Migration, Materialität und Identität: Verortungen zwischen Hier und Dort 351512473X, 9783515124737

Wie leben Menschen ihren Alltag, wenn sie von Berufs wegen häufig umziehen? Um diesen Balanceakt zwischen Hierbleiben un

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German Pages 316 [318] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort
1.2 Begrifflichkeiten und Konzepte
1.3 Das Vorgehen
2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen
2.1 Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen?
2.2 Was heißt hochqualifiziert und international?
2.3 How to – eine method(olog)ische Einordnung
2.3.1 Das Wie und Wo
2.3.2 Ortsbindungen und Mobilität erforschen
2.3.3 Interviews mit Hochqualifizierten
2.4 Eine Einführung in die Interviewees
2.4.1 Forschung & Entwicklung
2.4.2 Privatwirtschaft
2.4.3 Internationale Organisationen
3 Menschen und Mobilität
3.1 Soziale und räumliche Mobilität
3.2 Räumliche Mobilität und Migration
3.3 Migration und Transnationalisierung
4 Verflechtungen und Grenzen
4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg
4.2 Grenzziehungen durch Migration
4.2.1 Zeitliche Grenzen
4.2.2 Soziale Grenzziehungen
4.2.3 Integration durch Grenzziehungen
4.2.4 Räumliche Grenzen: über die Bedeutung nationaler Identitäten
5 Menschen, Mobilität und Migration
5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung
5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität
5.2.1 Soziales Kapital durch Migration
5.2.2 Statuspassagen
6 Materialität und Gesellschaft
6.1 Der Nexus von Materialität und Gesellschaft
6.2 HIMs und Objekte
7 Menschen, Objekte und Migration
7.1 MigrantInnen und (ihre) Objekte
7.2 Was wird als Objekt verhandelt?
7.3 Was symbolisieren Objekte?
7.3.1 Dinge als Zeichen und Symbole
7.3.2 Symbolische Objekte und Gesellschaften
7.4 Was tun Objekte?
7.4.1 Die Handlungsfähigkeit von Dingen
7.4.2 Objekte, Praktiken und Wissen
8 Das Tun mit Objekten
8.1 Alltagsroutinen und Hobbies
8.1.1 Hobbies
8.1.2 Routinen des Alltags
8.2 Räume, Orte und Objekte
8.2.1 Objekte und die Konstitution von Räumen
8.2.2 Objekte auf Reisen
8.2.3 Objekte vor Ort
8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten
8.3.1 Objekte als Last und Lust
8.3.2 Zugehörigkeiten und Fragmentierung
9 Menschen und Orte
9.1 Räume statt Orte?
9.2 Globale Nomaden und flüchtige Gesellschaften
10 Orte, Räume, Lokalitäten
10.1 Orte und Migrationsentscheidungen
10.1.1 Arbeiten
10.1.2 Leben
10.1.3 Landschaft
10.2 Räume vor Ort
10.2.1 Raumkonstitutionen
10.2.2 Infrastrukturen
10.2.3 Praktiken
10.2.4 Zeitlichkeit
10.3 Lokalitäten vor Ort
10.3.1 Lokalität als Konzept
10.3.2 Lokalitäten der HIMs
10.3.3 Exkurs: Atmosphären
11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)
11.1 Territoriale Bindungen
11.2 Bindungen an Orten
11.3 Bindungen an Orte
11.4 Exkurs: Integration vor Ort
11.5 Plurilokale Bindungen
11.6 Die Ortsbindungen der HIMs
12 Verflochtene Identitäten
12.1 Identitäten in der Spätmoderne
12.2 Objekte und Identitäten
12.3 Die Identitäten der HIMs
13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten
13.1 Wer bin ich?
13.1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort
13.1.2 Plurale Werthaltungen
13.1.3 Kollektive Identitäten
13.1.4 Praktiken der Ortsbindung
13.2 Identitäten aus einer relationalen Perspektive
13.2.1 Objekte
13.2.2 Orte
13.2.3 Menschen
13.3 Widersprüche im Leben der HIMs
14 Was zählt? Fazit und Ausblick
14.1 Balancieren zwischen Hier und Dort
14.1.1 Objekte
14.1.2 Orte
14.1.3 Menschen
14.1.4 Verflochtene Identitäten
14.2 Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen
14.3 Ausblick
15 Nachwort
Literaturverzeichnis
Register
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Migration, Materialität und Identität: Verortungen zwischen Hier und Dort
 351512473X, 9783515124737

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Anna­lisa müller

Migration, Materialität und Identität Verortungen zwischen Hier und Dort

Sozialgeographische Bibliothek Band 21 Franz Steiner Verlag

Sozialgeographische Bibliothek Herausgegeben von Benno Werlen Wissenschaftlicher Beirat: Matthew Hannah / Peter Meusburger / Peter Weichhart Band 21

Anna-Lisa Müller

MIGRATION, MATERIALITÄT UND IDENTITÄT Verortungen zwischen Hier und Dort

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: © iStock.com / Yura GRIDNEV Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12473-7 (Print) ISBN 978-3-515-12474-4 (E-Book)

Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

8

1 Einleitung

9

1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort 1.2 Begrifflichkeiten und Konzepte 1.3 Das Vorgehen

2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen 2.1 2.2 2.3 2.4

Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen? Was heißt hochqualifiziert und international? How to – eine method(olog)ische Einordnung Eine Einführung in die Interviewees

10 12 14

17 17 21 24 29

Teil I: Menschen und Mobilität 3 Menschen und Mobilität 3.1 Soziale und räumliche Mobilität 3.2 Räumliche Mobilität und Migration 3.3 Migration und Transnationalisierung

4 Verflechtungen und Grenzen 4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg 4.2 Grenzziehungen durch Migration

51 51 54 58

65 66 73

6

Inhalt

5 Menschen, Mobilität und Migration 5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung 5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität

93 94 102

Teil II: Menschen und Objekte 6 Materialität und Gesellschaft 6.1 Der Nexus von Materialität und Gesellschaft 6.2 HIMs und Objekte

7 Menschen, Objekte und Migration 7.1 7.2 7.3 7.4

MigrantInnen und (ihre) Objekte Was wird als Objekt verhandelt? Was symbolisieren Objekte? Was tun Objekte?

8 Das Tun mit Objekten 8.1 Alltagsroutinen und Hobbies 8.2 Räume, Orte und Objekte 8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten

113 115 117

121 121 125 130 138

147 148 152 166

Teil III: Menschen und Orte 9 Menschen und Orte 9.1 Räume statt Orte? 9.2 Globale Nomaden und flüchtige Gesellschaften

10 Orte, Räume, Lokalitäten 10.1 Orte und Migrationsentscheidungen 10.2 Räume vor Ort 10.3 Lokalitäten vor Ort

175 176 179

185 186 195 203

Inhalt

11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n) 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6

Territoriale Bindungen Bindungen an Orten Bindungen an Orte Exkurs: Integration vor Ort Plurilokale Bindungen Die Ortsbindungen der HIMs

7

217 217 220 226 232 238 243

Verflochtene Identitäten 12 Verflochtene Identitäten 12.1 Identitäten in der Spätmoderne 12.2 Objekte und Identitäten 12.3 Die Identitäten der HIMs

13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten 13.1 Wer bin ich? 13.2 Identitäten aus einer relationalen Perspektive 13.3 Widersprüche im Leben der HIMs

14 Was zählt? Fazit und Ausblick 14.1 Balancieren zwischen Hier und Dort 14.2 Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen 14.3 Ausblick

249 249 252 255

257 258 269 275

281 281 285 286

Nachwort

289

Literaturverzeichnis

291

Register

313

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tab. 2.1: Übersicht der interviewten Personen

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Abb. 2.1: Ausgewählte Interviewsettings © Anna-Lisa Müller 2018

28

1 Einleitung

In diesem Buch geht es um die Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten. Ich werde diese Verflechtungen mit der Hilfe von Personen beschreiben und diskutieren, die in ihrem Berufsleben wiederholt über nationale Grenzen hinweg umgezogen sind und an den verschiedenen Orten mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung gelebt haben. Ihre Migrationsbiographien zeichnen sich durch diese wiederholten Ortswechsel und durch ein Leben in mehreren Ländern aus. Sie sind hochqualifiziert und arbeiten damit in Bereichen, in denen Mobilität auch als berufliche Anforderung verstanden wird (Czaika 2018). Die diesem Buch zugrunde liegende Analyse zeigt, wie sich die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen (HIMs*) über Grenzen hinweg zwischen Orten bewegen, an den Orten ihre temporären Zuhause schaffen, mit anderen Akteuren** vor Ort sowie an anderen Orten interagieren und eine spezifische Lebensform des Migrantischen ausbilden. Dabei bilden sie im Verlauf ihrer Migrationsbiographien spezifische rhizomatische Identitäten aus, für die ihre plurilokalen und plurisozialen Bezüge konstitutiv sind. Für all dies spielen Menschen und Umwelten eine Rolle, aber auch: Objekte. Diese Objekte begleiten die MigrantInnen zum Teil auf ihren Reisen und erhalten dadurch eine eigene Migrationsbiographie. Zum Teil sind die Objekte aber auch stationär, werden ausschließlich vor Ort genutzt und verbleiben dort, wenn sich die Menschen wieder in Bewegung setzen. Die Bedeutung dieser migrierenden und ortsfesten Objekte für die HIMs verändert sich über den Zeitverlauf und in Relation zum lokalen Kontext, nicht zuletzt, weil die Objekte je spezifisch genutzt werden und Teil migrantischer Praktiken des Lebens vor Ort und zwischen Orten sind. Die Verflechtungen von Objekten, Menschen und Orten an Orten und die dabei konstituierten Räume lassen, so argumentiere ich, Lokalitäten entstehen. Der* **

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich mich dazu entschieden, durchgängig die Abkürzung HIMs für hochqualifizierte internationale MigrantInnen zu verwenden. Dies ist nicht vermännlichend gemeint (wie im englischen him vs. her). Ich verwende in diesem Buch das Binnen-I, um sowohl das generische Femininum als auch Maskulinum zu markieren – mit einer Ausnahme: Im Fall des Begriffs Akteur habe ich mich entschieden, keine Anpassung vorzunehmen. Ich fasse unter Akteur sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Entitäten und verwende den Begriff in Anlehnung an Latour (2007) als Teil des Begriffspaars Akteur/Aktant.

10

1 Einleitung

artige Lokalitäten sind entscheidend für die Bindungen, die vor Ort entstehen (können) und die die Zugehörigkeit und temporäre Integration der MigrantInnen an wechselnden Orten möglich machen. Ich kombiniere hier das von Massey (z.B. 2007) entwickelte Konzept der Lokalität mit der vom Sozialkonstruktivismus informierten Raumtheorie Löws (2001) und der relationalen, materialitätssensitiven Sozialtheorie der STS (exempl. Latour und Woolgar 1986; Knorr Cetina 1981; Gieryn 2002). Ein solches Verständnis von Lokalität macht es möglich, die transnationalen sozialen Räume, die im Zuge der wiederholten internationalen Migration hergestellt werden, mit einer Fokussierung der Orte, an denen die Menschen temporär leben, konzeptionell zu fassen. Damit werden das uprooting und regrounding (Ahmed et al. 2003a) über die Klammer der Lokalität als ortsbezogene Prozesse im Kontext wiederholter grenzüberschreitender Migration verstanden. Dabei lassen sich spezifische Ortsbindungen beobachten, die nicht zuletzt an die Produktion derartiger Lokalitäten geknüpft sind und als Doppel aus Bindungen an Orten und an Orte verstanden werden können und mit sozialen und räumlichen, aber auch zeitlichen Grenzziehungen einhergehen. Diesen Relationen von migrierenden Menschen, Objekten und Orten gilt es im vorliegenden Buch nun nachzugehen. Kurz: Es geht um die Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten über Grenzen hinweg. Dieser Verflochtenheit ist für den Fall der wiederholt migrierenden Hochqualifizierten ein spezifisches Balancieren zwischen Hier und Dort, zwischen Ortsfeste und Mobilität eigen, das ich im Folgende kurz skizziere. 1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort Eine der für die Humangeographie bedeutsamen Grundannahmen dieser Arbeit ist dabei, dass grenzüberschreitende Mobilität nicht unabhängig von geographisch fixierbaren Orten vor sich geht. 1 Es geht also gerade nicht darum, zu zeigen, wie sich Menschen in einer global aufgespannten Blase anderer international migrierender Hochqualifizierter quasi ortlos bewegen. Vielmehr geht es darum, die grenzüberschreitenden Räume ebenso zu berücksichtigen wie das wiederholt lokal verortete Leben der HIMs an ihren temporären Lebensmittelpunkten. Die Verortung ist ebenso Bestandteil ihres Lebens wie die Mobilität, und beides findet immer auch in Bezugnahme auf das je andere statt. So ist das Leben vor Ort geprägt durch den Gedanken daran, in absehbarer Zeit den Ort wieder zu verlassen; aber auch die Phase der Bewegung ist gekennzeichnet durch Gedanken an vergangene Orte, an das, was dort gut war und was man nicht noch einmal erleben möchte, ebenso aber durch Gedanken an mögliche zukünftige Wohnorte und ein potentiell dauerhaftes Verorten. 1

Damit ist diese Arbeit auch im Kontext des local turn in der Geographie angesiedelt (ZapataBarrero, Caponio und Scholten 2017; dazu auch Pott und Schmiz 2018, 4).

1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort

11

Ausgehend von diesen theoretischen Annahmen und empirischen Beobachtungen werde ich im Verlauf der vorliegenden Arbeit zeigen, wie über die Relationen von Menschen, Orten und Objekten und die Praktiken der HIMs vor Ort Lokalitäten entstehen und grenzüberschreitende transnationale soziale Räume konstituiert werden. Diese Lokalitäten und Räume sind für die Lebensform der HIMs ebenso bedeutsam wie die Objekte und die Menschen, mit denen sie im Verlauf ihrer Migrationsbiographie in Beziehung treten. Zusammen entstehen daraus verflochtene Identitäten, welche innerhalb der Gruppe der HIMs unterschiedliche Ausprägungen, aber auch große Ähnlichkeiten aufweisen. Die Berücksichtigung von Orten und grenzübergreifend konstituierten Räumen bedeutet aus methodologischer Sicht, dass die Forschung zu einem Phänomen der räumlichen Mobilität verortbar wird. Mit Marres (2012, 22, Übers. ALM) lässt sich daher von einer „materiellen Partizipation“ sprechen: die alltägliche Interaktion von Menschen mit Technologien und Infrastrukturen an einem Ort. Übertragen auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, die Interaktion zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren, die vor Ort geschieht und damit ortsgebunden ist, in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus geht es um eine ortsübergreifend stattfindende Partizipation. Hier interagieren Menschen zwischen Orten und über Orte hinweg mit Menschen und Objekten und konstituieren auf diese Weise transnationale soziale Räume. Diese sind allerdings, so argumentiere ich, gerade nicht als ortsungebunden zu verstehen. Vielmehr handelt es sich auch hierbei um ein auf spezifische Weise verortetes Phänomen der materiellen Partizipation, da die Menschen und Objekte selbst lokal verortet sind. Durch die Fokussierung auf die individuellen Migrationsbiographien ist der Fokus dieser Arbeit schließlich stärker auf der Mikro- als auf der Makroebene von Gesellschaft angesiedelt. Anders als etwa in Lefèbvres (1991) Analyse der Wechselbeziehung von Gesellschaft, Umwelt und Dingen geht es mir stärker um die individuelle als um die gesellschaftliche Ebene; letztere ist aber dennoch wirksam und zu berücksichtigen, da die hier im Mittelpunkt stehenden Menschen in Gesellschaften sozialisiert und durch sie geprägt sind und als Gesellschaftsmitglieder bestimmte Rollen entsprechend ihren Persönlichkeiten übernehmen. Für internationale MigrantInnen spielen gesellschaftliche Kontexte dabei eine spezifische Rolle, da sie nicht nur eine Gesellschaft als Bezugspunkt erleben, sondern immer wieder andere Gesellschaften und Gesellschaftssysteme kennenlernen und zumindest temporär in ihnen sozialisiert werden und Rollen übernehmen. Dadurch verändert sich nicht nur das individuelle Bezugssystem der MigrantInnen, sondern auch ihre soziale Verortung innerhalb von Gesellschaft als übergeordnetem Zusammenhang ihres Handelns. Die Lebensformen und der Habitus (Bourdieu 1982), den internationale MigrantInnen ausbilden und aufweisen, weisen daher, wie ich zeigen werde, komplexe Bezüge zur Herkunfts- und zu den temporären Aufnahmegesellschaften auf. Neben diesen räumlichen und sozialen Aspekten stellen sich auch die Zeitbezüge der HIMs auf eine spezifische Weise dar. Ihr wiederholt mobiles Leben ist

12

1 Einleitung

durch charakteristische Bezugnahmen auf Vergangenheit und Zukunft geprägt. Das erworbene Erfahrungswissen ist dabei konstitutiv für ihre Praktiken der Verortung in der Gegenwart und ihren Umgang mit der Aussicht auf eine zukünftige, erneute Migration. Das Leben der HIMs vor Ort ist daher keines, dass ausschließlich in der Gegenwart stattfindet, wie es frühe Studien der Globalisierungsforschung, etwa von Heller (z.B. 1995, 2), vermuten ließen. Ihr gegenwärtiges Leben unterscheidet sich allerdings aufgrund der spezifischen Konstellation von Bezügen in die Vergangenheit und Zukunft von den zeitlichen Bezugsrahmen der je ortsansässigen Bevölkerung ohne vergleichbare Migrationserfahrung. Damit lässt sich das Balancieren der HIMs zwischen Hier und Dort auf unterschiedlichen analytischen Ebenen und hinsichtlich verschiedener Dimensionen beschreiben. Dafür ist ein begrifflicher Werkzeugkoffer notwendig, dessen Inhalt ich im Folgenden vorstelle. 1.2 Begrifflichkeiten und Konzepte Die im vorliegenden Buch verwendeten Begrifflichkeiten und Konzepte skizziere ich an dieser Stelle in der gebotenen Kürze. Dazu gehören neben der internationalen Migration und der Ortsbindung die Begriffe der Praktiken, der Objekte und der Lokalität. Eng verbunden ist mit diesen Konzepten dasjenige der Raumkonstitution, das ebenfalls eingeführt wird. Unter internationaler Migration wird eine besondere Form der räumlichen Mobilität verstanden (Pries 2001): Es findet eine dauerhafte Wohnsitzverlagerung über nationalstaatliche Grenzen hinweg statt, und die Menschen leben mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung an ihrem (temporären) Wohnort. Damit unterscheidet sich internationale Migration von Binnenmigration und internationaler Mobilität; in erstem Fall werden keine territorialen Grenzen überschritten, in zweitem Fall sind die Aufenthalte vor Ort kürzer. Migration und räumliche Mobilität sind so mithilfe ihrer spezifischen räumlichen und zeitlichen Merkmale zu charakterisieren und zu differenzieren. Wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird, gibt es im Fall der HIMs, die wiederholt migrieren, Ähnlichkeiten zur Transmigration (Glick Schiller, Basch und Szanton-Blanc 1995), insbesondere durch die Konstitution von transnationalen sozialen Räumen und die Integration wiederholter Migration in ihre Biographien. Zudem weisen HIMs spezifische Formen der Ortsbindung auf. Diese Bindungen sind sowohl emotionaler als auch funktionaler Art; sie werden vor Ort konstituiert und werden zu Orten aufgebaut. Die Bindung an Orte verhandele ich unter Zuhilfenahme des Konzeptes des place attachment (Altman und Low 1992), während ich die Bindungen vor Ort unter Verwendung des belonging-Konzeptes fasse (Mee und Wright 2009). Damit ist es möglich, die an den Ort selbst gebundenen Merkmale von Zugehörigkeit ebenso zu fassen wie die sozialen und emotionalen Bindungen, die zu Menschen vor Ort und an anderen Orten hergestellt und auf-

1.2 Begrifflichkeiten und Konzepte

13

rechterhalten werden. Beide Formen der Bindung sind notwendig für die Stabilisierung des Selbst in mobilen Zeiten und sichern das emotionale Wohlbefinden auch an den immer wieder neuen Orten des Zuhauses. Für ein solches Herstellen von Bindungen an Menschen als auch an Orte sind Praktiken entscheidend (Schatzki, Knorr Cetina und Savigny 2001). Praktiken werden hier verstanden Modi des Tuns, die inkorporiert und routiniert sind, und eine die „Individuen dezentrierende Art“ (Hirschauer 2016, 46) des menschlichen Tuns darstellen. Der damit verwendete praxistheoretische Rahmen versteht die Praxis und die Praktiken als den „körperliche[n] Vollzug sozialer Phänomene“ (Hirschauer 2016, 46). Im Begriff der Praktiken sind das Handeln und das Verhalten enthalten, so dass mit dem Begriff sowohl zielgerichtetes und intentionales Tun (Handeln), stärker reaktives Tun (Verhalten) als auch die Tätigkeiten in der Grauzone dazwischen, wie beispielsweise gewohnheitsmäßiges zielgerichtetes Handeln, gemeint sind. Derartige Praktiken sind schließlich essentiell für die Konstitution von Räumen. Das in dieser Arbeit verwendete Raumverständnis ist ein sozialkonstruktivistisches und geht davon aus, dass Räume durch das Inbezugsetzen von Menschen, Objekten und Umwelt hergestellt werden und wiederum das Handeln und Verhalten der Menschen an einem Ort maßgeblich strukturieren (Löw 2001). Für die Konstitution von Räumen sind sowohl individuelle als auch kollektive Prozesse entscheidend: Menschen machen in ihrem Leben individuelle Erfahrungen, entwickeln Präferenzen und Wertvorstellungen, die ihre Raumwahrnehmung und -bewertung und damit die Raumkonstitution beeinflussen. Diese individuellen Prozesse sind in kollektive Zusammenhänge eingebettet, da die Individuen in einer Gesellschaft sozialisiert werden und Verhaltensweisen, Normen und Lebensstile in dieser Gemeinschaft ausbilden. In allen genannten Fällen – bei der Migration, bei der Ortsbindung, bei den Praktiken – spielen außerdem Objekte eine Rolle. Aus einer relationalen Perspektive, wie sie in diesem Buch vertreten wird, heißt dies, die Materialität in ihrer Bedeutung für die Konstitution des Sozialen ernst zu nehmen und nach den Beziehungen zu fragen, die zwischen Objekten, Menschen und Orten hergestellt werden (Müller und Reichmann 2018). Objekte spielen dabei auf einer ersten, sehr offensichtlichen Ebene eine Rolle, beispielsweise wenn ein Musikinstrument von einem Ort an den anderen und wieder zum nächsten mitgenommen wird. Auf einer zweiten Ebene spielen sie eine Rolle, wenn sie vermisst werden, da sie an einem anderen Ort eingelagert wurden, weil ihr Transport zu kostspielig gewesen wäre. Und auf einer dritten Ebene spielen sie eine Rolle, wenn sie die Migrantin weiterhin auf ihren Stationen begleiten, aber gleichsam unsichtbar gemacht werden, etwa wenn sie in einem Karton im Keller als Erinnerung an vergangene Lebensphasen aufbewahrt werden. Objekte können auf diesen verschiedenen Ebenen als Merkzeichen (Schütz 2003) interpretiert werden, die für die MigrantInnen die individuelle Bedeutung dieser Objekte anzeigen. Bestimmte Objekte, die für MigrantInnen wichtig sind, wie etwa der Reisepass, weisen zudem eine symbolische Bedeutung

14

1 Einleitung

auf, da sie zeitliche und individuelle Grenzen transzendieren und innerhalb einer Gesellschaft überindividuell Gültigkeit und Bedeutsamkeit besitzen. Dieses inhaltliche Doppel auf der Bedeutungsebene der Objekte wird mit dem begrifflichen Doppel des Merkzeichens und der Symbole gefasst, welches unter Rückgriff auf die Schütz’sche Phänomenologie verwendet wird. Das letzte Konzept, das in dieser Einleitung zur Rahmung der folgenden Ausführungen erläutert wird, ist das der Lokalität. Diese entstehen an Orten aus dem Wechselspiel dieser Orte mit Praktiken, Materialitäten und Räumen sowie den damit verbundenen Interaktionen von Menschen und Objekten. Unter Bezugnahme auf Massey (z.B. 2007) verstehe ich Lokalitäten hier als Qualitäten eines Ortes, die durch die Interaktion und Ko-Präsenz von Menschen, Objekten und Umwelt an einem geographisch fixierten Ort entstehen. Die begriffliche Fassung der Lokalität als Verortung eines konstituierten Raumes (Löw 2001) trägt meiner Perspektive der Verflochtenheit von Orten, Menschen und Objekten Rechnung. 1.3 Das Vorgehen Um die Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten nachzeichnen zu können, bin ich auf die Hilfe von international migrierenden Hochqualifizierten angewiesen. 19 von ihnen haben ihre Geschichten mit mir geteilt und mir von ihrem Leben erzählt. Die Ergebnisse, die ich in diesem Buch erarbeite und vorstelle, basieren auf diesen 19 individuellen Erzählungen sowie auf einer Reihe von informellen Gesprächen mit InformantInnen aus dem Feld, das heißt mit gatekeepern, die mir Zugang zu den Interviewees verschafft haben. Allen diesen Personen ist es zu verdanken, dass das Buch in der vorliegenden Form entstehen konnte. Das Buch ist wie folgt aufgebaut: Nach einer Vorstellung des method(olog)ischen Vorgehens und der für die Erkenntnisse dieses Buches so wichtigen Personen mithilfe einer Kurzbeschreibung ihrer Migrationsbiographien (Kapitel 2) wird die Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten zunächst in dreifacher Hinsicht aufgelöst und sichtbar gemacht, indem ich die Beziehungen von (1) Menschen und Mobilität, (2) Menschen und Objekten und (3) Menschen und Orten zunächst gesondert in den Blick nehme. Entsprechend besteht das Buch aus drei Teilen zu je drei Kapiteln (Teil I, Kapitel 3 bis 5; Teil II, Kapitel 6 bis 8; Teil III, Kapitel 9 bis 11). Auf diesen empirischen Daten und den den Rahmen gebenden Theorien und Konzepten aufbauend beschreibe ich schließlich abschließend die verflochtenen Identitäten der HIMs in verdichteter Form (Kapitel 12 und 13). Mithilfe der Analyse der hybriden Identitäten werden so die Lebensstile der HIMs deutlich, die sie als soziale Gruppe in heutigen spätmodernen Gesellschaften kennzeichnen. In einem abschließenden Kapitel fasse ich sie zentralen Ergebnisse, die in diesem Buch vorgestellt wurden, zusammen und skizzieren ausblickend drei Felder, in denen weiterführende Forschung denkbar ist (Kapitel 14).

1.3 Das Vorgehen

15

Dabei geht es in dieser Form der Darstellung immer um ein Wechseln zwischen zwei verschiedenen Ebenen: der des wissenschaftlichen Fachdiskurses um Menschen, Mobilität, Objekte und Orte und der der individuellen und kollektiven Erfahrung dieser Aspekte durch die HIMs. Zwischen diesen beiden Ebenen zu vermitteln ist meine Aufgabe als Wissenschaftlerin, die auch eine spezifische Positionierung und ein Sprechen aus einer bestimmten Perspektive beinhaltet. Meine Perspektive und mein Sprechen sind dabei beeinflusst von der Position in der Gesellschaft, die mir als weiße Frau einer bestimmten Altersgruppe, einer Sozialisation in einer westlich-industrialisierten Gesellschaft und mit einer akademischen (Aus-)Bildung zugewiesen wird. Als Wissenschaftlerin Teil einer selbst hochgradig mobilisierten Berufsgruppe zu sein bedeutet dabei auch, die Erfahrungen der von mir interviewten Personen bis zu einem gewissen Grade zu teilen. Dies schafft eine Nähe, die für die Durchführung der empirischen Arbeit hilfreich ist, da in den Interviews auf geteiltes Wissen zurückgegriffen werden kann. Allerdings bedeutet diese Nähe auch eine zusätzliche Anstrengung, die für die „Befremdung“ (Hirschauer und Amann 1997) dieser in gewissem Sinn eigenen Kultur nötig ist. Eine solche Befremdung wiederum ist unabdingbar, um die verschiedenen Facetten des Phänomens angemessen darzustellen. Vollzogen habe ich diese Befremdung im Prozess der Aufbereitung, Auswertung und Kontextualisierung der Daten. Gerade das Suchen nach den Widersprüchen in den individuellen Narrationen und zwischen den einzelnen Erzählungen stellte einen konstruktiven Weg dar, Distanz herzustellen und die emotionale Involviertheit in das Thema und das Mit-Fühlen mit den biographischen Erfahrungen der HIMs zu reduzieren. Diese Befremdung ermöglichte die notwendige reflexive Haltung, um die Interviewdaten als das zu betrachten und zu analysieren, was sie sind: subjektive Narration des Selbst und der individuellen Migrationsbiographie. Im folgenden Kapitel stelle ich nun nach einer Einführung in das Forschungsfeld zur Migration Hochqualifizierter dar, wie in der empirischen Arbeit der Wechsel von Nähe zu Fremdheit methodisch vollzogen wurde und wer die Personen als Individuen sind, die ich hier verallgemeinernd als HIMs bezeichne.

2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

Die ProtagonistInnen dieses Buches sind hochqualifizierte internationale MigrantInnen. Es sind Menschen, die in ihrem beruflichen Leben mindestens zweimal international migriert sind und an den jeweiligen Aufenthaltsorten mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung gelebt haben. Ihre Migrationsentscheidungen werden von ihnen selbst getroffen, so dass ihre Migration als freiwillig bezeichnet werden kann – allerdings wird sich im Verlauf dieses Buches zeigen, dass diese Freiwilligkeit eine spezifische Ausformung zeigt. Aufgrund ihres Ausbildungsgrades gehören die HIMs zu einer Bildungselite und damit zu einer besonderen Gruppe innerhalb der MigrantInnen. 2.1 Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen? Hochqualifizierte internationale MigrantInnen sind seit den 1990er Jahren stärker in den Blick der Migrationsforschung gerückt (z.B. Hillmann und Rudolph 1997; Meyer, Kaplan und Charum 2001; Nowicka 2006b; M. P. Smith und Favell 2006; Lan 2011; Föbker et al. 2014; Bahn 2015). Auch die Stadtforschung und die sich an der Schnittstelle zur Stadtforschung befindliche Migrationsforschung hat sich ihnen, beispielsweise aufgrund ihres häufig in global cities stattfindenden Lebens und den aufkommenden Fragen nach lokaler Integration, zugewandt (z.B. Findlay et al. 1996; Beaverstock 2005; Nagel 2005; Föbker et al. 2012; Plöger und Becker 2015; Föbker et al. 2016; Plöger 2016; Beckers und Boschman 2017; Tippel, Plöger und Becker 2017). Nichtsdestotrotz bleibt die – insbesondere deutschsprachige – Forschung zu Hochqualifizierten und den vermeintlich freiwillig Migrierenden ein gesellschaftlich und politisch wenig beachtetes Thema (Kolb 2006, 159), insbesondere in der aktuellen Situation der EU-Staaten, in der seit September 2015 mit einer sogenannten Flüchtlingswelle umgegangen werden muss (Hanewinkel 2015). Die im Vergleich zu anderen Gruppen von MigrantInnen wenig ausgeprägte Beschäftigung mit hochqualifizierten MigrantInnen hat zwei Gründe: Zum einen wird diese Gruppe politisch und öffentlich sehr wenig problematisiert, ihre Anwesenheit vor Ort wird in der Regel begrüßt, und beklagt wird in der Regel lediglich die Lücke, die sie in ihren Herkunftsländern hinterlassen (Stichwort brain drain).

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

Aufgrund ihrer guten Ausbildung sind die Menschen vergleichsweise gut in den je lokalen Arbeitsmarkt zu integrieren, und sie treffen ihre Migrationsentscheidungen selbst. Damit liegen ihrer räumlichen Mobilität keine humanitären, ökologischen oder politischen Gründe in ihrem Herkunfts- oder vorherigen Aufenthaltsland zugrunde, ihre Migration ist daher auch nicht Teil einer normativ geführten Debatte um Aufnahmekapazitäten oder -quoten, wie sie im Zuge der sogenannten Flüchtlingswelle in potentiellen Aufnahmeländern in der EU auftrat. Die Situation der hochqualifizierter MigrantInnen in ihren Aufenthaltsländern ist eine andere als die der Geflüchteten oder Asylsuchenden, insbesondere rechtlich und diskursiv: Da sie zumeist für eine (neue) Arbeitsstelle migrieren, ist die Frage des Aufenthaltsrechts für die Dauer ihres Arbeitsvertrages vorab geklärt; und da im öffentlichen Diskurs die Teilhabe dieser Personen an der Gesellschaft vorausgesetzt wird, wird auch ihre Anwesenheit in der Aufenthaltsgesellschaft selten problematisiert. Ein weiterer Punkt mag die Forschungslandschaft erklären, und dieser gilt für jegliche Forschung zu Eliten: In den Sozialwissenschaften wurde lange Zeit das sogenannte studying up (Nader 1972) als an sich elitär problematisiert (z.B. Shore 2002, 2) und ihm eine potentielle Ignoranz gegenüber Machtverhältnissen und sozialen Ungleichheiten unterstellt. Dieser Vorwurf greift meiner Ansicht nach allerdings zu kurz. Der in diesem Buch gewählte Zugang, über eine Bildungselite Wissen über einen migrantischen Lebensstil zu erhalten, vernachlässigt Macht- und Ungleichheitsverhältnisse nicht; vielmehr kann es das Wissen um eine weitere soziale Gruppe möglich machen, die spezifischen sozialen Verhältnisse – zu denen auch die Fragen nach Machtpositionen und Ungleichheiten gehören – im Feld der Migration zu erhellen und die komplexen Beziehungen zwischen mobilen Individuen und Aufnahmegesellschaft, zwischen Menschen und Gruppen, zwischen territorial verankerten Orten und transnationalen Räumen zu verstehen. Darüber hinaus können es die Ergebnisse einer solchen vermeintlich elitären Forschungsarbeit leisten, zwischen den verschiedenen, heute vor allem als in getrennten Sphären lebenden Gruppen von MigrantInnen zu vermitteln, indem gezeigt wird, welche sozialen, räumlichen oder materiellen Bezüge die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen aufweisen, vor welchen Herausforderungen sie vor Ort stehen und in welcher Weise ihre Erfahrungen sich von denen anderer Migrierender (nicht) unterscheiden. Damit sollen nicht die Unterschiede zwischen legal und illegal lebenden Menschen, zwischen Geflüchteten und im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses migrierten, zwischen hoch- und niedrigqualifizierten Personen negiert werden; aber es soll für die Zwischenräume sensibilisiert werden, in denen die Freiwilligkeit des einen Ähnlichkeiten mit der erzwungenen Situation des anderen aufweist. Aus den anderen Migrantinnen werden dann MigrantInnen in besonderen Situationen – so, wie sich jede räumlich mobile Person in einer besonderen Situation befindet. Die vorhandene Forschungsliteratur zu hochqualifizierten MigrantInnen adressiert die spezifischen Muster der Mobilität, die Ortsbeziehungen oder auch die Bedeutung des über die Migration erworbenen (sozialen) Kapitals (zu einer

2.1 Hochqualifizierte Hochqualifizierte als als die die Anderen unter 2.1 unter den den MigrantInnen? MigrantInnen?

19

Übersicht Iredale 2001). So legen etwa Beaverstock (2005), Gustafson (2009), Meier (2006), Niedner-Kalthoff (2006) oder Paulu (2001) den Fokus auf die global mobilen Personen und ihre unterschiedlich ausgeprägten Mobilitätsmuster und Ortsbindungen. Beaverstock nimmt dabei Hochqualifizierte in den Blick, die innerhalb und zwischen international agierenden Unternehmen und ihren Standorten wechseln. Die räumliche Mobilität ist für diese „transnationale Elite“ (Beaverstock 2005, Übers. ALM) je zeitlich befristet, die Personen sind für kürzere Aufenthalte an den jeweiligen Orten und weisen eine sehr hohe internationale Mobilität auf, bilden dabei aber auch spezifische transnationale Bindungen aus. Dies ist in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Gustafsons (2009) quantitativer Studie zu Beschäftigten im internationalen Management, für die ein Doppel aus transnationaler und lokaler Bindung festgestellt werden kann (dazu auch Hannerz 1990). Meier (2006) argumentiert am Beispiel von Angestellten im Finanzsektor in London in ähnlicher Weise, fokussiert dabei aber stärker den Ort als die transnationalen Räume und beschreibt die spezifischen Wechsel von Nähe und Distanz zum Ort und die daraus entstehenden Bindungsformen.2 Niedner-Kalthoffs (2006) Arbeit zu DiplomatInnen adressiert dagegen eine bestimmte, in meiner Arbeit ausgeschlossene Gruppe von hochqualifizierten internationalen MigrantInnen. Die Autorin zeigt dabei, wie sich die „Rotationslogik des auswärtigen Dienstes“ (Niedner-Kalthoff 2006, 93) mit den individuellen Erfahrungen der Ver- und Entankerung vor Ort überlagert und spezifische Formen der Einbindung in andere Kulturen mit sich bringt. Diese Formen der „Akkulturation“ (Niedner-Kalthoff 2006, 93) weisen Ähnlichkeiten zu denen anderer Gruppen transnationaler MigrantInnen auf und lassen sich beispielsweise auch für meine Interviewees in vergleichbarer Form identifizieren. Schließlich untersucht Paulu (2001) die Gründe, Strukturen und Muster der räumlichen Mobilität von Angestellten im Finanzsektor am Beispiel einer Großbank und zeigt dabei die Bedeutung von Mobilität für berufliche Karrieren auf. Damit ist der Diskurs um Mobilität als Anforderung im Berufsleben ebenso im Blick wie die Wirkungen dieses Diskurses auf die Einzelnen und die Unternehmen und ihren Umgang damit (dazu auch Hartmann 2016). Weiterhin liegen Arbeiten zu der Berufsgruppe der WissenschaftlerInnen vor, von denen sich auch in meinem Sample zahlreiche finden. So zeigt Scheibelhofer (2006) am Beispiel von WissenschaftlerInnen, die im Ausland forschen, dass internationale Migration ein Doppel von Freiwilligkeit und Zwang, von Last und Lust, wie ich es an späterer Stelle in dieser Arbeit nenne, ist. Welche Statuspassagen 2

Einen anderen Ansatz wählt Molz (2008), der es in ihrer Arbeit um unterschiedliche Konzepte von Zuhause und Zugehörigkeit bei hochmobilen Personen geht, hier allerdings Weltreisende untersucht und damit die Mobilität und nicht die Qualifikation zum entscheidenden Kriterium ihrer Untersuchungsgruppe macht. Babar et al. (2019) wiederum zeigen, dass hochqualifizierte ArbeitsmigrantInnen in Qatar ihre aktuelle und zukünftige Mobilität unterschiedlich interpretieren; dies führe zu einer Gleichzeitigkeit von Mobilität und Immobilität, deren Ausformung u.a. an die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern der MigrantInnen gekoppelt ist.

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

AkademikerInnen dabei durchlaufen, zeigt Thomsen (2009), die den Schwerpunkt ihrer Arbeit weniger auf die Migration als Ganze denn auf den Prozess der Immigration legt. Weiß (2006) untersucht schließlich am Beispiel von Personen im Besitz einer Green Card und von Personen, die von ihren Unternehmen ins Ausland entsandt werden (und von Weiß analytisch als expats gefasst werden), dass sich hier eine spezifische transnationale Gruppe herausbildet, die sich trotz individueller Unterschiede bezüglich der Motive der Migration „als transnationale Klasse begreifen“ lassen, deren Mitglieder „sich in einer strukturell homologen Lage befinden“ (Weiß 2006, 296). Der steigenden Anteil von expats in international agierenden Unternehmen ist wiederum Ausgangspunkt für Findlay, Li, Jowett und Skeldon (1996), zu untersuchen, welche Bedeutung diese Gruppe der internationalen MigrantInnen für die Unternehmensorganisation und insgesamt für die globale wirtschaftliche Entwicklung aufweist. Am Beispiel von HongKong zeigen die AutorInnen, welche Bedeutung global cities als Sitz internationaler Unternehmen und als Migrationsziel hochqualifizierter, international mobiler ArbeitnehmerInnen haben (dazu auch Boyle 2006; zu den Folgen dieser Entwicklung für Paarbeziehungen auch Kreutzer 2006). Jüngste Arbeiten verweisen zudem auf die besonderen migrationspolitischen Implikationen der Migration Hochqualifizierter.3 Ebenso sind die Motive für Migration im Blick;4 neben individuellen und beruflichen Beweggründen gehören dazu politische und wirtschaftliche, die beispielsweise sichtbar werden, wenn die im Kontext der Finanzkrise gerade in südeuropäischen Ländern beobachtbare Emigration untersucht wird (Bartolini, Gropas und Triandafyllidou 2017). Schließlich sind die Selbstbeschreibungen und -abgrenzungen von expats gegenüber anderen Gruppen von MigrantInnen im Blick (Cranston 2017) sowie die Formierung von Diaspora-Gemeinschaften durch die im Ausland lebenden Hochqualifizierten und ihre Versuche, sich für die Entwicklung des Herkunftslandes zu engagieren (Tejada, Varzari und Porcescu 2017). In diesen Arbeiten geht es in der Regel um hochqualifizierte Menschen, die einmalig migrieren (und dann möglicherweise remigrieren) oder um Hochqualifizierte, die wiederholt für kürzere Zeit international umziehen, das heißt, räumlich mobil sind. Im ersten Fall geht es zumeist um die Bindungen, die vor Ort hergestellt und über Grenzen hinweg aufrechterhalten werden und zur Konstitution transnationaler sozialer Räume beitragen. Im zweiten Fall geht es um die (Selbst-)Integration der Hochqualifizierten in international communities und die Akkumulation von Kapital sowie, darauf aufbauend, um die Herausbildung spezi3

4

Für eine Übersicht über unterschiedliche Formen von Migration hochqualifizierter Personen unter besonderer Berücksichtigung von Migrationspolitiken s. Czaika (2018); für ein empirisches Beispiel rechtlicher und sozialer Beschränkungen Boese und Macdonald (2017); für die Bedeutung von hochqualifizierten MigrantInnen in der Multikulturalitätsdebatte z.B. Nagel (2005). Dazu beispielsweise Ozcurumez und Aker (2016) für die Immigration türkischer Hochqualifizierter nach Kanada und Deutschland und Achenbach (2016) zu Remigrationsentscheidungen chinesischer Hochqualifizierter in Japan.

2.2 Was heißt hochqualifiziert 2.1 Hochqualifizierte als die Anderen und unterinternational? den MigrantInnen?

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fischer Lebensstile oder Habitus. An beide Themen schließe ich mit meiner Arbeit an. Das Ziel, das ich in diesem Buch verfolge, ist es darüber hinaus, zu zeigen, wie das Sowohl-als-Auch von lokaler und transnationaler Bindung geschieht, welche – räumlichen und sozialen – Verortungen zu beobachten sind, welche Praktiken ausgebildet werden, die einen Lebensstil der wiederkehrend international Migrierenden mit hervorbringen und welche Rolle Objekte dabei spielen. Daher unterscheidet sich meine Untersuchung in doppelter Hinsicht von vielen bisher durchgeführten: Zum einen geht es um Hochqualifizierte, die selbstgewählt mehrfach international migrieren, zum anderen geht es um die Gleichzeitigkeit der beiden zu beobachtenden Prozesse der Verortung und der Raumkonstitution. Die HIMs sind daher insofern anders als andere MigrantInnen, als sie in spezifischen Kontexten leben, für sie charakteristische Erfahrungen machen und sich durch eine für sie typische Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten auszeichnen. Aus einer solchen Perspektive sind alle MigrantInnen potentiell die Anderen, denn alle befinden sich in besonderen Situationen. Was die Situation der HIMs besonders macht, sind ihre Voraussetzungen für die Migration: Sie sind gut ausgebildet und wollen international mobil sein. Dass ihre Migration durchaus nicht so eindeutig freiwillig ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, hat schon die Beschreibung dieses Typus von MigrantInnen deutlich gemacht. Dennoch gehören sie zu denjenigen, die ihr mobiles Leben selbst gewählt haben, die nicht aus ihrem Heimatland vertrieben wurden oder aus politischen Gründen fliehen mussten, und sie leben ihr mobiles Leben selbstbestimmt. Wie sich die Merkmale der Qualifikation und der internationalen Migration, die sie darüber hinaus charakterisieren, konzeptionell fassen lassen, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. 2.2 Was heißt hochqualifiziert und international? Die 19 Personen, die ich interviewt habe, erfüllen formal gesprochen drei Kriterien: Sie sind hochqualifiziert, migrieren international und sind die driver der Migration. Letzteres bedeutet, dass sie in ein anderes Land umgezogen sind, da sie dort eine Arbeitsstelle angetreten haben oder aus anderen, berufsbezogenen Gründen dorthin gegangen sind. Damit schließe ich diejenigen aus, die etwa als begleitende PartnerInnen mit in ein anderes Land umziehen. Das bedeutet nicht, dass meine GesprächspartnerInnen ihre Entscheidungen immer alleine und ohne Berücksichtigung ihres jeweiligen sozialen Umfeldes getroffen hätten. Aber es heißt, dass ich mit denen gesprochen habe, derentwegen umgezogen wurde. Ihrer Charakterisierung als internationale MigrantInnen liegt eine zeitliche und räumliche Variable zugrunde: Als MigrantIn international zu sein bedeutet, territoriale Grenzen und somit Staatsgrenzen überschritten zu haben. Eine Migrantin oder ein Migrant zu sein heißt, an jedem temporären Wohnort mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung gelebt zu haben. Um die mich interessierende Form

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

der Migration von einer einmaligen Migration und von Pendelmigration zwischen zwei oder mehr Orten abzugrenzen, ist das Kriterium zudem, dass die Personen wiederholt, d.h. zweimal und mehr, in andere Orte im Ausland umgezogen sind. Außerdem liegt der Fokus dieser Arbeit auf der Zeit des beruflichen Lebens der MigrantInnen, das heißt nach ihrem berufsqualifizierenden Bildungsabschluss, da eine Entscheidung zur Migration in dieser Lebensphase anders – nämlich: eigenständiger – getroffen wird als während der Kindheit oder Jugend oder in der Phase der Ausbildung. Schließlich sind die MigrantInnen in meiner Fallauswahl hochqualifiziert. Formal bedeutet dies, dass sie nach der internationalen Bildungsklassifikation (ISCED) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das Level 5 oder 6 erreicht haben UNESCO Institute for Statistics 2012). Dies schließt eine, kürzere oder längere, Ausbildung im tertiären Bildungsbereich, etwa der Hochschule, ein. Wenn ich hier das von der UNESCO etablierte Klassifikationssystem ISCED als Referenz anlege, wird ein spezifisches Verständnis an das, was Qualifikationen und Ausbildung sind – und gesellschaftlich, politisch, ökonomisch etc. wert sind – impliziert. Zwar ist der Ansatz der UNESCO vergleichsweise stark bemüht, länderspezifische Bildungssysteme zu berücksichtigen. Der Wunsch nach internationaler Vergleichbarkeit schafft dennoch ein System der Angleichung, welches lokal spezifische Klassifikationen von Bildung und Verständnisse von Qualifikationen ausschließt. Läge man alternative Definitionen von Qualifikation an, entstünden möglicherweise andere, quer zu dieser Klassifikation liegende Bestimmungen dessen, was hochqualifiziert ist. Dies sind Aspekte, die bei allen Formen des Messbarmachens und Klassifizierens berücksichtigt werden sollten (vgl. dazu Lampland und Star 2009) und die auch die Kategorisierung der internationalen Migration betreffen. Hier wird versucht, Widersprüche, die aus Überlagerungen, Gleichzeitigkeiten und Uneindeutigkeiten entstehen, insofern aufzulösen, als jemand entweder Migrantin oder räumlich mobil ist, entweder hochqualifiziert oder geringqualifiziert. Eine zusätzliche Einschränkung bei der Auswahl der Personen liegt vor, die die Berufsfelder betrifft, in denen sie arbeiten: Berufsfelder wie den diplomatischen Dienst, in dem es zur Stellenbeschreibung gehört, im Verlauf der Karriere an unterschiedlichen Orten Dienst zu tun, habe ich ausgeklammert. Die Entscheidungen für den neuen Ort können in diesen Feldern nur begrenzt selbst getroffen werden, und mir ging es nicht zuletzt darum, herauszufinden, warum jemand an einen neuen Ort geht und welche Entscheidungsprozesse damit verbunden sind. Die Personen, die ich interviewt habe, arbeiten in unterschiedlichen Berufen und lassen sich dem Feld der Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der internationalen Organisationen zuordnen, wie die folgende Übersicht zeigt (Tab. 2.1). Die Tabelle zeigt, dass ein großer Teil (zehn Personen) dem Bereich Forschung und Entwicklung zuzuordnen ist; hiervon sind neun der zehn Person NaturwissenschaftlerInnen, lediglich eine Person (Ryan) ist Sozialwissenschaftler. Ein weiterer Teil der Interviewees (sechs Personen) ist in der Privatwirtschaft tätig, und drei

2.2 Was heißt hochqualifiziert und international?

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Personen sind internationalen Organisationen und Kultureinrichtungen zuzuordnen. Pseudonym

Arbeitsbereich

Herkunftsland & Stationen der Migrationsbiographie

Dieter

Forschung

Deutschland-USA-Großbritannien-Niederlande

Paola

Forschung

Italien-Großbritannien-Niederlande

François

Forschung

Frankreich-USA-Niederlande

Sven

Forschung

Schweden-Großbritannien-Niederlande

John

Forschung

Großbritannien-USA-Niederlande

Sarah

Forschung

Großbritannien-USA-Großbritannien-Niederlande

Silja

Forschung

Deutschland-(Großbritannien)-(Deutschland)Österreich-(USA)-Österreich

Luis

Forschung

Venezuela-(USA)-Spanien-GroßbritannienÖsterreich

Lisa

Wissenschaft

Deutschland-Großbritannien-USA-Norwegen-Österreich

Ryan

Wissenschaft

Kanada-USA-Kanada- Großbritannien

Rieke

Privatwirtschaft

Deutschland-Schweiz-Deutschland-(Expeditionsschiff)Tansania-Schweiz-Kosovo-Schweiz

Djadi

Privatwirtschaft

Libanon-Deutschland-(Dänemark)-Deutschland-Schweiz

Magda

Privatwirtschaft

Polen-Österreich-(Großbritannien)-Österreich-DeutschlandÖsterreich

Peter

Privatwirtschaft

Neuseeland-Großbritannien-Kanalinseln-(Frankreich)Kanalinseln-Großbritannien-Österreich

Dora

Privatwirtschaft

Deutschland-USA-Deutschland-USA-Schweiz

Brigitte

Privatwirtschaft

Deutschland-Österreich-(Deutschland)-(Italien)(Kreuzfahrtschiff)-(Deutschland)-(Südafrika)-DeutschlandSchweiz

Lola

Internationale Or- Deutschland-USA-Schweiz-(Südsudan)-Schweiz-Beninganisationen Großbritannien-Schweiz

Holger

Internationale Or- Deutschland-Tansania-Schweiz-Kosovo-(Polen)- Schweiz ganisationen

Yuna

Internationale Kultureinrichtung

Japan-Deutschland-Mexiko-Japan-(Kambodscha)Argentinien-Japan-Deutschland

Tabelle 2 .1: Übersicht der interviewten Personen

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

2.3 How to – eine method(olog)ische Einordnung Die oben skizzierten Kriterien für die Auswahl der Interviewees bildeten den Rahmen, den ich verwendete, um Personen zu akquirieren. Für diese Akquise war ich auf Kontakte angewiesen: auf Menschen, die mir den Zugang zum Feld öffnen. Diese Menschen waren Personen, zu denen ich unterschiedlich enge Beziehungen habe – Familienangehörige, Freunde, Bekannte. Über diese gatekeeper gelangte ich an andere, die wiederum andere kannten, die in mein Sample passten. Oder: zu passen schienen, denn in einigen Fällen stellte sich während des Interviews heraus, dass Kriterien nicht erfüllt waren. So hatten Interviewees einen für mehrere Jahre geplanten Aufenthalt im Ausland aufgrund von Krankheit oder Schwangerschaft verkürzt – etwas, das oft selbst die vermittelnden Bekannten nicht wussten. In anderen Fällen arbeiten die Interviewees derzeit in Stellungen, die als hochqualifiziert gelten; die Beschreibung ihres Weges dorthin zeigte dann aber, dass sie das formale Kriterium der Hochqualifikation, das ich anlege (OECD-Niveau 5 und 6), nicht erfüllen, da sie sich on the job weiterqualifiziert haben. Ich habe mich entschieden, die Interviews mit diesen Personen dennoch in das Sample aufzunehmen und die Daten zu verwenden. Ich bin der Überzeugung, dass eine konzeptionell angelegte Forschung auf diese empirischen Eigenarten reagieren kann, da Leben selten so widerspruchsfrei ist wie es ein Untersuchungsdesign sein sollte. Indem ich die Einschränkungen innerhalb der Gruppe meiner Interviewees transparent mache, meine ich, dennoch die Kriterien guten wissenschaftlichen Arbeitens zu erfüllen. In den unten folgenden Vorstellungen der Interviewees werden daher die Fälle, in denen die Kriterien nicht vollständig erfüllt waren, entsprechend besprochen. 2.3.1 Das Wie und Wo Mit jeder der Personen habe ich qualitative Interviews geführt. Dazu habe ich mich, außer in fünf Fällen, persönlich mit den Personen an einem Ort ihrer Wahl getroffen. Dies war entweder der Arbeitsplatz, die Wohnung oder ein Café (s. Abb. 2.1). In den fünf anderen Fällen habe ich die Gespräche per Telefon oder mit Voice-over-IP-Technologie, also einer Videotelefonie, durchgeführt.

2.3 How to – eine method(olog)ische Einordnung

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Abbildung 2. 1: Ausgewählte Interviewsettings © Anna-Lisa Müller 2018

Die Gespräche dauerten im Schnitt eine bis anderthalb Stunden. Zwölf von ihnen wurden auf Deutsch, sieben auf Englisch geführt. 5 Zwei der face-to-face-geführten Interviews fanden in Deutschland, vier in Österreich, sechs in den Niederlanden, eines in der Schweiz und eines in England statt. Bis auf ein Interview wurden alle Interviews mit einem digitalen Aufnahmegerät aufgezeichnet und anschließend transkribiert.6 Themenblöcke hatte ich für die Gespräche vorbereitet, aber insge5

6

Eine kritische Diskussion der Erhebung und Auswertung empirischer Daten ist in Müller (2013, Kap. 6) zu finden; dazu gehören Reflexionen zur Verwendung von im Nachgang der Interviews angefertigten Notizen und Skizzen der Interviewsettings sowie zur Durchführung von fremdsprachigen Interviews. Die Interviewee Magda sprach sich gegen eine Aufzeichnung des Gesprächs aus; hier habe ich stattdessen während und nach dem Interview ein ausführliches Gesprächsprotokoll angefertigt. Die auf Deutsch geführten Interviews wurden von einem deutschen Muttersprachler, die auf Englisch geführten Interviews von einer Anglistin transkribiert. Ausgewertet wurden die Interviews mithilfe des Programms MAXQDA; die Referenzen in diesem Buch beziehen sich auf die Auswertungsdatei, die auf Wunsch ebenso wie die Transkripte zugänglich gemacht werden kann. In ausgewählten Fällen wurden außersprachliche Aspekte in den Interviewausschnitten belassen, etwa wenn eine interviewte Person einen Satz lachend äußerte. In diesem Fällen verändert das Lachen die Bedeutung des Gesagten und ist für das Verständnis der Sequenz wichtig.

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

samt zielten die Interviews darauf, die Personen ins Erzählen über ihre berufliche Migrationsbiographie zu bringen. Sie sind daher problemzentriert und narrativ, da sie ein bestimmtes Themenfeld adressieren, auch wenn immer auch andere Themen angeschnitten wurden (Schütze 1983). So weiß ich beispielsweise nun genau, wie Brigitte ihren heutigen Mann kennengelernt hat und wie der Heiratsantrag verlaufen ist. Und ich weiß, wie die Beziehung zwischen Dora und ihren Eltern in ihrer Jugendzeit kurz vor ihrem Abitur war. Diese Dinge haben auf den ersten Blick möglicherweise wenig mit den beruflichen Migrationsbiographien zu tun. Sie zu erwähnen, lag auf Seiten der Interviewees, und dass sie sie erwähnt haben, bedeutet, dass sie nicht nur einen Stellenwert in ihrer Biographie, sondern auch in ihrer beruflichen Migrationsbiographie aufweisen. 2.3.2 Ortsbindungen und Mobilität erforschen Lassen sich Ortsbindungen und Mobilität mithilfe einer Interviewstudie erforschen? Mit dieser Frage ist man als Forscherin insbesondere dann konfrontiert, wenn nicht nur Diskurse oder Selbstbeschreibungen im Blick sind, sondern auch die Praktiken adressiert werden sollen, die im Zuge von räumlicher Mobilität ausgebildet werden, soziale und örtliche Bindungen erzeugen und zur Konstitution von Räumen beitragen. Forschungen mit einem solchen Blick für Praktiken und die Verwobenheit von Menschen, Dingen, Körpern und Wissen in einer Gesellschaft sind häufig ethnographische Arbeiten. Ethnographien zeichnen sich durch die teilnehmende oder nicht-teilnehmende Untersuchung eines Forschungsfeldes aus, welche mit unterschiedlichen Methoden realisiert wird. 7 Im Zuge der Erhebung werden die Menschen in dem jeweils interessierenden sozialen und räumlichen Kontext beobachtet und begleitet (Whyte 1969), es wird ihnen zur Hand gegangen oder in ihrem Quartier gewohnt (Goffman 2009). Praktiken, verstanden als routinierte, in den Körper eingeschriebene Handlungs- und Verhaltensweisen, werden in diesen Studien über Beobachtung und „dichte Beschreibung“ (Geertz 1983) zugänglich. Die detaillierte Notation des Tuns erlaubt es den Forschenden, dieses Tun systematisch zu interpretieren, Muster zu identifizieren und die Verflechtungen aufzuzeigen, die durch Praktiken erst möglich werden. Durch die Ko-Präsenz von Forschenden und Beforschten lassen sich die beobachteten Handlungs- und Verhaltensweisen mit der eigenen Wahrnehmung der Situation kontextualisieren, bei sozialen Interaktionen können die verschiedenen beteiligten Akteure beobachtet und, wenn nötig, zusätzlich befragt werden. Im Unterschied zu Interviews enthalten ethnographische Daten also eine Multiperspektivität, während Interviews die Interpretation einer Situation und die 7

Einführend und grundlegend zur Ethnographie Atkinson (2002); Hammersley und Atkinson (2007); zur fokussierten Ethnographie Knoblauch (2005); zur spezifischen Form des shadowing McDonald (2005); zur visuellen Ethnographie Pink (2007) und O’Reilly (2009).

2.3 How to – eine method(olog)ische Einordnung

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Beschreibungen einer Handlung allein aus der Perspektive der Interviewees zugänglich machen. Dennoch lassen sich, so argumentiere ich, Verweise auf Praktiken auch in Interviewdaten finden. Denn die narrativen Interviews, wie sie von mir mit den hochqualifizierten internationalen MigrantInnen geführt wurden, stellen in gewisser Weise ebenfalls dichte Beschreibungen der Interviewees über ihr Handeln und Verhalten dar. Die Narrationen der Interviewees sind damit eine spezifische Interpretation der Daten über ihre Migrationsbiographie. Anders als im Fall einer Ethnographie handelt es sich demnach nicht um multiperspektivische, sondern einzelperspektivische Darstellungen. Dies ist bei der Auswertung und Interpretation der Daten zu berücksichtigen; hierfür ist das zusätzliche Wissen, das ich als Forscherin durch Gespräche mit InformantInnen aus dem Feld sowie durch punktuelle Beobachtungen vor Ort erhalten habe, besonders wichtig. Bestimmte Dimensionen von Praktiken können allerdings über die Methode des Interviews tatsächlich kaum erforscht werden. Die Körperlichkeit von Praktiken etwa bleibt einer Interviewstudie größtenteils verschlossen. Aus forschungspraktischer Sicht ist dies allerdings eine methodologische Schwäche, die durch die Stärke des Zugangs zu einem hochmobilen Feld wettgemacht wird: Derartige mobile Personen über einen längeren Zeitraum an ihren verschiedenen Stationen und während ihrer Umzüge zu beobachten ist wenig praktikabel.8 Praktikabel ist es, sie an ihren aktuellen Lebensmittelpunkten zu interviewen und sich ihre Migrationsbiographie narrativ nachzeichnen zu lassen. 2.3.3 Interviews mit Hochqualifizierten Eine Interviewsituation ist immer eine besondere soziale Situation, da hier ein natürliches Gespräch simuliert wird. Die Interviewsituation als soziale Situation ist aufgrund von mindestens drei Aspekten nicht-natürlich: bezüglich (1) des vorhanden Wissens, (2) der Gesprächsform und (3) der besprochenen Inhalte. Diese Merkmale gelten für alle qualitativen Interviews; gerade das dritte Merkmal ist im Fall der Interviews mit Hochqualifizierten besonders ausgeprägt, wie ich unten skizziere. (1) Dimension Wissen: Die interviewende und die interviewte Person befinden sich in einer asymmetrischen Beziehung zueinander, welche unter anderem durch die ungleich verteilten Wissensvorräte begründet wird. So hat die interviewende Person deutlich mehr Informationen über die Situation selbst – wie sie aufgebaut ist, wie sie ablaufen soll, wie der Anfang und das Ende eingeleitet werden –, was ihr in der Regel zu mehr Sicherheit und Gewissheit ob der Situation verhilft. Mit diesem Wissensvorsprung und mit der Rolle als interviewende Person sind allerdings auch bestimmte Erwartungen verbunden, etwa die der Gesprächsleitung, 8

Vgl. dazu die Studie von Spiegel und Mense-Petermann (2016), die punktuell international tätige Manager begleiten konnten.

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

der Einführung in das und der Ausführung aus dem Interview und der sicheren Handhabung etwaig auftretender Probleme. Diese Erwartungen sind in der Regel implizit vorhanden und werden einerseits von der interviewten Person an die Interviewerin oder den Interviewer herangetragen, andererseits hat die das Interview führende Person ebensolche Erwartungen an sich selbst. Erfüllt sie sie nicht, kann sie in ihrer Rolle als Interviewende verunsichert werden, woraufhin wiederum die gesamte Interviewsituation in Frage gestellt werden kann. Die interviewte Person hat allerdings ebenfalls einen Wissensvorsprung, da nur sie weiß, was sie weiß – sie verfügt über das für die interviewende Person wichtige Wissen, kann dieses auf eine bestimmte Art und Weise formulieren und darstellen, preisgeben oder zurückhalten. Die Art und Weise, wie die Dinge erzählt werden, machen ebenso einen Unterschied für die Forschung wie die Menge und der Detailgrad an Informationen, die mit der interviewenden Person geteilt werden. (2) Dimension Gesprächsform: Die Gesprächsform der Interviews unterscheidet sich von der natürlicher sozialer Situationen. Anders als bei zufälligen Begegnungen gibt es einen eindeutig markierten Anfang des Gesprächs; aufgrund der Terminabsprache können sich die GesprächspartnerInnen zudem auf das Gespräch vorbereiten. Zumeist gibt es auch ein vereinbartes Ende des Gesprächs; diese Rahmenbedingungen machen das Interview besonders. Aber auch gegenüber zeitlich strukturierten sozialen Interaktionen wie beruflichen Besprechungen unterscheiden sich die Interviews, da die Themenabfolge und die Art und Weise, wie über die Themen gesprochen und was erwähnt wird, bei narrativen Interviews nicht vorhersehbar sind. Auch wenn ein Interviewleitfaden vorliegt, so wird dieser flexibler gehandhabt als die Punkte einer Tagesordnung bei einem Meeting. Hinzu kommt, dass größtenteils offene Fragen formuliert werden und versucht wird, Suggestiv- oder geschlossene Fragen zu vermeiden (dazu z.B. Hermanns 2005); in natürlichen Situationen kommen derartige Fragearten dagegen deutlich häufiger vor als im qualitativen Interview. Schließlich liegt auch bezüglich der Gesprächsform eine Asymmetrie zwischen interviewender und interviewter Person vor, da erstere in erster Linie die Fragen stellt und letztere diese beantwortet; es handelt sich daher nicht im engeren Sinn um ein dialogisches Gespräch. (3) Dimension Inhalte: Schließlich unterscheiden sich die besprochenen Inhalte der narrativen Interviews von den Gesprächsthemen in natürlichen sozialen Situationen. Dies hängt nicht zuletzt mit der asymmetrischen Wissensverteilung zwischen interviewender und interviewter Person zusammen. In vergleichsweise kurzer Zeit werden Themen mit einer hohen inhaltlichen, aber auch emotionalen Tiefe zwischen Fremden behandelt, wie es sonst nur in Gesprächen zwischen sehr vertrauten Personen geschieht. Hinzu kommt, dass bei den Interviews mit Hochqualifizierten die besprochenen Inhalte auf eine, vom Inhalt stark abstrahierende, Weise verhandelt werden. Die Personen, mit denen ich gesprochen habe, gehören aufgrund ihres Bildungsstands zu einer Bildungselite. Dies stellt für mich als interviewende Person eine Herausforderung dar (Harvey 2010): Nicht selten kam es im Verlauf des Interviews und insbesondere im Nachgespräch dazu, dass nach meinen

2.4 Eine Einführung in die Interviewees 2.3 How to – eine method(olog)ische Einordnung

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Forschungsfragen, meiner Herangehensweise und meinen theoretischen Vorannahmen gefragt wurde. Im Zuge dessen wurde dann zum Teil die Herangehensweise herausgefordert, etwa wenn mir nahegelegt wurde, doch auch noch eine repräsentative, quantitative Studie zu machen oder die Sozialisation der MigrantInnen stärker einzubeziehen und etwa ihre Familien zu befragen. Auch wurden politische Aspekte des Forschungsthemas, etwa Fragen des Aufenthaltsrechts, der politischen Situation in Aufenthalts- oder Herkunftsländern, aber auch des Karrieresystems im Wissenschaftsbetrieb angesprochen. Die Fragen, die auf das Untersuchungsdesign zielten, forderten mich als Forscherin. Die anderen Fragen forderten mich insbesondere als Privatperson und stellten die Trennung von Forschungsinteresse und persönlicher Involviertheit in Frage. Außerdem waren die Interviewees, und das kennzeichnet sie zusätzlich als Angehörige einer Bildungselite, ausgesprochen reflektiert. Sie verwendeten in vielen Fällen Begriffe, die der öffentlichen Debatte um Mobilität und Flexibilität als berufliche Anforderung entstammen. Damit war klar, dass ich diese Ebene der Reflexion, Bezugnahme auf und Inkorporierung des Diskurses um berufliche Mobilität in der Analyse berücksichtigen musste. Im Folgenden stelle ich die Persönlichkeiten, die hinter den Namen in der Tabelle 2.1 stehen, vor, indem ich die Interviewees kurz einzeln charakterisiere. Die Namen wurden von mir pseudonymisiert. Auf eine Pseudonymisierung der Orte, an denen sie gelebt haben, habe ich verzichtet, sofern sie nicht explizit darum gebeten haben; dies war lediglich bei Ryan der Fall. Die Möglichkeit, die interviewten Personen aufgrund der namentlichen Nennung ihrer Migrationsstationen zu identifizieren, ist aus meiner Sicht nicht möglich; da zudem die Qualitäten der einzelnen Orte und die spezifischen Raumbilder (Gregory 1994), die durch die Nennung von Namen wie London, Genf oder Priština auch bei den LeserInnen erzeugt werden, eine Bedeutung für die hier erzählten Migrationsbiographien haben, sind die Identitäten der Orte wichtig. In Ryans Fall umschreibe ich daher die Orte mithilfe bestimmter Merkmale (Großstadt/Kleinstadt, Staat) anstatt andere, existierende Ortsnamen oder erfundene Namen zu verwenden, da diese wiederum spezifische, in diesem Fall in die Irre führende Raumbilder erzeugen würden. Die privatwirtschaftlichen Unternehmen, wissenschaftlichen Einrichtungen und internationalen Organisationen, bei denen die Interviewees arbeiten und gearbeitet haben, werden nicht namentlich genannt, da ansonsten durch die Kombination verschiedener Informationen zu den (Migrations-)Biographien ein Rückschluss auf die Identitäten der Personen möglich wäre. 2.4 Eine Einführung in die Interviewees Die Interviewees werden hier mit den zentralen Merkmalen ihrer Migrationsbiographie und Persönlichkeit vorgestellt. Von den 19 interviewten Personen sind zehn männlich und neun weiblich; ihr Alter ist unterschiedlich, aber alle befinden

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

sich als Berufstätige innerhalb des Spektrums von 30 und 60 Jahren. Der Übersichtlichkeit halber finden die Vorstellungen sortiert nach den Zugehörigkeiten zum wirtschaftlichen Sektor statt; die Erfahrungen, die die Personen machen, und die Haltungen, die sie gegenüber der Mobilität und der Ortsfeste einnehmen, sind allerdings nicht entlang dieser Grenzen zu unterscheiden. 2.4.1 Forschung & Entwicklung Dieter ist Naturwissenschaftler und lebt derzeit in den Niederlanden. Er arbeitet bei einer europäischen Forschungseinrichtung und lebt zum Zeitpunkt des Interviews mit seiner Frau und Kindern seit 2002 in der Nähe von Leiden. Er ist in Norddeutschland aufgewachsen und hat inklusive seiner Promotion alle Bildungsabschlüsse in Deutschland erworben. Nach seiner Promotion ging er zusammen mit seiner Frau für zwei Jahre nach Colorado in die USA, um dort als PostDoc zu arbeiten. Anschließend verbrachte er, wiederum mit seiner Frau, knapp zwei Jahre in Glasgow in Großbritannien, bevor er aus beruflichen Gründen in die Niederlande umzog. Der Kontakt zu Dieter wurde über einen gemeinsamen Bekannten hergestellt, das Interview fand auf Deutsch in einem Besprechungsraum an Dieters Arbeitsplatz statt. Dieter beschreibt vergleichsweise nüchtern seine Migrationsbiographie und stellt die verschiedenen beruflichen Wechsel als zwangsläufig aufeinander folgend da, da eine solche Abfolge für seinen Arbeitsbereich, so seine Wahrnehmung, normal sei. Seine Integration vor Ort gelingt insbesondere über seine Hobbies wie das Volleyballspielen; Objekte sind für ihn persönlich nicht sehr bedeutsam, allerdings hebt er hervor, dass verschiedene Musikinstrumente ihn und seine Frau auf ihren gemeinsamen Stationen begleitet hätten, da Musik seiner Frau sehr wichtig sei. Dieter ist eine der Personen, die die international community als Bezugspunkt des Lebens vor Ort sehr hoch schätzt; eine Assimilation vor Ort lehnt er ab, und als eine der wichtigen Erkenntnisse, die er während seiner Migrationsbiographie gewonnen habe, bezeichnet er, dass er gemerkt habe, dass Integration für ihn nicht immer möglich sei. Paola ist Naturwissenschaftlerin und lebt derzeit ebenfalls in den Niederlanden, sie arbeitet bei derselben Forschungseinrichtung wie Dieter. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt sie mit ihrem Mann und Kindern seit 15 Jahren in der Nähe von Leiden. Paola ist in Italien aufgewachsen und hat dort alle Bildungsabschlüsse bis zum Hochschulabschluss erworben. Nach dem Abschluss ging sie für einen einjährigen Forschungsaufenthalt im Rahmen ihrer Dissertation nach Manchester in Großbritannien, wo sie ihren heutigen Mann kennenlernte. Nach Abschluss des Forschungsaufenthaltes beendete sie ihre Promotion in Italien und kehrte für anderthalb Jahre nach England zurück, wo ihr heutiger Ehemann seine Promotion beendete. Anschließend zog sie aus beruflichen Gründen in die Niederlande um. Der Kontakt zu Paola wurde über einen gemeinsamen Bekannten hergestellt, das

2.4 Eine Einführung in die Interviewees

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Interview fand auf Englisch in einem Besprechungsraum an Paolas Arbeitsplatz statt. Paola beschreibt besonders die Hybridität ihrer Person als Wissenschaftlerin. Da sie in unterschiedlichen Ländern Bildungsabschlüsse erworben und in diesem Zuge unterschiedliche Wissenschaftskulturen erlebt habe, sei sie als Wissenschaftlerin von ihrem ursprünglichen nationalen Kontext, dem italienischen Wissenschaftssystem, entkoppelt. Eine Wiedereingliederung und damit eine Karriere in Italien betrachtet sie als unmöglich. Vor Ort ist sie damit konfrontiert, dass ihre bilingual aufwachsenden Kinder in der Schule aus ihrer Sicht zum Teil benachteiligt würden, da sie die niederländische Sprache nicht so gut sprächen wie die muttersprachlich aufgewachsenen Kinder. Anders als John, den ich weiter unten beschreibe, wählte sie allerdings dezidiert eine niederländische – und keine internationale – Schule. Für Paola spielen Orte insbesondere dann eine Rolle, wenn es um die Entscheidung zwischen Bleiben und Gehen geht; der Wunsch, auf Grund der Qualitäten des Lebens vor Ort dort bleiben zu wollen, kann dann deutlich stärker sein als der Reiz des Neuen. Objekte spielen in Paolas Narrationen keine starke Rolle; eine Nachfrage zeigt allerdings, dass sie in einer bestimmten Phase ihrer Migrationsbiographie einen Walkman besaß, der sie zusammen mit Musikkassetten immer begleitete. Im Zuge der technologischen Ablösung des Walkman erst durch den CDund dann durch den MP3-Player ersetzte Paola ihren Walkman allerdings nicht; das Gerät, die Kassetten und eine bestimmte biographische Phase sind bei Paola daher sehr eng miteinander verknüpft. François ist Naturwissenschaftler und lebt derzeit ebenfalls in den Niederlanden und arbeitet auch bei derselben Forschungseinrichtung wie Dieter. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt er mit seiner Lebensgefährtin seit anderthalb Jahren in der Nähe von Leiden. François ist in Frankreich aufgewachsen und hat dort alle Bildungsabschlüsse inklusive der Promotion erworben; zwischen seinem MasterAbschluss und seiner Promotion arbeitete er zudem drei Monate außerhalb der Wissenschaft in Italien. Nach dem Abschluss ging er für eine dreijährige PostDocStelle nach Washington, DC, in die USA. Anschließend zog er aus beruflichen Gründen in die Niederlande um. Der Kontakt zu François wurde über denselben gemeinsamen Bekannten hergestellt wie im Fall von Dieter und Paola, das Interview fand auf Englisch in François’ Büro statt. Ähnlich wie Paola beschreibt François seine Entkopplung aus dem nationalen Wissenschaftskontext, aus dem er kommt; Grund dafür sei seine Mobilität. Anders als Paola strebt er allerdings durchaus eine Wiedereingliederung und damit eine Karriere in seinem Herkunftsland Frankreich an und weiß um die dafür notwendigen Strategien, um sich dort zu vernetzen. Anders als Dieter und Paola sieht François seinen Aufenthalt in den Niederlanden als eindeutig begrenzt an; dies mag auch an den unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen (befristet versus unbefristet und verbeamtet) sowie an der unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung ihrer Stellen (Forschung versus Forschungstransfer und -organisation) liegen.

