Machault: Æliean 1611. Mazarine 33589. Eine weitere Ausgabe der Übersetzung Machaults erfolgte 1613: Louis de Machault, sieur de Romaincourt: La Milice des Grecs et Romains traduite en franc¸ois du Grec d’Aelian et de Polybe, et dedie´e au Roy, Par Louys de Machault, Sr de Romaincourt, Paris, Hierosme Drouart, [1613] Bibl. Arsenal Fol ScA 1692 und 1693. Vgl. Aeliani et Leonis imp. Tactica sive De instruendis aciebus, graece et latine. Quorum his graece primum opera Iohannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione latina, ambo autem notis et animadversionibus illustr. in lucem exeunt. Accedunt praliorum aliquot descriptiones, et nonnulla alia. Hg. v. Johannes van Meurs, Lugduni Batavorum, apud L. Elzevirium, 1613. 3 parties en 1 vol. in–4°, fig et pl. (Leiden) BN R–6408. Eine Edition der Taktik von Kaiser Leo VI. datiert 1612: Leonis imp. Tactica, sive de Re militari liber, Joannes Meursius graece

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Vorwort der Ausgabe von 1611, der ›Auant propos a` l’Empereur Adrian Auguste‹, in der späteren Ausgabe zu einem panegyrischen Diskurs an den König ›Au Roy‹ umgewandelt wurde und sich auf die Gegenwart bezieht. Das Buch umfasst insgesamt 49 Kapitel, die die Definitionen (z. B. der file), den griechischen ordo in der Schlacht, die Bewegungsbegriffe und -abläufe betreffen. Kapitel 25 behandelt die Evolutionen oder Kontermärsche in Reihen oder Rängen (Evolutios ou contremarches par files ou par rangs). Der Band schließt mit der Kommandosprache (Recueil des Commandements qui se font aux exercices). Die zweite Ausgabe stimmt mit dem von Johann VII. von Nassau anempfohlenen Kriegsschriftstellern überein, dem im HStA Wiesbaden (K 042, Bl. 32 – 35) enthaltene ›Bericht, waß fur capita in diesem gantzen discours begriffen, von welchem kurztlich tractirt wirdt‹.284 Machault verstand seine Arbeit lediglich propädeutisch. Die Philologie wird zum intellektuellen Instrument für die Kriegspraxis. Die eigentliche Interpretationsarbeit des Textes liegt bei den militärischen Praktikern: Der Ausgabe ist zu entnehmen, dass er in Kenntnis der Übersetzungen der griechischen Kommandosprache in die Vernakularsprache war (wie sie durch die Oranier vorgenommen und von De Gheyn gedruckt wurden). In einem weiteren Werk wollte er die bildliche Darstellung der Exerzierübungen folgen lassen. Seine Intention folgte einem der oranischen Kriegskunst vergleichbaren didaktischen Impetus, zielte sie doch auf eine Exerzierform nach dem griechisch-byzantinischen taktischen Modell.285

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primus vulgavit et notas adjecit. [Modesti libellus de vocabulis rei militaris, ad Tacitum Augustum.], Lugduni Batavorum: impensis Elzevirii, 1612. – in–4° BN R–6406 und RES-R–1453. Abgedruckt in: Kb, S. 4f.: Comment les anciens Grecs repartissoient l’art militaire. Teutsch darzu setzen; Abschnitt IV: Auß dem Eliano, de itineribus. Vom marchiren oder vortziehen; V: Tabulae commentariorum Lipsii ad Polybium. Item definitio militiae ex Lipsio – Militia romana teutsch. – Von dem delectu oder außschuß der alten Römer. – Compendium militiae modernae. Machault: Æliean, 1611. BN R–24857: »Amy Lecteur, ie vous presente cet oeuure comme jadis Aleppes feit son tableau, me tenant a` couuert derriere mon labeur pour entendre le libre iugement que chacun en voudra faire. Or en cette traduction i’ay laisse´ plusieurs mots Grecs, non pas que ie n’aye trouue´ en nostre langue francoise quelques termes significatifs d’iceux, mais voyant que les choses estoyent assez explique´es par leurs definitions, ie n’ay voulu rien aduancer de mon creu & inuention, quittant auec respect ceste partie a` ceux qui ont de longue main manie´ les armes & commande´, Aucuns desquels ayant de nostre temps renouuele´ l’exercice & pratique de la plus part de ce qui est enseigne´ en ce traicte´, pourront donner a` chacun des mouuemens & de´marches militaires des noms plus conuenables que le rapport de la langue Franc¸oise, a` la Grecque ne m’en auroit fourny, a` quoy faire leur peine sera dignement employe´e, estant certain que le plus souuerain moyen d’estre bien & promptement obey, est de commander en termes propres & significatifs. C’est ce que le desire de toute affection, & d’apprendre d’eux qui pourra seruir a` l’ornement & perfection de cet ouurage, sans frauder aucun de l’honneur

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Tatsächlich kam noch eine zweite (1615) und dritte Ausgabe (1616)286 zustande, in die Machault der didaktischen Breitenwirkung halber Bildmaterial einfügte.287 In der zweiten Ausgabe finden sich eine Reihe figurativer, jedoch stark schematisierter Darstellungen, sei es makedonischer oder römischer Organisationen (Phalanx und Legion und die Darstellung von Rittern in einem rechteckigen Eskadron zusammengefasst) und Schlachtformationen, Pikeniere gegen Pikeniere, Pikeniere gegen berittene antike Pikeniere (die Gegenüberstellung von Kavallerie und Infanteriesoldaten) und, seltener, Bewegungsabläufen. Es handelt sich um die figurative Darstellung einer makedonischen Phalanx (16 mal 16),288 ein quadratisches Eskadron (3 mal 9) von mit einer Lanze bewaffneten Rittern,289 die Darstellung von vier Arten die Eskadrone in Rauten

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de son inuention. Que s’il me succede quelque chose de ceste part, cela me donner courage d’en aduancer vne seconde edition, laquelle sera enrichie de figures en personnages plus naivues & conuenables [Man muss hier unwillkürlich an die Darstellungen in den Discours militaires von Du Praissac denken] que ce qui est icy represente´ en feinte & par characteres alphabetiques, mesmement exclaircir les preceptes qui sont icy donnez, par la pratique qui en a heureusement reüssi en plusieurs grandes & perilleuses batailles, remarque´es & descrittes par des Capitaines gens d’esprit & hauts a` la main. […] Ie n’ay toutesfois ose´ de faire presenter a` vous qui aue´s conduit tant de guerres, crainte que mes enseignemens ne perdissent leur lustre si vous les metie´s en parangon de vos conceptions: mais si vous les prene´s comme vne speculation greque, & vn discours de recreation auquel vous verrez les inuentions & desseings d’Alexandre le Grand en l’ordre de ses batailles, ce traite´ vous donnera du contentement. Et ayant esgard a` vos serieuses occupations, i’ay mis a` part les sommaires de ce qui est discouru en chacun des chapitres, afin qu’aua(n)t la lecture du liure vous recognoissie´s succinctement ce qu’il promet & trouua(n)t aise´me(n)t les endroits qu’il vous plaira lire vo (sic) ne perdie´s point te(m)ps a` les chercher.« Louis de Machault (Übers.): Elien. La Milice des Grecs et des Romains, traduite...du grec d’Elien et de Polybe, Paris 1616. BN RES G-R–36. Louis de Machault (Übers.): La Milice des Grecs et des Romains, Ausg. 1615, S. 1f.: »Mais pour dire en vn mot, j’ay recognu que tous les auteurs la` escriuent pour ceux qui y sont desia sc¸auans. Partant ce qui m’arriua du commencement lors que ie m’addonay a` la recherche de ces choses, de ne trouuer personne qui me peut enseigner, ny les escrits des auteurs precedens auoir suffisamment dequoy m’instruire, j’essayeray tant qu’il me sera possible de faire en sorte qu’il n’arriue plus a` personne, & toutes & quantes fois que mon discours ne pourra nettement representer & donner a entendre quelqu’vn des preceptes, je prendray secours de la descirption & pourtraiture des figures, donnant les yeux pour aydes a` l’imagination: & ne lairray pourtant de parler en mesmes termes que les anciens, afin que ceux qui estudieront ce mien escrit comme vn introduction par la voye de mes enseignemens, entendra aisement tout ce que les anciens en ont dict. Or on peult recognoistre que ceste science est tres-vtile, par le dire de Platon en ses loix, que le Legislateur des Cnadiots auoit estably des loix telles comme si les hommes eussent deub tousjours estre prests a` la guerre: car naturellement toutes les communaute´s ont sourdement entr’elles guerre non declare´e. S’il est ainsi quelle doctrine sera plus vtile & preferable a` celle cy?« Ebd., Kap. 13, S. 14f. Ebd., Kap. 16: Comment il faut ranger les Caualiers en Escadrons Quarre´s, en Lozange, ou Esperon, S. 19.

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(en lozange) aufzustellen – wobei ebenfalls Ritter mit Lanzen, diesmal in Bewegung (Galopp (2 mal), Pferd auf Hinterbeinen (3 Mal) – dargestellt sind.290 Im Kapitel 23 befindet sich die Abbildung der Konversion, Diuersion und Revirade, jeweils nach rechts, eines Bataillons, das nur einen Rang umfasst. Die Soldaten sind römisch gekleidet, mit Lanze/Pike, Schwert und Schild bewaffnet. Die Zeichnung ist von Isaac Jaspar ausgeführt.291 Ebenso ausgestattet sind die römischen Soldaten, die auf einem weiteren ›Pourtraict‹ die makedonische, lakonische und kretische Evolution vorführen. Es werden jeweils drei Bewegungsabläufe aufgenommen (α: Estat de la file ayant le dos tourne´ auant que s’esbranler pour faire l’Euolution; β: Represant le mouuement de la file esbranle´e faisant chacune espece d’Euolution; γ: Represente l’Estat de la file ayant tourne´ visage, apres auoir acheue´ l’Euolution).292 In Kap. 24 stehen sich 3 Gruppen zu je zwei Reihen mit nach vorne gestreckter Pike gegenüber. Sie bilden ein Dreieck. 2 der Gruppen sind von gleicher Größe (5 Mal 2), die übrige (10 Mal 2).293 Kap. 35 nimmt die Abbildung von Manches Costieres & Bataillons qui marchent de l’aisle (Fußsoldaten) auf.294 Die Abbildung des Kapitels 37 stellt dar, wie sich Fußsoldaten gegenüber der Infanterie behaupten: »Vne Bataille contrepointe´ par les flancs est semblable a` la precedente, & changeant seulement de posture, pour s’exercer contre toutes fac¸ons d’estre attaque´ par la Caualerie.«295 Den gleichen Zweck hat das Kapitel 38 (Bataille Contrepointe´e en dedans, pour soustenir le choq d’vn Escadron de Caualerie range´ en Esperon): antike (römische oder makedonische Reiter), in einem Dreieck gruppiert, stehen 2 Bataillonen von Fußsoldaten (zu je 10 mal 3) gegenüber. Die Texte von Montgommery de Courbouzon, Machault und Louys de Chabans zeigen, dass es um 1610 zu dem Bemühen einer praktischen militärwissenschaftlichen Didaktik auf der Grundlage einer Synthese römischer und makedonischer Taktik kam. Louys de Chabans, sieur du Maines Traktat (1610) zeugt von der Grundlegung des Exerzierens der Truppen Ludwigs XIII. auf eben diesen militärtheoretischen Referenzen.296

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Ebd., Kap. 17: Quatre manieres de dresser des Escadrons en Lozange, S. 22f. Ebd., Kap. 23: Des Quarts de tour, Demy-tours, Conuersions, Retours, Distractions, et Reuirade des Bataillons, S. 40. Ebd., Kap. 25: Comme il faut faire chacune Espece des Euolutions, S. 42f.: Abbildung: 43. Ebd., Kap. 34: Du train d’vne arme´e, & maniere de marcher a` la file, comment il se faut ranger en Tenaille pour combatre vne Manche de droit fil, & Briser vne Manche de droit fil en trois Bataillons pour combatre une Tenaille. Ebd., S. 52. Ebd., S. 53. Abb. S. 54 u. 55. Louys de Chabans, sieur du Maine: L’Exercice des arme´es franc¸oises soubs Louis

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Doch wie sieht diese Verbindung aus? Neben der gelehrten Kritik, die in erster Linie auf einem neuen politischen und historischen Methodenbegriff gründete, liegt ein an die Soldaten gerichteter Traktat von Machault vor. Machault verdeutlicht, dass sich die militärwissenschaftliche Didaktik in Frankreich (1630 bis 1650) formal an die oranische Militärtheorie anschloss, jedoch hinsichtlich der militärtheoretischen Grundlagenforschung bzw. Quellenforschung eigene Wege einschlug. Es finden sich bei Machault sowohl Spuren der theoretisch-pragmatischen Performanz Moritz von Oraniens als auch des Polybios-Kommentars von Casaubon. Machault schickte sich 1611, nach einigen Essais, wie ein textgeschichtliches Detail verrät, an, auf der Grundlage der Textkritik einer in der Bibliothe`que du Roi (Paris) befindlichen Handschrift die Editionen von Theodor Gaze und Robortello zu revidieren. So entstanden zwei Handschriften und mehrere Editionen zu Aelian, die die Titel Aelian de l’ordonnance des anciennes bandes et arme´es grecques (1611), La Milice des Grecs et Romains traduite en franc¸ois du Grec d’Aelian et de Polybe (1613), Aelian de la Sergenterie des grecs (Manuskript, 1615; und Edition), das dem König gewidmet war, trugen. Auch verstand er seine erste Ausgabe als eine Syntheseleistung, die auf eine Läuterung der Kommandosprache zielte. In der Aelian-Rezeption schien die terminologische Präzisierung tatsächlich an erster Stelle zu stehen. Machault wolle nicht dieselben Begriffe wie die Alten werden, damit diejenigen, die seine Schrift als Einführung studierten und sich in der Bedeutung der Sprache der Autoren nicht verloren fühlten, wenn sie sie andernorts fänden und an sie gewöhnt seien. Er glaubte, dass wer auch immer mit seinen Unterweisungen eingeführt werde, leicht verstehe, was die antiken Autoren darüber gesagt haben.297 Einerseits werden die sachlichen Gesichtspunkte aus Polybios Hist. VI zitiert (Lagerordnung, taktische Überlegenheit der Legion über die Phalanx etc.), ohne dass den taktischen Schlüsselstellen eine besondere Rolle zukommt. Andererseits bezog sich Machault auf Aelian im Hinblick auf die eigentlichen taktischen Methoden. Entscheidend in der Zusammenführung der beiden Autoren erscheint aber das Bekenntnis zu Polybios, der neben Aeneas als ›theoretischer Pate‹ fungiert. Der Bezug auf Polybios und Aeneas in der Definition der Sergenterie als militärwissenschaftlich grundlegende Autoren

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XIII, forme´ sur l’ancienne discipline des Mace´doniens et des Romains, Paris 1610. BN RES-R–2228. Das Buch konnte aus konservatorischen Gründen nicht eingesehen werden; es gibt nur ein Exemplar des Werks. Ms. f. fr. 1237, fol. 2: »& ne lairray pourtant de parler en mesmes termes que les anciens, afin que ceux qui estudieront ce mien escrit comme vne introduction, s’estant exerce´s a` la signification des dictions qui ont cours parmy les autres auteurs, ne se trouuent point estranges quand ils les rencontreront autrepart, ains y soient accoustume´s; & partant, i’estime que quiconque aura este´ introduit par la voye de mes enseignemens, entendra aisement tout ce que les anciens en ont dict.«

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rückt die Aelian-Edition, die den Titel De la Sergenterie des grecs oder trägt, in die Nähe der pragmatischen Geschichtstheorie Isaac Casaubons. Er wurde bereits von Casaubon in der Praefatio von 1607 vorgetragen (Polybium & Aeneam: qui duo nobilissimi scriptores).298 Die französische Edition von Wilhelm Ludwig von Nassaus Annibal et Scipio Die Polybios-Rezeption äußerte sich nicht zuletzt in der französischen Edition der Kommentare Wilhelm Ludwigs von Nassau zu Hannibal und Scipio eines anonymen Verfassers,299 der sich auf die im Nachlass seines Vaters befindlichen Schriften des Grafen stützen, die durch ein neues militärtheoretisches und Stilempfinden bestechen und die Merkmale der Polybios-Rezeption des nordwesteuropäischen Humanismus vereinigen. Vorwort und Kommentare eben dieses Verfassers spiegeln die Topoi der Polybios-Rezeption, die sich mit einem geschichtsdidaktischen Impuls und neustoischen Theoremen verbinden. Die Quellen sind vornehmlich Polybios und Titus Livius. Es folgen Aelian und Thukydides. Im Unterschied zu Machault, der die taktische Theorie der Antike für die Truppenpraxis fruchtbar zu machen suchte, zielt das vorliegende Werk auf die rein theoretische Elitebildung und die Schärfung des Sachverstands der politischen und militärischen Eliten. Er wählt in der Beschreibung der genannten Schlachten folgende Punkte: kurze Bemerkungen zu den Truppen, deren Unterschied in Waffen und Befehl, Offiziere, Ordonnanz und Verdoppelung dieser, das Terrain der Soldaten und schließlich die Führung der Truppen oder ihre Schlachtordnung im Kampf. In der Beschreibung folgt die Ordonnanz der Hauptschlach298

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Polybii Lyortae F. Megalopolitani historiarum libri qui supersunt, interprete Isaaco Casaubono. Iacobus Gronovius recensuit, ac utriosque Casauboni, Ful. Ursini, Henr. Valesii, Iac. Palmerii & suas notas adjecit. Accedit …Aeneae, vetustißimi Tactici, Commentarius de toleranda obsidione, cum interpretatione ac notis Isaaci Casauboni, Amstelodami, ex Officina Johannis Janssonii a` Waesberge, & Johannis van Someren, 1670, t. III, S. 59f.: »igitur tibi, DOMINE, humillimae observantiae meae, & mediocris diligentiae in curanda provincia quam tua Majestas mihi imposuit, gravissimos testes, Polybium & Aeneam: qui duo nobilissimi scriptores, quum & vitam se tibi debere fateantur; & omne id quicquid est, quod ad eos ornandos tuorum unus subditorum contulit, & tibi, ut par est, ferant acceptum; tantorum beneficiorum nequaquam fore se immemores aut ingratos, sed tuae erga omnes homines benignitatis, erga eos qui ingenio sibi auctore famam reperunt, liberalitatis, necnon caeterarum ingentium virtutum, quas dudum in tua Majestate universus Orbis stupet, apud cunctos populos & omnium linguarum nationes vocalissimos se praecones spondent futuros. Dicet Aeneas; se militari scientia quondam clarum per multa deinde saecula oblivione tam alta fuisse sepultum, ut ne nomine quidem esset notus, quod nunc aliqua saltem sui parte in lucem redierit, quod legatur, totum id regiae tuae esse munificentiae.« Wilhelm Ludwig von Nassau: Annibal et Scipion.

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ten, die zwischen den beiden Nationen gegeben wurden, wobei die Beschreibung von Polybios und Titus Livius im Vordergrund stehen, dann eine mehr besondere und mit einem geometrischen Plan besser dargelegte Ordonnanz, die jedem Soldaten nach den Regeln der Kunst das ihm notwendige Terrain zuordnet und die für die ganze Bataille in der Breite und Tiefe notwendig nach dem damaligen Gebrauch war, wobei die Bemerkungen nicht vergessen werden sollen, die sich über die Umstände und das Verhalten der Befehlshaber (chefs) und über die Ursachen von Sieg und Niederlage einer Partei machen lassen. Der Autor hat die Reflexionen Wilhelm Ludwigs hinsichtlich ihres Sinns und ihrer Essenz unverändert gelassen; er hat sich jedoch die Freiheit genommen diese in einer reineren und klareren Sprache als der des vorhergehenden 16. Jahrhunderts darzustellen. Abschließend reihen sich Maximen an. Und der Autor merkte an: Je confesse librement, que ces belles observations, avec quelques plans de batailles, quoy que fort brouı¨lle´s (mais reduits en ordre, comme vous les voye´s) m’ont donne´ une entiere facilite´ a` toutes les remarques, que j’y puis avoir insere´es ou adjouste´es de mon Chef, avec l’aide de Polybe, de T. Live, & autres Historiens, qui ont escrit de cette mattiere. / J’ose bien dire aussy, que ce traitte´ contient des remarques si considerables, qu’il pourra contenter l’esprit curieux, soit pour l’Histoire, la politique, ou la science de la guerre.300

Auch Jean Puget de La Serre erläuterte an der Figur des Scipio Africanus, dass ein Sieger niemals einen Unterlegenen zwingen dürfe, sich selbst zu zerstören, andernfalls verdiene er nicht den Titel eines Siegers, oder dass ein Krieger den unterlegenen Feind wie einen Freund behandeln müsse, sonst trage der Verlierer den Triumph davon.301 Zur Imitation von Hannibal, dessen Vorsehung, Klugheit, Erfahrung ruft der auf Französisch publizierte Traktat von Wilhelm Ludwig von Nassau auf: Soyons imitateurs d’Annibal en nos actions de guerre, & apprenons l’humeur de nostre ennemy. Jugeons bien & connoissons vrayement, en quoy gist notre bien & la victoire. Usons de conseils bons, sages & moderez. Executons nos deliberations avec soin, & prevoyance. Considerons, si souventefois nostre activite´, prudence & experience ne font pas plus en matiere de guerre, que la force.302

Eine der Maximen verdeutlicht das Verhältnis von Militärtheorie und Waffensystemen, die sich nach Land und Nation zu richten haben. Daher ist deren Proportionalität hinsichtlich der Waffengattungen prag300 301

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Ebd., S. 36f. Jean Puget de La Serre: Le portrait de Scipion l’Africain. Ou l’image de la gloire et de la vertu, represente´e au naturel dans celle de Monseigneur le cardinal duc de Richelieu, Bordeaux 1641, S. 15, S. 36, zitiert in: Thomas Kirchner: Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, München 2001, S. 270. Wilhelm Ludwig von Nassau: Annibal et Scipion, S. 60.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

matisch zu handhaben. Sie impliziert ein offenes Konzept des militärischen Kulturtransfers, der sich auf Waffen (armes), Gewohnheiten (coutuˆmes) und Methoden (me´thodes) bezieht303. Inwiefern die kriegsrechtlichen Maximen von Polybios auf die frühneuzeitliche Militärtheorie gewirkt haben, muss noch eingehender untersucht werden. Bei Polybios sind die, vor allem in der hellenistischen Zeit angenommenen Konventionen der Kriegführung, die den schlimmsten Exzessen vorbeugen wollten, ein Teil des gesellschaftlichen Aspekts der Kriegführung. Er bezog sich auf sie als Gesetze des Krieges. Man kann alles tun, um dem Feind zu schaden: Felder verbrennen, Gebäude zerstören und Männer und Herden nehmen; auch Plünderungen sind legitim (vgl. Livius, XXXI, 3–4, der sich auf Polybios bezieht), aber es ist falsch, Tempel zu entweihen (Polybios, IV, 62, 3) und mutwillig Schaden zuzufügen, der nichts dazu beiträgt, die Kriegsziele zu erreichen – so beispielsweise, Bäume und landwirtschaftliche Einrichtungen (XXIII, 15, 1) zu zerstören. Kriege sollten auf Gerechtigkeit basieren (oder sich ihr zumindest nähern) (XXXVI, 2, 3) und erklärt werden (XIII, 3, 4).304 Dergleichen Kriegsgesetze traten zwar bereits in der Republik von Platon auf, aber sie sind weit strenger als der in der Republik dargelegte Code und reflektieren die Bedingungen und Erfahrungen seiner eigenen Zeit.305 Die Arbeiten von Machault und die Edition von Annibal et Scipio verweisen auf die niederländisch-oranische Taktik und Strategielehre. Weit bedeutender war jedoch, dass aus dem skizzierten Forschungszusammenhang die beiden letzten militärtheoretischen Synthesen des nordwesteuropäischen Späthumanismus hervorgingen, die nahezu zeitgleich entstanden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich einer Restitution der Traditionszusammenhänge antiker taktischer Texte annehmen und sich mit der modernen Militärliteratur auseinandersetzen.

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Ebd., S. 203: Maxime 167: »En apres aussi on y apprend, qu’il faut armer les soldats a` proportion, & avec des armes convenables, selon la constitution du paı¨s; car des Estats les uns ont besoin le plus de Cavalerie, les autres d’Infanterie: l’un plus d’une arme´e navale, que champeˆtre: celuy-ci requerra un plus grand nombre de piquiers & mousquetaires, l’autre au contraire. Et dans la qualite´ des armes il faut aussi avoir son chois, & ses loix de meˆme que les Romains, qui ont change´ selon le tems & les lieux, prenant de toutes les nations les armes, coutumes & methodes, qu’ils trouvoient les plus utiles, par ce moien ils sont parvenus a` la Souveraine perfection de faire la guerre.« Walbank: Polybius, S. 90f. Ebd., S. 91.

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e. Die militärwissenschaftlichen Parallelprojekte von Saumaise und Naude´ Zeitgleich zu den Quellenstudien und Interpretationen der römischen militia des Saumaise schrieb Gabriel Naude´, dessen SStM 1637 in Rom erscheinen sollte, am 10. Okt. 1637 aus Rieti an Jacques Dupuy – das SStM war zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt –, dass er zur gleichen Zeit wie Saumaise geplant habe über die Kriegskunst, de arte militari, zu schreiben.306 Dennoch verfolgten sie unterschiedliche Ziele: Peiresc teilte Naude´ mit, dass er, wenn das Syntagma die Veröffentlichung der Milice abwarte, ihm dieses Werk anrate, wenngleich Naude´ selbst sich in seinem Werk weder hinsichtlich der Materie noch stilistisch den Gesetzen der römischen militia (lois de la milice romaine) nähere.307 Peiresc hielt Naude´ offensichtlich auf dem aktuellen Stand über die Quellenstudien des kritischen Philologen Saumaise. Dass Naude´ an Details griechisch-taktischer Methoden nicht interessiert war, wird unter anderem in einem Brief an Peiresc deutlich, in dem er ›Urbicius‹ leichtfertig und fälschlich als ›Corvicius‹ benannt hat.308 In dem SStM erwähnte er das militärtheoretische Anliegen Saumaises als ein konkreteres Projekt: Saumaise werde demnächst die antiken griechischen Militärschriftsteller herausgeben, kündigte er an.309 Naude´ nennt Saumaise damit im Zusammenhang einer Neuveröffentlichung der griechischen Taktiker unter den verdorbenen oder verlorenen Alten (Antiqui deperditi) (Secundus, IV, 7). 306

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Gabriel Naude´ an Jacques Dupuy, Rieti, 10. Okt. 1637. In: Lettres de Gabriel Naude´ a` Jacques Dupuy. 1632–1652. Hg. v. Phillip Wolfe, Edmonton (Alberta) 1982, S. 38: »Je crois avoir eu au mesme temps que M. de Saumaise le dessin d’e´crire de arte militari.« Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, Juli 1636. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 96f.: »Monsieur de Saulmaise n’a garde de publier son traicte´ de la milice tant qu’il aura esperance de voir le petit fragment de l’Orbicius et les aultres que nous avons demande´z parce qu’il ne se contente pas de les faire imprimer tous entiers, il faict sa milice conforme a` leurs regles, qui sont fort differentes de ce qu’on en avoit creu en cez derniers siecles, ainsi que vous le verre´z en son temps, Lipse, Casaubon, et tous les aultres recentz y ayantz faict d’estranges besveües et bien mal pardonnables a` des gentz si doctes qu’eulx. Et si vostre sintagme (sic) eust peu attendre la publication de cet ouvraige la`, je le vous eusse fort volontiers conseille´ pour peu vous entrie´z en la matiere et au destail des loix de la milice romaine principalement.« Naude´ an Peiresc, Rieti, 30. Juni 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 90: »Je vous remercie de la bonne information que m’ave´s donne´e des livres dont se sert M. de Saulmaise. Ce grand nombre de M[anuscrit]s me sembloit bien impossible de la fac¸on que l’on me l’avoit repre´sente´. Maintenant je suis esclairci. Je m’estonne qu’il diffe`re la publication de son livre pour n’avoir veu Corvicius [Urbicius] et les aultres autheurs anciens qu’il desire, d’aultant que c’est chose qu’il pourroit faire imprimer se´pare´ment. Mais j’aime mieux croire que comme tre`s sage et advise il ne vera rien qu’avec bonne raison.« SStM, S. 520: »Salmasii decretis, qui propediem illustratos antiquae militae scriptores graecos editurus est.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Wenngleich es nicht zu einem unmittelbaren Austausch zwischen den beiden französischen Gelehrten kam, so waren beide in Kenntnis der Arbeit des anderen. Am 5. Nov. 1637 schrieb Saumaise aus Leiden an Johannes Beverovicio, dass er ihm das Syntagma Naude´s wieder zurücksende, was darauf hinweist, dass er dieses zwei Monate zuvor von einem Freund aus Paris erhaltene Werk offensichtlich eingesehen hat.310 Anders als die Milice war das Syntagma keine offizielle Auftragsarbeit. Der Hauptförderer des SStM schien nicht der Widmungsempfänger Kardinal Bagni, sondern Peiresc gewesen zu sein. Naude´ sandte ihm das Manuskript Ordo syntagmatis de studio militari cum militare studium referebatur tam ad militem quam ad ducem propterea de utriusque officio. In hoc syntagmate disseritur (BN Ms. f. fr. 9544, fol. 105–108) – eine ausführliche Gliederung des SStM. Naude´ bat Peiresc darum, bei dem Kardinal ein Wort für die Publikation einzulegen.311 Der Kardinal Guidi di Bagno äußerte Skepsis gegenüber den militärwissenschaftlichen Arbeiten seines Sekretärs und Bibliothekars.312 Offensichtlich half das Syntagma Naude´ jedoch sich in der französischen militärtheoretischen Debatte zu positionieren: Mon Syntagma est tellement different du Labeur de Mr Saumaise que, quand bien il seroit maintenant imprime´, je ne croy pas qu’il m’en peust revenir quelque advantage signale´, et neantmoins si je le faisois imprimer a` mes despens, j’attendrois volontiers la publication de l’ouvrage du dit Sr Saumaise; mais Son Eminence me voulant gratifier d’en faire la despence, je croy qu’il est plus seur de ne pas differer a` se prevaloir au plustost de sa bonne volonte´.313

Dass sich die Konstituierung und Konzeptionalisierung militärischer Lehren im Orbit von Peiresc und dem Kabinett der Brüder Dupuy vollzog, und es keine unangefochtene auctoritas, kein Haupt der Gelehrtenrepublik mehr gab, wie etwa Erasmus oder auch Justus Lipsius, dessen militärtheoretisches Werk in der respublica literaria aber bereits zu sei310

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Saumaise an Johannes Beverovicio, Leiden, 5. Nov. 1637. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 269: »Amplissime Domine, Gratia Tibi ago ingentes pro titulis Syntagmatis Naudaei de Re Militari, quos tibi remitto. Duo jam menses eunt ex quo eos ab amico Parisiensi accepi.« Naude´ an Peiresc, Rom, 27. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 53: »j’y ay adjouste´ le contenu de mon Syntagma de studio militari lequel je vous supplie, monsieur, vouloir prendre la peine de parcourir et si vous le treuvez a propos de me vouloir tant obliger que d’en escrire vostre jugement en trois mots a` son Eminence, afin qu’estant desja assez bien dispose´ pour le faire imprimer, cela lui donne encore d’avantage de volente´ de le faire.« Ebd., S. 53f. : »[…] que j’avois mieux rencontre´ qu’elle ne s’estoit imagine´e a` cause de la matie`re si esloigne´e de ma profession et qu’elle croioit que le livre seroit bien receu. Si d’avanture vous juge´s de la pouvoir legitimement confirmer en ceste opinion, je vous prie de le vouloir faire, autrement non.« Naude´ an Peiresc, Rieti, 20. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 89f.

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nen Lebzeiten demontiert worden war, zeigt eine zunehmende Pluralisierung der Wissensordnungen und eine Fragmentierung selbst in einem spezifischen, sich a priori durch nationale Interessen als homogene strategische Kultur ausweisenden Zusammenhang. Die beiden Projekte von Naude´ und Saumaise entstanden nicht nur zeitgleich, sondern es lagen offensichtliche Querverbindungen vor, in dem das Kabinett Dupuy, die Bibliothek von de Thou und die Bibliothe`que du Roi sowie Peiresc einen gemeinsamen wissenschaftsorganisatorischen Rahmen bildeten. Neben dem weitgespannten Netz der Korrespondenz war die Verbindung zu den französischen Bibliotheken und Netzwerkern eine wichtige Bedingung militärtheoretischer Austauschvorgänge. Beiden war nicht nur an einer Restitution antiker taktischer Theorie gelegen, sondern sie knüpften auch an die moderne Militärliteratur an. Die beiden teilten den Forschungszusammenhang und den militärwissenschaftlich-didaktischen Impetus. In Bezug auf Methode und Wissensordnung werden aber die Differenzen zwischen ihnen sichtbar. Doch bevor diese unterschiedlichen militärwissenschaftlichen Ansätze und Inhalte in eigenständigen Kapiteln behandelt werden, soll den Berührungspunkten zwischen den beiden Projekten nachgegangen werden. f. Restitution der Traditionszusammenhänge antiker taktischer Theorie Saumaise und Naude´ treffen sich in der Arbeit an einer Quellenkritik der Handschriften und der Rekonstruktion antiker Traditionszusammenhänge. Naude´ verfuhr dabei summarisch-bibliographisch (SStM, Secundus, V, 7 und Secundus, V, 8)314 und griff viele moderne Autoren auf.315 Saumaise hingegen verfolgte einen hermeneutischen Ansatz (›nach deren Regeln‹). Saumaise und Naude´ berühren sich allerdings in der Kritik der europäischen modernen Interpreten des antiken taktischen Modells. Beide verfolgten eine breitere Herangehensweise, zielten sie doch nicht nur auf eine antiquarische Restitution antiker taktischer Theorie, des römischen strategisch-taktischen Exemplums, sondern wollten auch die Traditionszusammenhänge antiker taktischer und strategischer Theorien freilegen.

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SStM, Liber secundus, IV, 7: Rekonstruktion der Traditionszusammenhänge antiker Militärtheorie; IV, 8: in verborgenen Bibliotheken liegende griechische, arabische, lateinische und vulgärsprachliche Handschriften (Manuscripti in bibliothecis latentes Greci Arabes, Latini,vulgares). SStM, Liber secundus, IV, 9: (gedruckte) Ausgaben antiker Militärtheoretiker; Secundus, IV, 10: Jüngere Autoren, die die militärische Disziplin der Alten darlegen: Gesetze, Institutionen und Krieg zwischen den Völkern.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Saumaise beabsichtigte, sich auf die byzantinischen Taktiker, so Julius Africanus (ca. 160/180–240), Urbicius respektive Maurikios (500 n. Chr.)316, Flavius Mauricius Tiberius (532–602) und Leo VI. (Kaiser von 886 bis 912) zu stützen, das lässt sich zumindest anhand der Korrespondenz verfolgen.317 Sowohl der Korrespondenz als auch dem SStM von Naude´ ist zu entnehmen, dass Saumaise eine Neubearbeitung der griechisch-byzantinischen Taktiker vornehmen wollte. Neben den drei Handschriften (einer lateinischen und den zwei französischen) und der gedruckten Ausgabe, die die Kerntexte der Militärtheorie Saumaises bilden, müssen noch zwei Handschriften, gewissermaßen Rand- respektive Ergänzungstexte genannt werden, die Auskunft über die militärtheoretische Forschungsleistung des Leidener Humanisten geben. Die in Aussicht gestellte Abhandlung über Biton (De Constructione bellicarum

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Alphonse Dain, Jules Albert de Foucault: Urbicius ou Mauricius?, Revue des E´tudes Byzantines, 26 (1968), S. 123: »Il y a plus de trois cents ans que le proble`me dont j’aborde l’examen s’est pre´sente´ devant les philologues. J’espe`re avoir un jour l’occasion de de´crire, a` l’aide de sa correspondance, les multiples de´marches que fit Saumaise pour obtenir de ses correspondants en Italie les copies des traite´s tactiques d’Urbicius et de Mauricius, de´marches que ne facilitait pas la confusion que notre savant faisait entre les œuvres de ces deux auteurs.«; vgl. ebd., S. 133: Dain und de Foucault kommen zu folgender Konklusion: 1. Die Tradition hat die Namen der zwei Taktiker der »haute e´poque byzantine« zusammengefasst; 2. Urbicius lebte in der Regierungszeit Anastasios’ (aller Wahrscheinlichkeit Anastasios I.); 3. Das Tacticon und das Epitedeuma werden Urbicius zugeschrieben; 4. Das Strategicon wird Urbicius oder Mauricius zugeschrieben; 5. Die Auszüge aus dem Strategicon bleiben anonym oder werden Mauricius zugeschrieben; ebd. S. 136: »il faudrait peut-eˆtre tenter d’expliquer pourquoi le Strategicon a e´te´ attribue´ a` tort a` Urbicius dans le Laurentianus et toute la tradition qui en de´coule – tel le Parisinus gr. 2529 –, point de de´part de toute la controverse et occasion de cet article.«; vgl. Richard Förster: Studien zu den griechischen Taktikern, I: Über die Taktiken des Arrian und Aelian; II: Kaiser Hadrian und die Taktik des Urbicius, Hermes 12 (1877). S. 450–457; »(III) Ferner gilt Urbicius als Verfasser eines als ÂΟνομαδι αι bezeichneten Artikels de ordinibus exercitus, der zuweilen auch als ›Wörterbuch der Phalanx‹ citiert wird.« Vermutlich ist dies der Text, den Saumaise unbedingt zur Einsicht haben wollte, vgl. GdKW, S. 143: denn er »handelt von den verschiedenen Unterabteilungen des Heeres und deren Führer und steht unter dem Titel ÆΟρβικι ου τοÃν περιÁ τοÁ στρα τευμα in dem Etymologicum magnum, welches im 12. Jh. redigiert wurde. Endlich (IV) sind in dem medicäischen Codex der Taktiker mit des Urbicius Namen die ungedruckten τακτικαÁ στρατηγικα in Verbindung gebracht, welche schon nach Bandinis Angaben mit der dem Kaiser Mauritius zugeschriebenen Taktik aufs Engste verwandt zu sein schienen. Inzwischen hat Förster die Identität beider Werke nachgewiesen und sie dem Urbicius abgesprochen.« Agne`s Bresson: Guerre moderne et e´rudition. Peiresc et le traite´ de la milice de Saumaise (1635–1637), Hist., Econ., Soc., 11, 2 (1992), S. 189: »Les œuvres de ces quatre auteurs e´taient a` l’e´poque ou` Peiresc se met a` leur poursuite, ine´dites pour une large part. Au reste, Peiresc se me´fiait de l’imprime´ et se reportait toujours a` la source originale. La machine Peirescienne a donc e´te´ mise en marche pour retrouver des manuscrits.«

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machinarum, nach 239 v. Chr.,318 Biton wird von Athenaeus, Deipnosoph zitiert), Athenaeus und Apollodoros (Tactica, &c. cum Strategeticis Athenaei, Apollodori, Bitonis, &c . prope diem emittendam asseverat Luc. Holstenius a` Cl. Salmasio. Sed eorum hactenus nihil prodiit) und eine nicht nur geplante, sondern tatsächlich verfasste Handschrift mit dem Titel De Stipendio Commentariolus, die in die Bibliothek Barberini transferiert wurde.319 Saumaise wollte den Onasander und andere Schriftsteller über die Kriegswissenschaft der Griechen, wie den Aelian, Athenaeus und Apollodoros mit Erläuterungen herausgeben.320 Auch Johannes van Meurs d. Ä. (1579–1639) befasste sich mit der Poliorcetica des Apollodoros und der Mechanica IV von Philon und kopierte sie (1. Hälfte 17. Jh.) (British Library, Harley, 6309). Hugo Grotius schrieb bereits am 29. Sept. 1621 an Vossius, dass er sich von Saumaise die Herausgabe des Onasander erhoffe.321 Das Buch war griechisch mit lateinischer Übersetzung und Noten erstmals von Nicolas Rigault herausgegeben worden (Lutet. 1599) und erneut ex offic. Commel. 1600. In dieser Ausgabe sind nach dem Text und dem εÆ πιτη δευμα des Urbicius zusammengefasst, wovon vier Codices (drei mediceische und einer von dem französischen Philologen Fre´de´ric Morel, 1558–1630) in einem Anhang mitgeteilt sind.322 Daran schließen sich pag. 87 die Anmerkungen des Hellenisten Aemilius Portus (1550–1614) bis pag. 95323 an. Erst dann folgen mit besonderem Titelblatt und Vorrede die Noten des Nicolas Rigault (p. 1 bis p. 97) und zwei Indices.324 Ein eigentlicher Kommentar von Janus Gruter (1560–1627) ist nicht erschienen, sondern nur dessen varii discursus (sive prolixiores commentarii ad aliquot insigniora loca Taciti atque Onosandri. In Bibliopolio Commeliniano, 1604 und pars altera ib. 1605).325 Darin werden einzelne 318

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Vgl. Alphonse Dain: Les strate´gistes byzantins, Travaux et me´moires. Centre de recherche d’histoire et civilisation byzantines, 2 (1967), S. 322. Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 273: »Saumaise l’envoya a` Sorbie`re. Celui-ci le remit a` Joseph Suare`s, Eveˆque de Vaison, qui le fit passer dans la Bibliothe`que Barberine. L’Auteur fait mention de ce Traite´ a` la pag. 242. de son Livre, de re militari Romanorum.« Rathgeber: Onosandros, S. 11. Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 281: »Spem mihi ejus Scritoris (Onosandri) edendi fecit Salmasius, dit Grotius, dans une Lettre a` JeanGe´rard Vossius, du 29. Septembre 1621.« Vgl. Friedrich Haase: Über die griechischen und lateinischen Kriegsschriftsteller, Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, 14 (1835), S. 98. Ebd. Ebd. Onosandri Strategicus, Sive de Imperatoris Institutione Accessit Urbici Inventum, Graece ac Latine: Interprete Nicol. Rigaltio P. cuius item adiiciuntur Notae, Ut Item Iani Gruteri Discursus varii, [Heidelberg], In Bibliopoli Commelianiano, 1604. Enth: Janus Gruterus: Jani Gruteri Varii discursus; Sive Prolixiores Commentarii ad aliquot insigniora loca Taciti. atque Onosandri. – Zu diesem Werk ist

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Stellen aus Onasander angeführt, die nicht erläutert oder kritisch behandelt, sondern ob ihres die politischen Prinzipien betreffenden Inhalts rezipiert werden, um mit ähnlichen Stellen und bestätigenden Beispielen zusammengestellt zu werden.326 Auch die Wiederholung der Ausgabe von Rigault von Jean de Chokier de Surlet (1571–1656) in seinem Thesaurus Politicorum Aphorismorum … Adiunguntur eiusdem Notae, sive Dissertationes in Onosandri Strategicum ad Disciplinam militarem spectantes (Rom 1611, Mainz 1613, Frankfurt 1619, Lüttich 1643, Köln 1653) zeichnet sich durch politische Dissertationen aus.327 Neben Nicolas Rigault haben sich Joseph Justus Scaliger und Isaac Vossius der Onasander-Manuskripte angenommen. So gibt es Varianten eines florentinischen Kodex mit den handschriftlichen Bemerkungen von Scaliger und Vossius, die Nicolaus Schwebel328 (1713–1773) durch Frans van Oudendorp (1696–1761) übermittelt wurden.329 Nicolas Rigault wollte noch eine vollständigere und exaktere Ausgabe des Onasander, als die von ihm geleistete, besorgen. Scaliger und Vossius haben Onasander in beigeschriebenen Bemerkungen verbessert, die sich in der Bibliothek zu Leiden befinden und von Schwebel benutzt werden sollten.330 Unter den in Aussicht gestellten oder begonnenen Werken (Ouvrages promis, ou commences par Saumaise, & dont on croit qu’il n’a gue´res laisse´ que les Titres) wird eine Ausgabe von Onasander331 und eine Herausgabe der

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1605 Pars altera erschienen, vermutlich ist dieser im Titelzitat aber nicht mit gemeint. Das Werk ist Heinrich IV., rex Christianissimus, dediziert; Janus Gruterus’ Discursus ist Jacques Bongars gewidmet. HAB 10. 1 Pol. Vgl. Friedrich Haase: Über die griechischen und lateinischen Kriegsschriftsteller, Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, 14 (1835), S. 98. Ebd., S. 98f. Onosandri Strategicus sive de Imperatoris institutione liber ad codicum manuss. Fidem expressus et ex antiquorum tacticorum potissimum collactione notis perpetuis criticis emendatus … una cum versione gallica liber baronis Zurlauben … ad calcem libri adjecta cura et studio M. Nicolai Schwebelii, …, Nürnberg, C. de Lannoy, 1762. BN Microfilm M–2275; BN R–527. Wissenschaftlicher Herausgeber: Nicolaus Schwebel; Übersetzer: Beatus Fidelis Anton Johann Dominik baron de La Tour Chatillon Zur Lauben. Haase: Über die griechischen und lateinischen Kriegsschriftsteller, S. 98. Rathgeber: Onosandros, S. 12. Die Onasander-Tradition (Strategikon logon) an der Wende vom 16. zum 17. Jh.: Wir verweisen auf Vigene`res in Französisch verfassten Onasander-Kommentar (der 1606 veröffentlicht wurde), auf den Onasander-Kommentar von Rigault (1599, 1604–06), Chokier. Die erste Übersetzung ins Französische durch Charrier in einem Sammelband mit Frontin, Modest, Aelian und Machiavelli (Paris 1546). Im Jahre 1594 vollendete ein gelehrter Artillerist (so Jähns), eine französische Übersetzung und begleitete diesen Art militaire d’Onosandre mit annotations und Exkursen der mannigfaltigsten Art, so dass ein Quartant von 1500 Seiten entstand, der erst nach dem Tode gedruckt und dem Herzoge von Sully zugeeignet wurde (Paris 1605). Erst nach dem Erscheinen all dieser Übersetzungen wurde der griechische Originaltext Onasanders herausgegeben und zwar von Camerarius in Begleitung einer dem Feldhauptmann Lazar v. Schwendi gewidmeten lateinischen

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Mechaniker Athenaeus, Apollodoros, Biton et al. (Tactica, &c. cum Strategeticis Athenaei, Apollodori, Bitonis, &c. prope diem emittendam asseverat Luc. Holstenius a` Cl. Salmasio. Sed eorum hactenus nihil prodiit, Labbe, Bibliotheca nova Mss. in 4°, pag. 181)332 angeführt. Neben Peiresc war demnach auch der Konvertit und Kustos der Vatikanischen Bibliothek Lucas Holstenius eine zentrale Figur des militärwissenschaftlichen Quellentransfers und der Quellenkritik. Insbesondere im Hinblick auf die Kritik des Urbicius leistete er entscheidende Dienste. Die Erstausgabe, die Scheffer besorgte, nahm die lateinische Übersetzung von Holstenius auf (und die Handschrift, die Scheffer als Grundlage seiner Edition diente und die heute dem Upsaliensis 4 entspricht, wurde von Holstenius erstellt). Zweifelsohne hat Holstenius die Bedeutung des Archetpys zur Kenntnis gebracht und ihm eine Notorität verschafft, die jener seit hundert Jahren verloren hatte.333 Neben den antiken Taktikern, darunter den griechisch-byzantinischen Taktikern wie Maurikios, Julius Africanus und Leo VI. widmete sich Saumaise den Taktikern Athenaeus, Apollodoros und Biton. Scaliger war bereits an einer Wiederherstellung des Biton gelegen. In den Codices Scaligerani334 ist eine Schrift von Athenaeus (Athenaeus de Machinis Belli, cum figuris) und Biton (Bito de Constructione Bellicarum Machinarum et Catapultarum, cum figuris) verzeichnet. Die griechischen Mechaniker gehörten zu den meist gelesen und verbreiteten Schriftstellern des Mittelalters.335 Darüber hinaus hatte Saumaise eine Herausgabe von Hyginus (In Hygini Gromatici Librum de Castrametatione) vor.336 Mit seinem geplanten Werk über Biton und Athenaios griff Saumaise The´venot (Mathematici veteres, Paris 1693, S. 105–114: Biton; Athenaeus (1. Jh. v. Chr.), M. The´venot, Mathematici veteres, Paris 1693, 1–12 mit lateinischer Übersetzung) vor, das erst in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts veröffentlicht werden sollte. Neuartig im Hinblick auf die Aneignung antiker taktischer und strategischer Theorie ist im Zeitraum von ca. 1600 bis 1640 die Kritik, die sich auf die Restitution der Traditionszusammenhänge antiker taktischer Theorie bezieht. Saumaise führte chronologische Kriterien ein, um Klarheit über antike taktische Traditionszusammenhänge zu erhalten.

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Übertragung (Nürnberg 1595). Vier Jahre später erfolgte die Pariser Edition von Rigault. Das 17. Jh. scheint das Strategikon logon ganz aus den Augen verloren zu haben (Jähns, GdKW, Bd. 2, S. 1142f.). Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, S. 281. Dain: Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, S. 342. Bibliotheca universitatis Leidensis, Codices Manuscripti, II: Codices Scaligerani (praeter orientales), Lugduni-Batavorum, E. J. Brill, 1910, S. 11. Haase: Über die griechischen und lateinischen Kriegsschriftsteller, S. 112. Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, S. 284.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Naude´ hingegen erstellte eine systematische Bibliographie zur Erfassung der militärtheoretischen Tradition, auf dem Hintergrund seiner systematischen Verbindung von Vegetius und wissenschaftlicher Revolution und deren technischer Kultur, wie sie im italienischen militärischen Humanismus vorgezeichnet war,337 ohne jedoch ganz im Sinne der historia literaria, einer Geschichte der Gelehrsamkeit, die Frage der Traditionszusammenhänge antiker Militärtheorie und deren modernen Kommentatoren zu vernachlässigen. Auch bei Naude´ ist das Bemühen zu erkennen, die Traditionszusammenhänge antiker Militärtheorie zu rekonstruieren. Naude´ führt folgende Zusammenhänge auf: Aelian, Thales Gnosius, Tyrtaios, Demokrit, Demetrius Phalereus, der von Polybios zitiert wird, Pyrrhus und dessen Alexander sowie Kineas, die, ausgenommen des von Cicero gelobten Alexander, von Aelian gelobt werden, Aelian, der Evangelus bekannt war und nach einem Zitat von Plutarch auch der griechische Feldherr Philopoimen (in Euangeli tacticis maximum & indesessum studium ponebat), Stratokles und Herminus (Peripateticus), die sich auf die Taktik des homerischen Zeitalters beziehen und von Aelian gelobt werden, sowie der von Stewechius aufgegriffene Frontinus.338 A. Dain zufolge liegt zwischen der byzantinischen und der antiken Tradition eine ungebrochene Kontinuität vor.339 Der byzantinische Kaiser Leo VI. (866–912; 886–912), genannt der Philosoph, schrieb eine Taktik, die von dem byzantinischen Kaiser Maurikios (582–602) (Strategikon; (Taktika)) inspiriert war. Die allgemeinen Kriegsregeln (regulae bellorum generales) des Vegetius, die durch Maurikios ins Griechische übertragen wurden, wurden darin wiederverwendet.340 Es scheint, dass die Rekonstruktion des römischen Modells sich auf das römische Modell infolge kulturtheoretischer Überlegungen bezieht, was jedoch eine Gesamtsynthese aller antiken Taktiker von den griechischen bis hin zu den byzantinischen anstrebt. Saumaise muss sich mit diesen bereits während der Forschungen zu seiner Synthese über die antike Taktik beschäftigt haben. So griff Naude´ Saumaise in dem Abschnitt des SStM über die in den Bibliotheken verloren gegangenen Schriften auf. Jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Urbicius, um den sich Saumaise sehr bemühte, sondern im Zusam337 338

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Vgl. Richardot: La re´ception de Ve´ge`ce, S. 195–214. SStM, S. 516: »vt inquit Steuuechius ipsius auctoris praefatione[m] in Stratagemata vigilans legerit, fateatur oportet; altos a` Frontino libros scriptos fuisse, quorum nunc vt multorum aliorum iactura` multamur.« Dain: Les strate´gistes byzantins, S. 319. Le´on VI le Sage, Institutions militaires, trad. Joly de Maizeroy, e´d. Liskenne et Sauvn, Bibliothe`que historique et militaire, Paris 1840, t. 2, S. 537–540, zitiert in: Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 143.

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menhang anderer Schriftsteller, so Heron, und stellte ihn bei diesem Bemühen neben Leone Alacci (1586–1669), den Kustos der Vatikanischen Bibliothek.341 Auch rezipierte Saumaise in seiner Arbeit über die griechischen Taktiker Aesculapius (Asklepios).342 Ein weiterer Berührungspunkt ist zwischen Saumaise und Naude hinsichtlich der Quellengrundlagen und des Forschungsanliegens zu konstatieren. Beiden war gleichermaßen an einer Polybios- und VegetiusKritik gelegen. Sowohl Saumaise als auch Naude´ rekurrierten zudem auf nahezu identische Bibliotheksbestände respektive waren über ihre Verbindungen in Kenntnis der jeweiligen Bestände vor allem in Italien und versuchten sich in einer systematischen Rekonstruktion antiker militärtheoretischer Traditionszusammenhänge.343 Naude´ stützte sich auf die Bestände der Bibliothek von Francesco Barberini, der Bibliothek des Kurfürsten von Bayern, der Bibliothek in Wien, der Bibliothek Farnese, Pinelli, (allgemein die italienischen Bibliotheken), Vatikanischen Bibliothek und der Bibliotheca Palatina, sowie der Königlichen Bibliothek in Paris (Regis Bibliotheca). Vor allem die Codices der Vatikanischen Bibliothek waren Naude´ bekannt, die Lucas Holstenius ab 1636 als Kustos betreute. Naude´ bemerkt im Hinblick auf den Taktikerkodex der Vatikanischen Bibliothek, dass dieser offensichtlich dem der Königlichen Bibliothek so gleiche, dass, wenn man den einen eingesehen hat, auch den anderen kenne: Ayant faict parler sous main au sr Holstenius pour avoir quelque information de ces Mss. anciens de re militari qu’il pouvoit avoir veus, il a respondu de n’en sc¸avoir aucun sinon ceux de la Vaticane compris et recueillis ensemble en un gros volume semblable et en tout et partout a` celuy qui est dans la Bibliothe`que du Roy, et que qui a veu l’un a veu l’autre.344

Ungeachtet ihrer systematischen und methodischen Differenz sind die Milice und das SStM Texte, die eine weitere Etappe in der Quellenfor341

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SStM, Secunudus, IV, 8 S. 520: »non mihi tantum assuma[m], vt de ea lite pronunciare velim, sed Allatii mei diatribam opperiar, aut in Salmasii decretis, qui propediem illustratos antiquae militiae scriptores graecos editurus est, tanqua[m] a` quibus prouocare non licet acquiescam, multoque minus in M. S. S. codices qui sub eorum nomine de variis rebus mathematicis, & bellicis circumferuntur inquiram; cum nulla sit bibliotheca paulo instructior, quae non multa opera, sub eiusmodi Heronum nomine in pluteis asseruet, vt indices librorum percurrenti, nihil frequentius occurrat.« SStM, S. 523. Dies Anliegen gehört zum Programm des Abrege´ aber auch des De militari Romanorum von Saumaise; Naude´ behandelt in Buch II, 4, in Abschnitt 7 die ›verdorbenen‹ antiken Autoren (Antiqui deperditis) und in Abschnitt 8 die sogenannten verborgenen Handschriften (Manuscripti Bibliothecis latentis Graeci, Arabes, Latinis, vulgares). Naude´ an Peiresc, Rieti, 20. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 97.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

schung und eine neue Grundlegung der Militärtheorie bezeichnen. Die Korrespondenz Saumaises und seine Texte geben einen Einblick in diesen problematischen taktischen Forschungs- und Interpretationszusammenhang. Dass Naude´ eine wesentlich der taktischen Theorie gewidmete Bibliographie in das Syntagma aufnahm, schreibt sich in dieses Anliegen ein.345 Es gab jedoch nicht nur eine gemeinsame Absicht der beiden, ein offensichtliches militärwissenschaftliches Desideratum zu beheben, das wesentlich in der Erforschung der taktischen Theorie, d. h. der antiquarischen Forschung bestand,346 sondern Peiresc stellte den beiden Autoren auch nahezu identisches Quellenmaterial bereit. Er bat Saumaise, ihm die zur Verfügung gestellten Quellen zurückzuschicken, um sie Naude´ zukommen zu lassen, solange er nicht das ursprüngliche Exzerpt wiedererlangt habe.347 Die beiden korrespondierten sowohl mit Peiresc als auch mit den Brüdern Dupuy. Nachweisbar ist auch die Verbindung Naude´s zu Marin Mersenne (1588–1648), der einen kurzen Traktat über die Ballistik verfasst hatte. 348 Neben Peiresc hatte auch Jacques Dupuy eine Schlüsselposition im Quellentransfer inne. Seine 345

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SStM, Liber secundus, IV, 7: Rekonstruktion der Traditionszusammenhänge antiker Militärtheorie; Secundus, IV, 8: in Bibliotheken verborgene Handschriften ›Manuscripti in bibliotheces latentes Greci Arabes, Latini,vulgares‹; Secundus, IV, 9: (gedruckte) Ausgaben antiker Militärtheoretiker. Zur antiquarischen Geschichtsschreibung vgl. Cochrane: Historians and Historiography, S. 423ff.: Das Studium der Antiquitäten oder Antiquitates, das im 16. Jh. eine eigenständige Disziplin war, gewidmet dem Studium aller Gesichtspunkte der antiken Welt, kann der Geschichte förderlicher sein als die Biographie. Die antiquari, wie sie sich nannten, konnten ebenso wie die Biographen zum Einbrechen der topischen Begrenzungen der Livianischen Historiographie beitragen. Auch sie interessierten sich für politische und militärische Ereignisse. Aber sie interessierten sich auch für die Art, in der das politische Leben organisiert war – seine konstitutionelle Grundlage, sein rechtliches Leben, seine öffentlichen Zeremonien und Festivitäten, sein Verwaltungssystem. Sie untersuchten die Organisationsweise der Armee, die Methoden der Kriegsführung, die Schlachtenpläne, die Marschrouten der Legionen, die Beziehungen zwischen Soldaten und Befehlshabern; ebd., S. 425: Die eigentliche Neuerung der antiquari war, dass sie nichtliterarische Überreste aus der Vergangenheit in den Rang von historischen Dokumenten erhoben. Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, 8. Jan. 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 103: »Mais j’ay prie´ Monsieur de Saulmaise de me renvoyer ce que je luy en avois communique´ et l’attendz d’heure a` aultre pour vous en faire part si plustost je ne rencontre mon extraict primitif ou je foudrois bien que vous peussie´z trouver dequoy vous satisfaire.« Philippe Tamizey de Larroque: La vie et lettres ine´dites du P. Mersenne a` Peiresc, Revue historique et arche´ologique du Maine, 32 (1892), S 280; 333 (1893), S. 211; 34 (1894), S. 92, 324; 35, (1895), S. 92, 188; Robert Lenoble: Mersenne ou la naissance du Me´canisme, Paris 1971; Marin Mersenne (1588–1648): Ballistica, et acontismologia, in qua sagittarum, jaculorum, & aliorum missilium jactus, & robur arcuum explicantur, Paris, sumptibus Antonius Bertier, 1644. Mersenne rezipierte Galileo Galilei: Trad. Galileo Galilei: Les Me´chaniques de Galile´e,…avec plusieurs additions rares et nouvelles, Paris 1634; Trad. Galileo Galilei, Les Nouvelles pense´es, Paris 1630.

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Verbindungen reichten von Saumaise und Naude´ auch zu Rohan.349 Die Handschriftenforschung und der Zirkel des Kabinett Dupuy waren aufs Engste verwoben.350 Eine weitere im Kabinett verkehrende Person war Hugo Grotius.351 Grotius, dessen beide Söhne in der französischen Armee dienen sollten, korrespondierte von Holland und Hamburg aus mit den Brüdern Dupuy, Jean de Cordes, Claude de Saumaise und NicolasClaude Fabri de Peiresc: Er fühlte sich in ihrem Zirkel zu Hause, weil die Mitglieder eine tolerante Haltung pflegten.352 In seiner Korrespondenz zeigte er sich sowohl über das Militia-Projekt Saumaises353 als auch über den Parfaict capitaine354 informiert und nahm an deren Entwicklung Anteil. 349

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Vgl. Clarke: Huguenot Warrior, S. 180: Am 20. Juli 1629 brachen Rohan und Jacques Dupuy, der ehemalige Konsul von Montauban, von Toulon aus nach Italien auf. Boitano: Naude´’s advis pour dresser une bibliothe`que, S. 14: Naude´ sah die Leser seiner idealisierten Sammlung in den Richtern, Doktoren, Rechtsgelehrten und anderen Mitgliedern der Robe, die das Cabinet Dupuy frequentierten. Diese gelehrten Libertins hatten einen unersättlichen Durst nach jeder Art von seltenen Handschriften. Grotius war ca. 1621 nach Frankreich geflohen, wo er zum Botschafter Schwedens ernannt wurde. Henk Nellen: The Correspondence of Hugo Grotius. In: Christiane BerkvensStevelinck et al. (Hg.), Les grands interme´diaires culturels, S. 146; ebd. 146f.: »Finally, he also subscribed to the political convictions of the Dupuy brothers, who defended the liberties of the Gallican Church against the Papacy in voluminous publications, favoured a strong monarchy without impairing the traditional prerogatives of institutions like the Parliaments and abhorred the repressive regime of the royal favourite Cardinal Jean-Armand du Plessis de Richelieu.« Grotius an Saumaise, 11. Juni 1635. In: BW, Bd. 6, Den Haag 1967, S. 23; Grotius an N. van Reigersberch, 18. Juni 1635. In: BW, Bd. 6, S. 34: In diesem Brief äußert Grotius seine Ansichten über den Streit (vermutlich mit Heinsius), in dem sich die Kuratoren gegen Saumaise aussprachen. Das Interesse Friedrich Heinrichs an der Militia Saumaise ermöglichte ihm in Holland allerdings ein Bleiberecht. Grotius denkt an einen Umzug Saumaises nach Den Haag, bei dem Rivet einiges bewirken könne. Grotius an N. van Reigersberch, 10. Okt. 1636. In: BW, Bd. 7, Den Haag 1969, S. 433: »Rohan – qui nobis librum edidit ›le capitaine parfaict‹«; ebd. S. 440f.: »Rohanius ad Iulii Caesaris res scripsit observata lectu digna boni ducis formam continentia.«; Grotius an Oxtenstierna, 16. Okt. 1636. In: ebd., S. 444: »Dux Rohanius non satis habens exemplo instruere milites addidit et librum, quo ex Caesaris Iulii rebus gestis [C. Julius Caesars Commentarii De Bello Gallico] utilia profert documenta.«; Grotius an L. Camerarius, 17. Okt. 1636. In: ebd., S. 446: »Dux Rohanius, cum ad res agendas multa ei desint, suo exemplo probat non esse eam fortunae vim, ut eripere sapienti possit, ne se utilem publico praestet. Edidit nobis Commentarium in Commentarios Caesaris, dignum opus est se et Caesare, quo perfectissimum ducem – is libri titulus est – et describit et facit.«; Saumaise an L. Camerarius, 27. Nov. 1636. In: ebd., S. 530: »Proficisentem ad Batavos nobilem Suedum D. Sternschildium [Clas Stjernsköld, later Zweeds koniklijk commissaris in de provincie Västmanland] rogavi, ut ducis Rohanii novum lectuque dignissimum opus ad ter perferret.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Das SStM wurde nach dem Erscheinen Nicolas Rigault, Hugo Grotius, Jean de Cordes, L’Huillier, La Motte, dem reformierten Theologen Giovanni Diodati, Marin Mersenne, Tommaso Campanella und weiteren nicht genannten vorgelegt, wie Naude´ am 10. Okt. 1637, nach Vollendung des Syntagma, Dupuy mitteilte.355 Auch Saumaise wurde eine Kopie der Handschrift des Syntagma von Jacques Dupuy übermittelt, der, wie Naude´ am 30. Nov. 1637 anmerkte, diese zu früh sähe, so dass er sich über seine Mängel amüsieren werde.356 Am 20. Jan. 1638 schrieb Naude´ an Jacques Dupuy, dass seine Eminenz ihm zugesagt habe zu schreiben, dass er ihm von den griechischen Handschriften Bericht erstatte, die der Ausgabe der antiken Taktiker Saumaises dienen könnten und um dem nachzukommen, böte er ihm seitens seiner Eminenz einen ganzen Urbicius.357 Der Parfaict capitaine Rohans war allerdings Naude´ bekannt. Peiresc hatte ihn auf das 1636 publizierte Werk hingewiesen: Man spreche von einem neuen Buch, das sie aber noch nicht erhalten haben, und das den Titel Parfaict capitaine trage und sich nach der Geschichte (histoire) und den Maximen (maximes) des Julius Caesar richte. Er habe davon aus Italien zwei Exemplare angefordert.358 1637 äußerte Peiresc gegenüber Dupuy, dass er sich an De Cordes über eine Kommission gewandt habe, mit der er ihn gegenüber dem ersten Präsidenten beauftragt habe. Er habe sie begeistert über ein neues Buch, den Parfait capitaine von Rohan in Kenntnis gesetzt, das der Präsident gerne Lanson zeigen möchte. Er seinerseits benötige ebenfalls ein Paar, um es Naude´ zukommen zu lassen, der sehr genau in seinem Urteil über Neuerscheinungen sei.359 Am 27. Jan. 1637 bestätigte Peiresc Dupuy den Erhalt des Parfaict capitaine.360

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Gabriel Naude´ an Jacques Dupuy, 10. Okt. 1637. In: Lettres de Gabriel Naude´ a` Jacques Dupuy. 1632–1652, S. 38. Rieti, 30. Nov. 1637. In: ebd., S. 43: »la verra que trop toˆt pour se rire de mes imperfections.« Ebd., S. 45: »son Emminence ajouta ensuite qu’elle vous e´crivait que je vous donnerais relation des MS grecs qui pourraient servir a` l’e´dition des auteurs tactiques de M. de Saumaise. A quoi pour obe´ir, je vous offre, Monsieur, de la part de Son Eminence, un Urbicius entier.« Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, 8. Jan. 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 102: »Il se parle d’un livre nouveau que nous n’avons pas encore veu icy de la fac¸on de Monsieur le duc de Rohan soubz le tiltre du Parfaict Cappitaine qui est moulle´ sur l’histoire et les maximes de Jules Cesar. J’en ay envoye´ querir deux exemplaires pour le faire passer les montz a` vostre consideration principalement.« Peiresc an Naude´, 1637. In: Lettres de Peiresc aux fre`res Dupuy. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Bd. 3, S. 625f.: »J’avoys escript un mot a` Mr de Cordes sur une commission qu’il m’avoit baille´e envers Mr nostre Premier Presidant; il nous faisoit feste d’un livre nouveau intitule´ le parfaict cappitaine de Mr de Rohan que Mr le Premier Presidant a bien envie de voir et Mr de Lauson; il nous en fauldra une

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Ergebnis dieser parallelen, von Peiresc in Ansätzen koordinierten Forschung der beiden französischen Humanisten, scheint nicht nur das Aufgreifen der byzantinischen Taktiker, der problematisch gewordenen Vegetius-Tradition und der Polybios-Tradition, sondern auch die Onasander-Rezeption zu sein.361 Dabei liegt insbesondere nicht nur hinsichtlich der Quellenforschung, sondern auch der Quellenkritik bei Peiresc, Naude´ und Saumaise ein Zusammenhang vor. Saumaises Milice bezieht sich auf alle griechischen und lateinischen Militärschriftsteller.362 Neben dem Kommentar von Saumaise kann das SStM von Gabriel Naude´ (1637), der an der weiteren Entwicklung der Antikerezeption partizipierte, als Symptom dieser neuen philologischen Anstrengung gewertet werden, die aus einem offensichtlichen taktisch motivierten Krisenbewusstsein zu erwachsen schien und dem Bedürfnis der sich formenden absolutistischen Herrschaft einer Komplementarität von sich ausbildender absolutistischer Doktrin und militärtheoretischer Grundlagenforschung entgegenkam.363

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coupple s’il vous plaict, pour en despartir a` Mr Naude´ qui est bien exacte en ses advis des livres nouveaux. Je vous remercie bien humblement de la participation d’iceulx et des aultres lettres de Rome que je vous renvoye.« Ebd., S. 637: »Je vous remercie bien humblement du soing de me faire voir le livre de Mr de Rohan [Le Parfaict capitaine].« Vgl. Dain: Les strate´gistes byzantins, S. 327f.: über die Onasander-Tradition werden Naude´ und Saumaise gleichermaßen unter den Studien (gemeint sind vermutlich die Kommentare) zu Onasander aufgeführt: Gabriel Naude´: Syntagma de studio militari (Rom 1637) aufgegriffen in: Gabriel Naude´: Bibliographia Militaris. Hg. v. Georg Schubart, Jena, Nisius, 1683; Thomas Theodor Crusius: De eruditione comparanda in Humanoribus, Vita, Studio Politico, Cognitione Auctorum Ecclesiasticorum, Historicorum, Politicorum ac Militarium, Leiden 1699, S. 170, 570ff.; reprise du Syntagma de Naude´; Cl. Salmasius: De re militari Romanorum, Leiden 1657; aufgegriffen von J. G Graevius: Thesaurus antiquitatum romanorum. 1. X. S. 1389. Ebd. Vgl. Boitano: Naude´’s advis pour dresser une bibliothe`que, S. 5–19; H. Ostrowiecki: La Bible des Libertins, Dix-Septie`me sie`cle, 49, 1 (1997), S. 43–55; A. Gionfrida: Gabriel Naude´. Bibliotecario di Mazzarino, Dimensioni et Problemi della Ricerca Storica, 1 (1994), S. 146–168; D. Taranto: Libertinismo et assolutisimo, un rapporto critico?, Pensiero Politico, 22, 2 (1989), S. 264–277. Über den ideologischen Aspekt: Roger Zuber: Libertinage et Humanisme. Une rencontre difficile, Dix-Septie`me Sie`cle, 32, 2 (1980), S. 163–179: »other than Pierre Gassendi, the two great early 17th century ›libertine‹ personages were La Mothe Le Vayer and Gabriel Naude´; they were also humanists. This connection of libertinism and humanism was not something to be expected; rather it was very unusual. Other learned humanists like Sorel and Balzac were not libertins.«; Paul Oskar Kristeller: Between the Italian Renaissance and the French enlightenment: Gabriel Naude´ as an editor, Renaissance Quarterly, 32, 1 (1979), S. 41–72; Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle. 2, La Mothe Le Vayer et Naude´, journe´ d’e´tude organise´e par Anthony Mc Kenna,…et Pierre-Franc¸ois Moreau,…publ. par l’Institut Claude Lon-

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Saumaise verfolgte hinsichtlich der restitutio einen breiteren Ansatz. Viele der von ihm recherchierten Autoren haben keine oder nur eine bedingte Relevanz für die Synthese der römischen Taktik: Asklepiodotos, Biton, Athenaeus, Apollodor, Polybios, Vegetius, Maurikios, Julius Africanus (1637), Frontinus, Hyginus, von dem er eine Ausgabe plante (in Hygini Gromatici Librum de Castrametatione) und den er im Abre´ge´ synoptisch mit Vegetius liest, Onasander, den er bereits 1622 erforschte und von dem ebenfalls eine eigenständige Ausgabe vorgesehen war. Gegenstand seiner Quellenforschung waren die Handschriften von Vegetius – eine davon befindet sich in der Sammlung von de Thou –, Polybios, von dem Peiresc Exemplare beschaffte, Urbicius, der in italienischen Bibliotheken verborgen sein solle, und Julius Africanus. Keiner der von Saumaise gesuchten (byzantinischen) Taktiker, wie Julius Africanus (ca. 160/180–240), Maurikios (582–602), Mauricius Tiberius (532–602), Leo VI. (Kaiser von 886–912)364 taucht in der französischen Fassung, dem Abre´ge´, auf, wo er sich wesentlich auf Polybios, Titus Livius, Vegetius, Hyginus, Caesar, Frontinus und Tacitus bezieht. Die Kritik des Vegetius, der als Kompilator auf eine Fülle von Traditionszusammenhängen verwies, und des Polybios, zu dessen Zeit die entscheidende Zäsur in der römischen Taktik auftrat, wie sie bereits Blaise de Vigene`re gesetzt hat, muss in diesem taktischen militärtheoretischen Zusammenhang verortet werden. Der ordo der griechischen Autoren war offensichtlich schlecht überliefert.365 Auf diesem Hintergrund ist das Bestreben Saumaises zu verstehen, sich der griechisch-byzantinischen militärtheoretischen Tradition, aber auch der römischen militärtheoretischen Überlieferung anzunehmen und dabei die Traditionszusammenhänge antiker taktischer Theorie herauszuarbeiten. Die militärtheoretischen Quellenforschungen, die in der gelehrten Korrespondenz Saumaises Erwähnung finden, beziehen sich neben anderen auf Vegetius und Urbicius. Auch den Text von Polybios erachtete

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geon Renaissance et aˆge classique, Saint-Etienne 1997. Zum Thema der Staatsraison: J.-P. Cavaille´: Gabriel Naude´. Les Conside´rations politiques sur les coups d’E´tats: une simulation libertine du secret politique?, Libertinage et Philosophie au XVIIe sie`cle, 2 (1997), S. 105–129; H. Stenzel: Apories de l’humanisme et raison d’E´tat dans le Mascurat de Gabriel Naude´. In: Marcel Gauchet et al. (Hg.), Miroirs de la Raison d’E´tat, Cahiers du Centre de recherches historiques, n° 20, avril, S. 79–96; R. Damien, Y. Ch. Zarka (Hg.), Gabriel Naude´: La politique et les mythes de l’histoire de France (Corpus. Revue de philosophie, N° 35), Paris 1999. Vgl. Bresson: Guerre moderne et e´rudition, S. 188f. PC, S. 145.

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er als »verdorben«366. Von Vegetius367 lägen zwei Handschriften in Dijon vor sowie diejenige, die unter dem Namen ›Modestus‹ in gedruckter Fassung vorliegt und die in dessen Handschrift als die des Tullius bezeichnet wird, welcher ihm der beste überlieferte Autor ›dieser Profession‹ scheint368. Neben Vegetius galt es vor allem Urbikios (Urbicius) im Kontext antiker Traditionszusammenhänge wiederzuentdecken.369 Sicherlich stellt DRMR von Saumaise einen Versuch dar, dieses Defizit zu beheben. In einem Brief an Peiresc schrieb Saumaise370, dass einem Epigramm zufolge, ein bestimmter Autor vollständig von allen Veränderungen und Bataillonsformen der alten und modernen militia handele (»Cet Autheur, a` ce que dit l’Epigramme, traittoit pleinement de tous les changemens & de toutes les formes de bataillons usite´es en l’ancienne Milice & en la moderne«371). Saumaise war zu diesem Hintergrund an 366

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Milice, fol. 135: »Polybius corrompu«; vgl. auch Henri de Valois, Seigneur d’Orce´: Trad. et Annot. Polybe de Me´galopolis. Polybii, Diodori Siculi…Parisiis 1634. 2. exp. BN [J. 3269 und Re´s. J. 1543, weitere Ausgaben: – Amsterdam 1670. 3 vol. J.12414–12416 und – 1763–64. Milice, fol. 81. Peiresc, an Naude´, Aix-en-Provence, 8. Jan. 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 101: »deux exemplaires mss. en ceste ville, mais aussy de celluy qui se trouve imprime´ soubz le nom de Modestus lequel set qualiffie´ TULLIUS en mon mss. et est ce me semble des meilleurs autheurs de ceste profession, pour ce peu qui nous en reste.« Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637. In: Les correspondants de Peiresc, 1972, Bd. 1, S. 288 [318]: »Je porte encore avec une grande impatience l’effet de la promesse qu’on vous a faite, touchant les tactiques d’Urbicius et les chapitres de l’Africanus.«; S. 289f. [319f.]: Maurikios; S. 290f. [320f.]: »vostre manuscrit de Ve´ge`ce avec Tullius, qui en a fait l’abre´ge´, que nos e´ditions donnent a` Modestus ne l’avoit point emprunte´ de Ve´ge`ce, mais qu’il l’avoit puise´ de la mesme source que l’autre; ce qui faisoit qu’ils se rencontroient si bien, car il est certain que Ve´ge`ce n’a pas un seul mot du sien, qu’il n’ait pesche´ de l’autrui. Je vous suplie donc de m’envoyer le vostre par M. de Saint-Sauveur.« Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 73f. Ebd.: »Il se trouve dans les Bibliotheques d’Italie un livre intitule´ τακτικαÁ ÆΟυρβικι ου, duquel il nous est reste´ un fragment qui traicte des Ordres Militaires, & en expose´ seulement les noms. Cet Autheur vivoit du temps d’Anastase, & par le commandement de l’Empereur avoit mis au jour & interprete´ un livre de l’Empereur Adrian, qui traictoit de la Milice. Quelques uns l’attribuent mesme a` Trajan, & voici le tiltre que j’en ay trouve´ dans un ancien M.S. sur un Epigramee fait a` la loüange d’Urbicius & de son Ouvrage […]. En ce temps la` la Milice Romaine a este´ en son plus grand lustre, & bien differente de ce quelle estoit du temps de la Republique, & de la forme qu’elle a eu sous l’Empire Grec. Cet Autheur, a` ce que dit l’Epigramme, traittoit pleinement de tous les changemens & de toutes les formes de bataillons usite´es en l’ancienne Milice & en la moderne. Ie me promet tant de bien & de bon heur, que de le pouvoir recouvrer par vostre moyen. Il esclairciroit une infinite´ de choses que je ne vois qu’a` tastons. Je les vois bien pour moy, mais j’auray peine de les persuader a` d’autres, tant elles sembleront paradoxes. Nous avons dans les livres de la B. R. quelques chapitres des κεστοι [Kesten] de Julius Africanus concernans l’Art Militaire, mais le malheur a voulu, qu’il n’en est demeure´ que 3. ou 4. ou` le Catalogue en promet plus de 30. Le Strategicon de Mau-

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einer Restitution antiker taktischer und strategischer Theorien gelegen. Davon berichtet auch sein Zeitgenosse Naude´.372 Die Hinwendung zu Vegetius, die mit intensiver Quellenforschung verbunden war, teilte Saumaise mit Claude Fabri de Peiresc und Gabriel Naude´. Als das Syntagma bereits druckfertig war, schrieb Peiresc an Naude´, dass ihm nichts zwischen die Finger gekommen sei, was nicht bereits bekannt wäre. Er habe Saumaise gerade noch rechtzeitig angewiesen, die Kopie dessen, was er ihm dazu notierte, zurückzuhalten und er gebe Naude´ davon ein Exzerpt, damit er im Vatikan oder der Bibliothek des Kardinal Francesco Barberini oder auch woanders weitere Handschriften und auch von dem andern Autor recherchiere, die der Wiederherstellung bzw. der Korrektur der Fehler der Betitelung dieser Bücher dienen könne und besonders der Namen der Autoren, die daran gearbeitet haben, von deren wahren Qualitäten und woraus diese ihre militärischen Instruktionen und Reglements gezogen haben.373 Peiresc erhoffte sich von Saumaise, dass er die wahre ›gräfliche‹ Qualität des Vegetius zu entschlüsseln vermöge.374

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ritius est pareillement imparfait. Les Tactiques de Leon fort corrompue¨s, & ne traitent que de la Milice de leur temps, qui ne faisoit plus estat que de la Cavallerie ce qui a trompe´ le povre Franciscus Patricius, qui a pris ce qu’il en a escrit, comme s’il eust parle´ d’Infanterie.« SStM, S. 520, S. 61: »non mihi tantum assuma(m), vt de ea lite pronunciare velim, sed Allatii mea diatribam opperiar, aut in Salmasij decretis, qui propediem illustratos antiqae militiae scriptores graecos [Kaiser Leo, Mauritii strategicorum libri duodecim / 12. Buch des Strategikon von Maurikios] editurus est, tanquam a quibus prouocare non licet, acquiescam, multoque minus in M.SS. Codices, qui sub eorum nomine de varijs rebus mathematicis & bellicis circumferuntur inquiram; cum nulla fit bibliotheca paullo instructior, quae non multa opera, sub eiusmodi Heronum nomine in pluteis asservet, vt indices librorum percurrenti, nihil frequentius occurat.« Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, 8. Jan. 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 100f.: »Mais il ne m’est rien tombe´ en main de ceste matiere qui ne soit du commun, et que vous en trouvie´z par tout hors de deux ou trois chetifz mots dont je donnay l’advis directement a` Monsieur de Saumaise concernant le tiltre et qualite´z non seulement du Vegece dont nous avons deux exemplaires mss. en ceste ville, mais aussy de celluy qui se trouve imprime´ soubz le nom de Modestus lequel est qualiffie´ TULLIUS en mon Ms. et est ce me semble des meilleurs autheurs de ceste profession, pour ce peu qui nous en reste. Je fis a` la bonne heure quand j’en escripvis a` Monsieur Saulmaise de retenir coppie de ce que je luy en avois remarque´ dont vous aurez icy l’extraict, aux fins que vous regardiez si dans le Vatican ou en la bibliotheque de l’Eminentissime Cardinal Barberini ou ailleurs il n’y auroit pas d’aultres mss. et de l’aultre autheur qui peussent ayder a` la restauration de ce qu’il y a de corrompu en l’intitulation de sez livres, et particulierement du nom des autheurs qui y ont travaille´ et de leurs vrayes qualite´z et de ceux ou` ilz avoient pesche´ leurs instructions et reglementz militaires.« Ebd., S. 102: »et me tardera d’avoir la responce de Monsieur de Saulmaise sur cela croyant qu’il deschiffrera sans doubte la vraye qualite´ comtale du Vegece qui avoit este´ industrieusement obmise sans doubte par ceux qui en ont faict les premieres editions pour n’avoir sceu corriger la faulte qu’ilz ont trouve´e dans leurs Ms.en

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Zwei Jahrhunderte später hat der Altphilologe F. Haase (1834) auf die Notwendigkeit und gleichzeitige Schwierigkeit einer sachlichen Kritik bei Vegetius aufgrund des Mangels sicherer Quellen hingewiesen: Man solle daher zunächst »mit der Wortkritik ins Reine kommen«; aber auch dies habe große eigentümliche Schwierigkeiten, weil Vegetius im Mittelalter sehr viel gelesen und abgeschrieben worden sei und dadurch einen »äußerst schwankenden Text« bekommen habe. Die bisherigen Bearbeiter haben nicht wenige, teils sehr alte Handschriften benutzt; indes haben sie dies weder genau getan, wie es die frühere Sitte mit sich brachte, noch haben sie über die Kritik des Vegetius überhaupt richtige Ansichten und Grundsätze gehabt, und so sei es denn, trotz des mannigfach vorliegenden Materials keine leichte Aufgabe den Text des Vegetius mit einiger Sicherheit seiner ursprünglichen Gestalt möglichst nahe zu bringen. Außer den in den Ausgaben mitgeteilten, meistens nachlässigen Kollationen hat Franciscus Oudendorp in den Miscell. Observatt. (Amsterdam, IV, 3; VII, 1, 2, 3; VIII, 2, 3; IX, 1, 2, 3) schätzbare Bemerkungen geliefert.375 Der Zeitpunkt der Revision der Vegetius-Rezeption könnte, so die Auffassung Peirescs, nicht günstiger sein, zumal sie im Rahmen des Militia-Projekts Saumaises geleistet werden könne.376 Dieser Generation von Philologen und Antiquaren, die späthumananistische Kritik von Lipsius hinter sich ließ, kam es darauf an, Vegetius für die Erforschung taktischer Traditionszusammenhänge fruchtbar zu machen. Ein wichtiges Motiv erschien dabei die Wiederherstellung des Archetypus der ERM.

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cela. C’est pour quoy il en fault voir a` ceste heure tant qu’il s’en pourra trouver, pour voir si la corruption pourra estre moindre aux uns qu’aux aultres, ou s’il ne s’en rencontreroit pas aulcun bien correct qui ne nous y laissast rien desirer.« Haase: Über die griechischen und lateinischen Kriegsschriftsteller, S. 117. Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, 8. Jan. 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 102: »Ceste perquisition ne se pouvant faire plus a` propos qu’en ceste conjoncture de l’edition que Monsieur de Saulmaise medite de tous cez bons autheurs tant grecz que latins a` la suitte ou en consequence de son ouvraige en telle matiere, ou` il auroit mis la derniere main s’il n’attendroit la veue des auteurs que vous scave´z, et dont nous attendons encores plus ardemment que luy les coppies que l’on nous faict esperer, et dont je n’ose pour tant presser l’expedition crainte de me rendre par trop importun.«

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g. Die Kritik (französischer) Gelehrter an Lipsius’ De militia Romana und die Intertextualität von Polybios und Vegetius Der französische ›Sonderweg‹ im 16. Jahrhundert: Verknüpfung von Griechischstudien und Methodenlehren Der kritische Zusammenhang, der sich in den 1630er Jahren verdichtete, hatte seine Wurzeln nicht zuletzt in der frühen Beförderung der griechisch-byzantinischen Forschungen und Studien in Frankreich. Insbesondere die Restitution und Interpretation des Polybios, die im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts mit der wissenschaftlichen Edition Isaac Casaubons (1609) einen Höhepunkt erreichte, sah sich in einen komplexen humanistischen Zusammenhang eingebunden.377 Der doxographische Stoizismus Lipsius’, der sich mit dem nachtridentinischen Katholizismus verband, kontrastierte mit der durch J. J. Scaliger und Isaac Casaubon praktizierten Philologie sowie allgemein den Auffassungen der französischen Calvinisten und Politiker. Die Philologie der großen Gelehrten, die mit Guillaume Bude´ (1468–1540), der mit Janus Lascaris (Ioannes Laskaris, 1445–1534) in Verbindung gestanden hatte,378 J. J. Scaliger, Isaac Casaubon, Denys Lambin, Jacques Cujas und Henri Estienne, die Frankreich zum Land der Gelehrsamkeit machten, schien eher die Fortführung der Schulen von Byzanz und Alexandria zu sein, als auf eine von Italien ausgehenden Bewegung zurückzugehen, wie Börje Knös anmerkt.379 Große Teile der Handschriftensammlung von 377

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Jehasse: Renaissance de la critique, S. 8ff.: Die Hauptzüge dieser Weltsicht der großen gelehrten Humanisten schildert Jehasse folgendermaßen: Mangels Zirkeln, die eine solch magistrale Form annahmen wie die Acade´mie Pue´tane, blieben die Wechselfälle der Karrieren und ihre geistigen Verbindungen oder Gegnerschaften, die Konflikte über die Interpretation des Polybios hervorriefen, über den Rückgriff auf die griechische Literatur und die orientalischen Sprachen, über die Wahl oder die Ablehnung der von Lipsius eingeführten ›Senecanismus‹ (se´ne´quisme). Um diese Perspektiven, die gegenwärtig überraschend erscheinen mögen, besser darzustellen, bedarf es eines Exkurses: die Schlüsselartikel des Thesaurus, der Augustinismus der Acade´mie du Palais, der Mythos von Homer als eines Theologen et al., führen direkt in die Mentalität der Zeit. Börje Knös: Un ambassadeur de l’he´llenisme – Janus Lascaris – et la tradition gre´co-byzantine dans l’humanisme franc¸ais, Uppsala-Stockholm-Paris 1945, S. 94; vgl. auch: Abel Franc¸ois Villemain: Lascaris, ou les Grecs du quinzie`me sie`cle, suivi d’un essai historique sur l’e´tat des Grecs, depuis la conqueˆte musulmane jusqu’a` nos jours, Paris 1825. Vgl. ebd., S. 222; vgl. Seidel: »Europa Humanistica«, S. 122f., S. 130f.; J.-F. Maillard, J. Kecskeme´ti, C. Magnien, M. Portalier: La France des Humanistes. Helle´nistes I, Turnhout 1999. Zur Philologie in Frankreich zur Zeit Bude´s vgl. Bettina Rommel: Art. ›Frankreich III. 16.–18. Jahrhundert‹. In: Manfred Landfester et al. (Hg.): Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 14, Stuttgart-Weimar 2000, Sp. 5–61, Sp. 30: »Die philol.-methodische Ausrichtung der Lehre stellt zusammen mit der Betonung des Griechischen

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Janus Lascaris waren in die Bibliothek des französischen Königs gegeben worden, in der sie der Gründung und Entwicklung der griechischen Tradition förderlich waren.380 Guillaume Bude´ hatte die zwei Traktate Plutarchs De Fortuna Romanorum und De Alexandri fortuna uel uirtute und einen Brief von Sankt Basilaeus an Gregor von Nizäa De tranquillitate animi übersetzt. Das waren die ersten Übersetzungen aus dem Griechischen in Frankreich, und mit ihnen fanden die byzantinische Tradition und der byzantinische Stil Eingang in die französische Kultur.381 In der langen Reihe der der Lexikographie und der Grammatik gewidmeten Artikel, die sein die Renaissance der griechisch-lateinischen Studien in Frankreich einleitenden Commentarii linguae graecae (1529) enthielt, schöpfte Guillaume Bude´ nicht nur aus der ihm bekannten klassischen griechischen Literatur, sondern auch aus zahlreichen Werken der byzantinischen Epoche.382 Eine philosophische Ausprägung findet der um die byzantinische Tradition bereicherte Hellenismus in seiner Schrift De transitu hellenismi ad christianismum (1535).383 Der Byzantiner Janus Lascaris, der von Franz I. und Lorenzo di Medici gleichermaßen protegiert wurde, stand nicht nur am Beginn der griechischen Kultur Frankreichs, weil er sich um die Einrichtung der Bibliothek von Blois kümmerte, für die er die Handschriften erwarb.384 Er hat 1529 auch die lateinische Fassung mit einem griechischen Exzerpt des VI. Buches der Historien des Polybios herausgegeben, worin die Verfassung der römischen Armee dargelegt ist. Der Hellenismus bildete eine starke Strömung in der französischen philologischen und philosophischen Kultur.385 An der Wende vom 16.

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in F. eine Neuheit dar. Im Pariser intellektuellen Milieu zeitigt diese Verbindung große Wirkung v. a. für die Erschließung der bislang wenig bekannten griech. Autoren. […] In Zusammenarbeit mit den Pariser Druckern werden ab den 40er Jahren die Grundlagen für die umfassende Erschließung der griech. und lat. Originaltexte gelegt.«; Weiterführendes: Marie-Madeleine de la Garanderie: Christianisme & lettres profanes. Essai sur l’Humanisme franc¸ais (1515–1535) et sur la pense´e de Guillaume Bude´ (E´tudes et Essais sur la Renaissance, 9), Paris 21995; Gilbert Gadoffre: La re´volution culturelle dans la France des humanistes. Guillaume Bude´ et Franc¸ois Ier (Titre courant, 8), Genf 1997, S. 285f. Knös: Un ambassadeur de l’he´llenisme, S. 217. Ebd., S. 95. Ebd., S. 210. Vgl. Guillaume Bude´: Le passage de l’he´llenisme au christianisme. Hg. v. MarieMadeleine de la Garanderie (Les classiques de l’humanisme: Textes, 9 [i.e.] 8), Paris 1993. Vgl. Henri Osmont: Les Manuscrits Grecs date´s des XVe et XVIe sie`cles de la Bibliothe`que Nationale et des autres bibliothe`ques de France, Revue des Bibliothe`ques, 2 (1892), S. 1ff. Vgl. He´le`ne Parenty: Isaac Casaubon helle´niste. Des studia humanitatis a` la philologie (Travaux d’Humanisme et Renaissance, 454), Genf 2009, S. 115: Parenty verweist auf die ideologischen Implikationen der Griechisch-Rezeption in Frank-

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zum 17. Jahrhundert wandten sich die meisten französischen Humanisten von dem römisch konnotierten Polybios-Kommentar des Justus Lipsius ab. Sekundiert wurde diese Kritik an dem Antiquar römisch-imperialer Größe von neuen Systematisierungsbestrebungen militärtheoretischer Überlieferung. T. Karcher schreibt über das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, in dem sich auch der christliche Humanismus neu konfigurierte und eine Reihe von Kommentaren und Editionen der Historien des Polybios entstand, dass die Voraussetzung für eine neue Systematisierung der Militärwissenschaften gegeben waren.386 Nukleus neuer Forschungen: Intertextualität von Polybios und Vegetius im Hinblick auf die taktisch-strategische Tradition – Die Entdeckung Vegetius’ als pragmatischen Historiker Dass in der Renaissance die Griechischstudien selbst eine methodische Bedeutung erlangten,387 sollte nicht ohne Folgen für die Verbindung der Restitution und Edition des Polybios mit der Erforschung römischer und griechischer Taktik bleiben. Die These von einem militärwissenschaftlichen ›Paradigmenwechsel‹ von Vegetius zu Polybios, wie ihn M. Jähns für den Beginn des 17. Jahrhunderts konstatierte,388 ist daher zu relativieren. Hobohm hat Schwie-

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reich. Die theologische Fakultät in Paris griff die ›lecteurs royaux‹, die das Griechische favorisierten, an, da sie um ihre Deutungshoheit über die Kirchenväter fürchtete; vgl. ibid., S. 116: Besonders Henri Estienne, der Schwiegervater Isaac Casaubons und wie dieser Bürger von Genf, trug zu der kulturellen Etablierung des Griechischen bei. Vgl. zur Bedeutung, die Polybios bereits in dieser Zeit in diesen Kreisen inne hatte: A. C. Dionisotti: Polybius and the Royal Professor. In: Emilio Gabba (Hg.), Tria Corda. Scritti in onore di Arnaldo Momigliano, Como 1983, S. 179–199. Weitergehendes bei Donald R. Kelley. Karcher: Les e´crivains militaires de la France, S. 19: »Les mate´riaux e´taient preˆts pour une nouvelle organisation des sciences militaires.« Vgl. Neal W. Gilbert: Renaissance Concepts of Method, New York 1960, S. 115: N. Gilbert konstatiert den Einfluss der Wiederentdeckung griechischer Quellen auf die Methodenlehre der Renaissance. Damit einher geht das Auftreten von Methodologien, die sich unabhängig von Aristoteles und den Alten wähnten. GdKW, Bd. 1, S. 122f.: »Nach dieser lebhaften Beschäftigung mit Vegez während des 16. Jhdts. [vgl. Machiavelli] tritt im 17. plötzlich ein auffallender Rückschlag ein. Offenbar verlor das Werk gegenüber der von Lipsius in den Vordergrund gerückten Polybianischen Darstellung des römischen Kriegswesens an Kredit. Zwar hat Montecuccoli in seinen Memoiren die Epitoma sehr ausgiebig benutzt, aber er verschleiert es nach Kräften – ob nur aus Rücksicht auf die Zeitstimmung? Abgesehen von den kritischen Ausgaben der Veteres scriptores ist aus diesem Zeitraume, ja bis fast zur Mitte des 18. Jhdts., eigentlich nur der Textabdruck zu erwähnen, den mit nebenstehender Verdeutschung Johann Jacobi v. Wallhausen dem 1. (und einzigen) Teile seiner ›Romanischen Kriegskunst‹ angehängt hat. (Frankf a. Main 1616) [...] – Erst 1743 (1749, 1759) erscheint eine neue französische Übersetzung von Bourdon de Sigrais [...].«

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rigkeiten, nicht nur den prä-lipsianischen Disziplin-Begriff der Renaissance,389 sondern auch den post-lipsianischen zu erhellen, den er ausklammert. De Militia romana, das Kompendium der römischen militia und der Kommentar zu Polybios VI, wurde von zwei Seiten ins Visier genommen: zunächst unter dem Gesichtspunkt einer neuen methodischen Grundlegung des Polybios, die eine Intertextualität390 mit den griechischen Taktikern nahe legte und sich darin von einer vegetischen Militärtheorie abhob, wenngleich sie im Sinne der Intertextualität des Polybios als eines Mittels der Forschung – nämlich chronologische Traditionszusammenhänge herauszuarbeiten – auch einen neuen Zugriff auf Vegetius zeitigen sollte. Im Kontext dieser neuen wissenschaftsstrategischen Stellung des Polybios erfolgte auch eine (quellenkritische) Aufwertung vegetischer Taktik. In dem Unternehmen Isaac Casaubons die Historien des Polybios vollständig wiederherzustellen war auch eine Restitution des Corpus der hellenischen Taktik (und der spätantiken Kirchengeschichte) impliziert. Vegetius, der die militärtheoretische Tradition vom hohen Mittelalter bis hin zu Machiavelli dominierte, wurde im Späthumanismus in den Rang eines dem Polybios gleichrangigen pragmatischen Militärtheoretikers erhoben, der gleichfalls für einen intertextuellen Zugriff auf die antiken taktischen Texte auszuschöpfen ist. Entscheidend scheint die Intertextualität zu sein, die Polybios nicht nur im Hinblick auf die fragmentarisch überlieferten griechischen Historiker,391 sondern auch im Hinblick auf die griechischen Taktiker, allgemein die griechischen militärischen Methoden bereithielt. Die Kritik an Lipsius, im Rückgriff auf Polybios und Vegetius, erfolgte im Namen der Intertextualität im Hinblick auf die antike taktische Überlieferung und eines Begriffs pragmatischer Geschichte und Militärwissenschaft. Wie bereits erwähnt, gab Johann Jacobi von Wallhausen, 1616 als Anhang zu seiner Romanischen Kriegskunst einen Abdruck der Epitoma mit deutscher Übersetzung heraus. Dabei ist bemerkenswert, dass es in dem vorliegenden militärtheoretischen Kontext nicht zu einer Verdrän389

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Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 1, S. 401: »Das eigentlich verwirrende Element in den Gedanken der Renaissance über die Disziplin ist das unverarbeitete Studium des Altertums.« Die Verwendung des Begriffs der Intertextualität lehnt sich an folgenden Forschungsansatz an: Guido Schepens, Jan Bollanse´e (Hg.): The Shadow of Polybius. Intertextuality as a Research Tool in Greek Historiography, Proceedings of the International Colloquium Leuven, 21.–22. September 2001 (Studia Hellenistica, 42), Löwen-Paris-Dudley 2005. Im Späthumanismus tritt eine Intertextualität von Polybios’ Hist. und der (griechischen) taktischen Tradition auf; ein ähnlicher Vorgang lässt sich auch in der Vegetius-Rezeption beobachten. Ebd.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

gung des Vegetius durch Polybios, sondern zu einer qualitativen Veränderung der Vegetius-Rezeption kam, die durchaus unterschiedliche und im Hinblick auf das militärwissenschaftliche Methodenprogramm gegensätzliche Formen annahm. Die Vegetius-Rezeption im Späthumanismus unterschied sich von derjenigen Machiavellis darin, dass sie sich nicht mehr auf die Maximen der Kriegführung, die regulae oder exempla bezog; vielmehr wird die plagiatorische Verwendung der ERM und die Entdeckung Vegetius’ als Quelle und Methodenautor gleichermaßen im Späthumanismus ihrem Höhepunkt zugeführt. Im Späthumanismus ist ein gesteigertes Interesse an dessen taktischer Theorie, verbunden mit einer Suche nach besseren Handschriften, eine Revalorisierung Vegetius’ als militärwissenschaftlich grundlegender Autor und eine Verbindung der Vegetius-Rezeption392 mit den Methoden und Systematisierungsmustern der wissenschaftlichen Revolution (Francis Bacon) festzuhalten. In der französischen Übertragung des Vegetius-Kommentars Wallhausens verdichtet sich die Kritik an DMR von Justus Lipsius. Dem Zitat aus der französischen Edition des Vegetius-Kommentars Wallhausens ist zu entnehmen, dass Vegetius im Zusammenhang einer neuen nützlichen und pragmatischen Geschichtstheorie, die sich von den res gestae (grands faits), wie sie beispielsweise bei Livius dargestellt sind, abhebt, eine beträchtliche Rolle zukommt. Daran schließt sich eine Kritik auch der modernen Historiker, vor allem des Lipsius an. Insbesondere die Vegetius-Kritik Lipsius’ im Commentarius ad Polybium, die besagt, dass Buch VI der Historien des Polybios die ERM Vegetius’ ersetze, wurde von Wallhausen verworfen. Vegetius war Wallhausen zufolge sowohl ein des Griechischen als auch des Lateinischen mächtiger und durchaus gebildeter Historiker, der mit den Prinzipien der pragmatischen Geschichte übereinstimmte. Dass Lipsius Vegetius unterschätze, läge nicht zuletzt daran, dass Lipsius zwar in der Theorie bewandert, 392

Volker Schmidtchen: Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, Habilitationsschrift 1984, Weinheim 1990, S. 105: »Vegetius hat seine ›Epitoma‹ im Wortsinn als eine Kompilation von Auszügen anderer einschlägiger Schriften verstanden, wobei seine eigene Arbeit im wesentlichen nur Auswahl und Anordnung des Stoffes umfaßte. Das Werk erfreute sich aber durch die Jahrhunderte einer uneingeschränkten und noch ständig steigenden Wertschätzung aller an militärischen Fragen Interessierten.«; ebd., S. 106: »Jüngere Einschätzungen von Historikern stimmten im Urteil überein, daß Vegetius zum spätrömischen Kriegswesen eine Fülle von sonst nirgendwo erschließbaren Einzelheiten biete, sein Werk insgesamt jedoch für die Militärgeschichte von nur geringem Wert sei, da es wegen seines kompilatorischen Charakters keine Eingrenzung der inhaltlichen Aussagen bezüglich ihrer Gültigkeit für bestimmte Epochen der römischen Geschichte erlaube.«; vgl. ebd., S. 117–123: »Rezeption und Bewertung der ›Epitoma rei militaris‹ bis ins späte Mittelalter«, S. 124–128: »Antike Kriegstechnik und ihre Darstellung bei Vegetius.«

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jedoch kein Praktiker sei. Der letzte Kritikpunkt verweist auf den neuen sowohl kritisch-philologischen als auch pragmatischen Zugriff auf Vegetius. Lipsius ergänzte Polybios, da, wo die Quellen schwiegen, nicht nur durch seine eigenen Gedanken, sondern mit Stellen aus dem Epitoma. Wallhausen hingegen hob hervor, dass auch Vegetius der Rang eines pragmatischen Historikers zukomme, dessen Militärtheorie, bei richtiger Lektüre, auf griechische und römische taktische Theoreme verweise. Die Vegetius-Rezeption des Lipsius sei daher im Bereich der Konjekturen (und der Konjekturalkritik) zu verorten. In dem Zitat artikuliert sich ein neuer für Stewechius, auf den sich Wallhausen stützte, und später für Saumaise kennzeichnender Zugriff auf Vegetius, der den Epitomator als ›Kompilator‹ zwar diskreditiert, jedoch den pragmatischen Historiker in Vegetius, der in sorgfältiger Lektüre entdeckt werden könne, durchaus zu schätzen weiß. Die Besonderheit der zunächst an Polybios entwickelten pragmatischen Methode der Geschichte liegt darin begründet, dass der spätestens seit Lipsius als Epitomator und Kompilator verrufene Vegetius auch unter dem Gesichtspunkt eines polybianisch-pragmatischen Philologieverständnisses rezipiert wurde. Diese neue Vegetius-Interpretation zirkulierte offensichtlich bereits in handschriftlichen Dokumenten, wie Wallhausens abschließende Bemerkung vermuten lässt: Dies werde bald in weiteren Schriften, die mit der Zeit an die Öffentlichkeit gebracht werden, deutlicher dargelegt werden (»Dieu aydant, il sera´ plus clairement demonstre´ en aultres escripts uiuants, qui auec le temps seront mis en lumiere.«)393. Neben dem neuen methodischen Verständnis des Vegetius’, an dem sich die Lipsius-Kritik festmachte, gilt gleiches für dessen PolybiosRezeption. In den 1590er Jahren war es zur einer Wandlung und einer wachsenden Bedeutung der Polybios-Rezeption gekommen, die sich von der militärwissenschaftlichen Heuristik des Vegetius absetzte und daran ihre Lipsius-Kritik festmachte. Die Polybios-Rezeption entwickelte sich in der militärwissenschaftlichen Lehre des Späthumanismus zu einer bestimmten theoretischen Position, die sich explizit von der Heuristik der res militaris des Vegetius abgrenzte,394 um die taktische Theorie im Rahmen einer pragmatike historia zu entwickeln. Trat die polybianische Militärtheorie als integraler Bestandteil der polybianischen anaky´klo393 394

Wallhausen: Milice romaine, S. 14. Vaucheret hat diese qualitative Veränderung nicht erfasst; vgl. Vaucheret: Le fait de la guerre, S. 820: »La structure hie´rarchique de l’arme´e, de la formation de combat sur trois rangs ou de l’e´tablissement d’un camp avaient puˆ eˆtre influence´e par les the´ories de Ve´ge`ce et de Frontin, Machiavel servant ou non d’interme´diaire, ou bien par la lecture de Polybe et nous avons pu constater que la plupart des textes que nous avons […] se re´fe´rait au mode`le prestigieux de l’arme´e romaine, capable de subjuguer le monde graˆce a` sa discipline exemplaire.«

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sis-Lehre auf, so referierten diejenigen Autoren auf Vegetius, die einen breiteren militärwissenschaftlichen Entwurf, der sich unterschiedlicher militärischer Praxisbereiche annimmt, leisteten. In dieser Linie muss man auch den Kommentar von Saumaise sehen, der die Präzisierung des Wandels der taktischen Theorien und der Organisationsstruktur der römischen militia als wissenschaftliches Hilfsmittel und Lektürehilfe für die antike Historiographie, Narration antiker Schlachten begreift. Das Modell hatte in diesem kulturtheoretischen Rahmen folglich nicht das Ziel operative Konzepte für die militärischen Praktiker herauszustellen, sondern deren allgemeine theoretisch-intellektuelle Schulung zum besseren Verständnis der Geschichte. Lieferte die Polybios-Rezeption ein Modell der Heeresorganisation und der Taktik, das ein dichotomisches und hierarchisches Modell impliziert, und klärte die für die Lektüre antiker Schlachtengeschichte bedeutsame Terminologie, so galt Polybios andererseits wie vielleicht Tacitus für die katholische Gegenreformation als Grundlage einer auf politische Pragmatik zielenden politischen Theorie. Die Rezeption des Polybios bedeutet nicht, dass die Humanisten sich inhaltlich ausschließlich auf den Text von Polybios bezogen, sondern kennzeichnet eine theoretische Position, die zwar auf den Text von Polybios referiert, jedoch auf die Integration der gesamten Tradition der antiken taktischen Theorie zielt – mit der chronologischen Rekonstruktion des antiken taktischen Modells, das seinen kulturhistorischen Idealtyp unter Polybios erreichte. Das Ziel der hugenottischcalvinistischen militärwissenschaftlichen Polybios-Rezeption bestand darin, das konzeptuelle Potential des antiken taktischen Modells in seiner Formenvielfalt auszuschöpfen. Philologische Kritik an Justus Lipsius’ antiquarisch-römischem DMR: »Die Fackel Lipsius’ leuchtet nicht« Die Kritik der in der griechischen Methodenfrage bewanderten französischen Gelehrten bezog sich zunächst auf die Fax historica, die ›Fackel‹ Lipsius’, die auch die römische militia erhellen sollte. In dieser Kritik deutet sich bereits die neue Intertextualität des Polybios (über Chronologie), wie sie mit der Edition von Isaac Casaubon einsetzten sollte, an. Die Fackel (fax) habe nicht geleuchtet, das war die Meinung einer Reihe bedeutender französischen Humanisten an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Justus Lipsius versuchte sich am Ende des 16. Jahrhunderts mit dem allerersten wissenschaftlichen Kommentar der Historien des Polybios (gedr. 1595 in Antwerpen bei Plantijn, Moretus)395, der ein Teil der Fax historica bildete. 395

Vgl. Jan Bollanse´e: Preface. In: ders., Guido Schepens (Hg.), The Shadow of Polybius, S. IX. Dass es sich um die erste wissenschaftliche Edition handelte, ist nicht

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Isaac Casaubon legte in der Praefatio seines wissenschaftlich-philologischen Kommentars zu den Historien des Polybios (1609) die Darstellung von Taktik, Disziplin und der ganzen römischen, griechischen und makedonischen militia und derjenigen weiterer Völker nahe.396 Casaubon gründete auf Polybios die Theorie einer wahren und legitimen Geschichte (möglicherweise in Analogie zur vera et legitima doctrina des Augustinus): »postremo postquam obiit, Politicis, bellicae rei studiosis, verae et legitimae historiae amantibus, dum suus literis honos stabat, unice dilectus et probatus.«397 Er führte die griechisch-byzantinischen Taktiker Maurikios und Leo VI., deren Handschriften sich in der Bibliothek des französischen Königs befinden, an: Taceo Mauritium Imperatorem, Leonem VI Porphyrogenitum, Basilii F. et alios ejus ordinis illustrissimos principes, qui tacticos, sive de re militari, libros condiderunt; quum sit tota illa disciplina pars quasi quaedam historiae; certe ita illi conjuncta, ut neque haec sine illa possit recte intelligi; neque illa sine hac doceri rite queat. cujus nos rei certam fidem faciemus, quando Aelianum praestantem ejus doctrinae auctorem, e vetusissimis membranis tuae Bibliothecae, tacticis scriptoribus luculente instructae, emendatum et observationibus nostris serio illustratum, Deo propitio, vulgabimus.398

Die französischen Gelehrten bevorzugten Francesco Patrizi, der deutlicher als Justus Lipsius mit dem vegetischen Disziplinbegriff und einer exemplarischen Geschichte brach und insgesamt – nicht zuletzt aufgrund seines platonischen Hellenismus – eine griechisch geprägte kulturtheoretische Tendenz aufwies. Francesco Patrizi zählte zu den venezianischen Historikerin. Er stellte die Autorität der Geschichte als einen Fundus von Beispielen (exempla) für die Leitung von Menschen in allen Zeitaltern in Frage. Gleichzeitig unterstrich er die Bedeutung der formalen Momente im historischen Denken wie Systematisierung und Selektion der Details, welche im Werk des Tacitisten Scipione Ammirato gänzlich fehlten.399

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nur in der gegenwärtigen Ideengeschichte strittig, sondern erregte bereits unter den Zeitgenossen des Lipsius heftige Kritik, in der sich die wissensideologischen Positionen an der Wende des 16. zum 17. Jh.s bündelten. Umso mehr verwundert es, dass in dem von Schepens und Bollanse´e herausgegebenen Band die Edition von Isaac Casaubon keine Erwähnung findet. Casaubon: Polibio, S. 94: »Et is erat tamen Polybius, qui propter genus dictionis ac doctrinae hautquaquam translatitiae; maxime autem propter summam rei castrensis peritiam, et imperatorium quendam stilum; attentum cum primis, et disciplinae Tacticae, totiusque militiae Romanae, Graecae, Macedonicae, aliorumque populorum peritum interpretem desideraret.« Ebd., S. 92. Ebd., S. 82. Willem J. Bouwsma: Three Types of Historiography in Post-Renaissance Italy, History and Theory, 4, 3 (1965), S. 310; vgl. ebd.: Die venezianische Historiographie eines Niccolo` Contarini (1553–1631), Paolo Paruta (1540–1589) und Andrea

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Isaac Casaubon und Claude de Saumaise bezogen sich in ihrer Kritik auf die Terminologie Lipsius’, die chronologische Methode und führten Polybios mit den griechischen Taktikern und Strategen zusammen, was weder Machiavelli noch der vom italienisch-römischen gelehrten Humanismus geprägte Justus Lipsius geleistet haben. Lipsius band Polybios in sein Werk zu den römischen Altertümern (fax historica) ein, während Casaubon und Saumaise in ihm auch und vor allem den Griechen entdeckten. Scaliger und Casaubon forderten eine Erforschung der griechischen taktischen und strategischen Theorie ein. Casaubon hat nicht nur mit seinem Polybios-Kommentar einen geschichtstheoretischen Akzent gegenüber dem Tacitisten Lipsius gesetzt, sondern auch mit seiner Edition des griechischen Texts der Stratageme des makedonischen Rhetors Polyaen, eines Griechen, der Frontinus niemals gelesen hat.400 Nach Justus Vultejus (1528–1575) (1589)401 rezipierte Casaubon Frontinus als Pendant zu den auf Frontinus und dessen zulässige Stratageme referierenden Lipsius (Politica, V, 17). Polyaen kannte Frontinus nicht nur nicht, sondern stellt sogar dessen Gegenstück dar.402 Mit den Veränderungen im Belagerungskrieg und Geschützwesen wuchs die Bedeutung der technischen Truppen (Polyaen, IV, 2, 20).403 Die ›chronologisch-polybianische‹ Lipsius-Kritik der Gelehrten Scaliger, Casaubon und Saumaises trifft den ›neu-römischen‹ Lipsius, d. h. dessen doxographische Ordnung, dessen stoischen Dogmatismus, der von skeptischer Ambivalenz gefärbt war und schließlich seine spektakuläre Rekonversion zum Katholizismus (1591), die nicht mehr in seinem Skeptizismus oder einer konfessionellen Indifferenz begründet war.404 Der Kommentar zu Polybios (Commentarius ad Polybium), als

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Morosini (1557–1618) und die Wissenschaftskultur der Hugenotten und Politiker wiesen im Unterschied zu der gegenreformatorisch-taciteischen (Florenz, Rom) ›Humanwissenschaft‹ eine Reihe von Ähnlichkeiten, ja gar Übereinstimmungen auf. Die venetianische Historiographie stand in engem Kontakt mit den wichtigen Themen des politischen und sozialen Lebens und wurde durch die Diskussionen über die Methode angereichert, wie sie in Padua geführt wurden. Die Historiographen Venedigs zogen Herodot und Thukydides Livius und Tacitus vor und zeigten eine Vorliebe für die griechische Tradition. Die Methodendiskussion stand in Padua, dem stärksten intellektuellen Zentrum Italiens und der offiziellen Universität des venezianischen Patriziats, in hohem Kurs. Wheeler: Stratagem, S. 20. Polyaen-Kommentar, Leiden 1589: Polyaeni Stratagematum libri octo. Is. Casaubonis, graece nunc primum edidit, emendavit et notis illustravit. Adjecta est etiam Justi Vulteii latina versio, cum indicibus necessariis, Lugduni, apud J. Tornaesium, 1589. BN R–24834; – Polyainu Strate¯ge¯mato¯n Bibloi Okto¯ = Stratagematum libri octo / Is. Casaubonus Graece` nunc primu`m edidit … Adiecta est etiam Iusti Vulteij Latina versio, Lugduni, Tornaesius, 1589. HAB A: 40 Bell. F. Lammert: ›Strategemata‹, RE, Reihe 2, 7. Halbbd., Sp. 177. F. Lammert: ›Kriegskunst (griechische)‹, RE, 22. Halbbd., Sp. 1847. Vgl. Mouchel: Juste Lipse: un philosophe de transition?, S. 13: »Sans doute per-

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der sich DMR darstellte, wurde von Joseph Justus Scaliger und Pieter Burman hinsichtlich seiner Methode einer scharfen Kritik unterzogen. Burmann stellte der Edition der Korrespondenz Scaligers, wie Nativel vermerkt, eine Kritik vor, in der er Lipsius’ Methode gegenüber der von Scaliger und Casaubon als unzulänglich erachtete .405 Scaliger warf ihm mangelhafte Griechischkenntnisse vor, die nicht hinreichten, um über Polybios zu schreiben; darüber hinaus schöpfe er weitgehend aus Francesco Patrizi.406 Patrizi hatte im Gegensatz zu Lipsius (DMR) in den Paralleli militari (zwischen der antiken und modernen militia), die gleich der Machiavellischen Arte della guerra literarisch Vegetius folgten,407 die antiken Quellen hervorgehoben, auf die Vegetius seine Beschreibung der physischen Qualitäten der Soldaten stützte.408 DMR erlebte (im Unterschied zur Politica) keine gedruckten Übersetzungen ins Französische. Die Rezeption war in erster Linie eine gelehrte und kritische. Sie manifestiert sich in Fußnoten, Noten und Annotationen. Der Polybios-Kommentar von Justus Lipsius, muss in der

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suade´ du caracte`re labile de la spiritualite´ mystique propose´e par la Famille de la Charite´, Lipse choisit, pour les autres (et pour lui-meˆme dans ses pe´riodes de de´sespoir et d’accablement), de se confier a` l’Eglise romaine, a` son organisation et son architecture visibles, comme au me´morial sensible du christianisme en tant que religion du salut. Mais a` ce guide Lipse demande de se tenir comme une sentinelle muette, d’exercer l’autorite´ d’une vigilance, et il ne se rallie a` lui que sous la condition qu’il se garde de tyranniser les consciences. C’est le sens qu’on peut de´gager des fameux chapitres 2–4 du livre IV des Politiques de 1589, que Rome, par Benci et Bellarmin, a demande´ vainement a` Lipse de modifier. D’un coˆte´ Lipse recommande l’unite´ de religion dans un meˆme Etat, avant de souhaiter plus tard, dans les Admiranda, que l’unite´ de l’Europe chre´tienne se fasse sous l’autorite´ de Rome. Cela ne signifie pas restituer a` l’Eglise un pouvoir proprement politique, comme inspiratrice directe de la paix civile, mais le roˆle de fanal de´volu a` l’Eglise en temps de guerre n’a d’efficace que s’il est sans e´voque.« Pieter Burmann: Sylloges epistolarum V, s.l., 1724, preface S. [7], zitiert in: Nativel: Juste Lipse antiquaire, S. 279. Joseph Justus Scaliger: Scaligerana, Köln 1695, S. 245, zitiert in: Nativel: Juste Lipse antiquaire, S. 279. Marco Formisano: Die Kriegskunst zwischen Schrift und Aktion. Vegetius und seine Rezeption in der Renaissance. In: Gherardo Ugolini (Hg.): Die Kraft der Vergangenheit. Mythos und Realität der klassischen Kultur/La forza del passato. Mito e realta` della cultura classica. Akte der deutsch-italienischen Tagung des Centrum Latinitatis Europae (Berlin, 29.–30. November 2003) (Altertumswissenschaftliche Texte und Studien, 39), Hildesheim et al. 2005, S. 130: »Von Vegetius übernimmt Patrizi nicht nur die Argumente, sondern sogar die Struktur des Werkes, das sich so als eine Art epitome präsentiert.« Sydney Anglo: Machiavelli – The First Century. Studies in Enthusiasm, Hostility, and Irrelevance (Oxford-Warburg Studies), Oxford 2005, S. 527: »When, for example, Francesco Patrizi the philosopher was describing the physical qualities requisite in recruits, he noted that Vegetius took his precepts from other writers and that, in any case, neither Vegetius nor any modern author has warned us against two great defects – short-sightedness and deafness.« (zitiert aus: Patrizi, Paralleli (1594), S. 147).

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Traditionslinie der Interpretation des römischen Militärwesens (alte und neue militia) durch Machiavelli verortet werden. Es war demnach DMR, der Commentarius ad Polybium und militärwissenschaftliches Kompendium der römischen militia in Einem, und nicht die Politicorum libri sex, an der sich die Kritik der französischen, insbesondere hugenottischen Gelehrten entzündete. Lipsius’ Kommentar zu Polybios und Kompendium der militia wurde bereits unmittelbar nach seinem Erscheinen (1595/96) kritisiert. Die Kritik der hugenottischen Gelehrten Casaubon und vor allem Scaliger409 – letzterer trug entscheidend zur Bildung einer neuen französischen Philologenschule bei410 –, deren Kritik Saumaise später aufgreifen und seinerseits überholen sollte, und die Militärtheorie Johann Jacobs von Wallhausen, der im Rahmen seines militärwissenschaftlichen Studienprogramms für eine Revalorisierung der taktischen Theorie des Vegetius eingetreten war,411 steckten den Rahmen ab für die militärwissenschaftliche Kritik in der Folgegeneration des Späthumanismus. Tatsächlich ist der Kern der französischen militärtheoretischen Kritik des Polybios-Kommentars Lipsius’ und die Rolle des Polybios für die französisch-hugenottische Gelehrtenkultur bzw. in den französischen, in der Regel dem Amtsadel entstammenden Gelehrtenzirkeln zu identifizieren, die sich in der Regierungszeit Heinrich von Navarras formierten. Abgesehen von Adrien Turne`be und einigen unbekannten Autoren war die Resonanz auf den Polybios-Kommentar durchweg kritisch. Isaac Casaubon schrieb an Jacques Bongars, dass die persönliche Note, die Lipsius Polybios hätte geben können, nicht erkennbar sei. In vieler Hinsicht sei seine Version besser als diejenige seiner Vorgänger. Was den Rest anbelange, so fänden die Punkte, die im Griechischen unklar geblieben seien, keine Erhellung. Die Fackel Lipsius (Fax Lipsiana) habe 409

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Über die militärtheoretischen Positionen Scaligers vgl. Briefe an Lipsius hinsichtlich De militia romana (in: Pieter Burman) und Scaligerana, II, Vgl. Bernays: Scaliger. Zur Stellung Scaligers zwischen französischem Hof und Generalstaaten vgl. W. G. Brill: De beweegredenen, die de Staten van Holland geleid hebben tot de benoeming van Josephus Scaliger, in 1590, als hoogleraar te Leiden, ter vervanging van Lispius’, Kronijk van het Historisch Geselschap te Utrecht, 18 (1862), S. 293; Yves Cazaux: Autour de trois lettres d’Henri VI au sujet de la nomination de Scaliger a` l’Universite´ de Leiden, Publications du Centre europe´en d’e´tudes burgondo-me´dianes, 77, 18 (1979), S. 77–84; A. E. J. Holwerda: Uit de geschiednis der klassieke philologie. Scaliger, zijne voorgangers en volgers, De Gids, 52, ser. IV, 6, 1888, part IV, S. 408–434 (ein wichtiger und vernachlässigter Artikel); Lucian Müller: Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden, Leipzig 1869; Leighton D. Reynolds: Text and Transmission, Oxford 1984. Vgl. Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 194: Erwähnung einer französischen Gelehrtenschule: »new French scholarship that Scaliger helped to create«. Davon hebt sich Lipsius, noch geprägt von der älteren italienischen Schule, ab. Wallhausen: Milice Romaine, S. 13f.

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noch nicht geleuchtet.412 Casaubon, der Ende 1595 DMR gelesen hatte, drückte in einem an Jacques Bongars gerichteten Brief (15. Dez. 1595) seine Bewunderung aus, zeigte sich jedoch hinsichtlich der angewandten Methode in der Argumentationsführung irritiert. Obgleich Lipsius in philologischer Hinsicht seinen Vorgängern überlegen sei, müsse Casaubon doch Schwächen hinsichtlich der Terminologie feststellen. Zugleich warf er ihm vor, Polybios misszuverstehen und bemängelte die mangelnde Originalität der Deutung. Dennoch hielt er De militia Romana für ein Werk von großem Fleiß, richtigem Urteil und Verständnis.413 Im Unterschied zu Casaubon und Saumaise vernachlässigte Lipsius chronologisch-philologische Kriterien.414 Scaliger kritisierte daher gleicher412

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Zitiert in: Jehasse: Renaissance de la critique, S. 440: Casaubon an Bongars, e´p. 21. Sur les critiques de Saumaise (e´p. I, 93, d’H. Shelius (Bd. X, S. 1006–1007), Reiffenberg, S. 95–99. Mehrere bibliographische Angaben im Katalog der BN, so Archives philologiques, Bd. 2I: ›Archives pour servir a` l’histoire civile et litte´raire des Pays-Bas faisant suite aux Archives philologiques‹…A partir du t. IV le titre devient: ›Nouvelles archives historiques des Pays-Bas‹: Z–5844 etc.: »La lumie`re personnelle qu’il aurait pu jeter sur Polybe, je ne l’ai pas encore vue. Sur bien des points sa version est meilleure que celles de ses pre´de´cesseurs, mais Turne`be, d’autres encore, en revendiquent une grande partie. Pour le reste, les points qui dans le grec leur sont reste´s obscurs n’ont pas trouve´ ici de lumie`re. La Torche Lipsienne (Fax Lipsiana) n’a pas encore lui.« Vgl. Tournoy: Ad ultimas inscitiae lineas imus, S. 200: »Lipsii ad Polybium tandem vidi, et vis dicam libere quid sentiam? Opus est labore magno, iudicio recto, ingenio denique talis viri conceptum feliciter ac formatum; nemo negaverit unum illum hodie res veteris reipublicae Romanae et nosse eximie et explanare omnium elegantissime. Veruntamen quod inter nos liceat […] mirari interdum subit, cur hanc potissimam rationem tractandi eius argumenti elegerit? Nam ad Polybii lucem quid admodum attulerit sui, nondum videre potui. Multa ille quidem melius vertit quam priores fecissent interpretes, sed magnam eorum partem Turnebus [Turne`be] aliique sibi vindicant. De caetero, si quid in Graecis illis obscuri fuit, lucem id adhuc desiderat. Non enim alluxit fax Lipsiana illis locis. Fecerit fidem vel unum verbum […], de quo nihil notatum ab illo vidi p. 170, non vulgare, non omnibus notum, nihil denique quod mentem Polybii explicet aut vim verbi. Mitto errores aliquot mihi notatos in explicandis locis Graecorum scriptorum; neque nos tamen studiose quaesivimus, sed casu in illos incidimus. Quare, si tua me confirmaverit auctoritas, non desistemus ab incepto, et Polybium tandem nostris vigiliis illustratum publicabimus, praesertim cum publice nuper, inscius quid a Lipsius esset editum, fidem meam adstrinxerim […].« Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 21f.: »Juste Lipse corrige, parce qu’il faut en effet corriger, mais sans recourir a` aucun crite`re interne, ou si on veut philologique. Jamais il ne corrige en disant: ce n’est pas comme cela qu’on dit en grec, ou voila` comment, pale´ographiquement, la faute a duˆ se produire. Il recourt uniquement a` des crite`res externes, a` des passages paralle`les. L’examen auquel je me suis livre´ pour tout l’œuvre confirme entie`rement, je dois le reconnaıˆtre, les doutes e´mis c¸a` et la` depuis longtemps: Juste Lipse, qui est l’un des meilleurs latinistes de son temps […] sait en revanche fort mal le grec, et quoi qu’il en dise, il fait tout sauf coller a` son texte, parce qu’il en est incapable. Il faudra pour cela attendre Casaubon, et c’est a` Casaubon qu’est due la conjecture aujourd’hui adopte´e par tous les e´diteurs de Polybe: seize, e´videmment.«

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maßen die philologischen und methodischen Schwächen des Löwener Historiographen. Casaubon (1559–1614), der bereits in einer Vorlesung an der Universität Genf und in seiner Edition von Sueton (Genf 1595) ankündigte, den Polybios edieren zu wollen, und nahezu zeitgleich mit Lipsius an einem Polybios-Kommentar und einer wissenschaftlichen Edition der Historien des Polybios arbeitete, wollte den ganzen Polybios auf Griechisch herausgeben. Tatsächlich leistete Casaubon 1609 die erste Ausgabe,415 die auf eine kritische Würdigung des Polybios zielte; diese basierte jedoch nur auf einer dürftigen Selektion von Handschriften, besonders im Hinblick auf die ersten fünf Bücher.416 Dass die Edition Casaubons, die die erste wissenschaftlich-kritische Edition der Texte des griechischrömischen Historikers war, editorische Mängel aufwies zeigt folgendes Dokument: G. 12. Vindobonensis Hist. Gr. 30 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien), das aus dem 16. Jahrhundert (1538, 1529–33, 1545, 1541, 1551) stammt und die Excerpta antiqua aus den Büchern VI–VIIII enthält indiziert in einer im 17. Jahrhundert angebrachten Randglosse dem Leser die Lücken in der Casaubon-Ausgabe.417 Im Unterschied zu DMR von Lipsius, das einen nach dem Buch VI der Historien des Polybios entlehnten Topoi oder rein sachlichen Gesichtspunkten systematisierten um damit einen pragmatischeren Zugang zum Kommentar des antiken Heerwesens bereitstellte, ging es Casaubon vornehmlich um die philologisch-wissenschaftliche Restitution der gesamten Historien des Polybios. Die ›chronologia Polybiana‹ (Dupuy 746, fol. 189 suiv.), die in der Coll. Dupuy überliefert ist418 und die in die Polybios-Edition Eingang gefunden hat, mag in diesem Zusammenhang stehen. Casaubon stützte sich auf Parisinus, B.N., Gr. 1796 (olim Reg. 3466) C 3, der Mitte des 16. Jahrhunderts datiert. C 3 besteht aus zwei identischen Bänden, die die Bücher I–II (Parisinus, B.N., Gr. 1796) und III–IV (Ox., Bodl. Laud. Gr. 4) enthalten. In dem ersten Band ist vermerkt ›Isaacus Casaubonus, dono Verderii Lugdunensis‹ und darunter 415

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Polybii Historiarum quae Supersunt I. Casaubon … emendavit, Latine vertit, et commentaries illustravit, Paris 1609. Moore: The manuscript tradition of Polybius, S. 3. Ebd., S. 78. Dupuy 746, ›Isaaci Casauboni chronologia Polybiana‹, minute autographe (189 suiv.), Die Chronologie setzt [3955–4014]/ 245 vor Christus ein, Notandi aeuij Mundi et ante Christum in principio et fine passim, Oly(m)piade, Consulu, Reg – Maced. /Syria / Aegypt., […] Pratore; fol. 913: Caesareru temporum scriptores fere; vgl. Anthony Grafton: Joseph Scaliger and Historical Chronology. The Rise and Fall of a Discipline, History and Theory, 14 (1975), S. 162: Scaliger verband astronomische und philologische Methoden in einer ganz neuen Art. Seine Vorgänger haben, wie er berichtet, nicht die zivilen Chronologien der Alten, die Formen, Zustände und Arten von Jahren und Monaten gekannt.

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›Isaac Casaubonus Putanis Fratribus D. D. 1609‹. Die Identität von Verderius ist ungewiss; Casaubon erhielt von ihm den Band und gab ihn den Brüdern Dupuy.419 Für seine Edition von 1609 verwandte Casaubon den ersten Band (Vol.) von C 3.420 Auch D 3. Oxoniensis, Bodl. Arch. Seld. B 18 (S.C. 3364) (Bodleian Library, Oxford), das Excerpta antiqua aus den Büchern VI–XVIII enthält, war durch die Hände von Casaubon gegangen. Die Handschrift stammte ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert. Die Abschrift wurde von Andronikos Nountzios erstellt, der 1541–43 für Diego di Mendoza in Venedig Handschriften kopierte. Sie gehörte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Claude Naulot du Val d’Avallon, Francisco di Gioiosa (1562–1615) und Isaac Casaubon, der anmerkt diese aus der Bibliothek Gioisa erhalten zu haben (›E Bibliotheca Illustrissimi Cardinalis D. Joyeusii‹).421 Auch G 3. Oxoniensis, Bodl. Arch. Seld. B 20 (S.C. 3366) (Bodleian Library, Oxford), das die Excerpta antiqua aus den Büchern VII–XVIII enthält, war im Besitz von Isaac Casaubon. Er bezog die aus dem 16. Jahrhundert stammende Handschrift aus der Bibliothek des französischen Urkundenkenners und Handschriftensammlers Henri de Mesmes (1532–1596) (›E bibliotheca Memmiana‹).422 Besonders bedeutsam für die ideologische Positionierung in diesem Zeitabschnitt, in dem sich die konfessionelle und nationale Polemik nicht selten in das Gewand philologisch-methodischer Differenzen kleidete,423 ist die Kritik der beiden Hugenotten Scaliger und Casaubon an DMR.424 Insbesondere Scaliger hatte konfessionelle Beweggründe für seine Skepsis gegenüber dem dreifachen Konvertiten Lipsius und dessen Bestrebungen mittels der humanistischen Gelehrsamkeit die politischen und militärischen Probleme seiner Zeit zu lösen.425 J. J. Scaliger war 1562 zum Calvinismus konvertiert, nahm mehrfach auf hugenottischer Seite an den Religionskriegen teil, lehrte 1572–74 in Genf, lebte dann als Pri419 420 421 422 423

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Moore: The manuscript tradition of Polybius, S. 20. Ebd., S. 21. Ebd., S. 60. Ebd., S. 75. Vgl. Anthony Grafton: Joseph Scaliger. A Study in the History of Classical Scholarship, Bd. 1: Textual Criticism and Exegesis, Oxford 1983, S. 4: »But these innovations succeeded or failed for reasons that had more to do with the national and religious allegiances of their authors than with their intrinsic merits. Italian’s bright ideas found little response among French Huguenots, and vice versa.« Tournoy: Ad ultimas inscitiae lineas imus, S. 191–208; Nelles: Lipsius, Scaliger and the historians, S. 329–344. Vgl. Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 193: »Lipsius never succeeded in winning Scaliger’s full confidence. His frequent changes of religion and his insistence that classical scholarship could solve the political and military problems of his time both seem to have annoyed Scaliger, who wrote as follow to Florent Chrestien in 1581 [...].«

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vatgelehrter in Frankreich und hatte 1593–1609 eine Professur an der Universität Leiden inne. Seine polemische Behandlung konfessioneller Zeitfragen (ausschließlich im Zusammenhang seiner philologischen Schriften) führte zu zahlreichen Zusammenstößen zumal mit den Gelehrten der Societas Jesu. Scaliger interessierte sich zwar stark für das politische Geschehen, war aber kein aktiver politischer Gelehrter. Lipsius hingegen war der politischste Humanist dieser Generation, strebte er doch vehement nach politischem Einfluss auch und vor allem in militärischen Fragen.426 Nachdem Scaliger in seinem Festus. M. Verrii Flacci quae extant. Sex. Pompei Festi de verborum significatione libri XX (1575) seine Vertrautheit mit der Rechtsgeschichte unter Beweis gestellt hatte, zeigte er mit seiner Behandlung der lateinischen Poeten Catull, Tibull und Properz (1577), dass er die besten kritischen Methoden aus Italien und Frankreich assimiliert hatte.427 Neben Scaliger, dessen Text eine militärtheoretische Stoßrichtung aufweist, Casaubon, Henri de Valois, seigneur d’Orce´ und Peiresc, Chevingy-Villers,428 und Saumaise, der Polybios im Rahmen seines Kompendiums über die antike Kriegskunst aufgriff, können noch zwei Auszüge von Polybios durch de Mesmes angeführt werden (Ms. f. fr. 703, ›Extrait des harangues de Polybe‹ und Ms. f. fr. 706, Auszüge aus ›Polybe‹),429 die sich jedoch nicht auf den militärtheoretischen Aspekt beziehen. Die Polybios-Rezeption manifestierte sich in den handschriftlichen Exzerpten, Annotationen und kritischen handschriftlichen Konjekturen 426

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Vgl. Bernays: Scaliger, Zitat aus den Scaligerana II: »Lipsius neque est Politicus nec potest quicquam in Politia; nihil possunt pedantes in illis rebus; nec ego nec alius doctus possemus scribere in Politicis.«; Scaligers Urteil über Lipsius: Artikel ›Maurice‹ in Scaligerana II. (cf. Ostende) und aus epp. P. 127, 707, 711 entnommen. Alastair Hamilton: Preface. In: The Scaliger Collection. Smitskamp Oriental Antiquarium (formerly of E. J. Brill). Catalogue N° 595, A collection of over 200 antiquarian books by and about Josephus Justus Scaliger, with full descriptions – Within a checklist of all known Scaliger publications – With a checklist of the Scaliger annotati – With a full index to Bernay’s Scaliger biography (1855), Leiden 1993, s.p. Chevigny Villers: Traitte de l’anciene milice romaine, tire de Polybivs et enrichy de plvsieurs avthorites Ou` il se verra l’ordre de leurs Arme´es, de leurs Soldats, & de tous ceux qui leur commandoient, de qu’elles Armes ils vsoient offensiues & deffensiues leurs recompences, leurs Loix, & leur chastiments. A tres-hault, & trespuissant Prince Monseignevr le Prince de Conde´, Premier Prince du Sang, & premier Pair de France, Duc d’Anguien & de Chasteau-Roux Gouuerneur pour sa Majeste´ en Bourgogne Bresse, & Berry, &c. Par le Sieur de Chevigny Villers Gentil-homme Bourguignon, Dijon, Nicolas Spirinx, 1634. Mazarine A 12425. Ms. f. fr. 703, ›Extrait de harangues…de Polybe‹ (fol. 101) [par M. de Mesmes] avec notes marginales, 17e sie`cle; Ms. f. fr. 706, Extraits de ›Polybe‹, 17e sie`cle (Anc. 7140 hoch 3A, de Mesmes 516).