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François unterscheidet sich von den anderen Interviewees dahingehend, dass er sehr politisch argumentiert, wenn es um die Frage geht, was die Wahl von Orten in seiner zukünftigen Migrationsbiographie bestimmt. So kommen für ihn die USA nicht mehr als Destination in Frage, und er begründet das mit der Politik des Staates. Zudem ist er sehr entschieden, dass er nicht nach Paris ziehen möchte; da er allerdings weiß, dass dies für seine berufliche Karriere nicht förderlich wäre, rationalisiert er einen möglichen Umzug nach Paris damit, dass sich das entsprechende Labor am Rande von Paris befindet und er somit die Möglichkeit hätte, ein Leben innerhalb der Stadtgrenzen der französischen Hauptstadt zu vermeiden. François ist zunächst recht überzeugt, dass ihm keine Objekte wichtig sind, erzählt dann aber von einer Comicsammlung, die derzeit bei seinen Eltern lagert. Dass Comics für ihn und sein Wohlbefinden vor Ort wichtig sind, wird im Verlauf der Narration schließlich sehr deutlich, da er beschreibt, dass er in den USA nach einer Zeit der Abstinenz anfing, wieder Comics zu kaufen, da er sich ohne sie nicht wohlgefühlt habe. Für Sven gilt, was für Dieter, Paola und François gilt: Er ist Naturwissenschaftler, arbeitet in den Niederlanden in einer europäischen Forschungseinrichtung und wurde auf Vermittlung desselben Bekannten mein Interviewee. Auch das Interview mit ihm wurde auf Englisch in einem Besprechungsraum an seinem Arbeitsplatz geführt. Sven ist in Schweden geboren und aufgewachsen und hat seine Bildungsabschlüsse einschließlich des Universitätsabschlusses dort erworben. Für sein Studium war er innerhalb Schwedens sehr mobil, da er von Mittel- nach Kiruna in Nordschweden umgezogen ist. Diese Erfahrung prägte ihn derart, dass er heute sehr entschieden ist, nie wieder an einem derart entlegenen Ort wie seinem Studienort leben und arbeiten zu wollen. Nach seinem Studium ging er für seine Promotion nach Manchester in Großbritannien, wo er knapp vier Jahre lebte. Anschließend zog er aus beruflichen Gründen in die Niederlande. Er arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews seit vier Jahren in der Forschungseinrichtung, allerdings haben sich im Verlauf dieser Zeit seine Anstellungsverhältnisse und Aufgaben verändert und von der Forschung in Richtung Entwicklung und Anwendung verschoben. Sven lebt mit seiner argentinischen Lebensgefährtin in Den Haag. Über sie ist er in die international community vor Ort eingebunden und versteht diese als seinen zentralen sozialen Bezugspunkt. Seine Zugehörigkeit vor Ort, aber auch zu seinem Herkunftsland und den anderen Orten, an denen er gelebt hat, stellt er differenziert dar: Sie ist multipel und insgesamt davon gekennzeichnet, dass er sich sicher ist, grundsätzlich überall leben zu können. Für Sven ist ein Foto von zentraler Bedeutung und ein Objekt, das ihn stets begleitet. Auch wenn er die Erinnerung an das Abgebildete auch im Kopf habe, begleitet es ihn als papierner Abzug. Es stellt seine engeren männlichen Familienangehörigen dar: seinen Bruder, seinen Vater, seinen Großvater. Auch John gehört zu den von mir in der genannten Forschungseinrichtung interviewten Naturwissenschaftler, wo er zum Zeitpunkt des Interviews seit neun

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Jahren arbeitet. Er ist Brite, genauer Schotte, wie er im Verlauf des Interviews betont, als er auf die zum Zeitpunkt des Interviews bevorstehende Abstimmung der SchottInnen über eine Abspaltung von Großbritannien spricht. Er ist in Schottland geboren und aufgewachsen und hat in Glasgow sowohl studiert als auch promoviert und eine erste Postdoc-Phase absolviert. Dort lernte er auch seine heutige Frau kennen, die Griechin ist und zur damaligen Zeit an der Universität in Glasgow studierte. Während John in Schottland außerhalb der Universität in der Wirtschaft arbeitet, arbeitet seine heutige Frau als Dozentin an einer Universität in Boston in den USA. Sie treffen sich in Maryland wieder, wohin John für eine zweijährige berufliche Anstellung, nun wieder in der Wissenschaft, zieht; in den USA werden auch ihre beiden Kinder geboren. Aus den USA ziehen sie schließlich in die Niederlande um, wo John die Stelle in der Forschungseinrichtung antritt, in der er heute noch arbeitet. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in der Nähe von Den Haag in einem vor allem von expats bewohnten Stadtteil, seine Kinder besuchen die internationale Schule. Dies begründet er auch damit, dass er in der näheren Zukunft voraussichtlich nach Spanien umziehen wird. Er geht davon aus, dass seine Familie ihn begleiten wird, und sieht die Integration der Kinder in Spanien über eine internationale Schule besser gewährleistet, als wenn sie aktuell niederländisch als zweite Muttersprache lernen würden. Der prospektive Umzug wäre innerhalb der Organisation, für die er arbeitet, angesiedelt; seiner Einschätzung nach gäbe es für ihn keine Möglichkeit, die Aufforderung, nach Spanien zu gehen, abzulehnen, wenn er nicht seinen Job verlieren oder Einbußen bezüglich der finanziellen oder inhaltlichen Ausgestaltung seiner Stelle in Kauf nehmen wollte. Ähnlich wie Sven hat John eine sehr affirmative Haltung gegenüber international communities und fühlt sich in der lokalen international community sehr gut aufgehoben. Er begründet dies mit den geteilten biographischen Erfahrungen und den Gemeinsamkeiten im Lebensstil. Zu Objekten hat John eine eher funktionale Beziehung; eine „Festplatte mit Fotografien“ ist ihm allerdings so wichtig, dass er sie nicht in den Umzugskartons im Lastwagen oder Schiffscontainer umzieht, sondern während der Reise mit sich trägt. Sarah ist eine weitere in der europäischen Forschungseinrichtung in den Niederlanden interviewte Person. Auch sie ist Naturwissenschaftlerin, wurde auf Vermittlung desselben Bekannten wie im Fall der fünf zuvor genannten Personen meine Interviewee. Das Interview mit ihr wurde auf Englisch in ihrem Büro geführt. Sarah ist in Großbritannien geboren und aufgewachsen, hat dort studiert und promoviert. Für eine PostDoc-Stelle ging sie für zwei Jahre nach Amherst in die USA. Nach dieser Zeit zog sie aus beruflichen Gründen nach Großbritannien, wo sie fünf Jahre mit einem Fellowship arbeitete, bevor sie nach Cardiff (Wales) umzog, um dort zu arbeiten. Sarah lebt zum Zeitpunkt des Interviews seit viereinhalb Jahren in den Niederlanden. Ihr Lebensgefährte ist Österreicher und lebt zum Zeitpunkt des Interviews in München, soll aber in absehbarer Zeit zu ihr in die Niederlande ziehen.

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Sarah sieht ihre eigene Migrationsbiographie im größeren Zusammenhang ihrer familiären Sozialisation, da auch ihre Eltern MigrantInnen gewesen seien und sie als Kind häufiger mit ihnen umgezogen sei. Im Verlauf des Interviews ist die Bedeutung der Sozialisation ein Aspekt, den sie mir als stark zu berücksichtigende Variable für meine Forschung nahelegt. Sarah hadert deutlich stärker als John oder Sven damit, dass sie sich vor Ort nicht so sehr in die Gemeinschaft einbringt (ihrer Ansicht nach: einbringen kann), wie sie es gerne täte. Sie bezeichnet sich selbst und Menschen wie sie als Personen, die auf Kosten der Gemeinschaft (nicht so sehr der Gesellschaft) vor Ort lebten. Um sich stärker mit Einheimischen vernetzen zu können, begann sie das Bienen züchten und schwärmt von dem Austausch mit den anderen, erfahreneren Bienenzüchtern und dem Wissen, das sie dadurch erlangt. Dinge, die mit ihr umziehen, sind Bücher und Fotografien, besonders erstere sind ihr wichtig und geben ihr an fremden Orten ein Gefühl des Wohlbefindens. Auch Silja ist Naturwissenschaftlerin, hat allerdings ein großes Faible für Kunst und träumt von einer beruflichen Position, in der sie beide Interessen verbinden kann. Das Interview mit ihr kam auf Vermittlung einer gemeinsamen Bekannten zustande und wurde bei der Bekannten zuhause geführt; dies machte die Betreuung ihres zu der Zeit dreijährigen Kindes möglich. Silja lebte zum Zeitpunkt des Interviews zusammen mit ihrem venezolanischen Lebensgefährten Luis, den ich ebenfalls interviewte, und ihrem gemeinsamen Kind in Wien in Österreich. Sie ist Deutsche, ist in Deutschland aufgewachsen und hat dort alle Bildungsabschlüsse bis zu ihrer Promotion erworben. Ein Forschungsaufenthalte führte sie für sechs Monate nach Cambridge in Großbritannien; nach einer Rückkehr nach Deutschland ging sie nach Wien in Österreich, da der ihre Doktorarbeit betreuende Professor dorthin berufen worden war. Nach dem Abschluss ihrer Promotion erhielt sie ein zweijähriges PostDoc-Fellowship in Harvard in den USA. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade ihren heutigen Lebensgefährten kennengelernt; der Aufenthalt in den USA war für zwei Jahre geplant. Da sie schwanger wurde, entschloss sie sich allerdings, ihren Aufenthalt nach sechs Monaten zu beenden und zurück nach Europa zu ziehen und begründet dies unter anderem mit der Art der Gesundheitsversorgung in den USA. Damit stellt sie einen der Fälle in meinem Sample dar, in dem das Kriterium der wiederholten internationalen Migration nur eingeschränkt erfüllt ist: Ihr Aufenthalt in den USA ist als räumliche Mobilität und nicht als Migration zu klassifizieren, da die Dauer der Wohnsitzverlagerung ins Ausland weniger als zwölf Monate betrug. Zum Zeitpunkt des Interviews lebte sie seit vier Jahren in Österreich, problematisiert ihr Leben vor Ort und die Aufnahmegesellschaft im Verlauf des Interviews und im Nachgespräch immer wieder und sehr stark. Für Silja sind ihre Bücher ein wichtiges materielles Gut, das sie mit umzieht, insbesondere Kunstbücher und bestimmte wissenschaftliche Standardwerke, die ihr wichtig sind. Luis ist ebenfalls Naturwissenschaftler. Er ist in Venezuela geboren und aufgewachsen und hat dort seinen Universitätsabschluss erworben. Während seiner

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Schulzeit hat er mit seinen Eltern, die ebenfalls in der Wissenschaft arbeiten, und seinen Geschwister vier Jahre in Mexiko gelebt. Im Anschluss an sein Studium hat er neun Monate in New York verbracht, unter anderem, um sein Englisch zu verbessern. Seine Bewerbungen um eine Promotionsstelle in Venezuela waren erfolglos, was Luis mit seinem familiären Hintergrund erklärt: Seine Eltern seien vom Regime als Teil der Opposition angesehen und daher im institutionalisierten Bildungssystem benachteiligt worden. Als er realisiert, dass er in Venezuela nicht wird promovieren können, bewirbt er sich international, mit dem Wunsch, ins englischsprachige Ausland zu gehen. Seine erfolgreiche Bewerbung auf eine ausgeschriebene Promotionsstelle bringt ihn allerdings in die spanische Stadt Granada. Luis beschreibt ausführlich, wie er zunächst enttäuscht gewesen sei, dann aber nach dem Umzug eine sehr starke Ortsbindung zu Granada entwickelt habe, für die nicht zuletzt Objekte wie ein Motorroller wichtig waren, mit welchem er die Umgebung der Stadt erkunden und Ortswissen erlangen konnte. Nach seiner Promotion in Spanien geht er für eine erste PostDoc-Stelle nach Cambridge in Großbritannien. Da sein Projektantrag dort nicht erfolgreich ist und er keine Finanzierung bekommt, zieht er für eine zweite PostDoc-Stelle nach Wien in Österreich um; der Professor, mit dem er zusammenarbeiten wollte, wähnte er in Yale in den USA, doch es stellte sich heraus, dass diese gerade auf eine Stelle nach Wien in Österreich gewechselt war – Luis entscheidet sich, zu dem Professor nach Wien zu gehen, auch wenn er aus Karrieregründen lieber im englischsprachigen Ausland leben würde. Auch die Zeit in Wien betrachtet Luis zunächst als begrenzt und lacht über die in Österreich nur befristet über fünf Jahre ausgestellten Mietverträge. Seine Haltung zum Gehen oder Bleiben ändert sich, als sein Kind geboren wird. Luis beschreibt sehr ausführlich, wie sich seine Haltung gegenüber der räumlichen Mobilität im Verlauf seiner Biographie verändert hat und wie stark die Veränderung insbesondere nach der Geburt seines Kindes gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt er seit sechs Jahren in Wien. Auch Lisa ist Naturwissenschaftlerin und wurde mir mithilfe der gemeinsamen Bekannten und über Luis und Silja vermittelt. Sie ist zum Zeitpunkt des Interviews gerade zusammen mit ihrem Mann nach Wien in Österreich gezogen. Das Interview fand als Skype-Interview statt und wurde auf Deutsch geführt, sowohl Lisa als auch ich befanden uns dafür an unserem Computer in unseren Wohnungen. Im Hintergrund von Lisas Schreibtisch waren blanke Wände und Streichutensilien zu sehen. Lisa ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und für ihr Studium nach London in Großbritannien gegangen. Sie promovierte in Cambridge, UK, um anschließend für eine PostDoc-Stelle nach Boston, USA, zu gehen. In den USA lernte sie ihren heutigen Mann kennen, und nachdem ihre Projektstelle beendet und ihr Visum abgelaufen war, zog sie gemeinsam mit ihm nach Oslo in Norwegen um, um dort in einem Forschungsprojekt als PostDoc zu arbeiten. In Oslo lebte sie zweieinhalb Jahre und bezeichnet diese Station als Zwischenstation. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt sie zusammen mit ihrem Mann seit sechs Mo-

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naten in Wien, wo sie eine auf sechs Jahre befristete Stelle angetreten hat, mit der Aussicht, dass diese auf Dauer gestellt wird. Lisa schafft es insbesondere über die Musik, vor Ort Bindungen zu Menschen herzustellen; das Wissen um Konzerte als Treffpunkte für Musikinteressierte als auch um Plattenläden als Indikatoren für interessante Stadtteile ist dabei Teil ihrer über die Migrationsbiographie hinweg entwickelten Strategien des Umgangs mit wiederholter Ent- und Verankerung vor Ort. Schallplatten sind es dann auch, die sie zusammen mit Büchern auf allen ihren Migrationsstationen begleiten, ebenso wie ein Set an Töpfen, das die Großmutter ihres Mannes diesem zum Auszug schenkte und das sie, seit sie sich kennen, begleitet. Ryan ist Sozialwissenschaftler und lebt derzeit in Großbritannien. Kontakt zu ihm konnte ich über uns gemeinsam bekannte KollegInnen herstellen, das Interview führten wir auf Englisch in einem Besprechungsraum an seinem Arbeitsplatz. Ryan bat als einziger um die Pseudonymisierung seiner Migrationsstationen, die sich in Großbritannien, Kanada und den USA befinden. Ryan ist Kanadier und hat seine Bildungsabschlüsse einschließlich der Promotion in Kanada erworben. Nach seiner Promotion ging er zunächst für zwei Jahre in einer US-amerikanische Großstadt im Nordosten des Landes. Dort lernte er seine derzeitige Lebensgefährtin kennen, die in Kanada lebte; neben der sich bietenden beruflichen Gelegenheit war der Wunsch, gemeinsam am selben Ort zu leben, ein Grund für die Remigration in eine Großstadt nach Kanada. Dort findet er eine einjährige Anstellung als Dozent an der Universität und lebt insgesamt zwei Jahre dort. Ryan beschreibt, wie er sich auf viele PostDoc-Stellen bewirbt und schließlich eine einjährige Anstellung als Dozent an einer britischen Universität bekommt; daraufhin zieht er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in eine Kleinstadt in Großbritannien um. Während Ryan innerhalb der Universität inzwischen eine andere, auf zwei Jahre befristete Stelle hat, hat seine Lebensgefährtin Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden. Dies ist einer der Gründe, den Ryan für sein ambivalentes Gefühl gegenüber seinem Leben in Großbritannien und der internationalen Migration insgesamt anführt. Weitere Gründe hängen mit den Objekten zusammen, die Ryan nicht mitgenommen hat und die nun an verschiedenen Orten in Kanada gelagert sind. Ryan ist passionierter DJ, und weder seine Plattensammlung noch seine Musikanlage befindet sich an seinem derzeitigen Lebensort. Das bedeutet, dass er eines seiner Hobbies nicht praktizieren kann, was sein Wohlbefinden vor Ort deutlich beeinträchtigt. Er ist derjenige meiner Interviewees, der am stärksten mit der Mobilität hadert; Luis und Silja, die beide in ähnlich prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, problematisieren die emotionale Belastung und die gefühlte innere Zerrissenheit deutlich weniger. Das Interview mit Ryan war insofern sehr herausfordernd, als im Verlauf des Interviews die emotionale Belastung und psychische Niedergeschlagenheit von Ryan immer deutlicher zutage trat und für mich als Interviewerin die Frage aufwarf, wie ich mit dieser Verantwortung in der Situation umgehen solle: der Verant-

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wortung, eine Gesprächssituation hervorgerufen zu haben, in der der Interviewee durch das Aufrufen und Erzählen seiner Migrationsbiographie sichtbar und spürbar angegriffen war und in einem schlechteren emotionalen Zustand aus dem Interview ging als er hineingekommen war. 2.4.2 Privatwirtschaft Rieke arbeitet im privatwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich und lebt derzeit mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Schweiz. Sie ist Deutsche, ausgebildete Krankenschwester und eine der Interviewees, deren räumliche Mobilität auch mit sozialer Mobilität einhergeht. Im Verlauf ihres Erwachsenenlebens hat sie sich weiterqualifiziert und arbeitet inzwischen im Management eines privaten Gesundheitsdienstleisters. Rieke ist damit eine der Personen, für die das Kriterium der Hochqualifikation formal nicht erfüllt ist, auch wenn ihre derzeitige berufliche Position im Bereich der hochqualifizierten Beschäftigungsverhältnisse angesiedelt ist. Das Interview findet auf Deutsch in einem Café in Hamburg einige Tage vor dem Beginn einer dreimonatigen Weltreise von Rieke mit ihrem Mann und ihren Kindern statt; der Ort für das Interview wird von Rieke aufgrund seiner gut erreichbaren Lage für sie und mich als Interviewerin gewählt. Rieke ging nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester mit dem dezidierten Wunsch, im Ausland zu leben, nach Zürich in die Schweiz. Nach zwei Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück, um in einer Psychiatrie zu arbeiten; im selben Zeitraum machte sie auch das Abitur nach. Nach neun Monaten als Krankenschwester auf einem Expeditionsschiff beginnt sie ein Zahnmedizinstudium, das sie allerdings vor dem Abschluss abbricht. Anschließend zog mit ihrem damaligen Lebensgefährten und heutigen Mann Holger nach Tansania, um dort in einem lokalen Krankenhaus zu arbeiten, was ein großer Traum von ihr ist. Das Leben und das Arbeiten vor Ort stellt sich für sie allerdings als desillusionierend heraus; die Erfahrung der Ausgrenzung durch die lokale Bevölkerung und der Selbstausgrenzung der anderen AusländerInnen beschreibt sie als anstrengend und belastend. Schließlich sind es diese Erfahrungen, die sie dazu führen, Tansania und auch Afrika nach anderthalb Jahren zu verlassen. Beruflich führt es sie, zusammen mit ihrem Lebensgefährten, nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland nach Genf in die französischsprachige Schweiz. Grund für diese Ortswahl ist der Beruf ihres Mannes: Als Jurist bekommt er eine Anstellung in einer internationalen Organisation, die in Genf ihren Sitz hat. Diese ist eine von ihm lange erwünschte Anstellung, und für diese Migrationsstation ist er der driver. Rieke sucht sich in Genf ebenfalls eine Arbeit und arbeitet im Gesundheitswesen. Nachdem auch Holger erlebt, dass sein Lebenstraum zerplatzt und er enttäuscht kündigt, suchen sie gemeinsam nach neuen Zielen, sowohl beruflich als auch räumlich. Mit ihren inzwischen geborenen Kindern ziehen sie nach fünf Jahren in Genf nach Priština in den Kosovo um; Riekes Mann arbeitet dort für eine supranationale Organisation, wie-

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derum als Jurist. Rieke übernimmt zunächst die Rolle als Hausfrau, entscheidet sich dann aber nach drei Jahren für eine neue berufliche Anstellung in der Schweiz. Sie zieht zunächst alleine in die, dieses Mal deutschsprachige, Schweiz und arbeitet; nach einigen Monaten folgt ihr ihr Mann mit den Kindern nach. In dieser Migrationsphase ist sie die treibende Kraft der räumlichen Mobilität, und in der Schweiz übernimmt ihr Partner die Rolle des Hausmanns, während sie arbeitet. Rieke ist die einzige der Interviewees, die einen von ihr wahrgenommenen Wandel in den beruflichen Anforderungsdiskursen thematisiert: Während sie zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn negative Reaktionen seitens ihrer Mitmenschen auf ihre wiederholten beruflichen und räumlichen Wechsel erlebt habe, erfahre sie nun, dass ihr Lebenslauf genau dem entspreche, was aktuell gefordert und gewünscht sei, sowohl beruflich als auch sozial. Sie ist außerdem diejenige der Interviewees, die am emphatischsten über Migration spricht und ein zumindest mittelfristig stationäres Leben nur um ihrer Kinder willen machen möchte. Wie diese die wiederholten räumlichen Wechsel erleben, macht ihr dabei Gedanken, und sie ist im Nachgespräch des Interviews sehr an diesbezüglicher Forschung interessiert. Objekte spielen in Riekes migrantischem Leben durchaus eine Rolle; es gibt ausgewählte Schmuckstücke, die sie auf all ihren Stationen mitnimmt, und es gibt ausgewählte Möbelstücke, die sie bei einer Firma einlagert, wenn sie sie nicht mitnehmen kann. Vor Ort ist es ihr außerdem wichtig, die Wohnung vollständig einzurichten, unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes. Was die Wahl der Wohnungen angeht, so ist sie an allen Stationen bemüht, nicht Teil der lokalen international community zu sein, was sie insbesondere in Tansania vor Herausforderungen stellt. Mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der international community ist sie innerhalb des Interviewsamples die Gegenfigur zu John, für den diese Gemeinschaft bei all seinen Umzügen die zentrale Referenz für das (Ein-)Leben vor Ort ist. Djadi arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews bei einem internationalen Großunternehmen im Bereich der IT-Dienstleistungen und lebt in der Schweiz. Der Kontakt zu Djadi wurde über Vermittlung einer Bekannten hergestellt, das Interview wurde per Skype auf Deutsch geführt. Während des Interviews befand sich Djadi an seinem Arbeitsplatz, ich als Interviewerin zuhause an meinem Arbeitsplatz. Zum Einstieg des Interviews bot mir Djadi „das akademische Du“ an, wie er es nannte, welches wir während des Gesprächs durchhielten. Djadi ist im Libanon geboren und aufgewachsen, hat die libanesische Staatsbürgerschaft und lebt zum Zeitpunkt des Interviews seit fast zehn Jahren in Kreuzlingen in der Schweiz, einem Grenzort zu Deutschland. Nach seinem Abitur ist er nach Deutschland migriert und hat in Süddeutschland studiert. Ursprünglich wollte er in Frankreich studieren, doch ein Besuch bei seinem Bruder in Deutschland ließ ihn seinen Plan ändern. Er studierte an einer Fachhochschule und verbrachte während des Studiums ein fünfmonatiges Auslandssemester in der däni-

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schen Hauptstadt Kopenhagen im Rahmen des Erasmus-Sokrates-Austauschprogramms und ein Praxissemester in Nürnberg. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland beendete er sein Studium mit einer Diplomarbeit in Stuttgart. Anschließend begann Djadi ein Studium an der Universität, musste dieses aber abbrechen, da er sehr schnell eine Arbeit finden musste, um Geld zu verdienen, da seine Mutter schwer krank war und er sie unterstützen sollte und wollte. Die Arbeit fand er in Köln, wo er als Berater zweieinhalb Jahre lebte und viel im In- und Ausland unterwegs war. Nachdem er sich mit seinem Vorgesetzten in Streit geraten war und daraufhin gekündigt hatte, zog er zu seiner damaligen Freundin und heutigen Frau in die Schweiz. Anschließend begann er für ein Unternehmen in St. Gallen in der Schweiz zu arbeiten und zog zusammen mit seiner Lebensgefährtin nach Kreuzlingen um, wo sie noch heute leben. Auch Djadi ist eine der Personen, der nicht alle Auswahlkriterien erfüllt: Seine Stationen nach der beruflichen Ausbildung sind als räumliche Mobilität und nicht als Migration zu klassifizieren, da die internationalen Wohnortwechsel abgesehen von seinem Umzug in die Schweiz weniger als ein Jahr dauerten. Djadi lebt mit seiner deutschen Frau und seinen drei Kindern in der Schweiz und hat im Verlauf seiner Migrationsbiographie eine zunehmend selbstbewusste Haltung gegenüber seinen Arbeitgebern ausgebildet, die ihn dazu brachte, einen Karrieresprung unter einen spezifisch räumlichen Vorbehalt zu stellen: Er würde die Stelle unter der Bedingung annehmen, dass er in der Schweiz wohnen bleiben könne und nicht umziehen müsse. Sein Kompromissangebot beinhaltete Dienstreisen für das Unternehmen und den Verbleib des Wohnsitzes in der Schweiz. Für Djadi sind die wichtigen Objekte diejenigen, die die (Arbeits-)Berechtigung seiner Anwesenheit vor Ort bezeugen: Aufenthaltsgenehmigungen, Bildungsabschlüsse und Pässe sind die Dinge, die ihn immer begleiten und die er mit Argusaugen hütet. Er ist der einzige der Interviewees, der diese Objekte mit dieser Deutlichkeit als rechtlich, aber auch sozial und emotional bedeutsam beschreibt. Magda ist in Polen geboren und polnischer Staatsangehörigkeit. Sie lebt derzeit in Wien, Österreich, und in Aschaffenburg, Deutschland. Der Kontakt zu Magda wurde über eine gemeinsame Bekannte hergestellt, und das Interview wurde auf Deutsch in einem Besprechungsraum an ihrem österreichischen Arbeitsplatz geführt. Magda entschied sich als einzige der Interviewees gegen eine Audioaufnahme des Gesprächs, so dass ich das Gespräch so sorgfältig wie möglich protokollierte und unmittelbar anschließend nacharbeitete und ergänzte. Magda ist 1983, während des kommunistischen Systems in Polen, mit ihrer Familie aus Breslau nach Österreich geflohen. Dort ist sie „im Salzkammergut aufgewachsen“ (Gesprächsprotokoll); sie hat in Salzburg Psychologie studiert und im Rahmen ihres Studiums einen neunmonatigen Aufenthalt in York in Großbritannien verbracht. Nach eigener Aussage habe ihre Familie gewünscht, dass sie nach ihrem Studium in Linz arbeite, und ihr vor Ort eine Wohnung eingereicht; diesem Wunsch entsprechend nimmt sie ein Jobangebot in Linz in einem privatwirtschaft-

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lichen Unternehmen an. Nach einer nicht näher spezifizierten Zeit wird sie von einem Headhunter in den Human Ressources-Bereich eines Unternehmens in Salzburg abgeworben. Ihr damaliger Lebensgefährte und heutiger Ehemann lebt zu der Zeit in Wien und strebt eine berufliche Veränderung an, die ihn nach Frankfurt/Main in Deutschland führt. Nach eigener Aussage beeinflusst von der Tatsache, dass ihr Lebensgefährte nun an einem anderen Ort lebte, entschied sich Magda dafür, ebenfalls umzuziehen. Ziel der Jobsuche war es, so Magda, eine Position zu finden, die es ihr ermöglicht, mit ihrem Partner entweder in Wien oder in Frankfurt zusammenzuleben. Das Unternehmen, für das sie noch heute arbeitet, bietet ihr eine Stelle an einem Unternehmensstandort in Frankfurt an. Nach einer Zeit des Pendels zwischen Frankfurt und Wien leben Magda und ihr Mann inzwischen in Wien und besitzen eine zweite Wohnung in Aschaffenburg bei Frankfurt, die ihnen während der dienstlichen Aufenthalte in Deutschland als Zuhause dient. Magdas beruflicher Hauptsitz ist inzwischen in Wien, da sie auf eigenen Wunsch innerhalb des Unternehmens an dessen Standort in Wien gewechselt ist. Magdas Migrationsbiographie zeigt, dass sie bei genauerem Hinsehen nicht die ausschließliche Triebkraft der Migration ist. Ihre Entscheidungen, umzuziehen, werden auch davon beeinflusst, wo Menschen leben, mit denen sie zusammenleben möchte, etwa ihr Lebensgefährte und späterer Mann. Außerdem zeigt sich in ihrem Fall, dass es in privatwirtschaftlichen Unternehmen möglich ist, räumliche Mobilität mit einer innerbetrieblichen Karriere zu verbinden. Das Zusammenfallen von innerbetrieblicher und räumlicher Mobilität ist in ihrem Fall allerdings anders gelagert als etwa im Fall von John, der für ein europäische Forschungsinstitution arbeitet: Während Johns innerbetriebliche Karriere notwendigerweise eine Migration in die Niederlande oder prospektiv nach Spanien beinhaltet, ist Magdas innerbetriebliche Karriere von der Möglichkeit der Migration gekennzeichnet. Objekte sind für Magda nach eigener Aussage nicht wichtig; auch Fotografien bedeuteten ihr nichts, da sie die Eindrücke im Kopf speichere. Sie legt im Interview viel Wert darauf, sich als Person zu präsentieren, der Mobilität sowohl in ihrem privaten als auch beruflichen Leben wichtig ist und die sich von materiellem Besitz nicht einschränken lassen möchte. Für die Auswahl und Einrichtung ihrer Zweitwohnung in Aschaffenburg verwandte sie allerdings, wie sie sagt, viel Zeit und Mühe, was zeigt, dass in ausgewählten Fällen materielle Dinge sehr wohl bedeutsam sind. Peter ist Neuseeländer und lebt seit 2004 in Österreich. Der Kontakt zu Peter wurde über eine gemeinsame Freundin hergestellt, die ebenfalls in der Privatwirtschaft arbeitet und zum Zeitpunkt des Interviews als deutsche Migrantin in Österreich lebte. Peter ist 1997 von Neuseeland nach Großbritannien umgezogen und dort häufig innerhalb Englands umgezogen; einem einjährigen Aufenthalt in London mit einer Anstellung als Friseur folgen zwei Jahre als Friseur in Bristol und anderthalb Jahre als Berufsschullehrer in Brighton. Dem folgt ein kürzerer Aufenthalt in Frankreich und ein zweieinhalbjähriger Aufenthalt auf den Kanalinseln als Franchise-Unternehmer einer international agierenden Friseur-Kette. Dort lernte

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er eine Österreicherin kennen, mit der er nach Brighton in Großbritannien umzog, um gemeinsam mit ihr dort für zwei Jahre zu leben, bevor sie gemeinsam an seinen aktuellen Lebensmittelpunkt nach Graz in Österreich umzogen. Von seiner Frau ist Peter inzwischen geschieden, sie haben ein gemeinsames Kind, dessentwegen er vor allem in Österreich bleibt. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Peter seit zwölf Jahren in Österreich. Auch Peter ist einer der Fälle, in denen nicht alle Kriterien formal erfüllt sind; in seinem Fall das Kriterium der Hochqualifikation. Peter ist ausgebildeter Friseur, und es ist dieser Beruf, der Antrieb für die Umzüge ist. Beruflich möchte er sich in den unterschiedlichen Ländern jeweils weiterqualifizieren, was ihm auch gelingt. So besucht er in Großbritannien erfolgreich eine private Friseurakademie und arbeitete als Berufsschullehrer. Wie Rieke wird er damit on the job zum Hochqualifizierten. In seinem Fall gilt dies allerdings räumlich begrenzt, da seine Qualifikationen vor Ort in unterschiedlicher Weise anerkannt oder nicht anerkannt werden. Dabei macht er sehr unterschiedliche Erfahrungen, was die administrativen und bürokratischen Rahmenbedingungen für das Arbeiten im Ausland und die Anrechnung von Qualifikationen angeht, und thematisiert insbesondere die negativen Erfahrungen im Interview ausführlich. Ein weiterer Grund für Peters Umzüge sei, wie er sagt, dass er aus einer Kultur komme, in der es normal sei, das Herkunftsland für eine bestimmte Zeit zu verlassen, um im Ausland zu leben. Der Umzug nach Österreich geschieht schließlich aus privaten und emotionalen Gründen: Peter hat eine österreichische Lebensgefährtin, mit der er nach Österreich zieht. An dieser Stelle wird das Kriterium des drivers der eigenen Migration bei Peter brüchig, da dieser Umzug eine gemeinsame Entscheidung ist, während die vorangegangenen Umzüge eindeutig durch seinen eigenen Wunsch, umzuziehen, bedingt wurden. Peter lebt derzeit in Graz, hat ein Kind und ist von seiner Frau geschieden. Er arbeitet als Friseur, allerdings inzwischen nicht mehr für die Kette, in deren Weiterbildungsprogramm er sich qualifiziert hat. Sich als Friseurmeister selbstständig zu machen oder als Berufsschullehrer zu arbeiten, war ihm in Österreich nicht möglich, da er nicht über die entsprechend zertifizierten Qualifikationen verfügt; eine erneute Ausbildung innerhalb des österreichischen Systems kam für ihn nicht in Frage. Peter spricht fließend deutsch, auch wenn Satzbau und Aussprache ihn weiterhin als englischen Muttersprachler identifizierbar machen. Das Interview mit Peter führte ich zuhause bei seiner damaligen Lebensgefährtin; wir sprachen auf Peters Wunsch deutsch, er verwendete allerdings häufiger englische Ausdrücke und Phrasen. Peter fährt Motorrad und besitzt einen Austin, der seine Initialen trägt und in seinem Geburtsjahr gebaut wurde; beides erzählt Peter mit Stolz und erklärt damit, warum er das Auto auch aus Großbritannien nach Österreich mitgenommen hat – auch wenn er an anderer Stelle mit Emphase sagt, dass er auf materiellen Besitz keinen Wert lege. Dora ist Deutsche und lebt derzeit mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Schweiz in einem Dorf im Einzugsgebiet von Zürich. Der Kontakt zu Dora wurde

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von einer gemeinsamen Freundin vermittelt, die in der Privatwirtschaft arbeitet und Doras Werdegang schon lange begleitet. Das Interview fand bei Dora zuhause statt, sie hatte mich zu einem – wie sich herausstellte – ausgiebigen Frühstück eingeladen. Dora wurde in Deutschland geboren, ist dort aufgewachsen und hat dort ihre Ausbildung inklusive eines dualen Studiums absolviert. Schon während ihrer Schulzeit war sie mehrere Monate in Frankreich auf einer Sprachschule; in dieser Zeit wollte sie die Schule in Deutschland nach dem Realschulabschluss beenden, entschied sich nach diesem Auslandsaufenthalt allerdings, doch Abitur zu machen. Nach ihrem Studium ging sie in die USA, um als Trainee in einem Hotelressort in den Florida Keys zu arbeiten. Diese Zeit beschreibt sie als sehr prägend. Nach dem Abschluss der Weiterbildung kehrte sie in ihren Heimatort in Süddeutschland zurück und arbeitete dort für ein Jahr in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen. Anschließend wurde sie erneut von der Managerin des Hotels in den USA kontaktiert und nahm das Angebot an, dort noch einmal zu arbeiten. Nach drei Jahren entschied sie sich für eine Rückkehr nach Europa und zog zunächst in ihren Heimatort. Ihre Jobsuche, bei der sie die Großstädte Zürich, München und Wien fokussiert, war erfolgreich, und sie zog für den Beruf nach Zürich in die Schweiz. Dort lernte sie ihren jetzigen Mann kennen und arbeitet inzwischen, mit mehreren kurzen beruflichen Zwischenstationen und Karenzen, in einem kleinen Unternehmen in der Nähe ihres Wohnortes, wo sie zum Zeitpunkt des Interviews seit neun Jahren lebt. Dora bewahrt im Kellerraum ihrer Wohnung eine Kiste mit Kleidungsstücken und CDs auf, die aus in ihren Aufenthalten in den USA stammen. Sie schaut die Dinge, wie sie sagt, ab und zu an, hört die Musik für sich, aber auch dies wird nach ihrer Aussage über den Zeitverlauf weniger. Dennoch ist sie diesen Dingen emotional sehr verbunden, und sie werden trotz der wiederholten Umzüge nicht entsorgt. Derzeit ist es eher die beruflichen Situation ihres Mannes als ihre eigene berufliche und individuelle Situation, die sie über Mobilität nachdenken lässt. So ist die Möglichkeit, dass ihr Mann an einem anderen Ort wird arbeiten müssen, vorhanden und als Horizont ihres Lebens vor Ort prägend. Mobilität ist für sie inzwischen etwas, das als Anforderung an die ArbeitnehmerInnen – in diesem Fall ihren Mann – herangetragen wird und deren Konsequenzen abzuwägen und zu tragen sind. Brigitte ist in Norddeutschland geboren und aufgewachsen und hat ihre Bildungsabschlüsse in Deutschland erworben. Ähnlich wie Rieke fallen bei ihr räumliche und soziale Mobilität zusammen, und auch sie erfüllt formal das Kriterium der Hochqualifikation nicht. Der Kontakt zu Brigitte wurde über Rieke hergestellt. Das Interview wurde auf Deutsch per Telefon geführt, Brigitte befand sich zu dem Zeitpunkt zuhause, ich als Interviewerin in meinem Büro am Arbeitsplatz. Für die Zeit des Interviews hatte Brigitte eine Betreuung ihrer Kinder organisiert und war alleine zuhause. Brigitte hat nach ihrem Abitur eine Ausbildung zur Krankenschwester in Hamburg gemacht. Unmittelbar nach ihrer Ausbildung ist sie für ein Jahr an ein

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Krankenhaus in Wien, Österreich, gegangen, um dort zu arbeiten – ihr expliziter Wunsch war es, die Welt außerhalb Deutschlands kennenzulernen. Ihrer Darstellung zufolge ermöglichte es ihr diese Stelle, sehr früh eigenständig zu arbeiten, was ihr in einer vergleichbaren Anstellung in Deutschland nicht möglich gewesen wäre. Nach einer kurzzeitigen Rückkehr nach Deutschland ging Brigitte für sechs Monate als Au-pair nach Italien, bevor sie ein halbes Jahr auf einem Kreuzfahrtschiff als Krankenschwester arbeitete. Ursprünglich war dieser Aufenthalt auf dem Schiff für ein Jahr geplant, da sie aber seekrank wurde, beendete sie das Arbeitsverhältnis vorzeitig. Nach ihrer Arbeit auf dem Schiff kehrt Brigitte für eine kurze Zeit nach Deutschland zurück, bevor sie für sechs Monate nach Südafrika geht und dort als Krankenschwester arbeitet. Sie zieht gemeinsam mit ihrem damaligen Freund um, der vor Ort ein sechsmonatiges Auslandsstudium absolviert. Diesem Aufenthalt folgen schließlich drei Jahre in Hamburg; hier arbeitet sie als selbstständige Krankenschwester. Brigitte hat während dieser Zeit ein Pferd und reitet regelmäßig. Sie entscheidet sich schließlich dafür, dass sie sich beruflich verändern und in ein Angestelltenverhältnis wechseln möchte. Für sie ist allerdings unabdingbar, dass sie ihr Pferd behalten kann; und dies sei, so ihre Aussage, in Deutschland nicht möglich, wenn sie gleichzeitig als Krankenschwester in einem Angestelltenverhältnis arbeiten möchte. Als Konsequenz entscheidet sich Brigitte für den Umzug in die Schweiz und bekommt über die Dienste eines Arbeitsvermittlers eine Stelle angeboten. Folglich zieht sie mit ihrem Pferd in die Schweiz um und lebt zunächst zwei Jahre in Bern. Dort lernt sie, und auch dies ist detailliert Thema im Interview, ihren jetzigen Mann kennen; mit ihm, einem Deutschen, und ihren zwei gemeinsamen Kindern lebt sie zum Zeitpunkt des Interviews seit fünf Jahren in Zürich. Das Pferd verkaufte sie in ihrer zweiten Schwangerschaft, dafür besitzt die Familie inzwischen einen Hund; dieser ist im Interview ein Thema, da Brigitte am Umgang mit Hunden die Unterschiede im alltäglichen Leben zwischen ihr und den SchweizerInnen vor Ort illustriert. Zum Zeitpunkt des Interviews steht die Familie kurz vor dem Umzug in ein neu gebautes Haus nahe der deutsch-schweizerischen Grenze. Gegenüber Objekten, die sie bei ihren Umzügen begleiten, hat Brigitte eine pragmatische Einstellung und nimmt bis zu ihrem Umzug in die Schweiz das Notwendigste mit und lagert ihre Besitztümer bei ihren Eltern. Wichtig ist allerdings ihr Pferd: Es ist einer der Gründe, warum sie sich für die Schweiz als Arbeitsort entscheidet, da sie dort die angestrebte Anstellung als angestellte Krankenschwester realisieren kann, ohne aufgrund finanzieller Einbußen ihr Pferd verkaufen zu müssen. Brigitte ist eine der Fälle, in denen sich im Interview herausstellte, dass sie nicht alle Auswahlkriterien erfüllt: In ihrem Fall ist es das der Hochqualifikation. Ihre Migrationsbiographie verweist zudem auf einen für die Migrationsforschung interessanten Punkt: Ihr Aufenthalt auf einem Kreuzfahrtschiff, dass durch internationale Gewässer fährt, lässt sich in die Klassifikation von Migrationsformen –

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

als Binnen- oder internationale Migration – schwer einordnen. Handelt es sich hierbei um internationale Migration bzw., da es ein sechsmonatiger Aufenthalt war, um temporäre internationale Migration? Stellt ein Passagierschiff, das in internationalen Gewässern unterwegs ist, einen Wohnsitz dar, so dass man davon sprechen könnte, dass es sich um die Verlagerung eines Wohnsitzes handelt, wie es die Definition von Migration erforderlich macht? Und welche formalen Ortsbindungen liegen hier vor: Ist ein Schiff vergleichbar mit einer Stadt, in der man wohnt? Brigittes Migrationsbiographie beinhaltet zahlreiche eindeutig als solche klassifizierbare internationale Umzüge; ihr Fall zeigt aber ebenso wie der von Rieke deutlich, wie empirische Phänomene konzeptionell notwendige Klassifizierungen und Typologien unterlaufen können. 2.4.3 Internationale Organisationen Lola ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und hat ihre Bildungsabschlüsse einschließlich des Hochschulabschlusses in Deutschland erworben. Der Kontakt zu Lola wurde über Rieke hergestellt, und das Interview wurde per Skype auf Deutsch geführt; während des Interviews befanden sich sowohl Lola als auch ich als Interviewerin in ihrem jeweiligen Zuhause. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Lola seit acht Jahren in Genf in der Schweiz. Lola beginnt in Deutschland mit einem Studium der Sprachtherapie und geht im Zuge dessen in die USA. Dort lebte sie zwei Jahre in Boston und macht ihren Abschluss in Sprachtherapie. Nach Abschluss des Studiums zog Lola nach Deutschland zurück und arbeitete anschließend als Sprachtherapeutin. Sie entscheidet sich für ein weiteres Studium, und da sie nach ihrem Aufenthalt in den USA recht sicher war, nicht in Deutschland bleiben zu wollen, entscheidet sie sich für ein Public Health-Studium, das sie als international ausgerichtet einordnet. Nach diesem Studium zieht sie, einem Jobangebot folgend, nach Genf in die französischsprachige Schweiz. Dort arbeitet sie für eine Einrichtung der Vereinten Nationen (UN) und wird für ein Projekt für sechs Monate in den Süd-Sudan entsandt; aufgrund dieser Erfahrung sucht sie nach ihrer Rückkehr nach weiteren Möglichkeiten, im – französischsprachigen – Afrika zu arbeiten, und bewirbt sich erfolgreich auf eine von einer Nichtregierungsorganisation ausgeschriebene Stelle, innerhalb derer sie ein Projekt zur HIV-Prävention im afrikanischen Benin betreute. Während des auf zwei Jahre befristeten Projektes lebt sie in Cotonou, dem Regierungssitz Benins. Schon in Benin entscheidet Lola, nach dem Ende ihres Arbeitsvertrages ein Promotionsstudium zu beginnen; dafür zieht sie nach London in Großbritannien um. Während ihres Studiums arbeitet sie wiederum für die UN-Organisation, für die sie vorab schon gearbeitet hatte, und der dreijährige Aufenthalt ist besonders gegen Ende durch regelmäßiges Pendeln zwischen London und Genf gekennzeichnet. In dieser Zeit lernt sie ihren heutigen Mann kennen, und nach dem Abschluss

2.4 Eine Einführung in die Interviewees

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ihrer Promotion kehrte sie nach Genf zurück, wo sie nun mit ihrem Mann und ihren Kindern. Für Lola sind insbesondere Objekte, die mit ihrer Leidenschaft für Musik zu tun haben, wichtig: So nimmt sie CDs an alle ihre Stationen mit, selbst nach Benin, wo diese unter den klimatischen Bedingungen deutlich leiden. Ihre Klarinette ist ein weiteres Objekt, dass sie begleitet, wenn auch nicht überallhin: Nach Benin nimmt sie es wegen des dortigen Klimas nicht mit; während dieser Zeit ist die Klarinette bei ihren Eltern untergebracht. Lolas Migrationsbiographie ist nach eigener Aussage mit dem Erreichen ihrer derzeitigen Station in Genf abgeschlossen; sie führt als Grund dafür ihren Mann an, der sehr ortsverbunden sei und keinen Wunsch verspüre, an einen anderen Ort zu ziehen. Diese Aussicht auf Ortsfeste problematisiert Lola nicht; für sie hat die Passage in den derzeitigen Status als berufstätige, verheiratete Frau mit Kindern eine veränderte Lebenssituation erzeugt, die mit Ortsfeste gut vereinbar ist. Für Lola stellt das Orchester in Genf, in dem sie spielt, dabei einen wichtigen Modus der lokalen Integration dar. Holger ist Riekes Mann und wurde mir von ihr als Interviewpartner vermittelt. Das Interview mit Holger fand abends per Skype statt, sowohl ich als auch er befanden sich zuhause. Holger ist in Süddeutschland aufgewachsen und hat dort Jura studiert. Nach dem Studium ging er, zusammen mit Rieke, nach Tansania; während sie dort arbeitete, studierte er an der dortigen Uni im Master-Studiengang. Nach ihrer Rückkehr aus Tansania gingen Holger und Rieke gemeinsam nach Genf in die Schweiz, wo sie fünf Jahre lebten. Dort arbeitete Holger bei einer internationalen Organisation der UN, was die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches bedeutet. Allerdings stellte sich für ihn heraus, dass die Arbeit in dieser Organisation nicht seinen Erwartungen entsprach und für ihn recht bald unerträglich wurde; auch das Leben in Genf war für ihn nicht attraktiv genug, um diese berufliche Enttäuschung aufzufangen. Seine Suche auf dem Arbeitsmarkt führte ihn als Jurist innerhalb eines Großprojektes der European Union (EU) nach Priština in den Kosovo. Dieser vierjährige Aufenthalt, zu dem ihn seine Frau zunächst begleitete, stellt in seiner Narration das Gegenstück des Aufenthaltes in Genf dar: Holger schwärmt von seiner Arbeit vor Ort und den KollegInnen ebenso wie von der Kultur des Landes und der Einbindung in die Gesellschaft. Seine sehr emotionale Darstellung dieses Aufenthaltes und seiner Bindung an das Land wird von ihm im Interview reflektiert; er kontextualisiert seine emotionale Bindung an das Land mit der Biographie seiner Großeltern. Während seine Frau den Kosovo verlässt, um in der Schweiz zu arbeiten, bleibt Holger noch mit den beiden Kindern vor Ort. Nachdem seine Arbeit im Kosovo beendet ist, zieht er mit den Kindern zu seiner Frau in die Schweiz; kurz vor dem Interview hatte er eine halbjährige Anstellung als sogenannte Schwangerschaftsvertretung im polnischen Warschau bei einer Einrichtung der UN beendet und anschließend zusammen mit seiner Frau und den Kindern eine dreimonatige Weltreise absolviert. Letztere war das Resultat einer gemeinsamen Verabredung: Er ar-

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2 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen

beitet für ein halbes Jahr in Warschau, und sie machen anschließend gemeinsam eine Weltreise. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Holger seit fünf Monaten in der Schweiz und hat in seiner Familie die Rolle des Hausmannes übernommen. Neben dieser Arbeit arbeitet er von zuhause aus für eine juristische Zeitschrift und an seiner Dissertation; dabei ist seine Hausarbeit nach seiner Darstellung auch ein Grund, die wissenschaftliche Weiterqualifikation weiter aufzuschieben. Holgers Beziehung zu Objekten ist von einer pragmatischen Haltung geprägt. Möbelstücke und persönlichere Gegenstände wie Fotoalben oder CDs sind ihm wichtig, werden aber für die als temporär angelegten Aufenthalte, etwa im Kosovo, eingelagert; nach eigener Aussage hat er von diesen Dingen während seines Aufenthaltes etwa im Kosovo keines vermisst. Wichtig ist für Holger allerdings der Laptop, der für ihn ein wichtiges Kommunikationsmedium ist. Yuna war die erste Person, mit der ich ein Interview führte, und sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich recht früh in der Forschung das Moment der Materialität integriert habe: Auf die Frage, was sie immer mitnimmt, wenn sie umzieht, nannte sie als erstes ihr Cello. Der Kontakt zu Yuna entstand durch eine Recherche vor Ort; Ziel war es, Personen mit einer vielfältigen Migrationsbiographie in der nahen Umgebung zu identifizieren, und anhand von Yunas Webauftritt auf den Seiten ihres Arbeitgebers ließ sich vermuten, dass sie eine passende Interviewee sein würde, was sich als richtig herausstellte. Yuna war sofort zu einem Gespräch bereit. Das Interview mit ihr fand im weitesten Sinn an ihrem Arbeitsplatz statt; da ihr Besprechungsraum unerwarteter Weise von anderen genutzt wird, zogen wir in mein Büro an der Universität Bremen um. Ich servierte Tee, sie – unabgesprochen – Kekse. Das Gespräch führten wir auf Deutsch, der Satzbau und einige Formulierungen machen Yuna über ihre Sprache als Nicht-Muttersprachlerin identifizierbar. Yuna hat in Japan Social Welfare studiert und nach ihrem Bachelor-Abschluss dort zwei Jahre gearbeitet. Für eine Ausbildung als Musiktherapeutin zog sie nach Deutschland um, wo sie drei Jahre in Köln lebte. Da sich die Ausbildung aufgrund formaler Anforderungen als schwer zu bewältigen herausstellte und sie inzwischen ihren damaligen, mexikanischen, Lebensgefährten kennengelernt hatte, entschied sie sich, mit ihm nach Mexiko zu gehen. Dort lebt sie in Mexico City und arbeitet sie zunächst für zwei Jahre in einem Kindergarten, den die Mutter ihres Lebensgefährten führt; für diese Tätigkeit absolviert sie eine Montessori-Weiterbildung. Nach der Trennung von ihrem Freund beendet sie diese Arbeit und beginnt in einer Sprachschule als Japanischlehrerin zu arbeiten. Für diese Tätigkeit, für die sie keine formale Ausbildung besitzt, eignet sie sich in ihrer Freizeit Wissen mithilfe von Fachbüchern an. Nach zwölf Jahren verlässt sie auf Wunsch ihrer in Japan lebenden Mutter das Land und kehrt in ihr Herkunftsland Japan zurück. Ihre Mutter erkrankt schwer und stirbt kurze Zeit später; dennoch entschließt sich Yuna, in Tokyo zu bleiben. Sie arbeitet in ihrem ursprünglichen Beruf als Sozialarbeiterin und reist im Zuge ihrer Arbeit wiederholt für mehrwöchige Aufenthalte nach Kambodscha. Um wie-

2.4 Eine Einführung in die Interviewees

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der unterrichten zu können, entschließt sie sich, sich bei einer japanischen, international agierenden Kultureinrichtung zu bewerben. Ihre Bewerbung ist erfolgreich, und sie zieht im Rahmen eines zweijährigen Arbeitsvertrags nach Buenos Aires in Argentinien um, um dort Japanisch zu unterrichten; ihre SchülerInnen sind insbesondere die Kinder und EnkelInnen von japanischen ImmigrantInnen. Nach einem Bandscheibenvorfall muss sie den Aufenthalt nach anderthalb Jahren vorzeitig beenden und kehrt nach Japan zurück. Nach der Genesung beginnt sie, auf einer Teilzeitstelle als Lehrerin in einer Sprachschule in Tokyo zu unterrichten, wo sie vor allem expats unterrichtet. Da sie sich noch bessere Chancen als Bewerberin bei der genannten Kultureinrichtung ausrechnet, wenn sie einen Master-Abschluss hat, absolviert Yuna neben ihrer Halbtagsarbeit ein Abendstudium. Ihre anschließende Bewerbung für einen Auslandseinsatz an einer Sprachschule ist erfolgreich, und sie zieht für einen dreijährigen Arbeitsvertrag nach Köln in Deutschland um. Dort nutzt sie die Zeit für Bewerbungen und wird zu einem Vorstellungsgespräch an einer Schule in Oldenburg eingeladen; ohne über den Ausgang ihres Vorstellungsgesprächs informiert zu sein, verlässt sie Deutschland, da ihr Arbeitsvertrag beendet ist, und kehrt nach Tokyo zurück. Nach einem halben Jahr bekommt sie die positive Nachricht, dass sie in der Schule in Oldenburg anfangen kann zu unterrichten, und zieht nach Norddeutschland um. Während ihrer gesamten Migrationsbiographie ist Yuna in Begleitung ihres Cellos. Schon in Japan spielte sie in einem Orchester, und an jeder ihrer Stationen versucht sie, gemeinsam mit anderen zu musizieren. Dies gelingt nicht immer; in den Fällen, in denen sie weder ein Orchester noch ein selbst organisiertes Quartett findet, nimmt sie Unterricht. Das Cello ist für Yuna damit ein Objekt, das ihr an ihren unterschiedlichen Migrationsstationen die Integration möglich macht. Darüber hinaus ist für Yuna Essen ein wichtiges Moment, über das sie Bindungen an Orte herstellt: Lokal spezifisches Essen sind ihr sehr wichtig, und die Erinnerungen etwa an die damit verbundenen Gerüche und den Geschmack sind zentrales Element ihrer Zeit und Raum überdauernden Ortsbindungen. Ohne die hier vorgestellten Personen wäre dieses Buch nicht in der vorliegenden Form zustande gekommen, und sie werden im Folgenden ausführlich zur Sprache kommen. Die Interviewzitate wurden dafür sprachlich etwas geglättet, etwa indem Auslassungen, Wiederholungen und abgebrochene Sequenzen gelöscht wurden, sofern sie für das Verständnis des Gesagten und Gemeinten nicht von Bedeutung waren. Ebenso wurden der Satzbau und die Grammatik an die geschriebene Sprache angepasst; dies ist im vorliegenden Fall ein vertretbares Verfahren, da ich keine Konversationsanalyse durchgeführt habe. Im Fall der englischen Interviewzitate habe ich bezüglich des Satzbaus und der Grammatik in reduzierter Weise Änderungen vorgenommen; da ich selbst keine Muttersprachlerin bin, wäre ein solcher Eingriff in das Interviewmaterial problematisch.

Teil I: Menschen und Mobilität

3 Menschen und Mobilität

Dieser erste Teil der vorliegenden Arbeit stellt die spezifischen Formen von Mobilität vor, mit dem wir es im Fall der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen zu tun haben. Im Zuge dessen werden andere, verbundene Formen der räumlichen Mobilität und Migration diskutiert und die Verbindungen von räumlichen und sozialen Bewegungen adressiert. Das zentrale Argument ist dabei, dass globale Verflechtungen eine qualitativ neue Beziehung von Raum und Gesellschaft erzeugen. Für die HIMs treten dabei transnationale Räumen neben lokal konstituierte Räume und lassen spezifische plurilokale Verflechtungen entstehen, die mit unterschiedlichen Formen von Grenzziehungen einhergehen. Während das erste Kapitel einer Begriffsklärung dient, geht es anschließend um die mit Migration verbundenen Verflechtungen und Grenzziehungen (Kapitel 4), bevor ich mich explizit dem Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität zuwende (Kapitel 5). Grundsätzlich ist die Mobilität von Menschen kein neues Phänomen. So zeigt sich die räumliche Mobilität von Menschen in ihren Bewegungen im geographischen Raum: beim Pendeln zur Arbeitsstelle, beim Gang zum Dorfladen, beim Umzug in eine andere Stadt, beim Flug in ein fremdes Land für eine Urlaubsreise. Zwar sind Menschen nicht als einzige auf diese Weise räumlich mobil – ähnliches gilt etwa für Waren, die in einem globalen Kapitalmarkt zirkulieren, oder Lebewesen wie Zugvögel, die sich über den Jahresverlauf zwischen Kontinenten bewegen, aber auch Wissen, das von einem räumlichen Kontext in einen anderen übertragen wird –, so ist doch für ihre Mobilität charakteristisch, dass sie sich dabei immer auch innerhalb ihrer gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge bewegen. Sie gehören einmal der einen, einmal der anderen Subkultur an oder bewegen sich im gesellschaftlichen Struktur- oder Klassensystem im Sinn sozialen Aufstiegs oder Abstiegs und sind auf diese Weise sozial mobil. 3.1 Soziale und räumliche Mobilität Spricht man in der Humangeographie und den Sozialwissenschaften von Mobilität, können zwei unterschiedliche Dinge gemeint sein: räumliche oder soziale Mobilität. Im Fall der HIMs liegt vielfach eine Kombination von räumlicher und sozi-

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3 Menschen und Mobilität

aler Mobilität vor; ich werden daher im Folgenden die verschiedenen Klassifikationen vorstellen, die das Feld der Mobilität als Ganzes abstecken, um die Migrationsbiographien der HIMs angemessen beschreiben und interpretieren zu können. Während die soziale Mobilität die Bewegung von Gesellschaftsmitgliedern innerhalb ihrer Gesellschaft beschreibt, wird unter der räumlichen Mobilität die Bewegung eines Individuums oder einer Gruppe im geographischen Raum bezeichnet. In den Sozialwissenschaften rückte die Bedeutung räumlicher Mobilität Anfang der 2000er besonders in den Fokus der WissenschaftlerInnen; analog zu anderen inhaltlichen (Hin-)Wendungen wie dem cultural turn oder dem spatial turn lässt sich hier von einem mobilities turn sprechen. Dabei geht es insbesondere in der Geographie um verschiedene Facetten räumlicher Mobilität, die sich beispielsweise in veränderten Bewegungsmustern und damit verbundenen Lebensformen und Alltagspraktiken zeigen und nicht zuletzt im Kontext der Globalisierung ausgeprägte Gestalt annehmen (exempl. Cresswell 2006; Urry 2000, 2007). In diesen Kontext lässt sich auch die vorliegende Arbeit einordnen. Mit dem Fokus auf internationaler Migration geht es dabei um eine bestimmte Form der räumlichen Mobilität: eine Bewegung über Staatsgrenzen hinweg, bei der die Menschen sich mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung an ihrem neuen Wohnort aufhalten. Diese Unterform der räumlichen Mobilität lässt sich allerdings weder von anderen räumlichen Mobilitätsformen noch von sozialer Mobilität eindeutig trennen: Immer geht es auch um Bewegungen vor Ort, etwa am Wohnort, und um die Verortung innerhalb von Gesellschaften und Gemeinschaften, etwa der international community oder der Nachbarschaft im Ort. Grundsätzlich ist beiden dieser Mobilitätsformen gemeinsam, dass Grenzen überschritten werden: im Fall der sozialen Mobilität die Grenze zwischen sozialen Schichten (vertikal) oder Subkulturen (horizontal), im Fall der räumlichen Mobilität die Grenze von Städten, Regionen oder Nationalstaaten. Auch wenn es sich bei den Grenzen, die bei räumlicher Mobilität überschritten werden, in bestimmten Fällen auch um physische Barrieren handelt – Grenzflüsse, Ozeane –, so teilt die räumliche Mobilität doch mit der sozialen Mobilität, dass es sich bei den zu überschreitenden Grenzen um sozial hergestellte, da politisch und/oder juristisch konstituierte, Grenzen handelt. Urry (2007, z.B. 7–12) konstatiert für spätmoderne Gesellschaften die Wirksamkeit von Mobilität in ganz unterschiedlichen Bereichen und formuliert darauf aufbauend ein „new mobilities paradigm“ (Urry 2007, 7). Mit diesem Paradigma lassen sich konzeptionell verschiedene empirische Beobachtungen fassen: Neue Technologien wie das Smartphone verändern die Art und Weise, wie wir mobil und gleichzeitig lokal verbunden sein können, indem wir während der Reise E-Mails beantworten oder am Aufenthaltsort Informationen über den Ort und die Abfahrtszeit der Straßenbahn recherchieren können. Im Alltag werden von PendlerInnen oder Geschäftsreisenden immer häufiger große Distanzen überbrückt, erleichtert etwa durch die große Zahl an Flugverbindungen innerhalb und außerhalb des Landes. Objekte, Innovationen und Wissen sind ebenso global mobil wie die Menschen, die diese Dinge anwenden, verbreiten und

3.1 Soziale und räumliche Mobilität

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darüber kommunizieren. Schließlich werden unterschiedliche Arten von Mobilität unterschiedlich bewertet, Nomaden und das sogenannte fahrende Volk und international tätige ManagerInnen sind nur zwei Extrembeispiele für mobile Gruppen und die unterschiedliche soziale Wertigkeit ihrer Mobilitäten. Mobilität macht es möglich, soziale und räumliche Grenzen zu überwinden. Dabei lässt sich allerdings eine Gleichzeitigkeit von Mobilität und Immobilität beobachten: etwa von Menschen, die geschäftlich reisen und auf Menschen treffen, die vor Ort arbeiten; von Menschen, die eine Urlaubsreise unternehmen und sich an ihrem Aufenthaltsort nichtsdestotrotz temporär verortet fühlen (wollen). An Urry anknüpfend zeigt McMorran (2013), wie Mobilität und Gebundenheit in japanischen Hotels miteinander verwoben sind. Hotels und andere (touristische) Unterkünfte sind Orte des Durchgangs für die Übernachtungsgäste; dennoch wird durch die in der Einrichtung arbeitenden Personen, aber auch die Ausstattung versucht, bei den Gästen ein Gefühl der lokalen Verankerung zu erzeugen (McMorran 2013, 86–87). Hinzu kommt, dass die Angestellten des Hauses selbst die Mobilität der Gäste nicht teilen und häufig vor Ort fixiert bleiben – etwa, weil sie ökonomisch auf die Arbeit im Dienstleistungssektor angewiesen sind (McMorran 2013, 90). So zeigt der Autor für sogenannte Nakai, weibliche Angestellte, die Dienstleistungen wie das Vorführen des Zimmers oder die Versorgung mit Getränken in japanischen Pensionen übernehmen, wie sie, unter anderem aufgrund des spezifischen Anforderungsprofils der Arbeit, dort nicht nur freiwillig bleiben (McMorran 2013, 92): Nakai become stuck, partially by choice through a desire to remain in one inn, and partially beyond their power, especially due to society’s devaluation of their labor.

Hier zeigt sich das Doppel von Mobilität und Fixierung am Beispiel von zwei verschiedenen Personengruppen: Hotelgästen und -angestellten. Es können aber auch auf unterschiedlichen Ebenen Mobilität und Fixiertheit von derselben Person erfahren werden (Jeanes et al. 2015, 709). Dabei können beide Zustände sowohl simultan als auch periodisch und aufeinander folgend erfahren werden und zeigen sich etwa in der Gleichzeitigkeit von sozialer Bindung und räumlicher Mobilität. Übergeordnet kann dieses Beieinander von unterschiedlich gearteter Mobilität mit dem Begriff des Nexus von räumlichen und sozialer Mobilität gefasst werden; der Begriff des Nexus betont dabei die Verwobenheit der zwei Mobilitätsformen. Dabei können die verschiedenen Stadien und Formen der Mobilität zusammenfallen, etwa wenn der berufliche Aufstieg in einem Unternehmen oder die Heirat mit einem Ortswechsel einhergehen. Beides kann aber auch entkoppelt sein, etwa wenn ein Ortswechsel stattfindet, um die Arbeitsstelle zu behalten. Was alle diese Formen von Mobilität eint, ist, dass sie mit Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen einhergehen. Für die internationale Migration, die im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, sind territoriale Grenzen, die überschritten werden, konstitutiv, da es um den Wechsel von einem Nationalstaat in einen anderen geht. Nationalstaatliche Grenzen sind auch politisch-administrativ wirksam, ihrer Kon-

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3 Menschen und Mobilität

trolle und Aufrechterhaltung liegen spezifische Verwaltungsakte zugrunde. 9 Derartige Grenzen zwischen Nationalstaaten weisen je eigene historische Entwicklungen auf und sind in den jeweiligen Staaten politisch und juristisch verankert. Ihre soziale Dimension wird insbesondere in zwei Fällen deutlich: wenn sich der Verlauf der Grenzen aufgrund von politischen und sozialen Transformationen über die Zeit verändert und wenn die Grenzen für unterschiedliche soziale Gruppen unterschiedliche Bedeutungen aufweisen und so mit differierenden Formen der Inklusion und Exklusion einhergehen. Für beide Fälle bieten sich zur Illustration die Beispiele der Staaten an, die heute Slowakei und Tschechische Republik heißen: Von 1948 bis 1992 bildeten sie gemeinsam die Tschechoslowakei. 1993 wurde die Tschechoslowakei aufgelöst, die Staaten der Slowakei und der Tschechischen Republik wurden gegründet, was mit neuen Grenzziehungen, unter anderem zwischen der heutigen Slowakei und Tschechischen Republik, einherging. 2004 wurden beide Staaten Mitgliedstaaten der Europäischen Union; dies führt dazu, dass die StaatsbürgerInnen der beiden Staaten innerhalb der EU keinen Bewegungseinschränkungen unterliegen und damit auf spezifische Weise inkludiert sind, ebenso wie im Gegenzug BürgerInnen aus anderen EU-Staaten in diese beiden Staaten. Menschen aus Nicht-EU-Staaten erfahren die Grenzen in diese beiden Staaten dagegen anders: Sie sind in spezifischer Weise exkludiert. Nationalstaatliche Grenzen sind nach dieser Lesart prekär und potentiell veränderbar, und ihre Stabilität wird stets neu verhandelt. Derartige Grenzen wirken sich, wie das Beispiel der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU zeigt, deutlich auf die Möglichkeiten der räumlichen Mobilität aus. Aber auch soziale Mobilität ist betroffen, etwa wenn mit einem (räumlich vollzogenen) Arbeitsplatzwechsel ein beruflicher Aufstieg einhergeht. Im vorliegenden Kapitel werde ich beide Formen der Mobilität vorstellen und den Fokus auf die räumliche Mobilität legen. Denn auch wenn diese beiden Formen der Mobilität in vielen Fällen miteinander verbunden sind, so sind die Bewegungen im physischen und im sozialen Raum doch zunächst einmal getrennt zu betrachtet, um die spezifisch sozialen respektive räumlichen Merkmale von Mobilität herausarbeiten zu können.10 3.2 Räumliche Mobilität und Migration Das in diesem Buch im Fokus stehende Phänomen der internationalen Migration ist Teil eines sehr viel umfassenderen sozialräumlichen Phänomens: der räumlichen Mobilität. Räumliche Mobilität bezeichnet, allgemein gesprochen, Bevölkerungsbewegung im geographischen Raum. Im Gegensatz zu natürlichen Bevölke9 10

Zum Thema der Grenzen in der Geographie z.B. Lossau (2012) sowie Reuber (2014). Paulu (2001) und Kreutzer und Roth (2006) zeigen darüber hinaus, auf welche Weise räumlich mobile Personen auch sozial mobil sind und verweisen damit auf die Verschneidung von räumlicher und sozialer Mobilität.