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französischer Gelehrter, so beispielsweise der lateinischen Übersetzung des VI. Buches des Polybios durch Pompilio Amasaeo von 1543 (BN Re´s. J. 1760), sowie in Briefen, die besonders zahlreich in der Collection Dupuy vorhanden und sehr aufschlussreich für den philologisch-kritischen Zusammenhang der gelehrten französischen Polybios-Kritik sind. An der Polybios-Kritik nordwesteuropäischer Humanisten waren neben Isaac Casaubon, Joseph Justus Scaliger, Daniel Heinsius und Pierre Daniel Huet auch Jacques Bongars (lectiones polybianae mss. Codicis augustani; De Polybii Liviique diversa scribendi ratione; Diodori Siculi imitatio polybiana)430 und J.-A. de Thou beteiligt. Letzterer annotierte die Bücher II und VI der Historien des Polybios, in denen von den unterschiedlichen Staatsformen (diversis rempublicarum formis) gehandelt wird.431 Aus dem Kreis um das Kabinett de Thou ging auch eine Anfrage an Scaliger hervor, die die Taktik des Polybios betrifft. Der Polybios-Kommentar Lipsius’ (DMR, 1595) stieß bei den Zeitgenossen nahezu durchweg auf Ablehnung. Das gelehrte Europa warf Lipsius vor, ein Plagiat vorgelegt zu haben und lobte die Paralleli Militari von Francesco Patrizi.432 Das ist die von Scaliger in den Scaligerana II (S. 143 ) geäußerte Meinung.433 Scaliger zog den Polybios-Kommentar

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Extraits et fragments.- Lectiones polybianae Ms.codicis augustani ad … Joannem Capellanum … Accesserunt et alia ad Polybium spectantia [ex. Jo. Lucii de regn. Dalmatiae et Croatiae; ex epistol. Bongarsii ad Lengelshemium, ex literis Tomsoni ad Bongarsium, Casaubon. ad Bongars., de Polybii Liviique diversa scribendi ratione. Diodori Siculi imitatio polybiana]. – Argentorati, impensis J. F. Spoor, 1670. In–4° BN [J. 3456 (Le titre de de´part porte: Illustrissimo viro Joanni Capellano …Jo. Henricus Boeclerus s. p. d. – Date a` la fin: Argentorati, m Ixbr, d. 20, 1670). Fragmenta duo e sexto Polybii Historiarum libro de diversis rerumpublicarum formis, deque romanae praestantia. Pompilius Amasaeus vertit. A la fin: Joanne Baptista Phaellus Bononiae impressit die VI aprilis MDXLIII. Bononiae, 1543. BN [Re´s. J.1760; (Notes Ms. de J.A. de Thou). Paralleli Militari (1606): BN FOL-R–391 (1): Buch II: über den Krieg, den gerechten und ungerechten Krieg, vom Exerzieren, von der Ursache der Disziplin, Buch III: Von der Wahl des Feldherrn, Buch IV: Elemente einer Machtstaatslehre, einschließlich eines Kapitels über ein Söldnerheer; Buch VII: Ausbildung, Wahl und Vereidigung der Soldaten, Buch VIII: Exerzieren (mazedonisch, hebräisch, griechisch, nach Aelian, spartanisch, athenisch, thebanisch, karthagisch, persisch, die Phalanx nach Alexander, römisch, nach Maurikios, tartarisch und türkisch); Buch X: Vergleich zwischen antiken und modernen Waffen, von der antiken Waffenrüstung; von den Helmen, etc. Tatsächlich erscheint bei Patrizi, wie auch später bei Saumaise, der daran seine Fundamentalkritk des lipsianischen systematischen Ansatzes knüpft, die Unterscheidung zwischen Disziplin/Exerzieren und Kunst angedeutet (II, 5, S. 38f.). Lipsius selbst scheint von Patrizi inspiriert zu sein, vgl. Scaligerana. Editio altera ad verum exemplar restituta, & innumiersi iisque foedissimis mendis, quibus prior illa passim scatebat, diligentissime purgata, Coloniae aegrippinae, apud Gerbrandum Scagen, M.D.C. LXVII. Sorbonne L.P.v. 131, S. 141f.: »Lipsius libro de Militia Romana, omnia cepit ex Francisco Patricio qui Italice` scripsit ea de re.«

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Patrizis434 vor. Den Polybios-Kommentar Lipsius’ hingegen versah er mit kritischen Annotationen. Nur wenige haben vergeblich versucht das weite Feld des römischen Militärwesens zu bearbeiten; viele haben dies nicht einmal versucht. Allein Francesco Patrizi scheint sich in angemessener Weise den Quellen zugewandt zu haben.435 Tatsächlich gelang es Patrizi, der das aus der Antike tradierte Exerzieren systematisierte, im Unterschied zu Lipsius über den vegetischen Disziplinbegriff hinauszugehen. Beide gehörten, wenngleich auch mit systematischen Differenzen, die rezeptionsgeschichtlich von Gewicht sein sollten, zu den wenigen, die neben dem römischen auch das griechische Exerzieren berücksichtigten.436 Die Militia Romana von Francesco Patrizi437 ist ebenfalls 434

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La milizia romana di Polibio, Tito Livio e Dionigi Alicarnasseo da Francesco Patricio dichiarata e con varie figure illustrata, le quale appieno intesa, non solo dara` altrui stupore de suoi buoni ordini, e disciplina, ma ancora in paragone fara` chiare, quanta la moderna sia difettuosa e imperfetta, Fontanini-Zeno, II, pg. 391. Bezeichnenderweise soll auch Rohan sich auf Patrizi gestützt haben: s. Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, 6. März 1637. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 107: »Cependant je vous envoie un petit indice d’auteurs mss. et un des modernes imprime´s de re military qui estoient en la bibliothecque de feu Monsieur Jean Vincenzo Pinelli a` Padoüe de mon temps en l’an 1602 qu’il y deceda entre lesquels modernes se trouve le Polibio del Palladio que je n’ay pas veu comme le Caesar et la Militia Romana de Francesco Patricio senese que l’on dict estre une excellente piece et avoir servi de modelle a` ce que Monsieur le duc de Rohan a faict maintenant imprimer de la milice entiere dont j’attendois un exemplaire pour vous qui est encore en chemin a` mon grand regret ein aiant envoie´ un a` l’Eminentissime Cardinal Barberin par le dernier ordinaire avec supplication de le vous faire voir incontinent pour vous servir a` vostre syntagma de studio militari.« Epistolae Leyden 1627, pg. 310, zitiert in: Friedrich Walkhoff: Francesco Patrizis Leben und Werk, Diss. Bonn 1918, Bonn 1920, S. 48: »Habes latum campum, in quo de militia Romana ea expromere possis, quae frusta ab illis tentata, ab aliis ne tentata quidem. Franciscus Patricius solus mihi videtur digitum ad fontes intendisse: quem ad verbum alii, qui hoc studium tractarunt, cum sequantur, tamen eius nomen ne semel quidem memorarunt.« Kleinschmidt: Tyrocinium, S. 102f.; S. 103: »Lipsius und Patrizi stellten griechisches und römisches Exerzieren gegeneinander. Patrizi verwandte griechische Quellen für das Exerzieren von Wendungen und Evolutionen (movimenti e figure d’ordinanze, ordinis militaris greci), römische Quellen hingegen für das Mannsexerzieren. Lipsius unterteilte das gesamte Exerzieren in ›exercitia oneris‹ (das Tragen von Lasten), ›exercitia operis‹ (das Bauen von Lagern und Brückenköpfen nach Vegetius), ›armorum exercitia‹ (dem Mannsexerzieren nach Vegetius). Unter letzterem figurierten Teile jenes vegetischen Kanons von Einzelübungen, der auch schon bei früheren Autoren aufgeführt worden war: ambulatio (Aufstellung in Schlachtordnung), descursio (Laufen), saltus (Springen), natatio (Schwimmen), palaria (Fechten), armatura (Rüstung tragen), salitio (Voltigieren). Dieser Kanon weist wie derjenige Patrizis als Exerzierziel die Stärkung der Körperkräfte des Kämpfers aus. Indem er aber bei Patrizi durch die Wendungen der Truppenkörper nach griechischem Vorbild eine Erweiterung findet, wird deutlich, daß von diesem Autor ein anderer, mehr an Bewegungen orientierter Rahmen für das Exerzieren gefordert wird als von den Vegetiusrezipienten des Mittelalters.« Francesco Patrizi: La Militia Romana di Polibio, di Tito Livio et di Dionigi Ali-

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ein Polybios-Kommentar, wenngleich er die gesamte taktische und ideengeschichtliche Tradition reflektiert. So heißt es in der Übersetzung von Nathanie¨l Rhue¨z, dass Polybios, wenngleich ebenfalls mangelhaft, doch die vollständigste Überlieferung des römischen Militärwesens darstelle und man daher einige Stellen über andere Autoren rekonstruieren müsse.438 Patrizi rezipierte die griechische taktische Theorie oder beabsichtigte es zumindest.439 Auch er strebte nach Perfektion und Klarheit in der Darstellung, so dass man leicht die militärische Ordonnanz der Römer erkennen könne, die zu Zeiten Polybios zur Vollkommenheit gelangt sei.440 J. J. Scaliger verwies bereits in seinen handschriftlichen Noten des Polybios-Kommentars von Lipsius an einer Stelle auf Patrizi.441 Dieser

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carnaseo da Francesco Patricii Dichiarata, et con varie figure illustrata. La quale a pieno intesa, non solo dara` altrui stupore de’suoi buoni ordini, e disciplina. Ma ancore, in paragone, fara` chiaro, quanto la moderna sia difettosa & imperfetta, In Ferrara per Domenico Mamarelli, A Santa Agnese, 1583. BN J.4055 (1). KB, 73 J 21, Patrice [Patrizi], Milice Romaine, s.p.: »C’est pourquoy ie n’ay espargne´ aucune diligence, pour la remettre en vigueur, du mieux qu’il me seroit possible, prenant Polybe pour ma guide, et mon aide; cet historien tant grave, duquel nous venons aussi de faire mention, entre ceux qui ont escrit de l’art militaire. Et duquel l’histoire, prive´e de plusieurs livres, qui en ont este´ perdus, est encor parvenue iusques a` nostre aage, toute estropie´e et deschire´e qu’elle estoit, comme une trace entrecoupe´e, et un recit fort imparfait de la Milice Romaine; mais pourtant le plus entier que nous puissions trouver. Lequel ayant entrepris [d]’expliquer, avec la confrontation et conferance d’autres passages de son histoire, comme aussi d’autres auteurs, qui ont escrit du mesme sujet; et l’ayant illustre´e de diverses figures, qui representent assez naı¨vement le sens du texte; J’ay ainsi finy et paracheve´ ce labeur.« Ebd.: »Mais emporte´ du vent impetueux de mes mauvaises avantures, ie fus a` mon grand regret derechef envoye´ en Espagne: d’ou` estant de retour en Italie, il m’y fallut encor passer trois ans, en des travaux continuels, prive´ d’un certain cher tresor de quelques vieux escrits Grecs. Mais le Ciel jettant finalement un doux regard de pitie´ sur moy, m’a fait la grace de me reconduire et retirer dans l’invincible forteresse de vostre haute et puissante protection.« Vgl. Emil Jacobs: Francesco Patrizi und die Sammlung griechischer Handschriften in der Bibliothek des Escorial, Zentralblatt für Bibliothekswesen, 25 (1908), S. 19–47. Ebd., Patrice [Patrizi], Milice Romaine, KB, 73 J 21, s.p.: »[…] reprenant mon Polybe, ie l’ay reduit, selon que ie me fay accroire, en telle perfection et clarte´, que l’on en peut fort aisement voir, quelles furent jadis les Ordonnances Militaires des Romaines. Dont dix effets particuliers, qui surpassent toute croyance humaine, et qui ont este´ produits par la vigueur d’un si bon ordre, donneront a` connoistre, que cette Milice estoit au Souverain degre´ de perfection.« DMR (BN Re´s. J. 1300), Buch III, Dialog 4 [Pilum totum descriptum. magnitudo, forma, violentia: & siquid mutatum], S. 182: Die Stelle auf die sich die Anmerkung bezieht: »Pilum enim dictum, inquit, ab omine, quod hostes feriret, vt pilum. Ea lectio mihi proba. & sicut instrumento illo rustico aut cibario teri frangique frumenta solent, sic isto hostes. Inde captum omen, & vox tralata in bellum. Alij tamen rescribunt, quod hostis periret, vt perilum: mihi quidem minus probe`./ Pila duo] Quem numerum poe¨tæ, vt solent, tangunt. Virgilius: Bina manu lato cripsans (sic) hastilia ferro. Et Statius: Quaeduo sola manu gestans, accliuia monti Fixerat, intor-

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Meinung sollte sich auch Gabriel Naude´ anschließen.442 Und Saumaise, der danach strebte sich von all seinen Vorgängern abzusetzen, griff deren Kritik auf, die will, dass Lipsius Patrizi kopiert hat.443 Die These ist daher naheliegend, dass die intensive allgemein wissenschaftliche und speziell militärtheoretische Polybios-Rezeption und -Kritik mit dem konfessionellen und auch machtpolitischen Frontwechsel Justus Lipsius’ in Verbindung stand. Auch muss die Publikation des Kommentars des Polybios mit seiner militärwissenschaftlichen Beraterfunktion nunmehr für die spanischen Eliten respektive den Adel, die militärischpolitischen Eliten der Südniederlande gesehen werden, wie sie einem erst posthum 1617 veröffentlichten Brief zu entnehmen ist. Die Tatsache, dass sich Scaliger und Simon Stevin (Materiæ politicæ)444 auf Patrizi und nicht auf Lipsius bezogen, mag sich auch in diese wohl weniger wissenschaftliche denn polemisch motivierte Option für den ›platonischen Machiavellisten‹ und gegen den aus innerer religiöser Überzeugung zum römischen Katholizismus konvertierten Theoretiker einer römischbürokratisch eingebundenen Militärverfassung einschreiben. Seine Stellung an der neugestifteten Universität Leiden, der er von 1578 bis 1591 angehörte, war durch die libri Politicorum und den Traktat De una religione unhaltbar geworden. Letztlich enthob er sich durch seinen Rücktritt zur katholischen Kirche von selbst seiner Professur.445 Auch hatte

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quet iacula.« Die Anmerkung lautete folgendermaßen: »Qua de pilis hic, omnia ex Patricio.« SStM, S. 533: »Comparate` vero de vtraque militia, tam recenti, qua`m antiqua, primus qui bene` ac erudite` scripserit, fuit Patricius in Paralellis, vnde, & hoc elogium tulit, a` perquam idoeno iudice maximo Scaligero Franciscus Patricius solus videtur digitum ad fontes intendisse, quem ad verbum alij qui hoc studium tractarunt quum sequantur, tamen eius nomen ne semel quidem memorarunt. [Naude´ zitiert aus: epist. 119. ad Casaub.]« Brief von Saumaise an Joh. Fred. Gronovius [undatiert], Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. 213: »Vide illum qui Italice scripsit Parallela militaria satis bona; ex quibus Lipsius magnam partem eorum, quae de Militia Romana commentatus est, videtur hausisse. Cuperem eum videre, si per te aut amicum tuum liceat. Nam etsi Italice` intelligam, non tamen ita plane omnia assequor, quin quaedam sint quibus impetus in legendo meus retardetur.« Constantin Huygens an D. de Wilhelm, Den Haag 16. Juni 1643. In: Briefwisseling C. Huygens, Bd. 3: 1640–1644, S. 390: »Il y avoit quelques livres curieux de la milice, entre autres deux qui sont rares, a scavoir Paralleli militari del Patricio [Paralleli militari, Rom 1594–95] et sua Militia Romana [La Milizia romana di Polibio, di Livio e di Dionisio Alicarnasseo, Ferrara 1583], desquels M. Stevin s’est fort servi dans son livre que j’ay presente de la part de son fils a S. A.; si ces livres ne sont point dans la bibliotheque de S. A., on les debvoit avoir acheptes.« Es handelt sich um die durch Simon Stevins Sohn Hendrik Stevin (1614–1668) ca. 1649–1650 herausgegebenen Materiæ politicæ = Burgherlicke stoffen: Vervanghende ghedachtenissend er oeffeninghen des … Prince Maurits van Orangie, Leiden, Rosenboom. Müller: Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden, S. 33; ebd., S. 34. Zu den politisch-theologischen Implikationen des römischen Antiquarianismus Lipsius’ s. Parenty: Isaac Casaubon helle´niste, S. 104: »Rome peut servir de

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Lipsius sich in seinen Geschichtsvorlesungen niemals universalgeschichtlicher Darstellungen der Protestanten bedient: Nach Art der vorreformatorischen Humanisten hat er seinen Geschichtsunterricht immer unter Zugrundelegung eines antiken Historikers – Tacitus, Livius, Florus et al. – betrieben.446 Neben den zwei gedruckten Ausgaben der Bearbeitung Polybios’ durch Casaubon (1609, 1617)447 liegt ein handschriftlich überlieferter chronologischer Abriss und eine Synopse zu Polybios (chronologia Polybiana) vor.448 Daneben existieren Briefe von Casaubon, DefresnesCanaye und Heinrich IV. vom 9. Sept. 1609 und vom 12. Jan. 1610 an den Herzog von Urbino, dem man die Übersetzung des Polybios von Casaubon auf der Grundlage einer von diesem entliehenen Handschrift schickte.449 Obgleich der Bezug auf Casaubon nicht in puncto chronologischer Fragestellungen zutrifft – Saumaise bezog sich lediglich auf die Hastaten450 –, kann doch vermutet werden, dass Saumaise, der von Casaubon in die gelehrte Welt eingeführt worden war (1604)451, in möglicher Kenntnis über Casaubons Chronologie war. Demzufolge ist wohl nicht nur die Kritik der französischen Gelehrten an DMR, sondern auch die umfassendere Polybios-Rezeption Casaubons in seinen Abriss der römischen militia eingeflossen. Dass sich auch Casaubon bereits mit chronologischen Fragestellungen auseinandergesetzt hatte, bezeugt eine

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mode`le. L’enjeu en est triple: politico-religieux, moral et stylistique. Sur le plan politico-religieux, comme l’a montre´ M. Fumaroli […], l’exaltation de la Rome antique coı¨ncide avec le ralliement de Lipse au catholicisme et a` l’Empire des Habsbourg.« Parenty bezieht sich auf den folgenden Artikel von Marc Fumaroli: Aulae arcana. Rhe´torique et politique a` la Cour de France sous Henri III et Henri IV, Journal des savants, 1981, S. 137–189. Vgl. auch Jehasse: Renaissance de la critique, S. 529. Nordman: Justus Lipsius als Geschichtsforscher, S. 82. Isaac Casaubon, Isaaci Casauboni ad Polybii historiarum librum primum...commentarii, ad Jacobum I, Magnae Britaniae regem serenissimum, Parisiis, apud A. Stephanum, 1617. BN J-12419; RES-J–2188 (1); RES-J–2187; Polybii, Lycortae f., Megalopolitani, Historiarum libri qui supersunt, ex interpretatione Isaacci Casauboni. Aeneae…Commentarius de toleranda obsidione, eodem Casaubano interprete, (Francfurti), typis Wechelianis, apud heredes J. Aubrii, 1610. BN J–12413. Dupuy 746, ›Isaaci Casauboni chronologia Polybiana‹, s. Zitat supra. Henri IV, Nozze Rattone. Festa, 10 Iuglio 1895. [Lettres de J. Casaubon, Defresne Canaye et Henri IV a` Franc¸ois-Marie II, duc d’Urbin, au sujet d’un manuscrit de Polybe preˆte´ par ce prince et traduit par Casaubon], s. l. n. d. in 8°. BN 8 M PIECE–4283; Isaac Casaubon, Nozze Rattone-Festa, 10 Luglio 1895 [Lettres de Casaubon, de Defresnes Canaye et d’Henri IV, date´es de Paris. 9 septembre 1609 et 12 janvier 1610, a` Franc¸ois Marie II, duc d’Urbin, en lui envoyant la traduction de Polybe faite par Casaubon sur un manuscrit qu’il avait preˆte´, s.l. 1895. Dupuy 583 (92v–97), copie, Extrait d’une lettre de Saumaise a` Peiresc, Leyde, 15. Okt. 1635. In: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, Lettres a` Claude Saumaise et a` son entourage. 1620–1637. Hg. v. A. Bresson, Florenz 1992, S. 389ff. Art. ›Saumaise‹. In: Haag (Hg.), La France protestante, Sp. 151: »Casaubon, qui fut en quelque sorte son introducteur dans le monde lettre´.«

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Liste seiner Handschriften, die die folgenden Titel verzeichnet: Fragmenta commentarij in Polybium; Polybii editio ultima cum notis ac margine; Collertanda in Polybium; Historiae Augustae scriptores. Gemeinsam mit Saumaise kommentierte Casaubon die Historia Augusta, eine Sammlung römischer Kaiserbiographien aus der Zeit Konstantins.452 Die Vermutung liegt nahe, dass es eine Verbindung nicht nur zwischen der neuen kritischen Edition des Polybios und der weiteren Erforschung der antiken militärtheoretischen Legs gab, sondern auch zwischen der Historia Augusta und dem Bemühen auch Vegetius, der bei Lipsius gänzlich diskreditiert war, einer historischen Kritik zu unterziehen. In der Bibliothe`que Dupuy befand sich ein Vegetius in folgender Fassung: Ve´ge`ce, Flavii Vegecii Renati, …Epithoma institutorum rei militaris de comentariis Augusti, Trajani, Adriani necnon etiam Frontini, [Paris: P. Ce´war, J. Stoll, av. 1476] (BN Re´s. R–1189).453 Chronologia Polybiana Casaubon forderte eine Anwendung der Chronologie auf die reale Geschichte ein (utilitas [...] ad historiam veram),454 d. h. er strebte eine Verbindung von polybianisch-pragmatischer Geschichtsschreibung mit der chronologischen Methode an. J. J. Scaliger hatte wesentlich zu einer Säkularisierung455 und Verwissenschaftlichung456 der Chronologie beigetragen. In der Kritik von DMR, die sich in Annotationen und Randglossen äußert, kommt der 452

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Dupuy 897, fol. 286v: ›Ex Historiae Augustae scriptoribus et notis Is. Casauboni et Cl. Salmasii ad eosdem‹; Historiae Augustae scriptores, cum Commentario Isaaci Casauboni, Paris 1603. avec les Commentaires de Saumaise sur les meˆmes Auteurs, Paris 1620 in-fol. & Leyde 1670. in–8°. 2. vol. Delatour: Une bibliothe`que humaniste, S. 246: verzeichnet im Inventar von Denis Duval (Supple´ment) unter der Nr. *1095. Darin ist auch die Vegetius-Edition von Bude´ verzeichnet: *1096. Ve´ge`ce, Frontin, Elien, tacticien, Modestus, Guillaume Bude´ (Hg.), The´odore Gaza (Übersetzer), Fl. Vegetii Renati, … de re militari libri quatuor. Sexti Julii Frontini, … de strategematis libri totidem. Æliani de instruendis aciebus liber unus. Modesti de vocabulis rei militaris liber unus … Collata sunt omnia ad antiquos codices …, Paris, Chrestien Wechel, 1553. BN Re´s. R–261. Signe´. Ent. Annote´ par Claude (variantes de plusieurs ms.). Quelques notes de Pierre (S. 63), un passage en face duquel il a mis ›Guyse‹. In einer Anmerkung am Rand einer Kopie des Thesaurus temporum (Cambridge University Library Adv. a. 3. 4.) und Isagogici Canones, 309, Anmerkung zu Tempus Propepticon: »Ego non video quae magna utilitas sit ad historiam veram in istis stultarum gentium figmenta: nam de periodo Juliana est aliud.«, zitiert in: Grafton: Joseph Scaliger and Historical Chronology, S. 174. Ebd. S. 170. Vgl. ebd., S. 161f.: Frühere Chronologen hatten weitestgehend für Studienanfänger geschrieben und ihnen damit eine Hilfestellung für die Bibellektüre und antike Historiker gegeben. Scaliger hingegen sah die Chronologie als eine unabhängige Disziplin, die von Gelehrten erstellt und für diese gedacht war.

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chronologischen Methode eine nicht unbedeutende Rolle zu. Casaubon entwickelte schließlich von Polybios aus eine Chronologie (chronologia Polybiana). Die Chronologie hatte zeitweise einen Vorrang vor der Textkritik und der Epigraphik.457 Es war zunächst Scaliger, der zu einer Säkularisierung und Verwissenschaftlichung der Hilfswissenschaft Chronologie (Chronographie) beitrug.458 Mit ihrer stark chronologischen Tendenz setzte sich die calvinistisch-hugenottische Wissenskultur zunächst von der jesuitischen Lehre ab, die ihre Ratio studiorum 1586 und 1599 vorlegte, in der sie die italienische Reformpädagogik mit spanischen und Pariser Traditionen verband. Zunächst riefen die von Scaliger entdeckten Dynastien kaum Kontroversen hervor, weil die meisten Chronologen Protestanten waren und daher wenig geneigt, den führenden Gelehrten des protestantischen Europa in Misskredit zu bringen und mit einer öffentlichen Distanzierung die Angriffe der Jesuiten auf ihn zu befördern.459 Isaac Casaubon äußerte in öffentlichen Stellungnahmen ausnahmslos seine Bewunderung für den Thesaurus temporum (1606) (Edition der Eusebius-Chronik).460 Die negative Einstellung der Gegenreformation gegenüber dem historischen Studium war nicht rein taktischer Natur, sondern hatte tiefere Gründe. Die Kategorien, in denen die wichtigsten katholischen Denker dieser Zeit die Realität zu fassen suchten, waren nicht historisch, sondern in erster Linie systematisch und rational. Die Diskussion über Ursachen und Entwicklung der Phänomene schien nicht nur gefährlich, sondern auch irrelevant für eine Welt ewiger Wahrheiten. Der Kardinal und Kirchenlehrer Roberto Bel457

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Grafton: Scaliger, Bd. 2, S. 4: »It [chronology] probably enjoyed more esteem than disciplines now much better known, like textual criticism (wich always threatened to degenerate into the squabbling of sterile pedants) or epigraphy (wich always threatened to evaporate into the fantasies of learned forgers).«; S. 11: »Don Cameron Allen and A. Klempt (Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung, Göttingen 1960) shed new light on the traditional assumptions and technical innovations that intersected in Renaissance chronology«; vgl. auch: Grafton: Joseph Scaliger and Historical Chronology, S. 156–185. Bernays: Scaliger, S. 7, 12. Vgl. in dieser Hinsicht auch Jehasses Einordnung der Verwissenschaftlichungsleistung des Justus Lipsius im Felde der Politik: Jehasse: Renaissance de la critique, S. 7: »Lipse l’e´tendant ulte´rieurement a` la politique et a` la morale, et la faisant ressortir du gouˆt. La Critique humaniste atteindra enfin a` la ple´nitude quand Scaliger et Casaubon au sens grec et au sens latin ajouteront une dimension nouvelle: celle de la lecture inspire´e des Mazoreth he´breux capables sous l’effet d’un authentique enthousiasme de ›lire ce qui n’est pas e´crit, et ne pas lire ce qui est e´crit‹. En fait dans un monde apparemment abandonne´ de la Graˆce, un Casaubon est contraint de laisser la Critique sur un plan simplement humain en prenant appui sur ›le jugement, l’e´rudition et la pratique‹, ou sur ›le ge´nie et les livres‹. C’est transformer la Critique en me´thode historique, et sur les pas d’un Polybe, en recherche a` la fois rationnelle et expe´rimentale.« Grafton: Joseph Scaliger and Historical Chronology, S. 173. Ebd.

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larmin (S.J.) (1542–1621) überging weitgehend die Historiker der Renaissance. Wenn er einen Rahmen für historische Konzeptionen benötigte, bezog er sich auf die traditionellen vier Monarchien und eine universelle Chronologie, die die Universalgeschichte in drei Alter von jeweils zweitausend Jahren unterteilte. Die jesuitische Ratio studiorum (1599) räumte dem historischen Studium nahezu keinen Raum ein,461 und die Societas Jesu galt als vehementer Gegner des Griechischen.462 DMR-Kritik Scaligers und dessen militärtheoretisches Profil Ein vehementerer Kritiker Lipsius’ in militärtheoretischen Fragen war dessen Nachfolger in Leiden Joseph Justus Scaliger.463 Scaliger, der zwar niemals Vorlesungen gehalten hat, aber dennoch auf die niederländische Philologie einen großen Einfluss ausübte, war ebenso bewandert im Griechischen wie im Lateinischen und zeichnete sich durch Begabung sowohl für die formale als auch für die sachliche Seite der Philologie aus.464 Obgleich er sich wie Lipsius für antike Militärtechnik interessierte, kritisierte er dessen Strategeme (Schlachtenszenarien). Scaliger zufolge hatte Lipsius keine Kenntnisse des Griechischen und der Geschichte. Die militia-Definition des Lipsius als eine »mvltitvdo apta et composita in armis, ad vim faciendam avt arcendam, svb certa lege.« (DMR, I, Dialog. 2)465 erschien ihm ›stilistisch‹ unpassend: »Non dixeris: Architectonice est multitudo operariorum etc. aut, multitudo apta ad aedificandum etc. στρατοÁ ς est multitudo, id est exercitus. στρατει α exercitus.«466 Stigmatisierte Casaubon wie viele der Zeitgenossen die 461

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Bouwsma: Three Types of Historiography in Post-Renaissance Italy, S. 307; vgl. Paul Nelles: Historia magistra antiquitatis. Cicero and Jesuit history teaching, Renaissance Studies, 13, 2 (1999), S.130–172: In dem jesuitischen Text Tullianae quastiones de instauranda Ciceronis imitatione (1610) von Andre´ Schott wird deutlich, dass das jesuitische curriculum dem Geschichtsstudium einen Raum einräumte. Darin erfolgt eine späte Verteidigung des Renaissance-Ciceronianismus und ein Appell an die zeitgenössische antiquarische Gelehrtsamkeit. Der Text schreibt sich zudem in die allgemeine Tendenz zu einem konzisen lateinischen Stil ein, wie ihn Lipsius prägte. Müller: Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden, S. 36. Zum Verhältnis Scaliger-Lipsius vgl. Joseph Scaliger: Lettres franc¸aises ine´dites de Joseph Scaliger. Hg. v. Philippe Tamizey de Larroque, Agen-Paris 1881; Sur la vie et les travaux de ce philologue, ainsi que sur ses relations avec Scaliger, je me contenterai de citer les 148 premie`res pages du livre de M.C. Nisard: Le Triumvirat litte´raire au XVI e sie`cle.« Vgl. Juste Lipse, Joseph Scaliger et Isaac Casaubon, Paris 1852, S. 299: »J’ajouterai seulement que Raphelengois est mentionne´ dans le Secunda Scaligerana (p. 527) pour son opinion sur le peu durable succe`s des ouvrages (moins un) de Juste-Lipse.« Müller: Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden, S. 35. Lipsius: De militia Romana libri quinque, commentarius ad Polybium, Antwerpen 1596, S. 4f. Zitiert in: Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 194.

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fehlende Originalität der Lipsianischen Interpretation, so übte Scaliger Kritik an den chronologischen Mängeln des taktischen Idealtyps Lipsius’. Er warf Lipius vor, dass ein angeführter Gesichtspunkt nicht aus der Zeit des Polybios, sondern der des Vegetius stamme.467 An anderer Stelle merkte er an, dass diese Dinge aus einer späteren Zeit als des Polybios stammen.468 Scaliger, der der jüngeren französischen Humanistengeneration angehörte, kritisierte den zur älteren italienischen Philologenschule zählenden Lipsius, denn dieser hat offensichtlich nicht die von ihm gefeierten Prämissen der chronologischen Methode berücksichtigt, und sich eine Reihe philologischer Irrtümer zu Schulden kommen lassen.469 Neben der Kritik an DMR, die ein kollektives Unternehmen war, verfasste Scaliger auf Anfragen de Thous eine kurze Schrift über den ordo und die acies, wie sie aus Polybios herauszulesen waren, den er als einen hervorragenden Autor (auteur tre`s excellent) bezeichnet. Scaliger schien von dem Gedanken angetan, dass der Philologe Entdekkungen alter Waffen machen könne. Er edierte Caesar für Plantin (1606), brachte Noten über geographische Materien an und griff eine einleitende Bemerkung zur vitalen Bedeutung der praktischen Lehren 467

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DMR (BN, Re´s. J. 1300), S. 133: »Haec tempore Vegetii, et nihil ad Polybium«; bezieht sich auf folgende in DMR: »Etiam Vegetius: Turmae qui praest, Decurio nominatur. Vt enim centum pedites ab vno Centurione, sic triginta duo equites ab vno Decurione sub vno vexillo reguntur. Vbi tamen notandum, mutatum iam in numero, nec tres sed vnum fuisse, nomine tamen prisco. Nam vt illa aetas Manipulos in pedite sustulit, sic etiam Decurias in equite neglexit. Amplius ait sub vno vexillo. Ergo quaeque Turma vnum signum: non etiam quaeque Decuria aut dux, vt in pedite factum. Nota, quia Polybius non dixit.« Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 194. [Lipsius, De militia Romana libri quinque. Commentarius ad Polybium, Antwerp 1596, DMR Paris BN, Re´s. J 1300, pp. 133: ›Haec tempore Vegetii, et nihil ad Polybium‹; 9: ›Haec sunt ultimorum temporum, non aevi Polybii‹, 157]. Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 194: »To us, however, they tell a more complex story. They show that even in the year of his death, Scaliger retained his humanist’s concern for rhetoric as well as his sharp eye for philological and methodological errors. More important, they confirm the distinction that I have drawn between the new French scholarship that Scaliger helped to create and the older Italian scholarship by which Lipsius was formed.« (Grafton hält sich bei dieser These an Jacob Bernays); vgl. auch: Myron P. Gilmore: The Renaissance Conception of the Lessons of History. In: ders. (Hg.), Humanists and Jurists, Cambridge, Mass., 1963, S. 33: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildeten sich zwei Schulen der Interpretation in den Rechtsstudien heraus. Die traditionelle Schule, die später als mos italicus bezeichnet wurde, stellte die Anwendung der aus der Analyse eines maßgeblichen antiken Textes abgeleiteten Regeln in der Gegenwart in den Vordergrund. Die zweite Schule, die als mos gallicus bezeichnet wurde (da sie von den französischen Rechtsgelehrten weitestgehend angenommen wurde), widmete sich dem historischen Verständnis des klassisch-antiken Gesetzes mit allen der Geschichte und Philologie zur Verfügung stehenden Mitteln, jedoch ohne Rücksicht auf die Anwendung der Ergebnisse auf die Gegenwart. Erstere verfolgte einen systematischen, zweitere einen historischen Zweck.

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der alten Historiker auf, die er Lipsius entlehnte. 1606 datiert auch eine Caesar-Edition zu Frankfurt, an der Scaliger beteiligt war und die sich auf eine Handschrift aus der Bibliothek von Paul Petau (1568–1614) stützte.470 Dass sich Scaligers Kritik zu Lipsius nicht nur auf dessen mangelnde Griechischkenntnisse bezieht, verdeutlicht folgende Bemerkung über den Polybios-Kommentar in den Scaligerana: Lipsius könne nicht über Polybios schreiben, da er des Griechischen nicht mächtig sei; gleichfalls könne er nicht auf Französisch schreiben; schließlich sei er kein politicus und könne daher auch nicht von der Politik handeln; Pedanten vermögen nichts in diesen Dingen. Auch habe er im Hinblick auf die Militia romana alles Patrizi entlehnt.471 Der Methodenbegriff der hugenottischen Gelehrtenkultur (Scaliger, Casaubon, Saumaise) zeichnet für das gesteigerte Bewusstsein Saumaises für die chronologische Kritik, wie er sie in der Rekonstruktion der antiken militia anwandte, verantwortlich. Saumaise griff die Impulse der in den frühen Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts angelegten Vegetius- und Polybios-Rezeption auf. Einerseits scheint Saumaise die von Wallhausen hervorgehobene Revalorisierung des Vegetius als pragmatischen Historiker aufgegriffen zu haben, um ihn für die taktische und strategische Lehre fruchtbar zu 470

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C. Julius Caesaris (necnon et A. Hirtii) quae exstant ex nupera viri docti [J. J. Scaligeri]. Accedit nunc vetus interpres graecus librorum VII de bello Gallico, ex bibliotheca P. Petavii. Praeterea notae, adnotationes, commentarii … in quibus notae … Jo. Brantii, … Editio adornata opera et studio Gothofredi Iungermani, …Francofurti, apud C. Marnium, 1606. BN J–3560 und Bibl. Arsenal 4-H–1054. Scaligerana. Editio altera ad verum exemplar restituta, & innumiersi iisque foedissimis mendis, quibus prior illa passim scatebat, diligentissime purgata, Coloniae aegrippinae, apud Gerbrandum Scagen, M.D.C.LXVII. Bibl. Sorbonne L.P.v. 131, S. 141: »Lipsius en sa Militia Romana retient encore cette interpretation de Capreola, quae Villiomarus reprend en Titius Lepsius fait autant d’etat du Latin de Ciceron que je fais du Latin de Lipse: il parloit fort bien Latin en son jeune aˆge, son oraison de Concordia & sur la mort du Duc de Saxe.«; S. 142f.: »Lipsius est cause qu’on ne fait gueres e´tat de Ciceron; lorsqu’on en faisoit etat, il y avoit de plus grands hommes en eloquence que maintenant. Ovidius Lipsio non videtur bonus Poeta Lipsius n’est Grec que pour sa provision. Ego scio quid judicandum sit de Lipsio & in quibus laudandus est, & in quibus non; non est semper laudabilis, sed quaedam opera docent esse doctum Male` sribit; pauca dixit in Senecam. Non scripsit in Polybium, nec potest, usus tamen est: oportet esse bonum Graecum qui velit in illum librum scribere. Epistolae Gallicae quae Lipsii dicuntur, Lipsius non est autor (certum est Lipsium Latine` hanc epistolam scripsisse, Miraeus vidit) non potest ita Gallice` scribere, neque est Politicus, nec potest quicquam in Politia: nihil possuntpedantes in illis rebus: nec ego nec alois doctus possemus scribere in Politicis. Lipsius minime` valet, dubius in illis Lipsius libro de Militia romana, omnia cepit ex Francisco Patricio qui Italice` scripsit ea de re.«; Yvo Villiomarus, unter diesem Namen hat Joseph Scaliger das Buch Animadversionum liber in locos conversos Roberti Titii, Heidelberg 1610 herausgegeben.

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machen. Andererseits folgte er der militärtheoretischen Lipsius-Kritik472 und knüpfte in dreifacher Hinsicht an den Nukleus der französischen Kritik des Polybios-Kommentars an, wie sie vor allem von den calvinistischen Philologen Scaliger und Casaubon unternommen worden war: hinsichtlich des Primipilum (primipilus: Zenturio des ersten Manipels der Triarier, rangältester Hauptmann) und der chronologischen Mängel einer Geschichte der antiken taktischen Theorie,473 als auch hinsichtlich der mangelnden Sprachkenntnis des Griechischen.474 In einem Brief von Heinsius an Casaubon (28. März 1609) ist zu lesen, dass Scaliger sich an einer Zeichnung, einer schematischen Darstellung des pilum nach der Darstellung von Lipsius versucht habe. In den kritischen Noten, die die französischen Humanisten – vor allem Scaliger – zur Militia Romana gemacht haben, spielt die Kritik des pilum eine Rolle.475 Saumaise äußerte auch den gängigen Einwand, dass Lipsius Patrizi kopiere.476 Scaliger selbst war durch einen aperc¸uhaften kurzen Polybios-Kommentar hervorgetreten, in dem sich der Augenzeuge des dritten französischen Religionskriegs477 als Kenner der taktischen Veränderungen seiner Zeit zu erkennen gab und welchen er auf Anregung aus dem Umfeld von de Thou verfasst hatte.478 Mit seiner Kritik wurde er zum Vorläufer der militärtheoretischen Lipsius-Kritik, die sich auf chronologische Fehl472

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Dieser Gesichtspunkt wurde von Arnaldo Momigliano noch nicht erkannt; vgl. Momigliano: Polybius’ Reappearance in Western Europe, S. 372: »Polybius’ reputation soared rapidly in the second part of the sixteenth century. His fame was based on his expertise as a military and diplomatic historian. The Dutch republicans took his lessons to heart, though paradoxically the lesson was spelled out by Justus Lipsius after he had preferred Catholicism and monarchy to Protestantism and republic. Finally, Polybius and his Protestant editor, Casaubon, took refuge in England, and the Dutch had a better reason for remaining faithful to both.« DRMR, S. 218 (Teil über die Bewaffnung). DRMR, S. 18. Vgl. die handschriftlichen Anmerkungen in DMR (BN Re´s. J. 1300). DRMR, S. 152 (Kapitel über Bewaffnung): ex Patricio* pag. 25 b.; 216 (ebenfalls im Kapitel über die Bewaffnung). Vgl. Bernays: Scaliger, S. 41f.: »Auf die zu Valence in Gesellschaft solcher Freunde wie Cujacius und de Thou verlebten Jahre hat Scaliger immer mit wehmüthiger Erinnerung zurückgesehen. Sie umfassen gerade die kurze Zwischenzeit […], welche den dritten Religionskrieg von der Bartholomäusnacht trennt. Doch war nicht jene Nacht Schuld daran, dass Scaliger Valence verliess. Kurz vorher schon war ihm durch Cujacius’ Empfehlung die Ehre und die Noth zugefallen, an der diplomatischen Sendung theilzunehmen, mit welcher Catharina von Medicis den Bischof von Valence, Jean Monluc, betraut hatte, um dem damaligen Herzog von Anjou, später Heinrich III., die erledigte polnische Wahlkrone zu verschaffen. Am einundzwanzigsten des für Frankreich verhängnisvollen Augustmonats 1572 erhielt Scaliger, der sich auf kurze Zeit nach Lyon zur Einleitung des Druckes seiner Catalecta begeben, den Befehl, schleunigst aufzubrechen und den Monluc in Strassburg zu erwarten.« Dupuy, In 394ter, fol. 199, ›Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais‹.

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leistungen und rein sachliche Argumente – so das pilum-Problem bezog. Letzteres trat bei Scaliger in dem annotierten Exemplar der PolybiosEdition von Lipsius479 auf und wurde nochmals kurz vor seinem Tod formuliert. Scaliger hatte, wie bereits erwähnt, auf eine Anfrage de Thous hin einen kurzen Kommentar zur Taktik des Polybios verfasst. Er könne auf die Anfrage aus dem Kabinett de Thous nur kurz antworten, wenngleich er meint, dass die Sache einer längeren Ausführung bedürfe, die durch Beispiele aus der antiken Literatur illustriert werden müssten. Doch Scaliger hatte bei seiner Übersiedlung nach Leiden seine Bibliothek in Frankreich zurückgelassen, so dass er seine militärtheoretischen Reflexionen skizzenhaft darlegte:480 »Qu’elle fust rectangle le plus souuent, la fac¸on de parler Grecque le demonstre assez, outre ce qu’on en peut recueillir par Polybe. Auteur tres-excellent.«481 Dass sich Scaliger als Experte für Polybios erwies, belegen bereits seine handschriftlichen kritischen Anmerkungen in (s)einem Exemplar des Polybios-Kommentars Justus Lipsius (BN, Re´s. J. 1300). Scaligers Kritik ist chronologischer und philologisch-sprachwissenschaftlicher Art (so korrigiert er die Grammatikfehler). Scaliger betonte den militärtheoretischen Wert des Polybios (»Auteur tres-excellent«), der im Hinblick auf die taktische Theorie vor Titus Livius rangiert; das Bataillon Scaligers hat die Form eines intervallierten Pallallelogramms.482 Scaliger griff die taktische Problematik der Intervalle auf.483 Dass sich in den Binnenkreisen der französischen politiques keine klare Trennlinie zwischen Polybios und Vegetius herausbildete, mag 479

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DMR (BN Re´s. J. 1300): Primipilus auf S. 73; chronologische Kritik auf S. 9 (Vorwurf, das angeführte Zitat stamme nicht aus der Zeit Polybios), S. 133. Joseph Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou. In: ders. posthum: Opuscula varia antehac non edita, Paris, Beys, 1610. Bibl. Sorbonne LP v. 44 in 4°, S. 566: »Voyla quant aux demandes, le plus sommairement qu’il nous a este´ possible. Car la chose meritoit estre deduicte plus au long, & illustree des passages des Anciens: ce que nous eussions faict, si nous eussions eu nos liures.« Ebd., S. 563. Ebd.: »La figure doncques en laquelle on dressoit vn bataillon, estoit parallelogramme rectangle, les rengs distans l’vn de l’autre, de competent interualle pour receuoir les fatiguez. Qu’elle fust rectangle le plus souuent, la fac¸on de parler Grecque le demonstre assez, outre ce qu’on en peut recueillir par Polybe, Auteur tres-excellent.« Dupuy 394ter, [fol. 199–200] fol. 199v: »Ces rengs doncques, ou […], estoient laxes, & competens a` receuoir les faitues, comme cy dessus nous auons dit, ce qui est expressement marque´ par Polybe. Tellement qu les trauaillez, a` sc¸auoir le reng AB, se retirans couloient par iugum, aut […] ACE, au derriere de EF, comme Tite Liue le monstre au doigt, & mieux Polybe. Mais je n’ay icy les liures. Non seulement les rengs de chasque gros estoient laxes: mais aussi l’interualle d’entre gros & gros estoit plus spatieux pour receuoir tout vn gros fatigue´.«

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daran liegen, dass die Qualitäten Vegetius’ als pragmatischer Historiker auf dem Hintergrund einer an Polybios geschärften Theorie pragmatischer Geschichte erkannt wurden und dass sowohl Polybios als auch Vegetius mit der legistischen/rechtswissenschaftlichen Tradition des französischen Humanismus zu verbinden waren. Die römischen Digesten und Vegetius stehen in enger Verbindung, wie insbesondere die byzantinische Rezeption der ERM zeigt, die sich von der okzidentalen, bis Ende des 13. Jahrhunderts in erster Linie technischen Rezeption abhebt.484 Auch lassen sich Verbindungen zwischen den ERM und der Historia Augusta festhalten,485 und es erscheint daher kaum kontingent, dass Casaubon und Saumaise, die sich intensiv mit der Historia Augusta und dem Polybios beschäftigten, auch einen neuen kritischen Zugriff auf Vegetius nahelegten. Angesichts dessen, dass er im 15. und vor allem 16. Jahrhundert besonders intensiv kollationiert, annotiert und ›pragmatisiert‹ wurde, weist Polybios hingegen gleichermaßen eine legistische und militärisch-strategische Rezeptionsgeschichte auf. Dass auch ein neuer theoretischer Zugriff auf Vegetius möglich wurde, ist wesentlich der geschichtsmethodischen Richtung des ›Polybianismus‹ zu verdanken, einer an den Historien des Polybios geschärften Theorie pragmatischer Geschichte. In der collection Dupuy liegt eine Reihe von Handschriften des Polybios, nicht jedoch des Vegetius. Dieser ist sowohl in seiner lateinischen als auch seiner vernakularsprachlichen Überlieferung im fonds latin respektive im fonds franc¸ais der Französischen Nationalbibliothek vertreten. Auch im fonds grec befindet sich eine Histoire de Polybe auf Französisch (Parisinus, Bibl. Nat., Suppl. Gr. 279 fos. I–49). Gleich dem Kodex der Taktiker trat Polybios bereits im 10. und 11. Jahrhundert. verstärkt auf,486 um dann im 15. und. 16. Jahrhundert wiederzukehren 484

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Ilari: Imitatio, Restitutio, Utopia, S. 285: Unter diesem Zeichen stand insbesondere die byzantinische Rezeption der lateinischen Überlieferung, der Digesten von Kaiser Justitian und der Epitome von Vegetius; ebd. S. 286: »A differenza delle Institutiones legali di Giustiniano, quelle militari di Valentiniano III e Teodosio II non svolsero nel Medioevo una funzione critica – e nemmeno propriamente ›didattica‹, come sostiene Philippe Contamine – ma soltanto culturale e pedagogica. Nel XV secolo Epitoma e Strategemata formavano, con altri classici antichi (Cesare, Livio, Valerio Massimo) e moderni (L’Arbre des Batailles e Le Jouvencel), il normale percorso di lettura consigliato al giovane cavaliere (miles).« Andre´ Chastagnol: Ve´ge`ce et l’histoire August, Beiträge zur Historia Augusta Forschung, 4 (1970), S. 59–80; Eric Birley: The Dating of Vegetius and the Historia Augusta, Bibliothe`que d’histoire et d’arche´ologie Chre´tiennes, 1982/3, Bonn 1985, S. 57–67. Moore: The manuscript tradition of Polybius, S. 184f.: Bücher I–V: 10. Jh. – A Vaticanus Gr. 124 (? A.D. 947); 10./11. Jh.: F Vaticanus Urb. Gr. 102 ›Urbinas‹; die Excertpa antiqua (VI–XVIII): 10./11. Jh.: Vaticanus Urb. Gr. 102 (Excerpta Antiqua aus den Büchern I–XVIII).

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und das legistische und strategische Denken zu beeinflussen. Polybios löste jedoch Vegetius keineswegs ab. Im Zuge einer neuen Funktion der Geschichte als einer pragmatischen – diese Methode wurde zweifelsohne spätestens seit Bodin anhand von Polybios’ Historien theoretisiert – begann man auch die vegetische Legs philologischer Kritik zu unterziehen und Vegetius gleichfalls in den Rang eines pragmatischen Historikers zu erheben. Sowohl Polybios als auch Vegetius weisen Bezüge zur französisch legistischen Bewegung auf. Gerade in der Generation von Scaliger und noch Casaubon und Saumaise – letztere arbeiteten an einer Edition der Historia Augusta und befassten sich mit der Legs des Polybios – tritt dies deutlich zutage. Guillaume Bude´, ein Vertreter der französisch legistischen/rechtswissenschaftlichen Tradition, edierte und annotierte Vegetius. Und bereits dessen Vater, Jean Bude´, der zwischen 1480 und 1487 eine Reihe von Handschriften in Auftrag gab, war im Besitz einer Vegetius-Handschrift.487 Die Vegetius-Editionen gingen auf die durch Giovanni Suplizio da Veroli erstellte Fassung (Rom 1487) zurück. Bis zur wissenschaftlichen Edition von C. Lang (1869, 1885) stellten diese aber wesentlich militärische Sammlungen/Miszellen dar. Zu ihnen zählen die Ausgaben von Franciscus Modius (Köln 1580), Godescalcus Stewechius (Antwerpen 1585) und Pieter Schrijver (Leiden 1633, 2. Ausg.).488 Die Pariser Edition 1532 und später (bei Wechel, aber von Guillaume Bude´ angeregt und wahrscheinlich betreut), Modius (1580) und Stewechius (1585) sind Textkonstitutionen.489 Im Späthumanismus nach Modius und Stewechius setzte ganz offensichtlich auch eine Suche nach neuen Handschriften des Vegetius ein. Von God. Stewechius zu Saumaise: Historisch-kritische Vegetius-Rezeption Wallhausen warf Lipsius vor, Polybios durch Vegetius zu ergänzen. Im Folgenden soll daher die Bedeutung dieser beiden antiken Militärschriftsteller eingehender erläutert und deren Bedeutung für den Kulturtransfer herausgestellt werden. 487

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Michael D. Reeve: The Transmission of Vegetius’s Epitoma Rei Militaris, Aevum. Rassegna di scienze storiche, linguistiche e filologiche. Facolta` di lettere dell’universita` cattolica del sacro cuore, 74, 1 (2000), S. 261. Michael D. Reeve: Introduction. In: Vegetius, Epitoma Rei Militaris. Hg. v. dems. (Oxford classical texts), Oxford 2004, S. li. Alf Önnerfors: Rezension von Flavius Vegetius Renatus, Epitoma Rei Militaris. Edited with an Englisch Translation by Leo F. Stelten, New York-Bern-Frankfurt a. Main-Paris 1990 (American University Studies. Series XVII: Classical Languages and Literature, II), Gnomon, 65 (1993), S. 496.

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Sowohl die Polybios- als auch die Vegetius-Rezeption müssen auf dem Hintergrund einer qualitativen Veränderung der Rezeption antiker taktischer Theorie gesehen werden. Ph. Richardot beschreibt dies philologiegeschichtlich auch als den Übergang von den Scriptores veteres zum philologisch-wissenschaftlichen Kommentar des nordwesteuropäischen militärischen Humanismus. Die Verlagerung des Zentrums der klassischen Studien nach Frankreich, Deutschland und die Niederlanden hatte dazu beigetragen, das Interesse an Polybios als Historiker und Theoretiker der politischen und militärischen Organisation zu vergrößern490 und zu einem Höhepunkt der Polybios-Rezeption um 1600 geführt.491 Diese Entwicklung kulminierte in dem Gegensatz, der zwischen Casaubon und Lipsius auftrat. He´le`ne Parenty hat diesen in die Formel »Polybe contre Tacite, Casaubon contre Lipse« gegossen.492 Damit wurde zwar die Tacitusrezeption verdrängt, jedoch nicht die Vegetius’, der von vielen Seiten ob seiner historisch-kritischen Schwächen gescholten wurde, aber im Hinblick auf seine Qualitäten als zwar kompilatorischer, doch durchaus ›pragmatischer‹ Militärschriftsteller, selbst seitens der ›polybianischen‹ Militärtheoretiker eine erneute Zuwendung erhielt. Sogar Wallhausen sprach ihm, wie breits erwähnt, den Rang eines pragmatischen Historikers zu. Mit Lipsius schien sich eine Wendung weg von Vegetius und hin zu Polybios zu vollziehen: So folgte Stewechius Lipsius und beklagte, dass Vegetius die Einrichtungen (instituta) und Sitten (mores) seiner Zeit mit früheren vertausche.493 Die 490

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Arnaldo Momigliano: Die Wiederentdeckung des Polybios im europäischen Westen. In: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, Bd. 2.: Spätantike bis Spätaufklärung. Hg. v. Anthony Grafton, Stuttgart-Weimar 1999, S. 94. Vgl. ebd., S. 97; ebd., S. 95: »Einer der Gründe, warum Polybios so maßgeblich wurde, bestand darin, daß er die beste Alternative zu der Besessenheit mit Tacitus bot, die für das geistige Klima besonders in Italien und Spanien typisch war.« Parenty: Isaac Casaubon he´lleniste, S. 197; weitere Ausführungen zum Verhältnis der beiden Historiker der Antike Casaubon und Lipsius, S. 194–203; entscheidend ist jedoch, dass Casaubons Kritik der Praefatio nicht auf das taciteische politische Denken, den politischen Tacitismus zielte s. S. 204: »C’est plutoˆt l’homme luimeˆme qui est vise´, ou la pense´e lipsienne dans son ensemble«, so die These. Fl. Vegetii Renati Comitis, aliorumque aliquot veterum de re militari libri. Accedunt Frontini Strategematibus eiusdem auctoris alia opuscula. Omnia emendatius, quaedam nunc primum edita a` Petro Scriverio. Cum Commentariis aut Notis God. Stewechii & Fr. Modii, ex Officina Plantiniana Raphelengij, 1607. BN R–6415, s.p.: »Nam Vegetius, eodem censore, nihil habet meri, ac sui & superioris aeui instituta aut mores confundit. Quem Polybium cum mearum virium non esset emendare aut illustrare, & tamen publico prodesse vellem, ac bene` de re bellicaˆ mereri (vtique in ea empora incidimus, vt si alias vmquam, hodie certe` auctores eiusmodi legendi sint & omnium manibus terendi:) Vegetium arripui. Sic proci Penelopes, cum ad ipsam dominam non esset accessus, cum illius ancillis miscebantur. Atqui, quae ista prurigo est, inquies, vt actum velis agere, & […] Hui, quam falleris! Equidem fateor Godeschalcum Stewechium optime` de auctore hoc meri-

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

›kompilatorische Achillesverse‹ des Vegetius, der die Institutionen oder Sitten seines Zeitalters mit den früheren durcheinander bringt, hob der Vegetius-Interpret Pieter Schrijver (1576–1660) hervor.494 Dass Vegetius

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tum: & editio eius quin praestantissima sit, plusqua`m manifestum est. Semel haec iterumque prodiit, magna quidem ipsius & doctrinae & diligentiae laude; sed cui tamen accedere aliquid posse literatiores quidam arbitrabantur. Nam haesisse multa vulnera, & res ipsa loquitur, & quicumque doctus aut candidus diffiteri non potest. Haec magnam partem ope antiquorum codicum (octo fuisse scias, & inter eos optimae notae duos, quorum fides minime` vacillabat) sustuli: & si quae in deterius mutata esse a` nuperis Criticis co[m]pereram, ea fideiubentibus membranis sedulo` correxi. Introspice Lector, nam & hıˆc Dii sunt. Praestantissima quidem, vt supra attigi, Stewechii editio, sed non talis quae non melior aliquando reddi possit; vt nunc certe` reddita est, aut ego egregie` fallor. Quid autem Vegetio atque ipsi etiam Stewechio adiiciat haec noua editio, putidum esset & nimis longum singulatim percensere. Tribus tamen verbis, quod aiunt, indicandum: Huius Commentarium multis auctorum exemplis emendatiu`s productis expolitum: Illum Vegetum totum valentemque, ac pristinae integritati restitutum. vt vere` nunc primu`m RENATVS propemodum possit videri. Paragraphis inclusa, quae passim occurrunt, vetustissima exemplaria manuscripta non agnoscunt. Sed & quaedam viri docti redundare suspicantur. Idcirco non temere` abiicienda censui: cu`m videlicet clamantibus iis adulterinum, nonnumquam sententia ipsa reclamet, & genuinum asserat. Sed pleraque tituillitii sunt, & mera glossemata, importunissime` ab hominibus iis insulta & tamquam furcillis intrusa, qui phrasin Vegetianam aut mores veteres non intelligebant. Caeterum si quae forte` animo tuo minus recte includi ac perperam iugulari existimaueris, adi, nisi graue est, Commentarium; atque ist hinc rationem pete. Vegetio ad istum modum serio castigato, variisque lectionibus & perpetuis notis illustrato, reliquos etiam scriptores bellicos recensendi impetum cepi. & in his praecipue` Frontinum. In quo qui ante` me laborarunt membranis nullis adiuti Coniectanea tantum & leues Notas ediderunt. Mihi vero` ea felicitas obtigit, vt auctorem illum ex septem manuscriptis codicibus, factaˆ eorum cum editis diligenti comparatione, emendare licuerit. Quibus hercules ducibus locis quamplurimis medicina[m] feci. Sed & persanata nonnulla nostropte ingenio. vti videre est in oraˆ. ibi enim emendationes siue notas exhibere quam seorsim dare malui, vt parcerem labori tuo. Porro non hic substiti, sed Auctarium non modicum addidi. Nempe Hygini librum Gromaticum, Ruffi leges militares, & Anonymi cuiusdam de rebus bellicis scriptum. Quod semel dumtaxat in Germania editum & Notitiae Imperii adiectum, nuper in Italia ab opere illo avulsum cum animaduertissem, metuere coepi ne aliquando disperiret. Itaque mendis aliquot sublatis illud ab interitu vindicaui. Ruffi libellus desumptus est ex volumine Iuris GraecoRomani a` Iohanne Leunclauio olim digesti, editique nuper a` Marquardo Frehero Iurisconsulto & Philologoe primario. Hygini fragmentum de Castrametatione nunquam hactenus visum, quamquam esset mendosissimum, attexere non dubitaui. Descriptum id a` me ex codice Arceriano, quo vsus etiam olim magnus Lipsius. Hoc quam misere` a` librariis acceptu[m] sit, quam varie corruptum & lancinatum, quam portentosum denique, omnibus in confesso est; non item in mundo medicina. Adeo profecto confusa & perturbata omnia, vt nisi Aesculapius ille qui Hippolytum vitae restituit ab inferis excitetur, sanare credam posse neminem.« Viri illustris Flavii Vegetii Renati, & Sex. Julii Frontini Viri Consularis, de re militari opera; Ex recensione Petri Scriverii. Accedunt alia ejusdem argumenti veterum scripta, Lugduni Batavorum, Joannis Maire, 1633. R–24742. P. Scriverii praefatio: »Nam Vegetius, eodem censore, nihil habet meri, ac sui & superioris aevi instituta aut mores confundit. Quem Polybium cum mearum virium non esset emendare aut illustrare, & tamen publico prodesse vellem, ac bene de re bellica

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aber eine neue kritische Würdigung zukommen müsse, darin waren sich Peiresc und Saumaise einig. Saumaise forderte eine Handschrift des Vegetius aus den Sammlungen von Dupuy oder de Thou an.495 Sein Urteil zu Vegetius fiel wie folgt aus: Bei ihm handele es sich um einen Autor, dem die modernen Gelehrten des nordwesteuropäischen Humanismus (noz gentz), die sich mit dem römischen Militär befassen, keinerlei Bedeutung beimessen und auf den sie nicht gut zu sprechen seien, zumal er gedichtet habe und Dinge beschrieben habe, die bei den Römern im Krieg niemals praktiziert worden seien.496 Er sei jedoch nicht ihrer Auffassung und wolle das Gegenteil beweisen; Vegetius habe seine Aussagen nicht aus eigener Anschauung gewonnen, sondern aus der Literatur kompiliert, die aus einer Zeit stammt, da, zu Zeiten Trajans und Hadrians, die Kriegskunst und die militärische Disziplin auf ihrem Höhepunkt standen. Auch wisse er aus sicherer Quelle, dass er in der Regel ›durch den Mund‹ des Frontinus spreche, der von der Militärwissenschaft (science militaire) und den Stratagemen (stratage`mes) gehandelt habe, von denen jedoch nur die Stratageme (stratage`mes) überliefert seien.497 Saumaise sah demnach nicht – wie in der jüngeren Forschung Everett Wheeler – die semantische Unterscheidung zwischen den strategemata (I–III) und der Strategie in dem Text der Strategemata selbst angelegt, sondern vermutete einen weiteren verschollenen Text, der sich der scientia annimmt. Die Strategemata wären nur eine Ergänzung seiner vorhergehenden Bücher. Frontinus selbst hatte in seiner Einleitung die Strategemata als einen spezifischen strategischen Typus definiert, der

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mereri (utique in ea tempora incidimus, ut si alias umquam, hodie certe auctores ejusmodi legendi sint & omnium manibus te rendi:) Vegetium arripui.« Zur Sammlung de Thous s. Antoine Coron: ›Ut prosint aliis‹: Jacques Auguste de Thou et sa bibliothe`que. In: Pascal Fouche´ (Hg.): Histoire des bibliothe`ques franc¸aises, Bd. 2: Les bibliothe`ques sous l’Ancien Re´gime. 1530–1789, Paris 1988, S. 101–125; ders.: Quelques aspects de la bibliothe`que de Jacques-Auguste de Thou, Bulletin du bibliophile, 3–4 (1988), S. 270–293. Saumaise an Jacques Dupuy, prieur du Saint-Sauveur, a` Paris, au logis de M. de Thou, s.l., s.d. [1636], in: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, Dijon 1882, S. 154f.: »Je vous prie me sc¸auoir dire s’il y a point parmy voz livres escriptz a` la main ou ceux de M. de Thou, quelque manuscrit de Vegece qui soit de bonne marque. C’est un autheur dont noz gentz qui ont traicte´ de la milice romaine ne font point d’estat et n’en parlent pas en meilleur terme, sinon que c’est un homme qui a escript des chansons et des choses qui ne furent jamais pratique´es chez les Romains en leur guerre.« Ebd., S. 155: »Mais je ne suis pas de leur advis et leur prouveray le contraire, car tout ce qu’il en dict ne vient pas de son estre, ains de ceux qu’il a compilez et qui vivoient en un temps que l’art de la discipline militaire estoient en sa fleur du temps de Trajan et d’Adrian, et sc¸ay de bonne part qu’il parle la pluspart du temps par la bouche de Frontin qui avoit escript de la science militaire et des stratage`mes, mais il ne nous en est reste´ que les stratage`mes.«

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auf der Kriegskunst und der List basiert, sei es um zu verteidigen oder um anzugreifen. Die erste französische Übersetzung des Frontinus stammt von Jean de Rovroy (1471), eine weitere von Nicolas de Volcyr (1536). Bereits John of Salisbury (1115–1180) hatte in dem Poliocraticus sive de nugis curialium (1156–1159) zahlreiche exempla als Teil de Institutio Traiani präsentiert – Policr. nimmt in Anspruch der Institutio Traiani zu folgen –, die er aus der Handschrift der Strategemata des Frontinus gezogen hatte.498 Seine Zitate Frontinus’ stammen fast ausschließlich aus dem vierten und letzten Buch der Strategemata (sogar Strat. 2. II. 5–7) und treten in älteren Handschriften als Teil des vierten Buches auf.499 John of Salisbury zitierte einen großen Ausschnitt aus Strat. IV im Policraticus. Er verwendete über die Hälfte der 46 Episoden in Stra. IV. 1) de disciplina, vierzehn und fünfzehn Episoden in IV. 3) de continentia und mindestens eine Geschichte aus jedem der weiteren Kapitel.500 Der Zusammenhang zwischen der textkritischen Forschung über die griechisch-byzantinischen Taktiker und einer Synthese des römischen militärischen Modells ist ein methodischer. Dabei wird die Synthese des römischen Modells als methodisches Instrument begriffen, die taktische Theorie zu korrigieren respektive die Gesamtsynthese der römischen militia und die Kritik der griechisch-byzantinischen Taktiker erscheinen als Pendants. Dieser Urbicius, wenn er in der Bibliothek von Florenz vollständig erhalten ist, wie Saumaise es aus der Passage zu entnehmen glaube, die Friedrich Lindenbrog (1573–1648) mitteilt, biete ihm die Möglichkeit, die gesamte römische militia wiederherzustellen und die Fehler des Maurikios an den unzähligen Stellen zu korrigieren, an denen dieser, wie Lindenbrog an besagter Stelle anmerkt, verdorben sei.501 Die exakte Rekonstitution und Erforschung nicht nur der byzantinischen Taktiker, sondern auch von Vegetius und Polybios sollte dazu dienen, das römische militärtheoretische Modell in einer chronologischen Perspektive möglichst exakt zu rekonstruieren. Anders als Wallhausen, der Vegetius folgte, lotete er die Intertextualität antiker Taktiker über Polybios aus. Er ist damit in der Tradition des oranischen Reformkomplexes, der nassau-oranischen militärtheo498

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Janet Martin: John of Salisbury’s Manuscripts of Frontinus and of Gellius, JWCI, 40 (1973), S. 20. Ebd., S. 1. Ebd., S. 2. Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 289f.: »Cet Urbicius la`, s’il estoit entier en la bibliothe`que de Florence, comme je le reconnois quasi par le passage, qu’en raporte Lindembroch, il y auroit moyen de restituer toute la milice romaine et corriger le Mauricius en une infinite´ d’endroits ou` il est corrompu de´plorablement comme en cet endroit qui est alle´gue´ par ledit Lindembroch.«

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retischen Traditionsaneignung zu verorten, die neben der Rezeption des Polybios aus dem Kommentar von Lipsius ein praktisches Interesse an den griechisch-byzantinischen Taktikern hatten. Polybios, Vegetius und die byzantinischen Taktiker dienten den Oraniern zur theoretischen Grundlegung bzw. Formulierung ihrer Kriegskunst. Diese und nicht in erster Linie Lipsius steckten den Rahmen des Grundlagendiskurses ab, denn noch Saumaise, der ebenfalls im oranischen dynastischen Kontext zu verorten ist, knüpfte an diese Traditionsstränge an. Lucien Poznanski weist auf diesen ideengeschichtlichen Zusammenhang hin: Im 16. Jahrhundert wiederentdeckt, erlebte Polybios im 17. Jahrhundert besonders am Hof der Oranier eine starke Rezeption. Die Historien von Polybios, ein Handbuch für gebildete Offiziere, dienten Saumaise mit Vegetius als Grundlage für sein De re militari romanorum.502 In wissenschaftsgeschichtlicher Sicht schien es daher lediglich eine Frage der Zeit bis der Polybios-Kommentar einer systematischen militärwissenschaftlichen Fundamentalkritik unterzogen wurde. Die Frage, inwiefern die Kriegsereignisse und der strategische Zusammenhang stimulierend gewirkt haben könnten, relativiert sich daher. Das verdeutlicht auch der Tatbestand, dass sich Saumaise bereits vor der offiziellen Inauftraggabe durch Friedrich Heinrich von Oranien mit militärtheoretischen Schriften beschäftigt hatte. Vermutlich leitete sich dieses Interesse von der Anmahnung Scaligers her, die griechischen Taktiker und Mechaniker herauszugeben.503 Und auch die Polybios-Edition Casaubons (Praefatio, p. 61) war mit der Ankündigung einer Ausgabe von Aelians Taktik verbunden und er kopierte einige Handschriften, die sich in Paris befanden; fernerhin kopierte Casaubon Teile von Leo.504 Die französische kritische Rezeption der Lipsianischen Militärtheorie, wie sie mit Scaliger an der Wende zum 17. Jahrhundert einsetzte, markierte den Auftakt zu einer an der Kritik des Polybios-Kommentars entzündeten Forschungs- und Interpretationsleistung des Claude de Saumaise. Sie war mit der Aufforderung verbunden, eine Gesamtausgabe der antiken Taktiker zu leisten. Die Kritik Polybios’505 und die Anmahnung zur 502

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Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 23: »Re´apparu au XVIe sie`cle, Polybe connaıˆtra une vogue toute particulie`re au sie`cle suivant, a` la cour d’Orange. ›Manuel pour officiers cultive´s‹, les Histoires de Polybe serviront, avec Ve´ge`ce, de livres de base a` Claude Saumaise quand il e´crit son ›De re militari Romanorum‹ pour Fre´de´ric Henri d’Orange.« Vgl. Bernays: Scaliger, S. 186 stützt sich auf Scaligerana II, S. 776f., S. 780. Es gab auch einen Briefwechsel zwischen Scaliger und dem dreizehnjährigen Saumaise. Vgl. William A. Oldfather: Notes on the Text of Asklepiodotos, American Journal of Philology, 41, 2 (1920), S. 127–146. Vgl. Bernays: Scaliger, S. 102: Vor seinem Tode konnte Scaliger noch eine verbessernde Durchsicht des Polybius vornehmen. Vgl. auch ebd., S. 230: »Den Verlauf von Scaligers Krankheit hat Daniel Heinsius geschildert in einem Briefe an Casaubonus, welcher den Scaligerschen Briefen angehängt ist (p. 829–848) […] ›Existimo

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Herausgabe antiker Taktiker506, wie sie bereits Scaliger einforderte, erscheinen als die zwei Achsen, an die Saumaise anknüpfte und an denen sich das kritische Potential seines Kommentars entfalten sollte. Hinsichtlich der Frage der Schulen507 ist es sinnvoll eine militärwissenschaftliche Konturierung der herausragenden französischen Philologen zu unternehmen. Casaubon übersetzte und gab Polybios, Polyaen- und Aeneas heraus508 – Casaubon hielt Aeneas Tacticus (4. Jh. v. Chr.) für einen

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postremos, quibus ante mortem usus est, autores, Polybium et Lipsii De Re Militari libros fuisse. Quorum in altero, qui penes me est, infinita emendaverat ac inter cetera, paucissimis, antequam penitus lectulo affixus iaceret, diebus pilum Romanum ex auctoris doctissimi descriptione manu sua accurate delineaverat: quod in eo omnes qui Polybium illustrare conati essent errasse existimaret; in altero nonnulla in quibus dissentiret annotaverat‹; ebd., S. 131: »Aehnlich nun wie d’Ossat den Plato inter equitandum dem Diplomaten de Foix auslegte, hat Scaliger seinem mehr militärischen Gönner de la Rochepozay den Polybius ebenfalls auf Reisen zu Pferde interpretirt, wie er selbst dem Casaubonus erzählt (epp. p. 352).« Illustris Viri Josephi Scaligeri, Iuli Caes. A Burden F. Epistolae omnes quae reperi potuerunt, nunc primum collectae ac editae. Ceteris praefixa est es quae est de Gente Scaligera, in qua de autoris vita; et sub finem Danielis Heinsii de morte eius altera, Lugduni Batavorum, Ex Officina Bonaventurae et Abrahami Elzevier. Academ. Typograph ..., S. 776f., 780; vgl. auch: Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou, S. 563–566. Grafton entlehnt die Vorstellung von einer älteren, italienisch inspirierten ›manieristischen‹ Schule und einer neueren, vornehmlich von den französischen Kritikern formierten Schule von Bernays, S. 50ff.: Scaligers Gesamturteil über Lipsius als Gelehrten geben die Scaligerana II. (s. v.) wieder »Lipsius n’est Grec que pour sa provision. Ego scio quid iudicandum sit de Lipsio et in quibus laudandus est et in quibus non; non est semper laudabilis sed quaedam opera [Tacitus, Electa, Saturnalia] docent esse doctum. Male scribit.«, Bernays: Scaliger, S. 169: »Das Verhältniss zwischen Scaliger und Lipsius zieht sich während dreissig Jahre (1576–1606) hin, ohne je mehr als ein äusserliches zu werden.« Polyaen-Kommentar, Leiden 1589: Polyaeni Stratagematum libri octo. Is. Casaubonis, graece nunc primum edidit, emendavit et notis illustravit. Adjecta est etiam Justi Vulteii latina versio, cum indicibus necessariis, Lugduni, apud J. Tornaesium, 1589. R–24834 (noch weitere Exemplare). Wirkungsgeschichte: Polyaeni Stratagematum libri octo, Justo Vultejo interprete. Pancratius Maasvicius recensuit, Isaaci Casauboni nec non suas notas adjecit, Lugduni Batavorum, apud J. Luchtman et J. Du Vivie´, 1690. R– 24838; – 1691. R–24839; erwähnt in GdKW, Bd. 1, S. 451. Darüber hinaus ein von M. Jähns nicht erwähnter Aeneas-Kommentar (Aeneas Tacticus): Aeneae Tactici commentarius de toleranda obsidione, graece...Recensuit, versionem latinam et commentarium integrum Is. Casauboni, notas Jac. Gronovii, G.H.C. Koesii, Caspari Orellii...et suas adjecit Jo. Conradus Orellius,..., Lipsiae, in libr. Weidmannia, 1818. -in–8°; – un second titre porte: »Supplementum editionis Polybii Schweighaeuseranae« [Casaubon, Isaac. Auteur du commentaire; Orelli, Johann Caspar von. Annotateur; Orelli, Johann Conrad von. Editeur scientifique]: J–12430; in früheren Ausgaben war der Aeneas (Ene´e) in andere Ausgaben von Casaubon integriert, so in: Vegetius: De re militari opera …, Lugduni Batavorum 1633. [Casaubon, Isaac. Traducteur]; Polybe: Commentarius polemicus …; Poliorceticus, sive de toleranda obsidione, isaaco Casaubono interprete…; Poliorceticus, sive de Toleranda obsidione…; Claudii Aeliani Tactica, sive de Aciebus constituendis, ex interpretatione P. Scriverii; Sextus Julius Frontinus,

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Zeitgenossen Xenophons und identifizierte ihn mit dem arkadischen General Aeneas von Stymphalos, den Xenophon (Hellenica, VII, 3) als Teilnehmer in der Schlacht von Mantinea (362 v. Chr.) erwähnt –, während Scaliger sich in dieser Hinsicht mit einem Caesar-Kommentar hervortat (tatsächlich scheint Scaligers Interesse an Caesar lediglich durch seine Forschungen über die Chronologie motiviert gewesen zu sein).509

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Strategematicon, sive de Solertibus ducum factis et dictis libri quatuor: R–24741; R–53294; Aeneas Tacticus, Commentarius de toleranda obsidione…J–931; Polybe: Historiarum libri qui supersunt…graece etlatine, Amstelodami 1670, 3 vol.; Aeneas Tacticus: Commentarius de toleranda obsidione., J–12414; J–12415; J–12416; Polybe: Historiarum libri qui supersunt…graece et latine, Lipsiae 1763–1764. – 3 vol.; Aeneas Tacticus, Commentarius de toleranda obsidione: J–12417; J–12418; J–12419; Polybe: Historiarum libri qui supersunt…latine, Francofurti ad Maenum 1610; Aeneas Tacticus, Commentarius de toleranda obsidione, J–12413. Vgl. GdKW, Bd. 1, S. 27: »Die einzelnen Bücher werden, der Sitte der Zeit gemäß, auf verschiedene Rollen geschrieben gewesen sein, und daraus erklärt es sich, dass nur eines derselben erhalten blieb, nämlich das über die Städteverteidigung: Ausgabe von Casaubonus am Ende seines ›Polybios‹, Paris 1619, sowie als Anhang der Polybios-Ausgaben von Gronovius (Amsterdam 1670) und von Ernesti (Leipzig 1763). [...] – Französisch vom Comte Beausobre: Commentaires sur la De´fense des places d’Aeneas le Tacticien (Amsterdam 1757). Griechisch und deutsch in Köchlys und Rüstows ›Griech. Kriegsschriftsteller‹ I [...]. Abhandlung über die griechischen und römischen Kriegsschriftsteller (Jahns Jhrb. 1835 XIV, 1), [...] Ad. Bauer: Die Anfänge der Kriegswissenschaft. (Zeitschrift f. allg. Geschichte, Cultur u. Geschichte 1886 I).« Polyaen wurde gegen Mitte und Ende des 17. Jahrhunderts weiterhin in der französischen Militärtheorie rezipiert, wie folgende Ausgaben verdeutlichen: Jean Baptiste Beau, S. J. (Hg.): Polyaenus Gallicus, sive Stratagemata Gallorum, auct. Joan. Bapt. Bello,...Tolosae, J. Boude, 1643. BN R 25434; Jean Baptiste Beau (Hg.): Otia regia Ludovici XIV regis christianissimi, sive Polyaenus Gallicus de Veterum et recentium gallorum strategematibus actore P. J. Bapt. Beau Societatis Jesu: Claromontii: apud Nicolaum Jacquard, 1658: BN R 25432; Polyaeni Strategematum libri octo Iusto Vultejo interprete; Pancratois Masuicius recensuit; Isaaci Casauboni, ne non suas, notas adjecit. Lugduni Batavorum, apud Jordanum Luchtmans & Johannem du Vivie, 1690. Die erste Notiz fehlt. C. Julii Caesaris (nec non et Auli Hirtii) auqe exstant, ex nova...viri docti [Jos. Scaligeri] recognitione, (Lugduni Batavorum), 1606. BN J–13299; C. Julii Caesaris (necnon et A. Hirtii) quae exstant ex nupera viri docti [J. L. Scaligeri]…recognitione. Acccedit nunc vetus interpres graecus librorum VII de bello Gallico, ex bibliotheca P. Petavii. Praeterea notae, adnotationes, commentarii…in quibus notae…Jo. Brantii,…Editio adornata opera et studio Gothofredi lungermani,….Francofurti, apud C. Marnium, 1606. -In–4°, 2 parties en 1 vol. in–4°, cartes. [Brandt, Johann (aus Antwerpen). Annotateur, Jungermann, Gottfried. Editeur scientifique, Scaliger, Joseph Juste (pseud. Yvo Villiomarus et Nicolaus Vincentius). Editeur scientifique: J–3560; – C. Julii Caesaris (necnon et A. Hirtii) quae exstant…ex museo John. Isaaci Pontani …, Amstelodami 1628 (Voir a` ´ diteurs scientil’article Ce´sar les re´impressions de cette e´dition): BN J–13300; – [E fiques: Scaliger und Arnoldus van Bergen Montanus], Amstelodami, ex off. Elzeviriana, 1661: BN J–13304 und J–16289;– Francforti, sumptibus J. De Zunneri, 1669. J–5392; -Amstelodami, ex off. Elzeviriana, 1670. BN 8-J–7125.

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Glossen, Annotationen in DMR im Detail In der Ausgabe des Polybios-Kommentars Lipsius’ von 1595–1596 (DMR, BN Re´s. J. 1300) finden sich handschriftliche Annotationen, die in erster Linie von Scaliger und Heinsius stammen. Die Noten von Pierre Daniel Huet (1630–1721) sind späteren Datums. Der spätere (katholische) Bischof von Soissons, der, von hugenottischer Herkunft, Verbindungen zur Universität Leiden und im Allgemeinen zu den französischen Hugenotten pflegte und dessen erste veröffentliche Arbeit De interpretatione (1661) seine Ansichten über das Übersetzen enthielt,510 kann diese erst viel später als Scaliger und Heinsius angebracht haben. Tatsächlich dienten Scaligers Marginalien Huet, der im Besitz der besagten Ausgabe war, lediglich dazu, dessen Mangel an humanitas vor Augen zu führen: J’ai l’exemplaire du livre de la Milice Romaine, dont Lipse lui fit present, lorsqu’il publia cet ouvrage. Les marges sont pleines des remarques que Scaliger y fit de sa main: et ces remarques sont autant d’injures atroces qu’il re´pand contre Lipse son ami, fort bon homme, et qui ne perdoit aucune occasion de dire du bien de lui.511

Damit sind sowohl die potentiellen Kritiker genannt als auch die für den Traditionsstrang in Frage kommenden Vorläufer Saumaises, der sich in der lateinischen Fassung DRMR jedoch explizit bloß auf Lipsius, Casaubon und Scaliger (also das humanistische Triumvirat) bezog. Das heißt, dass Saumaise nicht an den kritischen französischen Strang anknüpfte, wie ihn in erster Linie Scaliger repräsentierte, sondern eine eigenständige kritische Position entwickelte. Dass es im Vorfeld des Milice-Projekts Saumaises zu einer innerphilologischen Kritik Lipsius’ kam, bezeugt bereits die notwendige Überholung des Werks durch Lipsius und das in militärwissenschaftlicher Hinsicht recht kurzlebige Nachwirken von DMR. Auch die dritte Ausgabe der Poliorketik (1625) ist mit kritischen Anmerkungen von Balthasar Moretus und Johannes van Meurs versehen.512

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Vgl. April Shelford: Confessional Division and the Republic of Letters. The Case of Pierre-Daniel Huet. 1630–1721. In: Herbert Jaumann (Hg.), Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, Wolfenbüttel 2001, S. 48: Er skizzierte einen Dialog zwischen dem herausragenden calvinistischen Gelehrten Isaac Casaubon und den Katholiken Fronton du Duc und Jacques-Auguste de Thou im Rahmen der königlichen Bibliothek. Casaubon fungierte als Sprachrohr für die eigenen Ansichten Huets. Huetiana, Kap. V, S. 12, zitiert in: Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 194. Justus Lipsius: Ivsti LipsI Poliorceticon Sive de Machinis. Tormentis. Telis. Libri Qvinqve. Ad Historiarum luce. Editio tertia, correcta & aucta, Anvers, Balth. Moretus, ve Jean Moretus et Jean Meursius, 1625.

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J. J. Scaliger: ›Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine‹ Neben den vor allem von Scaliger angebrachten Noten an BN Re´s. J. 1300 ist von Scaliger selbst eine militärwissenschaftliche Skizze zur römischen militia überliefert. Im ersten Abschnitt konnte dargelegt werden, dass sich die Nassau-Oranier auf die Geschichtsmethode des Polybios und somit die pragmatische Ausdeutung antiker taktischer Theorie bezogen. Die Texte scheinen auch allesamt im gleichen Zeitraum entstanden zu sein. Der an de Thou gerichtete Text Scaligers Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine513 muss in diesem ideengeschichtlich-pragmatischen Komplex verortet werden. Scaliger, der am dritten der französischen Religions- und Bürgerkriege auf Seiten der Hugenotten aktiv teilgenommen hatte (1569/70),514 verfasste ihn auf Anfrage, die offensichtlich aus den Kabinetten der politiques kam, nach der Übersiedlung nach Leiden im Hochsommer 1593. In dem Brief an de Thou weist er darauf hin, dass er den Text auf dessen Anfragen hin niedergeschrieben hat. Die Anfrage richtete sich auf ein spezifisches Problem, nämlich dem nach der Bezeichnung der Hastaten, Principes und Triarier vor, während oder nach der Schlacht: Man müsse wissen, dass die Hastaten, Principes und Triarier nur in Schlachtordnung als solche bezeichnet werden können: »Pour resolution des demandes qui nous ont este´ enuoyees, il faut sc¸auoir que Hastati, Principes, Triary ne se peuuent appeler qu’a l’heure qu’ils sont rengez en bataille.«515 Es handelt sich demnach um taktische Begriffe der Schlachtordnung (acies) und nicht der militärischen Organisation (ordo): »non est instruendae aciei, non autem ordinum.« Die acies entspricht im Kommentar Scaligers einem Bataillon, das in drei Gros, eben die Hastaten, Principes, Triarier, unterteilt war. Römische und griechische militia heben sich von der zeitgenössischen Kriegspraxis ab, die darin besteht, dass insbesondere die Kavallerie en haye angeordnet ist. Die Art und Weise, die Bataillone, Eskadrone, Gros oder auch anderer Glieder aufzustellen, war bei den Römern und den Griechen gleich. Sie bildeten weder lange hayes noch Reihen (filees), wie man es in der französischen Kavallerie 513

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Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou, S. 563–566; in Handschriftenform: Dupuy 394ter–395: Recueil des lettres et d’opuscules latins de Joseph Scaliger – Autographes: In 394ter, fol. 199 die bereits exzerpierten Bemerkungen über die römische Armee, die auch in den Epistolae abgedruckt sind: ›Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais‹. Bernays (Scaliger, S. 300) urteilt über das Aperc¸u, es handele sich um ein »Paar aus dem Stegreif niedergeschriebene Bemerkungen über die römische Schlachtordnung.« Bernays: Scaliger, S. 40. Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou, S. 561.

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noch jüngst zu tun pflege, noch Eskadrone oder gedrängte Phalangen, wie es die Franzosen nun gleich den alten Galliern zu praktizieren begännen.516 In der Absetzung vom römischen und griechischen Modell beschreibt Scaliger einen einschneidenden militärgeschichtlich-taktischen Übergang. Paradoxerweise bezieht Scaliger die antike Infanterietaktik auf die Taktik der Kavallerie. Galt doch das antike Modell in der Regel für die Infanterietaktik und in dieser Hinsicht als innovatives historisches Agens. Scaliger wendet vielmehr die antiken taktischen Begriffe auf die für die französische und insbesondere hugenottische Taktik entscheidende Kavallerie an, deren taktische Modifikationen während dieser letzten Dekade des 16. Jahrhunderts er beschreibt. Demnach begannen die Franzosen ihre Reiter in Phalangen, ergo in tiefgestaffelten, geschlossenen Schlachtreihen kämpfen zu lassen. Die Aussage, die gedrängten Phalangen, Kampfeinheiten, seien es Eskadrone, Bataillone oder gros, ist gegenläufig zu den theoretisch-praktischen Errungenschaften der Oranier, die gerade mit dieser Abwendung von einer massierten, gedrängten acies eine militärisch-taktische Zäsur markierten. Die Form, die er infolge seiner Kompetenz im Griechischen dem Bataillon nach Polybios angedeihen ließ, ist, und in dieser Hinsicht setzte er sich von den Nassau-Oraniern und auch Lipsius ab, ein mit Intervallen versehenes (»pour receuoir les fatiguez«) Parallelogramm. Diese undifferenzierte Sichtweise römischer und griechischer acies mag von dem Stand der Polybios-Forschung zu diesem Zeitpunkt abhängen, ist aber in erster Linie darauf zurückzuführen, dass Scaliger (im Gegensatz beispielsweise zu den Nassau-Oraniern) zwar mit Griechischkenntnissen an den Polybios heranging, jedoch nicht die historisch-kritische Lesart in letzter Konsequenz anwandte. Die theoretische Stoßrichtung geht in eine pragmatische Richtung, sie spart jedoch die experimentellpragmatische, die Interpretation vom Standpunkt militärischer Praxis im Sinne einer taktischen Funktionalität (utilitas) aus. Ihr Zweck liegt nicht in erster Linie in der militärischen Praxis, sondern in der militärwissenschaftliche Propädeutik. Beide Bereiche gründen auf einer erneuten Textkritik (beispielsweise Vegetius’, aber auch Aelians, dem Saumaise einen im Verhältnis zu Aelian und Vegetius überlegenen Asklepidotos, die er in der Bibliothek des französischen Königs gefunden hatte, gegenüberstellte). Die VegetiusKritik gehörte zu einem zentralen Anliegen der Forschungsarbeit der 516

Ebd., S. 562f.: »La fac¸on de dresser les bataillons, esquadrons, gros, ou autres membres, comme on les voudra appeler: car il n’importe, estoit toute vne, tant parmi les Romains que parmi les Grecs, ne faisans ny longues hayes, & filees, comme parcideuant faisoient les nostres en la caualerie; ny esquadrons ou phalanges serrees, comme nous commenc¸ons a` faire, & faisoient encores nos anciens Gaulois.«

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Zeit, wie auch dem SStM von Gabriel Naude´ zu entnehmen ist.517 Bereits Stewechius ging in seinem Kommentar und seinen Annotationen der Vegetius-Edition des Sriverius auf die Quellen ein, auf die sich Vegetius stützte.518 Saumaise schien damit lediglich ein Anliegen des niederländischen Späthumanismus aufzugreifen. Es sei nicht hinlänglich, die systematische Kritik von der inhaltlich-philologischen Kritik zu differenzieren, die stellenweise ineinander fließen (so bei der Vegetius-Interpretation). Die neue, sich von den Vorgängern abhebende militärwissenschaftliche Systematik, wurde ebenfalls aus dem römischen Modell heraus entwickelt. Ausgeprägt war sie bei den Autoren des ›bon sie`cle‹ und auch Frontin hielt sich an die Differenz von Disziplin und Kriegskunst. Polybios und das nach Frankreich und die Niederlande verlagerte Zentrum klassischer Studien Die Verlagerung des Zentrums der klassischen Studien nach Frankreich, Deutschland und die Niederlanden trug, wie Arnaldo Momigliano konstatiert hat, dazu bei, das Interesse an Polybios als Historiker und als Theoretiker der politischen und militärischen Organisation zu vergrößern.519 Die Polybios-Rezeption war aber auch ein Feld philologischer Binnenkritik, von Integration und Abgrenzung innerhalb des französisch-niederländischen Späthumanismus. Die Polybios-Rezeption des Justus Lipsius kritisiert die Übersetzung von Janus Lascaris. Die Oranier bezogen sich auf den Kommentar Lipsius’ und die Übersetzung Perrotis und Van Reyds. Friedrich Heinrich von Oranien gab den Kommentar zur militia in Auftrag und seine Art de la guerre trägt selbst polybianische Züge; ja es treten gar Analogien zur Praefatio von Casaubon auf. Joseph Justus Scaliger,520 dessen Quellen uns kaum bekannt sind, Isaac Casaubon,521 der Scaliger mehrfach aufgriff,522 zählen hierzu. 517

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SStM, S. 514ff. Buch II, Kap. 4, 7: Antiqui deperditi. Vegetius scheint in diesem Zusammenhang gleichfalls eine intertextuelle Rolle zu spielen. Fl. Vegetii Renati Comitis, aliorumque aliquot veterum de re militari libri. Accedunt Frontini Strategematibus eiusdem auctoris alia opuscula. Omnia emendatius, quaedam nunc primum edita a` Petro Scriverio. Cum Commentariis aut Notis God. Stewechii & Fr. Modii, ex Officina Plantiniana Raphelengij, 1607. BN R–6415, S. 21: »Vegetius plures auctores inspexit quam quos nominat. Es zählen darunter folgende Autoren: Macri militarion, Tarruteni Paterni, Menandri militarioˆn, Pauli liber singularis De poenis militum.« Momigliano: Die Wiederentdeckung des Polybios im europäischen Westen, S. 94. Dupuy, In 394ter, fol. 199, ›Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais‹. Isaaci Casauboni ad Polybii historiarum librum primum commentarii. Ad Iacobum I. Magnae Britanniae Regem Serenißimum, Parisiis, apud Antonium Stephanum, 1617. BN J–12419. Ebd.; Jos. Scaliger 32. 63. 82. 120. 201. 202; das Vorhaben für die Polybios-Edition

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Saumaise markiert den Höhe- und Endpunkt der militärwissenschaftlichen Polybios-Rezeption. Er setzte sich kritisch von Lipsius, Casaubon und Scaliger ab. Ich möchte die These vorbringen, dass die in sich selbst kritische Polybios-Rezeption im niederländisch-französischen Späthumanismus auf dem Hintergrund einer wissenschaftsideologischen und kulturtheoretischen Abgrenzung vom römisch-katholischen Europa gedeutet werden kann. Der Neustoizismus als integrierende Moralphilosophie des katholischen und protestantischen Europa dient hier nur bedingt als Philologie der Abgrenzung. Die Lipsianische Moralphilosophie, Ontologie und Erkenntnistheorie waren neustoisch; und auch Saumaise partizipierte an der philosophischen Bewegung des Neustoizismus.523 Saumaise, Scaliger, Casaubon und Rohan waren Calvinisten, die in die stoischen Tendenzen der Zeit einzuordnen sind. Der Calvinismus hatte seit Jean Calvin selbst eine besondere Neigung zur Stoa.524 Nicht das Feld der Stoa bestimmte das Konfliktfeld oder den theoretischen Transferrahmen für militärtheoretische Konzepte, sondern die Polybios-Rezeption. Ein weiterer Befund ist, dass auf dem Feld der Militärtheorie Polybios Vegetius nicht eigentlich verdrängte. Gleichwie in der politischen Theorie kein bruchloser Übergang vom Aristotelismus zu einem von der Staatsraison geprägten Denken erfolgte,525 vollzog sich auch kein Traditionsbruch im Hinblick auf den im Mittelalter dominanten Militärschriftsteller Flavius Vegetius Renatus. Saumaise brach die-

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datiert nach Pattison 1595 (Vgl. Mark Pattison: Issac Casaubon. 1559–1614, Oxford 21892, S. 179). Simplicii commentarius in Enchiridion Epicteti, Ex Libris veteribus emendatus. Cum Versione Wolfii, et Cl. Salmasii, Animadversionibus, et notis quibus philosophia stoica passim explicatur, & illustratur. Quae accesserunt, sequens pagina indicabit, Lugduni Batavorum, Iohannis Maire, ... 1640. HAB 11. 6 Ethica, Praefatio DANIELIS HEINSII ad THEODORUM GRASWINCKELIUM. / / CL. SALMASIUS PHILOSOPHIAE STOICAE STUDIOSIS; Vgl. zu Saumaises StoaRezeption Denise Carabin: Les ide´es stoı¨ciennes dans la litte´rature morale des ´ tudes et essais sur la Renaissance, 51), Paris XVIe et XVIIe sie`cles. 1575–1642 (E 2004, S. 880–881. Pierre-Franc¸ois Moreau: Calvin et le stoı¨cisme. In: Lagre´e (Hg.), Le stoı¨cisme aux XVIe et XVIIe sie`cles, S. 12: Das erste Werk Calvins, noch vor seiner Konversion ist die Edition eines Texts von Seneca; S. 15: »Le jeune Calvin attribue aux e´picuriens l’ide´e que le monde est entie`rement domine´ par le hasard; il leur donne tort et leur oppose la the`se de Se´ne`que, qui y voit l’œuvre de la Providence divine. Ne´anmoins il reproche en meˆme temps a` Se´ne`que de donner a` ce Dieu le nom impropre de fortune, puisqu’en fait, rien n’est fortuit. Autrement dit, il semble critique Se´ne`que au nom meˆme de la doctrine de la ne´cessite´ que celui-ci de´fend.« Vgl. James H. Burns: Scholasticism: Survival and Revival. In: ders., The Cambridge History of political thought, S. 132: »Endings, in the history of ideas, are no easier to identify with certainty than beginnings. Scholasticism, that product of the mature intellectual culture of medieval Europe, was to experience, even within the period surveyed in this volume, more than one revival. Revitalisation might indeed be a better term.«

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ses Schema zwar in dem französischen Kompendium über das römische Militärwesen auf, schloss jedoch inhaltlich nicht zuletzt aufgrund seines kritischen Anliegens an den militärtheoretischen Polybios-Kommentar Lipsius’ an. Im Unterschied zu Naude´ und Wallhausen, in deren Werk Vegetius als auctoritas hinsichtlich der militärwissenschaftlichen Ordnung des Wissens und der Lehre anerkannt wird, bezog sich Saumaise zwar auf Vegetius hinsichtlich der Quellenforschung. Im Hinblick auf die militärwissenschaftlichen Grundlagen, nicht zuletzt im Zusammenhang einer deutlichen Lipsius-Kritik, nahm er jedoch Abstand von der Vegetius-Tradition. Das militärtheoretische Modell ist folglich an einen kulturtheoretischen Standpunkt gebunden. Diese Intention kommt in DRMR zum Ausdruck: Quod enim in reliquis moribus & institutis Gentium usu frequentius venit ut subinde mutentur, hoc etiam in militari disciplina contingere posse verissimile est, in Romana autem gente eam in varias incidisse mutationes plusquam verum est.526

Ein weiteres Moment dieser Kulturtheorie ist die Idee des kulturellen Wachstums und Verfalls (anaky´klosis-Lehre).527 Diese Rückbindung an kulturelle und strukturelle Prozesse ist zu verstehen vor der Polybios entlehnten Kulturtheorie Saumaises, die die militärgeschichtlichen Prozesse in Interdependenz mit den machtpolitischen und kulturellen Prozessen sieht. In dieses historiographisch begründete kulturtheoretische Schema werden die taktischen Theoretiker eingefügt, wie es insbesondere bei Saumaise deutlich wird. Das mag der militärtheoretischen auctoritas (militärtheoretischen Grundlagenforschung) eine unmittelbar normative Funktion verleihen, und die Konjunktur des lipsianischen römischen Modells in der Militärliteratur ist dafür anzuführen. Die Zeitgenossen, die eigene Generation (vgl. Scaliger) und die nachfolgende Generation (vgl. Claude de Saumaise) konnte es jedoch auf Dauer, insbesondere im Hinblick auf die Ordonnanz (ordo) nicht zufriedenstellen. Der militärwissenschaftliche Polybios-Kommentar von Saumaise reflektiert gegenüber demjenigen von Lipsius einen entscheidenden Moment an Verwissenschaftlichung des antiken strategischen und taktischen Modells. Dabei erfolgte die Verwissenschaftlichung in zwei Stoßrichtungen. Einerseits fand eine Erweiterung der wissenschaftlichen Hilfsmittel sowie der Quellengrundlage und -kritik statt – anstelle der doxographischen Methode Lipsius’ beschäftigte er sich vorwiegend mit 526 527

DRMR, S. 1. Ebd., S. 2: »Militia Romana cum ipsa Republica ita crevit ac decrevit, ut etiam cum ea prorsus immutata sit. Incrementa accepit & decrementa passa est, ac tandem haud minus quam Respublica quae per ipsam steterat, pessumdata est, sed tamen prius quam ipsa. Nam exitium imperii Romani maxima ex parte imputari debet disciplinae militaris lapsui.«

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der Chronologie.528 Andererseits war, dabei wird allerdings die Tendenz Lipsius’ und Patrizis’ aufgegriffen, das Bestreben vorhanden, die Ergebnisse in einer Systematik zusammenzufassen, die den antiken Formen fremd waren und die die Übergangsform der Scriptores veteres, einer Kompilation und keiner Synthese, zu überwinden trachteten; in diesem Zusammenhang entwickelte sich Polybios zu einem Methodenautor. Sowohl in den Polybios-Kommentaren von Lipsius und Saumaise findet sich ein kritischer Ansatz, der die Disziplin der Alten mit dem gegenwärtigen Militärsystem, der gegenwärtigen Kriegskunst parallelisiert und für den Ideen-, Mentalitäts- und Militärhistoriker des 16. und 17. Jahrhunderts von besonderem Interesse war. Ob neben dem Parameter der Verwissenschaftlichung auch das der pragmatischen Kritik fortgeführt wurde, soll an anderer Stelle behandelt werden. Dennoch fallen die beiden Polybios-Kommentare der Späthumanisten bei Naude´ nicht in den Zusammenhang der Parallelisierung des alten mit dem neuen Militärsystem. Der formale textgeschichtliche Übergang von der Kompilation zur Synthese, wie sie für den militärischen Späthumanismus kennzeichnend werden sollte, entspricht in der taktischen Praxis dem Bestreben, unterschiedliche Traditionsstränge experimentell-kritisch zu verwirklichen und in pragmatischen Prozessen zu verbessern und an die Kriegspraxis der Zeit anzupassen, wofür die militärische Kultur der Nassau-Oranier geradezu paradigmatisch steht. Entscheidend für den Übergang von den Scriptores veteres zur Militärwissenschaft erscheint daher mit Sicherheit die polybianisch-stoische Weltanschauung, die mit der Polybios-Rezeption vehikulierte, kritische Geschichtstheorie. Aperc¸u der ›Grundlagenforschung‹ im SStM Naude´s Von dem militärwissenschaftlichen Forschungsstand der Grundlagenforschung antiker Militärtheoretiker gab Naude´ einen Abriss. Dabei erwähnte er folgende gedruckte Ausgaben antiker Militärschriftsteller:

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Saumaise selbst beteiligte sich, wenn auch im Fahrwasser Scaligers, an der Wissenschaft der Chronologie, vgl. Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne. Bd. 2, S. 264: »Corrections & diverses Lec¸ons de la Chronique d’Euse`be; traduite en Latin par S. Je´roˆme, & de la Chronique Grecque, dresse´e par Scaliger sur diffe´rens Fragmens, tire´s des Fastges Siciliennes, ou de la Chronique d’Alexandrie de Cedrenus, & de George Syncelle. Iene, chez la veuve de Mayer, 1715.« An anderer Stelle wird deutlich, dass er nicht nur eine Kritik der Militärtheorie Scaligers unternahm, sonden auch der Chronologie, vgl. ebd., 284: »Dissertatio de variis annorum formis, Diatriba. De Persarum & Atheneinsium anno. [...] Et in majorem molem exibit. Saumaise entreprit cet Ouvrage contre Scaliger & le P. Petau. Voy. Les Epitres de Saumaise, pag. 82.«

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Die Cyropaedia von Xenophon (430 v. Chr.–355 v. Chr.),529 die von Patrizi herausgegeben wurde; die Poliorcetica (Der Commentarius tacticus et obsidionalis oder Commentarius de toleranda obsidione) des Aeneas (›Tacticus‹) (4. Jh. v. Chr.), die sich mit den besten Methoden der Verteidigung einer Stadt befasste, wurde zusammen mit dem PolybiosKommentar von Casaubon veröffentlicht530 Die Taktik des Aeneas wurde von Aelian (›Tacticus‹) und Polybios (200 v. Chr.–120 v. Chr.) gefeiert und von denjenigen, die die Herrscherkunst (imperatoriam artem) anstrebten.531 Die Taktik des Aelian wurde von dem aristotelischen Philosophen Francesco Robortello (1516–1567),532 von Conrad Gesner (1516–1565)533 und 1615 zusammen mit Polybios von Louis de Machault (1592–1667) herausgegeben.534 Die Taktik (Tactica seu de re militari liber)

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Für die Militärwissenschaft relevante französische Übersetzungen der Cyropaedia: Xenophon, Enseignements militaires, enthalten in: Isocrates, Enseignements, Paris, Vascosan, 1568. [Auszüge aus der Cyropaedia] HAB A: 11.12 Pol. (1); Le Guerre De Greci, Scritte Da Senofonte, Nelle Quali Si Continova L’Historia Di Thucidide, & ui si vontiene la presa della grand Citta di Arhene, la destruttione delle muraglie die detta, la mutatione dello stato, & principio della Tirannia/Tradotte Dal Greco ... Per Francesco Di Soldo Strozzi, Venedig, Gabriel Giolito De Ferrari, 1562. A: 146.3 Hist.; eine lateinische Übersetzung von Joachim Camerarius des Liber De Re equestri Latinus factus, Lipsiae, Valentinus Papa, 1556. Vetustissimis Scriptoris Æneæ Poliorceticus, sive De Toleranda Obsidione Isaaco Casaubono Interprete. In: Veteres De Re Militari Scriptores quotquot extant, nunc primaˆ in unum redacti corpus. I. Flavii Vegetii Renati institutorum rei libri V. II. Sexti Julii Frontini strategematum & strategeticoˆn libri IV. III. Claudius Aelianus de instruendis aciebus IV. Modestus de vocabulis rei militaris. V. Polybius de militia & castrametatione Romanorum. VI. Aeneae Poliorceticus, seu de toleranda obsidione. VII. Incerti auctoris, de re militari opusculum, quod M. Tullio Ciceroni vulgo inscribitur. Accedunt J. Godescalci Stewechii … in Fl. Vegetium Commentarius. II. Ejusdem conjectanea, & Francisci Modii notae in Sex. Jul. Frontinum III. Petri Schriverii in Fl. Vegetium & Sex. Jul. Frontinum animadversiones, Vesaliae Clivorum, Hoogenhuysen, 1670. SStM, S. 514. De Militaribus ordinibus instituendis, Venedig, Spinelli, 1552. HAB M: QuN 74 (1); ders., Aelianus Tacticus, Livius, Tacitus. In BN: Aeliani de Militaribus ordinibus instituendis more Graecorum liber, a Francisco Robortello Utinensi in latinum sermonem versus…, Venetiis, apud A. et J. Spinellos, 1552. BN R–6405 (1). Ailianu ta heuriskomena hapanta. Clavdii Aeliani Praenestini Pontificis Et Sophistae, qui Romae sub Imperatore Antonino Pio vixit, Meliglossus aut Melphthongus ab orationis suauitate cognominatus, opera, quae extant, omnia, Graece` Patine´que a` regione: Vti Versa Hac Pagina Commemorantvr: Partim nunc primu`m edita, partim multo` qua`m antehac emendatiora in utraque lingua, cura & opera Conradi Gesneri Tigurini. His Accedit Index Alphabeticvs copiosus…, Tiguri apud Gesneros fratres (Andreas u. Hans Jakob Geßner) [1556]. HAB A: 30.1 Med. 2° (3). La milice des Grecs et Romains, trad. en franc¸ois du grec /Aelian. Louys de Machault, Sr. De Romaincourt, Paris, Drouart, 1615. HAB M: Lg 2° 1; – De Militia et castra metatione/Polybe. Louys de Machault Sr. De Romaincourt [Übers.], enthalten in: La milice des Grecs et Romains/Aelian, Paris, Drouart, 1615; – La Milice

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des Leo VI. Imperator (865–911) von Theodor Gaza (1398–1476),535 Pieter Schrijver (1576–1660) und Godescalcus Stewechius,536 von Johannes van Meurs (1579–1639),537 John Cheke (1514–1557)538 – Naude´ nennt nicht die lateinische Erstausgabe der Novellae durch Henricus Agylaeus539 – und Filippo Pigafetta (1533–1604);540 der Urbikios wurde von Nicolas Rigault, der antike Rhetoriker aus Makedonien Polyaen (Stratagematum libros octo) von Isaac Casaubon,541 der Onasander (1. Jh.

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des Grecs et Romains trad. en franc. Du grec. D’Aelian et de Polybe et de´die´e au Roy. Par Louys de Machault Sr de Romaincourt, Paris, Drouart, 1616. A: 9.1 Bell. 2°. Übersetzung der Tactica des Aelian: De instruendis Aciebus. In: De Re militari/Flavius Vegetius, Paris, Parvus, 1515; – Lutetia, Wechelus, 1532 zusammen mit De re militari von Vegetius, Frontinus, Modestus De vocabulis rei Militaris liber unus. Besonderheit: »Item picturae bellicae CXX passim Vegetio adiectae: Collata sunt omnia ad antiquos codices, maxime Budaei quod testabitur Aelianus«; Paris, Wechel, 1535; – De instruendis Aciebus. In: Flavii Vegetii Renati De Re militari libri quatuor: Post omnes omnium editiones, ope veterum librorum correcti, Lugduni Batavorum, Raphelengius, 1592; »Alianus de instruendis aciebus [A Theodoro Thessalonicense Latinum factum]. In: Flavii Vegetii renati … De re militare: Libri quatuor … Omnes quidem post Hermolai Barbari, Budaei, et quorumcumque, aliorum editiones diligenter recogniti et emendati: Vegetius vero` et subinde Frontinus etiam notis illustrati, a Francisco Modio … Coloniae, Cholinus, 1580; De instruendis Aciebus. In: Flavii Vegetii Renati De Re Militari libri quatuor; Post omnes omnium editiones, ope veterum librorum correcti, Lugduni Batavorum, Raphelengius, 1592. Godescalcus Stewechius, Comment. in Fl. Vegetium de re militari, Antwerpen 1585 in 4°, so zu Leiden 1607 in 4° wieder aufgelegt worden; 2. Conjectanea ad libros strategematum Sex. Julii Frontini, Antwerpen 1607. Leonis Imp. Tactica sive De Re Militari Liber. Ioannes Mvrsivs Graece primus vulgauit & Notas adiecit, Lugduni Batavorum Apud Ioannem Balduinum Impensis Ludovici Elzevirii, 1612. HAB A: 82 Quod. (1). Übersetzung der Tactica: De bellico Apparatu liber, ... Leonardus Imperatorus. Ioannes Checus [Übers.], Basileae, Insingrimius, 1554. HAB A: 40.2 Bell. Imp. Leonis Augusti constitutiones novellae, aut correctoriae legum repurgationes, latinae nunc primum / ab Henrico Agylaeo factae, [Paris], Stephanus, 1560. HAB: 107.2 Jur. Trattato Brieve Dello Schierare In Ordinanza Gli Exerciti, Et Dell’Apparecchiamento Della Gverra Di Leone, per la Gratia di Dio Imperatore. Nuouamente dalla Greca nella nostra lingua ridotto da M. Filippo Pigafetta. Con le Annotationi del medesmo ne’loughi, che n’hanno mestieri, Venedig, Francesco de’Franceschi Senese, 1586. HAB A: 5.6 Bell. Naude´ übergeht den ersten Druck überhaupt der ›Kriegslisten‹, deren Sammlung der Rhetor Polyaen den Kaisern Antoninus und Verus gewidmet hat; der erste Druck des griechischen Originals erschien erst 1589 in Lyon, von Isaac Casaubon mit der Basler Übersetzung von 1549 zusammen herausgegeben, die ersten italienischen Übersetzungen von 1551 und 1552. Vgl. Frank Hieronymus (Hg.): Griechischer Geist aus Basler Pressen, Basel 1992, S. 264: »Polyaeni Stratagematum ad DD. Antoninum & Verum Impp. libri octo, quibus ampliss. foecundissimaque rei militaris doctrina continetur: nunquam antea in lucem editi, ac nuper adeo e Graeco sermone in latinum conversi. Iusto Vulteio Vuetterano Interprete, Basel, Johannes Oporin [1549]. »Das Exemplar« ist mit einem andern Basler Druck eines

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v. Chr.) (Platoniker, Taktiker, Verfasser des Strategicus oder Strate¯gikos), der eine Hauptquelle der Schriften von Maurikios und Leo VI. Imperator war, von Nicolas Rigault (1577–1654)542 (Onosandri Strategicum) [1599, 1604], Niccolo` Sagundino (bis 1463) [1494]543 und Joachim Camerarius (1534–1598) [1595] veröffentlicht.544 Ein politischer Kommentar zu Onasander liegt von Jean de Chokier de Surlet (1571–1656),545 Francesco Angelo Coccio [Franciscus Coccius], Fabio Cotta und dem Franzosen Blaise de Vigene`re vor. Polybios (dissertationis de militia et castrametatione Romanorum) hat viele Übersetzer: unter anderem Janus Lascaris, jedoch nur zwei Kommentatoren: Justus Lipsius und den platonischen Philosophen Francesco Patrizi da Cherso (1529–1597).546 Unter den lateinischen Autoren pflegte Vegetius der erste Offizier, der ›primipilus‹ zu sein.547 Die ERM wurden von Pieter Schrijver (1576–1660), Gottschalk Stewech (1556–1599), Franciscus Modius

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griechischen Autors zusammengebunden, dem ersten Nachdruck der Venezianer Editio princeps von 1529 von De Romanorum militia, et Castrorum metatione Liber utilissimus, ex Polybii historijs per A. Ianum Lascarem Rhyndacenum excerptus, & ab eodem Latinitate donatus, ipso etiam Graeco libro, ut omnia conferri possint, in studiosorum gratiam adiuncto. Eiusdem A. Iani Lascaris Epigrammata & Graeca & Latina … Item Iacobi Comitis Purliliarum de Re Militari Lib. II …, gedruckt von Balthasar Lasius und Thomas Platter im März 1537, herausgegeben [...] am 7. März 1537.« Nicolai Rigaltii ad Onosandri strategicum notae, enthalten in: [Strategicus] Onosandru strategikos. Onosandri Strategicus. Sive: De imperatoris institutione: Acessit ›Urbikiu Epite¯deuma‹, Nicolaus Rigaltius P. Nunc primum e` vetustis codd. Graecis publicavit, Latina interpretatione & notis illustravit / Onosandrus. – Lutetiae Parisiorum, Saugranius & des Rues, 1599; Strategicus: Sive: De Imperatoris institutione, Heidelberg, In Bibliopolio Commeliniano, 1604. [Die Vorlage enthält insgesamt 4 Werke]; Ad Onosandri strategicum notae, 1600. In: Strategicus: Sive: De Imperatoris institutione / Onasander, [Heidelberg], In Bibliopolio Commeliniano, 1604. Nicolaus Sagundinus erstellte die Übersetzung des Onasander aus dem Griechischen ins Lateinische, die in die Sammlung der Scriptores veteres von 1494 aufgenommen wurde (Onosander ad. Q. Vera[n]nium de optimo Imperatore eiusq[ue] officio p[er] Nicolaum Sagundinu[m] e graeco in latinum traductus. In: Vegetivs De Re Militari, Romae, Silber, 1494. Eine weitere Ausgabe: De optimo Imperatore, atque adeo` de re militaris, Basel 1558. HAB 33.1 Bell. (2). Onosandri Graeci autoris, De Re Militari, Commentarivs in Latinum sermonem conversus, a Ioachumo Camerario … & nunc primum a` filiis editus: Cum prooemio ad D. Lassarvm Svvendivm & epistola ipsius lectu dignißima: Praeterea Francisci Petrarchae de officio & virtutib. Imper., Noribergae, Kaufmann, 1595. HAB S: Alv.: Nf 147 (2). Strategicus, sive de Imperatoris institutione notis sive dissertationibus ... illustratus. Additae in extremo operis variantes lectiones ex codd. diversorum Ms.depromptae, Rom 1610. BN E*–656. La Militia romana di Polibio, di Tito Livio, e di Dionigi Alicarnaseo, Ferrara, Mamarelli, 1583. SStM, S. 528.

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(1556–1597) und Gerardus Joannes Vossius (1577–1649) kommentiert. Vegetius war aber ein ›Epitomator‹ des Modestus, d. h. er fasste diesen in die Form eines Handbuchs. Später sollten beide Frontinus wertschätzen. Naude´ nennt Janus Lascaris (Konstantinopel 1445 – Rom 1534),548 den Diplomaten und Handschriftensammler des Lorenzo de’ Medici und Vorsteher der Bibliothek des Lorenzo de’ Medici, und die ersten Übersetzer der militärwissenschaftlich relevanten Passagen der Historien des Polybios, Francesco Patrizi und Justus Lipsius, die er auch als die ersten eigentlichen Kommentatoren des Polybios einführt. Der bei Naude´ aufgeführte Vegetius-Strang ist weder italienisch noch eigentlich französisch, sondern nahezu ausschließlich von niederländischen Humanisten geprägt. Saumaise unternahm unter der Ägide Polybios’ eine Synthese der Gesamtheit der taktischen Traditionsstränge aus der antiken Überlieferung; er bezog sowohl die griechischen, byzantinischen Taktiker als auch die Autoren der Spätantike wie Vegetius mit ein. Im Unterschied zu Naude´, der keine Grundlagen einer taktischen Theorie, einer acies kommentierte, sondern in seiner Bibliographie eine Übersicht des militärtheoretischen Forschungsstandes darlegte, sollte Saumaise seine Kritik an Lipsius nicht nur auf die militärtheoretische Systematik der Politica und von DMR von Lipsius beziehen sondern, wie bereits Scaliger und dessen Zeitgenossen, auf Detailfragen der römischen Taktik. h. Saumaise und die griechischen Taktiker Die zeitgenössischen Gelehrten sahen in der Milice Saumaises zunächst keine systematische Abhandlung, sondern lediglich eine Sammlung antiker Taktiker, ein »recueil des auteurs tactiques«549 oder schlechthin ein Traktat über diejenigen, die von der Taktik handeln, »De scriptoribus tacticis.«550 Aus dem beabsichtigten Traktat über die antiken Schrift548

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550

De Romanorum Militia, Et Castrorum metatione Liber utilissimus/ex Polybii historijs per A. Ianum Lascarem ...excerptus … beteiligt: Andreas Janus Lascaris, Basileae: Lasius; Platterus, 1537. HAB A: 33.1 Bell. (1) und H: T 123.8° Helmst. (1); Epigrammata/ Andreas Ianus Lascaris. In: De Romanorum Militia, Et Castrorum metatione Liber utilissimus / Polybius, Basileae: Lasius, 1537. A: 33. 1 Bell. (1) oder H: T 123.8° Helmst. (1); Castrametatio Romanorum / Polybius Megalopolitanus. A. Ianus Lascari [Übers.], 1592, enthalten in: De Re militari Flavii Vegetii Renati De Re militari libri quatuor: Post omnes omnium editiones, ope veterum librorum correcti /Godescalcus Stewechius [Hg.] Flavius Vegetius Renatus, Lugduni Batavorum, Raphelengius, 1592. HAB A: 29. Bell. Naude´ an Jacques Dupuy, 30. Nov. 1637. In: Lettres de Gabriel Naude´ a` Jacques Dupuy. 1632–1652, S. 49. Ebd., S. 82; Vgl. hierzu Alphonse Dain: La collection florentine des tacticiens grecs. Essai sur une entreprise philologique de la Renaissance (Collection de Philologie classique), Paris 1940, S. 25ff.

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steller wurde eine, auf einer erneuten Quellenforschung und neuen Interpretation antiker Militärtheorie basierende, Heuristik römischer Taktik und Strategie. Am deutlichsten mag das methodische und inhaltliche Ziel Saumaises in folgendem Zitat zum Ausdruck kommen, in dem es ihm um eine Korrektur des römischen Modells geht, das wiederum als Hilfsmittel für das richtige Verständnis sowohl der griechischen als auch der römischen Autoren, die die taktische Theorie behandeln, fungiert: Man könne kaum glauben, wie viele Fehler und Irrtümer ›unsere‹ Gelehrten in diesem Teil der Antike gemacht haben, welcher ihm der wichtigste Abschnitt überhaupt erscheint und der noch mehr der Kenntnis der griechischen und lateinischen Autoren diene und vor allem derjenigen der Historiker. Daher behandele er diese Materie intensiv, denn es fänden sich darin so viele zu überprüfende und zu bekräftigende Paradoxe, was nicht ohne Zuhilfenahme der Zeugnisse der antiken Autoren gehe.551 Die neue Forschungsanstrengung der Humanistengeneration nach Lipsius bewegte sich wesentlich in dem von den Humanisten und Militärreformern der 1590er Jahre in den nördlichen Niederlanden abgesteckten Feld. Insbesondere Schrijver (1576–1660) hatte neben Vegetius, Frontinus, Aelian, Modestus, Hyginus, den Anonymus De Rebus Bellicis, Fragmente von Cato, Cincius und kommentierte Auszüge aus Polybios aufgenommen. Diese enorme und diversifizierte Arbeit stellt die Summa der Arbeit der Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts dar.552 Das Charakteristische der Militärtheorie der Nassau-Oranier in den 1590er Jahren war, wie im ersten Teil der vorliegenden Studie dargelegt, eine Synthese aus dem römischen und griechisch-byzantinischen Traditionsstrang, wobei die Oranier Momente der unterschiedlichen Entwicklungsstufen des antiken Heerwesens rezipierten. In dieser Perspektive deutet sich eine nach der chronologischen Methode verfahrende Rekonstitution des antiken taktischen Modells durch Saumaise an. Peiresc schrieb in einem Brief an Naude´, dass Saumaise vor dem Erhalt des kleinen Fragments des Urbicius und der anderen (vermutlich handelt es 551

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Saumaise an Peiresc, Dijon, 7. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 247: »Vous ne scaurie´s croire quelles et combien grandes fautes et erreurs nos antiquaires ont commis en cette partie de l’antiquite´, qui me semble la plus importante de toutes, et qui sert le plus a` l’intelligence des auteurs, tant grecs que latins, et principalement les historiens. Ce qui me fait re´soudre a` traiter cette matie`re a` plein fonds, et ne rien laisser en arrie`re qui peusse de´sirer de l’e´claircissement, veu qu’il s’y rencontre tant de paradoxes, qu’il faut ve´rifier et confirmer. Ce qui ne se peut faire sans beaucoup de tesmoignages bien expre`s, tire`s des auteurs anciens.« Philippe Richardot: Les e´ditions d’auteurs militaires antiques aux XVe–XVIe sie`cles, URL: http://www.stratisc.org/strat068 Richardot.html [Stand: 15.07.2010], S. 7.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

sich um Mauritius Tiberius und Julius Africanus) die Milice nicht veröffentlichen könne, denn er halte sich in seiner Militia an deren Regeln.553 Urbicius sollte erst 1664 durch Johannes Scheffer publiziert werden.554 Saumaise hat ihn wohl nie erhalten. In der Milice findet Urbicius keine Erwähnung. 1613 hatte van Meurs in Leiden die Taktik von Kaiser Leo VI. herausgegeben (Leo VI., Tacticae constitutiones), die sich neben dem Strategikos des Onasander, der Tactica theoria des Aelian auch auf das Strategikon des Maurikios, alias Urbicius (Urbikios) stützte.555 Die erste philologische Arbeit von Sriverius war die Herausgabe der Taktik des Aelian (1607).556 In einem Vegetius-Kommentar kam es zu einer Ver553

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555 556

Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, Juli 1636. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 96f. Vgl. George T. Dennis: Einführung. In: Maurikios: Das Strategikon des Maurikios. Einführung, Edition und Indices v. George T. Dennis, Übersetzung von Ernst Gamillscheg (Corpus fontium historiae byzantinae, 17), Wien 1981, S. 24: Bis 1664 gab es keine gedruckte Ausgabe des Maurikios: Joannes Schefferus, Arriani Tactica et Mauricii Artis militaris libri duodecim, Upsala 1664. »In einem kurzen Vorwort erklärt Scheffer, wie er zu dem Text des Strategikon kam: Lucas Holstenius (Holste) aus Hamburg (1596–1661), Bibliothekar des Kardinals Francesco Barberini in Rom, sandte ihm den Text, den er aus vier Handschriften kollationiert und mit der Taktik Leons VI. verglichen hatte. Die vier Handschriften sind ›duobus Barberinis, Mediceo et Farnesiano‹.« Ebd., S. 23. Vgl. BN: R–6415; RES-R–1191; RES M-R–61: Anonymi De rebus bellicis liber, scriptus, ut videtur, ad Theodosium Aug. ejusque filios Honorium et Arcadium Caess., Ex officina Plantiniana Raphelengii, M.D.CVII; Pierre Tuynman: Petrus Scriverius 12 January 1576–30 April 1660, Quaerendo, 7 (1977), S. 11f.: »in 1607, Scriverius edited his first philological work, the one of his ›Edita‹ that is the first to be mentioned and described at length by him at the end of his autobiography, it was, accordingly, not a work undertaken ›simply‹ as a contribution to classical philology. The choice of Vegetius’s De Re Militari as a text to be edited (with Stewechius and Modius commentaries), and the addition – as an editio princips – of a Castrametatio (a pseudo-Hyginus gromaticus), and of Frontinus Strategemata (with Modius’s notae), were intended directly ›publico prodesse‹: to be of use to the state, because people in Holland were living ›precisely‹ at a time when such authors ought to be read by everyone.«: 5. Anm. [S. 33: »The Vegetius edition (in five parts) is dated, as a single whole, 1607; the part containing Stewechius’s commentary, however, 1606. Scriverius’s editon of Vegetius was based on a new study of manuscript sources; the commentary by Godescalcus Stewechius (d. 1586) had already appeared in his own edition of Vegetius of 1585 (Antwerp and Leiden, reprinted Leiden 1592). Scriverius included Franciscus Modius’s Notae, published at Cologne in 1580, in their entirety (which Stewechius had not: see P. Lehmann, Franciscus Modius als Handschriftenforscher (München 1908), p. 42). Both Scriverius’s and Stewechius’s Vegetius commentaries were reprinted in toto as late as 1670, various parts of them still reappeared in editions as late as 1806. The Castrametatio, of which Scriverius provided the editio princeps, is now no longer attributed to Hyginus./ Scriverius also used MSS. for his edition of Frontinus, whose work had already been published many times in editions together with Vegetius (among others by Stewechius); Modius’s Notae to Frontinus were also reprinted in

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bindung folgender antiker Militärtheoretiker: Vegetius De re militari mit den Kommentaren Stewechius’ und Modius’ und eine editio principes der Castrametatio, eines Pseudo-Hyginus gromaticus sowie die Stratagema des Frontinus mit Modius’ zum Nutzen der Allgemeinheit (publico prodesse).557 Saumaise zufolge war zu dieser Zeit (d. h. der des Urbicius) die römische militia an ihrem Höhepunkt angelangt und unterschied sich

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the Stewechius edition. Apart from the Strategemata Scriverius also added De aquaeductibus and Frontinus’s works on surveying (with Aggenus Urbicius) (cf. Leiden University, p. 458, n. 313, on one of the Agrimensores MSS. which Scriverius owned apart from the Codex Arcerianus, now in Wolfenbüttel). In Athenae Batavae, and even as early as 1613, Scriverius announced that he would later be able to reveal new improvements on Frontinus’s text. According to Het Leven, p. 15, he did indeed revise his notes in 1632; and in 1633 and 1644 new impressions of his edition followed. Use was made of the notes which Scriverius left when he died by Rob. Keuchenius in his Frontinus editon of 1661, and also for example by Oudendorp in 1731 (with an integral reprint of the commentaries of Modius, Stewechius and Scriverius). It should also be noted that the 1607 edition by Scriverius contains another series of Rei militaris scriptores, including work by Aelianus, Polybius and Modestus (for Aelianus, see the list of editions in the work by Hahlweg referred to in n. 29 below, p. 304, esp. Nos. 29, 33 and 34)./ For the reception which this edition received, see Grotius’s letter to Scriverius of 8 June 1607 (cf. Rademaker’s article elsewhere in this issue, and his n. 24), which was included in the preliminary matter of the Vegetius reprint of 1633.« Ebd. S. 12: »Vegetius served as the guide to the newly introduced drill. The importance of castrametatio may be judged from the fact that Simon Stevin, Maurice’s quartermaster-general [...], described ›Castrametatio, dat is Legermeting‹ as one of his warfare manuals, taking the Roman example as his model. Finally, the role played in the war by stratagems such as described by Frontinus is perhaps best illustrated by Maurice’s famous exploit of 1590, when the young Piet Schrijver was just fourteen: the surprise of Breda by means of a Trojan horse, Dutch-style – the almost legendary petat-barge of Breda.«; ebd. S. 22: »The publication of the Scriptores Rei Militaris (1607) was preceded by the annotated edition of the Caesar fragments in Scaliger’s Leiden Caesar edition of 1606, in which neither Scaliger nor Scriverius identifies himself by name: see J. Bernays, J. J. Scaliger (1855, reprint 1965), pp. 293–4, sub No. 27.« Fl. Vegetii Renati Comitis, 1607. R–6415, umfasst: FL. VEGETII RENATI Institutorum Rei Militaris libri V./ M. PORCII CATONIS, CINCII, aliorumque de Re Militari Fragmenta./ CLAVDII AELIANI Tactica, siue de Instruendis Aciebus more Graecorum: ex interpretatione Theodori Gazae Thessalonicensis./ POLYBII Tractatio de Militia & Castrametatione Romanorum.: ex interpretatione Andreae Iani Lascaris Rhyndacei/ IVLII HYGINI Gromaticus siue de Castrametatione liber, nunc primum ex antiquissimis membranis editus./ ANONYMI de Rebus Bellicis liber cum figuris . semel antea tantum excusus./ MODESTI libellus de Vocabulis Militaribus./ RVFFI Leges Militaires./ SEX. IVLII FRONTINI Strategematicon siue de solertibus Ducum factis & dictis libri IV./ De Aquaeductibus Romae Commentarius. Et de iisdem Constitutiones Imperiales.-De Re Agraria, hoc est de Agrorum qualitatibus & eorumdem controuersiis, cum Aggenni Vrbici commentario./ De Limitibus, scriptum nunc primum editum. Item, Legis Mamiliae aliquot capita, & quaedam alia./ De Coloniis, cum luculent a` accessione./ GODESCHALCI STEWECHII & FRANCISCI MODII Commentaria & Notae in Vegetium & Frontinum de Re Militari.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

grundsätzlich von der republikanischen und der des griechisch-makedonischen Reiches (empire grec). Dieser Autor handele von allen Veränderungen, allen Bataillonsformen, die in der alten und modernen militia verwendet wurden. Er hoffe, dass er dieses Schriftstück noch vor Vollendung seines Werks einsehen könne. Es würde unzählige Dinge erhellen, die er bislang nur erahne. Sie haben in der Bibliothek einige Kapitel aus Julius Africanus, die die Kriegskunst beträfen. Doch gebe es nur noch drei oder vier, obwohl der Katalog mehr als dreißig verspreche. Das Strategikon des Mauricius sei ebenfalls unvollendet geblieben. Die Taktik des Leo VI. sei verdorben und handele lediglich von der militia seiner Zeit, die sich nur noch auf die Kavallerie beziehe, was Francesco Patrizi fehlleitete, der diese als Infanterie interpretierte.558 Am 7. Jan. 1635 schrieb Saumaise von seinem Bemühen, die Taktik des Urbicius (Tactica d’Urbicius) zu erhalten, um sein Werk zu verbessern und zu vervollständigen. Er war der Auffassung, dass Maurikios (Mauricius) in seinem Strategikon nicht alles von Urbicius übernommen habe. Er räumte jedoch ein, dass der Maurikios in den von all den von ihm eingesehenen Handschriften nur unvollständig überliefert sei. Maurikios sei jedoch der beste Autor der letzten griechischen Militärschriftsteller. Er habe all das, was er geschrieben habe vor allem den Römern 558

Saumaise an Peiresc, Grigny, 7. Nov. 1635. In: Les correspondants de Peiresc, 1972, Bd. 1, S. 241ff. [Der Originalbrief findet sich in der Bibliothe`que Me´janes, Aix-en-Provence, Fonds Peiresc: Correspondance de Peiresc et des savants ses contemporains, T. XI, lettres R a` V et commencement de la lettre S: kl44 – Lettre de Saumaise (Claude) e´crite de Grigny a` l’attention de Peiresc (Nicolas-Claude Fabri de) a` (s.l.), le 7 novembre 1635, Ms 211 (1029), p. 450–451]: »Il se trouve dans les bibliothe`ques d’Italie un livre intitule´ τακτικαÁ ÆΟυρβικι ου, duquel il nous est reste´ un fragment, qui traite des ordres et en expose seulement des noms. Cet auteur vivoit du temps, et par le commandement dudit empereur avoit mis au jour et interpre´te´ un livre d’Hadrian, l’empereur, qui traitoit de la milice [Hadrian hat nie einen Traktat über die militia verfasst]. Quelques-uns mesme l’attribuoient a` Trajan, et voici le titre que j’en ai trouve´ dans une ancien Ms, sur un e´pigramme fait a` la louange d’Urbicius, et de son ouvrage […] En ce tems la` la milice romaine a este´ en son plus grand lustre, et bien diffe´rente de ce qu’elle estoit du tems de la Re´publique, et de la forme qu’elle a eu sous l’empire grec. Cet auteur, a` ce que dit l’e´pigramee, traitoit pleinement de tous ces changemens, et de toutes les formes des bataillons usite´es en l’ancienne milice et en la moderne. Je ne me promets pas tant de bien et de bonheur, que de le pouvoir rencontrer avant que d’avoir mis la dernie`re main a` mon œuvre. Cependant il e´clairciroit une infinite´ de choses, que je ne vois qu’a` tastons. Je les vois bien pour moi; mais j’aurai peine de les persuader a` d’autres, tant elles sembleront paradoxes. Nous avons dans les livres de la bibliothe`que quelques chapitres des Κεστοι de Julius Africanus, concernant l’art militaire. Mais le malheur a voulu qu’il n’en est demeure´ que trois ou quatre, ou` le catalogue en promet plus de trente. Le Strategicon de Mauricius est pareillement imparfait. Les tactiques de Le´on sont corrompues, et ne traitent que de la milice de leur temps, qui ne faisoit plus estat que de la cavalerie. Ce qui a trompe´ le pauvre Franciscus Patricius [Francesco Patrizi], qui a pris ce qu’il en a escrit, comme s’il eust parle´ de l’infanterie.«

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entlehnt. Die Begriffe, derer er sich bediene, belegen das, sie seien alle reinstes Latein. So beispielsweise mane sta, depone dextra, depone sinistra, etc.559 Bei seinem Bemühen die byzantinisch-griechische taktische Theorie freizulegen und dem bon sie`cle zuzuordnen, griff Saumaise auch auf eine Arbeit Friedrich Lindenbrogs (1573–1648) zurück. Er werde auf die Noten von Lindenbrog über Ammiani Marcellini historiarum libri illustrati (1609) zurückkommen, wo dieser einen Abschnitt aus Urbicius zitiert, den er aus der Bibliothek von Florenz habe: Urbicius in Tacticis, quae Manuscripta in Bibliothecaˆ Magni Ducis Etruriae extant. Dieser Abschnitt bestätige ihn in seiner Annahme, dass Urbicius immer einen großen Teil kompiliert habe, wie Leo es von Maurikios genommen habe. Dieser Urbicius liege vollständig erhalten in der Bibliothek von Florenz und, wie er aus Lindenbrog entnehme, stelle er die Mittel bereit, die ganze römische militia wiederherzustellen und den Maurikios an unzähligen Stellen zu korrigieren, wo er verdorben sei, wie an der von Lindenbrog aufgeführten Stelle.560 Der Hamburger Lindenbrog, der auch 559

560

Saumaise an Peiresc, Dijon, 7. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 245: »C’est le meilleur auteur que nous ayons des derniers Grecs qui ont escrit de cette matie`re et tout ce qu’il en a, il l’a indubitablement pris des anciens, principalement des Romains, ainsi que le tesmoignent tous les termes, dont il se sert, qui sont purs latins. Mane sta, depone dextra, depone sinistra, et ainsi des aultres.«; vgl. auch ebd. Saumaise an Peiresc, Dijon, 9. Juni 1636, S. 267f., wo sich eine nahezu identische These mit der Kritik an Rigault verbindet: »Celui qui se trouve en Italie, a` ce que je vois, ne sera pas autre chose que celui que Franciscus Pithoeus [Franc¸ois Pithou (1593–1621)] avoit remarque´ dans son indice des auteurs de Re militari qui in Italia asservantur, qui commenc¸oit, ainsi que M. Rigaut [Rigault] l’observe sur son Onosander, par ces paroles:..., etc. Je de´sespe´re maintenant que jamais l’Urbicius entier se puisse recouvrer./Ce qui me confirme en ma premie`re opinion, que le Mauricius que nous avons, a tout pris ce qu’il a escrit de l’Urbicius, ce qui a este´ cause en partie de faire perdre l’escrit dudit Urbicius. Car ce mesme Mauricius en raporte un fragment sur la fin de son œuvre, et ce qu’il le nomme seulement en cet endroit la`, est qu’il traite d’un stratage´me, et d’une invention forge´e par Urbicius ou` tout le reste de son ouvrage estoit compile´ des auteurs plus anciens, et principalement romains. Car tous les mots des factions et motions militaires, sont latins. Le mal est qu’ils manquent en quelques endroits, et sont forts corrompus en d’autres, et M. Rigault s’est fort trompe´ en les alle´guant aussi bien que le scholiaste Grec, qui a voulu les rendre en sa langue.« Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 289f.: »Je remontrai, l’autre jour, en lisant les notes de Lindembroch sur l’Ammiam Marcellin [Ammiani Marcellini historiarum libri illustrati, 1609], ou` il cite un passage d’Urbicius, qu’il dit avoir eu de la bibliothe`que de Florence, en la page 130 de ses observations: Urbicius in Tacticis, quae Manuscripta in Bibliothecaˆ Magni Ducis Etruriae extant. Ce passage m’a confirme´ ce que j’ai tousjoours estime´ que le Mauricius avoit compile´ une grande partie de son escrit, comme le Leon l’a pris de Mauricius. Cet Urbicius la`, s’il estoit entier en la bibliothe`que de Florence, comme je le reconnois quasi par le passage, qu’en raporte Lindembroch, il y auroit moyen de restituer toute la milice romaine et corriger le Mauricius en une infinite´ d’endroits ou` il est corrompu de´plorablement comme en cet endroit qui est alle´gue´ par ledit Lindembroch.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

eine Kritik des Vegetius vorgelegt hatte,561 schickte Saumaise auf dessen Anfragen hin die aus der Biblioteca Laurentiana (Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz) stammenden Excerpta des Urbicius – es handelt sich um den berühmten, aus dem 10. Jahrhundert stammenden Taktikercodex Laurentianus LV 4. Saumaise zeigte sich jedoch enttäuscht über die Exzerpte, die hauptsächlich die lateinischen Begriffe der militärischen Wachen (Factions und Motions Militaires) enthalten. Aus jedem der zwölf Bücher hat er nur wenig exzerpiert, vor allem die lateinischen Begriffe der Factions und militärischen Bewegungen, die Saumaise eine große Lust empfinden ließen, den Rest zu sehen. Das Fragment von Mailand (Biblioteca Ambrosiana) sei unbedeutend.562 Exkurs: Der Florentiner Taktikerkodex und sein römischer Konkurrent Neben der Restitution der antiken Tradition durch Naude´ und Saumaise begann Lucas Holstenius die antiken Taktiker im Hinblick auf die gewachsenen militärwissenschaftlich-pragmatischen Ansprüche der Zeit neu zu kodifizieren und sich von der mehr repräsentativen Ausrichtung des alten Florentiner Kodexes zu distanzieren. Zu dem alten Florentiner Taktikerkodex trat in den 1630er Jahren die Sammlung des Neuplatonikers und Bibliothekars der Vatikanischen Bibliothek Lucas Holstenius. Im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts wurde eine Sammlung der Taktiker erstellt, die man als ›Römische‹ bezeichnen kann, um sie der ›Florentiner‹, die exakt ein Jahrhundert zuvor zusammengestellt wurde, entgegenzusetzen.563 Naude´ merkte jedoch zur Quellensammlung antiker Taktiker durch Holstenius an, dass sie der Pariser Sammlung entspreche, so dass, wer die eine kenne, auch über die andere im Bilde sei.564 Während Saumaise sich vorwiegend auf Pariser Quellen stütze, bezog sich Lucas Holstenius auf eine Sammlung von Taktikern (›strate´gistes‹), die A. Dain als römisch bezeichnet. 561

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Reeve: Introduction, S. li: Reeve erwähnt die unveröffentlichten Noten von H. Lindenbrog, deren Original (Hamburg Philol. 235) jedoch vermisst ist. Eine 1862 erstellte Kopie überlebte jedoch in Rochefort-sur-Mer Bibl. Mun. 84. Saumaise an Peiresc, Leiden, 3. Mai 1637. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 295: »De tous les livres, qui sont douze en tout, de chaque livre, il a fait extrait de peu de chose, principalement des termes latins des Factions, et Motions Militaires, qui s’y trouve, qui m’ont donne´ une merveilleuse envie de voir tout le reste. Le fragment, qui se trouve a` Milan, n’est rien au prix.« Dain: Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, S. 339f.; vgl. auch: Dain: La collection florentine des tacticiens grecs. Naude´ an Peiresc, Rieti, 20. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 89: »Ayant faict parler sous main au sr Holstenius pour avoir quelque information de ces MS. anciens de re militari qu’il pouvoit avoir veus, il a respondu de n’en sc¸avoir aucun sinon ceux de la Vaticane compris et receuillis ensemble en un gros volume semblable et en tout et partout a` celuy qui est dans la Bibliothe`que du Roy, et que qui a veu l’un a veu l’autre.«

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Die Ausrichtung beider Sammlungen ist unterschiedlich. Im 16. Jahrhundert wollte man ästhetisch ansprechende Handschriften verfassen; im 17. Jahrhundert hingegen erstellte man vom Original nur hastige Kopien, die dann den Kabinetts-Arbeiten dienten und Elemente zukünftiger Publikationen, Ausgaben und Übersetzungen bereitstellten.565 Jede Kollektion hatte einen Gründer, der ihr ihre Richtung gab. Der Urheber der Florentiner Sammlung ist unbekannt.566 Vegetius stand im Zentrum der in Frankreich im 16. Jahrhundert ausgeführten Arbeiten. Im Fall der römischen Sammlung war der Anreger Lucas Holstenius, der in Leiden studiert hatte und wie Gabriel Naude´ zunächst Bibliothekar des Präsidenten Henri de Mesmes (1625) und dann des Kardinal Francesco Barberini und der Vatikanischen Bibliothek (1636) war. Peiresc hatte Holstenius bei dem Kardinal Francesco Barberini empfohlen.567 Die kritischen Arbeiten von Holstenius bezogen sich vor allem auf die Texte von Arrian und Asklepiodotos. Auch widmete er sich Mauricius. Die Ausgabe, die Scheffer von diesem erstellte, wird von einer lateinischen Übersetzung des Holstenius begleitet und die Handschrift, auf die sich Scheffer stützte (Upsaliensis 43), wurde von ihm verfasst.568 Auch Holstenius erforschte die Handschriften antiker Taktiker in Florenz, wo er den Laurentianus L VI–1 einsah, der nahezu ausschließlich Polyaen gewidmet war.569 Holstenius selbst hatte bereits 1631 von Peiresc zwei Handschriften der Stratagemata des Polyaen erworben.570 Sein Interesse bezog sich vor allem auf die militärischen Inhalte der Handschriften.571 i.

Die Milice und die modernen Kommentare der antiken militia

Die Kritik der taktischen Theorie des Saumaise selbst weist mehrere Motive auf. Er erarbeitete eine Kritik der Interpretation der antiken Militärtheorie durch deren moderne französische, italienische und lateinistische Kommentatoren und Interpreten. Schließlich deutet der Umfang seiner Quellenforschung an, dass es ihm an einer restitutio und einer Zusammenführung unterschiedlicher taktischer Traditionsstränge aus der antiken Überlieferung unter der Ägide des Polybios ging. Drittens impliziert seine taktische Theorie, wie sie in der vernakularsprachlichen 565 566 567

568 569 570 571

Dain: Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, S. 339f. Ebd., S. 348. Anmerkung von Philippe Tamizey de Larroque. In: Les correspondants de Peiresc, S. 184. Dain: Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, S. 342. Ebd., S. 348. Ebd. Ebd.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Fassung ausgeführt ist, eine Kritik der militärtheoretischen Systematik des Lipsius und der taktischen Theorie Lipsius auf der Grundlage einer neuen Hermeneutik der antiken taktischen Theoretiker. Saumaise war an einer kritischen Synthese des antiken taktischen Modells gelegen, die die bisherigen Kommentare zur antiken Militia hinter sich lässt. Vielfach richtete sich die Kritik gegen die modernen Autoren im Allgemeinen, d. h. die Latinisten,572 wie er in einem Brief an Peiresc zu verstehen gab. Saumaise knüpfte zwar an die Beurteilungen Scaligers und der übrigen Gelehrten an, hob sich jedoch auch von diesen ab, da er die Polybios-Interpretation, die in dem Brief von Scaliger an de Thou enthalten ist, zum Gegenstand seiner Kritik wählte. Diese zielte in erster Linie auf den Latinisten und Tacitisten Justus Lipsius, wenngleich Saumaise die Tacitus-Kritik Lipsius’ nicht grundsätzlich abgetan hat.573 Neben dem posthum publizierten Brief Scaligers an de Thou (1610)574 wird nur noch ein weiterer moderner Text explizit zweimalig erwähnt, nämlich DMR (Milice romaine) von Justus Lipsius (an einer Stelle präzise Buch V, das sich mit der Ausbildung der Disziplin im Lager befasst). Darüber hinaus nennt Naude´ Saumaise in dem SStM im Zusammenhang der Erforschung antiker taktischer und strategischer Handschriften (lateinische, griechische, arabische, vulgarsprachliche) neben Leone Allacci und Lucas Holstenius.575 Naude´ ordnete Saumaise denjenigen 572

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Die verstärkte Hinwendung zum Lateinischen und die Vernachlässigung des Griechischen war ein Charakteristikum des holländischen Humanismus, vgl. Pfeiffer: History of Classical Scholarship from 1300 to 1850, S. 125: »It was characteristic of Holland, in contrast to France, that there was much less interest in Greek than in Latin. (FN: The influence of his studies of Roman antiquities seems to have reached Karl Otfried Muller who turned them into genuine historical researches, see W. Kaegi, Deutsche Zeitschrift (Jg. 49 Kunstwart) 1935/6, S. 97.)«; ebd., S. 129: »The treatement of Latin literature in the tradition of Lipsius was continued by Daniel Heinsius (1580–1655), Casaubon’s ›parvus Scaliger‹, and by his son Nicolaus (1620–81).« Möglicherweise reflektiert die Kritik der Latinisten, wie sie im Abrege´ vorgetragen wird, auch die Polemik mit Heinsius. Auch Johann Friedrich Gronovius (1611–1671) zählt in die Gruppe der Latinisten. De Laudibus et vita Cl. Salmasii, S. III–LXIV. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus. Accedunt de laudibus et vita ejusdem prolegomena. Accurante Antonio Clementio, Lugduni Batavorum, Adriani Wyngaerden, 1656 HAB Li 7735.1, S. XXXIV: »adeo ut cum in Notis ad Tacitum multa contra` Lipsium disputasset, ab ipso Lipsio tamen insignem laudem meruerit, quia & cum causa, & cum modo hoc faceret; uti ipse scripsit in quadam Epistola ad Baudium [Baudius], quae extat in Nov. Ed. Baudianar. Epist. Cent. IV. Ep. XXIX.« Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou; Bernays: Scaliger, S. 300: »Ein Paar aus dem Stegreif niedergeschriebene Bemerkungen über die römische Schlachtordnung.«; entspricht weitgehend einer Handschrift in der Collection Dupuy der BN: 394ter, fol. 199, exzerpierten Bemerkungen über die römische Armee, die auch in den Epistolae abgedruckt sind: ›Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais‹. Naude´: Bibliographia Militaris, S. 52: Notitia illorum, qui latent in bibliothecis tam Graeci, quam Latini, itemque Arabes & vulgares. Allatii, Salmasii, Holestenii,

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Autoren zu, die nicht nur die römische Disziplin darstellten, sondern darüber hinaus einen Vergleich mit dem modernen Militär leisteten. Er differenzierte also in Autoren, die aus reinem philologischen Interesse über die Disziplin schreiben, so Petrus Ramus, der über die alten Sitten der Gallier schrieb, Samuel Petits Abhandlung über die Gesetze der Athener, Nicolaus Cragius (drei Bücher über die Republik der Lakedaimonier), van Meurs (libro de Cecropia seu arce Athenaeum), Kyriacus Stroza (der die Politik des Aristoteles assimilierte), Jacobus Faber (qui in Hecatomiae, leges Socratis, & Platons de militari retulit) und Rigault (cuius glossarium tacticum, totum postea in suum transtulit Meursius),576 und in eine Gruppe, die eine Synthese leistete, indem sie die Disziplin der Römer mit dem militärischen System der Gegenwart verglich. Saumaise ordnete er in die Gruppe (der Paralleli) von Francesco Patrizi,577 Justus Lipsius, Giovanni Antonio Valtrino, Henry Savile, Alberico Gentili, dem Caesar-Kommentar von Petrus Ramus, Antonio Augustı´n, Lelio Torelli (epistolae), Petrus Abaunza, Francesco Contarini und Guillaume du Choul ein.578

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Rhodii laus; S. 61, S. 84, S. 99: Quinquam ?uo superiore nostroque scripserint de militia antiquorum, in se tantummode spectata. Salmasii conatus hoc nomine laudatus, S. 105. SStM, S. 99f.; Das militärtheoretisch-kritische Anliegen Rigaults schien tatsächlich terminologischer Natur zu sein. Vgl. Nicolas Rigault (Hg.): Onosandri strategicus, sive de imperatoris institutione. Accessit...Nicolaus Rigaltius P. nunc primum evetustis codd. Graecis pulicauit, latina interpretatione & notis illustrauit, Lutetiae Parisiorum, apud Abrahamum Saugranium, 1599. BN E* 762: Ad Lectorum [II: Vorwort zu den Anmerkungen: Fußnoten]: »Bonam partem authorum qui Strategica vel Poliorcetica Graece scribserunt, habui multa exys paßim hic inserta sunt, quasi opere vermiculato, fragme(n)t, in quibus vocabula non rarenter obseruabis, obscura, nec viris in memoria nostra doctißimis adhuc perspecta, quae suo loco una` cum alijs multis quae ad militiam attinent, distributa, exposui on Glossario Barbarograeco, quod breui, si ita tibi videbitur, manumissium tui iuris faciam.« Francesco Patrizi trat mit zwei militärtheoretischen Schriften hervor. Einem Kommentar zu Polybios, Titus Livius und Diogenes Halikarnassos und einer Parallelisierung der römischen mit der gegenwärtigen Kriegskunst: La Militia romana di Polibio, di Tito-Livio e di Dionigi Alicarnasseo, da Francesco Patricii dichiarata...Ferrara, D. Mamarelli, 1583. BN J.4055 (1); – Paralleli militari di Francesco Patrizi, ne’ quali si fa paragone delle milizie antiche, in tutte le parti loro, con le moderne…Roma, appresso L. Zannetti, 1594. 2 tomes relie´s en 1 vol. BN R. 536–537 [La seconde partie porte au titre: De Paralleli militari di Francesco Patrizi parte II. Della militia riformata, nella quale s’aprono i modi e l’ordinanze varie deglie antichi accomodate a nostri fuochi, per potere secondo la vera arte di guerra con pochi vincere in battaglia la gran moltudine de Turchi…et a` l’adresse: Roma, appresso G. Facciotto, 1595]; – (un autre ex., avec notes Ms., ne contenant pas de pl.) BN R.538–539; – 1606. Roma, G. Fiaccotto. Fol. R. 391 (1); Ludolph Küster/Francesco Patrizzi, Thesaurus antiquitatum romanorum Res militaris Romana ex Italia in Latinam linguam versa, Trajecti ad Rhenum, F. Halman, 1694–1699. Vgl. Naude´: Bibliographia Militaris, S. 99ff.

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Der komparativ-diachrone Ansatz ist auf den Wunsch Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien zurückführbar – die Aufforderung sich den modernen Methoden und dem Stil der Kriegsleute zu nähern –, lässt sich durch die bibliographisch-systematische Einordnung in der kommentierten Bibliographie Naude´s begründen und spiegelt sich schließlich in der Gelehrtenmeinung allgemein wider. Grotius bemerkte, Saumaise unternehme einen nützlichen Vergleich zwischen dem Militär seiner Zeit und dem antiken Militär (militiam nostram cum veteri).579 In dem bereits zitierten Brief vom 15. Okt. 1635 an Peiresc führte Saumaise die modernen Autoren auf, die er sich zu überbieten anschickte. Es handelt sich um den niederländischen Latinisten Justus Lipsius,580 den französischen Hellenisten Isaac Casaubon und, nicht mit Namen genannt, alle französischen und italienischen Autoren. In einer Fremdeinschätzung wurde Saumaise in einem Brief von Claude Sarrau an Gronovius in der Traditionslinie Francesco Patrizi, Justus Lipsius und Henry Savile (1549–1622)581 verortet. Bei der lateinischen Ausgabe (1601) des Letzteren handelt es sich um eine Übersetzung von Marquart Freher. Gleich Lipsius kann Henry Savile, der 1591 die erste TacitusÜbersetzung ins Englische vorlegte, dem Tacitismus zugeordnet werden.582 Claude Sarrau nennt ihn in der Deutung der antiken Militia zusammen mit Patrizi und Lipsius.583 So kann einem Brief von Sarrau an Rivet vom 6. März 1643 entnommen werden, dass Saumaise einen Kommentar zum römischen Militärwesen fertiggestellt habe, in dem er zwischen der militia der konsularischen Zeit und dem Militär der Kaiserzeit unterscheide, was weder Patrizi, Lipsius noch Savile584 zu unternehmen 579

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Hugo Grotius: Hugonis Grotii Epistolae ad Gallos. Editio novissima, prioribus auctior, cui item additae sunt Claudii Salmasii et Claudii Sarravii ad Hugonem Grotium Epistolae. Hg. v. Joachim Gesenius, Leipzig 1674, S. 459: »Evici ramen (sic), ut potui maxima difficultates, & Militam nostram cum veteri non inutiliter comparavi.« Vgl. Henri Estienne: De Lipsii latinitate (ut ipsimet antiquarii antiquarium Lipsii stylum indigitant) Palestra, Frankfurt 1595 . Henry Savile: Henrici Savilis,...Commentarius de militia romana ex anglico latinus factus, Heidelberg, Voegelin, 1601. BN J–15459 (Re´serve); – H. Savilius in Taciti histor[ias] Agricolae vitam et commentarius de militia romana, Amstelodami, apud Ludovicum Elzevirium, 1649. Vgl. David Womersley: Sir Henry Savile’s Translation of Tacitus and the Political Interpretation of Elizabethan Texts, Review of English Studies, N.S., 42, 167 (1991), S. 313–342. Claude Sarrau: Claudii Sarravi,…Epistolae, opus posthumum, Arausioni 1654. BN MFICHE Z–14089, S. 68f.: »Interim de Militia Romana commentatur, docetque quam diversa fuerit sub Consulibus & sub Caesaribus. Patricio, Lipsio, Savilio, caeterisque intentantum opus, arduum & difficile.« Henry Savile: Henrici Savili Commentarius de militia Romana: ex Anglico Latinus factus. Übers. v. Marquard Freher, Heidelberg, Voegelin, 1601. HAB M:Gg 302; Im Unterschied zu Patrizi, Lipsius und später Saumaise ist sein Kommentar nicht

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wagten.585 Diese historisch konnotierte verfassungstheoretische Achse, an der er seinen lateinischen Kommentar zur antiken taktischen Theorie entwickelte, und das komparative Moment hoben ihn von diesen ab. In dem DRMR werden ausdrücklich Lipsius, Casaubon und Scaliger, der nicht nur Frontinus, sondern auch Tacitus, Tibull und Caesar kritisch kommentierte,586 genannt, von denen sich Saumaise kritisch distanzierte. Stehen bei den ersteren die jeweiligen Polybios-Kommentare in der Kritik, so ist es der Brief Scaligers an de Thou, der dem kritischen Blick Saumaises nicht standhält.587 An anderer Stelle des DRMR referierte Saumaise auf den Tibull Scaligers.588 Von Scaliger sind es daher die nova

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nach Kapiteln geordnet, sondern es finden sich Randglossen. Auf S. 79 ein offensichtlich gesonderter Abschnitt mit folgendem Titel: LOCI CVIVSDAM POLYBIANI EXPLICATIO, VBI DEFENSA Lectio vulgata adversus viros doctissimos, & ratio stipendii militaris exposita; Am Schluss, S. 86: DE MILITIA ROM. DESIGNATIO EDITIONIS AVCTORVM, QVI CITATI ADDVctis paginis. Im Vorwort bezieht sich der Übersetzer des Savile auf Lipsius und Josias Mercerus (Tacitus-Kommentar). Der Kommentar enthält einen Abschnitt über den Sold der Römer nach Polybios (ab S. 79: Loci cuiusdam Polybiani explicatio, ubi defensa lectio vulgata adversus viros doctissimos [bei denen es sich wesentlich um Hotman (libri de re numaria, miranda) und Bude´ handelt], & ratio stipendii militaris exposita). Er bezieht sich darin auch auf den Tacitus-Kommentar von Justus Lipsius (S. 85). In der in Gewandt eines Tacitus-Kommentars auftretenden Edition von 1649 ist eine kurze positive Kritik von Josias Mercerus und Auguste de Thou aus dem Jahr 1598 vorangestellt. Sarrau an Rivet, 6. März 1643. In: Correspondance inte´grale, Bd. 1, S. 416: »Heduus noster parle de partir tout de bon aussi tost/apre`s Pasques et cependant a faict un ample commentaire de la Milice Romaine ou il distingue celle du temps des Consuls d’avec celle du temps des Cesars, ce que Patrice, Lipse, Savile, ni autres n’avoient encores ose´ entreprendre. Il vous en portera un magnifiquement gros roulleau tout prest a mettre sous la presse.« Die (militärtheoretischen Texte Scaligers, auf die sich Saumaises Kritik beziehen konnte, waren folgende: Dupuy 395, fol. 90v: Noten J. Scaligers zu Frontinus, (ein Folio) Microfilm 11931; Dupuy 395, fol. 78 und 78v: ›Emendationes in Tacitum ex libro Jos. Scaligeri‹; Microfilm 11931; – Tibull; – Caesar-Kommentar; C. Julii Caesaris Commentarii de bello Gallico et civili. Ejusdem librorum, qui desiderantur, fragmenta (– A. Hirtii de bello Alexandrino, de bello Africano et de bello Hispaniensi libri. Veterum Gallicae locorum descriptio, auctor Raymundo Marliano.) Omnia nunc opera … viri docti [J.J. Scaligeri] emendata et edita, Antverpiae, apud C. Plantinum, 1586; – C. Julii Caesaris (nec non et A. Hirti) quae exstant ex nupera viri docti [J.J. Scaligeri] … recognitione. Accedit … vetus interpres graecus librorum VII de bello Gallico, ex bibliotheca P. Petavii. Praeterea notae, annotationes, commentarii … in quibus notae … Jo. Brantii, … Editio adornata opera et studio Gothefredi Jungermani, … Francforti, apud C. Marnium, 1606. DRMR, S. 46, S. 76f. Ebd., S. 75: »Mira est ad eum Tibulli locum Scaligeri observatio notantis, tria genera aciei instruendae apponi, quadratum, duplex, pilatum. Quod ut confirmet verba Varronis adfert de duobus agminis generibus.«; Ein Exemplar befindet sich in Wolfenbüttel: Catulli, Tibulli, Properti. Nova Editio. Iosephus Scaliger Ivl. Caesaris F. recensuit. Eiusdem in eosdem Cactigationum Liber actus & recognitus ab ipso auctore. Ad amplissimum virum Cl. Puteanum Consiliarium Regium in suprea Curia Parisiensi, Lugduni, Apud Anthon. De Harsy, 1607. HAB Lh 197;

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editio Scaligers von Catull, Tibull und Propertius (1576) und das Antwortschreiben an de Thou, das 1610 in den Opuscula varia antehac non edita posthum ediert worden war, die Saumaise vorgelegen haben müssen. Bei der Edition Scaligers handelt es sich um eines der früheren Werke des französischen Humanisten, das als Beispiel seiner philologisch-kritischen Methode zu betrachten ist.589 Vielfach richtete sich die Kritik Saumaises gegen die modernen Autoren im Allgemeinen und im Besonderen die Latinisten.590 Saumaise richtete seine Kritik nicht nur auf Lipsius, sondern auf alle französischen und lateinischen Autoren, die im Anschluss an Lipsius591 über die Kriegskunst schrieben. Auch Francesco Patrizi, der noch von Scaliger und anderen Humanisten seiner Vorzüge wegen gegenüber dem Polybios-Kommentar Lipsius gelobt wurde, muss im Lichte der Neuinter-

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1577, die erste originäre Handschriften-Entdeckung Scaligers, bei der er nicht auf die Italiener rekurrierte. Vgl. Anthony Grafton: Joseph Scaliger’s Edition of Catullus (1577) and the Traditions of Textual Criticism in the Renaissance, JWCI, 38 (1975), S. 156: »this was Scaliger’s most methodical edition, the one which marked his complete triumph over the vanity and incompetence of Italian correctors.«; ebd., S. 157: »One historically important feature of Scaliger’s commentary can be dealt very quickly – namely, his constant quoting of passages from Greek literature. […] The use of Greek literature to explain Latin was one of the defining features of sixteenth-century French classical scholarship; the great French commentaries – Lambin’s Horace, for example – were great especially because of their ample and judicious employment of Greek material.« Die verstärkte Hinwendung zum Lateinischen und die Vernachlässigung des Griechischen war ein Charakteristikum des niederländischen Humanismus: vgl. Pfeiffer: History of Classical Scholarship from 1300 to 1850, S. 125: »It was characteristic of Holland, in contrast to France, that there was much less interest in Greek than in Latin. (Anmerkung: The influence of his studies of Roman antiquities seems to have reached Karl Otfried Muller who turned them into genuine historical researches, see W. Kaegi, Deutsche Zeitschrift (Jg. 49 Kunstwart) 1935/6, S. 97).«; ebd., S. 129: »The treatement of Latin literature in the tradition of Lipsius was continued by Daniel Heinsius (1580–1655), Casaubon’s ›parvus Scaliger‹, and by his son Nicolaus (1620–81).« Möglicherweise reflektiert die Kritik der Latinisten, wie sie im Abrege´ vorgetragen wird, auch die Polemik mit Heinsius. Auch Johann Friedrich Gronovius (1611–1671) zählt in die Gruppe der Latinisten. Bislang konnten wir lediglich bei Chokier eine Lipsius-Rezeption festhalten (Thesaurus politicorum aphorismorum in quo principum, consiliariorum, aulicoruminstititio proprie continetur. Una cum exemplis omnis aevi: quibus insertae notae, sive etiam Monita; quae singula singulis Aphorisimis non minus venuste, quam opportune respondent. Diuisus in Libros sex. Auctore Ioannes a Chokier Patritio Leodiens. I. V. Doctore. Adiungitur eiusdem Notae, siue Dissertations in Onosandri strategicum ad Disciplinam militarem spectantes. Editio iuxta romanam secunda, Moguntiae, Ioannis Theobaldi Schönvvetten, 1613 (MDC XIII) BN *E–866 (1), S. 43): Sie betrifft die Schlachtordnung (Modus dispone(n)dae aciei apud Rom. […] interprete I. Lipisio praeceptore meo adaperiam; vgl. auch ›Tafeln von Lipsy commentaria ad Polibium. Definitio militiae ex Lipsio‹, zitiert in: Kb, S.31; Original: HstA Wiesbaden, K 924, Bl. 49r bis 52v.