3.2 Räumliche Mobilität und Migration

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rungsbewegungen, die sich aus Fertilität und Mortalität in einer Gesellschaft ergeben, müssen bei der Betrachtung von Phänomenen der räumlichen Bevölkerungsbewegung immer mehrere Orte als Bezugsgrößen einbezogen werden, da es sich hierbei um Bewegungen zwischen Orten handelt (während natürliche Bevölkerungsbewegungen grundsätzlich für nur einen Ort beschrieben werden können, ohne eine Vergleichsebene einzuziehen). Grundsätzlich kann man bei räumlichen Bevölkerungsbewegungen verschiedene Phänomene unterscheiden, die sich grob folgenden drei Gruppen zuordnen lassen: Umzüge, zirkuläre räumliche Mobilität, internationale Wanderungen (de Lange et al. 2014, 127). Dabei sind diese verschiedenen Formen der räumlichen Bevölkerungsbewegungen in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet und wirken sich in unterschiedlicher Weise auf die Bevölkerungszusammensetzung und die Gesellschaftssysteme der Herkunfts- und Zielländer aus. Der Bezug zu räumlichen und sozialen Grenzen wurde oben schon angesprochen: Physische Barrieren werden überwunden, beispielsweise indem Flüchtlinge Grenzzäune überwinden, mit zum Teil tödlichen Folgen (Kiza 2008, z.B. 235– 242).11 Räumliche Grenzen werden überwunden, indem von einer Region in eine andere migriert wird, wie Rérat (2014) für die (Re-)Migration von Studierenden in der Schweiz zeigt. Soziale Grenzen werden konstituiert, indem sich von anderen MigrantInnengruppen abgeschottet wird, wie exemplarisch Walther für jugoslawische Bürgerkriegsflüchtlinge zeigt: oder sie in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren versucht werden. Soziale Grenzen können aber auch abzubauen versucht werden; hier sind es insbesondere politische Strategien, die als Antwort auf identifizierte Integrationsbarrieren eingesetzt werden und die unterschiedlich erfolgreich sind, wie Heckmann (2015) herausarbeitet. Grenzen zwischen Kulturen werden so verstärkt oder aber brüchig. Und diese verschiedenen Grenzphänomene sind insbesondere lokal beobachtbar und erlebbar. Dabei werden räumliche Bevölkerungsbewegungen, die ihre Ursachen unter anderem in globalen Entwicklungen wie etwa weltweiten Handelsbeziehungen oder dem Klimawandel haben, lokal verortet: Die Veränderung des Klimas ist weltweit beobachtbar und hat regional spezifische Konsequenzen, etwa Dürren in Äthiopien oder Überschwemmungen in Bangladesch. Als Folge deutlich erschwerter Lebensbedingungen vor Ort migrieren Menschen aus derart betroffenen Regionen in andere, weniger betroffene Gebiete der Welt, etwa nach Europa. Sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Transit- und Ankunftsländern verändern sich durch diese räumlichen Bevölkerungsbewegungen die Situationen vor Ort, beispielsweise leben weniger resp. mehr Menschen in einer Stadt, es finden sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur auf der Durchreise in der Stadt etc. Derartige räumliche Mobilität ist in zwei Haupttypen zu unterteilen. Zentrales Kriterium für die Unterteilung ist die Art der Wohnsitzverlagerung. Wird der 11

Ein weiterführender Aspekt wird von Diederich (2011) am Beispiel der spanischen Enklave Melilla herausgearbeitet, der die mit der Sicherung von Grenzsystemen verbundenen Infrastrukturen und Technologien in das Zentrum seiner Analyse rückt.

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3 Menschen und Mobilität

Wohnsitz verlagert, das heißt, der eine Wohnsitz für den anderen aufgegeben – für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft –, spricht man von Wanderung oder Migration. Wird dagegen zwischen Wohnsitzen gependelt, das heißt, werden beide oder mehr als zwei Wohnsitze aufrechterhalten, spricht man von zirkulärer Mobilität. Es ließe sich hier auch von unidirektionaler versus zirkulärer Mobilität sprechen. Was die humangeographische Beschäftigung mit Migration besonders macht, ist, dass sie die räumliche Dimension von Migration besonders in den Blick nimmt, ohne die soziale Dimension zu vernachlässigen. Soziologische und anthropologische Arbeiten fokussieren insbesondere die sozialen und politischen Aspekte von Migration, integrieren seit einiger Zeit aber auch verstärkt die räumliche Dimension in ihre Analysen. Im Blick der Humangeographie ist dagegen insbesondere, welche Auswirkungen und Folgen Migration in und für bestimmte Räume und die darin lebenden und die Räume konstituierenden Menschen hat. In vielen Fällen sind es politisch-administrative Räume, die dabei von Interesse sind: Nationalstaaten, Städte, aber auch Staatengemeinschaften wie die EU. Aus einer bevölkerungsgeographischen Perspektive sind es häufig die Wanderungen, die dann interessant werden, d.h. die Bewegungen, die mit Wohnsitzverlagerungen einhergehen: Durch diese Bewegungen ändern sich die Bevölkerungen sowohl der Herkunfts- als auch der Zielländer in ihrer Zusammensetzung und Verteilung, und damit zum Teil auch in ihrer Dichte (vgl. de Lange et al. 2014, 125). Migration als Form der räumlichen Mobilität lässt sich aus einer solchen Perspektive dann nach diesen, sowohl räumlich als auch zeitlich distinkten, Merkmalen differenzieren. Idealtypisch lassen sich die Binnenmigration, die internationale Migration und die Pendelmigration voneinander als Typen unterscheiden. Diese Formen sind auf unterschiedlichen Maßstabsebenen angesiedelt. Für die Unterscheidung der Binnenmigration von der internationalen Migration lässt sich das Merkmal der territorialen Grenzüberschreitung verwenden: Die internationale Migration bezeichnet die Bewegung über Staatsgrenzen hinweg; im Unterschied dazu stellt die Binnenmigration die räumliche Bevölkerungsbewegung innerhalb eines Staatsgebietes dar. Innerhalb der Binnenmigration lassen sich die Nah- und Fernwanderungen, d.h. intra-regionale Wanderungen und interregionale Wanderungen, unterscheiden (de Lange et al. 2014, 146). Um die Pendelmigration als dritten Fall der räumlichen Mobilität zu beschreiben, ist die zeitliche Differenzierung zwischen dauerhaften und zeitlich begrenzten Aufenthalten an einem Ort nötig. Bei der Pendelmigration handelt es sich um temporäre Aufenthalte, die gefolgt werden von einer ebenfalls zeitlich begrenzten Rückkehr in das Herkunftsland oder an den Herkunftsort. Dieser Vorgang der Hin- und Her-Bewegung wird wiederholt, so dass es sich hierbei um eine Form zirkulärer räumlicher Mobilität handelt. Die Sonderrolle der Pendelmigration besteht nun nicht nur in der Hin- und Herbewegung zwischen Orten, sondern auch darin, dass sowohl Binnenmigration als auch internationale Migration als Pendel-

3.2 Räumliche Mobilität und Migration

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migration vorliegen können, so dass die Kategorie der Pendelmigration quer zu den Klassifikationen der Binnen- und der internationalen Migration liegt. Im Fall der internationalen Migration wird noch eine weitere zeitliche Unterscheidung getroffen: Die Aufenthaltsdauer wird als Merkmal berücksichtigt. Bei einem Wechsel vom Ort A im Herkunftsland zum Ort B im Zielland und dem Aufenthalt an diesem Ort B von weniger als drei Monaten wird von internationaler Mobilität gesprochen. Sind es mehr als drei und weniger als 12 Monate, spricht man von temporärer internationaler Migration. Handelt es sich um einen Aufenthalt von 12 Monaten und mehr, so ist von internationaler Migration die Rede (de Lange et al. 2014, 130). Vergleichbare Differenzierungen lassen sich bei der Remigration vornehmen: Hier gibt es die dauerhafte Rückkehr in das ursprüngliche Herkunftsland und die zirkuläre oder temporäre Rückkehrmobilität. Hierunter fallen solche Formen der räumlichen Bewegung, in denen einst emigrierte Personen in das Geburtsland zurückkehren, dort aber nicht dauerhaft bleiben, sondern nach einer gewissen Zeit wieder emigrieren – entweder in das Land, aus dem sie kamen, oder in ein anderes. Diese unterschiedlichen Formen von Migration und Remigration lassen sich idealtypisch in drei Typen unterteilen: Der erste Typ besteht ausschließlich aus erster Migration und einer möglichen Remigration in das Herkunftsland. Der zweite Typ weist ein weiteres, zweites Zielland auf, in das vom ersten Zielland migriert wird. Auf diese Sekundärmigration folgt eine Remigration in das Geburtsland. Der dritte Typ ist komplexer, da auf die Sekundärmigration eine andere Form der Remigration folgt, indem über das erste Zielland zurück in das Geburtsland migriert wird. Nicht dargestellt ist hier die temporäre Remigration, in deren Fall wieder vom Geburtsland in ein anderes Land migriert wird. Diese Typen lassen sich sowohl für Binnen- als auch für internationale Migration beobachten. Außerdem kann der Typ 3 der Migration noch um weitere Phänomene ergänzt werden: Es können noch weitere Zielländer auftreten, die Remigration kann auch einige dieser Zielländer auslassen, und es kann auch gar nicht in das Geburtsland zurückgekehrt werden. Im Fall meiner Interviewees liegt keine Remigration vor, da niemand der interviewten Personen derzeit in seinem oder ihrem Herkunftsland lebt. Die Remigration verweist zudem auf einen weiteren Aspekt, der bei der Betrachtung von Phänomenen der räumlichen Mobilität wichtig ist: die Perspektive, mit der wir als Beobachtende und Beschreibende auf Migration schauen. Je nach Perspektive ist ein Migrationsphänomen eine Emigration oder Immigration oder ein Leben in der Diaspora. Schließlich ergeben sich Herausforderungen bezüglich der Klassifikation der verschiedenen Migrationsformen: Als Remigration lässt sich eine räumliche Bewegung nur dann beschreiben, wenn bekannt ist, dass zuvor schon in dem Land, in das migriert wird, gelebt wurde; eine Unterscheidung zwischen internationaler Mobilität und internationaler Migration ist erst möglich, wenn ein Wissen über die tatsächlich in einem Land verbrachte Zeit vorhanden ist. Damit ist es erst retrospektiv möglich, eine räumliche Bewegung als internationale Mobilität oder Migration zu bezeichnen. Diese Klassifikationsprobleme teilt die

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3 Menschen und Mobilität

wissenschaftliche und administrative Auseinandersetzung mit Migrationsphänomenen allerdings mit vielen anderen Beschäftigungen mit gesellschaftlichen Phänomenen (Lampland und Star 2009), und sie gelten auch für die Frage, aus welchen Gründe eine Migration stattfand. Für die Aufnahmeländer stellen sich hier entsprechende rechtliche Herausforderungen, etwa wenn es darum geht, ob eine Migration aus Flucht vor humanitären Katastrophen wie Bürgerkriegen und damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen oder aus ökonomischen Gründen, die ein Überleben vor Ort kaum möglich machen, stattfindet. Die Trennung der verschiedenen Gründe sind im Einzelfall selten möglich, aus politisch-administrativer Sicht aber unerlässlich für die Entscheidung über Aufenthaltsstatus oder Bleibeansprüche. Neben diesen Merkmalen, die bezüglich der Zeitdimension und der Überschreitung von nationalstaatlichen Grenzen zu beobachten sind, finden sich im Fall der Migration auch Muster, die Binnenmigration mit internationaler Migration verbinden. So kommt es vergleichsweise häufig vor, dass zunächst vom ländlichen Raum in eine Stadt migriert wird und von dieser Stadt dann in ein anderes Land. Dies lässt sich etwa auf soziale Netzwerke zurückführen, die in der Stadt vorhanden sind, aber auch auf bessere Arbeitsmöglichkeiten, die es erlauben, Geld für die Weiterreise zu verdienen, oder auf Kontakte zu Personen, auch Schleppern oder Schleusern, deren Hilfe es möglich macht, weiterzureisen (vgl. z.B. Saunders 2011). Diese Unterscheidungen berücksichtigen zudem nicht, welcher Art die sozialen Beziehungen sind, die zum Herkunftsland aufrechterhalten werden. Eine solche auf das zeitlich und räumlich spezifische Phänomen fokussierte Definition ist insofern konsequent, als sie damit eine begriffliche Analyseebene bietet, die dann für unterschiedliche Phänomene – beispielsweise Fluchtmigration, Arbeitsmigration – verwendet werden kann und einen fallübergreifenden Vergleich der Phänomene möglich macht. 3.3 Migration und Transnationalisierung Das Phänomen, das im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht, ist eines der internationalen Migration. Als Phänomen ist internationale Migration ähnlich binnendifferenziert wie die anderen Phänomene der räumlichen Mobilität: der Wohnsitz kann dauerhaft ins Ausland verlagert werden, er kann wiederholt in ein je neues Land verlagert werden, er kann in eines der vorher bewohnten Länder zurück verlagert werden. Neben diesen zeitlichen Unterscheidungen sind die sozialen Beziehungen, die zwischen den migrierenden Personen und den Bezugspersonen im Herkunftsland bestehen, entscheidend für die Charakterisierung der verschiedenen Formen internationaler Migration. Insbesondere für ein Migrationsphänomen ist das bestehende Beziehungsnetz in das Herkunftsland konstitutiv, welches ich an dieser Stelle gesondert herausgreife: die Transmigration. Einige der komplexen so-

3.3 Migration und Transnationalisierung

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zialen und räumlichen Bezüge, die sich für TransmigrantInnen feststellen lassen, lassen sich auch für die von mir untersuchten internationalen MigrantInnen, die wiederholt umziehen, beobachten; in ihrem Fall bekommen sie allerdings durch das wiederholte Umziehen eine spezifische Qualität. Pries (1996, 1999, 2001, 2008) bezeichnet die Transmigration als einen Typus von internationaler Migration, der sich in Zeiten der internationalen Verflechtung und wechselseitigen Abhängigkeiten herausbildet und hebt neben den ökonomischen und politischen insbesondere die sozialen Verflechtungen und Netzwerke als für Transmigration entscheidend hervor. Ihm zufolge ist Transnationalisierung in die Globalisierung (s. Kapitel 9) als gesellschaftlichem und räumlichem Kontext eingebettet; dabei bringe eine im Kontext der Globalisierung erstarkende Transmigration das Phänomen Transnationalisierung hervor. Nach Pries (2002) ist die Globalisierung ein Phänomen, dessen Elemente im Konzept der Transnationalisierung in spezifischer Weise aufgenommen und berücksichtigt werden: Das Konzept von transnationalism und Transnationalisierung nimmt – etwa in Anlehnung an Benedict Andersons Nation State as Imagined Communities – dagegen gerade das im Globalisierungsprozess fortwirkende strukturelle Spannungsverhältnis von Territorien/Plätzen und kollektiven Selbstvergewisserungen auf. (Pries 2002, 269, Herv.i.O.)

Dies bedeutet, dass sich die Perspektive der Transnationalisierung gerade dadurch auszeichnet, dass Orte, lokale Bildungen oder nationalstaatliche Identitäten als wirksame Faktoren bei der Konstitution einer transmigrantischen Identität zu berücksichtigen sind und eine Analyse von Transmigration ohne Berücksichtigung von Territorien, Orten und Kollektiven nicht möglich ist. Darauf verweisen auch Westwood und Phizacklea (2000, 2): We use the term transnationalism […] to draw attention to the two processes which are simultaneously at work. On the one hand the continuing importance of the nation and the emotional attachments invested in it, and on the other hand those processes such as cross-border migration which are transnational in form.

Nach dieser Beschreibung liegt hier eine Gleichzeitigkeit von Bedeutung und Bedeutungslosigkeit von nationalstaatlichen Grenzen vor. Zum einen sind sie für MigrantInnen bedeutsam und für die emotionale Bindung an das Herkunftsland konstitutiv und damit Teil von sozialen Inklusions- und Exklusionsprozessen, welche zur Formung von (nationaler) Identität beitragen. Zum anderen werden diese Grenzen wiederholt überschritten; für die Transnationalisierung als grenzüberschreitende Praxis sind sie daher gerade nicht bedeutsam, da sie räumliche Bewegung gerade nicht begrenzen.12 12

Dies ist eine idealtypische Darstellung der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit von Grenzen, die der analytischen Differenzierung des Phänomens Transmigration dient. Faktisch spielen Grenzen auch für TransmigrantInnen eine Rolle, da beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen, die durch die Staatsbürgerschaft und damit verbundene Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen gegeben werden, bedingen, welche Grenzen regelmäßig überschritten werden können und damit für die räumliche Mobilität bedeutungslos werden.

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3 Menschen und Mobilität

Welche Merkmale weist nun Transmigration als spezifische Form der Migration auf? In den 1980er und 1990er Jahren mehrten sich die sozialwissenschaftlichen Beobachtungen einer qualitativ neuen Form der internationalen Migration. Die internationale Migration aus karibischen Ländern, Mexiko und den Philippinen in die USA zeigte zwei besondere Merkmale, welche sie von vorherigen Migrationsformen unterschied: Erstens war sie stärker zirkulär als bekannte Migrationen, das heißt, es fanden mehr Bewegungen zwischen Herkunfts- und Zielländern statt als zuvor beobachtet. Zweitens wiesen deutlich mehr MigrantInnen als vorher auch nach ihrer Ankunft im Zielland starke Bindungen an das Herkunftsland auf, die über die Zeit aufrechterhalten wurden (für Mexiko und die USA z.B. R. Smith 1995; Goldring 1996; für Europa z.B. Verwiebe 2006). Im Fall dieser MigrantInnen ließen sich ausgeprägte „Austauschbeziehungen zum Heimatland“ (de Lange et al. 2014, 155) feststellen. Diese Beziehungen, die über die MigrantInnen zwischen dem Herkunfts- und dem Zielland hergestellt wurden, waren Bestandteile von Netzwerken und Gemeinschaften, die über Grenzen hinweg bestanden (für Südostasien und die USA z.B. Ong und Nonini 1997). Die Transmigration oder transnationale Migration lässt sich aufbauend auf diesen Beobachtungen als eine besondere Form der internationalen Migration beschreiben, für die man nicht die Dichotomie von Entwurzelung im Herkunftsland und Neu-Verwurzelung im Zielland verwenden kann. Vielmehr kommt es zu einer Gleichzeitigkeit von Zugehörigkeit, potentiell aber auch von Nicht-Zugehörigkeit, und einem Gefühl des ‚Zwischen den Welten‘-Seins. Glick Schiller, Basch und Szanton-Blanc (1995, 48) charakterisieren die Figur der TransmigrantInnen wie folgt: Transmigrants are immigrants whose daily lives depend on multiple and constant interconnections across international borders and whose public identities are configured in relationship to more than one nation-state […].

Diese Gleichzeitigkeit mehrerer Bindungen und das Zwischen-den-Welten-sein führt nun dazu, dass sich transnationale soziale Räume aufspannen. Diese Räume werden zwischen den Orten konstituiert, an denen sich die einzelnen Mitglieder der Netzwerke befinden und tragen zur Herausbildung von transnational communities bei (Portes 1996). Die Bindungen können über persönliche Besuche, aber auch mithilfe von Telefonaten oder Briefen aufrecht erhalten werden; durch die Weiterentwicklung und Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien wird die Aufrechterhaltung solcher Bindungen zunehmend erleichtert (Castells 1996; zur Verbindung von Orten, Räumen und Technologien auch Sassen 1991). Die Rolle von Technologien und digitalen Medien bespreche ich im Folgenden genauer, da sie sowohl Instrument und Ermöglicher als auch konstitutives Element transmigrantischer Netzwerke sind. Eine instruktive Arbeit liegt in diesem Kontext von Greschke (2012) vor, die unter dem Titel Daheim in www.cibervalle.com eine empirische Arbeit zur Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien für TransmigrantInnen vorgelegt hat. Ausgangspunkt ihrer empirischen

3.3 Migration und Transnationalisierung

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Analyse ist das öffentlich zugängliche Diskussionsforum von Cibervalle 13, einem Portal, das dem Austausch von Paraguayern und Paraguayerinnen überall auf der Welt dient. Auf der Grundlage einer nationalstaatlichen Zugehörigkeit und damit auf der Grundlage der Annahme, dass man eine kollektiv geteilte Identität als Paraguayerin oder Paraguayer hat, funktioniert dieses virtuelle Netzwerk. Neben dem virtuellen Raum, der sich über die verwendeten Technologien und die Kommunikation konstituiert, gibt es die Möglichkeit, Kontakt zu anderen, vor Ort lebenden Paraguayerinnen und Paraguayern aufzunehmen. Hieran wird deutlich, dass die nationalstaatliche Zugehörigkeit für TransmigrantInnen keineswegs an Bedeutung verliert, sondern geradezu zu einem identitätsstiftenden Merkmal wird. Hier ein Auszug aus Greschkes empirischem Material: Es ist Montagmorgen, 8:00h. In einer kleinen Stadt in Kalifornien steht die Paraguayerin Angela gerade auf. Auf dem Weg ins Bad fährt sie ihren Computer im Schlafzimmer hoch, putzt sich die Zähne, geht dann zurück ins Schlafzimmer und loggt sich in den Messenger ein. Sie schaut, wer von ihren Kontakten online ist, startet dann ihren Browser, um direkt die Hauptseite des paraguayischen Online-Forums Cibervalle zu öffnen, das sie mit ihrem Heimatland und mit Landsleuten auf der ganzen Welt verbindet. Nacheinander öffnet sie einige der Tópicos – in denen sie sich am Abend zuvor mit ihren Freund/innen ausgetauscht hatte – um zu sehen, was sich in der Nacht in Cibervalle ereignet hat. Dann weckt sie die Kinder, zieht sie an und bereitet ihnen das Frühstück. Als sie das vertraute Signal hört, mit dem sie benachrichtigt wird, wenn einer ihrer Kontakte sie im Messenger anspricht, geht sie zurück an den Computer. Ein privates Konversationsfenster hat sich geöffnet, in dem ihr Bruder sie begrüßt. Er ist seit kurzer Zeit in Spanien und kann es kaum abwarten, ihr zu erzählen, dass er den Job bei der Baufirma bekommen hat, bei der er sich am Morgen vorgestellt hatte. Sie chattet kurz mit ihm, muss dann aber die Konversation beenden, weil die beiden Kinder sich in der Küche streiten. (Greschke 2007, Abs. 1)

An diesem Zitat wird nicht nur die gemeinschaftsstiftende Funktion des Portals deutlich, sondern es zeigen sich auch die Verschränkungen der Alltagsleben an unterschiedlichen Orten und damit die veränderten Raum-Zeit-Bezüge der TransmigrantInnen (dazu auch Voigt-Graf 2004). Der transnationale soziale Raum, der hier beschrieben wird, wird zwischen der Stadt in Kalifornien, in der die Protagonistin lebt, und ihrem Bruder in Spanien aufgespannt. Potenziell spannt er sich vielmehr zwischen den verschiedenen Kontakten und der Protagonisten auf und damit an mehreren Orten, die nicht alle, aber viele von ihnen, in anderen Staaten liegen. Hinzu kommt mit dem worldwideweb ein neuer Ort, an dem soziale Interaktionen stattfinden und der Teil des konstituierten transnationalen sozialen Raumes ist. Ein weiteres Beispiel ethnographischer Arbeit illustriert noch deutlicher die Verschränkung von Plurilokalität und Informationstechnologien, welche verwendet werden, um transnationale soziale Räume zwischen den verschiedenen Orten herzustellen: Irén [öffnet] in Asunción ihren Messenger und wartet darauf, dass sich ihr Freund Tomás in New York einloggt. Sie verbringen für gewöhnlich die Mittagspause zusammen. […] Sie schickt ihm schnell eine Nachricht über den Messenger an sein Handy, über das er immer mit 13

Cibervalle ist das von Greschke gewählte Pseudonym für die untersuchte Online-Plattform.

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3 Menschen und Mobilität dem Messenger verbunden bleibt, wenn er unterwegs ist. Kurz darauf klingelt ihr Handy. Tomás teilt ihr mit, dass er gerade von einem Arzttermin kommt [...]. Als sie am Abend von der Arbeit nach Hause kommt, geht sie sofort in ihr Zimmer und fährt den Computer hoch. Tomás wartet schon auf sie. Er liegt im Bett, mit dem Computer in Reichweite und hat die Webcam so eingestellt, dass sie ihn gut sehen kann. Auch sie schaltet ihre Webcam ein. Sie tauschen Neuigkeiten aus und sprechen kurz über die aktuellen Themen im Forum. [...] Tomás unterbricht Iréns Gedanken, als er sie zu einer Partie Schach herausfordert. Mit der neuesten Version des Messengers lassen sich verschiedene Spiele benutzen, unter anderen gibt es auch ein Schachspiel. Am Ende gewinnt Irén und schaut triumphierend in die Kamera. Tomás lacht und zwinkert ihr zu. Morgen – so kündigt er an – wird sie keine Chance gegen ihn haben. Sie wünschen sich eine gute Nacht, Irén loggt sich aus, fährt den Computer herunter und schaltet das Licht aus. (Greschke 2007, Abs. 1)

An Greschkes dichter Beschreibung sind zwei Dinge von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit: die Plurilokalität und die Verwendung unterschiedlicher Kommunikationstechnologien für die Herstellung geteilter (Alltags-)Welten. Etwas, das der Verwendung einer Videotechnologie wie der hier beschriebenen noch eine weitere Qualität verleiht, ist der im Vergleich zu Telefonaten oder Briefen erfolgende Austausch non-verbaler Signale, die für Kommunikation wichtig sind und die hier beschrieben werden. Schließlich ist das Diskussionsforum Cibervalle, so Greschke (2012, 22), auch für die Migrationsentscheidungen selbst bedeutsam, da über das Netzwerk Informationen ausgetauscht und Umzüge organisiert werden können. Aufbauend auf diesen empirischen und konzeptionellen Beschreibungen lassen sich drei miteinander verschränkte Phänomene identifizieren: transnationale Migration, transnationale Gemeinschaften, transnationale soziale Räume. Während die Gemeinschaften ein soziales Phänomen sind, weisen die transnationalen sozialen Räume und die transnationale Migration mit der Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen ein explizit ein spezifisches räumliches Merkmal auf. Der transnationale soziale Raum besteht dabei nicht nur aus sozialen Netzwerken; vielmehr bestehen zwischen den Knoten des Netzwerkes zudem ökonomische Verbindungen, etwa durch Kredite für die Emigration und Rücküberweisungen in das Herkunftsland.14 Diese finanziellen Verflechtungen können innerfamiliär sein, aber auch inter-lokal und international, und ebenso sind neben Individuen auch Einrichtungen wie Wechselbüros an einem solchen ökonomischen Netzwerk beteiligt. Transmigration ist demnach eine Form der Migration, die Staatsgrenzen überschreitet und deren Akteure Verbindungen zwischen mehreren Orten aufweisen; und damit plurilokal ist. Zudem ist die Transmigration eine auf Dauer angelegte Form der Migration von einem Ort zu einem anderen, von einem Land in ein anderes Zielland. Über diese zeitlichen und räumlichen Bestimmungen hinausge14

Zur Bedeutung von Geldtransfers internationaler MigrantInnen für die Herkunftsländer s. World Bank Group (2016). Ihr Bericht zeigt unter anderem die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Unterstützung im Vergleich zur sogenannten Entwicklungshilfe sowie die räumlichen Muster in den Sender- und Empfängerstaaten.

3.3 Migration und Transnationalisierung

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hend ist das besondere Merkmal, das Transmigration von internationaler Migration analytisch unterscheidet, die Aufrechterhaltung von Bindungen über räumliche Distanzen und territoriale Grenzen hinweg. Die Grenzen, die hier mithilfe von Technologien, aber auch bei persönlichen Besuchen, überwunden werden, sind sowohl physischer als auch politischer und sozialer Art. Welche Merkmale Grenzen aufweisen und in welcher Weise sie in der vorliegenden Arbeit von Bedeutung sind, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

4 Verflechtungen und Grenzen

Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, liegt im Fall der räumlichen Mobilität ein spezifisches Wechselspiel von Grenzen und Verflechtungen vor. Grenzen sind hierbei nicht nur als territoriale Grenzen wichtig, die überschritten werden. Vielmehr handelt es sich auch um soziale und zeitliche Grenzen, die bedeutsam sind, indem sie von den Menschen zwischen sozialen Gruppen zwecks Distinktion, aber auch zur Schaffung von Zugehörigkeit gezogen werden oder in ihren Lebensverläufen bestimmte Abschnitte markieren, die biographisch voneinander unterscheidbar sind. Grenzen spielen damit sozial, zeitlich und räumlich eine Rolle, und in allen drei Bereichen können Grenzen überschritten und gewissermaßen aufgelöst (Entgrenzungen) und neue Verflechtungen (Netzwerke) eingegangen werden: Auf der Ebene des Sozialen werden Grenzen durch Klassen-, ethnische, Religions- oder Gender-Zugehörigkeiten konstituiert, überschritten, in Frage gestellt oder neu konstituiert. Zeitliche Grenzen werden im Lebensverlauf überschritten, etwa wenn gesellschaftlich bestimmte Altersgrenzen distinkte Lebensabschnitte ausweisen, welche mit spezifischen Handlungserwartungen einhergehen – z.B. die Kindheit15 oder das Erwachsenwerden – und diese im Verlauf der Biographie durchlaufen werden. Das bedeutet: Grenzziehungen zwischen Menschen ebenso wie zwischen Menschen und Territorien/Orten/Räumen sind damit immer als ein Doppel aus Unterscheidung und Verbindung, aus Abgrenzung und Verflechtung zu verstehen. Für MigrantInnen bedeutet dies, dass sie in besonderer Weise von diesem Doppel gekennzeichnet sind: Wer räumlich mobil ist, überschreitet immer territoriale und administrative Grenzen. Im Zuge dieser Grenzüberschreitung werden von dieser Person aber auch immer neue Formen der Grenzen und Verflechtungen hergestellt, etwa wenn eine Abgrenzung zu der Aufnahmegesellschaft vor Ort stattfindet und die neue Wohnung sich im Stadtviertel der internationalen expatriates befindet (soziale und räumliche Grenzen) und gleichzeitig Kontakt zu den ArbeitskollegInnen am alten Arbeitsplatz sowie zu Freunden an vorherigen Migrationsstationen aufrechterhalten wird (soziale und räumliche Verflechtungen). Damit zeigt 15

Dass derartige Zuweisungen gesellschaftlich konstruiert sind und daher einem entsprechenden Wandel unterliegen, wird am Konzept der Kindheit sehr deutlich, wie Ariès (1975) beispielhaft zeigt.

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4 Verflechtungen und Grenzen

sich auch schon die Bedeutung von Orten, die sich, so argumentiere ich, nicht auflöst, sondern im Kontext globaler Verflechtungen vielmehr spezifische Merkmale aufweist. Die insbesondere in der frühen Phase der Globalisierungsforschung angenommene Ortlosigkeit globalisierter Gesellschaften sowie eine damit verbundene Bindungslosigkeit bestätigt sich daher nicht, da derartige grenzüberschreitende Verflechtungen andere Formen der Bindungen und Stabilität entstehen lassen, die eine Einbettung in lokale oder transnationale Zusammenhänge zur Folge haben (Giddens 1984). Diese beobachtete Verschränkung von Grenzen und Verflechtungen macht ein Denken dieser Beziehungen in Relationen sinnvoll: Die räumliche Mobilität der MigrantInnen ist ein Netzwerk aktualisierter und potentiell zu aktualisierender Beziehungen zwischen Menschen, Orten, politisch-administrativ bestimmten Staatsgrenzen, rechtlichen Ein- und Ausreisebestimmungen, praktisch vollzogenen Grenzüberschreitungen und damit verbundenen Institutionen (Zoll, Bundespolizei). Teil des Netzwerkes sind außerdem Technologien wie Fingerabdruckscanner, Datenbanken oder Dokumente wie Ausweise, Pässe und Visa.16 Auf der räumlichen Ebene können Grenzen durch derartige Netzwerke stabilisiert und verstärkt, aber auch aufgehoben werden. Zudem zeigen sich Verschränkungen der sozialen und räumlichen Dimensionen von Verflechtungen und Grenzziehungen an Migrationsphänomenen wie der Diaspora: Einerseits sind räumliche Grenzen zwischen dem Heimatland und dem Aufenthaltsland Teil der Konstitution der Diaspora, ebenso wie die soziale Selbst-Exklusion und damit Grenzziehung innerhalb des Aufenthaltslandes, welche häufig Teil der Praktiken von Diaspora-communities ist und diese communities als vollzogene Gemeinschaften erst hervorbringt (z.B. Blunt 2005a). Hinzu kommen andererseits spezifische Formen der Verflechtung, etwa über transnationale soziale Beziehungen oder auch die sozialen Kontakte zu Mitgliedern der Diaspora-Gemeinschaft innerhalb der staatlichen Grenzen des Aufenthaltslandes. Ich werde im Folgenden detaillierter auf die Phänomene der Verflechtungen und Grenzziehungen im Fall der Migration eingehen, da beide Prozesse für die Untersuchung der internationalen Migration von HIMs bedeutsam sind. 4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg Etwas als verflochten zu verstehen ist in gewisser Hinsicht die positive Lesart von Entgrenzung, wie sie etwa von Beck (1986, auch 1998b, 1998a; ebenso Beck und Lau 2004) als Kennzeichen der modernen oder Risikogesellschaft beschrieben wurde. Während das Konzept der Entgrenzung den Fokus auf soziale Prozesse wie 16

Zu der Bedeutung der an den EU-Grenzen eingesetzten Technologien und Datenbanken vgl. z.B. Kuster und Tsianos (2012); zu der Bedeutung politischer Grenzkontrollsysteme als Teil der US-amerikanischen Terrorbekämpfungsstrategien Amoore (2006).

4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg

67

das Entstehen einer Weltgesellschaft legt, welche durch die Überwindung räumlicher und territorialer Grenzen, etwa durch globalisierte Warenströme und Mobilität, entsteht, betrachtet das Konzept der Verflechtung diese Phänomene vor dem Hintergrund der sie möglich machenden grenzüberschreitenden Verbindungen.17 Wie lassen sich nun die sozialen und räumlichen Verbindungen, die zu beobachten sind, beschreiben? In besonderer Weise leistet dies das Konzept der transnationalen sozialen Räume, welches im Zuge der Etablierung der Transnationalisierungsforschung ausgearbeitet wurde. Wie im vergangenen Kapitel beschrieben, charakterisiert das Phänomen der Transmigration die zu beobachtende Migrationslandschaft seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Es steht paradigmatisch für die sozialen und räumlichen Verflechtungen, die für alle Phänomene räumlicher Mobilität zu beobachten sind; an ihr lassen sich daher die Arten und Merkmale grenzüberschreitender Verflechtungen besonders gut beschreiben. Zur Erinnerung: Transmigration beschreibt eine Form der Migration, bei der nach dem Ortswechsel die Kontakte zu Menschen im Herkunftsland und/oder zu Menschen in anderen Ländern über die Zeit hinweg aufrechterhalten werden. Die daraus entstehenden plurilokalen Bindungen sind Resultat dieser Einbettung in unterschiedliche, an verschiedenen Orten lokalisierte Netzwerke. Ein Raum spannt sich über lokale, regionale, aber auch über Staatsgrenzen hinweg auf, indem Briefe oder Emails geschrieben werden und telefoniert wird, Waren verschickt, Geld transferiert und persönliche Besuche vorgenommen werden (z.B. Greschke 2012, 54; 160). Neben diesen transnationalen sozialen Räumen sind die je vor Ort lebenden Menschen aber auch in lokale Netzwerke eingebunden und damit lokal verflochten, wie das Beispiel der Diaspora zeigt. Konstitutiv für das Selbstverständnis als Gemeinschaft sind hier das Zugehörigkeitsgefühl zu einer imaginierten Gemeinschaft (Benedict Anderson 1991). Vor Ort findet eine Vernetzung mit Menschen mit demselben Bezugsrahmen statt; durch die geteilte Erinnerung und Imagination einer ‚Heimat woanders‘ innerhalb dieser Gemeinschaft, aber auch mit anderen Menschen, die an anderen Orten in der Diaspora leben, finden soziale und räumliche Verflechtungen statt, die nicht nur lokale, sondern auch nationalstaatliche Grenzen überschreiten.18 Dabei sind nicht nur nicht-transmigrantisch lebende, sondern alle Menschen in Verflechtungen eingebettet und Teil unterschiedlicher Netzwerke aus Orten, Menschen, Dingen, Technologien oder Informationen. Technologische Entwicklungen, insbesondere die Weiterentwicklungen von Informationstechnologien sowie ihre leichtere und billigere Verfügbarkeit, führen seit dem ausgehenden 20. 17

18

Allerdings sollten dabei nicht die damit einhergehenden neuen sozialen Grenzziehungen unsichtbar gemacht werden. So weist etwa Bauman (1998b, z.B. 326) darauf hin, dass Globalisie rung mit Lokalisierung zusammengeht und eine zunehmende Polarisierung, nicht zuletzt von Armen und Reichen, durch diesen doppelten Prozess entsteht, sie sich also sowohl sozial als auch räumlich manifestiert. Dies zeigt beispielsweise Tolia-Kelly (2001, 2010) für das Beispiel der zur Diaspora südasiatischer Menschen in Großbritannien.

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4 Verflechtungen und Grenzen

Jahrhundert zu einer zunehmenden technologischen und geographische Distanzen überschreitenden Vernetzung von Gesellschaften und einer damit verbundenen Verflechtung (Castells 1996). Elliott und Urry (2010) arbeiten in diesem Kontext den Einfluss von digitalen Technologien auf das Alltagsleben heraus, welcher sich beispielsweise in neuen Formen von technisierter Mobilität äußere. Sie kommen zu dem Schluss: Today’s culture of mobile lives […] is substantially created in and through the deployment of various miniaturized mobilities – mobile phones, laptop computers, wireless connections. (Elliott und Urry 2010, 27, Herv.i.O.)

Die Bedeutung digitaler Technologien ist demnach für die Herausbildung einer spezifischen, von Castells (1996) als Netzwerkgesellschaft bezeichneten Gemeinschaftsform konstitutiv. Dabei verändern sich nicht nur ökonomische, politische oder berufliche Beziehungen durch diese Komprimierung von Raum und Zeit (Harvey 1990). Vielmehr sind auch die Praktiken und alltagsweltlichen Erfahrungen einer jeden einzelnen Person durch das Einsickern der Technologien in den Alltag beeinflusst. Verflechtungen ganz unterschiedlicher Art sind so grenzüberschreitend möglich; der 24/7-Finanzhandel, bei dem die Börsen an Orten in unterschiedlichen Zeitzonen dauerhaft miteinander verbunden sind und Informationen austauschen (z.B. Sassen 1991), ist dafür nur ein Beispiel. Informationstechnologien stellen allerdings nur eine technische Möglichkeit dar, in grenzübergreifende Netzwerke eingebunden zu sein. Infrastrukturen und die einfachere, massenhafte sowie häufig kostengünstige Verfügbarkeit von Verkehrstechnologien machen Reisen innerhalb von Staaten und zwischen Staaten leicht(er) möglich. Aber auch politische, ökonomische und zivilgesellschaftliche Akteure sind über Grenzen hinweg miteinander verbunden; überstaatliche Organisationen (Greenpeace), Institutionen (Vereinte Nationen) und Netzwerke (World Economic Form) sind Beispiele dafür, wie sich diese Akteure global vernetzen und damit ihre Wirksamkeit zu stärken trachten. Grenzüberschreitende Verflechtungen sind demnach ein Merkmal zeitgenössischer Gesellschaften. Für die Analyse von Migrationsphänomenen sind nun insbesondere die sozialen und räumlichen Merkmale dieser Verflechtungen interessant sowie die damit verbundenen Implikationen für die Orte, zwischen denen die Verbindungen bestehen. Im Kontext der Globalisierungsforschung sind diese grenzüberschreitenden Verflechtungen häufig mit einer prognostizierten Ortlosigkeit von Gesellschaft sowie mit der angenommenen Zunahme von Zuständen wie Bindungslosigkeit und Flüchtigkeit zusammengebracht worden. Zugrunde lag diesen Gesellschaftsdiagnosen die Annahme, dass grenzüberschreitende Verflechtungen und der daraus entstehende „Raum des Stroms“ (Castells 1996, Übers. ALM) eine potentiell destabilisierende Wirkung sowohl auf das Individuum als auch auf die Gesellschaft habe (dazu auch Bauman 2000). Derartige Beschreibungen greifen allerdings zu kurz, da über diese Verflechtungen andere Formen der Bindungen und Stabilität entstehen, welche Gesellschaften in der globalisierten Welt mit prägen. So beschreiben Castells (1989, 2000) und Sassen (1991, 2007), wie Gesellschaften zu Beginn des

4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg

69

21. Jahrhunderts durch neue, mithilfe von (Informations-)Technologien mit hervorgebrachte Netzwerke in sozialer, ökonomischer und räumlicher Weise verändert werden und in neue Verflechtungen eintreten (können), dabei aber in keiner Weise die Bedeutung von Orten verloren gehe (dazu auch Eade 1997). Auch für den Fall der grenzüberschreitenden Migration zeigt sich, dass auch diejenigen, die wiederholt und häufig die Wohn- und Arbeitsorte wechseln und transnational verflochten sind, je spezifische Ver-Ortungen vornehmen. So zeigen die Ergebnisse der Studie von Bygnes und Erdal (2017) zu polnischen und spanischen MigrantInnen, die sich in Norwegen aufhalten, dass diesen Personen Ortsbindungen und Stabilität außerordentlich wichtig sind. Diese Ergebnisse sind im Kontext der Debatte um eine flüchtige Migration (liquid migration) – formuliert in Anlehnung an Baumans (2000, 2005) Konzepte der flüchtigen Moderne (liquid modernity) und der in ihr zu beobachtenden flüchtigen Leben (liquid lives) – bemerkenswert. Flüchtige Migration beschreibt, so Engbersen, Snel und de Bloom (2010), die spezifische Form von (Arbeits-)Migration, die innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten durch die Regelung zur ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit möglich wurde. Diese rechtlich kaum regulierte räumliche Mobilität führe, so die Autoren, zu Individualisierung, zeitlicher Begrenztheit von Beziehungen und Bindungen, Prekarisierung und Instabilität und damit zu einer spezifischen Form von Flüchtigkeit, welche für diese Migrationsform charakteristisch sei. Die genannte Studie von Bygnes und Erdal, aber auch andere Arbeiten, etwa von Nowicka (2007), Friberg (2012) Marcu (2014) oder Plöger und Kubiak (2019), zeigen nun, dass trotz dieser Mobilität der ArbeitnehmerInnen ihre räumlichen Verflechtungen auch mit Bindungen an Orte und an Menschen vor Ort einhergehen und man von einer sozialen und räumlichen Fixiertheit innerhalb eines verflochtenen „flüchtigen Lebens“ sprechen kann. Auf diese potentielle Fixierung und damit einhergehende Ortsbindung komme ich im dritten Teil dieses Buches ausführlich zu sprechen. Die Verflechtungen, die sich für die von mir interviewten HIMs beobachten lassen, äußern sich insbesondere in der Konstruktion und Ausgestaltung transnationaler sozialer Räume. Für die Herstellung solcher Räume sind Kommunikationstechnologien und damit verbundene Praktiken der Kommunikation zentral, aber auch der persönliche Besuch an Orten, an denen man gelebt hat und an denen für einen wichtige Personen leben, gehört dazu. Die HIMs konstituieren transnationale soziale Räume insbesondere darüber, dass sie die Kontakte zu Menschen, die an vorherigen Stationen der Migration entstanden, weiterhin pflegen. Diese Kontaktpflege geschieht unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Medien – Telefon, Email, Videotelefonie, soziale Medien –, aber auch mithilfe von persönlichen Treffen. Dabei sind die Interviewees mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, die durch die großen räumlichen Distanzen verstärkt werden, wie Holger beschreibt: Das vorletzte Wochenende war ich in Montenegro und eigentlich wollten meine Freunde, meine kosovarischen Kollegen mich besuchen kommen, das ist ungefähr 6 Stunden entfernt vom Kosovo, aber aufgrund von sehr sintflutartigen Regenfällen haben sie es auch nicht ge -

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4 Verflechtungen und Grenzen schafft, aber wir stehen in Kontakt und im Sommer, wenn ich hinfahre, werde ich auf jeden Fall alle sehen. (Holger, Pos. 18)

Auch das berufliche Setting trägt dazu bei, dass transnationale soziale Räume, in diesem Fall der Wissenschaftsgemeinschaft, entstehen und, beispielsweise über Konferenzen, gepflegt werden: Obviously in the science context when you are off to confererences, to symposium, you have people from all over the world [...] we are still meeting years after years. (Luis, Pos. 110)

Auch wenn Informationstechnologien es erleichtern, den Kontakt über Distanzen zu halten, so werden die transnationalen sozialen Räume gerade auch über persönliche Kontakte aufrechterhalten (z.B. Greschke 2012, 54). Dabei spielen die Orte, an denen man sich getroffen hat und weiterhin trifft, eine Rolle und sind Teil der Raumkonstitutionen vor Ort. Im Leben der internationalen MigrantInnen überlagern sich daher in vielen Fällen die transnationalen und die lokalen sozialen Räume und verstärken sich in ihrer Wirksamkeit. Dies wird auch daran sichtbar, dass Rieke beispielsweise ihr transnationale Netzwerk aktiviert, um vom Ausland aus in der Schweiz eine Anstellung zu suchen: (In der) Schweiz habe ich ja immer noch ein Netzwerk und kenne noch Leute und, siehe da, Care-Management ist ein super Job, sehr gut bezahlt sogar. Und dann habe ich gesagt, gut, ich probiere das mal, bewerbe mich mal bei so ein, zwei Sachen. (Rieke, Pos. 4)

Auch für Sven war der Grund, an den aktuellen Wohn- und Arbeitsort zu ziehen, die Tatsache, dass er seinen Kooperationspartner vorab an einem anderen Ort kennengelernt hatte: But the real reason why I came here was because the guy I had contacted that I wanted to work with ended up creating a position for me to do a research fellowship here and that’s why I came over here actually. (Sven, Pos. 100–102)

Wie stark derartige Verflechtungen mit Grenzziehungen einhergehen und von ihnen nicht zu trennen sind, zeigen die beruflichen Netzwerke der HIMs und die Netzwerke der international communities. Soziale Netzwerke vor Ort werden etwa durch die Integration in die lokale international community gepflegt; diese international community wird von den Interviewees als bedeutsam beschrieben und wird von ihnen als Verortung des globalen Netzwerks international Migrierender verstanden. Sie sehen in den expats und der lokalen international community ihren zentralen Bezugspunkt – unabhängig davon, an welchem Ort sie gerade leben. Für John ist dabei zentral, dass man sich auf diese Personen verlassen könne: „to me it is the fact you need to rely on people“. (John, Pos. 202–205) Die lokale international oder expat community ist damit einer der Knoten im global aufgespannten Netzwerk von international mobilen Personen, und über die Teilhabe an ihr wird ein transnationaler sozialer Raum dieser internationalen Gemeinschaft immer wieder aufs Neue konstitutiert und damit aufrechterhalten. Die Nähe zu der expat community wird nicht zuletzt deswegen geschätzt, weil sie, so

4.1 Verflechtungen über Grenzen hinweg

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das Selbstverständnis von John, den eigenen Lebensstil teilen: „They’re all expats, again, everyone is your way of thinking.“ (John, Pos. 271) Bezüglich der international community und den expats besteht allerdings eine durchaus ambivalente Haltung unter den Interviewees. Zwar sind einige wie John sehr stark affirmativ und fühlen sich dieser Gemeinschaft zugehörig, da sie dieselbe Lebenseinstellung und -erfahrung hätten: „I do have people who have experienced what I am going through.“ (John, Pos. 193) Interessanterweise werden die lang vor Ort lebenden expats dabei von ihm eher als locals wahrgenommen denn als Außenstehende: „If they have been there for 20 years you know they are locals.“ (John, Pos. 201). Diese Menschen sind schließlich wichtig für das Zuhausegefühl, das sich am neuen Ort einstellen soll: „It’s like I said, that’s where you feel at home“ (Sven, Pos. 267). Andere Interviewees verwenden dagegen Formulierungen wie „gefangen in der Blase“ oder „in die internationale Gemeinschaft hineingezogen werden“, welche keine intendierte Zuwendung zu dieser Gemeinschaft beschreibt, sondern vielmehr eine Form der zwangsläufigen Zugehörigkeit aufgrund des spezifischen Arbeitskontextes oder eine Eigendynamik, die dazu führt, dass sie Teil dieser global vernetzten Gemeinschaft wurden. Dies beschreibt Paola: It’s not that you choose [to be part of the international community], it’s not that it’s an advantage, I mean I tended to make my friends mostly at work or at the university, so that ’s where you meet people, […] that just happens because you know these people, so then you know quite a few [international] people [and] you don’t go around trying to meet other people. (Paola, Pos. 347–353)

Gerade in einem internationalen Arbeitsumfeld wie dem der internationalen Forschungseinrichtung, in der Paola arbeitet, sei dies ein fast zwangsläufiger Prozess: I was working here, so then you meet people here and then you don’t go out and look for other people. So it just happens like that, but I think it’s also easy because you have quite few things in common, you both moved, you don’t have the family, you maybe don’t talk so well the local language. […] Moving around, studying in a place, then moving to another place, so you got things in common, you have an interest in common, because you study physics maybe both, so that’s also something that helps you know, so it comes more natural, I guess. (Paola, Pos. 355–267)

Der Ausdruck „that just happens“ aus dem ersten Zitat beschreibt einen spezifischen Prozess: Da die Interviewees nicht nur selber international mobil sind, sondern auch in Arbeitszusammenhängen arbeiten, in denen viele andere international mobile Personen arbeiten, werden Sozialkontakte mit diesen Arbeitskollegen geschlossen. Dass im Erwachsenenalter viele Sozialkontakte zu ArbeitskollegInnen bestehen, zeigen Studien aus der Arbeitsforschung und (Organisations-)Psychologie (z.B. Holz, Zapf und Dormann 2004; Drössler et al. 2016); dies ist also nicht charakteristisch für internationale MigrantInnen. Ein vergleichbarer sozialer Prozess wie in der restlichen Gesellschaft führt bei ihnen aufgrund ihres spezifisch ausgeformten Arbeitsumfeldes allerdings dazu, dass sich ihre Internationalität vor Ort quasi potenziert: Als international migrierende ArbeitnehmerInnen lernen sie

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4 Verflechtungen und Grenzen

andere internationale ArbeitnehmerInnen kennen und bilden ein Netzwerk aus und mit internationalen Menschen. Schließlich gibt es aber auch diejenigen, die sich explizit vom Leben der anderen internationalen MigrantInnen abgrenzen und gerade nicht eine von diesen expats sein wollen: „[I want] not just be one of these expats which I think is really quite unpleasant“ (Sarah, Pos. 236). Sie versuchen damit, sich den institutionalisierten globalen Verflechtungen, wie sie eine solche expat community darstellt, zu entziehen und stattdessen eigene Netzwerke und transnationale Einbindungen aufzubauen und zu pflegen. Diejenigen, die in anderen Kulturkreisen als den europäischen und nordamerikanischen gelebt haben, sind mit international communities als abgegrenzten sozialen Einheiten noch einmal auf ganz besondere Weise konfrontiert, da hier die soziale Exklusion auch mit einem besonderen ökonomischen Status und einer über Hautfarbe und Lebensstil eindeutig identifizierbaren Differenz einhergeht. So wählte Rieke aber für ihre Zeit in Afrika explizit das Leben außerhalb einer internationalen Gemeinschaft: [Ich] habe da bewusst nicht in einem Expat- oder in so einem Privat-Krankenhaus gearbeitet, sondern wollte wirklich in einem lokalen Krankenhaus arbeiten, […] die Idee war ja, man lebt wirklich integriert und nicht in so einem Compound. (Rieke, Pos. 4)

Die Erfahrung, vor Ort möglichst ähnlich wie die lokale Bevölkerung zu leben, stellt sie allerdings vor so große Herausforderungen, dass sie nach sieben Monaten zwei Optionen für sich sieht: das Land verlassen oder sich doch in die international community eingliedern und ihre Wohnviertel ziehen. Sie begründet dies folgendermaßen: Die Moralvorstellungen, die Rechtsvorstellungen, und das hat sich so gehäuft, wir waren anderthalb Jahre da, irgendwann hat man so gemerkt, neee, ich kann hier nicht leben. Oder ich muss wirklich in ein Compound gehen oder in einer Botschaft arbeiten oder im AnimationsRobinson Club oder im Kempinski. (Rieke, Pos. 14)

Die Entscheidung zu gehen geht damit einher zu akzeptieren, dass sie sich vor Ort nicht integrieren und damit die Grenze zu den Einheimischen überwinden kann. Diese Entscheidung fällt ihr letztlich nicht schwer, denn sie ist in das Land gegangen, um die Menschen und das Leben vor Ort kennenzulernen – und sie hat es kennengelernt, wenn auch anders als erwartet. Wichtig war ihr, mit Einheimischen zusammenzuarbeiten und in ihrer Nähe zu wohnen; als Konsequenz lehnte sie während ihres gesamten Aufenthaltes ein Leben in der international community ab (Rieke, Pos. 18). Internationale Mobilität ist in Riekes Leben nicht nur eine Teilhabe an global aufgespannten Netzwerken, sondern vielmehr die Möglichkeit, je vor Ort in die Gesellschaft „einzutauchen“ und die transnationalen Verflechtungen um lokale Verbindungen zu ergänzen. Die damit verbundenen und in den vergangenen Beschreibungen schon angedeuteten Grenzziehungen gehen mit solchen Verflechtungen immer einher (z.B. Sassen 1999). Diesen Grenzziehungen werde ich mich

4.2Verflechtungen Grenzziehungen durch Migration 4.1 über Grenzen hinweg

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im Folgenden ausführlich widmen und dabei insbesondere das Beispiel der Migration verwenden, um die sozialräumlichen Wirkungen dieser Grenzproduktionen herauszuarbeiten. 4.2 Grenzziehungen durch Migration Diese Verflechtungen, die im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen von räumlicher Mobilität und insbesondere internationaler Migration zu beobachten sind, bedeuten nicht, dass wir uns in einer grenzenlosen Welt bewegen. Vielmehr finden gerade durch die Bewegungen im Raum zahlreiche Grenzziehungen statt, die zum Teil etablierte Grenzziehungen, etwa territorialer Art, stabilisieren oder noch verstärken, zum Teil aber auch neue Formen der sozialen, politischen und territorialen Grenzen einführen. So existieren auch heute spezifische Fixierungen an Orten und innerhalb Territorien, welche etwa durch politische und rechtliche Aufenthaltsbestimmungen mit verursacht werden, wie Jeanes et al. (2015) herausarbeiten. Sie weisen in ihrer Arbeit, die dem Bereich der Arbeits- und Organisationsforschung zugeordnet werden kann, darauf hin, dass der Diskurs in der Arbeitswelt, nach dem ArbeitnehmerInnen in der westlichen Welt uneingeschränkt mobil sein könnten, nicht in Gänze mit den empirisch beobachtbaren und subjektiv erfahrbaren Wirklichkeiten übereinstimmt (Jeanes et al. 2015, 705; auch Bærenholdt 2013); nicht nur begrenzten nationalstaatliche Grenzen und Staatsbürgerschaften die Möglichkeiten der Mobilität, sondern dasselbe lasse sich auch für staatliche und suprastaatliche Programme sagen. So lasse es das EU-Recht zur ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit zu, dass sich Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaates innerhalb der EU frei bewegen und arbeiten könnten. Weder gelte dies aber im selben Maß für diese StaatsbürgerInnen, wenn sie sich außerhalb der EU bewegten, noch gelte dieses Recht für Staatsangehörige anderer Staaten innerhalb der EU. Dafür führen die AutorInnen das Konzept der „sticky connections“ ein: „sticky connections“ (Knox et al. 2008, 885) still exist within the globalised network society as governmental programmes tend to operate through both fixation and mobilisation and, therewith, practices of territorialisation and practices of deterritorialisation, going beyond extant boundaries (e.g., of the nation-state, particular institutions or professions) […]. (Jeanes et al. 2015, 706, Herv.i.O.)

Dieses Beispiel zeigt, dass räumliche Mobilität als ganze, aber insbesondere die Staatsgrenzen überschreitende Mobilität immer auch die Unterscheidungen zwischen Innen und Außen deutlich machen. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen können territoriale Grenzen unterschiedlich einfach überschreiten; Visumsbestimmungen festigen territoriale Grenzen für bestimmte Gruppen auf eine spezifische Weise und öffnen sie für andere auf eine andere, ebenfalls spezifische Art.

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4 Verflechtungen und Grenzen

Grenzüberschreitungen dieser Art und ihre Einbettung in spezifische Netzwerke aus rechtlichen Bestimmungen, Ausweisdokumenten, Arbeitserlaubnis oder Fingerabdruckscannern sind sehr gut an Flughäfen beobachtbar. Flughäfen und vergleichbare Orte des Personen- und Gütertransports durch Instanzen der Exekutive sind Lokalisierungen von Grenzregimen und den damit verbundenen Grenzpolitiken. Dabei werden nicht nur soziale Hierarchien und (die Durchsetzung von) Politiken und Bestimmungen sichtbar, sondern auch die „Klebrigkeit“ (Costas 2013, Übers. ALM) der als fluide konzipierten transnationalen Räume. Eine solche „Klebrigkeit“ wird etwa in der Studie von Knox et al. (2008) sichtbar, wenn die AutorInnen einen internationalen Flughafen, ein „nervöses System“ (Knox et al. 2008, 875, Übers. ALM), als eine spezifische Form des Ordnung-Machens beschreiben und dabei zeigen, dass die vermeintliche Flüssigkeit räumlicher und grenzüberschreitender Prozesse Brüche aufweisen und immer Gefahr laufen kann, gestört und unterbrochen zu werden (Knox et al. 2008, z.B. 878; 884). Das Beispiel des Flughafens, welcher durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher menschlicher und nicht-menschlicher Akteure wie Informations- und Telekommunikationstechnologien, Passagiere, PilotInnen, Gepäck, Sicherheitsunternehmen, Vorschriften, Flugzeuge, Wetter hervorgebracht wird, ist ein Ort, an dem das Lokale bedeutsam und seine „Klebrigkeit“ erfahrbar wird: Menschen werden an der Weiterreise gehindert, weil sie die Sicherheitskontrolle nicht passieren dürfen; Gepäckstücke müssen, da sie nicht transportiert werden dürfen, entsorgt werden und verbleiben damit vor Ort; Flugzeuge starten verspätet, da ein Gewitter den Start unmöglich macht. Anhand solcher Nicht-Orte (Auge 1995) zeigt Costas (2013, 1481) die Gleichzeitigkeit von Mobilität und Fixierung und damit die Ambiguität dieser Orte: Being on the move and thus staying in non-places turns into an ambiguous experience; stickiness refers here to how there is neither the sense of stability nor that of freely floating. […] Non-places are experienced as both interchangeable and monotonous, producing a sense of bing stuck, as well as transient and ephemeral, thus unsettling.

Burrell (2008, 369, Herv.i.O., Übers. ALM) arbeitet in ihrer Studie zu den Materialitäten von Grenzen heraus, dass MigrantInnen Dinge – etwa Gepäck, Ausweise, Autos – benutzen, um „abstrakte Durchgangsräume in fassbare und identifizierbare Lokalitäten“ zu verwandeln und den „Zeit-Raum („time-space“), der ihnen an Grenzen und auf Reisen zur Verfügung steht, [auszufüllen].“ Grenzen werden danach nicht nur als Wechsel von einem Staat in einen anderen und damit von einem Status (BürgerIn, EmigrantIn) in einen anderen (Nicht-BürgerIn, ImmigrantIn) erfahren, sondern auch mit Sinn gefüllt und als sozialräumlich wirksame Entitäten produziert. Neben diesen allgemeinen räumlichen Grenzüberschreitungen, deren soziale Dimension zwar vorhanden ist, bei ihnen aber nicht im Vordergrund steht, gibt es spezifische Grenzen und damit verbundene Grenzziehungsprozesse, die im Fall von räumlicher Mobilität und insbesondere Migration wirksam werden. Hierzu gehören die Herstellung und Manifestierung vertikaler Differenzierungen, etwa

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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zwischen arm und reich, ebenso wie horizontale soziale Differenzierungen, etwa zwischen sozialen Milieus oder den Mobilen und den Immobilen. So zeigen Elliott und Urry (z.B. 2010, Kap. 3) anhand von Praktiken des Netzwerkens, wie soziale (Aus-)Schließungsprozesse durch die Teilhabe oder NichtTeilhabe an derartigen beruflichen oder privaten Netzwerken vor sich gehen und mit Mobilität zusammenfallen. Um an einer Familienfeier teilzunehmen, müssen bestimmte Familienangehörige räumlich mobil sein; können sie dies leisten, können sie ihr Familiennetzwerk deutlich besser aktualisieren und stabilisieren als diejenigen Familienangehörigen, die nicht mobil sind, sein können oder wollen. Ähnlich verhält es sich mit der Teilnahme an geschäftlichen Besprechungen, z.B. an Unternehmensstandorten im Ausland, oder an wissenschaftlichen Konferenzen. Als Konsequenz ihrer Analyse dieser Praktiken folgern Elliott und Urry (2010, 57), dass die Fähigkeit des Netzwerkens als Kompetenz und Ressource – angelehnt an Bourdieu (1982) als Kapitalform konzipiert – gefasst werden kann (Elliott und Urry 2010, 10–11; dazu auch Urry 2012, 27). Ähnlich wie für die Ausstattung mit anderen Kapitalsorten gilt dann auch hier: Nur wer über das entsprechende Kapital verfügt, kann an bestimmten gesellschaftlichen Bereichen teilhaben und ist somit inkludiert; andere sind exkludiert, womit eine spezifische soziale Grenze gezogen wird. Interessant ist die räumliche Dimension dieses, sowohl privat als auch beruflichen, Netzwerkens. Auch wenn die Autoren hervorheben, dass Informationstechnologien das Netzwerken als Praktik maßgeblich mit konstituieren, so bleibt es doch eine Praktik, für die ortsgebundene persönliche Treffen konstitutiv sind: […] and yet a network only functions as such if it is „activated“ through the intermittent copresence of some or all of its members. What we can call „network activation“ occurs if there are periodic events, each week or month or year, when it is more or less obligatory for meetings to occur. […] Although speaking on the phone, text messaging and email are crucial, everyday practices of „staying in touch“ among distant friends and kin, they only afford socia lities of a „disembodied“ and „dematerialized“ kind. […] Travel is thus about being co-present with significant faces, being their guests and receiving their hospitality and perhaps enjoying their knowledge of local culture. (Elliott und Urry 2010, 53, Herv.i.O.)

Auch hier zeigt sich also, auf der sozialen Ebene, die „Klebrigkeit“ der lokal gebundenen, einzigartigen Situation, welche auch in ortsübergreifend verflochtenen Zeiten nicht an Bedeutung verliert.19 Schließlich sind es vertikale soziale Beziehungen, die sich im Zuge von Migration ausformen und mit sozialen Grenzziehungen zwischen oben und unten einhergehen. Bauman (1998b) sieht in dieser aktuell beobachtbaren Form der sozialen Struktur zwar auch Spuren vergangener Konfliktlinien zwischen arm und reich resp. oben und unten, konstatiert aber nichtsdestotrotz eine neue Qualität dieser Differenzierung: 19

Zu einer soziologischen Konzeption der durch Informationstechnologien angereicherten faceto-face-Situation und der Entstehung sogenannter synthetischer Situationen s. z.B. Knorr Cetina (2009) sowie Einspänner-Pflock und Reichmann (2014).

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4 Verflechtungen und Grenzen Seit urdenklichen Zeiten bedeutete der Konflikt zwischen Arm und Reich, lebenslang in gegenseitiger Abhängigkeit gefangen zu sein. Das ist immer weniger der Fall. […] Die globalisierenden und lokalisierenden Tendenzen verstärken sich gegenseitig und sind untrennbar miteinander verbunden, aber ihre jeweiligen Folgen laufen zunehmend auseinander. […] Die an beiden Polen der entstehenden Hierarchie, an der Spitze und am Boden sich ablagernden Welten unterscheiden sich drastisch voneinander und sind zunehmend voneinander abgeschirmt […]. Hat der Raum für die erste Welt, die Welt der Vermögenden und Besitzenden, seine ein schränkende Qualität verloren und ist auf seinen „realen“ wie „virtuellen“ Wegen leicht zu durchqueren, so verschließt sich für die zweite Welt – die Welt der Armen, der „strukturell Überflüssigen“ – der reale Raum immer rascher. (Bauman 1998b, 326, Herv.i.O.)

Bauman (1998b, 327) adressiert diese Entstehung verschärfter Formen der sozialen Ungleichheit und der Grenzen zwischen arm und reich im Kontext der sogenannten Glokalisierung, welche er als gleichzeitig zu beobachtendes Doppel von Globalisierung und Lokalisierung konzipiert und an der räumliche Mobilität einen großen Anteil hat, aber auch von ihr beeinflusst wird: Glokalisierung polarisiert Mobilität – die Möglichkeit, die Zeit zu nutzen, um die Beschränkungen des Raums zu annullieren. Diese Möglichkeit – oder Unmöglichkeit – trennt die Welt in die globalisierte und die lokalisierte.

Die von Bauman (1996b) an anderer Stelle für zwei unterschiedliche Formen von räumlicher Mobilität geprägten Bezeichnungen der „Touristen“ und „Vagabunden“ verweisen auf die sozialen und gesellschaftlichen Grenzziehungen, die mit diesen glokalen Verhältnissen einhergehen: Die Touristen bleiben oder brechen auf, wie ihnen gerade zumute ist. Sie verlassen einen Ort, wenn es anderswo noch neue, ungenutzte Möglichkeiten gibt. Die Vagabunden wissen hingegen, daß sie nicht lange bleiben werden, wie sehr sie es auch wünschen mögen, denn sie sind nirgends willkommen. Touristen brechen auf, weil sie die in ihrer Reichweite liegende Welt unwiderstehlich attraktiv finden – Vagabunden brechen auf, weil sie die in ihrer Reichweite liegende Welt unerträglich ungastlich finden. Touristen reisen, weil sie es wollen, Vagabunden, weil sie keine andere bewältigbare Wahl haben. (Bauman 1998b, 330, Herv.i.O.)