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pretation der taktischen Theorien der Antike korrigiert werden. Saumaise kritisierte Francesco Patrizi dahingehend, dass er die Taktik des Kaiser Leo VI. auf die Infanterie und nicht auf die Kavallerie anwandte.592 Eine Stelle in der Milice verweist darauf, dass ihm der Brief Scaligers an de Thou über die Taktik des Polybios bekannt war, d. h. die publizierte humanistische Korrespondenz als Hintergrund für die Konstituierung der Militärtheorie fungierte. In der Bibliothek des Leidener Humanisten waren die wesentlichen militärwissenschaftlichen Werke des niederländisch-französischen Späthumanismus vertreten. Ein weiterer Ansatzpunkt für die Rekonstruktion des philologisch-kritischen Traditionsstrangs, in den sich die Kritik Saumaises einschreibt, findet sich bei Papillon (S. 276: Livres imprime´s, qui etoient a` Dijon, chez M. de la Mare, note´s de la main de Saumaise). Papillon merkte an, dass er der Reihenfolge der Bücher folge, wie sie in dem Schrank, den er vorfand, eingeschlossen waren. Seit dem Verkauf der Bücher von De la Mare 1719 bei Ganeau (Paris) befinden sie sich in der Bibliothe`que du Roi. Folgende Bücher sind verzeichnet: Die Geschichte Augustus, die er mit Casaubon vorbereitete,593 die griechischlateinische Fassung des Aeneas in der Edition von Casaubon (1598), der Vegetius-Kommentar von Stewechius, darin inbegriffen der Modius (1607), Arrian (1575), die Ausgabe der Taktik des Aelian durch van Meurs (Leiden 1613), den Onasander in der Kommentierung von Nicolas Rigault (1599). Auch ist die Tacitus-Edition von Justus Lipsius (1581) aufgeführt, ein Historiker, der ihm, wie er in einem Brief an Sarrau am 1. Nov. 1641 äußerte, nicht gefalle.594 Hegte er grundsätzlich eine 592

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Brief Saumaises an Peiresc, Grigny, 7. Nov. 1635. In: Les correspondants de Peiresc, 1972, Bd. 1, S. 242f.: »Les tactiques de Le´on sont corrompues, et ne traitent que de la milice de leur temps, qui ne faisoit plus estat que de la cavalerie. Ce qui a trompe´ le pauvre Franciscus Patricius, qui a pris ce qu’il en escrit, comme s’il eust parle´ de l’infanterie.«; vgl. zu den spätantiken Militärtheoretikern die Anmerkung Saumaises in Kap. I von DRMR, S. 3. De Laudibus et vita Cl. Salmasii, S. III–LXIV. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. XXXIIf.: »Successit deinceps ingens & aureum opus COMMENTARIORUM in AUGUSTAE HISTORIAE SCRIPTORES, qui Suetonium sequuntur, & Minores appellari solent. Nam post Casauboni obitum, quo nemo melius hos Authores curaverat, in tota Gallia nullus repertus est, qui post ipsum aliquid hic tentare vel posset vel auderet. Et cum alii nemini obtrudi posset hoc negotium, itum est in Burgundiam ad CLAUDIUM nostrum; qui licet in alio argumento tunc versaretur, & nihil minus expectaret, cum dudum Notas & emendationes suas, & excerpta ex MSS. Pall. quae habuerat ad illos Authores proprio usui dicata, [...] Casaubono tradidisset, quia tamen & multorum amicorum atque illustrium virorum perpetuis petitionibus;« Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 278; vgl. auch Leroy, S. 159: A Tailly, 1. Nov. 1641: »Pour le Tacite, je ne peux a` present satisfaire a` votre de´sir. L’exemplaire ou` je marquois toutes mes observations, est a` Leide et il me faudroit trop de tems pour relire exactement un Aucteur qui ne me plait point.«

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Abneigung gegen Tacitus, so traf dies insbesondere die Tacitus-Edition von Justus Lipsius.595 Die kritische Ausgabe der Historia Augusta (Scriptores Historae Augustae) durch Isaac Casaubon (1598), eine Sammlung der Biographien der römischen Kaiser und Usurpatoren, die sich auf den Zeitraum zwischen 117–284 n. Chr. beziehen und zu Beginn des 4. Jahrhunderts niedergeschrieben wurden, ist mit umfangreichen Noten versehen; auch findet sich der Athenaeus in griechischer und lateinischer Fassung in der Ausgabe von Casaubon (1598), die VegetiusEdition von Stewechius (Antwerpen 1607), eine weitere Ausgabe der ERM von Vegetius (Leiden 1607), die Taktik des Aelian (1613), der Onasander-Kommentar von Rigault (Paris 1599).596 Es folgte eine kommentierte Ausgabe des Onasander in Verbindung mit Aristoteles’ Mechanicis durch H. Monantholius (Paris 1599). Lipsius’ Polybios-Kommentar und die Politica werden nicht aufgeführt, allerdings dessen Tacitus-Kommentar von 1581.597 Die kritischen Noten Saumaises beziehen sich nicht auf die militärwissenschaftlichen Schriften Lipsius’, die in dem Bibliothekskatalog nicht aufgeführt sind. Der Herausgeber von DRMR verortete Saumaise in seiner Praefatio in der militärwissenschaftlichen Tradition des herausragenden Lipsius,598 überging jedoch, dass ein zentrales Anliegen der Militärwissenschaft von Saumaise war, die strategischen Grundlagen und die taktischen Theoreme des Lipsius zu hinterfragen.

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De Laudibus et vita Cl. Salmasii, S. III–LXIV. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus, S. XXXIV: »adeo ut cum in Notis ad Tacitum multa contra` Lipsium disputasset, ab ipso Lipsio tamen insignem laudem meruerit.« Vgl. Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 276f.: Historia Augusta Casauboni, Paris, 1630. in 4°. Notes tre`s amples. – Vegetius, &c. de re militari, per Slewechium (sic) & Modium, Anvers, Rapheleng, 1607. in 4°. – Arrianus, de Expeditione Alexandri, Graeco-Latinus, Paris, Henri Etienne, 1575. in folio. – Athenaeus Graeco-Latinus, (edente Casaubono) Paris, Commelin, 1598. in folio. – [Senecae Opera . Paris, Commelin, 1593. in folio.] – Tertullianus. Franekerae, 1597. in folio. – Suetonii Caesares. Paris, Cramoisy, 1610. in folio. – Firmici Materni Astronomicon. Baˆle, 1533. in folio. – Onozandri Strategeticus. Graec. lat. 1599. in 4°. – Apollonii Argonautica Graec. Henr. Stephani. 1574. in 4°. – Æliani Tactica. Graec. Lat. Leyde, 1613. in 4°. – Vegetius, de re militari, Leyde, 1607. in 4°. Ebd., S. 278: – Paterculus Lipsii. Lyon, 1592. in 8o – Tacitus Lipsii. Plantin, 1581. in 8° [Papillon, S. 278: Dans une Lettre a` Sarrau, date´e du 1. Novembre 1641. Saumaise parle de ses Notes sur Tacite, & il dit que cet Historien ne lui plaıˆt pas.« In dieser Reihe führt Papillon auch den Abrege´ de la Milice des Romains, e´crit de la main de Saumaise auf. DRMR, s.p.: »Atque in hac militia illustranda imprimis sese exercuerunt eruditi superiori & nostro seculo, inter quos primas obtinet Iustus Lipsius. Quod si Salmasio per alia negotia licuisset huic curae insolidium incumbere, haberemus proculdubio argumentum illud plene & copiose pertractatum.«

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j. Pragmatische Parallelisierung und chronologische Kritik historischer Paradoxe Saumaise las die Texte eines gleichen Zeitalters solange, bis er sich eine klare Idee der Sprache (langage), Meinungen (opinions) und Sitten (couˆtumes) sowie der Künste (arts) des betreffenden Jahrhunderts gemacht hatte.599 In einem weiteren Schritt ging er zum nachfolgenden Jahrhundert oder Zeitalter über und hielt die Veränderungen hinsichtlich der Begriffe (termes), der Kenntnisse (connoissances) und der Sitten (couˆtumes) fest: »C’e´toit-la` le moien de ne confondre pas des choses tre`sdifferentes, a` cause de la ressemblance des noms; & de ne pas me´connoıˆtre les meˆmes choses a` cause d’un nom, qu’elles n’ont eu qu’en certain temps.«600 All seine Argumente (raisonnements) gründeten sich auf diese Beschreibungen (descriptions).601 Die Vernunft nahm einen hohen Stellenwert in der Begründung ›absolutistischer‹ Positionen der Schriftsteller des frühen 17. Jahrhunderts ein: 1649 forderte Claude de Saumaise dazu auf, sich auf die Vernunft und nicht auf das Beispiel zu stützen, und etablierte damit eine neue Form des Arguments.602 Saumaise verfolgte 599

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Zitat ›Pre´face‹ von Lantin in: Claudii Salmasii Exercitationes de Homonymis Hylesiaticae nuncquam antehac editae, ut & de Manna & Saccharo. Trajecti ad Rhenum apud Van de Water, Ribbium & Halma. 1689. In: Jean Le Clerc (Hg.), Bibliothe`que universelle et historique, Amsterdam 1698, Bd. 14, S. 401f. Ebd., S. 402. Vgl. Miller: Peiresc’s Europe, S. 141f.: »For Peiresc it was change, whether in a language or a ritual or an image, that was the key to historical explanation, for it made possible the notional stratigraphy that guided the scholar’s handling of evidence. That it was an antiquary recognizing that change was the ›normal condition‹ of the world might seem odd, since the common view has it that political historians, following ancient models like Thucydides or Tacitus, built narratives around events and were therefore guided by chronology, while antiquarians, following Herodotus, instead produced static accounts in which theme rather than chronology served as the basic measurement.« Die Trennlinie zwischen einer auf Thukydides zurückgehenden politischen Historie und einer auf Herodot zurückgehenden antiquarischen Geschichte greift spätestens in der Historiographie, v. a. auch der militärischen Geschichte im Späthumanismus nicht, bedenkt man die führende Rolle, die Polybios auf diesem Gebiet einzunehmen begann, der die Methoden der beiden griechischen Historiker aufgriff und verband. Johann P. Sommerville: Absolutism and Royalism. In: James H. Burns, Mark Goldie (Hg.), The Cambridge History of Political Thought. 1450–1700, Cambridge 1991, S. 353: »reason features strongly in the absolutist arguments of early seventeenth-century writers. In 1649 Claude de Saumaise did indeed claim that by appealing not to examples but to ›reason‹ he had developed a ›new kind of argument‹ (Saumaise, 1650, p. 314) [English absolutist ideas on natural law are discussed in Sommerville. Keohane, 1980, p. 304, argues that theories of natural law were ›almost absent from French political discourse in he first half of the seventeenth century‹. This is difficult to sustain, for the law of nature was often used quite unselfconsciously by French writers, e.g. Martelie`re in 1610; Balzac in his Prince of 1631…On other occasions it was treated more elaborately, e.g. by Richer in c. 1617 (Richer 1692, pp. 68–70)].«

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eine auf Beschreibung basierende mit dem Instrument der historischen Sprachwissenschaft, der Ideen- und Mentalitätsgeschichte operierende wissenschaftliche Methode, die er auf alle wissenschaftlichen Gegenstände – sei es der Naturwissenschaft, sei es der Militärwissenschaft – anwandte. Darin scheint er sich von dem ›theologisch‹ verfahrenden kritischen Ansatz eines Casaubon und eines Scaligers zu unterscheiden.603 Die Militärtheorie Saumaises umfasst mehrere kritische Momente: zunächst impliziert diese, wie bereits die Militärtheorie Lipsius’, die seinem Selbstverständnis und Militärberaterstatus entsprungen war, eine vergleichende Studie zwischen dem militärischen System der Antike und dem der Gegenwart – das militärische Referenzsystem ist das französische. Schließlich enthält es, vom polybianischen Standpunkt aus, eine Kritik der militärwissenschaftlichen Systematik des Lipsius, der sich nicht gänzlich von Vegetius gelöst hat. Als Kennzeichen einer spezifisch hugenottischen Gelehrtenkultur ist die chronologische Methode hervorzuheben, die zu einem der Hauptanliegen der Kritik an DMR geworden war, wie die Annotationen von DMR verdeutlichen. Die Freilegung eines didaktischen Idealtypus des römischen taktischen Modells, gewonnen aus der Kritik antiker Überlieferung und der kritischen Auseinandersetzung mit den Methoden der modernen Kriegführung, dem ›usage de nostre temps‹ und dem ›stile des gens de guerre‹ (Saumaises gegenüber Rivet geäußerte Absicht), sollte sich mit der zeitgenössischen Kriegskunst verbinden und zielte auf die militärisch-intellektuellen Kompetenz der Eliten. Saumaise verstand seine Kritik als paradox. Alles, was er zur Lagerordnung (castrame´tation) und der Schlachtordnung (manie`re de ranger en bataille), von allen Truppengliederungen, Ämtern, Wachen, der Unterteilung der Legionen schreibe, seien Paradoxe, die er einer derartigen Beweisführung unterziehen werde, dass sie nach der Fertigstellung seiner Schrift aufgehoben wären.604 Bei Saumaise spielte, wie seiner Korrespondenz zu entnehmen ist, der Begriff des Paradoxes eine nicht unbedeutende Rolle in der chronologischen Richtigstellung, Klassifizierung 603

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Vgl. Jehasse: Renaissance de la critique, S. 878; ebd. S. 677: »1595–1597. Isaac Casaubon. Athe´ne´e. […] La Critique est la cloˆture de la loi divine, et combien plus justement des ouvrages humains, [...] la me´thode de corriger les anciens auteurs est double, et repose a` la fois sur les livres et sur le ge´nie.« Extrait d’une lettre de Saumaise a` Peiresc, Leyde, 15 octobre 1635, Paris, BN ms. Dupuy 583, ff. 92 v–97 (copie). In: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, Lettres a` Claude Saumaise et a` son entourage. 1620–1637, S. 389: »Tout ce que j’en escrirai tant pour la castrametation que pour la maniere de ranger en bataille, et de tous les ordres, offices, et factions de la guerre, division des Legions, sont autant de paradoxes, lesquels, je prouverai pourtant si fortement qu’ils ne les seront plus apres mon escrit veu.«

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der antiken Militärschriftsteller. Die Paradoxe aufzuheben war Ziel des philologisch-kritischen Unternehmens Saumaises.605 k. Saumaise als Militärberater: Stoa-Rezeption und militärische Rhetorik Die komparative Sicht alter und neuer militia folgt dem Selbstverständnis des Militärtheoretikers als eines Militärberaters, wie es neben anderen Machiavelli und vor allem den späthumanistischen magister ad militam Lipsius kennzeichnete. Gleich Lipsius war auch Saumaise ein Rezipient stoischer moralphilosophischer Lehre, Anhänger stoischer Ethik.606 Saumaise zeigt als militärischer Berater auch ein besonderes Interesse für die Praxis der Disziplin. Dies äußert sich in seinem in der Milice vorgetragenen Postulat einer Militarisierung Frankreichs (die er in diesem Text mit Rohan teilt), sondern auch in seinen Stellungnahmen zum Problem der Desertion und seinen rigorosen am römischen Disziplinbegriff geschliffenen Vorstellungen zur Kriegsgerichtsbarkeit. Als Militärberater urteilte er nach den Kriterien der zeitgenössischen Kriegspraxis, während er als Militärtheoretiker nach den Gesichtspunkten der humanistischen Forschung argumentierte, sich nach deren Methoden und Inhalten richtete, um daraus verfassungstheoretische Richtlinien für eine Reform der Militärverfassung und der Grundlagen der Feldherrnkunst herzuleiten. In einem Brief vom 13. April 1636 verweist Saumaise im Zusammenhang der Behandlung der Kriegsgerichtsbarkeit darauf, dass in ihrem Recht im Hinblick auf die res militaris, weder in den Digesten (Gesetzessammlung des Justinian, Bestandteil des Corpus Iuris Civilis), noch im Kodex (»notre droit, au titre de re militari, ni dans le Digeste, ni dans le code«) von dem Personal einer Garnisonsstadt die Rede sei. Das rühre daher, dass die Römer den Festungs- und Belagerungskrieg und die militärische Organisation, wie sie gegenwärtig vorherrschten, nicht kannten, denn die Beschaffenheit des Militärs habe sich grundlegend 605

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Saumaise an Jacques Dupuy, prieur de Saint-Sauveur, au logis de M. de Thou, s.l.s.d.. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, 1882, S. 155f.: »j’ay veu quelques manuscrits de Vegece [...]. Ce n’est pas la` l’unique paradoxe qu’il me faudra soustenir escrivant de la milice. Je ne sc¸ay s’ils ne me re´ussiront pas mieux que celluy que deffend ce censeur de vos amis [Franc¸ois Guyet].« Vgl. Simplicii commentarius in Enchiridion Epicteti, Ex Libris veteribus emendatus. Cum Versione Wolfii, et Cl. Salmasii, Animadversionibus, et notis quibus philosophia stoica passim explicatur, & illustratur. Quae accesserunt, sequens pagina indicabit, Lugduni Batavorum, Iohannis Maire, 1640. HAB 11. 6 Ethica: CL. SALMASIUS PHILOSOPHIAE STOICAE STUDIOSIS; ders., Exercitationum De Philosophia Stoica, in Simplicium & Epictetum, pars Altera. Cum Proleomenis uberrimis, de manuductione ad laudem Philosophiam.

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verändert.607 Saumaise möchte daher eine rigorose Disziplin angewandt wissen: Da die Kriegführung sich gegenwärtig vornehmlich auf den Schutz der festen Plätze beziehe, sei dieser Punkt angesichts der Bedeutung, die der bedingungslosen Verteidigung dieser Plätze zukomme, als wesentlich zu erachten.608 Saumaise teilt Peiresc als Experte die militärischen Vergehen, die Kriegsverbrechen betreffenden Informationen mit.609 Es tritt hier eine von einem spezifisch französischen kulturellen Diskussionszusammenhang, wie er in den dreißiger und vierziger Jahren hinsichtlich der Entwicklung der Annahme die den Willen und die Beherrschung der Leidenschaften betreffenden und ein Ende des neustoischen Konsenses markierenden Debatte und ab den zwanziger Jahren mit einem optimistischeren Menschenbild von christlichen Moralphilosophen herbeigeführt wurde,610 zu Tage. Saumaise zählt jedoch zu einem Rezipienten und Rhetoriker stoischer Überlieferung. Er bezeichnete die stoische Philosophie als ›seine Philosophie‹611. Auch ist in seinen verschiedenen Schriften noch eine Handschrift De philosophia Stoica vorhanden.612 607

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Saumaise an Peiresc, 13. April 1636. In: Les correspondants de Pereisc, Bd. 5, 1882, S. 52: »Aussi l’estat de la milice est tout-a`-fait change´.« Ebd.: »Mais comme nous faisons la guerre aujourd’hui, ou` nous mettons tous nos avantages en la garde des places fortes, je tiens que ce cas est capitale, veu l’importance qu’il y a, que ces places soient deffendues jusques au bout.« Pereisc an Saumaise, Aix, 9. Mai 1636. In: Nicolas-Claude Fabri de Pereisc, Lettres a` Claude Saumaise et a` son entourage. 1620–1637. Hg. v. Agne`s Bresson, Florenz 1992, S. 270: »belles choses qu’il vous a pleu nous enseigner en vostre derniere lettre du 13 du passe´ concernant les crimes militaires, [13. IV. 1636] dont je vous suis infiniment redevable et vous eus bien faict advertir par ceux qui avoient le plus estudie´ en l’occurrence presente; mais la fortune de ces prevenus a este´ si bonne que la pluralite´ les a admis a` leurs faicts justificatifs que les places n’estoient pas tenables avec les hommes qu’il y avoit.« Vgl. Bannister: Conde´ in Context, S. 68f., S. 69: »By arguing the case for a proper relationship between the will and the passions in which the will remains dominant because it has the power to do so, these moralistes laid the foundations for an optimistic interpretation of human nature, one that implied the possible existence of superior or heroic beings defined in terms of activity rather than the passivity of the stoic ideal.« Papillon: Bibliothe`que des auteurs de Bourgogne, Bd. 2, S. 282: »Saumaise estimoit si fort la Philosophie des Stoı¨ciens, qu’il l’apelloit sa Philosophie. Le Traite´ des passions devoit entrer dans ce Traite´, selon une Lettre de Saumaise a` Sarrau, du I. Novembre 1641.« Papillon stützt sich auf folgende Schrift: »Exercitationes de Philosophia Stoı¨ca. In Simplicium & Epictetum pars altera, cum Prolegomenis uberrimis & manuductione ad eandem Philosophiam . Mors parenti, dit il, [Praefat. Ad Simplic. Pag. X.] fecit ut Opus de Stoı¨corum Philosophia interruperim. In ipso de anima Tractatu defeci, qui absolvetur in secundo volumine, quod post meum a` Gallia reditum, Deo juvante, excudetur. Ita enim statui Simplicium & Epictetum Notis perpetius illustrare, explicare, emendare, ut totius etiam exspatiari instituerim ad singula, ut se dabit occasio, de omnibus Stoı¨cae Philosophiae Decretis disputandi, eaque sigillatim enucleandi. Il ajouˆte plus bas: Reliqua pars ad reditum nostrum a` Gallia, si

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Auf dem stoischen Hintergrund lässt sich seine Position in einem offenbar vorhandenen konkreteren Diskussionszusammenhang nachvollziehen, der der Argumentation Saumaises hinsichtlich der Kriegsgerichtsbarkeit zu entnehmen ist. Saumaise richtet sich gegen moralphilosophisch-humanistische Argumente, die eine Abweichung von den Gesetzen und ein Zugeständnis an die natürliche Disposition, die den freien Lauf der Leidenschaften rechtfertigen, durch die menschliche Natur legitimiert sehen. Einige wollten die Generäle davon überzeugen, dass die Feigheit, die seiner Meinung nach ein natürliches Laster sei, nicht mit dem Tod bestraft werden solle, sondern der Verfehlung lediglich durch eine harte Bestrafung beizukommen sei. Sie hinterfragen die Verhängung einer Todesstrafe über einen Menschen, der mit einer Neigung geboren sei, derer er nicht Herr werden könne und dessen natürliche Neigung ihn gewaltsam gegen die Pflicht trieben. Saumaise warnt davor, denn wenn dieses Prinzip angewandt werde, gäbe es keinerlei Verbrechen, das in derlei Behauptungen nicht seine Entschuldigung fände.613 Im Hinblick auf die Kriegsgerichtsbarkeit ist er der Auffassung, dass das Urteil der Herren von Nancy wenig mit der alten römischen Praxis militärischer Bestrafung gemein habe.614 Die Rezeption der Stoa hatte demnach auch eine argumentativ-rhetorische Funktion in der Ausarbeitung normativer, in die Kriegspraxis der Zeit hineinreichender Richtlinien und Gestaltungsmaßstäbe. Von der militärisch-strafrechtlichen Arbeit Saumaises – wohl auch über die Kenntnisse der russischen Militärgesetzgebung – war Peiresc in Kennt-

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Deus eum dederit & vitam, reservabitur, cui Prolegomena uberiora praefixa pro manuductione erunt ad Philosophiam Stoı¨cam.« Ebd. Saumaise an Pereisc, Dijon, 13. April 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, S. 49f.: »Quelques-vns de nostre tems ont voulu persuader aux ge´ne´raux d’arme´es, que la couardise, qui semble estre un vice naturel, n’estoit point punissable de mort, qu’avec trop de rigueur. Car, disent-ils, puisqu’un homme se trouve ne´ avec cette disposition naturelle, pourquoi le chastier si rudement d’une chose, dont il ne peut estre le maistre, son inclination le portant avec violence contre ce qu’il scait estre de son devoir? Mais si cela avoit lieu, il ne se trouveroit point de crime qui ne recherchast son excuse dans telles et semblables alle´gations.« Ebd., S. 50: »Je trouve aussi que le jugement de ces messieurs de Nanci [Nancy] est asse´s mal conforme a` l’ancienne pratique romaine des chastimens militaires.« Bei den Herren von Nancy könnte es sich um einen Kreis um Nicolas Rigault handeln, Vgl. Dupuy, 781–784, Receuil de lettres de Nicolas Rigault a` Pierre et a` Jacques Dupuy, du 10 aouˆt 1618 au 8 fe´vrier 1653. Autographes. Dupuy 781, entält 111 Briefe an Pierre Dupuy, e´crit de Paris, Bonneval, Metz und Nancy, vom 10. August 1618 bis 11. Oktober 1635. Vgl. insbesondere Bd. IV (784): 183 Briefe an Pierre und Jacques Dupuy, in Toul und Nancy geschrieben, vom 24. April 1649 bis 8. Februar 1653. Es sind jedoch Zweifel angebracht, denn die Briefe und der Aufenthalt Rigaults in Nancy scheinen nach der Quelle von Saumaise zu datieren.

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nis.615 Saumaise befasste sich demnach mit dem Problem der Desertion.616 Da die Stoa in dieser Zeit ideengeschichtlich heterogen ist, ist es zu kurz gegriffen, die stoischen Tendenzen Lipsius’, Saumaises oder auch Grotius’ unter eine vom politischen Neustoizismus geprägte niederländische Bewegung zu fassen. Mitnichten stimmt Saumaise mit der stoisch-katholisierenden Tendenz des Hugo Grotius überein, speziell dem Konnex zwischen einer bestimmten katholisierenden Apologetik und dem neuen Naturrecht bei Hugo Grotius, bei dem das tertium comparationis Grotius’ stoisch geprägte Theorie vom consensus gentium ist, der sowohl Weissagungen Christi im ganzen Erdkreis als auch die Universalität der Rechtsgrundlagen betreffen kann.617 Gerade in theologischen Fragen trat Saumaise unter dem Pseudonym Simplicius Verinus beispielsweise in seiner Schrift De transsubstantiatione (1646) wider Grotius auf.618 Die These, dass der (politische) Neustoizismus ein zu undifferenziertes Konzept ist, um gerade die strategischen und taktischen Kulturtransferprozesse zu fassen, zeigt sich in der nun folgenden näheren Analyse der militärischen Lehren im Frankreich der 1630er Jahre und der Milice Saumaises im Besonderen.

2. Die Militärtheorie von Claude de Saumaise und Gabriel Naude´ ›im Kontext‹ A) Adaptation und Pluralität der Militärtheorien im Frankreich der 1630er Jahre Es gibt mehrere Indizien dafür, dass die Taktik des Justus Lipsius (insbesondere dessen Quincunx-Theorie) in der nachfolgenden Generation der sich mit militärtheoretischen Fragen befassenden Humanisten v. a. 615

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Gassendi: Peiresc, S. 296: »Ainsi agit-il nague`re avec Saumaise, sur les peines autrefois e´dicte´es chez les Romains et dans d’autres nations a` l’encontre de ceux qui de´sertent leur poste et de´sertent les places qui leur ont e´te´ confie´es, plutoˆt par pusillanimite´ que par malignite´. Avec Bignon, qu’il est permis de dire le Sce´vola ou le Varron de notre temps, sur l’autorite´ des lois romaines en France, a` la suite des e´dits d’Alaric, de Charlemagne et d’autres princes qui semble`rent tenir pour valides les lois du Code de The´odose et leurs se´quelles. Lui-meˆme recopiait cependant a` peu pre`s tout ce qui pouvait eˆtre dit et pense´ sur de tels sujets; et il e´tait toujours a` ce point riche de ressources que ces maıˆtres lui re´pondaient qu’il devait se borner a` se consulter lui-meˆme.« Ebd., S. 296. Vgl. Martin Mulsow: Christlicher Humanismus im Zeitalter der philologischen Kritik. Zu Ralph Häfners magistralem Werk ›Götter im Exil‹, in IASLonline (11.07.2005), s.p. Vgl. Zedlers, Bd. 37, Sp. 778.

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im französischen Kulturraum in den 1630er Jahren nicht grundlegend zu wirken vermochte. Zum einen gab es die Krise des historisch-philologischen Forschungsstandes hinsichtlich der antiken Taktik. Deutlich wird sie im Parfaict capitaine in den Hinweisen auf die unzuverlässige Quellengrundlage hinsichtlich der griechischen taktischen Methoden619 und die Meinungsverschiedenheiten zur römischen Treffentaktik (acies), die noch die machiavellische Problematik widerspiegelte.620 Zum anderen erfolgte die forcierte Fortschreibung humanistischer Kritik und eine sich in den 1630er Jahren intensivierende Aufarbeitung der Tradition antiker Militärschriftsteller, Taktiker und Strategen. Der französisch-calvinistische Humanismus, der mit Saumaise ab 1631 nach Scaliger erneut an der Universität Leiden vertreten war, schreibt sich damit in die allgemeine Tendenz des französischen Humanismus ein: Hatte sich der Humanismus bis 1633 der integralen Restitution und Erforschung der antiken Überlieferung angenommen, so setzte in den Folgejahren im Zusammenhang der allgemeinen kulturellen Transformationsprozesse eine Akkulturation des gelehrten Humanismus in Frankreich ein.621 Die Militärtheorie des Späthumanismus war 619

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Die folgenden Zeilen Rohans sind als Indiz zu werten, dass hinsichtlich der militärtheoretisch-philologischen Grundlagen antiker Taktiker ein Forschungsdesiderat vorlag und den Humanisten in dieser Hinsicht weitere Anstrengungen abverlangt wurden. Die Ordonnanz (ordo) der Griechen finde sich ziemlich undeutlich bei ihren Autoren, denn die meisten ihrer Bücher seien verloren gegangen und so seien nur noch Fragmente überliefert, so dass es schwierig sei, diese exakt zu rekonstruieren: PC, S. 145: »L’ordre des Grecs se trouue assez obscurement dans leurs Autheurs pource que la pluspart des liures qu’ils en ont escript sont perdus, & ne nous en restent que des morceaux; si bien qu’il est difficile de le pouuoir recueillir bien exactement.«; ebd.: S. 173: »Parmy les Autheurs il y a de la diuersite´ entre les noms de Cohorte, Centurie, & Manipule, lesquels icy signifient vne mesme chose, mais en quelque endroit de Tite Liue on y void la distinction de la Legion a` la Cohorte; de la Cohorte a` la Ce(n)turie; de la Centurie au Manipule.« PC, S. 199–201: »Il y a diuersite´ d’opinio(n)s«, schreibt Rohan, »sur l’ordre de bataille des Romains, les vns veulent que quand les Hastaires ne peuuent soustenir le choc des ennemis, qu’en se retirants ils entrent par files dans l’ordre des Princes: & les deux dans celuy des Triaires, & ainsi renouuellent le combat trois fois. Les autres veulent que ce soit par troupe, a` quoy ie iuge beaucoup plus d’apparence: tenant la premiere non seulement impossible a` executer, mais aussi tres dommageable: & l’autre fort faisable & tres vtile: […] il s’y trouue plusieurs vtilitez: premiereme(n)t plusieurs corps de centvingt hommes chacun (ou enuiron,) attaquant vn bataillon, le peuuent fort bien deffaire; en tout cas ils se peuuent retirer sans se desordonner ny perdre leurs distances. Et le second ordre qui est derriere le premier en bataille, vis a` vis des distances les peut facilement remplir: comme aussi en cas de besoin le troisiesme corps, celles qui luy sont reserue´es, renouuellant le combat par trois fois: Et ce qui nous confirme le plus en cette opinion est, premierement que la raison le veut ainsi«. Vgl. die von Machiavelli in der Kriegskunst, III, S. 76 (»Man muss diese Unordnung dem Vergessen der Art der Alten, die Treffen ineinander aufzunehmen, zuschreiben.«) und in den Discorsi vorgetragene Problematik des geordenten Rückzugs. Vgl. in diesem Punkt Jean Jehasse: Guez de Balzac et le ge´nie romain. 1597–1654,

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von diesem Vorgang nicht ausgenommen, zeitigte diese doch Mitte der 1630er Jahre ihre beiden letzten großen Synthesen, die nicht nur eine Revision der militärtheoretischen Tradition vornahmen, sondern in denen sich auch neue militärwissenschaftliche Grundlegungen vollzogen. Es war eine Phase, gekennzeichnet durch Akkulturation, Verwissenschaftlichung und Pluralität der wissenschaftlichen militärtheoretischen Entwürfe, die sich in unterschiedliche Ausprägungen machtpolitischer Rationalität und Methoden einschrieben. In den 1630er Jahren trat eine Vielfalt militärwissenschaftlicher Entwürfe auf, von denen die Positionen der den Kreisen der politiques nahe stehenden und in das Kabinett der Brüder Dupuy eingebundenen Humanisten Naude´ und Saumaise jeweils die für die politische Pragmatik und die militärwissenschaftliche Didaktik einschlägigsten darstellten und in denen am deutlichsten die Verbindung des Humanismus mit der politischen und strategischen Pragmatik Frankreichs in der Regierungszeit Richelieus hervortritt. Im militärischen Humanismus des 17. Jahrhunderts traten konkurrierende militärtheoretische Wissensordnungen auf, von denen die von Saumaise, der an die Polybios-Interpretation anknüpfte, und Naude´, der sich auf das militärwissenschaftliche Paradigma des Vegetius bezog, als zwei für die politische Pragmatik bedeutsame Positionen hervortraten. Auf die Problematik zu einem kulturellen, militärisch-strategischen und bildungsprogrammatisch akzeptablen Ergebnis zu gelangen verwies Naude´, als er Saumaises Arbeit kommenSaint-E´tienne 1977, S. 497f.: In den siebzig Jahre zwischen 1563 und 1633 vollzog sich der Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang einer humanistischen Kritk, die auf die integrale Rekonstitution der Tradition zielte. Das Ziel der Kritik war es zu ›untersuchen und zu urteilen‹: censere, notare, judicare. Ihr Vorgehen versuchte grundsätzlich zu ›korrigieren‹ – sanare, emendare, corrigere – sowie zu ›erklären‹ und zu ›erläutern‹. Casaubon, der 1595 den Suetoni libelli de illustribus grammaticis & de claris rhetoribus, präzisierte anhand des Beispiel Krates, dass er ›der erste war, der in Rom die Grammatik einführte‹ –, dass sie auf die ›litterae‹ angewandt werde. 1619 definierte Nicolas Caussin (S. J.), der Beichtvater Ludwigs XIII., die rhetorische Stoßrichtung und erkannte als ›Kritik‹ nicht nur Dionysios von Halikarnassos, Longinus, Dion Chrystostomos, Demetrius Phalereus und Lukian an, sondern vor allem Cicero und Quintilian. Daniel Heinsius fügte 1624 Horaz als den ›schärfsten der großen Kritiker‹, ›einen scharfsinnigen Kritiker‹ und noch den ›göttlichen Kritiker‹ Julius Caesar Scaliger hinzu. [...] Zwischen 1633 und 1652 erfolgte die Annäherung zwischen Mondänen (Mondaines) und Gelehrten (Doctes), die mit der tiefgreifenden Veränderung der französischen Gesellschaft unter Richelieu und der ›moralischen Revolution‹ zusammenfiel, die Le Prince (1631) von Jean Louis Guez de Balzac propagierte. Die Verbreitung dieser Propädeutik, die die jesuitische Lehre darstellte, die Entwicklung des Rationalismus, die vom herrschenden Augustinismus genährt wurde, öffneten eine neue Generation für einen auf die französische Kultur zugeschnittenen Humanismus, der seines alten enzyklopädischen Anliegens entkleidet war; ebd., S. 501: Es stellte sich ein prekäres Gleichgewicht zwischen Mondains und Doctes ein, dessen charakteristische Ausprägung der Socrate Chrestien (1652) von Guez de Balzac darstellt.

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tierte. In der Encyclopedia ad securim Epei handele Fortunio Liceti (1577–1657), Aristoteles-Experte aus Bologna, von vielen Themen anders als Saumaise und dies mit einer Theorie und auf einer Quellengrundlage, die nicht zu verachten seien, schrieb Naude´ an Jacques Dupuy.622 Unterschiedliche militärwissenschaftliche Positionen gründen nicht nur in einer unterschiedlichen Wissenschaftsauffassung, sondern weisen in ihrer Rückbindung an unterschiedliche Strukturen politischer Rationalität und machtpolitische Methodenbegriffe auch unterschiedliche konfessionelle Konnotationen auf. In dieser Wissenskultur und der in ihrem Rahmen entwickelten Militärtheorie wurde nicht zuletzt ein Anspruch auf universale Deutungshoheit erhoben, zumal die Militärtheoretiker nahezu ausnahmslos danach strebten gleichsam metahistorische Gesetzmäßigkeiten freizulegen. Dieses Bestreben findet sich nach Machiavelli neben dem polybianisch geprägten Saumaise bei dem taciteisch geprägten Scipione Ammirato (1531–1601).623 Die den taktischen Theorien inhärenten Wertesysteme und philosophischen Anthropologien waren keineswegs so monolithisch wie ein auf den politischen Neustoizismus bezogener kultureller Diffusionsprozess nahe legt, sondern 622

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Naude´ an Jacques Dupuy, Rieti, 30. Nov. 1637. In: Lettres de Gabriel Naude´ a` Jacques Dupuy. 1632–1652, S. 43: »Si d’aventure vous lui e´crivez, je vous prie, Monsieur, de lui en vouloir donner des assurances et de l’avertir que le sieur Liceti, professeur de philosophie a` Bologne, a tout nouuellement publie´ son commentaire In securim epei [Encyclopedia ad securim Epei a Simmia Rhodio contructam; in qua multa vetustatis recondita Monumenta, rerum historias & natures complectentia, recluduntur. Recherches sur la hache d’Epeius e´labore´e par Simmias de Rhodes dans laquelle on trouve beaucoup de te´moignages des temps enfouis, qui permettent d’embrasser l’histoire et la nature de l’univers], dans lequel il traite beaucoup de points diversement de mondit sieur Saumaise, et avec doctrine et fondements qui ne sont pas a` me´priser.« Scipione Ammirato: Discours politiques et militaires, sur Corneille Tacite, excellent Historien, & grand Homme d’Estat: Contenans les fleurs des plus belles Histoires du Monde. Auec des notables aduertissements concernants la conduitte des armees. Oeuure utile & necessaire aux Princes, Generaux d’arme´es, Conseillers d’Estats, Gentilshommes, Capitaines particuliers, & a` tous Magistrats ayants le maniment de la chose publique. Traduits, paraphrasez, & augmentez par Laurens Melliet (sic), sieur de Mont-essuy en Bresse. Auec deux Tables, l’une des Discours, & l’autre des principales Matieres, Lyon, Claude Morillon, 1618, S. 699: »Encore que les instrumens militaires, & la methode de guerroyer se cha(n)gent, les raisons ne se changent iamais«; ebd.: »I’accompagne curieusement les Histoires anciennes des exemples modernes, qua(n)d i’en ay l’occasion a` propos, pour monstrer que la verite´ des choses ne s’est point change´e, ny altere´e par la mutation des temps: car encores que les instruments militaires, & la methode de guerroyer se changent, si est-ce partant, que les raisons ne changent pas: & quand l’enseignement & precepte, ou du Capitaine, ou du Conseiller d’Estat, ou de l’Historien, est conjoinct auec l’exemple, & que comme disent les Legistes, le faict est en ses termes, il n’y a que contredire; il y faut adiouster foy, & s’y regler entierement; qui faict autrement, il erre, parce qu’il faict contre l’exemple, contre celuy qui l’a conseille´, & contre celuy qui l’a escrit.«

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sie unterschieden sich nicht selten in Abhängigkeit von den wissenschaftsideologischen und konfessionellen Orientierungen ihres Autors. So lag eine deutliche Vorliebe der calvinistischen und gallikanischen Humanisten und Politiker für Polybios vor. Im Unterschied zu Polybios, der vorwiegend von den Befürwortern des institutionellen Territorialstaats rezipiert wurde, und anderen vor-christlichen römischen Autoren, wie Titus Livius, die von Machiavelli zum römischen Modell der Kriegskunst, später von Lipsius und den Hugenotten Scaliger, Casaubon und Saumaise aufgegriffen wurden, kann Vegetius624 dem allgemein christlichen Kulturkomplex zugeordnet werden.625 Zu der dargestellten strategischen Doktrin der Hugenotten als auch zur Interpretation der taktischen Theorie des Saumaise nach Polybios tritt eine katholisch-gegenreformatorische militärtheoretische Position, die an den im Zuge der Gegenreformation besonders intensiven Tacitismus anschließt. Sie verdeutlicht die konfessionelle Prägung der strategischen Doktrin und, dass es Alternativen zu der offensiven strategischen Doktrin der Hugenotten gab. Scipione Ammirato626 zeichnete die Kriegsraison als einen Teil der taciteischen Staatsraison. Er nahm eine pro-habsburgische, spanische Position ein.627 Ammirato,628 der vielfach als Begründer des Tacitismus genannt wurde,629 der Verfassungstheorie prägte die gegenreformatorischen Strömungen. Sein von Laurens Mel624

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Vgl. Fünff Bücher Institutionum rei militaris...welche unter andern zu Rom 1478 in 4, zu Paris 1515 in 4, mit dem Frontino, Aeliano und Modesto 1523 in 8, und 1553 eine andere daselbst in Folio mit eben diesen Autoribus gedruckt, nachgehends oder am schönsten mit Gottschalck Stewichs, Modii u. a. Noten 1584. 1592. 1607. 1696 zu Leiden und Utrecht heraus gegeben worden. Vgl. Art. ›Vegetius Renatus, (Flavius)‹. In: Zedlers, Bd. 46, Sp. 952. Ausgaben des Tacitus-Kommentars Scipione Ammiratos: – Discorsi Del Signor Scipione Ammirato Sopra Cornelio Tacito, Nuovamente Posti In Luce ...Vinezia: Tiunti, 1599. HAB S: Alv.: Lf 124 (1); offensichtlich erste frz. Übersetzung: – Discours politiques et militaires, Sur Corneille Tacite, excellent Historien, & grand Homme d’Estat; Contenans les fleurs des belles Histoires du Monde. Hg. u. übers. v. Laurens Melliet (sic), Lyon, Claude Morillon, 1618. HAB H: O 134b.4 + +. Helmst. Jürgen von Stackelberg: Tacitus in der Romania. Studien zur literarischen Rezeption des Tacitus in Italien und Frankreich, Tübingen 1960, S. 123: »Aus der religiösen Einstellung folgt die politische: Scipione Ammirato preist sich glücklich, in einer Zeit zu leben, in der Italien und Spanien unter der Hut des einen katholischen Monarchen, Philipp II., vereint seien. Er spricht von der ›Güte Gottes und des Herrschers, welcher Italien seit vielen Jahren in größtem Glück leben lasse‹.« Umberto Congedo: La vita et le opere di Scipione Ammirato, Trani 1901; Eduard Fueter: Geschichte der neueren Historiographie, München-Berlin 21925, S. 132–134. Vgl. Stackelberg: Tacitus in der Romania, S. 120: Textgrundlage dieser Studie sind die Discorsi del Signor Scipione Ammirato…sopra Cornelio Tacito, Ausgabe Venedig 1599 (diese Ausgabe ist in der Paginierung verschieden von der Erstausgabe vom Jahre 1594); Stackelberg berücksichtigt keine anderen Schriften Ammiratos. Zur Bio- und Bibliographie wurden vor allem Bozzas Scrittori politici ... herange-

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liet ins Französische übertragener Tacitus-Kommentar (1618, 1628, 1633, 1642) wurde mehrmals veröffentlicht; u. a. in etwa zeitgleich mit der Entstehungszeit des Parfaict capitaine und der Veröffentlichung des Discours pour le restablissement de la milice de France durch Rene´ Lenormant (1632, 1633). Im Unterschied zu den beiden Letztgenannten bezog er sich auf die Semantik der Staats- und der Kriegsraison. Bei Ammirato wurde die Staatsraison in ein dynamisches System, an religiöse Werte und weitere Merkmale (raison de nature, raison civile) der ratio gebunden; Laurens Melliet übersetzte nicht nur, sondern kommentierte auch. In seinem Kommentar tritt eine unverhohlen anti-hugenottische Position zu Tage, die sich auch auf den Bereich der Kriegskunst erstreckt. Die Tacitus-Rezeption verbindet sich mit dem Bedauern, dass die Kriegskunst Tavannes, der in den Religions- und Bürgerkriegen auf der katholischen Seite kämpfte, gegenwärtig nicht mehr geschätzt werde und in Vergessenheit geraten sei.630 Er spielt insbesondere auf die Ereignisse der Religions- und Bürgerkriege sowie der Hugenottenkriege an.631 Der Kommentar nimmt nicht nur mit der Option für Tacitus eine ge-

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zogen; neben den eingangs genannten Publikationen von Ramorino und Toffanin ist sodann ein neuerer Aufsatz zu nennen: Alberto Alberti, Politica e ragion di stato nell’opera di Scipione Ammirato (in: Atti della R. Accademia delle Scienze di Torino, Bd. 66, 1930/31). Bemerkungen über Autor, Werk, politische Einstellung, Themen Staatsräson und Heuchelei; S. 123f.: Friedrich Meinecke »erwähnt ihn als einen derjenigen Autoren, welche ›die Bahn gebrochen‹ haben für ein späteres, umfassenderes Verständnis der Idee der Staatsräson.«; S. 125: »Staatsräson könne also definiert werden, folgert der Tacitist, als das Vorrecht eines größeren, universaleren Gesetzes vor dem geringeren, gewöhnlichen Gesetz: ›Ragion di stato altro non essere che contravenzione di legge ordinaria per rispetto di publico beneficio, o vero per rispetto di maggiora e piu universal ragione 8p. 206).‹ Scipione Ammirato versucht somit eine Lösung des Staatsräson-Problems, die als hierarchisch bezeichnet werden kann. ›Filosofando si va facendo una scala‹ sagt er selbst (p. 204) und erläutert, zuunterst stehe das Naturrecht [...], darüber erhebe sich das bürgerliche Recht [...], auf nächst höherer Stufe stehe das Kriegsrecht (ragion militare oder della spada), dieses wiederum unterstehe den Bestimmungen des Völkerrechts (ragion delle genti).« Ammirato: Discours politiques et militaires, Widmung, s.p.: »Ainsi la memoire des faicts de feu Monseigneur le Mareschal de Tauanes, vostre pere, n’auroit este´ obmise par ignorance, ou supprime´e par malice: ains comme l’honneur des principales resolutions du Conseil des Roys henri second, Franc¸ois second, & Charles neufiesme, des plus heroı¨ques exploits de la guerre, tant ciuile qu’estrangere, faite sous leurs Majestez, luy est deu meritoirement, chasque page de l’histoire de ce temps-la` veroit recit de sa valeur, de sa prudence, de sa suffisance, de son experience, de sa vertu.« Scipione Ammirato: Discours politiques et militaires sur Corneille Tacit, excellent historien, et grand homme d’Estat ..., Trad., paraphrasez et augm. par laurens Melliet, Rouen, Caillouet, 1642, S. 913f.: »Faisant soigneusement faire bonne garde & bon guet, de iour & de nuict, sans relasche, sans discontinuation, sans intermission, quoy que l’ennemy soit e´loigne´; parce qu’il peut en vn instant tourner visage & reuenir, ou vser de quelque autre surprise. Nos Huguenots nous en ont

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

genreformatorische Position ein,632 sondern verfolgt auch hinsichtlich der taktischen Theorie eine antihugenottische Tendenz. Daneben finden sich darin mehrere Maximen der Kriegführung. In der französischen Übersetzung wird hervorgehoben, dass die Klugheit (prudence) nicht gleichbedeutend mit der Staatsraison ist, unter der die Kriegsraison zu fassen ist. Wenn man also von der Staatsraison spreche, unter die auch in gewisser Weise die Kriegsraison zu fassen sei, so müsse man zeigen, dass wir gleichermaßen die Staatsraison als eine rechte Regel (droicte regle) definiert haben, denn wenn jemand diese Angelegenheiten lenkt oder diejenigen eines anderen furchtsam oder unüberlegt, obgleich er rechtmäßig handelt, so sagt man nicht, er habe nach der Staatsraison gehandelt. Die Staatsraison sei nicht identisch mit der Klugheit (prudence), denn die Klugheit sei in etymologischer Hinsicht und dem Sinn nach nicht von den Tugenden (vertus morales) zu trennen.633 Auch die Diskussion, ob die Kriegsraison eine Disziplin sei, findet sich bei Scipione Ammirato. Die Kriegsraison (raison de guerre) sei eine Kenntnis (Peri-

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fourny depuis soixante tant d’ans tant d’exemples, que ce seroit temps perdu d’en remplir ce papier; aussi sont-ils les plus vigilans ennemis qui ayent iamais guerroye´ la Monarchie Franc¸oise.« Zur Identifizierung von Tacitus und Machiavelli vgl. Michael Stolleis: Arcana Imperii und Ratio Status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jahrhunderts. In: ders: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, S. 45: »Antimachiavellismus ist […] auch und partiell Anti-Tacitismus. Machiavelli und Tacitus werden zunehmend als Geistesverwandte erkannt, gemeinsam angegriffen oder gepriesen. Giovanni Botero hebt in seinem Werk ›Della Region di Stato‹ von 1589 hervor, man berufe sich an den Fürstenhöfen, wenn man von der Staatsräson spreche, auf Machiavelli und auf Tacitus.« Ammirato: Discours politiques et militaires, S. 884f.: »Parlant donc de la Raison d’Estat, (sous laquelle en quelque fac¸on la Raison de guerre est comprise, puis que tout ce qui s’agit & se faict, ou qui se souffre & patit, par les Princes, a` la guerre, s’agit ou se souffrer, ou pour conseruer, ou pour recouurer & reconquerir, ou pour accroistre leurs Estats.) Il faut monstrer, que nous auons equitablement definy Raison d’Estat estre vne droicte regle, parce que si quelqu’vn gouuernoit ses affaires, ou celles d’autruy temerairement, ou inconsidere´ment (quoy qu’il luy succedast bien) si ne diroit-on pas qu’il eust procede´ selon Raison d’Estat, & partant il est necessaire, a` ce qu’on puisse dire que quelqu’vn se gouuerne par Raison d’Estat, qu’il agisse & procede en ses deportements, & en son gouuernement auec vne droicte reigle, laquelle (comme i’ay dict), n’est pas mesme chose que la prudence; en ce que la prudence, si on la prend en son Etimologique & propre signification, n’est iamais separe´e des Vertus Morales: La` ou` aucun ne doit estre appelle´ prudent, s’il n’est aussi homme de bien; & neantmoins il y en a plusieurs qui se seruent de la Raison d’Estat, qui n’ont preud’hommie, probite´, ny integrite´ quelconque: mais il faut sc¸auoir qu’auec iuste raison i’ay dict, si la prudence se prend en propre signification, parce que quelquesfois, elle est interprete´e & entendue¨, pour accortise, subtilite´, cautelle, finesse, Astuce, ou Malice, que les Latins appellent, Calliditas, Versatia, &c.«; vgl. Höpfl: Jesuit Political Thought, S. 164: »To Jesuits it was the merest commonplace that ruling demanded more than merely adhering to general rules, that prudence was this additional ability required to handel circumstances, and that it was an indispensable quality in any superior.«; ebd., S. 169.

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tie) (peritia (lat.): Erfahrung, Kenntnis; Machiavelli verwendete den Begriff der perizia) oder Disziplin (discipline), denn darin richte sie sich nach der Staatsraison, mit der sie eng verbunden sei. Wer diese Militärwissenschaft nenne (science militaire), rede unpassend, denn diese habe weder die Betrachtung, noch die Wahrheitserkenntnis der Dinge, die sie betrachte, zum Ziel.634 Die Kriegsraison tritt so als eine Ergänzung der Staatsraison auf, die im eigentlichen Sinne keine moralische, an Werte gebundene Kompetenz ist wie die Klugheit als Handlungsmaxime, sondern ein sich nach den Umständen, der politischen Konjunktur richtendes machtpolitisches Verhalten. In der Lehre von der Staatsräson des Tacitismus wird die perizia des machiavellischen Fürsten im Krieg (Il Principe) aufgegriffen. Es liegt offensichtlich ein Zusammenhang zwischen militärischem Humanismus und der persönlichen respektive gruppengeschichtlichen konfessionellen Orientierung, Mentalität und Strategie der Autoren vor. Damit reflektieren sich nicht zuletzt in der taktischen Theorie und der militärwissenschaftlichen Didaktik unterschiedliche Normen, Normativitäten und Normensysteme. Varietas, bereits eine Charakteristik der Renaissance,635 wurde keineswegs durch ein geschlossenes Normensystem, das in einer systematischen Form rezipiert und realisiert worden wäre, angenommen. Die Frage nach der auctoritas636 – Tacitismus und ›Polybianismus‹637 – und der militärischen Theorie lässt sich an der Problematik der 634

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Ammirato: Discours politiques et militaires, S. 896: »I’ay dict que la Raison de Guerre est vne Peritie, ou discipline, parce qu’en cecy elle se conforme a` la Raison d’Estat, auec laquelle elle est estroictement conjoincte; & quiconque l’appelle science militaire parle improprement, parce que n’ayant pour sa fin, ny la contemplation, ny la cognoissance de la verite´ des choses qu’elle considere, elle ne peut ny doit estre appelle´e vraye science.« Vgl. Brigitte Brinkmann: Varietas und Veritas. Normen und Normativität in der Zeit der Renaissance. Castigliones Libro del Cortegiano, München 2001. Diese ist insbesondere bei Casaubon in den Fußnoten des Polybios-Kommentars formuliert. Isaaci Casauboni ad Polybii historiarum librum primum commentarii. S. 7f.: »15 […] Alterum hoc est argumentum, quo probatur historiae […] vtilitas: quia versari in eius lectione, sit quasi in ipso rerum actu & negotiorum ciuilium aut militarium administratione versari. nam & hoc & illo modo ciuilis disciplinae candidatos praeparari, & rerum viris Politicis necessariarum cogitione instrui. […]«; ebd., S. 9–11: »Sed fuerunt alij qui apta prudentiae ciuili & bellicae exempla collegerant, & hoc titulo libros ediderant. in his Aeneas veterrimus scriptor rei militaris: de quo Polybius libro x. Est in manibus excellentissimus huius Tactici liber, [anonymer gr. Taktiker], De toleranda obsidione, in quo sunt haec verba sub finem […] De vtilitate historiae ad bellicam artem, quae est species aut pars [...], Marcus Tullius Hortensio. Vnde facilius quam ex Annalium monimentis, autres bellica, aut omnis Reip. disciplina cognoscitur? Vnde ad agendum aut dicendum copia depromi maior grauißimorum exemplorum, quasi incorruptorum testimoniorum potest? Polybius in pulcherrimo fragmento, quod inter caetera e` Suida descripsimus, parandae artis militaris tres vias cordatis suae aetatis ducibus scribit fuisse vsitatas. Primam earum esse, […]; ea est historiae, […] lectitatio & diligens obseruatio.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Chronologie,638 der Rekonstruktion des bon sie`cle festmachen, wie sie nicht nur für Saumaise kennzeichnend, sondern bereits für Lipsius bedeutsam war.639 Hinsichtlich der militärwissenschaftlichen auctoritas verlief in den Binnenkreisen der politiques die Demarkationslinie weniger zwischen Tacitus und Polybios, wie es für die politische Theorie im Zeitalter der Gegenreformation maßgeblich war.640 Vielmehr ist sie in Anbetracht der theoretischen Grundlagen des Militärs zwischen Polybios und Vegetius zu ziehen, deren auctoritates unterschiedlichen Formen militärwissenschaftlicher paideia entsprachen und die jeweils auf eine Umgestaltung der Militärverfassung nach dem römischen Legionsmodell im Zusammenhang einer polybianischen strategische Theorien und eine sich auf die vegetisch-technische Wissensordnung beziehende Akademielehre zielten. Darüber hinaus implizierten sie mit Bezug auf das exemplum romanum unterschiedliche Ätiologien einer erfolgreichen, auf einer stabilen Verfassung gründenden Kriegführung. Vegetius sah deren Grundlagen in den auf die Ausbildung von Mut und Kraft gerichteten Körperübungen (ERM, III) angelegt, Polybios in den institutionellen Voraussetzun-

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Alteram […] quu[m] aliquis Tactico magistro aut Tribuno operam nauat, & more militari sese exercet, quae doctrina vmbratica solet appellari. Tertiam, […], per ipsam rerum experientiam vsu collectam in veris certaminibus. sic accipe ista e` libro ix. In pergraui digressione de institutione imperatoria pag. DCIII. […] Idem censendum de vniuersa doctrina politica, tribus eam rationibus posse comparari, lectione historiae, ope magistri, & vsu. Sed meminerint tirones huius studij, Polybio auctore ex hisce tribus prestare historiam. Id enim significat, quum eam vocat […] verißimam futuri Politici institutionem, quare autem verissimam? quia propria quidem experientia plurimum fallit, Philosophi vero Politici qui Polibij aetate fere` erant Stoı¨ci raro aliquid in suis scholis docebant, quod vbi ad rei veritatem erat ventum, non esset dediscendum ceu inutile & nulli vsui. Simillimum est quod de armorum magistris sue etatis Plato in Lachete obseruat: totam eorum artem vanam esse & prorsus inutilem; […].« Vgl. Haggenmacher: Grotius et la doctrine de la guerre juste, S. 48: Der Beitrag der philologischen und historischen Strömung war noch wichtiger: Sie eröffnete neue Perspektiven auf das Problem des Krieges, das von nun an mehr durch Polybios, Varron und Titus-Livius als durch Innozenz und Bartolus gesehen und beurteilt wurde. Vgl. Heinrich Gelzer: Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie, Leipzig 1885–1898. Vgl. McGowan: The Vision of Rome in Late Renaissance France, S. 123: Der Wunsch zu verstehen entsprang nicht nur einem gelehrten Instinkt, sondern dem Glauben, dass Rom und das Imperium in den zweihundert Jahren, die mit Augustus Herrschaft begannen, die Szenerie für das zeitgenössische Leben darstellten. Dies betrifft vor allem den Beginn seiner Tacitus-Ausgabe, wo er das kaiserliche Rom mit seinem Zeitalter identifizierte (quasi theatrum hodiernae vitae). […] Rom bot ein Arsenal von Erfahrungen, das auf das dekadente zeitgenössische Europa angewandt werden konnte. Vgl. Momigliano: Die Wiederentdeckung des Polybios im europäischen Westen, S. 95.

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gen der Kriegführung, der Verfassung und insbesondere der politisch stabilen Form der Mischverfassung (Historien, VI).641 B) Militärwissenschaftliche Heuristik nach Vegetius und Polybios als Derivate des strategischen Typus Machiavellis Sowohl die militärwissenschaftliche Heuristik nach Polybios als auch diejenige Vegetius’ erscheinen als Derivate der politischen Theorie Machiavellis: Der Ansatz Saumaises geht von der Logisierung der Geschichte aus und leitet mittels der ars critica daraus Gesetzmäßigkeiten ab. Die militärwissenschaftliche Heuristik Naude´s hingegen ist in ein induktives Politikverständnis eingebettet, das einem gleichfalls induktiven, an Bacon angelehnten kooperativen Wissenschaftsmodell korrespondiert. Die These Oestreichs, dass die entscheidenden Impulse für das moderne Militär nicht von Machiavelli, sondern vom Lipsianischen Neustoizismus ausgingen,642 ist in dieser Perspektive zu relativieren. Sowohl Naude´ als auch Saumaise knüpften an die politisch-militärische Lehre Niccolo` Machiavellis an; zum einen an die Kriegskunst im Rahmen der Fürstenerziehung; zum anderen an die Kriegskunst als Feldherrnkunst im Rahmen der Bürgergesellschaft (res publica) und eine politische Lebensform (vivere civile). Saumaises Militärtheorie tritt daher nicht nur als eine Deklination des machiavellischen strategischen Typus in dem Sinne auf, dass sie sich in die anaky´klosis-Theorie einschreibt, die taktischen Paradigma von 641

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Vgl. Polybios: Geschichte. Hg. v. H. Drexler, Bd. 1, Zürich-München 21978, S. 525: »Ich weiß wohl, manche werden sich fragen, weshalb ich die fortlaufende Erzählung unterbreche, um gerade an dieser Stelle die Schilderung der römischen Verfassung einzuschieben. Indessen glaube ich schon an vielen Stellen klar zum Ausdruck gebracht zu haben, daß ich dies von Anfang an als einen wesentlichen, unentbehrlichen Punkt innerhalb des Gesamtplans angesehen habe, vor allem in der Einleitung, in der ich meine Grundsätze entwickelt und eine vorläufige Übersicht über das Ganze gegeben habe. Dort habe ich es als das schönste Ziel meiner Arbeit, als den größten Gewinn für meine Leser bezeichnet, verstehen zu lernen, wie und durch welche Verfassungsform die Römer einen so vollständigen Sieg davongetragen haben, daß in noch nicht ganz dreiundfünzfig Jahren die ganze bewohnte Erde unter ihre Herrschaft gefallen ist, ein Vorgang, der in der Vergangenheit nichts seinesgleichen hat.« Mout: Einleitung. In: Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat, S. 19: »[...] hatte er [Oestreich] die Überzeugung gewonnen, daß nicht so sehr Machiavelli, als vielmehr der Neustoizismus den entscheidenden Einfluß auf Theorie und Praxis des Heerwesens in der Frühen Neuzeit ausgeübt hatte. Ende 1952 berichtete er dann ausführlich über die Bedeutung von Lipsius und seiner Tugendlehre für die militärischen Reformgedanken der Zeit. Er betonte, daß der Humanismus nicht nur antike Ideen auf dem Gebiet der militärischen Taktik, Strategie und Technik vermittelt hatte, sondern auch Geist und Moral des modernen Heeres durch den Neustoizismus geprägt hatte. .«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Legion und Phalanx und deren Synthese (Arte della guerra, Dialog II) aufgreift und diese im Rahmen einer historisch-kritischen Theorie der militia weiterentwickelt. Anders als Gabriel Naude´ schloss Saumaise nicht an die perizia des Principe, der in utilitaristischer Absicht für den Fürsten eine Typenlehre der Verfassung nahelegte, als vielmehr an die in den Discorsi und der Arte della guerra gelegten strategischen Achsen an. Er rückt damit in die Nähe von Francesco Patrizi, der gleichfalls nicht an den an die Literatur von De regimine principatum angelehnten Il Principe anschloss, sondern an eben die beiden prononciert republikanischen Schriften Machiavellis, die Discorsi und die Arte della guerra , um diese mit einer neu-platonischen Philosophie zu verbinden.643 Naude´ gründete sein Akademieprogramm auf den prudentiell-instrumentellen Gebrauch der militia: in dieser instrumentell-technischen Methode sind strategemata als exempla und eine Disziplin, die unabhängig von der republikanischen dilectus auftritt, vorzuziehen. Er schloss an die bereits bei Machiavelli auftretende verdeckte Rezeption der ERM in der Arte della guerra an. Saumaise hingegen folgte der ›Verpflichtung‹ bzw. ›Einsicht‹ des Feldherrn in die polybianische, empirisch-normative Mischverfassungstheorie und, damit zusammenhängend, dem in den Discorsi dargelegten Axiom der begrenzten Dauer des Oberbefehls. Die beiden Militärtheoretiker des französischen Späthumanismus schreiben sich in die Sprache des durch Machiavelli geprägten politischen militärischen Humanismus (anaky´klosis, Vermittlungsmodell von res publica und res militaris) ein. Naude´ zitierte dieses Vermittlungsmodell, indem er seine Schrift SStM (ars militaris) als Pendant des Syntagma de studio liberali 644 (artes liberales) schrieb, und dabei die der breiteren Bewegung des italienischen militärischen Humanismus geschuldete Verhältnisbestimmung von arma et litterae aufgriff, nicht ohne diese zugunsten der Machttechniken des absolutistischen Staates und der Praktiken des Machterwerbs (Il Principe) zu instrumentalisieren und wissenschaftsideologisch neu zu fundieren. Gleich Jean Bodin hat Saumaise die Herauslösung der Legitimität der Gewalt und des Rechts aus der anaky´klosis-Theorie angestrebt. Er verband dies mit dem Bestreben, taktische Grundformen herauszuar643

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Vgl. Patrizia Castelli (Hg.): Francesco Patrizi filosofo platonico nel crepuscolo del Rinascimento, Florenz 2002; vgl. Thomas Leinkauf: Il neoplatonismo di Francesco Patrizi da Cherso come presupposto della sua critica ad Aristotele, Florenz 1990. Gabriel Naude´: Syntagma de studio liberali, Urbini, apud Mazzentinum et A. Ghisonum, 1632; vgl. Repr u. Übers.: Traite´ sur l’e´ducation humaniste. 1632–1633. Hg. v. Pascale Hummel (Oeuvres comple`tes. Hg. v. Fre´de´ric Gabriel, Bd. 5), Paris 2009.

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beiten und das Organigramm der Legion, wie es bereits bei Machiavelli angelegt ist, zu diversifizieren. Saumaise rückt, wie bereits bemerkt, in die Nähe Francesco Patrizis, der in erster Linie von den hugenottischen Humanisten und Politikern dem römisch-stoischen Lipsius vorgezogen wurde und im gegenreformatorischen Italien die Lehre Machiavellis expliziter und treffender aufgriff als die gegenreformatorischen Theoretiker der Staatsraison, die ein rein instrumentelles, funktionales Verhältnis zu Machiavelli entwickelt hatten.645 Die militärwissenschaftlichen Arbeiten der französischen Gelehrten Saumaise und Naude´ fallen zeitlich mit den Umstrukturierungsprozessen in der französischen Armee während der Regierungszeit Richelieus (um 1635) und mit der französischen Akademiebewegung zusammen. In diesem Zusammenhang war es zu einer Bewusstseinsbildung über die Notwendigkeit militärischer Führung gekommen.646 Das SStM, das ein aristokratisches Bildungsprogramm darlegt, weist keinen unmittelbaren ›institutionellen‹ Bezug zur französischen Militärverfassung als einer Befehlsstruktur oder einer Hierarchie auf. Die Milice hingegen führt im Sinne der Paralleli militari als institutionelles Vergleichssystem der römischen Militärverfassung diejenige Frankreichs an und greift die spezifisch französische Souveränitäts- bzw. politische Stabilitätsproblematik auf. Die beiden Gelehrten hatten ein unterschiedliches machtpolitisches und militärwissenschaftliches Methodenverständnis, das sich in unterschiedlichen Wissenskulturen manifestierte. In den beiden Zugangsweisen der späthumanistischen Gelehrten traf die durch Richelieu beförderte Akademiebewegung auf die Kabinettskultur, die sich von der ersteren deutlich darin abzuheben trachtete, indemwenn sie sich, bei Konstituierung der Ersteren, von acade´mie in cabinet Dupuy umbenannte.647 645

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Vgl. Cesare Vasoli: Machiavel inventeur de la raison d’E´tat?. In: Zarka (Hg.), Raison et de´raison d’E´tat, S. 64; vgl. auch: ders., Francesco Patrizi da Cherso, Rom 1989, S. 229–259. Michel Claudel: De´finition et conduite de la politique du personnel sous-officier dans les arme´es franc¸aises de 1635 a` nos jours, The`se Etat Droit public, Paris I 1986, S. 20: »Tout le monde s’accorde pour faire naıˆtre l’arme´e permanente organise´e en 1635.«; S. 25f.: »pour re´sister a` l’assaut de la cavalerie, l’infanterie doit faire bloc. Or, la masse d’une compagnie a` 200 dont 150 piquiers et 50 mousquetaires ne suffit pas a` former un carre´ capable d’arreˆter une charge de cavalerie. C’est ainsi que nait le bataillon, unite´ tactique, compose´ de plusieurs compagnies, unite´s organiques qui ne comprennent plus alors qu’une centaine d’hommes vers 1636 puis qu’une quarantaine de`s 1640. Enfin, plus l’unite´ est petite plus elle est facile a` controˆle et a` encadrer pas les bas officiers.«; Titre 1: l’e´bauche d’une politique: 1635–1762 ou la prise de conscience de l’obligation de disposer d’un encadrement de qualite´; Kap. 1: la situation en 1635–1640 ou l’absence de politique du personnel sous-officier, mais la reconnaissance de la ne´cessite´ de la permanence. Vgl. Delatour: Les fre`res Dupuy, S. 64: »Ses [Pierre Dupuys] relations avec Ri-

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a. Politische Methode und Ausdifferenzierung der Systematik und Semantik der disciplina im Späthumanismus Entscheidend für unterschiedliche disciplina-Konzeptionen bei Saumaise und Naude´, die sich beide von der Lipsianischen disciplina-Konzeption abheben, ist nicht die Stoa, sondern die Einbindung in unterschiedliche Wissensordnungen, denen unterschiedliche militärwissenschaftlich-heuristische Modelle zugrunde liegen: Saumaise folgte Polybios Hist., VI; Naude´ griff die literarische Tradition nach dem ERM von Vegetius auf. Der prudentielle Gebrauch vegetischer militärwissenschaflicher Heuristik bezieht sich auf »armorum exercitatione, disciplina castrorum usuque militiae«,648 die Waffenübungen, die Disziplin der Lager und den Einsatz, die Verwendung oder den Nutzen der Armee. Die ERM Vegetius’ verband sich tendenziell mit einer prudentiellen oder ›habituellen‹ politischen Kultur; Polybios hingegen verband sich mit einer auch in eine spezifische Rechtslehre Eingang findenden Methode (Franc¸ois Baudouin)649, einer institutionellen und universalhistorisch begründeten providentiellen politischen Kultur. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die französischen Polybios-Rezipienten wie Baudouin der legistischen Tradition angehörten.650

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chelieu furent toujours difficiles. Pour P. Dupuy, le roi devait eˆtre conseille´ par son parlement, assemble´e repre´sentative des trois ordres de la nation franc¸aise. L’institution progressive d’un principal ministre lui paraissait contraire a` l’histoire et la porte ouverte a` toutes les tyrannies. Dans le meilleur des cas, quand leurs vues politiques se rejoignaient, P. Dupuy acceptait de travailler pour le Cardinal. Dans le cas contraire, la collaboration faisait place a` une critique sourde. C’est ainsi que, dans les anne´es qui suivirent la constitution de l’Acade´mie franc¸aise, l’acade´mie Dupuy, qui lui e´tait hostile, changea de nom pour se faire appeler Cabinet.«; ebd., S. 70: »La comparaison de la provenance des lettres sous Claude et sous ses fils est e´loquente. Elle montre l’e´mergence de la Hollande, c’est-a`-dire de l’universite´ de Leyde. Elle laisse e´galement deviner que cette universite´, fonde´e en 1575, mit quelque temps a` s’imposer: ce n’est qu’avec Scaliger et ses disciples, tels que Heinsius, correspondants des fre`res Dupuy, qu’elle conquit sa place de troisie`me poˆle de l’Europe savante, au de´triment de l’Italie.«; ebd.: »Peu de correspondants du pe`re sont ceux des fils, mais ce sont des personnalite´s de premier plan: Jacques-Auguste de Thou, Joseph Scaliger, Casaubon, lesquels sont aussi, et avant tout, des amis intimes de leur pe`re.«; ebd. S. 83: »quant a` Leyde, c’est la ville d’e´rudition par excellence, et le seul endroit ou` les Franc¸ais ne sont pas majoritaires et ou` tous les correspondants sont des savants.« ERM, Ausgabe Lang 1885, I, 1, S. 5. Vgl. Momigliano: Die Wiederentdeckung des Polybios im europäischen Westen, S. 94: »Franciscus Balduinus sah in Polybios die ideale Kombination des Historikers und des Juristen: ›immo vero Polybius, cum fieret historicus, factus etiam iurisconsultus est‹ (Tatsächlich ist Polybios, als er Historiker wurde, auch zum Rechtsgelehrten geworden).« Donald R. Kelley: Foundations of Modern Historical Scholarship. Language, Law, and History in the French Renaissance, New York-London 1970, S. 130f.; ebd., S. 133: »Baudouin’s conception of ›integral history‹ was the product partly of his reading of Polybius and Eusebius and of Melanchthon but most directly, again,

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Für das Verständnis der Kritik der Humanisten und der militärwissenschaftlichen Entwürfe des Humanismus im Allgemeinen ist bedeutsam, dass der Disziplinbegriff einen militärwissenschaftlich-systematischen Begriff bezeichnet. Der lateinische Begriff der disciplina militaris verwies im Altertum auf ein »System der Regeln, auf das sich die Kriegskunst stützt« und die gesamte militärische Ausbildung.651 Wesentlich ist daher, dass die disciplina im Zusammenhang eines militärwissenschaftlichen Kulturtransfers nicht als (neu-)stoisch induzierter oder besetzter moralphilosophischer Begriff auftritt, sondern als genuin militärwissenschaftlich-methodischer Begriff, der ein Regelsystem bezeichnet, auf dem die Kriegskunst gründet.652 Die militärtheoretische Semantik der disciplina militaris umfasst sowohl eine militärische Anthropologie (Kraft, die den Mut des Einzelkämpfers begründet) und damit Hinweise auf die Kampfweise. Unterschiedliche militärwissenschaftliche Bindungen führen zu unterschiedlichen Funktionen der Disziplin in der Kriegführung und der sozialen Disziplinierung. b. ›Polybianismus‹ als Alternative zum Tacitismus als späthumanistisches Phänomen Die Rezeption des Polybios setzte im Unterschied zu Livius, Vegetius und Frontinus in der Renaissance verhältnismäßig spät ein. Er erlebte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine verstärkte Rezeption, die in den Ausgaben von Patrizi und Lipsius, der sich ausdrücklich auf die militärtheoretischen Leistungen des ersteren bezieht,653 in pragmatischer Form auftrat, während Casaubon einen philologisch-wissenschaftlichen Kommentar vorlegte. Die im Hinblick auf den militärischen ordo konzeptuell wesentlich durch Moritz von Oranien und Wilhelm Ludwig von Nassau geprägten holländischen Militärreformen waren in eine ›konstitutionelle‹ Polybios-Rezeption eingebettet. Diese verband sich infolge

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of his study of Roman law«; ebd.: »That wise and prudent author Polybius advises us that history must be (in his words) catholic, for it is like a body whose members may not be divided. [Baudouin, Scaevola, (Heineccus, col. 437–38). Cf. De Institutione, pp. 614, 617].« disciplina: I. 2. Unterweisung, Lehre, Unterricht; 3. Meton. Bildung, Kenntnis, Wissen, Kunst, occ. a. Methode, Lehrgang; b. System, Schule; c. pl. Lehre (Gesamtheit des Gelehrten); II. 1. metaph. Erziehung, Zucht; occ. Kriegszucht, Disziplin; 2. meton. Ordnung, Einrichtung, Gewohnheit; occ. Staatsverfassung, Ordnung; tenax disciplinae: bei seiner Lebensweise beharrend. Vgl. Mauch: Der lateinische Begriff Disciplina, S. 79: »Die disciplina bezeichnet das System der Regeln, auf die sich die Kriegskunst stützt«; ebd., S. 78: »In allgemeinerem Sinne umfaßt disciplina die gesamte militärische Ausbildung, die einem Heere zuteil wird.« DMR, s.p.: »Non adutos a prioribus, nisi forte a Franc. Patricio Italo, quem solum vestigia pressisse in hac semita equidem scio.«

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der ihm impliziten Mischverfassungstheorie mit der republikanischen Mischverfassung der Generalstaaten. Darüber hinaus ermöglichte die Polybios-Rezeption in Abgrenzung zur traditionellen Vegetius-Rezeption – Vegetius bezog sich in erster Linie auf die römische militärtheoretische Tradition –, eine neue ›forschungstheoretische‹ Öffnung zu den griechischen Texten taktischer und strategischer Theorien. Polybios steht historisch als taktischer Autor in der Traditionslinie von Asklepiodotos, Onasander, Aelian und Arrian.654 Mit Sicherheit beförderte der breitere ›Polybianismus‹, der mit dem Lipsianischen Tacitismus und ›Senecanismus‹ zu kontrastieren ist, die forschungstheoretische Öffnung zur griechischen Militärwissenschaft. Bereits die Militärtheorie und Kriegskunst von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig und Johann VII. von Nassau markierte in den 1590er Jahren einen militärtheoretischen Bruch dahingehend, dass in der Praxis nicht mehr Vegetius als Quelle des Exerzierens und der taktischen (Bataillonsexerzieren) und strategischen Theorie (Regulae bellorum generales) herangezogen wurde, sondern die griechischen und byzantinischen Taktiker.655 Während Vegetius kaum etwas mit der griechischen Militärtheorie gemein hatte – er stützte sich wesentlich auf Cato, Cornelius Celsus, Frontinus, Paternus und die constitutiones Augusti, Traiani, Hadriani656 und erwähnte hinsichtlich der Elementartaktik keine Wendungen, Schwenkungen oder Kontermärsche, sondern bemühte im Rahmen einer Ideologie der politischen Restauration die römische Disziplin der Waffenübungen657 –, fügt sich Polybios mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Reihe der griechischen, von A. Dain untersuchten Takti-

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Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 22f.: »Polybe est cite´ comme appartenant a` la ligne´e des tacticiens par Elien et par Arrien. K. K. Müller voit en Polybe, la source d’Ascle´piodote, ce que rejettent cate´goriquement A. Bauer et P. Pe´dech. Ce n’est qu’au terme d’une e´tude approfondie des traite´s d’Ascle´piodote, d’One´sandre, Elien et Arrien, qu’une re´ponse satisfaisante pourra eˆtre donne´e.« Vgl. Harald Kleinschmidt: Art. ›Vegetius‹, In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8 (1997), Sp. 1444f.: »[Vegetius] beschrieb diese Sachgebiete [Taktik, Strategie und Poliorketik] in Abweichung von takt. Schriften griechischer Militärtheoretiker (Aelian). So entstand ein Gegensatz zwischen griechischer und römischer Militärschriftstellerei, der zur Ausbildung unterschiedlicher Militärtheorien bis weit ins 18. Jh. beitrug. [...] Vegetius beherrschte die Militärtheorie des gesamten 15. und 16. Jh. Erst um 1600 kam die griech. Militärtheorie durch die Reformen der Oranier als eine Quelle für das Bataillonsexerzieren und die Strategie wieder in Gebrauch.« Dankfried Schenk: Die Quellen der Epitoma Rei Militaris, Klio, Beiheft 22 (Neue Folge, Heft 9), Leipzig 1930, S. 7. Flavius Vegetius Renatus verfasste um 400 n. Chr. mit den Epitoma rei militaris ein Handbuch der Militärwissenschaft für das römische Militärwesen, eine Art Reglement der altrömischen Armee, das durch die Wiederbelebung der Tradition die Kampftüchtigkeit der römischen Armee wiederherstellen sollte.

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ker wie Asklepiodotos, Onasander, Aelian und Arrian ein.658 Die Taktik des Aelian soll wiederum auf den Philosophen Asklepiodotos (1. Jh. n. Chr.) zurückgehen.659 Als Quelle für das Werk des Asklepiodotos werden die taktischen Vorlesungen seines Lehrers, des wie Panaitios (180–110) der mittleren Stoa zugehörigen Philosophen Poseidonios von Apamea (135–51), angesehen. Poseidonios’ Beschäftigung mit Fragen des Kriegswesens, die auch zur Abfassung einer Taktik führte, ist bekannt. Panaitios stand in Verbindung mit Polybios, der neben den Historien auch einige taktische Traktate geschrieben hatte.660 So werden Zusammenhänge zwischen der Taktik des Poseidonios-AsklepiodotosAelian und der des Polybios nahegelegt.661 Aelianos Tacticus (2. Jh. n. Chr.) schrieb eine Taktike Theoria (106 n. Chr.), die er Hadrian widmete. Es ist ein Handbuch griechisch-makedonischen Drills und der Taktik, wie sie bei den hellenistischen Nachfolgern Alexanders d. Gr. praktiziert wurden. Aelian hat nach eigenem Bekunden unter vielen anderen Quellen vor allem den zu diesem Thema verlorenen Traktat des Polybios herangezogen. Der Hauptwert Aelians liegt möglicherweise in der kritischen Aufnahme der ihm vorausgehenden Schriften über die Kriegskunst und in den umfassenden technischen Details in Fragen des Drills. Kaiser Leo VI. nahm Vieles aus Aelians Text in seine eigene Schrift über die Kriegskunst auf. Eine arabische Fassung von Aelian wurde um 1350 erstellt. Im 16. und 17. Jahrhundert hatte die Aelian-Rezeption folgende Bedeutung: Für die Militärreformer des 16. Jahrhunderts, die eine reguläre, sich vom Feudalsystem abhebende militärische Organisation anstrebten, waren seine zahlreichen Details von großer Bedeutung. Die makedonische Phalanx ähnelte vielfach den soliden Massen der Pikeniere und den Reiter-Eskadronen des spanischen und niederländischen Systems, und die im 16. Jahrhundert gemachten Übersetzungen bildeten den Grundstock zahlreicher Bücher über Drill und Taktik. Darüber hin658

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Vgl. Lucien Poznanski: Commander, controˆler, communiquer. Polybe, de la tra´ tudes classiques, 61, 3 (1993), S. 206f. dition a` la modernite´, Les E Vgl. Hahlweg (Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 122), der sich auf Förster: Studien zu den griechischen Taktikern, Hermes, 12 (1877), S. 426ff. bezieht: »Die Textvergleichung ergibt eine starke Abhängigkeit Ailianos’ von diesem Werk, das damit als Quelle erscheint. Die Vorschriften über Reihen und Glieder, Wendungen, Öffnen und Schließen, Schwenkungen, Verdopplungen, Kontremärsche, Kommandosprache, kurz über das ganze von den Oraniern übernommene Truppenexerzieren stimmen bei Ailianos und Asklepiodotos überein. Es entsprechen die Kapitel II–V, X–XII bei Asklepiodotos den Kapiteln IV–XI, XIII, XIV, XXIV–XXX, XXXII–XLII bei Ailianos. Auch andere Abschnitte, wie die über Reiterei usw., entsprechen sich in beiden Werken.« Vgl. Poznanski, a.a.O. K. K. Müller, RE, 4. Hbd., Sp. 1640, zitiert in: Die Heeresreform der Oranier und die Antike, S. 123.

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aus wurden seine Werke mit denen von Xenophon, Polybios, Aeneas Tacticus und Aelian von den Soldaten im 16. und 17. Jahrhundert studiert. Im Hinblick auf die Struktur der Phalanx, wie sie von Polybios geschildert wurde und derjenigen der Taktiker Asklepiodotos, Aelian und Arrian liegt eine Übereinstimmung vor.662 Vegetius schilderte zwar die Ränge und Titel der verschiedenen Offiziere (ERM, II, 7), er gab jedoch keine Auskunft über eine Kommandostruktur,663 die für die Konzeption einer frühmodernen Berufsarmee im Zusammenhang des Übergangs vom klassischen Bürgerhumanismus zur italienisch geprägten Lehre von der Staatsraison (ragione di stato) an Bedeutung gewann. In einer hugenottisch geprägten Gelehrtenkultur und der oranischen dynastischen Kultur trat Polybios nicht nur als eine geschichtstheoretische Option auf, die die forschungstheoretische Öffnung zur Erforschung der griechischen Taktiker wenn nicht ermöglichte, so doch entscheidend beförderte,664 sondern stellte mit der Figur des Feldherrn Scipio auch ein Akkulturationsmodell bereit, das zwischen griechisch-hellenischer und römischer Kultur nicht nur vermittelte,665 sondern das epistemische Modell einer pragmatischen Geschichtsphilosophie, die in der griechischen Episteme wurzelt, begründete. Polybios zeichnete in dem Feldherrn Scipio ein Akkulturationsmodell, in dem Sinne, dass Scipio sowohl die Impulse der Schlacht von Cannae aufnahm und in militärischen Reformen umsetzte, die sich in Stratagemen und in den Waffenübungen manifestierten, und hinsichtlich seiner persönlichen Kultur eine Synthese aus römischem mos maiorum und griechischer Kultur herstellte. Das strategische Modell Scipios hatte eine Bedeutung hinsichtlich strategischen Handelns und seiner sich von den alten römischen Sitten absetzenden Kulturtheorie.666 Er 662

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Johannes Kromayer: Vergleichende Studien zur Geschichte des griechischen und römischen Heerwesens, Hermes, 35 (1900), S. 233f. Isaac Benjamin: Hierarchy and Command-Structure in the Roman Army. In: Yann Le Bohec (Hg.), La Hie´rarchie (Rangordnung) de l’Arme´e romaine sous le Haut-Empire. Actes du Congre`s de Lyon (15.–18. September 1994), Paris 1995, S. 24. Vgl. supra im Hinblick auf die Edition des Casaubon; vgl. auch Momigliano: Polybius’ Reappearance in Western Europe, S. 372: Die Publikation des Polybios in Deutschland koinzidierte mit der Eröffnung einer neuen Phase der Griechischstudien und mit der neuen didaktischen und pragmatischen Methode europäischer Historiographie. Oestreich: Geist und Gestalt, S. 23, zitiert in: Sommer: Vivere militare est, S. 68: »Es ist, als wenn damals der Geist der Scipionen in das nassau-oranische Heerlager einzieht. Das Bündnis zwischen Soldat und Philosoph, das einst der jüngere Scipio, das Sinnbild römischer Tugenden, mit den Stoikern Panaitos und Polybios schloß, ist zwischen den Nassau-Oraniern und den Neustoikern erneuert worden.« Vgl. Scullard: Scipio Africanus, S. 242: Bereits in der Frührenaissance stieß Scipio auf großes Interesse. Die ersten Humanisten schlugen eine Brücke zwischen der klassischen Welt und dem Christentum: der idealisierte Held, der die feinsten Ele-

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verkörperte ein neues Zeitalter des Individuums und sah sein Ideal nicht allein im alten Rom, sondern in einer Verbindung des mos maiorum mit der griechisch-hellenistischen Kultur.667 Eine kulturgeschichtliche Analogie ist im französischen Humanismus, der sich verstärkt der griechischen legs zugewandt hatte, festzuhalten – eine Tendenz, die bereits im frühen 16. Jahrhundert angelegt war und sich in der französischen und hugenottischen Gelehrtenkultur um 1600 verstärkte. Die Hannibalischen Kriege bildeten eine einschneidende kulturgeschichtliche Zäsur in Rom.668 Polybios, der zwischen griechisch-hellenistischer Welt und seiner eigenen Akkulturation an das römische System steht, hat einen vermissten Traktat über die Taktik verfasst, der vermutlich in Buch VI der Historien eingegangen ist. Für Polybios war das probateste Beispiel einer Reform die Reorganisation der achäischen Kavallerie durch den Strategen Philopoemen (X, 3, 21–24). Polybios überliefert eine Nomenklatura der Hauptbewegungen: Umdrehung (Rotation) nach rechts und nach links. Sie wird im Fall des Angriffs auf

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mente der römischen Moral und natürliche Brillianz verkörperte, diente den Zielen der Vorsehung (providentia). Dante wie auch Petrarca sahen die Hand Gottes in Scipios Sieg in Zama am Werk; S. 243: Petrarch sah Scipio nicht nur durch die Augen von Livius, dessen moralischer und ästhetischer Zugriff auf die Geschichte er so bewunderte, sondern auch durch das mystische Licht von Ciceros Somnium Scipionis et Macrobius, der im Mittelalter einen großen Einfluß hatte. Hinsichtlich Scipio Africanus in der Kunstpolitik der französischen Monarchie unter Ludwig XIV.: Thomas Kirchner: Der epische Held, S. 105: »in einem Stich von Nicolas Picart aus dem Jahre 1644 […] auf dem der Triumphwagen des siegreichen Ludwig XIV. von vier Pferden gezogen wird, auf denen Alexander, Caesar, Hannibal und Scipio sitzen. An ihnen orientiert sich der junge König, sie führen ihn zu den Siegen, die in den beiden von Caesar und Scipio gehaltenen Fahnen thematisiert sind.«; ebd., S. 270, La Serre: Le portrait de Scipion l’Africain. Ou l’image de la gloire et de la vertu, represente´e au naturel dans celle de Monseigneur le cardinal duc de Richelieu, Bordeaux 1641: »Jean Puget de La Serre erläutert an der Figur des Scipio Africanus, daß ein Sieger niemals einen Unterlegenen zwingen dürfe, sich selbst zu zerstören, andernfalls verdiene er nicht den Titel eines Siegers, oder daß ein Krieger den unterlegenen Feind wie einen Freund behandeln müsse, sonst trage der Verlierer den Triumph davon.« Scullard: Scipio Africanus, S. 234: Scipio Africanus personifizierte ein neues Zeitalter des Individuums und sah sein Ideal nicht ausschließlich im alten Rom, sondern in einer klugen Verbindung von mos maiorum und griechischer Kultur. Vgl. ebd., S. 235f.: Der hannibalische Krieg markierte eine kulturhistorische Zäsur. In einer berühmten Passage beschreibt Polybios wie die römische Aristokratie die Staatsreligion und den Aberglauben der Massen zynisch benutzte, um durch ihre rational gesinnte Minderheit die Kontrolle zu bewahren. Wenn Scipio im Hinblick auf die Regierung einen falschen Glauben in seine göttliche Inspiration beförderte, so handelte er nicht heuchlerischer als der durchschnittliche römische Senator in Polybios Zeiten. Die hannibalischen Kriege waren eine Zeit von extremer religiöser Leidenschaft der Massen; S. 237: Scipio lebte in einer Zeit großer kultureller Veränderungen, da griechische Ideen nach Rom flossen und Literatur, Kunst, Architektur, Erziehung und Denken prägten. Es scheint, dass Scipio an vorderster Front dieser Bewegung stand.

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den Seiten angewandt, um einen Gegenangriff zu machen oder den Gegner einzukreisen.669 Polybios nahm eine für die Militärwissenschaft im Späthumanismus, in dem zunehmend die griechischen Taktiker integriert wurden, eine interessante Rolle ein, nicht zuletzt weil er an der Schnittstelle von griechischer und römischer militärischer Kultur stand. Zudem legte er einen pragmatischen und empirischen Zugriff auf die Geschichte nahe (pragmatike´ historia). Scipio schließlich, der als starke individuelle Persönlichkeit nach einem Zeitalter herausragte, das das kollektive Handeln bevorzugte und der für die neuen Kräfte kämpfte, die er mit dem älteren mos maiorum vermischte, um die griechisch-römische Kultur der späten Republik hervorzubringen, stand im Mittelpunkt der Geschichte des republikanischen Roms.670 Er hatte die entscheidenden Schwachpunkte der Armee seiner Zeit erkannt und Gegenmaßnahmen geplant.671 Eine nicht adäquate Ausbildung des Einzelsoldaten verhinderte eigenständige Operationen der Armeeteile. Diesem Defizit versuchte Scipio mit neuen Ausbildungsmethoden der Truppen zu begegnen.672 Obgleich die Mani669

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Vgl. Poznanski: La pole´mologie pragmatique de Polybe, S. 44f.: Für Polybios ist das probateste Beispiel die Neuorganisation der achäaischen Kavallerie durch den Strategen Philopoemen (X, 3, 21–24). Selbst ein Hiparch, greift er hier ein Thema auf, das ihm nahe und bekannt ist. Er vermittelt vor allem ein genaues Vokabular der Manövrier-Begriffe, das demjenigen der Taktiker wie Asklepiodotos ähnelt, der jedoch keinerlei praktische Erfahrungen der Bewegungen hat. Polybios überliefert eine genaue Nomenklatura der Hauptbewegungen: Rotation nach rechts und links. Vgl. Scullard: Scipio Africanus, S. 214. Vgl. ebd., S. 65: Scipio realisierte die wesentlichen Schwachpunkte der römischen Armee seiner Zeit. Auf dem Feld von Baecula wurden seine taktischen Reformen in die Praxis umgesetzt. Es war nun ohne Zweifel und Scipio fand die Zeit seine Armee in der taktischen Methode zu üben und zu disziplinieren und den Krieg zu gewinnen. Neben dem notwendigen Drill, der für die Umsetzung der taktischen Reformen notwendig war, ist es bezeichnend, dass Scipio einen Teil seiner Zeit auf die Waffenübungen des Drills verwandte. Ebd., S. 74: Unadäquates Individualexerzieren war die Ursache für separate Aktionen der unterschiedlichen Armeeteile; diese musste als ein Ganzes handeln. Scipio versuchte daher seine Truppen nach neuen Methoden zu exerzieren. In Baecula gab er die traditionelle Taktik der drei Linien auf, vor allem, dass jede Linie die andere in der Front verstärkte, indem sie die Lücken der Gefallenen auffüllte. Stattdessen stellte er seine leichten Truppen mit einigen Fußsoldaten in die Mitte, während die wirklich effizienten Legionäre an den Flügeln aufgestellt wurden, um als unabhängige Korps zu agieren. Mit seinem Zentrum leichter Truppen wirkte er den gegnerischen Leichtbewaffneten entgegen und richtete alle Aufmerksamkeit auf die Front. Der Schwachpunkt war, dass seine leichten Truppen nicht dem gegnerischen Hauptkorps in der Front standhalten konnten. Er hatte noch nicht vollständig die Lektion von Cannae gelernt, wo die Römer in ihrer Front in Anspruch genommen wurden, so dass sie dem karthatischen Seitenangriff nicht begegnen konnten oder sich zurückziehen konnten. In Baecula begegnete Hasdrubal

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pel der Quincunx eine gewisse Bewegungsfreiheit bot, basierte die Sicherheit der gesamten Streitkraft auf der Bewahrung ihrer geschlossenen Ordonnanz. Scipio löste die taktischen Probleme, indem er die Soldaten methodisch drillte. Die Waffenübung, der Drill, war ein Punkt der Ausbildung nach der Einnahme von Neu-Karthago. Scipio begann eine Reform der Waffenhandhabung, die zu derjenigen des Rutilius Rufus und Marius führte und eine ›New Model Army‹ begründete.673 Auf dem Hintergrund der Erhebung Polybios’ zum Philosophen durch Isaac Casaubon erlangte auch mit der Entdeckung von Buch IX der Historien des Polybios die Befehlskultur eine neue theoretische Qualität. L. Poznanski schreibt im Hinblick auf die polybianische Feldherrnkunst: ›Seinem aristokratischen Ideal verpflichtet und darauf bedacht, das soziale und politische Gleichgewicht zu wahren, will Polybios den Krieg den Experten vorbehalten wissen; die Barriere ist dessen Komplexität und Technizität. Die Vielseitigkeit ist eine Voraussetzung für den Erfolg des Generals.‹674 Der Feldherr soll Kenntnisse in Geometrie und Astronomie besitzen.675 Poznanski betrachtet die ›pragmatische Polemologie‹ des Polybios nicht nur als einen Fundus militärischer Instruktionen bzw. Lehren, sondern bezeichnet sie als eine Weltanschauung.676 Für Polybios war die Feldherrnkunst die schönste und erhabenste Kunst (ταÁ κα λλιοτα και δεινο τατα, IX, 20.9),677 die er in Buch IX, 12–20 der Historien entwickelte, welches weder für Machiavelli noch für Lipsius von Belang gewesen war. Er schrieb auch eine eigenständige Monographie über die Taktik (Historien, IX, 20. 4), die Poznanski in drei Artikeln jüngeren Datums zu rekonstruieren suchte. Sein Anliegen war jedoch nicht rein technischer Natur, sondern bezog sich auf die Selbst- und die Fremdkontrolle,678 worin er sich stark mit der Stoa be-

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Scipios Seitenangriff, indem er seine leicht-bewaffneten Truppen opferte und gleichzeitig seine Haupttruppen zurückzog, die immer noch Bewegungsfreiheit hatten. So war diese Schlacht, die ein taktischer Sieg für Scipio war, eine strategische Niederlage. Er konnte nicht den ganzen Körper des Feindes halten bis er umzingelt war, und so konnte Hasdrubal sich mit einem Verlust nur eines Teils seiner Truppen nach Italien zurückziehen. Ebd., S. 228ff. Vgl. Poznanski: Commander, controˆler, communiquer, S. 219. Polybios: Geschichte, Bd. 1, IX, 20, S. 664: »Hieran wird also deutlich, daß jeder, der sich bei seinen Unternehmungen vor Fehlern bewahren will, Geometrie getrieben haben muß, nicht bis zur Meisterschaft, wohl aber so weit, daß er von Proportions- und Ähnlichkeitsrechnung einen Begriff hat.«; ebd., S. 665: »Denn ich glaube nicht, daß uns jemand mit Recht den Vorwurf machen kann, daß wir in die Lehre von der Feldherrnkunst vieles Unnötige einbeziehen, wenn wir von denen, die sie lernen wollen, ein Studium der Astronomie und Geometrie fordern.« Vgl. Poznanski: Commander, controˆler, communiquer, S. 219. Polybios: Geschichte, Bd. 1, IX, 20, S. 665. Vgl. Arthur M. Eckstein: Moral Vision in The Histories of Polybius, Berkeley et al. 1995, S. 161.

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rührte.679 Diese Konzeption der Feldherrnkunst wird detailliert in Buch III dargelegt. Das historische exemplum des polybianischen theoretischen Modells waren die Reformen Philopoemens der Bürgerarmee des Achaischen Bundes.680 Bei Leonardo Bruni war Polybios für die Kriegs- und Diplomatiegeschichte relevant. Machiavelli und der spätere Humanismus schätzten Polybios schließlich als politischen Denker und militärischen Spezialisten. Schließlich hatte Polybios durch die französischen politiques im Sinne einer pragmatischen Geschichtstheorie eine besondere Wertschätzung (besonders im Zusammenhang der Ausarbeitung rechtswissenschaftlicher Theorien) erfahren und bei Saumaise die mit einem Begriff exakter Wissenschaft leicht zu verbindende Bestimmung der Feldherrnkunst des Polybios (Buch IX) in den Vordergrund gerückt. Das Interesse an exakter Wissenschaft, wie es eine neue Feldherrnideologie nach der pragmatischen Philosophie des Polybios nahelegte, war sicher auch für die forcierte Erforschung griechischer Taktiker und Mechaniker bedeutsam. Sowohl das neue strategische Paradigma, das sich an Buch IX des Polybios orientierte und damit einen klaren Schnitt mit der vegetischen strategischen paideia und Anthropologie vollzog, als auch die Erforschung griechischer Mechaniker und Taktiker schrieben sich in das wachsende Interesse an den exakten Wissenschaften (Mathematik, Arithmetik, Physik, Mechanik, die aufkeimende Ballistik) ein. Durch Berechnung und Kalkül, durch eine auf dem Intellekt gründende strategische Kompetenz des Feldherrn und die Disziplin der Gehorchenden sollte dem Zufall, einer situationsbezogenen Kriegführung kein Raum mehr eingeräumt werden. In forschungstheoretischer Hinsicht stand Polybios nicht nur (wie von Machiavelli richtig erkannt) an einer verfassungstheoretisch respektive verfassungsgeschichtlich bedeutsamen Stelle und verband, wie Bodin erkannte, den griechischen epistemischen Standpunkt in der Universalgeschichte mit dem politischen Gegenstand Rom. Auch in der Tradition der antiken griechischen Taktik nimmt er eben eine solche Schlüsselposition ein. Scaliger, Casaubon und Saumaise wandten sich im Rahmen ihrer Polybios-Forschungen nicht nur den griechischen Taktikern zu, sondern auch den griechischen Mathematikern und Mechanikern: So Heron, Biton, Philon von Byzanz et al. Sie begründeten auf der Grundlage humanistischer Gelehrsamkeit eine neue Auffassung in der Kriegstechnik, d. h. die Verbindung von Technik und Mathematik, die sich vom mittelalterlichen Antwerk, an das noch die Rezeption ve679

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Vgl. Rudolf von Scala: Die Studien des Polybios, Bd. 1, Stuttgart 1890: ausführliche Darlegung der Verbindung zwischen Polybios und der Stoa. Vgl. Eckstein: Moral Vision, S. 163.

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getischer Poliorketik durch Vegetius gemahnt, abhebt. Das wissenschaftstheoretische Paradigma der Polybios-Rezeption scheint tatsächlich die forschungstheoretische Öffnung zur griechischen und byzantinischen militärtheoretischen Legs entscheidend befördert zu haben. Letztlich schreibt sich dieser – sich um 1600 verstärkende integrale Zugriff auf die antike Tradition in einen länger angelegten Methodenwandel ein: Die Methodenlehre der Renaissance stand unter dem Einfluss der Wiederentdeckung der griechischen Quellen, die eine Methodologie beförderten, die sich unabhängig von Aristoteles und den Alten wähnte.681 c. Mathematik und Kriegführung: The´venot und die Sammlung der Veteres mathematicae Dass die Sammlung der Veteres mathematicae durch Me´lchisedech The´venot (1693)682 zeitlich mit der Kriegführung von Vauban zusammenfällt, dessen Verteidigungskunst eben auf mathematischen und mechanischen Grundlagen basierte,683 scheint eine Konsequenz dieser in ihren Ursprüngen philologischen Bewegung, die im Rahmen des weiteren strategischen Polybianismus zu verorten ist; auch die Ballistik eines Blondel, die sich von der einer traditionellen artes-Konzeption verhafteten niederländischen Schule abhob und die Artillerie auf mathematische Grundlagen stellte, ist in diese neue Tendenz einzuordnen. Hierin wird auch der Weg von den Scriptores veteres de re militari zu den Veteres mathematicae beschritten, für den die Erhebung Polybios zum heuristisch-strategischen Modell nicht ohne katalytische Wirkung war. Scaliger, der Älteste unter den hugenottischen Philologen, Freund exakter Wissenschaft und Kenner orientalischer Sprachen, scheint damit die theoretischen Voraussetzungen der Kriegskunst Vaubans begründet zu haben. Auch Naude´, obgleich er sich an das Paradigma des Vegetius 681 682

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Vgl. Gilbert: Renaissance Concepts of Method, S. 115. Me´lchisedech The´venot, Jean Boivin de Villeneuve, Philippe de La Hire (Hg.): Veterum Mathematicorum Athenaei, Bitonis, Apollodori, Heronis, Philonis, et aliorum opera, graece et latine pleraque nunc primum edita. Ex Manuscriptis codicibus bibliothecae Regiae, Parisiis, ex typographia regia, 1693. BN Microfilm m–2280. Vgl. Jean Chagniot: Vauban et la pense´e militaire au XVIIIe sie`cle, Journal des savants, Juli-Dez. 1982, S. 337: »Il a fallu attendre le milieu du XVIIIe sie`cle pour que fuˆt affirme´, dans un ouvrage posthume du mare´chal de Puyse´gur, le primat de l’e´tude dans la conduite des ope´rations; de´sormais, le ge´ne´ral de´cidait en vertu des pre´ce´dents historiques et mettait en pratique au combat ses connaissances mathe´matiques et ge´ographiques«; vgl. Puyse´gur: Art de la guerre par principes et par re`gles, 2 Bde., Paris 1748; vgl. Lee Kennett: Tactics and Culture. The Eighteenth Century Experience, Acta n° 5 de la Commission internationale d’Histoire militaire, Bukarest 1981, S. 152–159.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

hielt, integrierte in seiner Bibliographie die griechischen und byzantinischen Mechaniker. Das Interesse an den griechischen Poliorketikern und Mathematikern dürfte nicht nur für die Entwicklung eines militärischen Technikverständnisses, wie es für die Kriegskunst des Se´bastien Le Prestre de Vauban kennzeichnend werden sollte, entscheidend gewesen sein, sondern auch für einen modernen Begriff der Technik. Tatsächlich ist das, was man von der antiken Technik weiß, zum größeren Teil im Kriege angewandte und durch Kriegsschriftsteller überlieferte Technik, wofür auf Philon, Vitruv, Apollodoros et al. verwiesen sei.684

3. Der hellenische/griechische Wissensbegriff und die römische militia des Claude de Saumaise Im Hinblick auf die strategische Ideengeschichte ist die Identifizierung des neo-römischen Exemplums und der Aneignung der militärtheoretischen Tradition allein mit dem Begriff des ›klassischen Republikanismus‹, wie ihn Quentin Skinner und J. G. A. Pocock prägten, wenig fruchtbar, übergeht dieser doch – mit Ausnahme Aristoteles’ – die griechische Tradition in der politischen Ideengeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts und der republikanischen Politiktheorie im Besonderen.685 Auch Eric Nelson, der gegenüber dem ›Neurömischen‹ (Q. Skinner), also einem auf die Begriffe Freiheit und Partizipation zentrierten Ansatz des ›klassischen Republikanismus‹ eine griechische, auf die Begriffe ›Glück‹ und ›Gerechtigkeit‹ referierende Tradition herausstellt, übergeht einen wichtigen Aspekt. Da er die konfessionsgeschichtlichen Konstellationen nicht berücksichtigt, entgeht ihm jedoch die ›Hellenisierung‹ sowohl des Christentums, als auch der römischen militia und damit eines für die Frühe Neuzeit charakteristischen Strategiebegriffs. Insbesondere die von ca. 1600 bis 1650 akute konfessionsgeschichtliche Problematik der Hellenisierung und deren politisch-theologische Implikationen finden in der Geschichte griechischer Traditionsaneignung und der Aufarbeitung ›republikanischer‹ Theorien keine Beachtung. Arnaldo Momigliano merkt im Anschluss an Gerhard Oestreich an, dass die Vorstellung, dass das republikanische Rom, weil es über einen derartig großen Zeitraum siegreich war, die Geheimnisse des militärischen Erfolgs verwahre, tiefverwurzelt und weitverbreitet war, so dass Claude de Saumaises DRMR bis 1657 unveröffentlicht blieb.686 Damit 684

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F. Lammert: Griechisches Kriegswesen, S. 91; vgl. auch Hermann Diels: Antike Technik. Sieben Vorträge, Leipzig-Berlin 31924. Vgl. Eric Nelson: The Greek Tradition in Republican Thought (Ideas in Context, 69), Cambridge 2004. Momigliano: Polybius’ Reappearance in Western Europe, S. 369: Momigliano zi-

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verkennt er zweierlei: zum einen das im Hinblick auf die politische Kultur und den politischen Ideengehalt Zwitterhafte der hellenisch-römischen militia des Saumaise, in der auch die Tradition des christlichen Humanismus einfließt; zum anderen sind die offensichtlich von Oestreich angelegten Kriterien von Geheimhaltung und Öffentlichkeit an den Maßstäben moderner Medienkulturen und diffusionsgeschichtlichen Modellen (wie die Politicorum libri sex) gedruckten Schrifttums orientiert. Tatsächlich aber teilt die Milice lediglich das Schicksal eines weiteren Schlüsseltextes strategischer und militärischer Kultur dieser Zeit, nämlich des politischen Testaments von Richelieu, das wesentlich die Ereignisse der Jahre 1624–1638 assimiliert. Dessen Erstveröffentlichung datiert elf Jahre nach der Milice 1668 (Amsterdam). Die politische Ideengeschichte hat ihm nicht zuletzt aufgrund Richelieus machtpolitisch exponierter Stellung als Minister Ludwigs XIII. in der Nachwelt eine weit größere Aufmerksamkeit eingeräumt. Auch der Parfaict capitaine würde vermutlich als Dokument geheimer Machtpolitik gehandelt, wenn es nicht, wie der Vorrede der Ausgabe von 1757 zu entnehmen ist, einer Indiskretion zu verdanken wäre, dass er zu Lebzeiten des Autors (Paris 1631) veröffentlicht wurde.687 Das Milice-Projekt war gleich dem Parfaict capitaine in der respublica literaria jedoch, wie die humanistische Korrespondenz vor Augen führt, gemeinhin Gesprächsstoff und zählt daher mitnichten zu den arcana der Kriegspläne der französischen Monarchie oder der Generalstaaten während der französischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs und der letzten Phase des Achtzigjährigen Kriegs. Dass es zu keiner Veröffentlichung der Milice zu Lebzeiten ihres Verfassers kam, liegt in erster Linie an dessen Entscheidung, sich gleichzeitig auch anderen Fragen, vor allem konfessioneller Natur, zuzuwenden. Schließlich galt es in den konfessionellen Gegensätzen zwischen Calvinisten und Jesuiten und in der Frage des kirchlichen Unionsgedankens Stellung zu beziehen und sich gegenüber der konzilianten Konfessionspolitik Richelieus zu verwahren, die die Reinheit der calvinistischen Lehre bedrohte.688 Saumaise sah daher bis-

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tiert hier Oestreich: Geist und Gestalt, S. 68: »The notion that the Romans of the Republic, having been victorious for so long, held the secrets of military success, was so deep-rooted and widespread that the Claudius Salmasius’s De re militari Romanorum, written originally fort he Prince Frederick Henry of Orange, was left unpublished on purpose until 1657.« Max Jähns: Cäsars Kommentarien und ihre literarische und kriegswissenschaftliche Folgewirkung, Beihefte zum Militärwochenblatt, 7 (1883), S. 350: »Du Cabinet de Sa Majeste´ il est venu a` la presse par l’intervention d’un homme, qui a cru qu’il lui e´toit permis de rendre commune une si belle source de pre´ceptes et d’instructions militaires, sans le sc¸u meˆme de celui qui en e´toit le maıˆtre.« Vgl. R. J. M. van de Schoor: The Irenical Theology of Theophile Brachet de la Milletie`re. 1588–1655, Leiden et al. 1997; Hans Bots, Pierre Leroy: Hugo Grotius et la re´union des Chre´tiens: entre le savoir et l’inquie´tude, XVIIe Sie`cle, 35 (1983),

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weilen seine Prioritäten mehr in der militia spiritualis, als in der ihm aufgetragenen militia. In einem Brief an den orthodoxen calvinistischen Theologen Andre´ Rivet (23. Okt. 1646) merkte er an: Je suis asse´s sot pourtant pour m’imaginer que ce qui regarde la Milice spirituelle n’est pas de moindre importance que ce qui tousche celle qu’on me demande. Celle la` instruit les ames et celle ci destruit les corps.689

Die Fertigstellung seiner Milice litt nicht zuletzt darunter, dass Saumaise um 1640 erneut seine philologische und polemische Tätigkeit auf konfessionelle Themen verlagerte. Es scheint gar, dass der Text der säkularen militia von diesen Spannungen nicht unberührt blieb. Tatsächlich blieb neben der Entdeckung der Intertextualität im Hinblick auf das antike taktische Corpus des Polybios und des Vegetius gleichermaßen, der Topos der militia spiritualis,690 nicht zuletzt auf dem Hintergrund einer Beziehung der historischen Methode des Polybios mit der Dogmenund Kirchengeschichte und einer expliziten Analogisierung zwischen Militia und der Religion durch Saumaise (Abre´ge´) relevant. Kirchenund dogmengeschichtliche, politisch-rechtliche, an die Souveränitätsproblematik rührende und strategisch-taktische Traditionsaneignung durchdringen einander. Auch gilt es der Einordnung des Textes als Ar-

689 690

S. 451–469. Vgl. Saumaises ablehnende Haltung gegenüber dem Reunionsgedanken: Henk Nellen: Controversen in het Cabinet Dupuy. Claude Saumaise en Hugo Grotius. In: Hans Bots et al. (Hg.): Orbis doctus. Perspectieven op de geleerede wereld van Europa. 1500–1850. Platsen en personen, Amsterdam 2005, S. 275–297. Saumaise an [Rivet], 23. Okt. 1646, zitiert in: Leroy, S. 215. Vgl. im Hinblick auf den Topos der militia spiritualis: Hilarius Emonds: Geistlicher Kriegsdienst. Der Topos der militia spiritualis in der antiken Philosophie, im Anhang von: Adolf v. Harnack: Militia Christi. Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten, Darmstadt 1963, S. 15: »Die sachlichen sowie sprachlichen Beziehungen, die wir in der Anwendung und Darstellung des Topos der militia spiritualis bei Seneca einerseits zu Quintus Sextius andererseits zu Kleanthes beobachten können, weisen in ein und dieselbe Richtung: der Topos ist nicht erst Eigengut und literarische Neuschöpfung Senecas; er gehört vielmehr der stoisch beeinflußten Philosophie schlechthin an, ja geht, wie die Verse des Kleanthes zeigen, sogar auf die Anfänge der Stoa selbst zurück. Seiner Anlage und Bestimmung nach ist er begründet und verankert im Wesen und Wollen der stoischen Philosophie, deren Anliegen auf ethischem Gebiete es war, den Menschen zur freiwilligen Unterordnung unter die Heimarmene, das Fatum, zu erziehen, mutig und freudig die nach dem unabänderlichen Gesetz der Natur über ihn hereinbrechenden Schicksalsschläge zu ertragen, sich gleichzeitig zur sittlichen Unabhängigkeit und Freiheit der Autarkeia und Apatheia aufzuschwingen«; ebd., S. 155: »Aber auch die Stoa gibt in der Metapher nur überkommenes Gut weiter. Letztlich ist auch für sie die Stelle aus der platonischen Apologie 28 D, bei der uns zum erstenmal der Topos der militia spiritualis entgegentrat, der Ausgangspunkt, das Leben des Menschen mit dem Soldatenstande zu vergleichen. Hier den Ausgangspunkt für die Anwendung des Topos in der Stoa anzusetzen, gestatten uns die Diatriben des um die Wende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts lebenden Philosophen Epiktet.«

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gumentation für das römische Bürgerheer (Miliz) und des Autors als ungebrochener Verfechter römisch-republikanischer Traditionen entgegenzuwirken. John Milton, der in seiner Defensio pro populo anglicano (1651) auf die Defensio regio pro Carolo I (Nov. 1649) antwortete und für die naturrechtlich verankerte Freiheit des Volkes und für das Recht des Volkes einen tyrannischen Monarchen zu töten focht, hätte Saumaise, mit dem er anlässlich der Hinrichtung Karls I. in eine heftige Kontroverse geraten war, keineswegs als einen republikanischen Zeitgenossen gewürdigt. Saumaise verband Interpretamente des christlichen Humanismus – seine Differenzierung von Doktrin und Disziplin findet ihre Analogie in der Ekklesiologie der Calvinisten und der Kirchenväter691 –, der Bodinschen, am römischen exemplum entwickelten und platonisch konnotierten Souveränitätskonzeption/der griechischen historisch-politischen Episteme, welche er mit seinem Interesse an dem späteren Griechisch kombinierte und, als Tribut an die dynastische Kultur der Oranier, den polybianischen Standpunkt des römischen exemplum. Saumaise knüpfte in seiner Militärwissenschaft konzeptuell sowohl an das Erbe Machiavellis (anaky´klosis-Lehre und dessen verfassungstheoretische, strategische Implikationen) als auch an den christlichen Humanismus und die allgemeinen bis auf Augustinus zurückgehenden christlichen Traditionsfäden an. Der späte Augustinus, Calvin und die Prädestinationslehre, die in den calvinistischen Kirchenordnungen mit der Differenzierung von doctrina und disciplina ihre ›anthropologische‹ Grundlegung erhielt, klingen in der strategisch-taktischen Doktrin von Claude de Saumaise nach. A) ›Polybius philosophus‹ statt ›Seneca paene christianus‹ Eine einschneidende Voraussetzung für die hellenisch-römische militiaKonzeption Saumaises, die im Folgenden dargelegt werden soll, ist, dass der lipsianische Neo-Stoizismus und dessen Bestreben, die Stoa mit der christlichen Ethik kompatibel zu machen, sich im Hinblick auf das historische Denken als defizitär erwies.692 Daher richtet sich das Augen691

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Vgl. Henri I. Marrou: ›Doctrina‹ et ›disciplina‹ dans la langue des Pe`res de l’E´glise, Arch. Lat. Med. Aev., 9 (1934), S. 5–25. Vgl. William J. Bouwsma: The two Faces of Humanism. Stoicism and Augustinianism in Renaissance Thought. In: Heiko A. Oberman, Thomas A. Brady (Hg.), Itinerarium Italicum, S. 49f.: Der Historismus der Renaissance, dem die jüngere Wissenschaft viel Aufmerksamkeit geschenkt hat, war sicherlich keine Funktion der stoischen Tendenzen im Humanismus, die die Unbeständigkeit nur mit Beunruhigung wahrnehmen konnte, sondern eher der augustinischen Tradition, in der die göttlichen Absichten so verstanden wurden, dass sie sich in der Zeit entfalteten. Kontingenz war nicht mehr eine Bedrohung der Ordnung, sondern die Erfüllung eines göttlichen Plans und einzelne/unbedeutende Ereignisse wurden damit

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merk auf geschichtsphilosophische Konzeptionen, die Polybios komplementär zu Augustinus lesen, kurz: eine aus dem christlichen Humanismus protestantisch-calvinistischer Prägung entwickelte Kulturtheorie, die sich in der ideengeschichtlichen Problematik der ›Hellenisierung des Christentums‹ an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert fassen lässt. a. ›Pragmatische Ökumene‹ – Polybios und der Begriff der Hellenisierung Scaliger merkt 1581 zu Lipsius an, dass er vom Übergang des Hellenismus zum Christentum handele und verbindet diesen Tatbestand mit seiner politisch-militärischen Beratertätigkeit für Wilhelm I. von OranienNassau, der den Generalstatthalter Herzog Alexander Farnese von Parma zum Gegner hatte: De transitu Hellenismi ad Christianismus, hoc est, quae Lipsius tractet negotia, ie n’en savois rien. Et si Monsr. le Prince n’a aultres Conseillers, que ceux, qui ne bougerent jamais de l’entour de Livius, et Spartianus, le Duc de Parme lui raseroit bien tost la barbe.693

Dass sich in der Konzeption Saumaises die Theorie der Kriegführung von einem politischen Klugheitsbegriff aristotelischer (phronesis), machiavellischer (perizia, virtu`) oder taciteisch-stoischer Prägung (prudentia mixta) löste und auf einer polybianischen politischen Theorie grundgelegt wurde, lag nicht zuletzt daran, dass bereits Isaac Casaubon Polybios im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts als einen mit den Methoden und Prinzipien der Kirchengeschichte verträglichen Geschichtsphilosophen deklariert hat. J. Jehasse meint, die Polybios-Edition des französischen Calvinisten habe eine »Philosophie der rationalen Ausschöpfung einer diesseitigen Lebensform« vehikuliert, die an den Kantianismus heranreiche.694 He´le`ne Parenty zeichnet nach, dass bei Casaubon Polybios der Historiker par excellence war: Polybios tritt hier nicht als Vorbote Kants auf, sondern seine Qualität als philosophischer Historiker sah Casaubon darin, dass er gleichzeitig Rat gebe (monere)

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mit Bedeutung aufgeladen. Diese Zurückweisung der stoischen Statik eröffnete den Weg zu einem Gefühl für den Anachronismus, dem man nicht nur in Vallas Analyse der konstantinischen Schenkung und Guicciardinis Angriff auf Machiavellis eher stoische Anwendung der Wiederholung analoger Situationen, sondern auch in einem eher allgemeinen Relativismus, der seine Spuren auch in Calvins Verständnis der Kirchengeschichte und in seiner Methode der Exegese hinterlassen hat. Dupuy 496, fol 206r; Scaliger an Chrestien, 4. Sept. 1581 (Kopie), zitiert in: Grafton: Scaliger on Lipsius on the Militia Romana, S. 193. Vgl. Jehasse: Renaissance de la critique, S. 392.

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und erzähle (narrare).695 Von weitreichender Bedeutung erscheint jedoch, dass die späthumanistische Polybios-Rezeption mit ihrer anti-eschatologischen Begründung einer pragmatischen Ökumene in den Gegensatz zur augustinischen Historiogenesis trat.696 Augustinus hatte Polybios’ Geschichtsauffassung herabwürdigend als revolutio saeculorum (Wiederkehr der Zeiten durch kreisförmige Umwälzung) bezeichnet. Dass Polybios nicht nur als Theoretiker einer pragmatischen Geschichtsschreibung auftrat, sondern eine »pragmatische Ökumene« nahelegte,697 machte ihn für die politischen Methoden gegenüber dem Phänomen konfessionalisierter, eschatologisch motivierter Gewalt698 und damit für neue Formen (macht-)politischer Pragmatik und für polemologische Konzeptionen interessant. Polybios hatte Roms Leistung in der Vereinigung der gesamten Mittelmeerwelt zu einem organischen Ganzen, dessen Gedeihen und Frieden bevorstand (pax romana), erkannt. Das Imperium Romanum repräsentierte für ihn die letzte Stufe der Geschichte; Polybios’ pragmatische Geschichte weist daher weder in kollektiver noch in individualethischer Perspektive eschatologische Züge auf und begründet somit seine Attraktivität für ein Denken in der Semantik der Staatsräson, das sich angesichts eschatologisch begründeter Gewaltmanifestionen neu konfigurierte.

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Parenty: Isaac Casaubon he´lleniste, S. 183f.; vgl. ibid., S. 187: Hier setzt sich Casaubon deutlich von Machiavelli ab: »Et donc, que les jeunes candidats a` l’e´tude des sciences politiques apprennent de ce docteur [Polybe] la vraie prudence et ses lois. Qu’ils ne l’apprennent de ce Toscan.« Eric Voegelin: Ordnung und Geschichte, Bd. 9: Das Ökumenische Zeitalter. Weltherrschaft der Philosophie. Hg. v. Manfred Henningsen, München 2004, S. 18f.: »Das eben umrissene Problem der Identität wurde im Ökumenischen Zeitalter selbst niemals ganz zu Ende gedacht. Den Höhepunkt seiner Durchdringung erreichte der hl. Augustinus, als er die Bewegung des amor Dei als den existentiellen Exodus aus der pragmatischen Welt der Macht erkannte – incipit exire, qui incipit amare – und folgerichtig die ›Vermischung‹ der civitas Dei mit der civitas terrena als die Zwischenrealität der Geschichte begriff. Bei der Konstruktion seiner Civitas Dei ordnete er diese großen Einsichten jedoch einem historiogenetischen Muster unter, dessen unilineare Geschichte im Doppelökumenismus von Kirche und Römischem Reich ihr sinnhaftes Ende fand. Über diesen Ökumenismus seiner Zeit hinaus hatte die Geschichte lediglich den Sinn eines Wartens auf die eschatologischen Ereignisse.« Eric Voegelin: Ordnung und Geschichte, Bd. 8: Das Ökumenische Zeitalter. Die Legitimität der Antike. Hg. v. Thomas Hollweck, München 2004, S. 155. Vgl. die Thesen von Denis Crouzet: Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion (vers 1525–vers 1610), Seyssel 1990; Mack P. Holt: Putting Religion Back into the Wars of Religion, French Historical Studies, 18, 2 (1993), S. 524–551; Larissa J. Taylor: Heresy and Orthodoxy in Sixteenth-Century Paris. Franc¸ois Le Picart and the Beginnings of the Catholic Reformation (Studies in Medieval and Reformation Traditions: History, Culture, Religion, Ideas, 77), Leiden et al. 1999.

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Sicherlich ist es kein leichtes Unterfangen, die Polybios-Rezeption und deren Entwicklung hin zu einer Geschichtsphilosophie als Pendant zur augustinischen Geschichtskonzeption zu beschreiben. Wenngleich die Augustinus-Rezeption in den 1590er Jahren in Frankreich nur schwach ausgeprägt war,699 wurde der politische Augustinismus nicht gänzlich durch neustoische, taciteische oder der italienischen Staatsräsonlehre entlehnte Formen politischer Methodenlehren verdrängt.700 Erschwert wird die Herausarbeitung einer Komplementarität von Augustinus und Polybius im politischen Denken des Zeitraums von 1600 bis 1650 dadurch, dass kaum von einem augustinischen Paradigma gesprochen werden kann.701 In der Praefatio der posthumen Edition des 1. Buches der Historien von Polybios durch Casaubon finden sich augustinische Tendenzen in Bezug auf eine Sakralisierung der Staatsräson.702 In seinem Vorwort beginne Polybios im Allgemeinen die ›pragmatische‹ Geschichte zu loben, dann handele er vom Nutzen der ›katholischen‹ Geschichte und deren außergewöhnlichem Wert. Der Nutzen 699

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Albert Cremer: Tra’l Moral Seneca & il Politico Tacito. Die Krise des Christentums in Frankreich. 1580–1630. In: Hartmut Lehmann, Anne-Charlott Trepp (Hg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 152), Göttingen 1999, S. 551: »William J. Bouwsma [›The Two Faces of Humanism. Stoicism and Augustinianism in Renaissance Thought (1975)‹. In: ders.: A Usable Past. Essays in European Cultural History, Berkeley et al. 1990, S. 19–73] hat deutlich die Konfrontation zwischen Augustinismus und Stoizismus herausgearbeitet. [...] Was Bouwsma nicht gesehen hat, ist das Phänomen, daß der Stoizismus in Frankreich für einige Jahrzehnte völlig über den Augustinismus obsiegt hat. [...] Eine Erfassung der Augustinus-Drucke bestätigt die These aufs deutlichste: während Augustinus’ Werke im übrigen Europa weiterhin intensiv gedruckt wurden, tendierte die Zahl der Drucke in Frankreich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts gegen Null.« Vgl. Jean Jehasse, Antony McKenna (Hg.): Religion et Politique. Les avatars de l’augustinisme, Actes du colloque organise´ par l’Institut Claude Longeon a` l’Universite´ Jean Monnet Saint-Etienne du 4 au 7 octobre 1995, Saint-E´tienne 1998. Vgl. Irena Backus: Historical Method and Confessional Identity in the Era of Reformation. 1378–1615 (Studies in Medieval and Reformation Thought, 94), Leiden et al. 2003, S. 6f.: Backus weist die Grenzen des augustinischen Paradigmas im Hinblick auf den Gebrauch der augustinischen Traktate zur Kirche (1378–1580) auf; S. 7: »no single school of thought of the late Middle Ages could be said to correspond exactly to the name of Augustinianism. Certain common tendencies, however, which manifest themselves within some groups or institutions of learning do warrant the use of the term. William Courtenay in 1987 carefully distinguished between authentic and false forms of Augustinianism, the latter being in his view simply a modern invention. According to Courtenay, it is inappropriate to talk about Augustinianism when what we mean is simply the reception or the influence of Augustine, seeing as nearly all religious and some political and legal Western thought has been influenced by Augustine.« Jehasse: Renaissance de la critique, 1. Ausg., S. 398: »Un augustinisme sacralisant la raison d’E´tat«; S. 397: stützt sich auf den posthum durch seine Frau Florence in Paris 1617 veröffentlichen Kommentar zum ersten Buch der Historien des Polybios.

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der pragmatischen Historie beziehe sich auf die Korrektur des öffentlichen und privaten Lebens (diorthosis). Schließlich gehe es darum, einen legitimen Rückgriff auf die Staatsräson nahezulegen: Die Politiker unterscheiden eine doppelte Klugheit: eine einfache und eine, die sie als ›peristatisch‹ (gr. peristatiko´s, die äußeren Umstände betreffend, durch diese bewirkt) bezeichnen. Eine analoge Räson findet sich in Epist. 66 des Seneca. Daraus gehen zwei unterschiedliche Typen von Pflichten hervor: die ersten Pflichten, in denen das Ehrenhafte hervortritt und die peristatischen Pflichten nach Cicero. Man solle sich davor hüten, die peristatische Klugheit, der die Menschheit Augustinus zufolge durch das Unglück und die Eitelkeit ausgesetzt ist, in schlechte List (Betrug) umzuwandeln und in diese unverbesserliche Boshaftigkeit, die Polybios ›kakopragmosyne`‹ nennt. Die gegenwärtigen Politiker nennen Staatsräson die von den Griechen als ›peristatisch‹ bezeichneten sekundären Tugenden (VI, vi, S. 108–109).703 »C’est ainsi«, schreibt J. Jehasse, »la caution de saint Augustin qui, au nom de ›la mise`re et de la vanite´‹ de la cre´ature de´chue, autorise et justifie la Raison d’E´tat.«704 Casaubon unterstrich den Übergang vom Augustinismus zum Rationalismus und politischen Realismus, der von Polybios abgesegnet werde. Die Theologie ›sakralisierte‹ die von der Kritik aus der historischen Tradition gewonnene Lehre.705 Polybios scheint eine Rolle in der Ausbildung des Hellenisierungbegriffs des französischen Protestanten Casaubon, der in der Disputation von Fontainebleau (1600) von radikalen calvinistischen Positionen abgerückt war, und, mit hoher Wahrscheinlichkeit unter dessen Einfluss, desjenigen von Saumaise gespielt zu haben. Anders als im Hinblick auf die Stoa, deren Restitution sich Lipsius angenommen hatte, war Casaubon an einer integralen Restitution der Historien des Polybios (s. supra) gelegen; er kommentierte Polybios auf der Grundlage einer Kollation der überlieferten Fragmente nach chronologischen Kriterien. Casaubons chronologia Polybiana verweist neben dem philologisch-historischen Aspekt auch auf die geschichtstheoretischen Dimensionen der Polybios-Rezeption, die nicht nur in Gegensatz zum stoisch-doxographischen System des Lipsius tritt, sondern in einer chronologischen und nicht mehr eschatologischen oder kosmologischen Begründung der Geschichte wohl ihren sprechendsten Ausdruck findet. Was Casaubon von Lipsius unterschied, war nicht nur, dass er an Stelle von Tacitus Polybios als Maßstab der Geschichtsschreibung einforderte, sondern dass er einem in apologetischer Absicht christianisierten Seneca 703 704 705

Vgl. ebd., S. 398. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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(›Seneca christianus‹) einen mit den Prinzipien protestantischer Kirchengeschichte verträglichen historisch-polybianischen Methodenbegriff entgegenstellte. Die Option für Polybios und gegen Tacitus als macchiavellischen Autor, die die französischen reformierten Späthumanisten an den Tag legten, zeichnet sich bereits in der Tendenz des Senats von Venedig ab.706 Im Hinblick auf den Begriff der Hellenisierung und eine neue militiaKonzeption erscheint nicht in erster Linie die erneuerte Stoa oder der Neo-Stoizismus ausschlaggebend, sondern die trinitarisch-antitrinitarischen Konflikte, in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, in denen die Auseinandersetzung der Calvinisten mit den Jesuiten eine davor und danach nie mehr gekannte Intensität erlangte, wie der bei den Jesuiten ausgebildete und zum Calvinismus rekonvertierte Pierre Bayle anmerkte.707 Dieser konfessionell-intellektuelle Konflikt, in dem sich die Reformierten Casaubon und Saumaise und der Jesuit Denis Petau gegenüberstanden, war – eine These, die sicherlich zu diskutieren ist – eine spezifisch französische Angelegenheit. Nach der Ermordung Heinrichs IV. (1610) hatten sich die Wege von Denis Petau und Isaac Casaubon getrennt.708 Casaubon hat Fronton du Duc (S.J.) anvertraut, dass er im Hinblick auf die Eucharistie der gleichen Auffassung wie die katholische Kirche sei und er habe ihm das Versprechen gegeben dem Calvinismus abzuschwören.709 Doch Casaubon, dem eine Stelle an der Sorbonne aufgrund des Widerstands der Jesuiten versagt geblieben war, wechselte nach dem Tod Heinrichs IV. vom französischen an den englischen Hof Jakobs I. Seine Nebenordnung von pragmatischer und katholischer Geschichte in der Praefatio zum 1. Buch der Historien des Polybios (die posthum 1617 in Paris publiziert wurden) ist sicherlich geprägt von dem Anglikanismus, der am Hof Jakobs I. herrschte. 706

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John L. Brown: The Methodus ad facilem historiarum cognitionem of Jean Bodin. A Critical Study, Washington 1939, S. 112: »The general position of Tacitus at the end of the sixteenth century is made clear by a statement issued by the Senate of Venice, refusing a request to print Boccalini’s commentaries on Tacitus: ›It is the teaching of Tacitus that has produced Machiavelli and the other bad authors, who would destroy public virtue; we should replace Tacitus by Livy and Polybius, historians of the happier and more virtuous times of the Roman Republic, and by Thucydides, the historian of the Greek republic, who found themselves in circumstances like those of Venice.‹« Vgl. auch: F. Sclopis: Montesquieu et Machiavel, Revue historique de droit franc¸ais et e´tranger, 2 (1856), S. 25 u. Sandys: History of Classical Scholarship, Cambridge 1908, Bd. 2, S. 88. Pierre Bayle: Dictionnaire historique et critique, 4. Ausg., Amsterdam-Leiden 1730, Bd. 4, S. 785: aus dem Index: »Leurs Disputes avec les Je´suites n’ont jamais e´te´ si violentes que pendant les trente premie´res anne´es du XVII siecle.« Jules-Charles Vital Chatellain: Le Pe`re Denis Petau d’Orle´ans Je´suite. Sa vie et ses oeuvres, Paris 1884, S. 113. Ebd.

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Die Bruchlinie zwischen Augustinismus und den mannigfaltigen humanistischen Gegenströmungen geht nicht entlang der Konfliktlinie zwischen nachtridentinischem Katholizismus710 und Calvinismus. Auch die Jesuiten in Frankreich standen wegen ihrer Betonung des freien Willens den an der augustinischen Gnadenlehre orientierten Jansenisten ablehnend gegenüber. Die Ursprünge des Misstrauens gegen den Platonismus als Grund der Korruption des Christentums seien von konfessionalistischer Perspektive aus paradox. Die Hellenisierungsthese hat die Lager der Trinitarier und Antitrinitarier übergriffen: Sie stamme einerseits aus der historisch-philologischen Kritik calvinistischer Provenienz, andererseits aus der nachtridentinischen Offensive der Gegenreformation für den scholastischen Aristotelismus.711 Casaubon, die Hellenisierungsthese und die Kirchengeschichtsschreibung Isaac Casaubon hatte zu Beginn des 17. Jahrhunderts weniger die Beziehungen des Christentums zur griechischen Philosophie herausgearbeitet, als vielmehr die Abhängigkeit der christlichen Kirche von den konkreten Größen des Hellenismus, von seinen religiösen Institutionen und Gebräuchen, zu beleuchten versucht.712 Ebenso habe später der Theologe Jean Leclerc (1657–1736) unter Hellenisierung des Christentums eine Beeinflussung desselben nicht nur durch die griechische Philosophie, sondern auch durch allgemeine hellenische Kultustendenzen verstanden. Dasselbe gelte von dem mit Hugo Grotius befreundeten Gerardus Vossius, der in einer 1615 datierenden Schrift von den religiösen ›reliquiis Hellenismi in vulgo‹ redet, die einen großen Einfluss auf die christliche Religion entfalteten.713 In einer »bei weitem konkreteren Gestalt (als bei Erasmus und Melanchthon) und zugleich in einer interessanten Nuancierung finde »sich der Hellenisierungsbegriff dann zu Beginn des 17. Jahrhunderts bei dem auf dem Gebiet der klassischen Phi710

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Vgl. Karl Werner: Die Scholastik des späteren Mittelalters, Bd. 4, 2: Der Übergang der Scholastik in ihr nachtridentinisches Entwicklungsstadium, New York 1960 (urspr.: Wien 1887): Vierter Abschnitt: Die Rechts- und Gesetzeslehre der spanischen und portugiesischen Theologen des sechzehnten Jahrhunderts; Wolfgang P. Fischer: Frankreich und die Wiedereröffnung des Konzils von Trient. 1559–1562 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 106), Münster 1973. Martin Mulsow: Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland. 1680–1720, Hamburg 2002, S. 276.; ebd.: »Die beiden genannten Ursprünge, historische Kritik und gegenreformatorischer Aristotelismus, sind in der Biographie Denis Petaus zusammengeflossen.« Walther Glawe: Die Hellenisierung des Christentums. In der Geschichte der Theologie von Luther bis auf die Gegenwart, repr. der Ausg. Berlin 1912, Aalen 1973, S. 311. Ebd.

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lologie einen ehrenvollen Platz einnehmenden reformierten Gelehrten Isaac Casaubon, dem Verfasser des 1614 in London erschienenen De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI; ad Cardinalis Baronii prolegomena in Annales, et primam eorum partem, de domini nostri Jesu Christi nativitate, vita, passione, assumtione«.714 In dieser Schrift gegen Caesare Baronio (1538–1607), der durch seine zwölfbändigen, von 1588 bis 1607 erschienenen Annales ecclesiastici bekannt wurde, habe Casaubon die Sakramentenlehre und die sakramentalen Gebräuche der ersten Christen in Beziehung zu den griechischen Mysterien gesetzt.715 De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes enthält viele für die Erforschung von Neuem Testament und alter Kirche »bahnbrechende Beobachtungen«.716 Baronios Annalen boten, so Ralph Häfner, » Casaubon in der Nachfolge des jüngeren Scaliger den geeigneten Anlaß für die Herausbildung eines philologisch-kritischen Werkzeugs, mit dem er die von semichristiani verfaßten apokryphen Erdichtungen von den historischen Schriften des biblischen Kanons zu unterscheiden gedachte.«717 Casaubon neigte dazu, den Einfluss des Hellenismus auf das Christentum als eine die Reinheit der christlichen Religion trübende Wirkung zu werten, gleichwohl verraten seine Ausführungen die Tendenz, die Sphäre jenes Einflusses hauptsächlich in das formale Gebiet der christlichen Dogmatik zu verlegen.718 Zur vollkommenen Würdigung der Stellung, die Casaubon in der Geschichte des Hellenisierungsbegriffs einnimmt, müsse aber, so Glawe, noch auf zwei charakterisierende Momente hingewiesen werden: Mit der Beleuchtung der »Abhängigkeit der christlichen Kirche von den konkreten Größen des Hellenismus, von seinen religiösen Einrichtungen und Gebräuchen« hat er ein Thema angeschnit714 715 716

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Ebd., S. 21. Ebd., S. 21. Vgl. Anthony Grafton: Higher Criticism Ancient and Modern. In: ders., A. C. Dionisotti, Jill Kraye (Hg.), The uses of Greek and Latin, London 1988, S. 155–170. Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philologischer Kritik. ca. 1590–1736 (Frühe Neuzeit, 80), Tübingen 2003, S. 284. Glawe: Hellenisierung des Christentums, S. 23: »Wo er aber den Folgen des hellenistischen Einflusses einen Platz auf materialem Gebiet anweist, da handelt es sich um die Herübernahme griechisch-heidnischer Anschauungen und Gebräuche, die entweder schon von der mittelalterlichen Kirche oder wenigstens von dem protestantischen Christentum abgestoßen worden sind. Wenn Isaac Casaubon im wesentlichen und nur von bleibenden Einflüssen formaler Art redet, so hat er doch die Bedeutung der Beziehungen zwischen Christentum und Hellenismus erkannt und auf die Notwendigkeit einer solchen Erkenntnis für die Beurteilung des Christentums der ersten Jahrhunderte hingewiesen. Jene Erkenntnis und dieser Hinweis erscheinen umso verdienstvoller, als es bis zu Beginn des 17. Jh.s an jeglichen Vorarbeiten und auch an umfassenderen vorbereitenden Bemerkungen über die Hellenisierung des Christentums fehlte.«

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ten, »das erst wieder nach längerer Zeit, in späteren Stadien der Entwicklung des Hellenisierungsbegriffs, die nötige Beachtung gefunden hat.«719 Casaubon erhob Polybios nicht nur in den Rang eines Philosophen (Polybius philosophus), sondern ›christianisierte‹, ihn auch indem er dessen historische Methode auch auf Methoden der Kirchengeschichtsschreibung anwandte.720 Anders als Guillaume Bude´721 oder Jean Calvin,722 die hellenische Philosophie und Christentum zusammenführten, ging die spätere protestantische Kirchengeschichtsschreibung, wie bei dem evangelischen Theologen, Historiker und Ostkirchenkundler David Chyträus (1531–1600) nachzuvollziehen ist, zu einer Analogisierung von sakraler und profaner Geschichte über. Wenngleich die Kirchengeschichte transzendentale und spirituelle Elemente beinhaltete, die ihre Vorrangstellung vor der politischen Geschichte gewährleisten sollte, so sollte diese jedoch nie isoliert gelesen werden. Chyträus zitierte als Beispiel Daniels Prophezeiungen in Daniel 2 und 7 über die Kriege, die von den Nachfolgern Alexanders des Gr. geführt wurden und unterstrich dabei, dass sich die genaue Bedeutung dieser Prophezeiungen in der politischen Geschichtsschreibung von Herodot, Diodorus Siculus, Polybios et al. erschlösse.723 Die humanistischen Gelehrten rezipierten nicht nur das verfassungsund militärtheoretisch bedeutsame Buch VI der Historien, sondern erkannten in dem Geschichtswerk des griechisch-römischen Historikers 719 720

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Ebd., S. 23f. Arthur Cayley Headlam: Methods of Early Church History, The English Historical Review, 14 (1899), S. 8. Vgl. Josef Bohatec: Bude´ und Calvin. Studien zur Gedankenwelt des französischen Frühhumanismus, Graz 1950, S. 78: Abwertung des Hellenismus; S. 81: »Wenn die Unterscheidung des Außen- und Innenmenschen bei Bude´ offenbar auf Paulus zurückgeht, so darf man nicht vergessen, daß dieser Dualismus im Grunde platonisch ist. Nimmt also der Mensch an dem Gegensatz von Körper und Geist, Sinnlichkeit und Vernunft teil, so entspricht dieser anthropologisch-psyhologischethische Dualismus dem metaphyischen Dualismus, dem Gegensatz zwischen dem Reich des Wesens und der Wahrheit und der zeitlichen, fließenden, imaginären, nur durch die Sinne begriffenen (res sensu preceptae) Gütern, einem Dualismus, den Bude´ von Platon übernimmt, obwohl er in diesem sonst nicht ›nostrarum partium autor‹ sieht, einen Dualismus, der letztlich den Gegensatz zwischen dem Hellenismus und der christlichen Philosophie zum Ausdruck bringt.« Backus: Historical Method and Confessional Identity, S. 63–118. Ebd., S. 341: Chytraeus: De lectione A7 v.: ›Praedixit Daniel seriem quattuor monarchiarum cap. 2. et 7. Descripsit bella quae successors Alexandri Magni et praecipue reges Syriaci et Aegyptii inter se gesserunt, cap. 11. Hisce vaticiniis palam est lucem singularem accedere collatis imperiorum histories, quas Herodotus, Diodorus Siculus, Polybius et alii descripserunt.‹; ebd., S. 341: »Chytraeus thus proves a further methodological support for the Chronicon by explaining quite clearly the nature of the link between ecclesiastical and lay History, which Melanchthon left implicit.«

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auch ein Forschungsinstrument der Intertextualität,724 das neben der Erforschung griechisch-hellenischer Historiker auch für die Rekonstruktion griechisch-hellenischer Taktik vor allem bei Casaubon und Saumaise freilich nunmehr nach chronologischen Kriterien bedeutsam wurde. Ein weiterer Gesichtspunkt, der einen Bruch mit der Polybios-Rezeption des Justus Lipsius markiert, war, dass an Polybios VI. 47 ein ›Ethnisierungsbegriff‹ entwickelt werden konnte. Dieser deutet sich in der Konzeption der Kirchengeschichte Isaac Casaubons an, der in den 1614 in London erschienenen De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI die Sakramentenlehre und die sakramentalen Gebräuche der ersten Christen in Beziehung zu den griechischen Mysterien setzte.725 Dass ein Zusammenhang zwischen der Polybios-Edition (1609) und De rebus sacris et ecclesiasticis exercitations XVI vorliegt, suggeriert folgende Begebenheit: Huet legte in seiner Abhandlung De interpretatione (1661) dar, Pierre Dupuy habe ihm berichtet, dass sich Isaac Casaubon einige Tage nach dem Erscheinen seiner großen Polybios-Edition und der Historiker Jacques-Auguste de Thou und Fronton Le Duc in der Königlichen Bibliothek in Paris zu einer Unterredung zusammenfanden.726 Casaubon habe damals auf dem »mirabilis rerum omnium, verborumque consensus« zwischen der griechischen Version der Siebzig und der hebräischen Urschrift bestanden.727 Die Diskussion um den AristeasBrief sei vornehmlich auf eine Klärung der noch immer allzu unbestimmten Chronologie der alten Geschichte und der aus ihnen abgeleiteten »Tatsachenreihen« gerichtet.728 724 725

726

727 728

Vgl. Schepens, Bollanse´e (Hg.): The Shadow of Polybius. Glawe: Hellenisierung des Christentums, S. 21; ebd. S. 22: Zitat aus: Isaac Casauboni De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI, S. 550: »Jene Methode, Beziehungen zwischen Heidentum und Christentum nachzuweisen, hatte nämlich sehr früh dazu geführt, daß man nicht bei einem bloßen Nachweis solcher Beziehungen stehen blieb, sondern heidnische Ausdrücke, Anschauungen und Gebräuche geradezu in die christliche Religion hinübernahm.«; S. 23: »Trotzdem nun aber Casaubonus geneigt ist, den Einfluß des Hellenismus auf das Christentum als eine die Reinheit der christlichen Religion trübende Wirkung zu werten, so verraten seine Ausführungen doch immer wieder die Tendenz, die Sphären jenes Einflusses hauptsächlich in das formale Gebiet der christlichen Dogmatik zu verlegen. Wo er aber den Folgen des hellenistischen Einflusses einen Platz auf materialem Gebiet anweist, da handelt es sich um die Herübernahme griechisch-heidnischer Anschauungen und Gebräuche, die entweder schon von der mittelalterlichen Kirche oder wenigstens von dem protestantischen Christentum abgestoßen worden sind.« Pierre Daniel Huet: De interpretatione libri duo: Quorum prior est; de optimo genere interpretandi: alter, de claris interpretibus, Stade 1680, S. 10f. und A.-A. Gournay: Huet, e´veˆque d’Avranches, sa vie et ses oeuvres, avec des extraits de douments ine´dits, Caen 1854, S. 48–52, zitiert in: Häfner: Götter im Exil, S. 409. Huet: De interpretatione, S. 56, zitiert in: Häfner: Götter im Exil, S. 409. Häfner: Götter im Exil, S. 410.

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Fazit: Neben dem weiteren heuristischen Einfluss der Machiavellischen politischen Methode ist die Milice von Saumaise im wissenschaftstheoretischen Zusammenhang des Hellenisten Isaac Casaubon zu verorten. Die in das 17. Jahrhundert hineinreichende und an Heinrich IV. von Frankreich gerichtete Dedikation der Polybios-Ausgabe des Isaac Casaubon, die vor allem den polybianischen Standpunkt wiedergibt, berücksichtigt darüber hinaus aber auch andere Elemente der antikhumanistischen Überlieferung.729 Mit einem gewissen sachlichen Recht lassen sich hier auch die Proömien zu den beiden Büchern der Discorsi von Machiavelli einreihen.730 Ganz im Unterschied zu Machiavelli, der in Polybios in erster Linie den Empiriker der Macht Roms sah, erhob Casaubon Polybios zum pragmatischen Philosophen, dessen Begründung der Kriegskunst an dessen aristokratisches Ethos gemahnt.731 Vor allem im Späthumanismus wurde Polybios nicht nur als ein Experte in Fragen der Militärtechnik rezipiert, sondern fand auch als Moralist und Philosoph Wertschätzung, der Seneca und vor allem Tacitus nicht nur das Wasser reichen konnte, sondern diesen im Hinblick auf die historische Methode überlegen war. Das Interesse scheint sich dabei auf den philosophisch-pragmatischen Standpunkt des griechischen Historikers bezogen zu haben, den unter anderen Felix Gilbert in der PolybiosRezeption diagnostizierte. Auf Polybios, der den Begriff der methodischen Erfahrung einführte (εÆ μπειρι α μεθοδικη ), ging eine wichtige Neuerung im griechischen Denken zurück.732 Der ›Polybianismus‹ formierte 729

730 731

732

Isaac Casaubonus: ... Polybii ... historiarum libri qui supersunt … Typis Wechelianis apud Claudium Marnium et haeredes Joannis Aubrii, s. l., 1610. Landfester: Historia magistra vitae, S. 34. Vgl. Eckstein: Moral Vision, S. 17: [Polybius and ›Machiavellianism‹] »In the sixteenth century, Jean Bodin thought that Polybius was as much a philosopher as a historian, and Christopher Watson praised his ›holesome counsels‹. In the seventeenth century, Isaac Casaubon emphasized how often Polybius spoke out for virtuous behavior.« Gilbert: Renaissance Concepts of Method, New York 1960, S. 44: »One finds assertions in secondary literature that Polybius was indebted to Stoic philosophy, and the evidence usually presented in his use of some term considered Stoic. Such influence has been found in the phrase ›methodical experience‹ (εÆ μπειρι α μεθοδικη ), opposed by him to routine or ›chance‹ experience. If this were true, Polybius would indeed have been responsible for an important innovation in Greek thought. Yet in this case, as in the case of other purportedly philosophical terms in his writings, Polybius’ usage is rather general and hardly sufficient evidence for his assimilation of philosophical doctrine.« Polybios: Geschichte, Gesamtausgabe in 2 Bden., Zürich-Stuttgart 21978–1979, Bd. 1, S. 740f.: »Ich habe ja die Behauptung aufgestellt, daß alle Kenntnisse und Fertigkeiten in unserer Zeit einen solchen Aufschwung genommen haben, daß es von den meisten gewissermaßen eine methodische Wissenschaft gibt. Hiermit liegt daher auch der größte Nutzen eines in der rechten Weise abgefaßten Geschichtswerks.« Vgl. auch Kurt von Fritz: The Theory of the Mixed Constitution in Antiquity. A critical analysis of Polybius’ political ideas, New York 1954, S. 54–59.

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sich, wie einem Fragment aus der Collection Dupuy zu entnehmen ist, gar als eine sich vom die Renaissance-Philosophie maßgeblich prägenden Platonismus abhebende Position.733 Die Rückbindung an die Geschichtsmethode der französischen rechtswissenschaftlichen Tradition und eine polybianische Geschichtsmethodik verfolgten jedoch eine andere Strategie der Hellenisierung des römischen Machtstaates. Diese hebt sich von individualethischen, neostoischen Positionen ab und findet im Hellenismus, genauer im Begriff der Hellenisierung ein geschichtsphilosophisches Medium. Es ist eigentlich der ›Polybianismus‹, d. i. ein historisch-pragmatischer Philosophieund Wissensbegriff, wie ihn die antike griechische und römische Philosophie nicht kannte, und erst sekundär die Anthropologie der erneuerten Stoa, der den theoretischen Transferrahmen taktischer und strategischer Theorien darstellt. Bei Justus Lipsius trat in seiner Tugendlehre die Hellenisierung des Römischen in der späten Stoa (Seneca, Epiktet) und in der Taktik in der Quincunx als philologische Verbindung von Legion und Phalanx auf. Der niederländische Späthumanist ignorierte die Problematik der Hellenisierung des Christentums (Erasmus, Melanchthon), überging er doch gänzlich die protestantische Geschichtsschreibung (vgl. supra); das ekklesiale Denken spielte daher in seiner auf die Herrschaftstechniken angelegten Tugendlehre kaum eine Rolle, wenn man von der Forderung nach einer Religion im Staat absieht. Lipsius’ Wissenspragmatik gründete auf einer doxographischen Methode und wies damit ein geschichtsmethodisches Defizit auf. Die Manuductio – aus dem griechischen εÆ νχειρι διον, bedeutet: den Leser bis zur Intelligibilität des Systems ›an der Hand führen‹734– und Physiologia stoicorum sind Kompendien bzw. Lehrbücher, die kein Florilegium bilden, sondern wahrhafte didaktische Traktate. Lipsius folgte der traditionellen Systematik der philosophisch-doxographischen Tradition, die durch die Stromates von Clementius, die Opiniones des Pseudo-Plutarch und die Eklogen von Stobaeus verkörpert werden.735 Daneben stehen Manuductio und Physiologia Stoicorum in der Tradition des Enchiridion Militis Christiani (Antwerpen, D. Martens, 1503; Basel: J. Froben, 733

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Dupuy 897, fol. 345v–346, ›Ex Polybio‹: »La Republique de Plato ne doit point estre mise en comparaison auec les autres Republiques pour disputer le premier lieu, qu’auparauant elle n’ait fait paroistre quelque sien ouurage & iusques a pnt. Ce qui en a este´ escrit estant mis en comparaison auec la Rep. des Spartes, des Romains & des Carthaginois, ce seroit de mesme comme si quelque statuaire vouloit comparer & mettre en parangon une statue qu’il auroit faite auec des hommes viuans & respirans: car quoi qu’elle soit grandemt louable pour ce qui est de l’art, neantmoins les choses, inanimees comparees auec les animees paroissent grandemt defecteuses a ceux qui les regardent, & considerent.« Lagre´e: Introduction, S. 21. Vgl. ebd., S. 27.

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1518). Wie Juan Luis Vives Weisheit als richtiges Urteil in einer soliden Synthese christlicher und stoischer Moral angelegt sah, so gab Lipsius seine abschließende christliche Interpretation des Stoizismus in der Manuductio ad Stoicam philosophiam und in seiner Physiologiae Stoicorum libri tres. Im Gegensatz zu Erasmus, für den Seneca der geeignete Denker für eine Propädeutik der philosophia Christiana war, repräsentierte für Lipsius der römische Philosoph die einzige Grundlage einer säkularen Ethik, die als komplementär zur christlich-biblischen Moral betrachtet werden konnte.736 In dem Kommentar zu Epiktets Enchiridion erklärt Simplicius die Vereinbarkeit von freiem Willen und Vorsehung (providentia). Es geht darum zwischen ihnen ein Gleichgewicht zu finden, um den Determinismus mit moralischer und rechtlicher Verantwortlichkeit in Einklang zu bringen.737 Die Polybios-Rezeption, die einen historisch-pragmatischen Philosophiebegriff nahelegt, und nicht der Stoizismus, der die Begründung einer philosophisch-politischen Lebensform nahelegt, bildet den Hintergrund für die strategische Lehre Saumaises. An die Stelle der Methode der Stoa, die sich in einer festgefügten Gedankenkette (sequela) manifestiert, die im Werk Lipsius noch deutlich nachzuvollziehen ist, tritt die heuristische Funktion einer wahren und legitimen Geschichte (vera et legitima historia). Casaubons Polybios-Edition bezeichnet nicht nur den Übergang von den studia humanitatis zur Wissenschaft der Philologie,738 sondern begründete auch eine neue Form pragmatischen Wissens, geradezu eine pragmatische Philosophie. Dass sich Saumaise auf die Methode der Chronologie stützte (s. supra), bedeutet auch einen Bruch mit der kosmologischen Begründung militärischer Anthropologie. Diese gründet vielmehr auf einer Heuristik antiker taktischer Theorien. Sah sich die politisch-militärische Anthropologie der virtu` noch in eine Kosmologie eingebettet, so entwarf Lipsius seine Militärtheorie auf Grundlage der neustoischen Erkenntnislehre, die sich auf ahistorische sachliche Gesichtspunkte bezieht: eine Art Netzwerk von Ursachen (ordre des raisons), die auf die Konfigurationen der konfessionellen Gewaltmanifestationen739 zugeschnitten waren und die sich mit der Rezeptionsmentalität und der Memotechnik der loci communes trafen. Damit vollendete Saumaise theoretisch das, was von der taktischen Modellbildung Lipsius’ vorgeblich geleistet wurde: die Entwicklung ei736

737

738 739

Papy: Lipsius’ (Neo-)Stoicism (2001/2002), S. 51; vgl. auch: ders.: Erasmus’ and Lipsius’ Editions of Seneca (2002), S. 10–36. Vgl. Hans Blom, Laurens Winkel: Grotius and the Stoa: introduction, S. 9; vgl. J. van Beverwijck an Grotius, 20. Jan. 1634. In: BW, Bd. 5 (1632–1635), no. 1908. Vgl. Jehasse: Renaissance de la critique; vgl. Parenty: Isaac Casaubon helle´niste. Vgl. Denis Crouzet: Les guerriers de Dieu.

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nes praxisrelevanten Modells für Politik und Militär, dem sich insbesondere Wilhelm Ludwig von Nassau mit seinem Kommentar der Schlacht von Cannae (Hannibal und Scipio) zu nähern suchte. Das Renaissance-Modell erlebte durch den nordwesteuropäischen Humanismus und dessen Geschichtstheorie eine Ausdifferenzierung: die gewandelte Methode der Geschichte und die Hilfswissenschaft der Chronolgie wurde auf das antike taktische Paradigma angewandt und ermöglichte ein historiographisches und komprehensives Modell der antiken Taktik, sei es der römischen Legion oder der griechischen Phalanx. In Bezug auf die quadratische Schlachtordnung schreibt Saumaise, dass sie in einer bestimmten Form von den Römern und Griechen nur dann praktiziert wurde, wenn die Notwendigkeit es einforderte, da von allen Seiten die Feinde hereinbrachen.740 Einerseits profitierte Saumaise von Casaubon, wenn auch nicht vollendeter, so doch angestrebter integraler Restitution der Historien des Polybios, andererseits von dessen Konzeption einer vera et legitima historia. Hatte Justus Lipsius sich auf die Topoi aus Buch VI beschränkt, so wurde neben anderen nun Buch IX, worin die polybianische Lehre der Feldherrnkunst gezeichnet wird, für die Militärwissenschaft erschlossen. Darüber hinaus markiert der historiographic turn gegenüber Lipsius – die Praefatio des Casaubon setzt einen deutlichen Gegenakzent zum Kanon der Historiker des Justus Lipsius, wie er in der Machtpragmatik der Politicorum libri sex eingefügt ist – eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung einer neuen strategischen Anthropologie und einen Abriss der Formveränderungen der militia. Hatte Machiavelli seine Militärtheorie an die anaky´klosis-Theorie des Polybios und damit an eine politische Theorie der Kriegführung gebunden und im Hinblick auf die Feldherrnkunst (Arte della guerra, IV) auf die Strategemata des Frontinus und die Kriegsregeln des Vegetius bezogen, so wurde die Feldherrnkunst erst eigentlich bei Saumaise über die ars critica ›polybianisch‹ oder in kulturtheoretischer Hinsicht hellenisch konnotiert. Saumaise griff sowohl den griechisch konnotierten Aristokratiebegriff des Isaac Casaubon, wie dieser ihn in seinem Polyaen-Kommentar entwickelte, als auch dessen Konzeption einer legitima et vera historia auf. Mit seinem Polyaen-Kommentar (1589) war Casaubon zur Meisterschaft gelangt.741 Er verkündete sein Vertrauen in die Trostschriften, die einzig in der Lage seien, den Schmerz zu bewältigen.742 Casaubon lobte die Griechen, die bei allen Themen, mit denen sie sich beschäftigt haben, tiefer und sorgfältiger vorgegangen seien als 740 741

742

DRMR, S. 116. Jean Jehasse: La renaissance de la critique. L’essor de l’humanisme e´rudit de 1560– 1614 (Bibliothe`que litte´raire de la Renaissance, 51, 3), Paris 22002, S. 246. Ebd.

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die Römer.743 In seiner Widmung an Duplessis-Mornay spricht er vom wahren Adel. Das Bemerkenswerteste sei nicht, so J. Jehasse, die Gleichsetzung der Aristokratie mit der Tugend, sondern, bei einem so anspruchsvollen und aufrichtigen Gläubigen, die entschieden hellenische Formulierung dieses Ideals.744 Ein Detail der Überlieferung des Abre´ge´ de la milice des Romains des Saumaise (›provient des Je´suites de Paris‹ indiziert, dass der Text durch die Hände der Jesuiten in Paris ging; das Argument, dass die Militärtheorie der französischen Calvinisten weniger in den Gegensatz von spanischem Tercio und einer in den holländisch-schwedischen Armeen entwickelten und praktizierten Lineartaktik eingebunden, als vielmehr in dem konfessionellen Konflikt zwischen gallikanisch-calvinistischen Positionen und den Jesuiten in Frankreich zu verorten ist,745 liegt daher nahe. Die Societas Jesu hatte in Frankreich einen Anpassungsprozess durchlaufen, der sie mit den Politikern in ein Konkurrenzverhältnis auf demselben Feld setzte. Trotz des Widerstands vieler mit gelehrten gallikanischen Ideen durchdrungenen Magistrate hatte die Societas Jesu ihre Aktivitäten in der Monarchie nicht nur weiterverfolgen, sondern auch ausbauen können.746 Ein Schlüssel zu diesem Erfolg war die Bereitschaft des Ordens, seine Präsenz im Königreich zu rechtfertigen, indem er (trotz Kritik aus Rom) die Jurisdiktionsgewalt des Parlaments von Paris über die Schriften zum Thema Tyrannenmord anerkannte.747 Das Parlament von Paris hatte die Theorien des Tyrannenmordes des jesuitischen Theologen und Historiographen Juan de Mariana – in dem Philipp III. gewidmeten Fürstenspiegel De rege et regis institutione libri III et Phillipppum III Hispaniae Regem Catholicum (1599) wird unter bestimmten Umständen der Tyrannenmord gerechtfertigt, auch enthält er Bemerkungen zugunsten der Ermordung Heinrichs III. von Frankreich – ebenso verurteilt wie es die (gleichfalls in einem ›Arreˆt‹) durch den Kardinal Roberto Bellarmino verteidigte indirekte Gewalt des Papsttums in säkularen Belangen brandmarkte.748 Nach 1610, dem Königsmord an Heinrich IV., war in Frankreich ein Sturm gegen das Werk Marianas ausgebrochen, und auf Anordnung des Parlaments wurde das 743 744 745

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Ebd. Ebd. Vgl. hierzu Luciano Canfora: Convertire Casaubon (Piccola biblioteca Adelphi, 471), Mailand 2002. Eric Nelson: The Jesuits and the Monarchy. Catholic Reform and Political Authority in France. 1590–1615 (Catholic Christendom, 1300–1700), Ashgate 2005, S. 8. Ebd. Ebd.

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Buch öffentlich verbrannt, während es in Spanien weiterhin in königlicher Gunst stand.749 Neben dem konfessionell konnotierten philologischen Hellenismus ist ein weiterer ideengeschichtlicher Aspekt der Polybios-Rezeption, die sich auf den Bereich internationaler Ordnung bezieht, herauszustellen: Der an Polybios entwickelte pragmatische Philosophiebegriff, den Casaubon nahelegte, liegt nicht nur am Ursprung der militia-Interpretation von Saumaise, sondern scheint auch den eine dauerhafte Friedenskonzeption nahelegende Grand Dessein von Sully beeinflusst zu haben.750 Neben der zunehmenden militärischen Verdichtung insbesondere an der Nordostgrenze Frankreichs,751 in deren unmittelbar praktischem Zusammenhang die Entstehung der Milice zu stehen scheint, ist der Traktat von Saumaise gleichsam als integraler Bestandteil einer umfassenderen europäischen Stabilitätskonzeption zu sehen, die auf die militärische Bedrohung durch das osmanische Reich reagierte. Diese im Grand Dessein, das ebenfalls im Zeitraum niedergeschrieben und 1638–1640 im Schloss von Sully gedruckt wurde, niedergelegte Friedenskonzeption stützte sich partiell auf die excerpta de legationibus des Polybios.752

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Ebd. Ilari: Imitatio, Restitutio, Utopia, S. 346f.: »Ma lo stesso Isacco Casaubono (1599–1614) accenna, in una lettera a Giuseppe Giusto Scaligero, che l’edizione critica di Polibio – pubblicata nel 1606–07 assieme ad nuova traduzione latina – gli era stata ordinate dall’alto. Non necessariamente dal re Enrico IV (che non leggeva il greco); piuttosto da Maximilien de Be´thune, duca di Sully (1559–1641). Stavolta infatti l’interesse del committente non sembra di carattere militare, ma politico. Nel Polibio di Casaubon (non quidem intergrum, sed qualem tamen nemo adhuc vidit) si cercavano infatti scientia civilis e imperatorius stilus: e soprattutto tornavano alla luce gli excerpta polibiani de legationibus, funzionali alla stesura segreta del grande progetto di pax Europaea ideato da Sully. Le Grand Dessein fu pubblicato nel 1662, nell’edizione postuma delle Economies Royales di Sully, che lo attribuı` a Enrico IV. Il piano era ispirato a tre principi politici: a) prevenzione dei conflitti interni (mediante riequilibrio dei differenziali di potenza e risoluzione arbitrale delle controversie); [...] c) individuazione di un nemico esterno (ovviamente il Turco). Si prevedeva la ristrutturazione dell’Europa in quindici Stati sovrani di uguale potenza e ricchezza (sei monarchie ereditarie, cinque elettive e quattro repubbliche). Gli excerpta polibiani furono tenuti presenti anche nel Nouveau Cyne´e, ou Discours des Occasions et Moyens d’e´tablir une paix ge´ne´rale et la liberte´ du commerce pour tout le monde (1623) di Emeryc Cruce´ (1590–1648) che prevedeva un’Assemblea permanente degli Stati, non limitata all’Europa ma estesa anche al Gran Mongolo, agli imperatori della Cina e del Giappone e ai sovrani della Persia e dei Tartari, incaricata di far regnare la pace nel mondo mediante l’arbitrato e di reprimere ogni turbativa anche con l’uso della forza.« Vgl. Potter: War and Government. Vgl. Ilari: Imitatio, Restitutio, Utopia, Zitat Fußnote.

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b. Die Verortung Saumaises in den theologiegeschichtlichen Kontroversen Das theologisch-politische Profil Saumaises erschließt sich in erster Linie über seine Kontroversen mit dem Jesuiten Denis Petau (1583–1652) und dem englischen Republikaner John Milton. Petau bezichtigte die antiken Christen des ›Platonismus‹, die dadurch die Reinheit des christlichen Glaubens korrumpierten. In seiner Theologica Dogmata (4 Bde., 1644–50), in der er die Divergenzen zwischen vor- und nach-nizäanischer trinitarischer Theologie aufführte, war Petau der Ansicht, dass die christliche im Arminianismus kulminierende Häresie, von deren platonischer Infektion herrührt. Sein Trinitate setzt denn auch mit der Betrachtung der platonischen Triaden ein.753 So wie Casaubon den Hermetismus, examinierte Petau den Platonismus der ersten Jahrhunderte in kritischer Weise und konnte damit an jene Tendenzen im gegenreformatorischen Rom der 1580er Jahre anschließen, für die die Jesuiten Roberto Bellarmino, Antonio Possevino und Giovanni Battista Crispo stehen.754 Saumaise hatte 1622 Sept Florentis Tertulliani Liber de Pallio annotiert und ediert (Paris, H. Drouart, 1622), worin er Denis Petau († 1652) unter dem Pseudonym F. Francus angriff und damit eine der größeren Polemiken der Zeit einleitete. Die Ergebnisse seiner kirchengeschichtlichen Forschungen finden sich wesentlich in seinen polemischen Schriften gegen Petau im Hinblick auf Tertullian und gegen den Jesuiten und Kirchenhistoriker Jacques Sirmond († 1651), den Beichtvater Ludwig XIII. (1637–1643) und Befürworter Richelieus.755 Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen Saumaise und Denis Petau zwischen 1644 und 1645 mit den jeweiligen Publikationen der Theologica dogmata von Petau und des De Primatu Papae von Saumaise.756 Saumaise sprach sogar von einem Antipetavius.757 In einem 753

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Douglas Hedley: The Platonick Trinity. Philology and Divinity in Cudworth’s Philosophy of Religion. In: Ralph Häfner (Hg.), Philologie und Erkenntnis. S. 250. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 277. Vgl. Leroy, S. 30: In dem Streit mit Petau schloss sich Saumaise mit einer Amici ad amicum de Suburbicariis regionibus et Ecclesiis suburbicariis Epistola, s.l. (1. Januar 1619) dem Sohn seines alten Lehrers, dem Philologen Jacques Godefroy († 1652) an, die am Ende der Epistolae Salmasii von A. Cle´ment angefügt sind. Ebd., S. 30; vgl. auch: Michael Hofmann: Theologie, Dogma und Dogmenentwicklung im theologischen Werk Denis Petaus, Frankfurt a. Main et al. 1976, S. 28–30. Aus Tailly am 6. August 1641, zitiert in: Leroy, S. 154; ebd.: »Cette premie`re partie de l’Antipetavius viendra bien a` propos en Angleterre; veu l’e´tat ou` elle se trouve aujourd’huy. J’en ay fait un chapitre tout expre`s. Si on peut, et si on doit oter les Eveˆques quand l’abus qui procede de l’Episcopat est plus grand que le mal du Schisme qu’on a voulu e´viter, en e´tablissant les Eveˆques. Cela ne plaira pas aux He´notiques. Mais qu’importe? Je n’ay pas entrepris de leur plaire, mais tout le contraire.« [Il ne fait pas de doute que dans les projets de re´union des Eglises

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Brief vom 28. Januar 1641 zeichnete Saumaise die Presbyterialverfassung der frühen Kirche.758 In der Defensio regia, pro Carolo I führte er Tertullian in seinem Angriff gegen die Jesuiten und die in den Jahren 1640–1660 ihre Blütezeit erlebenden ›Independents‹, die er als Pharisäer attackierte, an.759 John Milton suchte Saumaise in der Defensio pro populo anglicano dadurch zu treffen, dass er ihn mit der unter dem Pseudonym Walo Messalinus publizierten Schrift De episcopis ac presbyteris contra D. Petavium Loiolitam, dissertatio prima (Leiden 1641) in die Nähe der von ihm so verschmähten Jesuiten rückte.760 Saumaises Kritik

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soutenus par les He´notiques l’aspect traditionnel de l’Eglise anglicane constituait un point plus solide que les solutions presbyte´riennes vers lesquelles semble pencher Saumaise. Voir J. B. Michault, o.c., Bd. 1, S. 104: »La dernie`re fois qu’il (Saumaise) fut en Bourgogne, il e´toit fort du sentiment des Presbyte´riens.« Saumaise an Sarrau, 28. Jan. 1641 [aus Paris], zitiert in: Leroy, S. 147: »Pour ce qui est du Prestre ou de l’Eveˆque, je passe bien plus avant que Mr Blondel […] et montrerai que jamais les Apostres n’ont e´tabli aucun Eveˆque singulier en pas une ´ glise, mais toujours des Presbiteri qui e´toient aussi des des villes ou` ils ont fait une E Episcopi. […] Je tiens aussi formellement que jamais St Pierre n’a e´te´ a` Rome.« Claudii Salmasii Defensio regia, pro Carolo I. Rege Angliae &c. et Joannis Miltoni Defensio, pro populo anglicano, contra` Claudii Anonymi, alias Salmasii Defensionem Regiam. Accesserunt huic editioni Indices…, Paris, apud viduam Mathuvrini dv Pvis, M. DC. LI, S. 107: »Nam de sui temporis Christianis dixit Tertullianus, Nomine(m) vnquam id sentasse ut regi insidias strueret, sicut Hippias civitati suae fecerat, etiam cum sui omni immnitate dissiparentur. Postremis vero saeculis vt in aliis rebus ita & in hac mores, vt jam dictum, cum temporibus mutate sunt, disciplinae vigor laxatus est, & regula corrupta. Quinimo extitero tandem pestes Rerumpublicarum, regum quo […], & omnis a` Deo ordinatae potestatis hostes, sophistae quidam qui contrariam illi quae a` Christo tradita est, doctrinam introduxerunt de occidentis quasi iure regibus si disciplicerent subjectis. Tales in Pontificiis Iesuitae, inter Reformatos qui vocantur Independntes & Brunistae tales etiam apud Iudaeos Pharisaei exorti sunt, sectae genus ambitiosum, superbum, seditiosum, factiosum, impatiens dominorum & omnium summarum potestatum. Si tamen hi cum Iesuitis & Independentibus comparentur, dociles, amabiles, morigeri & regibus amici. […] Si quis ergo inter Christianos posterioris aevi ostenderit populos per seditione(m) reges suos destituentes, primores regnis per factionem eos folio deturbantes, exercitus militari tumultu imperium eorum abnuentes, haec exempla non ad regulae novae institutionem trahenda sunt, sed tanquam excessus a` veteri regula notandi. Quot servi etiam Christiani dominos suos perfidiose` necaverunt? Ita & Phocas dominum suum Imperatorem Mauritium vita & regno privavit, vt se regem faceret. Ita Theodorus Patricius Heraclium oppressit & oculis orbavit, postridie eandem poenam in se expertus.« John Milton: Political Writings. Hg. v. Martin Dzelzainis, übers. v. Claire Gruzelier (Cambridge Texts in the History of Political Thought), Cambridge 1991, S. 120f.: »›Who‹, you say, ›would not prefer to endure the dissensions that often arise from the rivalry of nobles under an aristocracy, than certain wretchedness and ruin stemming from a single monarch who is accustomed to rule in a tyrannical manner? The Roman people preferred that to be the condition of their republic, however much it was shaken by discords, rather than the intolerable yoke of the caesars. A people who have preferred the condition of monarchy to avoid sedition, when they found by experience that the evil which they wanted to avoid was the lesser of the two, often seeks to return to its previous condition.‹ These and more

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an der disciplina-Konzeption von Lipsius, auf die im Folgenden eingegangen wird, mag auch in dessen Auseinandersetzung mit den Jesuiten in seinen späten Lebensjahren begründet sein.761 Der Jesuit Denis Petau war der Erste, der das Thema der Hellenisierung des Christentums durch die Kirchenväter aufgegriffen hat.762 Walter Glawe schreibt: »Gegen seine katholische Überzeugung ist Petau – bei dem allerdings nicht außer Acht bleiben darf, dass die bedeutendsten wissenschaftlichen Anregungen, die er erhielt, von Protestanten, in erster Linie von Isaac Casaubon, dann aber auch von Joseph Scaliger, Gerhard und Hugo Grotius stammten – der eigentliche Rufer zum Streit über den Platonismus der Kirchenväter geworden. Diese Auseinandersetzung sollte noch wesentlich größere Dimensionen annehmen und zu einem für die gesamte christliche Kirche folgenschweren Kampf anwachsen.«763 Dass Petaus Ansichten über die Hellenisierung des Christentums bei Pierre Daniel Huet ein Echo fanden, und dass letzterer im Besitz der militärwissenschaftlichen Noten Scaligers zu DMR war, die er kritisierte, lassen die militärwissenschaftlichen Fragen im Lichte dieser sich an der Patristik entzündenden spezifischen Konstellationen des Hellenisierungsbegriffes erscheinen, die mit einer politisch-neustoischen Bewegung oder dem stoischen geistesgeschichtlichen Moment nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht. Im Hinblick auf die Hellenisierung des Römischen war weniger die Stoa das Bindeglied zwischen römischer und hellenischer Kultur – in einer jüngeren Studie wird dieser Weg von G. Boros beschritten.764 Auch war nicht die taktische Synthese von Legion und Phalanx per se bedeutsam, sondern die sich mit der Interpretation der Kirchenväter verbindende Hellenisierungsthese, die sich in den trinitarisch-antitrinitarischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts herausbildete, und die damit einhergehende Diskus-

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such are your own words in that dissertation about bishops produced under the assumed name of Walo Messalinus, p. 412 – against Petavius the Jesuit, though you yourself are more of a Jesuit and the worst of that crew.« Bericht eines Treffens zwischen Guy Patin und Cl. Saumaise am 5. Juni 1641, zitiert in: Leroy, S. 247: »Il [Saumaise] me dit [so Guy Patin] que Lipse toute sa vie avoit este´ Huguenot en son ame, combien que plusieurs fois il eust fait semblant d’estre catholique selon les occasions; mais qu’estant devenu vieux, il fut tout Papiste en se resignant tout a` fait aux Jesuites, qu’il croyoit comme des S[eigneu]rs en faveur desquels il escrivoit tout moribond, les miracles de sa Diva virgo Aspricoliiis etc. […] quelque scavant qu’il ait paruˆ a` ceux qui ont aime´ la barbarie de son style; il me dit que le P. Sirmond, confesseur du Roy, avoit este´ bien hardy de faire son petit livre de duobus Dionysiis, que cela estoit estrange de voir un jesuite, disant vray, veu que ces gens la` semblent estre paye´z pour mentir.« Glawe: Hellenisierung des Christentums, S. 33. Ebd. Vgl. Boros (Hg.): Der Einfluß des Hellenismus auf die Philologie der Frühen Neuzeit.

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sion des Platonismus respektive – seitens der römisch-katholischen Position – des Platonismus-Vorwurfs, galt doch insbesondere den Jesuiten die Platon-Rezeption der Kirchenväter als Häresie. In der Verengung der Hellenisierung des Römischen auf die stoische Philosophie wurde zwar eine Verbindung von Philosophie und Machtpolitik möglich (Hellenisierung der römischen Legion durch Verbindung mit der Phalanx; Hellenisierung römischer Machtpolitik in der anaky´klosis-Lehre), das strategische Denken der Humanisten konnte jedoch nicht über diese Axiome des klassischen römisch konnotierten Republikanismus erfasst werden. Etwas Entscheidendes blieb dabei außen vor: das Aufeinandertreffen von Christentum und Platonismus bzw. griechischer Philosophie und/oder hellenischer Kultur (coutuˆme). Der an der Patristik entwickelte Hellenisierungsbegriff geht in den militiaBegriff Saumaises ein. Saumaise schien die Dichotomie von scientia/ars und disciplina nicht nur in der Kritik der antiken militärwissenschaftlichen Legs zu gewinnen, sondern auch der Auseinandersetzung mit den vornizänischen Kirchenvätern (Tertullian).765 Diese Dimensionen blieben in der Verengung auf den neo-römischen Stoizismus außen vor, wenngleich sie doch zu einem entscheidenden Bruch im Hinblick auf die taktischen und strategischen Theorien des nordwesteuropäischen Humanismus führten. Freilich deutete sich dieser Konflikt bereits 1581 an, als Scaliger bei Lipsius den Übergang vom Hellenismus ins Christentum erkannte und ihm vorwarf sich auf Livius und Spartianus zu konzentrieren. Diese sich an theologiegeschichtlichen Fragen entzündenden Konflikte gilt es genauer nachzuzeichnen, scheint doch der ›Hellenisierungsbegriff‹ und die Interpretation der Kirchenväter des christlichen Humanismus für das strategische Denken dieser Zeit eine Rolle gespielt zu haben der allerdings nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie der Hellenisierung des neo-römischen Exemplum in seiner polybianischen Form . Zumindest wird nunmehr Hugo Grotius als Theologe vor allem in der jüngeren niederländischen Forschung – seine theologischen Schriften werden derzeit in den Niederlanden von verschiedenen Forschern neu ediert – größere Aufmerksamkeit zuteil.766 Das strategische Denken 765

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Marrou: ›Doctrina‹ et ›disciplina‹ dans la langue des Pe`res de l’E´glise, S. 16: »Disciplina a e´te´ e´galement applique´ aux choses de la religion. C’est un des mots dont Tertullien de´ja` use volontiers: il serait inte´ressant d’e´tudier en de´tail l’usage qu’il en fait et les raisons de cette pre´dilection; on montrerait sans peine comment s’y re´fle`te son esprit de juriste et sa conception rigide du christianisme. Mais cela nous retiendrait trop loin du moyen aˆge: l’essentiel, d’ailleurs, de l’usage de Tertullien a passe´ dans la langue de ses successeurs.« Henk J. M. Nellen: Hugo Grotius, Theologian. Essays in Honour of G. H. M. Posthumus Meyjes (Studies in the history of Christian thought, 55), Leiden et al. 1994; vgl. auch: Florian Mühlegger: Pluralization and Authority in Grotius’ Early

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hängt in gleicher Weise von theologiegeschichtlichen Problemkomplexen ab wie von rechtlich-legistischen oder Interpretamenten neustoischer Philosophie. Die Rolle Grotius’ für die Entwicklung eines modernen Völkerrechts auf der Folie nachtridentinischer Scholastik (Francisco Sua´rez et al.) erscheint in dieser Perspektive als ein zu eindimensionaler Zugriff auf die Entwicklung kriegsrechtlicher, irenischer und strategischer Vorstellungen, die sich in dieser Zeit überlagern und von der De iure belli ac pacis (1625) nur eine Facette darstellt. Grotius’ Schrift Apologia de veritate religionis christianae wurde in der Fassung von 1640 unter Heranziehung klassischer lateinischer wie griechischer Autoren und Kirchenväter annotiert. Grotius’ reformierte Zeitgenossen haben dem Arminianer vorgeworfen, er komme bei seinem Bemühen um einen Ausgleich der Konfessionen dem Katholizismus in ungehöriger Weise entgegen.767 Aber zum einen konnten ›methodologische‹ Gründe aufgezeigt werden, die seiner Apologetik anhaften und Ausdruck eines komplexen denk- und sozialgeschichtlichen Umschichtungsprozesses sind. Zum anderen sei zu bedenken, dass Grotius, der 1635 zum schwedischen Botschafter in Paris avancierte, in schwierigen Kriegszeiten eine diplomatische Mission zu erfüllen hatte, deren irenischer Grundzug sich auch auf intellektueller Ebene, etwa bereits im Kreis der Acade´mie Pute´ane, zu bewähren hatte.768 Von Vossius’ und Casaubons Standpunkt einer strengen philologischen Kritik ebenso wie von dem libertinischen Magie-Traktat (zuerst 1625) Gabriel Naude´s aus mochten die Ansichten, die Grotius über die Weissagungen der cumäischen Sibylle und die Trinitätsspekulation Platons vortrug, als unseriös oder ›altmodisch‹ erscheinen; sie sicherten ihm jedoch die konfessionsübergreifende Popularität seines Gedichtes.769 Saumaise lag in einem theologischen Konflikt mit Denis Petau und dem posthumen Grotius, konkret dessen Werk Rivetiani, pro schismate contra Votum pacis facti, Discussio (Irenopoli, apud Hesychium Candidum, 1645) (Justi Pacii [Thomas Browne, 1604–1673]) Revisio judici: Sive responsoria, ad epistolam Simplicii Verini [d. i. Claude Saumaise] de libro posthumo Hugonis Grotii, Den Haag 1647), welche eine starke Satire nicht nur Grotius’, sondern auch der Jesuiten darstellte – beide Konflikte entzündeten sich an theologischen (mit der Interpretation der Kirchenväter in Verbindung stehenden) Fragen. Auch waren das Buch Sau-

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Works. In: Martin Mulsow, Jan Rohls (Hg.): Socinianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth-Century Europe (Brill’s Studies in Intellectual History, 134), Leiden 2005, S. 99–120, der sich den frühen theologischen Schriften Meletius (1611) und Ordinum Pietas (1613) widmet. Vgl. Häfner: Götter im Exil, S. 198f. Ebd., S. 199. Ebd.

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maises und der im folgenden Jahr erschienene De Transsubstantiatione liber, Simplicio Verino auctore, ad Justum Pacium contra Hug. Grotium (Den Haag, Theod. Eudoxus, 1646) gegen Grotius gerichtet. Saumaise war fernerhin ein Gegner des kirchlichen Reunionsgedankens (Re´union des E´glises) und geriet so in Gegensatz zu Hugo Grotius.770 Im gleichen Jahr (1646) erschien das Praefatio in Orationes Alex. Mori: 1. Oratio in Calvini laudem; 2. De Pace (Genf, Steph. Gamonet, 1647; Leiden 1694). B) Abre´ge´, DRMR: Kompendien einer methodus legendi historias im Zusammenhang empirischer Strategielehre Der Discours pour le restablissement de la milice de France und der Parfaict capitaine, beides Schriften von Militärs, die eine offensive strategische Doktrin nahelegen, verweisen auf die militärische Doktrin von Claude de Saumaise. Der Abre´ge´ der Feldherrnkunst Caesars von Rohan erscheint komplementär zum Abre´ge´ Saumaises, der von der gesamten römischen militia (»de toute la milice romaine«) handelt und die Pointe auf den Übergang der militia zu Marius und Caesar legte. Deutete Rohan Caesar mittels eines narrativen strategischen Modells in eine Pragmatik des Feldkrieges aus, die eine Handlungstheorie für den General impliziert, so überschritt Saumaise die Militärtheorie Wilhelm Ludwigs von Nassau, und dessen Schwerpunkt Scipio und rückte den chronologischen Schwerpunkt auf den Übergang von Scipio zu Caesar. Es liegt daher nahe, diese gleichfalls in eine empiristische Strategiewissenschaft einzuordnen, wurde doch eingefordert, dass sie sich den Methoden der modernen Kriegführung (usage de nostre temps) möglichst nähern solle. Der Abre´ge´ de la milice des Romains, ein militärwissenschaftliches Kompendium, stellt im Anschluss an die ratio studiorum der politiques771 und im Besonderen den Polybios-Kommentar von Isaac 770

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Vgl. Saumaise an Sarrau, Dijon, 9. Nov. 1641, zitiert in: Leroy, S. 160: Im Hinblick auf die Annotationen Grotius zu Cassander (Annotata ad consultationem Cassandri. Scripta anno 1641): »Je vous assure que je ne pourrois jamais me tenir d’y re´pondre, c’est aller trop avant. Si j’e´tois de son opinion, je ne pourrois demeurer un quart d’heure en ma robe de Protestant et vous proteste que je la jetterois, pour m’habiller tout a` fait a` la Romaine.«; Brief Saumaises an Sarrau, 26. Sept. 1642, zitiert in: Leroy, S. 177: »Je suis gros d’une Consultation sur ce meˆme fait de la Re´ünion, que je ferai e´clorre aussi toˆt que j’aurai les coude´es un peu libres. Il me semble avoir des raisonnements contre la Re´conciliation, qui n’ont point encor e´te´ touche´s et qui seront difficiles a` de´ferrer par les He´notiques.« Vgl. auch: Van de Schoor: The Irenical Theology of Theophile Brachet de la Millete`re (1997), wo ein Vergleich mit dem Irenismus von Grotius angestellt wird und eine umfassendere Analyse der reliösen Lage in Frankreich in der 1. Hälfte des 17. Jh.s geleistet wird. Vgl. Bodin: Methodus, 1566; Pierre Droit de Gaillard: Me´thode qu’on doit tenir en la lecture de l’histoire, Paris 1579; ders.: De utilitate et ordine historiarum praefatio. In: Bap. Fulgosii factorum dictorumque memorabilem libri IX, Paris 1578.

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Casaubon eine Heuristik, eine Lektüremethode, eine ars legendi für die römische Kriegsgeschichte bereit und enthält – in der (venezianischen) Tradition der Paralleli militari – einen Vergleich mit dem modernen militärischen System Frankreichs. So werden die ordines (ordres) und Hierarchie (chefs) der zeitgenössischen französischen Militärverfassung zugeordnet. Die Handschrift, deren Ziel es war, eine historisch-kritische Formenlehre der militia aufzuzeigen und deren vollkommensten Zustand zur Zeit Polybios nachzuweisen, liegt eine Systematik zugrunde, die kategorisch zwischen der Disziplin und der Kriegskunst bzw. der Kriegswissenschaft unterscheidet. Saumaise hat etwa fünf Jahre nach Henri de Rohans Parfaict capitaine mit der Abfassung seiner Milice begonnen, in der er das verfassungstheoretische Tabu der Verlängerung des militärischen Oberbefehls auf Lebenszeit brach und die römische und griechische taktische und strategische Theorie in einer Geschichte der Formveränderungen verband und zu Gesetzen der Kriegführung (loix de la milice) erhob. Die militärwissenschaftlich-systematische Kritik bezieht sich auf die dem VI. Buch, 19–42 der Historien des Polybios folgenden, lipsianischen militärwissenschaftlichen Systematik von DMR. Saumaise führte eine Lipsius noch unbekannte Differenzierung von Disziplin (discipline) und Kriegskunst (art militaire) ein, die auf einer Hermeneutik der antiken taktischen Theorie fußt und die Systematik des Abre´ge´ vorgibt. Die französische Fassung des Opus ging der lateinischen voraus.772 Die Systematik des DRMR773 unterscheidet sich von derjenigen der Milice. Während die Milice als ein systematisches Kompendium angelegt ist, das Polybios VI, 19–42 folgt, liegt in DRMR der Schwerpunkt auf der Übergangstaktik von Scipio zu Marius, Gaius Julius Caesar und den Kaisern (Caesaren).774 772

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De Laudibus et vita Cl. Salmasii, S. III–LXIV. In: Claudii Salmasii, viri ill. epistolarum liber primus. S. XLIV: »Syntagma ergo aliquod de MILITIA ROMANORUM, quod dudum animo conceperat, & cujus gustum saepe Amicis id flagitantibus per literas dederat, tandem auspiciis AUGUSTISSIMI HEROIS serio & accurate` tractare primo Gallice`, deinde & Latine, aggressus est, nec destitit donec ad finem deduxisset.« Weitere Ausgabe: Cl. Salmasii de re militari romanorum liber. In: Johann Georg Graevius, Thesaurus antiquitatum romanarum, congestus a Joanne Georgi Graevio. Accesserunt variae & accuratae tabulae aneeae. Tomus decimus. Apud Francisoum Hlamam, Petrum vander Aa, 1699, S. 1292–1452. Vgl. Faliu: Les Travaux de Mars. O. Faliu bezeichnet das Werk von Claude Saumaise (1588–1653) als eine Kompilation über die Kriegskunst der Römer, die mit einigen Figuren versehen ist, die die Ordonnanz der Bildung unterschiedlicher Kompanien zeigen. Die lateinische Fassung (DRMR) umfasst einundzwanzig Kapitel. Im ersten Kapitel handelt Saumaise allgemein von der Veränderung der Kriegskunst bei den Römern. Dass diese häufigen Veränderungen unterlag, beweisen viele Argumente. Kapitel 2 handelt von der Unterteilung der römischen Legion, die im Zeitalter Scipios anders war als unter den Kaisern (27 v. Chr.). Kapitel 3 zeigt, dass sich die

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a. Kritik der militärwissenschaftlichen Heuristik des Vegetius (ERM) und Lipsius (DMR): Von der Lebens- und Verhaltensform der disciplina zur Militärwissenschaft (science, art militaire) Dichotomie von discipline und science/art als Systematik des Abre´ge´ de la milice des Romains Der erste Abschnitt der Milice betrifft die Systematik der römischen Militärtheorie.775 Der Abre´ge´ de la milice des Romains differenziert einleitend und im Hinblick auf das Kriegsmetier (mestier de la guerre) und die Systematik des Diskurses über die gesamte römische militia (discours de toute la milice Romaine) zwischen discipline und science/art. Saumaise sah Analogien zu dieser Begriffsbildung in der Religion: »le mesme se voit en la religion«.776 Diese begriffliche Differenzierung und Systematik war nicht nur aus einer Interpretation der antiken militärtheoretischen Literatur gewonnen, sondern lehnte sich an die in der reformiert-calvinistischen Theologie auftretende und vermutlich aus der Patristik angeeignete Unterscheidung zwischen Disziplin (disciplina) und Lehre (doctrina) an. In der Institutio christianae religionis (1535) Jean Calvins konnte die doctrina zum einen den Akt des Predigens bezeichnen, zum anderen aber ebenso auch der Anlass für eine spezifische theologische Auslegung sein, die aus ihr einen Spiegel oder ein Bild Gottes machte, dem es sich anzugleichen galt.777 Die doctrina wurde für ihre Wirkmächtigkeit geschätzt, mit der

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alte oder polybianische Legion noch von der neuen Legion oder derjenigen Caesars hinsichtlich der Ordonnanz (ordinatio) unterschied. Kapitel 3: Von der alten Legion oder von derjenigen Polybios zu derjenigen Caesars und die neue Ordnung, die sich voneinander unterschieden. Kapitel 4: Von der Disposition in Schlachtordnung oder der Aufstellung in Reihen in welcher sich die alte von der neuen Legion unterschied. Die Elemente der nun folgenden Theorie legt Saumaise in einem Brief (Dijon, 13. April 1636) dar. Vgl. Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, S. 47. Vgl. Milice, fol. 1: »Ceux qui auiourd’huy semblent en approcher de plus pres, si on les compare, et qu’on les admette auec ce qu’en ont sceu et pratique les Romains, se trouueront comme le ciel est de la terre, ce qui paroistra clairement par le discours de toute la milice Romaine, que nous auons diuise´e en deux membres en la discipline et en l’art ou science: car tout ce qui s’en peut dire depuis le commencement iusques a` la fin, soit que l’arme´e marche, soit qu’elle campe, soit qu’elle combatte, toutes les actions et motions de la discipline la volonte´ y pre´side, a` celles de l’art l’entendement. Le mesme se voit en la Religion, qui refere tout ce qu’elle a, ce qu’elle fait, ou ce qu’elle croit a` la discipline ou a` la doctrine. Laissant aux Theologiens a` traitter ce qui est de leur gibbier, quand ie viens a` considerer pour ce qui est de la guerre.« Vgl. Herman J. Selderhuis (›Der doctrina-Begriff in der reformierten Tradition des 16. Jh.s‹ auf der Tagung ›Vera doctrina‹. Zur Begriffsgeschichte der ›doctrina‹ von Augustinus bis Decartes’ (26.04.–29.04.2006, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel); publiziert in: ders.: Der Begriff ›Doctrina‹ in der reformierten Tradition des

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sie die Befolgung des göttlichen Gesetzes erlaubte. In diesem Sinne griffen die Kirchenordnungen auf sie zurück, und Calvin konnte erklären, die doctrina sei die Seele der Kirche und die disciplina ihre Nerven.778 Es mag ein heikles Unterfangen sein, die Differenzierung von ars/scientia und disciplina ausschließlich auf die ekklesialen Begriffe der Calvinisten zu beschränken; vielmehr gehen diese Begriffe auf die Kirchenväter zurück. Bereits in der Patristik, die sich ihrerseits auf die ihnen vorausgehenden antiken Quellen stützt, traten die beiden Begriffe doctrina und disciplina auf.779 Auch in der Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis des 12. und 13. Jahrhunderts waren die Begriffe scientia und disciplina geläufig.780 In der Revision der taktischen Theorie des Saumaise bündelten sich die wesentlichen Stränge der Forschungsfelder und des Methodenverständnisses der hugenottisch geprägten Richtung im Späthumanismus. Die Milice, das französische Kompendium, respektive das DRMR sind sowohl das Ergebnis eines theoretischen Impulses, der von der Quellenforschung über die Quellenkritik zur Grundlegung taktischer Gesetzmäßigkeiten führt und sich, obgleich er eine Folge der von Scaliger und Casaubon781 aufgeworfenen Notwendigkeit einer Gesamtausgabe der

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16. Jahrhunderts. In: Philippe Büttgen, Ruedi Imbach et al. (Hg.), Vera doctrina. Zur Begriffsgeschichte der Lehre von Augustinus bis Descartes / L’ide´e de doctrine d’Augustin a` Descartes (Wolfenbütteler Forschungen, 123), Wiesbaden 2009, S. 265–282; besonders S. 269. Ebd., S. 278. Marrou: ›Doctrina‹ et ›disciplina‹ dans la langue des Pe`res de l’E´glise, S. 9f.; S. 10: »Disciplina, […], n’a pas toujours ce caracte`re uniquement intellectuel. Il lui arrive d’avoir un sens beaucoup plus riche que doctrina: disciplina signifie parfois non pas seulement enseignement, mais E´DUCATION, traduisant toute la richesse du grec παιδει α, qui implique non seulement l’e´le´ment intellectuell de l’e´ducation, mais aussi son aspect moral. […] de la notion d’enseignement, il retient souvent moins l’e´le´ment connaissance que la me´thode, les pre´ceptes, la RE`GLE que le maıˆtre impose a` l’e´le`ve«; S. 10f.: »applique´s, par exemple, a` un philosophe, doctrina de´signera ses opinions, ses the´ories, son enseignement au point de vue spe´culatif; sa disciplina c’est, au contraire, ce qui, dans cet enseignement, s’oriente vers l’action, la pratique: re`gles morales, attitude prescrite a` l’e´gard de la vie«; S. 10: Vor allem im militärischen Leben (vie militaire) wandten die Römer diesen Begriff an. Auf das Militärwesen angewandt bedeutet disciplina nicht immer ›art de la guerre‹, sondern die Gesamtheit der Regeln, der Vorschriften, der Ordnungsmaßnahmen, die wir heute noch Disziplin nennen und die, heute wie damals, die Hauptkraft der Armee ausmachen (›fait la force principale des arme´es‹, Veg., ERM, II, 3; II, 9; III, 1, 10 et al.). Ralf W. Stammberger et al. (Hg.): ›Scientia‹ und ›disciplina‹. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im Wandel vom 12. zum 13. Jahrhundert (Erudiri Sapientia, 3), Berlin 2002. Vgl. auch Gangolf Schrimpf, Gabriel Jüssen: ›Disciplina, doctrina‹, HWPh. Hg. v. Joachim Ritter et al., Bd. 2, Darmstadt 1972, Sp. 256–261. Der Artikel geht allerdings nicht über das Mittelalter hinaus. Dupuy 746, fol. 189 und folg.: ›Isaaci Casauboni chronologia Polybiana‹, minute autogr.

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antiken Taktiker ist, in der Interpretation, der Herausarbeitung von taktischen Gesetzmäßigkeiten von den Vorgängern, d. h. den Leidener Professoren Lipsius und Scaliger sowie Casaubon und allgemein der französischen und der italienischen Kritik abhebt. Die Systematik der Milice impliziert eine militärwissenschaftlich-systematische Kritik. Die Differenzierung von Disziplin und Kriegskunst ist an eine explizite Kritik des Disziplinbegriffs Justus Lipsius’ gebunden, der Saumaises Meinung zufolge nicht hinreichend differenziert ist. Die Zweiteilung in einen einleitenden, eine neue Systematik der Disziplin entwickelnden ersten Teil, einschließlich der systematischen Entwicklung des Disziplinbegriffs (discipline), und einen Hauptteil, der sich wesentlich mit der neu eingeführten Kriegskunst befasst, stellt kein Organisationsprinzip mehr dar. Saumaise konzipiert eine neue Systematik, die sich von dem gleichfalls systematischen lipsianischen Disziplinbegriff abhebt. Er wolle der von der Disziplin dissoziierten Kriegskunst den Hauptteil seiner Abhandlung widmen; letztendlich wendete er diese Systematik jedoch nicht durchgängig an – das unter dem Begriff der Kriegskunst subsumierte Gruppenexerzieren bleibt, im Unterschied zur Rekrutierung und zur Ordonnanz (maniere d’elire et d’ordonner les soldats), die die Perspektive auf die Schlachtordnung eröffnen, und den damit verbundenen Befehlshaber (vom General bis zum mare´chal de camp und dem mestre de camp und weiteren untergeordneten Befehlshabern), ausgeklammert –, so dass der Traktat insgesamt ein Entwurf blieb. Auch die Absicht, in den Hauptteil eine Differenzierung zwischen einer den Soldaten betreffenden Kriegskunst und eine den General betreffenden Kriegskunst zu integrieren, wurde (zumindest in der uns vorliegenden Handschrift) nicht umgesetzt. Tatsächlich zielte diese Kritik auf die militärwissenschaftlich-systematische und die damit verschränkte methodische Ebene des PolybiosKommentars Lipsius’. Lipsius ging hinsichtlich der Organisationsprinzipien des Traktats von seiner eigenen Definition der Milice aus, die folgende Elemente umfasst: dilectus, ordo, arma, acies (oder die bataille), disciplina. Er leite diese durch die Systematik und Wort für Wort ab. Er wolle die Worte Polybios’ an seine Gliederung angleichen. Da, wo Polybios Lücken aufweist, wolle er eigene Gedanken oder diejenigen anderer Autoren einfügen.782 Die Militärtheorie Saumaises bezeichnet den Übergang von einer Lebensform und eines militärischen Verhaltens zu einer davon distinkten Militärwissenschaft. Letztere war im früheren Humanismus bei Ma782

Milice romaine, KB, 128 A–5, fol. 3v: »Lesquelles je deduiray par ordre & mot a mot. Jadapteray les propres paroles de Polybe selon ces parties au moins tant qu’elles y seront. Et la` ou elles defaudront je tittray comme vne grange a cest habit ou de moy ou des autres.«

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chiavelli aber auch bei Erasmus und Ignatius von Loyola angelegt783 und wurde schließlich bei Justus Lipsius mit dessen Postulat eines vivere militare nochmals als ein an die beiden letzteren angelehnten auch zivilen Lebensentwurf der Weltdistanzierung gezeichnet.784 Saumaise hingegen hebt auf eine auf die kognitive Kompetenz des Befehlshabers gründende strategische Theorie ab, die die Kenntnis einer von der Disziplin und einer von der Kriegskunst geprägten Kriegführung und die Kenntnis der unterschiedlichen Formen der römischen militia voraussetzt. Casaubon hat in der Praefatio zu seinem Polybios-Kommentar diesen Übergang von einer Lebensform zu einer kognitiven Theorie vorbereitet, erachtete er doch die Geschichte nicht mehr als konstitutiv für eine Lebensform.785 Casaubon riet in erster Linie zu Polybios, der ein Philosoph war (»Philosophus enim erat«786) und zwar ein praktischer Philosoph, der eine philosophisch-pragmatische Lebensform nahelegte.787 Der Zweck der Kriegführung oder des Feldzugs sei der Sieg (vaincre), zu dem Disziplin (discipline) und Kriegskunst (science/art militaire) in gleichem Maße notwendig seien.788 In der Machiavellischen Theorie des Feldkrieges (industria della guerra campale) sei diese bereits angelegt: die Geschicklichkeit während des Feldzugs/das Verhalten im Krieg und das Wissen (disciplina), eine Schlacht zu entscheiden (AG, II)789. Lipsius hin783 784 785

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Keen: Militant Christianity in Erasmus’s Enchiridion and Ignatius of Loyola, S. 1. Sommer: Vivere militare est, S. 59–83. Vgl. Isaac Casaubon: Polibio. Hg. v. Guerrino F. Brussich, con una nota di Luciano Canfora, Palermo 1991, S. 100: »Enimvero quum dos praecipua, quae Polybium antiquis commendabat, non in eloquentia puda et verborum fucatorum lenocinio, sed in rerum politicarum et militarium exquisita explicatione sit posita; cujus gratia viri principes et politici omnes olim in pretio magno eum habebant; quia longe diversa hodie studiorum ratio obtinet, evenit, ut his praestantiam illius parum intelligentibus; verborum et linguae dumtaxat studiosi, pateinter eo carerent. Logqui enim, non vivere, plerique omnes hodie discimus: et historiam, quae vitae magistra audit, non ad vitam formandam referimus: sed vel ad linguarum alicuius notitiam, dicendive facultatem augendam, vel ad rerum antiquarum cognitionem percipeindam . atque ut Politicam et moralem Philosphiam, In qua consilium vitae regimenque locatum, aut omnino non docemur, aut non nisi disputandi caussa.« Ebd., S. 106. Ebd.: »Philosphus enim erat; sed vait, non lingua: operibus, non sermonibus: rebus ipsis, non professione et inani specie . porro ut poetae fingendo, historici narrando, sic philosophi monendo et praecipiendo vitam hominum corrigere propositum habent. Jure igitur suo est usus, cum diversa munera in unum conjungens, qua narrando, qua monendo simul humano generi prodesse est conatus . narratio, cognitione rerum variarum lectorem instruit: monitio, prudentia: quae observatione assidua colligitur caussarum, eventorum et omnium rerum in vita hominum evenire solitarum.« Milice, fol. 1. AG, 1961, S. 347: »E chi sa bene presentare al nemico una giornata [qui sa schierare vantaggiosamente le proprie truppe die fronte all’esercito nemico], offrendo battaglia, gli altri errori che facesse ne’ maneggi della Guerra sarbbono soppor-

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gegen sah (nach Vegetius) Kunst (ars) und Übung (exercitus) als Basis des Sieges. Obgleich es den Römern anfänglich gelang, den Sieg ausschließlich durch die Disziplin herbeizuführen, seien disciplina und ars/scientia militaris im Verbund für den strategischen Erfolg notwendig. Einzig der Niedergang der Disziplin, nicht aber die Wandlung der ars militaris führten zum machtpolitischen Verfall des Römischen Reichs. Sowohl der professionelle Soldat als auch der General bedürfen grundsätzlich gleichermaßen der Disziplin und der Kriegskunst.790 Dass die Römer durch die Disziplin siegten, bleibt auch bei Saumaise (wie bereits bei Machiavelli) kontingent. Der ›Sieg‹ sei im gleichwertigen Zusammenwirken der Kriegskunst bzw. Kriegswissenschaft der Befehlshaber und der Disziplin der Soldaten gewährleistet. Der erste Teil des Abre´ge´ de la milice des Romains nimmt sich der Disziplin an. Der zweite Teil oder auch Hauptteil des Abre´ge´ befasst sich mit der Kriegskunst, die sich auf die Aushebung (dilectus), die Hilfstruppen, die Bewaffnung, den Eid, die Markierungen, die Ordonnanz (ordo) der römischen Legion, darin inbegriffen die Strategeme und abschließend eine Auflistung der militärischen Funktionsträger bzw. Befehlshaber vom General über den mare´chaux de camp bis zu untergeordneten Befehlshabern (chefs) und Offizieren (officiers) bezieht. Die disciplina grenzte Saumaise von den Disziplinbegriffen der modernen lateinischen Kommentare und der vernakularsprachlich-französischen Kompendien ab, die sich mit der Kriegskunst auseinandergesetzt haben. Diese unterschieden nicht zwischen der Disziplin (discipline), den Ordonnanzen (ordres), den Übungen (exercices), den Strafen (chaˆtiments), den Gesetzen der Polizey (police) und den Beispielen (exemples), d. h. den vier Hauptteilen, die die gesamte Disziplin nach dem Kalkül von Justus Lipsius und derer, die ihm darin gefolgt sind, ausmachen: »En quoy ils sont grandement abusez.«791 Der erste Teil, der dem ordo/den ordines (ordres) vorbehalten bleibt, rekurriert nicht auf die Disziplin, sondern lediglich auf die Kriegskunst. Die Übungen beziehen sich je nach ihrer Art auf die Kriegskunst oder

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tabili; ma chi manca di questa disciplina, ancore che negli altri particolari valesse assai, non condurra` mai una Guerra a onore.« Milice, fol. 1f.: »Quel auantage pourra aussi auoir un General d’arme´e d’entendre a` bien faire ses ordres, ranger ses soldats en bataille, et en somme d’auoir un General d’armee d’entendre a` bien faire ses ordres, a` ranger ses soldats en bataille, et en somme d’auoir toute la science requise a` vn chef de guerre, s’il a des soldats qui ne peuuent endurer la fatigue, s’ils laschent le pied au premier chocq, s’ils n’obeissent point aux commandemens qui leurs sont faits de donner, ou de faire la retraitte, ou, si luy mesme auec toute la science et toute son experience manque de courage au fort de la bataille, et apprehende plus la mort que la perte de sa reputation.« Milice, fol. 5.

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die Disziplin. Die zwei letzten Teile, einschließlich der Beispiele und Belohnungen (exemples pour re´compenses) fallen unter die Disziplin, vermögen diese aber nicht hervorzubringen. Was die modernen Autoren in dieser Hinsicht in die falsche Richtung führte und sie dazu verleitet hat, ars und disciplina zu vermengen, ist, dass sie Vegetius folgten, der in einer Zeit geschrieben hat, in der weder Disziplin noch Kunst vorhanden und in der römischen Armee nicht mehr gebräuchlich waren. Was Vegetius davon schrieb, hat er den Alten entnommen, die er, wenn er die Kriegsdisziplin (discipline de guerre) als Wissenschaft (science) oder Waffenkunst (art des armes) begriff, darüber hinaus noch missverstand. Die Autoren, die im ›guten‹ Jahrhundert gelebt und geschrieben haben, als beide noch in Blüte (vigueur) standen, haben diese sehr wohl zu unterscheiden gewusst.792 Saumaise definierte die Disziplin als Kultur (police) oder Lebensform (forme de vivre) und die Ausbildung der Soldaten im Marschieren, Logieren oder Gefecht nach den etablierten Gesetzen oder Statuten, sei es durch den Herrscher, unter dessen Auspizien sie kämpfen, oder durch den General der Armee, der sie führte.793 Der militärwissenschaftlich-systematische Disziplinbegriff Lipsius’ leistet keine anthropologische Differenzierung zwischen der Kriegführung und dem Verhalten im Krieg. Die Disziplin sei nicht, wie Lipsius dies darlege, eine von einem bestimmten Gesetz (loi) vorgeschriebene Form der Kriegführung und des Verhaltens im Krieg. Lipsius’ zufolge sei die Disziplin (discipline) nichts als eine Ordonnanz (ordonnance) und ein bestimmtes Gesetz (loi) der Kriegführung und betreffe die Verhaltensregeln während der Kriegführung (s. DMR, V, 1). Dennoch impliziere die Disziplin die Zeit (temps), die Art (manie`re), die Funktionen (fonctions) und die Aktionen (actions) des Krieges, die von Polybios größtenteils, jedoch nicht hinlänglich differenziert und vollständig aufgegriffen worden seien.794 Tatsächlich hat Lipsius in DMR, wie auch in seiner Definition des Militärs (milice) zum Ausdruck kommt,795 keine Gesetze der Kriegführung dargelegt, sondern das militärische Verhalten unter einem Gesetz des Krieges, das weder inhaltlich noch formal konkretisiert wird. Der eine der beiden Teile, beschreibt die Disziplin, während der andere Teil die Kriegskunst definiert: Was auch immer die Soldaten an Gutem tun, so bewegen sie sich in den Begriffen der Disziplin 792 793 794

795

Ebd. Ebd. Milice romaine, KB, 128 A–5, fol. 3f.: »elle n’est autre chose qu’vne Ordo(n)nance et vne certaine loy, de faire la guerre et de se co(n)duire en la milice. Pourtant elle contient le temps, la maniere, les fonctions, et les actions de la Guerre. Lesquelles choses Polybe traicte pour la pluspart, co(m)bien que ce ne soit pas assez distinctem. ny pleinement.« Polybios unterlässt jedoch etwas, auf das Lipsius an anderer Stelle einzugehen verspricht. Ebd., fol. 3v.

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(dans les termes de la discipline), weil es ihnen obliegt diese zu befolgen. Wenn ein Soldat hingegen alle Bewegungen mache, die der Armee unterschiedliche Formen verleihen, so folge er nicht der Disziplin, sondern der Militärwissenschaft (science militaire). Die Disziplin sei daher nicht, wie der ›gelehrte Lipsius‹ sie definiert hat, eine vorgeschriebene Form (forme prescrite) und ein bestimmtes Gesetz der Kriegführung (une certaine loy de faire la guerre) und ein Verhalten im Krieg (se comporter en guerre): vielmehr definiere das eine Moment die Disziplin und das andere die Kriegskunst.796 Saumaise trennte in eine Disziplin (discipline), die eine militärische Verhaltenstheorie (se comporter en guerre/[se conduire en la milice]) und Lebensform (forme de vivre) fasst, und eine Handlungstheorie, der art oder science militaire, die ein Handeln nach den Gesetzen und den Methoden der griechisch-byzantinischen taktischen und strategischen Theorie nahelegt. Weder Machiavelli, noch Lipsius haben diese Differenzierung geleistet, sondern die Prinzipien der Kriegführung respektive die Strategie auf die Grundlagen der römisch-vegetischen disciplina gestellt, der die Kenntnis über die griechische Strategie und Taktik abhanden gekommen war. Lipsius war sich, wie das Gros der modernen Philologen durchaus der historisch-philologischen Tatsache bewusst, dass Vegetius die Einrichtungen (instituts) und Sitten (coustumes) der alten und seiner Zeit vermengte und undifferenziert nebeneinander stellte.797 Aber offensichtlich gelang es in den Augen einiger Philologenkollegen nicht, Polybios und die griechischen Methoden der Truppenausbildung in Einklang zu bringen. Gleich Vegetius behandelte er kaum die Elementartaktik und verwandte viele militärische Begriffe aus der Zeit der Römischen Republik.798 Machiavelli hatte die Logisierung der Geschichte nach der Verfassungstheorie des Polybios zwar mit einer Verhaltenstheorie verbunden, aber nicht mit einer Episteme. Er leistete, wie auch Lipsius, der zwar das Handeln an eine neustoische Logik band und den Begriff der militärischen Klugheit einführte, keine Bindung an eine episteˆmeˆ, wie sie ins796

797 798

Milice, fol. 34: »En somme, quoy qu’ils [Soldaten] fassent de bonne et de genereux, ils sont tousiours dans les termes de la discipline, & comme c’est a` eux de l’obseruer, c’est au chef d’en exiger l’obseruance et la faire garder. De plus si un soldat entend bien, et fait bien tous les mouuements qui donnent [les] diuerses formes a` vne arme´e, il ne les fait pas suiuant la discipline, mais selon la science militaire. La Discipline n’est donc pas, comme le scauant Lipsius la voulu definer une forme prescrite et vne certaine loy de faire la guerre et de se comporter en guerre, l’un de ses members definit la discipline et l’autre l’art militaire.« Milice romaine, KB, 128 A–5, fol. 3. Everett Wheeler: The Legion as Phalanx, Chiron, 9 (1979), S. 317: vermutlich spiegelt sich in Vegetius’ Terminologie eine republikanische Quelle, und seine Beschreibungen lehnen sich eng an Livius 8, 8, 3–18 an.

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besondere die griechische Militärtheorie kennzeichnete, die durch Sokrates in den Rang einer höheren Wissenschaft gelangte,799 zurückgebundene militärische Handlungstheorie. Die Disziplin (disciplina) in Verbindung mit der Tugend (virtus) und der Klugheit oder dem römischen Begriff der strategemata (Kriegslisten) definierte bei Machiavelli ein politisches Verhalten. Lipsius, der unter gewandelten politischen Bedingungen schrieb, verließ den politischen Kosmos nicht, wenn er die politische Tugend der Klugheit (prudentia; der auf die im Unterschied zur episteˆmeˆ auf die polis bezogenen phronesis), die im Unterschied zur episteˆmeˆ (Intellekt) ein politisches Verhalten darstellt als heuristische Kategorie annahm und unter ihr auch die vegetisch-römische disciplina fasste, die ein auf Tugend und Kraft (virtus et robur) basierendes Verhalten im Krieg beschreibt. Die militärische Disziplin besteht nach der Auffassung Saumaises in einer Regelung des Lebens und einer Lebensform, sowie einem Verhalten, das den schriftlichen und nichtschriftlichen Ordonnanzen der Befehlshaber entspricht.800 Die Saumaissche Heuristik der antiken Militärtheorie folgt der Unterscheidung von Kriegswissenschaft und Disziplin. Auf diesem Hintergrund kann die Deutung Frontinus’ und Vegetius’ durch Saumaise verstanden werden. Machiavelli rezipierte Frontinus in der Arte della guerra als einen genuin römischen Strategen über die Kriegslisten,801 d. h. 799

800

801

Bauer: Die Anfänge der Kriegswissenschaft, S. 12: »Die griechische Kriegswissenschaft hat, sobald sie auf eigenen Füßen zu stehen begann, den Versuch gemacht, ihre Lehre auf die breiteste Grundlage zu stellen, sie bezeugt damit ihre Abstammung von der griechischen Philosophie.«; S. 4: »Wie nun Sokrates überhaupt gegen die rein äußerliche Auffassung der sophistischen Lehrmethode sich wendete und jede Disziplin auf eine breitere und allgemeinere Grundlage gestellt wissen wollte, so richtete sich sein Spott auch gegen diese Lehrer der Kriegswissenschaft, und er zeigte seinen Zuhörern, daß die Taktik nur ein geringer Teil dessen sei, was der künftige Feldherr wissen müsse.«; ebd. S. 6: »In den Memoiren über seinen Verkehr mit Sokrates hat Xenophon die Grundsätze der Philosophischen über die kriegswissenschaftliche Lehre aufgestellt, in seiner Kyropädie das Idealbild eines nach den sokratischen Prinzipien gebildeten König-Generals entworfen.«; S. 7: »Für den praktischen Gebrauch hat nach dem Schema des Sokrates Aeneas von Stymphalos alles das dargelegt, was der Feldherr wissen muß, durch ihn ist die Kriegswissenschaft unter dem Namen der Strategik als Lehre im engeren Sinn begründet worden; Xenophons Schriften bilden den notwendigen Uebergang von den dürftigen taktischen Unterweisungen der Sophisten und Hoplomachen zu diesem Werke.« Milice, fol. 16: »la Discipline militaire n’estant autre chose, suiuant la definition que nous en auons baille´, qu’vne police et forme de viure et de se comporter regle´e par les ordonnances des chefs de guerre tant e´crites que n’on [sic] ecrites, a` laquelle tous ceux qui se font enrooller pour faire profession des armes, se doiuent tenir, s’ils n’en veulent encourir ou l’ignominie, ou la punition determine´e par lesdites ordonnances.« Die Zitate Machiavellis stammen ausschließlich aus den Büchern I–III der Kriegslisten des Frontinus, die sich mit den strategemata befassen.

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die List, die Täuschung und den Betrug (fraus), demnach über eine Verhaltensweise, die als ›machiavellistisch‹ in die politische Ideengeschichte eingehen sollte.802 Saumaise hingegen sah bei Frontinus die Differenzierung von strategem und strategemata angelegt, die Vegetius, dem spätrömischen Theoretiker der res militaris, abhanden gekommen war. Der Suche Saumaises nach dem byzantinischen Anonymus scheint daher weniger das Interesse an neuen Paradigmen der Elementartaktik zu entnehmen zu sein, sondern mehr das Interesse an strategischen Regeln für die Landstreitkräfte.803 Die Form und das Gesetz der Kriegführung beziehen sich Saumaise zufolge einerseits auf die (angewandte) Strategie und die Taktik (Elementartaktik), andererseits auf das Verhalten im Krieg, das die Disziplin bezeichnet. Das Konzept einer vegetisch-römischen Kriegführung impliziert im Unterschied zum griechischen und byzantinischen Traditionsstrang eine Ableitung der Strategie von der Kategorie der Disziplin. Frontinus differenzierte Saumaise zufolge nicht nur zwischen Militärwissenschaft (etwa mit dem griechischen strategemen zu identifizieren) und Strategemata (stratage`mes), sondern auch und im Unterschied zu dem ihm nachfolgenden Vegetius zwischen Militärwissenschaft (science militaire) und Disziplin (discipline). Den Grund für die durch Lipsius nicht vorgenommene Differenzierung zwischen Disziplin und Militärwissenschaft sah Saumaise darin, dass Lipsius im Hinblick auf die Grundlagen seiner Militärwissenschaft weitgehend Vegetius folgte. Saumaise zielte nicht nur darauf, die lipsianische Auffassung der Disziplin auf der Grundlage einer Hermeneutik (die chronologische Kritik verbindet sich mit der ars hermeneutica) der antiken taktischen Theorie zu revidieren, sondern er brach gleichzeitig mit dem spätrömischen Militärtheoretiker Vegetius, dessen Werk in einer Phase der Dekadenz der römischen Militärgeschichte entstanden war. An dieser Stelle wird deutlich, wie die philologische Kritik mit der systematischen verschmolz, zumal Saumaise die neue, sich von Lipsius abhebende Systematik aus 802

803

Neal Wood: Frontinus as a Possible Source for Machiavelli’s Method, JHI 28 (1967), S. 243–248. Eduard Lammert, Friedrich Lammert: Art. ›Kriegskunst‹, RE, 22. Halbbd., Stuttgart 1922, Sp. 1828 und Sp. 1834: F. Lammert entwickelt seinen Artikel ›Kriegskunst‹ in der RE entlang der Definition der Taktik des Landheeres des byzantinischen Anonymus (XIV, 1.2): 1. Zusammensetzung oder Einteilung und Bewaffnung des Heeres; 2. Elementartaktik; 3. die angewandte oder höhere Taktik und die Strategie; vgl. ebd., Sp. 1833f.: Die griechischen Taktiker haben die Taktik verschieden definiert: Polybios als die Kunst auszuwählen, in Rotten einzuteilen, mehrere Rotten zu kleineren und größeren Abteilungen zu vereinigen, für den Krieg auszubilden. Das Richtige dürfte der byzantinische Anonymus (XIV 1.2) getroffen haben, dessen Definition die Teile der Taktik enthält, die schon oben angeführt und auch der folgenden Darstellung zu Grunde gelegt worden sind.

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dem Begründungszusammenhang der antiken römischen Literatur bezog.804 Vegetius, so Saumaise, vermenge die Disziplin mit der Kriegskunst, da er in seiner historisch unkritisch vorgehenden, chronologisch ungenauen Kompilation keine Unterscheidung von Wissenschaft und Disziplin leiste.805 Die militärwissenschaftliche Heuristik des Saumaise basiert wesentlich auf einem in der antiken taktischen und strategischen Theorie gegebenen Akkulturationsmodus. Insbesondere Frontinus und Polybios, der zum Kreis der Scipionen gehörte, statuierten gleichermaßen in ihrer taktischen und strategischen Theorie ein Akkulturationsmodell in der Zusammenführung und gleichzeitigen Differenzierung griechischer und römischer Form der Kriegführung. Im Unterschied zur römisch begründeten Militärtheorie Machiavellis und Lipsius’ hatten sich Patrizi, Scaliger und insbesondere Casaubon der griechischen Tradition zugewandt. Saumaise verwarf nicht nur die Definition, sondern auch die Systematik der Lipsianischen disciplina: Die Vierteilung des Lipsianischen Disziplinbegriffs in Übung (exercice), Ordonnanz (ordre), Bestrafung (chaˆtiment), Beispiele (exemples) (Pol., V, 13) hielt er für unkorrekt und antwortete mit der Entwicklung eines Disziplinbegriffs, der lediglich die letzten beiden Momente, d. h. die Belohnung (mit Einschränkung), die Bestrafung und das auf die Ausbildung von Körperkraft und Mut ausgerichtete Individualexerzieren der Disziplin zuordnet. Die Ordonnanz (ordre, ordo), das Gruppenexerzieren und die Waffenübungen fallen unter die Kriegskunst oder Kriegswissenschaft. Die Kritik Saumaises verdeutlicht nicht zuletzt die systematischen Schwächen des lipsianischen Disziplinbegriffs, der offensichtlich zu wenig bzw. überhaupt nicht der technisch-taktischen Komponente, die in der Handbuchliteratur und bald auch in den Ordonnanzen (der Staats804

805

Milice, fol. 13; vgl. Dominique Morineau: La Re´ception des historiens anciens dans l’historiographie franc¸aise, fin du dix-septie`me sie`cle-de´but du dix-huitie`me, The`se Doct. Litt. franc., Paris IV, 1988, Paris 1988. S. 15: Der Vorzug den man Tacitus, Titus Livius oder Polybios einräumte, korrespondierte mit bemerkenswerten Unterschieden in der Geschichtsauffassung. Das Vorgehen der Gelehrten bestand darin zu sammeln, zu koordinieren und die unterschiedlichen verstreuten Zitate in einem System zusammenzufassen; S. 20: »Une fois leve´ l’obstacle de principe, reste a` construire la the´orie de l’histoire, a` rassembler les pre´ceptes he´te´roclites que l’on trouve chez les Anciens.«; S. 23: »On peut en effet distinguer deux traditions dans la reflexion de la Renaissance sur l’histoire: celle des Italiens, dans le droit fil de l’humanisme, et celle des Franc¸ais qui de´velopppent une conception autonome.«; S. 41: »Sans chercher a` e´tablir une typologie exhaustive – et arbitraire – de ces textes multiformes, nous voudrions nous borner de carner les deux configurations les plus fre´quentes de la re´flexion historique, ou` la forme meˆme adopte´e a` chaque fois traduit deux sensibilite´s fort differetens dans l’interpre´tation de l’he´ritage antique: ce sont d’une part les artes historicae et d’autre part les me´thodes pour la lecture de l’histoire.« Milice, fol. 5.

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praxis) eine zentrale Rolle im Ausbildungssystem des Soldaten spielen sollte, eingedenkt. Die neue Systematik Saumaises, die sich auf zwei zeitlichen Ebenen bewegt (römische Geschichte und Moderne), nimmt den disziplinierten römischen Soldaten nicht mehr als Modell für die Gegenwart an, sondern löst sich in einer Differenzierungsleistung von einer Kampfhandlung, die in erster Linie auf Kraft und mentaler Stärke beruht, wie sie die römische charakterisierte, indem er kategorisch eine auf den griechischen Methoden basierende Kampfhandlung davon abgrenzt. Saumaise fordert zunächst eine Differenzierung folgender Kategorien: Die Disziplin und die Kriegskunst/Militärwissenschaft. Die Disziplin bezieht sich auf das Exerzieren, Belohnung, Strafen, ganz allgemein die militärischen Gesetze (lois militaires), die Lebensweise der Soldaten, die sich nach den etablierten militärischen Statuten respektive den Vorgaben der Herrscher richtet, Übungen (exercices), Strafen (chatiments) und Gesetze (lois), Polizey (police) und Krieg (guerre), Beispiele (exemples) und Belohnung (re´compenses), Polizey (police) und Lebensform (forme de vivre). Die Kriegskunst respektive Kriegswissenschaft befasst sich mit der Aushebung (dilectus), der Ordonnanz (ordo), dem Gruppenexerzieren, den Bataillonsformationen, einem sich auf die Waffenhandhabung beziehenden Individualexerzieren und die Schlachtordnung. Gerade in dieser Hinsicht haben die modernen Autoren sich geirrt. Bei Saumaise erfolgte damit, wohl in Anschluss an Jean Bodin und Isaac Casaubon, eine kulturtheoretische Ausdifferenzierung taktischer Theorie und militärischer Anthropologie, wie sie sich in dieser termi-

art militaire

discipline militaire

ordre

exercices

x

x (Gruppenexerzieren) x (Individualexerzieren: Waffenhandhabung) x (Individualexerzieren : Ausbildung von Kraft und Mut)

chastiments, loix, police de la guerre

exemples récompenses

(x)

(x)

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nologischen Präzision bei Lipsius nicht findet. Saumaise entwickelte seine militärische Anthropologie und die theoretisch unterschiedlich begründeten militärischen Ausbildungssysteme an seiner Heuristik der antiken taktischen Theorie, die er mittels der griechischen Episteme, d. h. des Geschichtsschreibers Polybios und der griechisch-byzantinischen Militärtheorie erschloss. Damit rückt er in die Nähe der Methodus von Bodin, deren Ziel es war, Regeln für die Lektüre bereitzustellen (ars legendi). Damit wird der politisch induktive Zugang Machiavellis zum römischen kulturellen Paradigma und der Bruch mit der griechischen politischen Philosophie auf eine Ebene gehoben, auf der sich griechische Epistemologie, historische Kritik und das römische Kulturmodell verbinden und die Perspektive auf eine rationale, genuin intellektuelle Erfassung der Regeln des Aufstieg Roms (einer Zivilisation) ermöglichen: Die Geschichte Roms wird durch einen griechisch-hellenischen epistemischen Standpunkt in ihrer Totalität erfasst.806 Der Historiker wird zum Philosophen.807 Einerseits wird der Leser mit einer modernen anthropologischen und systematischen Ausdeutung des Disziplinbegriffs konfrontiert, die sich an die griechische taktische Theorie anlehnt, andererseits wird der römische Disziplinbegriff im Zusammenhang einer Kulturtheorie, d. h. dem Konzept der Blüte und Dekadenz – mit dem Begriff der vigueur, der sich an den Begriff der virtus anlehnt, jedoch nicht im Sinne, wie noch bei Machiavelli, einer auch individualethischen Kategorie – sowie im 806

807

Marie-Dominique Couzinet: Histoire et me´thode a` la Renaissance. Une lecture de la Methodus ad facilem historiarum cognitionem, Paris 1996, S. 158: »Outre une garantie d’exte´riorite´ par rapport a` leur objet, les historiens grecs de l’histoire romaine apportent des crite`res de jugement de la ve´racite´ des auteurs et un souci de totalisation du donne´ historique auquel Bodin est particulie`rement sensible chez certains. Les plus appre´cie´s de lui, Polybe et surtout Denys d’Halicarnasse, ont un souci de totalisation du donne´ qui se traduit par une fac¸on particule`re d’unir les histoires.« Ebd., S. 158: »L’exigence de ve´rite´ de l’histoire confe`re a` l’historien une position qui l’e´gale au philosophe, dans une association ine´dite entre histoire, droit et philosophie. Et l’on peut se demander si, en de´plac¸ant l’inte´reˆt du droit romain vers le droit universel et du droit universel vers la civilis disciplina et l’histoire universelle, en passant par l’histoire romaine, Bodin ne transfe`re pas a` l’histoire des pre´rogatives qui avaient e´te´ celles du droit, notamment le caracte`re de vera philosophia qui faisait de lui et maintenant de l’histoire, la voie vers la sagesse. On comprend les he´sitations de Bodin dans la longue discussion qu’il entame pour de´cider si l’historien est ou non habilite´ a` juger: de son impartialite´ de´pend sa fide´lite´ a` la ve´rite´, mais dans la mesure ou` il a les moyens d’un re´cit vrai, il atteint rien moins que la connaissance du bien et du mal. L’historien capable d’acce´der a` la ve´rite´ tel que le de´finit Polybe s’e´le`ve a` un point de vue quasi divin. Au nom de quoi est-il habilite´ a` juger, si ce n’est au nom d’une connaissance vraie qui peut seule faire de lui un juge impartial?«

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Zusammenhang der Kampfhandlung, die im Unterschied zur modernen, auf den griechisch-byzantinischen Ausbildungsmethoden, der körperlichen Stärke, der Kraft des Einzelnen beruht, an einem chronologischen Raster (in der lateinischen Fassung) entwickelt. Im Unterschied zu Saumaise assimilierte Lipsius, der seinen Exerzierbergriff (virtus et robur) noch an Vegetius orientierte, theoretisch noch nicht die auf die modernen Handfeuerwaffen applizierten griechisch-byzantinischen Exerziertechniken, bei denen das Moment des Drills, der nach den taktischen Methoden der griechisch-byzantinischen Literatur gelenkte Körper eine herausragende Rolle spielt, wie sie in den Exerzierhandbüchern der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Legion wurden. Saumaise entwickelte den römischen Disziplinbegriff und fand darüber hinaus die anthropologischen Pendants zu den auf der taktischen Theorie der Griechen basierenden Exerzierformen, die sich mit den modernen Handfeuerwaffen als kompatibel erwiesen. Der römisch-vegetische Disziplinbegriff erwies sich nicht nur als inkompatibel mit den modernen Feuerwaffen, sondern bleibt auch hinsichtlich der Ausbildungsmethoden auf das Lager beschränkt. Saumaise ging jedoch über den an das Lager gebundenen Disziplinbegriff und die ihm inhärierende defensive Kriegführung hinaus und zeichnete die Schlacht/das Treffen (acies, bataille) als den Hauptteil von Kriegskunst und Kriegswissenschaft. Dabei nahm er die militärische Anthropologie mit der Einführung der Kriegskunst als deren Hauptteil an, eine offensive Theorie der Kriegführung. Der Bruch in der militärischen Anthropologie und die in einer Hermeneutik antiker taktischer Theorie gewonnene Differenzierung zwischen Disziplin und einer der zeitgenössischen Kriegspraxis näher stehenden Kriegskunst bzw. Wissenschaft korrespondierten mit einer Verschiebung in der anthropologischen Grundlegung der Kriegführung von einem auf das Lager bezogenen Ausbildungssystem zu einer vornehmlich auf den Praxisbereich der Schlacht bezogenen Kriegführung. Dabei ist zu bemerken, dass hinsichtlich der militärtheoretischen Systematik eine Verankerung auf beiden Ebenen erfolgte. Saumaise ordnete als erster humanistischer Gelehrter die aus der griechisch(-byzantinischen) Militärtheorie geschöpften taktischen Methoden eines systematischen Einzel- und Gruppenexerzierens, wie es im theoretisch-praktischen Komplex der Kriegskunst der Nassau-Oranier und der Kriegspraxis Gustav Adolfs von Schweden und dem französischen Truppenexerzieren auftrat, der Kategorie der Kriegskunst, d. h. der intellektuellen mit dem Verstand (entendement) übereinstimmenden Komponente der Militärtheorie, zu. Das will nicht heißen, dass die Kampfhandlung, die die Handhabung der Waffen und die koordinierte Aktion der Soldaten impliziert, a priori dem Bereich der Kriegskunst zuzuord-

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nen ist. Gerade bei den Römern dominierte in der Kampfhandlung wegen der schweren Bewaffnung und Rüstung die Disziplin, d. h. die Kraft und der Mut.808 Der militärische Humanismus Saumaises emanzipierte sich damit von einer römisch geprägten Militärwissenschaft. Das römische taktische und strategische Modell in der Reduktion auf die Kampfweise des einzelnen Soldaten war vom theoretischen Standpunkt aus kein Modell für die Soldaten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Demnach folgt die Kriegskunst dem römischen Modell exogenen Kriterien: einerseits der Hinwendung zum griechisch-hellenischen Denken – für das Polybios, die griechische Episteme (nou`s) bzw. die Konzeption intellektueller Tugenden stehen;809 andererseits und mit dem genannten epistemischen Standpunkt in Zusammenhang stehend in der klaren Differenzierung im Hinblick auf die strategische Theorie zwischen Stratageme und strategemata;810 andererseits dem zeitgenössischen militärischen Methodenverständnis, das an die Rationalisierungstendenz in der taktischen Theorie und den Ausbildungsmethoden anschließt. Saumaise führte das Gruppenexerzieren als Kategorie der Kriegskunst an. Er nannte die für die charakteristischen Wendungen, halben Wendungen, Schwenkungen, Inflexionen und Stellungsänderungen, Verdoppelung der Ränge und der Reihen und die daraus folgenden Bewegungen – »Ce qui est des tours & demitours, des euolutions, inflexions, changemens de place doublement de rangs & de files et tout ce qui s’ensuit.«811 Damit schlug er die Brücke zur griechischen und byzantinische Taktik und den zunehmend auftretenden Exerzierhandbüchern in der französischen Militärliteratur sowie zu den 1635 in die französische Armee eingeführten Exerziermethoden. Mit den beiden letzten Kategorien der Bestrafung und den Auszeichnungen verhält es sich komplizierter, denn diese sind weder der Disziplin noch der Militärwissenschaft oder Kriegskunst zuzuordnen. Die Strafen und die Belohnungen sind nicht Teile der Disziplin, sondern Mittel, durch die Kriegsgesetzgebung (Gesetze des Krieges) die Disziplin aufrecht zu erhalten. Neben die kategoriale und militärwissenschaftlich-systematische Entwicklung der Begriffe der Disziplin und der Kriegskunst lagert sich deren Bedeutungsgehalt, der sich an unterschiedlichen anthropologischen Leitbildern festmachen lässt.

808 809

810 811

Vgl. auch: Du Bellay: Discipline militaire, I, 4, 23v. Couzinet: Histoire et me´thode a` la Renaissance, S. 158: »L’historien capable d’acce´der a` la ve´rite´ tel que le de´finit Polybe s’e´le`ve a` un point de vue quasi divin.« Wheeler: Stratagem. Milice, fol. 8.

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Anthropologische Dichotomie von Intellekt und Wille Saumaise unterschied zwischen einer Lebensform (forme de vivre), die die Disziplin bezeichnet, und intellektuellen Tugenden. Anders als die art/science militaire ist die Disziplin keine intellektuelle Tugend. Sie bezieht sich auf die Arbeit und die körperliche Übung.812 Der Disziplin ordnet er die ›Tätigkeit des Willens‹ (volonte´, action de la volonte´, actions qui proce`dent de la volonte´, moeurs, les moeurs et les actions qui procedent de la volonte´) zu. Der Kriegskunst ordnet er den dem Bereich des Verstands oder Denkvermögens zugehörigen Teil zu: Sitten bzw. Verhaltensweisen (moeurs) und Tätigkeiten (actions), die sich auf den Intellekt (intellect), den Verstand (entendement) oder auch das Gegenteil von Unkenntnis (ignorance) beziehen. Hier scheint die Platon-Rezeption Bodins und Patrizis, der sich bei diesem ebenfalls mit Polybios und der griechischen taktischen Theorie verbindet, die wiederum in die Nähe des tugendhaft-christlichen Philosophenkönigs des Erasmus der Institutio principes christiani (1615) rückt, durchzuscheinen. Diese Anthropologie hat, wie man aufgrund der zeitlichen Koinzidenz annehmen könnte – der Übergang von der Klugheit (prudentia) zur Vernunft (ratio) vollzog sich in der Militärwissenschaft nahezu zeitgleich mit dem Discours de la me´thode (1637), nichts mit dem Rationalismus Descartes gemein, der sich von Augustinus herleitet.813 Es wäre jedoch reduktionistisch diese philosophisch-anthropologisch begründete Befehlsordnung (Wille vs. intellektuelle Tugend) mit einem sich von einer augustinischen Anthropologie abhebenden stoischen Anthropologie zu identifizieren. Die Disziplin (discipline) sei denen zu eigen, die gehorchen. Ein Befehlshaber (chef) bedürfe daher nicht der Disziplin, sondern der Tugend (vertu). Die Befehlshaber zeichnen sich nicht durch Disziplin, sondern durch Gerechtigkeit, Gewissenhaftigkeit, Tapferkeit und andere Tugenden aus, die in ihnen die Handlung hervorrufen.814 Die Qualitäten des 812

813

814

Milice, fol. 16: »il y a plus de raison a soutenir que le trauail & les exercices, desquels nous auons discouru, ne font pas seulement vne partie de la discipline, Mais en font le total fondement.« Descartes’ wissenschaftstheoretischer Hintergrund ist nicht stoisch, sondern augustinisch: Vgl. Stephen Menn: Descartes and Augustine, Cambridge 1998, S. 393: Descartes wendet die Theodizee Augustinus’ an, um Regeln der wissenschaftlichen Methode zu konstruieren; er wendet Augustinus’ Gottesbegriff als die Quellen mathematischer Richtigkeit an, um die Prinzipien der mechanischen Physik abzuleiten. Descartes entnahm Augustinus keine metaphysischen Thesen, sondern eine auf die Weisheit angewandte Disziplin und daher auch eine Reihe intellektueller Intutionen, die von dieser Disziplin hervorgebracht wurden. Milice, fol. 34: »La Discipline est donc de ceux qui obeissent […] et non de ceux qui commandent. Ce que fait vn chef de guerre, ou il paroist quelque marque de iustice [,] de conscience, de vaillance, & autre vertu, se qualifie du nom de cette mesme vertu, qui a` produit en luy cette action et ne prend point d’autre titre.«

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Soldaten wie Nüchternheit, Enthaltsamkeit und Gerechtigkeit sind der Disziplin zugeordnet. Ist diese Dichotomie von Intellekt-Wille, von Befehl-Gehorsam zwingend stoisch, wie dies die Deutung Oestreichs nahelegt? Gälte es der Polarisierung philosophischer Anthropologie in eine stoische, eine Dichotomie von Befehl und Gehorsam begründende, und eine ›augustinische‹, die den (kontingenten) Willen, das ›Herz‹ (cor) ins Zentrum stellt zu folgen (Cassirer, Bouwsma, Miller),815 so könnte man Saumaise freilich nur der Stoa zuschlagen, bekannte er sich doch selbst zu deren philosophischer Lehre. Die Dichotomie von Befehl und Gehorsam – in der Moderne meist im Zusammenhang einer Relation von Befehl und Gehorsam qua Disziplin (vgl. Weber 1972, 29 et al.) gedeutet – ist nicht zwingend mit der Stoa zu identifizieren. In Augustinus’ politischer Doktrin (De civitate Dei) tritt gleichfalls eine Dichotomie von Befehl und Gehorsam auf.816 Die Universalhistorie Polybios’ konnte seit Casaubon (1617) komplementär zur ›katholischen Geschichte‹, zu Augustinus gelesen werden. Freilich ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Doktrin des Calvinisten Saumaise und derjenigen eines anglikanischen Tendenzen zugeneigten Casaubon unterschiedliche Entwicklungen angelegt sind. Auf der Ebene der Geschichtstheorie und der darin implizierten Anthropologie ist aber durchaus denkbar,817 dass Polybios analog zur Patristik und zu Augustinus im Besonderen gelesen werden konnte. Die Disziplin und die damit verbundene körperliche Arbeit wird anders als die Kriegskunst im Lager verortet. Dass die Kampfhandlung der Römer primär auf der Disziplin beruhte und nicht auf der Geschicklichkeit und der Kunst, verdeutlicht, dass Saumaise sich in seiner Differenzierung auf zwei Ebenen bewegte: einer modernen, die die militärischen Methoden seiner Zeit und die griechische taktische Theorie gleichermaßen berücksichtigte und einer, die sich unmittelbar an dem römisch-vegetischen Ausbildungsmodell orientierte. Im Unterschied zu Lipsius, dessen Werk am Beginn respektive parallel zu der Ausbildung und Verbreitung oranisch-holländischer Methoden der Truppenausbildung in den Handbüchern, Exerzierreglements und Ordonnanzen entstand, versuchte Saumaise eine Angleichung der militärtheoretischen Systematik an das Novum des systematischen Truppenexerzierens nach der griechischen und byzantinischen taktischen Theorie, wie es in einer 815 816

817

Vgl. Bouwsma: The two Faces of Humanism, S. 10f. Myung-Ai Cho: La the´orie des deux cite´s et le pouvoir politique selon saint Augustin. In: Jean Jehasse, Antony McKenna (Hg.), Religion et Politique: Les avatars de l’augustinisme. Actes du colloque organise´ par l’Institut Claude Longeon a` l’Universite´ Jean Monnet Saint-E´tienne du 4 au 7 octobre 1995, Saint-E´tienne 1998, S. 11. Vgl. Bouwsma: The two Faces of Humanism, S. 49f.

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Reihe von Handbüchern zur Truppenausbildung ab ca. 1603 zunehmende Verbreitung gefunden hatte. In den Militärtraktaten dieser Zeit, die den General Moritz von Oranien als Modell zeichnen, wird auf die art und science abgehoben, die diesen bereits in der Jugend auszeichnete: Moritz habe erkannt, dass die Körperkraft (force corporelle) im Krieg nichts ohne die ›artifizielle‹ vermöge.818 Die militärwissenschaftlich-systematischen Gesetze, die eine militärische Anthropologie begründen, werden als militärwissenschaftliche Systematik des Abre´ge´ selbst angenommen. Der Kriegskunst oder Kriegswissenschaft ist der Hauptteil der Milice gewidmet; dieser bezieht sich wesentlich auf die Aushebung (dilectus) und den ordo, die »maniere d’e´lire et d’ordonner les soldats«. Rekrutierung und Ordonnanz sind verschränkt. Die Aushebung ist gleich dem Eid (serment/sacramentum), den Markierungen und der Frage der Bewaffnung (aus dilectus), der Schlachtordnung (aus ordo) und zwei Arten von Befehlshabern (chefs) darunter subsumiert. Dem Mut auf der Grundlage physischer Kraft als Ergebnis des Individualexerzierens geht in der militärischen Ausbildung der Konditionierung und Abrichtung des Soldaten voraus. Derjenige, der stark und belastbar sei, habe mehr Mut und einen stärkeren Willen richtig zu handeln und bleibe stärker und standhafter, obgleich er nicht von der Furcht fehl zu handeln aufgrund der Bestrafung getrieben werde, denn darin bestehe die Disziplin. Saumaise folgerte demnach, dass die körperlichen Übungen, die sich nicht an die Kunst anlehnen und lediglich dazu beitragen, den Soldaten kräftiger und ausdauernder in der Arbeit zu machen, auch dessen Mut stärken. Daher entstehe die Motivation, richtig zu handeln und die Angst vor der Verfehlung, woraus die Belohnung oder die Bestrafung folgen. Allein diese fallen unter die Begriffsbestimmung der Disziplin, nicht aber die anderen.819 An gleicher Stelle wird betont, dass die Kriegführung der Römer aufgrund ihrer Waffen und ihrer Armeeform (la forme de leurs arme´es), die sie dazu zwang mehr 818

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Ms. f. fr. 666, fol. 45: »Il voyoit que la force corporelle n’estoit rien en guerre sans l’artificielle: par cette cognoissance Il joignit l’une a` l’autre, et de la est proeu (sic) grand nombre de victoires.«; vgl. ebd., fol. 44: »comme le prince Maurice qui a` son auenement au gouuernement Hollandois reprouua les bataillons quarrez et au lieu d’iceux print l’ancienne Milice des Grecs«. Milice, fol. 9: »Celuy qui se sent fort et robuste en a plus de courage & la volonte´ de bien faire luy en reste plus ferme et plus constante, quand mesme elle ne seroit point aide´e par la crainte de mal faire a´ cause de la Punition, voila` ou est la discipline. Je conclu donc que les exercices du corps qui n’empruntent rien de l’art, et ne valent qu’a` le rendre plus fort et plus patient du trauail en ce que rendant aussi le courage meilleur, de la se forme l’enuie de bien faire et la crainte de mal faire, dont la recompense ou le chatiment s’ensuit, tombent seules sous la definition de la discipline et non pas les autres.«

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mit Kraft als mit Kunst oder Geschicklichkeit (plus par force que par art) zu kämpfen, mehr von der Disziplin als von der Kriegskunst bestimmt war.820 Dies ist ein Signum für ein nicht mehr an dem alten, aus der spätantiken und mittelalterlichen Militärtheorie tradierten, römisch-vegetischen Disziplinbegriff orientiertes strategisches Denken. Vielmehr äußert sich darin eine neue Methodenlehre, in der der Kriegskunst und der kognitiven Kompetenz des Feldherrn eine größere Rolle eingeräumt wird. Unter die Kriegskunst fasst Saumaise die Aushebung (dilectus) und den ordo, die taktischen Bewegungen einer Armee und das dafür notwendigerweise zu koordinierende Gruppenexerzieren. Jeder wisse, dass die Wissenschaft Ordonnanzen aufzustellen (science de faire les ordres) und eine Armee in Schlachtordnung (ranger une arme´e en bataille) zu bringen der wesentliche und hervorragendste Teil der Kriegskunst sei. Daher beziehen sich alle Übungen (exercices), die dieser Wissenschaft folgen, mehr auf die Kriegskunst als auf die Disziplin.821 Der Übergang von dem vegetischen Exerzierideal zu einem griechisch-byzantinischen, kurz ›hellenischen‹ Methodenbegriff sollte sich jedoch nicht schlagartig, sondern erst allmählich vollziehen: Noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts findet sich vereinzelt das vegetische Exerzierideal.822 820

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Ebd.: »C’est que dans leur [derjenigen der Römer] maniere de combattre & au maniment des armes dont ils usoient la force estoit plus requise que l’art ou l’adresse auec cela toute la discipline requeroit vn soldat plus fort et plus robuste qu’adroit ou habile. Pour leur fac¸on de combattre et la forme de leurs armees ils agissoient plus par force que par art.«; eine entgegengesetzte Auffassung findet sich in der Onasander-Übersetzung von Blaise de Vigene`re, S. 535v: »Les Romains practiquerent tousiours cela, lesquels, selon qu’enseigne le mesme Xenophon, deciderent plustos leurs batailles, par la hardiesse & grandeur de courage, que par vne robuste force de corps. Maintenant que toute nostre maniere de guerroyer consiste en escarmouches, assaulx ou defenses de fortereses, surprises, & autres telles factions & legiers exploits, ce qu’on appelle la guerre guerroyable, la` ou` l’on ne s’attaque que de loing, & bien rarement de pied ferme en bataille rangee: l’arquebouzerie est pour ceste occasion plus frequente, que les picquiers, & semblables armes pour venir aux mains.« Milice, fol. 15: »chacun sc¸ait que la science de faire les ordres, et ranger une arme´e en bataille, est la principale et noble partie de l’art militaire. Par ainsi tous les exercices qui seruent a` cette sc¸ience de mettre vne arme´e en bataille et sans lesquels on ne le peut faire, se rapportent mieux a` l’art militaire qu’a` la discipline.« Vgl. Kleinschmidt: Tyrocinium, S. 167: »Im Verlauf des 17. Jahrhunderts folgte man zunehmend dem Bemühen, eine möglichst umfassende Ordnung für den Exerziervorgang zu gestalten, die dem einzelnen Kämpfer möglichst wenig Raum für eigenbestimmte Bewegungen und Haltungen mit der Waffe gestattete. Den Autoren der Reglements kam es offensichtlich in der Regel nicht darauf an, den Exerziervorgang möglichst knapp zu belassen, ihr Ziel war nicht auf dessen Kürze bezogen, sondern darauf orientiert, ein Optimum an Gründlichkeit, Genauigkeit und Angemessenheit in der Ausführung der anbefohlenen Bewegungen und Haltungen zu erreichen. Eine solche Orientierung breitet sich in den Armeen der

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

A) Justus Lipsius Schema zu (a) dem militärwissenschaftlich-systematischen Kritikpunkt Der Disziplinbegriff Lipsius’ (Politica, V, 13)

Militärwissenschaftliche Systematik von DMR. Commentarius ad Polybium (Polybios, Hist., VI, 19–42) dilectus

ordo

arma

acies

disciplina Lager

B) Claude de Saumaise Die zwei Kategorien der Militärtheorie Saumaises und deren anthropologische Pendants discipline

science/art

Wille (volonté, action de la volonté, actions qui procèdent de la volonté)

Verstand (entendement) Unwissenheit (ignorance)

Sitten (mœurs)

Intellekt (intellect)

Körperkraft (force du corps) Mut (courage)

Geschicklichkeit (adresse) Kunst (art)



meisten mittel- und westeuropäischen Länder gegen Ende des 17. Jahrhunderts aus. Dies hatte zur Folge, daß man sich gezwungen sah, von der älteren, letzten Endes auf Vegetius zurückgehenden Tradition der Anbindung des Exerzierens an die Kräftigung des Körpers nach und nach abzugehen, wenn auch noch im Jahre 1675 in dem Exerzierbuch Boecklers vegetische Exerzierziele proklamiert wurden.«

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Die zwei Kategorien der Militärtheorie Saumaises und deren Praxisbereiche discipline

science/art

– Polizey und Lebensform (police et forme de vivre) – Kriegspolizey (police de guerre) – Beispiele, Belohnungen, Bestrafung, Gesetze (exemples, récompenses, chatiments, loix)

– Errichtung des ordo und Aufstellung in Schlachtordnung (acies) als Hauptteil der Kriegskunst: »la science de faire les ordres, et ranger une armée en bataille, est la principale et noble partie de l’art militaire« (fol. 15) – Gruppenexerzieren (exercice de plusieurs ensemble) – Waffenübungen (in unterschiedlichen Waffengattungen) – Errichtung von Lagerzelten und Palisaden, Schanzarbeiten

– Körperübungen (exercices) und Arbeit (travail) nicht Teile, sondern Grundlage der Disziplin – Tätigkeiten des Lagers (Frontinus, Pyrrhus)

Kompetenz des legendi historias vs. stoisch-prudentieller Befehlshaber Diese Systematik oder Semantik impliziert im Sinne einer ars historia legendi eine militärwissenschaftliche Heuristik. Saumaise zeichnete die kategoriale Trennung von Kriegskunst und Disziplin als Kategorien der Lektüre antiker Kriegsgeschichte: Man müsse dies immer sorgfältig unterscheiden, um mit Gewinn die Autoren zu lesen, die von der römischen und griechischen militia, der milice des romains et des grecs handeln.823 Der Kommentar zur militia erscheint damit als Fortführung einer ars historia legendi, wie sie die MFHC Bodins nahelegt: Die neue Bedeutung, die man im 17. Jahrhundert der Geschichte beigemessen hatte, ging einher mit einer nützlichen Methode der Geschichtslektüre.824 In der Mitte des 16. Jahrhunderts war eine Verlagerung der Gattung der ars historica von ihren anfänglichen italienischen Formen der laus historiae 823

824

Milice, fol. 7f.: »ce qu’il faut tousiours diligemment distinguer a` qui voudra faire son profit de la lecture des auteurs qui traittent de la milice des Romains et des Grecs.« Vgl. George Huppert: The Idea of perfect History. Historical erudition and historical philosophy in Renaissance France, Urbana 1970, S. 84; Friedrich v. Bezold: Zur Entstehungsgeschichte der historischen Methodik. In: ders., Aus Mittelalter und Renaissance. Kulturgeschichtliche Studien von Friedrich von Bezold, München-Berlin 1918, S. 364: »In ihrem unmittelbaren Zweck stimmen ja die Methoden des 16. und 17. Jahrhunderts durchaus überein. Von vornherein handelt es sich nicht um die bewußte Begründung einer Geschichtswissenschaft, sondern um die Anleitung zum ›Lesen‹, d. h. zum richtigen Verständnis der vorhandenen Geschichtswerke, nicht selten auch zur richtigen Geschichtsschreibung.«; Vgl. Donald R. Kelley: Hermes, Clio, Themis. Historial Intepretation and Legal Hermeneutics, JMH, 2 (1983), S. 241–68.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

und der Methode der Geschichtsschreibung zu einer methodus legendi historias erfolgt. In den richtungsweisenden französischen Beiträgen zur Gattung, von denen Baudouins der erste war, nahm diese Methode des Lesens der Geschichte die Form einer Geschichtsmethode an. Sie enthielt eine Bestimmung dessen, was als zu lesendes Quellenmaterial in Frage kam und bestimmt das Lektüreverhalten im Hinblick auf die Ziele der historischen Forschung.825 Die Universaljuristen Baudouin und Bodin begründeten in Frankreich eine Methode des Lesens der Geschichte.826 Saumaises Lektüre827 der antiken römischen militia über die Griechen (Polybios, griechisch-byzantinische Taktiker) mag an Bodin anschließen, dessen MFHC (1566) die griechischen Historiker der römischen Geschichte, insbesondere Polybios als ein Modell der Intelligibilität der Geschichten statuierte. Hat Polybios im sechsten Buch der Historien erstmals die politische Theorie der Griechen verwendet, um die Realitäten des römischen Staates zu beschreiben,828 worin ihm unter veränderten heuristischen Bedingungen auch Machiavelli folgte, so verwandte Saumaise die griechische taktische und strategische Theorie, um die antik-römische Militärgeschichte (Kriegsgeschichte, Schlachtengeschichte) neu zu interpretieren und sich somit von der kulturtheoretischrömischen Prägung der römischen militia durch seine humanistischen Vorläufer abzusetzen. Die wichtige Rolle Polybios’ als Vermittler des älteren taktischen Gutes an die erhaltenen späteren Kriegsschriftsteller Asklepiodotos, Onasander, Aelian, Arrian war noch nicht untersucht war und ist bis dato829 – abgesehen von den Versuchen einer Rekon825

826

827

828 829

Vgl. Donald R. Kelley: Foundations of Modern Historical Scholarship; –, Historia integra. Franc¸ois Badouin and his conception of history, JHI, 25, 1 (1964), S. 35–57; –, Humanism and History. In Albert Rabit (Hg.): Renaissance Humanism, Philadelphia 1988, III, S. 236–270; –, The Theory of History. In: Charles B. Schmitt (Hg.): The Cambridge History of Renaissance. Quentin Skinner, Cambridge 1988, S. 746–762. Huppert: The Idea of perfect history, S. 86: »The Christian, and especially Protestant, emphasis on a study of the providence of God in time generally contributes to the interest in universal history which is characteristic of the age as a whole.« Der Calvinist Saumaise war ein typischer Vertreter dieser französischen Rechtstradition. Während seines Studiums in Heidelberg entdeckte er die Anthologia Palatina, die auch als Anthologia Graeca bezeichnete, älteste erhaltene griechische Anthologie (der um 980 entstandene Codex der A. P. wurde erst um 1600 in Heidelberg wiederentdeckt). Neben Texteditionen (Plinianae exercitationes in Solini polyhistoria, 2 Bde., 1629) widmete er sich vor allem dem antiken Recht (De variis observationibus ad ius Atticum et Romanum pertinentibus, 1645). Besonders verdient machte sich Saumaise um die Griechischstudien, wovon die Schrift De lingua hellenistica (1643) zeugt. Für seine Studien über das antike römische Militärwesen mag nicht unerheblich gewesen sein, dass er sich mit dem griechischen und römischen Recht befasst hat. Vgl. Walbank: Polybius, S. 135. Vgl. F. Lammert: Griechisches Kriegswesen, S. 39; Einzig bei Rudolf v. Scala: Die Studien des Polybios, Bd. 1 finden sich wenige Einzelheiten.

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struktion der taktischen Schriften des Polybios durch Poznanski830 – noch kaum erforscht. Aber Saumaises Versuch, die gesamte antike taktische und strategische Legs zu restituieren und die Formveränderungen der römischen militia in der Perspektive eines griechischen Strategiebegriffs darzustellen, kann als erster Schritt in diese Richtung gedeutet werden. Die auf die säkulare Geschichte angewandte chronologische Methode stellte nunmehr den französischen Gelehrten das hilfswissenschaftliche Mittel bereit, um das durch römische Quellen (Polybios, Vegetius, Frontinus) gezeichnete taktische und strategische Modell zu durchbrechen und zu hellenisieren. Die Chronologie und eine komparative Kulturgeschichte sind Instrumente dieser kritischen historischen Propädeutik. Bei Saumaise erfolgte eine Reduktion auf heuristische militärwissenschaftliche Kategorien: eine episteˆmeˆ der Kriegführung und ein Verhalten im Krieg, die als Hintergrundwissen für die Lektüre antiker Kriegsgeschichte angenommen werden. Entscheidend für die Militärtheorie Saumaises sind daher die Methoden der Gelehrsamkeit in Abhängigkeit von einem Methodenbegriff politischer Macht. Machiavelli hat in der Arte della guerra auf die Bedeutung des schlachtentscheidenden Wissens während eines Feldkriegs (guerra campale) hingewiesen und dieses als disciplina bezeichnet.831 Im Lichte einer reformierten, in eine Wissensordnung mutierten Kirchenordnung, die zwischen disciplina und doctrina unterscheidet, reformulierte Saumaise die Maxime Machiavellis: die disciplina (nicht des Befehlshabers, sondern des Gehorchenden) und die ars/scientia militaris des Befehlshabers oder Feldherrn. Die Milice, die in der Gelehrtenrepublik als ein »Recueil des auteurs tactiques« gehandelt wurde, hatte sich unter der Feder Saumaises zur militärwissenschaftlichen methodus legendi historias entwickelt. Der polybianische General sticht den stoisch-prudentiellen Befehlshaber, wie ihn Lipsius in Einklang mit seiner politischen Klugheitslehre zeichnete, aus. Bei Lipsius war der Befehlshaber kein philosophierender Historiker. Er verfügte über die moralische Kompetenz der Selbstbestimmung, übte sich in stoischer Lebensform und wusste die Schlachten-Exempla und Schlachtentypen nutzbringend in die Praxis umzusetzen. Die historischkognitive Kompetenz spielte in der lipsianischen Befehlskultur eine weit geringere Rolle als bei Saumaise. Tatsächlich musste diese ja nicht für 830

831

Lucien Poznanski: Le traite´ de tactique de Polybe d’apre`s le livre I des Histoires, Athenaeum, 68 (1980), S. 161–178; –, Essai de reconstitution du traite´ de tactique de Polybe d’apre`s le livre III des Histoires, L’Antiquite´ classique, XLIX (1980), S. 161–172; –, Le traite´ de tactique de Polybe d’apre`s le livre II des Histoires, Les Etudes Classiques, 46 (1978), S. 205–212. AG, S. 343.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

eine spezifisch griechische Form der Kriegführung geschärft werden. Die philologische Rekonstruktion der römischen acies in DMR legte zwar einen Schlachtentypus, nämlich die römische Quincunx nahe, formulierte aber noch keine Theorie, Wissenschaft oder Episteme der acies. Der philologisch rekonstruierte Typus der Quincunx zielte didaktisch auf die Imitation durch die mit praktischem Verstand begabten Feldherrn, wie sie die Oranier darstellten. Lipsius stellte in seinem polybianischen Kompendium exempla bereit: sei es in Form von strategemata oder dem Typus der Quincunx. Die in der Folge aufgeführten Schlachtformen waren Schemata und keineswegs eingebunden in eine historisch-kritische Theorie der militia. Lipsius’ bildungstheoretische Methoden bezogen sich auf die in einem ramistischen Schema entwickelten Topoi (DMR und die Politica), wie die Rezeption besonders durch Je´re´mie und Hieronyme Billon vor Augen führt, die praktische Inhalte unter den lipsianischen Topoi subsumierten. Sowohl Eigen- als auch Fremdbestimmung blieben bei Lipsius in einem moralphilosophischen, moralisch-pädagogischen Duktus und in eine kluge Lebensführung im Sinne der Stoa eingebunden. Sie waren hinlänglich, um den Einzelnen zur Befehlsgewalt und Truppenführung zu befähigen. Die Kritik Saumaises am Disziplin- und Militia-Begriff Lispius’ zielte auf die militärwissenschaftlich-topische Ordnung Lipsius’. Sie warf ein neues Licht auf den vorgeblich neustoischen militärischen Disziplin-Begriff, der an der kritischen Rezeption der antiken taktischen Theorien geschärft war und den Bruch Lipsius’ mit der im Mittelalter und noch der Renaissance-Zeit vorherrschenden VegetiusRezeption markiert.832 Der Lipsianische Disziplinbegriff war noch weitgehend der Vegetius-Tradition verhaftet.833 Nicht in erster Linie ein selbstbeherrschter Verhaltenskoex im Krieg qua Verinnerlichung stoischer Moralphilosophie, sondern die historisch-kognitive Kompetenz 832

Vgl. GdKW, Bd. 1, § 34, S. 561: »Diese gelehrten, für die Kenntnis des antiken Kriegswesens grundlegenden Werke [De militia Romana libri quinque (1595) und Poliorketikon sive de Machinis, tormentis, telis libri V (1596)] sind um so wichtiger geworden und haben Epoche gemacht, weil ihr Verfasser sich nicht, wie eigentliche alle seine Vorgänger, an Vegetius anklammerte, sondern sich wesentlich auf Polybios stützte.« Die editionsgeschichtliche Bemerkung zur französischen VegetiusRezeption erhärtet die These vom Niedergang der Vegetius-Rezeption. Die Gründe hierfür mögen vielschichtig sein, vermutlich ist die philologische Kritik und deren präfertiertes Kulturmodell dafür verantwortlich. Möglich ist aber auch die geringe Relevanz Vegetius’ für die moderne Kriegspraxis. – L’Art de chevalerie selon Ve´ge`ce, Paris, A Ve´rard, 1488. [Trad. attribue´e a` Jean de Meung, et surtout a` Christine de Pisan]; – Flave Ve´ge`ce Rene´,...Du Fait de guerre et fleur de chevalerie, quatre livres, Sexte Jule Frontin,...Des Stratage`mes, espe`ces subtilitez de guerre, ´ lian, De l’Ordre et instruction des batailles, ung livre. Modeste, quatre livres. Æ Des Vocables du fait de guerre, ung livre. Pareillement, CXX histoires concernans

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des Feldherrn, der mittels einer Lektüremethode die Formen und das Mischungsverhältnis in der Militärgeschichte der Alten erkennen konnte, wird hingegen bei Saumaise als maßgeblich für die Befehlsgewalt in der Armee erachtet. Die militärische Anthropologie des Humanismus wurde aus der Interpretation antiker taktischer und bzgl. der Arten der Kriegführung gegensätzlicher Theorien gewonnen: einer auf Kraft und schweren Waffensystemen basierenden und einer auf Intelligenz und auf leichten Waffensystemen sowie dem Prinzip des Gruppenexerzierens fußenden Taktik. Die Besonderheit des Polybios-Kommentars Saumaises ist, dass unter dem Einfluss des Begriffs der Hellenisierung nicht nur eine ›Hellenisierung‹ der Taktik in der Verbindung von Legion und Phalanx – diese wurde bereits durch Machiavelli mittels einer ›induktiven‹ Methode und mittels philologischer Methoden durch Justus Lipsius vorgenommen –, sondern auch der Strategie erfolgte. Die Hellenisierung von Taktik und Strategie fand unter unterschiedlichen ideengeschichtlichen Vorzeichen statt. Lipsius führte in seiner politischen Ethik Seneca und

833

le fait de guerre, joinctes a` Ve´ge`ce. Traduicts fidellement de latin en franc¸ois et collationnez (par le polygraphe, humble secretaire et historien du parc d’honneur [Nicolas Volkyr de Se´rouville]) aux livres anciens, tant a` ceulx de Bude´ que Be´roalde et Bade, Paris, C. Wechel, 1536. BN Re´s. R. 262 und Re´s. M. V. 46. Dann tritt während des 17. Jhs. eine lange Pause ein. Erst 1743 erfolgt eine erneute Ausgabe in Französisch: Institutions militaires de Ve´ge`ce, Paris, Prault pe`re, 1743. 8° R. 17010; vgl. Viri illustris Flavii Vegetii Renati, & Sex. Julii Frontini Viri Consularis, de re militari opera; Ex recensione Petri Scriverii Accedunt alia ejusdem argumenti veterum scripta, Lugduni Batavorum, Joannis Maire, 1633 (R 24742), P. Scriverii praefatio: »Nam Vegetius, eodem censore, nihil habet meri, ac sui & superioris aevi instituta aut mores confundit. Quem Polybium cum mearum virium non esset emendare aut illustrare, & tamen publico prodesse velle, ac bene de re bellica mereri (utique in ea tempora incidimus, ut si alias umquam, hodie certe auctores ejusmodi legendi sint & omnium manibus te rendi:) Vegetium arripui.« Es folgt eine Auseindandersetzung mit der Vegetius-Tradition. (Das vorliegende Dokument ist ein Sammelband, der Vegetius, Frontin, den Aeneas-Kommentar von Casaubon und einen Aelian-Kommentar vereinigt). Ferner: Polybii Lycortae F. Megapolitani commentarius polemicus, sive de militia & castrametatione romanorum, ex Historiarum libro VI. Isaaco Casaubono interprete. Inhaltsangabe: Hoc elegantissimo commentario continentur. [:] Institutio tribunorum militum, & dilectus qua legionum qua auxiliorum / Armatura Romanorum / Dispositio legionum in castrametationibus / De poenis maleficiorum & virtutis proemiis / Ratio movendi castra, ducendi agminis, & sigendi tentoria; vgl. auch Richardot: L’influence du De Re militari de Ve´ge`ce sur la pense´e militaire du XVIe sie`cle, Strate´gique, 60, 4 (1995), S. 7–28. Vgl. Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat, S. 111 und S. 223: Lipsius hat die Quellen der Politica in einem auctorum syllabus nach der Häufigkeit der Verwednung in drei bzw. zwei Klassen von Schriftstellern eingeteilt. Dabei rangiert Vegetius (in militärischen Dingen, F. Vegetius, sed in materie militari) in der ersten Gruppe neben Sallust, Titus Livius, Seneca, Cicero, Curtius und Plinius Junior.

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Tacitus zusammen und auf der militärwissenschaftlich-didaktischen Ebene füllte er die in Polybios, Hist., VI auftretenden Lücken mit Stellen aus den ERM des Vegetius. Saumaise kritisierte Lipsius in seinem Verfahren; doch er selbst verknüpfte gleichfalls Polybios mit Vegetius in seiner militia-Konzeption; in der Abgrenzung von einer prudentiellen Kriegslehre orientierte er sich nicht mehr an der neurömischen Synthese von Neostoizismus und Tacitismus, die nur eine abgeschwächte Hellenisierung des Römischen implizierte. Der entscheidende Unterschied ist, dass er seine militia-Konzeption im Zusammenhang eines platonisch-polybianisch konnotierten Begriffs der Hellenisierung entwickelte, wie er sich in den antitrinitarischen/trinitarischen Kämpfen herauskristallisierte. Entscheidend für diese neue Ideologie der Feldherrnkunst, die endgültig mit dem lateinischen Mittelalter und den Kriegslehren nach Cicero brach, war nicht das Charakteristikum einer Niederwerfungsstrategie und damit nicht so sehr die sachkritische Kompetenz der Militärs, die technischen Gegebenheiten und die antike Tradition im Hinblick auf eine militärisch effizientere Kriegführung auszuloten. Bedeutung erlangten vielmehr die am Begriff der Hellenisierung festzumachenden theologie- und ideologiegeschichtlichen Konflikte und Verschiebungen, die nunmehr nicht nur eine Hellenisierung der Taktik, sondern auch der Strategie ermöglichten. So tritt nicht nur hinsichtlich der militärwissenschaftlichen Systematik und militärischen, generell der strategischen Anthropologie eine Differenz zwischen Lipsius und Saumaise auf, sondern auch hinsichtlich des strategischen und taktischen Schemas. Saumaise hat an die Stelle der Verbindung von Klugheit (prudentia) und römisch-vegetischer Disziplin (disciplina), die die Militärtheorie von Machiavelli bis Lipsius stützten, die Verbindung von episteˆmeˆ und disciplina gesetzt; auch ist bei Saumaise die strategische Theorie nicht mehr – wie bei Leonardo Bruni – im Anschluss an die aristotelische Mischverfassungslehre in die Lehre von den Formveränderungen der politeia/Republik eingebunden. Schon Machiavelli hatte diese mit der Verbindung von polybianischer anaky´klosis und vegetischer res militaris (disciplina) durchbrochen und damit eine politisch konstituierende, die Kontingenz einschließende konfliktuelle Ordnung ermöglicht. Nun entwickelte sich die strategische Theorie unter der Ägide einer vera et legitima historia zu einer Theorie der Formveränderungen der militia, in deren Rahmen sich eine historisch-kritische Theorie der acies in Abhängigkeit von dem ordo herausbildete. Die science militaire des Befehlshabers richtete sich gegen eine stoisch-prudentielle Befehlskultur. Bedeutsam für das strategische Denken war daher nicht in erster Linie die Konfiguration einer erneuerten römischen Stoa mit ihrem individualethischen eschatologischen Mo-

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ment und der ›vollkommene stoische Soldat‹834, sondern die konfliktuelle Konstellation des Heranreifens des Begriffs der Hellenisierung des Christentums in den trinitarischen Kämpfen des 17. Jahrhunderts, sprich eine neue Konfiguration des christlichen Humanismus und des philologisch-kritischen Methodenverständnisses. Diese setzte Polybios nicht nur in der Beziehung zur christlichen Tradition, sondern zitierte diesen ob seines empirischen Ansatzes als methodisches Exemplum für die Methode der Kirchengeschichtsschreibung. Polybianisches Feldherrnideal vs. Kontingenz und Verhalten im Krieg Gerade Polybios sprach sich im Unterschied zu den späteren römischen Militärtheoretikern Frontinus und Vegetius gegen eine Kriegführung aus, die ein Verhalten miteinkalkuliert, das sich nach den Umständen und nach dem Zufall, der Kontingenz in Krieg und Politik richtet. Polybios strategische Konzeption richtete sich gegen jede Form von Kontingenz. Die äußeren Umstände, die bei militärischen Operationen in Betracht zu ziehen sind, verlangen genaueste Beachtung. Man könne aber in jedem Fall erfolgreich sein, wenn man bei der Ausführung seines Vorhabens mit Überlegung zu Werke gehe. Dass nun im Kriege weniger Aktionen offen und mit Gewalt als mit List und unter Ausnutzung einer plötzlich sich bietenden Chance durchgeführt werden, könne jeder, der will, aus den Ereignissen der Vergangenheit lernen. Dass ferner von eben diesen Unternehmungen, die eine günstige Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, mehr fehlgehen als glücken, auch das sei unschwer aus den Tatsachen zu ersehen. Dass schließlich an den meisten Fehlern die Unwissenheit und Nachlässigkeit der Führer schuld sei, daran werde niemand zweifeln. Und weiter: Was im Krieg ohne Plan und Absicht geschehe, verdiene nicht den Namen von Taten und Handlungen; es seien Zufälligkeiten, Wechselfälle des Glücks. Es gebe dafür keine bestimmten Gesetze, sie entziehen sich der methodischen Erörterung und sollen daher beiseite bleiben. Polybios wolle sich daher nur mit dem beschäftigen, was nach einem festen Plan unternommen werde, schreibt er in Buch IX, 12 der Historien.835 Im Unterschied zu Polybios, der die Wissenschaft von der Generalstabsplanung auf Astronomie – Kenntnis der astronomischen Voraussetzungen der Zeitrechung und Fähigkeit, sie bei den Operationen entsprechend zu berücksichtigen – und Geographie,836 auf Zeit und Raum bezog, suchte Saumaise die Tyche durch eine militärwissenschaftliche 834 835 836

Cornette: Le roi de guerre, S. 56. Polybios: Geschichte, Bd. 1, IX, 12, S. 657. Ebd., IX, 13, S. 658.

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Methode einzudämmen, die den Intellekt des Befehlshabers für zwei unterschiedliche strukturelle Ätiologien des strategischen Erfolgs schärft: die Gesetze der Kriegführung, die zusammen mit den griechisch-polybianischen Regeln die Kriegskunst oder Kriegswissenschaft des Generals konstituieren, und die Disziplin in der Kriegführung. Schließlich entwickelte Saumaise die an einem chronologischen Raster entwickelten Formveränderungen der antiken militia. Damit setzte er sich von Polybios’ Didaktik für den Feldherrn ab, wie sie in Buch IX, 14 darlegt ist: Von allem lerne man das eine durch Übung (Praxis), anderes durch die Muster (paradeigma, exempla), welche die Geschichte liefere, noch anderes durch wissenschaftliche Schulung.837 Wissen erwirbt man Polybios zufolge nur durch ein richtiges Studium, und zwar vor allem der Astronomie und Geometrie. Im Kriege sei davon zwar nur ein Ausschnitt bedeutsam, aber dieser sei umso gewichtiger: er könne bei den Unternehmungen entscheidende Dienste leisten.838 Der lateinische Kommentar DRMR stellt in gewisser Weise das theoretische Rüstzeug des in der Milice gezeichneten polybianisch-scipionisch-platonischen Befehlshabers bereit. Saumaise löste die Feldherrnkunst von der historisch-empirischen Normativität der anaky´klosis und der Mischverfassungstheorie und den Kriegslisten, den strategemata bzw. exempla. Damit ging eine Reduktion auf einen strategischen Zusammenhang einher. Die Feldherrnkunst wurde nicht mehr im verfassungstheoretischen Kontext konzipiert, sondern die Gesetze der Strategie (loix de la milice) lösten sich von der politischen Lehre. Saumaise sprengte die zwei Pfeiler des strategischen Typus von Machiavelli, die Verzahnung von römischen Regeln (Frontinus, Vegetius) und polybianischer anaky´klosis. Machiavelli hatte mit der Kriegführung Caesars, der Verfolgung des Gegners nach der Schlacht, ein exemplum aufgegriffen, das noch weitgehend mit der mittelalterlichen Kriegspraxis des Beutemachens korrespondierte. Bei Saumaise hingegen erfuhr die Genese der imperialen militia und damit der Strategie Caesars eine Aufnahme, die bei Machiavelli infolge der politisch normativen Bindung (Discorsi) nicht möglich war. An die Stelle der an die polybianische Heuristik der anaky´klosis zurückgebundenen Kriegführung, trat ein militärisch-kritischer Schwerpunkt spezifischer strategischer und taktischer Typen (Polybios, Caesar, Maurikios), die gleichermaßen wissenschaftstheoretische Implikationen haben, aber auch von den konkreten strategischen Konstellationen um 1635 geprägt schienen.

837 838

Vgl. Ebd., IX, 14, S. 659. Ebd.

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Diese neue strategische Theorie impliziert zum einen neue Figuren strategischen Denkens (so die Kreistheorie), eine neue ›Legitimität‹ der Kriegführung (Begriff des populus im Zusammenhang der militia), die sich parallel zu den tradierten rechtlichen Kategorien eines ius ad bellum und ius in bello ausbildeten. b. Strategische Figuren: Ein hellenischer Strategiebegriff? ›Trois faces a` trois divers regards‹ der art/science militaire Mit der Zuordnung des Waffen- und des Gruppenexerzierens zur art/science militaire entwickelte Saumaise nicht nur einen griechischbyzantinischen Methodenbegriff der Taktik, indem er ihn aus einer ›prudentiellen‹ Politik und Geschichte herauslöste. Im Begriff der Kriegskunst/-wissenschaft artikuliert sich auch ein Strategiebegriff, der eine trinitarische Konzeption der scientia militaris und eine ›Kreistheorie‹ der militia impliziert. War der erste Teil der Milice der discipline vorbehalten, so ist ihr zweiter Teil der Militärwissenschaft (science militaire) oder Kriegskunst (art militaire) gewidmet. Von der Kriegskunst solle von der Aushebung an, die ihren Ursprung markiert, bis zum Zeitpunkt des Eintritts in die Schlacht gehandelt werden. Diese art oder science militaire hat drei Gesichter mit drei verschiedenen Blickrichtungen und muss im Hinblick auf die Person des Soldaten und die des Befehlshabers (chef de guerre) eine unterschiedliche Behandlung erfahren. Auch das Volk muss gesondert berücksichtigt werden. Es kreierte (cre´ait) nicht nur die Generäle und die maıˆtres de camp, sondern von ihm hing auch die Art und Weise der Aushebung, die Verteilung und Unterteilung in bestimmte ordines (ordres) nach dem Alter und den Gütern ab, die ihr Vermögen bildeten. Letzteres stellte eine Besonderheit der Römer gegenüber anderen Völkern dar und war Saumaise zufolge Signum ihres Erfindungsreichtums und ihrer List.839 Im Hinblick auf die Vermögensbildung durch ein nicht 839

Milice, fol. 34f.: »Nous parlerons doresnauant de celle cy [Kriegskunst, Kriegswissenschaft] et l’appredrons de son origine, c’est a` dire des le point qu’ils commencoient a` choisir les ieunes hommes pour estre enrollez a` la guerre, la deduirons en les conduisans iusques a` l’heure qu’ils estoient prests de venir aux mains pour donner la bataille. Cet art ou science militaire se trouue auoir trois faces en trois diuers regards et doit estre autrement considere´e en la personne d’un soldat, et celle d’un chef de guerre, et encore le peuple y doit auoir la consideration particuliere creait non seulement les Generaux d’arme´e, & les mestres de camp; mais aussi en ce que de luy dependoit cette fac¸on de leuer les gens de guerre & de les distribuer et diuiser en certains ordres selon l’aage et les biens qu’ils auoient de leur patrimoine, laquelle n’estoit pas commune a` d’autres peuples, & semble auoir este´ fort artificieuse & ingenieuse.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

mehr am (aristotelischen) Gerechtigkeitsbegriff orientiertes, gleichsam ›strategisches‹ wirtschaftliches Handeln,840 mag die Auffassung Saumaises durchscheinen, dass das staatlicher Versteuerung (taxe) unterliegende Zinswesen und damit eine kapitalistische Wirtschaftsverfassung mit christlichen und naturrechtlichen Prinzipien vereinbar ist.841 Doch lediglich das Volk, nicht aber die kirchlichen Amtsträger waren autorisiert an dieser Wirtschaftsform aktiv teilzunehmen. Die List, die Saumaise aus der militärisch-strategischen Heuristik verbannte, war im Zusammenhang eines auf die Sphäre der Ökonomie beschränkten Strategiebegriffs durchaus akzeptabel, gar notwendig für die Unterhaltung einer auf den Prinzipien der Kriegswissenschaft errichteten Armee. Die science militaire mit ›trois faces en trois divers regards‹ ist eine Figur der Trinität. In der Bildsprache des 16. und 17. Jahrhunderts war der dreigesichtige Kopf ein Symbol für Antipapismus, wie vermutet wird.842 Die Figur der Trinität mag sowohl auf Platon, die spätantike philosophisch-theologische Trinitätslehre als auch den trinitarischen Krieg respektive die ›wunderliche Dreifaltigkeit‹ von Clausewitz (Vom Kriege, I, 1, 28) verweisen. Ein Vergleich des trinitarischen Begriffs der scientia/ars militaris mit einem trinitarischen Begriff des Krieges hinkt jedoch nicht zuletzt deshalb, weil sowohl die Spätscholastik als auch der Späthumanismus keinen eigentlichen Kriegsbegriff (Clausewitz: ›Begriff vom Kriege‹) kannten. Saumaise ist als Militärtheoretiker, als Theoretiker der militia zu fassen, Clausewitz hingegen als Kriegstheoretiker. Es gibt jedoch einen Berührungspunkt zwischen der Trinität der Militärwissenschaft und dem trinitarischen Kriegsbegriff Clausewitz’843: Das 840

841 842 843

Saumaise gerät in diesem Punkt, wenngleich er die ökonomische Ethik des Volkes gleich Aristoteles und Polybios als eine Sitte markiert, in einen Gegensatz zu Polybios, der in Abhebung vom Staat Platons, einen auf der Gerechtigkeit (nicht als Idee, sondern Sitte und Gesetz) basierenden Staat zeichnet; vgl. Polybios: Geschichte, VI. 47, S. 572f.: »Ich bin der Meinung, daß jeder Staat auf zwei Fundamenten ruht, an denen es liegt, ob seine Ordnung und sein Charakter zu bejahen ist oder abzulehnen und zu verwerfen: Sitte und Gesetz. Sind diese so, daß sie Anerkennung verdienen, dann hat dies zur Folge, daß das private Leben der Menschen sauber ist, daß sie sich in Zucht halten und daß das öffentliche Leben das Gepräge der Friedfertigkeit und Gerechtigkeit trägt; sind sie tadelnswert, so ist das Gegenteil die Folge. Ebenso nämlich, wie wir zuversichtlich erklären, wenn wir irgendwo gute Sitten und Gesetze herrschen sehen, auch die Menschen und ihr Staatswesen müßten infolgedessen vortrefflich sein, ebenso ist klar, wenn die Menschen im Privatleben habgierig sind, im politischen Handeln keine Gerechtigkeit kennen, daß auch die Gesetze, das sittliche Verhalten des einzelnen, die politische Ordnung im ganzen schlecht sind.« Vgl. Saumaise: De Usuris liber, Lugd. Bat., ex off. Elseviriorum, 1638. Vgl. Karl v. Spiess: Trinitätsdarstellungen mit dem Dreigesichte, Wien 1914. Carl v. Clausewitz: Vom Kriege. Auswahl. Hg. v. Ulrich Warwedel, Stuttgart 3 1998, S. 42: »Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamter-

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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Volk wird in die strategische Konzeption integriert. Die Trinität der art/science militaire des Saumaise bezieht sich auf die Person des Soldaten, des Befehlshabers und das Volk. Freilich schließt der Volksbegriff (populus) des Saumaise tendenziell an die mittelalterliche Rechtsperson der communitas844 an – ganz im Unterschied zu Clausewitz,845 der das Volk in seinem trinitarischen Kriegsbegriff ausschließlich als Subjekt der ursprünglichen Gewalt, des Hasses und der Feindschaft (blinder Naturtrieb) betrachtete.846 Abgesehen von der politisch-rechtlichen Semantik des peuple populus ist auch denkbar, dass Saumaise das Autoritätsproblem der französischen Krone in der Bartholomäusnacht präsent gewesen ist: die Katastrophe dieses Ereignisses und die nahezu vollständige Auslöschung der hugenottischen militärischen Elite rührt von der Rolle der Pariser Miliz her, die sich zu den Spaniern und den Guise hielt und von der französischen Krone abgefallen war.847 Anders als die Tri-

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847

scheinungen nach, in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen, eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elements, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs, wodurch er dem bloßen Verstande anheimfällt. / Die erste dieser drei Seiten ist mehr dem Volke, die zweite mehr dem Feldherrn und seinem Heer, die dritte mehr der Regierung zugewendet.« William J. Grace: Milton, Salmasius, and the Natural Law, JHI, 24, 3 (1963), S. 333. Vgl. Bernd Schönemann: Frühe Neuzeit und 19. Jh.: X. ›Volk‹ und ›Nation‹ als Kategorien wissenschaftlichen Denkens: 1. Kriegstheorie. In: ›Volk, Nation, Nationalismus, Masse‹. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Hg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 337: »›Volk‹ und ›Nation‹, im Zeitalter des gehegten und zumeist von diplomatischen Verhandlungen flankierten Krieges eher als zu vernachlässigende Größen begriffen, hatten also eine neue militärische Qualität gewonnen. Als nahezu unerschöpfliches, jederzeit mobilisierbares und daher außerordentlich wirkungsmächtiges Potential, als das sie sich in den Kriegen der Revolutionsära erwiesen hatten, mußten sie – so resümierte Clausewitz, und so lernten es Generationen von Generalstäblern – fortan in jedes strategische Gesamtkalkül eingehen.« Ebd.: »›Seit Bonaparte‹, schrieb Carl von Clausewitz, ›hat der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen wieder Sache des ganzen Volkes wurde, eine ganz andere Natur genommen.‹ Es könne zwar sein, daß man noch einmal ›mit Wohlgefallen und Zutrauen auf den Galanteriedegen veralteter … Einrichtungen und Manieren‹ zurückblicke, aber die Theorie müsse davor ausdrücklich warnen. Nachem die jüngsten Kriege gezeigt hätten, ›welch ein ungeheurer Faktor in dem Produkt der Staats-, Kriegs- und Streitkräfte das Herz und die Gesinnung der Nation‹ sei, dürfe man nicht mehr erwarten, daß die Regierungen solche ›Hilfsmittel‹ in künftigen Kriegen unbenutzt lassen würden. Clausewitz zog daraus die Schlußfolgerung, daß ›Kriege, welche mit der ganzen Schwere der gegenseitigen Nationalkraft geführt werden‹, nach anderen als den bisher üblichen Grundsätzen einzurichten seien.« Vgl. Jean-Louis Bourgeon: L’assassinat de Coligny (Travaux d’histoire e´thicopolitique, 51), Genf 1992, S. 75: »Au XVIe sie`cle, le terme ›peuple‹ ne de´signe nullement une quelconque populace incontroˆlable, mais bien la bonne bourgeoisie,

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

nität der militia des Saumaise – der innere Kreis, der äußere Kreis (die Qualität des Feldherrn als eines ›platonischen‹ Formgebers der militia) und der ›Nagel‹ (vom Volk errichtete Militärverfassung, dilectus und ordo) – bezieht sich der trinitarische Kriegsbegriff Clausewitz’ neben dem Volk auf den Feldherrn, das Heer (Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls; freie Seelentätigkeit) und die Regierung, die Politik (bloßer Verstand). Der trinitarische Begriff der Kriegswissenschaft und die an einem Nagel hängenden zwei Kreise der militia, die die Frage der Souveränität und die der politischen Legitimität der Kriegführung berühren, haben daher nur bedingt etwas mit dem modernen trinitarischen Kriegsbegriff gemein. Die militia-Konzeption blieb wohl nicht unberührt von dem sich in den trinitarisch-antitrinitarischen Konflikten herauskristallisierenden Hellenisierungsbegriff.848 Saumaises Theorie der Kriegführung, die ja im Unterschied zum clausewitzschen Kriegsbegriff keine Theorie des Krieges per se impliziert, sondern von der militia ihren Ausgang nimmt, besetzte dennoch nicht nur eine interessante Zwitterstellung zwischen oranisch-holländischer politischer Kultur und den politiktheoretischen Vorstellungen der französisch-polybianischen Politiker, zu deren Theoretikern Jean Bodin und Isaac Casaubon zählten, sondern auch zwischen dem durch Machiavelli geprägten neuen Typus von Strategie des ›klassischen Republikanismus‹, dem christlichen Humanismus des 16. und 17. Jahrhunderts und dem Kriegsbegriff der Moderne, wie ihn Carl von Clausewitz im Zusammenhang idealistischer Philosophie prägte. Saumaise: Die drei Gesichter der Kriegskunst/-wissenschaft: Art/science militaire

848

Volk

Person des Soldaten

Befehlshaber

dilectus /ordo

dilectus ordo acies

dilectus ordo acies

celle-la` meˆme qui est qualifie´e pour administrer la cite´; associe´ a` la notion de ›prise d’armes‹, le mot ›peuple‹ revient a` de´signer la milice bourgeoise, normalement charge´e du maintien de l’ordre public.« Glawe: Hellenisierung des Christentums, S. 37.