Bedeutsam sind hier die Verschränkungen von räumlichen und sozialen Prozessen der Grenzziehung, die Bauman beschreibt. Zum einen geht es um die fundamentalen sozialen Grenzen, die durch die Möglichkeiten der globalen räumlichen Mobilität produziert werden: Wer mobil sein kann und will, hat Teil an der globalen Welt; wer nicht mobil sein kann oder will, ist Teil der lokalen Welt und ausgeschlossen von den globalen Verflechtungen. Eine weitere soziale Grenzziehung findet durch die Ausstattung mit Ressourcen statt, welche mit räumlicher Mobilität zusammengeht: Wer die Ressourcen hat, ist aus eigenem Antrieb mobil und befindet sich auf Seiten der „Touristen“; wer Ressourcen benötigt, ist aus Gründen des ökonomischen oder sozialen Überlebens mobil und befindet sich damit auf Seiten der „Vagabunden“. Dass diese Wahlfreiheit der Bauman’schen „Touristen“ durchaus kritisch zu sehen ist und die hier beschriebene Freiwilligkeit der Mobilität auch im Kontext gesellschaftlicher Diskurse um Mobilität und Selbstverantwortlichkeit zu betrachten ist, wird in Kapitel 5.2 diskutiert. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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die „Touristen“ in gewisser Weise „Vagabunden“ sind – etwa wenn wiederholt migrierende Personen über Bindungslosigkeit und das Gefühl der Entfremdung an allen Orten, an denen sie sich befinden klagen: „After a while you fit in everywhere but you don’t really feel at home.“ (Sven, Pos. 118) Baumans Arbeiten sind zunächst Arbeiten zu den neuen Grenzziehungen, die mit einer zunehmend globalisierten Welt einhergehen. Die vertikalen sozialen Grenzen sind dabei nicht immer Ergebnis von sozialen Prozessen, die etwa mit der Auf- oder Abwertung des sozialen Status einhergehen. Sie können auch Folge spezifischer Politiken und rechtlicher Status und damit sehr formal in ihrer Natur sein. So zeigt eine aktuelle Studie zur Situation von ImmigrantInnen in den Niederlanden, dass diese über die vergangenen Jahrzehnte in sehr unterschiedlichem Ausmaß in der Lage waren, sich sozial abzusichern (Siegel und de Neubourg 2011). Seit den 1990er Jahren führten verschiedene Gesetzesänderungen dazu, dass gerade diese gesellschaftliche Gruppe von den formalen sozialen Sicherungssystemen der niederländischen Gesellschaft zunehmend ausgeschlossen wurden und sie spezifische Strategien der informellen Absicherung entwickeln mussten, um mit diesen Ausschlüssen umzugehen (Siegel und de Neubourg 2011, 13–16). Ähnlich verhält es sich bezüglich des Status der MigrantInnen. So sorgen rechtliche Vorgaben für die Klassifizierung in legale und illegale Migration; derartige soziale und rechtliche Grenzziehungen bestimmen damit nicht zuletzt den Aufenthaltsstatus dieser MigrantInnen. Dies wiederum hat Konsequenzen für ihre Integration in die Teilsysteme der Aufnahmegesellschaft und ihre Teilhabe an z.B. sozialen Unterstützungen, wie beispielsweise Worbs (2005) für Deutschland diskutiert. Für den lokalen städtischen Kontext ist das Beispiel der sanctuary cities interessant (z.B. Lippert und Rehaag 2013; Bauder 2015; kritisch Bagelman 2016). In Städten, die dieser an die Recht auf Stadt-Bewegung (Lefebvre 1970; Harvey 2000, 2012) angelehnten Programmatik folgen, wird versucht, irregulären MigrantInnen einen Status als reguläre BürgerInnen der Stadt zuzuweisen, mit dem sie an der Stadtgesellschaft teilhaben können und dann auch Anrecht auf (städtische) Unterstützungs- und Versorgungsleistungen haben und sich zumindest im lokalen Kontext außerhalb ihrer rechtlichen Illegalität bewegen. Zunehmend wird also diese Unterscheidung von illegalen und legalen MigrantInnen problematisiert, da sie zwar in juristischer Hinsicht richtig, aber weder für die Situation der MigrantInnen vor Ort noch für die Aufnahmegesellschaft konstruktiv sei. Da illegale Migration sich als Phänomen nicht durch Klassifikationen verändern lasse, gibt es neben der Klassifikation der Ist-Situation der Illegalität zunehmend den Versuch, mithilfe einer Unterscheidung zwischen irregulären und regulären MigrantInnen und politischen Formen der Regularisierung ersterer die MigrantInnen in die Aufnahmegesellschaft einzubinden. Dabei existieren unterschiedliche Regularisierungspolitiken, mit denen die Situation von illegalen MigrantInnen verändert und zukünftige Migration gesteuert werden soll. Diese Politiken haben unterschiedliche Merkmale und sind je nach Kontext auch unterschiedlich erfolgreich darin, Migrationsströme zu steuern und die Situation von

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4 Verflechtungen und Grenzen

vor Ort lebenden MigrantInnen zu verändern. Finotelli (2011) zeigt in ihrer vergleichenden Studie zu italienischen und spanischen Regularisierungen, dass derartige Politiken einen illegalen Zuzug von MigrantInnen durchaus reduzieren und damit stabilisierend auf die Bevölkerungszahl wirken können, wie es etwa in Italien zu beobachten ist (Finotelli 2011, 160). Für Spanien zeigt ihre Analyse allerdings auch, dass eine Regularisierungspolitik sich je nach Nationalität der MigrantInnen in ihrer Wirksamkeit unterscheiden kann (Finotelli 2011, 163); dies hänge unter anderem damit zusammen, dass innerhalb der Gruppe der MigrantInnen Binnendifferenzierungen vorlägen, etwa bezüglich der Migrationswege (z.B. über Familiennachzug, Schlepper, Arbeitsvisum o.ä.). So sei es peruanischen MigrantInnen aufgrund bilaterialer Abkommen zwischen Spanien und Peru möglich gewesen, legal nach Spanien einzureisen. Bolivianischen ImmigrantInnen sei dies wegen fehlender derartiger Abkommen verwehrt gewesen; sie wiederum hätten von der Regularisierungspolitik profitiert. Welche Menschen mithilfe einer Regularisierungspolitik integriert werden können und wo die Grenzen zwischen Illegalität/Legalität bzw. Irregularität/Regularität verlaufen, ist somit ein spezifischer Grenzziehungsprozess, der sozial wirksam ist und politische, juristische, in Teilen aber auch ökonomische20 Folgen hat. Aus einer intersektionalen Perspektive wird schließlich deutlich, dass Grenzziehungen im Feld der Migration auch anhand der Geschlechtergrenzen vorgenommen werden und darüber andere Grenzziehungen, etwa zwischen regulär/irregulär, in ihren Konsequenzen noch verstärkt werden. So hebt Herrera Vivar (2011, 155) hervor, dass weibliche irreguläre Migrantinnen sich häufig in noch prekäreren Situationen befinden als männliche irreguläre Migranten, da sie beispielsweise häufiger auch in körperlichen Abhängigkeitsverhältnissen stehen und dabei z.B. sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Da viele der von irregulären Migrantinnen ausgeübten Tätigkeiten im häuslichen Dienstleistungsbereich angesiedelt sind, sind sie insgesamt weniger sichtbar und damit im gesellschaftlichen Diskurs weniger präsent als irreguläre Migranten, die etwa auf Baustellen arbeiten und dort auch öffentlich sichtbarer sind. Mitrovic (2009, 230) betont zudem, dass Frauen in vielen Fällen schon im Herkunftsland auf HelferInnen angewiesen sind, um Pässe oder Ausreisedokumente oder Zugang zu Transportmitteln zu erhalten, und sich daher „schon vor Beginn der Migration in Abhängigkeitsverhältnisse [begeben] und entsprechend verschuldet im Zielland an[kommen].“ Grenzen zwischen den Geschlechtern werden durch zusätzliche soziale und rechtliche Grenzen in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit daher oft noch verstärkt.21 Für die HIMs spielen Grenzen in ganz unterschiedlicher Weise eine Rolle, und auch bei ihnen lässt sich beobachten, dass die Verschränkung beispielsweise von 20 21

Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist historisch immer wieder ein Grund gewesen, Immigration zu ermöglichen und Regularisierungen von illegalen MigrantInnen voranzutreiben. Für Spanien und Italien beschreibt dies Finotelli (2011, 91), für Deutschland z.B. Sala (2007). Dazu Krieger et al. (2006) zur Lebenslage irregulärer MigrantInnen in Dortmund und Vogel et al. (2009) zu Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere in Frankfurt/Main.

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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räumlichen und sozialen Grenzziehungen deren Wirkungen verstärken kann. Ich werde im Folgenden die verschiedenen Dimensionen von Grenzen, die im Leben der HIMs eine Rolle spielen, vorstellen: zeitliche, soziale und räumliche. Dabei finden Ein- und Ausschlüsse in spezifische (sozialer) Sphären statt, die mit Grenzziehungen einhergehen – nicht nur im Fall von MigrantInnen und nicht nur als außeralltägliche, zu problematisierende Formen des Zusammenlebens. Vielmehr sind die Aus- und Einschlüsse konstitutives Element gesellschaftlichen Lebens. Aus einer solchen Perspektive werden soziale Integration und Desintegration über Praktiken hergestellt, bringen Räume hervor und werden durch sie stabilisiert, trennen biographische Lebensphasen voneinander und strukturieren das Zusammenleben vor Ort. Grenzen werden selbst gezogen, z.B. indem Kontakt zu kulturell ähnlichen Menschen/VertreterInnen der eigenen Ethnie oder Nation hergestellt und eine Grenze zu den Einheimischen vor Ort gezogen wird; sie werden aber auch von anderen gezogen und betreffen das eigene Leben, etwa wenn vor Ort ein anderer Lohn für eine Migrantin gezahlt wird als für eine einheimische Angestellte. Der Fokus wird im Folgenden auf der Perspektive der HIMs liegen: Es geht darum, wen sie ausschließen und einschließen und wie sie Aus- und Einschlüsse von anderen wahrnehmen und sich zu ihnen verhalten. Die darüber vollzogenen Grenzziehungen sind sozialer und räumlicher Natur, aber auch zeitlicher. Diesen zeitlichen Grenzen widme ich mich als erstes. 4.2.1 Zeitliche Grenzen Das Leben der von mir befragten HIMs hat spezifische zeitliche Strukturierungen.22 Darüber hinaus zeichnet sich ihr Leben vor Ort durch spezifische Befristungen aus, die häufig von außen vorgegeben werden. So haben die Stationen, die sie in ihrem beruflichen Leben durchlaufen haben, zumeist von Beginn an zeitliche Grenzen, da Arbeitsverträge in der Regel festlegen, wie lange sich die Personen vor Ort aufhalten. Dies hat Konsequenzen nicht nur für ihre Wahrnehmung der Orte und ihre Einbindung vor Ort, sondern auch für ihre Haltung zum Leben und zu ihrer Mobilität. So beschreibt Holger, dass es für ihn und seine Frau „klar [war], dass man irgendwann wieder [aus dem Kosovo] ausreist.“ (Holger, Pos. 18) Das Wissen um die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes vor Ort wird dabei in die Haltung zum Leben vor Ort integriert und ermöglicht es den Menschen, mit einer Situation umzugehen, in der ihre Wohn- und Arbeitsortswahl auch durch äußere Zwänge, etwa die Arbeitsmarktsituation, beeinflusst ist. Luis beschreibt diese pragmatische Haltung zu den temporären Wohnorten wie folgt: I am thinking could we live there? Can we work here? And I was like, yes, I think for 2 years for sure, not for the rest of my life because I never think I’m gonna live the rest of my life in a place. (Luis, Pos. 318) 22

Dies zeige ich im späteren Verlauf ausführlich anhand ihrer verschiedenen Lebens- und Statuspassagen (Kapitel 5.2.2).

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4 Verflechtungen und Grenzen

Diese Interviewsequenz zeigt, wie stark die zeitlichen Grenzen eines Lebens vor Ort Luis geprägt haben: Er hat die Begrenzungen inkorporiert und zu einem Teil seines Lebensstils gemacht, da er „sich nicht vorstellen kann, den Rest seines Lebens an einem Ort zu verbringen“. In seinem Fall ist interessant, wie seine zeitlichen Grenzziehungen mit denen, die vor Ort von anderen vorgenommen werden, konfligieren. In Wien trifft er auf einen Wohnungsmarkt, in dem Mietverträge für Wohnungen nicht unbegrenzt, sondern zeitlich befristet ausgestellt werden: When I came to Austria and I rented my flat, there was a 5 year contract and I don’t care, I said „pff, I am gonna stay five years here?“, I was laughing about it. […] your psychology is […] your time [in] the city has deadlines, at least in your mind, so that allows you to cope with si tuations: „I could do this for 3 years, I could do this for 2 years, of course I am not gonna die.“ [...] I am doing this for my career, to make a step and then I’m gonna move. (Luis, Pos. 324– 328)

Das Wissen um die zeitlichen Grenzen der Aufenthalte wird von den Interviewees auf unterschiedliche Weise gerahmt. Für Phasen ihrer Biographie, in denen sie sich an Orten aufhalten, die ihnen weniger zusagen, ist es ein Opfer, das für die Karriere gebracht wird, wie François es ausdrückt: „We are just like: „ok, let’s just sacrifice these 2 years and we’ll move in on afterwards“.“ (François, Pos. 222) Der nächste Schritt wird dabei häufig schon antizipiert, auch von François: „We already see the next move.“ (François, Pos. 226) Diese Aussicht auf den baldigen nächsten Schritt kann eine Hilfe sein, bestimmte Orte und Lebensbedingungen auszuhalten. So lebten Rieke und ihr Mann mehrere Jahre in einer kleinen Wohnung im Genfer Rotlichtviertel, da sie davon ausgingen, bald wieder woanders hinzugehen: ALM: Und sind Sie dann in der Wohnung geblieben oder sind Sie dann [umgezogen?] Rieke: Fünf Jahre waren wir da. Nein, [wir sind nicht umgezogen,] weil wir dachten, wir gehen ja eh wieder, ja man überlegt sich, ob sich das lohnt, weil man im Kopf ja weiß, man geht ja eh wieder. (Rieke, Pos. 23–24)

Der nächste Schritt, der antizipiert wird, wird aber auch im Sinn eine Anforderung wahrgenommen, die von François inkorporiert ist und so formuliert wird: „You have to already anticipate the next move.“ (François, Pos. 230, Herv. ALM) Die Ähnlichkeiten in den sprachlichen Wendungen sind ein Hinweis darauf, wie sehr hier eine gesellschaftliche Anforderung internalisiert wurde. Dass die Dauer eines Aufenthaltes vor Ort auch beeinflusst, wie leicht oder schwer es ist, diesen Ort wieder zu verlassen, beschreibt John dezidiert: Two years is not long, well, the first six months just go like that, you have to learn, the next six months is wonderful because then you start to experience things, the next year you start to travel in your local area and then after that, if you don’t like it, it’s always the 3rd year, I have noticed that for most people the 3rd year is horrible because that’s when the honeymoon is over and then you’re becoming more local and [...] after 3 years you must go somewhere because you realize that at that point it becomes hard, […] you don’t like it or you do like it too much, so if you stay for 5 years, maybe it’s too hard to move at that point. (John, Pos. 153–159)

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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Aufenthalte an einem neuen Ort unterteilt er in die honeymoon-Phase, in der vieles neu, aufregend und erstrebenswert ist. Darauf folge eine Phase, in der die Umgebung des Ortes erkundet und weitergehendes Ortswissen angeeignet wird; daran schließt sich die dritte und, wie er es fasst, entscheidende Phase an, in der sich zeigt, ob ich vor Ort leben oder den Ort verlassen möchte. In diesem Jahr „wird man lokaler“, man befindet sich also an der Grenze zu den Einheimischen, was die Alltagsroutinen und Praktiken angeht, und ein Verlassen des Ortes nach diesem dritten Jahr bezeichnet er als „furchtbar“ – und das fünfte Jahr sei der Moment, nach dem man nicht mehr gehen wolle. HIMs stellen zeitliche Typologien wie diese im Verlauf ihrer Migrationsbiographie her; auch Luis spricht von selbst entwickelten Typologien und Kategorien, wenn es darum geht, die eigene internationale Migration zu rahmen: I realize there is like a key point and one thing is the duration of where you live because its different, so I think it’s really important because it’s not the same living […], it’s not the same: one, two months, then one year or 5 years, it’s a different order. (Luis, Pos. 406–408)

Dass derartige zeitliche und emotionale Grenzen des Aufenthaltes sich auch auf die Städte, an denen die HIMs leben, auswirken, wird an solchen Städten deutlich, in denen viele internationale Organisationen ansässig sind, deren Personal international mobil ist. Den Haag ist ein Beispiel für eine solche Stadt, ebenso Washington, DC, oder auch Genf: Also auch Genf ist noch mehr als der Kosovo so eine Durchgangsstation für alle, die dort arbeiten. Für die UNO-Leute als auch für die NGO-Leute als auch für die Leute, die dort von großen Firmen hin entsandt werden, ist einfach nur eine Durchgangsstation. (Holger, Pos. 30)

Das wirkt sich auch auf die Infrastrukturen vor Ort aus, etwa die Schulen, wie Rieke beschreibt: Es ist keine Integration, die Leute interessieren sich eigentlich nicht, die Schulen sind alle immer nur auf Durchlauf. Ich selber fand das eigentlich noch ganz angenehm, weil man dann sich auch nicht so verpflichtet fühlt eigentlich, da irgendwie was zu machen, oder irgendwie bei der Arbeit weiß man, die gehen eh alle nach drei, vier Jahren. (Rieke, Pos. 18)

In gewisser Hinsicht ist dies eine modifizierte Form des „Geisteslebens“, welche Simmel (1995[1903]) Anfang des 20. Jahrhunderts für Großstädte konstatiert: Die von Rieke durchaus geschätzte distanzierte Haltung, die Tatsache, dass „man sich auch nicht so verpflichtet fühlt, da irgendwas zu machen“, ist das Gegenteil eines sozial kontrollierten dörflichen Gemeinschaftslebens und der Inbegriff eines reservierten und blasierten großstädtischen Lebens. Die Beziehungen zueinander sind institutionalisiert und werden über ihren bürokratischen Rahmen in ihrer Funktionalität gesichert, verbindliche Beziehungen werden nur zu Personen aufgebaut, die es einem wert erscheinen. Häufig sind dies Personen an anderen Orten, die man an anderen Stationen seines Lebens kennengelernt hat und mit denen man nun Teil eines transnationalen sozialen Netzwerkes ist. So lassen sich auch Aufenthalte an bestimmten Orten, an denen man sich nicht wohlfühlt, aushalten, wenn sie für die berufliche Karriere wichtig sind, wie Holger beschreibt:

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4 Verflechtungen und Grenzen Wir waren wirklich froh, als wir nach fünf Jahren dort weggehen konnten. […] Klar war für mich, dass ich dann dort eben die Stelle aufgebe und dass es dann eben nicht auf eine Längerfristigkeit hinauslaufen würde, weil das hätte ich einfach nicht ausgehalten. Das war mir nach den vier Monaten bereits klar, dass es nicht der Fall sein würde, ich hab mich noch drei Jahre durchgeschleift, weil das war mein Lebenstraum bei einer UN-Organisation zu arbeiten, es war eine Chance reinzukommen und ich dachte, ich würde mich dem Schicksal gegenüber versündigen, wenn ich jetzt so schnell irgendwie die Flinte ins Korn werden würde. (Holger, Pos. 30–32)

Holgers Beschreibung enthält viele zeitliche Bezüge; interessant ist, dass er durchaus davon ausgegangen war, länger in Genf zu bleiben und langfristig in der Einrichtung zu arbeiten. Nachdem er feststellt, dass er dies „einfach nicht aushalten“ würde, ist die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes eine Chance, eine neue, passendere Beschäftigung an einem anderen Ort zu suchen. Damit geht für Holger allerdings auch einher, für sich eine neue berufliche Zukunftsaussicht zu formulieren, da sein „Lebenstraum, bei einer UN-Organisation zu arbeiten“, sich für ihn als nicht passend erwiesen hat. Die zeitlichen Begrenzungen der Aufenthalte vor Ort und das damit verbundene Wissen um eine zeitlich und räumlich ungewisse Zukunft kann, wie in Holgers Fall, als emotional befreiend, aber auch als belastend empfunden werden. In erstem Fall ist das Ungewisse eine Gelegenheit sein, Neues kennenzulernen, wie es Rieke sehr emphatisch beschreibt – auch wenn sie zugibt, dass ihr das damit verbundene Lernen neuer Sprachen nicht leicht falle: Und für uns war eigentlich klar, wir wollen eigentlich alle drei, vier Jahre in ein neues Land, eine neue Kultur, wir haben beide Fernweh […] Und dann merkte ich immer schon nach zwei Jahren: So, jetzt hat man das gesehen, jetzt kennst Du Genf, jetzt kennst du den Job, ich selber habe nicht gern die Routine, ich fordere mich auch gerne heraus und hasse wirklich Sprachen. (Rieke, Pos. 4–14)

In zweitem Fall kann das Ungewisse der Zukunft aber auch das aktuelle Gefühl der Zerrissenheit noch zusätzlich betonen, wie es Ryan an seinem derzeitigen Lebensmittelpunkt in einer Kleinstadt in Großbritannien empfindet und ausführlich beschreibt: I don’t know know what the future holds. […] It makes me feel like I don’t know how to move forward like I don’t know how to feel at home to move forward. […] I feel tired of dealing with the problems that come from not knowing what’s happening in the future and from not knowing when the forced mobility is going to end. (Ryan, Pos. 187–243)

Eine Zukunft, in der er Gewissheit über seinen Wohn- und Arbeitsort hat und der Aufenthalt nicht begrenzt ist, erscheint ihm, anders als Rieke oder Holger, als erstrebenswerte Fantasie: I really look forward to being able to move somewhere where I can stay put for a period of time, now it will be a hard trade off if that place isn’t the place where I live and want to be and that is still a very real concern at this point, but to be honest, I fantasize about it, I applied for a job some time ago in [a big city in the US] and I found myself fantasizing about having a place [there] and I imagine moving trucks driving from [a metropolic in Canada], from [a big city in Canada, from [a town in Canada] where my dad used to live, filled with all of these things

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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converging to a place, it was a fantasy that was really appealing. to be in one place and to have all my things around me. (Ryan, Pos. 227–229)

Diese „Fantasie“ ist keine Utopie, da er sich recht sicher ist, sie zu einem Zeitpunkt in der Zukunft zu erfüllen – nur der Zeitpunkt ist ungewiss, und das belastet ihn emotional. Zeitliche Grenzen spielen im Leben der HIMs zudem eine Rolle, wenn es darum geht, die eigene Biographie zu strukturieren. Dabei wird das eigene Leben, aber auch das Leben der Familienmitglieder im Kontext der vergangenen und möglichen zukünftigen Migration in zeitliche Phasen unterteilt. Die Vergangenheit dient dann beispielsweise als Kraft spendende Erinnerungsquelle: Ich freue mich jetzt auch schon, in meine zweite Heimat im Sommer zurückkehren zu können und die Plätze wieder aufzusuchen zu können, die ich jetzt ein Jahr vermissen musste. […] Wir besuchen auch immer noch diese Zeit zurück im Geiste. (Holger, Pos. 36–44)

Zudem dient die Gegenwart als der Moment für Entscheidungen für die nähere Zukunft und die weiter entfernt liegende Zukunft als Projektion für Pläne und Wünsche und die grundsätzliche Offenheit, noch nicht Bekanntes zu erleben und zu tun. Allerdings spielt in vielen Fällen die eigene Familie eine wichtige Rolle, wenn es um die Entscheidung geht, erneut umzuziehen. Besonders die Kinder und ihr Leben vor Ort werden hier in die Überlegungen einbezogen, wie es an der Erzählung von Holger sehr deutlich wird: Wir haben uns jetzt beide festgelegt, dass wir jetzt auf jeden Fall dafür sorgen müssen, dass wir jetzt die nächsten sechs, sieben Jahre an einem Ort bleiben […] Einfach um [die Kinder] nicht permanent zu entwurzeln. (Holger, Pos. 50)

Neben diesen auf die Dauer des Lebens vor Ort bezogenen Zeitgrenzen und die Bezugnahme auf vergangenes und mögliches zukünftiges Leben an bestimmten Orten gibt es noch eine weitere wichtige Grenzziehung zeitlicher Art, die die HIMs vornehmen: die der Lebensphasen. Diese werden oft in Verbindung mit ihrem beruflichem Werdegang beschrieben, wie es Luis und John im Folgenden tun: But it turns out that you’re getting older and you’re also getting more focused, more specialized to the point that you have to make a decision, that you have to fix at least 5 years plus. (Luis, Pos. 328) I think in 5 years I’ll still be here, in 20 years I’ll be close to retired, after 20 years just retired, so probably still be here in 20 years, but 25 years I don’t know, I hope not, I don’t want to retire in the Netherlands. (John, Pos. 285)

Und auch Dora beschreibt ihre Zeit in den USA als eine Zeit des vollständig Erwachsenwerdens und des sich Ausprobierens, sowohl in beruflicher als auch in individueller Hinsicht: Also jetzt im heutigen Sinn, wo ich dann auch meinen Mann kennengelernt habe, habe ich irgendwie immer das Gefühl gehabt, ich konnte mir da auch in der Zeit irgendwie die Hörner abstoßen in jeglicher Art, konnte auch beruflich erstmal alles mögliche austesten. (Dora, Pos. 34)

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4 Verflechtungen und Grenzen

Der Eintritt in ein Leben als Familienmutter oder -vater ist eine wichtige Statuspassage (Glaser und Strauss 1971), die sowohl den Blick auf das Migrieren als auch auf das Leben vor Ort verändern kann. Luis beschreibt, wie sich seine Kriterien für die Wahl eines Wohnortes über den Zeitverlauf verändert haben. Heute, als Vater eines Kindes, lebt er mit ihr und seiner Partnerin zusammen in Wien und hat spezifische Präferenzen für seinen (zukünftigen) Wohnort entwickelt, die sich von vorherigen Präferenzen unterscheiden: I’m in a different point of my life, that is not so important to be in a metropolis, so I will be happy to have a house with a garden and I don’t care what is around. So it’s been like a process. (Luis, Pos. 279–290)

Er beschreibt, nun an einem „anderen Punkt in seinem Leben zu sein“ und dass sich über den zeitlichen Verlauf mit der Veränderung seines sozialen Lebens auch seine Präferenzen für sein Wohnumfeld verändert haben – ähnlich ist es bei Dora, die zwar annimmt, dass sie mit ihrer Familie in Zukunft auch mobil sein wird, dies aber mit weniger Euphorie antizipiert als zu früheren Zeiten: ALM: Und hast du den Eindruck, dass das jetzt so vorbei ist mit dem [Umziehen]? Dora: Das ist, glaube ich, nie vorbei. Mir macht’s ein bisschen Angst, weil momentan habe ich das Gefühl, sind wir jetzt hier so schön gefestigt, auch die Kinder. (Dora, Pos. 57–58)

Diese zeitlichen Grenzen, die gezogen werden und das Leben der HIMs mit strukturieren, sind, wie in diesem Abschnitt deutlich wird, sehr stark mit räumlichen und sozialen Aspekten verbunden. So gehen zeitliche Grenzziehungen häufig mit sozialen einher, etwa wenn vor Ort explizit die international community als sozialer Bezugspunkt ausgesucht wird, da Menschen aus der international community das temporäre Leben an ganz unterschiedlichen Orten kennen. Diese Menschen leben wiederum häufig in bestimmten Stadtteilen, so dass sich hier sozialräumliche Grenzziehungen beobachten lassen. Auf diese beiden Dimensionen der sozialen und räumlichen Grenzziehungen während der wiederholten Migration gehe ich nun ein. 4.2.2 Soziale Grenzziehungen Zeitliche Grenzziehungen im Leben der HIMs weisen immer auch soziale Merkmale auf. So beeinflusst etwa die zeitliche Bindung oder Begrenztheit die soziale Bindung vor Ort und an den Ort: „Ich glaube, dass auch mit jedem Umzug man irgendwie sich immer weiter entfernt von vielen anderen Leuten.“ (Lisa, Pos. 58) Die Frage, die daraus entsteht, ist daher, wie HIMs Gemeinschaft herstellen und welche sozialen Grenzziehungen damit einhergehen. Die Einbindung in die international community vor Ort stellt eine dezidierte Form des sozialen Einschlusses dar, die von den HIMs betrieben wird und mit spezifischen sozialen Grenzziehungen einher geht:

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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Again we’re surrounded [by and] most of our dealers are Dutch, but our kids go to an American school now, all the embassies are nearby, there is [the headquarter of a globally operating company, ALM] nearby, so many foreigners that you don’t really feel Dutch, I don’t because I work here [in an international research agency], all of our friends are non-Dutch, whereas my wife found it a lot harder, because she did have to [interact with locals] and they didn’t appreciate the fact she wanted to work. (John, Pos. 75–79)

John beschreibt seine Einbettung in die Gemeinschaft der internationalen MigrantInnen und wie diese nicht zuletzt durch seine Arbeitsstelle erleichtert wird, während seine Frau Schwierigkeiten mit der einheimischen Bevölkerung hat: Ihr Lebensstil scheint vor Ort nicht passend zu sein. Allerdings lassen sich auch bei John Ambivalenzen bezüglich seiner sozialen Einbindung in diese Gemeinschaft feststellen: We have probably been bad expats because we do integrate, all our neighbors are Dutch and we meet them and we go for drinks and things like that every few weeks, but generally obviously we are not local. (John, Pos. 273)

Die Unterschiede zwischen den Einheimischen und den Zugezogenen werden schließlich dort als besonders augenfällig und sozial problematisch beschrieben, wenn neben die unterschiedlichen Herkünfte auch Differenzierungen bezüglich Hautfarbe, Religion oder Ethnie treten, welche vor Ort auf bestimmte Weise hierarchisiert werden. Dies hat Brigitte in Afrika erfahren: Da war leider auch Neid, also nicht bei jedem, aber durchaus bei dem einen oder dem anderem, als ich dann kam, weil ich natürlich davon ausgegangen bin, dass ich als Praktikantin quasi [...] tatsächlich um einiges weniger Geld habe als was die dort verdienen, und dann hat sich hinterher herausgestellt, als sie mir gesagt haben, was die dort verdienen, [dass ich mehr verdient habe]. (Brigitte, Pos. 74)

Rieke erlebt, ebenfalls als Deutsche in Afrika, auch die ethnisch bedingten Ungleichbehandlungen und damit soziale Grenzziehungen, die von der lokalen Bevölkerung vorgenommen werden: Und dann [wurde] man als Weißer hofiert von den Afrikanern, obwohl ich als Fremde in deren Land da war. Man ist zum Beispiel auf Hochzeiten eingeladen worden, nicht, weil die einen mögen, sondern damit Weiße in der ersten Reihe sitzen, an der Kasse ist man vorgelassen worden zum Beispiel, also es ist ein ganz verrücktes Wertedenken […]. Ich konnte es nicht. (Rieke, Pos. 4)

Dieser Umgang mit ihr ist für Rieke emotional belastend und entspricht nicht ihren Vorstellungen von einem integrierten Leben vor Ort, so dass sie zu der Feststellung kommt, ein Leben mit diesen sozialen und normativen Regeln nicht führen zu können: „Ich konnte es nicht.“ Als Konsequenz der Erfahrungen mit der lokalen Gesellschaft und den spezifischen sozialen Grenzziehungsmechanismen verlässt sie schließlich das Land recht desillusioniert. Diese spezifische Form der sozialen Integration vor Ort, wie sie Rieke erlebt und die sie ablehnt, ist für die von mir untersuchte Gruppe der HIMs allerdings nicht typisch. Sie verweist aber auf einen wichtigen Punkt: Auch wenn die HIMs ein in gewisser Hinsicht ortloses Leben führen, da sie sich nicht auf einen Ort, der

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4 Verflechtungen und Grenzen

ihr Bezugspunkt ist, festlegen lassen, erfahren und vollziehen sie an jedem ihrer Wohn- und Arbeitsorte Prozesse der Integration und Desintegration. Diese gehen auf der lokalen Ebene mit spezifischen Grenzziehungen einher, denen ich mich jetzt zuwende. 4.2.3 Integration durch Grenzziehungen Integration als Teilhabe in bestimmten Teilbereichen von Gesellschaft wird von den HIMs auf unterschiedliche Art und Weise betrieben und erfahren. Innerhalb der Gruppe der internationalen MigrantInnen funktioniert die Integration mühelos, wie beispielsweise Dora es beschreibt: Und da immer wieder jemand gekommen und gegangen ist, gab es immer wieder so Situationen, wo jemand neu dazu gestoßen ist, und das war irgendwie wirklich nie ein Problem. War echt cool. Also wir haben uns eigentlich alle gut verstanden. Klar, dann haben wir uns auch abends oft getroffen. Ein bisschen Partys, du konntest draußen Lagerfeuer machen, weil es immer warm war […]. Das war halt irgendwie auch cool ((lacht)). (Dora, Pos. 18)

Auch über gemeinsame Interessen ist eine Integration möglich, etwa wenn Lisa in England andere Musikinteressierte trifft, mit denen sie sich verbunden fühlt: „In Cambridge zum Beispiel war ich eher in ein lokales Netzwerk mit Leuten, die an Musik interessiert waren, integriert.“ (Lisa, Pos. 32) Diese Prozesse des sozialen Einschlusses werden von den HIMs beschrieben, ohne dass sie als spezifische Formen der Integration gerahmt werden. Vielmehr machen die sozialen Bindungen einen Teil ihres Zuhausegefühls oder belonging (z.B. Walsh 2006, 125–26) aus. Es findet sich allerdings auch eine spezifische Bezugnahme auf explizit geäußerte oder über den Diskurs implizit vermittelte Integrationsansprüche. Insbesondere dann, wenn sich explizit gegen eine Integrationserwartung seitens der Aufnahmegesellschaft gewandt wird, wird dies explizit formuliert: Denn da muss man auch mal sagen, wenn man selber expat ist, merkt man, man will sich auch nicht in alles integrieren, ja, man muss auch nicht alles mitmachen. Und ich finde, das ist auch ein Recht, was man hat, dass man nicht alles mitmachen muss. (Dieter, Pos. 38)

Gerade diejenigen der HIMs, die, wie in diesem Fall Dieter, herausstellen, dass das wiederholte Migrieren eine plurale Wertehaltung zur Folge hat, betonen auch, dass sie nicht gewillt sind, sich vor Ort an alles anzupassen. Ihre Ablehnung einer Assimilation (Esser 1980) geht mit einer kritischen Haltung gegenüber den Integrationsforderungen der Aufnahmegesellschaft einher; die Anforderung, sich zu integrieren, wird dabei verstanden als eine Forderung, sich – im Sinn einer Assimilation – vollständig an die Gesellschaft anzupassen und nicht – im strikten Sinn der Integration als Teilhabe an Teilbereichen der Gesellschaft – lediglich in bestimmten Bereichen wie dem Arbeitsmarkt einzugliedern.23 Die HIMs sind alle in dem 23

Zu den Konzepten von Integration und Assimilation vgl. Esser (1980) sowie Oswald (2007, 108–14).

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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Sinn vor Ort integriert, dass sie am lokalen Arbeitsmarkt teilhaben; die Einbindung in andere Bereiche – Bildung, Freizeit, Politik – kann dagegen anders gestaltet sein. Und so wird etwa damit gehadert, dass es aufgrund des Lebensstils und der Sprachbarriere nicht möglich ist, sich in die Gemeinschaft der Einheimischen einzubringen. Sarah beispielsweise bekümmert es, dass sie sich nicht ihren Ansprüchen entsprechend einbringt: I would feel settled if I were actually doing things within the community, I mean I would really like to help in the community, you know, interact with people who are in the community. (Sarah, Pos. 236)

Für eine solche soziale Integration spielt auch die Wahrnehmung, wie der eigene Lebensstil oder der Lebensstil der Partnerin in der Gruppe, zu der man gehören möchte, aufgenommen wird, eine Rolle: The local neighbors don’t appreciate women who work, you should be home, you should be looking after your children, and so it was very hard for my wife because she wasn’t working whereas in the states she did and we had support from various places and childcare, so here it was more difficult to get in contact with people [here in the Netherlands]. (John, Pos. 66–71)

Am Beispiel der Familienangehörigen wie der hier genannten Partnerin oder den Kindern wird oftmals sehr deutlich, wie sich soziale, zeitliche und räumliche Grenzziehungen überlagern und gegenseitig in ihrer sozialen Wirksamkeit verstärken.24 So beeinflussen die zeitlichen Grenzen des Aufenthaltes vor Ort maßgeblich, in welcher Weise die Kinder im Bereich der Bildung sozial integriert sind. So ist die Wahl des Kindergartens auch eine Wahl, die vor dem Hintergrund des Wissens um den nächsten möglichen internationalen Umzug getroffen wird: Wir wollten die Kinder auch in einen albanischen Kindergarten schicken. Das macht da keiner. Und eigentlich der Grund, warum wir es nicht gemacht haben, ist, dass wir überlegt haben, Englisch nutzt ihnen mehr als Albanisch am Ende. […] Wir werden jetzt wahrscheinlich eh nochmal umziehen und Englisch wird die Sprache bleiben, wenn wir nochmal ins Ausland gehen. Egal, wo man hingeht, ist ja die Arbeitssprache meistens Englisch. (Rieke, Pos. 70–72)

In Fällen wie diesen geht es um die temporär fixierte, soziale und räumliche Einbettung am aktuellen Aufenthaltsort. Die Wahl des internationalen Kindergartens wird mit dem Wissen um die zeitliche Befristung des Lebens vor Ort getroffen; sie beeinflusst die soziale Integration der Kinder und geht mit ihrer spezifischen räumlichen Verortung in diesem Kindergarten und seiner Umgebung einher. Die damit verbundenen räumlichen Grenzziehungen betrachte ich im Folgenden als letzte Dimension der Grenzziehungsprozesse. 24

Für multilokale Lebensformen, d.h. das gleichzeitige Leben an verschiedenen Orten, stellen sich die Fragen der Einbindung und des Ausschlusses noch einmal in anderer Weise, wie Duchêne-Lacroix, Götzö und Sontag (2016) zeigen. Ihre empirische Arbeit zu hochqualifizierten UnternehmerInnen in der Schweiz bricht gerade mit den Dichotomien von Integration/Desintegration und Hier/Dort und verweist auf die multiplen Bindungen an Orte, die charakteristisch sind für diese besondere Form der räumlichen Mobilität.

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4 Verflechtungen und Grenzen

4.2.4 Räumliche Grenzen: über die Bedeutung nationaler Identitäten Auch wenn die HIMs immer wieder betonen, dass sie sich einer internationalen Gemeinschaft stärker zugehörig fühlen als einer national und territorial gebundenen Gemeinschaft, so ist die nationale Identität doch eines der dominanten Themen. Ich möchte die Bezugnahme auf nationale Identitäten – darunter die eigene und die der anderen – als spezifische Form der Verräumlichung und Territorialisierung der Migrationserfahrung bezeichnen. Eine Territorialisierung liegt vor, wenn für die Darstellung und Interpretation von Erfahrungen spezifische nationale Identitäten als erklärende Variable herangezogen werden oder auf nationale Stereotype rekurriert wird. Eine Verräumlichung der Migrationserfahrung liegt dann vor, wenn spezifische Kulturräume unterschieden und für die individuellen Erfahrungen, etwa bezüglich der lokalen Integration, als Bezugsrahmen herangezogen werden. Dies ist etwa der Fall, wenn Holger sein Leben im Kosovo beschreibt: Die Leute [im Kosovo] sind mega nett, muss ich ehrlich sagen. Also die sind so kinderfreundlich und ausländerfreundlich. [...] Die [Kosovaren] sind das sehr gewöhnt, dass da Internationale sind. (Rieke, Pos. 4)

Das Leben vor Ort wird durch die Tatsache erleichtert, so empfindet es Holger, dass „die Kosovaren“ sehr „ausländerfreundlich“ seien. Dabei erlebt er es, dass eine spezifische Beziehung zwischen Deutschen und Kosovaren aufgerufen wird, die er als durchaus problematisch empfindet, da sie auf imaginierte gemeinsame ethnische Wurzeln rekurriert, wie er im folgenden Zitat ausführlich darstellt: Dazu kommt noch, dass alle Albaner glauben, dass sie Arier wären und sobald ich nur zum Brot holen ging oder ins Café ging, ich irgendwie mir 20 Litaneien anhören musste, wie wir doch alles Arier sind und gegen die bösen Serben verschworen haben. Oder aber auch im zweiten Weltkrieg, die Deutschen haben den Kosovo besetzt, […] Und es ging dann soweit, dass es sogar eine SS-Division, Skanderbeg, von Kosovo-Albanern gab, die im deutschen Heer gedient haben und die auch gegen Partisanen oder Tito praktisch gekämpft haben. Und dann war das irgendwie das zweite eben, wenn ich irgendwo in ein Café kam: „Ja, mein Opa war auch bei Skanderbeg“ und so weiter und dann kam eben noch diese Litanei dazu. Man konnte auch gar nicht erst versuchen, da irgendwas zu erklären, weil sie dann einfach sagen: „Ja, wir wissen, ihr dürft das nicht zugeben öffentlich, aber wir wissen ja alle, dass wir gleich denken in dem Punkt. Ist schon gut, hier ist ein Kaffee. Komm, und wir sind alles Freunde.“ (Holger, Pos. 14)

Der Deutsche Holger wird hier nicht als Teil der internationalen Gemeinschaft im Kosovo angesehen, sondern als jemand, mit dem man eine gemeinsame kulturelle (und territoriale) Geschichte teilt: „wir sind alles Freunde“. Aus dieser Perspektive sind sowohl Holger als auch die Bekannten im Kosovo Mitglieder einer imaginierten Gemeinschaft (Anderson 1991). Auf eine spezifische nationale und kulturelle Vergangenheit, die ihre Spuren vor Ort hinterlässt und noch heute wirksam ist, bezieht sich auch Yuna, wenn auch in ganz anderer Hinsicht. Für sie ist es das heute noch vorfindliche kulinarische

4.2 Grenzziehungen durch Migration

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kulturelle Erbe, das in Kambodscha auf die Kolonialmacht Frankreich verweist und das ihr das Leben vor Ort im wahrsten Sinne des Wortes versüßt hat: Kambodscha war ehemalige Kolonie von Frankreich, deswegen kann man viele Sachen finden, die die Franzosen mitgebracht haben. Und eins davon war Baguette und Kaffee mit Kondensmilch. Und dieser Kaffee mit Kondensmilch am Ende des Essens. Ich habe das immer bestellt. Ganz starker Kaffee mit ganz süßer Kondensmilch. Mein Gott, es war so lecker. Und das Klima ist sehr heiß, ’ne? Und man muss jeden Tag schwitzen. Und dafür braucht man viel Energie. Aber wenn man am Ende des Essens diesen Kaffee mit Kondensmilch trinkt, dann [ist man wieder] wie topfit. Das war wirklich sehr, sehr lecker. Und Baguette war wirklich [gut], also vielen herzlichen Dank an die französische Kultur. Natürlich waren das ehemalige Kolonialherren. Und natürlich haben sie etwas Brutales auch gemacht, aber trotzdem haben sie auch etwas Schönes mitgebracht. (Yuna, Pos. 50)

Auf das koloniale Erbe treffen nur wenige der HIMs, da sie sich zu großen Teilen in Europa und Nordamerika bewegen, das heißt in Ländern, in denen die koloniale Vergangenheit nicht (mehr) so deutlich sichtbar und mit so starken sozialen Konsequenzen spürbar ist wie etwa in Kambodscha oder in afrikanischen Ländern.25 National geprägte Präferenzen des Essens werden allerdings immer wieder thematisiert. Für Yuna überwiegt dabei die Freude am Neuen, während Dieter auch in der niederländischen Provinz immer wieder den einen Bäcker aufsucht, der „deutsches Brot“ hat. Die Bedeutung, die die Interviewees Lebensmitteln zuweisen, sind in Übereinstimmung mit den Arbeiten von Gilly (1995), Thompson und Tambyah (1999) oder Bardhi, Ostberg und Bengtsson (2010), die für expats und hochqualifizierte internationale MigrantInnen herausarbeiten, welchen Stellenwert Essen für diese Menschen und ihr emotionales Wohlbefinden in der Fremde aufweisen. Dabei ist gerade im Kontext der Globalisierungs- und Internationalisierungsdebatte bedeutsam, dass sich trotz einer größeren globalen Verbreitung bestimmter Lebensmittel und den damit verbundenen, sich vermeintlich angleichenden Geschmackspräferenzen und Essenspraktiken ein deutlicher Beharrungseffekt des Konsums und der Präferenzen von Lebensmitteln feststellen lässt (Bardhi, Ostberg und Bengtsson 2010, 134). Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass vertraute Lebensmittel den Personen offensichtlich emotionale Stabilität in ihrem Alltagsleben vermitteln (Thompson und Tambyah 1999, 224–25), welches in der Fremde zunächst durch einen Verlust an Routinen gekennzeichnet ist. So ist es auch nicht überraschend, dass schon Gilly (1995, o.S.) in einer frühen Studie zu US-amerikanischen expats zu folgendem Schluss kam: „food can be an intensely personal and self-defining consumer product for expatriates“. Gilly benennt dabei unter Bezugnahme auf Chatwin (1991) vier verschiedene Arten, mit solchem „comfort food“ (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 520) 25

Küver (2009) beschreibt aus postkolonialer Perspektive, wie sich internationale Migration spezifisch ausgestaltet, wenn die Herkunfts- und Zielländer der Migration eine gemeinsame Geschichte der Kolonialisierung aufweisen. Er beobachtet am Beispiel der Migration zwischen Sierra Leone, Großbritannien und Deutschland spezifische rechtliche, politische und soziale Verflechtungen, die u.a. in charakteristischen Formen der transnationalen Bindung resultieren.

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umzugehen: Euphorie, Skepsis, Integration, Adaption. Während die letzten beiden Umgangsweisen einen Weg darstellen, das Bekannte und das Neue zusammenzubringen, stellen die ersten beiden Umgangsweisen zwei Extreme dar: die der jubelnden Aufnahme und die der deutlichen Ablehnung des Neuen. Hier einige Beispiele aus meinem Material: Luis und Yuna sind diejenigen meiner Interviewees, die sich durch eine solche euphorische Haltung gegenüber dem kulinarischen Gut des jeweiligen Aufnahmelandes auszeichnen und Essen und Lebensmittel als Dinge benennen, die für ihre emotionale Bindung vor Ort, aber auch die Erinnerung an das Leben an bestimmten Orten wichtig sind. Anders ist es bei denjenigen Interviewees, die sich wie Holger oder Rieke Lebensmittel mitbringen lassen, wenn Freunde sie aus Deutschland besuchen kommen, oder die wie Dieter längere Autofahrten auf sich nehmen, um an das „deutsche Brot“ zu kommen, das sie vermissen. In diesen Fällen handelt es sich eher um Umgangsweisen der Adaption, die sich dadurch kennzeichnen, das das Neue mit dem Bekannten und Vertrauten kombiniert wird. In allen Fällen aber werden diese Bezüge zum Essen territorialisiert und an die (eigene) nationale Identität rückgekoppelt: Wir haben jetzt bei uns im Ort schon seit geraumer Zeit tatsächlich einen deutschen Bäcker, der ist Deutscher. Der ist zwar auch schon seit 50 Jahren im Land oder so, und der backt also vernünftiges Brot. (Dieter, Pos. 20)

Schließlich spielt eine Territorialisierung der Migrationserfahrung noch eine wichtige Rolle bei der Konstituierung und Nutzung sozialer Netzwerke vor Ort. Yuna etwa sagt, dass sie an ihren Stationen häufig ein Netzwerk aus JapanerInnen hatte: „Ich hatte ganz intensiven Kontakt mit den Japanern, die in Mexiko-City wohnten. Und auch genauso die Japaner, die in Buenos Aires wohnten.“ (Yuna, Pos. 42) Während Yuna dieses im Ausland zu findende nationale Netzwerk als stabilisierenden Faktor wahrnimmt (dazu auch Greschke 2009), ist Francois’ Haltung zu national begründeten Netzwerken ambivalent. Für ihn geht es dabei um das in Frankreich wirksame wissenschaftliche Netzwerk, um dessen strategische Bedeutung er wusste, an dem er aber vom Ausland aus nicht teilhaben und daher nicht davon profitieren konnte; als Konsequenz dieser – räumlichen und wissenschaftlichen – Desintegration reduzierten sich, seiner Aussage nach, seine Chancen auf dem nationalen und regionalen Arbeitsmarkt entsprechend: But in France and Europe they want to know before who will take that position and then they prepare it, and being away and very busy with like very active science projects and missions I had no time to keep in touch with the French community, the European community. (François, Pos. 142)

Nationale Identitäten werden schließlich auch thematisiert, wenn es um die (Des-)Integration vor Ort geht. Durch die geteilte nationale Identität vor Ort werden nationale Grenzen in ein anderes Territorium hineingetragen, und es wird ein spezifischer nationaler Raum hergestellt, der sich durch dichotome Grenzziehungen – wir vs. die, hier vs. dort – auszeichnet. Rieke beschreibt eine spezifische

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Form dieser Verräumlichung, die mit einer Kontrastierung von wir Europäer und den Schweizern einhergeht: Ich glaube, Genf war schon einfacher [als Afrika], weil die Leute, die wir da kennengelernt haben, die kamen alle auch aus Europa. Mit Genfern kam man wenig in Kontakt, aber das ist in der Schweiz eh schwierig mit Schweizern an sich in Kontakt zu kommen. (Rieke, Pos. 62)

Über Diskriminierungserfahrungen in der Schweiz aufgrund ihrer Nationalität berichtet auch Dora, die derzeit in der Schweiz lebt: Das heißt, sobald sie wissen, dass du Deutsche bist, dann ist es eigentlich auch vorbei. Die sind dann schon freundlich, die lassen dich das jetzt nicht so spüren, dass sie sagen, mit der rede ich nicht. Also man kann mal einen Smalltalk führen, aber du merkst, es wird dann irgendwann ab einem gewissen Punkt abgeblockt, so von wegen, komm doch mal auf einen Kaffee oder so, so den nächsten Schritt, der wird dann nicht mehr gemacht. (Dora, Pos. 56)

Während häufig als Grund für fehlende Integration fehlende oder nicht ausreichende Sprachkenntnisse angeführte werden, lässt sich das Moment der fehlenden Sprachkompetenz in diesem Fall nur bedingt als Integrationshemmnis anführen; zwar unterscheiden sich das in Deutschland gesprochene Deutsch und das in der Schweiz gesprochene Deutsch zum Teil deutlich voneinander, doch sind diese Unterschiede nicht vergleichbar mit den Sprachbarrieren, auf die eine Italienerin in den Niederlanden stößt. Vielmehr scheint es sich hier um eine ähnliche Barriere zu handeln wie die, von der der – englischsprachige – Kanadier Ryan im – englischsprachigen – England spricht: „Being able to joke around with people would certainly help being more familiar and more comfortable with the accent.“ (Ryan, Pos. 156) Auch wenn eine sprachliche Verständigung problemlos möglich ist, so wird doch sofort anhand der Sprache erkannt, dass es sich bei Dora in der Schweiz und Ryan in England nicht um MuttersprachlerInnen handelt. Weniger als die Worte sind es hier die sprachlich markierten Codes, Ausdrücke und Floskeln, die Ryan das Fremdsein alltäglich vor Augen führen. Ebenfalls mit derselben Sprache in unterschiedlichen regionalen Ausprägungen konfrontiert ist Luis, der vom spanischsprachigen Venezuela ins spanischsprachige Granada umzieht. Er hebt insbesondere die Vorteile einer geteilten Sprache hervor: „In this way Spain was fantastic because the language helped me, so I really blended with the Spanish culture and started to love it.“ (Luis, Pos. 54) Die intrasprachlichen Unterschiede sind für ihn zudem eher eine positiv konnotierte Herausforderung denn eine Beschränkung oder ein Zeichen für die Nichtzugehörigkeit vor Ort: I can say that I moved to a country where they speak my mother language, with different accents obviously, so it was more interesting for me to learn the new accent, the new words, the new way how the people say things. (Luis, Pos. 62)

Er erlebt die Differenzen der Sprache als reizvoll; sie sind für ihn ein weiterer Teil des Neuen, den er während seines Aufenthaltes in Granada aufnehmen kann. Die Grenzziehungen, die mithilfe der Sprache vollzogen und wahrgenommen werden, beziehen sich dabei zum einen auf die nationale Identität, für die die Sprache ein

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4 Verflechtungen und Grenzen

Hinweis ist, zum anderen auf territorialisierte kulturelle Praktiken, die sich in sprachlichen Ausdrücken und linguistischen Gepflogenheiten vor Ort zeigen. Die hier beschriebenen Verflechtungen und Grenzziehungen sind ein variantenreiches Doppel, welches charakteristisch für die Migrationsphänomene ist, auf die ich mich im Verlauf dieses Kapitels bezogen habe. Die in ihm angelegte Widersprüchlichkeit kennzeichnet nicht nur die Verflechtungen und Grenzziehungen, die von den MigrantInnen genauso wie von der Aufnahmegesellschaft vorgenommen werden, sondern auch die Klassifizierungen in reguläre MigrantInnen, die vor Ort einem zumeist sanktionsfreien Alltagsleben nachgehen können, und irreguläre MigrantInnen, die dies nicht können. Zudem zeigen Studien zu allen Formen von Migration, erzwungen oder freiwillig, regulär oder irregulär, dass im einen jeweils auch etwas vom anderen enthalten ist: Lustvoll praktizierte Mobilität wird zur Last, wenn sie bedeutet, lieb gewonnene Menschen und Orte zu verlassen, in einem Leben als irreguläre MigrantInnen gibt es Momente der Regularität, etwa wenn in einer sanctuary city ein Status als StadtbürgerIn eingenommen werden kann. Schon bei Bauman (1998b, 329, Herv.i.O.) lässt sich ein Hinweis auf derartige Doppel finden: Die Touristen werden Wanderer und stellen das Heimweh über die Realitäten der Heimat – weil sie es so wollen; weil sie es „unter den gegebenen Bedingungen“ für die vernünftigste Lebensstrategie halten oder weil sie von den wahren oder imaginären Freuden eines Sensationen heischenden Lebens verführt sind.

Hier sind es die Doppel von Freiwilligkeit und Lust an der Mobilität und Zwang und Last der Mobilität. Nichtsdestotrotz beschreibt Bauman eine dichotome Welt, in der sich die „Touristen“ auf der Sonnenseite und die „Vagabunden“ auf der Schattenseite des Lebens in einer globalisierten und entgrenzten Welt befinden. 26 Doch dieses Narrativ von Sonne und Schatten ist, so argumentiere ich, zu einfach. Die empirischen Daten zeigen vielmehr, dass die Freiwilligkeit, mit der die „Touristen“ umziehen, ihre eigenen Zwänge und Pfadabhängigkeiten und damit Schattenseiten aufweist. Das berufliche und alltägliche Leben der HIMs ist daher, in Wettermetaphern gesprochen, eher als heiter bis wolkig denn als sonnig zu bezeichnen und als gleichzeitige Last und Lust zu verstehen. Welche Schatten auf dieser von Bauman als sonnig bezeichneten Seite des Lebens als „Tourist“ liegen (können), ist Thema des folgenden Kapitels.

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Bauman (1998b, 329) verwendet die Metaphern der Sonne und der „dunklen, wandernden Monde, die den Schein der hellen touristischen Sonne reflektieren“ für das Leben der freiwillig und der unfreiwillig migrierenden Menschen.

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Migrierende Menschen sind räumlich, aber auch sozial mobil. Dabei geht es nicht allein um die Tatsache, dass die MigrantInnen mobil sind, sondern auch um die Bedeutung, die der gesellschaftliche Kontext für ihre Mobilität und die Rahmung ihrer Mobilität – etwa als von außen kommender Zwang oder selbst gewählte Lebensform – hat. Dabei kann soziale Mobilität durch räumliche Mobilität erzeugt werden, etwa wenn räumliche Mobilität aus beruflichen Gründen die berufliche Karriere befördert und damit sozialen Aufstieg erzeugt. Dieser Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität im Fall von MigrantInnen ist Thema dieses Kapitels. Ich werde mich dabei zunächst der räumlichen Mobilität als gesellschaftlicher Anforderung widmen, bevor ich mithilfe des im Verlauf von Migrationsbiographien erworbenen kulturellen Kapitals und der durchlaufenen Statuspassagen den Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität expliziere. Diese Darstellung ist schließlich wichtig um zu verstehen, welche Lebensstile internationale MigrantInnen ausbilden. Migrationsphänomene sind in gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet und verstärken oder modifizieren diese. Anders gesagt: Migration lässt sich auch als eine Relation ganz unterschiedlicher beteiligter Akteure verstehen, von denen die migrierenden Personen selbst lediglich eine Gruppe ausmachen. Auf der individuellen Ebene zählen ihre Angehörigen und Freunde, aber auch die NachbarInnen, ArbeitgeberInnen oder Verwaltungsangestellte, die über ihren Aufenthaltsstatus entscheiden, dazu. Auf der institutionellen Ebene sind Gesetze, administrative Bestimmungen, Ausweispapiere und Aufenthaltsbescheinigungen sowie vertragliche Vereinbarungen Teil einer solchen Relation. Auf der strukturellen Ebene gehören gesellschaftliche Diskurse oder transnationale ökonomische und politische Beziehungen, aber auch Phänomene wie der Klimawandel27 dazu.

27

Zur Verbindung von Klimawandel und Migration z.B. White (2011), Hillmann et al. (2015) sowie Felgentreff und Pott (2016).

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5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung Ich möchte an dieser Stelle einen genaueren Blick auf die gesellschaftlichen Diskurse rund um räumliche Mobilität werfen. Meine Annahme ist, dass für die grenzüberschreitende Migration internationaler MigrantInnen insbesondere zwei Diskurse von Bedeutung sind: der Diskurs um räumliche Mobilität als Anforderung und der Diskurs um die Selbstverantwortlichkeit für das (berufliche) Selbst. Für den Fall der HIMs sind diese beiden Diskurse eng miteinander verflochten; Ausgangspunkt ist im Folgenden die Darstellung des Diskurses um Mobilität als Anforderung und die Skizzierung seiner Wirksamkeit auf Seiten der MigrantInnen. An geeigneten Stellen werde ich darauf aufbauend zeigen, in welcher Weise dieser Diskurs auf den Diskurs um die Selbstverantwortlichkeit für das (berufliche) Selbst verweist und mit ihm in Verbindung steht. Die International Labour Organization (ILO) stellt in ihrem aktuellen Bericht zur Beteiligung von MigrantInnen am internationalen Arbeitsmarkt fest, dass derzeit 150,3 Millionen Beschäftigte im globalen Arbeitsmarkt MigrantInnen sind („ILO Global Estimates on Migrant Workers“ 2015, xi).28 Eine deutliche Konzentration der migrantischen Arbeitskräfte (48,5%) ist dabei in Nordamerika sowie in Nord-, West- und Mitteleuropa zu finden („ILO Global Estimates on Migrant Workers“ 2015, xii). Die hauptsächlichen Beschäftigungsfelder sind im Dienstleistungssektor zu finden („ILO Global Estimates on Migrant Workers“ 2015, xiii). In Deutschland liegt der Anteil der Ausländer in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen im Jahr 2016 bei 9,97%; 29 unberücksichtigt sind hier diejenigen ArbeitnehmerInnen, die deutsche Staatsangehörige mit eigener Migrationserfahrung (z.B. beruflich bedingte Auslandsaufenthalte von mehr als einem Jahr etc.) oder familiärer Migrationsbiographie sind, sowie diejenigen, die nicht in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stehen, etwa Selbstständige. Außen vor bleibt bei diesen Zahlen außerdem ganz grundsätzlich, in welcher Weise die MigrantInnen die gesellschaftliche Mobilitätsanforderung inkorporiert haben; die quantitativen Untersuchungen gehen an dieser gesellschaftlich relevanten, aber stärker qualitativen Fragestellung also vorbei. Betrachtet man Stellenausschreibungen in Zeitschriften mit internationaler Reichweite, etwa dem Economist, so findet sich keine Anzeige, in der internationale Erfahrung kein gewünschter Faktor ist (vgl. dazu auch Pohlmann und Bär 2009, 14). Ähnlich lesen sich Interviews mit PersonalentwicklerInnen in Wochenzeitungen (z.B. Scherer 2016) und 28

29

Die Zahlen, auf denen der Bericht basiert, stammen aus dem Jahr 2013. Zu berücksichtigen ist bei diesen Zahlen zum einen, dass es sich bei der ILO um eine ArbeitnehmerInnen-freundliche Organisation handelt, und zum anderen, dass derartige Informationen immer unter dem Vorbehalt gelesen müssen, dass nicht alle Staaten vergleichbare statistische Daten produzieren und verschiedene Formen der Beschäftigung, etwa im Feld der Prostitution, kaum oder gar nicht erfasst werden. Vgl. dazu die Zahlen des Statistischen Bundesamtes DESTATIS, URL: http://www.statistikportal.de/Statistik-Portal/en/en_jb02_jahrtab15a.asp (7.11.2017).

5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung

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auf Berufsportalen (z.B. Schmidt 2015). Auch Karriereportale kommen nicht ohne das Thema Auslandsaufenthalte aus. So findet sich auf dem Portal Karriere München der Evoluzione Media AG folgender Rat des dort als Experten vorgestellten Diplom-Kulturwirts Walter Feichtner, Inhaber des Karrierecoach München: Viele Unternehmen wünschen sich von ihren Bewerbern […] explizit Auslandserfahrung, denn international arbeitende Organisationen benötigen Fachkräfte und Manager mit internationalen Erfahrungen. Wer aus dem Ausland zurückkehrt, hat in einem deutschen Unternehmen meist ein vollkommen anderes Standing und kann zum Teil auf Spitzenpositionen hoffen.30

Allerdings schränkt der Coach diese Empfehlung insofern ein, als er einen zeitlich begrenzten Auslandsaufenthalt empfiehlt: Trotzdem sollte man nicht zu lange im Ausland verweilen, wenn man mit dem Gedanken spielt, den Aufenthalt lediglich als Karrieresprungbrett zu nutzen und nicht für immer dort zu leben. Ein Aufenthalt von zwei bis drei Jahren wird durchaus positiv bewertet, 15 bis 20 Jahre in einem fremden Land können jedoch für ein komplett anderes Bild sorgen. Im Ausland selbst reicht diese Zeitspanne häufig nicht für die absoluten Spitzenpositionen, da sie bevorzugt mit Einheimischen besetzt werden. Für deutsche Unternehmen ist ein Bewerber mit einem derartig langen Auslandsaufenthalt jedoch kein Fachmann mit Erfahrung mehr, sondern vielmehr ein Bewerber aus dem Ausland, was den Einstieg in ein Unternehmen sogar erschweren oder vereiteln kann.31

Diese Darstellung der Auslandsaufenthalte als Hemmnisse und Förderer von Karrieren ist in Übereinstimmung mit den empirischen Ergebnissen, die Hartmanns (2016) Arbeit zur Globalen Wirtschaftselite zugrunde liegen. Hartmann zeigt darin, dass die Anforderung, mobil zu sein, sehr spezifisch ausgestaltet ist und nicht uneingeschränkt für alle (beruflichen) Zusammenhänge gilt. Seine Untersuchung zu den Chief Executive Officers (CEO) der weltweit größten Unternehmen sowie der Aufsichtsräte und Boards zeigt, dass sich ihre Auslandserfahrung im Ländervergleich unterscheidet, insgesamt aber auf eher kürzere Auslandsaufenthalt (vier bis sieben Jahre für CEO in deutschen Unternehmen (Hartmann 2016, 54)) im Rahmen der innerbetrieblichen Karriere beschränkt (Hartmann 2016, 69). Insgesamt wiesen „nur gut 22 Prozent der einheimischen CEO [der 1000 größten Unternehmen] überhaupt […] Auslandserfahrung“ (Hartmann 2016, 53) auf. Hier scheint also eine Diskrepanz zwischen dem Diskurs um Mobilität als Anforderung und empirisch beobachtbarer Wirklichkeit vorzuliegen. Wie lassen sich nun diese Beobachtungen mit gesellschaftlichen Veränderungen und einer Wert- oder Geringschätzung von Mobilität zusammenbringen? Mobilität als Merkmal spätmoderner Gesellschaften wird etwa von Boltanski und Chiapello (2006) als Merkmal einer spezifischen, nämlich netzwerkartig strukturierten, Form des Kapitalismus zusammengebracht, die eine neue Logik beinhalte. 30 31

Zu finden unter der Seite Karriere München, URL: http://www.karrieremuenchen.de/its-munich/arbeiteninmuenchen/auslandsaufenthalt/ (7.11.2017). Zu finden unter der Seite Karriere München, URL: http://www.karrieremuenchen.de/its-munich/arbeiteninmuenchen/auslandsaufenthalt/ (7.11.2017).

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Diese sei, so formulieren es die Autoren in Anlehnung an und Abgrenzung von Weber (1988 [1904/1905]), der „Neue Geist des Kapitalismus“, so auch der Titel ihres Buches (Boltanski und Chiapello 2006). Mit diesem „neuen Geist“ beschreiben Boltanski und Chiapello eine spezifischen, netzwerkartig strukturierte Form des Kapitalismus, welche ihrer Analyse nach charakteristisch für das ausgehende 20. und beginnende 21. Jahrhundert ist.32 Ein Merkmal dieses Kapitalismus ist die Forderung nach „Mobilitätskapazität“ (Boltanski und Chiapello 2006, 142): Angestellte werden von Seiten des Managements dazu angehalten, mobil zu sein und sich je nach Bedarf wechselnden Arbeitsbereichen, Unternehmensstandorten, KollegInnen und MitarbeiterInnen zuzuordnen (vgl. auch Garsten 2008). Ein solcher mobiler Arbeitnehmer „kreiert ständig neue Projekte, knüpft Netzwerke und lässt andere teilhaben an den Gewinnen des Netzes“ (Wagner 2007, 7). Zu diesem „Mobilisierungsvermögen“ (Boltanski und Chiapello 2006, 141) gehört es auf Seiten der Manager und Arbeitgeber auch, die ArbeitnehmerInnen zu räumlicher Mobilität anzuhalten, etwa beim Wechsel an einen anderen, geographisch entfernten Unternehmensstandort. Eine solche, hier auf der Grundlage der Analyse von Managementliteratur diagnostizierte Verbindung von räumlicher Mobilität der Angestellten, veränderten Selbstverständnissen des Managements und neuen Arbeitsformen wie dem projektförmigen Arbeiten (Boltanski und Chiapello 2006, z.B. 139, 156; Bröckling 2007, z.B. 256; Kels und Vormbusch 2009) verweist auf die Verbindung der Diskurse der Mobilität und Flexibilität, welche mit dem Diskurs um Selbstverantwortlichkeit und selbstbezogenem Unternehmertum in einem „Mobilitätsimperativ“ (Kesselring und Vogl 2010, 31) kulminieren.33 Wagner (2007, 7) beschreibt unter Rückgriff auf Boltanski und Chiapello die ProtagonistInnen dieses Kapitalismus als „mobile, polyvalente, flexible Netzwerker“. Für die Arbeitswelt hat dies Konsequenzen, wie Kesselring und Vogl (2010, 32) betonen: Mobilität bzw. die Fähigkeit, sich als mobiler Mensch zu präsentieren und zu vermarkten, werden zu einem entscheidenden Kriterium dafür, ob man innerhalb eines Unternehmens zu den Gewinnern gehören kann.

32

33

Vgl. dazu Quinn (1992), der schon früher mit dem intelligent enterprise ein neues Paradigma der Unternehmensführung in der vernetzten Wissensgesellschaft formuliert, welches durchaus als Teil eines solchen neuen Kapitalismus beschrieben werden kann, wie ihn Boltanski und Chiapello verstehen. Vgl. dazu Cresswell (2006), der zeigt, in welcher Weise spezifische Mobilitätsregime im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis in häusliche Alltagswelten vordrangen und selbst Orte wie die private Küche in ihrer Struktur und Organisation veränderten. Ludwig-Mayerhofer und Behrend (2015) arbeiten heraus, wie solch ein Mobilitätsimperativ zu einer politisch beförderten Aktivierung von Arbeitslosen führt, und Jirón und Imilan (2015) weisen auf die Inkorporierung der Flexibilitätsanforderung durch die ArbeitnehmerInnen hin, die im täglichen Berufspendeln ihren Ausdruck finden kann.

5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung

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Dass Mobilität und die (Selbst-)Präsentation als mobile Person als Anforderungsstruktur komplexer sind als die Dichotomie mobil-gut/immobil-schlecht, wird durch das Modalverb können am Ende des Zitats indiziert; Hartmanns (2016) Studie ist ein empirischer Beleg dafür. Dennoch ist es wichtig, das hier von Kesselring und Vogl in Anlehnung an Boltanksi und Chiapello identifizierte Mobilitätsregime in seiner Wirksamkeit für die Gesellschaftsmitglieder ernst zu nehmen, da es zu erklären hilft, wie es zu einer durchaus affirmativen Übernahme der Mobilitätsanforderung auf Seiten der Arbeitskräfte kommen kann. Kesselring und Vogl (2010) untersuchen dieses Mobilitätsregime bezüglich seiner Wirksamkeit für die Arbeitswelt und zeigen, dass es nicht nur zu einer Normalisierung von Mobilität kommt, sondern es neben dem als Kontroll- und Disziplinierungsmechanismus wirkenden Diskurs auch Gelegenheiten und Strukturen gibt, die Mobilitätsanforderung zu unterlaufen oder sich ihr zu entziehen (Kesselring und Vogl 2010, z.B. 79–83); ebenso seien Phänomene zu beobachten, die dieser Anforderung scheinbar zuwiderlaufen. Ähnliche Ergebnisse präsentiert auch Zikic (2015, 1366), die auf die Bedeutung lokaler Netzwerke für international migrierende ArbeitnehmerInnen hinweist, deren Fehlen zu einer strukturellen Benachteiligung der mobilen ArbeitnehmerInnen vor Ort führen kann (dazu auch Forster 2000; Pohlmann und Bär 2009; Turchick Hakak und Al Ariss 2013). Bauman (1998a) beobachtet schon früher für diesen Fall der Mobilisierung und Flexibilisierung eine scheinbar paradoxe Differenz zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen: Während erstere nach Kosten-Nutzen-Abwägungen entscheiden, wann sie welche Standorte mit wem bespielen und in diesem Sinn flexibel agieren, sind letztere diesen Entscheidungen ausgesetzt und in ihrer Flexibilität eingeschränkt, da ihre Möglichkeiten zur Entscheidung für oder gegen einen Standortwechsel begrenzt sind, wollen sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Was hier von außen als Flexibilität und Mobilität auch der ArbeitnehmerInnen erscheint, erweist sich bei Betrachtung der Möglichkeitsstrukturen als Inflexibilität im Sinn fehlender Wahlmöglichkeiten: Flexibility on the demand side means freedom to move wherever greener pastures beckon [...]. What looks, however, like flexibility on the demand side, rebounds on all those cast on the supply side as hard, cruel, impregnable and unassailable fate: jobs come and go […]. And so to meet the standards of flexibility set for them by those who make and unmake the rules – to be ‚flexible‘ in the eyes of the investors – the plight of the ‚suppliers of labour‘ must be as rigid and inflexible as possible – indeed, the very contrary of ‚flexible‘: their freedom to choose, to accept or refuse, let alone to impose their own rules on the game, must be cut to the bare bone. (Bauman 1998a, 104–5, Herv.i.O.)

Eine solche prekäre Lebenssituation führe, so Bauman (2005, 3, Übers. ALM), zu einem „Zustand des Schwindels“, welcher für ihr unsicheres, flüchtiges Lebensgefühls charakteristisch sei. Geht es im Diskurs um Mobilität als Anforderung an das arbeitende Subjekt zum einen, wie dargestellt, um die Bereitschaft, für den (neuen) Arbeitgeber den Wohnort zu wechseln und zum Migranten oder zur Migrantin zu werden, so geht

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5 Menschen, Mobilität und Migration

es zum anderen aber auch um die Arbeitsformen selbst, die mobilisiert werden. Projektförmiges Arbeiten und selbstverantwortliches Organisieren der eigenen Aufgaben sind eine Form der „Selbstrationalisierung und Subjektivierung“ (Kesselring und Vogl 2010, 108) und damit, so Kesselring und Vogl (2010, 109) auf Grundlage der Ergebnisse ihrer empirischen Studie, „eine Grundvoraussetzung für mobile Arbeit.“ Hiermit greifen sie die Diskussion um einen weiteren wirkmächtigen Diskurs auf, der Bröckling (2007) dazu führte, das „unternehmerische Selbst“ als Sozialfigur der Spätmoderne zu benennen. Die Kopplung von eigenem, einer unternehmerischen Logik unterworfenen, selbstverantwortlichen Handeln mit den Anforderungen moderner Arbeitswelten wird,34 so Kesselring und Vogl auf der Grundlage ihrer empirischen Studie, etwa daran deutlich, dass ArbeitnehmerInnen auf Dienstreisen für ein Unternehmen ihre Termine vor Ort selbstständig organisieren, da das Unternehmen in erster Linie am Ergebnis und nicht am Zustandekommen des Ergebnisses interessiert sei. Diese Zuweisung von Verantwortung an die ArbeitnehmerInnen sei insofern konsequent, als die räumliche Distanz eine enge persönliche Kontrolle verunmögliche; dies lässt sich vom Beispiel der Dienstreisen, das Kesselring und Vogl (2010, 109) verwenden, auf Auslandsaufenthalte ausweiten. Neben die räumliche Distanz tritt dabei eine virtuelle Nähe, die beispielsweise über digitale Technologien hergestellt wird. Durch die Verwendung von Laptops oder Smartphones, Videokonferenzen und die gemeinsame Arbeit an Dokumenten in der cloud veränderten sich auch die Arbeitsprozesse:35 Mobile Arbeiter sind sowohl hier als auch dort; sie sind – obwohl auf Reisen – immer erreichbar. Das […] gilt nicht nur für den mobilen Arbeiter. Er muss die Simultaneität seines Arbeitsprozesses, der körperlich zunächst bei ihm liegt (etwa dort, wo das Notebook auf dem Schoß sich befindet), aber zugleich und unmittelbar […] integraler Bestandteil von Abläufen ist, die im Heimatunternehmen oder bereits beim Kunden passieren, [organisieren]. Verdichtung in diesem Sinn bedeutet, dass der Arbeitsprozess quasi niemals wirklich unterbrochen ist, zumindest nicht, weil Mitarbeiter unterwegs sind. (Kesselring und Vogl 2010, 112)

Eine derartige Verdichtung ist analog zu Castells’ (1996, z.B. 408) Konzept des space of flows zu verstehen: Räumliche und körperliche Distanzen werden ebenso wie Zeitzonen durch die Verwendung von ICT in ihrer Bedeutung abgeschwächt, und es kommt zu einer space-time-compression (Harvey 1990, auch 1995). Werlens (1997, 2:234, Herv.i.O.) Diagnose zur Globalisierung, dass wir es mit einem „bisher nie erreichten räumlichen und zeitlichen Ausgreife[n] sozialer Beziehungen, deren Bedingungen und Folgen“ zu tun hätten, wird durch die technologischen Entwicklungen in ihrer Richtigkeit noch unterstrichen. Eine solche räumliche und zeitliche Verdichtung und die damit einhergehende „Ausdehnung der räumlichzeitlichen Spannweite menschlichen Handelns“ (Werlen 1997, 2:234) ist eine konsequente Parallele zu einer Entgrenzung, die die zunehmende Verschränkung von 34 35

Voß und Pongratz (1998; auch Pongratz und Voß 2003) prägen für eine solche unternehmerische Haltung in der Arbeitswelt den Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“. Vgl. dazu Kapitel 9.1 dieser Arbeit.