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

dilectus ordo

Volk

Art/science militaire

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Doppelsinnigkeit des ordo: ›tout corps ordonné et disposé en rang de bataille‹

Person des Soldaten

Person des Befehlshabers

acies (formt ordo)

Die ›wunderliche Dreifaltigkeit‹ des Carl v. Clausewitz (Vom Kriege, I, 28) Der trinitarische Kriegsbegriff Volk

Feldherr und Heer

Regierung/Politik

›Ursprüngliche Gewalt des Hasses und der Feindschaft‹

›Spiel der Wahrscheinlichkeit und des Zufalls‹

›blinder Naturtrieb‹

›freie Seelentätigkeit‹

›bloßer Verstand‹

Natur

Seele

Verstand

Die strategische Kreistheorie Neben der trinitarischen Metapher der drei Gesichter mit drei unterschiedlichen Blickrichtungen bemühte Saumaise die geometrische Figur des Kreises, in deren Gestaltung man ebenfalls eine trinitarische Metapher erkennen mag. Die Qualität des Generals, d. i. dessen Kompetenz in der Kriegskunst, entspricht einem großen Kreis, der einen kleineren Kreis umspannt und all das umfasst, was der kleine Kreis enthält. Die beiden Kreise hängen an einem ›Nagel‹, nämlich der vom Volk errichteten Militärverfassung, die sich auf die Aushebung der Kriegsleute (leve´e des gens de guerre) und die verschiedenen Ordonnanzen (ordres diffe´rens) bezieht. Es werde von diesen drei Dingen in Stufen und möglichst differenziert gehandelt werden, soweit er dazu komme, von der Militärwissenschaft des Soldaten und des Offiziers (capitaine) zu handeln.849 849

Milice, fol. 36: »elle [la qualite´ qu’en doit auoir le general d’arme´e, gemeint ist der

598

II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Die Ausdifferenzierung der Kriegskunst im Spektrum einer trinitarischen Metapher bilde das Fundament der Kriegführung: Von den Anfangsgründen und Rudimenten der Kriegskunst hänge, so Saumaise, alles andere ab, gleichwie von einem guten Fundament die Qualität des ganzen Gebäudes abhänge.850 Danach soll davon gehandelt werden, was der einfache Soldat von der Kriegskunst wissen muss; und am Ende der ganzen Mensur, die Qualität die ein General (general d’arme´e) in der Kriegskunst haben muss, die sich von der des Soldaten nicht nur wesentlich unterscheide, sondern auch weitaus wichtiger sei. Die Problematik zweier Formgeber der militia (Volk, General) lässt sich nur auf dem Hintergrund der zeitgenössischen strategischen Kultur, wie sie sich in der strategischen Kreistheorie artikulierte, und der besonderen Konstellationen des Begriffs der Hellenisierung (vgl. supra) deuten. Saumaise suchte die unterschiedlichen Problemlagen in der taktischen und strategischen Kultur seiner Zeit einer Lösung zuzuführen. Scaliger hatte behauptet ordo und acies seien nicht identisch; Henri de Rohan hatte im Parfaict capitaine die Inkompatibilität eines noch nicht hinlänglich erforschten griechischen ordo und einer disfunktionalen römischen acies, über die nur wenig Konsens besteht, hervorgehoben. Lenormant zeichnete nicht nur die Differenzen von oranisch-niederländischer militärischer ordo und der französischen Ordonnanz sondern (s. supra) auch eine strategische Kreistheorie, die mit einem inneren, die defensive strategische Kultur der Generalstaaten definierenden (cercle inte´rieur) und einen äußeren Kreis (cercle exte´rieur) dargestellt werden kann. Der äußere Kreis steht hier für die Kriegsoffensive unter Leitung des französischen Königs. Eine Grundmaxime der Kriegsoffensive (offensive de guerre) ist, dass der äußere Kreis den innern bestimmt.851 In dem bereits erwähnten anonymen Manuskript (BN, Ms. f. fr. 666) erfährt die strategische Kreislehre eine recht konkrete Ausgestaltung in Kap. 15, das der Kriegsoffensive als fünftem Teil der Politik (police) vorbehalten ist. Der Fürst, der seine Pläne einer Kriegsoffensive umsetzen wolle, müsse wissen, dass der äußere Kreis den innern bestimmt (le cercle exterieur commande a` l’interieur). Daraus resultiere, dass eine oder

850 851

Kriegskunst] est comme un grand cercle qui contient un plus petit, lequel tient tout ce que le petit enserre dans son circuit d’autant qu’il l’embrasse, et de plus a bien vne autre continence beaucoup plus grande que le petit n’a pas. Et ces deux cercles pendent a` vn clou qui est la forme e´tablie par le peuple, pour la leue´e des gens de guerre, pour leurs ordres differens […]. Nous auons a` discourir de ces trois choses par degrez et le plus distinctement que nous pourrons, auant que venir a` traitter de la science militaire du soldat et du capitaine.« Ebd., fol. 35. Vgl. Lenormant: Discours pour le restablissement de la milice de France.

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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mehrerer Städte in einem Land den inneren Kreis beschreiben und das Land, das sie einschließt, den äußeren.852 Wahrscheinlich knüpfte Saumaise, auf dem Hintergrund des Kriegseintritts Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg, an diese Maxime strategischer Kultur an. Demnach sollte ein einziger Befehlshaber (General), der die kognitive Kompetenz besitzt die Mutationen antiker scientia/ars militaris zu erkennen, sowie eine durch die disciplina und eine durch die ars/scientia geprägte Form der Kriegführung zu unterscheiden, in der Gestaltung der acies als Formgeber des französischen Militärs auftreten. Im Hinblick auf die strategische Kreistheorie wird die Veränderung des machiavellischen strategischen Typus besonders deutlich. Machiavelli verschränkte zwei unterschiedliche Heuristiken der Kriegführung: die strukturellen Voraussetzungen, die sich auf die Bindung an die guten Gesetze und die vegetische Disziplin bezogen und die Regeln der Feldherrnkunst nach Vegetius. Der innere Kreis entsprach in der Arte della guerra der ersten Linie und war gewissermaßen eine nur rudimentär entwickelte polybianische Konzeption der Kriegführung, aus deren Heuristik er seinen milizia-Begriff und in einem induktiven Verfahren eine Synthese aus Legion und Phalanx deduzierte – die ab aeterno reproduzierbare Synthese von Legion und Phalanx.853 Diese hatte Lipsius in den philologisch rekonstruierten Typus der Quincunx- oder Manipularstellung gefasst; Saumaise wandelte diese in eine historisch-kritisch fundierte Lehre von den Formveränderungen der militia um. Die letzte Linie in Dell’arte della guerra, basiert wesentlich auf der vegetischen Konzeption der Kriegführung und verbindet sich mit den römisch konnotierten Kriegslisten Frontinus’. Man mag hier eine Veränderung strategischer Metaphern respektive Figuren sehen – von der Linien- zur Kreistheorie. Im Unterschied zur politischen Theorie, in der man eingehender auf Metaphern einging, wurde weder dem strategischen Denken, noch den damit verbundenen strategischen Metaphern oder Begriffen Beachtung geschenkt. Übertrug 852

853

Ms. f. fr. 666, fol. 45f.: »Il resulte donc qu’vne ou plusieurs villes ou […] dans vn pays ont le cercle interieure, et les pays qui les enclave le cercle exterieur qui par consequent commande a` celuy compris dans le cercle Interieur: pour demonstration Il suffit de Juliers enclaue´ dans le pays Espagnol que les Estats ne peuuent garder: Touchant cecy il est euident qu’vn combat darmee qui attaque vne prouince par le cercle Interieur s’ensclaue dans le pays ennemy et partant a du desauantage si l’ennemy scait son deuoir: […] Si sa Maieste´ met a` l’effect le contenue de ce Liure sauf meilleur auis quelque ville que ce soit estant assiege´e tiendra le cercle Interieur, pareillement toutes prouinces ou elle fera guerre.« Vgl. Verrier: Les armes de Minerve, S. 83: »un mode`le universel, valable ab aeterno, infiniment reproductible parce que parfait. Ici, la fascination pour l’abstraction mathe´matique rejoint la perfection du mode`le romain.«

600

II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Saumaise den Kreis und die Form in sein strategisches Denken, so verwandte Machiavelli in seiner Arte della guerra, seiner Lehre von der Kriegführung, die taktische Figur der triplex acies, der dreistufigen Treffentaktik. Verhältnis zwischen ›peuple‹ (dilectus, ordines) und der Militärwissenschaft/Kriegskunst des Generals (acies)

dilectus – ordo – acies In unmittelbaren Zusammenhang mit der strategischen Trinitäts- und der Kreislehre ging Saumaise auf den Zusammenhang zwischen dilectusordo-acies ein. Anders gelagert als die Kritik an Lipsius, die sich auf die disciplina-Konzeption bezog, war seine Kritik Scaligers, die sich an dessen aus den 1590er Jahren datierenden Brief an de Thou festmacht.854 Der Irrtum Scaligers bestehe darin, dass er die Hastaten, Principes und Triarier lediglich als aktive taktische Einheiten auffasse. Lasse deren Kampfaktivität und ihre funktionale Rolle nach der Schlacht nach, so verlieren sie diese Bezeichnung. Die Terminologie hat demnach lediglich 854

Dupuy 394ter–395: Recueil des lettres et d’opuscules latins de Joseph Scaliger – Autographes. Dupuy, In 394ter, fol. 199 die bereits exzerpierten Bemerkungen über die römische Armee, die auch in den Epistolae abgedruckt sind: Re´ponse a` quelques questions sur l’organisation de l’arme´e romaine, en franc¸ais.

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

601

in Bezug zu einer militärischen Rationalität, die bestimmt ist durch die Aushebungspraxis (dilectus) oder den Willen des Befehlshabers (volonte´ du chef) oder auch die Dienstzeit, d. h. die Kategorie der Kriegskunst und Wissenschaft, ihre Relevanz. Hier wird offenkundig, wie die von Saumaise eingeführte Systematik auf die Interpretation antiker Ordnungsmodelle und terminologisch-philologischer Interpretationsansätze zurückwirkt. Die Systematik stellt die Methode der philologischen Kritik bereit. Aber gerade an dieser Stelle wird deutlich, dass die Interpretation Saumaises über die offensichtlich bereits bei Scaliger entwikkelte Kategorie der Kriegskunst hinausgeht und eine konstitutionelle Verankerung der taktischen und militärisch-organisatorischen Einheiten, d. h. eine politisch-soziale Bindung der taktischen Theorie, impliziert. Damit leistete Saumaise eine Rückbindung aktiver taktischer Formationen an die Verfassung einer Gesellschaft und eines Staates, die sowohl von den Vorgaben der Nation als auch von der Gesetzgebung politischer Funktionsträger geprägt ist. Scaliger habe sich darin getäuscht, wenn er an de Thou schreibt, dass die Hastaten, Principes und Triarier erst als solche bezeichnet werden können, wenn sie in Schlachtordnung aufgestellt seien (range´s en bataille) und nach dem Rückzug diese Bezeichnungen verlören, denn diese ordines (ordres) hängen weder vom Willen des Befehlshabers (volonte´ du chef) oder von der Art der Aushebung, noch von der Zeit ab, die im Hinblick auf das Tragen der Waffen eine Begrenzung vorsah, denn all diese Dinge gehören dem Bereich der Kriegskunst an und so müsse man sie als vom Volk herrührend und als an die Autorität des Gesetzgebers gebunden betrachten, von dem die Sitte (coutume) in Kraft gesetzt wurde.855 In der Kritik an Scaliger wird der Zusammenhang von strategischer Theorie und Verfassungslehre manifest, wollte dieser doch den ordo und die acies noch als nicht-identische Kategorien verstanden wissen, während Saumaise von deren Identität ausging. Im Unterschied zu Lipsius, 855

Milice, fol. 35: »Et le sieur de la Scale [J. J. Scaliger] s’est trompe´ en cela, quand il e´crit en la lettre qu’il a` faite a` Monsieur de Thou, qui est imprime´e entre ses oeuures posthumes, que les Hastati, principes, Triarii ne se peuuent appeler ainsi, qu’a` lheure qu’ils sont range´s en bataille, et que la retraitte estant faite, ils perdoient ce nom, puisque donc ces ordres ne dependoient pas de la volonte´ du chef non plus que de la fac¸on de faire les leue´es ny le temps qui estoit limite´ pour porter ses armes, & que toutes ces choses font partie de l’art militaire, il les faut considerer comme venans du peuple et deuant estre rapporte´es a` l’autorite´ de celuy qui a` fait la loy, d’ou cette couˆtume prenoit la force.«, die gleiche Stelle findet sich in lateinischer Fassung in DRMR, S. 46f.: »Falsum igitur est quod olim scripsit Scaliger in Epistola Gallica ad Thuanum haec nomina, Hastatorum, Principum & Triariorum ad [...] tantum pertinuisse, atque iis locum extra aciem non fuisse.«; ebd. S. 77f.: »Quo magis falsa deprehenditur Scaligeri sententia qui in Epistola ad Thuanum censet Hastatis, Principibus & Triariis nomina fuisse ad tempus data, cum acies esset ordinanda, quibus extra aciem nihil loci esset.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

der von der Imitation der römischen dilectus abriet und Scaliger, der ordo und acies getrennt betrachtete, identifizierte Saumaise dilectus, ordo und acies und ›hing sie‹ an der vom Volk bestimmten Verfassung auf, band sie an die Verfassung eines Landes zurück. In einem ersten Punkt wird die Rekrutierung und die Ordonnanz behandelt und Saumaise geht auf folgende Unterpunkte ein: Hilfstruppen, Waffen, Eid, Markierungen, Unterteilung der römischen Legion. Schließlich folgt ein Abschnitt über die Ordonnanz (ordo) mit Stratagemen, bei denen es ihm in erster Linie darum geht, die Forschungsmeinung seiner Vorgänger zu revidieren. In einem weiteren Teil werden die Befehlshaber vom General bis zu den mareschaux de camp behandelt. Es folgen weitere Befehlshaber (chefs) und Offiziere (officiers).

Gliederung des Abre´ge´ de la milice des Romains: Einleitung: Einteilung des Soldatenberufs und militärwissenschaftliche Systematik – Bestimmung der zwei Teile des mestier de la guerre und Einteilung des discours de toute la milice Romaine: discipline – science/art – Notwendigkeit einer Mischung von Kriegskunst und Disziplin für eine zum Sieg führende Kriegführung Teil I: discipline militaire und deren inhaltliche Unterscheidung von der science militaire/ militärwissenschaftlich-systematische Differenzierung von science und discipline – Definition der Disziplin – Militärwissenschaftlich-systematische Kritik der vierteiligen militärwissenschaftlichen Systematik Justus Lipsius’ und der vegetischen disciplina als Grundlage der Kriegführung – Übungen (exercices) [ x ]: 2 Arten  Körperübungen  Waffenübungen u. Gruppenexerzieren gehören nicht in den Bereich der militärischen Disziplin – Belohnung und Strafe (re´compenses, chaˆtiments) [Polybios, VI, 37–39]

Teil II – Hauptteil: Entwicklung der science/art militaire und deren Auffächerung (Volk, Soldaten, General) 1. dilectus und ordo/›manie`re d’e´lire et d’ordonner les soldats‹ A) Aushebungspraxis (leve´e; dilectus) (folgt Polybios) [Polybios, VI, 19–26]  Fußtruppen (pietons)  Reiter (hommes de cheval, gens d’armes, corps et l’ordre des chevaliers Romains)  Hilfstruppen (auxiliaires)  Bundesgenossenkontingente (socii) – Eid (serment; sacramentum militare) – Markierungen – Bewaffnung (armes): Ausführungen im Rahmen der Truppengattungen (wie auch bei Polybios)

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B) Ordonnanz (ordo; ordre)  Veränderung des ordo durch Veränderung der Schlachtordnung (ordre de bataille): Doppelsinnigkeit des ordo-Begriffs [vs. Scaliger et al.] C) Befehlshaber (chefs) und Befehlskultur (Kommandostruktur, Befehlskette) [vs. consilium] a. General bis mareschaux de camp und mestre de camp b. Weitere Befehlshaber (chefs) und Offiziere (officiers)

Wenngleich Saumaise prätendierte, Polybios zu folgen, blieb auch er in seiner Polybios-Rezeption selektiv. Sein Augenmerk richtete sich wesentlich auf den ordo und die acies, der durch die Einwirkungen der sich wandelnden Schlachtordnung Veränderungen unterliegt. Die Befehlshaber können Polybios VI, 19ff. zwar entnommen werden, nicht aber die zusätzliche Ausdifferenzierung der Befehlsstruktur auf dem Hintergrund einer zunehmenden Ausdifferenzierung des ordo infolge der sich verändernden Schlachtordnungen (acies). Die für die Mutationen der ordo verantwortlich zeichnende Schlachtordnung (acies; ordres de la bataille) bleibt in der französischen Fassung ausgespart (»Mais quant a` ces ordres de bataille ce n’est pas icy l’endroit ou nous les deuons asseoir«856). Saumaise problematisiert die Doppelsinnigkeit des Worts ordre (ordo) – es sei »tout corps ordonne´ et dispose´ en rang de bataille« –, geht in seiner Beschreibung jedoch in der vernakularsprachlichen Fassung nicht zur eigentlichen Schlachtordnung über. Es ist ihm daran gelegen, die These, dass die Mutation der Schlachtordnung auf die ordo zurückgewirkt hat – eine Erkenntnis, die seinen Vorgängern, die von der römischen militia gehandelt haben, entgangen ist – hervorzustreichen; eine Darlegung des ordo erscheint daher in dieser Hinsicht hinlänglich. Die weiteren sachlichen Gesichtspunkte des Polybios bleiben in dieser französischen Fassung ausgespart: so beispielsweise die Beuteverteilung bei den Römern, der griechische und römische Lagerbau sowie die vergleichende Betrachtung makedonischer und römischer Waffen und Taktik. Die philologische Kritik, bei der sich Saumaise auf neue, bessere Handschriften als seine Vorgänger stützt, folgt diesem Konzept ein antikes taktisches Modell mit propädeutisch-didaktischer Zielsetzung bereitzustellen, das die Idee der historischen Veränderung der römischen Taktik impliziert. So ist im Abrege´ zu lesen, dass sich bei den Autoren eine große Verwirrung findet, denn sie wussten die historischen Veränderungen der Milice nicht zu erkennen. Auch die modernen Autoren entwirren diese nicht und verheddern sich noch mehr, wenn sie sich vorstellen, dass die Unterteilung der Hastaten, Principes und Triarier bis zum Übergang der Republik zur Regierung der ersten Kaiser Bestand hatte, denn sie treffen in den Texten der Autoren dieser Zeit Hastaten, Principes und Triarier. Doch der ordo (ordre) war gänzlich pervertiert.857 856

Milice, fol. 86.

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Exkurs 1: Der Begriff des peuple im Zusammenhang der militiaKonzeption und politischer Theorie Militia und scientia militaris (dilectus-ordo-acies) Die Militärwissenschaft Saumaises gründete auf der Konzeption einer im Volk (als ursprünglichem Souverän) verankerten militia, wie sie in der hugenottischen militärischen Organisation der konfessionellen Bürgerkriege858 und der abendländischen-mittelalterlichen Lehre politischer Legitimität vorgezeichnet war. Die militia wird vom Volk institutionalisiert. Man mag darin eine Nähe zu monarchomachischen Theorien erkennen.859 Auch wurde erstmals vor Clausewitz im Zusammenhang einer trinitarischen Figur der Begriff des Volkes eingeführt. Saumaises Volksbegriff unterscheidet sich jedoch, wie auch seine trinitarische Figur, von demjenigen Clausewitz’. In einem weiteren Schritt gilt es Saumaises Volksbegriff in den politischen Debatten seiner Zeit und besonders in der Kontroverse mit John Milton zu verorten. Denn jene Debatte gibt Aufschluss über seinen eigenen Begriff vom Volk (peuple; populus). Saumaise, der den Prinzipien des ius divinum folgte, bezog den Begriff populus auf alle mit Ausnahme des Königs (der legibus solutus ist).860 Für Saumaise war peuple/populus mehr als die Summe der Individuen, sondern mit der Körperschaft einer legalen Person vergleichbar. Er rückte im Unterschied zu John Milton näher an die mittelalterliche rechtliche communitas.861 Der populus exi857

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Milice, fol. 65: »Il n’est pas croyable, qu’elle confusion se trouue dans les auteurs pour n’auoir pas sceu discerner les changemens de la milice, qui se sont faits en diuers temps dans ce grand empire. Nos e´criuains ne les demeslent point, & s’embroüillent encore d’auantage en s’imaginans que cette diuision des Hastati, Principes, & Triarij se soit conseruee iusq:au (sic) cha(n)gement de la rep. (sic) et le gouuernement des premiers Caesars, parce qu’ils re(n)co(n)trent dans les ouurages des auteurs de ce temps la des Hastati, des Principes et des Triarij… (sic). Mais l’ordre en estoit tout a fait peruerty.« Vgl. Helmut G. Koenigsberger: The Organization of Revolutionary Parties in France and the Netherlands During the Sixteenth Century, JMH, 27 (1955), S. 337f.: Die Konvektikel wurden militärische Ränge; Massenzusammenkünfte bewaffneter Männer, die vom lokalen Adel und dessen Klienten protegiert wurden, begannen sich der Kirchen zu bemächtigen, um Gottesdienste zu halten. […] Das hugenottische Militär wurde nun auf provinzieller und nationaler Basis in derselben Weise wie die in religiösen Gemeinden organisierten Provinzial- und Nationalsynoden organisiert. Zu den monarchomachischen Theorien s. Quentin Skinner: The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 2, Cambridge 1978; Francis Oakley: Christian obedience and Authority. 1520–1550. In: James Henderson Burns, Mark Goldie (Hg.): The Cambridge History of Political Thought (1450–1700), Cambridge 1991, S. 159–192; Robert Kingdon: Calvinism and Resistance Theory. 1550–1580. In: ebd., S. 193–218; J. H. M. Salmon: Catholic Resistance Theory, Ultramontanism, and the Royalist Response, 1580–1620. In: ebd., S. 219–253. Grace: Milton, Salmasius, and the Natural Law, S. 332. Ebd., S. 333.

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stierte für Saumaise unabhängig von den Einzelnen, die ihn bilden. Mit Milton verband ihn im Hinblick auf die Beziehung von Volk und Regierung (wenngleich in unterschiedlicher Weise) ein theologischer Determinismus.862 Saumaise zufolge werden gute Regenten dem Volk als Belohnung und Tyrannen zur Bestrafung gegeben. Saumaise, der die Regierung auf das Naturrecht gründete und dem ›natürlichen‹ Status des alten römischen Rechts einer patria potestas nahe stand, hing allerdings der Theorie des rex legibus solutus an, die John Milton ebenso ablehnte wie die katholischen Theologen, so der Jesuit Roberto Bellarmino.863 In der Defensio Regia, pro Carolo I (1649) kolligierte Saumaise alle Jura de inviolabilitate Principis, die bei den griechischen und lateinischen Autoren anzutreffen waren, wohingegen Milton in der Defensio pro populo anglicano Saumaise vorhielt, zwar eines souveränen Königs Recht, nicht aber eines gebundenen Königs Recht (›Jura‹) zu verteidigen. Wenngleich Saumaise die Form der militia vom Volk eingerichtet sah, ist seine Militia-Konzeption nicht identisch mit dem Milizgedanken Brunis oder Machiavellis (d. h. des ›klassischen Bürgerrepublikanismus‹); und mitnichten hätte der französische Späthumanist die New Model Army Cromwells gebilligt. Saumaise verurteilte 1650 die englischen Independents ob der Exekution Karls I. (30. Jan. 1649) und der Errichtung des ›neuen Monstrums einer Militärregierung‹864. Damit schloss auch Saumaise an die Beschlüsse der französischen Nationalsynode von Charenton (1644/45) an, die sich vom ›independentischen Gift‹ distanziert habe, so Moyse Amyraut in seinem Werk Du gouvernement de l’Eglise (1653).865 Im Verhältnis zu seinem Zeitgenossen Thomas Hobbes (1588–1679), der sich gleichfalls für die Rechte Karls I. einsetzte, was der Auslöser für sein Exil in Frankreich war, prägte Saumaise damit einen besonderen Typus von Feldherrnkunst im Rahmen eines Gemeinwesen, in dem die ursprüngliche Souveränität des Volkes auf einen legibus-solutus-Herrscher übertragen werden konnte. In dieser Theorie präfiguriert jedoch mitnichten, wie im Leviathan (1651), der moderne bürgerliche Individualismus. Saumaise sah die ursprüngliche Souveränität im Volk angelegt und nicht, wie Hobbes und später Bossuet, im Individuum. Darin trifft Saumaise sich mit Hugo Grotius, der die ursprüngliche Souveränität des Volkes gleichfalls mit der Einschränkung lehrte, dass Letzteres sie immer nur auf einen einzigen Fürsten oder 862 863 864 865

Ebd. Ebd., S. 334. Sommerville: Absolutism and Royalism, S. 362f. Vgl. Hartmut Kretzer: Calvinismus und französische Monarchie im 17. Jahrhundert. Die politische Lehre der Akademien Sedan und Saumur, mit besonderer Berücksichtigung von Pierre Du Moulin, Moyse Amyraut und Pierre Jurieu, Berlin 1975, S. 329.

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Stand übertragen könne. Die ursprüngliche Übertragung der Macht vom Volk auf den Fürsten war Saumaise zufolge unumkehrbar.866 Saumaise war ein Erbe der Reformation und des Rechtshumanismus. Sein politisches Denken blieb von der Bibel und einer paulinischen Anthropologie geprägt. Wenngleich er mit Hobbes im Hinblick auf den Ursprung der Souveränität differierte, traf er sich mit ihm im Antipapismus. Saumaise schrieb De Episcopis Et Presbyteris Contra D. Petavium Loiolitam Dissertatio Prima (Leiden 1641) unter dem Pseudonym Walo Messalinus gegen den jesuitischen Patristiker Denis Petau. Darin argumentierte er, dass die Bischöfe und Presbyter in der frühen Kirche identisch waren und die presbyterische Verfassung ursprünglicher war. In der Volkssouveränität, die an die Theorie der Monarchomachen gemahnt, und der Einsetzung eines einzigen Befehlshabers (unite´ du chef) scheinen sich auch zwei biographische Gegebenheiten zu verbinden. Saumaise, der aus der noblesse de robe stammte, hatte eine starke Bindung zur französischen Monarchie, und er hat wohl die von Pierre du Moulin repräsentierte Tendenz und im Gnadenedikt von Nıˆmes 1629 bekräftigte royalistische, nicht-aufständische Richtung bei den Calvinisten Frankreichs867 mitvollzogen; als Hugenotte hingegen waren ihm wohl auch die Theorien des Widerstandsrechts und der ursprünglichen Volkssouveränität vertraut.868 Die strategische Kreistheorie ist auf dem Hintergrund einer ursprünglich beim Volk liegenden Souveränität zu deuten. Doch der Sou-

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868

Saumaise, 1650, S. 333, 335. In: Sommerville: Absolutism and Royalism, S. 363. Vgl. Kretzer: Calvinismus und französische Monarchie, S. 157; ebd.: »Wir sind der Meinung, daß die Stärke der royalistisch-unterwürfigen Partei im französischen Protestantismus vor dem Jahre 1629 in der Forschung bisher unterschätzt worden ist, und daß man damit insgesamt den Übergang des französischen Protestantismus zu einer mehrheitlich royalistischen Haltung mit dem Jahre 1629 als zu spät ansetzt.« Vgl. Ralf Ritter: Der Wandel der Souveränitätsidee in der politischen Literatur Frankreichs von 1587 bis 1630. Eine Untersuchung zum Werdegang des absolutistischen Staatsdenkens, Freiburg im Br. 1968, S. 151: »wie alle ›Monarchomachen‹ geht Mariana von der Vorstellung aus, daß das Volk dem König die Gewalt übertragen habe. ›Res publica‹ und ›populus‹ gleichsetzend behauptet er: ›potestas regia a Republica‹.«; Lothar Schilling: Normsetzung in der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 197), Frankfurt a. Main 2005, S. 186f.: »The´odore Be`ze, der Nachfolger Calvins, vermied es in seinem 1574 erschienenen ›Droit des magistrats‹ zwar, das Volk ausdrücklich zum Inhaber der öffentlichen Gewalt zu erklären und sprach statt dessen abstrakt von der ›souverainete´‹, der er den weiterhin als ›souverain‹ bezeichneten Monarchen unterordnete, doch diese abstrakte ›souverainete´‹ sah er ebenfalls am ehesten durch Ständeversammlungen vertreten. Den Generalständen und (so Beza) den der ›souverainete´‹ verpflichteten ›magistrats infe´rieurs‹ sollte damit die Aufgabe zukommen, ein institutionelles Gegengewicht gegen den König zu bilden, ihn zu kontrollieren und ihn im Extremfall sogar abzusetzen.«

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veränitätsbegriff fasst nicht das ganze Bedeutungsspektrum des Volkes, das in der polybianischen militia-Konzeption angelegt ist. Über das komplexe Changieren zwischen den unterschiedlichen politischen Kulturen der Generalstaaten und Frankreichs haben wir bereits in einem vorhergehenden Kapitel gesprochen. Es gilt nun, neben der in der Pamphletik auftretenden Rechtsperson des Volkes und dessen irreversibler Übertragung seiner Souveränität auf den Monarchen, den Begriff des peuple im Kontext der Milice und polybianischer Strategie zu erörtern. Das Volk, dem die Einrichtung, die Institutionalisierung der militia, der dilectus und der ordo obliegt, tritt nicht mehr nur im Sinne des Begriffes einer mittelalterlichen Rechtsperson der communitas auf. Doch das Volk wird in eine neue Form der Wirtschaftsverfassung integriert: Seine von Kontingenz geprägte (kapitalistische) Wirtschaftsverfassung schreibt sich in eine Neuformulierung der polybianischen anaky´klosis-Lehre ein. Der Autor von De usuris liber schreibt dem Volk zu, qua ökonomischer ›List‹ – d. i. de facto eine auf Kapitalwachstum zielende Wirtschaftsverfassung – in der Lage zu sein, die Armee zu unterhalten (s. die Ausführungen supra). Vielmehr als im Anschluss an den Milizgedanken, die militia-Konzeption des Bürgerhumanismus, dem eine derartige theoretisch-›polybianische‹ Einbindung des Volksbegriffs unbekannt war, ist die strategische Theorie des Saumaise als militärwissenschaftliche Fortführung der Verfassungs- und der Souveränitätslehre Bodins, im Zusammenhang der calvinistischen absolutistischen Theorie seiner humanistischen und theologischen Zeitgenossen869 sowie im Anschluss an die wissenschaftsideologische Position der calvinistischen und polybianisch-politischen Humanisten zu verorten. Mit der machiavellischen Heuristik des zeitlich begrenzten guerra campale hat diese forme e´tablie par le peuple gemein, dass sie, wie oben bereits angemerkt, sich in eine Theorie des Feldkrieges (›the´orie de la guerre de campagne‹) einschreibt. Wie in jedem ›dialektischen‹ Verhältnis – der mit der acies betraute Formgeber der militia trifft auf das vom Volk institutionalisierte Militär, die forme e´tablie par le peuple – stellt sich die Frage, wer hier wen formt? Exkurs 2: Auflösung des Topos arma et leges/le buone legge e le buone arme in der Hellenisierungsthese? Die Aufgabe der alten Mischverfassungstheorie aus Volk-Senat-Konsuln zugunsten einer, in der polybianisch inspirierten Hellenisierungs869

Vgl. Kretzer: Calvinismus und französische Monarchie; ders.: Le Royalisme des Calvinistes franc¸ais au XVIIe sie`cle, Le Pays sedanais, 6 (1978), S. 49–62. Kretzer zeigt die Wendung der reformierten Theologen zur absoluten Monarchie auf.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

these entwickelten, definierte die ›Dialektik‹ zwischen vom Volk etablierter Form der militia und einem General, der als Formgeber der militia auftritt. Der Topos des ›klassischen Bürgerrepublikanismus‹ scheint in der Hellenisierung der Strategie über das polybianische Geschichtsparadigma aufgelöst. An seine Stelle tritt die ›Dialektik‹ von Institution der militia und der Qualität des Generals, der science/art militaire. Widmete sich Bodin im Anschluss an Platon der Formveränderungen von Staaten (metabole` politeion), so übertrug Saumaise die Idee des Wandels e auf die Formveränderungen der militia. Maßgeblich für die Auflösung des Topos le buone legge e le buone arme, den Lipsius in eine zivile und eine militärische Klugheit überführte (prudentia civilis/togata und prudentia militaris) und der sich wesentlich mit vegetischen Rekrutierungskriterien verband, war eine Neuformulierung einer polybianisch-politischen Mischtheorie, die einen Übergang von der politischen zur militärischen Formenlehre ermöglichte. Unter dem Einfluss eines von polybianischer Geschichtsmethode geprägten Begriffs der Hellenisierung (sowohl des Christentums als auch einer machtpragmatischen Ökumene, pax romana) sollte sich insbesondere der Topos von arma et leges/arma et togae, von guten Gesetzen und guten Waffen (le buone legge e le buone arme) als die staatliche Stabilität und die liberta` begründende Topoi auflösen. Die militärwissenschaftliche Paideia beeinflusste: der ciceronianische Topos von arma et togae und das enzyklopädische Bildungsideal wurden suspendiert, ging es doch nunmehr darum, analog zu den Sitten und Gebräuchen eines Landes (Institutionen) die Gesetze und Disziplin der Militia in einem historisch-kritischen, hermeneutischen Verfahren freizulegen. In der Entwicklung des ›Hellenisierungsbegriffs‹ mag die protestantische Polybios-Rezeption eine Rolle gespielt haben. Wahrscheinlich hat sie auch dazu geführt, dass sich unter der Feder des Saumaise der ciceronianische Topos von arma et togae, von guten Waffen und guten Gesetzen (le buone legge et le buone arme870) auflöste und an dessen Stelle eine durch das Volk geprägte Militärverfassung, die den innern Kreis der Landesdefension markiert, und der General als hellenisch-polybianischer Formgeber des Militärs trat. In Buch VI. 47 äußerte Polybios die Meinung, dass jeder Staat auf zwei Fundamenten beruht, an denen es liegt, ob seine Ordnung und sein Charakter zu bejahen oder abzulehnen

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` ’ principali fondamenti che abNiccolo` Machiavelli: Il Principe, XII, S. 92, 94: »E bino tutti li stati, cosı` nuovi, come vecchi e misti, sono le buone legge et le buone arme: e perche´ e’ non puo` essere buone legge dove non sono buone arme, e dove sono buone arme conviene sieno buone legge, io lascero` indietro el rationare delle legge e parlero` delle arme.«

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und zu verwerfen ist: »Sitte und Gesetz«.871 Wenn nun Saumaise daran gelegen war, die Gesetze (lois) der antiken militia zu entwickeln, dann rückte dabei die anaky´klosis zugunsten von VI. 47 in den Hintergrund. Im Hinblick auf den Komplex der Hellenisierung sind zwei Phasen der Hellenisierung in der Antike festzuhalten: die ›Hellenisierung‹ Roms und die Hellenisierung des Christentums. Dass Saumaise gleichermaßen einen Befehlshaber als Formgeber der militia und eine vom Volk (populus) etablierte Form der militia angenommen hat, scheint den Hellenisierungstendenzen geschuldet; Der mit den Wandlungen der Kriegskunst (De mutatione artis militaris) befasste General ist der hellenische (-polybianische) Feldherr in nuce. So löste sich der ciceronianische Topos von arma et toga, von le buone legge et le buone arme (Machiavelli), oder in der taciteisch-lipsianischen Vision von prudentia militaris und prudentia togata/civilis, in einer hellenisch konnotierten Formenlehre der militia auf. Auf dem Hintergrund eines Hellenisierungsbegriffes als eines zumindest tendenziellen Ethnisierungsbegriffes wird die These möglich, dass die militia eine Institution des Volkes ist/vom Volk errichtet ist. Die Unterscheidung von Kriegskunst und Disziplin wurde in einer Hermeneutik eines im Verhältnis zu Justus Lipsius erweiterten Corpus antiker Militärtheorie gewonnen. Die Kompendien von Saumaise, die eine Lehre von den Formveränderungen der römischen militia implizierten und die Gleichsetzung von Militärverfassung und taktischer Praxis bzw. Truppenpraxis, suchten die taktisch-theoretische Problematik einer Lösung zuzuführen und das militärisch-taktische Exemplum romanum zu vollenden. Ermöglicht wurde dies durch das an der Chronologie geschärfte historische Methodenverständnis, wie es die hugenottische Gelehrtenkultur um 1600 kennzeichnete.872 Exkurs 3: Polybios-Rezeption und das ius ad bellum/ius in bello In den Politicorum libri sex hatte Lipsius nicht nur in Abwandlung des Topos von arma et leges (le buone legge e le buone arme) die prudentia civilis/togata und prudentia militaris gezeichnet, sondern wesentlich die 871 872

Polybios: Geschichte, Bd. 1, 21978, S. 573f. Vgl. Bernays: Scaliger, S. 49f.: Die Einschätzung Bernays französischer (die wesentlich durch Scaliger geprägt ist) und italienischer philologischer Schulen (die Methode und den Stil betreffend): »Bisher war den sogenannten ›Leuchten der Geschichte (lumina historiae)‹, den unentbehrlichen Hilfs-disciplinen welche ein scharfes Erkennen des Alterthums in seinen wirklichen Umrissen vermitteln, nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, am allerwenigsten von den Italienern. Was diese darin gethan, ist fast allein auf römische Verfassungsgeschichte gerichtet [...] Es blieb also den ernüchterten französischen Philologen aufbehalten, den Alterthumsstudien die Leuchten der Metrologie und Chronologie anzuzünden.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

machiavellisch-vegetische virtu` in seine disciplina-Konzeption (virtus et robur) überführt. Dieses Verhalten im Krieg (das analog zum ius in bello anzusetzen ist) verband er mit den consilia (strategemata) des Frontinus und der thomistischen bellum-iustum-Theorie (eines ius ad bellum und in bellum). Damit zeichnete er die Rechtsfrage analog zur Verhaltensfrage im Krieg (wie sie die Arte della guerra von Machiavelli kennzeichnet). Wenn Saumaise zwischen den militärischen Gesetzen der Kriegführung und dem Verhalten im Krieg unterscheidet, dann lehnt sich diese Differenzierung formal an das ius ad bellum (in dem die Bedingungen bestimmt werden, unter denen ein Krieg überhaupt begonnen werden darf) und das ius in bello (also die rechtlichen Normen, die während eines Krieges gelten) an – wenngleich der Rechtsbegriff (entsprechend der polybianischen Machtgeometrie) in der Kriegführung und für die Kriegführung ob der polybianisch-historischen ›Legitimität‹ obsolet wird. Das ius ad bellum, das Recht zum Krieg, wird mit der Formel einer vom Volk eingerichteten Form, einer in Sitte und Gesetz verankerten Militärverfassung (militia) und mit der Forderung nach einem mit intellektuellen Tugenden und historisch-kognitiven Kompetenzen versehenen Feldherrn als Formgeber der militia überholt. Diese Konfiguration ermöglichte es Saumaise das ius ad bellum, die Lehre von den sittlichen und rechtlichen Bedingungen, unter denen, trotz des christlichen Ethos (wie es die Bergpredigt zeichnet), Christen und christliche Obrigkeiten zur Kriegführung befugt sein können, nunmehr (statt der ethischbürgerlichen, so die Machiavellische virtu`) in die strategisch-konfessionellen Konstellation um 1635 zu überführen. Diese Zeit war geprägt von den Konfliktlinien zwischen Jesuiten, Calvinisten, Jansenisten und der vordergründig augustinischen Argumentation des Kardinalpremier Richelieu. Die Polybios-Interpretation eines Isaac Casaubon hatte es ermöglicht, einen zeitgemäßen, d. h. die konfessionspolitischen Gegebenheiten fassenden Anschluss an die augustinische (und nicht gratianischthomistische) Antwort auf die Kriegs- und Friedensproblematik zu finden. Es blieb Hugo Grotius vorbehalten, an die gratianisch-thomistischen Definitionen und Distinktionen über die Einzelheiten des ius ad bellum und die spanische Spätscholastik, die thomistische Schule von Salamanca (Francisco Suare`z, Francisco de Vitoria) anzuknüpfen. Griff Grotius wesentlich die spätscholastische, die gratianisch-thomistische Definition des ius ad bellum und des ius in bello auf (De jure belli ac pacis, Prolegomenon XXV), so verortete Saumaise, obgleich er die Begriffe nicht nennt, den legitimen Grund (iusta causa) und den rechtmäßigen Urheber (auctoritas principis) im Volk (peuple). Dabei wird das Volk noch als mittelalterliches Rechtssubjekt verstanden, das seine ursprüngliche Souveränität an den Feldherrn (im Kriegsfall) auf Zeit oder den Souverän überträgt. Mit dieser ›Legitimität‹ des Krieges schloss Sau-

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maise formal an die Theorie des Feldkrieges nach Machiavelli an. Der machiavellische guerra campale suchte eine vom Rechtsbegriff unabhängige und aus dem Konsens der anaky´klosis hervorgegangene Entsprechung des ius in bello. Die Geschichte der Formveränderung der militia ermöglichte in der Lösung von den vegetischen Regeln und den strategemata eine neue theoretische und normative Einbindung der disciplina.

c. Formenlehre der militia: Die Achse Scipio-Marius/Caesaren Gleich Machiavelli, der die Militärverfassung zu Zeiten Livius’ beschrieb873 und Militärverfassung und Kriegskunst nicht zusammen dachte,874 war es Lipsius offensichtlich nicht gelungen in De militia Romana ein militärwissenschaftlich überzeugendes Modell zu statuieren. In der Tat stellte die römische Militia des Polybios (202 v. Chr. bis 120 v. Chr.) und des Kaiserreiches (27 v. Chr. bis 14 v. Chr.), die Lipsius an den Begriffen dilectus, ordo, arma, acies und disciplina entwickelte, ohne eine Formveränderung auf dem Hintergrund chronologischer Kriterien zu erkennen, für ihn eine Norm von metahistorischem Rang dar.875 Insbesondere die Vernachlässigung der historisch-chronologischen Perspektive durch Lipsius – spricht er doch in DMR davon, dass sich die Legion kaum veränderte – wurde offensichtlich als ein theoretisches Defizit diagnostiziert.

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874 875

Auch angesprochen von Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 14; vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 548f: Machiavelli kannte »nur eine einzige reife Stufe der römischen Taktik. Aus Livius übersetzte er zwar, die Römer hätten ursprünglich in einer Phalanx ähnlich wie die der Mazedonier gefochten, aber diese Phalanx wird von ihm in die Urzeit hinaufgeschoben, für Geschichtsbetrachtung und Heeresentwicklung wird sie nicht berücksichtigt. / Die unvergleichlich lehrreiche Parallelentwicklung der römischen Infanterie vom Bürgeraufgebot zur Berufsarmee, von der Phalanx zur immer feineren Taktik der Treffen und Kohorten ist ihm also unbekannt geblieben. Daran haben wir uns klargemacht, was auf allen anderen Gebeiten bestätigt wurde, daß er den Zusammenhang zwischen Kriegsverfassung und Kriegskunst nicht verstanden hat. / Das einheitliche Bild, das in ihm von der römischen Gefechthskunst lebendig war, hat er unmittelbar aus jener berühmten Skizze entnommen, die bei Livius im achten Kapitel des achten Buches steht. Unberechtigterweise trägt er in diese Schilderung schon die Vorstellung von der Selbständigkeit der kleinen taktischen Einheiten hinein; der römischen Kohorte eine Battaglia von 450 Mann nachbildend, setzt er in diesem Grundbestandteil seines Heeres mit der höchsten disziplinarischen Reife die volle Natur des taktischen Körpers voraus. Bekanntlich ist die Darstellung des Livius im entscheidenden Punkte nicht stichhaltig.« Ebd. S. 548. Vgl. Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 22: Justus Lipsius betrachtet die Realität der römischen Armee als eine überzeitliche.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Saumaise richtete das Augenmerk nicht auf die Rekonstruktion der Legion zu einem gegebenen historischen Moment, sondern auf die Formen, die die militia876 (ordinatio, legio, exercitu) angenommen hat. Die res militaris unterlag bei den Römern starken Wandlungen: »Sic res militaris multum apud Romanos variavit.«877 Diese Wandlung zu erfassen und für ein heuristisches Modell fruchtbar zu machen ist Aufgabe der ars critica. Eine logische wissenschaftliche Folgerung der Einsicht in die Veränderlichkeit der res militaris ist das Bestreben, die Mutationen der Kriegskunst (ars militaris) nachzuzeichnen. Die Formenlehre der politeia wird durch die Formenlehre der militia ersetzt. Und wenn Saumaise in DRMR von der Mutation der Kriegskunst handelt (de mutatione artis militaris), dann bezieht er sich, folgt man der Systematik der Milice, auf das Gruppenexerzieren und die acies respektive bataille. Saumaise hat die intellektualistische griechische taktische Theorie nicht eigentlich als Grundlage der Kriegführung präsentiert, sondern er entwickelte geschichtlich die beiden Kategorien von Kriegskunst bzw. Kriegswissenschaft (art militaire, science militaire) und Disziplin (discipline) in einer Hermeneutik der antiken Militärtheorie. Damit statuierte er ein heuristisches Modell. Nach Machiavelli, der in einem ›induktiven‹ Verfahren eine Synthese aus Legion und Phalanx anstrebte und Lipsius, der die Manipular- und Quincunxstellung sowie die darin inbegriffene Intervalltheorie schuf, vermochte Saumaise eine Theorie der acies im Zusammenhang einer historisch-kritischen Geschichte der Formveränderungen der militia darzulegen. Legion und Phalanx werden in einer wissenschaftlichen Heuristik antiker taktischer Theorie entwickelt, die eine neue strategische Anthropologie impliziert und dessen historische Entwicklungen berücksichtigt. Sie hatten im romzentrierten taktischen und strategischen Modell keine Berücksichtigung gefunden. Bei Wilhelm Ludwig von Nassau, Moritz von Oranien und Johann VII. von Nassau waren sie zwar angedacht (Brief Wilhelm Ludwigs von 1594 , wurden jedoch keiner militärwissenschaftlichen Synthese zugeführt. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Oranier und Justus Lipsius, der mit der Rekonstruktion der Manipularlegion im Zeitalter des Polybios ein taktisches Modell gegen die leicht mit dem spanischen Tercio zu identifizierenden Phalanx schuf, in einem strategischen Kontext operierten (taktisches Gegenmodell des Tercios; Festungs- und Belagerungskrieg), der eine theoretische

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Militia bedeutet im Lateinischen nicht nur eine Militärverfassung, sondern hat folgende Bedeutungsebenen: 1. Kriegs-, Felddienst; 2. Krieg, Feldzug; 3. Soldaten, Miliz. DRMR, Kap. 19, S. 209: »De vexillariis legionum qui successere in locum Antesignanoru. De loco in acie levis armaturae. De exculcatoribus posterioris aevi.«

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Systematisierung einer offensiven strategischen Doktrin und deren militärwissenschaftliche Fundierung nicht unmittelbar einforderte. Die Militärtheorie Saumaises ist in ihrem Selbstverständnis ein Polybios-Kommentar, der eine Heuristik antiker taktischer Theorie impliziert. Die von Hannibal und Scipio zu Caesar hochgerückte chronologische Achse korrespondiert mit einer Stelle in der Milice, in der Saumaise einen Oberbefehlshaber für die Streitkräfte einfordert, wobei er mit seiner Kritik an der gegenwärtigen französischen Militärverfassung nicht zurückhält. Saumaise leistete eine Formenlehre antiker taktischer und strategischer Theorie, die eine sich auf eine offensive Kriegführung beziehende strategische Konzeption impliziert. Die Verlängerung des Oberbefehls auf Lebenszeit war in der Heuristik der Formveränderungen in der Zeit nun denkbar. In der Verbindung von Polybios und Caesar kommt zum Ausdruck, dass Saumaise die Armee als eine Befehlsstruktur mit lediglich einem dauerhaften Oberbefehlshaber begriff. Obwohl es sich politisch noch um ein Milizmodell handelte, glich Saumaise die polybianischen Kriegslehre an eine monarchisch-absolutistische Verfassung an, die einen Kriegsherrn vorsieht und dem Parameter der Militarisierung des Staates folgt. Damit löste sich der militärische Humanismus endgültig von der Lehre der Mischverfassung, wie bei Lenormant im Discours pour le restablissement de la milice de France (1632) vorgezeichnet. Ein wesentliches Charakteristikum der polybianischen Kriegslehre ist im Hinblick auf eine Befehlsstruktur der intellektuelle Befehlshaber. Der Historiker ist einem kenntnisreichen Befehlshaber vergleichbar: er ist ein Intellektueller mit entsprechender Lebensweise, aber kein reiner Theoretiker, sondern ein Mann der Tat, wenn möglich ein Militär mit Befehlsgewalt.878 Die militärwissenschaftliche Polybios-Rezeption zeitigt ein aristokratisches Ideal des Befehlshabers, das sich auf dessen intellektuelle und technische Kompetenzen bezieht.879 Saumaise verband die militia unter Caesar (die jedoch nicht identisch ist mit dem Paradigma caesarischer Feldherrnkunst) mit der pragmatischen Polemologie des Polybios, die die Armee in erster Linie als Befehlsstruktur fasst. Bei Saumaise verschwanden überhaupt die Begründung der Militärverfassung aus einer zyklischen Geschichtstheorie und Kosmologie heraus und Überlegungen zum politischen Stabilitätsmoment. Der von Lipsius vorgenommene Vergleich der gesamten römischen mit der modernen Militärverfassung findet sich bei Saumaise nicht mehr. Bei Machiavelli kam die Niederwerfungsstrategie, im Sinne 878

879

Raymond Weil: La composition de l’Histoire de Polybe, Journal des savants, 34, 3–4 (1988), S. 194. Poznanski: Commander, controˆler, communiquer, S. 219.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

eines mit allen Mitteln nach dem Ausbruch der Schlacht nach dem Sieg trachtenden Verhaltens Caesars, zwar vor, jedoch wurden daraus nicht die letzten verfassungstheoretischen Konsequenzen gezogen: denn es erfolgte keine Abstimmung von Caesar (Niederwerfungsstrategie und militärischer Absolutismus) und Polybios (Befehlsstruktur; intellektueller chef), sondern ein durch die römisch-vegetische virtu` motiviertes Bürgerheer, ohne deutliche Abstimmung von Aushebung (dilectus), Befehlstruktur der Armee (ordo) und Schlachtordnung (acies). DRMR und Abre´ge´: Polybios Buch VI: dilectus-ordo-acies – eine Formenlehre der militia Der Abre´ge´ folgt wesentlich Polybios VI, 19–42. Die Ordnungskriterien discipline und art/science militaire hingegen bilden einen Überbau, der bei Polybios nicht anzutreffen ist. Sie verweisen aber auf den polybianischen Standpunkt einer Synthese griechischer und römischer Methoden der Kriegführung, die den machtpolitischen Aufstieg Roms auf dem Hintergrund der anaky´klosis reflektieren. Es ist nicht mehr die politische Mischtheorie, sondern die Mischung von discipline und science/art militaire, römischer und griechischer Methoden der Kriegführung, die den militärischen Erfolg und die für diesen notwendige politisch-institutionelle Stabilität gewährleisten. Das Ordnungskriterium von DRMR ist eine zeitliche Achse, um die die Formveränderungen der militia (dilectus, ordo, acies) zentriert ist. Die beiden Texte Saumaises vereinigen ein Merkmal hugenottischer und gallikanischer Gelehrtenkultur auf sich, wie sie insbesondere durch Scaliger geprägt und von Bodin in der MFHC (1566) eingefordert wurde.880 Dass sich der lateinische Kommentar jedoch von der französischen Handschrift absetzt, darauf verweist eine Stelle in der Milice, an der Saumaise die Polybios-Interpretation der modernen Gelehrten kritisiert.881 Der lateinische Kommentar DRMR stellt das theoretische Rüstzeug des im Abre´ge´ gezeichneten polybianisch-scipionisch-platonischen intellektuellen Befehlshabers.

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881

Vgl. Anthony Grafton: Some Uses of Eclipses in Early Modern Chronology, JHI, 64, 2 (2003), S. 216. Milice, fol. 135: »Si le lieu est gaste´ comme ie m’en doute, la faute vient de la marque du nombre, et faudra remettre vn mot qui signifie le temps de douze mois, au lieu de six. Ce que ie feray voir plus a` plein dans mes commentaires latines sur cette matiere.«

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Mischtheorie und Normativität (disciplina – ars/scientia): Die Haupt- und Bestformen der militia Das Ziel liege nicht darin, wie Saumaise hervorhob, lediglich von der militia zu Zeiten des Polybios zu handeln, sondern auch von deren zeitbedingten Formveränderungen (changemens en formes882) und besonders deren Haupt- und Bestformen. Zu denen zählen jene, die die militia unter den vor dem Niedergang des Reiches herrschenden Kaisern angenommen hat. Diese erschien Saumaise nicht weniger gut gewesen zu sein, obzwar sie sich von der alten stark unterscheide, denn sie haben große Dinge geleistet, die denjenigen der ersten Römer in nichts nachstanden. Er wundere sich über diejenigen, die von der römischen militia als einer einförmigen Sache sprechen. Er wisse das Gegenteil zu beweisen und habe in all seinen Teilen und als Ganzes nichts derart Veränderliches und Vielgestaltiges gefunden.883 Dabei richtete sich sein Augenmerk auf die letzten Kaiser, die vor dem Untergang des Imperiums geherrscht haben. Besondere Berücksichtigung findet die römische Militärverfassung unter Servius (578 v. Chr. bis 534 v. Chr.), d. h. die Zeit der etruskischen Könige, und Marius (157 v. Chr. bis 86 v. Chr.) sowie die Zeit der Bürgerkriege und das Ende der Republik (133 v. Chr. bis 27 v. Chr.), in der die militia bedeutsame Formen ausbildete. Saumaise zielte in methodischer Hinsicht auf eine historisch-kritische Formenlehre antik-römischer Taktik und Strategie, insbesondere der römischen Kriegskunst, des ordo und der acies,884 der der zweite Teil des Abre´ge´ gewidmet ist. Die geschichtliche Entwicklung der Disziplin ist 882 883

884

Ebd., fol. 94. Ebd.: »Nous n’auons pas entrepris, ny pris a` taˆche de discourir seulement de la milice Romaine telle qu’elle estoit sous Polybe, mais d’en cotter (sic) aussi tous les changemens en formes differentes qu’elle a` eu de temps en temps, et particulierement les Principales & les meilleures entre lesquelles celles qu’ils ont pratique´e sous les Empereurs, qui ont regne` auant le declin de l’empire, ne me semble pas auoir este´ moins heureusement bonne, quoyque dissemblables a` l’ancienne, puisqu’ils en ont fait de grandes choses non moindres que les premieres Romains, ayant subiugue´ par son moyen de puissantes nations, qu’on les reconnoissent point et estendu bien loin de ce qu’il bornoit les limites de leur domination, je me rist (sic) quelquesfois et m’estonne tout ensemble de ceux qui parlant de la milice des Romains en discourant comme d’une chose qui a tousiours este´ vniforme. Moy qui sc¸ayat monstrer le contraire, ie n’ay rien trouue´ parmy eux de si changeant ny de si variable en toutes ses parties et en son tout, qui ait rec¸eu tant de diuers visages.« Offensichtlich ist der ordo-Begriff bei Polybios ein Synonym für Taktik. He´lie Poirier nimmt in seinem Aelian-Kommentar (1652) die Definition der Taktik auf. Nach Polybios bedeutet sie Folgendes: »Quant a de´finir la Tactique: Aene´as a dit, Que c’est la sc¸iance des mouvemens de la gue´rre. Et Polybe autrement, Que c’est scavoir ranger un grand nombre de soldas en ordre de bataille, le´s distribuer en files bien a propos, le´s joindre ensamble et randre ce´s soldas ainsi range´s et assamble´s, capables de se´rvir a la gue´rre.« Polybios fasst also den Begriff der Taktik weiter, indem er die militärische Organisation und Ausbildung miteinbezieht.

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knapp gehalten. Auch ist sie charakteristisch für die polybianisch-zyklische Geschichtstheorie, denn sie ist ganz im Sinne der anaky´klosis mit dem Gedanken der Analogie von politischer und militärischer Blütezeit und Dekadenz verknüpft: gleich der respublica wuchs und degenerierte die römische militia, so dass sie auch mit dieser durchaus zu vertauschen ist.885 Die Blütezeit der Disziplin liegt in der Republik. Die Bürgerkriege markieren einen Einbruch. In der ersten Kaiserzeit erfolgte eine Anhebung der Disziplin, während dann unter den letzten Kaisern die militärische mit der politischen Dekadenz einen Tiefpunkt erreichte.886 Im Unterschied zu seinen Vorgängern (Lipsius, Patrizi)887 versuchte sich Saumaise nicht nur in einer Darstellung der römischen Heeresverfassung (milice) zu Zeiten Polybios, sondern berücksichtigte auch deren Wandlungen, vornehmlich zu Zeiten Caesars. Rekonstruierte Lipsius einen Idealtypus der Schlacht mit der Quincunx-Theorie, so zeichnete Saumaise, das taktische Paradigma in der chronologischen Perspektive auf Vegetius, die griechischen und byzantinischen Taktiker stützend, eine historisch-kritische Formenlehre der antiken taktischen Theorie, die insbesondere die Übergangstaktik von der Manipel- zu der Kohortenstellung, die sich von Polybios bzw. Scipio zu Caesar vollzog und zu einer die Mischverfassung (anaky´klosis) zerstörenden Konzentration militärischer Gewalt führte. Saumaise hielt sich in seiner Darstellung an den höchsten Grad der Perfektion der römischen militia, wie sie von Polybios dargestellt wurde. Den römischen Idealtyp der militia sah er zu Zeiten Scipios und Polybios verwirklicht. Er handele von der römischen Milice zu Zeiten Polybios und Scipios, die deren hervorragendste Entwicklungsstufe (e´tat) darstelle.888 Man müsse sich nur an der von Polybios beschriebene orientieren, die sich bis zum Übergang von der Republik zum Kaiserreich gehalten habe und die die ganze Zeit die »blühendste« des römischen Staates war (e´tat de Rome).889 Die Disziplin 885

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DRMR, S. 2: »Militia Romana cum ipsa Republica ita crevit ac decrevit, ut etiam cum ea prorsus immutata sit.« Vgl. Milice, fol. 4. Weitere Autoren, die die Geschichte Polybios kommentiert haben: Maria d’Urbin, ´ tude Robortello, Conlius, Franc¸ois Patrizi et Juste Lipse; vgl. A.-E. Masquelez: E sur la castrame´tation des Romains et sur leurs institutions militaires, Paris 1864, S. 35f.: »mais les trois premiers n’avaient fait que pre´parer le terrain pour les deux ce´le`bres critiques que nous venons de citer en dernier lieu. Depuis eux, rien n’a e´te´ fait sur cette importante matie`re, si ce n’est e commentaire incomplet de Folard. Or ce dernier, tout en expliquant beaucoup, e´claire rarement les questions qu’il traite. Au lieu de s’attacher aux passages les plus marquants de l’auteur et d’en donner un de´veloppement simple et suivi, il s’interrompt a` tous moments et passe d’un de´tail topographique a` un de´tail de tactique, sans achever d’e´claircir ni l’un ni l’autre.« Milice, fol. 52: »nous traittons icy de la milice telle quelle estoit du temps de Polybe et de Scipion c’est a` dire, dans son estat le plus excellent.« Ebd., fol. 40.

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(discipline) und die Kriegskunst (art militaire) waren darin gleichermaßen im Grad der höchsten Perfektion entwickelt.890 Die Folie der taktischen und strategischen Theorie des Saumaise bleibt demnach die polybianische Kulturtheorie und damit eine verfassungstheoretische Rückbindung taktischer und strategischer Theorien: jedoch ist nicht mehr der stato der res publica von Interesse, sondern der e´tat der milice. Dies verdeutlicht auch seine Erwähnung der Unterdrückung der Freiheit (libertas) durch die Waffen im Zusammenhang des Übergangs von der Taktik des Scipios zu derjenigen Caesars. Dabei ist die Kritik durch eine auf der Chronologie basierende Argumentationsführung motiviert. Die historisch korrekte Rekonstruktion des römischen Modells wird zum zentralen Programm erhoben. Auf dieser Wahl liegt wesentlich die Kritik auch an der Militärtheorie seiner Vorgänger begründet, die sich in die Sprache des klassischen Bürgerhumanismus einschreibt: A quocunque processerit ista mutatio, certum illud est, aliam fuisse sub Scipione Romanam militiam, de qua tractatum peculiarem Historiae suae inseruit Polybius, aliam sub Caesare qui Rempublicam liberam armis oppressit. Atque hıˆc maximus ac praecipuus error cernitur eorum qui de ea Militia Commentationes ediderunt. Unius generis ac forme eam faciunt que a` Polybio descripta est, & eam qua sub Caesarum imperio bella a` Romanis gesta sunt. Atqui utriusque militiae & Polybianae & Caesarianae longe plures & majores differentiae notari possunt, quam illa sunt quae Romanam inter & Macedonicam intercessere discrimina.891

Saumaise bewegte sich demnach noch in der Sprache des ›klassischen Republikanismus‹ in der Nachfolge Machiavellis und Bodins, um über deren Interpretamente hinauszugehen, wenn er seine Methode – die wesentlich eine Lektüremethode ist – auf die Heuristik von Disziplin und Kriegskunst stützte. Saumaise ging jedoch über die Zentrierung seines Idealtyps, auf die in Polybios gezeichnete militia, den er zu Zeiten Scipios verwirklicht sah, hinaus und verwies darauf, dass in der frühen Geschichte Roms wie auch in der späten Kaiserzeit beachtenswerte militärische Reformen stattgefunden haben.892 Der Bruch von der alten zu einer neuen Entwicklungsstufe der römischen Ordonnanz (ordo) setzte in den Bürgerkriegen von Marius und Sulla ein.893 Die Bestimmung des bon sie`cle zu Zeiten Scipios und Polybios spielt eine Rolle in der Einordnung der taktischen Theoretiker. Saumaises Lektüre der antiken römischen militia über die Griechen (Polybios, griechisch-byzantinische Taktiker) rückt in die Nähe Bodins, in dessen MFHC (1566) die griechischen 890

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Ebd.: »et n’auons besoin que de nous tenir a` celle qui est de´crite par Polybe, laquelle s’est maintenue¨ iusques au changement de la republique tourne´e en monarchie qui est tout le temps le plus fleurissant de l’estat de Rome, et dans lequel tant la discipline que l’art militaire, se sont mis au plus haut degre´ de perfection.« DRMR, S. 4. Milice, fol. 94. Ebd. fol. 95.

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Historiker der römischen Geschichte, insbesondere Polybios ein Modell der Intelligibiliät der Geschichten statuierten.894 Hinter diesem stark chronologischen Verständnis eines taktischen Idealtyps verbirgt sich die Kritik an einem uniformen Paradigma und dessen Repräsentanten Lipsius. In diesem Punkt bündelt und verbindet sich gewissermaßen die militärtheoretische-systematische und die chronologische Kritik des in eine prudentielle Herrschaftslehre eingebundenen, kulturtheoretisch begründeten römisch-militärischen Modells Lipsius’. An Saumaises Bestformen ist die Verschiebung in der antiken politisch konnotierten Formenlehre deutlich festzumachen. Über eine Bestform entscheidet, ob Disziplin und Kriegskunst in gleichem Maße entwickelt sind. Sowohl zu Zeiten Polybios’ und Scipios als auch unter Hadrian und Trajan standen Kriegskunst und Disziplin in Blüte. Ihre größte ›virtu`‹ (vigueur) hatte sie dennoch zu Zeiten Scipios. Die metabole` der militärischen Institution (militia) und nicht der des Politischen (politeia), wie in der klassischen griechischen Verfassungslehre, rückte in den Mittelpunkt. Das summum bonum war nicht mehr das Glück (eudaimonia) des Bürgers (Aristoteles) oder die unter den heuristischen Prämissen der polybianischen Zyklentheorie entwickelten virtu` der Bürger (Machiavelli), sondern die strategisch anthropologischen Voraussetzungen der Kriegskunst des mit intellektueller Tugendhaftigkeit versehenen Feldherrn und der Disziplin der Soldaten. Somit eröffnete sich ein Zusammenhang zwischen strategischer Anthropologie und Formenlehre der militia, die die Diagnose ihrer Haupt- und Bestformen ermöglichte. Die Formenlehre der militia nahm Bezug auf die politische Sprache des klassischen Florentiner Bürgerrepublikanismus. Letztere setzte mit Leonardi Bruni ein und wurde von Machiavelli, v. a. in seiner Livius-Interpretation, unter gewandelten politisch-heuristischen Bedingungen aufgegriffen. Es springt die immer schärfere Herauskristallisierung des genuin institutionellen Moments ins Auge, die in der Formenlehre nicht mehr der Politeia, sondern der militia gipfelte. Die Hervorhebung der Institutionen im Verhältnis zur eigentlichen Verfassungsform, mag ein Merkmal calvinistischer Staatslehre sein, die gegenüber der Regierungsform jedoch indifferent war.895 Der militärwissenschaftliche Ansatz Saumaises schrieb sich in den klassischen Republikanismus und dessen politische Sprache ein, indem er die libertas durch die Verlängerung des militärischen Oberbefehls un894 895

Couzinet: Histoire et me´thode a` la Renaissance, S. 143. Vgl. Hans Baron: Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter, Berlin 1924: Baron zeigt auf, dass Calvin gegenüber der Verfassungsform zunehmend indifferent wurde. Er akzeptierte sowohl eine republikanische als auch eine monarchische Regierungsform.

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terdrückt sah. Fernerhin rückte er hinsichtlich der politischen Anthropologie, darin in Abgrenzung zu dem taciteisch-stoischen Entwurf Lipsius’, in die Nähe von Jean Bodin896 und der von angeborenen Tugenden ausgehenden platonischen Tugendlehre (nomos). Der Übergang von Scipio zu Caesar ist im Zusammenhang einer Theorie der Formenlehre der militia nicht einseitig zu interpretieren, wie dies die Delbrück-Schule nahelegt, die darin den Übergang zu einer Niederwerfungsstrategie zeichnet.897 Vielmehr ist eine Wandlung der Sprache des italienischen Bürgerhumanismus zu beobachten. Bei Machiavelli stand der Zufall, die historische Kontingenz (fortuna), und die virtu` am Ursprung des Aufstiegs der Stadtrepublik Rom zur imperialen Macht. Saumaise blendete mit der fortuna auch die List, die politischen strategemata aus dem permanenten Prozess der Konstituierung der gemischten Verfassung aus. Sein Begriff der vigueur (virtu`) stützt sich auf die gleichwertige Ausprägung von disciplina und ars militaris, die im Verbund Garanten des Sieges sind. Damit löste er die virtu` (vigueur) der militia von der historischen Kontingenz, die bei Machiavelli als politisch konstituierende auftrat. Saumaise schrieb auf der Grundlage einer an Polybios entwickelten vera et legitima historia eine Formenlehre der militia, deren Haupt- und Bestformen weniger in dem Übergang von Scipio zu Caesar angelegt sind, als vielmehr zu Zeiten Scipios selbst und unter Trajan und der späteren Kaiser, zumal beide Formen der militia, ganz im Unterschied zu Caesar, dessen Kriegführung ausschließlich auf der Disziplin (Mut und Kraft; physische Gewalt) basierte, Disziplin und Kriegskunst gleichwertig entwickelt waren. Im Hinblick auf die Bestformen (auch unter den späteren Kaisern) nahm er Urbicius, aber auch Vegetius auf, den er im Zusammenhang seiner militärwissenschaftlichen Heuristik diskreditiert hatte – hatte die-

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Die MFHC Bodins verband sich noch mit dem Konstitutionalismus, während die Six livres de la re´publique sich von diesem abheben. Spuren des Konstitutionalismus in Form des klassischen Republikanismus finden sich bei Saumaise (»libertas oppressit«), rücken jedoch zugunsten einer auf einer auf der Chronologie basierenden Historie antiker taktischer und strategischer Theorie in den Hintergrund. Zum Begriff von Niederwerfungs- und Ermattungsstrategie vgl. GdKK, Bd. 1: Das Altertum, Berlin 31964, S. 128: »Ich habe dieser Art der Strategie ehedem den Namen der Ermattungsstrategie oder der doppelpoligen Strategie geprägt, d. h. derjenigen Strategie, in der der Feldherr von Moment zu Moment wählt, ob er vermöge einer Schlacht oder eines Manövers zu seinem Zweck gelangen soll, so daß seine Entschlüsse sich so zu sagen unausgesetzt zwischen den beiden Polen des Manövers und der Schlacht bewegen, sich bald diesem, sich bald jenem Pol zuneigen. Dieser Strategie steht gegenüber jene andere, die geradewegs darauf ausgeht, die feindliche Streitmacht anzugreifen, zu zerstören und dem Besiegten den Willen des Siegers zu unterwerfen, die Niederwerfungsstrategie.«

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ser doch auf die Reglements der Kaiser Hadrian und Trajan zurückgegriffen. Saumaise schrieb in einem Brief vom 7. Nov. 1635, dass sich in den Bibliotheken von Italien898 ein Fragment befinde, das von der Ordonnanz handelt, doch lediglich die Begriffe tradiert. Der Autor dieses Fragments lebte Saumaise zufolge zu der gleichen Zeit und brachte auf Anregung des besagten Kaisers ein Buch Hadrians heraus, das er auch auslegte. Einige schreiben dieses Buch auch Trajan zu. Saumaise sprach fernerhin von einer Handschrift nach einem zum Lob Urbicius und dessen Werk verfertigten Epigramms (»ancien Ms, sur un e´pigramme fait a` la louange d’Urbicius, et de son ouvrage«899). Richard Förster hat sich damit eingehender befasst.900 Saumaise, der eine noch erhaltene Schrift als Neubearbeitung der hadrianeischen Taktik (»eorum enim non Urbicius auctor, sed Hadrianus fuisse dicitur«) auffasste, vertrat die Ansicht, dass Hadrian auch über die Taktik geschrieben hat.901 Saumaise bezeichnete die Handschrift (Par. Gr. 2445) als fragmentum, aber viel sachgemäßer erscheint es Förster, dieses als einen in sich abgeschlossenen Versuch anzusehen, der darauf zielte, eine offensichtliche Lücke in den Handbüchern der Taktik der Zeit zu schließen, nämlich die Infanterie besonders gegen einen Reiterangriff in die Defensive zu setzen.902 898

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Es muss sich um die bereits von Rigault verwandte Handschrift aus der durch Katharina von Medici nach Frankreich gebrachten Bibliothek handeln. Saumaise an Peiresc, Grigny, 7. Nov. 1635. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 241f. Richard Förster: Studien zu den griechischen Taktikern I: Über die Taktiken des Arrian und Aelian, II: Kaiser Hadrian und die Taktik des Urbicius, Hermes, 12 (1877), S. 426–471; ebd., S. 451: Dieses Epigramm stammt vermutlich aus dem von Saumaise »in der Pfälzer Bibliothek entdeckten und abgeschriebenen Codex der Anthologie des Konstantinos Kephalas. Und wirklich steht es in diesem Codex (Pal. Gr. 23, p. 390) als N. 210 im neunten Buche bis auf einige Abweichungen, welche auf Flüchtigkeit des Salmasius beim Abschreiben oder Drucken kommen, mit derselben Ueberschrift und in derselben Fassung«, wie bei Saumaise; ebd., S. 453f.: Dieser Text, in dem Saumaise »ein Stück eigener Zuthat des Urbicius zu der Ueberarbeitung der hadrianeischen Taktik sieht«, ist von Nicolas Rigault »im Anhang zu seinem Onosander Paris 1599, p. 119–130 edirt, vermuthlich aus cod. Par. gr. 2445, welchen der Katalog als codex olim Medicaeus bezeichnet.« Rigault bemerkt S. 121, »dass es ein Codex der bibliotheca Medicea war: ›inter ceteros rerum militarium scriptores quos mihi bibliothecae Mediceae calamo exaratus codex suppeditavit, reperi hanc quoque Urbicii scriptiunculam.‹ Die Handschriften der Catharina von Medici, welche aus der Bibliothek des Cardinal Ridolfi, des Neffen Leos X, stammten, wurden 1599 in die bibliothe`que du Roi versetzt. Und so erklärt sich, dass Salmasius die Handschrift der Regia Bibliotheca zuschreibt.«; vgl. ebd., S. 459: Rigault; Onosander, S. 122: »Monebo tamen me nuper habuisse a V. Cl. Francisco Pitheo Icto indicem scriptorum de re Bellica qui in Italia adservantur, in quo huiusmodi fit Orbicii mentio.« Vgl. Förster: Studien zu den griechischen Taktikern I, S. 450. Vgl. ebd., S. 454.

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Im Lichte eines Diskurses über die ganze militia, der deren Formveränderungen eingedenkt, kommt auch Vegetius eine neue Rolle zu. Vegetius war, wie bereits erläutert, im Späthumanismus diskreditiert. Saumaise versuchte dem durch eine erneute Kritik zu begegnen, die durch sein Interesse an der spätrömischen Taktik motiviert war. Die Kritik des Vegetius durch Saumaise schreibt sich zunächst in das Bemühen ein, Klarheit über die herausragendste Phase der römischen Geschichte herzustellen, in der bislang in der humanistischen Forschung nur Verwirrung vorgeherrscht hat. Im Januar 1636 schrieb er an Peiresc: Es sei kaum zu glauben, wie viele Fehler und Irrtümer die Antiquare (antiquaires) in dieser Phase der Antike gemacht haben, die die wichtigste von allen ist und die am meisten zum Verständnis der griechischen, der römisch-lateinischen Autoren und insbesondere der Historiker beitrage. Er habe sich daher entschlossen diese Materie gründlich zu untersuchen und nichts zu übergehen, was zur Erhellung führt, zumal sich dort so viele Paradoxe fänden, die man überprüfen und bestätigen müsse. Das könne man nur über die sich auf die antiken Autoren stützenden Belege machen. Die von der modernen Methode gänzlich abweichende Art und Weise Bataillone zu bilden und daraus Schlachtordnungen zu machen, ließ die modernen Altertumsforscher glauben, dass das, wovon Vegetius gehandelt habe, nur Phantasiegebilde (pures imaginations) seien. Dennoch sei sich Saumaise sehr sicher, dass das, was Vegetius davon zwar nicht aus eigener Anschauung, sondern vielmehr mittels der Kompilation anderer Autoren wie Cato, Cornelius Celsus, Frontinus und Paternus gesagt habe, nicht von ihm stamme. Und es sei die militia eben dieser Zeit, die Maurikios auf der Grundlage der Memoiren oder Kommentare von Hadrian oder vielmehr Trajan schriftlich festgehalten habe.903 903

Saumaise an Peiresc, Dijon, 7. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 347f.: »Vous ne scaurie´s croire quelles et combien grandes fautes et erreurs nos antiquaires ont commis en cette partie de l’antiquite´, qui me semble la plus importante de toutes, et qui sert le plus a` l’intelligence des auteurs, tant grecs que latins, et principalement les historiens. Ce qui me fait re´soudre a´ traiter cette matie`re a` plein fonds, et ne rien laisser en arrie`re qui peusse de´sirer de l’e´claircissement, veu qu’il s’y rencontre tant de paradoxes, qu’il faut ve´rifier et confirmer. Ce qui ne se peut faire sans beaucoup de tesmoignages bien expre`s, tire´s des auteurs anciens. Cette fac¸on, en premier lieu, de former les bataillons et faire les ordres de la bataille si diffe´rente de la nostre, a fait croire a` tous nos antiquaires, que tout ce qu’en a escrit Ve´ge`ce, n’estoit que des fables faites a` plaisir, et des pures imaginations. Cependant je suis tre`s assure´, que ce qu’il en a dit n’est pas de son cruˆ ains des e´crivains qu’il a compile´s et qui sont par lui nomme´s: Caton, Cornelius Celsus, Frontinus et Paternus. Ce qui va jusques au temps de Trajan et d’Handrian. Et c’est la milice de ce tems la`, que nostre Urbicius [Urbikios] avoit re´dige´e par escrit sur les me´moires ou commentaires d’Hadrian ou plustost de Trajan, ainsi que d’autres estimoient, comme en parle celui qui a fait le titre de l’e´pigramme compose´ a` sa louange.«

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Vegetius ist als Quelle von besonderem Interesse, da er die Regeln bzw. Methoden der Vergangenheit mit denen der Gegenwart vermengte.904 Tatsächlich scheint darin die quellenkritisch begründete Skepsis Saumaises gegenüber denjenigen zu liegen, die die Militärtheorie Vegetius gänzlich verwarfen. Dass Saumaise Vegetius in die Nähe von Frontinus rückte, hat nicht nur militärwissenschaftlich-heuristische Gründe, sondern ist auch durch die taktische Theorie selbst motiviert: Das Modell der legio antiqua war für Vegetius das des Roms von Augustus bis Septimus Severus. Der Höhepunkt der Taktik erscheint in den sieben depugnationes (DRM, III, 20905), die von den Stratagemen (II, 3 oder der Taktik) des Frontinus inspiriert waren. Unter den Quellen nannte Vegetius Cornelius Celsus, Frontinus, Paternus und die Constitutiones Augustus’, Trajans und Hadrians. Die einzige Quelle, die vor dem Kaiserreich datiert, ist Cato der Zensor (DRM, I, 8). Die Auflistung der Quellen bestimmt die zentrale Epoche der vegetischen Legion, nämlich das 1. und 2. Jahrhundert. Buch I über die Rekrutierung und die Übungen basiert hauptsächlich auf den kaiserlichen Konstitutiones, vor allem denjenigen von Augustus und Hadrian, die Vegetius explizit im ersten Buch nennt.906 Saumaise strebte nicht wie Lipsius einen idealtypischen Verschnitt der römischen Legion an, sondern ein historisch-komprehensives Modell, eine Theorie der Formveränderungen der römischen militia. 904

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Vgl. Philippe Richardot: Hie´rarchie militaire et organisation le´gionnaire chez Ve´ge`ce. In: La Hie´rarchie (Rangordnung) de l’Arme´e romaine sous le Haut-Empire, Paris 1995, S. 407. Vegetius: Epitome of Military Science, übers. u. kommentiert v. N. P. Milner (Translated Texts for Historians, 16), Liverpool 21996, S. 104ff.: »How many modes for engaging in a pitched battle there are, and how the side that is inferior in numbers and strength may prevail. There are seven types or modes of general actions [depugnationes], when hostile standards engage from two sides. The first action has the army in rectangular formation with an extended front, just as eve now it is usual to do battle almost always. […] The second action is oblique, and better in very many respects. […] The third action is similar to the second, but inferior insofar as you begin by engaging right from your left wing. Etc. Lipsius hat genau diese sieben depugnationes in De militia romana aufgenommen, inbegriffen des Kommentars des Vegetius.« Richardot: Hie´rarchie militaire, S. 410: »Le mode`le de la legio antiqua pour Ve´ge`ce est par excellence celui du Haut-Empire, d’Auguste a` Septime Se´ve`re. Le sommet de la tactique apparaıˆt dans les sept depugnationes (DRM, III, 20) inspire´es des Stratage`mes (II, 3, ou de la Tactique) de Frontin. Parmi ses sources, Ve´ge`ce e´voque Cornelius Celsus, polygraphe de l’e´poque d’Auguste, Frontin, ge´ne´ral qui ve´cut sous les Flaviens jusqu’au re`gne de Trajan, Paternus, ge´ne´ral de Marc Aure`le, et les constitutiones d’Auguste, Trajan et Hadrien. L’unique source militaire ante´rieure a` l’Empire est Caton le Censeur (DRM, I, 8). L’e´nume´ration des sources de´termine l’e´poque centrale de la le´gion ve´ge´tienne: les Ier et IIe sie`cles. Le Livre I sur le recrutement et l’exercice est essentiellement base´ sur les Constitutions impe´riales, en particulier celles d’Auguste et d’Hadrien que Ve´ge`ce mentionne explicitement au Livre I.«

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Die Blütezeit der militia lag in der Epoche der Scipionen und Polybios’ und erreichte da ihre größte Stärke (vigueur) – was begrifflich der virtu` bei Machiavelli entspräche. Die Verwissenschaftlichung der Kriegführung durch antiquarische Forschungen und Chronologie ging jedoch mit einer Entpolitisierung einher. Saumaise schloss zwar an die bei Machiavelli angelegte polybianische strategische Heuristik an. Er verließ jedoch den ›normativen Realismus‹ der polybianischen Mischverfassungs- und anaky´klosis-Lehre und die Einbettung des Krieges und der Kriegführung in eine neustoische Naturrechtslehre, wie sie Lipsius vorgenommen hatte. Er verortete die pragmatische Polemologie des Polybios in einer Geschichte der Formveränderungen der römischen militia, die sich an einer zeitlichen Achse orientierte. Offensichtlich ging Saumaise zunächst von dem Gewaltbegriff Jean Bodins aus, der sich als absolut und zeitlich unbegrenzt versteht.907 Diesem zeitlich infiniten Gewaltmodell suchte die nicht nur wie bei Casaubon auf die säkulare Geschichte, sondern nunmehr auf die antik-römische Militärgeschichte angewandte Methode der Chronologie Herr zu werden. In der Lösung des Zeitbegriffs aus einem kosmologisch-stoischen Weltbild führte sie zu einer Säkularisierung des Zeitbegriffs und implizierte damit ein absolut immanentes nicht-zyklisches Zeitmodell. Die Milice zeichnet zwei chronologisch-normative Schwerpunkte in der Republik und bei den späten Kaisern, geht es doch nicht ausschließlich um den Übergang vom Bürgerheer zum Berufssoldatentum unter Gaius Julius Caesar. Diese Achse ist insofern mit verfassungstheoretischer und strategisch-taktischer Bedeutung aufgeladen, da unter Scipio die Umwandlung der römischen Armee zum Berufsheer erfolgte.908 Bei Wilhelm Ludwig von Nassau stand Scipio im Mittelpunkt, der dem republikanischen Heerwesen virtuell ein Ende bereitete.909 Saumaise 907

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Jean Bodin: Sechs Bücher über den Staat. Übers. u. mit Anm. versehen v. Bernd Wimmer. Hg. v. Peter Cornelius Mayer-Tasch, 2 Bde.: Bd. 1: München 1981, I, 8, S. 205: »Unter der Souveränität ist die dem Staat eignende absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt zu verstehen«; ebd.: »Ich habe diese Gewalt eine zeitlich unbegrenzte genannt.« Vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 46. Ebd., S. 103f.: »Den Weltkrieg gegen Karthago gewinnen und Hannibals Berufskrieger besiegen konnte es erst dann, als es durch Scipio auch seinerseits in ein Berufsheer umgewandelt worden war. Scipio vermochte das aber nur zu leisten, weil er das Kommando nicht nur auf ein Jahr erhielt, sondern [...] bis der Feind niedergeworfen wäre. Indem er sich nun in langer Arbeit seine Jahr um Jahr bei der Fahne festgehaltenen Mannschaften für die schwere Aufgabe schulte, wurde er auch in viel höherem Maße Herr über sie, als es bisher die jährlich wechselnden Konsuln gewesen waren, und als es sich mit dem Wesen der römischen Republik vertrug. Gleichzeitig wurde […] dem Heeresersatz durch Werbung Tür und Tor geöffnet; beide Faktoren zusammen schufen die völlig neuartige Armee, die die Welt besiegt hat, und machten dem republikanischen Heerwesen virtuell ein Ende.«; vgl. Scullard, Scipio Africanus, S. 241f.: Scipio Africanus entwickelte die

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rückte den Übergang von Scipio zu Caesar, der die Autorität des Feldherrn ausbaute und infolgedessen seine Legionen selbst gegen Rom führen konnte,910 ins Zentrum. Die Nassau-Oranier und insbesondere Wilhelm Ludwig entwickelten auf dem verfassungsgeschichtlichen und strategischen Hintergrund einer oligarchisch-republikanischen Verfassung und der oranischen dynastischen Kultur die römischen Militärreformen und die Strategie in der Republik.911 Machiavelli hatte seine Militärtheorie an der Römischen Republik und Titus Livius festgemacht, die Oranier am Übergang von der Republik zum Kaiserreich, Saumaise erlaubte sich nun die Aufnahme der metabole` der militia von Scipio zu Marius und Caesar. Mit dieser historischen Schwerpunktverlagerung entwickelte er sich zum späthumanistischen Militärtheoretiker des römischen Kaiserreichs (imperium romanum), der die polybianische Mischverfassungstheorie zugunsten einer dem Paradigma der Militarisierung, eine klare Befehlsstruktur und einen Oberbefehlshaber vorsehenden politisch-militärischen Ordnung überschreitet, ohne freilich die auf der bloßen disciplina fußende Kriegführung als Norm anzusetzen. Die taktischen und strategischen Theorien von Machiavelli, der Livius (virtu`-liberta`), Vegetius (disciplina) und Frontinus (strategemata912) zusammendachte, und Lipsius, der noch weitgehend vom vorreformatorischen italienischen Humanismus geprägt war, waren unter einem chronologisch-historischen Gesichtspunkt inkonsequent. Dass Lipsius als genuin römischer Militärtheoretiker rezipiert wurde, bezeugt unter anderem eine 1615 durch Johann Blum edierte Kompilation aus Lipsius, Vegetius, Stewechius und Livius.913 Lipsius, der sich im Zusammenhang

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römische Armee durch taktische und strategische Ideen weiter und schmiedete damit eine Waffe, um die Suprematie der Römer durchzusetzen. Er wandelte damit ein Bürgerheer in ein halb-professioneles Heer um, durchbrach das ältere System eines auf ein Jahr festgelegten Oberbefehls und gewann eine Armee, die sich gleichermaßen auf ein Individuum, das er wahrscheinlich als seinen ›imperator‹ beanspruchte, als auch auf den Staat, worin der Aufstieg der Militärdiktatoren Marius, Sulla und Caesar seinen Schatten vorauswirft. Mit der Welt zu seinen Füßen, mit dem Weg, der offen war für sein griechisches Kulturideal und seine römische Mission, kehrte er nach Hause zurück und war für zwölf Jahre princeps senatus. Vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 104: »Nicht mehr bürgerliche Interessen erfüllten nun den Geist des Soldaten, sondern rein kriegerische.« Kb, S. 342–347, ›Discours du Comte Guillaume de Nassau sur la bataille de Cannes‹; Kb, S. 350–352, ›Stratagema‹ [Hannibal]; S. 647: Kritische Bemerkungen Johann Ludwigs von Nassau zu den Cannae-Studien seines Bruders Wilhelm Ludwigs von Nassau. In der römischen Wortbedeutung von Kriegslisten, worauf sich der machtpsychologische Ruf Machiavellis gründete, in dem Sinne, dass Frontinus als Grundlage einer militärischen-politischer Handlungstheorie angenommen wird. Vgl. Neal Wood: Frontinus as a Possible Source for Machiavelli’s Method, JHI, 28 (1967), S. 243–248. Militia romana. Ex J. Lipsio, Vegetio, Stebeccio, Livio et aliis concinnata/Joannes Blumius, Marpurgi Hessorum, Paul Egenolph, 1615. HAB H: T 272.4° Helmst. (8).

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der Religions- und Bürgerkriege und eines Staatsbildungskrieges als Kulturhistoriker des römischen Kaiserreiches (Tacitus-Edition; Analecta; Admiranda, Seneca) profiliert hatte, zeichnete in DMR und da, wo bei Polybios die Quellen schwiegen, d den taktischen Idealtyp der Manipularlegion oder der Quincunx, die eine Synthese aus Legion und Phalanx bildete. Saumaise hingegen hob zwei taktisch-strategische Schwerpunkte hervor. Den Hintergrund hierfür bot die Kriegführung des Dreißigjährigen Kriegs: Bei Nördlingen (1634) scheiterte die nordeuropäische, von der lipsianischen Militärtheorie inspirierte und von Gustav Adolf weiterentwickelte Kombinationstaktik und zeitigte ein Anwachsen der Taktik der leichten Reiterei. Der erste Schwerpunkt, der den Übergang von der militia des Scipio zu der des Caesar bezeichnet, impliziert zwar im Sinne der anaky´klosis-Lehre mit der Unterdrückung der Freiheit (libertas) ein verfassungstheoretisches Defizit – die libertas unter dem Gesetz (Cicero) tritt zurück und die Waffen beginnen zu herrschen –, er eröffnet jedoch die Möglichkeit der Rekonstruktion eines taktischen und strategischen Paradigmas, das zwar die taktische Flexibilität der Manipularlegion nach Polybios einschränkte, jedoch die durch die disciplina hergestellte maximale Konzentration physischer militärischer Gewalt in der linearen römischen Kohortentaktik vorsieht. Die von Saumaise gewählte zweite, für die taktische und strategische Theorie bedeutsame Phase ist diejenige der Kaiser Trajan und Hadrian. Das Interesse an der taktischen Theorie respektive der Militärtheorie Vegetius und an derjenigen der griechischen Taktiker (Aelian, Arrian) fällt in diesen Zusammenhang. In der Spätantike und im frühen Mittelalter hatten sich zwei unterschiedliche Traditionen römischer und griechischer Militärtheorie herausgebildet. Der erste byzantinische Traktat, der Vegetius verwandte, wird dem Kaiser Maurikios (582–602) zugeschrieben. In ihm spiegelt sich die Kontinuität byzantinischer Theorie mit der römischen militia (bestimmte Ordonnanzen wurden in Latein wiedergegeben) und der Hellenisierung der Ränge und der Organisation des 6. Jahrhunderts.914 Schließlich wurden die ERM von der byzantinischen taktischen Theorie erfasst und verarbeitet, ganz im Gegenteil zum christlichen Okzident, der Vegetius erst im 9. Jahrhundert ans Licht brachte und vor dem 15. Jahrhundert keine von diesem Autor unabhängige Theorie entwickelte.915 Die Originalität der Legion nach Vegetius bestand darin, dass sie die Kombinationstaktik mit einer gesteigerten Flexibilität der Legion verband.916 Die Revalorisierung des Vegetius im Zusammenhang einer 914 915 916

Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 139. Ebd., S. 143. Richardot: Hie´rarchie militaire, S. 413.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

acies-Theorie erfolgte, wie nicht zuletzt die Schlachtenmodelle Lostelneaus zeigen, wegen dieser Besonderheit der Verbindung unterschiedlicher Waffengattungen in kleinen flexiblen Einheiten, den Kohorten. Auch Caesar war Meister der Kombinationstaktik.917 Zunächst war die von Saumaise in taktischer Hinsicht gewählte, zwischen Polybios und Marius/Caesar und den Caesaren angelegte Zeit eine Zäsur in der Taktik, die den Übergang von der aus 20 Manipeln bestehenden Legion zur Legion der 10 Kohorten implizierte, die von keiner antiken Quelle explizit beschrieben wird. Darüber hinaus wurden die Veliten oder die leichten römischen Truppen, die zwischen den Manipeln verteilt waren, abgeschafft.918 Für die Römer bedeutete die Manipel taktische Dispersion und die Kohorte Konzentration, was nicht verwunderlich ist, denn das sichtbare Resultat der Ersetzung der Manipel durch Kohorten war, dass die cunei wie Frontinus sie nannte (II, 3, 20), von Manipeln durch eine kontinuierliche Linie ersetzt wurde.919 Saumaise unter dem Einfluss der französisch-legistischen Tradition: Von der metabole` politeia zur militärischen Formenlehre Der Übergang von einer politischen Formenlehre zu einer Formenlehre der militia wird durch die historisch-kognitive Kompetenz des Feldherrn ermöglicht. Die Methode der vera et legitima historia ermöglicht heuristisch eine militärische Formenlehre. Der methodische Ursprung liegt in der französisch-legistischen Tradition im Allgemeinen. Cujas und dessen Schule betrachteten das römische Recht zunehmend als ein Corpus rechtlicher Vorschriften, die im Hinblick auf ihre Veränderlichkeit in den Phasen des klassisch-antiken Staates präzise rekonstruiert werden müssen.920 Dass Saumaise ein historisch-kritisches Kompendium der Formveränderungen der militia verfasste, deutet auf wesentliche Umbrüche

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Friedrich Lammert: Die römische Taktik zu Beginn der Kaiserzeit und die Geschichtschreibung (Philologus, Suppl., 23,2) Leipzig 1931, S. 11: »Ebenso gehen laut bell. Hisp. 38 Equites et cohortes zur Verfolgung des Cn. Pompeius ab. Cäsar hat also in seinen sämtlichen Feldzügen die Kombinationstaktik, von der hier die Rede ist, angewandt.«; S. 9f.: Lammert zitiert Delbrück: »Diese Unterstützung der Kavallerie durch schwere Infanterie, die gegen die feindliche Kavallerie offensiv vorgeht, ist die denkbar höchste Leistung der Kohortentaktik. Nur völlig durchgebildete taktische Körper, mit unbedingter Sicherheit geführt, nicht ganze Phalangen, sondern nur Kohorten, denen ihre Kleinheit die Elastizität gibt, sind imstande, so zu operieren‹ urteilt Delbrück I3 581.« Vgl. M. J. V. Bell: Tactical Reform in the Roman Republican Army, Historia, 14 (1965), S. 404. Ebd., S. 409f. William F. Church: Constitutional Thought in Sixteenth-Century France. A Study in the Evolution of Ideas, New York 1969, S. 9.

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hin. Die Formenlehre der Politeia, die an eine Theorie der Mischverfassung gebunden war, wurde in der französischen Monarchie verdrängt.921 In den 1570er Jahren wurde die Lehre von der Mischverfassung im Anschluss an die MFHC und vor allem die Re´publique von Jean Bodin zunehmend tabuisiert. Saumaises Milice kann als militärwissenschaftliches Pendant der bodinschen geschichtsphilosophischen Polybios-Rezeption angesehen werden. Damit knüpfte Saumaise in weitestem Sinne an die taktisch-strategische Methodenlehre Machiavellis an, der in einem aus der antiken Literatur gezogenen taktischen Modell die allgemeinen Grundzüge angelegt sah, damit daraus Regel und Methode für das Entwerfen der anderen begriffen werden können.922 Das bedeutet aber nicht, dass im Übergang von der Formenlehre der politeia zur Formenlehre der militia die Mischtheorie aufgegeben wurde. Vielmehr erfuhr sie eine Umformung, indem sie auf die genuin militärische Ebene verlagert wurde. Die Theorie der Formenlehre der militia hängt aufs Engste mit der Zeichnung von Haupt- und Bestformen und von Übergangstaktiken zusammen. Über eine Bestform der militia entscheidet, ob Kriegskunst und Disziplin gleichwertig entwickelt sind. Diese neue Heuristik oder Semantik von Disziplin und Kriegskunst wurde in einer Hermeneutik antiker militärwissenschaftlicher Kompendien (und nicht der Geschichtsschreibung) gewonnen.

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Schilling: Normsetzung in der Krise, S. 209f.: »Die im Laufe der 1570er Jahre erfolgte Ausdifferenzierung und Polarisierung zumal der die Generalstände betreffenden Positionen hatte unter anderem zur Folge, daß die Idealvorstellung der ›monarchie mixte‹ unter den ›politiques‹ seit Ende der 1570er Jahre rasch an Rückhalt verlor. Der Wandel der Auffassung im Kreis dieser Autoren ist etwa bei Bernard Girard du Haillan abzulesen, der sich in der 1580 erschienen Neuauflage seines Buches über ›Estat et succez de France‹ veranlaßt sah, seine früheren Aussagen zur Frage der Mischverfassung zu präzisieren. Du Haillan erinnerte in offensichtlicher Anspielung auf Bodin an die Thesen einiger escrivains bien hardis, denen zufolge es ein Majestätsverbrechen sei, Frankreich als gemischte Monarchie zu bezeichnen. Angesichts dieses Vorwurfs betonte Du Haillan, er behaupte nicht, daß Frankreich ein estat compose´ de trois fac¸ons de gouvernement sei, sondern lediglich, daß es angesichts der authoritez des trois estats so scheine. Die drei Stände seien freilich der puissance du Souverain unterworfen und leiteten von ihm ihren eigenen Einfluß ab, so wie der Mensch seine Klarsicht der Sonne verdanke.[...] Du Haillan war unverkennbar bestrebt, einem – offenbar durch Bodins ›Re´publique‹ geförderten – Auffassungswandel Rechnung zu tragen, der bereits Ende der 1570er Jahre dazu führte, daß die Verfechter der königlichen Prärogative das Konzept der Mischverfassung nun als mit der Souveränität des Königs unvereinbar ablehnten. Als von der Autorität antiker Autoren zehrendes, panegyrisches Versatzstück war der Hinweis auf die Nähe Frankreichs zur ›monarchia mixta‹ nun jedenfalls nicht mehr zu verwenden; und tatsächlich war in den seit dieser Zeit erschienenen Werken der ›politiques‹ von einer Mischverfassung nicht mehr die Rede.« Vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 563: »Perche` ogni scienza ha le sue generalita`, sopra la quali in buona parte si fonda.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Dass Saumaise die Intelligibilität der Geschichte, wie sie das Werk Montesquieus und Clausewitz kennzeichnet,923 vorwegzunehmen schien, liegt daran, dass er unter dem Einfluss der französischen legistischen Tradition eben nicht auf den Principe und einen Begriff praktischer Klugheit referierte, sondern auf die Discorsi, den Livius-Kommentar und die ersten beiden Bücher der Arte della guerra. Saumaise war nicht mehr an der politischen Legitimierung der Kriegführung in ihrer Rückbindung an die polybianische Mischverfassungstheorie (anaky´klosis) interessiert, die bei Machiavelli eine genuin empirische politische Methode und Anthropologie begründete, und der Kriegführung nach allgemeinen Regeln und der Disziplin. Ihm war an einer Formenlehre der militia selbst gelegen, die eine in philologischer Kritik der antiken militärtheoretischen Texte gewonnen Differenzierung von Kriegskunst- und Disziplin impliziert. Die Normativität von Formenlehre und Systematik auf der Grundlage einer Hermeneutik der antiken militärtheoretischen Legs Entscheidend für diese interpretatorische Wende in der polybianischen Militärwissenschaft des Claude de Saumaise war dessen philosophischpragmatischer Standpunkt, der eine Abwendung von dem spätrömischen Kompilator Vegetius und dessen Methoden der Kriegführung bedingte. Vegetius’ Darstellung konnte sich Saumaise zufolge, nur auf vorhergehende Autoren, d. h. die unter den Kaisern des mittleren Kaiserreiches schrieben, stützen: Vegetius konnte das, was er geschrieben habe, nur den Autoren entlehnt haben, die lange vor ihm gelebt haben, denn in seiner Zeit war die militia nicht mehr kenntlich und hatte nichts mehr von ihrer alten Form bewahrt.924 Machiavelli hatte sowohl Frontinus als auch Vegetius, die seine militärtheoretischen Hauptquellen waren, als genuin römische Militärschriftsteller rezipiert.925 Die Wiederentdeckung der ars militaris der rö923

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Aron: Penser la guerre, Bd. 1, S. 372f.: »L’ambition de Clausewitz, comme celle de Montesquieu, comme celle de tous les sociologues, est de rendre l’histoire intelligible et l’action rationnelle (moyens adapapte´s aux fins). Cette intelligibilite´ re´sulte d’un va-et-vient entre abstraction et histoire ou concept et expe´rience ve´cue, typique de la me´thode clausewitzienne.« Milice, fol. 98: »Vegetius, ne peut auoir pris ce qu’il en a e´crit que des auteurs qui en ont mis quelque chose en e´crit longtemps deuant luy. Car de son temps la milice n’estoit plus reconnaissable et ne retenoit plus rien de son ancienne forme, ie dis telle quelle a` este´ sous les Empereurs du moitoyen Empire.« Bezeichnenderweise bezieht sich Machiavelli in Dell’ Arte della guerra lediglich auf die Bücher I–III des Strategematon Frontinus’, d. h. die Teile, die sich mit den strategemata und nicht mit der strategica, die dem Buch IV vorbehalten bleibt, befassen.

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mischen Autoren ist zwar ein Kennzeichen der Renaissance, es waren jedoch die Byzantiner, die die alten griechischen Konzepte der militärischen oder strategischen Wissenschaft als einer episteˆmeˆ und strategike bewahrten.926 Dies erscheint neben der Wissenschaftsauffassung der französischen Gelehrten der entscheidende Punkt, der die Verlagerung von einem römischen Methodenbegriff der Kriegführung, wie sie noch weitgehend im Anschluss an Vegetius Machiavelli und Lipsius zeichneten, zu einem militärwissenschaftlichen Paradigma, das die griechische und byzantinische Militärtheorie miteinbezieht, die sich durch strategische Konzepte als auch eine spezifische Form des Exerzierens auszeichnet, ermöglichte. Die ERM eröffneten keine Verbindung von Episteme und Strategie. Aus der vegetischen Militärtheorie kann kein genuin intellektualistisches Konzept von Taktik und Strategie abgeleitet werden; vielmehr war die politische Restitution der alten römisch-republikanischen disciplina der Leitgedanke vegetischer Militärtheorie und verband sich mit strategischen Konzeptionen für die kriegsgeschichtliche Konstellation im spätrömischen Reich. In diesem Sinne wurde die auf Willensbildung und körperliche Kraft zielende vegetische disciplina von Machiavelli und noch von Lipsius rezipiert. Im Unterschied zu Machiavelli brach Saumaise die durch Machiavelli geprägte politische Form der Kriegführung nach Frontinus und Vegetius kritisch-hermeneutisch auf und rekontextualisierte die heuristischen Kategorien von Kriegskunst und Disziplin in einem gewandelten strategisch-theoretischen Rahmen, der über die Wahl eines bestimmten Zeitabschnitts in der Geschichte des römischen Imperiums definiert ist (ordo-acies nach Polybios – ordo-acies nach Caesar). 1636 entstand erstmals die Sonderbedeutung des Begriffs der Miliz unter Rückgriff auf die ursprüngliche Bedeutung des militiaBegriffs in der Zeit des römischen Milizheeres vor Marius und Sulla, die in Richtung des modernen Milizbegriffs weist.927 Im Späthumanismus scheinen die Methodenlehren antiker Militärtheoretiker oder genauer der ›epistemische Standpunkt‹ der Theoretiker 926

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Walter Kaegi: Some Thoughts on Byzantine Military Strategy. The Hellenic Studies Lecture, Brookline 1983, S. 15; vgl. auch Bauer: Die Anfänge der Kriegswissenschaft, S. 12: »Erst die byzantinische Gelehrsamkeit hat wiederum Arbeiten umfassenden Inhalts geliefert, die aber Ergebnisse bloß häuslicher Studien und ebenso trocken und unfruchtbar sind, als des Aeneas Strategik unmittelbar und anschaulich abgefaßt ist.«; »Die griechische Kriegswissenschaft hat, sobald sie auf eigenen Füßen zu stehen begann, den Versuch gemacht, ihre Lehre auf die breiteste Grundlage zu stellen, sie bezeugt damit ihre Abstammung von der griechischen Philosophie.« Reinhard Stumpf: Zur Wortgeschichte von ›Militär‹ und ›Miliz‹. In: Art. ›Militarismus‹. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 4; ebd.: »Die im Französischen zuerst 1636 faßbare Sonderbedeutung wurde im Deutschen dann durch den Begriff ›Land-Militz‹ näher umschrieben, der schon für 1681 belegt ist.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

eine Rolle gespielt zu haben, die für die von Saumaise geleistete Hermeneutik der griechischen und römischen Methoden der Kriegführung nicht unwesentlich war. Dabei ist Saumaise auch nicht entgangen, dass sich Frontinus in die griechische militärwissenschaftliche Didaktik einschreibt. In der Tat wandte Frontinus entschiedener als alle Nachfolger die übliche Methodologie systematischer Lehrbücher auf seinen Stoff an.928 Man werde, so M. Fuhrmann, seinen den Bemühungen der Rechtslehrer analogen Versuch, einer rein römischen Fachkunde die Form einer hellenistischen τε χνη zu verleihen, gern als seine persönliche Leistung ansehen. Die Strategemata, eine Schrift über Kriegslisten, bestätigen diesen Befund: Frontinus zeigt sich hier darauf bedacht, das von ihm gesammelte Material in Gattungen [genus] und Arten [species] einzuteilen. Allerdings läßt sich nicht ausmachen, ob er auch in diesem Falle die für seine Darstellung maßgeblichen Schemata selbst erfunden hat: wiewohl die Strategemata des Polyaen noch einige spätere Sammlungen eine derartige Stilisierung zeigen, ist es nicht unmöglich, dass er seine Rubriken nach hellenistischen Mustern eingerichtet hat. Denn gewiß war er in seinem verlorenen Kompendium über die Theorie der Kriegswissenschaft von der Darstellungsform älterer griechischer Werke abhängig; wenn sowohl die Τε χνη τακτικη des Poseidoniosschülers Asklepiodotos wie die römische Kompilation des Vegetius (um 400 n. Chr.) in Stil und Terminologie an die typische Form des systematischen Lehrbuches erinnern, so darf man ein Gleiches für Frontinus’ Schrift vermuten.929

Saumaise hat sich in seiner Hermeneutik offensichtlich mit dem antiken militärwissenschaftlichen Methodenbegriff respektive einem bereits in der Antike entwickelten Methodenbegriff der Kriegführung auseinandergesetzt. Tatsächlich war Saumaise der erste Humanist, der die im 1. Jahrhundert v. Chr. auftretende etymologische Differenzierung von Strategika und Strategemata aufgegriffen hat. Seit Polybios und den Historikern des 1. Jahrhunderts v. Chr. war strategema an den Begriff von List und Täuschung gebunden, während strategika sich auf das Amt des Generals bezog, wenngleich beide Termini bei mehreren Autoren – vor allem bei Onasander – Synonyme blieben. Das Verb ›strategeo‹ hatte einen präziseren Sinn als die Feldherrntätigkeit: bei Onasander bedeutete es das Manövrieren.930 Vergleichbar mit Polybios, der griechische Methodenbegriffe der Kriegführung latinisierte, differenzierte Frontinus stratageme und strategika.931 Frontinus wusste Saumaise zufolge noch zwischen science militaire und stratagemen zu trennen, was ihn von Vegetius, der diesen rezipiert hat, unterscheidet, der nur noch die Disziplin kannte.932 Durch diese 928

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Manfred Fuhrmann: Das systematische Lehrbuch. Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in der Antike, Göttingen 1960, S. 181f. Ebd. Coutau-Be´garie: Traite´ de strate´gie, S. 55. Im Hinblick auf die Semantik von stratagemen, strategika und stratagemata vgl. Wheeler: Stratagem. Saumaise an Jacques Dupuy, prieur du Saint-Sauveur, a` Paris, au logis de M. de

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neue Kontextualisierung und die Verschiebung im historischen Rahmen – der zeitliche Schwerpunkt liegt nunmehr auf dem Übergang von Scipio zu Caesar – erfolgte eine endgültige Abwertung Vegetius’ im Hinblick auf die militärwissenschaftliche Heuristik und die theoretische Matrix der Kriegführung. In diesem Sinne ist die Kritik an der vegetisch inspirierten Militärtheorie des Justus Lipsius seitens Saumaise zu sehen. Saumaises Kritik des Vegetius und Frontinus folgte dieser Differenzierung auf dem Hintergrund einer dichotomisch-stoischen Anthropologie Dass Saumaise Frontinus einräumte, zwischen Strategie und einem Verhalten im Krieg zu unterscheiden, mag mit dessen, dem Polybios vergleichbarer, Stellung zusammenhängen. Beide suchten den Römern griechisches Gedankengut zu vermitteln, wobei sie bewusst auch römische kulturelle Inhalte aufgriffen. Nach den Regeln der griechisch-byzantinischen Taktiker Saumaise beabsichtigte keine kommentierte Textedition der griechischen und byzantinischen Taktiker, sondern er strebte nach einer Synthese, die mit deren Regeln übereinstimmt und sich stark von jenen unterscheidet, die man in den letzten Jahrhunderten angenommen habe. Das könne man Lipsius, Casaubon und all den anderen jüngeren Autoren entnehmen, denn selbst Lipsius und Casaubon und all die anderen jüngeren Militärschriftsteller haben darin grobe Fehler begangen.933 Lip-

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Thou, s.l., s.d. [1636]. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 5, 1882, S. 155: »[...] tout ce qu’il [Vegetius] en dict ne vient pas de son estre, ains de ceux qu’il a compilez et qui vivoient en un temps que l’art de la discipline militaire estoient en sa fleur du Temps de Trajan et d’Adrian, et scay de bonne part qu’il parle la pluspart du temps par la bouche de Frontin qui avoit escript de la science militaire et des stratage`mes.« Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, Juli 1636. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 96f. Hier ist der Verweis auf die Unterschiedlichen historiographischen Positionen von Lipsius und Casaubon angebracht. Vgl. Parenty: Isaac Casaubon helle´niste, S. 105 und besonders S. 106. Vgl. S. 105: »Enfin, sur le plan moral, Rome fournit une re´serve ine´puisable d’exemples a` imiter – ce qui n’est pas le cas de la Gre`ce, comme Lipse l’e´crit dans une lettre a` Nicolas Hacqueville: ›Les Grecs valent par les pre´ceptes, dit quelqu’un, les Romains par les exemples‹«; ebd., S. 106: »C’est sur ce point, pre´cise´ment, de la comparaison entre historiens grecs et latins d’histoire romaine, que Lipse et Casaubon divergent. […] Mais, […], il [Casaubon] pe´fe`re lire l’histoire romaine en grec plutoˆt qu’en latin. Dans la pre´face de Polybe, faisant le tour d’horizon des historiens, il consacre nettement plus de pages aux Grecs qu’aux Romains, et affirme avec force la supe´riorite´ de Polybe sur TiteLive.« Vgl. ebd., S. 107: Casaubon »s’explique sur ce point de`s l’e´dition des Strattage´mata de Polyen (1589), ou` il e´crit dans le´pıˆtre de´dicatoire, adresse´e a` DuplessisMornay: ›Comme chez les Latins e´galement, Frontin, […], a commence´ a` traiter ce sujet [des stratage`mes], en comparant entre eux ces deux auteurs, on comprendra facilement combien les Grecs, quel que soit le sujet auquel ils s’attaquent, sont plus riches en mots et ont un plus grand souci de pre´cision que les Romains en le

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

sius greife zwar in der Zusammenführung von vegetischer Disziplin und polybianischer Politik den strategischen Typus Machiavellis auf, wenn er aber seine Milice nach den Regeln der byzantinischen Taktiker schreiben will (conforme a` leurs re`gles),934 besetze er diesen theoretisch neu. Die Methoden der Kriegführung (militia) sollen nicht mehr Vegetius und einem ›römischen‹ Frontinus, sondern Maurikios und den Militärtheoretikern unter Trajan und Hadrian entlehnt werden. Saumaise sah die Differenzierung von Disziplin und Kriegskunst in der antiken militärwissenschaftlichen Literatur angelegt. Die Römer standen für die Disziplin, die griechische und griechisch-byzantinische Taktik für die Kriegskunst. Indem er die Milice nach den Regeln des Urbicius (Florenz) und des Maurikios (Kardinal Barberini) zeichnete, die in der jüngeren Forschung als identisch betrachtet werden,935 hielt er sich entweder an deren Differenzierung zwischen römischer und griechischer Militärtheorie oder an deren griechische taktische Theorie. Das militärische Handbuch (strategikon, taktika), das die meisten Handschriften Kaiser Maurikios zuschreiben, war für den durchschnittlichen befehlenden Offizier in einer verständlichen Sprache geschrieben. Das Strategikon ist ein wichtiges Stück der byzantinischen Literatur. Neben den entwickelten Formen der Griechen kann der Philologe die Aufnahme des Lateinischen und Germanischen und Wörter aus anderen

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traitant.« Auf die exemplarische Struktur der Lehre Lipsius verweisen eine Reihe jüngerer Arbeiten (vgl. die Beiträge in dem Bandvon Erik De Bom; Marijke Janssens, Toon Van Houdt, Jan Papy (Hg.): (Un)masking the Realities of Power. Justus Lipsius and the Dynamics of Political Writing in Early Modern Europe (Brill’s Studies in Intellectual History, 193), Leiden-Boston 2011). In dem Abschnitt über die acies-Theorie Lipsius’ wurde deutlich, dass die dargelegten strategemata, Schlachtenszenarien bei Lipsius als exempla fungierten. Peiresc an Naude´, Aix-en-Provence, Juli 1636. In: Peiresc: Lettres a` Naude´. 1629–1637, S. 96f. Vgl. Dain, Foucault: Urbicius ou Mauricius?, S. 123: Am 12. Juli 1638 schrieb Saumaise an Dupuy, prieur de Saint-Sauveur: »Quand j’aurai l’Urbicius de Florence et le Mauricius du Card. Barberin, je crois pouvoir faire une œuvre parfaite sur la milice des anciens«. Vgl. zur Tradition von Maurikios/Urbikios Dennis: Introduction. In: Maurikios: Maurice’s Strategikon. Handbook of Byzantine Military Strategy. Übers. v. George T. Dennis, Philadelphia 1984, S. xvi: »The identity of the author of the Strategikon has not been clearly established. The principal manuscript attributes the work to Urbikios, an amateur tactician and poet in the time of Anastasius I (491–518), but this could be a simple scribal error, urbikios for [M]aurikios. The other manusripts and later writers ascribe the work to Emperor Maurice. The Ambrosian codex entitles the book: ›The Taktika of Maurice who lived during the reign of Emperor Maurice.‹ The Greek could originally have read: ›The Taktika of Maurice who later became Emperor Maurice.‹ As pointed out above, Maurice had had extensive military experience in the Eastagainst the Persians and alonge the Danube against the Slavs, as the author of the Strategikon had also certainly had, and he was interested (xvi) in the organization of the army and its tactics.«

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Sprachen in das griechische militärische und administrative Vokabular finden.936 Das Buch enthält die ursprünglichen Informationen über unterschiedliche Völker wie Perser, Slaven et al.; die aktuelle Organisation, Bewaffnung und Taktik der dargestellten Armeen. Das Strategikon stellt die Liste der Befehle auf, um die Infanterie in Schlachtordnung aufzustellen (XII, 14). Nicht zuletzt aus diesem Grund beeinflusste es die Reformen in westeuropäischen Armeen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts.937 Es ist sehr eng mit dem imperialen Denken verbunden, wie es im Imperium Romanum und bereits davor entwickelt war.938 Der historisch-kritische Zugriff auf das antike taktische Modell birgt eine militärwissenschaftliche Systematik, die auf dieser spezifischen auch chronologisch verfahrenden Differenzierungsleistung basiert und damit ein entscheidendes Moment reformierter Wissenskultur aufweist, die sich nicht nur als inhaltliche Kritik des Lipsianischen Disziplinbegriffs und der topologischen Lipsianischen Polybios-Rezeption im Zusammenhang einer taciteischen prudentiellen Lehre versteht. Die acies-Theorie im Zusammenhang einer historisch-kritischen Formenlehre der militia und der Mutationen der Kriegskunst (de mutatione artis militaris) Das Kompendium der Formveränderungen (DRMR) bezieht sich auf die Größe und Unterteilung der Legion. Die Mutation der Ordonnanz in der römischen Legion und ihre Unterteilung in zehn Kohorten rührt von den unterschiedlichen Schlachtordnungen her.939 Demzufolge haben nicht politische Motive zu einer Veränderung der Militärverfassung geführt, sondern primär taktische Entwicklungen. Hatten die Römer zu Beginn kleine Bataillone von 200 Mann gebildet, so organisierten sie sich später in größeren Bataillonen und fassten drei in einem zusammen, Kohorten genannt. So eine Kohorte war letztendlich nur ein großes Manipul, das sich aus drei kleinen zusammensetzte. Um es jedoch von der alten Manipule zu unterscheiden, nannten sie es Kohorte. Ein weiterer militärtheoretischer Bruch zwischen Justus Lipsius und Claude de Saumaise manifestiert sich in der acies-Theorie. Hinsichtlich der acies-Theorie hatte Lipsius das taktische Ideal in den Treffen und Intervallen der Quincunxstellung gesehen; in der Ablösung der Treffen 936 937

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Dennis: Introduction, S. xv. Vgl. John Wiita: The Ethnika in Byzantine Military Treatises, Ph. D. diss., University of Minnesota 1977, S. 11. Bernard S. Bachrach: Rezension von ›G. T. Dennis (tr.), Maurice’s Strategikon: Handbook of Byzantine Military Strategy, Philadelphia 2001‹, Peritia, 15 (2001), S. 413. Milice, fol. 106f.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

durch die Intervalle hindurch glaubte er das ›Arkanum‹ der römischen Kriegskunst zu erkennen.940 Lipsius suchte den Typus der Quincunx philologisch zu rekonstruieren. Es war Saumaise, der die Ausarbeitung – nicht zuletzt im Hinblick auf die strategische Anthropologie (episteˆmeˆ) – nicht mehr an einem ›Treffen (acies)-Typus‹ ausrichtete, sondern eine historisch-kritisch fundierte acies-Theorie anstrebte. Die Differenzierung der strategischen Anthropologie in eine Lebensform und eine Episteme ermöglichte die Entwicklung nicht nur einer Theorie der acies, die den Typus der acies oder die diversen acies-exempla/strategemata überholt, sondern eine Theorie der militia, die als der Hauptbeitrag seitens des Späthumanismus zur the´orie de la guerre de campagne gelten kann. Der Begriff ›militia‹ bezieht sich nicht ausschließlich auf die Organisationsstruktur der römischen Armee und deren bevorzugte Organisationseinheit der Legion. ›Militia‹ bedeutet neben ›Kriegsdienst‹ auch und vor allem als Meton. ›Feldzug‹. Wenn zeitgenössische Quellen der ersten Generationen nach den französischen Militärtheoretikern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges von einer ›the´orie de la guerre de campagne‹ sprechen – insbesondere in Bezug auf das verschollene Kompendium oder Exerzierreglement von Abraham de Fabert –, dann zählt der Abre´ge´ de la milice des Romains und DRMR in dieses Textcorpus, dessen Vorläufer in der französischen Militärtheorie um Heinrich IV., wenn nicht bei De Fourqueveaux zu finden ist. Man mag die These vertreten, dass die Milice des Saumaise einer der zentralen, wenn nicht der zentrale theoretische Text der Theorie des Feldkrieges ist, bevor die französische Strategie durch den späteren General Se´bastien Le Preˆtre de Vauban (1633–1707) dominiert wurde. Vauban hat die Theorie des pre´-carre´ dem Privatrecht entlehnt und zielte auf die Arrondierung und Befestigung der West- und der Nordwestgrenze Frankreichs.941 Es kann diskutiert werden, inwiefern Vaubans Konzeption sich an Saumaises und Lenormants strategische ›Kreistheorien‹, zumindest die des inneren Zirkels anlehnt. Die chronologische Überschreitung der Mischverfassung (anaky´klosis) in der Achse von Scipio zu Marius und Caesar hat nicht nur in der Zeichnung der Übergangstaktik, von einer durch Disziplin und Kriegskunst bestimmten Kriegführung zu einer ausschließlich durch die Disziplin geprägten Kriegführung, eine strategische und verfassungstheoretische Konnotation, sondern manifestiert sich überdies in der taktischen Theorie: die alte polybianische Ordonnanz der Quincunx kontrastiert mit der Ordonnanz der nicht-intervallierten Lineartaktik zu Zeiten Caesars. Es kann daher nicht eigentlich von einem taktischen 940

941

DMR, 1.1, S. 152: »in hac re arti omnis et arcanum, ut sic dicam, militia Romanae: habere vias inter manipulos, claudere ex aperiere eas, prout visum.« Jean Be´renger: Pre´ carre´ (Strate´gie du). In: DGS, S. 1244.

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Paradigmenwechsel gesprochen werden – bereits die Kritik La Valle´es an der Militärtheorie Billons und die mehr an Machiavelli, denn an den oranischen Reformkontext gemahnende acies-triplex-Theorie Rohans legen dies nahe. Vielmehr muss diese im Hinblick auf eine historischkritische Formenlehre antiker taktischer Theorie und die Ausbildung neuer Methoden militärwissenschaftlicher Heuristik erfolgen. Tatsächlich wusste keiner der Militärtheoretiker des 16. und 17. Jahrhunderts wie eine Legion aussah. Keiner von ihnen hatte jemals in einer Legion gekämpft oder kannte sie aus eigener Anschauung. Detaillierte Schilderungen der Legion aus der Antike gab es nicht.942 Der acies-Typus der Quincunx-Stellung war ein philologisches, theoretisches Konstrukt des militärischen Späthumanismus lipsianischer Prägung,943 das von den Oraniern in unvollendeter Form und in den französischen Truppen zur Zeit Ludwig XIII. und noch unter Ludwig XIV. rezipiert wurde.944 Aus der Darstellung bei Livius VIII, 8 und Polybios XV, 9, 7945 hatte sich die Vorstellung gebildet, dass in der Schlachtordnung des Manipularheeres die Manipel der drei Treffen auf Lücke, d. h. schachbrettartig hintereinander oder im Quincunx gestanden haben. Lipsius war der Auffassung, dass die Römer in dieser Schlachtordnung tatsächlich gekämpft haben. Andererseits kann man sich schwer vorstellen, dass die Römer die Nachteile einer so auf Manipelbreiten unterbrochenen Kampfstellung in Kauf genommen haben.

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Vgl. Neill: Ancestral Voices, S. 517; ebd., S. 518: »Aspirants to Roman glory, they had succeeded in capturing the form of their model, but the substance escaped them. This may be due to the fact that no reliable account of the ›substance‹ of the legions has ever been found to exist.« Delbrück: Die Schlacht bei Cannae, S. 488: »die intervallierte Quincunx-Aufstellung, die ja auch nicht quellenmäßig, sondern nur eine Philologenkonstruktion des 16. Jahrhunderts ist.« Vgl. Schneider: Legion und Phalanx, S. 122f. Polybios: Geschichte, Bd. 2, S. 865: »Publius ordnete sein Heer in folgender Weise zur Schlacht: In die erste Linie stellte er die Manipeln der hastati mit Zwischenräumen, dahinter die principes, und zwar ihre Manipeln nicht hinter die Zwischenräume zwischen den vordersten Manipeln, wie es sont bei den Römern üblich ist, sondern in einigem Abstand genau auf Vordermann, in Rücksicht auf die Menge der Elefanten auf der Gegenseite. In der hintersten Linie standen die Triarier. Auf dem linken Flügel erhielten die italischen Reiter unter Führung von C. Laelius, auf dem rechten die gesamte numidische Reiterei unter Massinissa ihren Platz. Die Zwischenräume zwischen den vordersten Manipeln füllte er mit denen der velites aus und befahl ihnen, den Kampf zu eröffnen. Wenn sie durch den Ansturm der Elefanten zum Zurückgehen gezwungen würden, sollten sie das Feld räumen, indem sie entweder, soweit ihnen das gelang, gerade nach hinten durch die Zwischenräume in den Rücken der ganzen Schlachtreihe liefen, wenn ihnen jedoch der Weg abgeschnitten würde, nach der Seite in die nächsten Zwischenräume zwischen den Manipeln auswichen.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Nach Saumaise sind jüngere Philologen und Militärhistoriker wie H. Delbrück, F. Fröhlich et al. gegen diese Meinung aufgetreten.946 Auch E. Lammert referiert, dass Saumaise diese Theorie der intervallierten Quincunxstellung der Legion gänzlich verwarf. Er ist der Ansicht, dass die Hastaten niemals in Intervallen, sondern jederzeit in einer einzigen geschlossenen Linie kämpften und dass die Treffenabstände der Principes und Triarier nur eine vorübergehende Einrichtung der älteren Zeit waren. Als sich ihre Unzweckmäßigkeit erwiesen hatte, wurden sie dadurch beseitigt, dass man die Principes und Triarier auf die Linie der Hastaten dicht aufschließen ließ.947 Erst Saumaise, so die Meinung der modernen Altertumswissenschaftler, vollzog theoretisch den Übergang von der Quincunxstellung und Intervalltheorie, für die die acies-Theorie von Lipsius steht, zur Linientheorie oder Linienstellung. Ihre militärtheoretisch-anthropologische Assimilation erfuhr diese demnach erst mit der Militärtheorie Saumaises mit einem Bezug zu französischen taktisch-organisatorischen Reformprozessen bzw. -bestrebungen und nicht in der lipsianischen oder oranischen Militärtheorie, die sich infolgedessen nicht als ein theoretisches taktisches Modell etablieren konnte. Saumaise erscheint zwar als der erste humanistische Theoretiker der linearen, nicht-intervallierten Kohortentaktik; sein eigentliches theoretisches Anliegen würde jedoch stark unterbelichtet, reduzierte man seinen Beitrag zur Militärtheorie und strategischen Theorie im 17. Jahrhundert auf die Ersetzung der Intervall- durch die Lineartheorie. Vielmehr muss, ausgehend von der in der Milice systematisierten strategischen Anthropologie, die acies-Theorie im Zusammenhang einer historisch-kritischen Formenlehre der militia erörtert werden. Dass sich die ars/scientia/res militaris im Laufe der römischen Geschichte veränderte, hatte eine Formenlehre der militia oder der Kriegskunst (ars militaris) zur Konsequenz. Nicht mehr die Veränderung der Politik oder des Politischen (res publica) stand im Mittelpunkt des historischen Kompendiums und des Kommentars, sondern die Veränderung des Militärs (res militaris oder der militia) in der Geschichte Roms. Das Aufgreifen der Interpretationslinie Machiavellis und Lipsius’ verschließt sich dem analogisierenden Verfahren einer überzeitlichen Sachkritik. Grund dafür ist die paradigmatische Bindung an einen staatstheoretischen oder politiktheoretischen Rahmen und die politische Sprache. Saumaise ging es um mehr als darum, einen Treffen-Typus philologisch zu rekonstruieren. Sein Ziel war – in Verbindung mit seiner im Abre´ge´ dargelegten strategischen Anthropologie –, die Wandlungen 946

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Friedrich Lammert: Art. ›Kriegskunst (römische)‹, RE, Suppl. IV (1924), Sp. 1083f. Lammert: Polybios und die römische Taktik, S. 5.

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der antiken Kriegskunst nachzuzeichnen (de mutatione artis militaris). Es ist daher unzutreffend, schlechthin von einer Ersetzung des Schlachtentypus der Manipularlegion und der Quincunxstellung durch den Typus der linearen Schlachtordnung zu sprechen, denn es würde die Herkunft des strategischen Denkens aus dem klassischen Republikanismus und letztendlich dem Polybianismus nicht gerecht. Im ersten Kapitel des DRMR präzisiert Saumaise, dass er von der Wandlung der Kriegskunst handelt. Auch seine Kritik der vorhergehenden Polybios-Kommentare bezieht sich exakt auf diese Wandlung in der Kriegskunst, die von vorhergehenden Kommentatoren des römischen Kriegswesens nicht erfasst worden war.948 Im Hinblick jedoch auf die Einbindung dieses Übergangs in eine Geschichte der Formveränderungen der antiken taktischen Theorie relativiert sich der theoretische Zäsurcharakter. Der Auffassung, derzufolge Saumaise die Lineartaktik als Gegenentwurf zur Quincunx zeichnete, ist nicht ganz zuzustimmen. Saumaise lässt sich nicht einfach auf die Lineartaktik festlegen. Vielmehr muss sein Modell als komprehensiv betrachtet werden, basiert es doch auf einer Kritik antiker Traditionszusammenhänge (z. B. Vegetius und Frontinus). Eine solche Kritik brachte nicht nur eine neue militärwissenschaftliche Heuristik hervor, sondern eröffnete auch einen neuen ›hemeneutischen‹ Zugriff auf die Legs der antiken taktischen Theorie. Vegetius, den Saumaise im Hinblick auf die Wissensordnung seiner Militärtheorie diskreditierte, wurde in der historischen acies-Theorie wiederaufgegriffen. In dem Vergleich Saumaises von alter und neuer Militärverfassung der Römer selbst erfolgte jedoch keine zwingend normative Abhebung von der älteren römischen Taktik. So heißt es in DRMR: In antiqua ordinatione, sollemnia & velut ordinaria inter singulos cujusque aciei ordines intervalla partim ad emittendos velites & equites, partim ad recipiendos priorum acierum manipulos si quando impares pellendo hosti pedem sensim referre cogerentur. In nova ordinatione nulla intervalla relinqui solita nisi inter ipsas acies si quando aequata fronte collocarentur, ut unam lineam veluti constituerent. Quod genus ordinationis maxime in usu tunc temporis fuit.949

Saumaise war nicht einfach an einer Ersetzung des Lipsianischen aciesTypus und dessen Schlachten-exempla durch einen alternativen Schlacht-Typus gelegen, der strategisch und verfassungstheoretisch mit dem Moment des Übergangs von der Militärverfassung und Strategie von Scipio zu Caesar korrespondierte. Vielmehr trachtete er danach seine acies-Theorie in eine historisch-kritische Theorie der militia einzubetten. Hierbei handelt es sich um eine Formenlehre der militia, die 948 949

DRMR, S. 4. DRMR, Kap. 3, S. 29: »Legionem antiquam sive Polybianam a` Caesariana & nova diversam fuisse ordinatione.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

auf der Einsicht beruht, dass das römische Militär (res militaris) selbst Veränderungen unterworfen war, und es nunmehr Aufgabe ist die Veränderung der Kriegskunst nachzuzeichnen. Im Folgenden soll auf die militärtheoretischen Problemstellungen, wie sie sich in den Texten Rohans und Saumaises finden, einschließlich derer Konvergenz eingegangen werden. In dem DRMR erfolgt eine Diskussion hinsichtlich der Intervalle und des geordneten Rückzugs in Kap. 3 (Legionem antiquam sive Polybianam a` Caesariana & nova diversam fuisse ordinatione). Darin rekurriert Saumaise auf folgende Quellen: Titus Livius, Aelian (makedonische Phalanx), griechische Autoren, die das Leben Alexanders beschreiben, Polybios, Frontinus, Vegetius und Tacitus. Auch Rohan verweist in der Entwicklung des griechischen Modells auf die Bedeutung der Intervalle in der Schlacht.950 d. Das Organigramm der Legion und das französische Militär: Legion, Kommandostruktur und Befehlskette Polybios weist gegenüber Vegetius den taktisch-organisatorischen Vorzug auf, dass er in der Schlachtordnung die Anzahl der Befehlshaber erhöhte. Damit war Polybios insbesondere im Zusammenhang der holländisch-oranischen Militärreformen besonders attraktiv, nicht zuletzt, weil die sozio-ökonomische Struktur der Republik der Vereinigten Niederlande eine Vergrößerung des Offizierskorps zuließ. Jede Kampfeinheit, sei es eine Kompanie, ein Manipel oder enseigne konnte von zwei Offizieren befehligt werden. Das hatte zur Folge, dass die Kohäsion der Armee verstärkt und eine Kontinuität des Befehls an Ort und Stelle sichergestellt wurde (Hist., VI, 24, 7–9). Im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der Kommandostruktur bestanden in der französischen Armee zwar Bestrebungen zur Reform nach holländischem Vorbild; diese wurden jedoch aus Kostengründen nicht realisiert (Anonymus, Mazarine). Der Abre´ge´ de la Milice des Romains enthält eine auf dem antiken taktischen Modell fußende Theorie für eine französische Militärverfassung. Saumaise konzeptualisierte Frankreich gleich Rohan und Lenormant als einen tendenziell offensiven Kriegsstaat; er zeichnet eine ›Kulturkritik‹, die sich auf die zeitgenössische Verfassung der französischen Monarchie bezieht; das nationale Interesse leide, weil jeder sein Privat950

PC, S. 196: »& quand il falloit co(m)mencer la bataille ils sortoient par les interuales, & alloient attaquer l’Ennemy Puis quand les arme´es estoyent prestes a` choquer, ils se retyroyent (sic) par les mesmes interualles, en leurs places derriere leurs gens armes, et par dessus leurs testes faysoyent pleuuoir sur leurs ennemis une gresle de traicts de pierre, & de dards, et fortiffioye(n)t l’espesseur de la Phalange qui pour soustenir le chos se trouuoit lors auoir vingt-quatre hommes de hauteur.«

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interesse verfolge, bemerkt er.951 Dabei griff er nicht die niederländische, sondern die französische Tradition der Legion als Reformmodell der modernen Militärverfassung auf, die – nach einigen Ansätzen im Mittelalter – während der Regierung Franz I. (1515–1547) als militärpolitisches Konzept für praktische Reformen der Militärverfassung herangezogen wurde. Saumaise zufolge ließ Franz I. in den französischen Provinzen sieben Legionen ausheben, in denen er sechs capitaines auf sechs Regimenter verteilte. Die vierzig capitaines d’Escadre waren in der römischen Legion nicht vorgegeben. Auch die bandes von tausend Mann gab es in der römischen Legion nicht; diese bandes waren eigentlich Kohorten. Im ›alten‹ Frankreich bestanden die Kompanien aus dreihundert Mann und jeder capitaine hatte drei caporaux. Hauptsächlich hing die Zahl der caporaux jedoch vom Willen des Fürsten oder Generals ab.952 Im Abre´ge´ wird als zeitgenössisches Vergleichssystem zu den Römern das französische militärische System nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart herangezogen, wie unter anderem die Kenntnis der französischen Rekrutierungspraxis bezeugt, die Saumaise im Abre´ge´ reflektiert.953 Seit Machiavelli galt die Legion, neben der Phalanx, 951

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Milice, fol. 44: »Car cette couˆtume ayant pris pied dans tous les membres de ce grand Empire s’est de temps en temps conserue´e & dure encore parmy nous au grand preiudice des forces et de la vigeur (sic) de nostre Royaume, lequel s’estant forme´ & accruˆ par les armes, ne se peut maintenir que par elles, ou nous voyons auiourd’huy la meilleure et plus grande partie des hommes qui les pouuoient porter occupe´e a` vne autre mestier qui attire a` soy par la facilite´ qu’il y a a` le faire et le gain certain qui en reuient le plus grand nombre de nos gens. Ce qui sert encore a` gaster, comme vne Gangre´ne l’autre partie qui est la plus aine, et a` ronger les antrailles de l’estat au dedans y faisant naistre vne guerre intestine dans la Paix, qui la rend incapable de la porter au dehors & detendre les limites de les limites (sic) de la France, pendant qu’ils deffendent les leurs propres en plaidant.« Ebd., fol. 99: »Le Roi Franc¸ois premier s’auisa durand son Regne de dresser des Legions a` l’exemple des Romains. Il en fit leuer & mettre sur pied sept pour les e´tablir en toutes les prouinces de son Royaume, ayant chacune six mille hommes, et ordonna qu’en chaque de ses legions Il y auroit six capitaines, autant que de Regimens, commandans chacun a` mille hommes et deux Lieutenant si deux enseignes pour chaque bande de mille hommes, laquelle seroit encore diuise´e en dix centaines sous les commandemens de dix centeniers qui estoient les centurions de la legion Romaine. outre cela en chaque bande de mille hommes il y deuoit auoir, suiuant l’ordonnance du mesme Roy, quarante caps d’Escadre commandant chacun a` vingt et cinq homme, lequel office n’a point este´ en la legion Romaine ny rien d’approchant les bandes de mille hommes en la Legion du Roy Franc¸ois estoient proprement ses cohortes militaires, telle qu’estoit la premiere de la Legion Romaine, et beaucoup d’autres dans les troupes auxiliares, qui n’estoient distribue´es en Legions mais seulement en cohortes. En nostre vielle de France, les compagnies estoient de trois cent hommes, e chaque capitaine auoit trois caporaux d’ordinaire, encore que le plus souuent le nombre des caporaux en chaque compagnie de´pendent de la volonte´ du Prince ou du General d’arme´e.« Ebd., fol. 59: »Quand on enrolle nos franc¸ois qui viennent pour entrer au seruice

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

der Cattera und dem Regiment (Battaglione), als Grundform einer nationalen Militärverfassung.954 Jede Nation hat das Regiment (Battaglione) in verschiedene Bataillone (Battaglie) unterteilt. Die Römer teilten ihre aus 5000 bis 6000 Mann bestehenden Legionen in zehn Kohorten, auch das Machiavellische Regiment sollte aus zehn Bataillonen und 6000 Mann zu Fuß bestehen. Jedes Bataillon sollte 450 Mann stark sein, davon 400 Schwerbewaffnete und 50 Leichtbewaffnete. Von den Schwerbewaffneten erhielten 300 Mann Schild und Schwert und 100 Mann Piken und sollen ordentliche Piken heißen. Die Leichtbewaffneten wurden mit Jahken, Armbrust, Partisane und Rundtarsche bewaffnet und erhielten den alten Namen ›ordentliche Veliten‹ (dilectus nach Machiavelli). Eben das historisch-kritische Moment ermöglichte es Saumaise das römische Verfassungsmodell als Grundlage einer politischen Ordnung anzunehmen, das die ursprüngliche Souveränität und die grundlegenden Formen der Militärverfassung zwar beim Volke sieht, das aber sowohl seine ursprüngliche Souveränität irreversibel auf den König überträgt und auch die weitere Formgebung der Armee einem Befehlshaber überantwortet (vnite´ du chef). Lipsius hingegen musste auf dem Hintergrund einer taciteischen Herrschaftslehre davon abraten, den von ihm nach Polybios dargestellten dilectus zu imitieren, da dieser auf eine republikanische Verfassung gemünzt sei.955 Neben die monarchische Regierungsform (re´gime monarchique), die Saumaise als die beste erachtete, tritt demnach ein einziger Oberbefehlshaber der Armee. Den Ausführungen über die militärische Hierarchie geht ein klares Bekenntnis zu einem Oberbefehlshaber voraus – und damit die Absage an einen Kriegsrat, einen conseil de guerre.956 Saumaise kritisierte die Kriegführung einzelner

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du Roy font serment de seruir trois mois sous le Capitaine sous lequel Ils feront montre.« Niccolo` Machiavelli: Die Kriegskunst in sieben Büchern nebst den kleinen militairischen Schriften; als Anhang Auszüge aus Quellenschriften zur Darstellung des Standes der Kriegskunst im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. In: Niccolo` Machiavelli’s sämmtliche Werke, Bd. 3. Übers. v. Johannes Ziegler, Karlsruhe 1833, S. 54: »Damit Ihr aber besser versteht, was unten gesagt werden soll, so müßt Ihr wissen, daß jede Nation ihrer Kriegsverfassung bei ihrem Heere, oder vielmehr bei ihrer Landesbewaffnung, ein Hauptglied angenommen hat, dessen Benennung wohl verschieden war, dessen Stärke überall 6000 bis 8000 Mann betrug. Dieses Glied hieß bei den Römern Legion, bei den Griechen Phalanx, bei den Galliern Caterra. Die Schweizer, welche allein in unseren Tagen einen Schatten vom Kriegswesen der Alten erhalten haben, nennen es Regiment [Anmerkung des Übersetzers: Das Wort Regiment ist der Deutlichkeit wegen gewählt, das Original hat statt Regiment – Battaglione, und was wir Bataillone heißen, nennt er Battaglie.].« KB Den Haag, 128 A–5, fol. 538. Milice, fol. 120: »C’est pourquoy l’vnite´ du chef y est necessairement requise, et s’il est encore besoin qu’il soit bon car vn mauuais causera plus de mal qui n’entendra pas bien son mestier, que plusieurs bons qui ne sentendroie(n)t pas bien ensemble

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Provinzgeneräle, die den Motiven des Gemeinwohls oder der persönlichen Ehre folgen: Die Provinzgouverneure, die seither Lieutenants der Kaiser waren, waren in der Republik (l’e´tat libre de l’Empire) Prokonsuln. Sie führten die Armeen, gaben Schlachten nach ihrem Gutdünken, d. h. wann sie wollten und je nachdem, wie sie es als notwendig erachteten, sei es für das Staatswohl (bien de l’estat) oder für ihren eigenen Ruhm (propre gloire), die Ehre des Triumphes, nach der sie alle strebten.957 Daher führte Saumaise im Sinne einer Disziplinierungskonzeption an der Spitze der Befehlsstruktur einen einzigen Befehlshaber ein. Den Hintergrund für die Einforderung eines Oberbefehlshabers für die Streitkräfte ist die holländische Armee seiner unmittelbaren Gegenwart. So schreibt er: »j’ai veu en Hollande le prince, qui a un pouvoir absolu sur la milice«958. Damit reflektiert er, wie ’t Hart und Rowen es beschrieben

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en ais donnez moy aussi vn bon chef pour gouuerner un estat et un royaume tout entier Et il vous seray auoüez que le regime monarchique est le meilleur de tous. Car pour moy ie tiens que ce n’est pas tout de bien conduire vne arme´e, et qu’il importe quelquesfois dauantage d’entreprendre vne guerre bien a propos, La Rep. aura beau auoir vn bon chef de guerre si sans auoir bien consulte´ les forces […] de choquer Philippe, en l’embarquant dans une guerre, dont la fin ne peut estre que ruineuxe pour elle ayant affaire a` vn si puissant ennemy qui tost ou tard, ou par ses successeurs luy fera plier le col tous les joug. Nous n’entrerons pas plus auant en cette matiere, puisque nostre dessein nous restreint dans les limites du camp.« Ebd., fol. 124f.: »Ces Gouuerneurs de prouince, qui ont este´ depuis les Lieutenans des Empereurs, estoient, pendant l’estat libre de l’Empire des proconsuls, a` qui les prouincaux ?es venaient au sort pour estre par eux regies, lorsqu’ils sortoient de leur consulat. Ils menoient des arme´es donnoient des batailles comme ils vouloient, et quand ils vouloient et suiuant qu’ils le iugoient necessaire, ou pour le bien de l’estat, ou pour leur gloire propre, afin d’emporter l’honneur du triomphe, a` quoy ils aspiroient tous. Ce n’est donc pas de merueille, si l’Empereur ayant succede´ a` la puissance du peuple, ses Lieutenans es/et Prouinces ou ils estoient enuoye´s, iouyssoient du mesme pouuoir et du mesme priuilege de donner la bataille, que les anciens proconsuls ou proprateurs desquels ils tenoient la place, mais quant a` ces autres Lieutenans de legion ils n’ont iamais eü cette autorite´, aussi n’estoient ils pas Lieutenans sur toute l’arme´e, mais seulem. sur vne partie, chacun d’eux n’ayant qu’vne legion a` commander: moins encore l’ont ils eue¨ sous les Empereurs que da(n)s l’estat et la Republique, ou il se trouue quelquefois, qu’ils ont combattu l’ennemy en l’absence du General. Ce que Caesar ne trouue pas bon en la personne mesme de celuy a` qui Il auoit laisse´ toute la charge de son camp, s’absentant pour quelque temps.« Saumaise an Peiresc, Dijon, 13. April 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 1, 1972, S. 283: »Quelques-uns de nostre tems ont tenu que toutes les peines militaires estoient arbitraries. Je ne le crois pas ainsi. Cela est bon, quand c’est le souverain ou le ge´ne´ralissime, qui a tout pouvoir du souverain, qui les impose, comme estoient les ge´ne´raux romains, les consuls ou proconsuls. Mais si les tribunes jugeoient d’une peine militaire ou les le´gats du general, il leur falloit la loy, et ne point exceeder ce qui estoit porte´ par les ordonnances militaries. Pour le souverain, il peut amoindrir la peine, et la remettre tout-a`-fait et faire grace; comme j’ai veu en Hollande le prince, qui a un pouvoir absolu sur la milice.«

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haben959, die im Verhältnis zu Moritz von Oranien zunehmende Hoheit über die Streitkräfte bei Friedrich Heinrich von Oranien. Gegen die Einrichtung eines Kriegsrates mochte auch die Erfahrung des aus der protestantischen Union hervorgegangenen Heilbronner Bundes (1633– 1634) sprechen. Dem am 23. April 1633 in Heilbronn geschlossenen Bündnis gegen die kaiserliche Liga zwischen Schweden und den protestantischen Ständen der fränkischen, schwäbischen und rheinischen Reichskreise stand ein Direktorium vor, dessen Vorsitz Graf Axel Oxenstierna innehatte. Ihm war ein Consilium formatum genannter Rat zur Seite gegeben, der aus drei schwedischen und sieben deutschen Beisitzern bestand. Nach der Schlacht bei Nördlingen am 6. Sept. 1634 (Frieden von Prag) löste sich der Heilbronner Bund wieder auf. Die Einteilung der Befehlshaber (chefs) bezieht sich in einem ersten Schritt auf die Ränge vom General bis zum mare´chal de camp. Im Folgenden erläutert respektive ordnet Saumaise jedoch diese Funktionsbereiche bis auf wenige Ausnahmen nicht durchgängig den römischen Rängen zu. Gegenwärtig seien die mare´chaux de camp mehr als die mestres de camp, die keine wichtigere Charge haben als jeder sein Regiment in den Kampf zu führen und sich an dessen Kopf zu stellen. Und die charge des mare´chal de camp sei außerordentlich und den Marschällen von Frankreich untergeordnet mit denen die Tribune hinsichtlich der Militärgerichtsbarkeit nicht zu vergleichen seien. Denn die Marschälle Frankreichs kennen die militärischen Belange (causes militaires) und sind dem Conne´table beigeordnet, mit dem sie zusammen urteilen, so wie es die Tribune mit den lieutenants ge´ne´raux oder particuliers machten, die sie legatos legionum nannten.960 Saumaises Vorstellungen von der 959

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Im Unterschied zu Moritz von Oranien war Friedrich Heinrich zum Generalkapitän der Generalstaaten ernannt worden. Vgl. ’t Hart: The Making of a Bourgeois State, S. 34: »The conduct of war was supervised by the Estates General, sending deputies with the army in the field. The Stadhouders Maurice and Frederick Henry obtained the highest commanding office, but only the latter was made captain general of the Union«; vgl. Rowen: The Princes of Orange, S. 56: Friedrich Heinrich war noch zu Lebzeiten Moritz von Oraniens zum Befehlshaber ernannt worden und nach dessen Tod General-Kapitän der Generalstaaten, wie diese es Moritz von Oranien versprochen hatten. Friedrich Heinrich hatte eine weitreichendere Befehlsgewalt als Moritz, da sie sich auf alle Truppen erstreckte, die in den Diensten der Generalstaaten standen, darin inbegriffen diejenige der nördlichen Provinzen, wo bedeutende militärische Operationen jedoch nicht mehr stattfanden. Es war Holland, das auf die universale Befehlsgewalt Friedrich Heinrichs über die Truppen der Generalstaaten drängte. Dafür liegen zwei Gründe vor: Die Spanier konnten die Ungewissheit ausnutzen. Und man fürchtete die Illoyalität der fremden Truppen in der Armee der Generalstaaten. Ebd., fol. 138f.: »Auiourd’huy les Mareschaux de camps sont plus que les Mestres de camp, qui n’ont point d’autre charge plus importante que de mener chacun son regiment au combat, et se mettre a` la teste d’iceluy. Et cette charge de Mareschal de camp est extraordinaire et subalterne des Mareschaux de France, auec lesquels,

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militärischen Hierarchie integrieren die Modalitäten und Erfordernisse des Gruppenexerzierens. Nach der Behandlung der Hauptbefehlshaber der römischen Armee werden weitere Befehlshaber (chefs) und Offiziere (officiers) aufgeführt, die den genannten aus mehreren kleinen Korps zusammengesetzten Korps unterstanden. Diese kleineren Korps sind die an dieses Korps angehängten Glieder und führen eigenständige Bewegungen aus: »qui pourroient aller a` contresens et le porter a` gauche ou il seroit besoin de se remuer a` droit et reculer en arriere ou Il faudroit auancer.« Daher bedarf jedes eines gesonderten Befehlshabers, um sie nach der Vorgabe (intelligence) des ersten und obersten Befehlshabers zu leiten und zu bewegen. Dieser oberste Befehlshaber wirkt durch seine Befehle auf alle diese kleinen Korps über seine ihm untergeordneten Befehlshaber, die die Befehle jeweils von ihrem Vorgesetzten erhalten, um sie nach unten weiterzugeben. Saumaise zeichnet hier nichts weniger als eine Kommandostruktur, wie sie moderne, professionelle Armeen auszeichnet.961 Saumaise mochte die römische Legion nicht mit dem Regiment gleichsetzen. In dieser Hinsicht ging ihm jedoch bereits Scaliger voraus, der das französische Regiment nicht mit der Legion, sondern mit den Kohorten identifizierte, die von einem tribuni militum, einem maistre de camp, angeführt werden.962 Die Armee soll von einer Person geleitet werden und nicht, wie zeitweilig in Rom, von zwei Konsuln. In diesem Punkt stimmte Saumaise mit Lostelneau überein, der im Mare´chal de Bataille (1647) dem General in bestimmten Situationen absolute Befehlsgewalt zuschrieb.963 Bei Saint-Luc bezeichnet der Stand des M.e de

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pour ce qui est de la jurisdiction militaire, les Tribuns sont aucunement a comparer. Car les Mareschaux de France connoissent des causes militaires, et sont comme assesseurt du connestable, et iugent auec luy, comme les Tribuns faisoient auec les Lieutenans Generaux, ou particuliers, qu’ils appelloient legatos legionum (sic).« Ebd., fol. 141: »Nous auons discouru au traitte´ praecedent, des principaux chefs de l’arme´e Romaine a` commencer des le General iusques aux mareschaux de camp, et mestres de camp. voyons maintenant des autres chefs & officiers, qui estoient au dessus des sus[d]its corps compose´ de plusieurs autres petits corps, qui sont les me(m)bres lesquels n’estans pas attache´s a` ce corps, comme nos bras et nos iambes le sont au nostre, ils ont aussi leurs mouuemens separe´s, qui pourroient aller a` contresens et le porter a` gauche ou il seroit besoin de se remuer a` droit et reculer en arriere ou Il faudroit auancer. C’est pourquoy il leur faut a` chacu(n) d’eux, des chefs particuliers a` les guider et faire mouuoir selon l’intelligence du premier et principal chef qui iette les influences de ses commandemens par tous ces petits corps, par le moyen de ses chefs subalternes qui les rec¸oiuent du superieur, pour les communiquer a` leurs inferieurs, iusqu’au plus bas etaux derniers. Nous parlerons premierement des centurions, qui suiuent en ordre par les Tribuns iusqu la que le premier Centurion de la Legion pouuoit s’egaler aux Tribuns tant pour l’honneur que pour le profit.« Scaliger: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou, S. 562. Colbert de Lostelneau: Le Mareschal de bataille, A Paris, Estienne Migon, Pro-

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camp in gewisser Weise die Autorität, die früher die Präfekten der römischen Legion innehatten wie der sergent major.964 In dem DRMR treten Bezüge zwischen der antiken militärischen Organisation und Taktik und derjenigen der französischen Armee auf. So hinsichtlich der acies: »Ut hodie fiunt acies percipi haud adeo facile potest quomodo reeptus ille primae aciei ordinum procederet per intervalla sequentis, nisi quis attendat ad forma priscae ordinationis.«965

Die Legion nach Saumaise und die Verbindung zur französischen Militärverfassung Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf eine Stelle im Kommentar zu Tibull von Scaliger und betrifft die Schlachtordnung (acies).966 Scaliger hat Tibull drei Arten von (aktiver) Schlachtordnung entnommen, nämlich die quadratische, die doppelte und die mit dem Pilum bewaffnete (pilatum). Fernerhin übte Saumaise Kritik an der acies-Theorie Lipsius’ hinsichtlich der Anordnung der Truppen im Quadrat.967

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fesseur e´s Mathematiques, & Imprimeur ordinaire du Roy pour le faict de la Milice, Paris, Antoine de Sommaville, 1647, S. 445. Saint Luc, Ms. f. fr. 12366, fol. 47: »L’estat de M.e de camp se rapporte en quelque chose et authorite´ l’auoient anciennement les tribuns et Pre´fets des Legions Romaines comme le sergent major ainsi que nous auons dict.« DRMR, S. 20. Ebd., S. 75: »Cato quoque Junio Philargyro notante, antes appelavit ordines militum agminatum incedentium. De quos nos alibi. Ea quadrata aciesa c simplex veteribus maxime frequentata est, ut etiam Vegetius tradit, ac de ea omnino intellexit Tibullus versibus supra expositis. Mira est ad eum Tibulli locum Scaligeri observatio notantis, tria genera aciei instruendae apponi, quadratum, duplex, pilatum.« Ebd., S. 109f.: »Atqui hanc aciem quadratam simplicem Lipsio nominari placuit, cum illa potius qua antea uti voluerat ex Cassii sententia maxima longitudine directa, sic vocanda esset. Verba Plutarchi Graeca hic subjungemus. Deinde ea exponemus, in quibus interpretandis tantam infantiam prodidit summus vir Lipsius, ut appareat place id nescisse de quo tractandum suscepit in eo opere «; ebd. S. 112: »Alam equitum vertit Lipsius cum docto interprete. Quod falsum est. Turmam debuerunt reddere. Unaquaeque legio trecentos equites habuit, in decem turmas divisos. Ita singulis cohortibus sua turma adstitit. Sed cum ab utroque latere cohortibus adsitae fuerint turmae singulae, dimidiam turmam ab uno latere cujusque cohortis, dimidiam ab altero adplicitam fuisse oportet. Haec forma fuit ordinationis qua Crassus exercitum adversus Parthos instruxit, quam nec Lipsius, necalius quisquam eorum qui rem Militarem Romanorum exponere hactenus conati sunt, intellexit.«; ebd. S. 113: »Exemplum quadratae aciei duplicis ex Livio proposuit idem Lipsius, in qua non minus hariolatus est quam in illa Crassi ex Plutarcho. Utrobique parem harum rerum imperitiam ostendit. Verba Livii sunt quibus pugnam Romanorum cum Latinis decertatam describit lib. VIII.«

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(i) Übersicht über antike Gliederung/Ordonnanz und deren Analogisierung mit moderner Gliederung

Auf diesem Hintergrund muss auch die pragmatische Ausdeutung Saumaises der antik-römischen Kampfeinheiten gelesen werden, die davor warnt die drei Teile der dreistufigen Schlachtordnung der Römer mit Kompanien zu identifizieren. Diese seien vielmehr den Regimentern vergleichbar. Die erste Unterteilung der römischen Legion, wie er sie im vorhergehenden Kapitel aufgewiesen hatte, erfolgte in den drei unten genannten Korps von Hastaten, Principes und Triariern, die man als Regimenter bezeichnen könne. Denn Saumaise glaubte, dass diejenigen sich täuschen, die einem nahelegen wollen, dass die Legion dem gegenwärtigen Regiment entspreche. Daraus ist zu folgern, dass die Kompanien, die lediglich hundert oder höchstenfalls 200 Mann umfassen, in der Lage wären diesem Korps der Legion angepasst zu werden .968 Hier 968

Milice, fol. 67: »La premiere diuision de la legion Romaine, ainsi que nous l’auons montre´ au chapitre precedent, se faisoit en ces trois corps sus mentionne´s, d’ha-

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

verbindet sich die Beobachtung mit der kritischen Applikation des römischen Modells. Da ein General in der Schlacht über die Truppe die Kontrolle verliert, sollen fünf weitere Befehlshaber (chefs) eingesetzt werden. Drei Befehlshaber sollen die in Avantgarde, Bataille und Arrieregarde gegliederte Infanterie anführen, die zwei weiteren Chefs die an den Flügeln stehende Kavallerie. Saumaise nahm im Verhältnis zu Machiavelli und Lipsius eine Ausdifferenzierung der Befehlsstruktur vor und führte als Vergleichssystem die französische Militärstruktur ein. Das militärtheoretische Novum vom 15. Oktober 1635 In einem Brief vom 15. Okt. 1635 eröffnete Saumaise ein militärwissenschaftliches Novum.969 Saumaise hat entdeckt, dass es in der ersten von Polybios beschriebenen militia ein Korps Hastaten gab, welches nach den Veliten die jüngsten Soldaten in der Legion stellten. Dieses corps hastati in jeder Legion war in zehn Kompanien unterteilt, von denen jede von einem capitaine, der Zenturion genannt wurde, befehligt wurde. Jeder dieser Centurionen nannte sich nach der Ordnung der Kompanien (primus hastatus, secuduns hastatus usw. bis hin zum decimus hastatus). Die Entdeckung Saumaises (die er sich selbst als solche zuschreibt) ist folgende: Als die Legion in diese drei corps oder Regimenter (hastati, principes, triarii) eingeteilt war, befolgten sie die gleiche Ordnung in der Schlachtordnung. Die Hastaten begannen den Kampf (das Schlachtengetümmel). Wenn sie aufgebrochen waren, so zogen sie sich hinter die Principes zurück und gingen durch die Intervalle der Bataillone der Principes. Gleiches gilt für die Principes, die hinter den Triariern (den Reservetruppen, die die ganze Arrieregarde der Armee bildeten) in Deckung gingen. Diese Ordnung wurde auch in der Schlacht so umgesetzt. Zunächst die jüngsten (Hastaten), dann die älteren (Principes) und schließlich die ältesten Soldaten (Triarier). Das könne Saumaise durch nahezu ›geometrische Beweisführung‹ belegen: Unter den Kaisern und selbst bei Caesar finde man keine in dieser Weise (d. h. in Hastaten, Principes und Triarier) angeordnete Schlachtordnung mehr. In diesen werden die Triarier nicht mehr erwähnt, die beispielsweise in den Kriegen der Republik, die von Titus Livius beschrieben wurden, sehr häufig

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stati, de principes et de Triarij, que nous pouuons appeler regimens, comme nous auons desia fait. Car ie tiens que ceux la se trompent, qui se font accroire que la legion soit nostre regiment. De la, il sen suiuroit que nos compagnies qui ne sont que de cent ou deux cens hommes les plus grandes seroient en estat destre aiuste´es a` ces corps de la legion qui estoient compose´s de mille cent hommes ou de deux mille hommes.« Extrait d’une lettre de Saumaise a` Peiresc, Leyde, 15. Okt. 1635, Paris, BN, Dupuy 583 (copie). In: Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, Lettres a` Claude Saumaise et son entourage. 1620–1637, S. 389f.