5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung

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Beruf und Privatem und ein Hineinreichen der Arbeit in den Alltag (und, nebenbei bemerkt, auch vice versa) beschreibt. Zikic (2015) stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass hochqualifizierte MigrantInnen durch die mit ihrer Mobilität verbundenen Fähigkeiten, etwa des Organisierens und Netzwerkens, einen Wettbewerbsvorteil auf den je lokalen Arbeitsmärkten erhalten (können). Ihrer Argumentation zufolge entwickeln MigrantInnen ein auf ihre Karriere bezogenes Kapital, eine Kombination aus knowingwhy, knowing-how und knowing-whom (Zikic 2015, 1365), welches ihnen vor Ort hilft, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. In eine ähnliche Richtung argumentieren, wie in Kapitel 5.2 noch ausführlich gezeigt wird, Nohl et al. (2006, 2010), Igarashi und Saito (2014) oder Lan (2011), wenn sie die im Zuge der Migration erworbenen Kompetenzen als spezifische Kapitalformen beschreiben, die den ArbeitnehmerInnen in bestimmten Karriereverläufen zugutekommen. Weiß (2006) spricht in diesem Zusammenhang von einer „transnationalen Mittelklasse“ mit entsprechender Kapitalausstattung, welche aus der Gruppe der hochqualifizierten MigrantInnen heraus entstünde. ArbeitgeberInnen kommt hier, wie Jeanes et al. (2015, z.B. 705) herausarbeiten, die Rolle der Aktivierenden zu, die die arbeitenden Subjekte mit ihren spezifischen Fähigkeiten mobilisieren und zum Beispiel in ihrem Mobilitätswunsch unterstützen. Wenn man der Beschreibung folgt, dass diskursive Anforderungsstrukturen, mit Foucault (z.B. 2006) gesprochen, gerade dann ihre Wirksamkeit entfalten und ein Dispositiv darstellen, wenn sie von den Subjekten inkorporiert und als selbstverständlich angesehen werden, stellt sich die Frage, wie dies für das Paradigma der Mobilität aussieht. Raghuram (2014) beschreibt aufbauend auf ihrer Analyse von Ärzten, die aus beruflichen Gründen nach Großbritannien migrierten, wie die Inkorporierung einer Mobilitätsanforderung die Migration selbst hervorbringt und Mobilität so zu einem „konstitutiven Bestandteil des qualifizierten Subjekts“ (Raghuram 2014, 196, Übers. ALM) werde: [...] we can see that bodies that move across space have to negotiate demands, norms, preferences, and frameworks, but it is only when bodies afectively inhabit and internalize the norms of mobility that migration is produced. When mobility is produced as a norm in the production of skills, mobility becomes a necessary part of the constitution of a skilled subject. It is only by embedding this norm in the psyche that the vulnerabilities of temporariness are endured. Tese are the governmentalities that are necessary for producing temporariness as a form of governance.

Hier wird auch deutlich, wie HIMs die mit der Mobilitätsanforderung einhergehende Belastung der zeitlichen Befristung, die Teil ihres beruflichen Alltags ist und sich auch auf ihre privaten und persönlichen Ortsbindungen auswirkt, umgehen können: Indem die Mobilitätsanforderung als Norm inkorporiert und damit als normal verstanden wird, kann der vorübergehende Charakter des Daseins, der Zustand der andauernden Befristung, als Normalzustand aufgefasst werden. Damit zeigt sich auch in der Arbeitswelt das Zusammenwirken von zeitlichen, sozialen,

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räumlichen und sozialräumlichen Momenten, wie ich es im vorangegangenen Kapitel für die HIMs charakterisiert habe. Aus einer solchen Denkfigur heraus ist es dann auch möglich, wiederholte internationale Migration als Lebensstil aufzufassen. Ein solcher Lebensstil kulminiert in der Aussage von Rieke, dass sie sich ein Leben ohne Migration, ohne räumliche Mobilität kaum vorstellen könne: „Ich könnte, glaube ich, erstmal immer so weitermachen.“ (Rieke, Pos. 78) Eine solche Dominanz des Diskurses um Mobilität als Anforderung bedeutet allerdings nicht, dass sich Menschen heutzutage grenzenlos und uneingeschränkt bewegen können, wie Jeanes et al. (2015, 705, Herv.i.O.) hervorheben: Even if discourses of free movement and mobilisation dominate within western society, free and autonomous movements and thus „boundaryless lives and careers“ are not fully sustained by current governmental policies and programmes [...].

Politische und rechtliche Rahmenbedingungen tragen, so die Argumentation hier, zur Herausbildung spezifischer Regime der Mobilität bei, indem sie Grenzüberschreitungen ermöglichen oder einschränken (Mau et al. 2015; zu Grenzregimen und Immigration auch Klepp 2010). Hinzu kommt, dass eine derart verstandene berufliche Mobilität in vielen Fällen (auch) ein Privileg ist und hier insbesondere als selbst gewählte Mobilität gilt. An diese Beobachtung knüpft Costas an und beschreibt zwei unterschiedliche Gruppen, die als Konsequenz der gesellschaftlichen Mobilitätsanforderung entstehen. Während sie den Begriff der Vagabunden von Bauman (z.B. 1996a, 662) übernimmt und damit u.a. illegal Eingewanderte und ZeitarbeiterInnen beschreibt, prägt sie für Baumans „Touristen“ den Begriff der „Mobilitätselite“ (kinectic elite), zu der Hochqualifizierte gehören (Costas 2013, 1468). Die beiden Gruppen entstünden nicht zuletzt aus diesem Mobilitätsregime heraus: studies have pointed out how mobilities give rise to vagabonds – the modern poor, immigrant, illegal wanderer or temporary worker, on the one hand, and the kinetic elite – the global professional, manager, politician and academic, on the other hand [...]. (Costas 2013, 1469)

Die arbeitsbedingte Migration lässt sich danach, und so findet es sich, wie Al Ariss und Crowley-Henry (2013, 80) zeigen, auch in der Management-Literatur, als ein variantenreiches Doppel von positiv konnotierter Mobilität der, vor allem aus westlich-industrialisierten Gesellschaften kommenden, (hoch) qualifizierten Menschen und negativ konnotierter (Im-)Migration von Menschen aus nicht-westlichen und/oder nicht-industrialisierten Gesellschaften verstehen (vgl. auch Garsten 2008, 12). Neben den unterschiedlichen Herkunftsgesellschaften liegt ein Unterschied auch in den zugeschriebenen Gründen der Mobilität: Während im Kontext der positiv konnotierten Mobilität in der Management-Literatur von „selbst initiierter Auswanderung [expatriation]“ (Ariss und Crowley-Henry 2013, 80, Herv.i.O., Übers. ALM) gesprochen werde, sei die negativ konnotierte (Im-)Migration von Menschen aus anderen Gesellschaften mit (ökonomisch) erzwungener Mobili-

5.1 Räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung

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tät gleichgesetzt. Auch dies ist ein Hinweis auf die unterschiedliche diskursive Wertigkeit von Mobilität. In ihrer Arbeit zeigen Jeanes at al. (2015) zudem, dass es in der Arbeitswelt und dem damit verbundenen Politikfeld eine Ambivalenz zwischen (rhetorischer) Mobilitätsanforderung und (praktisch vollzogener) Mobilitätseinschränkung gibt: while the mobilisation and empowerment of working subjects are broadly promoted and idealised […], current governmental policies structure and regulate movements and, more generally, the space of autonomy and freedom of individuals and groups of individuals according to very particular interests […]. (Jeanes et al. 2015, 706)

Mobilität ist, so die AutorInnen, nicht in jeder Form erwünscht, sondern wird vielmehr strategisch und interessengeleitet gefördert oder einzuschränken versucht, etwa über Migrationspolitiken. Der in der Arbeitswelt zu beobachtende Diskurs um räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung zeigt sich also im Detail als ein auf sehr spezifische Gruppen ausgerichteter Diskurs.36 Der Diskurs um Mobilität als gesellschaftliche Anforderung und um die Wertigkeit unterschiedlicher Mobilitäten ist für die individuelle Ebene folgenreich. Costas (2013, 1477–78) arbeitet auf der Grundlage ihrer empirischen Forschung zu BeraterInnen in zwei global agierenden Firmen die Ambiguität der Mobilität heraus, welche zum einen als glamourös und befreiend, zum anderen aber auch als destabilisierend und entwurzelnd erfahren und beschrieben wird. Dies führt sie dazu, die Metaphern des Nomadenhaften resp. Sesshaften für die Beschreibung hochgradig mobiler Leben zu verwerfen und stattdessen die Sartre’sche Metapher der „stickiness“ (Costas 2013, z.B. 1468) zu verwenden, um der inhärenten Widersprüchlichkeit von Mobilität, Mobilitätsanforderungen und -erfahrung Rechnung zu tragen. Interessanterweise verweisen ihre empirischen Daten auch auf eine sich verändernde Wahrnehmung der agency der Mobilität: Verstehen die Interviewees zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn und ihres mobilen Lebens diese Mobilität als selbstgewählt (z.B. indem sie beschreiben, wie sie sich explizit diesen Beruf und diese Firma ausgesucht haben, um beruflich mobil sein zu können (Costas 2013, z.B. 1477)), so wird die Mobilität im Verlauf der Berufsbiographie häufig als von außen auferlegt und vom Unternehmen gegen den eigenen Willen verlangt beschrieben (Costas 2013, 1480). Mit dieser Verlagerung der Handlungsfähigkeit, die mit einem Selbstverständnis als der Mobilitätsanforderung passiv ausgesetzt zusammenfällt, geht eine Abwertung des nomadenhaften Lebens zugunsten eines stärker ortsgebundenen Lebens einher. Letzteres wird dann potentiell idealisiert, was wiederum zu Enttäuschungen führen kann (Costas 2013, 1481). Schließlich ist Migration immer auch mit Risiken behaftet – etwa dem Risiko des Scheiterns der beruflichen Pläne, dem Risiko des Scheiterns der sozialen Einbindung, dem Risiko des Bindungsverlusts, aber auch mit dem Risiko der Gefahr 36

Zu einer detaillierten Beschreibung der Unterschiede in den Migrationsverläufen von hochund niedrigqualifizierten Arbeitskräften im Kontext der Globalisierung s. Favell, Feldblum und Smith (2007a); zu Fragen der politischen Steuerung und Regierung in einem „Zeitalter der Migration“ s. Munck (2008).

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für Leib und Leben, etwa bei Grenzübertritten oder im Fall eines Lebens in der Illegalität. MigrantInnen entwickeln hier spezifische Strategien des Umgangs mit diesen Risiken; eine davon zeigen Yeoh, Chee und Baey (2017) am Beispiel von HeiratsvermittlerInnen. Die Agenturen und ihre Angestellten vermitteln dabei zwischen vietnamesischen Frauen und singapurischen Männern, wobei sich letztere in der machtvolleren Position befinden, da die Mobilität von den Frauen verlangt (aber von ihnen selbst auch gewünscht) wird. Diese Form der kommerziellen Heiratsvermittlung rekonfiguriert das Risiko, das mit internationaler Migration verbunden ist: So kann es für die Frauen auf diese Weise risikoärmer sein, nach Singapur zu migrieren, da sie sich zunächst in einem institutionalisierten Setting befinden und sich das Wissen über das Leben im anderen Land und die Migrationswege nicht selbst aneignen müssen. Auch fallen eine möglicherweise illegale Anreise und der damit verbundene prekäre Aufenthaltsstatus in Singapur weg. Andererseits stellt die Vermittlungsagentur eine intermediäre Instanz dar, die Informationen filtert und die Erwartungen und Hoffnungen der Frauen für ihre und die Zwecke der Mandanten nutzt; das Wissen über die zukünftigen Ehemänner und z.B. ihre finanziellen Ressourcen liegt bis zum Ende nicht bei den zukünftigen Ehefrauen, sondern bei der Agentur (und den Männern selbst) (Yeoh, Chee und Baey 2017, z.B. 234). Der von vielen Frauen anvisierte ökonomische Aufstieg und damit die soziale Mobilität, die sie mit ihrer Migration von Vietnam nach Singapur erhoffen, führt dazu, dass sie sich in riskante Situationen begeben wie der, einen von einer Agentur vermittelten Mann in einem ihnen fremden Land zu heiraten. Diese Beispiele, die auf die emotionalen, psychischen und sozialen, aber auch ökonomischen Kosten von (wiederholter) Migration verweisen, zeigen den Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität schon an, dem ich mich im Folgenden ausführlich widmen werde. 5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität Betrachtet man die räumliche Mobilität von Personen als Teil eines Diskurses, welcher räumliche Mobilität als gesellschaftliche Anforderung formuliert und wirksam macht, so gehen mit Migration immer auch Formen der sozialen Mobilität einher. Der Aufstieg in einem Wirtschaftsunternehmen, zu dem als Voraussetzung ein Aufenthalt im Ausland gehört, verdeutlicht diese Kopplung von räumlicher und sozialer Mobilität und gesellschaftlicher Anforderungsstruktur. Zugleich zeigt sich, dass Migration mit einer Veränderung der, mit Bourdieu (1982) gesprochen, Kapitalausstattung einhergeht. Zum einen sind viele MigrantInnen damit konfrontiert, dass ihr institutionalisiertes kulturelles Kapital (Bourdieu 1982, z.B. 32), das sich etwa in Bildungsabschlüssen und Zertifikaten ausdrückt, in ihrem aktuellen Aufenthaltsland anders bewertet, häufig: abgewertet, wird. Zum anderen zeigen Studien, dass spezifische, über Migration erworbene Kompetenzen als linguistisches oder interkulturelles Kapital für die MigrantInnen von Vorteil in ihrem Be-

5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität

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rufsleben sind. Je nach biographischer Situation können die im Migrationsverlauf erworbenen Kompetenzen unterschiedlich eingesetzt werden, entfalten zusammen mit den unterschiedlichen Bewertungen der migrantischen Kapitalausstattung durch die Aufnahmegesellschaft und ihre Institutionen unterschiedliche Wirksamkeit. Dies ist etwa der Fall, wenn die während des vergangenen Aufenthaltes in Mexiko erworbene Kompetenz, spanisch zu sprechen, im neuen Aufnahmeland zu einem erweiterten Aufgabenbereich im Beruf führt. Für die Erklärung dieses Zusammenhangs von Biographie und migrationsbezogener Kapitalausstattung lässt sich neben Bourdieus Kapitaltheorie das Konzept der Statuspassagen verwenden, welches hilft, den Fokus auf die Übergänge zwischen den (biographischen und räumlichen) Stationen zu legen. Im Folgenden werde ich mich daher sowohl der Frage nach dem Zusammenhang von kulturellem und sozialem Kapital und Migration als auch der Rolle der Statuspassagen in Migrationsbiographien zuwenden. Ziel ist es, mithilfe dieser beiden Phänomene den Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität zu erhellen. Die räumliche Dimension ist dabei immer als Hintergrundfolie für die Wirksamkeit zu verstehen, die soziale Aspekte entfalten (können). 5.2.1 Soziales Kapital durch Migration Zu Beginn dieses ersten Buchteils Menschen und Mobilität habe ich auf die Verschränkung von sozialer und räumlicher Mobilität hingewiesen. Eine solche Verschränkung findet sich beispielsweise dort, wo im Zuge der Migration ein sozialer Auf- oder Abstieg zu beobachten ist. Grundsätzlich bezeichnet soziale Mobilität die Bewegung zwischen sozialen Gruppen oder Statusgruppen. Bei der vertikalen sozialen Mobilität geht es um soziale Auf- und Abstiege. Ein Aufstieg geht in der Regel mit einem höheren sozialen Prestige und, als Folge, teilweise mit höheren ökonomischen Ausstattungen, etwa höherem Arbeitsentgelt, einher. Die horizontale soziale Mobilität bezeichnet veränderte Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen, die bezüglich des sozialen Status auf einem vergleichbaren Niveau liegen. In Anlehnung an Bourdieu (1982) geht die Mobilität auf diese Weise mit einem Zuwachs an ökonomischem (höhere Entlohnung), sozialem (höheres soziales Prestige) und kulturellem Kapital (größere formale Bildung etwa durch Weiterbildungen) einher. Ich differenziere an dieser Stelle kulturelles und soziales Kapital und verstehe ersteres insbesondere als durch (Weiter-)Bildung jeder Art erlangte Kompetenzen, während letzteres die Fähigkeit bezeichnet, die eigenen Kompetenzen und Ressourcen dazu zu verwenden, eine spezifische soziale Position zu erlangen und/oder zu erhalten. Damit geraten die Praktiken der Inwertsetzung des eigenen Kapitals in unterschiedlichen Kontexten ebenso in den Blick wie die (institutionalisierten) Formen der Akquirierung von formalem Wissen. Diesen positiven Beispielen der Kopplung von räumlicher und sozialer Mobilität und der damit verbundenen Vergrößerung des Sozialkapitals stehen allerdings

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auch negative Beispiele anbei. Der Fall von Fluchtmigration zeigt etwa, dass räumliche Mobilität oft mit sozialer Mobilität im Sinne eines sozialen Abstiegs einhergeht, etwa wenn eine Person, die in ihrem Herkunftsland als Ärztin gearbeitet hat, im Aufnahmeland als Pflegekraft angestellt wird, weil ihre Qualifikationen nicht angerechnet werden und es somit zu einem skill downgrading kommt (z.B. Vallizadeh, Muysken und Ziesemer 2013; Muysken, Vallizadeh und Ziesemer 2015). Damit können auch Phänomene des de-skilling einhergehen, etwa wenn vorhandenes linguistisches Kapital im Aufenthaltsland nicht in symbolisches und letztlich ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann, da vor Ort die vorliegenden Sprachkompetenzen nicht gefragt sind (vgl. Favell, Feldblum, und Smith 2007b, 22). Anders als bei der Abwertung der Kompetenzen ist in dieser Situation die Kompetenz als solche gar nicht (d.h. noch nicht einmal in einem anderen Kontext) gefragt. Einen weiteren Fall der negativen Wirkung von räumlicher Mobilität auf die Karriereaussichten behandelt, wie oben ausgeführt, Hartmann (2016), der in seiner Studie zeigt, dass es eine zu lange Dauer für Auslandsaufenthalte gibt und eine bestimmte Dauer dazu führt, dass Entkopplungen von Netzwerken auftreten, die der Karriere – zumindest im eigenen Unternehmen – abträglich sind. Die Veränderungen in der Kapitalausstattung ließen sich für die verschiedenen Migrationsformen je gesondert diskutieren; an dieser Stelle möchte ich genauer auf die hochqualifizierten MigrantInnen eingehen. An ihrem Fall lassen sich die Wirkungen der grenzüberschreitenden Migration auf die Kapitalausstattung gut zeigen: Es werden Kompetenzen im Umgang mit dem Fremden angeeignet, Sprachen werden erlernt oder verbessert, neue soziale Kontakte werden geknüpft und die Voraussetzungen für Karriereaufstiege oder eine verbesserte ökonomische Situation gelegt. So zeigt Lan (2011) in ihrer, auch aus postkolonialer Perspektive instruktiven, Studie zu hochqualifizierten internationalen MigrantInnen in Taiwan, dass die aus dem Westen kommenden Personen in mehrfacher Hinsicht privilegiert sind: Sie sind weiß und gehören damit zu einer, diskursiv privilegierten, Gruppe; und sie sprechen Englisch, welches in Taiwan eine erstrebenswerte linguistische Kompetenz sind. Aus ihrer empirischen Studie schließt Lan (2011, 1670, Herv.i.O.): English-speaking Westerners can convert their native-language proficiency, as hegemonic linguistic and cultural capital, into symbolic prestige and economic and social capital in the global South. The English-language capital is, nevertheless, highly racialised: it has to be attached to white skin and only particular accents are considered „proper“ and valuable in the global socio-linguistic field.

Die Muttersprache Englisch wird im Kontext der taiwanesischen Gesellschaft zu einem symbolischen und ökonomischen Gut, das zu einer privilegierten sozialen Position führt. Diese positiven Wirkungen beziehen sich dabei insbesondere auf das inkorporierte und kulturelle Kapital, welches dann in symbolisches und ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann; institutionalisiertes kulturelles Kapital, etwa in Form von Zertifikaten oder Bildungsabschlüssen, können hier zwar auch eine Rolle spielen, sind allerdings für die schon berufstätigen MigrantInnen

5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität

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nicht so entscheidend für ihr berufliches Fortkommen wie das inkorporierte kulturelle Kapital.37 Voraussetzung für eine solche Privilegierung ist allerdings, dass in einem, wie Lan (2011) es nennt, „rassifizierten“ Diskurs die Zugehörigkeit zu „den Weißen“ eine besondere Wertigkeit besitzt und die englische Sprache hoch angesehen ist. Diese spezifische Privilegierung gehe allerdings, so Lan (2011, 1688), mit einer beruflichen Segregation vor Ort einher: For white English-speakers in Taiwan, their cultural backgrounds place them in privileged yet segregated job niches, because cultural essentialism is a double-edged sword that brings in ambivalent efects of positive racism.

Demzufolge ist ein spezifisches kulturelles, das heißt hier: sprachliches, Kapital nur in bestimmten Zusammenhängen zuträglich. Die Privilegierung bestimmter Sprachkompetenzen und damit die Zuweisung eines Status in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen geht mit einer Exklusion in anderen Bereichen, nicht zuletzt auf dem lokalen Arbeitsmarkt einher. Den Aspekt der sozialen Differenzierung und Exklusion machen auch Igarashi und Saito (2014) zum Thema ihrer Studie, in der sie die von bestimmten Gruppen von MigrantInnen angeeignete kosmopolitane Lebenshaltung38 als kulturelles Kapital fassen und die mit ihrer institutionalisierten Form verbundenen Stratifizierungsprozesse nachzeichnen.39 Eine Institutionalisierung einer kosmopolitanen Lebenshaltung findet, so Igarashi und Saito (2014, 226–27 resp. 229–31), etwa durch die schulische und die universitäre Ausbildung, aber auch durch Sozialisation und familiär vorhandene Kapitalausstattung statt. Beides geht mit sozialen Exklusionsprozessen einher, die im Kontext einer durch internationale Ranglisten geprägten, neoliberal gerahmten Universitätslandschaft noch verstärkt würde (Igarashi und Saito 2014, 227). Zusammen mit der Hegemonie eines spezifischen westlichen (Aus-)Bildungssystems, welches diskursiv als globaler Standard wirksam sei, fände über diese Prozesse der Ausbildung und Sozialisation eine Institutionalisierung einer kosmopolitanen Lebenshaltung als kulturelles Kapital statt. Kosmopolitanismus, hier gemessen als Quantität und Qualität der „transnationalen Verbindungen“ (Igarashi und Saito 2014, 230, Übers. ALM), welche auch das linguistische Kapital (Anzahl und Art der gesprochenen Sprachen) einschließt, geht so mit spezifischen sozialen Einund Ausschlüssen einher, die dazu beitragen, soziale Status zu festigen und Wechsel zwischen Status zu ermöglichen oder zu verhindern. 37 38 39

Eine Ausnahme stellen in meiner Untersuchung diejenigen HIMs dar, die für ihre Promotion in ein anderes Land gezogen sind. Hier sind sowohl das inkorporierte als auch das institutionelle kulturelle Kapital wichtig für ihre (Migrations-)Biographien. Vgl. Saito (2011) für eine ANT-orientierte Perspektive auf eine kosmopolitane Lebenshaltung. Nowicka (2012, 9) spricht der durch räumliche Mobilität zustande kommenden kosmopolitanen Lebenshaltung eine politische Bedeutung zu: „I argue that mobility has a potential both to produce modes of peaceful togetherness and the alternative geographies which are the key element of cosmopolitanism.“

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5 Menschen, Mobilität und Migration

Dem Aspekt der sozialen Status und der Wechsel dieser Status wende ich mich nun im Detail zu. Dabei verwende ich meine empirischen Daten, um zu zeigen, dass sowohl bestimmte Status – etwa als Berufseinsteigerin oder als Vater – als auch der Wechsel von einem sozialen Status in einen anderen – eine Statuspassage – eine Dimension von Biographien sind, die im Leben der internationalen MigrantInnen eine wichtige Rolle spielen und quer zu den Unterscheidungen von sozialer und räumlicher Mobilität, Aufstieg und Abstieg liegen, diese aber verstärken, verlangsamen oder modifizieren können. 5.2.2 Statuspassagen Soziale Mobilität ist nicht nur mit sozialem Aufstieg oder Abstieg innerhalb einer Gesellschaft verbunden. Vielmehr gehen damit Zuweisungen und Übernahmen von unterschiedlichen sozialen Status einher. Um einen anderen Status annehmen zu können, müssen die MigrantInnen – wie alle anderen Gesellschaftsmitglieder auch – bestimmte Prozesse durchlaufen, die man als Statuspassagen (Glaser und Strauss 1971) oder rites de passage (van Gennep 1986[1909]), zu deutsch Übergangsriten, bezeichnen kann. Das Konzept der Statuspassagen wurde prominent von Glaser und Strauss (1971) ausgearbeitet und bezeichnet den Wechsel zwischen sozialen oder gesellschaftlichen Status. Darunter Statuspassagen fallen ganz unterschiedliche Phänomene: die Krankheit, der Hochschulabschluss, die Haftstrafe, die Hochzeit, das Alter. Statuspassagen weisen dabei verschiedene Dimensionen auf, die je nach Passage zeitlich und räumlich unterschiedlich ausgeprägt und ausgestaltet sein können. Sie lassen sich anhand von sechs verschiedenen Merkmalen beschreiben und unterscheiden (Glaser und Strauss 1971, z.B. 4–5): • reversibility: Eine Passage kann, muss aber nicht umkehrbar sein – Krankheit kann umkehrbar sein, aber Alter zum Beispiel nicht. • temporality: Passagen können zeitlich unterschiedlich lang ausgedehnt sein. • shape: Passagen können inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet sein, einzelne Perioden umfassen und auch unterschiedliche Formen von Kontrolle über die Passagen beinhalten. • desirability: Passagen können von den verschiedenen betroffenen Parteien angestrebt werden oder nicht – eine Haftstrafe etwa wird selten angestrebt,40 eine Hochzeit oftmals schon. 40

Für eine interessante Ausnahme vgl. Goffman (2014, z.B. 91–95). Hier werden in bestimmten Fällen Haftstrafen tatsächlich angestrebt, um temporär auftretender massiver Bedrohung auf der Straße, etwa durch rivalisierende gangs, zu entgehen, wie Goffman (2014, 91) beschreibt: „When the 6th Street Boys found themselves under threat from other groups of young men from neighboring blocks, they sometimes manipulated their legal entganglements so as to get taken into custody voluntarily, in effect using jail as a safe haven from the streets.“

5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität

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• circumstantiality: Passagen können in unterschiedlichen sozialen Kontexten vollzogen werden, etwa indem sie alleine, mit anderen zusammen oder als Kollektiv durchlaufen werden. • [engagement in] multiple status passages: Häufig sind Menschen gleichzeitig in verschiedene Statuspassagen involviert – etwa wenn Studium und Hochzeit sich zeitlich überlagern. Die Wechsel zwischen den verschiedenen Status, etwa vom Single zur verheirateten Frau, gehen mit Deutungsunsicherheiten einher, da das Wissen über den zukünftigen Status begrenzt ist. Ein Beispiel für eine solche Statuspassage ist die des Erwachsenwerdens, die für die HIMs auch mit spezifischen beruflichen Phasen im Ausland zusammenfällt. Eingebettet in den biographischen Verlauf lassen sich, aus analytischer Perspektive, die Zeit im Ausland und die dort gemachten Erfahrungen als Übergang etwa von der Hochschulabsolventin zur etablierten Arbeitnehmerin beschreiben und damit als eine bestimmte Form des Erwachsenwerdens. Hinzu kommt etwa bei Dora oder Luis, dass der heutige Status der eines Elternteils ist, während sie vorher kinderlos waren. Es liegt also zudem eine zeitliche Überlappung mit einer zweiten Statuspassage vor: der von der kinderlosen Erwachsenen zu einem Elternteil. In Doras Fall liegt ein weiterer Statuswechsel vor, da sie während ihrer Zeit als Berufsanfängerin in den USA eine unverheiratete Frau war und heute verheiratet ist. Im Vergleich dieser drei verschiedenen Passagen zeigt sich, dass die Passagen unterschiedlich lang sind und unterschiedliche Personen involviert sind. Nach der Beschreibung von Glaser und Strauss wären damit die Kriterien der Zeitlichkeit, der Erwünschtheit, der Kontexteinbindung – also der circumstantiality – und des zeitgleichen Durchlaufens verschiedener Passagen erfüllt. Für räumlich mobile Personen sind allerdings nicht nur diese zeitlichen und sozialen Aspekte von Statuspassagen bedeutsam, die Glaser und Strauss adressieren. Vielmehr liegen hier, und dies gilt insbesondere für internationale MigrantInnen, auch räumliche Merkmale vor, die die über die Zeit vollzogenen und in soziale Kontexte eingebetteten Statuspassagen kennzeichnen. Dora durchläuft die Passage von der Hochschulabsolventin zur Arbeitnehmerin auch räumlich, indem sie von Deutschland in die USA umzieht; der Status der Hochschulabsolventin ist in Deutschland verortet, der Status der Arbeitnehmerin in den USA. Dieser Statuswechsel vom kinderlosen Single zur verheirateten Ehefrau vollstreckt sich über einen im Vergleich längeren Zeitraum und auch über eine andere räumliche Konstellation: Als kinderloser Single lebt Dora in den USA und in der Schweiz, bevor sie in der Schweiz die Beziehung mit einem Mann beginnt und ihn schließlich heiratet. Diese zusätzliche räumliche Dimension bleibt bei Glaser und Strauss weitgehend unberücksichtigt, da es ihnen im Besonderen um die sozialen und zeitlichen Aspekte derartiger Status und Statuswechsel geht. Die räumliche Dimension lässt sich allerdings sehr sinnvoll in das Konzept integrieren. Wenn sich für Übergänge zwischen sozialen Status sagen lässt, dass damit neue soziale Verortungen einhergehen, indem Personen eine soziale Rolle verlassen, eine neue

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5 Menschen, Mobilität und Migration

Rolle übernehmen und darüber einen anderen Platz im Gefüge der Gesellschaft zugewiesen bekommen und übernehmen, so lässt sich die Frage nach der räumlichen Dimension einer solchen Verortung stellen. Wenn John von seinem Kollegen erzählt, der im Zuge seines Umzugs in die Niederlande entscheidet, zukünftig statt seines ersten Vornamens seinen zweiten Vornamen als Rufnamen zu verwenden, markiert der Kollege damit auch den Vollzug einer Statuspassage: ein neuer beruflicher Abschnitt beginnt. Durch den Umzug in ein anderes Land wird ein solcher Wechsel erleichtert. Die Statuspassage stellt in diesem Fall nicht nur eine zeitliche und soziale, sondern auch räumliche Transitzone dar. Nohl et al. (2006, Abs. 20) adressieren ein solches Zusammenfallen von Status, Zeit und Raum für den Fall der internationalen MigrantInnen für den Übergang vom Bildungsabschluss in den Arbeitsmarkt und stellen fest: „Die zeitliche und räumliche Dynamik der Verwertung kulturellen Kapitals lässt sich als Statuspassage von MigrantInnen untersuchen.“ Um das Zusammenfallen von sozialen, zeitlichen und räumlichen Aspekten zu fassen, verstehen sie einen solchen Übergang als „Statuswechsel aufgrund eines in der eigenen Biographie oder durch die Familie vollzogenen Übergangs zwischen Nationalstaaten mit ihren Bildungssystemen und Arbeitsmärkten.“ (Nohl et al. 2006, Abs. 28) Das Konzept der Statuspassagen hilft also bei der Erklärung, warum es zu Verschiebungen in der sozialen Verortung von HIMs kommt. Ein Status geht mit spezifischen sozialen Verortungen einher, denen charakteristische Grenzziehungen zugrunde liegen: als kinderloser Single verortet sich Dora in einer anderen Gemeinschaft als als Ehefrau und Mutter. Kommt es zu einem solchen Wechsel im Status, kommt es auch zu Verschiebungen der sozialen Verortung; entsprechend verändern sich auch die Grenzziehungen, wenn das Wir nicht mehr die anderen kinderlosen Mitt-Zwanziger und das die Anderen die Eltern mit Kindern meint, sondern die Anderen die kinderlosen Erwachsenen sind. Derartige Veränderungen weisen immer auch eine räumliche Dimension auf, etwa wenn die Familie mit zwei Kindern sich entscheidet, aus dem innenstadtnahen Wohngebiet an den Stadtrand zu ziehen (vgl. z.B. Hinrichs 1999). Diese sozialen und räumlichen Grenzziehungen sind weniger als sozialräumliche, der gesellschaftlichen Integration abträgliche Segregation zu verstehen. Vielmehr sind sie Ausdruck spezifischer, sich sozialräumlich niederschlagender Strategien im Umgang mit Statuspassagen, welche auf den Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität über den Zeitverlauf verweisen. Es geht hierbei also weniger um das Vollziehen einer Selbstausgrenzung aus bestimmten Gruppen, sondern vielmehr um die Selbst-Einschließung in spezifische Gruppen. Diese Inklusion kann als spezifische Bewältigungs- oder coping-Strategie verstanden werden, um den mit Statuswechseln verbundenen Deutungsunsicherheiten zu begegnen (zum Konzept des coping z.B. Lazarus 1991). Es gibt allerdings Einschränkungen in der Reichweite des Konzeptes der Statuspassagen als Erklärung für individuelle und kollektive Lebensformen und letztlich die Sozialstruktur einer Gesellschaft. Wie ich gezeigt habe, weisen die von mir

5.2 Der Nexus von räumlicher und sozialer Mobilität

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interviewten internationalen MigrantInnen gleichzeitig verschiedene Erfahrungshorizonte auf, welche auf vergangene Status verweisen. Verbunden damit ist die Entstehung hybrider Lebensstile, die Elemente vergangener und aktueller Status beinhalten, etwa die Präferenz für ausgewähltes Essen oder eine bestimmte Musik. Hier hilft das Konzept der Statuspassagen mit seinem stark linearen Verständnis von individueller Entwicklung nur bedingt, diese Hybridität zu erklären. Die oben für den Fall der Migration diskutierte Bourdieu’sche Kapitaltheorie und das damit verbundene Habitus-Konzept können hier helfen, diese analytische Lücke zu schließen. Habitus, wie Bourdieu sie konzipiert, weisen Beharrungseffekte auf (Bourdieu 1982, z.B. 238). Spuren des Alten (des Lebens, der Wertvorstellungen, der Praktiken) bleiben demnach sehr lange sichtbar und beobachtbar und können auch über Statuswechsel hinweg Wirksamkeit entfalten. Das während eines Status erworbene Kapital akkumuliert sich im Verlauf einer Migrationsbiographie, wird in den unterschiedlichen Status auf je spezifische Weise zur Anwendung gebracht und darüber aktualisiert (oder, wie im Fall von Sprachkompetenzen, auch nicht) und trägt über die Zeit nicht nur zu der Ausformung eines charakteristischen Lebensstils bei, sondern hat auch das Potential, den über Sozialisation erworbenen Habitus zu transformieren. Der Erwerb von Sozialkapital und das Durchlaufen von Statuspassagen sind, wie die Ausführungen gezeigt haben, für MigrantInnen in spezifischer Weise wirksam. Räumliche Mobilität und soziale Mobilität – sowohl horizontal als auch vertikal – sind also eng miteinander verknüpft. Dieses Kapitel hat diese Modi von Mobilität von Menschen aus verschiedenen Perspektiven zum Thema gemacht: als globale und lokale Verflechtung, als Grenzziehungsprozess, als Entflechtung von insbesondere lokalen Kontexten. Während es im ersten Teil um Mobilität als Form und Ermöglichung von Verflechtungen ging, ging es im zweiten stärker um Grenzziehungen und die Mobilität als Modus der Entflechtung, etwa von lokalen Bindungen. Werden Orte verlassen, werden Bindungen – an die Orte, die Menschen, die Objekte – aufgelöst, es findet eine temporäre Entflechtung vom lokalen Kontext statt. Gleichzeitig bleiben globale Verflechtungen bestehen, da die Kontakte etwa zu Freunden und Familienangehörigen an anderen Orten Bestand haben. Bei der erneuten Ansiedlung an einen Ort findet dann eine erneute Verflechtung mit den jeweiligen lokalen Gegebenheiten statt und es werden neue Netzwerke etwa zu den ArbeitskollegInnen oder der lokalen international community aufgebaut. Im Zuge dieser lokalen Verflechtungen können sich die globalen Verflechtungen lockern, aber, und das belegen die hier vorgestellten empirischen Daten, sie lösen sich nie vollständig auf. Für beide Modi der Mobilität – Verflechtung und Entflechtung – spielen neben Menschen auch Objekte eine wichtige Rolle. Ihnen widme ich den zweiten Teil dieses Buches.

Teil II: Menschen und Objekte

6 Materialität und Gesellschaft

Die Beziehung von Menschen und Objekten 41 und damit von Sozialem und Materiellem hat eine lange Tradition als Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. So waren frühe ethnologische und anthropologische Arbeiten mit der Beschreibung und Analyse von Gegenständen befasst, die von den für die ForscherInnen fremden Völkern im Alltag und in außeralltäglichen Situationen, etwa bei Zeremonien, benutzt wurden. Der Ethnologische Atlas von Finsch (1888a) zeigt ausführliche Beschreibungen unterschiedlicher Gegenstände und ihrer Verwendungen durch die beobachteten Menschen im damaligen Englisch-Neu-Guinea. Die Gegenstände umfassen von Musikinstrumenten, Kleidung und Geschirr vieles, das wir heute als Alltagsgegenstände bezeichnen. Es gehören aber auch Gegenstände dazu, die nach der Beschreibung von Finsch und seinen Begleitern für außeralltägliche Rituale und Zeremonien verwendet wurden, etwa Masken. Der Atlas enthält außerdem Beschreibungen von physisch-räumlichen Arrangements, einzelnen Hütten oder ganzen Dörfern der BewohnerInnen Papua-Neuguineas. Durch Zeichnungen werden die Beschreibungen ergänzt und geben heute einen Einblick nicht nur in die materielle Welt dieser BewohnerInnen Papua-Neuguineas der damaligen Zeit. Sie geben darüber hinaus einen starken Eindruck der Wahrnehmung und Interpretation dieser Assemblage von sozialen, materiellen und räumlichen Bestandteilen ihres Lebens aus der Sicht eines westlichen Forschers, der die Einleitung zu seinem Ethnologischen Atlas. Typen aus der Steinzeit Neu-Guineas wie folgt beschließt:42 Weit über die Grenzen des Notwendigsten hinaus betritt der sogenannte Naturmensch bereits das Gebiet des Luxus und entwickelt in Ausschmückungen von Gegenständen desselben eine Ornamentik, die in ihrer Vielseitigkeit und Ausführung oft Bewunderung verdient. Die „Typen“ dürften daher wohl von allseitigem Interesse und als eine Kunde nicht nur der Steinzeit im allgemeinen, sondern auch unserer neuen Landsleute in Kaiser-Wilhelms-Land im besonderen willkommen sein. Sie werden hoffentlich auch dazu beitragen den gefürchteten Papua Neu-Guineas in einem günstigeren Lichte als dem des „Wilden“ erscheinen zu lassen, wie der 41 42

Im Folgenden verwende ich die Begriffe Objekt und Ding synonym. Für eine ausführliche Darstellung und Analyse dieses Werks aus historischer Perspektive s. die Arbeiten von Tobias Goebel (Universität Bremen/Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven).

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6 Materialität und Gesellschaft Kulturmensch schon in Gedanken an die „Nacktheit“ desselben ohne Weiteres meist folgert. (Finsch 1888a, 3–4, Herv.i.O.)

Deutlich kommt die koloniale Haltung des Autors in diesem Textausschnitt zum Ausdruck, aber auch die Absicht, durch die Darstellung und ausführliche Beschreibung des Anderen Verständnis zu schaffen und die Dichotomie von westlicher Hochkultur und nicht-westlicher sogenannter Rückständigkeit zumindest um die Einsicht zu ergänzen, dass der, mit Finsch’schem Vokabular gesprochen, „nackte Wilde in Papua Neu-Guinea“ auch über Gegenstände verfügt, die in ihren über das Notwendige hinausgehenden Ausführungen hochkulturelle Merkmale aufweisen. Wie lässt sich das Verhältnis von Materialität und Gesellschaft nun genau beschreiben? Ich schlage in dieser Arbeit vor, beides als miteinander verflochten zu begreifen, und wende mich diesem Nexus nun zu. Sind die Ausführungen Finschs insbesondere aus postkolonialer Perspektive aufschlussreich und erhellend, so enthalten sie darüber hinaus Hinweise, die für die materialitätssensitive Perspektive der vorliegenden Arbeit und den Umgang der HIMs mit Objekten und ihrer gebauten Umwelt sehr instruktiv sind. Es sind Hinweise auf die Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten. Durch die getrennte zeichnerische Darstellung von Gegenständen einerseits und kurzen textlichen Beschreibungen der Verwendung der Gegenstände andererseits wird diese Verflochtenheit von Finsch größtenteils aufgebrochen und entflochten; deutlich wird, dass dies nicht Gegenstand von Finschs Interesse war. Aber die Verflechtungen sind nicht vollständig aufzulösen und werden auch in diesen Darstellungen immer wieder sichtbar und damit analysierbar. So zeigt folgende Beschreibung die Verschränkung von materiellen, räumlichen und sozialen Aspekten des vor Ort Gesehenen: An dem Sandstrande der Westseite landeten wir und besichtigten das Dorf. Die Häuser desselben liegen wie immer sehr zerstreut, sind groß, sehr gut gebaut und stehen niedrig auf Pfählen. Vor der Thür ist ein breiter, von dem seitlich weit herabhängenden Dach mit bedeckter Vorplatz, wie dies die beigegebene Abbildung am besten zeigen wird. Ich entdeckte auch das etwas abseits unter Bäumen verfleckte Versammlungshaus der Männer, „Dasem“ genannt. Es enthielt ein paar Holz-Signaltrommeln, hier „Do“, von kolossaler Größe […], dadurch neu, daß an dem einen Ende ein großes Loch durchgebohrt war, um, wie die Männer andeuteten, einen Strick durchziehen und so das schwere Instrument leichter bewegen zu können. (Finsch 1888b, 101–102, Herv.i.O.)

Die Beschreibung am Ende des Zitats lässt Rückschlüsse auf Handlungen zu, die von den lokalen BewohnerInnen mit den materiellen Objekten in einem spezifischen physisch-räumlichen Umfeld vollzogen werden. Die hier angedeutete Verflochtenheit von Menschen und Objekten und die Einbindung von Objekten in Praktiken ist Thema dieses zweiten Buchteils, in dem es um die Beziehung von Objekten und Menschen im Fall der HIMs geht. Objekte sind dabei nicht nur aufgrund ihrer über-funktionalen Bedeutungen, die als Symbole intersubjektiv zugänglich sind und das Hier und Jetzt transzendieren, für eine Gesellschaft und für soziale Beziehungen und Verhältnisse jeglicher

6.1 Der Nexus von Materialität und Gesellschaft 6 Materialität und Gesellschaft

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Art bedeutsam. Vielmehr stehen Objekte und Menschen in einem Verhältnis der Interdependenz. Die in diesem Buch vertretene allgemeine These lautet daher: Sozialität und Materialität sind ko-konstitutiv. Spezifisch für den vorliegenden empirischen Fall: Was bedeutet eine solche Perspektive für die Analyse von Migrationsphänomenen im Allgemeinen und für hochqualifizierte internationale MigrantInnen im Besonderen? Dieser Frage werde ich im Folgenden nachgehen und dabei auch das empirische Material aus meiner Forschung zur Sprache kommen lassen. 6.1 Der Nexus von Materialität und Gesellschaft Die Beschäftigung mit der Beziehung von Materialität und Sozialität hat in den letzten Jahrzehnten auch in anderen Disziplinen als der Anthropologie deutlich an Bedeutung gewonnen. Zwei thematische Stränge lassen sich identifizieren, in denen der Materialität eine je unterschiedliche Rolle für das Soziale und für Gesellschaften zugesprochen wird: So gibt es auf der einen Seite die Ansätze, die materielle Dinge als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse interpretieren und ihnen in erster Linie symbolische und repräsentative Bedeutung zusprechen. Dieses Verständnis einer das Soziale darstellenden und abbildenden Materialität findet sich in Teilen der Ethnologie und Anthropologie, der Soziologie und Geschichtswissenschaft sowie in den material culture studies. Für moderne Gesellschaften geht es bei diesem Verständnis insbesondere um kulturell überformte, artifizielle Gegenstände wie Statuen, Ornamente, Schmuck oder Embleme. Etwas holzschnittartig lässt sich für diese Seite der Debatte sagen, dass das Soziale vor dem Materiellen entsteht und letzteres das, was sozial vorhanden ist, symbolisiert, repräsentiert oder darstellt.43 Auf der anderen Seite gibt es Ansätze, die den physisch vorhandenen Dingen in besonderer Weise eine Bedeutung für die Hervorbringung von Sozialem und Gesellschaft als solcher zusprechen. Nach dieser Auffassung sind Objekte maßgeblich daran beteiligt, das hervorzubringen, was wir Kultur nennen können: spezifische Formen von Wissen, Praktiken, Institutionen, soziale Hierarchien, Geschlechterrollen. Nach dieser Auffassung spielen dafür sowohl menschengemachte Artefakte als auch zunächst prä-kulturell vorfindliche Dinge wie Steine oder Bäume eine Rolle. Anders als für die VertreterInnen einer Dinge-als-Symbol-Theorie ist aus dieser Sicht das Materielle dem Sozialen insofern zeitlich vorgelagert, als es an der Herstellung von Sozialität und Gesellschaft mit beteiligt ist. Ein solches Verständnis der Materialität als ko-konstitutiv für soziale Verhältnisse und Gesellschaft lässt sich insbesondere in interdisziplinär informierten Arbeiten finden, die dem Bereich der science and technology studies (STS) mit ihren verschiedenen 43

In der vorliegenden Arbeit wird von einer Wechselbeziehung von Sozialität und Materialität ausgegangen; es wird nicht die ontologische Frage gestellt, was zuerst da war, sondern die epistemologische Frage, wie die Beziehung verstanden werden kann, steht im Mittelpunkt des Interesses.

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6 Materialität und Gesellschaft

Spielarten und Ausprägungen zugeordnet werden können, sowie in den Arbeiten des sogenannten new materialism. Grundsätzlich findet sich heute in den Sozialwissenschaften eine verbreitete Überzeugung, dass Materialität eine nicht zu vernachlässigende Dimension in der Analyse sozialer und sozialräumlicher Phänomene darstellt (Dant 2005; Hodder 2012).44 Dabei geht es den meisten WissenschaftlerInnen darum, wie Jackson (2000, 13. Herv.i.O.) es formuliert, die Materialität nicht per se als handelnd zu begreifen und in jeder Forschung zum Gegenstand zu machen, sondern sie dann zu berücksichtigen, wenn sie eine Rolle spielt: „our emphasis should be on when and where the materiality of material culture makes a difference rather than assuming its importance in an a priori manner.“ Nur scheint das Problem darin zu liegen, zu entscheiden, wann die Materialität eben diesen Unterschied macht – wenn, in Latours (2007, 123) Worten, aus Aktanten Akteure werden. Im folgenden Kapitel 7 werde ich die beiden hier skizzierten Theoriestränge ausführlicher vorstellen und die Vor- und Nachteile einer sich auf eine der beiden Seiten fokussierenden Analyse diskutieren. Darauf aufbauend werde ich die in diesem Buch verfolgte These vorstellen, dass Sozialität und Materialität zwar ko-konstitutiv sind, der Symbol- und Zeichengehalt von Objekten für Menschen und ihr Zusammenleben in Gesellschaften dabei aber nicht vernachlässigt werden darf. Abschließend werde ich den konzeptionellen Mehrwert einer solchen Perspektive für die humangeographische Beschäftigung mit grenzüberschreitenden Bewegungen, wie sie die internationale Migration darstellt, verdeutlichen und hier insbesondere die HIMs zur Sprache kommen lassen. An ihrem Umgang mit Dingen wird deutlich, dass wiederholte räumliche Mobilität und damit das mehrfache uprooting nicht bedeutet, keine oder nur situativ Bindungen zu Besitztümern herzustellen, wie etwa Bardhi et al. (2012) es nahelegen. Vielmehr zeigt sich, dass das Balancieren zwischen Hier und Dort gerade mithilfe der Objekte realisiert wird und auf diese Weise die Menschen und die Objekte Teil der spezifischen MenschObjekt-Ort-Relation sind, die die wiederholte internationale Migration mit ihren charakteristischen Merkmalen hervorbringt. Wie dies vor sich geht, skizziere ich im Folgenden einführend, bevor ich mich in den Kapiteln 7 und 8 ausführlich der konzeptionellen Fassung und empirischen Ausgestaltung dieser Mensch-ObjektOrt-Relationen widme.

44

Für einen Überblick über die Entwicklung in den Sozialwissenschaften z.B. Reckwitz (2002) und Mukerji (2015); für die Geographie z.B. Kearnes (2003) sowie Anderson und Tolia-Kelly (2004); für postkoloniale Perspektiven in der Geographie z.B. McEwan (2003).

6.2 HIMs und Objekte

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6.2 HIMs und Objekte Die HIMs beschreiben sehr unterschiedliche Umgangsweisen mit Objekten und sprechen ihnen auch sehr unterschiedliche Bedeutungen zu. Holger beschreibt hier ein für viele der von mir interviewten hochqualifizierten MigrantInnen typisches Verhältnis zu ihrem Besitz: Und ich muss sagen, ich habe auch sehr schnell vergessen, was wir eigentlich an Besitzständen überhaupt hatten, das ist mir erst wieder eingefallen, [als ich die Dinge wieder gesehen habe]. (Holger, Pos. 38)

Das häufige Wechseln der Wohnorte bringt bei den HIMs auf der einen Seite ein Bewusstsein für die Last von Objekten mit sich, da jedes Mal wieder darüber nachgedacht werden muss, wie mit der reinen Physis der Dinge umgegangen wird: Werden Möbel verkauft oder mitgenommen? Werden Fotografien digitalisiert, damit die schweren Fotoalben nicht an den neuen Ort transportiert werden müssen? Werden Bücher mitgenommen oder bei Familienangehörigen eingelagert? Diese Fragen weisen die HIMs immer wieder auf die physische Beständigkeit ihrer Besitztümer hin, mit der insbesondere in Momenten der Mobilität umgegangen werden muss. Gleichzeitig erfahren viele der von mir interviewten Personen das, was Holger im oben angeführten Zitat beschreibt: die Erkenntnis, dass von den Dingen, die sie im Alltag umgeben, die wenigsten für sie emotional und funktional so wichtig sind, dass sie auf ihre Reisen mitgenommen werden müssen. Damit geht häufig einher, dass vergessen wird, was genau, wie im Fall von Holger, bei einer Firma eingelagert ist. Erst das erneute Sehen der Objekte führt zu einem erneuten Erkennen ihres Wertes – das Wiedersehen des physischen Objektes geht mit einem Wiedererkennen des emotionalen Wertes einher, die sinnliche Wahrnehmung mit der emotionalen Wahrnehmung. Dabei sind die Dinge nicht so sehr als Symbole im Sinn von überindividuellen, Zeit und Raum transzendierenden Verweisungszusammenhängen (Schütz 2003) zu verstehen, wie ich im Folgenden zeigen werde. Da die Objekte der HIMs immer wieder in neue Kollektive eingebunden werden und stärker situativ und ortsgebunden Bedeutung gewinnen (oder verlieren) denn überzeitlich und -örtlich ihre Bedeutung behalten, dienen die Objekte stärker als Merkzeichen denn als Symbole: Sie sind eng an die biographischen Situationen und Erfahrungen der HIMs gekoppelt und knüpfen kaum an ein kollektiv geteiltes, räumliche und zeitliche Grenzen und das eigene Selbst transzendierendes Wissen an, wie Schütz es für Symbole beschreibt. Die Bedeutung, die die Dinge aufweisen, ist sehr viel stärker intrasubjektiv als intersubjektiv, sie wird nicht von mehreren Personen über Raum und Zeit hinweg, sondern von den verschiedenen biographischen Entitäten der HIMs geteilt: Der Teil des Selbst von Lola, der in Benin war, teilt das Wissen um die Bedeutung der CDs mit dem Teil des Selbst, der in Cambridge war, und dem, der jetzt in Genf lebt. Dennoch gelten der überzeitliche und überräumliche Charakter, den Schütz als Merkmal für Symbole herausarbeitet, auch für die hier vorfindliche Bedeu-

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6 Materialität und Gesellschaft

tungsdimension: Er verleiht Stabilität und eine vergleichsweise Festigkeit über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg, aber eben nur intrasubjektiv und nicht intersubjektiv. Es geht gerade nicht darum, dass die Bedeutung intersubjektiv zugänglich ist; vielmehr sind die Objekte und das, was die Personen ihnen über ihre Funktion zuweisen, im Bereich der Geheimnisse und des Selbst angesiedelt. Die Objekte haben für die HIMs also einen Charakter der individuellen Versicherung der Stabilität. Dieser innersubjektive Charakter erklärt auch, warum in vielen Interviews geradezu entschuldigend erläutert wird, dass bestimmte Objekte weiterhin mit umgezogen und aufbewahrt werden, obwohl sie ihren funktionalen Wert verloren haben: Ich hatte ein T-Shirt, das ich immer mitgeschleppt habe, obwohl ich es kaum getragen habe. Das war ein T-Shirt, das ich mir damals im Libanon, also der Heimat, gekauft hatte, und das T-Shirt war noch zerrissen, hatte Löcher drinnen. (Djadi, Pos. 59)

Djadis Beschreibung seines T-Shirts macht deutlich, dass es bei den Dingen, die die HIMs begleiten, häufig nicht um die funktionale Bedeutung der Objekte geht. Vielmehr ist die „emotionale Bedeutung“, wie Djadi sie nennt, entscheidend bei der Entscheidung, ob etwas mit umgezogen wird. Dies ist nun bei einem T-Shirt vergleichsweise einfach zu leisten, da es weder besonders schwer ist noch sonderlich viel Platz im Koffer einnimmt. Wie aber ist es mit dem Cello, das meine Interviewpartnerin Yuna immer begleitet, und der Plattensammlung, die mein Interviewpartner Ryan bei einem Verwandten eingelagert und am aktuellen Wohnort schmerzlich vermisst? Diese Objekte sind wichtig für die Identität der HIMs, die soziale Identität der Menschen ist mit den Objekten verflochten. Für die HIMs gilt, was Miller (2010, 63–65) über seinen Interviewpartner Simon schreibt, der wie Ryan eine große Plattensammlung besitzt: Er verwendet Musik, um zur Ruhe zu kommen oder sich auf eine Verabredung oder Party einzustimmen, aber auch, um sich selbst zu parodieren oder in Frage zu stellen. […] Simon gibt sich jedoch nicht damit zufrieden, seine innere Vorstellungswelt zu stimulieren. Er will seine Ideen und Vorstellungen auch der Außenwelt mitteilen. […] Simon möchte, daß seine Außendarstellung möglichst konsistent und stets auf dem neuesten Stand ist. Er möchte sie jederzeit korrigieren, sein Selbst regelmäßig neu komponieren und konstruieren können. Deshalb muß er soviel Musik zur Hand haben wie möglich, auf Vinyl oder CD. Deshalb besitzt er so viele Platten, auf die er zugreifen kann wie ein Koch auf seine Gewürze. Und daher grämt es ihn auch, daß er derzeit große Teile seiner Sammlung auslagern muß.

Das Selbst und seine materiellen Objekte sind hier aufs Engste miteinander verwoben. Und dies ist auch die zentrale Annahme in diesem Buch: Auf individueller Ebene sind die HIMs auf Engste mit ihren Objekten verflochten. Auf struktureller Ebene bedeutet dies als Konsequenz, dass Materialität ko-konstitutiv für Gesellschaft ist und Sozialität mit hervorbringt (dazu auch Müller und Reichmann 2015). Dabei geht es mir nicht darum zu sagen, dass menschliche und nicht-menschliche Akteure per se gleichberechtigt und in immer gleicher Weise an der Hervorbringung von Gesellschaft beteiligt sind. Vielmehr betone ich, dass „jedes Ding, das

6.2 HIMs und Objekte

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eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, ein Akteur – oder, wenn es noch keine Figuration hat, ein Aktant [ist].“ (Latour 2007, 123, Herv.i.O.) Von der CD über das T-Shirt und das Cello zum Wohnhaus und Büro gilt dies für die uns umgebenden Dinge: Sie machen einen Unterschied in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Zeit, an einer bestimmten Örtlichkeit, für bestimmte menschliche Akteure. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und dies gilt in der vorliegenden Arbeit für die wiederholt migrierenden, hochqualifizierten Personen, deren Mobilität sie eben gerade nicht davon abhält, Objekte über Grenzen hinweg zu transportieren, an entfernten Orten aufzubewahren, den für das Objekt wenig zuträglichen klimatischen Verhältnissen in einem anderen Land zuzumuten oder sie zu verkaufen oder zu verschenken, sobald ein neuer Schritt in der Migrationsbiographie ansteht. Von Interesse sind daher die Figurationen und relationalen Beziehungen, die zwischen den MigrantInnen und ihren Objekten über Grenzen hinweg und vor Ort konstituiert werden. Für Dinge sind dabei besonders im Blick: Praktiken, Räume, Bindungen und schließlich die Identitäten der HIMs, die aus diesen Figurationen und Relationen entstehen. In diesem Sinn gilt für die hier zur Sprache kommenden Objekte und Interviewees, was Reuter und Berli (2016, 2–3) über das Verhältnis von Dingen und Gesellschaft schreiben: Dinge sind nicht nur Objekte der Distinktion, die die soziale Struktur der Gesellschaft repräsentieren und das Handeln mit ihnen zu einer Demonstration von Kapitalbesitz machen. Es sind auch Dinge, die über die soziale Orientierung und Ordnung alltäglicher Handlungsabläufe hinaus neue Praktiken, Bewertungen, Emotionen und damit auch neue Bedeutungen hervorrufen.

Sie haben „Aufforderungscharakter“ (Reuter und Berli 2016, 2–3) und machen „Gebrauchssuggestionen“ (Hirschauer 2016, 52, Herv.i.O.).45 In welcher Weise Objekte nun für HIMs eine Rolle spielen, welche Objekte sie auf welche Weise zum Handeln auffordern und ihnen ein bestimmtes Verhalten nahelegen, ist Thema der folgenden Kapitel. Objekte werden dabei zunächst in ihrem Charakter als Merkzeichen und Symbole vorgestellt und dann auf ihren möglichen Akteurscharakter hin befragt. Die Darstellung der Objekte der HIMs zielt schließlich darauf, die Verflochtenheit der Menschen mit (ihren) Dingen zu explizieren.

45

Dinge können, so argumentiere ich an anderer Stelle, mehr als nur Handlungen nahezulegen: Sie können bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen unmöglich machen. Dies ist im alltäglichen Umgang mit unserer Umwelt gut zu beobachten, etwa wenn eine steinerne Wand das Passieren der Straße an dieser Stelle verhindert (Müller und Reichmann 2015; Müller 2017).

7 Menschen, Objekte und Migration

Bevor ich mich ausführlich den Relationen aus Menschen und Objekten zuwende, die im Fall der HIMs zu identifizieren sind, diskutiere ich unterschiedliche Verständnisse des Verhältnisses von Materialität und Sozialem bezüglich ihrer Anwendbarkeit für die Erklärung der Beziehung von Menschen/Gesellschaft auf der einen und Objekten/Materialität auf der anderen Seite. Darauf aufbauend stelle ich dar, welcher Ansatz in der vorliegenden Arbeit gewählt wird und welche Phänomene damit in den Blick der wissenschaftlichen Analyse geraten. Zunächst führt aber eine Darstellung aktueller Arbeiten zur Bedeutung von Materialität für internationale Migration in die Thematik ein. 7.1 MigrantInnen und (ihre) Objekte Nguyen (2017, 112) beschreibt in seiner Kurzgeschichte I’d Love You To Want Me das Leben eines in den USA lebenden Professors nach dessen Flucht aus Vietnam: His ambition was to own more books than he could ever possibly read, a desire fueled by having left behind all his books when they had fled Vietnam.

Hier ist der Wunsch, spezifische Dinge zu besitzen, bei einer Person beschrieben, die von einem Ort in Vietnam in einen anderen Ort in den USA geflüchtet ist und dort sesshaft wird. Solche Dinge wie Bücher sind wichtig für ein „regrounding“ (Ahmed et al. 2003b), sie werden genutzt, um sich an (anderen) Orten zu ver-orten. An diesem neuen Ort, in einem neuen Haus kann die Person Bücher ansammeln, ohne sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie diese Bücher bei einem Umzug an einen anderen Ort transportiert werden können. Dies ist im Fall der HIMs aber gerade die zentrale Frage, wenn es um die Rolle von Objekten im Leben dieser Menschen geht: In welcher Weise sind die Objekte an Prozessen des Gehens und Bleibens, d.h. mit „uprootings/regroundings“ (Ahmed et al. 2003a) beteiligt? In ihren Aufsätzen Materialising the Border und The Recalcitrance of Distance beschreibt Burrell (2008, 2016) eindrücklich, welche Rolle Materialität in den und für die Leben von polnischen MigrantInnen in England spielt. Für die von ihr Un-

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7 Menschen, Objekte und Migration

tersuchten haben Objekte in mindestens zweierlei Hinsicht Bedeutung: Zum einen werden Objekte zwischen dem Aufenthalts- und dem Herkunftsland hin und her geschickt. Im Zuge dieser Sendungen entstehen, so Burrells (2016) Analyse, spezifische Praktiken und Wissensformen sowie spezifische Infrastrukturen, die an das Senden gekoppelt sind. Zum anderen sind bestimmte Objekte wie der Laptop Teil der Außendarstellung der MigrantInnen, sowohl im Herkunfts- als auch im Aufenthaltsland, oder tragen wie der Ausweis dazu bei, Grenzen als solche herzustellen, etwa bei Passkontrollen (Burrell 2008). Der Reisepass als Objekt und Materialisierung einer staatbürgerlichen Zugehörigkeit (dazu auch Pogonyi 2019) erzeugt beispielsweise bestimmte Modi der Grenzübertritte: Ein Reisepass eines EU-Landes ermöglicht beim Passieren der Grenze zwischen Polen und Großbritannien einen vergleichsweise reibungslosen Übergang von einem in den anderen Staat. Für polnische MigrantInnen, die Burrell untersucht, gestaltete sich die Situation vor dem Beitritt Polens zur EU im Jahr 2004 (und zum Schengen-Übereinkommen im Jahr 2007) anders – meist aufwändiger und bürokratischer. Burrells empirische Forschung zeigt, dass neben bürokratischen Objekten noch viele andere Dinge eine Rolle für die Migration als sozialer und sozialräumlicher Situation spielen.46 So ist die Wahl des Verkehrsmittels, mit welchem die Grenze zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland überschritten werden, nicht nur aus funktionalen Gründen bedeutsam. Zwar beeinflusst die Wahl des Verkehrsmittels, etwa Flugzeug, Auto oder Bus, entscheidend, wie viel Gepäck mitgenommen werden kann, welcher Art dieses sein kann (Flüssigkeiten können etwa im Flugzeug nur in begrenztem Maß im Handgepäck transportiert werden) und wie viel Zeit für die Reise aufgewendet werden muss. Aber dies ist nur ein Aspekt der Rolle, die Verkehrsmittel für MigrantInnen spielen. Ein anderer ist der soziale Status, der den MigrantInnen über das gewählte Verkehrsmittel zugesprochen wird: Beispielsweise wird denjenigen, die mit dem Auto von Polen nach Großbritannien umziehen, wird innerhalb der polnischen Gemeinschaft ein höherer sozialer Status zugesprochen als denjenigen, die mit dem Bus reisen (Burrell 2008, 362). Ein weiterer Aspekt ist körperlicher Natur: So werden Busreisen als deutlich anstrengender wahrgenommen, was auf die Länge der Reise bei gleichzeitiger großer Nähe zu den Mitreisenden zurückgeführt werden kann. Anders als bei Reisen mit dem Flugzeug und dem Auto sind die Busfahrten sowohl von langer Zeitdauer als auch großer körperlicher Nähe zu anderen Reisenden gekennzeichnet: Im Fall der Flugreise liegt zwar ebenfalls eine große körperliche Nähe vor, die allerdings nur für eine deutliche kürzere Zeitspanne ertragen werden muss. Im Fall der Autofahrt ist die Zeitspanne ähnlich groß wie im Fall der Busreise, die körperliche Nähe aber nur zu selbst gewählten Mitreisenden vorhanden, mit denen man „pri46

Jeanes at al. (2015, 707, Herv.i.O.) betonen in diesem Zusammenhang, dass der zu konstatierende mobilities turn und das new mobilities paradigm nicht auf Menschen beschränkt sind, die mobil sind, sondern umfassender sind: „the notion of mobility covers a much broader terrain as ist refers to and includes „the actual and potential movement and flows of people, goods, ideas, images and information from place to place“ […].“

7.1 MigrantInnen und (ihre) Objekte

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vate Zeit […] in einem] personalisierten Raum“ (Burrell 2008, 359, Übers. ALM) verbringt. Mit der Wahl der Transportmittel gehen wiederum spezifische Formen des Grenzüberschritts einher, die in allen Fällen von Objekten begleitet werden. Burrell (2008, Übers. ALM) spricht hier, und so überschreibt sie ihren Aufsatz, von der „Materialisierung der Grenze“: Pässe und Visa, aber auch Koffer und die darin enthaltenen Dinge sind hier von Bedeutung für die Herstellung dessen, was von den MigrantInnen als Grenze wahrgenommen wird. Dokumenten wie Pässen kommt beispielsweise während der Situation des Grenzübertritts eine wichtige Rolle zu, und sie tragen dazu bei, dass eine Grenze auf eine bestimmte Art und Weise konstituiert wird. So bedeutet der Besitz eines Passes eines EU-Landes, eine andere Kontrolle zu passieren, was in der Regel mit kürzeren Wartezeiten einhergeht (Burrell 2008, 358). Zudem werden Orte in den Erzählungen der von Burrell interviewten MigrantInnen in Orte unterteilt, für die ein Visum notwendig ist, und in Orte, für die es für die Einreise nicht notwendig ist. Diese Unterteilung beeinflusse, so Burrell, die „vorgestellte Mobilität“ (Burrell 2008, 359, Übers. ALM) der Personen, da die zugänglichen Orte auf der imaginierten (Reise-)Landkarte deutlich präsenter und für das eigene migrantische Handeln daher wesentlicher wirksamer seien als die Orte, die nur mit einem Visum erreicht werden können.47 Neben den Objekten, die den Grenzübertritt als „rite de passage“ (Burrell 2008, 358) emotional mehr oder weniger belastend machen, spielen weitere Objekte eine Rolle: Koffer. Koffer sind in doppelter Weise wichtig: als funktionale Behältnisse für die Dinge, die mitgenommen werden, und als Repräsentanten der eigenen räumlichen Mobilität. In letzterem Sinn sind sie auch psychologisch wichtig, wie Burrell (2008, 367) herausstellt: The suitcase has a special role in this process (of strengthening and shaping the transnational bonds of the migrants); it brings these two different environments together – British in Poland/Polish in Britain.

Der Koffer hat hier eine verbindende Funktion für die MigrantInnen, unter anderem wegen der Dinge, die in ihm über die Grenze transportiert werden. Darüber hinaus ist er, so möchte ich hinzufügen, als Koffer, der im Herkunftsland gekauft wurde, eine materialisierte Erinnerung an dieses Land und die räumliche Mobilität, die Teil der Biographie der Migrantin oder des Migranten ist. Er ist außerdem das Objekt, das genutzt wird, um Mitbringsel in das Herkunftsland und Dinge aus dem Herkunftsland in das Aufenthaltsland zu transportieren, wie Burrell (2016, 821) an anderer Stelle ausführt, und ist so Teil des wiederholt hergestellten regroundings. Der Koffer als reisendes Objekt ist in Burrells Aufsatz über die Infrastrukturen des transnationalen Sendens von Dingen einer von verschiedenen Objekten, die verwendet werden. In allen Fällen zeigt ihre Analyse die Bedeutung der Materiali47

Diese imaginierten Mobilitäten, die an spezifische Raumbilder von Staaten und Regionen gekoppelt sind, lassen sich auch mit dem Konzept der räumlichen Vorstellungswelten zusammenbringen, prominent von Gregory (1994) als geographical imaginations beschrieben.

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7 Menschen, Objekte und Migration

tät für die Praktiken des Sendens und für das daran gekoppelte Wissen. Der Fokus liegt auf der Zeit nach der Migration bzw. zwischen den Migrationsstationen, das heißt auf dem Leben der MigrantInnen an ihrem neuen Wohnort und auf ihrem regrounding vor Ort. Für diese Zeit hebt Burrell (2016, 823) hervor: „Sending things is an important part of the reconfiguration of post-migration life for many migrants.“ Das Versenden von Dingen aus dem neuen Aufenthaltsland in das Herkunftsland zu Familienangehörigen und Freunden schaffe dabei, so Burrell, eine spezifische Form der Ko-Präsenz. Diese sei in den Augen der Migrantinnen zwar „inadäquat, aber nichtsdestotrotz dauerhaft.“ (Burrell 2016, 823, Übers. ALM) Die relative Dauerhaftigkeit der Beziehung zwischen MigrantIn und Angehörigen und FreundInnen würde dabei, so Burrell weiter, gerade durch die Materialität des Versendens von Dingen hergestellt. Die Sorgfalt, mit der Dinge verpackt werden – in Luftpolsterfolie, die zerbrechlichen Gegenstände zusätzlich durch ebenfalls zu verschenkende Kleidungsstücke geschützt – korrespondiert mit der emotionalen Bindung zwischen schenkender und beschenkter Person; die Sorgfalt des Verpackens ist auch eine Sorgfalt der Pflege der sozialen Beziehung. Auf ein anderes Phänomen weist die Arbeit von Bardhi et al. (2012) hin: In ihrer Analyse der Bedeutung von Dingen für transnationale Eliten stellen sie heraus, dass diese Personengruppe eine flüchtige Beziehung zu ihren (materiellen) Besitztümern aufweist. Anstatt zu Dingen eine dauerhafte Beziehung aufzubauen, seien die Dinge für die hochmobilen Personen vielmehr situativ von Bedeutung. Dies sei auch eine Folge ihres migrantischen Lebens: „Liquidity in possession relationships is a way to cope with a lifestyle of relative risk, discomfort, and uncertainty.“ (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 519) Die situative Bedeutung von Objekten für die MigrantInnen und in ihrem (Alltags-)Leben ist, so die AutorInnen, dabei auch darauf zurückzuführen, dass der symbolische Wert der Dinge flüchtig ist. So ist etwa der Wert eines Smartphones in einem Kontext, in dem das Gerät aufgrund fehlender technologischer Infrastruktur nicht als solche verwendet werden kann, sehr gering; dies erfährt eine von den AutorInnen interviewte Person bei ihrem Umzug von den USA nach Aserbaidschan (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 519). Mit der fehlenden funktionalen Bedeutung geht hier ein Verlust an symbolischer Bedeutung einher, was die Objekte schließlich insgesamt an Bedeutung verlieren lässt. Die AutorInnen verwenden den Marx’schen Begriff des Gebrauchswerts, um zu beschreiben, dass materielle Dinge für die globalen Nomaden in erster Linie aufgrund ihrer Funktion bedeutsam sind: „The instrumental use-value logic predominates in global nomadism, especially because it translates cross culturally better than symbolic or identity value.“ (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 521) Das migrantische Leben mit seinem Merkmal des wiederholten Verlassens eines Ortes, des uprootings, und der damit verbundenen Temporalität des Wohnens verstärke dabei die emotionale Entbindung von Objekten, etwa da der Stauraum für Objekte fehle und der Aufwand des Umzugs sich proportional zu der Anzahl der emotional bedeutsamen Besitztümer erhöhe. Wie die AutorInnen herausarbei-

7.2MigrantInnen Was wird als Objekt verhandelt? 7.1 und (ihre) Objekte

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ten, gilt diese Flüchtigkeit in der Beziehung in erster Linie für materielle Dinge, also für Objekte im hier definierten Sinn. Anders verhält es sich mit immateriellen Dingen, so genannten „e-objects“ (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 522): Online-Dienste, mit denen beispielsweise elektronische Grußkarten versandt werden können, werden genutzt, um Kontakte aufrechtzuerhalten und soziale Netzwerke zu stabilisieren. Damit stelle, so argumentieren die AutorInnen abschließend, die instrumentelle Beziehung zu materiellen Dingen eine Form der „flüchtigen Konsumtion“ (Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012, 525, Übers. ALM) dar, welche wiederum charakteristisch für den Lebensstil der untersuchten globalen Nomaden sei. Die von mir in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellten HIMs zeigen allerdings, anders als die Studie von Bardhi et al. (2012) vermuten lässt, dass materielle Dinge trotz wiederholter Migration nicht nur einen instrumentellen, sondern zudem einen identifikatorischen oder emotionalen Wert aufweisen. Im Verlauf dieser Arbeit wird sich zeigen, dass es beide Formen gibt: Objekte mit instrumentellem und Objekte mit stärker emotionalem Wert. Dabei kann ein Objekte den Wert über die Zeit auch verändern. Bezugnehmend auf das später ausführlicher beschriebene, von Kopytoff (1986) vorgeschlagene Konzept der kulturellen Biographie von Objekten möchte ich hier von der situationalen Biographie der Objekte sprechen: Während in Kopytoffs Konzept die Objekte ihre BesitzerInnen wechseln und darüber in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterschiedliche Wirksamkeit entfalten, verändert sich in dem von mir beschriebenen Fall die Situation, in der sich ein Objekt befindet, aber nicht die Bezugsperson. Ein Objekt kann demnach ganz unterschiedliche Formen der Partizipation (Marres 2012, 19) möglich machen, indem es auf unterschiedliche Weise genutzt und situativ in das Handeln eingebunden wird. Danach haben Objekte an Situationen teil, können sich in ihrer Bedeutung durch diese Situationen verändern und die Situationen sowie die anderen daran beteiligten Akteure wiederum verändern. Im Fall der HIMs hilft eine solche Perspektive auf Objekte zu erklären, warum und wie Objekte im Verlauf der Migrationsbiographie der HIMs ihre Bedeutung verändern und auf unterschiedliche Weise Teil ihrer Praktiken sind. 7.2 Was wird als Objekt verhandelt? Vor dieser Einordnung meiner Ergebnisse ist das Konzept des Objekts selbst zu thematisieren. Die Frage soll hier weniger sein, was ein Objekt ist, sondern vielmehr, was je als Objekt verhandelt wird oder: wie es gewusst wird. Statt eine ontologische Perspektive einzunehmen, geht es also vielmehr um eine epistemologische. Um diese einnehmen zu können, schlage ich ein breites Verständnis von Objekten vor. Als Objekte gelten demnach alle physisch vorhandenen, sinnlich wahrnehmbaren und nicht-organischen Gegenstände. In einer solchen Klassifikation ist das konstitutive Merkmal für ein Objekt seine Materialität; der Frage nach dem Charakter oder Ursprung dieser Materialität – von Menschen gemacht wie eine

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7 Menschen, Objekte und Migration

Vase, vorgefunden wie ein Stein, einem menschlichen Körper entnommen wie ein Spenderorgan – wird hier explizit entgangen. Mit einem solchen breiten Verständnis ist es nicht nur möglich, dem von Appadurai (1986, 6) genannten Punkt, dass sich Güter nur in einer bestimmten Hinsicht und aus einer bestimmten Perspektive von anderen Objektformen unterscheiden, Rechnung zu tragen: In Abhängigkeit von der gewählten (theoretischen) Perspektive und dem Forschungsinteresse unterscheiden sich Artefakte von Waren oder Steinen – oder eben nicht. Es ist darüber hinaus möglich, die voraussetzungsreiche dichotome Unterscheidung von natürlichen und kulturellen Objekten dahingehend aufzubrechen, dass das als Objekt zählt, was eine Gesellschaft als Objekt versteht. Sind Organe, die einem Menschen entnommen und einem anderen implantiert werden, Objekte? Sie weisen in jedem Fall eine physische Wahrnehmbarkeit auf, haben eine materielle Struktur und sind sinnlich erfahrbar. Dennoch werden sie je nach gesellschaftlichem und historischem Kontext unterschiedlich klassifiziert; dies gilt insgesamt für die Bereiche des Körpers und der Körperfunktionen, wie Mols (2002) Arbeiten zu Arteriosklerose, Amelangs (2011) Ethnographie zu Organtransplantationen oder Schurrs (2017) laufende Arbeiten zu Leihmüttern zeigen. Damit ist auch eine Differenz zu Begriffsbestimmungen aus den material culture studies vorgenommen, welchen es bei Objekten traditionellerweise gerade um die kulturell überformte Materialität geht. In Deetz’ (1977, 7) Worten: „Material culture is that segment of man’s physical environment which is purposely shaped by him according to a culturally dictated plan“. In diesem Verständnis ist materielle Kultur, wie sie Deetz aus Sicht der Historischen Archäologie versteht, erst das Produkt der Mensch-Objekt-Interaktion, welche wiederum Gegenstand meiner eigenen empirischen Untersuchung ist. Anders formuliert: Aus der Interaktion der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen mit Objekten aller Art entsteht eine spezifische kulturelle Überformung dieser Objekte, die die Objekte wiederum als materielle Kultur der MigrantInnen und der Gesellschaften, in denen sie leben, beobachtbar macht. Ein Objekt-Verständnis, das dagegen den Status und die Merkmale eines Objektes an die Zuschreibungsprozesse koppelt, die von Einzelnen und Kollektiven vorgenommen werden, weist eine Nähe zu der Debatte um naturecultures (NaturenKulturen) auf. Hier ist die grundlegende Frage, inwiefern sich in einer von Menschen geprägten Welt sogenannte natürliche von menschengemachten Dingen unterscheiden lassen. Arbeiten zur Verflochtenheit von Natur und Kultur etwa von Haraway (1991) und Swyngedouw (1996) machen diese Frage zum zentralen Gegenstand. Flitner (1998, 89–91) schlägt in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von „erkannte[r]“, „kulturelle[r]“, „produzierte[r]“ und „simulierte[r] Natur“ vor, um die unterschiedlichen Zugriffe auf das Verhältnis von Natur und Gesellschaft in der Geographie und angrenzenden Disziplinen zu präzisieren, und plädiert für eine stärker interdisziplinär-kooperative Herangehensweise an dieses

7.2 Was wird als Objekt verhandelt?

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emergent[e] Phänomen Natur, gleichermaßen „postnatürlich“ wie „postsozial“, in dessen wiederkehrender Hervorbringung die gesellschaftlichen Konstrukte ebenso wie die natürliche Materialität im doppelten Wortsinn aufgehoben wäre. (Flitner 1998, 94, Herv.i.O.)

Eine solche interdisziplinäre Forschungsrichtung hat sich mit der NaturenKulturen-Forschung inzwischen etabliert. Zudem wird unter dem Schlagwort des Anthropozän unter großer, auch öffentlicher, Beachtung die Beobachtung beschrieben, dass wir aktuell eine neue Erdzeit erleben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass menschliche Aktivitäten in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die Erde prägen (für einen Überblick Lorimer 2017; für die Geographie Castree 2014b, 2014a, 2014c). Dazu gehört auch eine qualitativ neue Beziehung von Mensch und Natur (Crutzen 2002; auch Ellis 2015a, 2015b). War es zunächst ein Begriff, der „eingeführt wurde, um die quantitative Verschiebung in der Beziehung zwischen Menschen und der globalen Umwelt zu fassen“ (Steffen et al. 2011, 843, Übers. ALM), so wird er inzwischen in verschiedenen Kontexten benutzt, um auch die qualitativen Merkmale dieser Veränderung sowie damit verbundene Konsequenzen sowohl für Gesellschaften als auch für die Umwelt zu beschreiben (exemplarisch Palsson et al. 2013; Palsson 2015; für die Stadtforschung z.B. Pincetl 2017; insgesamt kritisch zu derartigen Studien Harraway 2015; Harraway et al. 2016). Die Popularität des Begriffs erklärt Lorimer (2017, 121, Herv.i.O.) wie folgt: „Anthropocene“ seems to have captured an intellectual zeitgeist, providing a plastic and catchy label for a common curiosity and anxiety about the state and future of Earth after the „end of Nature“ – i.e. the end of the idea of Nature as pure place untouched by human hands that has been so central to modern environmentalism […].

Während hier die Verflochtenheit von Menschen und physischer Umwelt als charakteristisch für ein Zeitalter verstanden und damit implizit eine grundsätzlich mögliche Trennung von Natur und Kultur angenommen wird (da für frühere Zeitalter eine unabhängig von menschlichen Einflüssen vorhandene Natur vermeintlich zu beobachten war), heben Arbeiten, die mit dem Begriff der NaturenKulturen operieren, die untrennbare Verflochtenheit von Mensch und Nicht-Mensch hervor (für einen Überblick Rademacher 2015).48 Auch hier handelt es sich also um relationale Perspektiven auf empirische Phänomene. So zeigt Tsing (2015) beispielsweise in ihrer Studie zu Matsutake, einer auf dem Weltmarkt gehandelten Pilzsorte, wie dieser Pilz Teil eines solchen komplexen Netzwerks von Relationen ist. Sie beschreibt, dass hinter dem einzelnen Pilz, der in Restaurants zu wohlschmeckenden, aber sehr teuren Gerichten verarbeitet wird, sehr viel mehr als der Pilz und der Koch steht: nämlich ein Netzwerk an unterschiedlichen Akteuren. Zu diesem Netzwerk gehören neben den Pilzen und den Köchen, die die Pilze verarbeiten, die PilzsammlerInnen, die HändlerInnen, die die Pilze verkaufen und damit Gewinn machen, aber auch die globale Distributionslogistik, die Wälder, in denen die Pilze wachsen, und die Körbe und Messer, mit deren Hilfe sie geerntet und aus dem Wald transportiert werden. Aus einer sol48

Beispielhaft seien hier die Arbeiten von Lidskog (2011) zu Insektiziden und Gesing (2016) zu Küstenschutz in Neuseeland genannt.

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7 Menschen, Objekte und Migration

chen Perspektive sind Objekte wie die genannten Körbe und Messer ebenso Akteure wie Menschen und pflanzliche Organismen und Teil einer Verschränkung von Natur und Kultur; hier lässt sich kaum noch davon sprechen, dass etwas wie das zum Schneiden der Pilze verwendete Messer als passives Objekt verhandelt wird. Vielmehr werden die Grenzen zwischen Objekten und Subjekten insofern aufgelöst, als es darum geht, das in den Blick zu nehmen, das einen Anteil an der Situation oder an dem Phänomen hat; unabhängig von der ontologischen Frage, ob dies ein Mensch oder ein Ding ist. Diese relationale Perspektive der NaturenKulturen-Forschung treibt also die epistemologische Frage danach, was als Objekt verhandelt wird, auf die Spitze, indem es die analytische Differenzierung zwischen Objekt und Subjekt auflöst und durch eine Unterscheidung von beteiligten und nicht beteiligten Akteuren ersetzt. Das Matsuke-Beispiel zeigt aber auch, dass das, was je als Objekt gilt, unterschiedlichen Kategorien von Akteuren zugeordnet wird: menschlichen, pflanzlichen, tierischen, physischen. Alle können als NaturenKulturen verstanden werden, da sie in soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden sind und spezifische Beziehungen zu ihrer Umwelt aufweisen. Nach meinem Verständnis sind Objekte dabei immer schon insofern kulturell, als sie Teil unserer menschlichen Lebenswelt sind. Sobald ich als Forscherin ein Objekt zum Gegenstand meiner Untersuchung mache, wird es kulturell überformt; indem es Teil sozialer Verhältnisse ist – und sei es nur als Stein in einem Wald in einem territorial begrenzten Staatsgebiet – ist es aus einer gewissen Perspektive Kultur. Nach einer solchen Sichtweise sind Natur und Kultur untrennbar miteinander verflochten, und die Unterscheidung von natürlichen Objekten und kulturellen Objekten ist abhängig vom jeweiligen historischen, räumlichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext. Das bedeutet nicht, die Unterschiede zwischen Natur und Kultur zu negieren – der Pilz unterscheidet sich qualitativ vom Korb und vom Pilzsammler. Aber es heißt anzuerkennen, dass wir in einer Beziehung der Verflechtung zu unserer sozialen, aber auch physischen Umwelt stehen. In welcher Weise ein solches Verständnis von Objekten und ihrer Verflochtenheit mit dem Sozialen für das vorliegende Buch vielversprechend ist, werde ich weiter unten im Detail ausführen (Kapitel 7.4). Schließlich weisen die Beziehungen von Menschen und Objekten eine Raumund eine Zeit-Dimension auf. Nicht nur sind unterschiedliche Objekte in unterschiedlichen geographisch-territorialen Kontexten von unterschiedlicher Bedeutung: Ein Gong aus Bronze kann an einem Ort eine religiöse Zeremonie einläuten, an einem anderen Ort vor Unwetter warnen und an einem dritten Ort das Ende der Vortragszeit markieren.49 Darüber hinaus sind Objekte zeitlich gerahmt. So beschreibt etwa Appadurai (1986) die Kommodifizierung von Dingen als einen Prozess, in dem Dinge in den Zustand der Kommodifizierung hinein-, aber aus ihm auch wieder hinausgeraten können. Diese kulturell und sozial bedingte Zuschrei49

Letzteres geschah während meines Forschungsaufenthaltes an der Durham University am 9. März 2017 während der feierlichen Eröffnung des Ogden Centre for Fundamental Physics.

7.2 Was wird als Objekt verhandelt?

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bung als (Konsum-)Gut ist also nicht per se stabil und dauerhaft (dazu auch Kopytoff 1986). Appadurai (1986, 34) unterscheidet dabei zwischen der kulturellen Biographie und der Sozialgeschichte von Dingen und begründet dies mit einer zeitlichen, einer klassenidentitären und einer maßstabsbezogenen Differenz zwischen den beiden Kategorien: So kann ein spezifisches Ding im kürzeren Zeitverlauf durch mehrere Hände gehen und dadurch in unterschiedliche Kontexte gelangen, was die cultural biography dieses Dings ausmacht. Außerdem kann eine Klasse von Dingen über einen großen Zeitverlauf (diachrone Perspektive) ihre Bedeutung und damit ihre social history verändern, wobei sie dies auf unterschiedlichen Maßstäben oder scales in unterschiedlicher Weise tun kann. Interessant für das vorliegende Buch ist besonders das Konzept der kulturellen Biographie der Objekte, wie es von Kopytoff (1986) ausgearbeitet wurde. Objekte können über den Zeitverlauf unterschiedliche Bedeutungen aufweisen, und ihr Gehalt variiert dabei in Abhängigkeit von dem sozialen, politischen, ökonomischen etc. Kontext, in dem sie sich befinden, aber auch von den Praktiken, die an sie gebunden und in die sie eingebettet werden. Für den Fall der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen hilft das Konzept der kulturellen Biographie, zu erklären, dass bestimmte Objekte ihre Bedeutung über die Zeit ändern und ganz verlieren können, aber auch erst im biographischen Verlauf der Personen bedeutsam werden können. Ein solches Verständnis von Objekten hat Konsequenzen für die empirische Arbeit. Anstatt danach zu fragen, welche Objekte – die einer zuvor festgelegten Definition entsprechen – für Migration und MigrantInnen eine Rolle spielen, geht es vielmehr darum, aufzuzeigen, wie Migration und eine bestimmte Lebensform des Migrantischen durch das Zusammenspiel von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren hervorgebracht, stabilisiert und dynamisiert wird. Für eine solche Herangehensweise ist instruktiv, was der Psychologe Habermas (1999, 36) zum Zusammenhang von Objekten und Persönlichkeit schreibt: „Die Konstruktion der Zugehörigkeit von Dingen, Personen und Orten zum Selbst legt eine Auffassung vom Selbst als räumlicher Einheit nahe.“ Dieses Zitat ist insbesondere deswegen aufschlussreich, als es eine Trias von Objekten, Menschen und Orten beschreibt, welche für das Selbst – in dem vorliegenden Fall das Selbst als hochqualifizierte Person, die international migriert – konstitutiv ist (dazu auch Belk 1992). Gerade für den Fall der grenzüberschreitenden Migration bietet sich eine derartige Herangehensweise also an, will man neben der sozialen und individuellen auch die räumliche und materielle Dimension des Phänomens und ihre Wechselbeziehungen in den Blick nehmen. Eine solche relationale Perspektive ist es auch, die Tilley (1994) als einzig mögliche für die, in seinem Fall: archäologische, Untersuchung von materieller Kultur annimmt. Ausgehend von einem Verständnis von materieller Kultur und damit auch von Objekten als vom Sozialen strukturiert und das Soziale strukturierend, schlägt er vor, die Beziehung zwischen Menschen und Dingen zum Gegenstand der Analyse zu machen:

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7 Menschen, Objekte und Migration This relationship is active, and not one of simple reflection. Material culture does not provide a mirror to society or a window through which we can see it. Rather, there are multiple transformations and relationships between different aspects of material culture and between material culture and society of, for example, parallelism, opposition, inversion, linearity and equivalence. In order to understand material culture […] we have to think in terms of relationships between things, rather than simply in terms of the things themselves. (Tilley 1994, 70)

Der Archäologie ist eigen, dass sie das Vergangene untersucht und damit auf (materielle) Spuren als Daten angewiesen ist. Dies ist für meine Untersuchung zeitgenössischer Phänomene anders; hier lassen sich die Objekte daher nicht nur als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und materielle Resultate von Praktiken verstehen. In meiner Analyse des Zusammenspiels von Gesellschaft und Materialität zeigt sich, dass nicht-menschlichen Akteuren – solchen, die von den MigrantInnen als Objekte klassifiziert werden – zwei Bedeutungen zukommen: (1) Sie symbolisieren etwas. (2) Sie wirken aktiv gestaltend an der Hervorbringung des migrantischen Lebensstils mit. Diesen beiden Aspekten der Beziehung von Objekten und Menschen gehe ich im Folgenden nach. Aus Gründen der Darstellung werden die beiden, im Phänomen miteinander verbundenen, Facetten desselben Phänomens getrennt voneinander behandelt. 7.3 Was symbolisieren Objekte? Dass Dinge etwas darstellen oder symbolisieren, scheint offensichtlich zu sein, wie einige wenige ausgewählte Beispiele verdeutlichen: die Amtskette, die in vielen deutschen Städten zur Amtstracht der OberbürgermeisterInnen gehört; die Robe, die Richter und Staatsanwälte bei Verhandlungen tragen; der Talar, den PastorInnen während des Gottesdienstes als Gewand verwenden; sogenannte Doktorhüte, die Teil des akademischen Gewands in Ländern wie den USA oder Großbritannien sind und auch in Deutschland wieder vermehrt Einzug in akademische Rituale finden. Dies sind Beispiele für Objekte – Kleidungsstücke, Schmuck, Kopfbedeckungen –, denen im Zuge spezifischer gesellschaftlicher Prozesse eine Bedeutung zugeschrieben wird, die die Objekte zu mehr als funktionalen Dingen machen: Richterroben und Talare schützen zwar wie andere Kleidungsstücke vor Wetter und den Blicken Anderer, sie weisen die Richterin und die Pastorin aber in den Situationen des Tragens zudem als Amtsträgerinnen aus, denen bestimmte Kompetenzen zukommen. So fällen sie beispielsweise, im Fall der Richterin, Urteile, die gesetzlich bindend sind, oder, im Fall der Pastorin, vollziehen Rituale, mit denen Gläubige unter den Schutz eines Gottes gestellt werden. Die Dinge repräsentieren oder symbolisieren etwas, zum Beispiel die Macht des Staates oder die Präsenz einer Religion. Diese Dinge weisen, in Appadurais Worten, eine spezifische kulturelle Biographie und Sozialgeschichte auf, die sie ihren rein funktionalen Charakter (z.B. als Kleidungsstücke) hat verlieren lassen.

7.3 Was symbolisieren Objekte?

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Wie kommt es dazu, dass Dinge mit einem spezifischen Symbolgehalt aufgeladen werden? Dieser Frage werde ich im Folgenden nachgehen, um schließlich erklären zu können, auf welche Weise der Symbol- und Repräsentationsgehalt von materiellen Dingen eine Rolle für Gesellschaften und Individuen spielt. 7.3.1 Dinge als Zeichen und Symbole Symbole zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine über die reine Funktion eines Gegenstandes oder einer Aussage hinausreichende Bedeutungsdimension aufweisen, die kulturell hervorgebracht und Bestandteil des kollektiven Wissens bestimmter sozialer Gruppen, aber auch ganzer Gesellschaften ist. Zentral für ein solches Verständnis ist die Zeichentheorie von Peirce (1897; auch Members of the Johns Hopkins University 1883): Ein Symbol kennzeichnet sich demnach dadurch, dass es aufgrund bestimmter Interpretationsregeln oder -konventionen (Hilpinen 1999, 653) etwas über das Objekt selbst Hinausgehendes darstellt. Diese zusätzliche Bedeutung ist weder räumlich noch zeitlich noch kulturell stabil; vielmehr verändern sich die Bedeutungen, die über die Funktion eines Gegenstandes hinausgehen, über den Zeitverlauf, sind im Gesellschaftsvergleich unterschiedlich und auch in der Weitergabe über räumliche Grenzen hinweg veränderlich – und damit grundsätzlich kontingent. Allerdings werden sie, und darin liegt ihre spezifische gesellschaftliche Funktion, auf Dauer gestellt und weisen entsprechende Beharrungseffekte auf: Ein metallenes Objekt mit gezacktem Rand, das als Kopfbedeckung getragen wird, wird in heute demokratischen Gesellschaften mit monarchischer Vergangenheit weiterhin als Krone und damit als Herrschaftssignum interpretiert und entsprechend verstanden, auch wenn es nicht mehr verwendet, sondern musealisiert wird. Zentral für den Symbolgehalt von Dingen ist es also, dass sie auf etwas verweisen, zu dem sie nicht unmittelbar Ähnlichkeit aufweisen. Schütz (2003, V.2:128– 29) verwendet zur Explikation dieser Beziehung das Bild des Feuers und des Rauchs: Hiernach ist der Rauch das „Anzeichen für Feuer“ und das Feuer selbst das „Signatum“. Diesem auf Husserl zurückgehenden Doppel von Zeichen und Signatum liegt eine spezifische Konzeption der Assoziation und der Wahrnehmung zugrunde: Das Signatum und das Zeichen (an dieser Stelle einstweilen nicht weiter ausdifferenziert) sind als Doppel über die „‚Appräsentation‘ oder ‚analogische Apperzeption‘“ (Schütz 2003, V.2:129, Herv.i.O.) miteinander verbunden. Dies bedeutet, dass etwas, das von uns nicht unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden kann – Schütz verwendet hier auch das Beispiel der Rückseite eines Würfels – dennoch von uns aufgrund unserer Erfahrung und unseres (Vor-)Wissens apperzipiert wird – wir erwarten eine spezifische Rückseite des Würfels, die in Form und Gestalt den Rückseiten von Würfeln entspricht, die wir im Verlauf unseres Lebens kennengelernt oder über Erzählungen, Sachbücher u.ä. vermittelt bekommen haben. Die beiden Hälften eines Doppels, in diesem Fall die Vorder- und Rückseite

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7 Menschen, Objekte und Migration

des Würfels, sind miteinander verbunden, und von der sinnlich wahrgenommenen, d.h. appräsentierenden Hälfte wird die nicht unmittelbar wahrgenommene, die appräsentierte, Hälfte mit dargestellt. Für Schütz gibt es nun, vereinfacht formuliert, vier Formen der Appräsentation: das Merkzeichen (Schütz 2003, V.2:143), das Anzeichen (Schütz 2003, V.2:145), das Zeichen (Schütz 2003, V.2:148) und das Symbol (Schütz 2003, V.2:167). Die Formen unterscheiden sich in ihrer Reichweite und bezüglich der Beziehung, die zwischen Subjekt und Außenwelt besteht. Merk- und Anzeichen stellen Formen der Appräsentation dar, in denen es in erster Linie um die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem „Gegenstand, [dem] Geschehnis oder [der] Gegebenheit“ (Schütz 2003, V.2:128) selbst geht – es handelt sich hierbei um „[die] Welt in meiner Reichweite“ (Schütz 2003, V.2:141). Für das Zeichen und das Symbol werden nach Schütz die Grenzen dieser eigenen Welt überschritten, und hier wird seine Zeichentheorie nun für die Analyse überindividueller und gesellschaftlicher Prozesse interessant. Während Zeichen in einer „intersubjektive[n] Welt“ (Schütz 2003, V.2:148) verwendet werden und ihr Verstehen auf einem kollektiven Wissensschatz beruht, werden im Fall von Symbolen die Grenzen des Hier und Jetzt und der kollektiven Gemeinschaft überschritten. Das Subjekt ist sich in diesem Fall der „transzendenten Unendlichkeit der Sozialwelt“ (Schütz 2003, V.2:167) bewusst und weiß, dass das eigene Sein nur einen Ausschnitt aus der zeitlich und räumlich potentiell unendlichen (Sozial- und Natur-)Welt darstellt. Die Überschreitung zeitlicher und räumlicher Grenzen ist für den Fall des Symbols das entscheidende Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Zeichen. Gemeinsam ist beiden, dass das Subjekt mit anderen Subjekten (und Objekten) in eine „gemeinsame kommunikative Umwelt [… tritt, ALM], innerhalb der die Subjekte sich gegenseitig in ihren Bewußtseinsaktivitäten motivieren.“ (Schütz 2003, V.2:151, Herv.i.O.) Das Merkzeichen kennzeichnet sich dadurch, dass es eine enge Bindung an die biographische Situation des Einzelnen aufweist, der „die Welt in [seiner, ALM] Reichweite als einen Bestandteil bzw. als eine Phase [seiner, ALM] einzigartigen biographischen Situation [erfährt].“ (Schütz 2003, V.2:143) In diesem Fall liegt keine intersubjektive Beziehung zwischen Bedeutung, Ding, Mensch und anderen Menschen/Gruppen vor, die Bedeutung, die einem Gegenstand zugewiesen wird, dient allein der eigenen (Wieder-)Erkennung. Das Anzeichen wiederum zeichnet sich dadurch aus, dass es vom Einzelnen als Hinweis auf etwas anderes verstanden wird. Dabei ist es einzelnen Personen möglich, mithilfe des eigenen Wissens um bestimmte Sachverhalte und Beziehungen in der Welt von einem (dem Wahrgenommenen) auf das andere (dem nicht direkt Zugänglichen) zu schließen; ersteres ist dann das Anzeichen dafür, dass das andere passiert (Schütz 2003, V.2:147). In diesem Fall kann Intersubjektivität vorliegen, und [die] Kenntnis von Anzeichen hat eine große praktische Bedeutung, weil sie es dem Menschen – anders als im Fall des Merkzeichens – ermöglicht, die Welt in seiner aktuellen Reichweite zu

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transzendieren, indem er Elemente in ihr auf Elemente beziehen kann, die jeweils außerhalb seiner Reichweite liegen. (Schütz 2003, V.2:147)

Mit der Ausarbeitung der Konzepte des Merk- und Anzeichens bereitet Schütz die Grundlage für die Konzepte des Zeichens und des Symbols, welche sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen immer stärker vom Individuum abstrahiert und auf die den Einzelnen und die aktuelle Situation transzendierende Bedeutungsebene abgezielt wird. Etwas als Zeichen zu verstehen ist für Schütz eingebettet in soziale Situationen. Die Überschreitung der Grenze zwischen ego und alter ego, welche die Wahrnehmung von und Kommunikation und damit Interaktion mit anderen zur Folge hat, führt dazu, dass Zeichen als Appräsentationen von etwas dienen und auf kollektiv geteiltem Wissen in der aktuellen Situation beruhen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem gegebenen Ort ist die Formel „Servus“ intersubjektiv verständlich, etwa in Österreich oder Süddeutschland; die sprachlichen Laute sind ein Zeichen für eine Begrüßung. Zu einem anderen Zeitpunkt und/oder an einem anderen Ort kann die Lautfolge „Servus“ dagegen Unverständnis oder Irritation auslösen, da das Wissen um ihre Bedeutung als Zeichen für eine Begrüßung nicht intersubjektiv geteilt wird, etwa in Norddeutschland oder Dänemark. Dass diese räumlichen Differenzen nicht an territoriale Grenzen gebunden sind, wird dadurch deutlich, dass sprachliche Ähnlichkeit eher zwischen Süddeutschland und Österreich als zwischen Norddeutschland und Süddeutschland besteht; ähnlich verhält es sich mit der Unähnlichkeit von Süddeutschland und Dänemark im Vergleich zu Norddeutschland und dem nördlichen Nachbarland. Für gesellschaftliches Zusammenleben bedeutet ein solches Transzendieren der „Welt des Anderen“ (Schütz 2003, V.2:154) durch das Subjekt und vice versa, dass jedes Subjekt davon ausgeht, dass die verschiedenen Apperzeptions-, Appräsentations-, Verweisungs- und Deutungsschemata, die in meiner sozialen Umwelt als typisch relevant gelten und von ihr bestätigt werden, auch für meine einzigartige biographische Situation und für die meines Mitmenschen in der Welt des Alltags relevant sind.

Nur die Annahme einer solchen Ähnlichkeit (und die Tatsache, dass diese Annahme im Alltag durch erfolgreiche Kommunikation und Interaktion bestätigt wird) ermöglicht es den Subjekten, alltägliche Situationen routinehaft zu bewältigen und Gesellschaft funktionieren zu lassen. Aufgrund des Wissens um geteilte Wissensund Handlungsrepertoires und Deutungsschemata können Zeichen als Verkürzungen komplexer Sachverhalte eingesetzt werden – vom Straßenzeichen bis hin zum Anerkennen der in der Person einer Polizistin in Uniform repräsentierten, demokratisch legitimierten Staatsmacht. Das Beispiel der Polizei verweist schon auf die vierte und letzte Stufe der Abstraktion, die Schütz in seiner Systematik vornimmt: die Ebene der Symbole. Während Merkzeichen, Anzeichen und Zeichen vom Subjekt innerhalb eines gegebenen Hier und Jetzt auf unterschiedliche Weise funktionieren, diese zeitlichen und räumlichen Grenzen allerdings nicht überschreiten und damit das Subjekt mit seiner Biographie nicht in eine (zeitlich, räumlich und personal) überindividuelle Ge-

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sellschaft einbetten, leisten Symbole genau dies. Für das einzelne Subjekt heißt dies: Ich bin in eine schon geordnete Welt hineingeboren worden, die mich überdauern wird, in eine Welt, die ich mit Mitmenschen teile, die bestimmten Gruppen angehören, in eine Welt, die ihre eigenen offenen Horizonte in Raum, Zeit und […] sozialer Distanz besitzt. (Schütz 2003, V.2:167)

Die je eigene „soziale Umwelt bezieht sich immer auf einen Horizont möglicher sozialer Umwelten, und wir können daher von einer transzendenten Unendlichkeit der Sozialwelt sprechen“ (Schütz 2003, V.2:167–68). Diese überindividuelle und insbesondere zeitlich nicht gebundene soziale Umwelt ist Voraussetzung für Gesellschaft. Und Gesellschaft wiederum ist fundamental auf Symbole als Kommunikationsmittel angewiesen, welche „sozial gebilligte Systeme [darstellen, ALM], die Antworten auf unsere Fragen nach den sich unserem Wissen entziehenden Transzendenzen anbieten.“ (Schütz 2003, V.2:169) Um das Beispiel der Krone als Symbol der Macht in heute demokratischen Gesellschaften noch einmal aufzunehmen: Das Wissen um die Demokratie entzieht sich dem Alltagswissen der BürgerInnen in einer demokratischen Gesellschaft, denn sie sind, so Schütz im obigen Zitat, in die „schon geordnete Welt hineingeboren worden“, ein bestimmter Wissensvorrat transzendiert zeitliche und räumliche Grenzen und ist ihnen als Teil des Kollektivs zugänglich, auch wenn ihnen die Erfahrung der Monarchie selbst nicht zugänglich ist. Im Fall der HIMs greift ein solches Symbolverständnis etwa für Objekte wie Reisepässe oder Visa. Diese werden für die Einzelnen als Referenz auf ein spezifisches Rechtssystem wirksam und sind in ihrer Symbolik und Funktion überzeitlich und überindividuell. Sie symbolisieren eine Idee eines Rechtsstaats, in dem Gewaltenteilung herrscht und in dem eine Exekutive legitimiert ist, Handlungen zu sanktionieren, die rechtsstaatlichen Prinzipien zuwider laufen. Diese Idee des Rechtsstaats ist es, das nach Schütz „unsere Alltagserfahrung transzendiert.“50 Andere Objekte der HIMs sind dagegen eher als Merk- und Anzeichen zu verstehen, da sie ihre Wirksamkeit ausschließlich für die individuelle Person entfalten. Dies 50

Eine solche Transzendenz ist in gewisser Weise auch in den Arbeiten von Ernst Cassirer ange legt. In seinem 1923 erschienenen Text Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften arbeitet Cassirer, und hier lassen sich Ähnlichkeiten zu Schütz’ Arbeiten sehen, die Differenz von Ding und Zeichen heraus. Er identifiziert einen „dreifachen Stufengang“ (Cassirer 2009, 70), in dessen Abfolge sich das Zeichen von der Ding-Ähnlichkeit hin zum Symbolischen immer weiter von der Kopplung an das Ding entfernt. Am Beispiel der sprachlichen Darstellung zeigt er, wie sich auf diesen Stufen vom Zeichen zum Symbol die nachahmende Darstellung hin zu einer auf Konventionen beruhenden vermittelten Symbolisierung des Dings verändert. Eine vergleichbare Stufung findet sich auch bei Panofsky (1980, 2006), der den Gegenstand von seiner Einbettung in seinen sozialen Kontext und dem Sinngehalt des Gegenstands unterscheidet. Sein Vorschlag einer dreistufigen Analyse, die den vorikonografischen, ikonografischen und ikonologischen Gehalt eines Gegenstands untersucht, kann insbesondere für die Analyse visuellen Materials und von Text-Bild-Verbindungen nutzbar gemacht werden.

7.3 Was symbolisieren Objekte?

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gilt beispielsweise für Riekes „emotionalen Schmuck“ (Rieke, Pos. 44), den sie überallhin mitnimmt. Für die vorliegende Arbeit bedeutet diese differenzierte Darstellung von Symbol- und Zeichenbegriffen, dass unterschiedliche Objekte auf unterschiedliche Weise verstanden und interpretiert werden müssen. Die Analyse zeigt dabei, dass insbesondere das Merkmal der überzeitlichen und überindividuellen Transzendenz die Objekte der HIMs unterscheiden: Wie schon angedeutet, gibt es Objekte wie Reisedokumente, die in einem Schütz’schen Verständnis als Symbole verstanden werden können. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Objekten, die als Merkzeichen interpretiert werden können, da sie für die HIMs in ihrer individuellen Biographie und für ihr individuelles Leben Bedeutung aufweisen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, sich noch einmal explizit mit der Bedeutung symbolischer Objekte für Gesellschaften auseinanderzusetzen, da auch die HIMs in spezifische Objekt-Gesellschaft-Relationen eingebunden sind, in denen Symbole wirksam werden. Der Beziehung von symbolischen Objekten und Gesellschaft wende ich mich daher nun zu. 7.3.2 Symbolische Objekte und Gesellschaften Wenn Castoriadis (1990, 199) beschreibt, dass „[alles], was uns in der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt begegnet, untrennbar mit dem Symbolischen verwoben [ist]“, dann benennt er damit die Bedeutung, die Symbole für soziale Zusammenhänge aufweisen (vgl. dazu weiter Castoriadis 1990, insbes.199–217). Welche Funktionen erfüllen nun aber solche Bedeutungszuweisungen für eine Gesellschaft? In der Darstellung der Schütz’schen Definition des Symbols klang die Bedeutung von Symbolen für die Einzelnen in einer Gesellschaft und für die Gesellschaft als ganze schon an: Über die Verwendung von Symbolen ist die Teilhabe an einem kollektiv geteilten, Raum und Zeit überschreitenden Wissensschatz gewährleistet. Symbole richtig verwenden zu können – und richtig heißt hier: im Sinn des kollektiv geteilten Wissens – heißt daher immer auch: Inklusion herstellen zu können. Symbole sind Verkürzungen von komplexen gesellschaftlichen Konventionen sowie des Wissens um sie, und ihre richtige Interpretation sichert die Teilhabe an der Gemeinschaft. Über die Weitergabe des Wissens wird zudem das Funktionieren des sozialen Systems gesichert und damit das Kollektiv über die Zeit stabilisiert. Die Symbole, die in Kollektiven und Gesellschaften verwendet werden, können an Objekte gebunden sein, müssen dies aber nicht. Auch sprachliche Zeichen und Handlungen können einen Symbolcharakter aufweisen, etwas das Handeln der zuvor genannten Pastorin oder eines Standesbeamten bei der Trauung (vgl. dazu Austin 1972). Sprache hat demnach eindeutig die Kraft, durch ihren Vollzug Situationen zu verändern, gesellschaftliche Verhältnisse ins Leben zu rufen, zu stabilisieren, aber auch zu destabilisieren (siehe dazu auch Müller 2009). In diesen

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Fällen sind Performanz und zusätzlicher Bedeutungsgehalt untrennbar verbunden: Die mit der Segnung verbundenen Handbewegungen eines Pastors und ritualisierte Sätze einer Standesbeamtin („Hiermit erkläre ich...“), die Austin (1972) als performative Sprechakte bezeichnet, verweisen auf die enge Verbundenheit von Körper, Sprache und Bedeutung in einer Gesellschaft, die über kommunikatives Handeln mit strukturiert ist (dazu auch Althusser 1977). Der praktische Vollzug und die damit verbundene Verwendung von Objekten für etwas – das Ausrufen eines Staates, den Vollzug der Ehe, die Segnung – tritt in diesen Darstellung allerdings in den Hintergrund.51 Eine instruktive Darstellung des Zusammenhangs von Gesellschaft und Materialität liefert schließlich auch Bourdieu (1993) in seiner Beschreibung des kabylischen Hauses. In einer dichten Beschreibung der Anordnung einzelner Elemente in den Häusern der Kabylen mit einer gleichzeitigen Kontextualisierung dieser angeordneten Elemente mit der Sozialstruktur der kabylischen Gesellschaft gelingt es ihm, die Verwobenheit von sozialen und religiösen Strukturen auf der einen und der materiellen Umgebung auf der anderen Seiten aufzuzeigen. Dabei sind es die räumlichen Strukturen, die aus der Anordnung verschiedener gebauter Elemente und ihrer Nutzung entstehen, in denen das Zusammenwirken von Materialität und Sozialität zum Ausdruck kommt. Bourdieu (1993, 471) spricht hier von dem „in den Dingen und Orten des Hausraums objektivierten Sinn“, der sich Außenstehenden „erst über die Praktiken, die nach denselben Schemata strukturiert sind, die im Verhältnis zu ihnen geordnet werden (und umgekehrt)“, erschließt. So ist das Haus in einen dunklen und einen hellen Bereich unterteilt; ersterer ist der Ort der Tiere und des Schlafe(n)s, letzterer der Ort des Kochens und der Bewirtung von Gästen. Ein weiteres Beispiel für die Verschränkung des Sozialen und RäumlichMateriellen ist der Umgang mit Toten: „Die Verknüpfung zwischen dem dunklen Teil des Hauses und dem Tod zeigt sich auch darin, daß die Totenwaschung an der Stalltür vorgenommen wird.“ Insgesamt „ist das Haus nach einer Reihe von homologen Gegensätzen geordnet“ (Bourdieu 1993, 476), zu denen auch die Dichotomie der Geschlechter gehört, welche in der räumlich-baulichen Struktur des Hauses ihren Ausdruck findet. Der objektivierte Sinn, den Bourdieu im kabylischen Haus identifiziert, ist in diesem Fall eine Sinnzuweisung an Objekte und physisch-räumliche Anordnungen, die von der kabylischen Gesellschaft und ihren Mitgliedern vorgenommen wird. Im Vollzug dieser Zuweisung und der damit verbundenen Praktiken wird der Sinn von seinem sozialen Herstellungskontext gelöst und objektiviert – er wird nun als vermeintlich natürlich wahrgenommen, die Anordnung der Dinge im 51

Butler (1997) verhandelt in ihren Arbeiten die körperliche Dimension gesellschaftlicher Bedeutungszuweisungen ausführlich am Beispiel von (Gender-)Identitäten. Allerdings fragt sie nicht explizit danach, welche Rolle der Materialität als solcher für die Konstitution von Gesellschaft zukommt. Dabei lässt sich zeigen, dass auch die für die körperliche Performanz von Identitäten eingesetzten Objekte für die (Mit-)Bestimmung und Interpretation dieser Identitäten sowie für ihren symbolischen Bedeutungsgehalt bedeutsam sind.

7.3 Was symbolisieren Objekte?

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Haus und damit der Vollzug der Praktiken an bestimmten Orten im Haus erscheint als gesetzt und plausibel. Damit „ist objektivierter Sinn als Manifestation von Sinngehalten in den Objekten und Schemata der sozialen Welt zu verstehen.“ (Hillebrandt 2009, 73) Hier wird eine der Rollen deutlich, die Objekte für eine Gesellschaft spielen: Sie stabilisieren Gesellschaft und ihre Strukturen und Institutionen, indem sie sie als manifest und damit natürlich gegeben erscheinen lassen. In Schütz’ Terminologie: Dinge symbolisieren gesellschaftliche Sinnsysteme und transzendieren dabei die aktuelle raumzeitliche Bindung. Das Zusammenspiel des objektivierten Sinns und des praktischen Sinn, welcher im Habitus seinen Ausdruck findet, führt schließlich, so Bourdieu (1993, 108, Herv.i.O.), zur Schaffung einer „Welt des Alltagsverstands“, einer Welt, in der routiniert mit Mitmenschen, Institutionen und der gebauten Umwelt umgegangen wird und in der Interaktion gelingt, da Praktiken (und damit der praktische Sinn) und umgebende physische und soziale Strukturen (und damit der objektivierte Sinn) gegenseitig verstanden werden, ohne dass die Bedeutungsgehalte je ne ausgehandelt werden müssten. Für die vorliegende Arbeit sind die Bedeutungszuweisungen, die in einer Schütz’schen Lesart für Merkzeichen und Symbole konstitutiv sind, von Bedeutung. Für die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen spielen Objekte nicht nur funktional eine Rolle; vielmehr weisen bestimmte Objekte über die Funktion hinausgehende Bedeutungen auf. Dieser Bedeutungsgehalt wird maßgeblich von den MigrantInnen selbst produziert und ist eng an ihre Migrationsbiographie gekoppelt; sie sind es also, die den Dingen die Bedeutung zuweisen und machen diese Objekte zu Merkzeichen. Die Bedeutungszuweisung geschieht nicht zuletzt performativ, das heißt über den Vollzug von Praktiken und Interaktionen. 52 Indem bestimmte Objekte in einem bestimmten Kontext für bestimmte Zwecke wiederholt genutzt werden, schreibt sich eine über ihre Funktion hinausgehende Bedeutung in sie ein. Die HIMs verwenden Objekte auf unterschiedliche Weise. Sie sind Teil ihrer Hobbies, sie werden als Erinnerungsstücke aufbewahrt oder sie dienen im wörtlichen Sinn als Ausweise ihres rechtlichen Status oder ihrer beruflichen Qualifikation. Den Objekten kommen dabei unterschiedliche Bedeutungen zu: So ist beispielsweise Yunas Praktik des Cello spielens nicht nur eine (körperliche) Praktik des Musizierens, sondern das Cello als Objekt ist ein Merkzeichen ihrer Integration in lokale Orchester und Quartette und referiert auf die Musik als etwas, das sie liebt und das Teil ihres Selbst ist. Und Doras Kleidung aus den USA, die, in einer Kiste verpackt, mit ihr nach Deutschland und in die Schweiz umzieht, hat inzwischen ihren funktionalen Wert fast vollständig verloren, da sie sie nicht mehr trägt. Aber sie ist ein Merkzeichen für sie, das, über räumliche und zeitliche Grenzen 52

Zur Performanz und ihrer Rolle für Bedeutungszuweisungen und -umdeutungen, etwa in der Homosexuellen-Bewegung, siehe Butler (1991, 1997, 2001). Zu den insbesondere sprachlichen Aspekten, die Butler dabei in den Blick nimmt, auch Müller (2009). Für eine Analyse des Handelns mit Sprache und der damit auch verbundenen Zuweisung sozialer Rollen und Status siehe Austin (1972) und Althusser (1977).

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hinweg, ihr Leben als ungebundene, kinderlose Frau mit Träumen und Ambitionen anzeigt. Es gibt allerdings auch Dinge mit Symbolcharakter, etwa die genannten Reisedokumente, welche auf Staat, Aufenthaltsstatus, Zugehörigkeit und nationale Identität etc. verweisen und die Grenzen zwischen Individuen, Zeit und Raum transzendieren. Aus diesem Grund greift eine Analyse der Objekte der HIMs allein auf Grundlage ihres Symbolgehaltes zu kurz; im Sinn von Schütz sind sie eine besondere Art der Merkzeichen, die eng an die biographische, hier: migrationsbiographische, Situation der Einzelnen gekoppelt sind. Eine vielversprechende Alternative zu einer Symbol-fokussierten Interpretation der von den MigrantInnen erwähnten Objekte bieten daher die Arbeiten, die die Objekte in ihrem Akteurscharakter genauer in den Blick nehmen. Wie schon angedeutet, ist der symbolische und merkzeichenhafte Gehalt von Objekten nicht der einzige Grund, warum sie für Individuen, Gruppen und Gesellschaft bedeutsam sind; sie sind auch Teil von Praktiken und tragen dazu bei, dass sich Praktiken auf bestimmte Weise ausformen. Und gerade die Analyse von Objekten auf der Mikro-Ebene, etwa im Fall der HIMs, zeigt, dass eine Berücksichtigung ausschließlich des kollektiv geteilten, überindividuellen und Raum-Zeit-Grenzen überschreitenden Bedeutungsgehalts der Wirksamkeit von Objekten für das Soziale nicht ausreichend Rechnung tragen kann. Vielmehr lassen sich Objekte, wie ein zweiter einflussreicher Forschungsstrang zeigt, als MitGestalter von Sozialem begreifen. Der damit verbundenen Frage, ob Objekte etwas tun können, wende ich mich nun zu. 7.4 Was tun Objekte? Die oben skizzierten Ansätze, die den Zeichen- und Symbolgehalt von Objekten hervorheben, verstehen die Materialität als ein zumeist stabilisierendes Moment von Gesellschaft. Interaktionen werden vereinfacht, indem auf ein kollektiv geteiltes Wissen verwiesen wird: Der Richter ist als Vertreter des Staates erkennbar, da er im Gerichtssaal eine Robe trägt; seine Legitimation muss nicht jedes Mal erneut verhandelt werden. Straßenschilder werden als Träger von Bedeutungen verstanden; werden die Bedeutungen ignoriert, sind damit Sanktionen durch den Staat verbunden. Betrachtet man diese Beispiele, erscheint aber auch eine weitere mögliche Lesart möglich: Die Robe und das Straßenschild sind Teil des Sozialen, da sie von den Gesellschaftsmitgliedern als bedeutsam verstanden werden – es macht für sie einen Unterschied, ob sie präsent sind oder nicht. Diese Hinwendung zur Materialität, unter den verschiedenen turns der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften der object turn, wird im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert eine immer einflussreichere Forschungsrichtung mit unterschiedlichen disziplinären Spielarten.53 Diesem Verständnis von Objekten als konstitutivem Bestand53

Zu sehen etwa in den Arbeiten über die Wirksamkeit von Materialität für Gesellschaft in der Neuen Architektursoziologie (Delitz 2005; Fischer und Delitz 2009; Steets 2015).

7.4 Was tun Objekte?

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teil des Sozialen gehe ich im Folgenden nach, um daran anschließend die in der vorliegenden Arbeit vertretene Perspektive der relationalen Beziehung von Menschen und Objekten mithilfe von Beispielen aus meiner eigenen Forschung zu explizieren. Da der Fall der grenzüberschreitenden Migration ein Phänomen ist, das eine materielle und eine räumliche Komponente aufweist, werden diese beiden Dimensionen bei der Darstellung der potentiellen agency von Objekten in den Mittelpunkt gestellt. 7.4.1 Die Handlungsfähigkeit von Dingen Die Rolle von Dingen als Mitgestalter sozialer Beziehungen, kultureller Praktiken oder Wissensformen wurde prominent von den science and technology studies ins Zentrum der wissenschaftlichen Analysen gerückt. VertreterInnen dieser Forschungsrichtung arbeiteten zunächst heraus, in welcher Weise Objekte an der Hervorbringung von (wissenschaftlichem) Wissen beteiligt sind. So zeigten Latour und Woolgar (1986), Knorr Cetina (1981) oder Lynch (1985), allesamt VertreterInnen der frühen laboratory studies, dass kleine Objekte wie Pipetten, Bücher, Scheren, aber auch große Maschinen wie ein Teilchenbeschleuniger daran beteiligt sind, spezifisches Wissen hervorzubringen, in diesen Fällen: naturwissenschaftliches Wissen. Dabei sind die Dinge sowohl an der Hervorbringung von Praktiken als auch an der Konstitution spezifischer sozialräumlicher Settings beteiligt. So heißt es bei Latour und Woolgar (1986, 45): One area of the laboratory (section B […]) contains various items of apparatus, while the other (section A) contains only books, dictionaries, and papers. Whereas in section B individuals work with apparatus in a variety of ways: they can be seen to be cutting, sewing, mixing, shaking, screwing, marking and so on; individuals in section A work with written materials: either reading, writing, or typing.

Ohne die Objekte – die Schere, das Reagenzglas, die Bücher, den Computer – wären weder die Praktiken des naturwissenschaftlichen Forschens – das Schneiden, das Mischen, das Lesen, das Schreiben – möglich noch das Labor als Ort des Forschens existent. Die Dinge sind also, wie Knorr Cetina (2002) resümiert, beteiligt an der Hervorbringung von Kultur, hier: naturwissenschaftlicher Kultur. Worauf diese Laborstudien verweisen, ist die Verwobenheit von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren für die Hervorbringung von Wissen und allgemein Kultur, in diesem Fall einer spezifischen naturwissenschaftlichen Wissenskultur. Die VertreterInnen der Laborstudien gehen nicht so weit, wie es NachfolgerInnen im Kontext der actor network theory (ANT) tun, von einer Symmetrie dieser unterschiedlichen Akteure zu sprechen (z.B. Akrich 1992; Law und Hassard 1999; Latour 1995, 2007).54 Vielmehr geht es ihnen darum zu zeigen, dass Wissen und Kultur – hier am Beispiel wissenschaftlicher Disziplinen gezeigt – nicht aus dem 54

Für die Geographie z.B. Whatmoore (1999); weiterführend auch Müller und Schurr (2016).

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Nichts heraus entsteht, sondern etwas sind, das über die Interaktionen von mannigfaltigen Akteuren und das routinehafte Praktizieren von erlernten Tätigkeiten hervorgebracht wird; und Objekte integraler Bestandteil dieser Interaktionen und Praktiken sind. Damit geht es um die agency von Objekten und um das Denken der Beziehung von Objekten und Menschen als miteinander verflochten. Aus methodischer Sicht ist für diese Arbeiten charakteristisch, dass sie versuchen, die sogenannte black box zu öffnen – d.h. die Abläufe in einem bis dato unhinterfragten und in sich kohärent erscheinenden Prozess zu identifizieren – und kleinteilig zu beschreiben, welche Prozesse vor sich gehen, bis am Ende beispielsweise die widerspruchsfreie Beschreibung einer wissenschaftlichen Entdeckung (Latour 1988), ein Gebäude (Yaneva 2005) oder ein wirtschaftswissenschaftliches Ergebnis (Reichmann 2013) steht. Die Beispiele aus den frühen Laborstudien machen dabei mit dem Öffnen dieser black box auch auf die grundsätzlich zu beobachtende Handlungsfähigkeit von Objekten aufmerksam. In allen diesen Studien zeigt sich, dass Objekte einen Einfluss darauf haben, wie sich Praktiken entwickeln, wie Tätigkeiten ausgeübt werden, wie sich in Räumen bewegt und wie mit anderen Menschen interagiert wird. Sie haben aber auch einen Einfluss darauf, wie Menschen ihre sozialen Beziehungen oder ihre Beziehungen zum Arbeitsplatz ausgestalten.55 Preda (1999, 348) beschreibt diese soziale Wirkmächtigkeit von Dingen anschaulich: „[things’] simple presence dissolves social norms, arouses desire, makes people cheat, lie, and (sometimes) fall in love”. Objekte sind, wie er weiter sagt, nicht einfach nur plump herumliegende Dinge ohne Einfluss – sondern sie sind präsent. Und mit dieser Präsenz sind sie beteiligt an der Herstellung des Sozialen. Knorr Cetina (1997, 9) beschreibt derartige Beziehungen als eine spezifische, für spätmoderne Wissensgesellschaften zu beobachtende Form der Verbindung von Individualisierung und Objektbezug: Individualization then intertwines with objectualization – with an increasing orientation towards objects as sources of the self, of relational intimacy, of shared subjectivity and of social integration.

Diese Rolle von sogenannten „postsozialen Beziehungen“ (Knorr Cetina 2001, Übers. ALM) und damit die Bedeutung von Objekten nicht zuletzt für das Selbst klingen auch in Daniel Millers ethnographischen Beschreibungen des Alltagslebens in London an. So sind etwa Briefmarken für einen von Millers Protagonisten eine Möglichkeit „seine Kenntnisse der Geschichte und der Geographie [zu erweitern und zu vertiefen]“ (Miller 2010, 43) – ohne das Sammeln der Briefmarken und die Beschäftigung mit ihnen wäre die Person nicht die, die sie ist. Dinge machen damit also nicht nur Praktiken möglich, erschweren oder verunmöglichen sie, sie sind auch wichtig für die Identität von Individuen, Gruppen und ganzen 55

Für das wissenschaftliche Labor zeigt dies Owen-Smith (2001), für Werbeagenturen Krämer (2014). In allgemeine Darstellung der workplace studies findet sich bei Knoblauch und Heath (1999).

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Gesellschaften. Sehr instruktiv für eine solche Materialitäten-sensitive Forschung ist Marres’ (2012, 2, Herv.i.O.) Vorschlag der material participation: This means that we decline to answer the general question of whether entities like trees have „agency“ and are capable of normative or political action „in and of themselves“. Instead, we consider material participation as a specific mode of engagement, which can be distinguished by the fact that it deliberately deploys its surroundings […] and entails a particular division of roles among the entities involved – things, people, issues, settings, technologies, institutions and so on. […] we then consider material participation as a specific phenomenon, in the enactment of which a range of entities all have roles to play.

Marres’ Ansatz geht in eine ähnliche Richtung wie die Forderung von Jackson (2000): Anstatt materielle Dinge als per se entscheidend zu betrachten (Jackson) oder die metaphysische Frage beantworten zu wollen, ob Dinge eine agency haben (Marres), geht es hier vielmehr um die Annahme, dass Phänomene zu beobachten sind, in denen Akteure unterschiedlicher (menschlicher und nicht-menschlicher, materieller und sozialer) Art interagieren – und diese Akteure gilt es mit ihren Netzwerken oder, in Marres’ Worten: bezüglich ihrer Form der Partizipation zu untersuchen. Unter dem Begriff des new materialism wird seit den 2000er Jahren die (Wieder-)Hinwendung zur Materialität insbesondere in den Sozialwissenschaften beschrieben (Coole und Frost 2010). Scheffer (2016, 94) begreift diesen Ansatz als an den practice turn und den performative turn anschließend und sieht in ihm „die Vielzahl von Entitäten, jenseits der menschlichen Akteur_innen [betont].“ Seiner systematischen und kritischen Darstellung der verschiedenen Spielarten dieses Ansatzes zufolge sind es drei Vorgehensweisen, die dieser „Vielzahl vom Entitäten“ Rechnung zu tragen versuchen: (1) die Betonung der Vielfältigkeit eines Dings, die es für unterschiedliche Zwecke und in unterschiedlichen Kontexten bedeutsam sein lässt; (2) die Berücksichtigung einer großen Menge an, zum Teil sehr kleinteiligen, Elementen eines Phänomens; (3) die Integration auch des Unabgeschlossenen oder der (später verworfenen) Vorstufen in die Analyse dieses Phänomens (Scheffer 2016, 94). In seinem Vorschlag für eine angemessene Berücksichtigung des Materiellen in der Soziologie plädiert Scheffer (2016, 99) für eine situationale Analyse, deren „Ausgangspunkt dabei jeweils ein praktischer Vollzug [ist], der Körper, Objekte und Apparate anhand bestimmter Merkmale […] mobilisiert.“ Apparate sind für Scheffer (2016, 94, Fußnote 2) „materiell und personell ausgestattete Betriebe oder Einrichtungen […, die als] praktischer Zusammenhang gefasst werden [sollen].“ Diese Begriffsbestimmung ist ein Ausweis von Scheffers starker Betonung der Praxis und der Relationen: Seiner Ansicht nach ist es nicht möglich (und hier stimmt er mit Knorr Cetina (1997) überein), Materialität außerhalb ihrer Einbindung in Beziehungsnetzwerke (Relationen), die vollzogen werden (Praxis), sinnvoll zu untersuchen, wenn der Forschungsgegenstand die Gesellschaft ist. Auch wenn damit eine grundsätzliche Dynamik eines solchen Gefüges impliziert ist, so stellt Scheffer (2016, 99, Herv.i.O.) doch heraus, dass den Dingen

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eine relative Stabilität zu eigen ist: „Ein Objekt ist demnach relativ „fest“/„fluide“ in Relation zu laufenden Geschehnissen und anderen Objekten.“ Sowohl Stabilität als auch Dynamik sind damit selbst relationale Konzepte und zeigen sich erst durch das Hinzuziehen einer Referenz, etwa eines Ereignisses. So ist ein Tagebuch, das vom Vater an die Tochter weitergegeben wird, im Vergleich zu den „laufenden Geschehnissen“ in den Biographien der beteiligten Personen stabil; im Vergleich zu einem wertvollen Schmuckstück, das über Generationen weitergeben wird, ist es flüchtig. Dies liegt nicht zuletzt an seiner physischen Beschaffenheit: Papier ist vergänglicher als Gold oder Silber. Damit rückt auch die Materie der Materialität in den Blick der Analyse. Diese physischen Qualitäten von Objekten spielen auch in den Arbeiten eine Rolle, in denen herausgearbeitet wird, wie mithilfe von Objekten wie Gebäuden und Inneneinrichtungen Räume konstituiert werden. Dieses Themenfeld wird im weiteren Verlauf des Kapitels noch zum Thema gemacht; zunächst wende ich mich den spezifischen objektgebundenen Praktiken der HIMs und den darin enthaltenen Wissensformen zu. 7.4.2 Objekte, Praktiken und Wissen Die HIMs, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen, zeichnen sich durch spezifische Praktiken aus, mit denen sie ihren mobilen Lebensstil konstituieren. Für viele dieser Praktiken sind Objekte konstitutiv, und es sind charakteristische Wissensformen in diese Praktiken eingelassen. Versteht man, wie ich es im vorliegenden Buch tue, Praktiken als routinisierte Handlungen, mit denen auf inkorporiertes Wissen zurückgegriffen wird, so ist ein Blick auf diese Wissensreservoirs sinnvoll für die weitere Analyse der objektbasierten Praktiken. Zunächst aber einige Worte zum Begriff der Praktiken. Ich verwende diesen Begriff, um damit eine die „Individuen dezentrierende Art“ (Hirschauer 2016, 46) des menschlichen Tuns zu bezeichnen. Die Dezentrierung von den Individuen ist für meine Analyseperspektive notwendig, da nur so die Berücksichtigung anderer beteiligter Akteure, etwa der mit-migrierenden Objekte und der Visumsbestimmungen, denen die von mir interviewten Personen unterliegen, berücksichtigt werden können. Anders als beim Handeln, welches einen Ausgangspunkt benötigt (wer oder was handelt?), lässt sich von Praktiken sprechen, ohne eine, den einen Akteur zum Ausgangspunkt nehmende Perspektive einzunehmen. Die Merkmale eines solchen praxistheoretischen begrifflichen Rahmens lassen sich daher mit Hirschauer (2016, 46, Herv.i.O.) wie folgt benennen: „Praxis“ ist der körperliche Vollzug sozialer Phänomene. „Praktiken“ sind bestimmbare Formen dieses Vollzugs: Typen von Aktivitäten, Weisen des Handelns, Verhaltensmuster, Interaktionsformen. Menschliches Handeln und Verhalten – d.h. Praxis – findet also im Rahmen von Praktiken statt, d.h. im Rahmen von kulturell vorstrukturierten ways of doing, in deren Verlaufsmuster sich Handelnde bei ihrem Tun verwickeln.

7.4 Was tun Objekte?

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Im Begriff der Praktiken sind damit das Handeln und das Verhalten impliziert; damit können sowohl zielgerichtetes und intentionales Tun (Handeln), stärker reaktives Tun (Verhalten) als auch die Tätigkeiten in der Grauzone, etwa gewohnheitsmäßiges zielgerichtetes Handeln, berücksichtigt werden. Und schließlich, und das ist für die vorliegende Arbeit mit ihrer relationalen Perspektive auf hochqualifizierte internationale MigrantInnen bedeutsam, zielt eine Praxistheorie, wie ich sie verwende, darauf, die Ebenen des Körpers und der Materialität in die Analyse einzubeziehen. „Alle Praktiken involvieren den Körper“ und viele auch Artefakte, so Hirschauer (2016, 51–52). Die ethnographische Studie von Krämer (2014) zur Arbeit in Werbeagenturen zeigt diese Verwobenheit von Menschen, Körpern und Objekten eindrücklich, etwa wenn er über die Arbeit am Computer schreibt, wie sich Körperhaltung, -bewegung und Affekte im Zusammenspiel mit der Materialität des Büros in den Praktiken des Gestaltens am Computer zeigt: So lässt sich ein spezifisches körperliches Engagement, eine besondere Körperhaltung und -aktivität beobachten, die auf eine besondere Hinwendung zu den Gestaltungsgegenständen verweist: Die Gestaltenden konzentrieren sich auf den Bildschirm, das heißt ihre Augen sind auf das Geschehen gerichtet und weichen von diesem nur selten ab. Sie nutzen beide Hände (im Gegensatz etwa zu Situationen der Internetrecherche), mit denen sie Tastatur und Maus oder Tastatur und elektronisches Zeichenbrett bearbeiten. Zugleich lässt sich auf dem Bildschirm eine ständige Veränderung der Entwurfsobjekte beobachten, die kaum durch innehaltende Gesten unterbrochen wird, so dass ein solches „Entwurfshandeln“ durch einen bestimmten Rhythmus der Gestaltung beobachtbar wird. (Krämer 2016, 313, Herv.i.O.)

Eine ethnographische Studie, wie Krämer sie durchgeführt hat, ist besonders geeignet, Praktiken auf die Spur zu kommen. Aber auch in den Interviewees mit den HIMs lassen sich Praktiken identifizieren, etwa wenn meine Interviewee Lisa ihre Praktik des Kennenlernens neuer Orte beschreibt: Wenn ich in eine neue Stadt fahre ist eigentlich das erste, was ich mache, nach Plattenläden zu suchen. Weil normalerweise die Plattenläden in den Gegenden sind, in denen auch gute Cafés sind und gute Bars sind, die man vielleicht nicht unbedingt im Touristenführer findet. Also es ist eigentlich eine gute, eine nette Art, neue Städte zu erkunden. (Lisa, Pos. 48)

Das, was Lisa als „eine gute, eine nette Art, neue Städte zu erkunden“ beschreibt, ist eine Praktik, genauer: eine Praktik des Aneignens von Ortswissen. Das „Suchen“ der Plattenläden ist eine körperliche Handlung: Das Internet und soziale Medien werden zielgerichtet mit den Fingern auf der Tastatur oder dem Display des Smartphones durchsucht, Stadtpläne auf Straßen und geographische Orientierungen hin konsultiert, schließlich wird die Stadt ‚ergangen‘ – eine spezifische „Art, mit dem Raum umzugehen“ (Certeau 1988, 182). 56 Und die meisten dieser körperlichen Erfahrungen sind mit Objekten verbunden: dem Computer, dem Smartphone, dem Stadtplan oder der papiernen Skizze der Wegstrecke, dem Bür56

Vgl. dazu auch Earls (2016) ethnographische Studie zur Körperlichkeit von Busfahrten in Ho Chi Minh Stadt und der Herstellung von sozialen Ungleichheiten über (In)Visibilisierung und Stigmatisierung von Körpern in diesem „transnationalen Raum“ (Earl 2016, 98, Übers. ALM).

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7 Menschen, Objekte und Migration

gersteig, der Hauswand des Plattenladens. Die Materialität der Objekte trägt mit dazu bei, wie sich die Praktiken ausgestalten, indem sie bestimmte Verhaltensweisen – etwa das Umrunden einer Hausecke, das Scrollen mit der Maus am Computer – nahelegen. Um die Bedeutung von Materialität für Praktiken konzeptionell zu fassen, spricht Hirschauer (2016, 52, Herv.i.O.) in diesem Zusammenhang von „Gebrauchssugesstionen“, welche den Dingen zu eigen sind, und grenzt sich von einer flachen Ontologie à la Latour und ANT ab: Plausibler [als Dingen eigene Handlungsprogramme zuzusprechen, ALM] scheint mir ein Reden darüber, welches Handeln die Dinge präfigurieren und disponieren, was sie nahe legen und wozu sie einladen. Sie tun dies vor allem auf zwei Weisen: Zum einen können sie Körperhaltungen, Bewegungen und Verhaltensweisen physisch ermöglichen, erzwingen und inhibieren (so wie eng geschnittene Kleidungsstücke), weil sie den Händen, Füßen und Sinnen spezifische Widerstände, Stützpunkte und Anknüpfungsmöglichkeiten bieten. Zum anderen legen sie ein Handeln nahe, weil ihnen wie unserem Verhalten […] kommunikative Zeichen eingebaut sind, zu was sie taugen. Damit steckt in ihnen aber keine „Gebrauchsanweisung“. Die liegt ihnen vielmehr bei und gibt tatsächlich Anweisungen. Die Dinge machen eher Gebrauchssuggestionen, die zugleich schwächer (weniger eindeutig) und stärker (nachhaltiger, schlechter ignorierbar) sind als die Anweisungen. (Hirschauer 2016, 52, Herv.i.O.)