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auftraten, auch nicht die Principes oder Hastaten, die als von der Legion getrennte Korps auftraten und die man in Avantgarde, Bataille und Arrieregarde anordnete. In der neuen Ordnung war die erste mit alten Männern ausgefüllte Kohorte, bestehend aus 600 Triariern, die ehrenvollste, die Anzahl wurde auch in der ersten Division der Legion nicht überschritten. Man stellte daraus die erste Kohorte zusammen, die von gleicher Zahl war. Kämpften die Triarier in früheren Zeiten als Letzte, so befanden sie sich durch die neue Einrichtung in der Schlacht an erster Stelle (les premiers en rang de bataille). Denn sie begannen ihre Schlacht durch die erste Kohorte zu disponieren, die sie an die rechte Spitze des Bataillons stellten. Diese erste Kohorte trug den Legions-Adler, den der Primipilius970 kommandierte und der früher der erste Zenturion der Triarier war. Der würdevollste Primipilus der Legion war der Primus Princeps und danach der Primus Hastatus. Diese drei ersten Centurionen wurden in die erste Kohorte gestellt. Hinsichtlich der Bewaffnung der Triarier korrigierte Saumaise Lipsius, Casaubon und alle Franzosen und Italiener. Schließlich fügte er noch eine allgemeine Maxime an, die besagt, dass bei allen Nationen der Grundsatz befolgt wurde, dass die leichter Bewaffneten das Gefecht beginnen und das Scharmützel angriffen und die ersten Ränge der Schlacht einnehmen und nicht umgekehrt. Damit stellte er die vegetische und machiavellische Taktik auf den Kopf. Weniger die Frage des ordo als vielmehr die Bewaffnung war ein problematischer Punkt in der Interpretation des antiken taktischen Modells und geht offensichtlich auf Scaliger zurück. Der hatte sich vielfach mit der Problematik des pilum befasst. Als militärtheoretisches Novum hob Saumaise die Zäsur in dem ordo hervor, d. h. der Ordonnanz der Scipionen. Es wird der gleiche Zusammenhang aufgegriffen, ohne jedoch den genauen Zeitpunkt der Veränderung angeben zu können.971 Er bezieht sich darin auf Titus Livius und die Historiker der Bürgerkriege. Zu Zeiten Caesars gab es drei Legionen, die die ganze Armee bildeten. Bei der Aufstellung in Schlachtordnung bildete man die Avantgarde aus einer dieser Legionen und aus den beiden anderen die Bataille und die Arrieregarde. Im Jahrhundert des Polybios und der Scipionen seien die drei Legionen nicht in die Schlachtordnung (ordonnance du combat) gestellt worden, wie sie zusammengesetzt waren, und untergliedert in ihre ordres oder Kohorten oder Kompanien. Man habe die Hastaten als 970

971

Vgl. Benjamin: Hierarchy and Command-Structure in the Roman Army, S. 25: Der primus pilus hatte besondere Verantwortung und einen höheren Status als die übrigen Zenturionen. Milice, fol. 72f.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Avantgarde extra gestellt, auf einer anderen Seite die Principes als Bataille und dann auf einer anderen Seite die Triarier als Arrieregarde.972 Auch Saumaise zog die Einteilung Scipios als Modell heran, doch im Unterschied zu Rohan ging er gedanklich einen Schritt weiter. Das Schlachtmodell gliedert sich in Hastaten, die an erster Stelle stehen, Principes, die arrieregarde oder auch dernie`re bataille besteht aus den Triariern. Er verwahrt sich dagegen, die Legion mit dem Regiment zu identifizieren. Ein Regiment entspricht den hastati, principes und triarii.973 Ebenso wie Rohan insistierte Saumaise auf den zugestandenen Distanzen zwischen den Kohorten. Er zitierte darin den gleichen kriegsgeschichtlichen Zusammenhang. Er ordnete die Kohorten, von einer durchgängigen Ordo gedrängt, eine nach der anderen an, ließ einigen Zwischenraum zwischen den Manipulen, damit die Elefanten Hannibals durchgehen konnten, ohne die Ränge zu verwirren oder zu durchbrechen.974 Der kritische Punkt in der damaligen Diskussion war offensichtlich der der Einteilung der Legionen in Kohorten und deren Einsatz in der Schlacht. Man könnte sagen, dass, bei der Lektüre dieses Abschnitts, die römischen Legionen seither in Kohorten und die Batailles in gleicher Art disponiert waren.975 Saumaises Interesse galt der Befehlsstruktur der römischen militia, d. h. der Interpretation der Befehlsstruktur der Legion als einer Organisationseinheit und einer Kampfeinheit. Daher kritisierte er auch Scaliger, der ordo und acies als dissoziierte Kategorien verstanden wissen wollte. Für deren Rekonstruktion waren die literarischen Quellen und die antiquarischen Recherchen, wie sie Saumaise betrieb, von Bedeutung. Die literarischen Quellen geben zwar keine direkte Auskunft über die militärische Hierarchie, aber die Schilderungen der antiken Autoren, ihr Wille die Männer in Aktion zu sehen, können Elemente bereitstellen, indem sie dabei helfen, eine Chronologie oder eine 972

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975

Ebd., fol. 73: »Au temps de Caesar de trois legions qui eussent compose´ tout le corps de l’arme´e, en les rangeant en bataille on euˆt fait lauant garde d’vne de ces legions, et l’autre la bataille et l’autre larriere garde. Au siecle de Polybe et des Scipions ces trois legions n’eussent pas este´ mises dans l’ordonnance du combat comme elles estoient compose´es, et diuise´es par leurs ordres ou cohortes, ou compagnies, ains de trois legions, on euˆt mis a` part les hastati, pour l’auant garde, d’vn autre coste´ les principes pour la bataille et puis d’vne autre part les Triarij pour larriere garde, que nous auons desia dit plus d’vne fois, et le deduirons encore plus particulierement; lorsque nous traitteront de la maniere d’ordonner la bataille.« Ebd., fol. 67. Ebd., fol. 91: »Or il n’ordonna point les cohortes presse´es d’vn ordre continu, les vnes aux autres, ains laissa quelque espace entre les manipules, afin que les Elephans d’annibal, pussent passer a` trauers, sans troubler et rompre les rangs.« Milice, fol. 91: »Qui ne diroit lisant ce passage que les legions Romaines ne fussent des lors distribue´es par cohortes et les batailles dispose´es de mesme.«

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Entwicklung zu präzisieren.976 Offensichtlich suchte Saumaise nach einer Befehlsstruktur, die es I. Benjamin zufolge in der römischen Armee nicht gab.977 Saumaise vertrat jedoch nicht die von Scaliger vorgetragene Meinung. Die in drei gros (hastati, principes, triarii) unterteilten Kohorten konnten nicht in derselben Weise angeordnet sein, wie sie es seither waren. Saumaise nahm an, dass er damit sagen wollte, dass seine Armee nicht in Kohorten geordnet war, d. h. Bataillonen mit 600 Mann, wie es damals die Sitte war, sondern in kleineren Bataillonen zu 200 Mann, die sie Manipule nannten, so dass die Abstände dichter und häufiger auftraten, so dass die Elephanten des Feindes durchgehen konnten. Wenn dies seine Auffassung sei, so stimme sie nicht mit dem Autor überein auf den er sich stützte (dessen Worte er Wort für Wort in seine Sprache übersetze).978 Polybios, der die Ordonnanz (ordonnance) der Armee von Scipio beschrieb, schreibt, dass er nicht die Manipule der principes gegenüber und gegen die Intervalle der Manipule der Hastaten stellte, zumal die Elephanten, die durch die Intervalle zwischen den Rängen (rangs) der ersten Hastaten gingen, zwangsläufig auf die Front der manipules oder die Ränge der principes gestellt wären, die das zweite Korps (corps) der Schlacht bildeten. Saumaise folgerte, dass die Schlachtordnung nicht in Schachbrettform angeordnet war. Dahinter steht die Auffassung Saumaises, dass die Aufstellung (ordines) der Legion (ordres de la legion), die von Polybios beschrieben wurde, sich von den Nachfolgenden unterschied. Dieses Faktum sei in der Militärwissenschaft bislang nicht bemerkt worden und führte zur irrtümlichen Interpretation der Narration antiker Schlachtengeschichte. Als man begonnen hatte, die Schlachtord976

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978

Vgl. M. Ducos: La hie´rarchie militaire dans les sources litte´raires. In: Le Bohec (Hg.), La Hie´rarchie (Rangordnung) de l’Arme´e romaine sous le Haut-Empire, S. 51. Benjamin: Hierarchy and Command-Structure in the Roman Army, S. 23: »To sum up: it has long been recognized that the regular legionary cohort had no administrative functions and hence no administrative officials. We must now add that it had no commander and no starndard of its own and hence no independent tactical function. The legionary cohort, in other words, did not have an independent existence, but was a way of grouping centuries in the barracks and on the battle field. As observed above, the republican legion also did not have any tactical unit intervening between the level of the legion and that of the maniple (double century). Moreover, even the legion itself did not have a commander in the time of Polybius. This has consequences for our views of the command structure of he Roman army and for our understanding of the way in which the legion operated as a fighting force. Between the commander of the legion and the sixty legionary centurions there was no intervening officer with operational responsibility for a battalion-type unit. This is a gap much greater than usually thought.« Milice, fol. 91: »Si c’est la son sens, ce n’est pas celuy de l’auteur, de qui il a pris et duquel il a` traduit les paroles en sa langue, de mot a` mot.«

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nung in Kohorten aufzustellen, folgte diese, sobald der Kampf forciert wurde, nur langsam. Man müsse daher weiterhin damit einverstanden sein, dass die Ordonnanzen (ordo) der Legion, wie sie von Polybios beschrieben wurden, sich von den seither eingeführten gänzlich unterschieden. Keiner der modernen Gelehrten (de nos sc¸auans) habe sich das vorzustellen gewagt. Jedoch sei das sehr beträchtlich, denn ohne diese Kenntnis sei es unmöglich die nachfolgenden Autoren zu begreifen, die die denkwürdigsten Schlachten der Römer beschrieben.979 Als klar definiert und sicher ist folgende Ordnung anzunehmen. Die Römer haben ihre Legionen in Regimenter unterteilt, die sie nach dem Altersunterschied voneinander trennten. Sie kannten außer der Einteilung in Kohorten keine andere Disposition. Nach der Annahme der Einteilung in Kohorten haben sie die alte Ordnung aufgegeben, die die Legion in drei unterschiedliche corps (hastati, principes, triarii) einteilte. Zur Zeit von Polybios teilten sie die Legion in drei Regimenter auf (hastati, principes und triarii) – eine Ordnung, die sie in der Schlacht beibehielten. Die beabsichtigte Darstellung der Schlachtordnung unterbleibt. Es finden sich aber in der Entwicklung der ordo einige aussagekräftige Stellen. Zudem sind einige Begriffe ambivalent. So schreibt Saumaise, dass die ursprüngliche Unterteilung in Hastaten, Principes und Triarier nicht nur taktische Begriffe waren (noms de la tactique), die nur in der Schlacht Anwendung fanden, sondern auch als Organisationsbezeichnungen gebraucht wurden, wie es bei Polybios nachvollzogen werden kann.980 Wenngleich Saumaise in der Milice zu keiner normierten Schlachtordnung gelangt, enthält der Abschnitt über die Wandlungen der ordres einige modelltheoretische, für das Schlachtenmodell und den damit verbundenen Diskussionszusammenhang wertvolle Abschnitte. Auch die Ansätze zu einer Schlachtengeschichte verweisen auf das analytische Repertoire eines Schlachtenmodells. So werden als Beispiele der letzte Punische Krieg (Scipio gegen Hannibal) und der des Bruders Scipios gegen Antiochus angeführt. Nach diesem Jahrhundert finde sich 979

980

Ebd., fol. 72: »Lorsqu’on a` commence´ a` ranger les batailles par cohortes, et qui ne succederoit que l’entement, si le combat estoit presse´ et precipite´. Il faut donc demeurer d’accord, et ie croy qu’apres ce que i’en ay dit et diray encore tout homme de bon sens se trouuera force´ de croire, que les ordres de la legion, comme ils sont de´scrits par Polybe, sont tout a fait differens de ceux qui ont este´ introduits depuis. Ce que personne de nos scauans ne s’est imagine´ de remarquer, et qui neantmoins est grandement considerable. Car sans cette connoissance, il est impossible d’entendre les auteurs qui de´criuent les combats les plus memorables des romains. Et n’e m’estonne pas, si faute d’auoir sc¸eu et remarque´ vne chose de si grande importance les Modernes qui ont traitte´ de la milice romaine se sont me´pris en tant d’endroits, et n’ont puˆ se de´prendre ny demesler d’vne infinite´ d’embarras & difficulte´s qui leur sont venue¨s a` la rencontre.« Milice, fol. 55.

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diese Schlachtordnung nicht mehr. In den Bürgerkriegen zwischen Pompeius und Caesar sei sie schon nicht mehr gebräuchlich gewesen. Die Legionen unterteilten sich nicht mehr in diese drei Regimenter, sondern in Kohorten, denn die Armeen dieser Zeit waren nicht in die drei corps oder Regimenter (hastati, principes und triarii) aufgeteilt. Unter Caesar sehe man lediglich ganze Legionen oder daraus hervorgegangene Kohorten, die in Avantgarde oder Arrieregarde angeordnet waren. An anderer Stelle konstatiert Saumaise, dass die Kohorten in der Miliz des alten Rom nicht üblich waren. Ihre erste Einrichtung schreibt er Marius zu, so wolle es eine unumstößliche Meinung. So wolle es auch die Quelle Sallust (Der Krieg mit Jugurtha), dessen Text jedoch noch einige Überreste der alten Milice assimiliert.981 Weder im Krieg Jugurthas, noch in dem Catilinas begegnet man den alten hastati, principes und triarii, welche die Gelehrten (sc¸auans) in die Blüte des Reiches Caesars datieren. Schließlich folgert Saumaise, dass jegliche Veränderung der Ordonnanz innerhalb der römischen Legion und deren Unterteilung in zehn Kohorten von den unterschiedlichen Ordonnanzen (ordres) herrührt, die die Römer in der Schlacht befolgen wollten.982 Die Kriegsgeschichte ist Ursache der Veränderung der Organisation. Das führt dazu, wie bereits oben bemerkt, dass die Entwicklung von kleinen Bataillonen mit 200 Mann zu deren Vergrößerung führte. Drei Bataillone wurden in einem zusammengefasst und Kohorten genannt, was, so Saumaise, tatsächlich nur ein großer Manipel war, der sich aus drei kleineren zusammensetzte. Die Römer nannten es dennoch Kohorte, um es von dem alten Manipel zu unterschieden. Zudem wurde dieser Begriff zu allen Zeiten für eine größere Truppe verwendet.983 Die modelltheoretische Vorstellung Saumaises folgt, trotz aller Historizität, einem metahistorischen Moment, das die Kontinuität bestimmter Ordonnanzen voraussetzt. Noch bevor er sich an die Darstellung der Schlachtordnungen machte, die er in der vorliegenden Milice nicht realisierte, widmet er sich ausgiebig diesen fortwährenden, gleichsam metahistorischen Ordonnanzen (ordres qui sont perpetuels).984

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Ebd., fol. 100: »quand il dit en un endroit que Marius marchant en campagne aussi serre´ et auec autant d’ordre que s’il euˆt este´ a` la veüe de l’ennemy Il mit en l’auant garde et en l’arriere garde des mestres de camp auec les compagnies ou manipules qui luy sembloient les plus legers et les plus adroits. Cum expeditis manipulis.« Ebd., fol. 106f. Ebd., fol. 107. Ebd., fol. 100: »Pour maintenant acheuons les ordres qui sont perpetuels dans l’armee et qui ne de´pendent pas du changement, auquel la necessite´ du temps et du lieu expose ceux qui se prennent lorsqu’on est prest a` donner bataille pour retourner d’ou nous sommes partis.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Tatsächlich berührt Saumaise hier einen Punkt, der in der philologischen Forschung bis dato strittig ist, nämlich die Datierung des Übergangs von der Organisation der Manipeltaktik, die Polybios eingehend beschrieb, zu einer auf Kohorten basierenden Taktik, die Polybios zumindest kannte.985 Mit diesem militärwissenschaftlichen Novum hob sich Saumaise von der dominanten Forschungsmeinung ab, die der Auffassung war, dass die Untergliederung der Legion in Hastaten, Principes und Triarier noch bis in die Kaiserzeit hinein existent war.986 Die ›richtige‹ Schlachtordnung, einschließlich schematischer Darstellungen findet sich erst in der lateinischen Edition der Milice Saumaises im 11. Kapitel. Auch hier setzte er sich mit Lipsius’ quadratischer Form auseinander. Saumaise wollte die Überlegenheit des Quadrats demonstrieren.987 Lipsius nannte aber in DMR, wo er Instruktionen der Formen aufzählte (instructionis formas enumerat) und erläuterte, quadratae simplicis, die Ordnung, die Crassus gegen die Parther in Schlachtordnung aufstellte. Die taktische Form des Quadrats sei die vorherrschende. Im elften Kapitel treten quadrata aciem, quadratam simplicem, Triplex quadrata, [quadrata acies], [quadrata fronte], Quadratum agmen (Seneca), formam quadratam oblongam auf. Saumaises philologische bzw. inhaltlich-sachliche Kritik bezog sich auf den Punkt der Untergliederung der Legion. Hinsichtlich der Formveränderung der militia kann festgehalten werden, dass die in drei nach Rängen untergliederte Legion in zehn Korps unterteilt war, die man ohne Unterschied Kohorten nannte und die in Alte und Junge eingeteilt waren.988 Man müsse in diesem Punkt den Gegenstand erhellen, um alle Unklarheiten und Zweifel hinsichtlich der Aushebung (dilectus) und Aufstellung (ordo) der Soldaten, die er im folgenden Kapitel behandeln wolle und bei der er sich auf Polybios stütze, aus dem Weg zu räumen. Diese habe keinerlei Ähnlichkeit mit derjenigen, die unter Servius etabliert wurde, was »unsere Leute« (nos gens), die von der militia handelten, verwirrt habe, so dass sie die zu differenzierenden Punkte durcheinander warfen.989 Die Kohorten müssen aufgebrochen und unterteilt wer985 986 987

988 989

Vgl. Dubuisson: Polybe et la ‹militia Romana›, S. 5. Vgl. Milice, fol. 101. DRMR, S. 108: »Quadratam aciem veteres Romanos vocasse longe alia significatione quam qua Graecis τετρα γωνο] τα ξι] appellatur, aut πλινθι ον vel πλαι σιον, in superioribus demonstravimus. Nam quadrata acies ea dicebatur Romanis quae quadratam tantum frontem haberet, & ita adaequatam ac directam ut sunt singola quadrati quod est ιÆ σογω νιον.« Milice, fol. 94f. Ebd., fol. 40f.: »Mais il falloit en celuy icy elcaircir cette matiere, pour ne point porter d’obscurite´ ny de doute dans la maniere d’elire et ordonner les soldats que nous allons traitter au chapitre suiuant, que nous tirerons de Polybe Laquelle n’a

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den, was nicht üblich war, als man begann die Schlachtordnung in Kohorten aufzustellen und die nur langsam folgte, wenn die Schlacht unter starkem äußeren Druck und beschleunigt stattfand. Man müsse daher annehmen, dass die Aufstellung der Legion, wie sie von Polybios beschrieben wurde, sich gänzlich von denjenigen unterschied, die nachfolgend eingeführt wurden. Dies habe keiner der modernen Gelehrten erkannt oder bemerkt. Es sei aber von höchster Bedeutung, denn ohne diese Kenntnis, sei es unmöglich die Autoren zu verstehen, die die denkwürdigsten Schlachten (combats) der Römer beschrieben. Es verwundere ihn auch nicht, dass diejenigen, die von dem römischen Militärwesen handeln, sich, mangels Kenntnis und Notiz einer so bedeutenden Sache, an so vielen Stellen geirrt haben und sich von so vielen Verlegenheiten und Schwierigkeiten nicht freimachen konnten. Saumaise halte daran unerschütterlich fest, dass die Römer ihre Legionen in diese Regimenter unterteilt haben, die nach dem Altersunterschied gegliedert wurden. Sie kannten keine Unterteilung in Kohorten.990 Caesar nenne im X. Buch von De bello civile einen Fulginius, der hastatus Primus der zwölften Legion gewesen sei. Florus spreche von einem Minitius, der der hastatus der vierten Legion war. Man finde jedoch bei keinem Autor, der seit der Veränderung der römischen militia schrieb, der von dem zehnten oder achten Hastatus oder Princeps und weiteren Nummern spreche. Sie sagen zwar manchmal, dass ein Soldat oder Offizier (capitaine) in die zehnte oder achte Ordnung zu den ersten aufgestiegen sei. Man müsse auch den Unterschied der Begriffe bemerken, die die Alten gebrauchten und die sich die Modernen angeeignet haben. Von der in den ersten Jahrhunderten gemachten Einberufung an waren die Legionen in drei

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point de rapport ny de ressemblance auec celle qui fut e´tablie par Seruius [Servius], ce qui a` mis vn peu en de´route nos gens qui ont e´crit de la milice Romaine pour auoir confondu ce qu’il estoit besoin de discerner. Il n’est rien de tel que de distinguer les temps pour accorder les e´critures.« Ebd., fol. 72: »Il faudroit rompre vos cohortes et les diuiser, ce qui ne se faisoit pas Lorsqu’on a` commence´ a` ranger les batailles par cohortes, et qui n succederoit que l’entement, si le combat estoit presse´ et precipite´. Il faut donc demeurer d’accord, et ie croy qu’apres ce que i’en ay dit et diray encore tout homme de bon sens se trouuera force´ de croire, que les ordres de la legion, comme ils sont de´crits par Polybe, sont tout a fait differens de ceux qui ont este´ introduits depuis. Ce que personne de nos scauans ne s’est imagine´ de remarquer, et qui neantmoins est grandement considerable. Car sans cette connoissance, Il est impossible d’entendre les auteurs qui de´criuent les combats les plus memorables des romains. Et n’e m’estonne pas, si faute d’auoir sc¸eu et remarque´ vne chose de si grande importance les Modernes qui ont traitte´ de la milice romaine se sont me´pris en tant d’endroits, et n’ont puˆ se de´prendre ny demesler d’vne infinite´ d’embarras & difficulte´s qui leur sont venue¨s a` la rencontre. Nous tiendront donc doresnauant pour chose definie et asseure´e que lorsque les Romains ont dispose´ et ordonne´ les legions par ces regimens diuise´s suiuant la difference de l’aage. Ils ne connoissoient point l’autre diuision qui les a` dispose´s par cohortes.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Regimenter (Hastaten, Principes, Triarier) und jedes dieser Regimenter in zehn bandes unterteilt. Ein Hastat primus war nichts anderes als die erste bande des Korps der Hastaten und der princeps primus, die erste Kompanie eines Regiments Principes.991 Diese Stelle aus Titus Livius, die sich auf die Schlacht zwischen Römern und Latinern beziehe und wo er die Besonderheiten dieses berühmten Tages ausführe, wollten die Gelehrten an die Aufstellung der militia, die von Polybios beschrieben wurde, gewaltsam angleichen.992 Fazit: Die Formenlehre der militia und die acies-Theorie Saumaises bezeichnen den Endpunkt einer Entwicklung und eines problematischen Diskussionszusammenhangs, der von Machiavelli (Discorsi), über Lipsius (DMR), Wilhelm Ludwig von Nassau (Cannae-Problem) bis zu Rohan (Parfaict capitaine) reicht. Es ist die letzte umfassende Synthese des neurömischen taktisch-strategischen Exemplums. Dieser sich im Sinne der Treffentaktikthese als progressiver Vorgang darstellende Endpunkt einer taktisch-pragmatischen und philologisch-kritischen Entwicklung vereinigt auf sich jedoch mitnichten das Monopol auf militärwissenschaftliche Modernisierung. Von einem gänzlich anderen wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus fasst der Polyhistor Gabriel Naude´ die militärtheoretische Überlieferung in ein Studienprogramm, das Syntagma de studio militari.

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Ebd., fol. 79: »Caesar fait mention au Liure deuxie´me de la guerre ciuile, d’vn certain Fulginius qui estoit hastatus Primus de la legion douzie´me. Florus parle d’vn Minitius, qui estoit hastatus de la quatrie´me legion. Mais vous ne trouuerez point dans aucun auteur de ceux qui ont e´crit depuis ce changement que nous pretendons auoir este´ fait, qui parle de dixie´me ou huictie´me hastatus ou Princeps & d’autres nombres. Ils disent bien quelquefois qu’un soldat ou capitaine est monte´ des dixieme ou huictie´me ordres, aux premiers Il faut aussi remarquer la difference des termes dont les anciens usoient auec ceux qu’ont usurpe´ les modernes, depuis l’inuocation faite, es premiers siecles les legions estoient diuise´es en ces trois Regimens, d’hastati, Principes & Triarij, et chacu(n) de ces regimens diuise´ en dix bandes: Hastat primus, n’estoit autre chose, que la premiere bande du corps des hastati: et princeps primus, la premiere compagnie du regiment des Principes, et ainsi des autres qui suiuoient.« Ebd., fol. 85: »Cet endroit de Tite liue [Schlacht zwischen Römern und Latinern], ou il deduit les particularitez de cette celebre journe´e a semble´ fort confus et intrique´ a` Messieurs nos Maistres qui veulent a` viue force l’aiuster auec l’ordre de la milice qui est de´crit par polybe, En quoy il n’est pas merueille s’ils se sont trouue´s courte? et ny ont pas trouue´ leur conte. L’inauertance des changemens qui se sont faits de temps en temps en la milice Romaine, les a` pousse´es & porte´s dans cet erreur, qui leur a` este´ vn labirinthe inextricable, La force en a` este´ autre sous le Regne de Romulus vn autre de ses successeurs Royes, Seruius y change beaucoup. La forme e´tablie par Seruius n’estoit plus en pratique, au temps que fut donne´e cette bataille que nous auons sur les bras entre les Romains & les Latins.«

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4. Die politisch-militärische Habitus- und Akademielehre Gabriel Naude´s Anders als Saumaise schreibt sich die militärische Lehre von Naude´ nicht in die polybianisch-legistische Tendenz ein. Naude´ setzte sich von Saumaise dahingehend ab, dass er nicht die historisch-philologische ›hermeneutische‹ Methode, sondern im Anschluss an das zweite Buch von De dignitate et augmentis scientiarum (1623) von Francis Bacon einen literärhistorischen Ansatz993 wählte. Er lege zwar soviel Lehre (doctrine) in das Syntagma de studio militari (1637), als es ihm möglich erscheint, aber er wähle diese immer im Hinblick auf den Gegenstand und die Art diesen zu behandeln, die nichts mit den Kritikern (critiques) gemein habe: Darin ähnele das Syntagma de studio militari durchaus dem Syntagma de studio liberali (1631).994 Gleich Saumaise (DRMR) hob sich auch Naude´ (SStM) von einer kompendienhaften und damit verkürzten Wissensvermittlung ab. Daher treten weder DRMR noch das SStM als militärwissenschaftliche Kompendien auf. Ihnen ist nicht an einer Reduktion ihres Gegenstandes auf eine Methode gelegen, sondern an dem wissens- oder wissenschaftsgenerierenden Charakter ihrer jeweiligen Methoden.995 Francis Bacon stellte sich gegen einen Wissenstransfer in Kompendienform: sein Of the provicience and advancement of learning (1605) war gegen eine epitomisierende Tendenz gerichtet.996 Eine solche identifizierte Saumaise in den 993

994

995 996

Vgl. Anette Syndikus: Die Anfänge der Historia literaria im 17. Jahrhundert. Programmatik und gelehrte Praxis. In: Frank Grunert, Friedrich Vollhardt (Hg.), Historia literaria, S. 6f. Syndikus bezieht sich auf Francis Bacon: De dignitate et augmentis scientiarum. In: The Works of Francis Bacon. Hg. v. J. Spedding et al., New York 1864, Reprint Stuttgart-Bad Cannstatt 1963, Bd. 2, S. 198–201 (Lib. II, Cap. 4). S. 6: »Mit der Bezeichnung ›Historia Literarum et Artium‹ wird im Text in einem präzisen Sinn Bezug genommen auf die ›Geschichte der Wissenschaften‹; die Überschrift meint den Gegenstand – in Analogie zur ›Histoira Ecclesiasticae‹ – ›Historia Literaria‹. Zu Beginn des Kapitels konstatiert Bacon ein Defizit: Im Gegensatz zur Kirchengeschichte und zur weltlichen Geschichte im allgemeinen gebe es im Bereich der Wissenschaften keinen historisch angelegten Gesamtüberblick.«; ebd., S 7 f.: »Die programmatisch wichtigen Sätze, die später für die Gelehrsamkeitsgeschichte oftmals geradezu titelgebend geworden sind und die in kaum einer der einschlägigen Definitionen fehlen, finden sich in Bacons Historia-literariaKapitel im zweiten Abschnitt unter ›Argumentum‹: Gegenstand der ›Historia Literarum‹ sind ›doctrinae et artes‹, wissenschaftliche Lehrfächer und Kunstfertigkeiten in historischer Perspektive.« Naude´ an Peiresc, Rieti, 28. Sept. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, 1972, S. 110f.: »j’y mettray le plus de doctrine qu’il m’est possible, mais neantmoins j’ay tousjours choisi celle qui est propre au subject et a` la fac¸on que je le veux traicter, laquelle n’a rien de commun avec les critiques, estant en tout semblable a` celle de l’autre Syntagma de studio liberali.« Vgl. Gilbert: Renaissance Concepts of Method, S. 222. Ebd., S. 114.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

vegetischen ERM, die die Reduktion der Theorie der Kriegführung auf eine Kultur (police) oder Lebensform nahelegen. Er, dessen Abre´ge´ der la milice des Romains gleichfalls kompendienhaft auftritt, setzte sich mit DRMR von dem Kompendienbegriff der ERM und von DMR Lipsius’ ausdrücklich ab. Anders als Saumaise sollte Naude´ diesem epitomisierenden Schema die Systematik eines an einem Speichermodell, sei es in Form einer Bibliographie oder einer Bibliothek, orientierten militärwissenschaftlichen Transfers abgewinnen. Im Mittelpunkt des Romans Nova Atlantis (1627) stand die Vision, sämtliche Prozesse der Natur und der Gesellschaft beherrschbar und gestaltbar zu machen. Anders als die Milice des Saumaise war das SStM nicht dem von französisch-polybianischer Kultur geprägten Oranierprinzen zugeeignet, sondern stand eher im Zusammenhang des politischen Antiquarianismus peirescscher Prägung.997 Naude´ ließ sich nach ersten Studien bei dem Aristoteliker Jano Cäcilio Frey und Peter Padetio in Padua zum Mediziner ausbilden. Seit ca. 1620 war er als Bibliothekar des Parlamentspräsidenten Henri de Mesmes tätig.998 In gleicher Funktion arbeitete er auch für den Kardinalshaushalt Giovanni Francesco Guidi di Bagno (1629/1631–1641). 1641 trat er in den Dienst des Kardinals Antonio Barberini. Richelieu machte ihn aber bald zum Bibliothekar seiner Privatbibliothek – eine Position, die er auch nach dessen Tod unter Mazarin bekleidete. Gegen Ende seines Padua-Aufenthaltes verfasste er eine an Jacques Gaffarel, der bei ihm nach derlei Schriften anfragte, gerichtete politische Bibliographie. Ab da verbanden sich in Naude´ der Bibliothekar und Buchwissenschaftler und der Experte der Herrschaftslehre.999 Dem Neffen des Kardinals Bagno widmete er seine beiden Syntagma, das SStL und das SStM. Mit den Conside´rations politiques sur les coups d’e´tat (publ. 1639) schrieb Naude´ eine programmatische Schrift des Machterwerbs und des Machterhalts für Armand Duplessis Kardinal Richelieu. Darin wird die politische Heuristik des Fürsten von Machiavelli aufgegriffen.

997

998

999

Vgl. auch Franc¸oise Charles-Daubert: G. Naude´ entre la France et l’Italie au temps de Mazarin. In: Jean Serroy (Hg.), La France et l’Italie au temps de Mazarin. 15e Colloque du C.M.R. 17 – sous le patronage de la Socie´te´ d’Etude du XVIIe sie`cle (Grenoble, 25–27 janvier 1985). Grenoble 1986, S. 101–108. Vgl. im Hinblick auf den Kreis um De Mesmes: Janet G. Espiner-Scott: Note sur le cercle de Henri de Mesmes et sur son influence, Me´langes offerts a` M. Abel Lefranc, Paris 1936, S. 354ff. Gabriel Naude´: Conside´rations politiques sur les coups d’E´tat (1639), pre´ce´de´ de ›Pour une the´orie baroque de l’action politique‹, hg. v. Louis Marin, Paris 1989, S. 11.

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A) Kritik der Lipsianischen prudentia mixta und Umformung aristotelischer und thomistischer Habituslehre Anders als Saumaise hob sich Naude´ nicht in erster Linie von der vegetischen Militia-Konzeption Lipsius’ ab, sondern von dessen politischer Klugheitslehre. Naude´ verstand die Klugheit (prudence) nach Aristoteles als eine universale, einheitliche Leittugend, die alle anderen Tugenden (vertus), Umstände (circonstances) und Pflichtmäßigkeiten (observations) umfasst.1000 Auch an anderer Stelle griff er in der Begründung des Staatsstreichs (coup d’e´tat)1001 und der Herstellung der Tyrannis auf die entsprechenden Stellen der Politik des Aristoteles zurück: Diese hieße eigentlich die Paideia und die Mittel, die Aristoteles in der Analytik lehre, um von den Dingen angemessen und nach den Prinzipien, Demonstrationen, die ihnen zu eigen und wesentlich sind, zu sprechen. Daher haben auch Lipsius und Charron davon gehandelt, die ihre Werke nicht unvollkommen lassen wollten. Aristoteles gebe sowohl die Maximen (pre´ceptes) der verderblichen, wie der legitimen Regierungen an, worin ihm Thomas von Aquin in seinen Kommentaren folge.1002 Naude´ folgte der Umdeutung der aristotelischen Habituslehre in der Renaissance, wie sie in den Übersetzungen von Feliciano und Giacomo Zabarella vorgenommen wurde und die im Verhältnis zum Mittelalter weiter ausdifferenziert wurde. Giacomo Zabarella machte 1578 den entscheidenden Vorstoß, die Einteilung der Wissenschaften, verschränkt mit Vermögenspsychologie und Methodenlehre, neu zu bestimmen. Er ordnete die Disziplinen, ihren jeweiligen Gegenständen entsprechend, verschiedenen habitus mentis zu: kontemplative Wissenschaften, die sich mit ewigen Dingen beschäftigen, dem habitus der scientia; praktische Wissenschaften, die Tugenden und Laster behandeln, dem habitus der prudentia. Methode wurde an logisches Wissen als habitus instrumentalis (ars) gebunden. Die Disziplinen werden also als Wissens- und Verhaltensformen, nicht als Methoden definiert. Buch V, 11 und Buch V, 12 1000

1001

1002

Naude´: Conside´rations, S. 212f. Vgl. Aristoteles: NE, VI, 8: »prudentia et scientia civilis iidem sunt animi habitus.« ´ tat Julien Freund: La situation exceptionnelle comme justification de la raison d’E chez Gabriel Naude´. In: Roman Schnur (Hg.), Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs, Berlin 1975, S. 144: »Il ne faut e´videmment pas prendre l’expression de coup d’Etat dans le sens fort, aujourd’hui courant, d’action visant a` s’emparer par la violence ou du moins ille´galement du pouvoir. Ce concept avait un autre usage au XVIIe sie`cle, comme on peut le constater a` l’acte II de la sce`ne 7 du De´pit amoureux de Molie`re.« Allg. benutzte man es in der Politik als Synonym für inte´reˆt d’Etat, utilite´ d’Etat oder sogar als vertu d’Etat (Corneille). Ebd.: »Le coup d’Etat resortissait a` la police de l’Etat lorsqu’elle avait a` faire face aux diverses difficulte´s internes. Ne´anmoins Naude´ lui donne un sens plus e´troit et plus pre´cis en l’opposant aux maximes d’Etat.« Conside´rations, S. 11f.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

der Politik des Aristoteles1003 handelt von der Heuchelei und der Verstellung und stimmt mit den Maximen Machiavellis und Girolamo Cardanos überein. Naude´ suchte demnach die aristotelische Politik mit den Maximen des Machterwerbs Machiavellis zu verbinden. Im Unterschied zu Saumaise nahm Naude´ den in Italien entwickelten Staatsbegriff auf, der die ragione di stato an die Machttechniken des Fürsten bindet. Saumaise hatte sich in Ausgrenzung einer Definition der Kriegführung als ein Verhalten nach den Regeln der Disziplin an die strategische Heuristik der Discorsi und den ersten Dialog der Arte della guerra angeschlossen. Naude´ hingegen lehnte sich an die Praktik des Machterwerbs und die Methoden des Machterhalts, wie sie im Principe (Kap. VIII) vorgezeichnet sind. Allerdings beschränkte er sich nicht, wie die taciteischen Theoretiker der Kriegsräson, auf die Kriegskunst des Fürsten (perizia, exempla ad imitandum). Vielmehr schreibt seine Lehre sich in eine weitere, in der Arte della guerra angelegte, strategische Heuristik ein. Diese Lehre und Art der Kriegführung hob im Anschluss an Vegetius als ›Methodenautor‹, auf Disziplin, Technizität und die Kriegslisten, die sollertia ab. Dieses vegetische Regelsystem besetzte Naude´ nunmehr mit der jüngeren, vornehmlich italienischen Militärliteratur. Die militärische Terminologie nach Vegetius griff auch auf die Herrschaftspraxis der Ernennungskriterien von Ministern nach Eigenschaften, Amt (office) oder Menschenart zurück. In den Conside´rations heißt es: Minister sollen nach vegetischen Kriterien (Ort und Stand) ›rekrutiert‹ werden.1004 Mit dem Bezug auf die Auswahlkriterien (den dilectus) des Vegetius wird deutlich, auf welche Kriterien Naude´ für den militärischen Bereich abzielte: nicht die intellektuelle Kompetenz, sondern die natürliche Anlage (avoir du naturel) galt ihm als Voraussetzung für die Befehlsgewalt in der Armee und auch im Staat: Die einen seien eben zum Befehlen geboren und die anderen zum Gehorchen.1005 Bei seiner Betrachtung der Politik unter dem Gesichtspunkt der Handlungstheorie unterschied Naude´ drei Regeln (ordres) in der Regierungspraxis: die gewöhnliche, die außergewöhnliche und die exzeptionelle. Diese Unterscheidung, die sich in der Bibliographie politique abzeichnet,1006 wird in den Conside´rations in einer dreifachen Kritik an Justus Lipsius, Giovanni Botero und Arnold Clapmar ausführlich behandelt. 1003

1004 1005 1006

Vgl. Aristoteles: Politik, übers. u. komm. v. Eugen Rolfes, Hamburg 1990, V, 11, S. 206. Vgl. Conside´rations, S. 191f. Vgl. ebd., S. 192f. Vgl. La Bibliographie politique du Sr Naude´, contenant les livres et la me´thode ne´cessaires a` estuider la politique avec une lettre de M. Grotius et une autre du Sr Haniel sur le mesme sujet, le tout traduit du latin en franc¸ois [par Charles Challine], Paris, Vve de G. Pele´, 1642.

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Naude´s Kritik an Justus Lipsius’ Konzeption der Klugheit richtete sich insbesondere auf die Unmöglichkeit, infolge der Bestimmung der Klugheit als einer moralischen Tugend und einer gemischten Klugheit (prudentia mixta), den Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Ordnung und einer außergewöhnlichen Ordnung der Regierungskunst zu berücksichtigen. Der Begriff der prudentia mixta, der den Betrug und die List in der Politik zwar zulässt, ermöglicht es allerdings nicht, aus dem gewöhnlichen Rahmen der Kunst der Regelung der Staatsgeschäfte auszubrechen. Für Naude´ war dieser Begriff ein Indiz dafür, dass es Lipsius nicht gelungen war die politische Theorie aus einer moralischen Perspektive zu lösen.1007 Lipsius zitierte Ciceros Definition der Klugheit als »rerum expetendarum fugiendarumque scientia«, als das Wissen um die zu erstrebenden und zu meidenden Dinge (De officiis I, 43, 153).1008 Der Unterscheidung zwischen Klugheit und gemischter Klugheit setzte Naude´ eine instrumentelle und einheitliche Definition entgegen, beharrte aber darauf, dass die Klugheit eine moralische und politische Tugend (vertu morale et politique) bleibt.1009 1007

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1009

Vgl. Gabriel Naude´: Conside´rations politiques sur les coups d’E´tat, eingel. u. komm. v. Franc¸oise Charles-Daubert, Nachdruck der Ausgabe Rom 1639, Hildesheim-Zürich-New York 1993, Kap. 2, S. 31f.: »Iuste Lipse traitant en ses Politiques de la prudence, il la definit en peu de mots, vn choix & tirage des choses qui sont a` fuir ou a` desirer; & apre`s en auoir amplement discouru comme on l’aprend d’ordinaire dans les Escholes, c’est a` dire pour vne vertu morale, qui n’a pour obiet que la consideration du bien; il vient en suite a` parler d’vne autre prudence laquelle il appelle mesle´e, parce qu’elle n’est pas si pure, si saine & entiere que la precedente; participant vn peu des fraudes & des stratagemes qui s’exercent ordinairement dans les Cours des Princes, & au maniement des plus importantes affaires du Gouuernement«. Naude´ antwort auf die Diversifizierung des Klugheitsbegriffs bei Lipsius mit zwei Begriffen der Klugheit, vgl. S. 33f.: »D’ou` il s’ensuit pareillement que comme ces affaires & diuers moyens ne peuuent estre que de deux sortes, les vns faciles & ordinaires, les autres extraordinaires, fascheux, & difficiles; aussi ne doit-on establir que deux sortes de prudence: la premiere ordinaire & facile, qui chemine suiuant le train commun sans exceder les loix & coustumes du pays: la seconde extraordinaire plus rigoureuse, seuere & difficile. La premiere comprend toutes les parties de prudence, desquelles les Philosophes ont accoustume´ de parler en leurs traittez moraux, & outre plus ces trois premieres mentionne´es cy-dessus, & que Iuste Lipse attribue seulement a` la prudence mesle´e & frauduleuse. Parce que a` dire vray, si on considere bien leur nature & la necessite´ qu’ont les Politiques de s’en seruir, on ne peut a` bon droit soupc¸onner qu’elles soient iniustes, vitieuses ou deshonnestes. Ce que pour mieux comprendre, il faut sc¸auoir comme dit Charon, que la iustice, vertu, & probite´ du Souuerain, chemine vn peu autrement que celle des particuliers.« Vgl. Pierre Aubenque: Der Begriff der Klugheit bei Aristoteles, Hamburg 2007, S. 176. Conside´rations, S. 157: »›Il me semble toutefois que pour chercher particulie`rement la nature de ces secrets d’Etat et enoncer tout d’un coup la pointe de notre discours jusqu’a` ce qui leur est propre et essentiel, nous devons conside´rer la

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Im Unterschied zur taciteischen Ausdifferenzierung der Klugheit des Justus Lipsius erfolgte eine Reduktion des Klugheitsbegriffs auf dessen instrumentellen Charakter, der der Logik des Machterwerbs und des Machterhalts folgt. Der Begriff einer rein instrumentellen Klugheit verbindet sich in der politischen Theorie Naude´s nicht mehr wie bei Lipsius mit den nebengeordneten heuristischen Kategorien von prudentia togata und prudentia militaris, sondern mit dem Topos der Proportionalitätsbestimmung von arma et litterae, die er in das komplementäre Wachstum von arma et litterae, von Waffen und Bildung überführte, in einer auf dem Anwachsen der Macht gründenden Monarchie. Obzwar Naude´ gleichfalls ein Befürworter polybianischer politischer Wissenschaft war, differierte seine Militärtheorie und sein militärisches Elitekonzept von der hugenottisch-polybianische Konzeption des Leidener Gelehrten, zumal er keineswegs, wie Burns fälschlich behauptet, auf eine taciteische Klugheitslehre referierte. Naude´ korrigierte vielmehr – in Umformung der aristotelischen Habituslehre – den lipsianischen Begriff der ›gemischten Klugheit‹ (prudentia mixta) und griff auf einen obersten, umfassenden, universalen Klugheitsbegriff zurück, der alle politisch-kontingenten Verhaltensweisen in sich fasst. Seine universale Klugheit (prudence) vereinigt in sich alle übrigen Tugenden (vertus), Umstände (circonstances) und Pflichtmäßigkeiten (observations).1010 Die Rückkehr zu einer (freilich umgeformten) aristotelischen und thomistischen Habituslehre schlägt sich in der Militärdoktrin nieder, die Naude´ wesentlich als eine Akademielehre zeichnete. Er verband die vegetisch-römische disciplina mit einer römischen Bedeutung der Strategeme, die sich nach den Umständen richtet und explizit anti-polybianisch ist, und legte die Achse für ein neues, auf der Beobachtung gründendes Wissenschaftsverständnis. Dieser erneuerte aristotelische Klugheitsbegriff bezog sich also auf die Umstände und legte ein situationsbezogenes Handeln nahe. Der neue Bedeutungsbereich wies eine Affinität zu der vegetisch-römischen, nach Regeln und (frontinischen) Stratagemen operierenden Form der Kriegführung, die bei Machiavelli als Feldherrnkunst angelegt war, auf. Der universale Klugheitsbegriff und das vegetische Paradigma verbanden sich mit der induktiven Me-

1010

Prudence comme une vertu morale et politique, laquelle n’a d’autre but que de rechercher les divers biais, et les meilleures et plus faciles inventions de traiter et faire re´ussir les affaires que l’homme se propose‹. La re´fe´rence a` la vertu morale ne doit pas ici nous masquer l’ope´ration principale que re´alise Naude´ dans cette de´finition, a` savoir l’e´laboration d’une conception simplement instrumentale de la prudence.« Conside´rations, S. 212f.: »si universelle qu’elle comprend sous soy toutes les autres vertus, circonstances, & obseruations que nous pouuons faire icy de la science, modestie, experience, conduitte, retenue¨, discretion, & particulierement de ce que les Italiens appellent Segretezza par vn terme qui leur est propre.«

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thode, der Beobachtung, wie sie die sich abzeichnende wissenschaftliche Revolution charakterisierte. Das heißt auch, dass sich Naude´ gänzlich von einer polybianisch-griechischen Form der Kriegführung löste, wie sie Saumaise in bewusster Abgrenzung von der römischen, auf der Disziplin und den frontinischen strategemata fußenden Kriegführung gezeichnet hatte. Gleich Saumaise brach Naude´ mit dem ›normativen Realismus‹ der anaky´klosis, wie ihn Machiavelli angelegt hatte, der die Kriegführung an die gute, weil stabile Verfassung zurückgebunden wissen wollte. Saumaise hat die beiden bei Machiavelli verschränkten strategischen Typen historisch-kritisch dissoziiert und nicht mehr wie Machiavelli eine an die guten Gesetze zurückgebundene römisch-vegetische Feldherrnkunst, sondern eben jene polybianisch-griechische Feldherrnkunst gezeichnet. Hatte Lipsius, wenngleich auch unter anderen Vorzeichen – Einführung einer kosmischen Dimension des geschichtlichen Werdens und Vergehens (fatum) –, den Krieg erneut in eine (neu-)stoische Kosmologie eingebettet, so führte Saumaise Polybios mit einer hellenischen (platonisch-polybianischen) Tugendlehre (Gesetze der Kriegführung) zusammen. Naude´ verband einen neuartigen, weniger von Tacitus als von Aristoteles inspirierten Begriff einer universalen politischen (praktischen) Klugheit mit dem militärischen Habitus von Kraft und Mut (disciplina) und den römischen, situationsbezogenen Regeln der Kriegführung (nach Vegetius und Frontinus). Nachdem Machiavelli wesentlich eine Reduktion der politischen Philosophie auf die Verschränkung zweier strategischer Konzeptionen vorgenommen hatte – einer im polybianischen Zyklus aszendenten und einer deszendenten, einer offensiven und einer defensiven –, kann man im Späthumanismus nicht nur eine relativ breite philologische Kritik antiker taktischer und strategischer Theorien beobachten, sondern, wenngleich unter gewandelten Vorzeichen, auch die Rückkehr der Strömungen, die an die bedeutenden antiken Philosophien anknüpfen: der Stoizismus in seiner neustoischen Form, der Platonismus1011 und der Aristotelismus. In den unterschiedlichen Theorien der Kriegführung von Naude´ und Saumaise stehen sich nicht zuletzt empeireia und logos gegenüber. Wenn es – wie der Dichter Coleridge behauptet hat – zutrifft, dass sich die Menschheit in Platoniker und Aristoteliker unterteilt, dann könnte man die gesamte Geschichte des Denkens als eine bisweilen gedämpfte, bisweilen heftige Konfrontation zwischen einem ›platonisch geprägten Denken‹ und einem ›aristotelisch geprägten Denken‹ verstehen.1012 Letzteres ließe sich mit Hilfe mehrerer Invarianten definieren: Berücksichti1011 1012

Vgl. Anthony Lloyd: The Anatomy of Neoplatonism, Oxford 1990. Pierre Pellegrin: Art. ›Ariostoteles‹. In: Lloyd Brunschwig (Hg.), Das Wissen der Griechen. Eine Enzyklopädie. München 2000, S. 524.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

gung der konkreten Realität, deren Erfassung die Grundlage für alle weiteren theoretischen Ausarbeitungen bildet; Autonomie dieser Realität, die die Regeln ihrer Erkennbarkeit in sich trägt; systematische Verbindung der verschiedenen Bereiche, die jeweils ihre eigene Rationalität bewahren. Durch den Rausch der Theorie, den die Entstehung der Physik im 17. Jahrhundert auslöste, wurde der Aristotelismus einer dreihundert Jahre währenden theoretischen Läuterung unterzogen.1013 Entsprechend der politischen Habituslehre, die sich von der lipsianischen prudentia mixta abhebt, überging Naude´ in der Addition a` l’histoire de Louis XI (1630) die lipsianische Systematik von militärischer (prudentia militaris) und ziviler Klugheit (prudentia togata). Vielmehr griff er nach Cicero den bibliographisch fundierten Topos von arma et litterae auf und überführte ihn in die Dynamik eines (kontingenten) wissenschaftlichen Wachstums. Das SStM tritt im Zusammenhang der Wachtstumslogik, d. i. einer der historischen Kontingenz durchaus Raum einräumenden Logik der ›Wissensvernetzung‹, komplementär zum SStL auf.

B) Die Axiome des Herrschaftswissens in der Addition a` l’histoire de Louis XI (1630) Gleich Saumaise in der vernakularsprachlichen Fassung seines militärtheoretischen Werks, dem Abre´ge´ de la milice des Romains, legte Gabriel Naude´ zunächst in einem thesenhaften Traktat der Addition1014 Axiome eines Herrschaftswissens und militärischer Kultur in Verbindung mit einer historischen militärischen Organisationsform dar, um dann in einer umfassenderen lateinischen Fassung, dem SStM eine sich in den politischen Antiquarianismus einschreibende, epitomisierende, synchronische Wissensordnung einer Akademielehre vorzulegen. Konfessionelle Rhetorik: Polybios vs. Louis XI Die Addition und der Abre´ge´ schließen an zwei, sich im Zusammenhang der französischen Bürgerkriege ausbildende, antagonistische politische Rhetoriken, Legitimitätsmuster und Machtmethoden an: Das polybianische Muster konkurrierte mit dem historischen Mythos Ludwig XI. Franc¸ois Hotman differenzierte im Anschluss an Polybios zwischen dem Beginn (arkheˆ) eines Ereignisses uns seiner Ursache (aitia).1015 Die wahre 1013 1014

1015

Ebd. Gabriel Naude´: Addition a` l’histoire de Louis XI, contenant plusieurs recherches curieuses sur diverses matie`res, Paris, F. Targa, 1630. Isabelle Bouvignies: Monarchie mixte et souverainete´ des e´tats chez les monar-

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Ursache der Unruhen finde sich nach den Worten Hotmans in der Zeit Ludwigs XI., der der erste war, der die guten Institutionen (praeclara instituta) ›unserer Vorfahren‹ ins Wanken brachte.1016 Wenn man also die von Polybios angezeigte Vermengung von Ursache und Beginn nicht berücksichtige, dann seien die innenpolitischen (und religiösen) Spaltungen kein Erklärungsgrund mehr für die Bartholomäusnacht: Sie seien eher ein Resultat und eine Folge einer durch Ludwig XI. herbeigeführten Umwälzung der Institutionen der alten Francogallia.1017 Es ist demnach der Absolutismus, der von Hotman zwar nicht als solcher benannt wird, der sich am Ursprung der willkürlichen Maßnahmen Karls XI. findet, als er es für gut befunden hat die protestantischen Führer zu beseitigen. Die Ursachen der Bartholomäusnacht sind demnach in erster Linie institutioneller und politischer statt ziviler oder religiöser Art.1018 Im Unterschied zu Claude de Saumaise, der an der antiken taktischen Theorie heuristische Kategorien der Militärwissenschaft für eine recta ratione legendi römischer Militär-, speziell Schlachtengeschichte entwickelt und die theologiegeschichtliche Wendung von Casaubon mitvollzogen hat, bemühte Naude´ den Topos und die diesem inhärierenden Argumentationsmuster von arma et litterae,1019 die kein anthropologi-

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chomaques huguenots. In: Marie Gaille-Nikodimov (Hg.), Le Gouvernement mixte. De l’ide´al politique au monstre constitutionnel en Europe. XIIIe–XVIIe sie`cle. Saint-E´tienne 2005, S. 124. Ebd. Ebd. Ebd. August Buck: Arma et litterae – Waffen und Bildung. Zur Geschichte eines Topos (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. Main, Bd. 28, Nr. 3), Stuttgart 1992, S. 62f. Buck zeigt die zweitausendjährige Geschichte des Topos auf. Dieser trat bereits bei Homer auf, dessen Idealfigur des Helden ›fortitudo‹ und ›sapientia‹ vereingt und den Einfluss dieses auf das Herrscherbild; S. 65: »Sowohl die ›Waffen‹ als auch die ›Bildung‹ erlebten mit dem Übergang vom Mittelalter zur Renaissance einen tiefgehenden Wandel. Das Rittertum als Berufskriegerstand verlor infolge der veränderten Waffentechnik in zunehmendem Maße seine militärische Bedeutung. Trotzdem erhielt sich der Adel die ritterliche Vorstellungswelt als Standesideal und pflegte den ritterlichen Lebensstil, wo etwa in der Etikette und mit der Veranstaltung von Turnieren bei festlichen Anlässen. Spielten die ›arma‹ hier mehr oder weniger nur noch die Rolle eines Standessymbols, so bewahrten sie ihre durchaus konkrete Bedeutung als Verkörperung der ›res militaris‹, d. h. als bewaffnete Macht, welche die Existenz des Staates sichert und ein Mittel der Politik ist; ein überzeugendes Argument, das für den Vorrang der ›arma‹ immer häufiger ins Feld geführt wird.«. Vgl. Verrier: Les armes de Minerve, S. 85: »La plume et l’e´pe´e«. Ebd., S. 87: »Un Topos apparent / En 1551, la question de la pre´e´minence des lettres ou des armes s’est banalise´e au point de faire l’objet de jeux de socie´te´ ou de devinettes galantes«. Ebd.: »La comple´mentarite´ des lettres et des armes par opposition au culte unilate´ral des armes apparaıˆt comme une importation italienne dans une France barbare. En effet le roi, contrairement a` ses compatriotes qui n’appre´cient pas les lettres, mais les abhorrent au point qu’il n’est pas de plus

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scher Dualismus von disciplina und doctrina (Voluntarismus – Rationalismus/Intellektualismus), sondern den Gedanken der Proportionalität und Komplementarität von militärisch-vegetischer Tugend (disciplina), humanistischer Bildung und technischen Kenntnissen impliziert. So findet sie sich unter anderem bei Boitano und war im italienischen militärischen Humanismus als Argumentationsstrategie spätestens seit der plagiatorischen Verwendung der ERM des Vegetius in einem mit strategischen exempla besetzten ciceronianischen Dialog durch Machiavelli angelegt. Machiavelli verwandte die ›List‹ des Dialogs mit dem Ziel der Vermittlung zwischen einem ehemaligen Condottiere, der die Dienste eines katholischen Königs verlassen hatte, und Florentiner Bürgern. Es sollte ein Konsens und damit die virtu` des Staates in der Akzeptanz einer durch das vegetische Ausbildungssystem geprägten virtu` durch die Florentiner optimates erreicht werden. So waren in den französischen Bürgerkriegen und mit dem zunehmenden Auftreten protobürokratischer Eliten im monarchischen Territorialstaat die arma mehr und mehr gegen die litterae gestellt worden.1020 a. Das kulturpolitische Instrument nationaler historischer Mythen – Louis XI, die Reform Frankreichs und das Edikt gegen den Nominalismus Die Addition ist eine Ergänzung der Memoiren von Philippe de Commynes.1021 Naude´ beabsichtigte jedoch keine militärgeschichtlichen Ereignisse (Neueroberungen, Schlachten, Einnahme von Städten) hinzuzufügen.1022 Er folgte vielmehr Plutarch und dem ›großen Mann‹ Scaliger, dessen Kommentar zu Catull er anführt.1023 Auch die Addition schreibt sich in spezifische ideengeschichtliche (möglicherweise nachtridentinische) Konfigurationen ein. Der Addition zur Geschichte Ludwigs XI. von Philippe de Commynes ist ein Edictvm regivm qvo interdicitvr lectio seu interpraetatio Nominalium [Edict de Louys XI. contre la doctrine des Nominaux], ein königliches Edikt gegen den Nominalismus, genauer gegen die ›Sekte‹ der Nominalisten, beigefügt. In der Addition berührt Naude´ die mittelalterliche translatio studiorum. Im Universalienstreit spielte sich im 15. Jahrhundert etwas ab, was von einem anderen Schlag war als die konflikthafte Entfaltung zwischen den Metaphysiken

1020 1021

1022 1023

grande injure que de traiter quelqu’un de clerc, tenait en grande estime les gens de lettres.« Supple: Arms versus Letters. Les me´moires sur les principaux faicts et gestes de Louis onzie`me et de Charles huitie`me, son fils, roys de France. 1489–98, Paris 1524. Addition: ›Advertissement‹, s.p. Ebd.

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des Platonismus und des Aristotelismus: hier ist es um Macht und Machtbeziehungen inmitten des universitären Raumes Europas zu tun.1024 Im Zusammenhang der Speculae griff Naude´ den Topos von arma et litterae auf. Es ging ihm jedoch nicht mehr schlechthin um die Komplementarität von Waffen und Bildung, sondern um das komplementäre Wachstum von Waffen und Bildung (accroissement des armes et des lettres). Die Addition liefert Exempla der gebildeten Könige Frankreichs (Roys de France studieux & lettrez), führt die nationale französische Bildungstradition (universite´ de Paris plus ce´le`bre que les autres) und deren hohe Attraktivität in der Geschichte an, spricht sich gegen die ›Sekte‹ der Nominalisten aus, schildert die Einrichtung der Bibliotheken durch Könige und hebt die Bedeutung der Drucktechnik und die Verbreitung des Buchdrucks hervor. Die Addition zu den Me´moires von Philippe de Commynes, die 1630 veröffentlicht wurde, enthält all die Bestandteile libertinärer Gelehrsamkeit des zukünftigen Bibliothekars von Mazarin: die Lehre von den ›Revolutionen‹ der Reiche, der Religion, der artes und der litterae; eine theoretische und vor allem praktische Reflexion über die Beziehungen von politischer Machtausübung und den Erzeugnissen der Künste und litterae; eine Verteidigung eines auf Erfahrung und Vernunft gegründeten Wissens gegen die Subtilitäten der Scholastik; eine Leidenschaft für die Bücher und all das, was zu ihrer Produktion, Verbreitung und Zirkulation beitrug; eine strenge Praxis der Philologie und der Geschichte. Seine Kritik der Scholastik stützte sich auf De Augmentis Scientiarum von Francis Bacon, wie der Figur von Scylla und der Metapher des Spinnennetzes zu entnehmen ist. Der Logik der coups d’e´tat liegt bereits das induktive machiavellische Verhaltensmodell zugrunde. Dieses erhält seine eigentliche Kontur erst vor dem Hintergrund des pragmatischen Wissenschaftsbegriffs Francis Bacons. Wissen wird durch ein bestimmtes wissenschaftliches Verhalten erzeugt und Wissenschaft ist eine Verhaltensform.1025 Bacons machtpragmatische Funktion des Wissens war von Machiavelli beeinflusst und nicht von Platon.1026 1024

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Vgl. Alain de Libera: Der Universalienstreit. Von Platon bis zum Ende des Mittelalters, München 2006, S. 442. Stephen Gaukroger: Francis Bacon an the Transformation of Early-Modern Philosophy, Cambridge 2001, S. 48f. Ebd., S. 17; s. auch S. 18: »Bacons claim is to shape political power around political understanding, and he will argue that this political understanding should ultimately take into account broader forms of knowledge, especially scientific knowledge. His point is not to redefine epistemology but to underpin the responsible use of power.«

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Das induktive machiavellische Verhaltensmodell verband sich mit der Logik des Staatsstreichs (coups d’e´tat), wie er sich in der Vision des Hofes (und der Liga) in der Bartholomäusnacht (1572) ereignete und einen starken Anti-Machiavellismus in Frankreich vornehmlich unter den Hugenotten und politiques hervorgerufen hatte, dem sich nicht zuletzt Jean Bodin anschloss1027 – die Theorie der coups d’e´tat, entwickelt ihre militärische Anthropologie an der rhetorischen Figur der arma et litterae, einem verhältnismäßig flexibles, proportionales Raster, in dem die Parameter zwischen Soldat und Zivilist oder Staatsmann leicht verschoben werden konnten. Schloss Saumaise an die polybianische Pragmatik der Macht an, so kann nicht nur die politische Theorie Naude´s,1028 sondern auch seine Militärtheorie als im besten Sinne dem italienischen militärischen Humanismus verhaftet bezeichnet werden.1029 Verdeutlichen lässt sich das anhand der Addition, ein Text, den Naude´ in den Conside´rations als den »plus sage & aduise´ de nos Roys« bezeichnete, der als Hauptmaxime seiner Regierung hatte: qui nescit dißimmulare nescit regnare,1030 und an dem SStM (1637). Weit davon entfernt Ludwig XI. uneingeschränkt und emphatisch zu loben, stellte der künftige Verfasser der Conside´rations politiques die Legende in Frage, derzufolge der König ignorant und Feind der litterae sei. Er hob hervor, dass der französische Souverän ein Großmeister (›grand maıˆtre‹) in der politischen Wissenschaft (science Politique) und im Hinblick auf die Mittel sich gut zu etablieren sei, um machtvoll regieren und seinen Kredit bewahren zu können.1031 Ausschließlich dieser sich auf Ansehen und Renommee beziehende Gesichtspunkt kommt in der Sorge Ludwigs XI. für die litterae zum Tragen: wenn Nero selbst in dieser Weise vorgegangen wäre, so »il n’auroit 1027

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Simone Goyard-Fabre: Jean Bodin et le droit de la re´publique, Paris 1989, S. 164: »Les Six livres de la Re´publique sont un anti-Machiavel.« Vgl. Conside´rations. Vgl. Franc¸oise Verrier: L’art de la guerre machiave´lien, ›bre´viaire‹ de l’humanisme militaire. In: Colson, Coutau-Be´garie (Hg.), Pense´e strate´gique et humanisme, S. 60f.: »La politisation du militaire et/ou militarisation de la politique, bref, l’interde´pendance entre res publica et res militaris est une ide´e-force de Machiavel, de´ja` e´nonce´ dans Le Prince, structurellement pose´e dans les Discours, ou` les bonnes armes et les bonnes lois sont mises de fac¸on paritaire au fondement de l’exemplum romain, tandis que le plan meˆme de l’ouvrage, dont le premier livre est consacre´ a` la politique inte´rieure, le second a` la politique exte´rieure (id est a` la guerre) posent un seul sujet: la res publica, dont l’activite´ politique et l’activite´ militaire constituent deux expressions vitales et comple´mentaires.« Conside´rations, S. 34f. Gabriel Naude´: Addition a` l’histoire de Louys XI. Hg. v. Yves Charles Zarka, Robert Damien (Corpus des oeuvres de philosophie en langue franc¸aise), Paris 1999, S. 44: »moyens de se bien establir pour puisamment regner et se maintenir en credit.«

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pas este´ diffame´ pour meschant, ny mis a` mort«.1032 Als Beispiel dient hier der Rozier des Guerres, den Ludwig XI. förderte. Der Legende zufolge soll er gar von ihm selbst verfasst worden sein, um die Erziehung des Dauphin, des künftigen Karl VIII. durch ein politisches Testament zu vervollkommnen. Dieser Text, der zwischen 1481 und 1482 von Pierre Choisnet (v. 1411–1483), dem Arzt und Astrologen von Ludwig XI., verfasst worden war,1033 zählt in die lange Reihe der Fürstenspiegel und Machiavelli sollte einige Jahrzehnte später mit der Arte della guerra und Il Principe der prominenteste Vertreter dieser Gattung sein.1034 Die editio princeps des Rozier des Guerres datiert vom selben Jahr 1521 wie die Erstveröffentlichung von Dell’ Arte della guerra. Auch Le Rozier des Guerres ist eine Kompilation klassischer Texte, besonders aus De re Militari von Vegetius.1035 Das Verhältnis zwischen den Gelehrten und der Staatsmacht wird in den Begriffen eines Bündnisses formuliert: Wenn er Ludwig XI. nahelegt, die litterae zu fördern, dann zum Zwecke der Reputation: »cens tonneres d’Eloquence feront escallter par toute la terre des miracles de vostre Regne«.1036 Das Aufgreifen des Interesses Ludwigs XI. an den artes und litterae war vor allem ein Vorwand Naude´s für die Erörterungen über die Debatte um die Fürstenerziehung (Kap. I), über die Geschichte der Gattungen und der Institutionen des Wissens (Kap. VI) sowie über die Geschichte von Buch und Buchdruck (Kap. VII). Er geht auf die Bedeutung des Wissenstransfers ein: so die arabische Tradition in den Bibliotheken des Escorials und Leiden im Hinblick auf alle Wissenschaftsdisziplinen.1037 Diese Digressionen legen eine neue Art der Ge1032 1033

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Ebd., S. 67. Vgl. Pierre Choisnet: Le Rosier des guerres. Enseignements de Louis XI, Paris, F. Bernouard,1926; vgl. Andre´ Stegmann: Le Rosier des guerres. Testament politique de Louis XI. In: Bernard Chevalier, Philippe Contamine (Hg.), La France de la fin du XVe sie`cle. Renouveau et apoge´e. Economie, pouvoirs, arts, culture et conscience nationales. Actes, Colloque international du Centre national de la recherche scientifique, Tours, Centre d’e´tudes supe´rieures de la Renaissance, 3.–6. Okt. 1983. Paris 1985, S. 313–323. Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 84. Ebd. Addition, Repr. Paris 1999, S. 184. Ebd., S. 142f.: »De sorte que nous leur auons l’obligation d’auoir premierement beaucoup trauaille´ pour illustrer & expliquer preque toutes les Sciences, & puis de nous auoir co(n)serue´ vne infinite´ de bons liures tant de leur traduction que de leur inuention, qui ont desia faict & pourront causer encore vn grand progrez en toutes sortes de disciplines, lors qu’il plaira au Roy d’Espagne & a` Messieurs des Estats de Hollande de nous communiquer ceux qu’ils ont fait rechercher, plustost, co(m)me ie croy, pour le profit du public, que pour le seul ornament de leurs Bibliotheques. Il ne seroit pas a` propos totuesfois de croire que toutes les Muses se fussent retirees par deuers les Arabes, car le bon traictement que leur fit Charlemagne en auoit arreste´ quelques-vnes sur les terres de son Empire, qui firent

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schichtsschreibung nahe, in der die Gegenüberstellung der Quellen und ihre textliche Präsentation eine vorherrschende Rolle spielen. Gabriel Naude´, der nicht selten als der französische Philosoph zitiert wird, der den Ideen Machiavellis am nächsten stand, stellte einen ersten Entwurf einer kritischen Historiographie bereit, die sich auf den Wert der Zeugnisse und die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Erklärungen zu einem Phänomen bezieht. Er unterstrich die Ambivalenz der Geschichte als Quelle von Illusionen und Mythen, die dennoch einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit geltend machen kann.1038 Diese historiographische Position, die sich von der in Hermeneutik und Exegese wurzelnden Kritik des Saumaise fundamental unterscheidet, wird in Bezug auf die ›Miracles en l’establissement de nostre Monarchie‹ evident, worin Naude´ (entgegen libertinären Auffassungen) die Bedeutung nationaler Mythenbildung über die Historiographie hervorhob.1039 Die methodischen Reflexionen der Addition begründeten eine Lehre politischer Praxis, die die Conside´rations und das komplementäre Wachstum der arma und der litterae ankündigten. Einer der nationalen ›Mythen‹, den Naude´ aufgreift, ist die Einrichtung der Ordonnanzkompanien unter Ludwig XI. b. Ordonnanzkompanien und literarische Akkulturation (arma et litterae) Anders als Machiavelli in der Arte della guerra bzw. den Discorsi und Saumaise in dem DRMR schloss Naude´ nicht an den Legitimitätsrahmen von res publica (libertas oppressit) an, sondern an den in der Rhetorik des italienischen militärischen Humanismus verwendeten Topos von arma et litterae. Damit griff er die politische Sprache nicht zuletzt von Lipsius und besonders des von ihm privilegierten1040 Montaigne auf.

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escallter tout d’vn coup assez bon nombre de grands personages, tells qu’ont este´ Leidardus, Agobard, Hincmare, Theodulphus.« Im Hinblick auf die Geschichtsmethode Naude´s vgl. Simone Mazauric: De la fable a` la mystification politique. Naude´ et l’autre regard sur l’histoire, Corpus, 35 (1999), S. 73–88; Lorenzo Bianchi: Politique, histoire et recommencement des ›Lettres‹ dans ›L’Addition a` l’histoire de Louis XI‹ de Gabriel Naude´, Corpus, 35 (1999), S. 89–115; Yves Charles Zarka: L’ide´e d’une historiographie critique chez Gabriel Naude´, Corpus, 35 (1999), S. 11–24. Addition, Repr. Paris 1999, S. 26f.: »la barbarie du temps iointe au peu de iugement de nos Historiens persuaderoit facilement que nos Ancestres n’estoient propres qu’a` composer des Romans. Ie ne feray pas neantmoins comme les esprits libertins de ce siecle, qui se mocquent des plus signalez miracles de nostre Monarchie, & les rangent parmy ces faussetez: car c’est trahir son party, & n’auoir point d’affection pour son pays, de le vouloir malicieusement fruster de ce que les estrangers luy accordent.« Conside´rations, vgl. Einleitung.

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Gabriel Naude´, der sich bereits in der Addition mit dem Verhältnis zwischen den beiden Werte- und Wissenssystemen als auch sozialen Systemen der arma und der litterae befasst hatte,1041 evozierte die an dieser Diskussion Beteiligten. Bei ihnen handelte es sich sowohl um Gelehrte (Humanisten und Pedanten) als auch um Politiker, d. h. die mit der Regierungskunst bzw. der Technik des Regierens befassten Gruppen, die auf Machiavelli zurückgingen.1042 Er errichtete darin die Grundlagen einer ›königlichen Wissenschaft‹. Die Gelehrtesten und diejenigen, die man als Pedanten bezeichnet, haben ebenso gut über dieses Thema philosophiert wie die feinsinnigsten Politiker. Vorausgesetzt jedoch, dass man sie in den Büchern derjenigen, die als die Besten und Urteilsfähigsten gelten, gut zu wählen wisse. Wenn man rundweg verneine, dass die litterae dem Prinzen notwendig seien, folge man Ovid.1043 Naude´ entwickelte den Topos der arma et litterae auf dem Hintergrund zweier gegensätzlicher Meinungen, wie sie für die, in den Religions- und Bügerkriegen entstandene, adelsfeindliche Position der zivilen französischen Eliten kennzeichnend gewesen sein mögen.1044 Diese zwei Meinungen seien diametral entgegengesetzt; er vertrete eine Meinung, an der man erkennen könne, dass Ludwig XI. all die für die klugen und 1041 1042

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Addition, Repr. Paris 1999, S. 24f. Art. ›Politiques‹. In: Antoine Furetie`re, Dictionnaire universel contenant ge´ne´ralement tous les mots franc¸ois, tant vieux que modernes, et les termes de toutes les sciences et des arts, Den Haag 1690 posthume, repr. Faksimile, Paris 1978, s.p. »Celuy qui sc¸ait l’art de gouverner, ou qui en juge suivant les lumieres qu’il a acquises. Les plus grands politiques ont e´te´ trompez par les evenements, ont eu une fin malheureuse. Dans les troubles de la Ligue il y avoit les Politiques, qui estoient du party du Roy contre les Ligueurs. Les Nouvellistes sont tous politiques, & jugent a` tort & a` travers de tout ce qu’ils voyent arriver dans les Estats. Machiavel e´toit un grand & dangereux politique; – adj.m.f. Qui concerne le gouvernement, la conduite de la vie. Les Discours Politiques & Militaires du Sr. De la Noue. Le Tresor Politique, ou Recueil de plusieurs instructions des affaires d’Estat. Cet homme a une conduite fort politique & cache´e, c’est un esprit politique.« Addition, Repr. Paris 1999, S. 26f.: »J’y establiray aussi le fondement de cette science Royale, et sans estre bride´ ny prevenu de toutes les raisons et authoritez cy dessus propose´es pour l’une ou l’autre opinion, j’en advanceray d’autres qui tesmoigneront bien que les plus doctes, et ceux que l’on tient pour pedants, ont aussi bien philosophe´ sur cette matiere, que les plus subtils et deliez Politiques; pourveu ne´antmoins qu’on les sc¸ache bien choisir dans les livres de ceux qui sont estimez les meilleurs et plus judicieux de leur troupe: Car s’il estoit question de nier absolument que les lettres soient necessaires aux Princes, Ovide ne semble il pas l’avoir desja dict en ces deux verts? Qui bene pugnabat Romanam noverat artem.« Vgl. Rowlands: The ethos of blood and changing values?, S. 99: Zwischen dem 14. und 15. Jh. trugen Faktoren wie militärische Spezialisierung, der zunehmende Festungs- und Belagerungskrieg und das Aufkommen gut organisierter Söldnerheere zu einer Entmilitarisierung eines großen Teils des Adels bei. Die Intensivierung des Bürgerkriegs ab den frühen 1590er Jahren und die enge Identifikation von Adel und militärischer Macht rief jedoch eine Verbindung zwischen Anti-Kriegsgefühlen und eine gegen den Adel gerichtete Aversion hervor.

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beratenen Politiker erforderlichen Eigenschaften besessen habe. Offensichtlich forderte er im Anschluss an die aristotelische Tugendlehre und nach Horaz einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen. Er begründe darin auch die Grundlage dieser königlichen Wissenschaft, ohne sich von den Argumenten und Autoritäten, die der einen oder anderen Meinung zuneigen, beeinflussen zu lassen, die zeigen, dass die Gelehrten (doctes), die sogenannten Pedanten oder auch die feinsinnigsten politiques darüber nachgedacht haben. Man müsse diese in den Büchern der Hervorragendsten und der Scharfsinnigsten ihrer Gruppe gut auszuwählen wissen.1045 Im Zusammenwirken von Humanismus und politischer Pragmatik sollen militärwissenschaftliche Grundlagen entwickelt werden, die nicht in erster Linie eine kognitiv-wissenschaftliche, sondern eine Habitus, eine Lebensform bildende Funktion haben. Erstere führe zur Begründung einer machtpolitischen Klugheitslehre, Letztere ziele jedoch auf die Ausbildung der Tugenden des Fürsten und auf die Abmilderung seiner gewaltsamen Impulse. Die Rolle der Lektüre antiker Schriten bzw. ihrer (litterae) und der Theorie (doctrine) sei eine dreifache: eine moralphilosophisch-zivilisierende, ein militärisches Ethos, das auf Erlangung von Ehre und Ruhm (miles gloriosus) und eine Schärfung der Urteilskraft bzw. des Verstandes zielt. Naude´ wünsche nicht, dass der Fürst sich anderen Dingen als dem Studium widme und die Lehre (doctrine) und die antike Literatur verabscheue, denn diese mildern und mäßigen die gewaltsamsten Impulse, erwecken das Streben nach Ehre (honneur) und Ruhm (gloire), schärfen den Verstand (jugement) und vermehren die Klugheit (prudence).1046 1045

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Addition, Repr. Paris 1999, S. 26f.: »Ces deux opinions directement contraires estant ainsi propose´es et deduittes suivant leurs principales raisons, il faut maintenant declarer quelle est la mienne, afin que par la suitte de ce discours on juge plus facilement comme Louys XI. a eu toute les conditions requises aux plus sages et advisez Politiques. Et parce que toute vertu et perfection se rencontre ordinairement au milieu des deux extremes, comme en son centre et au lieu qui luy est le plus propre et convenable. Quem ultra citraque nescit consistere rectum; [Horatius] J’y establiray aussi le fondement de cette science Royale, et sans estre bride´ ny prevenu de toutes les raisons et authoritez cy dessus propose´es pour l’une ou l’autre opinion, j’en advanceray d’autres qui tesmoigneront bien que les plus doctes, et ceux que l’on tient pour pedants, ont aussi bien philosophe´ sur cette matiere, que les plus subtils et deliez Politiques; pourveu ne´antmoins qu’on les sc¸ache bien choisir dans les livres de ceux qui sont estimez les meilleurs et plus judicieux de leur troupe: Car s’il estoit question de nier absolument que les lettres soient necessaires aux Princes, Ovide ne semble il pas l’avoir desja dict en ces deux verts? Qui bene pugnabat Romanam noverat artem.« Ebd., S. 28: »Je ne desire doncques pas, pour revenir a` nostre opinion, que le Prince s’addonne a` toute autre chose qu’a` l’estude, et abhorre totalement la doctrine et les lettres; parce qu’elles adoucissent et moderent les passions plus violentes, excitent le desir d’honneur et de gloire; et outreplus affinent, aiguisent et augmentent la prudence et le jugement.«

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Die theoretische Bildung wird damit nicht wie bei Saumaise als intellektuelle Selbstbetätigung der militärischen Eliten aufgefasst, sondern im Sinne der Affektregulierung funktionalisiert. Auch in dem SStM verteidigte Naude´ die ars militaris gegenüber literarischer Sophisterei1047 und betonte die Bedeutung der praktischen Wissenschaften und der Ingenieurskunst – wie die Arithmetik zur Bildung der Bataillone, die Mangnaria (Ballistik), die Kriegsbaukunst, das Maschinenwesen, die Hydrographie, die Geographie und vor allem die Geschichte –, denn diese sei, in Verbindung mit der Erfahrung, die beste Lehrmeisterin. Sein Begriff der force bezieht sich auf Körperbeschaffenheit und geistige Haltung, die sich immer gleich bleibe, beständig, stabil, heroisch und fähig alles zu sehen, zu hören und auszuführen, ohne in Erregung zu geraten, sich zu vergessen oder sich zu wundern.1048 Wie Saumaise an die polybianische Kulturtheorie und damit an eine für die hugenottische politische Ideologie und die der politiques entscheidende Autorität anknüpfte, so ist auch die Option Naude´s für Ludwig XI. nicht frei von, auf die Zeit der Religions- und Bürgerkriege zurückgehenden ideologischen Konnotationen.1049 Ludwig XI. galt als Träger des Modells eines französi1047

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SStM, Praefatio, IV. I, S. 11: »Artis militaris defensio aduersus literatorum calumnias.« Vgl. Conside´rations, Repr. 1988, S. 159f.: »Par la force, j’entends certaine trempe et disposition d’esprit toujours e´gale en soi, ferme, stable, he´roı¨que, capable de tout voir, tout ouı¨r, et tout faire, sans se troubler, se perdre, s’e´tonner«; ebd. 59f: »Ainsi enfin la prudence, tout a` la fois ›science, modestie, expe´rience, conduite, retenue, discre´tion‹ que Naude´, pour se faire entendre du cardinal Bagni, traduit par le mot de segretezza ou la prudence n’est autre que le sens du politique.« Vgl. Adrianna E. Bakos: The Historical Reputation of Louis XI in Political Theory and Polemic During the French Religious Wars, SCJ, 21, 1 (1990), S. 3: Die in den Religionskriegen auftretenden Interpretationen Ludwigs XI. sind eindeutig an die Interaktion zwischen den gegenüberstehenden politischen Theorien von Absolutismus und Konstitutionalismus gebunden; seine historische Reputation kann als ein Prisma verwendet werden, in dem man diese für die Entwicklung französischer politischer Theorie komplexe Phase untersuchen kann; S. 4: Unter den Zeitgenossen von Louis XI ist bei Commynes (Me´moires) das einzige positive Porträt des Monarchen zu finden. »The popularity of the work in the sixteenth century could be due to Commynes inconsistent treatment of constitutional issues which made possible conflicting interpretations by later polemicists.«; S. 19: »Although Louis XI was rarely a popular figure in French political thought even before 1572, it is clear that both the Huguenot response to the massacre and the Leaguer response to the perfidies of Henri III converted his image into the paradigm of the tyrant. A model of tyranny was the necessary concomitant of the demand to reform the rampant abuses against the realm. The anti-Machiavellian emphasis of the Huguenots also contributed to the blackening of Louis XI’s historical reputation since his reign could be cited as an example of the misery endured by the commonwealth under an amoral monarch. Somewhat ironically, it could be argued that Louis’ ›amorality‹ or political pragmatism was what saved his reputation from being irremedially blackened since, eventually, Commynes’ view of politics, and consequently Louis himself, were employed by the new school of

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schen Königs, dem seit Karl V. der Titel eines ›Allerchristlichen‹ (Tre`s Chre´tien) anhaftete.1050 Sowohl die Legion als auch die Ordonnanzkompanien1051 standen in der Traditionslinie französischer militärischer Organisationsmodelle für ein stehendes Heer. Unter Ludwig XI. (1423–1483) erreichten die Or-

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raison d’e´tat theorists in order to refute Machiavelli. For advocates of popular sovereignty, however, Louis XI remained the archetype of the tyrant who was unfortunately emulated by French monarchs intent on keeping authority indivisibly vested in themselves.« Generell schien Commynes an die Stelle von Machiavelli zu treten: Vgl. S. 22: »for a number of modern French scholars, Commynes was to become ›notre Machiavel‹.«; S. 30f.: »The representations of Louis XI in the writings of such diverse writers as Bodin, Gentillet, and Belloy indicate that, despite differences in emphasis, absolutists from all shades of opinion saw in Louix XI a strong monarch who unified and expanded his kingdom, confirmed the superiority of state over church, and left the kingdom at peace when he died. That his methods may have been harsh was not at issue; he may have snubbed the nobility and refused counsel at times, but he was perfectly within his rights to do so. Louis XI had enough political sagacity to realize when he had pushed too hard and he did his utmost to repair any damage that might habe been incurred by his willfulness. By consistently employing Louis XI as a historical example of both the effectiveness and the legitimacy of absolutist government, the proponents of absolutism were largely reacting against the resistance theorists; there is no better way to refute an argument than to demonstrate the misrepresentation of facts upon which the argument is based. By representing Louis XI in a positive light, the absolutists attempted to deprive the monarchomachs of the target against whom they launched much of their invective. In this way they demonstrated that resistance theories were based on a false interpretation of history.«; S. 32: »By portraying Louis as a pragmatic but not unprincipled monarch, Gentillet attempted to break the chain forged by the resistance theorists which linked Louis XI with Machiavellian doctrine. Indeed, as political pragmatism begins to enter the mainstream of normal political discourse, through the rehabilitation of Tacitus and the efforts of the raison d’e´tat writers of the early seventeenth century, we see a corresponding rise in Louis XI’s historiographical fortunes.« Robert Muchembled: Cultures et socie´te´ en France du de´but du XVIe sie`cle au milieu du XVIIe sie`cle, Paris 1995, S. 16. GdKK, Teil IV, S. 257f.: »Als den Anfang der stehenden Heere in Frankreich hat man früher wohl zuweilen die Ordonnanz-Kompagnien bezeichnet. Aber die Ordonnanz-Kompagnien sind nichts als ein hoch entwickeltes, organisiertes Mittelalter, das in Begleitmannschaften der Fürsten und Burgbesatzungen, wenn man will, immer schon stehende Truppen hatte. Was wir im eigentlichen Sinne als die stehenden Heere bezeichnen, hat seine Wurzeln nicht in der Ritterschaft und ihren Begleitmannschaften, sondern in der um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts aufkommenden neuen Infanterie. Karl VIII., Ludwig XII., Franz I., Heinrich II. schlugen ihre Schlachten vornehmlich mit Schweizern und Landsknechten in Verbindung mit der französischen Ritterschaft. Selbst die Bürgerkriege, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dreißig Jahre lang Frankreich zerfleischen, werden zum großen Teil mit schweizerischen und deutschen Söldnern geführt. Nicht die Franzosen selber, sondern die deutschen Reiter auf französischem Boden vollziehen die Entwicklung vom Rittertum zur Kavallerie. Die Hugenottenkriege bringen das national-französische Kriegswesen nicht vorwärts, sondern werfen es sogar, wie man sagen darf, wieder ein Stück zurück.«

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donnanzkompanien ihren zahlenmäßigen Höhepunkt.1052 Sie waren durch König Karl VII. von Frankreich 1445 geschaffene, aus dem Ertrag der Taille fest besoldete und auch in Friedenszeiten präsente Reiterverbände, die ersten ›stehenden Truppen‹ in Europa seit der Antike. Jean Correro berichtete 1596 vom Niedergang der Ordonnanzkompanien: die capitaines schwächten, durch Profitstreben verleitet, die Kompanien, indem sie Leute jedes Rangs aufnähmen, so dass dem Adel nicht mehr daran gelegen gewesen sei, dazu zu gehören und er lieber in der Infanterie diente. Das führte dazu, dass die Ordonnanzkompanien in einem erbärmlichen Zustand waren.1053 Bereits Machiavelli hatte das historische exemplum der Ordonnanzkompanien aufgegriffen. Auch er sah in der Bindung von Kreaturen an den Monarchen ein probates modernes Modell militärischer Organisation, zumindest was die Organisation der Fußsoldaten anbelangt.1054 So korrespondierte bei Naude´ die systematische Ausformulierung seiner Militärtheorie in dem SStM mit einer militärwissenschaftlichen Didaktik nach dem Modell des Vegetius, darin inbegriffen dessen Exerziermodell. Seine militärische Anthropologie war von der Proportionalität von Mut (courage) und Geist (esprit) und nicht der sich in der militärischen Hierarchie konkretisierenden Dichotomie von Intellekt und physischer Stärke geprägt. Die nicht auf ein hierarchisches Muster 1052

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Vgl. Corvisier: Histoire militaire de la France, S. 220: Die Truppen der grande ordonnance (die gens de guerre de l’ordonnance, wie man auch sagt) stellten eine stehende Armee par excellence. Die cavaliers vereinigten auf sich das Prestige, bemächtigten sich der Aufgaben der Regierenden (gouvernants). Sie bildeten wesentlich das »ordiniare des guerres«. In diesem Milieu fand sich eine Mehrheit von hohen, mittleren und niederen Adeligen. Unter den hommes d’armes eine adelige Minderheit. Lange Zeit belief sich die Anzahl der von der grande ordonnance gestellten Lanzen auf 1700 bis 1800; unter Louis XI erreichte sie 4000. Louis-E´tienne Dussieux: L’arme´e en France. Histoire et organisation. Depuis les temps anciens jusqu’a` nos jours, Versailles 1884, Bd. 1, S. 398: »alle´che´es par le profit, abatardissaient les compagnies en y meˆlant des gens de tout rang, en sorte que les gentilshommes ne daignaient plus en faire partie. ›Ils aiment mieux servir dans l’infanterie. Voila` pourquoy les compagnies d’ordonnance n’ont jamais e´te´ dans un si pauvre e´tat.‹« Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 122: Wie Cesare Borgia machte Karl VII. von Frankreich Söldner zu seinen ›Kreaturen‹: »Das zweite moderne Beispiel zeigt dies System in der Vollendung: Es ist die Ordonnanz-Reiterei Karls VII. von Frankreich. Hier unterscheidet Machiavelli ausdrücklich zwischen dem geschaffenenen Fußvolk und den Kompagnien der königlichen Gendarmerie. Das erstere war ein Milizelement nach seiner typischen Forderung; die baldige Wiederauflösung der Truppe wird denn auch scharf getadelt. Neben diese ›Untertanen‹ im Sinne der Principe-Stelle treten die Kompagnien der stehenden Gendarmerie, also ›Kreaturen‹ der Krone; auch diese Truppen werden ausdrücklich als ›eigene‹ bezeichnet und als vorbildlich hingestellt. Man sieht einen Fall, wo der Klassiker zugegeben hat, daß eigene Truppen Berufskrieger sein und daß solche Tüchtiges leisten können.«

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festgelegte Verhältnismäßigkeit von coeur-esprit korrespondierte nicht mit einer Befehlskette, sondern mit einer klientelen Organisationsform des Militärs. Mit der Option für die Ordonnanzkompanien ging Naude´ zu den nationalgeschichtlichen Ansätzen einer stehenden Armee in Frankreich im Spätmittelalter zurück, wie sie sich gegen die Schweizer in der Armee Karls von Burgund herausbildete.1055 Ludwig XI. bereitete nicht nur die zeitweilige Aufhebung der Pragmatischen Sanktion (7. Juli 1483) den päpstlichen Titel Rex christianissimus, er nahm auch an der 1055

Vgl. Gustav Roloff: Die französische Armee unter Ludwig dem Elften, DelbrückFestschrift, Berlin 1908, S. 158: über die Organisation; über die langfristige strategische Bedeutung der Reformen Ludwigs XI.: ebd., S. 162: »Seit der Einrichtung der frz. Infanterie stand die französische Armee auf der Höhe der Zeit. Das französische Königtum hatte später als seine Rivalen, die habsburgischen und spanischen Herrscher, sich die Fortschritte der Kriegskunst angeeignet, und diese durch die französische Geschichte des 15. Jahrhunderts zu erklärende Langsamkeit hat dem großen Kampf des 16. Jahrhunderts seinen Charakter aufgedrückt. Im deutschen wie im spanischen Heere ist die nationale Infanterie zahlreicher als im französischen, da beide Nationen sich schon länger diesen Dienstzweig zu eigen gemacht haben; den Franzosen sind die Dienste fremden Fußvolks, Deutscher wie Schweizer, noch lange unentbehrlich gewesen. Die späte Ausbildung der Infanterie und das lange Ueberwiegen des Rittertums in Frankreich prägt sich auch in der obersten Führung aus: die französische Strategie trägt mehr als die der andern die Züge des ritterlichen Krieges, berechnet auf kurze Feldzüge mit energischem Angriff ohne kunstreiche Manöver; Feldherren wie Pescara und Frundsberg hat es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich nicht gegeben. Französische Nationalhelden sind nicht Generale und Landsknechtsbildner, sondern Ritter wie König Franz und Bayard.«; vgl. ders., Das französische Heer unter Karl VII., S. 441: »Sie wurden eingeteilt (26. Mai 1445) in 15 Kompagnien, deren Kapitäne vom König ernannt wurden; alle erhielten bestimmte Garnisonen angewiesen, und zwar wurden sie in kleinen Abteilungen von 20 bis 30 Lanzen verteilt, damit sie, sagt d’Escouchy, keine Gewalt über die Bürger erlangen könnten. [...] Nach den Berichten der Chronisten hätten sie 1500 Lanzen umfaßt, so daß die Normalstärke der Kompagnie 100 Lanzen betragen habe.«; ebd., S. 442: »Nach dieser Organisation war die national-französische Armee fast ausschließlich eine Reitertruppe; für die Infanterie wäre sie bei der Minderwertigkeit der eigenen Fernkämpfer auch in Zukunft auf die fremden Schützen, die Schotten und Italiener, angewiesen geblieben. Karl hoffte diesem Mangel abzuhelfen und Bogen und Armbrust mehr als bisher in Frankreich einzubürgern. In mehreren Ordonnanzen bestimmte er, daß in jeder Gemeinde auf etwa 50 Feuerstellen je ein rüstiger Mann von den Lokalbehörden gewählt werden solle (1448). [...] nach wenigen Jahren wurde bestimmt (1451), daß auch arme, aber brauchbare Männer in die Schützenkompanien aufgenommen werden sollten, und daß die Gemeinde ihnen die Waffen zu liefern habe.«; ebd., S. 448: »Es ist also falsch, Karl VII. als den Begründer des stehenden Heeres und der nationalfranzösischen Infanterie zu feiern: das stehende Heer gab es schon vor ihm, und was er an Infanterie besaß, war ebenfalls eine ältere Einrichtung und ging kurz nach seinem Tode zugrunde, ohne daß sich daraus etwas neues hätte entwickeln können. Der Grund zur modernen französischen Infanterie ist erst unter seinem Sohne gelegt worden. Karls historisches Verdienst ist, daß er die Macht des feudalen Königtums durch bessere Organisation so stärkte, um die Engländer zu vertreiben und die großen Vasallen ein weiteres Stück zurückdrängen zu können.«

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Praguerie, dem Aufstand der französischen Großen gegen Karl VII. (1440) wegen der Errichtung eines stehenden Heeres teil, bekämpfte dann selbst die großen Feudalherren und galt als Hauptgegner von Karl von Burgund. Naude´ revalorisierte die arma gegenüber der königlichen Wissenschaft der litterae. In weit höherem Maße als dies bei Saumaise geschah, ist daher das SStM nicht auf eine auf dem Legionsmodell basierende Milizverfassung, sondern auf die französische Adelskultur zugeschnitten. Die Proportionalitätsbestimmung von arma et litterae wird insbesondere in dem SStM, das die militärwissenschaftlich-systematische Fortführung dieser Maximen darstellt, zu einem sozialgeschichtlich konnotierten militärwissenschaftlichen Paradigma – rief doch der Bürgerkrieg eine Identifizierung einer mit einer gegen Krieg und den Adel gleichermaßen gerichteten Einstellung hervor1056 –, das der freien Entfaltung frühneuzeitlicher Adelskultur im monarchischen Staat einen höheren Stellenwert einräumt als das polybianische Milizverfassungsmodell Saumaises. Naude´ verband die rhetorische Figur von arma et litterae, die in die Militärliteratur der französischen Soldaten der Italienkriege eingegangen war,1057 mit einem an Vegetius orientierten militärwissenschaftlichen Paradigma, das in einem enzyklopädischen Ansatz die Lernmethoden der wissenschaftlichen Revolution assimiliert. Das SStM ist neben dem SStL und der politischen Bibliographie entsprechend dem Topos arma et litterae der zweite Flügel seiner Bildungsidee. In dem SStM erwähnte Naude´ in der Verteidigung der Waffen gegenüber den litterae sein SStL1058 und nahm Bezug auf Horaz, der den Krieg als eigentlichen Gegenstand des Epos beschrieb. Indem Naude´ auf den ›epischen Helden‹ rekurrierte, zeichnete er ein Modell der ›Kulturpolitik‹ im absolutistischen Frankreich unter Ludwig XIV.1059

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Rowlands: The ethos of blood and changing values?, S. 99: »the intensification of civil war by power, produced an association between anti-war feelings and antinoble hostility«. Verrier: Les armes de Minerve, S. 87: Die Komplementarität von litterae und arma im Gegensatz zu dem einseitigen Kult der Waffen erscheint als ein italienischer Import in ein barbarisches Frankreich. Vgl. beispielsweise Francesco Bocchi: Discorso die Francesco Bocchi Sopra la lite delle Armie, et delle Lettere Et a cui si dee il primo luogo di nobilta` attribuire, in Fiorenza, appresso Giorgio Marescotti, 1580. Jedoch mit einer ganz anderen Stoßrichtung als bei Naude´ und auch Richelieu (Verrier: Les armes de Minerve, S. 118). SStM, S. 15: »sicque diuinitatis speciem lo(n)ge melius opere ipso quam tacita cogitatione exprimi: cui sententie pariter accedit Horatius, his versibus laudatis iam antea in syntagmate de Studio liberali.« Vgl. Kirchner: Der epische Held, S. 267: »Bereits von Aristoteles und Horaz wird der Krieg als der eigentliche Inhalt des Epos beschrieben.«

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c. Die Realisierung des komplementären Wachstums von arma et litterae im SStL und SStM auf dem Hintergrund des Wissenschaftsbegriffs Bacons Das Wachstum von Waffen und Bildung (accroissement des armes et des lettres) sollte seine Realisierung in dem komplementären Studienprogramm des Syntagma de studio liberali und des Syntagma de studio militari finden. Instrumentalisierte Naude´ in der Addition den Topos von arma et litterae im Sinne eines politischen Klugheitsbegriffs, so schien das bei Machiavelli in einem Dialog angelegte und von Saumaise durch seine Formenlehre der militia durchbrochene res publica – res militarisSchema durch. Dieses wurde in ein umfassendes an der Methode des Sammelns (der Enzyklopädie) orientiertes Bildungsprogramm (De studio liberai) transferiert, das einen zivilen und militärwissenschaftlichen Flügel aufweist. Die Fortentwicklung der artes liberales in dem Studienprogramm des SStL fand ihr Komplement in der ars militaris. Naude´ suchte die unter dem Einfluss Francis Bacons ausdifferenzierte aristotelische Habituslehre mit den Maximen des Machterwerbs und Machterhalts, wie sie Machiavelli im Principe nahe legte, zu verbinden. Er griff mit der Referenz auf Ludwig XI. nicht nur auf einen historiographischen Topos der Pamphletik der französischen Religionsund Bürgerkriege zurück, sondern er formulierte in Anlehnung an die Argumentationsstrategie Machiavellis und die kompilatorische Heuristik der res militaris auch ein Verhältnis, das zu Gunsten der arma, d. h. der physischen Stärke und der mentalen Disposition des Mutes und zu Ungunsten der Intellektualisierung des Militärs ausfiel. Machiavelli hatte danach gestrebt, in der Vermittlung von res publica und res militaris gleichsam mittels einer dialogischen List und der Rückbindung der Kriegführung an die guten Institutionen einen gesellschaftlichen consensus oder, um in der Begrifflichkeit Machiavellis zu sprechen, die virtu` der Republik herzustellen. Lipsius hatte die aus dem ciceronianischen Topos von arma et toga abgeleiteten heuristischen Kategorien von prudentia togata und prudentia militaris in eine taciteische Aitiologie des Verhaltens eingebunden und mit einer Ausdifferenzierung eines taciteischen Klugheitsbegriffs (im Hinblick auf Situationen) verknüpft. Naude´ instrumentalisierte nun den interessegeleiteten, in eine soziale Dynamik eingebundenen Topos von arma et litterae, wie er im italienischen Humanismus geläufig war, im Interesse absolutistischer Machttechnik und im Zusammenhang der Logik des Machterwerbs, der Staatsstreiche (coups d’e´tat), wie sie in der Bartholomäusnacht (1572) ein einschlägiges Beispiel finden und in der etatistischen Literatur bereits geläufig war.1060 1060

Vgl. u.a. Yves Charles Zarka: Raison d’E´tat, maximes d’E´tat et coups d’E´tat chez Gabriel Naude´. In: ders. (Hg.), Raison et de´raison d’E´tat, S. 154: »L’originalite´ de

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Katharina von Medici und die italienischen Höflinge wurden für die Bartholomäusnacht verantwortlich gemacht, ein Glaube, den der Italiener Camillo Capilupi in seinem Pamphlet Lo stratagema di Carlo IX Re di Francia contro gli Ugonotti ribelli di Dio (Rom, 1572; frz. Übersetzung: Genf 1574), bestätigte.1061 Auch die Thematik der Machterweiterung des Fürsten griff Naude´ in den Re´flexions historiques et politiques sur les moyens dont les plus grands princes et habiles ministres se sont servis pour gouverner et augmenter leur e´tat auf. Der Machtzuwachs des Herrschenden erfolgt analog zu dessen Wissenszuwachs. Arma et litterae sollen daher in der Logik des Machtwachstums und der Machtkonsolidierung komplementär zueinander wachsen. Als letzter Zentralbegriff kommt die Klugheit (prudence) zur Sprache, denn sie ist nahezu die einzige Tugend (vertu) durch die die Republiken begründet und vergrößert werden (»puisqu’elle est presque la seule vertu par qui les Re´publiques sont e´tablies et augmente´es«)1062. Um sie zu erlangen, ist nicht allein die Erfahrung (expe´rience) hinreichend. Die Kürze des Lebens und die Unbeständigkeit menschlicher Angelegenheiten (»et les periodes reciproques et inconstantes des choses humaines«) verlangen die Mithilfe der Geschichte.1063 Dynamik des Machterwerbs und Statik das Machterhalts: Das Haus Salomon In dem Syntagma wird die Logik des Machterwerbs, wie sie die Umformung aristotelischer und thomistischer Habituslehre in den Conside´rations impliziert, mit dem Aufgreifen des Hauses Salomos aus Nova Atlantis durch den Zweck der Machterhaltung ersetzt – im Unterschied zu David, der symbolisch für die Praktik des Machterwerbs stand, war Salomon in der politischen Sprache der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Symbol für die Machterhaltung. In der Addition wird der Topos von arma et litterae aus einem Vermittlungsmodell zwischen res militaris

1061

1062 1063

Naude´ ne consiste ni dans l’invention du terme de coup d’E´tat, ni meˆme dans une modification profonde de sa signification. Cette originalite´ tient plutoˆt a` la the´orisation de la notion et a` la redistribution autour d’elle des diffe´rents aspects de la ´ tat‹ est courant science politique. Sur le plan du vocabulaire, le terme de ›coup d’E ´ . Thuau a montre´ que cette expression dans la premie`re partie du XVIIe sie`cle. E faisait partie du vocabulaire e´tatiste qui envahit la litte´rature politique de l’e´poque.« Pamela D. Stewart: Italogallia: Machiavelli, the Italians and the Question of Royal Authority in Late Sixteenth-Century France. In: Danie`le Letocha (Hg.), Æquitas, Æqualitas, Auctoritas. Raison the´orique et le´gitimation de l’autorite´ dans le XVIe sie`cle europe´en (De Pe´trarque a` Descartes, LIV), Paris 1992, S. 93. Siedeschlag: Der Einfluß der niederländisch-neustoischen Ethik, S. 241. Ebd.

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und res publica in einen Topos absolutistischer Herrschaftstechnik überführt. Naude´ griff nicht wie Machiavelli den Topos von arma et leges auf, der darin zwei unterschiedliche strategische Ätiologien staatlicher Macht anlegte, sondern von arma et litterae. Damit stellt er die Weichen nicht für ein Verfassungsmodell, eine Rückbindung der Kriegführung an Gesetze, sondern statuierte einen Akkulturationsmodus für den Adel, der sich am uome universale orientierte und den neuen honneˆte homme nahelegte, der seinerseits den Habitus des Höflings (homme de cour) inhäriert. Die Historie bleibt konstitutiv für eine Lebensform. Naude´ und die ars historica, Bacon und die prudentielle Geschichte – die historisch funktionale Rolle von Mythen Naude´ wird den Libertins und Pyrrhonisten zugeordnet. Mit ihnen begann im 16. Jahrhundert die Bewegung gegen die Geschichte als Wissenschaft. Im 17. Jahrhundert sollten sich noch die Cartesianer hinzugesellen.1064 Hinsichtlich der didaktischen Konzeption der militärischen Bibliographie knüpfte Naude´ gleich Saumaise wohl an Bodin an. Dessen MFHC (1566) legt eine Methode der Lektüre der Geschichte nahe, die mit einer Bibliographie der modernen Militärliteratur versehen ist und eine kritische Studie der Historiker darstellt (ihres Grads an Wahrhaftigkeit, ihrer Erfahrung, Information, Nationalität, Religion) ebenso wie eine Pädagogik des Urteils, eine »Askese der erwachsenen Vernunft«, die in der Lage ist, die Fakten hinter den Worten zu erkennen.1065 Mehr noch als Bodin prägte der Wissenschaftsbegriff und der Akademiegedanke Francis Bacons die politische Paideia Naude´s. Es handelt sich um die gleiche Pädagogik einer ›aufgeklärten‹ Elite, jenseits der akademischen Rhetorik und der gewöhnlichen Moral, welche die Bibliographica politica von Naude´ (1633, 1642) praktiziert: die Paideia des hohen politischen, militärischen und diplomatischen Personals des Hofes gründete der gelehrte Humanist nicht auf eine panegyrische oder exemplarische Geschichte, sondern auf eine kritische Synopse von Werken unterschiedlicher Tendenz. Die Litterae und die Memoiren nehmen in dieser Bibliographie, die darauf zielt die Willenskraft, die Schärfe des 1064

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Brown: Methodus, S. 167: »The later tracts tend to reveal an alarming instability in the very foundations of historical knowledge. Their titles alone indicate an attitude opposed to the positive one of Bodin; that of La Mothe le Vayer’s Du peu de certitude qu’il y a dans l’histoire is typical. They make no pretense of formulating an historical methodology. History is not a science and is not subject to methodological treatment. More and more, they degenerate into brief and pinted little essays on the unreliability of history, into elegant dialogues concernd with historical rhetoric.« Fumaroli: Me´moires et histoire, S. 27.

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Urteils und die Zuverlässigkeit des Wissens zu bilden, einen zentralen Platz ein.1066 Die ›richtige‹ Lektüre war bereits bei den Nassau-Oraniern fester Bestandteil militärwissenschaftlichen Lehre. So ist in dem Schreiben Johanns VII. von Nassau vom 8. Aug. 1617 zur Einrichtung der Kriegsschule in Siegen zu lesen, dass man eine Bibliothek von Kriegsbüchern angelegt habe und den Schülern ein Kanon von nützlichen Autoren vorgeschlagen werde.1067 Um die Geschichte richtig lesen zu können, bedürfe es Naude´ zufolge der Kenntnis von Autoren, die die Gesetze der Systematik und der Methode (loix de l’ordre et de la me´thode), an die man sich beim Schreiben und Lesen der Geschichte zu halten habe, vorschreiben und bereitstellen.1068 Gleich Saumaise begründet auch Naude´ hiermit die kognitive Rolle des historischen Kommentars. Hinsichtlich seiner militärwissenschaftlichen Arbeit ging es ihm jedoch nicht in erster Linie darum, Gesetze der militia herauszuarbeiten. Für den militärwissenschaftlichen Diskurs hieß dies, dass er nicht in diese politiktheoretische Logik einzufügen ist, jedoch exakt der gleichen Methode folgt. Wenn Saumaise nach militärtheoretischen Gesetzmäßigkeiten (lois) strebte, die er in einer Hermeneutik der antiken taktischen Literatur gewann, so geschah dies, um Theoreme für die Lektüre der politischen und militärischen Eliten zu klären, die zu einem besseren Verständnis des für die militärwissenschaftliche Didaktik besonders bedeutsamen antiken Modells, der antiken Historiker beiträgt. Wenn Bodin zu den artes historicae gerechnet werden kann, dann zu der italienischen Ausprägung, die die Geschichte fast ausschließlich in literarischen und rhetorischen Begriffen fasste.1069 Naude´ bezog sich unter anderem in der Avis pour dresser und bibliothe`que (Paris 1627) und der 1066

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Ebd.: »Les Lettres et les Me´moires, oeuvres de gens responsables, quel qu’ait pu eˆtre leur parti pris, tiennent une bonne place dans cette bibliographie destine´e autant a` forger la vigueur d’une volonte´ que l’acribie du jugement et la probite´ du savoir.« Kb, S. 577: »Doch hat man alhier auch vornehme statliche kriegsbücher undt deswegen ein eigne bibliothec gesamlet undt wirt ihnen gewiesen, welche authores und wie man sie nützlich lesen möge, undt lasse derowegen solcher undt dergleichen unerheblichen einreden ohnerachtet, mich an diesem meinem vorhabenden, allein zu gemeinem besten (wie mehr gemelt) gerichteten undt an sich selbst wohl gemeintem werck im geringtsten nichts hindern oder irren, sondern bin gentzlich entschlossen (nechts verleihung göttlicher gnaden), daßelbe imb der droben von mir ausgetruckten ursachen willen nach möglichkeit zu continuiren.« Naude´: Bibliographie politique, S. 148f.: »Mais encore qu’il semble qu’o(n) puisse tirer vn gra(n)d secours de l’histoire; c’est auec peine neantmoins qu’il se mo(n)stre & qu’il se manifeste, si premierme(n)t l’o(n) ne consulte co(m)me des entremeteurs les Autheurs qui ont prescrit & do(n)ne´ des loix de l’ordre & de la methode qu’on doit tenir a` escrire & a` lire les histoires.« Brown: Methodus, S. 168.

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Bibliographia politica auf Bodin. In der Bibliographia politica steht Folgendes zum Methodus ad facilem historiarum cognitionem: Les autheurs qui ont prescrit & donne des loix de l’ordre & de la methode qu’on doit tenir a escrire & a lire les histoires; entre ceux la soit pour la science, soit pour le iugement, Iean Bodin & Franc¸ois Patrice sont estimes les meilleurs, mais toutefois je ne scay comment ils se sont rendus si difficiles a entendre, que comme les Metaphysiciens en la philosophie, ils en plaisent moins a beaucoup de personnes comme au contraire Possevin pour sa facilite & pour ce qu’il en a escrit trop negiglement ne peur (sic) estre agreable qu’aux esprits mediocres.1070

Die Vegetius-Rezeption wurde demnach erneut relevant im Hinblick auf den Anti-Historismus oder historischen Pyrrhonismus, wie ihn die Arbeit des gelehrten Libertins Gabriel Naude´ kennzeichnete. Dahinter verbargen sich auch die für die militärwissenschaftlichen Positionen an Bedeutung gewinnenden Konfliktlinien zwischen Hof (cour) und den an den Hof nicht akkulturierten Militär oder Kabinetten – ein Vorgang der in Betracht der Studie von G. Rowlands auch so nicht stattgefunden haben dürfte. Diese standen nicht nur in Opposition zum ›tacitistisch‹machiavellistischen Hof der Katharina von Medici, sondern generell der Valois. Im Anschluss an die Zurückweisung des Tacitus und die Befürwortung von Livius und Tacitus durch Politiker und Hugenotten trafen sich machiavellisch-republikanische und republikanisch-venezianische Traditionen und wurden gegen den höfischen, tacitistisch gefärbten Machiavellismus aufgeboten. Dieser Gegensatz von Hof und der sich mit dem Etatismus verbindenden Akademiebewegung und der Verbindung von Militär und französischer Kabinettskultur fand in dem Gegensatz der militärtheoretischen Positionen von Naude´ und Saumaise seine eigentlich militärwissenschaftliche Ausprägung. Naude´, Saumaise und die Machiavellische Verschränkung eines instrumentellen Gebrauchs der militia und deren ›konstitutionelle‹ Bedeutung Hatte Machiavelli in der Arte della guerra zwei strategische Konzeptionen verschränkt, so griff Saumaise in der Suche nach den Gesetzen der militia, in denen er römische Disziplin und hellenische Methoden der Kriegführung verschränkt sah, eine ›strukturelle‹, konstitutionelle Konzeption auf. Naude´ aber rekurrierte auf die – sich auf machiavellische Feldherrnkunst beziehende – Verbindung von Technizität, Disziplin und römischem Regelsystem (Vegetius, Frontinus), d. i. das Paradigma des Vegetius: »armorum exercitatione, disciplina castrorum usuque militiae«,1071 die Waffenübungen, die Disziplin der Lager und der Einsatz der 1070

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Gabriel Naude´: Advis pour dresser une bibliothe`que, S. 89, zitiert in: Brown: Methodus, S. 173. DRM, Lang, I, 1, S. 5.

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Armee. Bereits der Thomas von Aquin-Schüler Aegidius Romanus reduzierte diese auf die Technik der Kriegführung (technique de guerroyer), die Waffenübung und die Tätigkeit des Kampfes (exercitationem armorum et industria bellandi).1072 Tradition, Skeptzisimus, Eklektizismus Ebenso wie Saumaise arbeitete Naude´ die Traditionszusammenhänge der antiken Militärtheorie heraus. Die ars critica hatte bei Naude´1073 demnach einen vergleichbaren Rang wie bei Saumaise. Auch Naude´ monierte die kompilatorische Machart von DMR.1074 Er verzichtete jedoch auf eine hermeneutische Deutung der griechisch-byzantinischen und der römischen Militärtheorie und die Deduktion von Regeln der Kriegführung, die sich von denjenigen des Vegetius abheben. Er teilte die Auffassung einer zyklischen Geschichtstheorie.1075 Naude´ war der Naturphilosophie des Aristoteles verbunden,1076 die in Verbindung mit 1072

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Aegidius Romanus, III, 6, Ed. F. H. Samaritanus, 1607, S. 569, zitiert in: Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 146. Lorenzo Bianchi: Rinascimento e libertinismo. Studi su Gabriel Naude´, Neapel 1996, S. 38: »La filologia e la critica testuale intervengono allora – insieme con il ristabilimento della cronologia – nella revisione di quanto i diversi autori hanno tramandato, al fine di operare una critica di ipotesi superstizionse e false.«; ebd., S. 36: »In tal modo un’analisi filologica delle fonti e una loro corretta datazione permette di ottenere risultati capaci di ridefinire e criticare pregiudizi e inesattezze tradizionalmente accettati.« Vgl. Apologie pour tous les grands personnages qui ont este´ faussement soupc¸onnez de magie, Paris, Francois Targa, 1625: Kapitel XXII: »Des conditions necessaires pour iuger des Autheurs, et principalement des Historiens«. SStM, S. 534: »Lipsius semper ex alieno.« Bianchi: Rinascimento e libertinismo, S. 42: »E questa una concezione ciclica e naturalistica, dalle espliccite ascendenze classiche e rinascimentali, che da Polibio arriva fino a Machiavelli e oltre e che nella cultura del pieno e del tardo Rinascimento ricompare con forza, rigollegandosi a elementi della tradizione stoica, non solon in Machiavelli ma anche in Caradano o in Lipsio, per giungere fino a Naude´ o al Theophrastus redivivus.« Ebd., S. 56f.: »Del resto Naude´ ebbe sempre vivo un interesse per Aristotele e per la tradizione aristotelica che muoveva dal considerare il pensatore greco come il rappresentante massimo di una scienza naturale attenta all’indagine della realta` e lontana da ogni metafisica e da ogni speculazione teologica.«; ebd.: »Questa esplicita propensione per una linea interpretativa naturalistica che da Aristotele, passando per i commentatori aristotelici, arriva fino a Cardano o Campanella, – e che trova in politica un percorso idealmente parallelo che da Aristotele giunge fino a Machiavelli e Bodin, con una attenzione particolare per i teorici italiani della ragion di stato – emerge chiaramente in tutta la produzione naudeana. E infatti la filosofia di Aristotele agisce come un modelle o un ideale di razionalita` che, evitando ogni commistione metafisica o religiosa, per un verso riclassifica e ridefinisce tutti i fenomeni all’interno di spiegazioni naturali e per altro verso permette di sviuppare una critica antimagica e antisuperstitiziosa e di denunciare credenze e pregiudizi. / Ma se le pagine iniziali del giudizio su Nifo monstrao le preferenze

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seiner Rezeption der modernen italienischen Philosophie auftrat.1077 Bezeichnend ist, dass Naude´ wie auch die italienische politische Theorie nicht mit Aristoteles brachen. War Saumaise mit der Universität Leiden und der dynastischen Kultur Friedrich Heinrichs von Oranien verbunden und damit ein Vermittler des nordwesteuropäischen Humanismus mit seiner calvinistischen Prägung, so vermittelte Naude´ wesentlich den italienischen Humanismus.1078 Der Sekretär eines italienischen Kardinals war ein Anhänger des italienischen Aristotelismus.1079 Dass sich die Militärwissenschaft Naude´s im Hinblick auf die Grundlagen und die Systematik nicht nur von dem Kompendium der römisch-polybianischen militia des Lipsius abgrenzt, sondern dass sie auch der römischhellenischen Formenlehre der militia des Juristen und Hellenisten Saumaises diametral gegenübersteht, mag damit im Zusammenhang stehen, dass er qua seiner aristotelischen Position sich sowohl vom taciteischen Klugheitsbegriff als auch von platonisierenden und stoisierenden Tendenzen abhob.1080 Naude´ ist jedoch nicht unter eine Rubrik zu fassen. K. O. Kristeller zeichnet ihn als einen Eklektiker: Er sei kein Anhänger einer bestimmten Denkschule. Er bewunderte Bodin, Montaigne und Charron, und auch die italienischen Aristoteliker von Pomponazzi bis Cremonini, darin inbegriffen Agostino Nifo, den er herausgab. Er lehnte Platon und die meisten Platonisten ab, aber respektierte scheinbar Plotin, Ficion, Patrizi und Bruno, den er zitiert. Er lobte Fracastoro, Scaliger und Caradono, den er ebenso herausgab wie Campanella. Er nennt Tycho Brahe,

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filosofiche di Naude´ e la sua particolare attenzione per la tradizione filosofica italiana del Rinascimento, dall’insieme die questa presentazione dell’opera morale e politica del pensatore italiano emergono utili assonanze con alcuni temi presenti nel giudizio su Cardano.« Ebd. S. 223. Vgl. Kristeller: Between the Italian Renaissance and the French Enlightenment, S. 45: »It is clear from Naude´’s life and writings that he was in a privileged position enabling him to transmit the heritage of Italian scholarship and thought to France. He admired Italian learning and was deeply imbued with it, he had close personal relations with his contemporaries in Italy (including some scholars who were not Italians, such as Allacci and Holstenius), and he brought back with him from Italy, for himself and for his friends, and later for Mazarin, not only a great amount of bibliographical and other information, but also large piles of printed books and even a certain number of manuscripts.« Ebd., S. 49. Es ist bezeichnend, dass Naude´s Herausgabe weder die zahlreichen Kommentare Nifos zu Aristoteles und Averroes, noch dessen naturphilosophische und metaphysische Traktate einschloss, sondern nur die moralischen und politischen Traktate, die zur späteren Phase Nifos gehören und die humanistische Tradition reflektieren. Die Werke Nifos zum Verhalten des Fürsten sind stark von Machiavelli beeinflusst. ´ rudition, critique et histoire chez Gabriel Naude´. 1600–1653. Lorenzo Bianchi: E In: Ralph Häfner (Hg.) Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher Philologie (Frühe Neuzeit, 61), Tübingen 2001, S. 39.

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Galileo und Descartes, aber sie gehörten nicht zu seinen Freunden im Unterschied zu deren Rivalen und Gegnern wie Gassendi in Frankreich, Cremonini, Fortunio Liceti und Scipione Chiaramonti in Italien.1081 1651 gab Naude´ eine Sammlung der aus den Werken von Thomas a Kempis gezogenen und mit den Stellen aus De Imitatione Christi verglichenen Maximen von Miles Pinkney Carre heraus. Die Militärtheorie Saumaises schrieb sich in die Grundaxiome der Discorsi (anaky´klosis; das Proömium des Livius-Kommentars, die Praefatio des Polybios-Kommentars von Casaubon und die Militärwissenschaft Saumaises stehen in einer Linie) und die bereits in der Arte della guerra angelegte militärwissenschaftliche Polybios-Rezeption ein, deren betont römische Konnotation er jedoch durch ein hellenisches Feldherrnideal ersetzte. Naude´ hingegen schien sich auf die kurrenten Praktiken des Machterwerbs – wie sie im Principe auftreten – zu beziehen und sie mit der in der Arte della guerra angelegten res militaris nach Vegetius zu verbinden. Saumaise schrieb sich in Bezug auf die wissenschaftliche Heuristik in die rechtswissenschaftliche Tradition des französischen Gallikanismus ein, die sich als antimachiavellischer Affekt in der Bartholomäusnacht (1572) bei den Politikern und gemäßigten Calvinisten herausbildete. Und er bezog sich auf die Mischverfassungstheorie nach Polybios (VI, 11). Naude´ hingegen spielte auf die Legitimität des machtpolitischen Handelns Marias de Medici und deren italienischen, ultramontanen Berater an, indem er zum einen die Geschichte Ludwigs XI. – einen gängiger Topos der historiographischen Polemik der ligistisch gesonnenen Autoren in den französischen Konfessions- und Bürgerkriegen zur Begründung bzw. Legitimierung einer katholisch-ultramontan orientierten französischen Monarchie – aufgriff und zum anderen seine Theorie des Staatsstreichs mit dem Zweck des Machterwerbs und des Machterhalts entwickelte. Hatte Saumaise das polybianische Paradigma der anaky´klosis mittels der auf die taktische und strategische Theorie (militia) applizierten chronologischen Methode überschritten, so ging auch Naude´ von einer zyklische Geschichtstheorie aus; diese fasste er jedoch in eine wissenschaftliche encyclopedia (encyclios: allumfassend), eine wissenschaftliche Bewegung des Kreises (cyclus) ein,1082 die die 1081 1082

Kristeller: Between the Italian Renaissance and the French Enlightenment, S. 59. Zum Begriff der Enzyklopädie vgl. Donald R. Kelley: The Development and Context of Bodin’s Method. In: ders. (Hg.): Foundations of Modern Historical Scholarship, / in: Denzer (Horst) (Hg.): Jean Bodin. Verhandlungen der internationalen Bodin Tagung in München (1.–3.04.1970) (Münchener Studien zur Politik, 18), München 1973, S. 124f.: »On the contrary, to Bodin nothing human – or superhuman – was alien, and in effect he assumed the unity of all learning. If he preferred, in humanist fashion, to arrange this learning in a circular way (encyclopaedia) rather than according to a hierarchy, he did not hesitate to open this classical preserve to ›barbarian‹ ideas. His attitude was at once inter-disciplinary and inter-cultural.«

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Grundlage für ein institutionalisiertes, durch den Monarchen autorisiertes und befördertes wissenschaftliches Sammlungs- und Vernetzungsmodell bildet. Er führte damit die wissenschaftliche Utopie von NeuAtlantis (Bacon) in die Stabilitätsproblematik des Staates (e´tat) ein, wie sie sich in der Regierungszeit Ludwigs XIII. und Richelieus stellte. Nicht nur die in der Addition entwickelte rhetorische Figur von arma et litterae, sondern auch die nach der enzyklopädischen Methode verfahrende Aufarbeitung des Wissenstandes weist mit den SStL einen zivilen und mit den SStM einen militärwissenschaftlichen Flügel auf. Das SStM tritt nicht als Kompendium der recta legendi ratione auf. Im Anschluss an die Wissenspragmatik Francis Bacons zeichnete sich in ihnen eine neue Vermittlungsform pragmatischen Wissens ab. In Frankreich mühte sich der Astronom und Physiker Pierre Gassendi mit der traditionellen Form des Lehrbuchs (textbook) ab, ohne seine Gedanken in eine Ordnung zu bringen und fügte sie, ohne eine adäquate Darstellungsform zu finden, in einem Syntagma aneinander. Der Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler Rene´ Descartes hingegen experimentierte mit allen bereitstehenden Gattungen wie dem Essai (Discours de la me´thode), dem Dialog (dessen Zweck die Wahrheitssuche war) und dem Kompendium (Principes de philosophie), sowie mit einer Form, die als devotionale Literatur bezeichnet werden kann (Me´ditations me´taphysiques).1083 Auf die Conside´rations, die etwa zeitgleich mit den Schriften von Balzac, Silhon und Lenormant erschienen waren, folgte die Abfassung der Bibliographia politica (1632). Wegen der entschiedenen Parteinahme für Richelieu, dessen Machtstellung 1631 noch relativ ungefestigt war, wurde sie zunächst nur in wenigen Exemplaren gedruckt. Erst später, als Richelieus Position nahezu unanfechtbar geworden war, wurde sie – vielleicht auf Anregung d’Emerys – veröffentlicht.1084 Entsprechend folgte auf die Addition, die die rhetorische Figur des italienischen Humanismus von arma et litterae, ein dialogisches, transparentes Vermittlungsmodell des Bürgerhumanismus statuierten, eine vegetisch-machiavellische Militärtheorie – nicht im Sinne einer Komplementarität oder eines Gegensatzes, wie er im Zusammenhang der Konfessions- und Bürgerkriege unter anderem bei Montaigne auftrat, sondern im Sinne eines Proportionalitätsmodells im Zusammenhang der Technik des Machterwerbs und Machterhalts. Machiavelli hatte seiner Konzeption der Kriegskunst nicht den Akkulturationsmodus von arma et litterae zugrunde gelegt. Daher zählt er auch nicht eigentlich in den militärischen 1083 1084

Gaukroger: Bacon, S. 56. Vgl. Christian Bissel: Die Bibliographia Politica des Gabriel Naude´, Erlangen 1966, S. 15.

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Humanismus. Vielmehr bemühte er den Cicero entlehnten, republikanisch konnotierten, nunmehr institutionell-akademisch ›fundierten‹ Topos von arma et leges (gute Waffen und gute Gesetze als Bedingung politischer Stabilität und gelingender Kriegführung). Indem Naude´ sich auf den Topos von arma et litterae bezog, schloss er gerade nicht an die Sprache des klassischen Republikanismus an, sondern an einen, im italienischen Humanismus als selbstrepräsentatives System etablierten, sozialen ›Akkulturationscode‹ von arma et litterae. Diesen setzte er im Sinne absolutistischer Machttechnik ein. Die Conside´rations lehnen sich stilistisch an Montaigne und Charron an. Damit fanden das arcanum und die dissimulatio in eine nur durch einen kleinen Zirkel zu dechiffrierende politische Paideia Eingang.1085 Die Koordinaten, die die militärwissenschaftliche Didaktik des Gabriel Naude´ bestimmten, sind also: Der Anschluss an Aristoteles und die italienische Philosophie,1086 die Wissenschaftsauffassung von Francis Bacon, der 1624 mit seinem Roman Nova Atlantis das Gründungsmanifest der neuzeitlichen Wissenschaft verfasst hat, die Verbindung der technischen Kultur der Renaissance mit der militärwissenschaftlichen Heuristik (res militaris) und Anthropologie des Vegetius, die gleichfalls der italienischen militärischen Kultur entlehnt sind. 1085

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Conside´rations, s.p.: »CE Liure n’a pas este´ compose´ pour plaire a` tout le monde, si l’Autheur en eust eu le dessein, il ne l’auroit pas e´crit du stile de Montagne (sic) et de Charon, dont il sc¸ait bien que beaucoup de personnes se rebuttent, a` cause du grand nombre de citations Latines. Mais comme il ne s’est mis a` le faire que par obeissance, il a este´ oblige´ de coucher sur le papier les mesmes discours, & de rapporter les mesmes auctoritez dont il s’estoit seruy en parlant a` son Eminence.« Bianchi: Rinascimento e libertinismo, S. 56f.: »Del resto Naude´ ebbe sempre vivo un interesse per Aristotele e per la tradizione aristotelica che muoveva dal considerare il pensatore greco come il rappresentante massimo di una scienza naturale attenta all’indagine della realta` e lontana da ogni metafisica e da ogni speculazione teologica. […] Questa esplicita propensione per una linea interpretativa naturalistica che da Aristotele, passando per i commentatori aristotelici, arriva fino a Cardano o Campanella, – e che trova in politica un percorso idealmente parallelo che da Aristotele giunge fino a Machiavelli e Bodin, con una attenzione particolare per i teorici italiani della ragion di stato – emerge chiaramente in tutta la produzione naudeana. E infatti la filosofia di Aristotele agisce come un modello o un ideale di razionalita` che, avitando ogni commistione metafisica o religiosa, per un verso riclassifica e ridefinisce tutti i fenomeni all’iterno die spiegazione naturali e per altro verso permette di sviluppare una critica antimagica e antisuperstiziosa e di denunciare credenze e pregiudizi. / Ma se le pagine iniziali del giudizio su Nifo mostrano le preferenze filosofiche di Naude´ e la sua particolare attenzione per la tradizione filosofica italiana del Rinascimento, dall’insieme di questa presentazione dell’opera morale e politica del pensatore italiano emervono utili assonanze con alcuni temi presenti nel giudizio su Cardano.«; vgl. ebd., S. 223: »I pensatori italiani costituiscono una presenza costante e compatta nel Catalogue e in questo si coglie la lezione di chi ha studiato medicina a Padova, conoscendovi Cremonini ormai anziana e celebre, e insieme ha frequentato l’Italia e la sua cultura per piu` di un decennio.«

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Naude´s Conside´rations sind in einer skeptischen oder auch stoischen und libertinären Tonlage geschrieben (Seneca, Lipsius, Montaigne, Charron) und beziehen sich auf Tacitus und Machiavelli.1087 Lipsius und Charron werden im Zusammenhang eines libertinären Humanismus aufgegriffen. Die beiden Kanoniker, Priester und Theologen Pierre Charron und Pierre Gassendi zählen unter die ›Meister‹ der Libertinage.1088 Diese Reaktion ist sehr komplex und ist dazu angetan, einer Verbindung von Anti-Humanismus und Jansenismus vorzubeugen und berührt sich mit dem Augustinismus in der Suche nach dem wahren, heiligen Augustinus.1089 C) Das Syntagma de studio militari (1637): Militärische Akademielehre a. SStM und ERM – Naude´ und Vegetius: Vom plagiatorischen Umgang Machiavellis mit den ERM zur vegetisch-ciceronianischen Akademielehre Umformung des vegetischen Strategiebegriffs Wenn M. Jähns äußert, dass Naude´ dem »Gedankengang« des Vegetius folgte,1090 übergeht er eine wesentliche Differenzierungs- und Verwissenschaftlichungstendenz. Im Hinblick auf das Syntagma de studio militari bemerkte Naude´ 1636, dass dessen Stil dem der Studio Liberali ähnele: ohne Kapitel und andere Untergliederungen (divisions).1091 Hatte Saumaise Polybios als einen Methodenautor rezipiert, so rezipierte Naude´ in Verbindung mit einer aristotelischen politischen Lehre nun Vegetius als solchen. Die spezifisch politische und erkenntnistheoretische Bedeutung der Habituslehre von Piccolomini, Duodo und Zabarella wurde von Wilhelm Risse auf folgende Formel gebracht: »Die Erkenntnisfrage der Renaissance-Aristoteliker lautete also nicht ›Wie ist Erkenntnis möglich?‹, 1087

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Burns: The Cambridge History of Political Thought, S. 496: »is written in a tone of sceptical (or Stoic) detachment, recommends ministers to keep calm, and draws on Seneca, Lipsius, and Montaigne as well as Charron. However, Naude´ was also well aware of Tacitus and Machiavelli, and his book is essentially concerned with reason of state;«; ebd., S. 497: »With Naude´ we have reached the last major work in any of the genres discussed in this chapter. As Meinecke pointed out long ago, the Italian reason-of-state literature ›completely dwindled away in the second half of the century‹ […]. So did the commentaries on Tacitus.« Henri Gouhier: L’anti-humanisme au XVIIe sie`cle, Paris 1987, S. 31. Ebd. GdKW, Bd. 2, S. 964. S. auch infra den Punkt zum ›lateinischen‹ Strategiebegriff. Naude´ an Peiresc, Rom, 27. Jan. 1636. In: Les correspondants de Peiresc, Bd. 2, S. 45.

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sondern ›Wie sind die Prinzipien der Wissenschaft aus den Dingen erschlossen?‹.«1092 Dieses in der Induktionstheorie zusammengefasste Problem – bemerkt Risse – sonderte »sich im 16. Jahrhundert in zwei Fragen: funktionell in die Methodenlehre, und substantiell in die Lehre der habitus, namentlich der intelligentia, als die Kenntnis der grundlegenden Prinzipien des Wissens.«1093 Ebenso ›subversiv‹ wie die Bibliographia politica, die sich in entscheidenden Bereichen formal an Aristoteles und der Scholastik orientiert1094 und im Hauptteil die politische Theorie der Renaissance aufgreift, ist das SStM, das gleichfalls eine Bibliographie integriert, die als Grundlage des gesamten Traktats angenommen wird, an der synchronen Ordnung der ERM orientiert. Gleich Vegetius und im Unterschied zu Saumaise arbeitete Naude´ die Materialien nicht chronologisch, sondern ›synchronisch‹ und literärhistorisch für den Leser auf.1095 Eben diese literarische spätantike Gattung der ERM kam den theoretischen Ansprüchen einer modernen Wissenschaftsgeschichte oder Gelehrsamkeitsgeschichte, darin inbegriffen einer Geschichte der Militärwissenschaft, entgegen. Naude´ folgte zwar in Grundzügen den ERM des Vegetius, fügte sie jedoch in eine eigenständige Systematik ein. Das Syntagma militärischer Studien orientierte sich gleich der Arte della guerra an der vegetischen disciplina, einem vegetischen Exerzierbergriff (exercitatio) und der Ausbildung einer ›militärischen‹ Lebensform, wobei Naude´ jedoch die Dialogform aufhob, um den Topos von arma et litterae in ein Studienprogramm zu überführen, das mit dem SStL einen zivilen und dem SStM einen militärischen Flügel aufweist. Es war Cicero, der eine Definition militärischen Studiums und einer militärischen Bibliothek skizzierte, die von Petrarca in dem Brief an 1092

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Wilhelm Risse: Die Logik der Neuzeit. 1500–1640, Stuttgart–Bad-Cannstatt 1964, Bd. 1, S. 274, zitiert in: Ricardo Pozzo: Umdeutungen der aristotelischen Habituslehre in der Renaissance. In: Günter Frank, Andreas Speer (Hg.), Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit – Kontinuität oder Wiederaneignung? (Wolfenbütteler Forschungen, 115), Wiesbaden 2007, S. 269. Ebd. Bissel: Die Bibliographia Politica des Gabriel Naude´, S. 9: »Wenn Naude´ seine Bibliographia der gemeinschaftstheoretischen Schriften als Bibliographia Politica bezeichnet, so folgt er damit der antiken (Aristoteles) Tradition.«; S. 10: »Der Hauptteil behandelt in überkommener scholastischer Manier eine der philosophischen Disziplinen, die (›politische‹) Ethik.« Formisano: Die Kriegskunst zwischen Schrift und Aktion, S. 122f.: »[…] schrieb Vegetius ein zweites Buch, das sich mit der Archäologie der römischen Kriegskunst beschäftigt, die antiqua consuetudo, die allerdings nicht historisch oder chronologisch dargelegt wird. […] Was aber Vegetius tatsächlich vorstellt, gleicht einem Programm zur kulturellen Revision, die durch die Verschriftlichung bzw. durch die Literatur verwirklicht werden soll. […] dass er die aus verschiedenen Epochen und Phasen der Geschichte und der Literatur stammenden Materialien synchronisch für den Leser aufbereitet.«

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Luchino dal Verme aufgegriffen und verbreitet wurde.1096 Die Systematik des SStM folgt den Kriterien einer aus der Kirchengeschichte hervorgegangenen, über Bacon auf Naude´ kommenden Methode der ars historica. Entsprechend dem vegetischen Begriff der Feldherrntätigkeit, die die disciplina, das Talent des Feldherrn nahe legt, führte Naude´ die römische Bedeutung der strategemata oder sollertia (Fertigkeit) an. Diese wurden jedoch auf dem methodischen Hintergrund einer historia literaria mit der italienischen strategischen Literatur besetzt und führten die Mechanik, die neuen Waffentechnologien und den baconschen Wissenschaftsbegriff ein. Naude´ griff den literarischen Charakter der ERM auf. Naude´, der die Bibliothek als Instrument für eine transnationale Wissensgeschichte, eine historia literaria begriff, verband die militärtheoretische Gattung der spätantiken ERM mit den Methoden der Literärhistorie (historia literaria).1097 Er griff die Textgattung der spätantiken ars militaris auf, für die das Syntagma steht und die auch die in ebendieser Tradition stehende machiavellische Arte della guerra als einen genuin literarischen Text kennzeichnet. Allerdings stand Naude´ in der militärwissenschaftlich-heuristischen Tradition nach Vegetius. Diese entwickelte er weiter, indem er sie mit den antiquarischen Forschungen – besonders deutlich in der integrierten Bibliographie, die sich der überlieferten Handschriften annimmt – und der Literärhistorie (historia literaria) zusammenführte. So vollzog bereits Vegetius die Revision der Kultur auf einer antiquarischen Basis.1098 Das Breviarium des militäri1096 1097

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Vgl. Verrier: Les armes de Minerve, S. 92. Dies kommt in der Bibliographie, die er in das Syntagma integriert, zum Tragen. Vgl. Buch II, IV, 12, das eine bibliographische Unterfütterung der militärtheoretischen Systematik von Naude´ ist. Abgesehen von einer Ausnahme hinsichtlich der Schlachtordnung, basiert diese ausschließlich auf Militärtheoretikern der Moderne, die jedoch teilweise in das Mittelalter und die Frührenaissance zurückreichen. Dabei dominieren die Italiener, gefolgt von den Deutschen, Franzosen und Spaniern. Die niederländischen Militärtheoretiker sind relativ unterrepräsentiert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Holländer keine militärtheoretische Produktion seitens ihrer Offiziere (wie beispielsweise) die Spanier kannten, von denen beispielsweise Bernardino de Mendoza, Bernardino de Escalante, Francisco de Valde`s, Martin de Eguiluz und Jua`n Gine´s de Sepu`lveda unter anderen angeführt werden. Lediglich De Gheyn, Simon Stevin und Gerard Thibault finden Aufnahme. Weder David de Solemne, Isselbourg noch van Breen finden Erwähnung. Besondere Beachtung wird allerdings J. J. von Wallhausen sowohl hinsichtlich der Agropolitae stratagematum (Kriegslist) siue militaris solertia (schöpferisch, erfinderisch, mit praktischem Sinn ausgestattet) als auch hinsichtlich der Ausbildung der Kavallerie zuteil. Stellte Naude´ seine Militärwissenschaft in technischer aber auch ideologischer Hinsicht auf moderne Grundlagen, wobei er auf die hauptsächlichen westeuropäischen Traditionsstränge rekurrierte, so beteiligte er sich doch an der militärwissenschaftlich-philologischen Grundlagenforschung und kann damit mit einer weiteren Strömung der in der französischen Elitekultur gepflegten militärtheoretischen Forschung in Verbindung gebracht werden. Formisano: Die Kriegskunst zwischen Schrift und Aktion, S. 124.