Bestimmte Dinge machen dabei allerdings, so argumentiere ich, mehr als Suggestionen für den Gebrauch: Sie machen bestimmte Verhaltensweisen unmöglich, etwa wenn eine Hauswand verhindert, dass ich meinen Weg durch sie hindurch fortsetze. Bestimmte Dinge entfalten also eine sehr starke Wirksamkeit, während andere einen Möglichkeitsraum des Handelns und Verhaltens aufmachen. Schließlich verweist das Zitat aus dem Interview mit Lisa auf spezifische Wissensformen: auf ein über die Zeit angeeignetes Wissen darum, welche Strategien sinnvoll sind, um sich Ortswissen anzueignen. Praktiken können demnach verstanden werden als inkorporierte, sich auf die materielle Umwelt beziehende und mit ihr verflochtene menschliche Aktivitäten, die über ein individuell und kollektiv geteiltes, praktisches Wissen organisiert sind. Damit sind mindestens drei Dinge entscheidend für Praktiken: der Körper des Individuums; die umgebende Umwelt inklusive anderer menschlicher und nichtmenschlicher Akteure; Wissen, das individuell verfügbar ist, kollektiv geteilt und individuell angeeignet wird. Und Praktiken sind nicht nur auf der Mikroebene von Gesellschaft bedeutsam und dort beobachtbar; vielmehr sind sie, wie Schatzki (2001, 12) herausstellt, für die Hervorbringung des Sozialen und damit von Gesellschaft fundamental: „the social is a field of embodied, materially interwoven practices centrally organized around shared practical understandings.“ Dieses Verständnis von Praktiken als sozial eingebettet teilt auch Werlen (1997), dem es in einer an Giddens angelehnten Handlungstheorie nicht zuletzt darum geht, die spezifischen räumlichen und zeitlichen Bezüge sozialen Handelns zu fassen. Anders als ich hier vorschlage macht Werlen (1997, 2:142, Herv.i.O.) dabei den Begriff des Handelns stark, um „„Raum“ und „Zeit“ […] als Konstitutionsleistungen der Handelnden [begreifen]“ zu können. Diese Fokussierung der Handelnden lässt sich in die hier vorgeschlagene Perspektive auf Praktiken als Relationen aus Individuen,

7.4 Was tun Objekte?

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Körpern, Wissen und Objekten aber gut integrieren. So findet sich etwa die Betonung der sozialen Hervorbringung von Raum (und Zeit), die etwa in Regionalisierungen und der stets nur temporär stabilisierten Fixiertheit von Orten deutlich wird (Werlen 1997, 2:z.B. 196–97), auch in der hier vorliegenden Arbeit. Am Beispiel des immer wieder über Praktiken hervorgebrachten Gefühls eine Zuhauses (home) verweisen etwa Rose (2003) und Tolia-Kelly (2004) auf den Nexus von materieller Kultur und Heimat; hier werden mithilfe der Objekte dann etwa auch Raum und Zeit überbrückt.57 Aus einer anderen disziplinären Perspektive, aber mit einer ähnlichen Argumentation zeigt Habermas (1999) unter Bezugnahme auf KulturanthropologInnen (Mary Douglas, George Herbert Mead) und Linguisten (Ferdinand de Saussure), welche persönlichkeitsprägende Rolle Dinge für Menschen aufweisen können und formuliert darauf aufbauend eine „Psychologie persönlicher Objekte“ (Habermas 1999, 7). Diese Verwobenheit von Menschen, Dingen, Körpern und Wissen zeigt, dass Gesellschaft maßgeblich über Dinge konstituiert wird und, auf individueller Ebene, diese Dinge konstitutiver Teil von Praktiken sind, welche wiederum die Gesellschaft mit hervorbringen und stabilisieren. Und so ist eine Gesellschaft, in der HIMs eine wichtige soziale Figur sind und die als spezifische Form einer postmigrantischen Gesellschaft (z.B. Foroutan 2018) verstanden werden kann, nun auch von den Praktiken der HIMs gekennzeichnet. Welche das im Besonderen sind, ist Thema des folgenden Kapitels.

57

Vgl. dazu auch Marschall (2019) zu intra-afrikanischer Migration und der Bedeutung von Objekten, welche sich über die Zeit auf spezifische Weise und in Abhängigkeit vom jeweiligen lokalen Kontext entwickelt.

8 Das Tun mit Objekten

Über die Analyse von Praktiken wird die Verwobenheit von Menschen, Dingen, Körpern und Wissen in einer Gesellschaft für die Forscherin zugänglich. Häufig sind praxeologische Arbeiten durch das Beobachten gekennzeichnet, wie etwa Laubes (2016) Studie zum Handeln im und des Finanzmarkt/s. Seine ethnographischen Beobachtungen fördern unter anderem zutage, dass das Agieren im Handelsraum von sogenannten „Aufmerksamkeitsrufe[n]“ (Laube 2016, 80) geprägt ist, welche spezifische Praktiken der Händler darstellen, um auf das Marktgeschehen zu reagieren: Aufmerksamkeitsrufe sind reflexartige und expressive Verbalisierungen, die den am ReutersMonitor visualisierten Strom an Preisinformationen auf der verkörperten Ebene des Handelsraums sinnlich konkretisieren. (Laube 2016, 80)

Wie ich in den methodologischen Überlegungen, die ich in Kapitel 2 dargestellt habe, erläutere, lassen sich Praktiken auch durch andere Daten als Feldnotizen rekonstruieren lassen, etwa durch Interviews. 58 Für meinen Fall heißt das: In den dichten Beschreibungen der Interviewees über ihr Handeln und Verhalten vor Ort und während des Migrierens lassen sich verschiedene Formen des Tuns – das heißt: Praktiken – identifizieren, die alle mit spezifischen Objektbezügen einhergehen. Ich konzentriere mich im Folgenden auf zwei, im Kontext der internationalen Migration besonders wichtige Sets an Praktiken: Alltagsroutinen sowie Raumkonstitutionen. Dabei sind Raumkonstitutionen auch alltäglich vollzogene Praktiken, da die Räume durch das Handeln, Verhalten und insgesamt durch das Ensemble von (menschlichen und nichtmenschlichen) Körpern, Dingen, Umwelten etc. in einer gegebenen Situation hergestellt werden. Da sie aber aufgrund ihres Ortsbezugs eine spezifische Form von Praktiken darstellen, die insbesondere für Migrantinnen bedeutsam sind, unterscheide ich sie hier von anderen alltäglichen Praktiken.

58

So zeigt Reichmann (2013, 2018), wie mithilfe einer Interviewstudie die Praktiken von Wirtschaftsprognostikern untersucht werden können, mit denen sie Prognosen über die wirtschaftliche Zukunft mit hervorbringen.

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8 Das Tun mit Objekten

8.1 Alltagsroutinen und Hobbies Die Interviewees haben vor Ort einen mit anderen, nicht-mobilen Personen durchaus vergleichbaren Alltag. In diesem Alltag spielen Hobbies eine ebensolche Rolle wie Routinen, die die Tagesabläufe strukturieren. 8.1.1 Hobbies Dieter beschreibt, wie er und seine Frau versuchten, ihre Hobbies auch im Aufnahmeland aufrechtzuerhalten und welcher Aufwand damit einhergeht: Also wir haben dann schon versucht, unsere Hobbies so aufrecht zu erhalten. Nicht, meine Frau ist sehr musikinteressiert und ich spiele Volleyball und mache sonst auch relativ viel Sport und da haben wir dann geguckt: Gibt es ein Volleyballteam irgendwo? Gibt es einen Chor? Oder gibt es eine Musikgruppe oder so etwas. […] Auch meine Frau dann auch also, weil sie halt sehr handliche Instrumente, also Blockflöten und die ganzen Holzblasinstrumente spielt, die können dann natürlich auch mit. Das ist ja nur ein Köfferchen. (Dieter, Pos. 18)

Die Interviewees versuchen auf diese Weise, sich mithilfe von Hobbies einen wiederkehrenden Alltag vor Ort zu schaffen. Zu diesen Hobbies gehört das Musizieren, welches maßgeblich auf Objekte angewiesen ist: auf Musikinstrumente. Und noch stärker als beim Volleyballspiel, das Dieters Hobby ist, gibt es eine Bindung zwischen dem Menschen und dem Objekt; die wenigsten Musizierenden möchten auf ihr eigenes Instrument verzichten, während man recht gut mit dem Volleyball einer anderen Person spielen kann. Dabei ist das Musizieren in unterschiedlichen Konstellationen zu finden: alleine, im Orchester oder Chor, in einem selbstorganisierten Quartett oder als Übungsstunden, die genommen werden. Die Größe der mitreisenden Musikinstrumente unterscheidet sich von Person zu Person deutlich und reicht vom Cello zur Blockflöte. Während Dieter über die Blockflöte seiner Frau sagt, dass diese einfach zu transportieren sei, da das „ja nur ein Köfferchen“ sei, verhält es sich im Fall des Klaviers anders. Dieses hat in gewisser Weise seine eigene Migrationsbiographie: Das Klavier ist lange zu Hause geblieben, das haben wir jetzt auch endlich, aber [das] ist schlecht in die USA mitzunehmen. (Dieter, Pos. 18)

Es ist aber auch die Sorge um das Instrument, die die Interviewees davon abhält, ihre Instrumente an jeden Ort mitzunehmen, wie Lola sagt: Lola: Die Klarinette ist bei mir nicht nach London mitgegangen, nicht nach Benin mitgegangen, aber sie ist jetzt hier mit mir in Genf. […] Ich hab sie nicht nach Benin mitgenommen, weil ich einfach die Sorge hatte, wenn schon die CDs verschimmeln, dass die dann erst recht verschimmelt. Und nach London habe ich sie dann erstmal nicht mitgenommen, weil ich dachte, ich gucke mal, wie es da ist, wenn ich die Gelegenheit habe zu spielen, dann kann ich sie immer noch holen. Und deswegen war es dann klar, dass ich die sofort nach Genf mitnehmen würde. […] Also ich bin ja vor Benin auch schon in Genf gewesen und da hatte ich sie

8.1 Alltagsroutinen und Hobbies

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dabei und habe im Orchester gespielt, so dass ich [wusste], dass ich da wieder eintreten würde, als ich zurück kam. Und wusste, dass ich auch länger bleiben würde. ALM: Und war sie in Boston dabei? Lola: In Boston war sie dabei, aber da war sie einfach nur. ALM: Hat also auch einen Auslandsaufenthalt hinter sich. (Lola, Pos. 64–68)

Lola beschreibt hier eine recht typische Objekt-Mensch-Beziehung während ihrer Migrationsbiographie: Ein für das Selbst wichtiges Objekt – die Klarinette – wird, besonders am Anfang dieser Biographie, an bestimmte Orte aus Sorge oder wegen zu großen Aufwandes nicht mitgenommen. In dieser Zeit wird das Objekt an einem Ort deponiert – in Lolas Fall ist es das Haus der Eltern – und zu einem späte ren Zeitpunkt mit auf die Reise genommen. Sobald klar ist, dass sich die Gelegenheiten bieten werden, das Instrument für das Musizieren zu verwenden und die Praktiken wieder aufzurufen, wird es an den Aufenthaltsort geholt. Im späteren Verlauf der Migrationsbiographie kommt es dann häufiger vor, dass nicht darauf verzichtet wird, das Instrument mitzunehmen – entweder, da die Aufenthalte vor Ort erwartbar länger werden, wie in Lolas Fall, oder da sich über das Musizieren auch spezifische Praktiken des Einlebens und Verortens etabliert haben, die an jedem neuen Ort aufgerufen werden. So ist es bei Yuna, deren Cello, im Unterschied zu Dieters Klavier und Lolas Klarinette, immer mitgereist ist: Ich habe mein Cello [immer] mit dabei. […] Und in Mexiko habe ich natürlich ein Orchester gesucht, aber leider in Mexiko-City habe ich kein Amateur-Orchester gefunden. Aber ich habe einige Musikfreunde gefunden, das war reiner Zufall. Und wir haben immer Quartett gespielt, Streichquartett. Das war eine ganz schöne Zeit. Erste Geige eine Deutsche, zweite Geige Mexikaner, Bratsche Chilener und ich, Japanerin. Und das war total international und wir haben natürlich auf spanisch kommuniziert. Aber natürlich war unser bestes Kommunikationsmittel die Musik. (Yuna, Pos. 15–16; 20)

Auch der DJ Ryan ist für ein Hobby auf Objekte angewiesen, und zwar auf seine Schallplatten, die er zum Zeitpunkt des Interviews schmerzlich vermisst. Die Tatsache, dass er ohne sein Equipment und seine Platten nicht als DJ Musik machen kann, das heißt die Praktik des Musik machens für ihn derzeit lediglich eine imaginierte ist, verstärkt sein Gefühl, nicht zuhause zu sein. Die Entscheidung, sein Equipment nicht mitzunehmen, liegt unter anderem darin begründet, dass sich die elektrischen Anschlüsse und Stromspannungen in den USA und Großbritannien unterscheiden – ein vermeintlich kleiner Unterschied, der Ryan aber die Konsequenzen der nationalen Differenzen in seinen Alltagspraktiken erfahren lässt: Another small thing: electrical devices are different currents, you know, the different voltages from north America to England, I couldn’t bring all of my electrical appliances and [I am a] DJ in my spear time and so I don’t have my record players, I don’t have my amplifiers, I don’t have my whole record collection, so not having my hobby that I spent a lot of my time with normally definitely makes me feel like I’m living a bit of a weird temporary transient life rather than feeling at home. (John, Pos. 170–172)

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8 Das Tun mit Objekten

Das Musizieren – in welcher Form auch immer – ist also ein Hobby, das konstitutiv für das Selbst der Interviewees ist und zusammen mit den Interviewees und den Objekten – Musikinstrumenten, Schallplatten, Verstärkern – ein Netzwerk aus Relationen bildet. Ein weiteres interessantes Netzwerk lässt sich bei Brigitte finden: Sie reitet. Anders als bei den meisten anderen Sportarten, die die Interviewees betreiben – Volleyball, Wandern, Golf spielen – und die nicht so sehr von nichtmenschlichen Akteuren abhängig sind, ist das (eigene) Pferd für die Reiterin ein nicht nur emotional wichtiges Moment, sondern auch die Praktik des Reitens ist besonders, wenn man ein eigenes Pferd besitzt. Und so war es auch für Brigitte ein entscheidendes Moment, ihr Pferd mit sich zu nehmen, als sie umgezog: „Das, was mir jetzt wirklich aus Deutschland wichtig war, [war,] dass ich das Pferd mitnehmen kann, weil das der Grund war, warum ich da hingegangen bin.“ (Brigitte, Pos. 202) Grund, in die Schweiz zu gehen, war der Wunsch, ihr Pferd behalten zu können – etwas, das nur durch den Verdienst in einer Festanstellung möglich war, und diese Festanstellung wiederum war für sie als Angestellte im Gesundheitswesen nicht in Deutschland, sondern nur in der Schweiz möglich. Diese verschiedenen Hobbies sind Praktiken, um vor Ort ein zum eigenen Lebensstil passendes Leben zu führen. Sie sind immer auch in den Alltag eingelassen; dieser besteht aber noch aus weit profaneren Dingen als dem Musizieren, Volleyball spielen oder Reiten. Diesen Routinen des Alltags widme ich mich nun. 8.1.2 Routinen des Alltags Der Alltag der MigrantInnen unterscheidet sich in ihrem Tun wenig von dem der Nicht-MigrantInnen: Sie kochen, kaufen ein, kommunizieren. Aber wie sehr diese Alltagsroutinen mit Objekten verbunden sind und eine emotionale Bedeutung haben, wird deutlich, wenn man sich die Beschreibungen der Interviewees anschaut, in denen sie darstellen, welche scheinbar profanen Dinge sie über große Distanzen hinweg transportieren: Küchensachen zum Beispiel, also wir haben ein relativ gutes Set an Töpfen, das mein Mann irgendwann vor Jahren mal, ich glaube, von seiner Oma, zum Auszug zum Anfang des Studiums bekommen hat. Und das ist so etwas, das man sich einfach nicht zulegt. Und das ist so schön, anzukommen und die Sachen auszupacken und man hat dieselben Sachen, mit denen man gerne kocht, und das sind gute Sachen, die haben einen schon über Jahre lang begleitet. Und wir haben uns das auch überlegt, als wir von den USA umgezogen sind, ob wir die jetzt verkaufen sollen? Weil es ist schon teuer [sie zu kaufen]. Und es kostet vielleicht genauso viel, die wieder zu verschiffen. Okay, dann haben wir uns auch gedacht: Die sind unten verbrannt, vom Gasherd verrußt und schwarz und alt und die will keiner mehr haben, aber uns sind sie so viel wert, dass wir im Endeffekt daran festhalten. (Lisa, Pos. 54)

In Lisas Beschreibung ihrer Beziehung zu dem Topfset klingen mehrere Aspekte an, die alle miteinander verwoben sind: die Oma, die das Topfset dem Ehemann von Lisa zum Auszug aus dem Elternhaus geschenkt hat; das Wissen um den ökonomischen Wert der Töpfe und ihre Qualität; die Erinnerung an schöne Kocher-

8.1 Alltagsroutinen und Hobbies

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lebnisse; das Wissen um die Kosten, die für das Verschiffen der Objekte von den USA nach Europa aufzubringen sind; das Erkennen, dass die Objekte in ästhetischer Hinsicht unter dem langen Gebrauch gelitten haben; und schließlich der emotionale Wert, den die Töpfe für Lisa und ihren Mann aufweisen. Zusammengenommen führt dieses Set an Relationen dazu, „dass wir im Endeffekt daran festhalten“, wie Lisa abschließend sagt. Die spezifische Bedeutung für die Praktik der Verortung am neuen Aufenthaltsort wird auch daran deutlich, dass Lisa beschreibt, wie angenehm es sei, an einem neuen Ort mit den bekannten Küchengegenständen zu kochen, und sie dadurch ein Gefühl der Geborgenheit erlebt. Das Kochen als Praktik ist mit bestimmten Objekten verbunden. Diese Objekte machen, nach Hirschauer (2016), Gebrauchsangebote. Die emotionale Aufladung der Objekte, ihr Charakter als Schütz’sches Merkzeichen, das intrasubjektiv Bedeutung transportiert und Lisa ein Gefühl des Zuhauses vermittelt, machen das Kochen mit diesen Töpfen zu einer spezifischen Praktik des Zu-Hause-Seins an jedem neuen Ort. Jede Person, die gerne kocht, wird bestimmte Lieblingstöpfe und -messer haben, mit denen sich Speisen (vermeintlich) besonders gut zubereiten lassen und die wortwörtlich gut in der Hand liegen – das heißt, in einer spezifischen Beziehung zum eigenen Körper stehen. Diese körperliche Dimension des Kochens als Zuhausefühlen macht aus dem reinen Tun eine Praktik. Die Töpfe sind dabei „Dinge“, die, erneut mit Hirschauer (2016, 52) gesprochen, Körperhaltungen, Bewegungen und Verhaltensweisen physisch ermöglichen, erzwingen und inhibieren [können] (so wie eng geschnittene Kleidungsstücke), weil sie den Händen, Füßen und Sinnen spezifische Widerstände, Stützpunkte und Anknüpfungsmöglichkeiten bieten. Zum anderen legen sie ein Handeln nahe, weil ihnen wie unserem Verhalten […] kommunikative Zeichen eingebaut sind, zu was sie taugen.

In ihnen wird also der doppelte Charakter von Objekten deutlich, den ich im vorangegangen Kapitel beschrieben habe: Sie sind zum einen Zeichenträger, zum anderen Ermöglicher bestimmter Handlungen und Verhaltensweisen. Mit Appadurai (1986, 41) lässt sich hier davon sprechen, dass die Objekte Wissen repräsentieren, in diesem Fall auf der Seite der KonsumentInnen (und NutzerInnen) der Objekte. Zwar handelt es sich bei den Töpfen nicht um Luxusgüter, welche für Appadurai im Mittelpunkt stehen. Dennoch lassen sich auch Alltagsgegenstände als Speicher von Wissen begreifen (z.B. Miodownik 2014, Kap. 2 über das in Papier und papierene Objekte wie Fotografien eingeschriebene Wissen). Ein anderes Objekt, das diesen Doppelcharakter deutlich in sich trägt, aber aus einem ganz anderen Bereich der Alltagsroutinen kommt, ist der Laptop. Dieser ist nicht nur für die vielen WissenschaftlerInnen in meinem Sample ein unverzichtbares Arbeitsgerät, das sie auf ihren Reisen begleitet. Vielmehr ermöglicht er für alle bestimmte Formen der Kommunikation, welche für international Migrierende wichtig sind, um transnationale soziale Räume zu konstituieren und aufrechtzuerhalten. Technologische Entwicklungen wie leicht und günstig verfügbare Voiceover-IP-Programme oder E-Mails sind hierfür hilfreich, bedürfen allerdings eines

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8 Das Tun mit Objekten

Gerätes zum Abspielen oder Anwenden – also eines Objektes. Dies macht den Computer oder Laptop, „the thing“, wie Luis ihn nennt, so wichtig für viele der Interviewees: „it’s the possibility to communicate. We use emails […], it’s cheaper, it’s for free to send emails.“ (Luis, Pos. 400–404) Kommunikation mit Freunden und Verwandten kann auf diese Weise Teil des Alltags werden, wenn sie mithilfe des Laptops und entsprechender Software kostengünstig (wenn auch nicht, anders als Luis es beschreibt, „for free“) und ohne große technische Hürden routiniert vollzogen wird. Eine ähnliche Bedeutung der technologisch vermittelten Alltagskommunikation, die dazu beiträgt, transnationale soziale Räume aufzuspannen, arbeitet Greschke (2009, 2012) in ihrer Studie zu paraguayanischen MigrantInnen heraus. In ihrer Arbeit untersucht sie ein Onlineforum, in dem sich ParaguayerInnen, die auf der ganzen Welt leben, vernetzen und mit dem sie kommunizieren: Von den in der Migration lebenden Forumsnutzer/innen wird das Cibervalle-Forum häufig als Fenster nach Paraguay bezeichnet, das ihnen eine Möglichkeit bietet, trotz physischer Abwesenheit im Alltag des Herkunftslandes integriert zu bleiben. (Greschke 2009, 114)

Anders als von Luis beschrieben, ist das Internet, mit dem diese Kommunikationsform erst möglich wird, nicht ‚for free‘, sondern stellt gerade in Lateinamerika ein Privileg dar, das nur bestimmten Bevölkerungsgruppen zur Verfügung steht (Greschke 2009, 110). Somit sind diese technologisch vermittelten Praktiken der Kommunikation nicht nur Formen der Integration – etwa in transnationale soziale Netzwerke –, sondern wirken auch exkludierend, da der Zugang – zum Internet, zu Software, zu Hardware – ökonomisch Wohlhabenden vorbehalten ist. Der Bedeutung, die Objekte für die Konstitution von Räumen wie diesen transnationalen zukommt, wende ich mich nun zu. Dabei geht es mit der Raumproduktion um ein spezifisches Tun mit Objekten, in dem auch wieder stärker die Orte eine Rolle spielen. 8.2 Räume, Orte und Objekte Die Bedeutung von Objekten für die Herstellung und Aufrechterhaltung transnationaler sozialer Räume ist gerade schon angeklungen. Diese die territorialen Grenzen überschreitenden, das heißt: transnationalen, sozialen Räumen stellen in gewisser Hinsicht eine Form der raumzeitlichen Verdichtung dar, wie Harvey (1989) sie beschreibt: Große räumliche Distanzen werden ebenso überwunden wie die Zeitverschiebungen zwischen den Staaten; die Kommunikation mit VoIP-Technologien vermittelt im besten Fall (in Situationen ohne technische Störungen wie Tonverzerrungen, Nachhall, Bildfehler) den Eindruck einer Echtzeit-Kommunikation vor Ort. Ich werde im Folgenden genauer die Rolle der Objekte bei der Herstellung solcher grenzüberschreitenden Räume und bei der Produktion von Räumen vor Ort in den Blick nehmen und dazu im ersten Teil verschiedene theoretische Konzepte diskutiere, bevor ich mich meinem empirischen Material widme.

8.2 Räume, Orte und Objekte

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8.2.1 Objekte und die Konstitution von Räumen Zu Beginn möchte ich noch einmal das im letzten Kapitels angeführte Zitat aus der Laborstudie von Latour und Woolgar (1986, 45) anführen, um die Verflochtenheit von Objekten, Praktiken und Räumen zu illustrieren. Die Autoren benennen die Verwobenheit der drei Momente, wenn sie beschreiben, wie unterschiedliche Bereiche in einem Labor unterschiedlichen Praktiken vorbehalten und mit entsprechend unterschiedlichen Dingen ausgestattet sind, etwa Büchern und Papieren sowie Pipetten und Skalpellen. Die in den jeweiligen Bereichen vollzogenen Praktiken des Lesens, Schreibens, Tippens auf der einen und des Schneidens, Mischens, Markierens auf der anderen Seite sind mit den dort vorhandenen Objekten verwoben – Lesen ist nicht ohne Buch möglich, das naturwissenschaftliche Mischen von Flüssigkeiten nicht ohne die entsprechenden Apparate und Gefäße. Aber auch das Labor selbst wird durch die Objekte erst als spezifisches sozialräumliches Setting hervorgebracht. Indem Objekte als Einrichtungsgegenstände die unterschiedlichen Bereiche des Labors markieren, verorten sie die verschiedenen Felder des Arbeiten im Raum Labor. Während in den Laborstudien die physisch-räumliche Dimension allerdings nur mittelbar in die Analyse einfließt, wird sie bei STS-Arbeiten, die sich mit Gebäuden und Städten beschäftigen, zum Gegenstand der Untersuchung. So arbeitet Gieryn (2002) in seiner Arbeit zum Cornell Biotechnology Building heraus, welche kleinteiligen und in Teilen widersprüchlichen Prozesse in der black box des Baus eines neuen Gebäudes auf dem Universitätscampus der Cornell University vor sich gehen. In seiner Analyse des Prozesses von der Planung des Baus über den Designprozess bis hin zur Nutzung des fertiggestellten Gebäudes zeigt Gieryn, was in dieser black box geschieht und welche sozialen Prozesse zum Tragen kommen. Erscheinen der Bau und das Design eines Wissenschaftsgebäudes sowie die anschließende Nutzung auf den ersten Blick wie ein kohärenter Prozess, macht Gieryns Analyse deutlich, was alles passiert, um diesen Anschein zu erwecken. So wird unter vielen nur ein Design für den Bau ausgewählt, es werden Wände eingezogen und Treppen gebaut, die auch an anderen Stellen im Gebäude – sofern die Statik es hergibt – hätten gebaut werden können (Gieryn 2002, z.B. 53–55). Die WissenschaftlerInnen beziehen am Ende Büros und Labore einer bestimmten Größe und Anordnung, die auch ganz anders hätten aussehen und angeordnet sein können. Und die WissenschaftlerInnen nutzen die Räume schließlich auf eine Weise, wie sie nicht immer den Vorstellungen derjenigen entspricht, die die Räume und das Gebäudes als Ganzes designt haben – so wird etwa ein Büro für GastwissenschaftlerInnen nach einer Zeit als Abstellkammer genutzt (Gieryn 2002, 63). Zeigen sich im ersten Teil der Analyse Gieryns insbesondere die sozialen Prozesse, die dazu führen, dass das Gebäude nach der Fertigstellung so in Erscheinung tritt wie es das tut, so zeigen sich im zweiten Teil, wenn es um die Nutzung des Gebäudes durch die WissenschaftlerInnen geht, die Wirkungen der Materialität für

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die Praktiken. Ist ein Raum als Laborraum gebaut, so wird er zunächst als ein solcher eingerichtet und genutzt. Selbst wenn sich die WissenschaftlerInnen wünschen würden, dass er zwei Meter länger wäre, damit die beiden Schreibtische zur besseren Kommunikation der ForscherInnen oder zum leichteren Ausbreiten von Laborberichten nebeneinander gestellt werden könnten, so gibt dies die architektonisch-räumliche Anordnung nicht her. Als Konsequenz passen sich die Laborpraktiken sukzessive an die gegebenen physischen Umstände an. Andererseits nutzen die WissenschaftlerInnen ihre Büros nach einer Weile nicht in der vorgesehenen Weise. Diese „post-hoc Rekonfigurationen“ (Gieryn 2002, 62, Übers. ALM) sind möglich, weil Gebäude trotz der in ihnen verbauten Materialien nicht vollständig dauerhaft sind. Durch Nutzung, Wetter oder Korrosion unterliegen auch sie der Veränderung und sind damit umso mehr Teil eines dynamischen Netzwerks aus Akteuren. Gieryns Analyse zeigt zudem, welche Rolle einer Architektur für die Konstitution, Stabilisierung oder Veränderung einer wissenschaftlichen Disziplin zukommt (Gieryn 2002, 46). Für eine vergleichsweise neue, mehrere Disziplinen integrierende Wissenschaft wie die Biotechnologie heißt das, so Gieryn (2002, 50, Herv.i.O.): Campus buildings originally designed to house biology here, chemistry there, and physics down the street now become impediments to biotechnological research that demands practitioners, skills, and equipment from all three disciplines (and more, such as „informatics“). But this multidisciplinary melding is highly selective in moving only parts of historic disciplines into the new space for biotechnology. With the molecularization of biology, organisms become systems and life becomes a code – a reduction that moves inquiry away from studies of process and form. Those segments of the life sciences who speak the language of „tech transfer,“ „through-put,“ „momentum,“ and „synergies“ often find themselves in relatively luxurious research space when compared to their colleagues whose work has less immediate economic value.

Dass eine solche Analyse nicht nur für wissenschaftliche Disziplinen, sondern auch für eine Institution wie die Religion gilt, zeigen Brenneman und Miller (2016) in ihrer programmatisch angelegten Arbeit. Die Autoren arbeiten heraus, dass sakrale Gebäude nicht nur einen Glauben symbolisieren, sondern zudem die religiösen Gemeinschaften mit hervorbringen. Ähnlich wie Gieryns Beschreibung der Entscheidungsprozesse rund um das Design des Biotechnologie-Gebäudes liest sich auch Brenneman und Millers Darstellung der, häufig konfliktreichen, Prozesse, die dem Bau eines religiösen Gebäudes zugrundeliegen bzw. ihm vorangehen (Brenneman und Miller 2016, 86–87). Dabei spielten, so die Autoren, sowohl soziale als auch ökonomische Aspekte eine Rolle, etwa Hierarchien und Finanzen. Nach Vollendung des Baus lassen sich schließlich spezifische körperliche Wirkungen des Gebäudes feststellen. So vollziehen sich die religiösen Rituale wie das Beten, Beichten oder das Abendmahl, welches eine spezifische Interaktion zwischen Gläubigen und PfarrerInnen impliziert, auch in Bezug auf die materielle und räumliche Gestaltung des Gebäudes. Damit werden die Praktiken und Körper der Gläubigen, der Laien und Professionellen, und letztlich die Institution Religion als Ganze auf spezifische Art und Weise vor Ort ausgestaltet. An dieser Ausgestaltung

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sind das Gebäude und die sakralen Objekte ebenso wie der Beichtstuhl, das Taufbecken oder der Altar beteiligt. Wie stark Objekte einen Raum mit konstituieren und dazu beitragen, eine gesellschaftliche Institution hervorzubringen, zeigt auch die ethnographische Studie von Garcia-Parpet (2007). In ihrer Ethnographie eines Erdbeermarktes zeigt Garcia-Parpet, wie im französischen Ort Fontaines-en-Sologne der Handel mit regionalen Erdbeeren unter anderem mit Hilfe der Schaffung einer spezifischen architektonisch-räumlichen Struktur institutionalisiert wird (ähnlich auch Zaloom 2006 zur Börse in Chicago). Für die Erdbeerauktion, die zentraler Bestandteil des Handels ist, wird ein Gebäude mit unterschiedlichen Bereichen gebaut, in dem die Erdbeeren zunächst von den ZüchterInnen ausgestellt und dann von den HändlerInnen in einer Auktion gekauft werden. Jeder der Bereiche weist eine spezifische architektonisch-räumliche Strukturierung auf und ist Ort unterschiedlicher Interaktionen. Durch diese Interaktionen in bestimmten architektonischen Settings werden spezifische Räume hervorgebracht: der Handelsraum und der Ausstellungsraum. Dieses Beispiel zeigt die Bedeutung, die Objekte – von Tischen, Stuhlreihen und Trennwänden bis hin zu einem ganzen Gebäude – sowohl für die Praktiken von Menschen als auch für die Konstitution von Räumen spielen. Welche Rolle spielen nun Objekte für die Raumkonstitutionen der HIMs vor Ort und über Grenzen hinweg? Im Sinn einer relationalen Perspektive auf die Verflochtenheit von Objekten, Menschen und Mobilität greife ich an dieser Stelle einen der Fäden des Geflechts jetzt heraus: die Objekte, und zeichne von ihr ausgehend das Netz der Relationen nach, welches schließlich in unterschiedlichen Formen der Raumkonstitution mündet. Dabei zeigt sich, dass Objekte mit migrieren und im Leben der Interviewees als Objekte auf Reisen bedeutsam sind, aber ebenso als stationäre Objekte vor Ort eine Rolle spielen. Die Räume und Lokalitäten, die daraus entstehen, werden dann im folgenden dritten Teil des Buches zum Gegenstand einer ausführlichen Analyse gemacht. 8.2.2 Objekte auf Reisen In den Gesprächen mit den Interviewees über ihre Migrationsbiographien kamen schnell die Objekte zur Sprache, die sie auf ihre Reisen mitnehmen. Analog dazu nenne ich diese Dinge Objekte auf Reisen. Einige dieser Objekte sind schon zur Sprache gekommen: Yunas Cello, Lisas Topfset, aber auch Brigittes Pferd als spezifischer nicht-menschlicher Akteur59. Auch die Herausforderung, die beim Umziehen in andere Länder aufgrund der eben nicht globalen Gleichheit, sondern nationalen Besonderheiten entsteht, war Thema: Etwa wenn Ryan seine Verstärker nicht nach England mitnehmen kann, da die Anschlüsse für Nordamerika und nicht für Großbritannien gemacht sind. Schließlich gibt es aber auch Interviewees 59

Vgl. dazu die Diskussion um die NaturenKulturen-Forschung in Kapitel 7.2.

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wie Magda, die „nichts Materielles“ (Magda, Pos. 29–30) mitnehmen, wenn sie umziehen, und Objekte als „Ballast“ bezeichnen – eine Haltung, die Magda im selben Atemzug dahingehend befragt, „ob das vielleicht vom Reisen kommt“ (Magda, Pos. 30). Es gibt verschiedene Herausforderungen beim grenzüberschreitenden Mitnehmen von Objekten, die beeinflussen, ob bestimmte Dinge mitgenommen werden oder nicht. Dies kann der finanzielle Aufwand sein, den es mit sich bringen würde, Objekte wie Dieters Klavier etwa von Deutschland in die USA zu verschiffen. Es können aber auch länderspezifische Infrastrukturen sein, die einen hohen Aufwand bei der Nutzung der Objekte am neuen Aufenthaltsort bedeuten würden, etwa die unterschiedlichen Steckersysteme und Stromspannungen, die es Ryan erschweren, seine DJ-Ausrüstung mit umzuziehen. Letztgenannte Herausforderungen verweisen auf die geopolitische und territoriale Dimension der Migration, welche hier in und an den Praktiken Wirksamkeit entfaltet. Anders als bei der Binnenmigration stellen sich Fragen danach, welchen Adapter ich mitnehmen muss oder welche Geräte am neuen Ort funktionieren, bei grenzüberschreitender Migration sehr häufig und zeigen, dass eine global vernetzte Welt ihre eigenen infrastrukturellen Grenzen hat. In der Frage, welche Objekte mit auf Reisen gehen, ist häufig auch eine Entscheidung für oder gegen andere Objekte impliziert. Dies kann finanzielle Gründe haben, etwa wenn der Umzug von allen Habseligkeiten zu kostspielig wäre. Dies kann aber auch durch eine Melange an Gründen hervorgerufen werden, wie sie Ryan für seinen Umzug von den USA nach England beschreibt: Being two large heavy things that I own, […] and I said: „ok, this is a job, I am going to bring the books and not the records“, […] it was a bit of a psychological decision, I had felt like I wasn’t productive enough over the past few years and in part that felt like it was because I was still committed to both music and to academia and it felt like it might be productive to put away the music for a while and [...] I would just devote myself completely to academia for the next while. (Ryan, Pos. 199–203)

Ryans Gründe, sich für die Bücher und gegen die Schallplatten zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung für den Beruf und damit eine Form der Selbstdisziplinierung: Wenn nur die Bücher um ihn herum wären, so seine Hoffnung, würde er sich stärker auf seinen Beruf als Wissenschaftler konzentrieren und damit auch seine Karriere vorantreiben – und so letztlich seinen Handlungsspielraum bezüglich der zukünftigen Wahl des Arbeits- und Wohnortes vergrößern. Aber auch die Bücher, für die sich Ryan entschieden hat, stellen ihn an seinem neuen Lebensmittelpunkt vor Herausforderungen: Seine Lebensgefährtin und er entschieden sich, aus finanziellen Gründen nur jeweils ein Exemplar ihrer zum Teil doppelt vorhandenen Bücher mitzunehmen. Vor Ort bringt dies Schwierigkeiten hervor: We left a lot of our double books behind even though that we have wished since then that we had brought the doubles because she likes to have them at home and I like to have them at work and we do argue over certain books. So in the long run it would have been a better idea just to bring the doubles. (Ryan, Pos. 205)

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Ein Exemplar der Bücher ist mitgereist, die „doubles“ sind in Kanada eingelagert; das Wissen um ihre Existenz wird in bestimmten Situationen manifest: „we do argue over certain books“. In diesen Momenten erinnern die abwesenden Objekte Ryan an seine Migrationsbiographie und an die Tatsache, dass er sich vor Ort nicht vollständig zuhause fühlt – die nicht mitreisenden Objekte fehlen in seinem Leben in der Kleinstadt in Großbritannien. Bücher sind nicht nur für Ryan wichtig. Fast alle Interviewees nennen sie als Gegenstände, die mitreisen – seien es Fachbücher, Belletristik oder Comics. Die Entscheidungen, sie mitzunehmen, sind immer mit Selektionsprozessen verbunden, wie folgende Interviewsequenzen zeigen: The only thing that has managed to move with me from place to place is my books, but not all of them, it’s like the selection I appreciate the most of my books have a tendency to come with me. (Sven, Pos. 158–160) Ich schleppe dann auch eher Kunstbücher mit mir rum, weil sie für mich wichtig sind und die man dann nicht so im Internet findet für den Kunstbegriff, den ich habe. (Silja, Pos. 10)

Diese Selektionsprozesse können zum einen Hinweis auf die spezifische Sozialisation der Interviewees und ihr hohes Bildungskapital sein, wie beispielsweise Kunstbücher. Sarah gibt allerdings noch einen weiteren Hinweis, was Bücher in einem mobilen Leben leisten können: It gives you a choice: if you go somewhere where you don’t immediately fit in, you can always retreat to your books. (Sarah, Pos. 205–207)

Bücher sind damit auch Objekte der Zuflucht: Sie sind mitgereist, da sie den Interviewees etwas bedeuten, und wenn Sarah in ihren neuen Wohnort ‚nicht sofort reinpasst‘, kann sie sich in die Welt ihrer Bücher zurückziehen. Dabei geht es nicht allein um die Geschichten, die in diesen Büchern erzählt werden; vielmehr geht es – und das ist es, was die Materialität der Bücher hier leisten kann – um die Bücher als Merkzeichen und Stabilisatoren der Identität der Interviewees, um intrasubjektive Verständigung. Ähnlich wie im Fall der Kurzgeschichte von Viet Thanh Nguyen, mit der ich das vorangegangene Kapitel begonnen habe, zeigt sich am Beispiel von Sarahs Büchern, dass diese ihr Gewissheit geben: Sie kann sich darauf verlassen, dass ihr die Geschichten immer noch gefallen, dass sie der Schreibstil anspricht, dass sie dieselben Vorlieben hat wie an ihrem letzten und vorletzten Wohnort. Bei allem, was im Alltag nach dem Umzug unsicher geworden ist – die Routinen des Einkaufens, die Lebensmittel, die es gibt, die Umgangsformen, die Sprache – bleibt ihr die Gewissheit, dass sie als Liebhaberin von Prosa so ist, wie sie war. Diese Stabilität, die die Dinge den MigrantInnen vermitteln, ist dabei trügerisch: Auch sie als Personen verändern sich über die Zeit, entwickeln im Verlauf ihrer Migrationsbiographie andere Vorlieben und Präferenzen für andere Literatur. Spricht Kopytoff (1986) von der kulturellen Biographie eines Objektes, welche meint, dass ein und dasselbe Objekte für unterschiedliche Menschen und in unter-

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schiedlichen Kontexten unterschiedliches meint, so kann man für diesen Fall davon sprechen, dass die kulturelle Biographie des Objektes intrasubjektiv (und nicht überindividuell) ist: Dasselbe Objekt begleitet dieselbe Person über einen langen Zeitraum, verändert dabei aber seine Bedeutung, da sich die Person selbst verändert, ihre Praktiken und ihr Lebensstil sich modifizieren und der Gebrauch des Objektes transformiert wird. Bücher, aber auch Musik ist für solche Prozesse der Identitätsbildung und -stabilisierung ein wichtiges Element. Und auch wenn technologische Entwicklungen den Transport von Musik – als digitale Musikdateien – wortwörtlich leichter gemacht haben, so sind die sinnlich erfahrbaren Vinylplatten, aber auch die CDs, die Lola selbst nach Benin mitgenommen hat, Objekte, auf die nicht verzichtet werden möchte. Die genannten technischen Entwicklungen werden allerdings bezüglich der Musik auch sehr positiv aufgenommen und als etwas gerahmt, dass das migrantische Leben sehr erleichtert: Nowadays it’s easier with music, specifically as long as you have them in a computer and we are with laptops all the time, so, yes, I will say that sounds like really bad, […] I was not expecting that, to realize that the only thing that followed me all the time is maybe my music files. (François, Pos. 196)

François realisiert während dieser Interviewsituation, dass es nur die Musik ist, die ihn während seiner Migration begleitet. In der Aussage ‚that sounds like really bad‘ klingt allerdings weniger an, dass er dies für sich selbst problematisiert. Vielmehr kommt hier ein spezifischer Interviewerinneneffekt zum Tragen: Das durch die Narration erzeugte Reflektieren der eigenen biographischen Entwicklung und Situation vor einer anderen, fremden Person führt dazu, dass François sein Handeln in einen größeren gesellschaftlichen Kontext stellt. In diesem Kontext sind Menschen dadurch gekennzeichnet, dass ihnen Dinge wichtig sind und sie sich mit Dingen umgeben – es ist der Trost der Dinge, wie es Miller (2010) nennt, und der mit der emotionalen Bedeutung verbunden ist, die Dinge für Menschen aufweisen können. Indem François durch das Erzählen eine Außenperspektive auf sich selbst einnimmt, realisiert er, was ihn von anderen Menschen unterscheidet und kontextualisiert dies mit seinem Einschub ‚that sounds like really bad‘. Dieser Einschub ist ein Signal an die Zuhörerin – mich als Interviewerin –, dass er um die Bedeutung von Dingen für Menschen weiß und es nachvollziehen könnte, wenn ich ob seiner Erzählung irritiert wäre; es ist seine Form, die soziale Situation, in diesem Fall des Interviews, zu stabilisieren. In dieser Passage findet sich also auch ein Verweis auf François’ Sozialkompetenz, mit der er soziale Situationen, wie die vorliegende des Interviews, bewältigen kann. Kommen wir aber zurück zur Musik. Auch wenn François seine Musik digitalisiert hat und sie ihn als Musikdatei begleitet, so benötigt er dafür dennoch Objekte, etwa seinen Laptop oder eine externe Festplatte, um sie zu speichern und zu transportieren. Tonträger und Abspielgeräte sind für die Reise der Musik wichtige materielle Objekte; und gerade die Abspielgeräte unterliegen einem zeitlichen Wandel, wie Paola beschreibt:

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When I as a student that was my only thing a walkman with the tapes, at the end when a walk man stopped it’s not that I rushed to buy the ipod when I didn’t have it I didn’t have music for a while. I mean, I had the radio, but not my tapes. (Paola, Pos. 262–268)

Für Paola sind es Kassetten, die zum einen physische Träger der Musik sind, die aber zum anderen auch nicht einfach ersetzbar sind, wenn die Technologie sich weiterentwickelt und Musik digital verfügbar ist. „My tapes“ – diese Formulierung beschreibt die enge Verbindung von Selbst und Objekt. Das Selbst schreibt sich quasi in die Materialität der Kassetten ein, das Abspielen der Musik auf den Kassetten ist ein Wiederaufrufen und Bestätigen der eigenen Identität, mit einer Vergangenheit und einer Biographie, die unabhängig vom Ort stabil ist. 60 Diese Form der Beziehung zu Dingen ist gerade nicht „flüchtig“, wie Bardhi et al. (2012, Übers. ALM) es als charakteristisch für hochqualifizierte internationale MigrantInnen herausarbeiten; nach ihrer Analyse sind Objekte für Menschen, die dauerhaft mobil sind, hauptsächlich temporär von Bedeutung und werden von ihnen in den je lokalen Kontexten entsprechend der dort üblichen Praktiken verwendet. Sie verlieren diese Bedeutung aber, sobald die Situation und der lokale Kontext verlassen werden und sind damit, anders als es für Paola der Fall ist, nicht überzeitlich und -räumlich bedeutsam. Ähnlich wie die Kassetten, die Dinge darstellen, die aufgrund ihres emotionalen Wertes nicht einfach ersetzt werden, sind CDs bei einigen der Interviewees einzuordnen. Lola beschreibt, wie sie mit CDs nach Benin umzieht und was mit diesen CDS im Verlauf ihrer Migrationsbiographie geschieht: Lola: CDs hatte ich dabei, die aber alle verschimmelt sind, weil es in Benin so feucht ist. ALM: Sind die dann trotzdem wieder mit zurück gekommen? […] Lola Ja, ich habe sie dann trotzdem mitgenommen, jaja. ALM: Gibt’s die noch? Oder sind die dann irgendwann im Zuge der Umzüge [entsorgt worden?] Lola: Ich glaube, die gibt es tatsächlich noch, doch, doch. Also, ich höre jetzt keine CDs mehr, aber ich glaube, die sind noch irgendwo ((lacht)). (Lola, Pos. 38)

Migration ist also nicht nur etwas, das sich auf die Persönlichkeit der migrierenden Person auswirkt; es kann sich auch auf die Physis der migrierenden Objekte auswirken. Ähnlich wie eine sonnengebräunte Haut, die Dora erhält, wenn sie längere Zeit in Florida lebt, erfahren die CDs die klimatischen Besonderheiten des Landes Benin. Die CDs leiden, der Schimmel ist eine Spur ihrer Migrationsbiographie. Im Fall von Doras Teint ist sein Verblassen eine Spur ihrer Migration; und ihr ist klar, dass ihr Teint in den USA einfach besser zu den dortigen Klamotten passte als der Teint, den sie heute, in der Schweiz lebend, hat. Dennoch begleiten sie die Kleidungsstücken noch heute: Und bei mir war das echt lustig, wo ich dann zurück gekommen bin, mit so ein paar Stücken, die ich da wirklich immer toll gefunden hab, klar, du lebst da natürlich auch in einer heißen Umgebung. Dann hab ich hier gedacht, ja, das kann ich hier gar nich so anziehen. Ist wirklich 60

Vgl. dazu die Arbeiten von Anne-Kathrin Hoklas (z.B. 2018) zur Wechselbeziehung von Musiktechnologien wie Kassetten und Habitus.

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8 Das Tun mit Objekten lustig. Und dann, nach und nach, also ich habe ein paar Teile immer noch aufgehoben, aber ich weiß, die werde ich so nicht mehr anziehen. Es is einfach die Erinnerung. Und dort war ich natürlich auch, klar, das kommt auch dazu, du bist dann hautfarbenmäßig auch anders, wenn du immer da in sonnigen Gefilden bist, hast du einfach immer einen schönen Teint. Dann kannst du knalligere Farben tragen. Das machst Du hier dann [nicht]. (Dora, Pos. 62)

Ausgewählte Kleidungsstücke reisen weiterhin mit Dora von Ort zu Ort. Ähnlich ist es bei Rieke, die eine Kiste mit Bildern begleitet. Hier ist es vor allem das Wissen darum, dass bestimmte Objekte sie begleiten, das wichtig ist, und weniger die alltäglich wahrnehmbare physische Anwesenheit der Objekte: Ich habe eine Kiste, da sind die [Bilder] immer da und ich sortier die eher mal, bei jedem Umzug krame ich es wieder raus und denke mir, ach, das Bild kannst Du mal wieder aufhängen. So müsste man das, glaube ich, sagen. Aber mir geht es eigentlich darum, dass sie da sind und dass ich sie rausholen kann. Das sind auch öfter ältere Bilder, weil jetzt hat man ja alles auf dem iPhone oder iPad. (Rieke, Pos. 42)

Hier klingt an, was Castells (1996) für die Spätmoderne als charakteristisch beschreibt: die steigende Bedeutung der ICT und der damit verbundenen Hardware – wie iPhone und iPad – für zunehmend mehr und nicht nur berufliche, sondern auch private Bereiche. In Riekes Fall sind die Geräte Speichermedien für Bilder, die – als mitreisende Objekte – die Kiste mit den Bildern, die im Keller lagert, ergänzt. Derartige Hardware ist bedeutsam für die HIMs; der Laptop kam oben schon zur Sprache, und auch Holger betont die Bedeutung des ihn begleitenden Computers für sein migrantisches Leben: Eigentlich gibt es nichts, was wirklich mit muss. Also außer dem Laptop, das praktisch dann den Draht zur Welt darstellt, womit ich auch dann meine Tätigkeiten ausübe. (Holger, Pos. 38)

Und er ergänzt: Als ich dann dort [an den jeweiligen Orten] war, ich habe nichts vermisst. Also auch Fotoalben, CDs und so weiter. Gar nichts vermisst, also außer dem Laptop, wo ich natürlich so ein paar Musikstücke drauf habe. (Holger, Pos. 38)

Der Computer ist ein Beispiel für ein Objekt, dessen Bedeutung im Verlauf der Migrationsbiographie meiner Interviewees vergleichsweise stabil bleibt. Er ist zudem für die einzelnen Personen ein Merkzeichen für die Möglichkeit der Kommunikation, für den Kontakt zu vertrauten Menschen an anderen Orten. Damit ist er ein Beispiel für Dinge, die über die Migration hinweg ihre ursprüngliche Funktion behalten und ihr entsprechend weiter benutzt werden. Demgegenüber gibt es aber auch Objekte, die ihre ursprüngliche Funktion verlieren und eine neue erhalten, etwa als Hort der Erinnerung. So geschieht es mit Doras Kleidung, aber auch mit Djadis T-Shirt: Ich hatte ein T-Shirt, das ich immer mitgeschleppt habe, obwohl ich’s kaum getragen habe. Das war ein T-Shirt, das ich mir damals im Libanon, also der Heimat, gekauft hatte, und das TShirt war noch ((lacht)) zerrissen, hat Löcher drin, aber ich hab’s trotzdem mitgeschleppt. Und […] als ich geheiratet habe, da habe ich das T-Shirt mitgenommen und beim ersten Umzug hat meine Frau ein riesen Fass draus gemacht: „Das T-Shirt, das kann man für die Schuhe putzen benutzen“ ((lacht)). Naja, irgendwann habe ich mich von dem T-Shirt getrennt. […] Ja, ich

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kann’s mir nicht erklären, vielleicht war’s nur ein Heimatrelikt, was ich einfach mitgeschleppt habe. […] Also eher eine emotionale Bindung an dem Teil und nicht jetzt wegen seinem Wert. (Djadi, Pos. 59)

Neben diese emotionale Bedeutung von Objekten tritt außerdem eine funktionale. Diese ist mit der Tatsache verbunden, dass Migration auch ein bürokratischer Akt ist, der bei den HIMs seine materiellen Spuren hinterlässt. So sind Zeugnisse und offizielle Dokumente verschiedener Art Dinge, die sorgfältig gehütet werden und mit migrieren: Offizielle Dokumente wie jetzt Zeugnisse, wichtige Bescheinigungen, Pass oder Korrespondenz, die wichtig sind für die Ämter, weil als Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis oder Visum bist du irgendwann herausgefordert von dem Amt, irgendwas mitzubringen oder vorzulegen. Und deswegen hab ich immer noch diesen Tick […], dass ich alles aufbewahre und erst vielleicht nach 10 Jahren wegschmeiße, [auch] offizielle Dokumente, die kein Mensch mehr braucht, und meine Frau sagt: „ja, das braucht kein Mensch“. (Djadi, Pos. 57)

Diesen „Tick“, wie Djadi es nennt, offizielle Dokumente aufzubewahren, sind eine Variante dessen, was Burrell (2008) bezüglich der Bedeutung des Reisepasses für polnische MigrantInnen beschreibt: Viele ihrer InterviewpartnerInnen wurden im sozialistischen Polen sozialisiert, einer Gesellschaft ohne allgemeine Reisefreiheit; die wenigsten besaßen einen Reisepass. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und, noch ausgeprägter, nach dem EU-Beitritt Polens erfuhren die Menschen, welche Bedeutung ihr Reisepass für ihre Mobilitätspraktiken hat – und damit auch, welche Bedeutung das Objekt des Passes für sie besitzt. In das Objekt Pass sind rechtliche Privilegien eingeschrieben, welche den Pass zu einem Symbol – ganz im Schütz’schen Sinn als überkollektives Symbol – machen. Grenzüberschreitungen mit einem solchen Pass, und das wird den von Burrell interviewten MigrantInnen insbesondere nach dem EU-Beitritt ihres Landes deutlich, sind durch diese Körper-Objekt-Assemblage gekennzeichnet: Der Pass macht die migrierenden Menschen zu EU-BürgerInnen und damit zu Subjekten mit spezifischen Privilegien, etwa die rechtliche Praktik der nicht-kontrollierten Einreise in andere EU-Staaten. Was für Grenzüberschreitungen und Pässe gilt, gilt nun auch, wie in Djadis Fall, für den Aufenthalt in einem Land, dessen Staatsbürger er (nicht) ist: Bestimmte Dokumente, „wichtige Bescheinigungen“, sind notwendig für den Umgang mit Behörden und konstitutiv für den Status im aktuellen Aufenthaltsland.61 Die Objekte, die die MigrantInnen auf ihren Reisen begleiten, sind demnach kategorisierbar unter Rückgriff auf die Praktiken, in die sie eingebunden sind: freizeitliche oder berufliche Praktiken, Alltagspraktiken, Praktiken des Umgangs mit Behörden und der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Eine weitere Differenzierung kann bezüglich der Bedeutung vorgenommen werden, die den Objekten zukommt: emotionale Stabilität, rechtliche Positionierung im Aufenthaltsland, Me61

Vgl. dazu auch Kims (2011) Analyse der Bedeutung von Dokumenten für die Feststellung von Identität und Familienzugehörigkeit im Kontext von Migration. Kim (2011, 761, Übers. ALM) identifiziert dabei spezifische „Identifizierungspraktiken“, die unter anderem an offizielle Dokumente geknüpft sind.

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dium für Immaterielles wie Erinnerungen, Funktionalität wie Bedeckung des Körpers. Die Bedeutung der Objekte kann sich, wie ich gezeigt habe, über die Zeit verändern – sie bleibt nicht stabil und verweist damit auf den Charakter der Objekte als Merkzeichen, welche eng an die individuelle Situation der Bezugsperson gekoppelt sind und eine stark situationale Biographie aufweisen. Es kann sich aber auch, und nun denke ich im Netzwerk der Relationen von Objekten und Menschen von letzteren aus, die Einstellung nicht nur gegenüber einzelnen Besitztümern, sondern insgesamt gegenüber der Mitnahme von Dingen über den Zeitverlauf ändern. Die Erzählungen der HIMs lassen erkennen, dass sie im Verlauf ihrer Migrationsbiographie für sich bemerken, dass sie Dinge brauchen, um an anderen Orten gut leben zu können. Lisas Beschreibung steht exemplarisch für diese Erfahrung: Generell habe ich angefangen, mehr Sachen mitzunehmen, weil es einfach auf Dauer irgendwie auch psychologisch zu sehr an einem nagt, wenn man immer komplett alles neu um sich rum hat. (Lisa, Pos. 50)

Wie werden diese mitreisenden Objekte nun in das Leben vor Ort eingebunden? Welche Räume werden konstituiert und welche stationären Objekte, die lediglich an einer der Migrationsstationen verwendet werden, spielen dabei eine Rolle? 8.2.3 Objekte vor Ort Vor Ort sind die mitreisenden und damit mobilen Objekte in vielen Fällen für die Freizeitaktivitäten und die angenehme Gestaltung des Alltags bedeutsam und damit für das emotionale Wohlbefinden am neuen Wohn- und Arbeitsort. In den Narrationen der HIMs kommen unterschiedliche Objekte zur Sprache, die für ihr Leben vor Ort von Bedeutung sind – oder wären, da sie nicht immer auch ko-präsent sind. Letzteres gilt für die Comics, die Francois sammelt: I find that since I read a lot of comics and things like this, and when I moved to the US I had to leave everything here [in Europe] because it would have cost me twice the value of the books. But when I was in the US I stopped myself and at some point I just like „ahh, I need to get some“ and then my wife just like „how are we gonna get back with all of these?“ and I was just like „I don’t care, we’ll see that later“. (François, Pos. 230)

Dieser erinnerte Dialog macht nicht nur die Bedeutung der Objekte für die Konstitutionen des Selbst deutlich; er zeigt auch eine Strategie, wie am neuen Lebensort mit einer spezifischen, im Kontext der Migration getroffenen Entscheidung – nämlich die, die Comics bei den Eltern einzulagern und nicht mitzunehmen – umgegangen wird: Die Comics werden als so essentiell für das eigene Wohlbefinden begriffen, dass neue angeschafft werden, ungeachtet des Wissens um die Temporalität des Aufenthaltes vor Ort und der damit verbundenen Warnung der Ehefrau. François ist sein Wohlbefinden in der Gegenwart, bezüglich dessen er aus der Vergangenheit weiß, dass es durch Comics gesteigert wird, so wichtig, dass ihn die Zu-

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kunft – das erneute Umziehen und die damit verbundenen Entscheidungen, welche Dinge mitzunehmen sind – in dieser Situation nicht zu interessieren scheint. Dinge vor Ort sind also für das Wohlbefinden wichtig, da sie, etwa über Praktiken, emotionale Stabilität bewirken. Sie sind aber auch dafür wichtig, vor Ort Ortswissen zu erlangen und einen auch geographischen Bezug zum Ort herzustellen. So beschreibt Luis, dass für ihn ein Motorroller fundamental war, als er in Granada lebte: I got a Vespa, a motorcycle, so I know Granada very perfect, so I also have like a mobility, I can move without public traffic, so I can reach places that you cannot reach with [public] transportation, and I was looking for these places and I discovered really amazing places. (Luis, Pos. 116)

Ein solches stationäres Objekt ist insbesondere aufgrund seiner Funktion wichtig: Es ist ein Ermöglicher, in diesem Fall der Mobilität und damit der Erlangung von Ortswissen. Eine zweite Kategorie von Objekten tut etwas anderes: Sie bringt Wohlbefinden, ähnlich wie die von François erwähnten Comics. Rieke nennt hier den Schmuck, der ihr vor Ort wichtig ist, aber auch weitere Dinge des Komforts: Rieke: Fotos. Also in Papier wirklich. Schmuck, der mir wichtig ist, auch wenn man den dann in den Ländern teilweise gar nicht getragen hat. Nee, sonst bin ich eigentlich recht pragmatisch. Da muss ich nochmal kurz überlegen, was ist denn immer mitgekommen? Kosmetik habe ich mir immer mitbringen lassen, das, was ich wollte, Klamotten [sind mitgekommen], ist ja klar, Fotos sind mir wichtig, Bücher, also Bücher haben wir immer mitgenommen, auch wenn das wahnsinnig schwer ist, und teilweise Essen. ALM: Was, von dem man wusste, dass es das dort nicht gibt? Rieke: Ja, oder man sieht, das gibt’s dort nicht, und dann haben Freunde das mitgebracht. […] Brötchen tatsächlich, Kekse, Käse. (Rieke, Pos. 40)

Dieses Zitat macht nicht nur deutlich, dass die Unterscheidung von stationären und mobilen Objekten eine analytische ist: Der Schmuck gehört in die Kategorie der migrierenden Objekte, ebenso die Fotos und die Bücher. Aber was ist mit der Kosmetik und dem Essen, das Rieke mitgebracht wird? Beides reist auch, aber auf andere Art und Weise als die Bücher und der Schmuck, sie sind an andere Körper – die der Freunde – gebunden und haben eine andere Migrationsbiographie. Die Nennung des Essens verweist zudem auf die Bedeutung dessen, was Gilly (1995) früh für US-amerikanische expatriates herausgearbeitet hat: die psychologische Bedeutung von Essen, welche sich etwa darin äußert, dass über Essen eine Heimatbindung aufgerufen wird (vgl. Kapitel 11.2). Derartige Heimatbindungen sind auch über andere Dinge möglich; so beschreibt Rieke, dass sie sich ohne ihren „emotionalen Schmuck nackt fühle“ (Rieke, Pos. 44). Der Schmuck besitzt für sie emotionalen Wert, er ist für sie ein Merkzeichen, dass ihre Zuhause an jedem Ort dabei ist. Auch Ryan beschreibt, wie das Gefühl des Zuhauseseins von Dingen mit bestimmt wird. Ihm und nach seiner Aussage auch seiner Lebensgefährtin fehlen einige seiner Besitztümer in der Kleinstadt in Großbritannien:

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8 Das Tun mit Objekten It has really inhibited our ability to feel comfortable and to feel like we can feel at home here, small things, I couldn’t afford to ship all of my possessions here, so we live without a lot of our things around us, that really meaningfully contributes in our feeling like I’m at home. (Ryan, Pos. 164–168)

Aber, wie Lisa hervorhebt: Die Dinge seien eher dazu da, das, was eigentlich fehlt, zu verdecken: „Die Sachen sind schon wichtig, aber [sie] sind, glaube ich, eigentlich eher ein Pflaster als wirklich das zu Hause fühlen.“ (Lisa, Pos. 56) In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Sven, der beschreibt, dass es weniger um das Objekt selbst, in diesem Fall die Fotografie geht, sondern um das, was von ihr als Bedeutung transportiert wird: I know that photograph, I can bring it up in my head whenever I want it, but it ’s more the attachment you have to it, what it represents to you, like a tie to something [that makes it important to me]. (Sven, Pos. 181)

Hier dient das Objekt der Fotografie als Merkzeichen für Sven: Das Bild der Personen – sein Bruder, sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater – trägt er auch in seinem Kopf, aber die materialisierte Erinnerung ist für ihn ein emotional bedeutsames Zeichen für die gemeinsame Familie und den Rückhalt, den er von ihr erfährt. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, wie stark Merkzeichen an die individuelle Biographie des Einzelnen gekoppelt sind; für eine andere Person wäre dieses Bild lediglich eine Darstellung mehrerer männlicher Generationen einer Familie. Für Sven aber ist es mehr: Es ist Familie, die ihm auch in der Ferne zugänglich ist. Es gibt aber auch diejenigen MigrantInnen, die wie Brigitte sehr dezidiert beschreiben, dass sie auf Besitztümer keinen Wert legen: „Ich bin eigentlich nicht so, dass ich so wahnsinnig an allem hänge.“ (Brigitte, Pos. 202) Die Auswertung der Interviews zeigt, dass es dabei insbesondere um die Migration selbst geht und um die Frage, was von einem Ort zum anderen mitgenommen wird. Das bedeutet nicht, dass für diese Personen Objekte keine Rolle spielen; zum einen sind je vor Ort unterschiedliche Dinge wichtig, zum anderen können bestimmte Objekte an anderen Orten gelagert sein. In einigen Fällen reicht das Wissen darum, dass diese Dinge dort sind, aus, um den Personen Stabilität in ihrem mobilen Leben zu geben, wie Holger am Beispiel seines „Jugendzimmers“ beschreibt: Mein Jugendzimmer in meinem Elternhaus ist so praktisch der immerwährende Schrein. Das ist praktisch unberührt seit meinem Auszug und das ist so der Ort, wenn ich zurückkomme, das muss auch so bleiben, das verlange ich auch, und vielleicht ist es auch einfach klar, dass das so ein sakrosankter Bereich ist, den auch nur irgendwie ich betreten darf und auch ich nur verändern darf, wobei ich auch gar nicht verändern möchte, aber das ist so praktisch eher so ein ideeller Ort. Aber den ich halt nicht mitnehmen kann, aber ich weiß eben, dass es den im mer noch gibt, und ich weiß eben auch, dass es dieses Elternhaus immer noch gibt, also [eine] feste Konstante. Die ich halt nicht mitnehmen muss, aber die ich halt im Geiste irgendwie unterschwellig immer dabei habe. (Holger, Pos. 40)

Hier ist es ein Objekt, das nicht vor Ort ist (und es niemals sein kann), aber aufgrund seiner Existenz dem Migranten vor Ort emotionale Sicherheit gibt. Das Wissen um seinen „Schrein“ in seinem Elternhaus erleichtert es ihm, sich an den

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wiederkehrend neuen Orten einzuleben und auch an diesen entfernten Orten zuhause zu fühlen – der „Schrein“ ist ein Merkzeichen für emotionale Zugehörigkeit. Es kann aber auch sein, dass die Tatsache, dass die bedeutsamen Dinge an verschiedenen Orten verteilt sind, die Gefühle der Instabilität und Fragmentiertheit, die durch das eigene Mobilsein latent vorhanden sind, verstärkt, wie Ryan am Beispiel seiner Besitztümer beschreibt: I miss the sense of having all of my things around me […]. I feel very fragmented by all of that. That has weighed on me more this year than I expected it would. It makes me feel like I don’t know how to move forward. […] I don’t know how to feel at home to move forward. (Ryan, Pos. 187–193)

Bei Ryan verunmöglicht die Tatsache, dass er seine ihm lieb gewordenen und gewohnten Dinge nicht um sich hat, die Möglichkeit, sich an seinem jetzigen Wohnund Arbeitsort zuhause zu fühlen. Und es ist bemerkenswert, dass er diesem Gefühl des Zuhausefühlens die Kraft zuschreibt, „vorwärts zu gehen“ – denn das fehlende Zuhausegefühl macht es ihm derzeit schwer, „zu wissen, wie er vorwärts gehen kann“. Wie wichtig derartige Besitztümer für die Identität ihrer BesitzerInnen und für die Konstitution ihres Selbst sind, beschreibt auch John, wenn er erzählt, wie er sich fühlte, als seine Habseligkeiten von den USA nach Europa transportiert wurden: Coming from the States to here we had [a house] to move and [...] when the container was closed and part locked that was quite an emotional time cuz you realize that ’s your entire life, [it] is in the back of that truck, and if it goes, you know, the ship sinks or whatever happens, you’ve lost your entire life and all your stuff in it, so but really, no, we had photographs on a hard disk, it’s all digital, so a hard disk of photographs I carried, but that was it. (John, Pos. 143–147)

An diesem Gesprächsausschnitt werden zwei Dinge deutlich: Objekte haben erstens unterschiedliche Bedeutungen für die HIMS, etwa eine funktionale und eine emotionale. Zweitens sind sie gleichzeitig eine Last und eine Lust und weisen damit eine innere Widersprüchlichkeit auf. Die Unterschiede in den Bedeutungen kommen in obigem Zitat zum Ausdruck: Einrichtungsgegenstände eines Hauses und Objekte mit eindeutig funktionalem Charakter wie Kleidung, Musikinstrumente oder Fahrräder werden in den Container geladen. Sollte dieser Container verloren gehen, „hast Du Dein ganzes Leben und alle Habseligkeiten verloren“ – eine eindeutige Aussage, die die Bedeutung dieser Dinge hervorhebt. Allerdings gibt es da noch die Fotografien, die in digitalen Formaten auf einer Festplatte gespeichert sind und gerade nicht im Container verstaut werden, sondern mit dem Besitzer reisen. Die hier aufgemachte Hierarchie zwischen Dingen ist bezüglich der agency der Objekte interessant, denn in diesem Fall wird der Gehalt der Fotografien als Merkzeichen, die Tatsache, dass sie Erinnerungen abbilden und biographisch bedeutsam sind, höher bewertet als die materiellen Objekte, die im Container verschifft werden. Die Fotografien sind nicht einmal mehr materiell existent – manche mögen im Container in einer

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8 Das Tun mit Objekten

Schachtel aufbewahrt werden –, sondern sie sind digital gespeichert und damit auf (vermeintlich längere) Dauer gestellt als die anderen Objekte. Die Digitalisierung der Fotografien und ihre Speicherung auf einer Festplatte zeugt allerdings auch von einem spezifischen, pragmatischen Umgang mit den Dingen, mit denen zwischen den Anforderungen des Hier (sich zu Hause fühlen) und des Dort (mit den Habseligkeiten umziehen) balanciert wird. Der zwiespältige Charakter von Objekten wird explizit, da sie zum einen eine Last und Be-Lastung etwa beim Umzug sind, möglicherweise auch ein Laster, da nicht alles davon lebensnotwendig ist. Zum anderen sind sie eine Lust, da sie es ermöglichen, sich als Selbst zu verstehen, das sich trotz der vielen Umzüge nicht wesentlich verändert, dem weiterhin dieselben Dinge wichtig sind und dieselben Dinge benötigt, um als Selbst leben zu können. In diesem Doppel von Last und Lust ist noch ein weiteres Doppel enthalten: das der Zugehörigkeit und Fragmentierung. Beide Gefühle werden durch Objekte mit hervorgerufen und konstituiert. Dies gilt sowohl für die mobilen als auch die stationären Objekte, d.h., gleichermaßen für die Objekte auf Reisen und die Objekte vor Ort. Diesem doppelten Charakter von Objekten wende ich mich im Folgenden zu. 8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten Wie sich in den bisherigen Ausführungen schon gezeigt hat, werden Objekte in den Biographien der HIMs auf ganz unterschiedliche Weise wirksam. Einig sind sich die Interviewees darin, dass es in jedem Fall eine Last darstellt, nicht nur als Person umzuziehen, sondern mit den Dingen, die einen umgeben: One thing that also is tiring […] at some point was like the physically moving, it ’s such a pain in the ass, every time you have to just pack and pack and pack, and it’s just like: „I’m tired of that!“ So one way is to get rid of everything, but still that is some work. (François, Pos. 252)

François beschreibt hier, dass das Umziehen nicht nur ein emotional belastender Prozess ist, sondern auch ein physisch belastender, wenn die Besitztümer immer wieder eingepackt und ausgepackt werden müssen. Die Alternative, „alles loszuwerden“, ist allerdings auch „einiges an Arbeit“. Die Dinge nicht mit umzuziehen, sondern sie einzulagern und so ein auch auf die Habseligkeiten bezogen plurilokales Leben zu führen, kann allerdings ebenso belastend sein, da bestimmte, emotional wichtige Dinge dann möglicherweise nicht dort sind, wo man sie in einer bestimmten Situation benötigt. Dies kann zu einer zusätzlichen Destabilisierung des Selbst führen. Bestimmte Objekte vor Ort zu haben kann daher auch eine spezifische Lust bedeuten und die Bindung an den Ort und vor Ort deutlich erleichtern, etwa wenn das Musikinstrument genutzt wird, um im örtlichen Orchester zu spielen, wie es Yuna und Lola tun.