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schen Humanismus entwickelte sich unter Naude´s Feder und unter dem Einfluss einer baconschen Konzeption von Wissenschaftspolitik zu einem in öffentlichen Bibliotheken und Akademien zu verorteten Syntagma und zum Instrument staatlicher Wissenschaftspolitik. Naude´ bezog wie Lipsius den Exerziermodus auf das Lager, gestaltete diesen jedoch komplexer, indem er wie Saumaise zwischen Gruppenund Individualexerzieren unterschied. Während das Gruppenexerzieren ›innerhalb der Verschanzung‹ erfolgt, wird das Individualexerzieren ›außerhalb der Verschanzung‹ praktiziert. Er zeichnete schließlich eine Theorie bzw. Regel der Kriegführung (wie Lipsius in der Politica) – ein Moment, das der an Polybios anschließenden Militärtheorie unbekannt geblieben war. Schließlich verfolgte Naude´ ein wissenschaftlich enzyklopädisch breiteres didaktisches Konzept als der Polybios-Kommentar Saumaises. Gleich seiner politischen Theorie, die als eine Nachhut der italienischen Renaissance und als Vorläufer der Aufklärung auftritt,1099 verweist die Militärtheorie Naude´s auf den italienischen militärischen Humanismus. Auch griff Naude´ eine Tendenz des italienischen militärischen Humanismus auf, der Vegetius mit der modernen Militärtechnik der Renaissance zu verbinden suchte.1100 Man mag in Vegetius den Gewährsmann für eine habitusbezogene, prudentiale-antiquarische Kultur erkennen. Der thematische Schwerpunkt des bibliographischen Interesses Naude´s lag, wie er in der Advis anführte, im Bereich der Künste (arts) und Wissenschaften (sciences).1101 Bacon blieb im Hinblick auf sein didaktisches Ziel dem Begriff der praktischen Klugheit, der phronesis, verhaftet. Er wandte sich gegen die seiner Meinung nach zu theoretische Tugendlehre der aristotelischen Scholastik und suchte ein Ideal, durch dessen Verwirklichung der Mensch ein sinnlich-vernünftiges Wesen bleiben könne. Ein solches Ideal fand er in der moralischen Tugend, die er mit der Klugheit gleichsetzte. Entscheidend aber ist, dass die Klugheit ihre Normen und die daraus resultierenden Anwendungen durch Induktion aus Lebenserfahrung und Geschichte gewinnt.1102

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Jörg Wollenberg: Les trois Richelieu. Servir Dieu, le Roi et la Raison, Paris 1995, der sich darin Rene´ Pintard anschließt; S. 50f.: In den 1630er Jahren waren die Hauptverfechter der Politik Richelieus zugunsten einer starken und zentralisierten Zentralmacht die Vertreter der libertinage e´rudit, die Rene´ Pintard als Schüler Machiavellis, eine Art Nachhut der Kämpfer der Renaissance und als Gegner der Gegenreformation Vorhut der Aufklärung bezeichnete. Vgl. Richardot: La re´ception de Ve´ge`ce, S. 195–214. Vgl. Boitano: Naude´’s advis pour dresser une bibliothe`que, S. 14. Francis Bacon: Philos. Works. Hg. v. Spedding, Ellis, Bd. 1, S. 674. In: F. Wiedemann, G. Biller: Art. ›Klugheit‹, HWPh, Bd. 4, Sp. 859.

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›Lateinischer‹ Strategiebegriff: strategemata / sollertia ducum factae Naude´ verband die baconsche Akademielehre und den baconschen Wissenschaftsbegriff mit einem ›lateinischen‹ Strategiebegriff. Bei ihm findet sich der Begriff der strategemata im Sinne einer ›Kriegslist‹: Für Frontinus bedeuteten strategemata die klugen (listigen und erfindungsreichen) Handlungen der Generäle (sollertia ducum facta).1103 Naude´ griff die römisch-frontinische Bedeutung von sollertia ducum facta auf (sollertia: Kunstfertigkeit, Einsicht, Geschick, Gewandtheit, Praxis).1104 Die lateinische Tradition kannte nur eine Definition für strategema und stand in diesem Sinne, in Verbindung mit der Verbreitung unterschiedlicher Formen der strategema in England und den romanischen Staaten als Begriff für militärische Täuschung bzw. Betrug.1105 Wie Machiavelli mit der Verbindung von Frontinus und Vegetius weniger eine rationale, denn eine kluge Anwendung militärischer Macht zeichnete, so folgte ihm Naude´ in der Rückbindung der Kriegführung an die Phronesis und im Hinblick auf das induktive Verhaltensmodell der strategemata, die nicht in erster Linie (ein Organigramm der Legion) die Rationalisierung einer Befehlsstruktur und die Heuristik situationsunabhängiger taktischer Regeln vorsieht (wie sie bei Machiavelli auch angelegt sind). Dass Naude´ im Unterschied zu Saumaise keine strategische und jegliche Kontingenz ausschließende Handlungstheorie einführte, sondern sich auf die sollertia bezog und damit einhergehend ein induktives Verhaltensmodell, das sich mit dem literarischen, im Dienste eines induktiven politischen Handlungsmodells stehenden Vermittlungsmodell der arma et litterae und der vegetischen disciplina verbindet, liegt an der Einbindung der Militärtheorie in eine politische und wissenschaftliche Habituslehre. 1103 1104

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Wheeler: Stratagem, S. 17. Vgl. SStM, S. 529: »Vegetii autem Epitomator Modestus adeo infeliciter hoc in munere versatus est, vt se nihil vnquam putidius vidisse Modius asseueret, quare nec admodum anxie de illo inquirendum est. Porro istis ambobus accuratior censetur Frontinus in solertibus Ducum factis, & dictis, siue stratagematum collectione, exarata dictione facili, & ordinatissima temporum serie, quanquam ab aliis scriptoribus nonnumquam discrepet in rerum gestarum narratione, dubium erroere an consilio, & lutulentus aliquando fluat, si delicatiorum aures consulamus; quod vero se libros alios de militia conscripsisse, in praefatione stratagematon, non obscure subindicat, res est quam, supra leuiter attigi, & quae tam solide a Vossio, & Steuuechio probata fuit, vt nihil hic ab ipsis diuersum sentiam.« Vgl. Wheeler: Stratagem, S. 18; vgl. F. Lammert: ›Polyainos‹, RE, 42. Halbbd. (1952), Sp. 1433: »Neben dem Titel Strategika nennt P. sein Werk in den Vorreden der einzelnen Bücher Strategemata. Strategikon bedeutet zunächst Maßnahme des Feldherrn und weiterhin eines Leiters überhaupt, überlegt, klug, listig. Das Wort Stratagema erhielt neben dieser allgemeinen Bedeutung noch den Sondersinn der Kriegslist. Demgegenüber behielt und betonte Strategika den alten allgemeinen Sinn. So hat Frontin. Strat. p. 2, 24–3, 7 G. und in der Einleitung seines vierten Buches dargelegt […] So haben wir auch bei P. vielerlei, was dem heutzutage für Strategema üblichen Begriffe ›Kriegslist‹ nicht entspricht.«

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Diese Lehre, die ein auch bei Aristoteles, Thomas v. Aquin und Machiavelli angelegtes politisch induktives Verhalten1106 nahelegt, ist mit einer Kultur der Akademien, des Hofes und klienteler Verbände kompatibel. Anders als der der Saumaisschen Militärtheorie zugrunde liegende platonische Dualismus von Wissen und Unwissen als Grundlage einer sich von den als römisch konnotierten Strategemata abhebenden Feldherrnkunst, erwies sich eine politische und akademische Habituslehre mit dem römischen Begriff der strategemata, consilia oder sollertia als kompatibel. C. C. Bayley schrieb, auf einen anonymen Autor der Jahre 1290 bis 1310 bezogen (Pulcher tractatus de materia belli, ed. A. Pichler, Graz 1927), dass dieser in Übereinstimmung mit Vegetius den Hauptteil seines Kompendiums der Aufreihung von Stratagemen, Täuschungen, Anschlägen und elementarer Logistik, die die ars bellica des Zeitalters konstituierte, widmete. Der Kern dieser Lehre, die wortgetreu Vegetius entlehnt ist, lag in der Absicht, den Feind durch indirekte Mittel – in erster Linie Kriegslisten – und durch das Vermeiden von Schlachten mit einem Minimum an eigenen Verlusten zu zermürben.1107 1106

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Bianchi: Rinascimento e libertinismo, S. 239 [bezieht sich auf Sorel, Bibliothe`que franc¸oise]: Bücher »pour la conduite de la vie dans le monde«; S. 241ff.: Bianchi bezieht sich auf La Bibliothe`que franc¸oise, in der im V. Kapitel »pour la conduite de la vie dans le monde« gehandelt wird. »Qui infatti si considerano qui libri ›qui enseignent a s’y comporter avec honneur, et y garder toute sorte de bienseance‹, e si individua ne Il Galateo la peitra di paragone di questa nuova letteratura del comportamento.« Bayley: War and Society in Renaissance Florence, S. 183f.: »In conformity with Vegetius, he devoted the bulk of his compendium to a survey of the stratagems, devices, and elementary logistics which constituted the ars bellica of the epoch. The essence of his doctrine, faithfully extracted from Vegetius, lay in the desirability of discomfiting the ennemy by indirect means of minium loss. The use of bribery, the infusion of defeatism into the enemy ranks by traitors, the sedulous fostering of sedition among the civil population, the rupture of supply lines, the entrapping of stragglers by means of ambush and surprise attack were extolled in turn. The headlong assault, the pitched battle against a fresh and vigorius foe was deprecated as the gambler’s throw. Was the fortune single turn of the card? The outcome of an engagement was often decided by a contingency, a trifle, a rapid turn of fortune’s wheel, unforeseeable by the most prudent leader. The sagacious commander, therefore, drained the strenght of the enemy before delivering the final blow, which could then be struck with the minimum of risk. The supreme manifestation of the military art was the bloodless victory, when an enfeebled and demoralized foe tamely withdrew or capitulated. In the light of this doctrine, wich involved in practice deliberate and complicated field operations, a high degree of discipline in the rank and file, and the most expert generalship, the lurking doubts of the author over the competence of the militia are readily understandable. Unless the militia levies met these requirements by strenuous training and exercise, they would become a rudis et indocta multitudo doomed to fall as stubble before the sword of the enemy. The brief summer campaign, the tumultuous impulse to

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Dass Naude´ die baconsche Wissenschaftsauffassung, die die Wissenschaft als eine Verhaltensform begründet, aufgriff, manifestiert sich auch in seinem Syntagma militärischer Studien. Der Begriff des Syntagma, zu Deutsch Sammlung, ist geradezu ein Synonym für Epitome, ein Begriff der eine Sammlung der Daten der Traditon und deren neue Zusammenstellung evoziert.1108 Ihm war nicht daran gelegen, den Begriff einer strategika zu entwickeln. Vielmehr waren die strategemata und sollertia die Grundlagen seiner strategischen Anthropologie, die mit einer Neufassung der Klugheit im aristotelischen Sinne als eines Habitus, nunmehr unter dem Signum eines modernen Machtbegriffs nach Machiavelli und eines Wissenschaftsbegriffs nach Bacon, korrespondierten. Im Hinblick auf Vegetius merkt M. Formisano an: Die ausgewählten exempla werden durch Schriften evoziert und zur Norm erhoben, zum einzig gültigen Modell für die Aktion, zum technischen Strategiekriterium. Die Geschichte ist bei Vegetius nicht mehr ein kontemplationswürdiger Gegenstand, sie wird in ihrer vielfältig wirkenden Realität wieder erlebbar, und bietet so einen Maßstab an, durch den nur Wiederholung unveränderten Tuns möglich ist.1109

Nochmal zurück zu Jähns Aussage, dass Naude´ dem ›Gedankengang‹ des Vegetius’ folgte1110: Sicher kam das historisch-kritische Defizit und

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strike directly at the foe were militia traditions decidedly repugnant to the revived ars bellica. The military leader und the new dispensation wielded, not the club to crush, but the rapier to wound. The difficulty of raising te expertness of the mass militia to the level required by the more exacting standards of the new art of war coincided fatally wit the increasing preoccupation of the citizens with the profitable arts of peace, and thus helped to smoot the way for the spectacular ascent of the condottieri.« Formisano: Kriegskunst zwischen Schrift und Aktion, S. 123. Ebd., S. 126. GdKW, Bd. 2, S. 964f.: »Sein Werk folgt dem Gedankengange des Vegetius. Nach einer sehr ausführlichen Praefatio: De Militia, handelt der Verf. im 1. Buche von den bei der Auswahl der Soldaten zu stellenden Anforderungen in körperlicher wie geistiger Hinsicht, von der Ausbildung und Übung der Krieger (Abhärtung, Laufen, Springen, Jagd, Schwimmen, Ringen, Gebrauch des Feuerrohres, des langen Spießes, der Helmbarte, des Schlachtschwertes, des ein- und des zweischneidigen Degens und des krummen Säbels), von der Abrichtung der Pferde und von der Mannszucht. – Das 2. Buch fordert von einem Anführer: Kenntnisse, Tapferkeit, Glück und Ansehen. Schöne Wissenschaften solle er nicht kultivieren, weil sie den Geist verweichlichen und von seiner eigentlichen Bestimmung abziehen; dagegen möge er namentlich Arithmetik treiben, ›um die Bataillone abteilen, in’s Geviert Stellen oder in die Länge entwickeln zu können. Ferner soll er Manganaria (Ballistik) studieren, Kriegsbaukunst, Maschinenwesen, Hydrographie, Geographie, vor alllem aber Geschichte; denn diese sei, in Verbindung mit der Erfahrung, die beste Lehrmeisterin. ›Die unerwarteten Vorfälle des Krieges fordern stets augenblickliche Entscheidung, wie sie nur festen und entschlossenen Anführern eignet, denen nichts neu und ungewöhnlich erscheint und denen nichts das ruhige Urteil und die Besonnenheit raubt.‹ – Der Verf. gibt nun eine Übersicht der Militärliteratur, redet vom Verpflegungswesen, handelt eingehend von der Artillerie und den

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die kompilatorische Machart der ERM seiner eigenen pyrrhonischen Tendenz entgegen, und der Exerzierbegriff ist in seinen Grundzügen vegetisch. Ganz im Gegensatz zu Saumaise, der die militia nach chronologischen Kriterien zu rekonstruieren suchte, schloss Naude´ an die epitomisierenden, kompilatorischen Tendenzen des spätantiken Militärschriftstellers an. Sein SStM geht jedoch in seinem wissenschaftlichen Anspruch weit darüber hinaus, wenn es, von Bacon beeinflusst, eine militärische Akademielehre (doctrina academica) nahelegt. Wenn Naude´ die ERM für seine militärwissenschaftliche Heuristik fruchtbar machte und, unter diesem heuristischen Aspekt, den Saumaise ja verworfen hat, die vegetische res militaris weiterentwickelte, um gleichfalls eine Differenzierung in Einzel- und Gruppenexerzieren nahezulegen, dann mag dies ein Zeichen dafür sein, dass er sich einer Gegenströmung zu der ars historica der Renaissance anschloss, kurz: ein Signum für Pyrrhonismus und Skeptizismus. Studium tyronis et ducis In der Handschrift, die die Systematik militärischer Studien (ordo syntagmatis de studio militari) enthält und die Naude´ am 27. Jan. 1636 einem Brief an Peiresc beilegte, ist folgende Angabe zu finden: Cum militare studium referatur, tam ad militem, qua`m ad ducem, proterea de utriusq officio in hoc syntagmate disseritur, quod eadem de cause duos in libros dividere iustum est. […] Partitio totius operis in studium tyronis et ducis.1111

Naude´ gliederte das SStM in drei Teile: in der Praefatio spricht er von der Vorzüglichkeit und dem Adel der militia, in den zwei folgenden Büchern von den militärischen Ämtern, dem wahren Heerführer (dux) und den Tugenden, die dem Feldherrn (imperator) in höchstem Maße zu eigen sind. Diese Systematik schließt in einem dritten Teil (trina sermonis) der Rede (sermo) mit einer umfassenden Behandlung der militia ab: si praeses Syntagma tres in parte diuiderem; ac in ipsa quidem praefatione multa dicerem tum de Militiae praestantia, & nobilitate, tum varijs de rebus, quae minus commode referri potuissent, & explicari duobus libris sequentibus; quorum primus Militis officio dicatus est, postremus vero Ducem effingit, & exornat virtutibus quae maxime` sunt Imperatoris propriae, atque hoc ordine, & trina sermonis partitione vniuersam Militiae tractationem complectar; de qua cum animus meus fit per se paratissimus ad narrandum, virtus autem tua ingens & conspicua, certe non tam ille viam inueniet, quam ista vim dabit ad bene dicendum mihi.1112

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Handfeuerwaffen und spricht sich (wie so mancher einseitige Verehrer des antiken Kriegswesens) zu Gunsten der alten Werkzeuge aus; wenigstens das grobe Pulvergeschütz lohne den Aufwand, den es verursache, keineswegs. Das ist also die entgegengesetzte Auffassung wie im 15. und 16. Jhdt.« Ms. f. fr. 9544, fol. 105. SStM, S. 10f.

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Im ersten Kapitel wird gleich die anfangs eingeführte Zweiteilung in Soldaten (Tyronen) und Feldherrn als Organisationsprinzip durchbrochen, denn im ersten Kapitel wird auch vom Feldherrn gehandelt.1113 Es folgen diejenigen, die nach Meinung der weisesten Feldherrn zu nennen sind (II). Das vierte Kapitel des ersten Buches beschäftigt sich mit der Auswahl der Soldaten. Es gibt unterschiedliche Exempla der antiken militia: die verschiedenen Feldherrn hielten sich an unterschiedliche Regeln. Die folgenden Kapitel handeln von den Kriterien der Rekrutierung – so der Frage nach der sozialen, geographischen respektive nationalen Herkunft der Soldaten (V), deren physiognomischen, physischen und geistigen Qualitäten (VI), ihrem Alter (VII), Berufsstand, deren Herkunft aus Stadt- oder Landbevölkerung (VIII). Schließlich werden die für den Ruhm notwendigen Anlagen sowie Stärke und Mut untersucht (IX). Mit dem Kapitel XI beginnt nach dem Diskurs über die Aushebung (dilectus) eine Rede von der militärischen Disziplin (disciplina). Die Disziplin untergliedert sich in eine Disziplin außerhalb der Verschanzung (disciplina extra vallum) (Primus, Kap. XIII–XXII), die sich auf die Übungen des Soldaten (exercitatio) bezieht, und eine Disziplin, die innerhalb der Verschanzung geübt wird (disciplina in vallo) (Primus, Kap. XXIII). Diese bezieht sich auf die Pflichten (munia), Ämter (officia) und Gesetze (leges). Naude´ teilte den unterschiedlichen Bereichen jeweils das Gruppen- und das Individualexerzieren zu und trennte sie somit, wie auch Claude de Saumaise, systematisch voneinander. Die Übung außerhalb der Verschanzung ist dem Individualexerzieren vorbehalten, während innerhalb der Verschanzung in Gruppen exerziert wird. Die Übungen außerhalb des Lagers beziehen sich wesentlich auf die Gymnastik, die in drei Arten unterteilt ist: den Lauf, den Sprung und den Tanz. Mit der systematischen Trennung der Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Lagers schuf Naude´ einen Freiraum für die Entfaltung individueller frühneuzeitlicher Adelskultur, die außerhalb der Sozialstruktur der Armee und des machtstaatlichen Zugriffs angesiedelt ist. Es liegt hier keine klare Trennung zwischen dem Befehlshaber, der qua Intellekt zum Formgeber der militia avanciert, und den Soldaten vor, die der Befehlshaber durch das methodische Exerzieren nach intellektuellen Kriterien formt. Vielmehr sollte der honneˆte homme sich eigenständig außerhalb des Lagers ›physisch‹ perfektionieren, innerhalb des Lagers exerzierte er im Kollektiv. Im Grunde liegen die beiden Konzeptionen des Einzel- und Gruppenexerzierens nicht so sehr weit auseinander; es gilt daher auf die Nuancen zu achten. Das Gruppenexerzieren 1113

Ebd., S. 37f.

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ist bei Saumaise dem ordo und der acies zugeordnet, während das Individualexerzieren im Lager stattfindet und sich an Frontinus und Pyrrhus orientieren soll. Naude´ hingegen verortete das Individualexerzieren extra vallum, außerhalb der Verschanzung, d. i. notabene außerhalb des befestigten Lagers, und das Gruppenexerzieren ausdrücklich in den Grenzen des Lagers. Im naude´schen Exerzierbegriff wird demnach ein von staatlichem Zugriff freier Raum festgelegt und ein Bereich angenommen, in dem die Pflichten, Ämter und Gesetze herrschen. Dabei wird im ersten Kapitel, das von dem ersten militärischen Amt (officium) oder der Ordonnanz (ordo) handelt, von folgenden militärischen Praxisbereichen ausgegangen: der römischen Schlacht- und Kampfordnung und der Marschkolonne. Die zweite militärische Pflicht besteht darin, sich nicht dem Müßiggang hinzugeben (ne otio languidus tumax) und legt das beständige Arbeiten der Soldaten im Lager nach dem Vorbild der Römer nahe (Primus, XXIV). Die dritte Pflicht bezieht sich auf den Gehorsam (Primus, XXV): der ist im Krieg unabdingbar. Es folgt die Enthaltsamkeit im venere als deren Beispiele Herkules, Achilles, Aeneas, Alexander, Hannibal, Scipio und weitere Soldaten angeführt werden können. Dieser Abschnitt (Primus, XXVII) betrifft im Wesentlichen Fragen der Sexualmoral. Es folgen Abschnitte über die Bescheidenheit in der Wortwahl (XXVIII) und das Maßhalten im Beutemachen (Primus, XXIX), in dem die Spanier vorbildhaft sind (XXX). Das zweite Buch des SStM ist dem Feldherrn (imperator) gewidmet. Zunächst wird auf die Speculae des Feldherrn in der Literatur eingegangen (I), d. h. die Bezeichnung des Feldherrn nach der antiken Überlieferung, eine mögliche Darstellung des Feldherrn anhand der Beispiele der größten Männer, eine Aufzählung der Besten, die Vorschriften der hervorragendsten Autoren sowie die Notwendigkeit des Feldherrn in der Verwaltung des Krieges. Die Speculae hatten sich im 13. Jahrhundert parallel zur Vermittlung von De Re Militari mittels der Fürstenspiegel entwickelt und legten im Rahmen einer gleichsam enzyklopädischen Form eine gelehrte und scholastische Vermittlung nahe.1114 Schließlich solle man diesen vier anderen Vorsätzen die Themen des Marcus Tullius Cicero vorziehen, selbstverständlich Wissenschaft (scientia), Tugend (virtus), Glück (felicitas) und Autorität (auctoritas), wie sie auch Lipsius eingefordert hat. Ein wichtiger Abschnitt ist der Kriegführung (in bello gerendo) gewidmet. Im Gegensatz zu Saumaise, der seine strategische Doktrin deutlich von einem Verhalten im Krieg abhob, formulierte Naude´ eine Lehre des ›Verhaltens‹ des Feldherrn in der Kriegführung (›in‹ bello gerendo).

1114

Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 84.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Dem Bereich der Kriegführung sind die Mannschaften (vires) und der Kriegsrat (consilia) zugeordnet, der Lipsius zufolge am wichtigsten in der Kriegführung sei.1115 Die ›vires‹ untergliedern sich in Finanzverwaltung (pecunia appartus, VI), Logistik (commeatus, VII), Bewaffnung (VIII), Mechanik (IX), Poliorketik (X), Artillerie (XI) und Soldaten (XII). Der Kriegsrat (consilia) ist mit der Militärgesetzgebung (leges militares, XIV) und dem Verhalten nach Sieg oder Niederlage betraut. Abschließend fügte Naude´ eine für eine erfolgreiche Kriegführung notwendige Tugendlehre (nach Cicero) an, die sich auf Glück (XVIII, 3. felicitas oder fortuna) und Autorität (XIX, 4. Bedingung: auctoritas, deren Notwendigkeit und deren Wesen) bezieht. Die militärwissenschaftliche Systematik des Syntagma de studio militari I. Ausbildung des Soldaten: Militärische Ämter (de militis officio): – Rekrutierung (I, 4–9) – Disziplin (I, 11–)  disciplina extra vallum (I, 13–22)  disciplina in vallo (I, 23) – Waffen II. Wissenschaft des Feldherrn (imperator): 1. Eigenschaften des Feldherrn (scientia, virtus, felicitas) 2. Kriegführung (in bello gerendo) a. Männer (vires) b. Kriegsrat (consilia) 3. Tugendlehre (auctoritas, felicitas/fortuna)

Theorie der Kriegführung in bello gerendo

1115

SStM, S. 757f.

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Disziplinbegriff

Das Ziel des SStM besteht nicht in erster Linie darin, militärtheoretische Gesetzmäßigkeiten herauszustellen, vielmehr besetzt es eine militärwissenschaftlich-propädeutische Funktion in einem enzyklopädischen Sinne: die militärische Bibliographie (Bibliographia militaris) von Gabriel Naude´ wird als Vorbereitung für das militärische Leben empfohlen. Eine politische Bibliographie wird nochmals als einführende Abhandlung gebraucht.1116 Die erste Ausgabe ist ein militärtheoretischer Traktat, der die kommentierte Bibliographie in den Lektürekanon für den General integriert (Teil II, Kap. 4). Naude´s Ansatz ist weiter gefasst in dem Sinne, dass er über die Geschichtstheorie als theoretisches Fundament der Militärtheorie hinausgeht und unterschiedliche Theoriefelder respektive Wissenschaftsfelder integriert, die mit den in der modernen Kriegführung sich zunehmend diversifizierenden militärischen Praxisbereichen korrespondieren. Darüber hinaus bezog Naude´ die Dissoziierung des Tyronen und Feldherrn als oberste Organisationsprinzipien mit ein. Hinsichtlich der Übung (exercitatio) des Tyronen ist jedoch der Bezug auf die Ausbildungsgrundlage des Vegetius (disciplina) eindeutig. Der Schwerpunkt des ersten Buches des Syntagma liegt auf der Ausbildung des einfachen Soldaten; der zweite Teil hat die Ausbildung militärischer Eliten zum Gegenstand. Dieser zweite Teil enthält die kommentierte Bibliographie: Mit der vorliegenden Sammlung soll eine Grundlage für das militärische Studium sowohl des Soldaten als auch des Generals bereitgestellt werden.1117 Das erste Buch handelt von den 1116

1117

Merio Scattola: Geschichte der politischen Bibliographie als Geschichte der politischen Theorie, Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte, 20, 1 (1995), S. 9. SStM, Vorwort zur Inhaltsangabe: »Cum huius Syntagmatis materia fit Militare Studium, tam in Tyrone, quam in Duce spectatum.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

militärischen Ämtern bzw. den militärischen Aufgabenbereichen (de Militis officio). Es umfasst die Auswahl, die Disziplin und die Bewaffnung. Naude´ differenziert zwischen einer Disziplin, die außerhalb der Verschanzung (disciplina extra vallum) eingeübt wird und einer Disziplin innerhalb der Verschanzung. Für die Disziplin im Lager gilt, dass Pflichten (munia), Ämter (officia) und Gesetze (leges) ihre Anwendung finden. Die Disziplin außerhalb der Verschanzung bezieht sich auf drei Arten von Kriegsübungen. Ist die Ausbildung des einfachen Soldaten vom Modell Vegetius’ inspiriert, so wird hinsichtlich der Kompetenzanforderungen an die militärischen Eliten ein Bildungskanon gezeichnet, der die Signatur des baconschen Wissenschaftsbegriffs, der induktiven Methode und der wissenschaftlichen Revolution trägt sowie eine scientia operativa nahelegt. Der Soldat soll in der Arithmetik ausgebildet werden, die ihm die Aufstellung von Bataillonen ermöglicht. Neben technischen und mechanischen Kenntnissen rangiert die Geschichte als kognitives Instrument an erster Stelle. Die Geschichte (historia) ist in Verbindung mit der Erfahrung (experientia) die beste Lehrmeisterin. Damit bleibt die Historie konstitutiv für eine Lebensform. Naude´ knüpfte an die ciceronianische Funktion der Geschichte als magistra ad vitae an. In diese didaktische Funktion der Geschichte schreibt sich die erste in das SStM aufgenommene militärwissenschaftliche Bibliographie ein, die den Schritt von den Scriptores veteres und dem philologisch-kritischen Kommentar hin zu einer wissenschaftlichen Bibliographie markiert und damit einen weiteren Schritt in der Verwissenschaftlichung, d. h. der Entwicklung von der Kriegskunst zu einer Militärwissenschaft vollzieht. Naude´ schloss an das Wissenschaftsmodell Francis Bacons an,1118 der nicht nur der Begründer eines induktiven Wissenschaftsbegriffs war, 1118

Antonio Pe´rez-Ramos: Francis Bacon’s Idea of Science and the Maker’s Knowledge Tradition, Oxford 1988: 2. Bacon’s Philosophy and the Technocratic View of Science; 4. ›Ingredients of science‹ as Hermeneutical Tools; maker’s knowledge; historiographic approaches; propositional and operational knowledge in the Maker’s Knowledge Tradition; Aristotelian Background; Medieval and Renaissance Background; S. 53: »Sociological fallacies are especially liable to occur precisely when dealing with the Baconian image of scientia operativa are purportedly ›arising‹ from, or ›responding‹ to, the needs or demands of a new mercantile class, whose mot d’ordre apparently was usefulness and technical know-how. If this sort of historiographic virtus dormitiva is to be exorcised at all, then it must be noted that the same pattern of thought can, with Bacon, inspire an image of science whole-heartedly bent on technocratic control over Nature.«; ebd. S. 59: »Nonetheless, the verum factum model becomes Mersenne’s privileged form of certainty wherewith to overcome the sceptical challenge, while trying to lay a conceptional foundation for human knowledge qua consctruction. Mathematics, as with Proclus and Cuas, is Mersenne’s own illustration of this: man is a knower qua maker in the province of abstract thought and, probably by that route, in the natural realm also.«

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sondern sich auch in die Miliztradition nach Machiavelli einordnen lässt.1119 Bacons Wissenschaftsmodell geht, wie jüngere Studien zeigen, auf die historiographische Praxis reformatorischer Geschichtsschreibung zurück: auf die Zwecksetzung, Organisation und Arbeitsweise des unter dem Namen der Magdeburger Zenturien bekannten, von dem lutherischen Theologen Flacius Illyricus ins Leben gerufenen und geleiteten Projekts einer neuartigen Kirchengeschichte, das zugleich als ein Modell für Forschungsprozesse gelten kann, wie sie für die frühneuzeitliche Literärhistorie (historia literaria) als einem zentralen Arbeitsfeld der Gelehrtenrepublik typisch sind.1120 Die historia literaria ist diejenige Disziplin, in der man – seit Bacons Anregungen und im günstigen Fall, der auch in der Frühen Neuzeit selten war, – über die Beschäftigung mit Wissenschaftsgeschichte und, um die moderne Terminologie H. Jaumanns zu bemühen, »mit Wissenschaftsforschung Reflexionen über die produktive Verknüpfung von Organisation, Verfahren und Zielbestimmungen von Forschungsprozessen anstellen konnte.«1121 Naude´ knüpfte an diese moderne Form der Wissensgenerierung an und charakterisierte die Armee als eine Organisation, die klientele Beziehungen nicht nur ermöglicht, sondern gar voraussetzt, ohne die zwingende anthropologische Dichotomie von Befehl/Befehlendem und Gehorsam/Gehorchendem. Saumaise hingegen lieferte mit der Schaffung einer, aus Vegetius nicht ableitbaren Befehlsstruktur hierzu einen Gegenentwurf.

1119

1120

1121

Metzger: Die Milizarmee im klassischen Republikanismus, S. 158: »Zusammenfassend kann gesagt werden, daß sich grundsätzlich sämtliche wesentlichen Milizmerkmale der klassisch-republikanischen Tradition in Bacons Schriften feststellen lassen. Für Peltonen ist Bacons Konzept staatlicher Größe denn auch eine unverfälschte machiavellische Theorie des Krieges, der Vitalität und der Instabilität. Er sieht darin einen wichtigen Präzedenzfall für die militärischen Aspekte des englischen Republikanismus in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Zwar sieht Bacon im Vergleich zu Machiavelli das Verhältnis zwischen den ›Wenigen‹ und den ›Vielen‹ als weniger konfliktbehaftet. Trotzdem ist die tiefe Verpflichtung seiner politischen Theorie gegenüber der klassischen Tradition im Allgemeinen und dem Florentiner im Speziellen erstaunlich – zumal er gemeinhin vor allem als Begründer eines modernen Wissenschaftsverständnisses bekannt ist.« Vgl. Anthony Grafton: Where was Salomon’s House? Ecclesiastical History and the Intellectual Origins of Bacon’s New Atlantis. In: Jaumann (Hg.), Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 33. Herbert Jaumann: Vorwort. In: ders. (Hg.), Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 9.

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Die doppelte Disziplin: Disciplina in vallo – disciplina extra vallum Saumaise reduzierte die Feldherrnkunst auf eine in eine Formenlehre der militia eingebettete Theorie von dilectus, ordo und acies. Diese Militärwissenschaft, die er als kognitive Kompetenzen des Feldherrn annahm, grenzte er von der Lebensform der Disziplin ab; so wurde bei Naude´, der nicht von einer dichotomischen (Befehl – Gehorsam), sondern von einer Anthropologie ausging, die allenfalls an die ›gemina persona‹, einer Doppelung der Person, nicht aber an die anthropologische und militärwissenschaftlich-systematische Trennung von Willen (disciplina) und Verstand oder Intellekt (doctrina/ars) anknüpft, eine weitere Ausdifferenzierung der militärischen Disziplin in eine doppelte Disziplin (disciplina in vallo, disciplina extra vallum) vorgenommen. Von der prudentia mixta und einer Typologie der Klugheit ab, wie sie den politischen Tacitismus Lipsius’ kennzeichnete und die im Hinblick auf die Diversität der Situationen nicht hinlänglich differenziert erscheint, hob er sich ab. Gleichfalls in Abhebung von der Lipsianischen disciplina entwickelte er zwei Typen der disciplina oder eine doppelte disciplina. Naude´ teilte mittels der ›Doppelung‹ die disciplina in zwei Bereiche auf: eine außerhalb der Verschanzung, die ganz im Gegensatz zum Gruppenexerzieren bei Saumaise dem Individualexerzieren vorbehalten ist, und eine innerhalb der Verschanzung, also eine Lagerdisziplin, in der die Gesetze, Ämter und Pflichten herrschen. Saumaise hingegen hatte das Gruppenexerzieren nicht als Tätigkeit des Lagers gefasst, sondern außerhalb des Lagers verortet. Die individuelle Bildung des Tyronen, die freilich im Syntagma von Naude´ nicht ausschließlich der vegetischen Körperkräftigung folgt, sondern auch das Tanzen miteinbezieht, bleibt – außerhalb der ›Verschanzung‹ verortet – einer individuellen Adelskultur vorbehalten. Hatte Saumaise den Typus oder das historische Exemplum polybianisch-vegetischer acies, wie es Lipsius in DMR gezeichnet hatte, durch eine historisch-kritische acies-Theorie ersetzt – d. i. eine aciesTheorie im Zusammenhang einer Darlegung von De mutatione artis militaris (Formenlehre der militia) –, so ersetzte Naude´ den lipsianischen Typus der Schlacht im Anschluss an Vegetius (septem depugnationes) durch eine Typologie, eine Typenlehre der acies. Die Typologie der acies erscheint als ein militärtheoretisches Pendant des im Unterschied zum Begriff der politischen Klugheit bei Lipsius ausdifferenzierten, gänzlich den Gegebenheiten historischer Kontingenz ausgerichteten Habitus der Klugheit.

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b. Die militärische Bibliographie (bibliographia polemica) als Grundlage akademischer Lehre (doctrina academica) Mit dem Aufgreifen der ERM Vegetius’ durch Naude´ erfährt diese Rezeption eine einschneidende Veränderung. Bei der in das SStM1122 inkorporierten Bibliographie (IV) handelt es sich um eine Art Mise en abyme, da Naude´ die darin angeführten Schriften als Grundlage des gesamten SStM annahm. Die militärische Bibliographie versammelte die bis dato bekannten Militärliteratur.1123 Die für die doctrina academica irrelevanten Gattungen und Schriften (Secundus IV, Kap. 4, 7–11) Indem Naude´ in seiner Militärwissenschaft die Technik (Waffen, Mechanik, Artillerie) integrierte und dabei auf die moderne Literatur zu1122

1123

Vgl. Robert Damien: Bibliothe`que et Etat. Naissance d’une raison politique dans la France du XVIIe sie`cle, Paris 1995, S. 29: Das Syntagma tritt neben andere bibliographische Schriften wie den Advis pour dresser une bibliothe`que pre´sente´ a` Monseigneur le Pre´sident de Mesmes (Paris, 1627). Vgl. GdKW, Bd. 1, S. 8ff.: »Nahezu das entgegengesetzte Verhalten, nämlich die fast ausschließliche Aufnahme lateinischer Schriftsteller, zeigen die gedruckten Sammlungen der militärischen Werke des Altertums, welche von den Gelehrten der Renaissancezeit unternommen wurden, vornehmlich die der Veteres de re militari scriptores, scilicet Vegetii, Aeliani, Frontini et Modesti opera, welche zuerst in Rom 1487, neun Jahre später zu Bologna, dann revidiert und gereinigt 1538 zu Köln, endlich in der mustergültigen Ausgabe des Budaeus 1532 (1535, 1553) zu Paris veröffentlicht wurde [Anm.: Eine Ausgabe Scriptores (Rom 1499) ist um die Feldherrnkunst Onesanders vermehrt, die jedoch in der Bologneser Ausgabe und in den folgenden Neudrucken wieder ausgeschieden wurde.] Diese Sammlung galt geradezu als ein kanonisches Corpus der Kriegskunst. [...] So wertvoll nun auch jene Sammlung war, so umfaßte sie doch nur einen geringen Teil der antiken Kriegsschriftsteller. Der Wunsch nach einer vollständigen klassischen Militärbibliothek wurde aber damals in weiten Kreisen lebhaft empfunden und auch von dem großen Philologen-Triumvirat des 16. Jahrhunderts, von Scaliger, Lipsius und Casaubonus wiederholt ausgesprochen; er fand indes keine Erfüllung; man begnügte sich vielmehr, die vorhandene Sammlung der Veteres de re militari scriptores philologisch zu rezensieren und zu kommentieren, und so entstanden die neuen Ausgaben von Modius (Köln 1580), Stewechius (Amsterdam 1585, Leyden 1592) und Scriverius (Antwerpen 1607, Leyden 1633 und, vermehrt und verbessert, Wesel 1670) [alte Ausgaben: Franc¸ois Modius, In Jul. Frontinum Conjectanea et notae. Voir Ve´ge`ce. De Re miliari libri quatuor...correcti a Godescalco Stewechio …Lugduni Batavorum 1542; – Annot. Frontin. (Sextus Julius Frontinus). Stratagematoˆn libri quatuor...Voir Ve´ge`ce. De Re militari libri quatuor...Antverpiae 1585; – Lugduni Batavorum, 1592; – 1731)]. [Anm.: Letztere Ausgabe umfasst (außer Vegez, Frontin, Aelian und Modestus) auch noch den militärischen Teil Polybios, den Aeneas Tacticus und das Incerti auctoris de re militari opusculum, welches früher dem M. Tullius Cicero zugeschrieben wurde, aber ganz unbedeutend und Ciceros unzweifelhaft unwürdig ist, wie das schon Angelus decembris in seiner Vita di Cicerone (Parma s. a.) gegen Ende des 15. Jahrhunderts nachgewiesen hat].«

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rückgriff, schaffte er eine Enzyklopädie der Kriegführung der Frühmoderne. Hinsichtlich des didaktischen Konzepts blieb er jedoch in weiten Teilen der philologischen Gelehrsamkeit des militärischen Späthumanismus verhaftet, partizipierte er doch an der Restitution der antiken taktischen Traditionszusammenhänge und folgte dem vegetischmilitärwissenschaftlichen Paradigma, ohne zu versäumen dies mit den modernen Theoremen zu besetzen. Zunächst werden rezipiert: die Gesamteditionen antiker Militärtheoretiker (editi antiqui omnes), die verdorbenen Alten (Secundus, IV, Kap. 4, 7: Antiqui deperditi), die in den Bibliotheken verborgenen griechisch-arabischen, lateinischen und vulgarsprachlichen Handschriften (IV, 8: Manuscripti in bibliotheces latentes Greci Arabes, Latini, vulgares), die modernen Editionen antiker Militärtheoretiker (IV, 9: tum editi antiqui omnes), die jüngsten Autoren, die die militärische Disziplin der Alten (Gesetze, Institutionen und Krieg zwischen den Völkern) mit dem Ziel der Gelehrsamkeit und Nützlichkeit darlegen (VI, 10: Ac recentiores qui scripserunt de militia antiquorum in se tantummodo spectata)1124 und die Schriften, die die Alten und die Modernen kolligieren (IV, 11: Tum de veteri, & nova inter se collatis) – darunter sind Hermann Hugo, Dominicus Cyllenius (De disciplina militari, Venedig 1559 [1539]), Alessandro Sardi (1520–1588), Vergilius Polydorus (1470–1555), Aegidius Romanus (1245–1316), Petrus Ramus (prooemio mathematice), der Jesuit Adam Contzen (1571–1635), der Bischof Antonio Zara († 1520), Marcus Antonius Pitsillius (um 1600), der belgisch-niederländische Jesuit Carolus Scribanius (1561–1629), Justus Lipsius (Politicorum libri sex), Hugo Sempilius, der italienische Musiktheoretiker Giovanni Battista Doni (1594–1647), Henri de Rohan (Parfaict capitaine) und Guillaume du Bellay rubriziert. Danach legt Naude´ sein eigenes Anliegen dar (Secundus, IV, Kap. 4, 12): »In eorum igitur classe, qui generatim de militia disseruerunt plus doctrina academica`«1125. Er wolle von der Kategorie handeln, unter der allgemein die militia einschließlich der akademischen Lehre (doctrina academica) erörtert wird. Erstellte Naude´ im zweiten Buch, IV, Kap. 4, 7 bis 11 eine kommentierte Bibliographie der Überlieferung und der zeitgenössischen Literatur, die für die Paideai des Syntagma kaum relevant werden sollte, so werden im Folgenden die für Naude´s SStM grundlegenden Schriften aufgeführt.

1124

1125

SStM, S. 531: »Inter recentiores vero, quorum numerus est propemodum infinitus, alij eruditionem tantum consectati sunt, in explicanda militari veterum disciplina; alij vtilitatem etiam, ac vsum, in exponenda & nouis consilijs, aut inuentis adornanda ea, cuius nunc more, institutoque, bella inter homines geruntur.« SStM, S. 536.

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Die für die militärischen Studien relevanten Gattungen Zu den für das militärische Studienprogramm relevanten Gattungen zählen die ›akademischen Schriften‹: zu den militärischen Prinzipien (axiomata militaria), der Diskurs der Italiener über die Methode der Kriegführung (Discursus Italice de bellorum ratione), die StrategemataTraktate oder Texte, die die militärische Kunstfertigkeit (sollertia) darlegen, Schriften, welche die wahre Methode (vera ratio) behandeln, diejenigen zur Vorzüglichkeit und militärischen Ehre, der Waffenhandhabung, dem miles christianus und schließlich die Literatur, die sich mit der Unterrichtung der Tyronen befasst. Es scheint, dass der naude´sche prudence-Begriff der Conside´rations in dem Syntagma de studio re militari in den regulae, sollertia (Geschicklichkeit, Schlauheit, Erfindungskraft) und strategemata seine Entsprechung findet. Naude´ griff sukzessive akademische Schriften auf, so die militärischen Prinzipien oder axiomata militaria anlangend, den Diskurs der Italiener über die Methoden der Kriegführung (Discursus Italici de bellorum ratione), worunter Aenea Servellini, Francesco Fiammelli, Girolamo Frachetta, Fabio Frezza, Antonio Ciccarelli († 1599) und Basilius Johannes Herold (1511–ca. 1581) fallen; schließlich die Schriften zur Kriegslist (strategemata) oder die militärische Kunstfertigkeit (Acropolitae stratagematum siue militaris solertia) dreier ›Kriegshauptmänner‹ (chiliarches): Anselm Strechelius’ Enchiridion stratagematicon, Belissarius Aquivivius’ Neritinorum Dux und Iacobus’ Comes puriliarum et al. Unter die Acropolitae strategematum oder militärische Geschicklichkeit (militaris solertia) fallen die folgenden Autoren: der Hofschreiber Antonio Cornazzano (1429–1484, Dell’Arte militare, Venedig 1521), der Verfasser des Policraticus (1156–59) Johannes von Salisbury (1115–1180), Nicolaus de Hanapis (*1291), der an der Universität Löwen lehrende deutsche Historiograph Ferdindands III., Philologe und Theologe Nicolas de Vernulz (1583–1649, Dissertatio Politica de bello feliciter gerendo constans orationibus sex, Löwen, Dormalius, 1630), der Befehlshaber und Musterschreiber Adam Junghans von der Olnitz (Kriegsordnung zu Wasser und Landt, Köln, Lützenkirchen, 1590, 1594, 1595, 1611), der Arzt, Historiker und Professor der Dichtkunst Elias Reusner (1555–1612, Stratagematographia, sive Thesaurus bellicus, docens quomodo bella juste et legitime suscipi, recte et prudenter administrari, commode et sapienter confici […], Frankfurt a. Main 1609), Henrik Rantzau (Commentarius bellicus, libri sex distinctus, praecepta, consilia, et strategemata […], Frankfurt 1591, 1595), Bernardino de Mendoza (1540/41–1601), Johann Jacobi von Wallhausen, Bernardino de Escalante (Dialogos del arte militar), Francesco Maria, Herzog von Urbino I. (1490–1538), der italienische Heerführer und Militärschrift-

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steller Lelio Brancaccio (1560–1637, Della nuova disciplina e vera arte militare: libri VIII […] per commodita` de’ soldati secondo i precetti di Cesare, Venedig, Manuzio, 1585) et al. Schließlich kommen ›unsere Autoren‹, wie Naude´ sie nennt, die französischen Kapitäne Du Praissac, Je´re´mie de Billon, Sr. de La Prugne, Louis Montgommery de Courbouzon, die, wie auch die Editionsgeschichte belegt, zum festen Kanon französischer militärischer Handbuchliteratur zählen, und die sogenannten Einleitungen in die Kriegskunst von Francesco Ferretti (Della osservanza militare, Venedig 1577), gefolgt von Fausto a Bufalo und Matteo Baccellini (1594–1614, Aforismi politici militari: Ne’ quali si mostra come il principe e la republica s’ha da governare con la militia […], Paris, De LaHaye, 1610) mit dem Diskurs, dann Aphorismen (u. a. aciei formandae, ac expugnandis arcibus, aut propugnandis), Mario Savorgnano, Graf von Belgrad (1513–1574), der von der vollkommenen Kunst (ars perfecta) der Landund Seekriegführung handelt (Arte militare terrestre, e maritima, secondo la ragione, e l’uso de piu valorosi capitani antichi, e moderni, Venedig 1599). Diese Werke sind nicht für die Muße oder literarische Meditationen bestimmt, sondern enthalten die wahre Methode (vera ratio), da sie in der militia dieser Zeiten richtig und häufig angewandt wurden. Pier Maria Contarini (1545–1610) mit seinem Corso di guerra et partiti di guerreggiare e combattere (Venedig, G. Percachino, 1599) findet Aufnahme ebenso wie der Spanier Francisco de Valde´s (Espejo y Disciplina Militar, Brüssel 1586), der Franzose George Vivianus, Leonhart Fronsperger (1520–1575, Fünf Bücher von Kriegsregiment und Ordnung, Frankfurt a. Main, David Schöffel, 1555), Lazarus von Schwendi (1522–1584, Kriegsdiscurs. Von Bestellung des ganzen Kriegswesens, und von den Kriegsämtern, Frankfurt a. Main 1593), Girolamo Ruscelli (1500–1566, Precetti della militia moderna, tanto per mare, quanto per terra), Martı´n de Eguiluz (*1544, Milicia, discurso, y regla militar, Antwerpen, Bellero, 1595) und Bernardino Rocca, die alle von der militärischen Disziplin handeln. Es folgen der Lutheraner Sebastian Franck (1499–1542), der unter seinem Pseudonym Friedrich Wernstreit aufgeführt ist, mit dem libello Germanico de belli malis und Thomas Lieno Ruscio. Daran schließen diejenigen an, die von der Vorzüglichkeit und den militärischen Ehren handeln (praecellentia & honori militum): darunter Johannes Baptista Pacianus, Scipio a` Trigona, Francesco Serdonati, Hieronymus Vrea und Barthe´le´my de Chasseneux (1480–1541?), Agostino Nifo, Johann Lauterbach und Alessandro Tassoni. Weitere Kriterien sind De militium & equitum privilegiis consuli a` Iurisperitis solent (u. a. Pietro Caleffati, Simon de Vallambert, Bartolomeo Pellicciari mit seinem Tyrocinium et al.). Von der Waffenhandhabung

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handeln Pietro Monti, Johannes Alexander Kohlburger, genannt Brassicanus, Camillo Agrippa, Salvator Faber, Bonaventura Phistophilus, Jacob de Gheyn, John Major (1469–1550), Achille Marozzo, Gerard Thibault et al. Der Disziplin der Reiterei nehmen sich Giorgio Basta (1550–1612), Lodovico Melzo, Johann Jacobi von Wallhausen und Jua´n Gine´s de Sepu´lveda an. Der miles christianus bleibt in das militärwissenschaftliche Akademieprogramm Naude´s integriert: Erasmus’ Enchiridion (das wohl für das Akademieprogramm Naude´s zu republikanisch akzentuiert war) wird jedoch mitnichten aufgeführt. Naude´ beginnt mit Ferrandus 〈Diaconus〉 oder Ferrandus 〈Carthaginiensis〉 (500–547, paraeneticum de officio christiani ducis),1126 es folgt der belgische Theologe Dionysius 〈Cartusianus〉 (1402–1471, De vita militari), dann Thomas Bosius (Eugubinum de robore bellico), der Jesuit und päpstliche Legat Antonio Possevino (1533–1611, Il soldato christiano, con l’istruttione de Capi dell’ Essercito Catolico, 1588), der von Papst Gregor XIII. nach Schweden gesandt wurde, um den Verlauf des litauischen Krieges (1558–1583) zu beeinflussen, E´mond Auger (1530–1591), gleichfalls S. J. (Le Pe´dagogue d’armes, pour instruire un prince chre´tien a` bien entreprendre et achever une bonne guerre, pour estre victorieux de tous les ennemis de son Estat et de l’Eglise catholique, Paris 1568 und 1574), Pieter de Backer (1557–1636), ein aus Antwerpen stammender Jesuit (Christlicher Kriegsleuth Spiegel […], Ingolstadt 1605; lat. Speculum militis christiani), der polnische Theologe Mateusz Bembus (S. J.) (1567–1645, Bellator Christianus: Hoc est, Ratio Christiane, Pie, Felliciterque bella & apparandi & gerendi, Köln, Mylius, 1617). Dem Ethos des christlich-katholischen Soldaten folgt die Literatur, die sich mit der Unterrichtung des Tyronen befasst, die derjenigen nahe ist, die dem Herrscher abverlangt wird. Darunter fallen Pierre Lagnier (Ex Cicerone), Bartolomeo Cipolla (1446–1474/1477, De Imperatore militum deligendo, 1543),1127 Ascanio Centorio degli Ortensi (*1480, Commentarii della guerra di Transilvania[…], Venedig, Gabriele Giolito de Ferrari, 1515–1518, 2 Bde.1128), Antonio Brucioli (1487–1566), Giorgio Basta (Il Maestro di Campo Generale, Frankfurt, de Bry, 1617) (librum de castrorum Praefecto), der italienische Schriftsteller, Mathematiker und Lipsius-Rezipient Girolamo Sirtori, der den Traktat über die 1126

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Ferrandi diaconi Carthaginiensis parainetikos siue Regulae VII. duci religiose observandae. In: Onosandri Platonici Strate¯gikos. Siue de Imperatoris institutione liber Nicolao Rigaltio interprete. Item Basilii Imperatoris exhortationes LXVI ad Leonem filium. Helmstadi, Lucius, 1619. HAB M: Ga 376 (5) De Imperatore militum deligendo. In: Tractatus de re militari e duelli. Solennis et utilis tractatus de re militari / par Paridem de Puteo [Paris 〈de Puteo〉, 1413–1493], Lugduni, Bonnyn, 1543. HAB A: 27.6 Bell. Der Kommentar wurde im 16. Jh. mehrmals, meist in erweiterter Form aufgelegt (1566–1568, 1566–1570, 1559–1566) und ins Italienische (1557, 1558) übertragen.

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leichte Reiterei von Giorgio Basta ins Italienische übertrug (Il Governo della cavallerie leggiera, Oppenheim, Bry, 1616),1129 Giovanni Botero, Giovanni Graziani, Paolo Giovio, Uberto Foglietta, Giulio Roscio, der Schriftsteller und Kunsttheoretiker Francesco Bocchi (1548–1618) und Francesco Florido (1511–1547). Es folgen weitere, die von unterschiedlichen Dingen handeln, darunter Michel de Montaigne und Pietro Andrea Canonhiero und bereits Genannte, wie Naude´ anmerkt. Nach diesem beiläufigen Einschub geht Naude´ zu der vom Feldherrn eingeforderten Militärwissenschaft bzw. militärischen Kompetenz des Feldherrn (militaris scientiae eius, quae in Imperatore desideratur) über. Im Hinblick auf die Beredsamkeit (eloquentia) werden (a) Remigio 〈Fiorentino〉 (Conciones militares) (Orationi militari, Vinegia, Bertano, 1585) und Francesco Sansovino (1521–1583), ›unser‹ Franc¸ois de Belleforest (1530–1583, Harangues militaires et concions de princes) aufgeführt. In der Mathematik (b) werden zunächst mechanische Kenntnisse (machinis) jeder Art genannt, darunter unter anderem der Franzose Jacques Besson (Beschreibung und Gebrauch des Kompass), der Venezianer Branca, der in Deutschland und England wirkende hugenottische Ingenieur und Physiker Salomon de Caus (1576–1626), der Mathematiker Niccolo` Fontana Tartaglia (1499–1557), der die Grundlagen der Ballistik legte, Faustus Venantius, Agostino Ramelli (1531–1600), der Militäringenieur des Königs von Frankreich war (Le diverse et artificiose machine del capitano Agostino Ramelli, Paris 1588), der Geograph Petrus Bertius (1565–1629). Es folgen die Autoren, die sich der pyrotechnischen Methoden annehmen: Diego Ufano (Tratado dela artilleria y uso della […], Brüssel 1613), Alessandro Capobianco (Corona et palma militare di artegliera […], Venedig 1598), Luys Collado (Plate´ca manual de artı´lleria, 1592 et al.), Jean (gen. Hanzelet) Appier, Niccolo` Fontana, gen. Tartaglia (1500–1557), Eugenio Gentilini, Gabriello Busca und der Schotte Daniel Davelcourt. Der praeclaris rationibus, ac inuentis, magnum in hac re operaepretium nehmen sich David de Flurance Rivault, Vannoccio Biringuccio an. Unter die Militärarchitektur fasst Naude´ Albrecht Dürer, den italienischen Universalgelehrten und Ingenieur in venezianischen Diensten gegen die Türken stehenden Girolamo Maggi († 1572) und den albanischen Feldherrn Georgius 〈Castriota〉, gen. Scanderberg. Es folgen Cattaneo, Antonio Lipicini, Battisa della Valle, Jacques Perret, Aurelio Pasino, der bis 1585, als er durch Jean Errard de Bar-le-Duc abgelöst wurde, Ingenieur des protestantischen Fürsten von Sedan, des Herzog 1129

Von ebendieser Schrift liegt eine bei Johann Theodor de Bry in Oppenheim/Frankfurt gedruckte deutsche (1614) und in Hanau, bei demselben Drucker französische Fassung (1614) vor, die Ferdinand, Archevesque De Coulogne, dediziert ist.

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von Bouillons war, der als Ingenieur in den Diensten von Elisabeth von England (ab 1560) stehende italienisch-protestantische Ingenieur Giacomo Aconcio (1492–1566), Giovambattista Bonadio de’ Zanchi, Jean Errard (1554–1610), Samuel Marolois (1572–1627, Opera mathematica ou oeuvres mathe´maticques traictans de ge´ome´trie, perspective, architecture et fortification, augm. et corr. en divers endroicts par le mesme auteur, Hagae-Comitis, Hondius, 1614), der römische Ingenieur und Militärarchitekt Pietro Sardi, Gabriello Busca, Claude Flamand (Le Guide des fortifications et conduitte militaire, ou sont contenus sept livres de mathe´matique […], Montbe´liard, Foillet, 1597) und Allessandro de Groote. Von den Experten häufig gelobt werden Adriaan Metius (1570–1635), Bartholomäus Pitiscus (1561–1613), der Prediger am Hof des pfälzischen Kurfürsten war (Sinuum, Tangentium et Secantium Canon Manualis, accomodatus ad trigonometriam Bartholomaei Pitisci Grünbergensis Silesii, Frankfurt a. Main: Rosa, Heidelberg, Lancellotus, 1613), Simon Stevin, der Physiker Giambattista Della Porta (1535–1615), der Florentiner Militäringenieur Buonaiuto Lorini (ca. 1560–ca. 1611). Es folgen der mare´chal de camp und der französische Militäringenieur Antoine de Ville (1596–1658), der evangelische Theologe Conrad Dieterich (1575–1639) und Henrik Rantzau (1526–1598). Weiter geht es mit den tradierten Vorschriften (praecepta) zur Aufstellung der Schlacht (qui de instruendis aciebus praecepta tradire): neben anderen Francesco Fiammelli, Giovan Mattheo Cigogna (Il primo libro del Trattato militare, Venedig 1567), Camillo Agrippa († 1595, Trattato di scientia d’arme, con un dialogo di filosofia, Rom, Baldo, 1553), Zacharias Legner, der einzige, der über eine dreieckige Schlachtordnung schreibt, der Neapolitaner Cesare d’Evoli (1532–1598, Delle ordinanze et battaglie del signor Cesare d’Evoli, … nuovamente da lui revisto et corretto con l’agiuntione di molte cose necessarie, con un nuovo trattato degli allogiamenti di compagna, Rom, T. et P. Diani fratelli, 1568), Franciscus Piccininus Spadinus (arithmetische Tafeln), Marsilius Turlius und der venezianische Politikwissenschaftler Pier Maria Contarini (1545–1610, Corso di guerra et partidi di guerreggiare e combattere, Venedig, G. Perhacino, 1599 und 1602). Auf die praecepta zur Schlachtordnung folgt die Literatur zum Kriegsrat (consilia), den Kriegsgründen (causas) und den Gesetzen (leges): »Hos vero auctores qui de scientia & viribus imperatoris tractarunt, escipiunt alij qui res ad consilia bellorumque causas, & leges, ac certas quasdam obseruationes pertinent«1130. Nach den beiden heute kaum identifizierbaren Petrus Christus, Marc Anton Lappus, werden folgende Autoren aufgeführt: der thomistische Theologe Francisco de 1130

SStM, S. 542.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Vitoria (1480/1483–1546, De iure belli Hispanorum in barbaros, 1532), der Theologe Josse Clicthove (1472–1543, De bello et pace opusculum, 1523), Heinrich von Gorkum (1378–1431), Wilhelm Matthaeus, der spanische, aus Aragon stammende Dominikaner Juan Lo´pez (1524–1632), Francisco de Valde`s, maestro de campo (Espejo y disciplina militar … en el qual se tratta del officio del sargento mayjor. Con el Discurso sobre la forma de reduzir la disciplina militar a mejor y antiguo estado, Brüssel, R. Velpius, 1596), Johannes Philippus de Lignamine (*1420), Martinus 〈de Garatis〉 († 1453), Jurist aus Lodi (Kriegsrecht; Martini Laudensis Tractatus de bello), der in Oxford wirkende italienische Jurist Alberico Gentile (1552–1608, De iure belli commentatio), der deutsche Jurist und Staatstheoretiker Christoph Besold (1577–1638, Dissertatio politicojuridica, de foederum jure), Louys Le Roy (1510?–1577), Wahremund von Ehrenberg, Giovanni Botero (1544–1617), Emericus Crucius (über Verträge), Bartolomeo Ricci (S. J.) (1490–1569), der Mediziner, Physiker und Humanist Antonius Niger († 1555) (über infiziertes Wasser), eine Schrift, die dem Überqueren von Flüssen gewidmet ist. Es folgt der spanische Alchimist, Astrologe und Theologe Arnauld de Villeneuve (1240?–1311, Regimen sanitatis), [der unter anderem 1501–1505 gedruckt wurde und 1501 in französischer Übersetzung vorlag], der Arzt Tobias Coberus (observationes Castrenses), Rumetus (moribus castrensibus), der Rat und Leibarzt Raymund Minderer (1570–1621, Medicina Militaris […] id est: Gemaine Handstücklein zur Kriegs Artzney gehörig, 1620), der Chirurg und Anatom Wilhelm Fabricius Hildanus (1560–1634), eine Schrift über die Militärchirurgie (chirurgiae militaris), Thomas Gailopa über den Sanitätsdienst (militum sanitate), Joachim Struppe (1530–1606) und Jacques Dubois (1478–1555, de parco, & duro victu), der das Haupt der Schule der französischen Anatomisten war und am colle`ge de Treguier und später am Colle`ge royal lehrte. Es folgen die die wahre Methode enthaltende Literatur (veram rationem continent) und Autoren, die Neues über die allgemeine Disziplin schreiben (auctores quos novi universam militarem disciplinam scriptis).

5. Die militärtheoretischen Momente in den regierungstechnischen Konzeptionen von Armand Jean Du Plessis, cardinal de Richelieu Die durch Naude´ und Saumaise denkbar unterschiedlich geprägte militärwissenschaftliche Paideia und das verstärkte forschungsstrategische Interesse an der antiken taktischen Theorie, das sich in den 1630er Jahren infolge des Eintritts Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg an der Seite der Generalstaaten erneut intensivierte, korrespondieren mit Um-

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strukturierungsprozessen im französischen militärischen System,1131 der Niederlegung des Projekts einer für den französischen Adel vorgesehenen Militärakademie (1637) und dem Entstehen des politischen Testaments Richelieus (Erstveröffentlichung: 1667), welches die Geschichte der Jahre 1624 bis 1638, innenpolitische Reformvorstellungen beinhaltet und dessen politische Grundmaximen spiegelt.1132 Das TP wurde zwi1131

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´ tude historique, Paris 1881, Jules Bourelly: Le mare´chal de Fabert. 1599–1662. E Bd. 1, S. 71: Eine 1637 vollzogene militärische Reform, die die fortschrittlichen Ideen, die von ihm in einem dem König vorgelegten Me´moire einführte. Zur gleichen Zeit als man die Kavallerie in Regimentern organisierte, unterteilte man die Infanterie-Regimenter in Bataillone. Bis 1635 setzte sich die Kavallerie aus in Kompanien untergliederte Eskadronen zusammen. Das Eskadron war eine Marsch- und Schlachteinheit und die Kompanie eine Verwaltungseinheit. Vor 1635, berichtet Fabert in seinen Memoiren, gab es nur gesonderte Kompanien, die man paarweise zusammestellte um Eskadrone unter den ältesten capitaines zu bilden. Die neue Formation, die schon lange in den deutschen und spanischen Armeen existierte, hatte zum Ziel einen Vermittler zwischen dem colonel-ge´ne´ral de la cavalerie und den die Kompanie befehligenden capitaines zu schaffen. Sie wurde trotz einer Anordnung des Königs, die dies am Ende des Jahres allgemein durchsetzen wollte, nur auf neu ausgehobene Truppen angewandt, so beispielsweise die Regimenter von Conde´ und Guiche. [»Faut e´crire a` M. le cardinal de la Valette que, pour la cavalerie, S.M. re´duit toute la franc¸aise en re´giments et esquadres sous le nom de personnes qu’elle estime avoir al volonte´ et le pouvoir de les faire subsister.« (Minute originale, du 8 de´cembre, de la main d’un secre´taire de Richelieu, Arch. Aff. Etr., t. LXXIV.); S. 71f.: Sie wurde von Juli 1636 bis Januar 1638 aufgehoben, also in der Zeit, in der sie definitiv in die Organisation der Kavallerie einging. Fabert schlug auch vor Handwerker zu militärischen Arbeiten heranzuziehen. Doch sein Projekt, das zwar vom König gebilligt wurde, wurde nicht umgesetzt. Erst 38 Jahre später schuf Vauban eine solche Spezialtruppe. Vgl. Jay M. Smith: The Culture of Merit. Nobility, Royal Service, and the Making of Absolute Monarchy in France. 1600–1789, Ann Arbor 1996, S. 104: Die sich verändernde Auffassung monarchischer Macht im 17. Jh. enthüllte vielleicht am sprechendsten das Politische Testament von Richelieu. Der erste Minister stellte seine politischen Reflexionen in vorgerücktem Alter zusammen, und erst im Rückblick legen sie eine philosophische Kohärenz einer Karriere, die durch Pragmatismus, Flexibilität und Glück bestimmt war, nahe; vgl. auch zur Stellung des politischen Testaments Richelieus Wollenberg: Les trois Richelieu, S. 96: Die politischen Maximen repräsentieren weder die Formulierung von geistvollen Aphorismen oder paradoxe Pointen, noch rigide politische Direktiven oder ›politische Regeln‹, sie sind vielmehr der Ausdruck allgemeiner Erfahrungen und erworbener historischer Kenntnisse, die der politischen Argumentation und der Propaganda dienen. [Unter den vielen jüngsten biographischen Arbeiten über Richelieu wurden die pragmatischen Tendenzen vor allem in Joseph Bergin (The Rise of Richelieu, New Haven 1991) herausgearbeitet. Auch Michel Carmona’s: L’Ambition et le Pouvoir (Paris 1983).]. Das politische Testament reflektiert Richelieus eigenes Verständnis der Monarchie und deren Rolle in der Gesellschaft, ein Verständnis, das in interessanter Weise dem von Montchre´tien, Turquet de Maine entspricht; vgl. auch über Richelieus Bestreben, die einzigartigen mentalen Fähigkeiten des Königs und die Macht seines göttlich inspirierten Willens: William F. Church: Richelieu and Reason of State, Princeton 1972, S. 134–37, 242–44, 270–73, 380–82; N. Keohane: Richelieu. In: Philosophy and the State in France, S. 174–76.

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schen 1634 und ca. 16391133 im Kabinett Richelieus nach den Anweisungen des Ministers verfasst.1134 Hinsichtlich des innenpolitischen Reformprogramms stützt es sich auf die Memoiren von 1625, die vor der Assemble´e des notables gehaltenen Rede von 1626, diverse Vorschläge, sowie den Code Michau vom Januar 1629.1135 Eine Parallelisierung dieser die Militärverfassung betreffenden verfassungstheoretischen Positionen des Kardinalpremiers mit den zeitgleich entstandenen Entwürfen des – einer nordwesteuropäischen Rechts- und Verfassungskultur und einer aristotelisch akademischen Wissenskultur verhafteten – Humanismus und dem Projekt der Militärakademie liegt nahe. Im Schnittpunkt von Regierungspraxis und der Arbeit der Kabinette entstanden, bedarf das TP des Kardinals einer Lesart, die den Einfluss der militärwissenschaftlichen Konzeptionen der Humanisten kenntlich macht. Das TP reflek1133

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Andre´ zufolge, vgl. Hildesheimer: Introduction, S. 15: »Le terme provisoire de ces discussions intervint en 1947 avec l’e´dition du texte par Louis Andre´ qui estimait qu’il avait e´te´ compose´ de 1634 a` 1638, dans le secret, pour l’essentiel par le Pe`re Joseph.« Ein Hinweis in dem für die verfassungstheoretischen Maximen für die Militärverfassung (2. Teil, Kap. 9, Sektion 4) relevanten Abschnitt zeigt jedoch, dass zumindest dieser Textteil nach 1639 datiert: TP, 1995, S. 313: »Si, avec une bonne re`gle qui ne peut estre estime´e trop auste`re par ceux mesmes qui en souffrent, on a un soin particulier des soldats, si on leur donne le pain tout le long de l’anne´e, six monstres et un habit, si l’on continue les missions militaires pratique´es en 1639 pour les empescher de tomber malades, si, lorsqu’ils le sont, on a des hospitaux qui suivent l’arme´e en tous lieux, ainsy qu’on a fait en la mesme anne´e, et qu’on asseure la vie de ceux qui aruont este´ estropiez en servant le roy dans la commanderie de Saint-Louis destine´e a` cette fin, j’ose re´pondre que l’infanterie de ce royaume sera bien discipline´e a` l’avenir.«; vgl. Richelieu: Testament politique d’Armand du Plessis Cardinal duc de Richelieu, 3. Ausg., Amsterdam, Henry Desbordes, M.DC.LXXXIX, s.p.: »Pour le temps auquel cet Ouvrage a e´te´ fait, il est a` presumer qu’il y a travaille´ a` diverses reprises. Dans les premier Chapitre il conduit le recit des Actions du roy jusques en 1638. Cependant en d’autres endroits il partoit qu’il e´crivoit en 1635, puis qu’il ne donne alors au Roy que vingtcinq ans de Re`gne«; Paul Sonnino: The Dating of Richelieu’s Testament Politique, French History, 19, 2 (2005), S. 262–272; vgl. Laurent Avezou: Autour du Testament politique de Richelieu: A la recherche de l’auteur perdu (1688–1778), Bibliothe`que de l’E´cole des chartes, 162, 2 (2004), S. 421–453. Hildesheimer: Introduction, S. 16: »On admet donc que la pense´e est bien de Richelieu, non la re´alisation mate´rielle.« Ebd., S. 14; Wollenberg: Les trois Richelieu, S. 92f.: »L’authenticite´ du Testament est controverse´e, mais notons bien que nous sommes en mesure de dire, en de nombreux passages, de quelles sources l’auteur, quel qu’il soit, s’est servi. Parmi ces sources, il y a des papiers d’E´tat, et surtout de nombreux ouvrages a` caracte`re historique ou politique, re´dige´s vers 1631–1632, a` la demande de Richelieu, soucieux de sans cesse mieux de´fendre et approfondir ses ide´es politiques: Guez de Balzac, Le Prince; Cardin Lebret, De la souverainete´ du Roi; Jean de Silhon, Le Ministre d’Etat avec le ve´ritable usage de la politique moderne; Philippe de Be´thune, Le conseiller d’Etat ou recueuil ge´ne´ral de la politique moderne; Charles Hersent, De la souverainete´ du Roi a` Metz […], et autres villes et pays circonvoisins, qui estoient de l’ancien Royaume d’Australie ou Lorraine, Paris 1632.«

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tiert, wie im Folgenden näher erläutert werden soll, die Rezeption taktischer Konzepte im Hinblick auf regierungstechnische Reflexionen, die auf die Konsolidierung der monarchischen Zentralgewalt zielen. Die Aussagen zur Adelsverfassung schließlich sind nicht nur Legion, sondern erlauben Rückschlüsse auf die regierungstechnischen Modalitäten und die ›empirische Reflexivität‹ der Politik Richelieus. A) Humanismus-Rezeption, militärische Klientel und Kriegführung des Kardinalpremier Die Milice Saumaises war einer jener Texte, die für Richelieu, der die Funktion eines Kriegsministers hatte1136 und zeitweilig versuchte Saumaise in Frankreich zurückzuhalten,1137 im Hinblick auf dessen Politik zweifelsohne von Interesse waren.1138 Sowohl die antiquarischen Forschungen, Quellenkritik und die entstehende Bibliothekswissenschaft (auch dazu hat Lipsius seinen Beitrag geliefert) waren nicht nur Techniken politischer Paideia, sondern wurden zu machtpolitischen Instru1136

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Vgl. Joseph Bergin: The Rise of Richelieu, New Haven-London 1991, S. 152: Alle Staatssekretäre trugen eine interne administrative Verantwortung. Darüber hinaus umfasste sein eigenes Portfolio das »ordinaire et extraordinaire des guerres«, mit der speziellen Charge der taillon oder der militärischen Abgaben. Er war damit tatsächlich Kriegsminister; S. 155: Seit den 1630er Jahren gab es ein eigenständiges Kriegsdepartment. Leroy, S. 82ff. Zur politisch-pragmatischen Funktion des bibliographischen Interesses und der bibliographischen Promotion durch Richelieu vgl. Jörg Wollenberg: Richelieu et le syste`me europe´en de se´curite´ collective: la bibliothe`que du cardinal comme centre intellectuel d’une nouvelle politique, Dix-Se´ptieme Sie`cle, 53, 1 (2001), S. 99–112. Das Bestreben, Saumaise an Frankreich zu binden als auch die Tatsache, dass sich Saumaise auf die Handschriften der Βibliothe`que du Roi stützen konnte, sind im Zusammenhang einer de facto Realisierung der politischen Konzepte der politiques unter dem Ministeriat von Richelieu zu werten. Den Intellektuellen, so beispielsweise Fancan, le Pe`re Joseph und Guez de Balzac wurde darin von dem Kardinal eine aktive Rolle eingeräumt; S. 103: Man muss ständig im Kopf behalten, dass die Memoiren und die wichtigen Werke, die von Fancan, dem Pe`re Joseph und Guez de Balzac auf Anfrage Richelieus hin verfasst wurden. Dieser verwandte sie, als er seine politiktheoretischen Arbeiten oder seine theologischen Traktate abfasste; S. 105: Richelieu hoffte, dass seine Politik der Re´union des Eglises der Verwirklichung eines solchen Ziels hilfreich sei. Er vertraute zu diesem Zweck auf eine Methode der gewaltlosen Konversion, die voraussetzte, dass man die Argumente des Gegners von Grund auf kannte, um darauf antworten zu können. Um eine solche Politik zu rechtfertigen, ließ der Kardinal eine ganze Bibliothek schreiben; S. 106: »Richelieu besaß eine der vollständigsten Sammlungen der uns heute bekannten protestantischer Literatur.«; S. 106: Richelieu stellte seinen Mitarbeitern und allen interessierten Gelehrten eine Bibliothek zur Verfügung, die nicht nur den Erwartungen der Humanisten entsprechen sollte, sondern auch eine Ideenwerkstatt neuer politischer und religiöser Ideen darstellte. [Vor allem Theologen, Historiker, Pamphletisten konnten darin die Hauptwerke, Handschriften und Staatsschriften, die für die Erstellung ihrer Werke notwendig waren, finden.].

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menten und Fonds für die die politisch-strategische Praxis. Zwar kann nicht bestimmt festgehalten werden, inwiefern Richelieu in militärwissenschaftlicher Hinsicht an Saumaise interessiert war, jedoch mag für den militärwissenschaftlichen Bereich dieselbe Disposition angenommen werden, wie für die übrigen Politikbereiche, so die Re´union des Eglises und die historisch-rechtliche Begründung einer offensiven französischen Außenpolitik. Ein Zeitzeuge berichtet, dass Richelieu auf der Suche nach Gelehrten gewesen sei, die in der Lage waren, Exzerpte insbesondere der klassischen Literatur zu erstellen. Er fügt hinzu, dass Herr Laurens mit der Lektüre mehrere Autoren beauftragt wurde, vor allem diejenigen, die in Griechisch schrieben, und daraus das Einschlägigste zu den politischen und religiösen Themen zu exzerpieren.1139 Das politische Testament kann als Ergebnis einer reichen Kompilationsarbeit angesehen werden. Bezüge zu Vegetius treten hinsichtlich der strategischen Überlegungen zum Festungskrieg auf,1140 aber auch hinsichtlich der militärischen Organisation, auf die wir im Folgenden näher eingehen werden. Richelieus Verhältnis zur militärischen Komponente des Humanismus ist mit dem Nutzen, den die Bibliothek für seine politische Praxis einnahm, in Verbindung zu bringen.1141 Die Bibliothek des Kardinals entwickelte sich zum geistigen Zentrum einer neuen Politik im Hinblick auf ein europäisches System kollektiver Sicherheit.1142 Der Bibliothekar Gabriel Naude´ rückte mit seinem an die Ausnahmeproblematik von Il Principe ansetzenden politischen Programm näher an die politische Lebenswirklichkeit Richelieus, die noch um 1635 von der Sorge um persönlichen Machterwerb und Machterhalt bestimmt war, als die Theoretiker des guerra campale. Richelieu stellte die Bibliothek in den Dienst der Macht, indem er die geistliche Autorität der Kirche durch ein methodisch organisiertes Instrument des Wissens ersetzte.1143 Darin traf er 1139

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Nach einem Brief von R. Simon, zitiert in Delavaud, S. 66, zitiert in Wollenberg: Les trois Richelieu, S. 91: »M. du Laurens […] e´tait charge´ de lire plusieurs e´crivains, principalement ceux qui ont e´crit grec, et d’en extraire tout ce qu’il y avait de plus beau, soit pour la politique, soit pour la religion, et enfin, d’engager plus fortement au travail ceux qu’il employait, outre une certaine pension qu’il leur donnait par an, il leur payait en particulier chaque cahier des me´moires qu’ils lui fournissaient.« TP, S. 291: »Les anciens ayant remarque´ fort a` propos que la vraye force des places gist en celle des hommes.« Wollenberg: Les trois Richelieu, S. 25: »En effet, l’affrontement des deux grandes puissances europe´ennes de l’e´poque fut autant une guerra spirituale, une ›guerre des esprits‹ qu’un combat sur le champ de bataille. C’est pourqui nous ferons pre´ce´der notre analyse des re´alisations politiques du Cardinal d’une e´tude de la constitution de sa bibliothe`que et de l’usage qu’il en fit.« Wollenberg: Richelieu et le syste`me europe´en de se´curite´ collective, S. 99–112. Franc¸oise Hildesheimer: Relectures de Richelieu, Paris 2000, S. 202.

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sich mit dem Unternehmen von Gabriel Naude´, eine systematische Bibliographie zu erstellen,1144 die in der militärischen Bibliographie, die das Syntagma einbindet, ein militärtheoretisches Pendant fand. Bibliothek und Akademie – in der Regierungszeit Richelieus erfolgte die Gründung der Acade´mie franc¸aise – waren ideologisch-politische Instrumente für Richelieu, zog er doch aus der Literatur die Maximen seines politischen Handelns. Johan Aubrey schrieb in einem Brief an Lives, dass der gebildete und große Kardinal Richelieu ein großer Bewunderer von Lord Bacon sei.1145 Die Verbindung von Bibliothek und militärischer Ausbildung vollzog sich nicht nur in den Regierungskreisen, sondern zunehmend auch in den mittleren Rängen der französischen Armee. Abraham de Fabert, der zwischen 1634 und 1638/39 einen Traktat über die militärischen Evolutionen verfasst hat und in seinem Journal wesentlich die Feldzüge Louis de Nogaret, Kardinal de la Valette (1593–1639), eines Klienten Richelieus, beschreibt (1635–1639)1146 und unter dem Turenne unmittel1144

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Vgl. Wollenberg: Les trois Richelieu, S. 45: In seinem Bestreben, die Ideen politischer Praxis zu rationalisieren, zählte Richelieu auf eine größere Wirksamkeit der verwandten Methoden, um die öffentliche Meinung zu beeinflußen. Er beteiligte sich mit der Systematisierung seines politischen Denkens selbst daran. Die politische Bibliographie von Gabriel Naude´, die 1633 erschien, ist ein beeindruckendes Zeugnis dieses von Richelieu eingeleiteten Prozesses. Der Gegenstand und die Quellen, auf die die Zeitgenossen Richelieus zurückgreifen werden hier systematisch geordnet und die sich als eine ›Methode der politischen Wissenschaft‹ darstellt. […] Ohne die immer verfolgte Sammlung von Handschriften und Büchern, ohne dieses ›Dokumentationszentrum‹ das die Bibliothek darstellt, hätte der Minister Ludwigs XIII. Frankreich nicht mit solch festen Grundlagen für das politische Handeln versehen können.; vgl. S. 50f.: In den 1630er Jahren sind die Hauptverfechter der Aktion Richelieus zugunsten einer starken und zentralisierten Zentralmacht die Vertreter der libertinage e´rudit, die Rene´ Pintard als Schüler Machiavellis, eine Art Nachhut der Kämpfer der Renaissance und als Gegner der Gegenreformation Vorhut der Aufklärung bezeichnete; S. 82: Die Organisationsprinzipien der Bibliothek von Richelieu sind mit denen von Gabriel Naude´ 1627 in der Advis pour dresser une bibliothe`que dargelegten verwandt; S. 83: Richelieu wurde wahrscheinlich von den Ideen de Naude´s angeregt. Das erscheint umso sicherer, als die Advis pour dresser und bibliothe`que sich auf eine Diskussion bezieht (trie´ au de´tour), die in der Bibliothek des Präsidenten Mesmes stattgefunden hat und an der Jacques Gaffarel, Bibliothekar des Kardinals und Freund Naude´s, zeilgenommen hat. Ihm widmete Naude´ 1633 seine Bibliographia politica, deren französische Fassung angibt, dass sie ›die für das Studium der Politik notwendigen Bücher und Methode angibt‹. Naude´ selbst stand jedoch nie in den Diensten von Richelieu und kannte auch dessen Bibliothek nicht. Vgl. Julian Martin: Francis Bacon, Authority, and the Moderns. In: Tom Sorell (Hg.), The Rise of Modern Philosophy. The Tensions between the New and Traditional Philosophies from Machiavelli to Leibniz, Oxford 1993, S. 71. Bibl. Sainte-Genevie`ve, Ms.799 [L.f. in-fol. 192], Journal des campagnes des arme´es franc¸aises en Allemagne, Pays-Bas et Italie, sous les ordres du cardinal de la Valette, pendant les anne´es 1635 a` 1639; avec plans de batailles et de forteresses. Manuscrit autographe du mare´chal de Fabert.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

bar nach seiner Rückkehr aus Holland diente, besaß eine Bibliothek von zweitausend Bänden und pflegte Verbindungen zu akademischen Kreisen. Der spätere Mare´chal Abraham de Fabert korrespondierte mit Pagan und stand in Verbindung mit dem ersten Sekretär der Acade´mie Franc¸aise, dem Protestanten Valentin Conrart (1603–1675). Die Politiker gehörten vornehmlich, wie auch der Protestant Valentin Conrart, aus dessen Versammlung 1634 infolge Richelieus Initiative die Acade´mie franc¸aise hervorging, zur französischen Bildungsbewegung. Auch Jean de Silhon (1596–1667) zählte darunter. Ob seiner Meriten in den Staatsrat aufgestiegen, war er einer der Mitbegründer der Acade´mie Franc¸aise. In seinem Werk Le Ministre d’Etat, avec le ve´ritable usage de la politique erklärt er folgende Maximen: Es waren Staatsmänner nötig, die zwei Bedingungen der Staatsraison Frankreichs verstanden hatten und in erfolgreiche Politik umsetzen konnten, nämlich diese souveraine Krone den Zugriffen der Römischen zu entziehen und gleichzeitig Habsburgs Hegemonialstreben in Europa zu bekämpfen, wo es nur ging.1147

Seine militärische Karriere verdankte Abraham Fabert Jean-Louis de La Valette, dem duc d’Epernon (1554–1642),1148 der das 1584 zum office de la Couronne erhobene Amt des lieutenant ge´ne´ral de l’infanterie innehatte und dem Pierre Charron sein Livre de la Sagesse widmete. Cospeau und Guez de Balzac zählten zu seinen prote´ge´s. Der Kardinal De La Valette war eine Kreatur Richelieus und schuf sich eine eigene Klientel, die sich partiell mit der seines Vaters überschnitt.1149 Fabert selbst hielt sich in seinen jungen Jahren bei dem Herzog von Epernon, Jean-Louis de La Valette auf, der ihm auch den Weg an den Hof ebnete. Fabert korrespondierte mit dem Jansenisten Arnauld d’Andilly und Pagan.1150 Mit dem Hugenotten Valentin Conrart war er befreun1147

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Günther Barudio: Zwischen Nepotismus und Despotismus. Politische Ideen in Frankreich. 1614–1685. In: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3, München-Zürich 1985, S. 215. Ve´ronique Larcade: Jean-Louis Nogaret de La Valette, duc d’Epernon (1554–1642). Une vie politique, The`se Doct. Hist., Paris-IV-Sorbonne 1995, Paris 1995, S. 5f. Ebd., S. 116: »Il se pose meˆme, dans une certaine mesure, en rival puisqu’il se constitue un re´seau de cliente`le qui empie`te sur celui d’E´pernon. Le Plessis-Baussonie`re en fournit le plus remarquable exemple. Ve´ritable bras droit du duc, il passe au service du cardinal de La Valette, en 1631, quand ce dernier devient gouverneur d’Anjou.« Joseph Barre: La Vie de Fabert, Paris 1752, Bd. 2, S. 279: »Nous n’avons plus les lettres que M. de Fabert a e´crites au Comte de Pagan son ami sur les fortifications. Nous apprenons seulement des Me´moires de M. de Tansu, que le Mare´chal de Fabert ne s’e´loignoit pas de la pense´e de ce Comte, sur les ouvrages a` cornes & a` couronnes. Voici les propres termes de M. de Pagan, tire´s de son traite´ des fortifications: Les ouvrages a` cornes & a` couronnes, pour eˆtre d’aussi grande garde que de foible de´fense, apportent ordinairement plus d’incommodite´s a` ceux qui veulent les conserver qu’a` ceux qui les attaquent.«

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det1151 und hatte somit enge Verbindungen zu den akademischen Kreisen. Valentin Conrart beeinflusste die Zusammenstellung der Bibliothek Faberts.1152 In Betracht der schwachen Loyalität der französischen Befehlshaber gegenüber Richelieu1153 war der Favorit La Valette von großer Bedeuutung. Er hatte vor seiner militärischen Karriere gleich Richelieu eine geistliche Karriere eingeschlagen. In seinen Klientelverband waren Turenne und Fabert eingebunden. Exkurs: Die militärwissenschaftlichen Handschriften des Kardinals (Ms. f. latin 15466) Im Besitz Richelieus fanden sich Handschriften des Polybios, Vegetius und weiterer römischer Militärtheoretiker, die zu den Scriptores veteres (Frontinus, Aelian, Modestus) zählen. Richelieu war im Besitz einer Handschrift des Polybios aus der Gruppe der Excerpta antiqua aus den Büchern VI, XVIII und X. (H. 4 Parisinus, B.N. Suppl. Gr. 598, Bibliothe`que Nationale, Paris).1154 Der Bibliothekskatalog Richelieus weist neben den für die strategische Theorie des beginnenden 17. Jahrhunderts so bedeutsamen Historiker Polybios, die bereits im Spätmittelalter verbreiteten antiken Taktiker auf. Der Titel Vegetius’ enthält folgende Aufreihung: Vegetius,

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de re militari ″ Frontinus Stratagemata ″ Aelianus de Instruendis aciebus ″ Modestus de vocabulis rei militaris […] 15801155

Ebd., S. 276f.: »Mais pour se perfectionner dans l’art militaire, Fabert sentit la ne´cessite´ d’e´tudier les langues du pays, ou` la France pouvoit porter la guerre. Dans cette vue il apprit l’Allemand, L’italien, le Flamand, l’Espagnol; la plupart des livres qui composoient sa bibliotheque, e´toitent dans ces quatre langues & en Franc¸ois; quant au choix des Auteurs, il s’en reposoit sur l’illustre M. Conrart son ami; nous devons en excepter ceux qui concernent l’Astrologie judiciaire, car ce choix venoit de M. de Fabert.« E´mile-Auguste Be´gin: Vie militaire du mare´chal Fabert. Extraite de la Biographie de la Moselle, Metz 1842, S. 43f.: »M. Conrart, ami de Fabert, avait fait le choix des ouvrages, excepte´ de ceux qui concernaient l’astrologie judiciaire, science favorite du mare´chal, et a` la certitude de laquelle il crut long-temps, car on ne put jamais lui oˆter de l’esprit qu’il mourrait dans son anne´e climate´rique.« Bergin: The Rise of Richelieu, S. 156: »More importantly, of the numerous problems faced by Richelieu, that of dealing with the military commanders and persuading them to step up their military operations, evidently proved the most difficult to handle. He could only cajole, flatter and try to motivate men of superior social rank, over whose own political views he had no control. He seems to have had most success with Montigny’s southern army, because he managed to secure a senior position of mare´chal de camp in it for his brother, Henri, who then served as his most reliable channel of communication with Montigny himself.« Moore: The Manuscript Tradition of Polybius, S. 92. Ms. f. latin 15466, ›Index titulorum bibliothecae eminentissimi cardinalis ducis de Richelieu‹.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Im Bibliotheksinventar Richelieus ist der niederländische militärische Humanismus1156 im Verhältnis zur italienischen, vor allem der venezianischen Militärliteratur unterrepräsentiert. Auch die französischen Autoren, die die oranischen Methoden und die oranische Militärtheorie in Frankreich diffundierten, sind in dem Katalog der Bibliothek von Richelieu, in dem der Militärwissenschaft keine eigene Rubrik eingeräumt wird, nicht zu finden. Die Werke zur Kriegskunst und zum Festungsbau sind unter den politischen Schriften, den Schriften zur Rechtswissenschaft, den Philosophen, Geographen und Medizinern aufgeführt. Lipsius ist lediglich mit den Monita et exempla politica vertreten.1157 DMR (1595) bleibt im Unterschied zu den Paralleli militari (1595) von Francesco Patrizi ausgespart. Anders als in den Bibliotheksinventarien von de Thou und Gabriel Naude´ findet J. J. Wallhausen keine Aufnahme. Auch Simon Stevin wird nicht erwähnt. Das Waffenexerzieren der Oranier jedoch findet Beachtung. Von den Franzosen sind La Broue mit seiner Cavalerie franc¸oise (1620), Pierre de La Noue mit der Cavalerie franc¸oise et Italienne (1620), Francis Malthus (Traite´ des feux artificiels, 1629), Vigene`res Onasander-Kommentar, Errard (Les Elements d’Euclide in der Ausgabe von 1629 und die Fortification in der posthumen Ausgabe von 1620) und De Ville (Les fortifications von 1628, La Justice militaire de l’infanterie von 1633 und l’ordre des sepultures du Colonel des chefs officiers et soldats d’un Regiment) aufgenommen. Die Militärtheorie wird unter den politischen (Politici), rechtswissenschaftlichen, philosophischen, mathematischen, geographischen und medizinischen Schriften aufgeführt, d. h. unter der Rubrik, die das Gegenstück zur Theologie bildet. Schwerpunktmäßig ist der italienische militärische Humanismus vertreten, unter anderem in Form französischer Übersetzungen: so die taciteischen Discorsi von Scipione Ammirato.1158 Der niederländische militärische Humanismus ist vergleichs1156

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Die Vertreter des niederländischen militärischen Humanismus respektive der niederländischen Militärtheorie: Aeliani Tactica […] Imp. Lugd. Bata. apud Lud. Elzevirum 1613; Maniment d’Armes selon lordre du prince Maurice a Amsterdam chez Robert de Bondous 1608; Marolois, Ouevres mathematiques imp. Hagae Comitis per Henricum Hondius 1614; Gerard Thibault, Academie de l’Espee […] 1630; Hugo Grotius, de Jure Belli et pacis in zwei Ausgaben, der Amsterdamer von 1631? und der Pariser von 1625. Lipsii monita et exempla politica imp. Antwerpen ex offic. Plant. […] Joan Moreti 1613. Scipione Ammirato: Discours politiques et militaires sur Corneille Tacite, […] Contenans les fleurs des plus belles Histoires du Monde. Et des notables advertissemens concernans la conduitte des Arme´es. Œuvre utille et necessaire aux Roys, Princes, Generaux d’Arme´es […] Avec deux tables, l’une des discours, & l’autre tres-ample des matieres principales…übersetzt von Laurens Melliet, Lyon, Chard, 1628.

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weise unterrepräsentiert.1159 Auch J. J. v. Wallhausen bleibt unerwähnt. Der Polybios-Kommentar von Lipsius wird zu Gunsten des PolybiosKommentars Patrizis unterschlagen. Lediglich die Lipsii monita et Exempla politica (1613) werden genannt. Dahingegen wird die Taktik des Aelian in der Kritik von van Meurs (Imp. Lugd. Batav. Lud. Elzevirum 1613) aufgegriffen. Die französische Militärliteratur kennt, abgesehen von Vigene`re und Petit, überwiegend Vertreter der praktischen Militärwissenschaften (Pyrotechnik, Kavallerie und Festungsbaukunst).1160 Eine Militärakademie für den niederen Schwertadel als ein Teilprojekt der umfassenderen Akademiebewegung im Frankreich der 1630er Jahre und die aktive Rolle bei der Handschriftenbeschaffung für Claude de Saumaise bilden die zwei Seiten der gleichen Medaille und werden sich im mit den im TP niedergelegten Vorstellungen zur Militärverfassung kreuzen. Das Projekt zur Gründung einer militärischen Akademie durch Richelieu findet sich in der Collection Dupuy (1637).1161

B) Richelieus Vorstellungen zur Reform des französischen Militärs (ca. 1635 bis ca. 1639) Zwischen dem skizzierten militärtheoretischen Forschungszusammenhang, den sich auf das römische Modell beziehenden empiristischen Strategielehren und der Frage der Militärverfassung, liegt ein Zusammenhang vor. Die Reform des Militärs wurde bei einer Reihe von Humanisten und Militärs wie Wallhausen aber auch Lipsius in Abhängigkeit von den Gebräuchen, gängigen Praktiken (couˆtumes) abgehandelt. Die antike Taktik wurde in erster Linie auf ihre Kompatibilität mit den zeitgenössischen Mentalitäten und Strukturen hin geprüft. Ein von den jeweiligen strukturellen Gegebenheiten, nationalen Traditionen und den konkreten politischen Konstellationen losgelöstes konzeptuelles Denken trat daher nicht auf.

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Maniement d’armes selon l’ordre du prince Maurice a Amsterdam chez Robert Bondous 1608; – Marolois: Oeuvres mathe´matiques (1614); – Gerard Thibault: Acade´mie de l’Espee (1630); – Aeliani Tactica (1613). De la Broue: Cavalerie franc¸oise (Paris, vve l’Angelier, 1620); Errard: Les Elements d’Euclide (1629); – Fortifications (1620); – Malthus: Traicte´ des feux artificiels (Paris, Pierre Guillemot, 1629); – Mouchemberg: Essais politiques et militaires, enrichis de diverses maximes et remarques tire´es des anciens auteurs […] (Paris, N. Buon, 1627); Pierre de La Noue: La Cavalerie francoise et italienne (Strasbourg 1620); Vigene`re: Onosander (Paris, Abel l’Angelier, 1605); De Ville: Les fortifications du Chevalier de Ville (Lyon 1628); – La Justice militaire de l’Infanterie (Paris, Sommarville, 1633); – l’ordre de sepultures du Colonel des Chefs officiers et soldatz d’un Regiment et de la distribution et le bien. Dupuy 550.

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

Dass es dabei zur Rezeption unterschiedlicher Ansätze, gar alternativer Vorstellungen im Hinblick auf die Gestaltung des Militärs kam, dokumentiert das politische Testament von Richelieu (Maximes d’Estat ou Testament politique de l’e´minentissime Armand, cardinal duc de Richelieu, pair et grand admiral de France, premier ministre d’Estat sous le re`gne de Louis XIII du nom, Roy de France et de Navarre).1162 Die ihm zugrunde liegenden militärtheoretischen Quellen und Memoiren lassen sich ideengeschichtlich als weniger homogen identifizieren als dies eine vermeintlich neustoische Prägung des politischen Testaments nahelegt.1163 Richelieu schien die historischen Methoden von Polybios und Tacitus zu verbinden. Jacob Soll hat jüngst betont, dass das Ministerium Richelieus den Triumph einer Kultur politischer Klugheit (›prudential culture‹) markiere, da er der erste war, der das von Machiavelli gefasste polybianische Ideal realisierte.1164 In der Realisierung einer am Stabilitätsmoment polybianischer Empirie interessierten Politik wählte Richelieu jedoch den taciteischen Stil. Als leitender Minister verwendete er als politisches Instrument eine historisch untermauerte Staatsräson. Er sammelte historische exempla und schrieb seine eigenen historischen Staatsmaximen im TP auf. Richelieu erkannte, dass eine kritische Politikgeschichte von der Krone monopolisiert werden musste und sein politisches Testament wurde zum Meisterstück historischer Klugheit: Aus jedem historischen Beispiel destillierte er eine Maxime.1165 Das politische Testament schreibt sich ein in die zwischen ca. 1590 und ca. 1650 auftretende Verbreitung von Texten in allen westeuropäi1162

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Hildesheimer: Introduction, S. 13: Das im politischen Testament enthaltene Reformprogramm umfasst drei Bereiche: die Gesellschaft (Teil I, Kap. 2–4) [De la re´formation des divers ordres de l’Estat; De la noblesse; Du tiers ordre du royaume], den Staat und die Regierung (Teil I, Kap. 5–8 [Qui conside`re l’Estat en soymeˆme; Qui repre´sente au Roy ce qu’on estime qu’il doit conside´rer a` l’esgard de sa personne; Qui fait voir l’estat pre´sent de la maison du Roy et met en avant ce qui semble ne´cessaire pour la mettre en celuy auquel elle doit estre; Du conseil du prince] und Teil II, Kap. 1–8), die Macht des Herrschers (Teil II, Kap. 9) [Qui traite de la puissance du prince] und endet mit einer kurzen Schlussfolgerung (Teil II, Kap. 10). Insbesondere Karl Siedschlag (Der Einfluß der niederländisch-neustoischen Ethik) arbeitet einzig den Einfluss des politischen Neustoizismus heraus. Vgl. Soll: Publishing The Prince, S. 47. Eine prudentielle Deutung der PolybiosRezeption nimmt auch Jan Waszink vor, der sich auf die Analyse von Lipsius, Casaubon und Grotius beschränkt, s. Jan Waszink: Polybius and prudentia. In: A. P. M. H. Lardinois, H. G. M. van der Poel, V. J. C. Hunink (Hg.), Land of Dreams, Greek and Latin Studies in Honour of A. H. M. Kessels, Leiden 2006, S. 372–383. Vgl. Jacob Soll: Empirical History and the Transformation of Political Criticism in France from Bodin to Bayle, JHI, 64, 2 (2003), S. 309; ebd.: Sein politisches Testament war jedoch nur für den König bestimmt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es allgemein im Umlauf war.

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schen Sprachen zum Problem der Staatskunst. Diese Texte tendierten dazu, die Fragen des Ursprungs und der Legitimität der Regierung zu übergehen und konzentrierten sich stattdessen auf die Methoden der Bewahrung bereits bestehender Regierungen.1166 Die Stellung Richelieus als primus inter pares implizierte, dass der Kardinalpremier die unterschiedlichen Tendenzen historischer Kritik integrierte, um sie freilich auch im Sinne des persönlichen Machterhalts, allgemeiner Stabilitätserwägungen und der Kunst des im Hinblick auf die strukturellen Bedingungen Möglichen zu befördern oder zu verwerfen. So sind die verfassungstheoretischen Vorstellungen von Richelieu hinsichtlich ihrer theoretischen Herkunft vielfältig. Richelieu nahm sowohl die Dichotomie zwischen gut ausgebildeten militärischen Befehlshabern (chefs) und gehorsamen Soldaten auf,1167 wie sie den niederländischen militärischen Humanismus und die organisatorische Praxis in den Generalstaaten kennzeichnete, als auch den Topos von arma et litterae und die Idee einer Reform der Militärverfassung auf der Grundlage der römischen Legion. Das Konzept der Legion Das Konzept der Legion wies in der Vorstellung Richelieus, wie sie in seinem politischen Testament nachzuvollziehen ist, eine nicht ausschließlich organisatorische Seite (dilectus und ordo), sondern auch eine taktische Funktion (acies) auf. Richelieu sah in der Legion offensichtlich ein politisches Instrument, die Militärverfassung grundlegend zu reformieren. Dem Reformmodell der Legion konnte er mit dem Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg offensichtlich auch eine taktische Reform abgewinnen, für die eine Synthese der Taktik der Alten als Grundlage dienen konnte. Er glaubte mitunter, dass das beste Mittel, das man ergreifen könne, um die Kriegsleute in Disziplin zu halten, die Einrichtung der Legionäre (establissement des le´gionaires) sei, die bereits in der Vergangenheit in der französischen Monarchie eingeführt worden war.1168 Man müsse ihr jedoch noch einige besondere, für deren Sicherheit notwendige partikulare Ordonnanzen/ordines (ordres particuliers) hinzufügen. Vernunft und Erfahrung veranlassten ihn jedoch letztendlich diesen Gedanken fallenzulassen.1169 Diese Überlegung wird im zwei1166

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Peter N. Miller: Statecraft and Culture in Early Modern Europe, HJ, 38, 1 (1995), S. 161. TP, S. 306. 1534 errichtete Franz I. sieben Legionen; eine Ordonnanz vom 27. März 1558 versuchte diese wiederzubeleben, aber nach 1568 war davon nicht mehr die Rede. David Potter: Renaissance France at War. Armies, Culture and Society, c. 1480– 1560 (Warfare in History), Woodbridge 2008, S. 112–117. TP, S. 309: »J’ay quelquefois estime´ que le meilleur expe´dient qu’on pourroit

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ten Teil im 9. Kap. unter dem Titel Reme`de pour faire susbister les arme´es dargelegt. Die Armee-Konstituierung wird demnach nicht wie bei Saumaise dem Volk zugestanden, sondern tritt als Teil der Herrschaftslehre auf. Dennoch gibt es Übereinstimmungen zwischen den beiden Konzepten. Tatsächlich hatte Saumaise sich im Abre´ge´ de la milice des Romains gleichfalls auf die Einführung der römischen Legion in Frankreich durch Franz I. bezogen und die Befehlsstruktur weiter ausdifferenziert.1170 Wenn man davon absieht, dass Saumaise sich in seiner Kritik auf Lipsius und dessen Nachfolger bezog, darunter auch die französischvernakularsprachlichen Kompendien, so werden doch die holländischoranischen Militärreformen nicht zur Diskussion gestellt oder gar in Erwägung gezogen. Die anonyme Abschrift von Lenormants Text Ms. f. fr. 666 mag die reale Bedeutung einer ›conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹ erhellen, deren konzeptuelle Karriere im politischen Testament manifest ist. Der Text mahnt an, dass die Großen Frankreichs, die ›grands Seigneurs de France‹, im Kriege niemals Vollkommenheit erlangen. Denn wenn der französische König einem General befehligt, treten andere von höherer Qualität und von Ehrgeiz durchdrungen auf, die nicht im Zug der Armee ziehen wollen, um die Pflicht und die militärische Erfahrung zu lernen. Um jedoch den Prinzen (princes) und Seigneurs entgegenzutreten, könne der König ein Reglement einführen, das er den Ordonnanzen der holländischen Kriege entlehnt, wo fremde Princes und Seigneurs aus diversen Orten mit ihrem Gefolge zusammenkamen, um nach dem Beispiel des Prinzen Moritz von Oranien Kenntnisse zu erlangen und sich militärisch zu vervollkommnen.1171

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prendre pour faire subsister les gens de guerre et les maintenir en discipline estoit de mettre l’establissement des le´gionaires, qui estoit autrefois pratique´ en ce royaume, y ajoutant quelques ordres particuliers tout a` fait ne´cessaires pour le rendre asseure´, mais la raison et l’expe´rience m’ont fait perdre cette pense´e.« Milice, fol. 141: »Nous auons discouru au traitte´ praecedent, des principaux chefs de l’arme´e Romaine a` commencer des le General iusques aux mareschaux de camp, et mestres de camp. voyons maintenant des autres chefs & officiers, qui estoient au dessus des susdits corps compose´ de plusieurs autres petits corps, qui sont les me(m)bres lesquels n’estans pas attache´s a` ce corps, comme nos bras et nos iambes le sont au nostre, ils ont aussi leurs mouuemens separe´s, qui pourroient aller a` contresens et le porter a` gauche ou il seroit besoin de se remuer a` droit et reculer en arriere ou Il faudroit auancer. C’est pourquoy il leur faut a` chacu(n) d’eux, des chefs particuliers a` les guider et faire mouuoir selon l’intelligence du premier et principal chef qui iette les influences de ses commandemens par tous ces petits corps, par le moyen de ses chefs subalternes qui les rec¸oiuent du superieur, pour les communiquer a` leurs inferieurs, iusqu’au plus bas etaux derniers. Nous parlerons premierement des centurions, qui suiuent en ordre par les Tribuns iusqu la que le premier Centurion de la Legion pouuoit s’egaler aux Tribuns tant pour l’honneur que pour le profit.« Vgl. Ms. f. fr. 666, fol. 52: »Les grands Seigneurs de France ne peuuent Jamais

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Die Ambivalenz der Ausdeutung der Legion als militärische Organisationseinheit und als militärisch-taktische Einheit, wie sie für Richelieu kennzeichnend ist, war in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts offensichtlich noch nicht soweit philologisch-sachlich gelöst worden, als dass eine Reform des französischen Militärs nach ›polybianischen‹ Kriterien hätte erfolgen können. So antwortete Scaliger in einem Brief an de Thou, dass hinsichtlich der Dreigliederung der römischen Legion eine Trennung von Organisation und Taktik zu sehen ist. Saumaise widerspach dieser Annahme und bestand auf der Identität von ordo und acies, von militärischer Organisation und taktischer Struktur. Das Legionsmodell, das der Humanismus sich aus der Überlieferung aneignete und das als Hintergrund der Reformen unter Franz I. und in der Regimenterneuordnung, die sich bei Franc¸ois de la Noue findet, als grundlegend angenommen wurde, erwies sich Mitte 1630er Jahre, als Frankreich eine hohe Zahl an Truppen mobilisierte, als nicht mehr hinlänglich. Dies trifft vermutlich auch auf die römische Legion des Justus Lipsius, die hinter den Ausbildungsmethoden und byzantinisch-taktischen Theoremen der 1590er Jahre zurückblieb, zu. Wenn Laurens Melliet, der französische Übersetzer des Tacitus von Scipione Ammirato (1531–1601) um 1633 in den Discours politiques et militaires, sur Corneille Tacite, excellent historien, et grand homme d’estat – die offensichtliche Anlehnung des Übersetzungstitels an die Discours politiques et militaires von Franc¸ois de la Noue dürfte kein Zufall sein – von einer Militärtheorie als einer Kabinettslehre spricht, klingen darin die Bedingungen im Hinblick auf deren erfolgreiche Umsetzung an: Wenn der König so viele Soldaten habe, dass er sie in einem äußeren Krieg einsetzen könne und diese mit einem befreundeten Fürsten (prince) abstimme (acommoder), sie (unter seiner Protektion, seiner Ordonnanz und seinen Kapitänen) vom Zeitpunkt ihres Einsatzes bis zu ihrer Rückkehr bezahle, scheine es ihm, dass diese, ohne den König zu aquerir grande perfection en guerre: Car si sa Maieste ordonne un General d’arme´e, plusieurs de plus grande qualite´ par ambition ne veulent seulement aller auec leur train dans cette arme´e apprendre le deuoir et experience militaire. […] Et pour remedier aux Princes et Seigneurs qui par frequentation des arme´es a` cause de leur qualite´ plus grande que celle du General de l’arme´e, sa Maieste´ y peut mettre reglement pris sur l’ordres des guerres de Hollande soubz la conduite du Prince Maurice ou les Princes et Seigneurs estrangeres arriuoient de plusiuers endroits auec leur train pour paruenir a` de grandes cognoissances et perfections de guerre a` l’exemple de ce prince: Que l’imitation de celuy cy le reglement sera aise´ en France: Car les princes, ducs, pairs, &c. doiuent aller de degre´ en degre´ selon leurs qualitez: Mais le General vertu de sa patience doit commander a` toute l’arme´e. Notez Icy que l’on n’aquerit jamais grande perfection dans une arme´e, si elle n’est bien ordonne´e, exerce´e et conduite par vn general bien scauant en theorie et pratique de guerre, comme estoit Epamonondas (sic), Philippe Roy de Macedone, Scipion l’Africain, Cesar, le Prince Maurice, Amilcar Carthaginois.«

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beschädigen oder gar in eine schwierige Lage zu bringen und zu seiner großen Ehre (honneur) die im Kabinett gelehrte Militärdoktrin umsetzen und praktizieren können.1172 Diese Aussage nimmt die politisch-personalen Konstellationen 1633/1634–1635 vorweg: die französische Regierung hob Truppen aus und leitete im Verbund mit Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien und dem aus dem politischen Exil zurückbeorderten Calvinisten Henri de Rohan die französische Phase des Dreißigjährigen Krieges ein. Es ist bezeichnend, dass Richelieu unmittelbar an die Verwerfung des Konzepts der Legion folgende Reflexion anschließt: Die von den Fürsten gesandten Truppen, die von ihren Offizieren geführt und unterhalten werden, was er zwei Mal in diesem letzten Krieg gesehen habe, hätten das Doppelte gekostet und hätten ebensoviel, wenn nicht mehr Unordnung gestiftet als die anderen. Sie vermochten sich kaum in der Weise zu unterhalten wie die auf Kosten des französischen Königs operierenden Klienten bzw. Privatleute (particuliers). Diese Betrachtungen haben ihn davon überzeugt, dass anstelle der Provinzen die Souveräne die Aushebung und den Unterhalt der Kriegsleute besorgen sollen.1173 Die militärtheoretischen Konzeptionen von Saumaise (und Rohan) sind demnach nicht als Texte einer klientelen Form der Kriegführung zu deuten; vielmehr beugte besonders Saumaise im Aufgreifen einer machiavellischen Sprache der Politik, die eine begrenzte Dauer des Oberbefehls vorsah, und des Paradigmas eines zeitlich begrenzten Feldkrieges (guerra campale) einer klientelen Form der Kriegführung vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kam es im Rahmen dieses Aufgreifens Richelieus der Legion als organisatorischer Grundeinheit, die – und das ist bedeutsam festzuhalten, denn darin scheint ein konzeptueller Bedarf zu liegen – noch um einige besondere Ordonnanzen, d. h. taktische, für die Sicherheit der Legion notwendige ›ordines‹ ergänzt werden muss, zur Re- oder zumindest Perzeption eines wissenschaftlich, historisch-kri1172

1173

Ammirato: Discours politiques et militaires, S. 495f.: »Quand donc le Roy auroit tant de soldats qu’il en pourroit enuoyer dehors, & en acco(m)moder vn Prince son amy, les faisant (sous sa protection, sous son ordre, & sous es Capitaines) payer de´s l’heure de leur de´part iusques a` celle de eur (sic) retour, il me semble que par vne grande suffisance, sans endommager ny incommoder le Roy, ains auec son grand honneur, & aduantage, ils pourroient mettre en vsage & practiquer la doctrine militaire qu’on apprend au cabinet.« TP, S. 310: »Outre que je puis dire avec ve´rite´ que, lorsque les ne´cessitez urgentes de l’Estat (s)ont contraints de recourir a` des troupes envoye´es par des princes, conduites et paye´es par leurs officiers, ce que j’ay veu deux fois pendant cette dernie`re guerre, elles ont toujours couste´ le double et ont fait autant et plus de de´sordre que les autres, et moins subsiste´ que celles qui estoient en mesme temps leve´es et conduites par des particuliers a` vos despens. Ces conside´rations m’ont fait voir clairement qu’au lieu de charger des provinces de la leve´e et de l’entrete`nement des gens de guerre, les souverains en doivent prendre le soin.«

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tisch modifizierten Legionsmodells. Darin liegen die Parallelen und Verbindungen zu den militärwissenschaftlichen Konzeptualisierungen des militärischen Humanismus, wie er von Saumaise geprägt wurde und der die Kommandostruktur der Armee ausdifferenzierte sowie darauf beharrte, dass die taktische Untergliederung der Legion in drei Regimenter von der Aushebung bis nach der Schlacht keiner Modifikation unterlag, d. h. die taktische Disposition in der Militärverfassung vorgegeben war. Diese Deutung des militärischen ordo war ein Novum und brach nicht nur mit Lipsius, sondern auch mit der Polybios-Interpretation Scaligers, die Saumaise explizit kritisiert hatte. Seine Milice versteht sich mit der Definition des ordo, der mit der acies der Hauptgegenstand seiner Kriegskunst oder Militärwissenschaft ist, als eine Synthese der Identität von Organisation und Taktik. Die Binnendifferenzierung der Befehlsstruktur/der Hierarchie der militia korrespondiert mit einer Ausdifferenzierung der acies und ermöglicht demnach die Hinzufügung von ›ordres particuliers‹. Der Abre´ge´ von Saumaise wurde damit zu einem vom antiken Legionsmodell inspirierten Modell für eine französische Verfassung, die eine Militarisierung Frankreichs1174 und eine ›hellenisierte‹ militärische Elite oder Befehlskultur als konstitutiv annahm. Offensichtlich hat Richelieu, der Anfang der 1630er Jahre davon ausgegangen war, dass ein äußerer Krieg und innere Reform sich ausschlossen,1175 im Zusammenhang der französischen Phase des Dreißigjährigen Krieges zeitweilig eine taktische Reform der Militärverfassung in Erwägung gezogen. Anders als Rene´ Lenormant um 1630 und Rohan hatte Richelieu zu diesem Zeitpunkt offensichtlich in seiner kaum gefestigten Position als ein Primus inter pares aus persönlichem machtpolitischem Kalkül kein Interesse an einem äußeren Krieg sowie einer Kriegsoffensive.1176 Nach der schwedisch-protestantischen Niederlage 1174

1175 1176

Milice, fol. 44: »Car cette couˆtume ayant pris pied dans tous les membres de ce grand Empire s’est de temps en temps conserue´e & dure encore parmy nous au grand preiudice des forces et de la vi[gu]eur de nostre Royaume, lequel s’estant forme´ & accruˆ par les armes, ne se peut maintenir que par elles, ou nous voyons auiourd’huy la meilleure et plus grande partie des hommes qui les pouuoient porter occupe´e a` vne autre mestier qui attire a` soy par la facilite´ qu’il y a a` le faire et le gain certain qui en reuient le plus grand nombre de nos gens. Ce qui sert encore a` gaster, comme vne Gangre´ne l’autre partie qui est la plus aine, et a` ronger les antrailles de l’estat au dedans y faisant naistre vne guerre intestine dans la Paix, qui la rend incapable de la porter au dehors & detendre les limites de les limites (sic) de la France, pendant qu’ils deffendent les leurs propres en plaidant.« Parrott: The Causes of the Franco-Spanish War, S. 83. Vgl. Hermann Weber: Frankreich, Kurtrier, der Rhein und das Reich 1623–1635, Bonn 1969; ders.: Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele 1634/35. In: Konrad Repgen (Hg.), Krieg und Politik. 1618–1648, München 1988, S. 203–217; ders.: Zur Legitimation der französischen Kriegserklärung von 1635, HJb, 108 (1988), S. 90–113; ders.: Une paix suˆre et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus, in Heinz Duchhardt (Hg.): Zwischenstaatliche

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bei Nördlingen (1634) und mit dem Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg, der von intensiven Truppenaushebungen begleitet war, änderte sich Richelieus Haltung zu einem äußeren Krieg, der, nicht zuletzt aufgrund des erhöhten Truppenkontingents, eine Neuordnung des Militärs nahelegte. Richelieu erwog, wie seinem politischen Testament zu entnehmen ist, die Einrichtung einer Miliz. Auf dem Hintergrund psychologischer und finanztechnischer Erwägungen nahm Richelieu jedoch Abstand von dem militärpolitischen Konzept einer sich auf das Organisationsmodell der Legion gründenden Miliz. Die sichere Ausgestaltung der Legion sei nur durch eine Erhöhung der Anzahl der Befehlshaber möglich. Die Erfahrung habe ihn, so Richelieu, jedoch davon abgehalten, denn die Legion führe deutlich vor Augen, dass das, was der Verantwortung mehrerer überlassen werde, weniger zuverlässig sei, da sich jeder auf seinen Begleiter verlasse und die Entscheidung mehrerer nur selten auf Vernunft gründe. Zudem lehre diese jedem, dass es kein schlechter ausgegebenes Geld als das der Gemeinden gebe.1177 Das organisatorische und taktische Modell der Legion, das auch im Verständnis Richelieus als subsidiär gilt, erscheint in seinem Denken unvereinbar mit dem monarchischen Absolutismus. Anderer Auffassung war der monarchisch-absolutistisch gesonnene Calvinist Saumaise, der im polybianischen Legionsmodell die Grundlage der Militarisierung Frankreichs sah und damit die Stabilisierung des monarchischen Absolutismus und die Maximierung der monarchischen Staatsgewalt. Das subsidiäre Prinzip, wie es offensichtlich die Verfassung der Generalstaaten im Hinblick auf Militärorganisation und Finanzverwaltung kennzeichnete1178 und in calvinistisch-hugenottischen Konzepten einer Militärver-

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Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 111–129; Anja Victorine Hartmann: Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641), Münster 1998. TP, S. 309f.: »La raison, parce qu’elle fait connoistre clairement que ce qui est commis aux soins de plusieurs est d’autant moins asseure´ que chacun se descharge sur son compagnon et que les choix qui se font par l’avis des communautez se trouvent rarement faits par le seul motif de la raison, parce qu’encore qu’il y ayt beaucoup de gens sages et de probite´, le nombre des fols et des meschants est toujours le plus grand. L’expe´rience, parce qu’elle aprend a` tout le monde qu’il n’y a point de deniers plus mal despense´s que ceux des communautez. […] Ces conside´rations m’ont fait voir clairement qu’au lieu de charger les provinces de la leve´e et de l’entrete`nement des gens de guerre, les souverains en doivent prendre le soin, et qu’ils peuvent les faire subsister avec ordre s’ils veulent se servir des moyens utiles a` cette fin.« Vgl. ’t Hart: The Making of a Bourgeois State; vgl. Ms. f. fr. 666, fol. 84f.: Kap. 27, »De la maison de Ville/ […] qu’on doit establir en chacune ville de France vne Maison de ville qui fera le recepte des finances prouenantes des tailles d’une nouuelle sur les hypoteques qui sera impose separement de la precedente L’ordre qu’on

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fassung gängig war, erschien Richelieu als ein den absolutistisch-monarchischen Staat destabilisierendes Moment; als Modell für eine Neuordnung des französischen Militärs kam es nicht in Frage. Die Korrektur und Differenzierung des Disziplinbegriffs sowie der militärtheoretischen Systematik des Justus Lipsius, magister ad militam der Generalstaaten, der Oranier und des spanischen Königs, die in einer Dissoziierung und Valorisierung der Kriegskunst gegenüber der Disziplin besteht, kann im Rahmen dieses verfassungstheoretischen ›Grundlagendiskurses‹ verortet werden. Das Entstehen bzw. die Niederschrift des TP (1635/39) korrespondiert zeitlich mit der Verdichtung einer Doktrin des Feldkrieges und der humanistisch-theoretischen Revision der taktischen Theorien. Die Suche nach neuen militärtheoretisch-taktischen Gesetzmäßigkeiten und die damit verbundene Quellenforschung erscheinen daher als eminent machtpolitisch. Dass sich die theoretische Option des Kardinals für die Legion bereits auf eine monarchische Tradition (seit 1534) stützen konnte, die die Legion als militärpolitisches Reformkonzept heranzog und zu realisieren trachtete,1179 erhärtet die These von der politisch-praktischen Bedeutung des Polybios-Kommentars von Saumaise, der sich hinsichtlich dieser pragmatisch-politischen Ausrichtung von den anderen gelehrten Kommentaren unterscheidet. Die Anknüpfung an das Konzept der römischen Legion schreibt sich nicht nur in eine monarchische Initiative ein, sondern verweist auf eine französische militärtheoretische Tradition ›de longue dure´e‹. Guillaume du Bellay sollte 1592 erneut1180 und, wie Courbouzon bemerkte, gänzlich

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doit tenir pour les tailles sera deduit au chap. 29 Dauantage la Maison de ville receura des finances du Domaine, hauages, coustumes, greffiers, Imposte de Marchandise, quatriemes, confiscations, don’t le retour sera vendu a´ (sic) l’encay, le Noble, en tant que la foy et homage […] au Domaine: Ses receptes des tailles y compris celle des hypoteques sans diminution d’un denier seront transporte´es aux fraiz de la Maison de Ville a` Paris ou dans les armees et garnisons ainsi qu’il plaira a` sa Maieste´ et a` son Conseil.« Vgl. auch ebd., Kap. 31, fol. 94: »Le Souuerain doit scauoir outre´ le nombre de Soldats qui est en ses armees et garnisons quel nombre de fantassins il peut auoir a` sa necessite´: Cela sera aise´ par la voye de la taille que je promets au chap. 29: Car par le role d’icelle on scaura le nombre des payance taille demeurans en chaque parroisse, leur age et la valeur de leur bien: parcquoy selon le nombre d’hommes de chaque role le maire de ville et ses Consuls choisiront tant de fantassins des plus adroits et courageux agez pour le moins de dix-huit, dix-neuf ou vint (sic) ans.« Vgl. Familiere Institution pour les le´gionaires en suyvant les ordonnances faictes sur ce pour le roy […] On les rend a Lion en la maison de Francoys Juste […], Lyon 1536. BN RES-R–2226: Vor der Titelseite ist folgender Titel eingeklebt: La Milice Francoise reduite a` l’ancien ordre & discipline Militaire des Legions, par Loys de Montgommery, Paris 1610. Guillaume du Bellay, seigneur de Langey: Discipline militaire de Messire Guillaume du Bellay, seigneur de Langey, chevalier de l’ordre & lieutenant general de Roy a` Turin, comprise en trois livres. Premierement faite & co(m)pilee par l’Auteur, tant de ce qu’il a leu des Anciens & Modernes, comme Polybe, Vegece,

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verändert aufgelegt werden. Dass die Legion sich seit ihrer Einführung durch Franz I. (1534) noch nicht als taktisch zuverlässige Organisationseinheit bewährte, verdeutlicht das Projekt De Fourquevaux’ (1548),1181 das sich auf das Beispiel der antiken Legionen, das Schweizer Modell, die nationale Tradition der franc-archers stützte.1182 Die Legion war demnach in praxi bereits im frühen 16. Jahrhundert im Hinblick auf die Erfordernisse moderner Kriegführung eine defizitäre militärische Organisationsform. Die Strukturierung des französischen Militärs nach dem Modell der römischen Legion traf auch auf eine verhältnismäßig günstige Voraussetzung. Im Unterschied zu den anderen europäischen Militärsystemen hatte die französische Krone infolge der Erfahrungen der Bürgerkriege und der Re´gence (1560–1629) darauf verzichtet, Kriegsunternehmern militärische Autorität zu delegieren.1183 Im Gegensatz zum militärischen System der Generalstaaten, das zwar über einen harten, kontinuierlich unterhaltenen Kern einer stehenden Armee verfügte, sich jedoch stets auf Hilfstruppen stützte, konnte die französische Monarchie nicht nur auf mehrmalige Versuche einer Organisation ihrer Streitkräfte nach dem

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Frontin, Cornacan & autres, que de ce qu’il a veu & pratique´ e´s armees & guerres de son tems. Et nouvellement reveue¨ & disposee le plus religieusement que s’est peu faire, sans preiudicer aux merites dudit Auteur, Lyon, Par Benoist Rigaud, 1592. Arsenal 8°. S.15643; vgl. Richard Cooper: Litterae in Tempore Belli. Etudes sur les relations litte´raires italo-franc¸aises pendant les guerres d’Italie, Genf 1997, S. 28: »Quant au de´bat sur les Instructions sur le faict de la guerre, rouvert par Dickinson, Procacci et Tetel, on a ne´glige´ jusqu’ici d’examiner le texte de l’e´dition de 1592, attribue´e sans ambiguite´ a` Langey, et qui offre tant de diffe´rences d’avec les versions pre´ce´dentes qu’on peut s’interroger sur la provenance des mate´riaux nouveaux.«; ebd., S. 29: »Le portrait de Langey comme homme de guerre doit beaucoup aux conventions chevaleresques, j’allais dire bayardesques.«; ebd., S. 32: »Les observateurs sont unanimes a` attribuer a` Langey une re´forme radicale de la discipline militaire au Pie´mont, qui pre´ce`de celle de Gaspard de Coligny de 1551, mais qui fut ne´glige´e apre`s la mort de Langey Brantoˆme, II, 229; VI, 16–17; BN, Ms.fr. 20446, fol 31–41.« Vgl. Philippe Contamine: Naissance de l’infanterie franc¸aise. Milieu XVe– milieu XVIe sie`cles. In: 1er Colloque de l’ave`venement d’Henri IV. Vie centenaire de la bataille de Coutras, Coutras, 16–18 octobre 1987, Pau, Association de Henri IV, 1989, S. 81: Als Reaktion auf das Scheitern der Legionen veröffentlichte Raymond de Beccarie de Pavie, Sieur de Fourquevaux 1548 die ›Instructions sur le faict de la guerre‹, die lange Jean du Bellay zugeschrieben wurden; ebd., S. 82: »[…] le roy a congneu que leur levee avoit plusieurs defaulx et par ce moyen qu’il ne seroit gueres sagement faict de rejeter quand et quand le service des autres et pour ce ont ilz este´ entretenus et une grande partie de nos legions et oultre plus quelques bandes d’aventuriers pour contenter les uns et les autres et s’asseurer de tous costez, mais, si l’intention du roy eust este´ bien exectuee en ce qu’il failloit faire apre`s ce que les legions furent dressees, on povoit esperer un tres bon temps pour nous.« Ebd., S. 83. Parrott: Strategy and Tactics in the Thirty Years War, S. 18.

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Legions-Modell zurückblicken, sondern auch auf eine lange militärischfeudale Tradition und andere Organisationsmodelle mehr oder weniger kontinuierlich unterhaltener Truppen. Die polybianische Militia des Saumaise enthält sowohl ein didaktisches Konzept, Vorstellungen zur französischen Militärverfassungen eines absolutistisch-monarchistischen Staates und integriert im Unterschied zum lipsianisch-polybianischen Legionsmodell die griechischbyzantinische taktische Theorie. Das Modell der Legion impliziert dreierlei: eine militärwissenschaftliche Systematik, organisatorischstrukturelle und taktische Momente. Die Schwäche des Staates als moderne, effiziente Struktur und die ehrgeizigen strategischen Ziele führten daher zu diesem konzeptuell-taktischen Entwurf, der eine Aufwertung der Kriegskunst, der Performanz der militärischen Eliten impliziert. Die Verbindung zur militärwissenschaftlichen Didaktik kann hergestellt werden, da Richelieus Projekt einer Militärakademie 1637 datiert, also in etwa zu dem Zeitpunkt, da er an Saumaise – vermutlich nicht zuletzt aufgrund seiner Bemühungen um die Re´union des Eglises – interessiert war und die Legion als Organisationseinheit respektive Modell für eine Reorganisation der französischen Militärverfassung in Erwägung zog. Bereits im 14. Jahrhundert wurde die Legion nach der Schilderung des Vegetius als Korrektiv der Militärverfassung angesehen.1184 Franz I. versuchte 1534 eine nationale Infanterie mit sieben Legionen zu jeweils 6000 Mann zu gründen, scheitert jedoch, wie schon Karl VII., daran. Aber die Idee wurde von Heinrich II. aufgegriffen, abgelöst unter der 1184

Zur Funktion der Legion im militärtheoretischen Diskurs des Mittelalters S. Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 149f.: »L’organisation de la le´gion romaine a toujours inte´resse´ les e´rudits de l’Occident me´die´val, car elle e´tait conside´re´e comme une des cle´s de la victoire. La hie´rarchie le´gionnaire e´tait e´galement e´tudie´e pour son inte´reˆt historique. Par rapport a` Ce´sar, Frontin ou Vale`reMaxime, Ve´ge`ce pre´sentait l’immense inte´reˆt de de´tailler l’organigramme d’une le´gion […] Ce re`glement montre qu’au milieu du XIVe sie`cle, le besoin de cre´er des unite´s, diffe´rentes du ›convoi‹ fe´odal, se faisait sentir, mais ne parvenait pas a` une expression tre`s rigoureuse. La premie`re cre´ation me´die´vale d’unite´s permanentes solde´es et standardise´es fut celle des compagnies d’ordonnance du roi de France Charles VII en 1445. Les quinze compagnies de Charles VII avaient une organisation toute me´die´vale. Il s’agissait d’unite´s de 600 hommes re´partis en 100 lances de 6 combattants. Leur total atteignait 1 800 hommes d’armes, 3600 archers, 1 800 coutiliers, soit 7200 combattants (l’e´quivalent d’une le´gion). Ces compagnies d’ordonnance furent imite´es en 1471 par Charles le Te´me´raire [Vgl. Charles Brusten: Les compagnies d’ordonnance de l’arme´e bourguignonne. In: Grandson 1476. Essai d’approche pluridisciplinaire d’une action militaire du XVe sie`cle. Hg. v. Daniel Reichel, Lausanne 1976, S. 112–169] Leur organisation interne, pre´cise´e par l’ordonnance de Lausanne (1476), fut de´finie avec un souci remarquable de standardisation, mais selon des normes me´die´vales. Plus tard, en 1534, Franc¸ois Ier tenta vainement de lever des le´gions franc¸oyses, mais l’expe´rience, pour des raisons financie`res, fut un e´chec.«

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Regierung von Franz II. durch Franc¸ois de Guise, der die ersten Regimenter der französischen Infanterie (Picardie, Champagne, Pie´mont) einrichtete, die die Erben der alten bandes picardes, pie´montais oder gasconnes waren.1185 Insgesamt waren alle diese Systeme theoretisch oder in praxi von Karl VI. über Ludwig XI., Franz I., La Noue, der für die Einrichtung von vier Regimentern (Discours XIII), drei Legionen (Discours XIV) und die Wiederbelebung und Reform des arrie`re-bans (Discours XI)1186 eintrat, bis hin zu Richelieu hinsichlich des Aushebungssystems ›Mischsysteme‹, bei denen das feudale Moment neben ein der feudalen militärischen Praxis fremdes, exogenes Organisationsmodell der Legion trat. Dass Richelieu im Unterschied zu Franz I., der nach 1534 noch weiterhin auf ausländische Söldner und bandes d’aventuriers franc¸ais angewiesen war, das Legionsmodell ausschloss, unterstreicht seine besondere Neigung zur feudalen Komponente in seinen Vorstellungen einer französischen Militärverfassung. Wie bereits frühere Versuche, die Legion als Grundlage der Militärverfassung einzuführen,1187 scheiterte dieser Plan auch ganz offensichtlich in der nach absolutistisch-bürokratischer Begründung der Militärverfassung strebenden Monarchie unter Richelieu und Ludwig XIII. zwischen 1610 und 1643. La Noues Überlegung zur Einrichtung von drei Legionen neben vier Regimentern war den Überlegungen Richelieus nicht unähnlich, La Noue ging es jedoch nicht um die taktische Perfektionierung der Armee, sondern in erster Linie um die Integration unausgebildeter Soldaten.1188 Gleich Richelieu plädierte er für die Wiedererrichtung und Reform des arrie`re-bans (Discours XI). Mit dem deutlichen Anstieg der Armeegröße um 1635 war ein konzeptueller Bedarf in zweierlei Hinsicht gegeben: nach innen in der Um1185

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Jean-Pierre Bois: Armes, tactiques et batailles, d’Azincourt a` Fontenoy. In: ders. et al. (Hg.), Armes et alliances en Europe (Enqueˆtes et documents, Centre de recherches sur l’histoire du monde atlantique, 18), Nantes 1992, S. 37. Selbst in der Wiederbelebung des auf Karl V. zurückgehenden arrie`re-bans integriert er ein Moment der Legion, das jedoch nicht mit dem römisch inspirierten Legionsmodell zu verwechseln ist. Vgl. Richardot: Ve´ge`ce et la culture militaire, S. 153; über frühere Versuche im Mittelalter, S. 152: »La transposition du mode`le de la le´gion e´tait mate´riellement impossible. Paradoxe, la socie´te´ fe´odale, bien qu’e´minemment guerrie`re, ne disposait pas d’arme´e re´gulie`re.«; S. 153: »Ce re`glement montre qu’au milieu du XIVe sie`cle, le besoin de cre´er des unite´s, diffe´rentes du convoi fe´odal, se faisait sentir, mais ne parvenait pas a` une expression tre`s rigoureuse.« La Noue: Discours politiques et militaires, S. 324: »Mais la difficulte´ est plus grande pour sc¸avoir, lorsqu’il faudroit donner aux legions leurs corps parfaits, si ce qu’on y adjousteroit seroit en peu de temps fac¸onne´. A cecy je diray qu’il y a grande presomption que les sauvageaux qui seroient entez sur cest arbre franc & bien cultive´, en prenant nourriture d’iceluy, viendroyent avec le temps a` porter fruits semblables.«

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strukturierung der französischen Militärverfassung nach dem Grundmuster der Legion, und in der taktischen Praxis selbst, die mit dem Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg offensichtlich als notwendig erachtet wurde. Für dieses taktische Ziel sollte die Legion noch durch eine Spezifizierung ihrer Untereinheiten sicherer gestaltet werden. Das Adverb ›asseure´‹ bezieht sich auf die taktische Zuverlässigkeit. Die Milice des Saumaise war demnach für eine konzeptuell verankerte militärische Umstrukturierung der französischen Militärverfassung (zumindest hypothetisch) bedeutsamer, als die isolierte Rezeption der bereits praktizierten Methode des Drills für die Truppen respektive deren besonders rekurrente Verbreitung über die Handbuchliteratur, die aber zeitgleich eine Diffusion der Methoden des Drills durch eine Reihe neuer, unbekannter Autoren beförderte. Diese weitgefasste konzeptuelle Umgestaltung war das Werk Richelieus, der im Unterschied zu dem mit militärisch-technischen Detailfragen befassten Ludwig XIII., die Bedeutung des Krieges als Mittel der Politik begriff: Er war es, der die großen militärischen Operationen plante und ausführte.1189 Ein bedeutender Punkt war demnach ein militärgeschichtlicher Problemdruck: eine durch den Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg bedingte Anhebung der Rekrutierungen und die Notwendigkeit der adäquaten Strukturierung und Ausbildung der neu ausgehobenen Soldaten. Fernerhin gab es um 1635 im französischen militärischen System erstmals den Versuch feste Einheiten wie das Bataillon zu etablieren. Ein organisatorischer Reformbedarf war auch durch die zahlenmäßig angewachsene Armee, die nicht mit den besten Elementen durchsetzt war, gegeben (welches sich jedoch auf die Kavallerie bezieht).1190 Richelieus Entscheidung fiel jedoch letztendlich zu Ungunsten der Legion aus, zumal diese aus Vernunftgründen dem auf die französische noblesse d’e´pe´e monopolisierten militärischen Eliteprinzip entgegenstand und finanziellen Gründen geopfert wurde.1191 1189

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Nicolas E´douard de de la Barre Duparcq: Richelieu Inge´nieur. Me´moire lu a` l’Acade´mie des sciences morales et politiques. De la puissance de destruction a` la guerre, Paris 1869, S. 5f. TP, S. 314: »La vraye cause de sa de´cadence est le grand nombre qu’on a este´ contraint d’en faire en ces derniers temps pour s’opposer a` celle des estrangers qui mettent indiffe´remment toutes sortes de personnes a` cheval. De la` est venu qu’elle n’a pu estre aussy que par le passe´ compose´e de noblesse adroite et courageuse, mais qu’on a este´ contraint de la remplir non seulement de vieux soldats, mais encore de jeunesse de toutes conditions qui n’a jamais esprouve´ ny son cœur ny son bras.« Vgl. William Beik: Absolutism and Society in Seventeenth-Century France. State Power and Provincial Aristocracy in Languedoc, Cambridge 1985 und Smith: The Culture of Merit, S. 94: Unter Ludwig XIII. und Ludwig XIV. war die Zentralmacht noch schwach. Könige und Minister stützten sich auf Netzwerke und Klienten, um Ordnung in den Provinzen zu bewahren, Armeen auszuheben, Lehen zu

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Dass es zu keiner Umformung der französischen Militärverfassung nach dem römischen Legions-Modell kam, mag nicht zuletzt daran liegen, dass Richelieu, dessen Lage im Innern keineswegs gefestigt war, sich beim Kriegseintritt 1635 in erster Linie auf seinen Klientelverband stützte.1192 Die militärtheoretisch ›konservativen‹ Optionen des Kardinals sind in gewissem Maße auch ein Reflex seiner Stellung als eines aus dem Schwertadel (noblesse d’e´pe´e) stammenden ›Grand‹, dessen Position eher als die eines Primus inter pares zu bezeichnen wäre.1193 Er hatte nicht zuletzt aufgrund seiner prekären persönlichen Stellung 1630 innere Reformen und einen äußeren Krieg ausgeschlossen. Der Konservativismus Richelieus im Hinblick auf die Reform des Militärs und die Rolle der consilia Das organisatorische und taktische, an der römischen Legion orientierte Reformmodell wurde im militärtheoretischen Denken Richelieus konservativ-strukturellen Überlegungen geopfert. Diese zielten darauf, den Vorrang der noblesse d’e´pe´e bei gleichzeitiger Stützung der monarchischen Zentralgewalt zu bewahren und den niederen Schwertadel durch eine staatlich-akademische Ausbildung zu disziplinieren. Die Argumentationsstrategie im politischen Testament deckt sich mit Richelieus persönlicher, klientelen Kriterien folgender Wahl militärischer Befehlshaber und der Stützung auf traditionelle Elitestrukturen. Die Stabilität der französischen Monarchie sah er in erster Linie in der Bewahrung und Konsolidierung des Schwertadels gewährleistet. Richelieus Ernennungen für den Befehl der Armee waren höchst konservativ, denn er akzep-

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verteilen und Steuern einzutreiben. Nach den Unruhen der 1630er und 1640er Jahre stellte die Regierung Ordnung her, indem sie ihre traditionelle Rolle noch wirksamer gestaltete. Es lag eine Vitalität des Geburtsadels vor, die sich unter anderem darin äußerte, dass die Monarchie auf traditionelle Werte und Interessen zu antworten suchte. Vgl. Parrott: The Causes of the Franco-Spanish War, S. 88: Die Kritiker des Kardinals betonten insbesondere nach 1635, dass der Krieg eines der Mittel war, sich selbst und seine Kreaturen an der Macht zu halten und alle anderen vom König fernzuhalten. In einem beträchtlichen Maß lagen sie damit richtig: Richelieus Autorität und diejenige seines Nachfolgers Mazarin konnten nur aufgrund der Notwendigkeit des Krieges gerechtfertigt werden. Vgl. David A. Parrott: Richelieu, the Grands, and the French Army. In: Joseph Bergin, Laurence Brockliss (Hg.), Richelieu and his Age, Oxford 1992, S. 146: »Richelieu, of course, was at the forefront of this concern to enhance his status as a grand and to enlarge his clientele through the sponsorship of military levies and commands in the field. He used his political bases in Brittany and Poitou for the creation of numerous infantry and cavalry units, both in his own name and those of his chief clients. […] His personal command of armies in the South-West, then in Italy, gave him the sought-after power to determine and control appointments and promotion, and to entrench his own supporters wihtin the army.«

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tierte lediglich Befehlshaber, die aus dem Hochadel stammten, und er machte keinen Versuch ein ›professionelles‹ Offizierskorps zu schaffen.1194 Diese konservative Haltung in Fragen der Militärverfassung folgte der allgemeinen Tendenz des politischen Denkens des Kardinals.1195 Das Legionsmodell als militärisches Reformmodell, das eine stehende, nationale Armee vorsah, wurde durch das Bestreben der Konservierung des Schwertadels und der Ausschöpfung völkerpsychologischer Momente im Dienste der französischen Monarchie irrelevant. Dies sind Momente, die sich in der strategischen Praxis Richelieus wiederfinden. Vergleichbar Naude´ war die Position Richelieus in ihrer Zuspitzung auf das Interesse des Monarchen und das Staatsinteresse von Machiavelli geprägt.1196 Naude´ und Richelieu sind gleichermaßen der etatistischen Tendenz der französischen politischen Theorie zuzurechnen, deren doktrinaler Hauptbezug die italienischen Schriftsteller der Staatsraison waren.1197 Die Befürwortung von Söldnern und das völkerpsychologische Moment verband Richelieu mit einer Maxime Machiavellis.1198 Nicht nur 1194 1195

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Vgl. Parrott: Richelieu, the Grands, and the French Army. Wollenberg: Richelieu, S. 244: »Das politische Denken Richelieus bleibt deshalb stets bestimmt durch die Anerkennung einer bestimmten politisch-sozialen Lebensordnung, die als gottgegeben gilt, modern formuliert durch einen sozialen und politischen Konservativismus.« Vgl. Ronald Asch: Kriegsfinanzierung, Staatsbildung und ständische Ordnung in Westeuropa im 17. und 18. Jahrhundert, HZ, 268 (1999), S. 639f.: »Die französische Monarchie taumelte schon angesichts der stets unzureichenden finanziellen Mittel, die für die Kriegführung zur Verfügung standen, seit dem 16. Jh. von Krise zu Krise, so daß man sich nachgerade wundern müsse, daß es erst Ende des 18. Jahrhunderts zum Zusammenbruch des Ancien Re´gime kam.« Und weiter (ebd., S. 640f.): »der Kompromiß mit etablierten Interessen war kein systemfremdes Element in der Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts, und das gilt für andere sogenannte ›absolute‹ Monarchien genauso wie für Frankreich.« Nannerl O. Keohane: Philosophy and the State in France. The Renaissance to the Enlightenment, Princeton 1980, S. 175: »This conception of les inte´reˆts publiques is particularly clear in Richelieu’s Testament politique. The approach to politics in this treatise is Machiavellian in its single-minded focus on the interests of the prince and the state, regarded as synonymous and quite separate from those of private individuals. Richelieu much more often sounds like Machiavelli than he does, for instance, like Bodin. He takes sovereignty for granted, and includes few juristic arguments. He focuses on those things a prince must do to maintain his authority and strengthen his state, measures he must take to ensure that he can govern effectively and make his will prevail.« Vgl. Lazzeri: Introduction, S. 68. Vgl. TP, S. 305: »Les estrangers sont absolument ne´cessaires pour maintenir le corps des arme´es et, si la cavallerie franc¸oise est bonne pour combattre, on ne peut se passer d’e´trange`re pour faire les gardes et supporter les fatigues d’une arme´e. Nostre nation, bouillante et ardente aux combats, n’est ny vigilante a` se garder, ny propre a` former des desseins ou des entreprises qui ne se peuvent exe´cuter sans

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Richelieus Soldatenbild nach Pyrrhus lehnte sich an Machiavelli an, sondern auch sein Urteil über die französischen Soldaten.1199 Neben diese philologische Machiavelli-Rezeption trat eine in die unmittelbare strategische Praxis hineinreichende Maxime der klugen Disposition unterschiedlicher nationaler Truppenkörper in der taktischen Praxis. Tatsächlich beabsichtigte Richelieu, der in den italienischen Feldzügen den Mangel an Disziplin und den Leichtsinn der französischen Truppen festgestellt hat, diese mit Söldnern aus dem Norden zu verbinden, die er für ruhiger und ausdauernder hielt. Dabei dachte er vor allem an die leichte Reiterei der Kaiserlichen, und er glaubte deren Äquivalent in der polnischen Reiterei zu finden. Bald jedoch musste er erkennen, dass es unmöglich war, diese mit der Arme´e de Hollande zu verbinden. Richelieu gliederte sie daraufhin an die näher an Frankreich operierende schwedische Armee des Feldmarschalls Johan Bane´r an.1200 Dies war aufgrund gewisser im Vorfeld erfolgter militärischer Kulturtransfers möglich geworden: Gustav Adolf wurde durch einen Erzieher in die holländischen Methoden der Kriegführung eingeführt. Man kann annehmen, dass Saumaises Kapitel über die Kavallerie einen theoretischen Reflex dieses militärischen Kulturtransfers darstellt. Richelieu hat sich hier jedoch nicht nur die Maximen Machiavellis und möglicherweise die Theoreme der Polybios-Rezeption Saumaises zu eigen gemacht, sondern auch Lipsius’ strategische Lehre aufgegriffen, die die Disposition der Soldaten nach Völkern und Nationen neben der Reputation, der Providentia und den Stratagemen zu den legitimen strategischen Mitteln (consilia) zählt (Pol., V, 16). Im Unterschied zu Machiavelli, bei dem die Umgestaltung und Formung der Kriegskunst nach dem römischen Modell Aufgabe der Politik war und somit die Verfassung prägte, spielte bei Richelieu – gleich Lipsius– weniger die römische militia die entscheidende Rolle, stärker kam

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peine.« Am 6. Okt. 1635 wird fernerhin in Saint-Germain mit dem Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, einem Schüler Gustav Adolfs II., dessen Truppen seither in französischen Sold genommen wurden, ein Vertrag geschlossen. Ritratti delle cose della Francia (ca. 1512), zitiert in Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 313: »Die Franzosen sind von Natur mehr heftig als kräftig oder geschickt, und wenn man beim ersten Anfall ihrem Ungestüm widerstehen kann, so werden sie so demütig und verlieren so sehr den Mut, daß sie feige wie Weiber werden. Auch können sie die Strapazen und Entbehrungen nicht ertragen, und vernachlässigen daher nach einiger Zeit den Dienst so sehr, daß es leicht ist, sie zu überwinden, wenn man sie in ihrer Unordnung angreift.«; ebd., S. 313: »Ein Kapitel der Discorsi [III, 36] ist geradezu überschrieben: ›Warum die Franzosen von jeher im Anfang der Schlacht für mehr als Männer und später für weniger als Weiber galten‹. Machiavelli findet als Antwort: Weil sie ihre Natur, die sie im Anfang mutig macht, nicht durch Kunst so ausgebildet haben, daß sie bis zu Ende mutig bleiben.« Pange: Charnace´ et l’alliance franco-hollandaise, S. 133.

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es ihm auf die consilia, die Ratschläge oder die Tätigkeit des Kriegsrates an. Es war ihm nicht an der Umformung der zeitgenössischen Militärverfassung nach dem römischen Legionsmodell gelegen, von der auch Lipsius in seinem Polybios-Kommentar abriet. Es ging ihm vielmehr um ein flexibles Raster von Maximen kluger Kriegführung, die keine einschneidenden, ›revolutionären‹ strukturellen Eingriffe in die bestehende Militärverfassung einfordern. Diese Methode stand seinem persönlichen Regierungsstil näher. Richelieus politische Rhetorik sollte von Thomas von Aquin und Augustinus beeinflusst bleiben: Deren Idee des gerechten Krieges, die sich auf das öffentliche Interesse bezieht und jegliche libido dominandi ausschließt, war jene Thematik, die der Kardinal und seine Pamphletisten beständig aufgriffen, um die französische Politik zu verteidigen.1201 Dabei vergaßen sie nicht hinzuzufügen, dass Spanien sich der Religion in heuchlerischer Weise als eines Schildes bediene um seine imperialistischen Bestrebungen zu maskieren.1202 Im Hinblick auf den Krieg zum Wohl des Staates, welcher dessen Notwendigkeit gewährleiste, fügte Richelieu noch eine höhere Rechtfertigung hinzu, die als ›Begründung‹ theologischer und nicht mehr politischer Ordnung bezeichnet wurde und die der kanonischen Tradition der apriorischen Bedingungen folgte: die Gerechtigkeit des Krieges, die Konformität von Friede und Religionsinteressen.1203 Der Krieg als ein temporärer Gewaltakt, muss gerecht sein, um von Gott zugelassen zu werden; der Friede, dessen Ziel und Eigenschaft die Dauer ist, ist noch mit einem stärkeren religiösen Zweck verbunden.1204 Das Staatswohl kann nicht von der Herrschaft Gottes abgelöst werden, darin bestehen die Zwecke politischen Handelns; darin drückt sich die große Lehre aus, die Richelieu im politischen Testament zu geben beabsichtigte.1205 Richelieu, der seitens der Polemiker der Partei der Devoˆts, die in ihm einen reinen Verfechter Machiavellis sahen, im Hinblick auf seine Bündnisse mit den protestantischen Mächten heftigen Angriffen ausgesetzt nisse mit den protestantischen Mächten heftigen Angriffen ausgesetzt war, sah sich veranlasst, von diesem, Gerechtigkeit und Religion verbindenden Standpunkt aus, einige Aspekte seiner Politik ausführlich darzulegen.1206 Das Haupt der devoten Partei, der Jansenist Jean Duvergier de Hauranne, Abbe´ de Saint-Cyran, stellte sich in einem Pamphlet gegen die Religions- und Außenpolitik Richelieus, woraufhin Richelieu ihn am 14. Mai 1638 in den Donjon von Vincennes einschließen ließ. Die Ver1201 1202 1203 1204 1205 1206

Vgl. Hildesheimer: Relectures de Richelieu, S. 153f. Vgl. ebd., S. 154. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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teidigung einer realistischen Bündnispolitik, die sich im Namen der Religion angegriffen und im Namen des Staates gerechtfertigt sah, war charakteristisch für seine Herangehensweise an die sich ihm stellenden Probleme: er stützte sich dabei auf die Autorität theologischer Experten, auf historische Präzedenzfälle und die Autorität von Texten, indem er für ihn erstellte Memoiren wiederverwendete und an das Urteil des Lesers appellierte.1207 Um zu überzeugen bezog er sich dabei auf die Vernunft und den sensus communis.1208 Ebenso verfuhr Richelieu mit militärischen Reformkonzepten, von denen er unzweifelhaft in Kenntnis war, wie es an einigen Stellen des politischen Testaments deutlich zutage tritt. Dass er zu einer anderen Auffassung als die Nassau-Oranier kam, die auf der Grundlage der antiken Überlieferung einen professionalisierten Soldaten nahe legten,1209 lag begründet in der spezifischen französischen sozialen Stratifikation, die es zu bewahren und im Sinne der politischen Klugheit nicht umzuformen, sondern zu nutzen galt. Daher durchziehen sowohl die Überlegungen national-psychologischer Art als auch zur französischen Adelsstruktur und -mentalität das politisch-pragmatisch intendierte politische Testament von Richelieu. In diesem Sinne blieb Richelieu ein Pragmatiker, der die der monarchischen Verfassung nützliche traditionelle Gesellschaftsstruktur unangetastet wissen wollte. Damit die französische Monarchie nicht auf den Dienst des Adels verzichten müsse, der immer die Hauptkraft der Armee war und der verpflichtet sei, in Kriegszeiten aufgrund der Lehen Dienst zu tun, die ihm wegen seiner Kriegsdienste verliehen worden waren.1210 1207 1208 1209

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Vgl. ebd., S. 154f. Vgl. ebd., S. 155. Niedergeschrieben 1609/10, K 938, in Kb, S. 310: »zudem so hat man nicht allein auß der erfahrung, daß keiner, wes standts derselbe auch sey, alß ein soldat geboren wirdt, sondern daselibge lernen unnd selbsten erfahren muss, zugeschweigen daß solche obgemelte exercitia von unsern vorfharen, den Romern, welche deßwegen großen fleiß angewendet unnd (sic) durch solche mittel, wie solches die historien (Bl. 6r) außweisen, mit Gottes hilf fast die gantze welt unter iren gewalt gebracht.« TP, S. 305: Von F. Hildesheimer zugefügter Kommentar: Der Ursprung des Adels wurde mit dessen militärischer Bedeutung und der damit in Zusammenhang stehenden Ehre von Generation zu Generation tradiert. Die Adeligen erfreuten sich so der Privilegien, die in sozialen Symbolen und in nützlichen Rechten bestanden: »Mais, afin que ce royaume ne demeure pas prive´ du service de la noblesse qui en a toujours este´ le principal nerf et qui est oblige´e de le servir en temps de guerre a` cause des fiefs qui luy ont este´ donne´s a` cette condition et des avantages qu’elle a pendant la paix sur les peuples, il faut taxer tous les fiefs en chaque bailliage selon leur revenu et former, avec l’argent qui en reviendra, des compagnies re´gle´es, dans lesquelles ceux qui aimeront mieux servir en personne que payer le contribution de leurs fiefs seront rec¸eus pourveu qu’ils s’engagent a` satisfaire aux conditions de leur obligation.«

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Für die Ausbildung und Disziplinierung des Adels sah Richelieu zwei Modelle vor, die mit den Ansätzen im französischen militärischen Humanismus der 1630er Jahre korrespondieren. Richelieu verwarf das Organisationsmodell der Legion und optierte für die organisatorische Einfassung des Adels in die compagnies de gens d’armes. Richelieu war in erster Linie daran gelegen, den Adel zu konsolidieren, indem er reguläre Kompanien einrichtete. Er hat eine leicht auf eine effiziente Taktik umzumünzende Militärverfassung in Erwägung gezogen, jedoch diese zugunsten konservativer Überlegungen – damit in Verbindung stehen mag auch, dass sein Vernunftbegriff nicht neustoisch, sondern von Thomas von Aquin inspiriert war1211 – wieder aufgegeben. Die monarchische Gewalt sah er durch einen gestärkten Geburtsadel gesteigert und griff damit eine Tendenz des Adels selbst auf, der sich auf äußeren Druck hin in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts neu zu definieren begann, dabei jedoch alte Paradigma aufgriff.1212 Auch Lipsius riet im Hinblick auf eine monarchischabsolutistische Verfassung davon ab, den von ihm aus Polybios rezipierten dilectus zu imitieren, denn dieser sei auf eine republikanische Verfassung gemünzt.1213 Mit dem Abschied von der radikalen Umgestaltung der französischen Militärverfassung nach neuen, der antiken militia entlehnten taktischen Regeln, blieb daher nur der Anschluss an eine Definition des Verhältnisses von Intellekt, Ethos und Gewalt. So entstand ein mit dem holländischen Modell wenig verwandtes Modell: das hauptsächlich auf französischen mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Strukturen basierende Konzept der sozialen Disziplinierung in erster Linie des Schwertadels. Die angestammten Privilegien und der Vorrang des Schwertadels blieben unangetastet, die militärische und militärwissenschaftliche Bildung war erwünscht, von einem Zuviel an Intellektualisierung nahm dieses Konzept jeoch Abstand. Guy Rowlands hebt hervor, dass in den 1650er Jahren diejenigen, die die Werte der noblesse d’e´pe´e annahmen, um damit ihren sozialen Aufstieg zu beschleunigen, vom traditionellen Adel akzeptiert wurden.1214 Noch im Frankreich Ludwigs XIV. blieb der 1211

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Roland Mousnier: Conclusion ge´ne´rale. In: Richelieu et la Culture. Colloque international, Sorbonne (novembre 1985), Editions du C.N.R.S., Paris 1987, S. 255f. Vgl. Rowlands: The ethos of blood and changing values?, S. 99: Mitglieder des Dritten Standes, vor allem die in die Liga involviert waren, trugen das Argument vor, dass der auf Tugend beruhende Adel nicht erblich sein soll. Diese Bedrohung zwang den Adel sich selbst in den zwei ersten Jahrzehnten des 17. Jh.s über die Geburt und die Profession als persönliche Wahl zu definieren. KB Den Haag, 128 A–5, fol. 538. Vgl. Rowlands: The ethos of blood and changing values?, S. 105; ebd.: Jede Form ernsthaften Militärdienstes durch ein Familienmitglied konnte das Prestige einer Familie heben und nach 1672 wurde es zu einer ernsthaften Option.

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militärische Dienst ein zentraler adeliger Wert, und die Vorherrschaft der Werte des Schwertadels über die des Amtsadels wurde hochgehalten.1215 Auch Vauban, der aus niederem und jüngerem burgundischen Adel stammte, schrieb einen Traktat L’ide´e d’une excellente noblesse et des moyens de la distinguer par les ge´ne´rations (Bd. 2 der Oisivete´s)1216, in dem er für die gebürtige noblesse d’e´pe´e eintrat: »Dans les sie`cles un peu recule´s, la noblesse e´tait le prix d’une longue suite de serivces importants, et la re´compense de la valeur du sang re´pandu pour le service de l’Etat«.1217 In dem zweiten Me´moire über die moyens a` tenir pour faire une excellente noblesse par les services, präzisierte er seinen Gedanken: Rien ne distingue tant les hommes que la noblesse […]. Partout il se trouve des gens vertueux dignes d’eˆtre distingue´s soit dans la Robe, soit dans les Sciences, dans les Arts et meˆme dans le Commerce, car il y a des gens de me´rite dans toutes les conditions; mais je soutiens que dans tous les services qui peuvent me´riter la noblesse distingue´e, aucun ne peut e´galer ceux des gens de guerre pour la raison que ceux-ci l’acquie`rent au prix du sang et toujours par de longs services, dans lesquels il n’y a jamais moins que de la vie et de l’honneur, et le plus souvent du Salut.1218

Das militärtheoretische und strukturelle Denken Richelieus folgte nicht nur im strategischen Sinne dem Gedanken der Proportionalität. Die Stellung des Adels in der Militärverfassung wird in der Verhältnisbestimmung oder Komplementarität von arma et litterae definiert. Die Adelskonzeption schlägt sich daher auch in dem anthropologisch-moralistischen Diskurs nieder, der mit den Grundzügen des politischen Neustoizismus und auch der anthropologisch verankerten militärwissenschaftlichen Systematik Saumaises nicht viel gemein hat. Richelieu wollte in organisatorischer Hinsicht eine unmittelbar dem Monarchen unterstehende Armee aus adeligen Kreaturen anstelle einer Legion, für deren Aushebung und Unterhalt die Provinzen verantwortlich sind. Die

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Ebd., S. 105f.; ebd.: Erst in der Jahrhundertmitte förderte Ludwig XIV. die Assimilierung der alten Werte durch die noblesse de robe und in dieser Hinsicht trat er als ein konservativer Monarch auf. Ludwig XIV. erschien es natürlich, dass die soziale und politische Akzeptanz der noblesse de robe durch die noblesse d’e´pe´e weitgehend auf deren Annahme durch den dem Monarchen zu leistenden Militärdienst und des für Ehre geleisteten Blutdienstes beruhte. Michel Parent: Vauban. Un encyclope´diste avant la lettre, Berger-Levrault 1983, S. 206f.: »Ce me´moire sans date figure au tome II des Oisivete´s. Il ne faut pas le confondre avec un autre, moins connu et plus court, faisant partie du tome VII et intitule´ Des moyens a` tenir pour faire une excellente noblesse par les Services ou` Vauban ne conside`re que les services rendus par les gens de guerre, au prix de leur sang et toujours par de longs services. Vauban, sans pouvoir faire adopter son projet, essaya parfois et avec succe`s de faire ce´der le roi dans certains cas particuliers.« Ebd., S. 157. Ebd., S. 159.

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Kompanien der gendarmes (compagnies de gens d’armes) (1454) unter Ludwig XI. lösten den arrie`re-ban1219 ab. Vergleichbar Naude´ knüpfte Richelieu an ein Adelskonzept, ein Konzept militärischer Eliten und dessen Organisationsform (compagnies de gens d’armes, Kritik des arrie`re-ban) an1220, das der soziopolitischen Dynamik der Armee als eines vornehmlich aus Adeligen bestehenden Klientelverbandes und der ihr inhärenten Wertvorstellungen nicht entgegen stand – denn das Ausmaß, in dem der Adel des 17. Jahrhunderts sich in Begriffen der traditionellen feudalen Kultur beurteilte, kann nicht unterschätzt werden.1221 Richelieu bemühte daher ganz im Sinne einer zweckrationalen-machiavellistischen Machttechnik feudale militärische Organisationsformen. Bereits La Noue motivierte sein Argument für die Wiedererrichtung und Reform des arrie`re-bans, der auf Karl den Großen zurückgeht und durch mehrere Ordonnanzen von Franz I. und Heinrich II. wiederhergestellt werden sollte, machiavellistisch – wenngleich er als Hugenotte auch seinen Affekt gegen den Florentiner zur Schau stellte.1222

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Vgl. Michel Nassiet: La noblesse en France au XVIe sie`cle d’apre`s l’arrie`re-ban, RHMC (1999), S. 86–116. Parrott: Richelieu’s Army, S. 64: »In late 1637 a projet de la cavallerie drawn up for Richelieu emphasized the worsening situation, and pointed out that inadequate funding for the recruitment and maintenance of the cavalry during the campaigns was leading the captains to try to recoup their expenses by laying off all their experienced troops at the end of the campaign, collecting the sums allocated to the company fort the winter quarters and re-forming the unit out of totally inexperienced troops in the spring. The most attractive possibility for improving the number and the quality of the cavalry – buying foreign regiments into French service – was too expensive as a general solution. The arrie`re-ban was once again revived in 1638 and in the subsequent campaignes, but it had effectively become a tax, aimed at obtaining a small number of noblesse who would actually serve with the armies in regular cavalry units, supported by the great majority of fief-holders who would be assessed in lieu of service.«; vgl. ebd., S. 61ff.: Im Juni 1635 fasste man die Kavallerie in Regimenter, die bald darauf wieder aufgegeben wurden (1636), um die Kavallerie in Form des alten feudalen arrie`re-bans zu organisieren, auch diese Organisation erwies sich als wenig effizient, so dass man 1638 wieder auf die Organisationsform des Regiments zurückgriff. Parrott: Richelieu, the Grands, and the French Army, S. 146: »The extent to which the nobility in the seventeenth century still accepted and judged one another in terms of a traditional warrior culture should not be underestimated.« La Noue: Discours politiques et militaires, S. 265: »Quelqu’un a` ceste heure me pourra dire, que je m’efforce en vain de donner conseil pour redresser ce que l’experience de plusieurs annees a monstre´ estre si languissant & abatu, qu’il est impossible de le relever. Cest argument certes a apparence. Neantmoins je veux encor examiner le tout de plus pres. […] Serions-nous si lourdants, ayant pratique´ si longtemps avecques nos Florentins de France, qui par la subtilite´ de leur esprit ont sc¸eu tirer les quint’essences des matieres les plus inutiles, si nous n’avions retenu quelque precepte d’eux?«

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Im Unterschied zu den Oraniern, bei denen dieses Modell eine Funktion in der Professionalisierung der Soldatenausbildung hatte, die an die Stelle der Tradition und der Geburt trat (darin liegt wohl die eigentlich modernisierende Leistung: in dieser Funktionsbestimmung militärwissenschaftlicher Didaktik),1223 so ist die Bildung nach wissenschaftlichen Grundsätzen und dem römischen Modell im Konzept von Richelieu dazu bestimmt gewesen, den französischen Adel zu disziplinieren, den er infolge strukturgeschichtlicher Überlegungen als eine für die Kriegführung der Monarchie unabdingbare Kaste betrachtete.1224 Hier gilt es nochmal hervorzuheben, dass nicht die Umformung der gesamten sozialen Struktur zugunsten einer modernen Militärverfassung Richelieu vorschwebte, sondern die kluge Gefügigmachung des Hochadels durch die monarchische Zentralgewalt, die wie er einräumt, jedoch an ihre Grenzen stößt. Nur den ›Feinden dieses Staates‹ läge an einer Kriegführung durch einfache lieutenants, zumal das Phlegma ihrer Nation ihnen in dieser Hinsicht einen Vorteil einräume. Die französische Nation jedoch sei weniger als jede andere dazu geeignet,1225 denn die Leiden1223

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Kb, S. 569f.: K 924, fol. 171–175 [Bestallung Wallhausens zum Direktor der Kriegsschule zu Siegen, 13. Februar 1617]: Kb, S. 569: »So verspreche ich auch hiermit, daß nit allein I. G. adeliche diener und unersassen, welche die kriegßkunst und exercitia mit zu lehrnen begehren, in die (fol. 7 r) kriegßschul auffgenommen umb halbeß oder auch, sa si I. G zu hof gedient wehren, ohne einigeß lehrgelt underwisen, sondern auch von dem gelt, welcheß von denenen Tyronibus in der kriegßschule pro institutione monatlich durch mich une eine von I. G. hierzu bestelte person wird erhoben werden, vor allen dingen I. G. der vierdte theil, von den ubrigen drey theiln aber meinen professorn, substitut und dienern einem ieden seine besoldung nach außweisung seine´bestallungß brieffs onfelbar entrichtet und gehandreicht werden solle.«; vgl. auch Kb, S. 571: K 924: Aus dem Schreiben des Grafen Johann von Nassau an die Kurfürsten und Fürsten über die Einrichtung einer Kriegsschule zu Siegen. Siegen, 8. August 1617: Kb, S. 572: »oder auch die jenigen, welche zuvor albereits einen zugk oder mehr gethan undt sich im krieg gebrauchen lasen wöllen, zu mehrer information undt ex fundamento in der kriegskunst undt darzu ghörigen sachen auf die maaß undt weyse, wie dieselbe heutiges tags in den Niederlanden als der besten undt berümbsten kriegsschule geübt undt practicirt worden, durch hierzu qualificirte und der kriegssachen erfahrne persohnen angeführt undt underweisen würdne undt also, da sich heut oder morgen zum krig undt kriegssachen gebrauchen undt bestellen lasen wollten oder müsten […].« Änderungen in dem Verhältnis zwischen Adel und Monarch traten erst unter Ludwig XIV. auf, vgl. Smith: The Culture of Merit, S. 126: Der Diskurs des könglichen Dienstes unter Ludwig XIV. behielt die gängige Hervorhebung der Qualitäten von ›Herz‹ und Geburt bei, die so bedeutsam für den Adel des 17. Jhs. werden sollte. Die hybride Kultur des Sonnenkönigs hob jedoch viele Spannungen und Widersprüche auf. Vgl. Vittorio Osimo: Per la fonte liviana di un passo del Principe e per la cronologia di Ritratti delle cose della Francia, 1908, s.p., zitiert in Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 313: »Ein Kapitel der Discorsi ist geradezu überschrieben: ›Warum die Franzosen von jeher im Anfang der Schlacht für mehr als Männer und später für weniger als Weiber galten.‹ Machiavelli findet als Antwort:

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schaft, die ihren Mut bedinge, sei auch Ursache ihrer Ungeduld, die durch die Klugheit des Königs nicht gebändigt werden könne.1226 Nicht humanistische militärische Gesetze, die Kriegskunst oder die Militärwissenschaft werden daher als Korrektiv der Kriegsverfassung angenommen, sondern der kluge Umgang mit den strukturellen und mentalen Gegebenheiten durch den König. Die Bedeutung der Kriegskunst steht hinter nationalpsychologischen militärischen Paradigma zurück. Diese Meinung war gegenläufig zu Bestrebungen aus den Reihen der Militärs, das Offizierskorps zu vergrößern. Die militärische Anthropologie von ›Natur‹, coeur und esprit Die militärische Anthropologie Richelieus ist demzufolge ›antihumanistisch‹ und allenfalls mit der vegetischen Anthropologie kompatibel. Richelieu trat für den Primat der physischen und mentalen Stärke ein. Obgleich der Geist den restlichen Körper lenke und die Urteilskraft demjenigen, der befiehlt, am wesentlichsten sei, wünsche er sich dennoch eher einen General, der viel Mut habe und wenig Intellekt, als einen General mit viel Verstand und wenig Mut.1227 Diese Dialektik war der antiken Militärwissenschaft und dem modernen militärischen Humanismus und dessen Militärwissenschaft fremd. Richelieu schlägt hier jedenfalls auf der Folie der Einführung oder Verwerfung humanistisch-militärwissenschaftlicher Organisations- und Bildungskonzeptionen eine Rhetorik an, die weniger mit den humanistisch-militärtheoretischen Autoritäten eines Vegetius oder Polybios in Verbindung steht. Vegetius insistierte auf den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Kenntnissen der Kriegführung und des Mutes in der Schlacht.1228 Diese Auffassung richtet sich jedoch, wie Richelieu selbst bemerkte, gegen die gängige Auffassung, die hin zu einer Intellektualisierung der Kriegskunst und der Generäle tendierte. Eine der Rhetorik Richelieus ver-

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Weil sie ihre Natur, die sie im Anfang mutig macht, nicht durch Kunst so ausgebildet haben, dass sie bis zu Ende mutig bleiben.« [...] S. 314: »Ich finde sie ebenso bei drei venezianischen Staatsmännern des Jahrhunderts; von Franzosen bei Commines, Claude de Seyssel, Rabutin, De la Noue und in der anonymen Institution de la discipline militaire au Royaume de France.« TP, S. 302: »Il n’appartient qu’aux ennemis de cet Estat de faire la guerre avec succez par de simples lieutenans; le flegme de leur nation leur donne cet avantage, mas la franc¸oise est moins propre qu’aucune autre a` en user ainsy, parce que l’ardeur qui leur donne du courage et le de´sir les combats leur donne aussy l’impatience qui ne peut estre vaincue que par la prudence du roy.« TP, S. 306: »Bien que la teste soit ce qui guide le reste du corps et que le jugement soit la partie la plus essentielle a` celuy qui commande, il est vray ne´antmoins que je souhaite plutost en un ge´ne´ral d’arme´e beaucoup de cœur et un me´diocre esprit, que beaucoup d’esprit et un me´diocre cœur.« ERM (Milner), I, 1, S. 3.

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gleichbare soziozentrische Argumentation schlägt Lostelneau an, der aber gerade im Gegensatz zu den vorher dargelegten Prinzipien für ein Bild des Generals steht, das in die Nähe der im politischen Testament angeführten militärischen Elitekriterien rückt.1229 Man wundere sich vielleicht über diesen Vorschlag, so Richelieu, weil er dem entgegenstehe, was einige über dieses Thema gedacht haben, aber der Grund hierfür sei offensichtlich: Diejenigen, die in der Gefahr viel Mut (coeur) haben, bedürfen in gefahrvollen Lagen nicht des Geistes (esprit) und der Urteilskraft (jugement), während diejenigen, die nur wenig Mut haben, aber viel Geist, einen unnützen Mut haben, der, wenn die Angst von ihnen Besitz ergriffen habe, ihnen zu überhaupt nichts nütze. Man verwundere sich vielleicht über diesen Vorschlag, denn er stehe dem entgegen, was einige über dieses Thema gedacht haben, aber der Grund dafür sei offensichtlich. Diejenigen, die ein ›großes Herz‹ haben (das ein Synonym für Mut ist), fürchteten die Gefahr nicht, denn der Verstand oder Intellekt, der ihnen von Gott mit auf den Weg gegeben wurde, und ihre Urteilskraft dienen ihnen in derartigen Situationen nicht. Anders als diejenigen, die nur wenig Mut haben und die daher leicht erschrecken und sich bei der geringsten Gefahr derartig beunruhigen, dass sie trotz ihres großen Verstandes, der ihnen in dieser Situation überhaupt nichts nützt, durch den primären Affekt der Angst an dessen Ausübung gehindert werden.1230 1229

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Colbert de Lostelneau: Le Mareschal de bataille, contenant le maniment des armes. Les evolvtions. Plusieurs bataillons, tant contre l’Infanterie que contre la Cavalerie. Divers ordres de batailles. Avec un bref discours sur les considerations que doit avoir un Souverain, avant que de commencer la guerre. Et un abrege´ des functions de Generaux d’Arme´es, de Mareschaux de Camp, & autres principales Charges d’icelles. Dedie´ av roy. Invente´ & Recueilly par le Sieur de Lostelneau, Mareschal de Bataille des Camps & Arme´es de sa Majeste´, & Sergent major de ses Gardes Franc¸oises. A Paris, Estienne Migon, Professeur e´s Mathematiques, & Imprimeur ordinaire du Roy pour le faict de la Milice, Chez Antoine de Sommaville, 1647, S. 444f.: »Pour cet effet il doit choisir des personnes qu’il connoisse estre vertueuses, dont la fidelite´ luy soit tres-asseure´e, qui sc¸achent parfaitement l’Art de la guerre, qui en ayent fait jeunes la profession, a` fin que dedans la vigueur de leur aˆge ils en ayent acquis l’experience & la reputation necessaires a` une si importante charge. La naissance ne leur est pas moins necessaire, particulierment en France, ou` l’humeur altiere de cette Nation leur fait supporter avec peine l’authorite´ de leur egal, ou de leur inferieur en naissance, & leur donna la liberte´ de murmurer, de se plaindre continuellement, de se desplaire dans le service, obeyer a` regret a` leur Superieur; & bref pour cet interest particulier ne se plus soucier de faire leur devoir, d’ou` procede de grands maux au Souverain. Il seroit donc a` desirer que les Generaux eussent la naissance correspondante a` la dignite´ de leurs charges, que cette naissance fust accompagne´e de la valeur, & de la prudence, s’il se peut de la bonne mine & de la liberalite´.« TP, S. 306f.: »On s’estonnera peut-estre de cette proposition, parce qu’elle est contraire a` ce que plusieurs ont pense´ sur ce sujet, mais la raison en est evidente: Ceux qui ont un grand cœur ne s’estonnant du pe´ril, tout l’esprit que Dieu leur a

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Richelieu zeichnete eine militärische Anthropologie, die mit einer humanistisch-militärwissenschaftlich begründeten militärischen Anthropologie nichts zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um eine Anthropologie, die von Gott gegebenen, angeborenen militärischen Tugenden und Fähigkeiten ausgeht. Im Denken Richelieus kommt sowohl in der Verbindung von Leben (vie) und Ehre (honneur) als auch in der Verbindung von Mut und Geist (courage-esprit oder coeur-esprit) der Gedanke zum Ausdruck, dass ihm in erster Linie an einer aufopferungsbereiten, nicht nach Vernunftprinzipien operierenden militärischen Elite gelegen war. Das Wort ›Herz‹ (coeur) verweist darüber hinaus auf eine augustinische Anthropologie,1231 wie sie in der theologischen Schrift, dem Traite´ de la perfection du chre´tien (1639 vollendet, 1647 veröffentlicht)1232 ihre dem militärischen Bereich exogene Begründung aufweist. Die feudalen militärischen Werte bleiben in den Reflexionen Richelieus einer Kriegführung nach wissenschaftlichen und intellektuellen Kriterien sowie der auf den Theorien des ›Polybianismus‹ gründenden philosophisch-strategischen Anthropologie überlegen. Es gab im Denken Richelieus weder eine nach polybianischen, noch nach vegetischen Kriterien geführte rationale Theorie der Kriegführung. Richelieu bemühte den Topos von arma et litterae und schrieb sich ein in dessen argumentative Funktionalisierung, wie sie sich im italienischen militärischen Humanismus her-

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donne´ et leur jugement les sert fort bien en telles occasions, au lieu que ceux qui ont fort peu de cœur, s’estonnant aise´ment, se trouvent au moindre danger si troublez que, quelques grands esprits qu’ils ayent, il leur est du tout inutile, parce que la peur leur en a oste´ l’usage.« Vgl. Bouwsma: The two Faces of Humanism, S. 10f.: Das ursprüngliche Organ in der Augustinischen Anthropologie ist nicht so sehr das Höchste, sondern das Zentralste; es ist buchstäblich das Herz (cor), dessen Eigenschaft die Qualität des Ganzen bestimmt. Und diese Qualität, nicht die Tätigkeit der rationalen Einsicht, wird als Gegenstand der allgemeinen Erfahrung angenommen. Der Wille ist letztendlich kein gehorsamer Diener der Vernunft; er folgt eigenen Energien und Impulsen. Der Mensch ist ein weit rätselhafteres Wesen als die Philosophen einzugestehen bereit sind. Die menschliche Schlechtigkeit stellt ein ernsteres Problem dar als die stoische Vorstellung, dass der Mensch in seinem sündhaften Zustand, sich auf seine eigene Macht stützen kann, um zur Tugend zu gelangen, ist höchst unwahrscheinlich. Der Körper und die emotionale Verfassung des Menschen wurden von Gott zusammen mit seiner intellektuellen Kraft geschaffen; deren Bedürfnisse haben einen hohen Rang und deren Befriedigung ist gleichwertig. Ste´phane-Marie Morgain: Le traite´ de la perfection du chre´tien. In: Armand Jean du Plessis Cardinal duc de Richelieu, Traite´ de la perfection du chre´tien. Texte e´tabli et introduit par Ste´phane-Marie Morgain et Franc¸oise Hildesheimer, annote´ par S.-M. Morgain (Sources classiques, 46), Paris 2002, S. 41: »L’intelligence du Traite´ de la perfection du chre´tien passe de´sormais par la compre´hension de la de´finition thomasienne de la volonte´. Thomas d’Aquin parle de cette faculte´ en divers endroits de son œuvre (Summa theologiae, Ia, q. 80, 82, 83; De Malo, q. 3 et 6; De Veritate, q. 22). Il la de´finit comme un faculte´ par laquelle l’homme poursuit ses fins propres jusqu’a` les re´aliser.«

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ausgebildet hatte (Vgl. F. Verrier), im Sinne einer Machttechnik, in dem es um die Machterhaltung und das persönliche Interesse des Kardinals ging, dessen eigene politisch prekäre Stellung keinen radikalen Umgestaltungswillen zuließ. Sie ermöglichte lediglich eine Art ›Management‹ der zur Verfügung stehenden materiellen und humanen Ressourcen. Der sich aus der Position Richelieus ergebende und in Anbetracht der nationalen strukturellen Gegebenheiten begrenzte Spielraum schlug sich konzeptuell nieder. Das politische Testament Richelieus zeugt von einer Verdrängung militärwissenschaftlicher Grundlagen aus der auf machiavellischer Technik des Machterhalts des Fürsten zentrierten Politik Richelieus. An die Stelle eines wissenschaftlichen Konzepts der Kriegführung, sei es vegetisch oder polybianisch inspiriert, trat zu dem eine völkerpsychologische Argumentstationsweise oder, um mit A. Jouanna zu sprechen, die Idee der ›race‹.1233 Richelieus Augenmerk richtete sich auch auf die Konservierung eines Adels, die noblesse de race, die sich durch natürliche Tapferkeit (vaillance naturelle) auszeichnete. Richelieu differenzierte schließlich zwischen angeborener (vaillance naturelle) und reflektierter Tapferkeit (vaillance raisonnable). Damit wählte Richelieu, der das Reforminstrument der Legion in Erwägung gezogen hatte, eine Konzeption militärischer Elite(-bildung), die dem Hierarchie- und Aufstiegsmuster der römischen Legion und dem holländischen Reglement, wie es konzeptuell durch Saumaise, den an Lenormant anschließenden anonymen Autor1234 und Rohan eingebracht wurde, diametral entgegenstand. Im Verhältnis zwischen Richelieu, der französischen Krone und Rohan spielte einerseits die Theorie und die ihr inhärente rhetorische

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Vgl. Arlette Jouanna: L’ide´e de race en France au XVIe`me sie`cle et au de´but du XVIIe`me sie`cle. 1498–1614, The`se Paris IV 1975, 3 Bde., Paris 1976. Vgl. Ms. f. fr. 666, fol. 52: »Les grands Seigneurs de France ne peuuent Jamais aquerir grande perfection en guerre: Car si sa Maieste ordonne un General d’arme´e, plusieurs de plus grande qualite´ par ambition ne veulent seulement aller auec leur train dans cette arme´e apprendre le deuoir et exprience militaire. […] Et pour remedier aux Princes et Seigneurs qui par frequentation des arme´es a` cause de leur qualite´ plus grande que celle du General de l’arme´e, sa Maieste´ y peut mettre reglement pris sur l’ordres des guerres de Hollande soubz la conduite du Prince Maurice ou les Princes et Seigneurs estrangeres arriuoient de plusiuers endroits auec leur train pour paruenir a` de grandes cognoissances et perfections de guerre a` l’exemple de ce prince: Que l’imitation de celuy cy le reglement sera aise´ en France: Car les princes, ducs, pairs, &c. doiuent aller de degre´ en degre´ selon leurs qualitez: Mais le General vertu de sa patience doit commander a` toute l’arme´e. Notez Icy que l’on n’aquerit jamais grande perfection dans une arme´e, si elle n’est bien ordonne´e, exerce´e et conduite par vn general bien scauant en theorie et pratique de guerre, comme estoit Epamonondas (sic), Philippe Roy de Macedone, Scipion l’Africain, Cesar, le Prince Maurice, Amilcar Carthaginois.«

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Strategie eine wichtige Rolle,1235 andererseits kam diese wiederum den strategischen Konzeptionen des Kardinals entgegen, der kaum über die strukturellen Kapazitäten und die ökonomischen Voraussetzungen eines Krieges verfügte und sich auf die vorhandenen militärischen Eliten des Landes, d. h. den Schwertadel und de facto seinen Klientelverband stützen musste. Richelieu hingegen bemühte ein im Verhältnis zu den humanistischen Vorstellungen antiquiertes Ritterideal. Die noblesse d’e´pe´e mit ihren feudalen Werten gilt als Instrument eines absolutistisch gelenkten Staates, um zu konservieren und zu zügeln. Die Tapferkeit (vaillance) war der militärwissenschaftlichen Polybios-Rezeption und generell der römischvegetischen disciplina unbekannt. Sie verweist vielmehr auf eine nach nicht wissenschaftlichen Kriterien, d. h. den Kriterien der disciplina oder scientia militaris, vorgehende Art der Kriegführung.1236 Bei Brantoˆme rangierte die Tapferkeit (vaillance) mit ihren unterschiedlichen Nuancen an erster Stelle der Tugenden, die aus einem capitaine einen nützlichen Diener der Monarchie machen.1237 Das Mittel militärischer Reformen sah Richelieu nicht in einer Umstrukturierung der französischen Militärverfassung nach dem Modell der römischen Legion, darin inbegriffen der Dichotomie des militärischen Ethos, sondern in einem soldatischen Leitbild, das von dem Gedanken einer auf ein hierarchisch undifferenziertes Soldatenbild bezogenen Verhältnisbestimmung unterschiedlicher mentaler Dispositionen bestimmt ist. Im Verständnis Richelieus ist der Adel angeboren; die Disposition zum Kriegführen ist naturgegeben: Il n’y a personne qui ne comprenne aise´ment qu’il y a diffe´rence entre les esprits qui montent en haut par leur nature et les plus grossie`res parties des corps qui demeurent en bas. L’excellence de la noblesse qui cherche la guerre volontairement sont ces esprits qui montent en haut, estimez de tout le monde, et celle qui n’y va que par la ne´cessite´ des loix du royaume est, sinon la lie, au moins le vin qui est au-dessous de la barre, qui sent le bas et dont on fait si peu de cas qu’a` peine peut-il servir pour des valets.1238

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Quentin Skinner hat nicht zu Unrecht auf die der Rohanschen theoretischen Aktivität inhärente rhetorische Strategie verwiesen. Vgl. Hobohm: Machiavellis Renaissance, Bd. 2, S. 402: »Die Landsknechte und Schweizer verfügten über keine Disziplin im wissenschaftlichen Sinne des Wortes, im Geiste Scipios oder Friedrichs des Großen. So sehr beruhte die Festigkeit dieser taktischen Körper auf den einfachsten Antrieben und Erfahrungen der natürlichen Tapferkeit.« Vgl. auch Denis E. Showalter: Caste, Skill, and Training. The Evolution of Cohesion in European Armies from the Middle Ages to the Sixteenth Century, The Journal of Military History, 57, 3 (1993), S. 407–430. E´tienne Vaucheret: Le grand capitaine selon Brantoˆme. In: Le soldat, la strate´gie, la mort. Me´langes Andre´ Corvisier, publie´ avec le concours du Centre National des Lettres, Paris 1989, S. 32. TP, S. 303.

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Die Mittel hierfür stützen sich nicht in erster Linie auf das griechischrömische oder gar ein neustoisches Modell der Heeresorganisation, sondern allenfalls auf die horizontale Ausdeutung des Verhältnisses von physischer und mentaler Stärke und Geist, von arma et litterae. Vergleichbar Naude´, der die arma et litterae-Rhetorik mit der Organisationseinheit der compagnies d’ordonnances und nicht der Legion verband, wählte Richelieu die Organisationseinheit der compagnies des gens d’armes, plädierte für die Wiedererrichtung des arrie`re-bans und einer dem Schwertadel vorbehaltenen Adelsakademie, in welcher der körperlichen und der geistigen Ausbildung gleichermaßen ein Platz eingeräumt wird. Nicht das Paradigma der römischen militia, sondern die Organisation einer Klientelarmee, setzte sich schließlich bei Richelieu durch, nicht zuletzt weil dieses mit den politischen Kapazitäten und infolgedessen auch den politischen Vorstellungen des Kardinals korrespondierte. Für die Entwicklung der militärtheoretischen Vorstellungen Richelieus bleibt zudem festzuhalten, dass dieser in der Abwägung der materiellen gegenüber den anthropologischen Momenten letzteren den Vorrang einräumte. Die Bedeutung der Disziplin rangiert vor den – beispielsweise im Hauptwerk des politischen Neustoizismus aufgeführten – materiellen Komponenten der Kriegführung, die erst eine nach ökonomischen Kriterien (die der primäre Garant des taktisch-strategischen Erfolgs sind) rationale Kriegführung ermöglichen. Die Rationalisierung der Kriegführung bedeutete im Denken Richelieus nicht in erster Linie eine Gefügigmachung der militärischen Eliten und Soldaten nach bestimmten taktischen Prinzipien, sondern eine Kriegführung nach ökonomischen Grundsätzen, nach denen sich die Rationalität der Truppen zu richten hatte. Das Konzept und die Methode des Drillens nach De Gheyn mag hierfür weniger bedeutsam sein als andere Konzepte, die Versorgung der Truppen und die strategischen Bewegungen, bei der die Verschanzung, wie bei Rohan, eine bedeutende Rolle spielte. In letzter Konsequenz bedeutet dies für die Taktik und die Strategie, dass es auf die richtige Verwaltung der materiellen und humanen Ressourcen ankommt.1239 Vorherrschend in Richelieus militärischem Denken scheint jedoch die Idee der Proportionalität oder Verhältnismäßigkeit gewesen zu sein, wie 1239

Ebd., S. 295f.: »Pour bien faire la guerre, ce n’est pas assez que de bien choisir l’occasion, que d’avoir bon nombre de gens de guerre, abondance d’argent, de vivres et de munitions, le principal est que les hommes soient propres a` ce a` quoy ils sont destinez, qu’on sache les contenir en discipline, les faire vivre avec re`gle et qu’on de´pense son argent, ses vivres et ses munitions a` propos. Il est aise´ de donner ces pre´ceptes ge´ne´raux, mais la pratique en est difficile, et cependant, si elle est ne´glige´e, le succez d’une guerre ne sc¸auroit estre heureux que par hazard ou par miracle, a` quoy les gens sages ne doivent jamais s’attendre.«

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es sich auch in strategischen Bereichen zeigt und wie es auch sein Projekt einer für die Konsolidierung des Schwertadels bestimmte Militärakademie vorführt. Tatsächlich trat das Theorem der Proportionalität als allgemeine Kategorie des militärtheoretischen Denkens Richelieus auf. Proportionalität Der Gedanke der Proportionalität bezieht sich bei Richelieu nicht bloß auf die militärische Anthropologie, sondern auf die Militärtheorie im Allgemeinen. Im Unterschied zu Lenormant und Saumaise, die den Kreis als räumliche Leitkategorie der strategischen Doktrin annahmen,1240 war das militärtheoretische Denken Richelieus insgesamt von dem Gedanken der Proportionalität geprägt. Im politischen Testament des Kardinals spiegelt sich die militärtheoretische Rezeption des antiken Modells. Die Alten haben mit Recht bemerkt, dass die wahre Stärke der Plätze in den Menschen bestehe. Alle Festungen sind daher untauglich, wenn der Gouverneur und die officiers, die einen Platz befehligen, nicht über ebenso viel Mut verfügen wie die Remparts, und wenn die Anzahl der Männer nicht proportional zur Größe des Platzes und der Quantität der zu verteidigenden Teile ist.1241 Ergänzt sah Richelieu diese Maxime, die Momente mathematisch-logischen Denkens integriert, durch die Erfahrung (expe´rience). Die Erfahrung habe gelehrt, dass die kleinsten bicoques uneinnehmbar sind aufgrund der Standhaftigkeit (fermete´) und des Mutes (courage) derjenigen, die sie verteidigen, und dass die besten Zitadellen nur wenig Widerstand zu leisten vermögen, wenn der Mut der Belagerten sich nicht proportional zu deren militärischer Stärke verhält.1242 Wurde dieser Diskurs von Naude´ und Richelieu um die richtige, das heißt verfassungstheoretischen Überlegungen adäquate, Proportion zwi1240

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Die ursprünglich kosmisch begründete anaky´klosis (ana-cyclos) wird die auf die territoriale (Lenormant) und strategisch-funktionale (Saumaise) Kategorie des Kreises (Cyclos) übertragen. Ein möglicher weiterer Ursprung ist die augustinische Lehre von dem inneren Kreis des Herrschers und dem weiteren Kreis des demos, wie sie bei Erasmus aufgegriffen wurde und ihrem Ursprung nach stoisch erscheint. TP, S. 291: »Les anciens ayant remarque´ fort a` propos que la vraye force des places gist en celle des hommes, je ne puis que je ne dise ensuite que toutes les fortifications sont inutiles si le gouverneur et les officiers qui commandent dans une place n’ont le cœur aussy fort que ses murailles et ses remparts, et si le nombre des hommes n’est proportionne´ a` la grandeur de la place et a` la quantite´ des pie`ces qu’il faut deffendre.« Ebd., S. 292f.: »L’expe´rience nous a fait voir en diverses occasions que les moindres bicoques se trouvent imprenables par la fermete´ du courage de ceux qui les deffendent, et que les meilleures citadelles ne sont pas de grande re´sistance quand ceux qui sont dedans n’ont pas le cœur proportionne´ a` leurs forces.«

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schen arma et litterae beherrscht und nicht nur von der Dichotomie zwischen Befehlenden und Gehorchenden, so war dieser Gedanke sowohl der Lipsianischen als auch der Oranischen Militärtheorie fremd. Vor allem die Saumaissche Militärtheorie scheint geprägt von einem vertikalen, hierarchischen Muster dieser Aufteilung. Der Intellekt ist das Monopol des Offiziers, während die Physis und die physische Manipulierbarkeit des Soldaten, die dem Ausbildungsziel des Drillens entspricht, als das Spezifikum des Soldaten gilt. In der Systematik von Saumaise, dem es im Unterschied zu Lipsius infolge seines fundamentalen theoretischen Bruchs mit Vegetius gelang, eine Trennung von Disziplin und Kriegskunst herbeizuführen, artikulierte sich dieses von Lipsius angerissene Muster in einem verhältnismäßig geschlossenen militärtheoretischen System. Auch der erneute Syntheseversuch hat, obgleich er in wesentlichen Elementen an das Lipsianische System anschloss, nur insofern Berührungspunkte mit den Vorstellungen von Richelieu, als dieser sich für eine Reform der Militärverfassung nach dem Modell der römischen Legion interessierte. Sobald dies jedoch aus konservativen Gründen aufgegeben wurde, wurde auch die militärtheoretische Systematik und die weitere, damit einhergehende Systematik obsolet. Nicht mehr der Feldherr mit seinen Kompetenzen im Truppenexerzieren und Kenntnissen der taktischen Theorie war gefragt, sondern eine soldatische Ideologie, die auf einer Tugendlehre, einer in erster Linie mentalen Prägung gründete, die nicht in Widerspruch zu traditionellen Wertvorstellungen, den Prärogativen des Adels und den Eigeninteressen der französischen Monarchie stand. Die Errungenschaften der militärischen Revolution als einer taktischen Revolution, deren Modernisierungspotential Saumaise eigentlich erst theoretisch-humanistisch assimiliert hat, fanden in dieser Entscheidung für eine Beugung des soldatischen Leitbildes unter die strukturellen Gegebenheiten der französischen Militärverfassung keine adäquate theoretische Antwort. Es liegt demnach kein Transfer politischer Theorie (politischer Neustoizismus) vor, sondern eine differenzierte Übernahme militärtheoretisch-humanistischer Positionen im Rahmen eines von regierungstechnischen Überlegungen geprägten Traktats, das in einer für Richelieu innen- und außenpolitisch prekären Lage verfasst wurde. Im Sinne dieser Regierungstechnik wurden die aus dem Bereich der hugenottischoranischen Kultur stammenden theoretischen Grundlagen einer Militärverfassung, die auf eine Miliz-Verfassung zielen, abgewiegelt. An die Stelle einer taktischen Reform der französischen Ordonnanz nach dem polybianischen Modell trat zunächst ein vom italienischen militärischen Humanismus und der vegetischen disciplina militaris geprägtes Bildungskonzept – um schließlich in einem geradezu ›antihumanistischen‹ militärischen Elitenkonzept zu münden (vaillance naturelle).

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Insbesondere das regierungstechnische Programm Richelieus ist ein Zeugnis dafür, wie aus einer kaum gefestigten Position in einem Klientelverband heraus die Organisation der Kriegführung eines strukturschwachen Staates erfolgte. Gleichzeitig führt es die Grenzen konzeptueller Gestaltung des Militärs vor Augen: das taktisch verfeinerte und im Sinne einer Differenzierung der Kommandostruktur ausdifferenzierte römische Legionsmodell, das den philologisch-kritischen Erkenntnisstand antiker taktischer Theorie assimilierte, wurde auf diesem Hintergrund als nicht realisierbar erachtet. Es erscheint geradezu als historisches Paradox, dass die Konzeptionen einer scientia militaris und eines me´tier de la guerre im Zusammenhang einer klientel-machiavellischen Form der Kriegführung relevant wurden. Somit rettete Richelieu ideologisch die Werte einer militärischen Feudalverfassung. Dafür sind nicht nur regierungstechnische Überlegungen der Grund, sondern auch der tendenziell konservative Duktus seiner politischen Konzeptionen. Dieser fand in seiner militärischen Anthropologie einen Niederschlag, die sich gleichermaßen als kompatibel mit der augustinischen Anthropologie und mit dem Konzept der noblesse de race erwies. Hinsichtlich seiner Vorstellungen militärischer Anthropologie fiel Richelieu stellenweise hinter die disciplina, die eine militärisches Ethos in Verbindung mit einer Theorie der Kriegführung impliziert, zurück, indem er die in der Natur gründende, der noblesse de race angeborenen Kampfdisposition mobilisierte. C) Disziplinierung der noblesse d’e´pe´e Projekt einer Militärakademie (1637) Das Projekt der Militärakademie schreibt sich in die französische Akademiebewegung ein. Das legt nicht zuletzt die unmittelbare Folge der zwei Projekte in dem Sammelband 550 der Collection Dupuy nahe, der 1641 fertiggestellt wurde.1243

1243

Dupuy 550: Recueil de Me´moires juridiques et historiques, de 1225 a` 1640 environ. Documents relatifs a` l’Acade´mie Franc¸aise: lettres de fondation, statuts, etc., 1635 (fol. 137) Projet de fondation, par le cardinal de Richelieu d’une Ecole militaire, 1637 (fol. 145); Originaux et copies. XVe, XVIe, XVIIe sie`cles. Papier et parchemin, 224 feuillets, »1641«; Laurence Brockliss (Richelieu, Education, and the State. In: Bergin, Brockliss (Hg.), Richelieu and his Age) bezieht sich nicht auf dieses Dokument, sondern auf eine Handschrift im f. fr. der Bibl. nationale: f. fr. 18828, fol. 436–46, ›De´claration du roy portant establissement d’une acade´mie et colle`ge royal en la ville de Richelieu‹ (1641) und auf ein bei Isambert abgedrucktes Projekt (Isambert, xvi, S. 466–70, ›Re´glement du cardinal de Richelieu pour la fondation d’une e´cole militaire a` l’usage de la jeune noblesse‹, das 1636 datiert).

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Im Januar 1635 hatte der Kardinal Richelieu die Acade´mie Franc¸aise gegründet, bei der es sich im Unterschied zu ihren Vorgängern um eine staatliche Institution handelte. Zwei Jahre später entstand das Projekt Richelieus eine Militärschule respektive Adelsakademie in der Rue du Temple in Paris zu errichten, für das er einen ausführlichen Plan skizzierte, der detaillierte finanzielle Rahmenvorstellungen beinhaltet.1244 Im Mercure franc¸ois ist zu lesen, dass der cardinal de Richelieu 1636 eine Acade´mie Militaire gründete. Es handelte sich im Gegensatz zu der 1639 gegründeten Ausbildungsanstalt für die Infanterie um eine elitäre Einrichtung, die aus den gentilhommes gebildete Generäle und geschickte Diplomaten machen sollte.1245 Richelieus Bestreben, dass die noblesse d’e´pe´e eine humanistische und philosophische Bildung erhält, rührte von seiner Paranoia im Hinblick auf die politische Stabilität her. Es war daher entscheidend, dass de noblesse d’e´pe´e und nicht nur die robe oder adelige Kirchenmänner eine klassische Bildung erhielten.1246 Im Vordergrund des Akademieprojekts stand die Bildung des niederen Adels in den Provinzen, die sich wesentlich auf die Vermittlung militärwissenschaftlicher Grundlagen bezog. Nicht das Drillen der Soldaten nach den Exerziervorschriften De Gheyns stand dort im Vordergrund. Vielmehr schloss sie, wie die Acade´mie de Pluvinel,1247 an das 1244

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Dupuy 550, ›Projet de fondation, par le cardinal de Richelieu, d’une Ecole militaire‹: ›Proiet en l’an 1637. par Monseigneur le Cardinal de Richelieu, pour l’Entrenement de uingt Gentilshommes aux Exercices militaires & pour apprendres les mathematiques l’histoire et autres Sciences, deux ans durant, A quoy il destine uint et une mille liures de Rente annuelle.‹; Nach Madeleine Foisil (DGS, S. 1340) datiert die tatsächliche Einrichtung einer acade´mie royale pour l’apprentissage des armes, de la fortification, des mathe´matiques 1635; vgl. De la Barre Duparcq: Richelieu Inge´nieur, S. 7: »Si nous en rapportons au projet d’une Acade´mie militaire dicte´ par Richelieu en de´cembre 1636, pour e´tendre et comple´ter l’Acade´mie fonde´e sur sa proposition dans la vieille rue du Temple, ils comprenaient l’e´quitation, la voltige, l’escrime, les mathe´matiques et les fortifications [Anm.: On devait y enseigner aussi la logique, la physique, la me´taphysique, la morale, la ge´ographie et l’histoire. Le projet de cet e´tablissement, reproduit a` la page 722 du tome V des Lettres et papiers d’Etat de Richelieu, ne parle pas de fortification.]; mais avant l’e´poque pre´cite´e et surtout au temps ou` Richelieu achevait son temps d’Acade´mie, c’est-a`-dire vers 1602.« Mercure franc¸ois, T. XXI, 278, zitiert in: Dussieux: L’arme´e en France, Bd. 2, S. 70. Brockliss: Richelieu, Education, and the State, S. 240. Vgl. Cornette: Le roi de guerre (22000), S. 163: Der junge Ludwig XIII. wurde in die Reitkunst durch Antoine de Pluvinel eingeführt, der 1594 eine in der Rue Saint-Honore´ befindliche, nach dem italienischen Modell errichtete Akademie gründete, die der Vervollkommnung der Erziehung des jungen Adels dienen sollte.; D. A. Parrott, Richelieu’s Army, S. 39f.: Parrott hat einen weiteren Beleg für das Bestreben Richelieus eine Militärakadamie zu begründen aufgefunden. (Avenel, v. 721–3, [1636], ›acade´mie pour mil gentilshommes‹ – 400 für die Kirche, 600 für den Militärdienst; Richelieu wiederholte hier einen Vorschlag, der von der Assemble´e des notables 1626 gemacht wurde: John Rigby Hale: The Military Edu-

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militärische Ausbildungsideal des italienischen Humanismus an, das den Schwerpunkt auf die individuelle Ausbildung legte. Brockliss hat darauf verwiesen, dass im Lauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein neues Konzept des gentilhommes auftrat, das auf dem Libro del Cortegiano (1528) von Baldassare Castiglione gründete, allmählich in Frankreich eindrang und in die Gründung der Akademie von Pluvinel mündete.1248 Es liegt nahe, dass das Interesse an den militärwissenschaftlichen Quellen und ihre erneute Verarbeitung in militärwissenschaftlichen Synthesen in dieses sich auch institutionell manifestierende militärwissenschaftliche Interesse Richelieus fiel. Das militärtheoretische Interesse Richelieus und der französischen intellektuellen Eliten, der politiques oder Pedanten, kann, so die These, in die französische Akademiebewegung eingeordnet werden,1249 an deren Rand sich nicht nur Saumaise, sondern auch Fabert bewegten respektive deren Militärtheorie die spezifische in diesen Kreisen entstehende Militärtheorie war. So ist einem der Patente zu entnehmen: Cest pourquoy luy ayant fait connoistre nostre intention, il nous a represente´, qu’une des plus glorieuses marques de la felicite´ d’un estat, estoit que les sciences et les arts y fleurissent, & que les lettres y fussent en honneur, aussi bien que les armes, puisqu’elles sont vn des principaux instruments de la vertu.1250

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cation of the Officer Class in Early Modern Europe. In: ders., Renaissance War Studies, London 1983, S. 246 n. 85; vgl. auch Parrott: Richelieu’s Army, 39f.: Es gab sicherlich Akademien in Frankreich für die adeligen Söhne, deren Hauptanliegen traditionell war, da sie auf die individuellen praktischen und theoretischen Fähigkeiten, die einem jungen Adeligen ziemten, der inter alia als Offizier in der Armee des Königs kämpfen konnte, angelegt war. Antoine de Pluvinels Akademie bietet das klassische Beispiel einer solchen Institution, die den adeligen Studenten in erster Linie persönliche militärische Fähigkeiten vermitteln sollte. Etwas Militärwissenschaft (Waffenhandhabung, Festungsbau, Truppenaufstellung) wurde gelehrt, aber es gibt nur wenig Anhaltspunkte dafür, dass die Akademie ein Weg war, über den die oranischen Reformen nach Frankreich importiert wurden; vgl. auch Maria Platte: Die ›Maneige Royal‹ des Antoine de Pluvinel (Wolfenbütteler Forschungen, 89), Wiesbaden 2000. Brockliss: Richelieu, Education, and the State, S. 241. Daniel Oster: L’Acade´mie franc¸aise, Paris 1964; Norbert Conrads: Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 21), Göttingen 1982; Reinhard Krüger: Der honneˆte-homme als Akademiker. Zu Nicolas Farets ›Projet de l’Acade´mie‹ 1634. In: Klaus Garber, Heinz Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Bürgerlich-gelehrte Organisationsformen zwischen Renaissance und Revolution (Frühe Neuzeit, 26/27), Tübingen 1996, Bd. 2/1, S. 348–409; Marc Fumaroli: Le Cardinal de Richelieu. Fondateur de l’Acade´mie franc¸aise. In: Andre´ Tuilier (Hg.), Richelieu et le monde de l’esprit (exposition, Paris, Sorbonne, November 1985), Paris 1985, S. 217–235. Dupuy 550, Documents relatifs a` l’Acade´mie Franc¸aise: lettres de fondation, statuts, etc., 1635, fol. 137.

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Die Waffen sind die Hauptmittel zur Erlangung der Tugend. Diese Adelsakademie hatte nicht in erster Linie das Exerzieren im Auge, sondern die Domestizierung respektive Reform des verarmten Adels nach den Prinzipien der Vernunft und auf der Grundlage einer gleichsam synthetischen oder dialektischen Verbindung von arma et litterae.1251 Dass es dabei nicht um die Ausbildung des einfachen Soldaten ging, sondern um eine Adelsakademie, bezeugt nicht zuletzt die Rolle die Richelieu den Lettres, den litterae in der Gesellschaft einräumte. Richelieu rückte mit seinem Bildungskonzept in die Nähe von Naude´. Die beiden Gelehrten Naude´ und Saumaise reichten allerdings, losgelöst von den unmittelbaren Erfordernissen praktischer Politik, in ihrer Modernität über die Vorstellungen in Richelieus politischem Testament hinaus und näherten sich der geschichtlichen Problemlage der militärischen Revolution, die eine taktische und technische war und zu einer Veränderung der Anforderungen an militärische Kompetenzen führte.1252 Am ehesten war das Bildungsideal Naude´s kompatibel mit dem militärisch-anthropologischen Leitbild und den militärwissenschaftlichen Anforderungen Richelieus. Gleich Naude´ neigte Richelieu Machiavelli zu.1253 Die Errichtung der Akademie steht im Zusammenhang mit dem Reformbedarf des Adels. Der Adel habe in diesem durch einen Frieden beendeten Krieg bewiesen, dass er der Erbe der Tugenden seiner Vorfahren sei, der Caesar veranlasst habe, ihn vor allen anderen zu bevorzugen. Man müsse diesen disziplinieren, so dass er erneut seine beste Reputation erlangen könne, um dadurch zum Nutzen des Staates (e´tat) zu dienen.1254 Ein Defizit sah Richelieu in der Soldatenausbildung, zu 1251

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Ebd., fol. 147. »Que les Armes et les Lettres estans germains, et comme inseparables, toutes deux esgalement requises a` l’establissement et conseruation des grands Empires: Celles cy pour regir et ciuiliser au dedans Celles la pour estendre et proteger (sic) au dehors.« Vgl. zur Bedeutung der militärischen Revolution für die ideologischen Optionen französischer Eliten Rowlands: The ethos of blood and changing values?, S. 99: Zwischen dem 14. und 16. Jh. führten Faktoren wie militärische Spezialisierung, die Konjunktur des Festungskrieges und das Auftreten gut organisierter Söldnerheere zu einer Entmilitarisierung eines großen Teils des Adels, der damit seine Rolle verlor. Dennoch wurde mit der Intensivierung des Bürgerkriegs in den frühen 1590er Jahren und der engen Identifizierung des Adels mit der militärischen Macht eine Identifizierung von Anti-Kriegsgefühlen und Ablehnung des Adels hervorgerufen. Corvisier: Histoire militaire de la France, Bd. 1, S. 334: »Richelieu devait confier au chanoine Louis Machon le soin de re´diger une Apologie de Machiavel ou la politique des rois et la science des souverains reste´es manuscrite, destine´e a` re´concilier machiave´lisme et christianisme et justifier l’alliance qu’un prince d’Eglise pouvait eˆtre amene´ a` conclure avec des Etats protestants.« TP, S. 150: »La noblesse ayant te´moigne´ en la guerre heureusement termine´e par la paix qu’elle estoit he´ritie`re de la vertu de ses anceˆtres, qui donna lieu a` Ce´sar de

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deren Reform er bei der Ausbildung der militärischen Eliten ansetzte. Es mangele an disziplinierten, beständig ihre Pflicht erfüllenden Soldaten. Noch mehr aber mangele es an Befehlshabern, die über die notwendigen Qualitäten verfügen. Beiden Missständen müsse man begegnen.1255 Errichtung von compagnies de gens d’armes Der Vorschlag einer Adelsakademie entsprang demselben Impuls einer Zivilisierung des für Revolten anfälligen Adels wie die im politischen Testament vorgetragene Errichtung von 50 companies de gens d’armes und eine gleiche Anzahl von Kavallerietruppen, die in den Provinzen unterhalten werden sollten. Richelieu legte dem König zur Abschaffung der Unordnung die Errichtung von fünfzig Kompanien gens d’armes und eine gleiche Anzahl chevaux le´gers nahe, die in den Provinzen unterhalten werden, womit der Bestand des Adels gewährleistet werden könne.1256 Die strukturelle Schwäche der französischen Monarchie bedingte, dass Richelieus Konzeption einer Militärverfassung und seine Auffassung von der Befehlskultur konservativen Mustern folgten.1257 Letztendlich wirkte sich die Struktur des Krieges und die Befangenheit Richelieus hemmend für die Einführung moderner, d. h. professioneller Methoden der Kriegführung und die damit verbundene Umformung des militärischen Leitbildes aus. War die Militärtheorie und das militärische Organisationsmodell Saumaises eine theoretische Synthese der von den Nassau-Oraniern in den 1590er Jahren gesteckten militär-

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la pre´fe´rer a` toutte autre, il est besoin de la discipliner en sorte qu’elle puisse acque´rir de nouveau pour conserver sa 1e`re re´putation et que l’Estat en soit utillement servi.« Ebd., S. 306: »Or, parce que nos (sic) manquons de soldats bien disciplinez, fermes et constans en leurs devoirs, nous manquons encore plus de [chefs] qui ayent les qualitez qui leur sont ne´cessaires. Ce n’est pas assez de remedier a` l’un de ces de´faut, il faut aussy pourvoir a` l’autre.« Ebd., S. 151f.: »Si V. M. ajoute au re`glement qu’il luy plaira d’apporter a` ce de´sordre l’establissement de cinquante compagnies des gens d’armes et de pareil nombre de chevaux le´gers payez dans les provinces aux conditions qui sont cyapre`s spe´cifie´es, Elle ne donnera pas peu de moyen de subsister a` la noblesse qui se trouvera la moins aise´e.« Vgl. Parrott: Richelieu, the Grands, and the French Army, S. 172f.: »There were, of course, reasons other than the ambiguous relations with the high command for the relative lack of success of the French war-effort in the period after 1635: the chaotic state of the French finances, which allocated an ever-increasing proportion of the crown’s revenues to the servicing of loans contracted at high rates of interest; the universal problems of ensuring logistical support for the real burden of a major campaign and no clear conception of what this would entail. Yet in the face of problems whose scale reflected the unprecedented level and duration of military commitments, it is notable that Richelieu remained firmly within a world of traditional assumptions and practices about the nature of military command and the character of army organization.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

theoretischen Koordinaten, so bewegte sich Richelieu zeitgleich zu dieser Synthese und trotz vieler Reformversuche, die auf die Umgestaltung der französischen Militärverfassung nach dem Legionsmodell zielten, in dem in praxi immer herrschenden Mischsystem, wobei er im Unterschied zu einigen seiner Vorgänger die Wiederbelebung eines nunmehr taktisch reformierten Legionsmodells als militärischer Organisationseinheit ausschloss. Die strukturellen Defizite im Hinblick auf finanzielle Ressourcen und Militärverwaltung veranlassten Richelieu, sich auf seine Klienten oder fähige, reputierte Feldherrn zu stützen. Das impliziert eine Aufwertung des ingeniums, für das weniger die Polybios als vielmehr die CaesarTradition in Betracht kommt, und des Handlungsspielraums der Generäle, deren Loyalität gegenüber dem Staat gewährleistet sein musste. Der von Richelieu aus dem italienischen Exil zurückbeorderte Rohan kam damit dem spezifischen Anliegen Richelieus nach einer militärischen Elite entgegen, die aufgrund ihrer Kompetenz in der Kriegskunst die strukturellen Schwächen der französischen Monarchie hinsichtlich der Kriegführung kompensieren sollte. Rohan zählte zwar nicht zur Klientel des Kardinals, doch die Beauftragung einer Intervention im Veltlin und die Übernahme des Befehls über die Truppen der Graubündner und der französischen Regimenter ab 1631,1258 die Veröffentlichung des Parfaict capitaine in der Gazette, Sprachrohr der französischen Monarchie, und die Widmungen an den Kardinal in der zweiten Ausgabe von 1638 zusammen mit dem De l’Inte´reˆt des princes et des Etats, rücken dessen militärtheoretische Performanz in die unmittelbare Nähe der strategischen Ideologie des Kardinals. Seine persönliche Disposition, die von unbedingtem Aufstiegswillen geprägt war, entsprach dem Leitbild militärischer Eliten Richelieus. Dass der letzte Hugenottengeneral in dieser Aktion aufgeopfert wurde – 1637 machte ihn Richelieu für die Niederlage verantwortlich1259 –, zeigt die Grenzen dieser klientelen Form der Kriegführung auf. 1258

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Henri de Rohan: Veritable Recit de ce qui s’est passe´ au sousle`vement des Grisons pour la Restitution de la Valteline, Comtez de Chiauenna & de Bormio, A Paris, M.DC. XL, s.p.: »Puisque mes meilleures & plus sinceres actions en l’employ dont le Roy m’a honore´ depuis cinq ans, ont este´ sujettes aux me´disances de mes Enuieux, ie ne doute nullement qu’on ne trouue a` redire a` cette derniere; neantmoins ie me promets que toute personne vuide de passion, iugera que ie ne pouuois faire autrement, ny mieux pour le seruice de sa Majeste´, & la reputation de ses armes: Et afin de faire mieux comprendre cet affaire, ie veux remonter iusques a` la source.« TP, S. 78f.: »[...] une terreur panique de celuy qui commandoit vos forces dans la Valteline et l’infidelite´ de quelqu’un de ceux pour la liberte´ desquels vous les aviez prises vous firent perdre, et par laˆchete´ et par trahison tout ensemble les avantages que vous y aviez acquis par la force et par la raison.«

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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Die ›Inkubationsphase‹ für ein aktives Engagement im Veltlin ist mit der zögerlichen Haltung des Kardinals zu erklären. Von 1631 bis 1635 war die französische Politik in der Frage des Veltlins zurückhaltend und es erfolgten eine Reihe von Mobilisierungs- und Demobilisierungsbefehlen (das Misstrauen des Hofes gegenüber Rohan erklärt wohl teilweise dieses Zögern). Erst 1635 betrat Rohan tatsächlich das Schlachtfeld in Lothringen, wo er, bevor er ins Veltlin vordrang, die Armee von Karl IV. von Lothringen besiegte. Die Reformvorstellungen Richelieus zeugen von der ›feudalen Sonderstellung‹ Frankreichs und seiner militärisch kulturellen Sonerrolle. In Frankreich gab es bezeichnenderweise im Zusammenhang der Religionsund Bürgerkriege eine Akkulturation der noblesse d’e´pe´e an den Humanismus und in erster Linie das literarische Modell Caesars. In eben diesem Zusammenhang der Religions- und Bürgerkriege entwarf La Noue eine ›Mischtheorie‹ der französischen Militärverfassung, die auf die feudalen Momente nicht verzichten wollte. La Noue, der auch Guicciardini – ein Autor der als Gegenspieler Machiavellis betrachtet werden kann, da er die Praktizierbarkeit einer Wiederbelebung der militia unter modernen Bedingungen in Frage stellte1260 – mit annotiert hatte.1261 Diese findet sich in weit stärker ›feudalisierter‹ Form bei Richelieu wieder. Rohan schloss an die Caesar-Tradition an: er legte jedoch zumindest im Parfaict capitaine keine Me´moires d’e´pe´e vor, sondern eine Handlungstheorie für den General in Form eines narrativen Modells der Kriege Caesars für den Feldkrieg. Damit ließ er den militärischen ›Bürgerhumanismus‹, wie er von Bruni und Machiavelli geprägt wurde, endgültig hinter sich.1262 Kennzeichnend insbesondere für die Reformvor1260 1261

1262

Vgl. Bayley: War and society, S. 288. Vgl. James J. Supple: Les annotations de Franc¸ois de la Noue sur l’Histoire des Guerres d’Italie de Guichardin. In: Gabriel-Andre´ Pe´rouse, Andre´ Thierry, Andre´ Tournon (Hg.): L’homme de guerre au XVIe sie`cle. Actes du Colloque de l’Association RHR, Cannes 1989 (Publications de l’Universite´ de Saint-E´tienne), SaintE´tienne 1992, S. 61–69. Bayley: War and society, S. 198: »The intimate relation between military power and the forma civitatis was further displayed, in Bruni’s opinion, by the history of his great political exemplar, the Roman republic. The great debate over the deciding cause of the downfall of the republic hinged on the historical role of Julius Caesar. Bruni’s mentor Salutati had followed Tacitus in affirming that the republic was torn so irremediably by faction that the domination of Caesar was virtually a saeva necessitas. Bruni rejected this conclusion, and shared the belief of Sallust that republican institutions had not decayed bayond hope of regeneration when Caesar struck them down vi et armis. Party conflict in Rome had thus provided an opportunity for ambitious generals like Caesar to intervene in domestic affairs, and to establish a masked dominatio which was the constitutional reflection of their great military power. In brief, the transformation of the citizen militia into a professional army exclusively devoted to its leader had refashioned the state and set it in the mould of a rigid military autocracy.«

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II. Die Revision der Tradition der taktischen und strategischen Theorie

stellungen Richelieus ist, dass sie sich zwischen militärischem Akkulturationsmodus und institutionellem Reformmodell bewegten. Diesem Anliegen entsprach auch das militärwissenschaftliche Schrifttum von Henri de Rohan. D) Die strategischen Konzeptionen Richelieus Die strategischen Reflexionen Richelieus basierten auf einer Geometrie der Macht, einem geometrischen Satz (Axiom), zwischen dem Verteidiger und dem zu Verteidigendem. Richelieu folgerte, dass es sicher sei, dass man keine geringen Kräfte benötige, um einen so großen Körper wie die französische Monarchie zu behaupten.1263 Das politische Testament Richelieus entstand erst nach dieser auf eine offensive Kriegführung drängenden politischen Rhetorik und das damit in Verbindung stehende theoretische Arsenal der beiden Militärs. Sein TP1264 wurde nach dem offenen militärischen Eingreifen Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg niedergeschrieben. Es finden sich darin nicht die Theoreme einer offensiven strategischen Doktrin. Im TP ist zu lesen, wobei ein entscheidender Hinweis auf die Einordnung der Kriegspraxis, die Strategie der Gegner erfolgt: Die gegnerische Taktik bestehe in der Aushungerung und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen des Landes sowie im Angriff durch die Kavallerie und nicht wie früher durch einen Infanterie-Angriff. Die Grenzbefestigungen sind nicht nur einem solchen Vorgehen nützlich, sondern begründen das Wohl der Staaten, denn wenn die Gegner den Festungsgürtel ins Landesinnere überschritten haben, so sei ihnen die Kommunikation mit ihrem Land und mit dem gesamten Konvoi nicht mehr möglich.1265 Es sei nicht hinlänglich, die Plätze zu befestigen und sie für die Zeit auszurü1263

1264

1265

TP, S. 61: »proposition Ge´ome´trique, entre ce qui soutien, & ce qui est souˆtenu« und er folgert: »il est certain qu’il ne faut pas de me´diocres Force pour souˆtenir un si grand Corps, que celui de ce Royaume.« Vgl. Richelieu: Testament politique d’Armand du Plessis Cardinal duc de Richelieu, 3e e´dition, Amsterdam, Henry Desbordes, 1689, Vorwort, s.p.: »Pour le temps auquel cet Ouvrage a e´te´ fait, il est a` presumer qu’il y a travaille´ a` diverses reprises. Dans les premier Chapitre il conduit le recit des Actions du roy jusques en 1638. Cependant en d’autres endroits il partoit qu’il e´crivoit en 1635, puis qu’il ne donne alors au Roy que vingt-cinq ans de Re`gne.« TP, S. 290: »La nouvelle me´thode de quelques uns des ennemis de cet Estat estant plutoˆt de faire pe´rir par famine les places qu’ils assie`gent que de les emporter de vive force, et de ruiner plutoˆt le pays qu’ils attaquent par grand nombre de cavallerie que de s’y avancer de pied avec des corps d’infanterie conside´rable comme on faisoit anciennement, il est clair que les places frontie`res ne sont pas seulement utiles a` re´sister a` tels efforts, mais qu’elles sont le salut des Estats, au-dedans desquels il est impossible que les ennemis fassent de grands progrez s’ils laissent derrie`re eux des villes qui coupent et la communication de leurs pays et les convois tout ensemble.«

1. ›Une conception franc¸oise qui se produira en Hollande‹

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sten, während der sie einem heftigen Angriff widerstehen sollen, sondern sie sollten mit allem Notwendigen für mehr als ein Jahr versorgt werden, was eine ausreichende Zeit für die Hilfstruppen sei.1266 Dieser Gedanke schlug sich in der praktischen Politik des Kardinals nieder. So wurde der Service de l’intendance aux arme´es von Richelieu entworfen, der selbst im Juli 1635 zum Surintendant ge´ne´ral des vivres ernannt wurde. Die maıˆtres des requeˆtes wurden an die Armeen abgesandt, um die Versorgung und Verwaltung (police) der Truppen zu überwachen. Sie wurden dabei von den tre´soriers unterstützt, die ein Register des Personalbestands (effectifs) und der Märkte auf diesem Gebiet erstellten, wo Betrug und Täuschung gängige Praktiken waren.1267

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Ebd.: »Cette conside´ration m’oblige a` repre´senter que ce n’est pas assez de fortifier les places et les munir seulement pour le temps qu’elles puissent re´sister a` une attaque de vive force, mais qu’il faut qu’elles soient au moins fournies de toutes choses ne´cessaires pour plus d’un an, qui est un temps suffisant pour donner lieu de les secourir commode´ment.« Ebd.

Konklusion Erste These Der traditionsgeschichtliche Ansatz führt zu folgendem Resultat: Nicht der ›politische Neustoizismus‹ nach Justus Lipsius ist grundlegend für die Disziplin des modernen Militärs oder die ›oranische Heeresreform‹ als militärpolitisches Modell, sondern die in Machiavellis Schriften embryonal angelegte Erhebung von Vegetius und Polybios zu militärtheoretischen Methodenautoren sowie die allgemeine philologisch-historische und militärtheoretisch-antike Tradition waren der Angelpunkt im Transfer taktischer und strategischer Theorien im Späthumanismus. Zweite These Machiavelli legte nicht nur die perizia des Fürsten im Krieg nahe (Il principe) – eine Lehre, die in den 1630er Jahren in Frankreich als taciteisch identifiziert wurde und kaum Relevanz für die strategisch-taktische Paideia haben sollte – und mit der erstmaligen Verbindung vegetischer und polybianischer Heuristik einen neuen Typus von Strategie. Indem er die institutionellen Voraussetzungen der Kriegführung nach Polybios, Hist. VI und den ›prudentiellen‹ Gebrauch der militia, wie sie die Epitome des Vegetius nahelegen, verband, fügte er auch zwei unterschiedliche Heuristiken zusammen: Polybios VI und eine den römischen Militärtheoretikern Vegetius und Frontinus folgende Heuristik eines Verhaltens im Krieg (strategemata, disciplina). Der Feldherr ›verpflichtete‹ sich auf die historisch-empirische ›Normativität‹ polybianischer Mischverfassungslehre. Damit legte er die Grundlagen für die im Späthumanismus ausgebildete polybianische Strategielehre. Dritte These Die Militärtheorie und Kriegskunst von Moritz von Oranien, Wilhelm Ludwig von Nassau erweist sich als ein Teilkomplex in einem größeren Zusammenhang späthumanistischer Aneignung römischer und griechisch-byzantinischer militärtheoretischer Quellen. Gleich der französischen Militärliteratur unter Heinrich IV., in der sich eine Abkehr von

Konklusion

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der späteren italienischen mit dem vom Machiavellischen guerra campale abhebenden Militärliteratur findet, erwies sich dieser theoretischpragmatische Komplex als ein Übergangsphänomen. Abgesehen von den Methoden des Drills, vehikulierte die Reform der 1590er Jahre kein eigentliches ›System‹ militärischer Lehre. Vierte These Zu Beginn der 1630er Jahre traten im Hinblick auf eine offensive strategische Doktrin zwei unterschiedliche politische Sprachen und reflexivempirische Muster auf: Rohan, um nicht mit der französischen Staatsraisonskultur seiner Zeit in Konflikt zu geraten und sich die Gunst Richelieus und der französischen Krone zu erschreiben, hatte sich der politischen Sprache der Italiener bedient. Rohan griff mit dem Begriff des ›Interesses‹ (inte´reˆt) und dem parfaict capitaine (perfetto capitano) die politische Sprache italienischer ragione di stato respektive ein Muster italienischer militärischer Literatur auf. Lenormant artikulierte hingegen mit der Theorie der ›zwei Kreise‹ (Zweiter Punischer Krieg) das ›niederländisch‹-polybianische Analyseraster – eine für die militärische Kultur und die Verfassungstheorie der Niederlande kennzeichnende strategische Doktrin, die einen ›Denkrahmen‹ für die Kriegführung in der französischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs bereitstellte. Fünfte These Mit dem caesarischen Strategen und der Diagnose einer noch kaum erforschten griechischen Taktik verwies Rohan auf Forschungsdesiderate, die sich die französischen Gelehrten des Späthumanismus zu beheben anschickten. Sein theoretisch heterogener Parfait capitaine (disciplina-Konzeption) deutet zum einen auf das Rezeptionsverhalten der Militärs hin, zum anderen auf die theoretisch noch nicht hinlänglich assimilierten Grundlagen der Kriegführung, die Saumaise im Abre´ge´ de la milice des Romains zu beheben suchte. Dazu gehören auch die Theorie der Treffentaktik (triplex acies), die trotz Lipsianischer Quincunx offensichtlich noch keiner Lösung zugeführt worden war, der noch kaum erforschte ordo der Griechen, die Angleichung der holländischen Begriffe an die Struktur des französischen Militärs und die in beiden Ansätzen, dem von Lenormant und dem von Rohan, gegebene, offensive Doktrin.

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Konklusion

Sechste These Das Konzept der ›niederländischen Bewegung‹, wie es Gerhard Oestreich im Anschluss an Wilhelm Dilthey entwickelte, im Sinne eines kulturellen Diffusionsmodells, ist im Hinblick auf den Transfer militärischer Theorien problematisch. Der Text von Saumaise wurde als »conception franc¸aise qui se produira en Hollande« gehandelt: Diese schreibt sich in einen breiteren Forschungszusammenhang ein, dessen Wurzeln in der Orientierung des französischen Humanismus an den Griechischstudien zu finden sind und mit den prominenten Vertretern im Späthumanismus J. J. Scaliger, Isaac Casaubon und Claude de Saumaise die ersten philologisch-historischen Kritiker Lipsianischer Militärtheorie antreffen sollte. Siebte These Auch das Konzept des ›politischen Neustoizismus‹ als tragender Weltanschauung des Späthumanismus erweist sich als ungeeignet für die Erfassung militärtheoretischer Transferprozesse, gerät doch dabei die Konstituierung unterschiedlicher, sich von der Lipsianischen Militärtheorie und Klugheitslehre abhebenden militärwissenschaftlicher Entwürfe im Zusammenhang späthumanistischer Gelehrtenkultur (Cabinet Dupuy, Peiresc) und die Verlagerung des strategisch-politischen Zentrums der Kriegführung im Dreißigjährigen Krieg nach Paris aus dem Blickfeld. Kennzeichnend war nunmehr, dass der Antiquar Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, bei dem wichtige Fäden zusammenliefen und der eng mit dem Cabinet Dupuy vernetzt war, nicht wie Lipsius Deutungshoheit in militärwissenschaftlichen Fragen beanspruchte, sondern als ›Wissensorganisator‹ sowohl die hellenisch-polybianische Militärwissenschaft Saumaises als auch das im Schatten von Kardinalshaushalten, Akademie- und Bibliotheksgründungen entstandene militärwissenschaftliche Studienprogramm von Naude´ beförderte. Achte These Im Späthumanismus erfolgte im Rahmen sich wandelnder Konstellationen der respublica literaria in der die Rolle einer Autorität, wie sie der Ireniker Erasmus und der ›Polemologe‹ Lipsius einforderten, zugunsten einer Ausdifferenzierung der Wissensordnung und der Fassung antiker militärtheoretischer Tradition. Diese folgt unterschiedlichen Mustern, die bereits bei Machiavelli vorgezeichnet erscheinen: einerseits bildete sich ein (politisch-)militärischer Antiquarianismus nach Vegetius her-

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aus, andererseits erfolgte in der Tradition der Gattung der Paralleli militari die Parallelisierung des antik-römischen mit dem zeitgenössischen Militär unter Einbeziehung der griechischen taktischen Tradition. Neunte These Die disciplina-Konzeption des Lipsius wurde im Rahmen des Kulturtransfers in der nordwesteuropäischen respublica literaria keineswegs als ein neustoisch konnotiertes militärisches Ausbildungssystem und Organisationsprinzip eines modernen, professionalisierten Militärs reflektiert, sondern als ein der Vegetius-Tradition verhaftetes Theorem, das ein ›Verhalten im Krieg‹ und eine ›Lebensform‹ nahelegt. Die Lipsianische disciplina-Konzeption rückte näher an den ›klassischen Bürgerrepublikanismus‹, den vivere civile, eine politisch-militärische Lebensform und eine prudentielle Historie und politische Lehre, stellte aber weniger die Grundlagen für ein modernes Militär mit Kommandostruktur und Befehlskette bereit. Zehnte These Kritisierte Saumaise die Vegetius verhaftete disciplina-Konzeption Lipsius’, so machte Gabriel Naude´ dessen prudentia mixta zum Gegenstand seiner Kritik und forderte in Anlehnung an Aristoteles und Thomas von Aquin eine politische Habituslehre ein, die von einer zivilen und militärischen Akademielehre (doctrina academica, bibliographica polemica) sekundiert wird. Das komplementäre Wachstum von Waffen und Bildung (arma et litterae) korrespondierte mit einem baconschen Wissenschaftsbegriff im Sinne eines kooperativen Netzwerkes. Der Umformung aristotelischer Habituslehre entsprach im Syntagma eine Entwicklung des vegetisch-synchronen Paradigmas eines technischen Lehrbuches zum Studienprogramm und Archiv frühmoderner Militärwissenschaft. Elfte These Gegen die Argumentation der ›militärischen Revolution‹ ist die These in Anschlag zu bringen, dass es nicht in erster Linie der technische Wandel war, der über den kulturellen Transfer von Techniken und Methoden der Taktik entschied, sondern die historisch-philologisch fundierte politische Kultur und die nationalen Machtansprüche und die dem persönlichen Machterhalt folgende machttechnische ›Reflexivität‹ Richelieus. Die Reflexionen im politischen Testament Richelieus über militärpolitische Konzepte verleihen den gegen die ›militärische Revolution‹ ge-

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Konklusion

richteten Thesen von David A. Parrott und Guy Rowlands – demnach war die Armee noch unter Ludwig XIV. eine Institution, die das dynastische Interesse ebenso reflektierte wie das seiner privilegierten Untertanen – ihre ideengeschichtliche Tiefenschärfe.

Bibliographie

I. Quellenverzeichnis 1. Handschriften Bibliothe`que nationale –

– –

– – –

fonds franc¸ais 142, 485, 588, 592, 648, 651, 652, 654, 655, 658, 659, 663, 664, 666, 703, 706, 1014, 1233–1235, 1237, 1252, 1254, 1257, 1985–1987, 3758, 3929, 4102, 4106, 3758, 3762, 3930–3932, 4104, 4106, 4173, 4269, 5768, 7118, 9544, 9741, 12366, 12380, 12386, 12388, 12389, 14747, 15579, 16690–16695, 17834, 18817, 19104, 20007, 23039, 23042, 23246, 24259, 24265, 24423 fonds franc¸ais n. acq. 90, 1030, 5968, 2802 coll. Dupuy 248, 348, 364ter, 395, 404–406, 550, 583, 588, 632, 688, 706, 709, 746, 897, 836, 781–784 fonds latin 7241, 15466, 10364, 17918 (= fonds Bouhier 23) fonds grec 1385, 1774, 2435, 2442, 2443, 2445, 2446, 2524, 2528, 2529, 2539, 2540, suppl. 279 Chaˆtre de Cange´ Re´s F. 178 (= 20) Res. F. 181

Bibliothe`que de l’Institut –

coll. Godefroy 206

Bibliothe`que Mazarine 2626, 3734, 3735, 3737 II, 275, 375, 376, 377, 486 4020 D 2e pie`ce

Bibliothe`que Sainte-Genevie`ve 799, 1062

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I. Quellenverzeichnis

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Koninklijke Bibliotheek, Den Haag Ms 128 A–11, Ms 128 A–14, Ms 128 A–18, Ms 128 A–5, Ms 128 A–6, Ms 128 A 8, Ms 128 A 12, Ms 75 D 2, Ms 70 G 15, Ms 73 J, Ms 128 A 28, Ms 128 A 27, Ms (1)28 A 13, Ms 128 A 14, Ms (1)28 A 19, Ms 128 A 11, Ms 128 A 12, 128 A 20

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Henrion, Didier: Briefve instructions pour construire les fortifications pratiquees aux Pays Bas, Paris, s.n., 1621. Institution de la discipline militaire au royaume de France. A Treshault & Trespuissant Prince Antoine Roy de Navarre, Lyon 1559. Instruction prompte et facile, aux Parisiens, pour bien apprendre l’exercice du mousquet et de la pique, et les rendre parfaits en l’art militaire, Paris, Cardin Besongne, 1649. Junghans von der Olnitz, Adam: Kriegsordnung zu Wasser und Landt, Köln, 1590. La Fontaine, Sieur de: Les devoirs militaires des officiers de l’infanterie , Paris, Estienne Loyson, 1675. La Noue, Franc¸ois de: Discours politiques et militaires. Hg. v. F. E. Sutcliffe (Textes litte´raires franc¸ais, 132), Genf 1967. La Valle´e, Antoine de, Sieur de Montissuc: Parentheses, et documents militaires... Ensemble sont remarquees, & corrigees les erreurs commises par le Sieur de la Prugne dans son livre des Principes de l’Art militaire, Lyon, Barthelemy Ancelin, 1619. BN R–41079. Lenormant, Rene´, sieur Du Bois: Discours pour le restablissement de la milice de France, Rouen, Charles Osmont, 1632. Lostelneau, Colbert, Sieur de: Le Mareschal de bataille, Paris, Estienne Migon, Professeur e´s Mathematiques, & Imprimeur ordinaire du Roy pour le faict de la Milice, Paris, Antoine de Sommaville, 1647. Loyseau, Charles: Cinq livres du droit des officiers, Chaˆteaudun 1610. Machiavelli, Niccolo`: Die Kriegskunst in sieben Büchern nebst den kleinen militairischen Schriften; als Anhang Auszüge aus Quellenschriften zur Darstellung des Standes der Kriegskunst im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. In: Niccolo` Machiavelli’s sämmtliche Werke, Bd. 3. Übers. v. Johannes Ziegler, Karlsruhe 1833. – Arte della guerra e scritti politici minori. Hg. v. Sergio Bertelli. In: Niccolo` Machiavelli: Opere, Bd. 2, Mailand 1961. – The Art of War. Hg. v. Neal Wood, Indianapolis 1965. – L’art de la guerre ... L’Estat aussi et charge d’un lieutenant ge´ne´ral d’arme´e, par Onasander. Hg. u. übers. v. Jehan Charrier, Paris, J. Barbe´, 1546. – L’Art De La Gverre ...: Tres-vtile & necessaire a` tous Roys, Princes, Republiques, Seigneurs, Capitaines, Gentils-hommes, & autres suiuants les Armes; Traduict d’Italien en Franc¸ois, enrichy & augmente´ de Figures, De N. Machiavelle, Citoyen Et Secretaire de Florence; Be´thune, Maximilian de (Widmungsempfänger), Paris, Charles Chappellain, 1614. – Discours de l’estat de paix et de guerre, Paris 1635. BN FB–11184. Marolois, Samuel: Oeuvres mathe´matiques de Samuel Marolois, traitant de la ge´ome´trie et fortification, re´duites en meilleur ordre et corrige´e d’un nombre infini de fautes e´coule´es aux impressions pre´ce´dentes: la ge´ome´trie par The´odore Verbeeck, … et la fortification par Franc¸ois van Schoten, Amsterdam, G. J. Caesius, 1628. – Oeuvres mathematiques imp. Hagae Comitis per Henricum Hondius 1614. – Fortification ou architecture militaire. Hg. v. Albert Girard, Amsterdam, J. Janssen, 1627. En hollandais, ib., ib., 1627, 100 MeetConste verbetert door A. Girard, uitg. door E. de D., Amsterdam, Joan Jansz, 1629. – Fortification ou Architectvre Militaire tant offensiue que deffensive; Suppute´e et dessigne´e par Samvel Marolois. Reueüe Augmente´e et Corrige´e par Albert Girard Mathematicien, Amsterdam, Ian Ianssen, 1662. – Samvelis Marolois Mathematicorum sui seculi facile` principis Artis muniendi, sive fortificationis, pars prima: continens Locorum regularium munitionem defensivam atque offensivam perfectissimam, studio atque opera Alberti Girardi, Mathematici Cl. recognita & multis notis illustrata, Amstelodami, Joannis Janssonii, 1644. Mazarine 4816 A.

2. Gedruckte Quellen

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– Opera mathematica ou œuvres mathematiques traictans de geometrie, perspective, architecutre, et fortification. Par Samuel Marolois. De nouueau Reueüe, Augmente´e, et Corrige´e, par Albert Girard mathematicien. Cum Privilegio, Amsterdam, Ian Ianßen, 1651. BN Estampes Hb 32 und Hb 32 a. – Geometrie ofte Meetkonst, Amsterdam, Jan Janssen, 1638. Mazarine 4620 C. – Fortificatie, Dat is sterckte Bouwing, Amsterdam, Jan Jansz, 1628, Mazarine 4620 C. – Fortification, wie ein Ort nach der wahren und Fundamenthal-Kunst zu befestigen, anzugreiffen, zu bestürmen oder auchwider allen feindlichen Gewalt und Anlauff zu beschirmen, vermehret, gebessert und erläutert durch Albert Gerhard (sic), Amsterdam, J. Janssen, 1627. BN V–2303. – ›Opera mathematica‹, ou Œuvres mathe´matiques traictans de ge´ome´trie, perspective, architecture et fortification, par Samuel Marolois, ausquels sont ajoints les fondements de la perspective et architecture, de J. Vredm. Vriese, augmente´e et corrige´e en divers endroicts par le mesme auteur, Hagae-Comitis, ex. off. H. Hondii. Umfasst: [1] Ge´ome´trie contenant la the´orie et practicque d’icelle ne´cessaire a` la fortification, 1616; [2] Perspective contenant la the´orie et practicque d’icelle. – Perspective, 5e [– 6e] partie de Joan Vredem Vriese, augmente´e et corrige´e]. 1614–1615; [3] Fortification, ou Architecture militaire, tant offensive que de´fensive, 1615. BN Microfilm M–7120. Minderer, Raymund: Medicina Militaris … id est: Gemaine Handstücklein zur Kriegs Artzney gehörig, Augsburg, Aperger, 1620. Montgommery, Louis de, sieur de Courbouzon: La milice franc¸oise reduite a` l’ancien ordre et discipline Militaire ses Legions: telle & co(m)me la souloyent obseruer les anciens Franc¸ois, a` l’imitation des Romains, & des Macedoniens, Paris, Barthelemy du Ion, 1610. Mouchemberg, A.-M. de: Essais politiques et militaires enrichis de diverses maximes et remarques tire´s des anciens auteurs par le sieur de Mouchemberg, Paris, N. Buon, 1627. BN *E–2922. Nassau, Wilhelm Ludwig von: Annibal et Scipion ou les grands capitaines. Avec les Les Ordres & Plans de Batailles. Et les annotations, Discours & Remarques Politiques & Militaires de Mr. le comte G. L. de Nassau, &c. Auxquelles On a adjouste´ un autre traitte´ de Remarques Politiques. Hg. v. Alain-Claude de Mestre (Vorwort), La Haye, Jean & Daniel Steucker, 1675. BN R 25353. Nassau-Siegen, Johann VII. von: Die Heeresreform der Oranier: das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen. Hg. von Werner Hahlweg (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 20), Wiesbaden 1973. Pagan, Blaise-Franc¸ois de: Les Fortifications dv comte de Pagan, Paris, Cardin Besogne, 1645. Pe´rier, Je´re´mie: Histoire remarquable et ve´ritable de ce qui s’est passe´ par chacun iour au sie´ge de la ville d’Ostende, de part & d’autre iusques a` present. Contenant les assaults, allarmes, deffenses, inuentions de guerre, mines, contre-mines, & retranchement; combats des Galleres & rencontres Naualles, auec le portrait de la ville: Et ce qui s’est passe´ en l’isle de Cadsand & au siege de l’Escluse a` l’arriue´e du Comte Maurice, Paris, Olivier de Varennes, 1604. BN 21166. Pigafetta, Filippo: Trattato Breve Dello Schierare In Ordinanza Gli Eserciti, Venedig 1586. Pitiscus, Bartholomäus: Sinuum, Tangentium et Secantium Canon Manualis, Frankfurt a. Main-Heidelberg 1613. Possevino, Antonio: Il soldato christiano, con l’instruttione de Capi dell’ Essercito Catolico, [Brescia] Parma, Policreto Turlino, 1588. Puyse´gur, Jacques-Franc¸ois de Chastenet de (Hg.): Art de la guerre par principes et par re`gles, ouvrage de M. le mare´chal [Jacques de Chastenet] de Puyse´gur, mis au jour par M. le marquis [Franc¸ois-Jacques de Chastenet] de Puyse´gur, son fils, 2 Bde., Paris, C.-A. Jombert, 1748.

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I. Quellenverzeichnis

Ramelli, Agostino: Le diverse et artificiose machine del capitano Agostino Ramelli, Paris 1588. Rantzau, Heinrich: Commentarius belllicus, libri sex discinctus, praecepta, consilia, et strategemata…, Frankfurt a. M. 1591. Reusner, Elias: Stratagematographia, sive Thesaurus bellicus, docens quomodo bella juste et legitime suscipi, recte et prudente administrari, commode et sapienter confici …, Frankfurt a. Main 1609. Rohan, Henri de: Le Parfaict capitain. Autrement, l’abre´ge´ des guerres de Gaule des commentaires de Ce´sar, avec quelques remarques sur icelles, suiuy d’vn Recueil de l’Ordre de guerre des Anciens, ensemble d’un Traitte´ particulier de la Guerre, Paris, Jean Houze´, 1636. Savorgnano, Mario: Arte militare terrestre e maritima: Secondo la ragione e l’uso de piu valorosi capitani antichi e moderni, Venedig 1599. – Arte militare terrestre e maritima; secondo la ragione et uso de’ piu’ valorosi capitani antichi et moderni, Venedig 1614. Schwendi, Lazarus von: Kriegsdiscurs. Von Bestellung des ganzen Kriegswesens, und von den Kriegsämtern, Frankfurt a. Main 1593. Solemne, David: Le Mareschal des logis, contenant La Charge & parties requises a la personne d’un Mareschal de Camp general, tant pour la Cavallerie, que l’Infanterie, Amsterdam, Jean Jansson, 1653. BN Re´serve V 2356. – La Charge du mare´chal des logis tant ge´ne´ral que particulier, soit de toute une arme´e de cavallerie & infante´rie en ge´ne´ral, que d’une brigade & re´giment de pied & a` cheval, La Haye, Hondius, 1632. Stevin, Simon: Les Œuvres mathematiques de Simon Stevin de Bruges, ou sont insere´es les me´moires mathe´matiques, esquelles s’est exerce´ le Tres-haut & Tres-illustre Prince Maurice de Nassau, prince d’Aurenge, Gouverneur des Provinces des Paı¨s-bas unis, General par Mer & par Terre, &c. Le tout reveu, corrige´, & augmente´ par Albert Girard Samielois, Mathematicien, Leyde, chez Bonaventure & Abraham Elsevier, Imprimeurs ordinaires de l’Universite´, 1634. – Nouvelle Maniere de Fortification par Escluses deescrite par Symon Stevin de Bruges. Samengebonden met: La Castrame´tation descrite par Symon Stevin de Bruges, Leiden, Matthijs en Bonaventura Elzevier, 1618. – De Sterckenbouwing beschreven door Simon Stevin van Brugge, Leiden, Frans van Ravelingen, 1594. Thibault d’Anvers, Girard: Academie de l’espe´e de Girard Thibault d’Anvers ou se demonstrent par reigles mathematiques sur le fondement d’un cercle mysterieux la theorie et pratique des vrais et iusqu’a present incognus secrets du maniement des armes a pied et a cheval, Leiden, Elzevier, 1628. Arsenal G fol. 104. Ufano, Diego: Tratado dela artilleria y uso della, platicado por el capitan Diego Ufano en las guerras de Flandes, Brüssel, J. Momarte, 1613. Valde´s, Francisco de: Espejo y disciplina militar, Brüssel, R. Velpius, 1596. Vernulz, Nicolas de: Dissertatio Politica de bello feliciter gerendo constans orationibus sex, Löwen, Dormalius, 1630. Vries, Hans Vredeman de: Les fondements de la perspective et architecture, augmente´e et corrige´e par le mesme auteur, Hagae-Comitis 1615. Wallhausen, Johann Jacob von: Archiley Kriegskunst. Darinnen gelehret und fürgetragen werden die initia und fundamenta dieser Edlen Kriegskunst. Vor diesem niehmals also compendiose`, methodice`, dilucide` und recto` an Tag gegeben. Nunmahls aber Allen in der Edlen Kriegskunst anfangenden Cauallirern und dero Liebhabenden/zu grösserem Undericht und Nutzen: Mit schönen – Kupfferstücken perfecte` angewisen und beschrieben von Johann Jacobi von Wallhausen bestelten Obristen/u Mit sonderbarer Freyheit begabet. Getruckt zu Hanau (In verlegung deß Authoris), Anno 1617. – La Milice Romaine traicte´, auquel est monstre, comment deuant quelques mill annees on enseignoit les nobles arts Militaires es escholes publiques. Auec la tra-

2. Gedruckte Quellen











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duction de Flave Vegece en langue Franc¸oise. Mis en lumiere pour le bien des amateurs de la Milice, & enrichy de plusieurs figures. Par Jean Jacques de Wallhausen, capitaine, &c. Auec priuilege especial, Imprime´s a` Francfort sur le Main, par Paul Jaques, aux fraix (sic) de l’Autheur, 1616. BN FB–3138. Romanische Kriegskunst: I. Darinnen außführlich und klärlich gewiesen wirdt waßerley Gestallt vor etlich tausendt Jahren die Edle Kriegskünste in Kriegsschulen seynd publice gelehrt worden in welchen das gantze Fundament aller heutigen Kriegskünsten (so ein reicher Schatz) begraben ligt vor diesem niemals an Tag gegeben. Darneben der treffliche Kriegskunst Lehrer Flavius Vegetius auß dem Latein in unser Muttersprach ubersetzt. Zu hochnöhtigstem Nutzen allen so zu den Edlen Kriegskünsten Lieb unnd Lust tragen herfür gesucht ans Liecht gebracht und mit schönen Kupfferstücken angewiesen von Johann Jacobi von Wallhausen bestellten Obristen, [s.l.], Author; Frankfurt a. Main, Jacobi, 1616. Flavius Vegetius Renatus Comes Constantinopolitanus Vir Illustris, &c. Auß dem Latein in unser Muttersprach auffs newe ubersetzt und translatiert allen ankommenden jungen Cavallierern Tyronen und Kriegsschülern zum besten von Johann Jacobi von Wallhausen bestellten Obristen, [s. l.]: Translator; Frankfurt a. Main, Jacobi, 1616. Kriegskunst zu Fuß: Darinnen gelehret und gewiesen werden: I. Die Handgrieff der Mußquet und deß Spiesses/ ... II. Das Exercitium, oder ... /das Trillen/... III. Schöne newe Batailie, oder Schlachtordnung mit einem Fähnlein/... Newe Invention besonderer Art Flügel an ein Fähnlein und gantzes Regiment ...zu verrichten ... IV. Der Ungerischen bißhero geführten Regimenten Kriegs-Disciplin zu Fuß/... gebessert und in ein richtigere und nützlichere Ordnung gebracht; Alles mit schönen Kupfferstücken angewiesen / Zu ... Nutzen und Besten nicht allein allen ankommenden Soldaten / sondern auch in Abrichtung eines gemeinen Landvolcks ... Gepracticieret und beschrieben von Johann Jacobi von Wallhausen der löblichen Statt Dantzig bestellten Obristen/ ..., [Oppenheim], De Bry, Oppenheim, Gallerus, 1615. Alphabetum Pro Tyrone Pedestri, Oder Der Soldaten zu Fuess ihr A.B.C.: Welches seyn die Handgriff und erste Elementa so ein jeder anfangender Soldat zu Fuß Musquetiererund Piquenierer so hochnöthig zu wissen als ein Schuler in den Schulen das A.B.C. hat … Beschrieben von Johann Jacobi von Wallhausen, Frankfurt a. Main, Bry; Frankfurt a. Main, Kempffer, 1615. Art De Chevalerie: Comprenant, apres un advertissement necessaire, touchant l’Estat douloureux de la Chrestiente´; L’Instruction de touts avantages & dexteritez, necessaires a chascun Chevalier … Prattique´, descript & represente´ avec figures, par Jean Jacques de Wallhausen principal Capitaine des gardes, Francfort, Jennis; Francfort, Jacques, 1616. L’art militaire pour l’infanterie, Oppenheim, Bry u. Galler, 1615. L’art militaire pour l’infanterie … descrit en langue allemand par Jean Jaques de Wallhausen; traduit nouvellement en franc¸ais, Franeker, U. Balck, ca. 1615, repr. Paris 1978. BN Microfiche M–1835. Manuale Militare, Oder KriegßManual: Darinnen I. Die Fürnembste heutiges Tages Edle HauptKriegßKünste zu Landt. II. Der Griechen Lacedaemonieren und Romanern Kriegß Disciplinen ... III. Ein KriegsNomenclatur kürzest aus dem Frantzoischen mit schönen Kupfferstücken hergegeben werden gemehret und gebessert von Johann Jacobi von Wallhausen …, Frankfurt a. Main, [Autor]; Frankfurt a. Main, Jacobi, 1616. Corpus Militare: Darinnen das heütige Kriegswesen in einer Perfecten und absoluten idea begriffen und vorgestelt wird, Hanau, Author, 1617. Programma Scholae Militaris, Ex Veteri Veterum Romanorum Instituto laudatissimo, Noviter Institutae Ac Restitutae. Das ist Offentliches Außschreiben von wegen einer newen Kriegsschulen dergleichen seyt der alten Römer Zeiten nun fast in zwey tausendt Jahren in keiner Nation zufinden (sic) gewesen welche … durch

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I. Quellenverzeichnis

Johann Jacobi von Wallhausen … zu Siegen … hiernechst wirdt auff- und angerichtet werden, Frankfurt a. Main, Jacobi, 1616. Camera Militaris: Oder Kriegskunst Schatzkammer: Darinnen allerley KriegsStratagemata zu Wasser und Land von Anfang der Welt biß auff Caesarem Augustum heutige Stunde zugebrauchen gezeiget werden ... hergegeben von Johan. Jacobi von Wallhausen, Frankfurt a. Main, Aubry; Schleich, 1621. Ritterkunst: Darinnen inbegriffen I. Ein Trewhertziges Warnungsschreiben wegen deß Betrübten Zustands jetziger Christenheit. II. Unterricht aller Handgriffen so ein Cavallirer hochnötig zu wissen bedarff vor diesem niemals an Tag gegeben ... Practicirt, beschrieben und mit schönen Kupferstücken gezieret durch Johann Jacobi von Wallhausen ... Frankfurt a. Main, Iennis; Frankfurt a. Main, Jacobi, 1616. Außführliche Beschreibung und Rettung zu Siegen der in der Graffschafft Nassaw unlangst Angefangenen unnd bestelten löblichen Krieges: und Ritterschulen an Tag und in offenen Truck gegeben von Johann Jacobi von Wallhausen ... Hanau, Author, 1617. Defensio Patriae oder Landrettung: Darinnen gezeigt wirdt I. Wie alle und jede in Stätte unnd Communen ihre und der ihrigen Underthanen Rettung und Schutzung anstellen sollen. II. der Modus bene belligerandi, viel hundert Jahr bißher gefählet; Zu hochnöthigstem und besten Nutzen in diesen sehr gefährlichen und betrübten zeitteu (sic) hergegeben unnd mit Kupfferstücken angewiesen durch Johann Jacobi von Wallhausen derzeit Churf. Maintz-bestelten Obr. Leutenant (sic), Frankfurt a. Main, Aubrius; Schleich, 1621. Aelianus, niemals vor diesem aber nun ex fundamento dilucide, clare …, Frankfurt a. Main 1617. ›Militia gallica‹, oder Frantzoische Kriegsskunst, darinnen gewiesen wird der Frantzoisen ihr Kriegs Disciplin, Hanau, gedruckt in Verlegung des Translatoris, 1617. BN V–9418. Künstliche Picquenhandlung : Darinnen schriftlich und mit Figuren dieses ... exercitium angewiesen und gelehret wirdt, Hanau, Selbstverlag, 1716. Philologischmilitärtheoretische Tradition

a. Scriptores veteres, philologisch-kritische Kommentare antiker Militärliteratur und Taktiker, Lehrbücher des Humanismus Aelian: Aeliani et Leonis imp. Tactica sive De instruendis aciebus, graece et latine. Quorum his graece primum opera Iohannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione latina, ambo autem notis et animadversionibus illustr. in lucem exeunt. Accedunt praliorum aliquot descriptiones, et nonnulla alia. Hg. v. Johannes van Meurs, Leiden, apud L. Elzevirium, 1613. BN R–6408. – Claudii Aeliani Tactica, sive de Aciebus constituendis, ex interpretatione P. Scriverii; Sextus Julius Frontinus, Strategematicon, sive de Solertibus ducum factis et dictis libri quatuor: BN R–24741; R–53294. – Aeneas Tacticus, Vegetius, Frontinus, Modestus, Polybios, Cicero: Vetustissimis Scriptoris Anea Poliorceticus, sive De Toleranda Obsidione Isaaco Casaubono Interprete. In: Veteres De Re Militari Scriptores quotquot extant, nunc primaˆ in unum redacti corpus. I. Flavii Vegetii Renati institutorum rei libri V. II. Sexti Julii Frontini strategematum & strategeticoˆn libri IV. III. Claudius Aelianus de instruendis aciebus IV. Modestus de vocabulis rei militaris. V. Polybius de militia & castrametatione Romanorum. VI. Aeneae Poliorceticus, seu de toleranda obsidione. VII. Incerti auctoris, de re militari opusculum, quod M. Tullio Ciceroni vulgo inscribitur. Accedunt J. Godescalci Stewechii in Fl. Vegetium Commentarius.II. Ejusdem conjectanea, & Francisci Modii notae in Sex. Jul. Frontinum III.

2. Gedruckte Quellen

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Petri Schriverii in Fl. Vegetium & Sex. Jul. Frontinum animadversiones, Vesaliae Clivorum, Hoogenhuysen, 1670. Agylaeus, Henricus, Ennemond Bonnefoy (Hg./Übers.): Imp. Leonis Augusti constitutiones novellae, aut correctoriae legum repurgationes, latinae nunc primum, Paris 1560. Amaseo, Pompilio (Hg.): Fragmenta duo e sexto Polybii Historiarum libro de diversis rerumpublicarum formis, deque romanae praestantia. Pompilius Amasaeus vertit, Bonn 1543. BN Re´s. J.1760 Apian, Petrus, Rainer Gemma Frisius: Cosmographia Liber Petri Apiani, studiose corr. ac erroribus vindicatus per Gemman Phrysium, Antwerpen 1529. Beau, Jean Baptiste, S.J. (Hg.): Polyaenus Gallicus, sive Stratagemata Gallorum, auct. Joan. Bapt. Bello, Tolosae, J. Boude, 1643. BN R 25434. – Otia regia Ludovici XIV regis christianissimi, sive Polyaenus Gallicus de Veterum et recentium gallorum strategematibus, auctore P. J. Bapt. Beau Societeatis Jesu, Claromontii, apud Nicolaum Jacquard, 1658. BN R–25432. Blum, Johann: Militia Romana. Ex J. Lipsio, Vegetio, Stebeccio, Livio et aliis concinnata, Marburg, Paul Egenolph, 1615. Bodin, Jean: De utilitate et ordine historiarum praefatio. In: Bap. Fulgosii factorum dictorumque memorabilem libri IX, Paris 1578. Boeckler, Johann Heinrich (Hg.): Lectiones polybianae Ms. codicis augustani ad ... Joannem Capellanum Accesserunt et alia ad Polybium spectantia [ex. Jo. Lucii de regn. Dalmatiae et Croatiae; ex epistol. Bongarsii ad Lengelshemium, ex literis Tomsoni ad Bongarsium, Casaubon. ad Bongars., de Polybii Liviique diversa scribendi ratione. Diodori Siculi imitatio polybiana], Straßburg, impensis J. F. Spoor, 1670. BN J. 3456. Bourdon de Sigrais, Claude-Guillaume (Übers.), d’apre`s Barbier: Institutions militaires de Ve´ge`ce, Paris, Prault pe`re, 1743. Bude´, Guillaume, Jacques Toussain, Conrad Gesner et al.: Helle¯norho¯maı¨kon, hoc est Dictionarium Graecolatinum, Basel 1535. Camerarius, Joachim (Hg./Übers.): In hoc libro haec insunt, Hippocomicus quae est disputatio de curandis equis. Xenophontis liber de re Equestri Latinus factus, Leipzig, Valentinus Papa, 1556. –, Philipp Camerarius (Hg.): Onosandri Graeci autoris, De Re Militari, Commentarivs in Latinum sermonem conversus, a Ioachimo Camerario … & nunc primum a` filiis editus, Nürnberg, Kaufmann, 1595. HAB S: Alv.: Nf 147 (2). Casaubon, Isaac (Hg.): Lycortae f., Megalopolitani, Historiarum libri qui supersunt. Isaacus Casaubonus ex antiquis libris emendavit, latine vertit et commentariis illustravit. Aeneae, vetustissimi Tactici, Commentarius de toleranda obsidione. Is. Casaubonus primus vulgavit, latinam interpretationem ac notas adjecit... [De prioribus Polybii interpretibus et nova hac versione. – Historiae universae Polybli synopsis chronologica.], Parisiis, apud H. Drouardum, 1609. BN J–931. – Polybii Opera Graece & Latine ex versione Isaaci Casauboni. Accedit Aeneas Tacticus de toleranda obsidione, Graece & Latine, Paris, Drouard, 1609. in – fol. It. Hanoviae 1609 (Kopie der Pariser Ausgabe). – Polybii, Lycortae f., Megalopolitani, Historiarum libri qui supersunt, ex interpretatione Isaacci Casauboni. Aeneae … Commentarius de toleranda obsidione, eodem Casaubano interprete, (Frankfurt a. Main), typis Wechelianis, apud haeredes Joannis Aubrii, 1610. BN J–12413. – Isaaci Casauboni ad Polybii historiarum librum primum...commentarii, ad Jacobum I, Magnae Britaniae regem serenissimum, Parisiis, apud A. Stephanum, 1617. BN J–12419; RES-J–2188 (1); RES-J–2187. – Polibio. Texto latino a fronte. Hg. v. Guerrino F. Brussich (La citta` antica, 10), Palermo 1991. – Polyainu Strate¯ge¯mato¯n Bibloi Okto¯ = Stratagematum libri octo, Is. Casaubonus Graece` nunc primu`m edidit. Adiecta est etiam Iusti Vulteij Latina versio, Lugduni, Tornaesius, 1589. HAB A: 40 Bell.

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I. Quellenverzeichnis

– Polyaeni Strategematum libri octo Iusto Vultejo interprete; Pancratois Masuicius recensuit; Isaaci Casauboni, ne non suas, notas adjecit, Lugduni Batavorum, apud Jordanum Luchtmans & Johannem du Vivie, 1690. –, Johann Caspar von Orelli (Annotateur), Johann Conrad von Orelli (Hg.): Aeneae Tactici commentarius de toleranda obsidione, graece... Recensuit, versionem latinam et commentarium integrum Is. Casauboni, notas Jac. Gronovii, G. H. C. Koesii, Caspari Orellii... et suas adjecit Jo. Conradus Orellius. Supplementum editionis Polybii Schweighaeuseranae, Lipsiae: in libr. Weidmannia, 1818. BN J–12430. –, Johann Friedrich Gronovius (Hg.): Polybii... Historiarum libri qui supersunt, interprete Isaaco Casaubono. Jacobus Gronovius recensuit, ac utriusque Casauboni, Ful. Ursini, Henr. Valesii, Jac. Palomanii et suas notas adjecit. Accedit ... Aeneae... commentarius de toleranda obsidione, cum interpretatione ac notis Isaacci Casauboni, Amsterdam, ex officina Janssonii a Waesberge et J. Vandomeren, 1670, 3 Bde. BN J–12414. – Historiarum libri qui supersunt,..., 3 Bde., Lipsiae (Vindobonae) 1763–1764, BN J–12417. – Aeneas Tacticus: Poliorceticus. Polybios: Commentarius polemicus, sive de Militia, castrametatione Romanorum. In: Petrus Scriverius (Hg.): Viri illustris Flavii Vegetii Renati et Sex. Julii Frontini,... de Re militari opera, ex recensione Petri Scriverii. Accedunt alia ejusdem argumenti veterum scripta, Lugduni Batavorum : ex officina J. Maire, 1633. BN–24741. Cheke, John (Hg./Übers.) : De bellico Apparatu liber, ... Leonus Imperatorus, Basel, Insingrimius, 1554. Chevigny Villers: Traitte de l’ancienne milice romaine, tire´ de Polybius et enrichy de plusieurs authorites. Ou` il se verra l’ordre de leurs Arme´es, de leurs Soldats, & de tous ceux qui leur commandoient, de qu’elles Armes ils vsoient offensiues & deffensiues leurs recompences, leurs Loix, & leur chastiments. A tres-hault, & trespuissant Prince Monseigneur le Prince de Conde´, Premier Prince du Sang, & premier Pair de France, Duc d’Anguien & de Chasteau-Roux Gouuerneur pour sa Majeste´ en Bourgogne Bresse, & Berry, &c. Par le Sieur de Chevigny Villers Gentil-homme Bourguignon, Dijon, Nicolas Spirinx, 1634. Mazarine A 12425. Chokier de Surlet, Jean de: Strategicus, sive de Imperatoris institutione notis sive dissertationibus ... illustratus. Additae in extremo opersi variantes lectiones ex codd. diversorum Ms. depromptae, Rom 1610. BN E* 656. Crusius, Thomas Theodor: De eruditione comparanda in Humanoribus, Vita, Studio Politico, Cognitione Auctorum Ecclesiasticorum, Historicorum, Politicorum ac Militarium, Leiden 1699. D’Ablancourt, Nicolas Perrot: Les Stratagesmes de Frontin. De la traduction de Nicolas Perrot, Sieur d’Ablancourt, avec un petit traite´ de la bataille des romains, Paris, Louis Billaine, 1664. BN R 36613. – Les Stratagemes De Frontin, enthalten in: Les Apophtegmes, Ou Bons Mots Des Anciens, Tirez De Plutarque De Diogene Laerce ... & de quelques autres, Amsterdam, L’Honore´, 1730; auch unter dem Titel: De La Bataille Des Romains. In: Les Apophtegmes, Ou Bons Mots Des Anciens, Tirez De Plutarque De Diogene Laerce ... & de quelques autres, Amsterdam, L’Honore´, 1730. Droit de Gaillard, Pierre: Me´thode qu’on doit tenir en la lecture de l’histoire, Paris 1579. – De utilitate et ordine historiarum praefatio. In: Bap. Fulgosii factorum dictorumque memorabile libri IX, Paris 1578. Estienne, Henri: De Lipsii latinitate (ut ipsimet antiquarii antiquarium Lipsii stylum indigitant) Palestra, Frankfurt a. Main 1595. Ferrandus 〈Carthaginiensis〉 : Ferrandi diaconi Carthaginiensis parainetikos siue Regulae VII. Duci religiose observandae. In : Onosandri Platonici Strate¯gikos. Siue de Imperatoris exhortatione LXVI ad Leonem filium, Helmstadi, Lucius, 1619.

2. Gedruckte Quellen

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Frontinus, Sextus Julius: Astutie militari, Venetia, de Trino, 1541. HAB A: 39 Bell. Estienne, Henri: De Lipsii latinitate, Frankfurt a. Main. 1595. Gandini, Marco Antonio (Hg., Übers.): Stratagemi militari di Sesto Giulio Frontino. Trad. in lingua ital. Marc’ Antonio Gandino, Venetia, Zaltiero, 1574. HAB M: Lh 875. Graevius, Johannes Georgius: Thesaurus antiquitatum romanorum, 1694–1699. Bd. 10: Claudii Salmasii de re Militari Romanorum Liber, opus posthumum. Gaza, Theodor (Hg.): De Instruendis Aciebus. In: Flavius Vegetius: De re militari, Paris, Parvus, 1515 (Weitere: Paris, Wechel, 1532 und 1535). – Aelianus de instruendis aciebus. In: Flavius Vegetius: De re militari…Omnes quidem post Hermolai Barbari, Budaei, et quorumcumque, aliorum editiones diligenter recogniti et emendati: Vegetius vero` et subinde Frontinus etiam notis illustrati, a Francisco Modio, Köln, Cholinus, 1580. – De instruendis Aciebus. In: Flavii Vegetii Renati De re militari libri quatuor: Post omnes omnium editiones, op veterum librorum correcti, Leiden, Raphelengius, 1592. Gesner, Conrad (Hg.): Ailianu ta heuriskomena hapanta, Zürich, Andreas u. Hans Jakob Gesner, [1556]. Guischardt, Charles-The´ophile: Me´moires militaires sur les Grecs et les Romains: ou` l’on a fide`lement re´tabli, sur le texte de Polybe et des tacticiens grecs et latins, la plupart des ordres de bataille & des grandes ope´rations de la guerre, en les expliquant suivant les principes & la pratique confiante des anciens, & en relevant les erreurs du chevalier de Folard, & des autres commentateurs: avec ces notes critiques & des observations militaires re´pandues dans tout le cours de l’ouvrage. Tome second; on y a joint une Dissertation sur l’attaque et la de´fense des places des anciens / par Charles Guischardt, … Les institutions d’Onosander [Contient aussi: ›La tactique d’Arrien‹; ›Fragment d’Arrien‹; ›Analyse de la campagne de Jules Ce´sar en Afrique‹, de´crite par Hirtius. – Texte en franc¸ais seul, trad. du grec ancien pour: ›Les institution d’Onosander‹; ›La tactique d’Arrien‹; ›Fragment d’Arrien‹], La Haye, P. De Hondt, 1758. Henri IV: Nozze Rattone. Festa, 10 Iuglio 1895. [Lettres de J. Casaubon, Defresne Canaye et Henri IV a` Franc¸ois-Marie II, duc d’Urbin, au sujet d’un manuscrit de Polybe preˆte´ par ce prince et traduit par Casaubon], s.l.n.d. BN 8 M PIECE–4283; Isaac Casaubon, Nozze Rattone-Festa. 10 Juglio 1895 [Lettres de Casaubon, de Defresnes Canaye et d’Henri IV, date´es de Paris. 9 septembre 1609 et 12 janvier 1610, a` Franc¸ois Marie II, duc d’Urbin, en lui envoyant la traduction de Polybe faite par Casaubon sur un manuscrit qu’il avait preˆte´, s.l. 1895.] Hittorp, Gottfried [Historpius, Godefridus] (Hg.): Sylloge Strategematvm Sive Astutiae Militaris / Avctoribvs Flavio Vegetio Renato, viro Illustri, & Sexto Ivlio Frontino viro consulari, Francofurti, Palthenainus, 1602. HAB Xb 377. – (Hg.): Sexti Ivlii Frontini uiri consularis de strategematis. In: De re militari Vegetii illvstris Iulii viri vocabulis [...] Flavii Vegetii Renati Viri Illvstris de re militari. Sexti Ivlii frontini uiri consularis de strategematis. Aeliani de instruendis aciebus. Modesti de uocabulis rei militaris, Praeclara opera nunc demum ad multorum uetussimorum codicum fidem recognita & castigata / Flavius Vegetius Renatus, Coloniae, Cervicornus, 1532. La Mare, Philibert de: Philiberti de la Mare senatoris Divionensis commentarius de bello burgundico, s.l. 1642. BN LB36–3606. Lascaris, Janus [Laskaris, Io¯anne¯s] (Hg./Übers.): De Romanorum Militia, et Castrorum metatione Liber utilissimus / ex Polybii historijs per A. Janum Lascarem, Basel 1537. HAB A : 33.1 Bell. (1). – Castrametatio Romanorum: Ex Polybii Lib. VI Historiarum. In: Godescalus Stewechius (Hg.): De Re militari Flavii Vegetii Renati, Leiden, Raphelengius, 1592. HAB A: 29. Bell.

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I. Quellenverzeichnis

L’Escluse, Charles de (Übers.): Vie de Hannibal et de Scipion l’Africain, Paris 1572. BN 8-J–7856. – (Übers.), Jacques Amyot (Übers.): Les Vies des hommes illustres grecs et romains, compare´es l’une avec l’autre par Plutarque de Chaerone´e, translate´es de grec en franc¸ois par Messire Jacques Amyot, ...Auxquelles sont adjouste´es ... les vies de Annibal et de Scipion l’Africain, traduites de latin en franc¸ois par Charles de l’Escluse, Pausanne, F. le Preux, 1775. BN FOL-J–426. Lipsius, Justus: Ivsti Lipsi De militia Romana libri qvinqve, commentarivs ad Polybium. E parte primaˆ Historicæ facis, Antverpiæ, es officina plantiniana, apud viduam, & Ioannem Moretum, 1596. – De militia Romana libri quinque. Commentarius ad Polybium, Antwerpen 1596. BN Re´s. J. 1300 [mit den Anmerkungen frz. Gelehrter]. – Justi Lipsii de Militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium, e parte prima Historicae facis. – Justi Lipsii de Militia romana liber quintus, qui est de disciplina. – Justi Lipsii Analecta sive Observationes reliquae ad militiam et hosce libros, Antverpiae : ex officina plantiniana, apud viduam et J. Moretum, 1595–1596. BN Microfilm M–2272; BN RES-J–1868. – De militia Romana. In: ders.: Opera omnia, Antwerpen, Moretus, 1605. – Justi Lipsii de Militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium, e parte prima Historicae facis. – Justi Lipsii de Militia romana liber quintus, qui est de disciplina. – Justi Lipsii Analecta sive Observationes reliquae ad militiam et hosce libros, Antverpiae, apud viduam et filios J. Moreti, 1614. BN Z.3799 (1). – Justi Lipsii de Militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium, e parte prima Historicae facis. – Justi Lipsii de Militia romana liber quintus, qui est de disciplina. – Justi Lipsii Analecta sive Observationes reliquae ad militiam et hosce libros, Antverpiae, ex officina plantiniana B. Moreti, 1630. BN J.5422. – Justi Lipsi de militia romana libri quinque, commentarius ad Polybium. In: Opera Omnia, postremum ab ipso aucta et recensita. Nunc primum copioso rerum indice illustrata, Tomus Tertius, Wesel 1675, Bd. 3, Teil 1, repr., Hildesheim et al. 2001. – Ivsti LipsI Poliorceticon Sive de Machinis. Tormentis. Telis. Libri Qvinqve. Ad Historiarum luce. Editio tertia, correcta & aucta, Anvers, Balth. Moretus, ve Jean Moretus et Jean Meursius, 1625. Machault, Louis de, sieur de Romaincourt: La Milice des Grecs et Romains traduite en francois du Grec d’Aelian et de Polybe, et dedie´e av Roy, Par Louys de Machault, Sr de Romaincourt, Paris, chez Hierosme Drouart, [1613]. Arsenal Fol ScA 1692. – (Übers.), Æliean. De l’ordonnance des anciennes bandes et arme´es greques. Conforme´ment a` l’ordre estably par Philippe & Alexandre le Grand son fils Roys de Macedone. Traduit de Grec en Franc¸ois & dedie´ av Roy, Paris, Nicolas Barbote, 1611. BN J 16488 und Mazarine 33589. – (Übers.): La Milice des grecs et Romains traduite en franc¸ois du Grec d’Aelian et de Polybe, et dediee´ au Roy, Paris, Hierosme Drouart, 1615. – De Militia et castra metatione/Polybe. Louys de Machault Sr. De Romaincourt [Übers.], enthalten in: La milice des Grecs et Romains/Aelian, Paris, Drouart, 1615. – La Milice des Grecs et Romains trad. en franc¸. du grec. D’Aelian et de Polybe et de´die´e au Roy. Par Louys de Machault Sr de Romaincourt, Paris, Drouart, 1616. A: 9.1 Bell. 2°. – (Übers.), La Milice des Grecs et des Romains, Paris 1616. BN RES G-R–36. Maurikios: Arriani tactica et Mauriciis artis militaris libri XII omnia, nunquam ante publicata, graece primus edit, versione latina notiisque illustrat Joannes Schefferus Argentoratensis, repr. Ausg. Uppsala 1664. Mit einer Einleitung von Werner Hahlweg (Bibliotheca rerum militarium, 3), Osnabrück 1968. – Arriani Tactica et Mauricii artis militaris, Uppsala, Henricus Curio, 1664.

2. Gedruckte Quellen

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Meigret, Louis (Hg.): Les cinq premiers livres des Histoires de Polybe Megalopolitein, avec trois Parcelles du VI. Une du VII. Une du VIII. & un du XVI. Autrefois traduits & mis en lumiere par Louis Maigret, & derechef revuz corrigez, & renduz plus entiers par lui sur l’exemplaire Grec. Ausquelz de nouveau sont ajoutees les subsequentes Parcelles des livres IV.X.XI.XII.XIII.XIIII.XV.XII. Toutes traduites par lui sur l’exemplaire Grec. Ensemble le dessein du camp des Rommeins extrait de la description de Polybe, Lyon, Ian de Tournes, 1558. Mersenne, Le P. Marin: F. Marini Mersenni minimi cogitata physico mathematica. In quibusdam naturae qua`m artis effectus admirandi certissimis demonstrationibus explicantur, Parisiis, Antonii Bertier, M.DC.XLIV. – Ballistica, et acontismologia, in qua sagittarum, jaculorum, & aliorum missilium jactus, & robur arcuum explicantur, Paris, sumptibus Antonius Bertier, 1644. – Übers.: Galileo Galilei: Les Me´chaniques de Galile´e, avec plusieurs additions rares et nouvelles, , Paris 1634. – Übers.: Galileo Galilei: Les Nouvelles pense´es, Paris 1630. Modius, Franciscus [Ermolao Barbaro d. J., Guillaume Bude´] (Hg.): Flavii Vegetii renati … De re militare: Libri quatuor … Omnes quidem post Hermolai Barbari, Budaei, et quorumcumque, aliorum editiones diligenter recogniti et emendati: Vegetius vero` et subinde Frontinus etiam notis illustrati, a Francisco Modio, Coloniae, Cholinus, 1580. HAB A: 413. 2 Quod. (2). Naude´, Gabriel: Gabrielis Naudaei Syntagma de studio militari, Roma, ex typ. J. Facciotti, 1637. BN R.6441. – Bibliographia Militaris. Hg. v. Georg Schubart, Jena, Nisius, 1683. – Syntagma de studio liberali, Urbini, apud Mazzentinum et A. Ghisonum, 1632. – Traite´ sur l’e´ducation humaniste. 1632–1633. Hg. v. Pascale Hummel (Oeuvres comple`tes. Hg. v. Fre´de´ric Gabriel, Bd. 5), repr. Paris 2009. Patrizi, Francesco: La Militia Romana di Polibio, di Tito Livio et di Dionigi Alicarnaseo da Francesco Patricii Dichiarata, et con varie figure illustrata. La quale a pieno intesa, non solo dara` altrui stupore de’suoi buoni ordini, e disciplina. Ma ancore, in paragone, fara` chiaro, quanto la moderna sia difettosa & imperfetta, In Ferrara per Domenico Mamarelli, A Santa Agnese, 1583. BN J.4055 (1). – Paralleli militari di Francesco Patrizi, ne’ quali si fa paragone delle milizie antiche, in tutte le parti loro, con le moderne…Roma, appresso L. Zannetti, 1594. 2 tomes relie´s en 1 vol. BN R. 536–537 [La seconde partie porte au titre: De Paralleli militari di Francesco Patrizi parte II. Della militia riformata, nella quale s’aprono i modi e l’ordinanze varie deglie antichi accomodate a nostri fuochi, per potere secondo la vera arte di guerra con pochi vincere in battaglia la gran moltudine de Turchi…et a` l’adresse: Rom, G. Facciotto, 1595]; – (un autre ex., avec notes Ms., ne contenant pas de pl.) BN R.538–539; – 1606. Rom, G. Fiaccotto. Fol. R. 391 (1). –, Ludolph Küster (Übers.): Francisci Patricii Res Militaris Romana, Ex Italica Lingva in Latinam Versa A Ludolpho Neocoro (1699). In: Thesaurus antiquitatum romanorum Res militaris Romana ex Italia in Latinam linguam versa, Trajecti ad Rhenum, F. Halman, 1694–1699. Perotti, Niccolo` (Hg.): Polybii Megalopolitani Historiarum libri priores quinque, Basel 1557. Rantzau, Heinrich von: Henr. Ranzovii Produc. Cimbr. Commentarius Bellicus: Libri Sex Distinctus, Praecepta, Consilia, et Stratagemata, pugnae terrestris ac navalis, ex variis Eruditorum collecta scriptis, complectens …, Frankfurt a. M., Palthenius, 1595. HAB M: Jb 229 (1). Remigio 〈Fiorentino〉: Orationi militari, Vinegia, Bertano, 1585. Rigault, Nicolas: Nicolai Rigaltii Glossarium. De verborum significatione, quae ad novellas impp. Qui in Oriente post Iustinianum regnauerunt, de re militari constitutiones pertinent, Paris, C. Morellum, 1601. BN RES-F–892. – Onosandru strategikos. Onosandri Strategicus. Sive: De imperatoris institutione : Accessit ›Urbikiu Epite¯deuma‹, Nicolaus Rigaltius P. Nunc primum e` vetustis

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I. Quellenverzeichnis

codd. Graecis publicavit, Latina` interpretatione & notis illustravit, Lutetiae Parisiorum, Saugranius & Des Rues, 1599. – Onasander. Strategicus, Heidelberg 1604/1605. BN *E 655 (1–4). – Onosandri Strategicus, Sive de Imperatoris Institutione Accessit Urbici Inventum, Graece ac Latine: Interprete Nicol. Rigaltio P. cuius item adiiciuntur Notae, Ut Item Iani Gruteri Discursus varii, [Heidelberg], In Bibliopoli Commelianiano, 1604. HAB A:10. 1 Pol. – Urbikiu Epite¯deuma/Nicolaus Rigaltius P. In: Iani Grvteri varii discursus; Sive Prolixiores Commentarii ad aliquot insigniora loca Taciti atque Onosandri, Heidelberg 1600. Robortello, Francesco (Hg.): Aeliani de Militaribus ordinibus instituendis more Graecorum liber, a Francisco Robortello Utinensi in latinum sermonem versus, Venedig, Spinelli, 1552. Sagundino, Niccolo` [Sagundinus, Nicolaus] (Hg.): Vegetius de re militari, Sexti Julii Frontini, … strategematicon, Modestus de re militari ad Theodosium Augustum, Aeliani de instruendis aciebus opus ad divum Hadrianum, Onosander ad Q. Verannium ad Q. Verannium de optimo imperatore ejusque officio, per Nicolaum Sagundinum e graeco in latinum traductus, Romae, per Eucharium Silber Alamanum, 1494. – De optimo Imperatore, atque adeo` de re militaris, Basel 1558. HAB 33.1 Bell. (2). Saumaise, Claude de: De re militari Romanorum liber, opus posthumum, Leiden 1657. BN Microfilm M–2558. Savile, Henry: Henrici Savili Commentarius De militia Romana: ex Anglico Latinus factus. Übers. v. Marquard Freher, Heidelbergae, Voegelin, 1601. HAB M: Gg 302 ; BN J–15459. – In Taciti Histor[ias], Agricolae Vitam, et Commentarius De militia Romana/H. Savilius, Isaacus Gruterus (Übers.), Amstelodami, Elzevier, 1649. HAB M: Lh 2250 1. Scaliger, Joseph Justus: Discours sur quelques particularitez de la Milice Romaine, a` Monsieur de Thou. In: Opuscula varia antehac non edita, Paris, Beys, 1610, S. 563–566. Bibl. Sorbonne LP v. 44 in 4°. – Catulli, Tibulli, Propertii, nova editio / Gaius Valerius Catullus, Josephus Scaliger (Hg.), Lugduni, De Harsy, 1607. HAB M: Lh 197. – C. Julii Caesaris Commentarii de bello Gallico et civili. Ejusdem librorum, qui desiderantur, fragmenta (– A. Hirtii de bello Alexandrino, de bello Africano et de bello Hispaniensi libri. Veterum Gallicae locorum descriptio, auctor Raymundo Marliano) Omnia nunc opera … viri docti [J.J. Scaligeri] emendata et edita, Antverpiae, apud C. Plantinum, 1586. – C. Julius Caesaris (necnon et A. Hirtii) quae exstant ex nupera viri docti [J. J. Scaligeri]. Accedit nunc vetus interpres graecus librorum VII de bello Gallico, ex bibliotheca P. Petavii. Praeterea notae, adnotationes, commentarii … in quibus notae … Jo. Brantii, … Editio adornata opera et studio Gothofredi lungermani, Francofurti, apud C. Marnium, 1606. BN J–3560 und Arsenal 4-H–1054. – C. Julii Caesaris (nec non et Auli Hirtii) auqe exstant, ex nova … viri docti [Jos. Scaligeri] recognitione, Leiden 1606. BN J–13299. – C. Iulii Caesaris quae exstant. Ex emend. Ios. Scaligeri, ex museo Ioh Isaci Pontani [Johannes Isaacus Pontanus (1571–1639)], Amstelodami, Janßonius, 1628. HAB M: QuN 1094 (3); M: QuN 1100 (1). – C. Iuliis Caesaris quae extant. Ex emendatione Ios. Scaligeri, Leiden, Ex officina Elzeviriana, Anno 1635. Scheffer, Johannes (Hg.): Arriani Tactica et Mauricii artis militaris libri duodecim omnia, nunquam ante publicata, Graece primus edit, Versione latina notisque illustrat Joannes Schefferus, Argentoratensis, Upsaliae, Henricus Curio, 1664. Schrijver, Pieter (Hg.): Fl. Vegetii Renati Comitis, aliorumque aliquot veterum de re militari libri. Accedunt Frontini Strategematibus eiusdem auctoris alia opuscula.

2. Gedruckte Quellen

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Omnia emendatius, quaedam nunc primum edita a` Petro Scriverio. Cum Commentariis aut Notis God. Stewechii & Fr. Modii, ex Officina Plantiniana Raphelengij, 1607. BN R–6415. – Viri illustris Flavii Vegetii Renati, & Sex. Julii Frontini Viri Consularis, de re militari opera; Ex recensione Petri Scriverii Accedunt alia ejusdem argumenti veterum scripta, Leiden, Joannis Maire, 1633. BN R–24742. – Anonymi De rebus bellicis liber [Texte imprime´], scriptus, ut videtur, ad Theodosium Aug. ejusque filios Honorium et Arcadium Caess., Antwerpen, Plantin, 1607. Schwebel, Nicolaus (Hg.), Beatus Fidelis La Tour zur Lauben (Übers.): Onosandri Strategicus sive de Imperatoris institutione liber ad codicum manuss. Fidem expressus et ex antiquorum tacticorum potissimum collactione notis perpetuis criticis emendatus … una cum versione gallica liber baronis Zurlauben … ad calcem libri adjecta cura et studio M. Nicolai Schwebelii, …, Nürnberg, C. de Lannoy, 1762. BN Microfilm M–2275; BN R–527. Stewechius, Godescalcus (Hg.): Commentarius, Ad Flavi Vegetii Renati Libros. De re militari, Antwerpen, Plantinus, 1585. – Fl. Vegetii Renati Comitis, aliorumque aliquot veterum de re militari libri. Accedunt Frontini Strategematibus eiusdem auctoris alia opuscula. Omnia emendatius, quaedam nunc primum edita a` Petro Scriverio. Cum Commentariis aut Notis God. Stewechii & Fr. Modii, ex Officina Plantiniana Raphelengij, 1607. BN R–6415. – Veteres De Re Militari Scriptores quotquot extant, nunc primaˆ vice in unum redacti corpus. I. Flavii Vegetii Renati institutorum rei libri V. II. Sexti Julii Frontini strategematum & strategeticoˆn libri IV. III. Claudius Aelianus de instruendis aciebus IV. Modestus de vocabulis rei militaris. V. Polybius de militia & castrametatione Romanorum. VI. Aeneae Poliorceticus, seu de toleranda obsidione. VII. Incerti auctoris de re militari opusculum, quod M. Tullio Ciceroni vulgo insribitur. Accedunt J. Godescalci Stewechii ... in Fl. Vegetium Commentarius. II. Ejusdem conjectanea, & Francisci Modii notae in Sex. Jul. Frontinum III. Petri Schriverii in Fl. Vegetium & Sex. Jul. Frontinum animadversiones. Vesaliae Clivorum, Hoogenhuyse, 1670. Strozzi, Francesco (Hg.): Le Guerre de Greci, Scritte da Senofonte, nelle quali si continova L’Historia di Thucidide, Venedig 1562. The´venot, Me´lchisedech, Jean Boivin de Villeneuve, Philippe de La Hire (Hg.): Veterum Mathematicorum Athenaei, Bitonis, Apollodori, Heronis, Philonis, et aliorum opera, graece et latine pleraque nunc primum edita. Ex Manuscriptis codicibus bibliothecae Regiae, Parisiis, ex typographia regia, 1693. BN Microfilm M–2280. Thomas (Magister): Onomato¯u atthiko¯n eklogai, Lutetiae, Vascosani, 1532. Urbicius/Urbikios [Orbicius]: De nominibus ordinum militarium, Basel 1522. – Orbikiu to¯n peri to strateuma taxeo¯n. In: Lexicon Graecum, Basilae, apud Valeritinum Curionem, 1525. Valois, Henri de, Seigneur d’Orce´ et al. (Hg.): Polybii diodori sicvli Nicolai Damasceni Dionysii Halicar Appiani Alexand Dionis et Ioannis Antiocheni Excerpta et Collectaneis Constantini Avgusti Porphyrogenetae Henricus Valesius nunc primum Graece` edidit, Latine vertit, Notisque illustrauit, Paris, Mathurini Du Puis, 1634. BN J–3269; Re´s.J.1543. – Historiarum libri qui supersunt, interprete Isaaco Casaubono. Jacobus Gronovius recensuit, ac utriusque Casauboni, Ful. Ursini, Henr. Valesii, Jac. Palmerii et suas notas adjecit, Amsterdam 1670. 3 vol. BN J.12414–12416 und –1763–64. Van Meurs, Johannes (Hg.): Leonis imp. Tactica, sive de Re militari liber, Joannes Meursius graece primus vulgavit et notas adjecti . [Modesti libellus de vocabulis rei militaris, ad Tacitum Augustum.], Leiden, impensis Elzevirii, 1612. BN R–6406 und RES-R–1453; HAB A: 82 Quod. (1). – Cl. Aeliani et Leonis imp. Tactica sive De instruendis aciebus, graece et latine. Quorum his graece primum opera Iohannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione latina, ambo autem notis et animadversionibus illustr. in lucem ex-

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I. Quellenverzeichnis

eunt. Accedunt praeliorum aliquot descriptiones, et nonnulla alia, Lugduni Batavorum, apud L. Elzevirium, 1613. BN R–6408. – Tactica sive De instruendis aciebus; Graece et Latine. Quorum hic Graece primum opera Ioannis Meursii, ille ex Sixti Arcerii nova interpretatione Latina: ambo autme Notis et Animadversionibus illustriores in lucem exeunt. Accedunt Praeliorum aliquot Descriptiones, et nonnulla lia; additis Tabulis Aeneis, et Modesti libello de vocabulis militaribus. Faksimiledruck der Ausgabe Lugduni Batavorum apud Ludovicum Elzevirium anno MDCXIII. Mit einer Einführung von Werner Hahlweg, Osnabrück 1981. – Joannis Meursii Criticus arnobianus tributus in libros septem. Item Hypocritius minutianus. Excerpta ms. regii parisiensis, Leiden, Elzevier, 1599. BN Z–13166. – Konstantin VII. Porphyrogenitus: Constantini porphyrogennetae imperatoris opera: in quibus Tactica nunc primu`m prodeunt/Ioannes Meursius collegit, coniunxit, edidit, Lugduni Batavorum, ex officina Eleviriana, 1617. – Vegetius et al.: Flave Ve´ge`ce Rene´,...Du Fait de guerre et fleur de chevalerie, quatre livres, Sexte Jule Frontin,...Des Stratage`mes, espe`ces subtilitez de guerre, quatre livres. Ælian, De l’Ordre et instruction des batailles, ung livre. Modeste, Des Vocables du fait de guerre, ung livre. Pareillement, CXX histoires concernans le fait de guerre, joinctes a` Ve´ge`ce. Traduicts fidellement de latin en franc¸ois et collationnez (par le polygraphe, humble secretaire et historien du parc d’honneur [Nicolas Volkyr de Se´rouville]) aux livres anciens, tant a` ceulx de Bude´ que Be´roalde et Bade, Paris, C.Wechel, 1536. BN Re´s. R. 262 und Re´s. M. V. 46. Vigene`re, Blaise de: L’art militaire d’Onosender autheur grec ou il traicte de l’office et devoir d’un bon chef de guerre. Mis en Langue Franc¸oise et Illustre´ d’annotations par B. de Vigene`re bourbonnois, Paris, Abel L’Angelier, 1605. – Les commentaires de Ce´sar des Guerres de la Gaule. Mis en Franc¸ois par Blaise de Vigene`re Bourbonnois; reueus & corrigez par luy mesme en cette derniere edition. Auec quelques annotations dessus, Paris, Abel l’Angelier, 1584. BN Re´serve J–3570. Vossius, Gerardus Joannes: Commentarii de Bello Gallico et civili, Mannheim 1779. – Commentarius de rebus pace belloque gestis Dom. Fabiani Senioris Burggravii a` Dhona, Leiden, Elzevier, 1628. – Gerardi Ioannis Vossii de Historicis graecis libri quatuor, Leiden, J. Maire, 1623. – Gerardi Joannis Vossii de Historicis latinis libri tres, Leiden, J. Maire, 1627. Vulcanius, Bonaventura : Thesaurus utriusque linguae, Leiden, J. Patius, 1600. Xenophon: Enseignements militaires. In: Isokrates: Enseignements, Paris, Vascosan, 1568.

b. Korrespondenz Bongars, Jacques: Le Secre´taire sans fard, ou Recueil de diverses lettres du Sr Jaques de Bongars, ... avec une instruction a` lui donne´e par le feu monsieur le mareschal de Bouillon, pour lors seigneur de Turrenne, s.l.n.d. BN H–11788. Brandt, Johannes : Clarorum virorum epistolae centum ineditae de vario eruditionis genere, Amsterdam 1702. Burman, Pieter (Hg.): Sylloge epistolarum a viris illustribus scriptarum. Bd. 1 u. 2, Leiden 1725. Duplessis-Mornay, Philippe: Advis sur l’institution d’un enfant, que l’on veut nourrir aux lettres; envoie´ a` Madame la Princesse d’Orenge, a` son instance sur le subjet de son fils. In: Memoires et diverses lettres de Messire Philippe de Mornay, Paris, Simeon Piget, 1647, 69ff. Fortin de la Hoguette, Philippe: Philippe Tamizey de Larroque (Hg.), Lettres de Philippe Fortin de la Hoguette, Socie´te´ des Archives historiques de la Saintonge et de l’Aunis, Bd. 16, Paris-Saintes 1888.

2. Gedruckte Quellen

779

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D) Editionen und Übersetzungen antiker Militärschriftsteller (19. u. 20. Jh.) a. Taktiker – Strategen Asklepiodotos: Traite´ de Tactique. Hg. u. übers. v. Lucien Poznanski, Paris 1992 (22002). Maurikios: Maurice’s Strategikon. Handbook of Byzantine Military Strategy. Übers. v. George T. Dennis, Philadelphia 1984. Polybios: Geschichte, Gesamtausgabe in 2 Bde., Zürich-Stuttgart 21978–1979. Urbicius/Urbikios: Arta Militaraˇ. Hg. u. übers. v. H. Mihaˇescu, Bukarest 1970, S. 368–373. – engl. Übers. in: Philip Rance: Tactics and Tactica in the sixth century – Tradition and Originality, St. Andrews 1994, S. 266–268. – Geoffrey Greatrex, Hugh Elton, Richard Burgess: Urbicius’ Epitedeuma. An Edition, Translation and Commentary, BZ, 98, 1 (2005), S. 55–67.

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III. Abbreviaturen AfK AG AHR AN ARG BHR BN BW BZ DGS DMR DRMR ERM FHS GdKK

GdKW GG GWU HAB HJ HJb HstA HW HWPh HZ JHI JMH JWCI Kb KB Leroy

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824 Milice MFHC MGM NassA PC

PhJb PhW PP RE REA REG RevPhil RHMC RhM SCJ SStM SStL StB TP WWR Zedlers ZfG ZHF

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