8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten

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8.3.1 Objekte als Last und Lust Objekte werden als Belastung und als Bereicherung empfunden. Wenn Magda sie als „Ballast“ beschreibt (Magda, Pos. 30) und sagt, dass es für sie „nichts gibt, was ich sammeln würde, […] selbst Fotos [nicht]“ (Magda, Pos. 30), dann verweist dies nicht nur auf die physische Last, die Dinge umzuziehen, sondern auf eine spezifische Haltung und Einstellung zu Besitztümern, die dem entspricht, was Bardhi et al. (2012, Übers. ALM) als „flüchtige Beziehung“ bezeichnen: Situational sind Dinge wichtig, aber sobald sich die Situation verändert, verlieren auch die Dinge ihre Bedeutung. Für Magda dienen Fotos nicht als Merkzeichen; anders als Sven, der das Bild seiner Familie im Kopf hat, aber dennoch aus emotionalen Gründen als Papierausdruck mit sich herumträgt, lehnt sie derartige Materialisierungen ab. „Bilder habe ich im Kopf “ (Magda, Pos. 30), sagt sie, sie stellen inkorporierte Erinnerungen dar und migrieren mit ihr und in ihr als Person. Ähnlich entschieden ist auch Peter: „Attachment is suffering.“ (Peter, Pos. 38) Er beschreibt, dass er es als „Befreiung“ (Peter, Pos. 36) erlebt habe, für seinen Umzug von Neuseeland nach Großbritannien alles zu verkaufen und „nur mit dem Rucksack zu leben.“ (Peter, Pos. 36) Die Abkehr von den Besitztümern vor einem neuerlichen Umzug zelebriert Luis in ähnlicher Weise. Als seine Zeit in Granada zu Ende geht, veranstaltet er einen offenen Verkauf seiner Sachen in seiner Wohnung. Das Ergebnis ist, dass er lediglich mit einem Koffer und einem Rucksack nach Großbritannien geht: „I was really proud, so I took a picture when I moved there, I just had my luggage and my backpack. I put it „travelling light“ [on my blog, ALM].“ (Luis, Pos. 386–388) Auch Yuna verfolgt in gewisser Weise eine solche Form des travelling light, da sie nach eigener Aussage stets lediglich mit ihrem Cello und einem Koffer reiste (Yuna, Pos. 14). Dieses Objekt mitzunehmen ist für sie allerdings keine Last, sondern eine Lust, da es ihr nicht nur ermöglicht, vor Ort mit Menschen zu musizieren und dadurch mit ihnen in Kontakt zu kommen. Vielmehr ist auch das Cello spielen selbst für sie eine solche Lust, dass die Mitnahme des unhandlichen Instrumentes nicht in Frage gestellt wird. Die Entscheidung, was sie an einen neuen Ort begleitet, ist für sie vergleichsweise leicht: das Cello und einige Dinge wie Kleidung, die in einen Koffer passen. Derartige Entscheidungen müssen alle MigrantInnen treffen. Die Interviewees beschreiben dabei, wie sich im Verlauf ihres wiederholten Migrierens Routinen ausbilden, was die Entscheidungen pro und contra mitreisenden Objekten betrifft. So sagt Lisa: Also ich glaube, man weiß das nach ein paar Malen genau, was man auch auf der anderen Sei ten nach Monaten wieder auspackt und wo man sich dann glücklich [schätzt, es zu haben, ALM] und sagt, „ich bin froh, dass ich das jetzt noch habe“. (Lisa, Pos. 52)

Welche diese Dinge sind, bezüglich derer man „froh ist, sie noch zu haben“, unterscheidet sich je nach Person. Für Lisa gehören dazu Kochutensilien, für Rieke Bil-

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8 Das Tun mit Objekten

der, die sie dann aus der Kiste holen und mit ihnen Erinnerung auffrischen kann, wann immer sie will. Dabei wandelt sich die Bedeutung der Dinge ebenso, wie sich die Personen selbst über die Zeit und ihre Migrationsbiographie verändern. Bei Dora sind es Kleidungsstücke, die sie in den USA fast täglich getragen hat und die nun in einem Karton in ihrem Keller in der Schweiz lagern: Und dann recht schnell gerät dein Lieblingskleidungsstück in den Hintergrund und du kaufst dir neue Sachen. [… Ich habe] gemerkt, dass die Sachen, die ich in Amerika immer wirklich gern getragen habe und sie mit Stolz wieder hierher gebracht habe, hier nicht mehr den Wert gehabt [haben]. Es ist echt lustig. Ja, das war effektiv so. (Dora, Pos. 62)

Auch Musik-CDs verändern ihre Bedeutung über den zeitlichen und räumlichen Verlauf der Biographie. An anderen Orten und zu einer späteren Zeit werden die CDs und die auf ihr gespeicherte Musik anders interpretiert und dienen eher als Erinnerung denn als weiterhin verwendetes Element in Doras alltäglichem Leben: Und ich hab’s oft dann auch für mich gehört, heute auch nicht mehr, […] du entfernst dich, glaube ich, von Jahr zu Jahr auch von den Sachen und Erinnerungen, und manchmal, wenn ich mit den diversen Leuten wieder in Kontakt bin, dann kommen die wieder, die Erinnerungen, so ein bisschen ist das dann wie so ein altes Leben. […] Ich habe da noch so ein CD-Buch mit den alten CDs, und ab und zu nehme ich’s auch mal wieder raus, wenn ich so ganz allein zu Hause bin, und dann hörst Du mal wieder die Musik. Aber es is nicht mehr so das gleiche wie früher. Es war wirklich so die Zeit, es hat alles so gepasst, es war alles so super. Und heute bist du einfach in einem komplett anderen Leben. (Dora, Pos. 68)

Auch wenn sie heute ein „komplett anderes Leben“ führt, bewahrt Dora die Kleidungsstücke und die CDs auf und genießt sie als Merkzeichen dieses früheren, anderen Lebensabschnitts. Über diese Objekte gehört dieser vergangene Teil ihres Lebens zu ihr und bleibt ein Bestandteil ihres Selbst. Damit fühlt sie sich auch dem Ort, an dem sie diesen Teil ihres Lebens verbracht hat, weiterhin zugehörig. 8.3.2 Zugehörigkeiten und Fragmentierung Dora hält mit den Dingen, die sie in ihrem Keller aufbewahrt, eine bestimmte Bindung an vorangegangene Migrationsstationen aufrecht. Damit wird eine bestimmte, retrospektive Form des belonging und place attachment mithilfe der Objekte möglich. Auf die Bindung an Orte werde ich im folgenden Abschnitt des Buches genauer eingehen. An dieser Stelle möchte ich den Blick darauf lenken, wie durch Objekte Zugehörigkeiten hergestellt und verhindert werden. Eine Form, eine Bindung zu den Orten und zu den Menschen vor Ort herzustellen, ist es, ein Hobby an allen Orten weiterzuführen. Zu diesen Hobbies gehört, wie ich oben beschrieben habe, das Musizieren, wie Yuna es tut. Sie ist dabei auf ihr Cello angewiesen, welches ihr eine spezifische Form der Zugehörigkeit vor Ort ermöglicht. Die Praktik, mit anderen Cello zu spielen, wendet sie an jedem der Orte, an denen sie lebt, an. Die Abläufe, die sie dort erlebt, unterscheiden sich wenig voneinander, was ihr ein zusätzliches Gefühl der Zugehörigkeit bietet:

8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten

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Also in Japan gehörte ich zu einem Studentenorchester, und die Atmosphäre von diesem Orchester und jetzt [dem] Orchester in Oldenburg sind so ähnlich. Wirklich so ähnlich. Nach der Arbeitszeit, also wir sehen uns [um] 7 Uhr 30, freitags. Und in Japan hatten wir auch so ungefähr [die] gleiche Uhrzeit, aber nicht freitags, sondern dienstags. Aber nach der Arbeit sehen wir uns, treffen wir uns und [sind] eine Weile ganz fleißig. Orchesterprobe und zweimal pro Jahr ungefähr haben wir [ein] Konzert. […] einmal pro Woche, solange wir in der Probe sind, dann brauche ich überhaupt keine Zwang. Ich kann einfach so ganz normal oder ganz ohne Spannung [sein]. Ja, ich kann da bleiben, das finde ich super. (Yuna, Pos. 20–22)

Eine andere Form, Zugehörigkeit herzustellen, ist es, Ortswissen zu erlangen. Die Menschen, um die es mir in diesem Buch geht, sind räumlich extrem mobil und sind dies auch dann, wenn sie vor Ort und demnach in meiner Analysekategorie immobil sind: Sie bewegen sich im Raum, sind unterwegs, eignen sich ihre Wohnorte und die Umgebung an. Dies ist vielen von ihnen sehr wichtig, da sich über die räumliche Mobilität vor Ort Aktionsräume öffnen und ein Ortswissen erlangt werden kann, welches schließlich, wie ich in Kapitel 11 ausführlich zeige, zu einer Form der Ortsbindung führt. Die Objekte, die diese Mobilität mit ermöglichen, sind etwa das Auto, wie Dora beschreibt: Dann haben wir mit mehreren halt ein Auto uns gekauft […]. Von dem Zeitpunkt an war das nochmal richtig gut, weil dann warst du vielmehr integriert ins Leben, weil du konntest abends auch mal abseits von dem Staff Housing in eine Bar gehen oder so mal was machen, weil Du warst ja mobil. (Dora, Pos. 20)

Für Luis ist es ein Motorroller, den er in Granada nutzt, um die Umgebung kennenzulernen und Wissen über den Ort, an dem er lebt, zu erlangen. Luis geht es dabei nicht nur um die Mobilität von A nach B. Vielmehr geht es ihm darum, bestimmte Orte kennenzulernen: Orte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen sind. Öffentliche Verkehrsmittel dienen hier als Chiffre für das „Entdecken“ (Dora, Pos. 20) – Luis sucht nach dem Besonderen, dem Singulären. 62 Ortswissen zu erlangen wird möglich mit dem Objekt der Vespa. Dieses Objekt wird nicht mit ihm migrieren, sondern vor Ort bleiben; es ist also lokal verankert und kann es auch nur vor Ort in Granada leisten, Zugehörigkeit herzustellen. Das Verbleiben dieses Objektes vor Ort ist für Luis emotional nicht belastend; sein Wert ist flüchtig, da situativ und örtlich gebunden (vgl. Bardhi, Eckhardt und Arnould 2012).63 Anders ist es in den Fällen, in denen sich emotional bedeutsame Objekte an unterschiedlichen Orten befinden. Bei Ryan erzeugt diese Plurilokalität der Objektbezüge ein starkes Gefühl der Fragmentierung (vgl. Kap. 8.2.3). An seinem Beispiel zeigt sich sehr gut die Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten. So sind erstens die Objekte, die Ryan wichtig sind, an verschiedenen Orten verteilt – und er ist mit ihnen verbunden. Zweitens ist er über die Objekte mit den 62 63

Vgl. dazu auch die Reckwitzʼ (2017, z.B. 11) Beschreibung der Singularitäten als prägender Logik der Spätmoderne, welche dazu führt, dass der Einzelne stetig nach dem Besonderen strebt und sucht. Die Vespa weist demnach eine kulturelle Biographie auf (Kopytoff 1986), da sie, nachdem Luis Granada verlassen hat, in anderer Weise und von anderen Personen verwendet wird.

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8 Das Tun mit Objekten

Orten, an denen sich befinden und an die ihr Fehlen an seinem aktuellen Wohnort in Großbritannien ihn erinnert, verbunden. Drittens ist er über die Objekte und Orte auch mit den Menschen verbunden, bei denen die Objekte lagern. Dieses Netzwerk an Beziehungen ließe sich auch ausgehend von den Objekten oder den Orten beschreiben, aber ebenso gut ausgehend von einer der Personen, bei denen sich Ryans Besitztümer befinden. Es ist nun allerdings nicht immer so, dass die Plurilokalität der Objekte zu einem Gefühl der Fragmentierung auf Seiten der MigrantInnen führt. Für Rieke ist es vielmehr ein Moment der Stabilität in ihrem mobilen Leben. Ähnlich wie das Kinderzimmer für Holger ein räumlich entfernter, aber sicherer und damit Stabilität bietender „Schrein“ ist, ist für Rieke das Einlagern der Möbel eine Möglichkeit, das, was ihr wichtig ist, zu behalten und damit bei sich zu haben – wenn auch räumlich entfernt. Rieke bringt daher die Tatsache, dass sich diese Objekte woanders befinden, nicht mit Stationarität oder Fragmentierung in Verbindung, sondern es ist für sie ein Weg, die Möbel bei sich zu behalten – zwar temporär distanziert, aber sie sind weiterhin ihre Besitztümer und verfügbar: „Unsere Möbel sind immer eingelagert, also die schleppe ich auch mit, da bin knallhart.“ (Rieke, Pos. 50) Objekte unterschiedlicher Art begleiten die HIMs im Verlauf ihrer Migrationsbiographie. Einige Objekte sind ebenso mobil wie die Menschen und weisen damit ihre eigene Migrationsbiographie auf. Sie dienen dabei insbesondere als Merkzeichen im Schütz’schen (2003) Sinn und sind somit eng an die biographische Situation der Einzelnen gekoppelt. Dabei werden sie in immer wieder neue Relationen eingebunden und gewinnen oder verlieren situativ und ortsgebunden an Bedeutung. Ihnen ist damit eine situationale Biographie eigen, und sie sind über den Zeitverlauf intrasubjektiv bedeutsam. Objekte, die stationär sind und vor Ort verbleiben, wenn die HIMs erneut umziehen, weisen dagegen eine kulturelle Biographie auf (Kopytoff 1986): Sie entfalten eine spezifische Wirksamkeit für ein Individuum in einer bestimmten Situation, an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten kulturellen Kontext. Über den Zeitverlauf wechseln sowohl die Bezugspersonen und die kulturellen Kontexte, so dass das Objekt je unterschiedliche und intersubjektive Bedeutungen aufweist. Sowohl die mobilen Objekte – die Objekte auf Reisen – als auch die stationären Objekte – die Objekte vor Ort – sind konstitutiver Bestandteil von Praktiken. Diese Praktiken tragen zu einer Stabilisierung der Identitäten der HIMs bei und ermöglichen ein Alltagsleben vor Ort, das der wiederholten Mobilität eine temporäre Dauerhaftigkeit und Stabilität an die Seite stellt. Der Besitz von Dingen kann dabei sowohl als belastend als auch als lustvoll empfunden werden. Eine emotionale und physische Last stellt er dar, wenn sich beispielsweise bei jedem neuen Umzug die Frage danach stellt, welche Dinge mitgenommen, zurückgelassen oder eingelagert werden sollen. Das Sortieren und Kategorisieren der Dinge entsprechend ihrer Bedeutungen ist dabei ebenso ein psychisch wie körperlich anstrengender Prozess. Eine Lust sind Dinge, wenn man sich ihrer beim Auspacken und Nutzen erfreut

8.3 Der zwiespältige Charakter von Objekten

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oder das Wissen um sie positive Erinnerungen hervorruft. Im Fall der Lagerung der Besitztümer an mehreren Orten zeigt sich außerdem eine weitere Dimension der Plurilokalität der HIMs: Nicht nur weisen sie Bindungen zu Menschen an anderen Orten auf, sondern auch zu Dingen an anderen Orten. Objekte stehen daher nicht nur mit Menschen in Verbindung und bilden ein relationales Netz, welches Bedeutungen, Emotionen, Praktiken und letztlich Identitäten erzeugt. Vielmehr gehören zu diesem Netz auch die Orte, an denen sich die Objekte und die Menschen befinden. Diesen Orten wende ich mich jetzt im Detail zu.

Teil III: Menschen und Orte

9 Menschen und Orte

Eine der Grundannahmen dieser Arbeit ist, dass grenzüberschreitende Mobilität nicht unabhängig von geographisch fixierbaren Orten vor sich geht. Menschen bewegen sich zwischen Orten, sie überschreiten Grenzen, die Orte voneinander trennen, und sie konstituieren Räume, die ohne Orte nicht zu denken wären. Die Bedeutung von Orten hat sich im Kontext von internationalisierten und globalisierten gesellschaftlichen Beziehungen aber verändert. Dies betrifft nicht nur ökonomische, sondern auch politische und soziale Dimensionen dieser Beziehungen. Bei der Analyse dieser Beziehungen sind nicht zuletzt auch technologische, ökologische, aber auch rechtliche Merkmale derartiger Verflechtungen zu berücksichtigen, die alle eine Wirkung auf die weltweit zu beobachtende Migration haben. 64 Meine Interviewees beschreiben die von ihnen wahrgenommenen Veränderungen der Technologien beispielsweise so: Es gab früher noch nicht einmal Skype. Also was das für ein Act war, wo wir dann abgewan dert sind, mussten wir hier dann Leute[n zeigen], wie richte ich das ein. E-Mail-Adresse, also das können sich junge Leute heute gar nicht mehr vorstellen. (Rieke, Pos. 94)

Das Verlassen des Herkunftslandes, in diesem Fall das Umziehen von Deutschland nach Tansania, geht mit der zusätzlichen Herausforderung einher, dass Rieke Kontakt zu ihren Freunden und ihrer Familie in Deutschland halten möchte. Der Kontakt wird unter anderem, wie sie an anderer Stelle beschreibt, über Briefe, aber auch, wie hier geschildert, mithilfe von E-Mails gesichert. Dazu muss „hier dann Leuten“ erklärt werden, „wie das eingerichtet wird“ – Emails sind zur Jahrtausendwende eine Technologie, die noch wenigen vertraut ist. Anders die Generation der heute „jungen Leute“, wie Rieke sagt. Die Möglichkeiten, die nicht nur die technologischen Vernetzungen, sondern auch die grenzüberschreitenden Verflechtungen der Generation der heute Heranwachsenden bieten, beschreibt Rieke sehr positiv als „riesigen Blumenstrauß“: Ich bin mal gespannt, wie die Generation jetzt dann das machen. Das wäre mein Traum gewesen. Alles englisch, global, international, das gab’s bei mir alles noch gar nicht. Die können ja alles machen, das ist ja Wahnsinn. Das ist ja ein riesiger Blumenstrauß, also bin ich mal ge spannt, wie die das umsetzen. (Rieke, Pos. 92) 64

Zu der Verschränkung von Klimawandel und Migration vgl. etwa die Arbeiten von Herbeck (2014) und Klepp und Herbeck (2016).

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9 Menschen und Orte

Diese positive Perspektive auf die ökonomischen und sozialen Verflechtungen wurde in der wissenschaftlichen Betrachtung der Globalisierung von Gesellschaft bereits früh begleitet von einer kritischen Analyse ihrer sozialen, politischen, aber auch geographischen Konsequenzen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, welche neuen gesellschaftlichen Differenzierung zwischen denjenigen, die an der global verflochtenen Welt teilhaben (können), und denjenigen, die von ihr ausgeschlossen sind, beobachtet werden können. Die Tatsache, dass wir es hier mit sozialen und räumlichen Prozessen zu tun haben, die sich überlagern, verstärken, aber auch einander entgegen laufen können, zeigt, dass wir von Globalisierung nicht als einem homogenen Phänomen sprechen können, sondern auch die Brüche und Ungleichzeitigkeiten berücksichtigen müssen. Im Folgenden stelle ich zunächst vor, welche Formen von globalen Verflechtungen wir beobachten können. Hier geht es insbesondere um die Räume, die durch spezifische Formen der Verflechtung hergestellt werden. Anschließend wende ich mich der Bedeutung von Orten in einer global verflochtenen Welt zu. Dabei diskutiere ich die Frage, welche gesellschaftlichen Konsequenzen die Gleichzeitigkeit von Ortsgebundenheit und Ortsunabhängigkeit mit sich bringt und stelle anschließend einen analytischen Rahmen vor, mit dessen Hilfe die Gleichzeitigkeit von Ortlosigkeit und Ortsgebundenheit gefasst werden kann. Dazu greife ich auf Konzepte der konstruktivistischen Raumforschung (exempl. Certeau 1988; Lefèbvre 1991; Löw 2001) und der locality (Massey 2007) zurück. Schließlich beschreibe ich die Formen der Bindungen an Orte, die für die HIMs trotz – oder gerade wegen – globalisierter Prozesse und der damit verbundenen Verflechtungen zu beobachten sind. 9.1 Räume statt Orte? Die ersten umfassenden Arbeiten zum Phänomen der Globalisierung fokussierten seine spezifisch räumliche Dimension, insbesondere seinen grenzüberschreitenden Charakter und, damit verbunden, seine Ortsungebundenheit. 65 Die Betonung des Raums in der Analyse fand ihren Ausdruck in Metaphern des Stroms, der Flüsse und der Netzwerke, etwa in Castells (1996) Arbeiten zum space of flows. Das Zusammenspiel von technologischen Innovationen, weltpolitischen Transformationen und ökonomischen Veränderungen (z.B. Sassen 1991, 1998; Bauman 1998) wurde als qualitativ neues Phänomen beschrieben. Wichtiges Merkmal der unter Globalisierung zu fassenden Prozesse war ihr nationalstaatliche Grenzen überschreitender Charakter: Mit dem damals neu entstandenen und zunehmend verbreiteten Internet und den damit verbundenen Informations- und Kommunikati65

Für eine geographische Beschreibung von Globalisierung z.B. Dicken (1986); Hahn (2009); für eine wirtschaftsgeographische Übersicht Giese, Mossig und Schröder (2011); für die Politikwissenschaft z.B. Morgenthau (1963); Waltz (1999); Nye Jr. und Donahue (2000); für die Anthropologie z.B. Kearney (1995); für eine aktuelle ökonomische Perspektive Rodrik (2011).

9.1 Räume statt Orte?

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onstechnologien war es nun (leichter) möglich, über Staatsgrenzen hinweg zu kommunizieren und Informationen auszutauschen; veränderte geopolitische Verhältnisse, etwa durch das Ende des Kalten Krieges, erleichterten die Ausbreitung eines grenzüberschreitenden kapitalistischen Marktes; sich weiter spezialisierende Produktionsformen führten zu ausdifferenzierten Produkten und Handelsketten. Im Zuge dieser Entwicklungen traten nicht nur Unternehmen global zueinander in Wettbewerb; es konkurrierten zunehmend ArbeitnehmerInnen nicht mehr nur regional und national, sondern auch international um Arbeitsplätze, ebenso ließ sich eine Zunahme im Wettbewerb von Orten um ihre Rolle als (Produktions-)Standorte feststellen. Bauman (1998, 121, Übers. ALM) beschreibt diese ökonomischen und sozialen Veränderungen als maßgeblich „entlang der Hierarchie von global und lokal“ strukturiert; Folge sei nicht zuletzt eine Fixierung der Unterprivilegierten und eine Mobilisierung der Privilegierten. Diese Dichotomie zeige sich strukturell in der Opposition von global agierenden Unternehmen, die flexibel über Standorte und Arbeitsplätze entscheide und damit die ArbeitnehmerInnen sowohl zu Mobilität zwischen Orten (bei einem Standortwechsel) als auch zu Fixierung vor Ort (am Standort vor Ort) zwinge. Aber auch individuell zeige sich die Zweiteilung von Chancen und Risiken, etwa wenn die einen aus ökonomischer Notwendigkeit, die anderen aus eigenem Wunsch räumlich mobil seien und so an den globalen Migrationsströmen teilhätten (Bauman 1998, 91–92). Zudem zeigten sich an diesen paradigmatischen Gruppen der Globalisierung, die sich antagonistisch gegenüber stehen, die spezifischen räumlichen und zeitlichen Bindungen und Entgrenzungen: For the first world, the world of the globally mobile, the space has lost its constraining quality and is easily traversed in both its „real“ and „virtual“ renditions. For the second world, the world of the „locally tied“, of those barred from moving and thus bound to bear passively whatever change may be visited on the locality they are tied to, the real space is fast closing up. […] Residents of the first world live in time; space does not matter for them, since spanning every distance is instanttaneous. […] Residents of the second world, on the contrary, live in space: heavy, resilient, untouchable, which ties down time and keeps it beyond the residents’ control. (Bauman 1998, 88, Herv.i.O.)

Harvey (1990) spricht in diesem Kontext von einer time-space-compression, welche diese veränderten Raum-Zeit-Beziehungen beschreibt. Seiner These folgend, dass Raum und Zeit immer auch durch soziale Praktiken und Interaktionen in Bezug auf die umgebende Umwelt konstituiert werden (Harvey 1990, z.B. 204), entwickelt er unter Bezugnahme auf Lefèbvres Raumtheorie eine Systematik von vier miteinander verbundenen räumlichen Praktiken (Harvey 1990, 218–22). Diese beeinflussten nicht nur die individuelle Erfahrung von Raum und Zeit, sondern sind auch für Machtverhältnisse in Gesellschaften mit verantwortlich. Historisch lasse sich, so Harvey, ein Prozess der zunehmenden Verdichtung von Raum und Zeit feststellen, welcher nicht zuletzt mit veränderten räumlichen und zeitlichen Praktiken einhergehe: Raum wird zwischen zunehmend entfernt liegenden Orten bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust der zu überwindenden Distanzen und Grenzen

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9 Menschen und Orte

konstituiert; die Beschleunigung von Kommunikations- und Produktionsprozessen führt zu neuen zeitlichen Bezügen. Dieser für die kapitalistische Gesellschaft im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert zu beobachtende Prozess verstärke sich schließlich ab den 1960er Jahren und gehe mit fundamentalen Veränderungen in „ökonomischen Praktiken, der Balance der klassenbezogenen Machtverhältnisse, ebenso wie im kulturellen und sozialen Leben“ (Harvey 1990, 284, Übers. ALM) einher.66 Dies führt Harvey (1990, z.B. 284–95) dazu, eine für die Postmoderne besonders stark ausgeprägte Form der Verdichtung von Raum und Zeit festzustellen, sichtbar nicht zuletzt in den veränderten Formen der Warenproduktion und -distribution. Eine solche Raum-Zeit-Verdichtung mache wiederum auch andere Formen der Warenverfügbarkeit und -konsumtion möglich, wie Harvey (1990, 299) am Beispiel der Verbreitung von Bier und Lebensmitteln in Baltimore zeigt: The annihilation of space through time has radically changed the commodity mix that enters into daily reproduction. […] the case of beer consumption suggests that the internationalization of a product, that traditional location theory always taught should be highly market-oriented, is now complete. Baltimore was essentially a one-beer town (locally brewed) in 1970, but first the regional beers from places like Milwaukee and Denver, and then Canadian and Mexican beers followed by European, Australian, Chinese, Polish, etc. beers became cheaper. Formerly exotic foods became commonplace while popular local delicacies (in the Baltimore case, blue crabs and oysters) that were once relatively inexpensive jumped in price as they too became integrated into long-distance trading.

Eine derartige Verdichtung mit ihrer quantitativ größeren, über-lokalen Verfügbarkeit von Waren gilt auch für Kulturprodukte wie Musikstile (Harvey 1990, 301). Allerdings stehe einer solchen weltweiten Annäherung und damit einhergehenden Homogenisierung nun, so Harvey, ein Verlangen nach Ortsbindung und ortsbezogener Identität gegenüber (Harvey 1990, 302–3; dazu auch R. Robertson 1995). Ähnlich argumentiert auch Sassen (z.B. 1991, 2005), die schon in einer frühen Phase der Globalisierungsdiskussion darauf hinwies, dass es auch in einer globalisierten Gesellschaft immer noch einen Unterschied mache, wo ein Unternehmen seinen Standort habe – es also weiterhin auch um Orte gehe. Für den Fall der global cities arbeitet Sassen (1991) heraus, dass die geographische Nähe zu anderen Unternehmen trotz der möglichen technologischen Vernetzung zwischen Orten 66

Im Kontext der Globalisierungsdebatte muss immer auch mitgedacht werden, dass es sich bei der Beschreibung der modernen Gesellschaften, für die hier ein Wandel postuliert wird, um eine spezifisch westliche Sicht auf Gesellschaft und Moderne handelt. Für ein umfassendes Verständnis der Veränderung von Gesellschaften im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert gilt es daher, gerade auch postkoloniale Perspektiven auf Globalisierung und auf die Moderne zu berücksichtigen (z.B. Bhambra 2007; Boatcă, Spohn und Matiaske 2010). In diesem Kontext ist der Ansatz, Moderne als „multipel“ zu begreifen, fruchtbar (z.B. Eisenstadt 1999; dazu auch Bonacker und Reckwitz 2007); in den Blick rücken dann die gleichzeitig ablaufenden, sich aber unterschiedlich ausgestaltenden sozialen, ökonomischen und politischen Prozesse (exempl. Friedland und Boden 1994; Schmidt und Hersh 2000; dazu auch Lossau 2002, z.B. 59–67).

9.2 Globale Nomaden undstatt flüchtige 9.1 Räume Orte?Gesellschaften

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immer noch einen wichtigen Wettbewerbsvorteil ausmachen kann.67 Mit derartigen globalen Verflechtungen gehen zudem Formen der Entgrenzung einher, da die etablierten, etwa nationalstaatlichen oder auch kulturellen Grenzen durch den grenzüberschreitenden Austausch destabilisiert werden (z.B. Beck und Lau 2004). Räumliche Distanzen verschwinden also scheinbar, wenn etwa Videokonferenzen von Menschen auf unterschiedlichen Kontinenten geführt werden; unterschiedliche Zeitzonen sind hier kein Ausschlusskriterium für Kommunikation, sondern etwas, das es zu berücksichtigen und in die Kommunikationsformen einzubauen gilt. Wer sind nun aber die Menschen, die räumliche und zeitliche Grenzen überschreiten und Teil einer „Weltgesellschaft“ (z.B. Beck 1998b; Heintz, Münch und Tyrell 2005) sind? Wer sind die Figuren, die eine globalisierte, dann aber doch wieder örtlich gebundene Gesellschaft ausmachen? 9.2 Globale Nomaden und flüchtige Gesellschaften Aufbauend auf den Zeitdiagnosen, die die Globalisierung und die damit einhergehende Veränderung der Raum-Zeit-Beziehung zum Thema machten, nimmt Zygmunt Bauman die Veränderungen der Gesellschaften und dabei insbesondere ihre sozialen Beziehungen in den Blick. Mit der „Flüchtigen Moderne“ (Bauman 2016, im englischen Original 2000), welche durch ebensolche flüchtigen Beziehungen gekennzeichnet sei, führt er ein Konzept in die Diskussion ein, welches versucht, die sozialen, räumlichen, zeitlichen, ökonomischen und politischen Transformationen, die die Globalisierung mit sich bringt, zusammenzubringen. Die Gesellschaft wird als in einem Zustand der Flüchtigkeit, der Nicht-Fixiertheit, befindlich verstanden. Und dieser Zustand finde sich, so Bauman, in allen Bereichen der Gesellschaft: Für die Sicherung politischer Macht sei weniger die Kontrolle über Territorien als vielmehr die Kontrolle über den transnationalen Raum entscheidend (Bauman 2016, 19); hegemoniale Lebensformen zeichneten sich eher durch ein Nomadentum als durch Ortsfeste aus (Bauman 2016, 20); die Inkorporierung der Flexibilitätsanforderung führt zu einem Leben in prekärem Status (Bauman 2005, 2); selbst die Sexualbeziehungen sind der Flüchtigkeit und Unverbindlichkeit unterworfen (Bauman 2003, xii). Individualisierung wird danach in dieser Epoche gleichsam auf die Spitze getrieben, sofern sie mit einer Abkehr von individueller Verbindlichkeit und gesellschaftlicher Verantwortung einhergeht (dazu auch Beck 1998a; für eine Kritik des Bauman’schen Konzepts s. Ritzer und Murphy 2014). Der Begriff der Flüchtigkeit zur Beschreibung spezifischer sozialer und räumlicher Verhältnisse wird nun auch in der Migrationsforschung aufgegriffen, wie ich im vergangenen Teil des Buches schon diskutiert habe. Hier wird das Konzept der liquid migration genutzt, um die Migration, die innerhalb der Europäischen Union 67

Appadurai (1990, 296–97) prägte für die grenzüberschreitenden technologischen Verflechtungen den Begriff der technoscapes, analog zu den ethnoscapes, mediascapes, finanscapes und ideoscapes.

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im Kontext der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit zu beobachten ist, zu beschreiben (z.B. Engbersen, Snel und de Boom 2010; Engbersen und Snel 2013; Bygnes und Erdal 2017). Analysiert man diese Arbeiten vor dem Hintergrund der Frage, in welcher Weise die MigrantInnen Teil einer flüchtigen Gesellschaft sind, so zeigt sich, dass neue Formen der Migration entstehen, die sich gerade durch eine begrenzte Zeitlichkeit und Vielfalt an räumlichen Bezügen auszeichnet (Engbersen und Snel 2013, 31). Unter Rückgriff auf Vertovecs (2007) Analyse der Migrationsmuster in Großbritannien und seiner These der Entstehung einer „super-diversen“ Gemeinschaft identifizieren Engbersen und Snel (2013, 31, Übers. ALM) die flüchtige Migration als „eine spezifische Unterform [… dieser] Super-Diversität.“ Unter Super-Diversität versteht Vertovec (2007, 1025): [the interplay of] differential immigration statuses and their concomitant entitlements and restrictions of rights, divergent labour market experiences, discrete gender and age profiles, patterns of spatial distribution, and mixed local area responses by service providers and residents.

Vertovec (2007, z.B. 1029) konstatiert eine größere Diversität unter den MigrantInnen in Großbritannien, zu denen nicht zuletzt migrierende ArbeitnehmerInnen aus den Staaten gehören, die nach 2004 der EU beigetreten sind. Zudem zeigt er, dass insbesondere die neu nach Großbritannien eingewanderten Personen transnationale Netzwerke aufweisen und diese aufrechterhalten (Vertovec 2007, 1043); die so entstehenden transnationalen Räume überlagern sich mit den vor Ort entstehenden Beziehungsnetzwerken und schaffen so spezifische räumliche und zeitliche Bezüge der MigrantInnen. Es sind diese transnationalen Beziehungen, die während des temporären Lebens vor Ort aufrechterhalten werden und die auch Engbersen und Snel (2013) für die von ihnen untersuchten EU-MigrantInnen als charakteristisches Merkmal ihrer Migration herausstellen. Hinzu kommt die Endlichkeit des Aufenthalts, welche für die Autoren ein Merkmal dieser „flüchtigen Migration“ ist. Neben den Tatsachen, dass es sich in diesen Fällen in der Regel um Arbeitsmigration handelt, sich die MigrantInnen legal in ihrem aktuellen Aufenthaltsland befinden und sich ihre Einbindung in familiäre Netzwerke anders, das heißt hier: individualisierter, ausgestaltet als im Fall der traditionellen Migration, ist die zeitliche Begrenztheit ihres Aufenthaltes das vierte beschreibende Merkmal, das sich auf die Art der Aufenthalte bezieht (Engbersen und Snel 2013, 33–34). Hinzu kommt ein fünftes Merkmal, welches analytisch quer zu den anderen vier liegt: Diese Form der Migration sei schwerer vorhersehbar als die bisher bekannte Arbeitsmigration (Engbersen und Snel 2013, 34). Das Flüchtige an dieser flüchtigen Migration ist demnach nicht allein in der Art der Mobilität (wiederholt) und der sozialen Einbindung (temporär vor Ort zu finden, dafür konstant transnational) zu erkennen. Vielmehr werden auch die Gesellschaften, in die migriert wird, mit ihren Institutionen und Politiken instabiler (flüchtiger), da sie sich situativ mit den Migrationsströmen auseinandersetzen und darauf reagieren müssen.

9.2 Globale Nomaden und flüchtige Gesellschaften

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Engbersen und Snel kommen zu dem Schluss, dass sich aus dieser spezifischen Form der Migration ein besonderer Habitus bei den MigrantInnen herausbilde. Ein solcher Habitus der „intentionalen Unvorhersehbarkeit“, wie sie ihn unter Rückgriff auf Eade, Drinkwater und Garapich (2007, 34) beschreiben, ist daher das sechste Merkmal der flüchtigen Migration. Damit wirkt sich diese Form der Migration nicht nur fundamental auf die Makroebene der Aufnahmegesellschaft aus, sondern auch auf die Mikroebene der sozialen Beziehungen und individuellen Persönlichkeiten der MigrantInnen, indem sie den Lebensstil und Habitus der Individuen prägt.68 Die MigrantInnen als Personen werden dabei nicht zuletzt auch vom Diskurs um Migration geprägt. Dieser ist gerade im Kontext der Arbeitsmigration stark von Mobilitätsanforderungen und Flexibilität geprägt (siehe Kapitel 5.2). Auch Pels (1999) zeigt am Beispiel der Sozialfiguren des Intellektuellen und des Fremden, wie die mit diesen Figuren verbundenen Bilder und Narrative heute wieder zusammenfallen und zu der, im Diskurs positiv konnotierten, Figur des intellektuellen Nomaden zusammengefügt werden. Dieser intellektuelle Nomade lässt sich als Protagonist des spätmodernen Diskurses um Mobilität und Flexibilität nicht nur im Arbeitsleben, sondern in allen Bereichen des Lebens verstehen – und als Äquivalent zu Baumans (1996) „Tourist“. Nach Pels gehen die literarischen Beschreibungen des Fremden und die des Intellektuellen, wie sie etwa bei Simmel (1995[1903]) zu finden seien, Hand in Hand. So ist letzterer nach Pels (1999, 67) „someone estranged, uprooted, marginal to his culture of origin and its parochial customs, values and beliefs.“ Vergleichbare Beschreibungen dieses Gefühls, überall hineinzupassen, aber nirgendwo zuhause zu sein, finden sich auch bei den HIMs. Sie beschreiben damit eine spezifische Form der Entfremdung von der eigenen Kultur, welche mit einer gleichzeitigen Plurikulturalität 69 zusammenfällt: von der einen eigenen Kultur entfremdet und mit zahlreichen anderen Kulturen vertraut. Die Figur des intellektuellen Nomaden werde in der Postmoderne, so Pels (1999, 72, Übers. ALM), nun für den Fall der MigrantInnen euphemistisch gewendet, indem ihre Erfahrungen der gesellschaftlichen Marginalisierung und des Lebens im Exil als „privilegierte Metapher moderner Subjektivität“ gerahmt werden.70 Die in der Moderne als negativ gerahmten Merkmale der Nicht-Sesshaftig68

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Schellenberger (2011) arbeitet in seiner Studie zu PendlerInnen über große Distanzen (im Fall seiner Arbeit zwischen Deutschland und Neuseeland) heraus, dass für transmigrantisch lebende Personen ein spezifischer Lebensstil charakteristisch ist; dieser weist meiner Meinung nach, insbesondere was die „[auf Dauer gestellte] Instabilität“ (Schellenberger 2011, 121) des Lebens der MigrantInnen angeht, große Ähnlichkeiten mit der flüchtigen Migration und dem mit ihr verbundenen Habitus auf. Ich verwende den Begriff der Plurikulturalität, um die Gleichzeitigkeit verschiedener kultureller Bezüge auf der individuellen Ebene zu betonen. Der Begriff der Multikulturalität bezeichnet ein vergleichbares Phänomen auf der Ebene gesellschaftlicher Organisationen und Strukturen. Pels (1999, 74–75) betont dabei die gender-Dimension dieser Sozialfigur: Ihre Neu-Figuration bezieht sich in erster Linie auf eine männlich konnotierte Figur des intellektuellen Nomaden.

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9 Menschen und Orte

keit und des Nicht-Dazugehörens zu der lokalen Gemeinschaft werden nun, in der Postmoderne, positiv konnotiert. Die intellektuellen Nomaden erfüllen die Kriterien des Mobilitätsdiskurses in besonderer Weise und werden so zu seinen ProtagonistInnen. Wie ich in Kapitel 5.2 für den Diskurs um räumliche Mobilität als Anforderung moderner Arbeitswelt gezeigt habe, findet sich auch hier eine spezifische Wertigkeit von Mobilität, die Pels aufzeigt. Auf diese Figur des Nomaden beziehen sich auch Meyer, Kaplan und Charum (2001) in ihrer Analyse hochqualifizierter WissenschaftlerInnen. Die „wissenschaftlichen Nomaden“, von denen sie in ihrem Aufsatz sprechen, sind, so die Autoren, Teil von „neuen intellektuellen, auf Wissenschaft und Technik fokussierten Diasporas“ (Meyer, Kaplan und Charum 2001, 319, Übers. ALM). Die Mobilität der WissenschaftlerInnen ist dabei, so die Autoren, nicht neu, sondern weist große Ähnlichkeiten zu früheren nomadischen Leben von WissenschaftlerInnen auf. Diese historische Kontinuität ist dabei vergleichbar mit der, die Pels für die literarischen Figuren der Intellektuellen herausarbeitet. Worauf Meyer und seine Kollegen allerdings hinweisen, ist die Bindung an Orte und Menschen, die trotz der grenzüberschreitenden Mobilität wichtig sei: „This is the very etymology of the Greek word diaspora – dispersion and dissemination – a move beyond borders, but not without social bonds.“ (Meyer, Kaplan und Charum 2001, 320, Herv.i.O.) Diese „globalen Nomaden“, wie sie in den genannten Studien beschrieben werden, sind alle in Bauman’scher Terminologie „Touristen“. Dasselbe gilt für die ProtagonistInnen des vorliegenden Buches, die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen. Für sie hält Bauman fest: „Bodenhaftung verliert an Bedeutung, wenn man zu jeder Zeit an jedem Ort sein und von dort auch wieder verschwinden kann.“ (Bauman 2016, 21) Wie in den obigen Ausführungen schon angedeutet wurde, scheint die Orts- und Staatsgrenzen überschreitende Mobilität allerdings auch mit spezifischen lokalen Bindungen, „Bodenhaftungen“, einherzugehen. Beck (2007) verwendet für derartige lokalen Beziehungen von transmigrantisch lebenden Personen den Begriff der „Mehrörtigkeit“, welcher auch für den vorliegenden Fall instruktiv ist. Für Beck kann eine solche Plurilokalität Verschiedenes bedeuten, was zu den ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Haltungen der von mir interviewten Personen passt: Doch was heißt Mehrörtigkeit, Transnationalität des eigenen Lebens, wenn der Begriff des Ortes selbst mehrdeutig ist? Wenn das eigene Leben über mehrere Orte aufgespannt ist, kann das bedeuten, daß diese Biographie im allgemeinen Raum stattfindet, also z.B. auf Flughäfen, in Hotels, Restaurants usw., die überall gleich oder ähnlich, folglich ortlos sind und die Frage, wo bin ich? letztlich unbeantwortbar machen. Oder Mehrörtigkeit kann bedeuten, daß man sich immer wieder neu in die Unterschiede der Orte […] verliebt […]. (Beck 2007, 133–34, Herv.i.O.)

Mehrörtigkeit in diesem Sinn bezieht sich auf die Gleichzeitigkeit von mehreren Ortsbindungen. Bindungen an Orte können allerdings auch über die Zeit Bestand haben. Bindungen an Orte können dabei drei idealtypische Formen aufweisen: Sie sind dauerhaft-positiv, dauerhaft-negativ oder temporär-positiv. In diesen Fällen

9.2 Globale Nomaden und flüchtige Gesellschaften

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sind sie nicht nur mit einer spezifischen, häufig nostalgisch anmutenden Emotionalität verbunden. Sondern sie stellen so etwas wie die Materialisierung von Heimat dar. Der andere Extremfall von emotionaler Bindung an Orte, die Ablehnung, geht mit einer Ablehnung der gesamten Einheit ‚Stadt‘ einher. In letzterem Fall machen sie eine temporäre Verankerung vor Ort möglich, die bei einem erneuten Verlassen des Ortes aber wieder gelöst wird. Im Fall der dauerhaft-positiven Bindung an einen Ort verbleibt der Anker trotz des Weggehens an diesem Ort. Im Fall der dauerhaft-negativen Ablehnung des Ortes findet der Anker nie einen Platz zum Fixieren und schwimmt, bis sich eine erneute Migrationsstation ergibt, an der er potentiell ausgeworfen werden und sich fixieren kann. In den zwei letzten Fällen haben die Orte eine spezifische Funktion in den Rekonstruktionen der Migrationsbiographien: Sie dienen als ultimativer Bezugspunkt für alle weiteren Migrationsstationen („ich vermisse den Kosovo“, „daran kommt nichts ran“) bzw. als Abgrenzungsfolie („nie wieder möchte ich an einen solchen Ort“, „so schlimm war es nie wieder“). Wie verhält es sich nun mit dieser Mesoebene der Gesellschaft, in diesem Fall mit den Orten, in denen gelebt und zwischen denen migriert wird? Diese Frage ist leitend für die folgenden Ausführungen, in denen insbesondere das Verhältnis von Orten, Räumen und Lokalitäten zum Thema gemacht wird.

10 Orte, Räume, Lokalitäten

Räume und Lokalitäten und die damit verbundenen Ortsbindungen spielen für internationale MigrantInnen eine wichtige Rolle. Entgegen der im Kontext der frühen Phase der Globalisierungsforschung verbreiteten Annahme, dass die Bedeutung von Orten zugunsten der Bedeutung von Räumen abnehmen werde, zeigen zahlreiche empirische Studien, dass trotz der zunehmenden Konstitution und Bedeutung von transnationalen Räumen die Bedeutung von Orten für das individuelle und kollektive Leben bestehen bleibt. Auch meine empirische Forschung, die diesem Buch zugrunde liegt, stützt diesen Befund. Räumliche Mobilität bedeutet nicht, keine Bindungen zu Orten zu haben; vielmehr treten die Menschen, die ein hochmobiles Leben führen, mit den Orten, an denen sie sich aufhalten und zwischen denen sie sich bewegen, in eine besondere Beziehung, die in Kapitel 11 charakterisiert wird. Darüber hinaus haben Orte für die sozialwissenschaftliche Erfassung hochmobiler Menschen eine hohe forschungspraktische Relevanz: Hier wird empirische Forschung lokalisierbar. Die temporäre Fixierung der Hochmobilen durch die Forschung an diesen Orten macht es erst möglich, dem Wechselspiel von Sozialität, Mobilität und Materialität auf die Spur zu kommen. Marres (2012, 22) nennt dies die Lokalisierung der materiellen Partizipation und beschreibt ein solches Vorgehen für ihre empirische Forschung zur alltäglichen Interaktion mit Technologien und Infrastrukturen wie folgt: I will consider material participation as located phenomenon. Examining participation in situ enables us to understand how material participation is performatively accomplished, through the deployment of specific technologies, settings and things.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dieses Verfahren, dass ich die Bedeutung von Objekten für migrantisches Leben an den jeweiligen Stationen der MigrantInnen lokalisiere. Darüber hinaus geht es darum zu zeigen, wie über die Relationen von Menschen, Orten und nicht-menschlichen Akteuren wie Objekten vor Ort Lokalitäten entstehen und grenzüberschreitende soziale Räume konstituiert werden. Die bereits skizzierten Konzepte der Globalisierung und Transnationalisierung (Kapitel 9), welche auf ortsübergreifende Beziehungen und Netzwerke verweisen, spielen dabei für die internationalen MigrantInnen eine wichtige Rolle. Allerdings führen die Menschen eben kein ortsunabhängiges oder ortloses Leben; so stellen

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

die Orte etwa die Bezugspunkte für die Migrationsentscheidungen dar. Die Frage, ob ich gehen soll, ist immer mit der Frage nach dem Wohin des Gehens verbunden – und der Frage nach dem Wohin nicht. Hinzu kommt, dass Menschen, die häufig den Ort ihres Lebensmittelpunktes wechseln, Bezüge zu zahlreichen Orten aufweisen: Orte, an denen ihre Eltern oder Geschwister leben; Orte, an denen sie früher gearbeitet haben und an denen geschätzte KollegInnen weiterhin leben; Orte, an denen sie gerne einmal leben und arbeiten würden; Orte, an denen Freunde leben. Eine solche Mehrörtigkeit (Beck 2007) ist, wie ich im Folgenden zeigen werde, charakteristisch für das Leben internationaler MigrantInnen. Dabei sind neben dem Arbeitsplatz und den Orten, die eine Rolle für die Ortswahl spielen (dazu auch Beckers und Boschman 2017), auch Infrastrukturen, Landschaft und Wetter wichtig für die Migrationsentscheidungen. Die infrastrukturellen Ausstattungen von Orten, etwa Cafés und Museen, sind vor Ort integraler Bestandteil der Konstitution von Räumen. Diese wiederum werden über spezifische Praktiken vollzogen, mit denen Lokalitäten erzeugt werden. Diese Ortsbezüge der Migrationsentscheidungen der HIMs, ihre Raumkonstitutionen und die auf diese Weise formierten Lokalitäten sind Gegenstand dieses Kapitels. Es folgt in seinem Aufbau dem zeitlichen Verlauf einer Migration mit besonderem Fokus auf ihrer räumlichen Dimension: Zunächst geht es darum zu zeigen, in welcher Weise Orte für die Migrationsentscheidung eine Rolle spielen. Daran anschließend beschreibe ich, welche Praktiken vor Ort vollzogen und welche Räume konstituiert werden. Zusammenführend und ergänzend geht es schließlich um die Darstellung der unterschiedlichen Bindungen an Orte und vor Ort, welche in einer Beschreibung der Lokalitäten kulminiert, die von den HIMs auf die beschriebenen Weisen hergestellt werden. Darüber werden dann die plurilokalen Beziehungen deutlich, in die die HIMs eingebettet sind, und die eine Dimension der Bindungen an Orte(n) darstellen, welche im anschließenden Kapitel 11 diskutiert werden. 10.1 Orte und Migrationsentscheidungen Hochmobile Menschen sind wiederholt zwischen Orten unterwegs. Die Orte sind dabei nicht nur Arbeits- und Wohnorte, sondern spielen eine wichtige Rolle bei den individuellen Migrationsentscheidungen. Ihre Bedeutung erhalten sie durch die Menschen, die an verschiedenen Orten leben und den HIMs wichtig sind, sowie die Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten vor Ort. Ebenso spielt das Erfahrungswissen, das sich die HIMs im Verlauf ihrer Migrationsbiographie durch ihr Leben an verschiedenen Orte angeeignet haben, eine Rolle. Die vergangenen Migrationsstationen sind Teil der individuelle Biographie, sie verändern aber ihre Bedeutung und ihren Stellenwert, wenn ein neuer Ort der zukünftige Lebensmittelpunkt werden soll. Daraus entsteht etwas, das Sarah als „Utopia“ bezeichnet: Always being mobile means that you have seen many different perspectives […]. You don’t think about one home, there is no place which is home, there is no single place which has the

10.1 Orte und Migrationsentscheidungen

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ideal [form], you put together all the bits, you pick the best bits of all the different places and you invent this utopia which could never exist. (Sarah, Pos. 254)

Utopia ist hier ein imaginierter Ort, der aus realen Elementen besteht, welche an den verschiedenen Migrationsstationen erfahren wurden. Zusammengenommen machen sie den einen Ort aus, der perfekt wäre, der aber „niemals existieren könnte“. Damit geht eine abwägende Haltung gegenüber den Orten einher, wenn Migrationsentscheidungen getroffen werden. In welcher Weise Orte und die Merkmale der Umgebung bei diesen Entscheidungen eine Rolle spielen, ist Thema der folgenden Ausführungen. 10.1.1 Arbeiten Orte weisen eine widersprüchliche Bedeutung für die Migrationsentscheidungen der Einzelnen und ihrer Vertrauten und damit für die Migrationsbiographien der HIMs auf. So treten Orte einerseits hinter die Arbeitsmöglichkeiten zurück, etwa wenn Luis sagt, dass er dort hingegangen sei, wo der Job war (Luis, Pos. 28–30). Die Bedeutung des Arbeitsplatzes für räumliche Mobilität zeigt sich auch in aktuellen Untersuchungen der europäischen Beschäftigungslandschaft (z.B. Wagner und Hassel 2015). Unter den HIMs wird diese Beschreibung allerdings orchestriert von Aussagen wie „Dort würde ich nie hingehen.“ (Sven) oder „Ich brauche es, im Grünen zu leben und alles in erreichbarer Nähe zu haben.“ (Magda) Diese Aussagen sind Teil der rekonstruierten Migrationsbiographien und damit Bestandteil der Identitätskonstruktionen der HIMs und zeigen, dass Orte mit ihren spezifischen Merkmalen, Images und Möglichkeitsstrukturen eine zentrale Rolle für die Narrationen der Migrationsentscheidungen der HIMs spielen. Insgesamt zeigen die Daten, dass das Wissen um die zeitliche Begrenztheit von Migrationsstationen die Entscheidung leichter macht, an bestimmte Orte zu gehen. So sagt Luis: Your psychology is: […] „I am gonna live 5 years here“, so living [in] the city has deadlines, at least in your mind, so that allows you to cope with situations. „I could do this for 3 years, I could do this for 2 years. Of course I am not gonna die, I mean I’ve got a job and I am doing this for my career to make a step and then I’m gonna move“. (Luis, Pos. 324–328)

Die zeitliche Begrenzung des Lebens vor Ort ist für die Biographien hochmobiler Personen konstitutiv. Das berufliche Leben insbesondere derjenigen der HIMs, die im Bereich von Forschung und Entwicklung arbeiten, ist von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen gekennzeichnet. Das Wissen um diese spezifische Zeitlichkeit des Lebens und Arbeitens vor Ort bildet daher einen wichtigen Rahmen für ihre Migrationsentscheidungen. Für alle HIMs gilt dagegen, dass berufliche Möglichkeiten und ihre soziale Einbettung den Rahmen ihrer Entscheidung für oder gegen bestimmte Migrationsziele darstellen. Daher werden viele Migrationsentscheidungen von der Möglichkeit, an einem bestimmten Ort eine bestimmte berufliche Tätigkeit auszuüben, bestimmt. So ist

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die Erfahrung, die Luis nach seinem Hochschulabschluss macht, eine typische für die HIMs. Hier wird die Maßgabe Arbeitsplatz vor Ort auf die Spitze getrieben. Als Luis sich auf die Stelle als Doktorand bewirbt, weiß er nicht, an welchem Ort sein Arbeitsplatz sein wird: Baltimore, Maryland, USA, oder Granada, Spanien. Die Tatsache, dass er in den Arbeitsplatz in der spanischen Stadt Granda annehmen wird, trifft Luis unvorbereitet, und er ist damit zunächst auch nicht zufrieden: I didn’t know that it was Spain, so when I got the fellowship [the boss] told me: „there is another guy that is going to the US, but you’re going to Europe“, and I was a little bit disappointed because I wanted to go to the Johns Hopkins University […] but then he said „no, you’re gonna go to Europe“, and then I said „where?“, „Spain“, I said‚ „well, Spain, it will be fine“, and then I said „where, Madrid?“, and he said „no, Granada“, and I said „oh Jesus“. […] It was not my decision because, as I told you before, he selected the people. (Luis, Pos. 34–44)

Dieser rekapitulierte Dialog beschreibt nicht nur, dass Luis von der Entscheidung anderer abhängig ist: Sein zukünftiger Boss hat das Projekt bewilligt bekommen, er kennt die zwei Standorte, und er entscheidet, wohin Luis als einer von zwei Angestellten geht. Der Dialog beschreibt aber auch eine Städtehierarchie, die es für Luis gibt: Wenn schon nicht Baltimore mit der prestigeträchtigen Johns Hopkins University, dann wenigstens die Hauptstadt Spaniens, Madrid. Granada als Ort wird mit einem Ausruf der Bestürzung quittiert: „oh Jesus“. Luis’ Beschreibung, dass es „nicht seine Entscheidung gewesen sei“, nach Granada zu gehen, steht stellvertretend für die Erfahrung vieler HIMs, die sich im Verlauf ihrer beruflichen Laufbahn in der Regel nicht in der machtvollen Position sehen, ihre Migrationsentscheidungen nach den eigenen Präferenzen vorzunehmen. Dabei sind es nicht in jedem Fall die Arbeitgeber, die Personalverantwortlichen oder die Unternehmensstruktur, die eine freie Ortswahl erschweren. Vielmehr ist die Tatsache, dass ökonomisch oder karrierebezogen attraktive Arbeitsplätze sich an Orten und in Ländern befinden, die nicht auf der Prioritätenliste der ArbeitnehmerInnen stehen, häufig ein Grund, warum die Migrationsentscheidung eine nach der Maßgabe Arbeitsplatz vor Ort ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine derartige Migrationsentscheidung dazu führt, dass vor Ort keine Bindungen entstehen. Gerade im Fall von Luis zeigt sich, dass diese Bindungen sehr wohl sehr tief werden können. Dass bei der Frage, wie Ort und Arbeitsmöglichkeit bei der Migrationsentscheidung gewichtet werden, auch eine zeitliche Dimension zu finden ist, wird deutlich, wenn die Interviewees ihre eigene Berufs- und Migrationsbiographie zueinander in Bezug setzen und beschreiben, wie sich ihre Prioritäten über die Zeit verändert haben. Bei Ryan ist es die Frühphase seiner beruflichen Laufbahn, in der Orte wichtiger sind als der Arbeitsplatz. Auf meine Frage, ob die Orte bei seinen Bewerbungen eine Rolle gespielt hätten, antwortet er: Yes, a lot. In the very beginning, I think when I was in [a big city in the US], I was only proba bly applying to places where I actually wanted to be. (Ryan, Pos. 57–58)

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Der Start in das berufliche Leben ist für ihn dadurch gekennzeichnet, dass er keine Kompromisse eingehen möchte, weder bei der Art der Arbeit noch bei der Wahl des Ortes. Dies verändert sich bei Ryan deutlich über die nächsten Jahre seiner Migrationsbiographie; heute lebt er in einer Kleinstadt in Großbritannien und ist darüber wenig glücklich. Die Möglichkeit, in dieser Stadt zu arbeiten, führte zu einer Migration, aber der Ort war hier nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Migrationsentscheidung. Die Daten legen nahe, dass es sowohl in der Frühphase der beruflichen Karriere als auch in der Spätphase, nachdem die Etablierung im Beruf vollzogen ist, zu einer Priorisierung des Ortes über den Arbeitsplatz kommt. So beschreibt Sarah, dass sich die spätere Phase ihrer beruflichen Karriere dadurch kennzeichnet, dass sie die Orte höher schätzt: Sarah: Outside influences start to play a much bigger role. ALM: What kind of influences? Sarah: Well, nice places to live, you want to have nice places to live and nice surroundings, so the proximity to nature is [important] for me, being close to the hills and the mountains and being able to have a garden where you can grow things. So if I had to live in a city, working here, I don’t think I would have stayed as long as I have. (Sarah, Pos. 99–101)

Diese Aussage widerspricht Ergebnissen anderer Studien. So zeigen etwa Tippel, Plöger und Becker (2017, 99) für ihre Untersuchungsgruppe der Hochqualifizierten aus dem IT- und Medienbereich, dass gerade BerufsanfängerInnen in einer weniger aussichtsreichen Lage sind, sich den Arbeitsort auszusuchen, sondern das Jobangebot ihre Möglichkeiten der Ortswahl bestimmt. Hier liegen also Unterschiede zwischen den Ergebnissen bezüglich der Frühphase der Migration vor. In der Spätphase zeigen sich übereinstimmende Ergebnisse: Auch unter den von mir interviewten Personen legen insbesondere diejenigen, die sich im Berufsleben bereits etabliert haben, einen größeren Fokus auf den möglichen Zielort der Migration. So ist es auch bei François, ebenfalls etwas weiter fortgeschritten in seiner beruflichen Laufbahn als Ryan: „Now I’m targeting places where I wanna go“ (François, Pos. 78). Dabei ist die Bereitschaft der Interviewees, Kompromisse zugunsten des Arbeitsplatzes einzugehen, unterschiedlich ausgeprägt, aber vergleichsweise hoch, wie Luis verdeutlicht, wenn er seine dritte Migrationsstation Wien, nach Granada und dem englischen Cambridge, beschreibt: I was really interested in the research, so it made sense for my career plan at that moment, so that is why I approached this person and he had the money to pay me, so I moved to [Vienna]. (Luis, Pos. 28)

Ein Arbeitgeber hat einen für die berufliche Entwicklung und das professionelle Interesse passenden Job anzubieten, und Luis bewirbt sich erfolgreich. Der Ort, an dem er nun lebt, ist allerdings nicht der Ort seiner Träume, was unter anderem an der Sprache liegt: I was not happy with the [decision] because […] I was not really interested to learn [German], I have always been really keen on improving my English, because it is important for my career. (Luis, Pos. 29)

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Wien zeigt sich für ihn als Ort der beruflichen Weiterentwicklung, aber nicht als erstrebenswerter Ort zum Leben – zumindest an diesem Punkt seiner Migrationsbiographie. Luis lebt entgegen seiner Erwartung weiterhin in Wien. Das verweist auf einen weiteren Einfluss des Ortes: Der Ort, an dem man lebt, kann im Verlauf der Zeit für die Entscheidung, zu bleiben oder erneut umzuziehen, an Bedeutung gewinnen. Paola macht im Interview deutlich, dass der Ort in genau dieser Hinsicht eine Rolle für ihre Migrationsentscheidung spielt, in ihrem Fall für Bleiben vor Ort: „It could be that it [the place, ALM] played a role in deciding to stay here in the sense that we like Leiden.“ (Paola, Pos. 138) Die bislang genannten Fällen betreffen berufliche Situationen, in denen der Arbeitsplatz an einen geographischen Ort gebunden ist. Im Zuge der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und der internationalisierten Geschäftsbeziehungen werden allerdings auch die Möglichkeit, örtlich unabhängig vom Standort des Unternehmens oder des Arbeitgebers zu arbeiten, andere. In diesen Fällen, in denen eine Vielzahl beruflicher Aktivitäten kombiniert wird, ist die Frage, ob der Arbeitsplatz oder der Ort wichtiger für die räumliche Mobilität ist, schwer zu beantworten ist. Ein Beispiel dafür ist Holgers Migrationsbiographie; für ihn lassen sich Ortsbindungen und Mobilität problemlos miteinander vereinbaren. Dies liegt unter anderem daran, dass er der Ansicht ist, dass seine beruflichen Tätigkeiten eher ortsungebunden sind: Also die Arbeit folgt mir immer hinterher, meine Auslandstätigkeit beim Verlag führe ich schon seit Studienzeiten aus, und diese Consultancy-Geschichte bei [der UN-Organisation] habe ich auch während meiner vollberuflichen Tätigkeit im Kosovo und auch jetzt in Warschau durchgeführt, weil es eben ein schöner Abendausgleich ist, vor allem wenn man hausgebunden ist, die Kinder fesseln einen ans Haus. Da ist es schon gut, wenn man noch ein biss chen was am Abend hat. (Holger, Pos. 10)

Implizit macht Holger hier allerdings einen Unterschied zwischen zwei Formen der beruflichen Tätigkeit: der, für die er bei internationalen Organisationen als Jurist tätig ist, und denen, die er als zusätzliche Betätigung ausübt. Für seine Tätigkeit als Jurist, in ökonomischer Hinsicht seine Haupttätigkeit, sagt er denn auch kontrastierend: Ja, mein Berufsumfeld ist halt sehr unwegbar, man muss immer verschiedenen Sachen hinterherjagen, wo sich halt irgendwie gerade eine Tür öffnet. (Holger, Pos. 50)

Daher jagt er, um in seinem Vokabular zu bleiben, auch von einem Ort zum anderen: von Genf nach Priština nach Warschau, bis er, zum Zeitpunkt des Interviews arbeitssuchend, in einem kleinen Ort in der deutschsprachigen Schweiz angelangt ist und zumindest für den Moment stationär lebt. Dass er dieses Mal nicht der beruflichen Möglichkeit „hinterherjagt“, liegt auch daran, dass er als verheirateter Mann mit zwei Kindern nicht alleine entscheiden möchte, wohin es geht; der Wunsch nach einer gemeinsamen Entscheidung über das (zukünftige) Leben an einem bestimmten Ort verweist auf die Verflechtung von Menschen und Orten in Migrationsbiographien.

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10.1.2 Leben Wie es schon bei Holger anklingt, werden Ortsentscheidungen insbesondere dann nicht alleine getroffen, wenn man einen Partner oder eine Partnerin hat und möglicherweise auch Kinder. Leben erstere an einem anderen Ort als man selbst, wird dies Teil der Ortsentscheidung; gemeinsam werden Kompromisse zwischen Alternativen gesucht, die Wohnung der jeweils anderen Personen, der Arbeitsplatz, die Karrieremöglichkeiten, die Natur- und Kulturvorlieben werden dabei berücksichtigt. Magda etwa sieht in der Tatsache, dass ihr Mann an einem anderen Ort lebt, auch eine Hilfestellung bei der Migrationsentscheidung. Sie lebte zunächst in Salzburg, ihr Mann in Wien; da sich ihr Partner beruflich verändern wollte und einem Jobangebot nach Frankfurt folgte, das regelmäßig längere Aufenthalte in Wien beinhaltet, entscheidet sich Magda, eine Arbeit zu suchen, die es ihr ermöglicht, mit ihrem Mann entweder in Wien oder in Frankfurt zusammenzuleben. Das Unternehmen, in dem sie arbeitet, bietet ihr daraufhin eine Stelle in Frankfurt an (Magda, Pos. 9). Nach einer Zeit des Pendels zwischen Frankfurt und Wien leben die beiden nun in Wien, besitzen aber auch eine Wohnung in Aschaffenburg bei Frankfurt. Ihr Leben ist ein Beispiel dafür, wie die Ortsbindung des Partners die Relevanzsetzung der MigrantInnen bezüglich der Priorisierung von Arbeitsplatz und/oder Wohnort beeinflussen kann. Es zeigt außerdem, dass die HIMs nicht als Solitäre auf der Welt sind, sondern in ein Gewebe aus sozialen Beziehungen eingebettet sind, das sich auch räumlich niederschlägt. Auch die privaten Interessen der PartnerInnen spielen dabei eine Rolle. So beschreibt Sarah, dass die Freizeitinteressen ihres Mannes mit beeinflussen, wo er und sie leben – und dies eine Fernbeziehung zwischen Leiden, einer Stadt an der niederländischen Nordseeküste, und München, einer Großstadt in Süddeutschland, als Konsequenz hat: I’m sure my husband could probably find a job which he probably would even enjoy here, but I mean he is a mountain goat, he used to go every weekend to the mountains, climbing or ski touring, you don’t want to come somewhere like here. So it’s not just job, it’s also interests and backgrounds and it’s very difficult to pull those things apart. (Sarah, Pos. 308–314)

Nicht nur geht es also darum, die eigenen beruflichen und persönlichen Wünsche zu vereinen und zu entscheiden, welche Kompromisse man bereit ist einzugehen. Vielmehr geht es auch darum, die Bedürfnisse des Partners oder der gesamten Familie zu berücksichtigen. Für Rieke stellt dies eine Herausforderung dar, da sie selbst in ihrer Migrationsbiographie kein Problem sieht, aber das mobile Leben für ihre Kinder problematisiert. Und ihr Mann ergänzt: Es ist auf jeden Fall nicht längerfristig der Kinder willen durchführbar. Einfach um sie nicht permanent zu entwurzeln. (Holger, Pos. 50)

Die Familie und insbesondere die Kinder sind nicht nur ein Aspekt, der bei der Entscheidung gegen die Migration eine wichtige Rolle spielt. Die Aussicht einer po-

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tentiellen Migration in der Zukunft beeinflusst auch praktische Entscheidungen vor Ort, etwa wenn es um die Wahl des Kindergartens oder der Schule geht. John lebt derzeit mit Ehefrau und Kindern in den Niederlanden, und die Entscheidung, dass die Kinder in eine „amerikanische Schule gehen“ (John, Pos. 75, Übers. ALM), wurde bewusst getroffen, da John um einen möglichen, in der Zukunft anstehenden Umzug nach Madrid weiß; eine „amerikanische“, d.h. internationale, Schule gäbe es auch dort, aber keine niederländische. Auch für Holger und Rieke war es schließlich eine auf die Zukunft ausgerichtete Entscheidung, warum sie ihre Kinder entgegen der ursprünglichen Überlegung bei einem internationalen und damit englischsprachigen Kindergarten anmeldeten – und nicht bei einem albanischen: Wir wollten die Kinder auch in einen albanischen Kindergarten schicken […]. Und […] der Grund, warum wir es nicht gemacht haben, ist, dass wir überlegt haben: Englisch nutzt ihnen am Ende mehr als Albanisch, von der Sprache her. Ansonsten wäre uns das egal gewesen. (Rieke, Pos. 70)

Derartige Entscheidungen sind Beispiele für eine spezifische Form der Zeitlichkeit, die dem migrantischen Leben vor Ort inhärent ist und die ich in Kapitel 10.2.4 diskutiere: Nicht nur unterscheiden sich die Ortspräferenzen bei der Migrationsentscheidung und die Bedeutung, die dem Ort bei der Wahl beigemessen wird, in Abhängigkeit von der Dauer, die die Menschen beruflich tätig sind. Vielmehr ist die Ausrichtung auf die Zukunft und das Antizipieren der erneuten Migration charakteristisch für das Leben vor Ort. Die Möglichkeit des Verlassens des Ortes, an dem gelebt, gearbeitet und geliebt wird, als Kontext des eigenen Handels charakterisiert diese hochmobilen Menschen. Schließlich gibt es Selbstbeschreibungen der MigrantInnen, die mit bestimmten Ortsvorstellungen verwoben sind. Die Kategorisierung als Großstadt- oder Naturmensch führt dazu, dass die Menschen ihre Präferenzen für bestimmte Orte mit ihrem Selbst verbinden: Eine Ortsentscheidung ist dann auch eine Persönlichkeitsentscheidung. So sagt Magda überzeugt: „Ich kann nicht in der Stadt wohnen, [… ich] bin kein Stadtmensch.“ (Magda, Pos. 32) Hier ist allerdings zwischen der Wohnumgebung und dem Ort als ganzem zu differenzieren, denn Magda lebt in einem administrativen Verständnis in einer Großstadt und auch die Zweitwohnung befindet sich in einem städtischen Umfeld. Bezüglich ihres Wohnumfeldes hat sie allerdings explizite Kriterien, die das Städtische relativieren: Dazu gehört die Nähe zur Natur, die neben einem gut zu erreichenden Flughafen und einem ebenfalls nahegelegenen Stadtzentrum für sie die „Lebensqualität“ (Magda, Pos. 32) eines Ortes ausmachen. Schon diese Merkmale eines präferierten Ortes rücken ihre Selbstbeschreibung, kein Stadtmensch zu sein, in ein anderes Licht; zusammen mit der Aussage, dass sie sich „nicht vorstellen [könne, sich] in der Peripherie niederzulassen“ (Magda, Pos. 19), ergibt sich das Bild einer Frau, die die Annehmlichkeiten einer Großstadt – innerstädtisches Zentrum, Flughafen, Erreichbarkeit vielfältiger Versorgungseinrichtungen – schätzt, aber die Unannehmlichkeiten des großstädtischen Lebens – Menschenmassen, Lärm, Enge – zu vermeiden sucht. Es

10.1 Orte und Migrationsentscheidungen

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gelingt ihr in beiden Orten, an denen sie lebt, wobei sie Wien eindeutig den Status ihres „Zuhauses“ (Magda, Pos. 16) zuschreibt. Derartige Bewertungen als gutes und schlechtes Wohnumfeld sind Teil der Kategorisierungen, mit denen mögliche Migrationsziele systematisiert werden. Das Wissen, das diesen Bewertungen zugrunde liegt, speist sich insbesondere aus den Erfahrungen, die im Verlauf der Migrationsbiographie gemacht wurden. Svens Erfahrungswissen erzeugt bei ihm die Gewisstheit, an einen Ort mit einer bestimmten infrastrukturellen Ausstattung und Umgebung nicht gehen zu werden: „I know I would never end up moving into the middle of nowhere anymore, I definitely learned that.“ (Sven, Pos. 74) Sein Leben in der nordschwedischen Provinz, in Kiruna, führte ihn zu dieser für seine weiteren Migrationsentscheidungen wichtigen Erkenntnis. Das Wissen um explizite Abneigungen gegenüber bestimmten Orten wird allerdings häufig mit dem Wissen um Arbeitsmöglichkeiten in Beziehung gesetzt, wie es im Folgenden François exemplarisch tut. Er weiß um die geographische Lage bestimmter naturwissenschaftlicher Labore in Frankreich, und dieses Wissen führt dazu, dass er gegenüber seiner Lebensgefährtin seine möglichen nächsten Stationen relativierend zu seinen Präferenzen beschreibt: Although I say to her that I will never go to Paris because this is the most awful city [and] I just don’t wanna go there, I’m actually more likely gonna end there. But the laboratory is outside which is one of the criteria, it’s just like „that’s fine, that I can handle“. (François, Pos. 182– 184)

Wenn schon die Stadt nicht zu seinen Favoriten zählt, so ist die Lage des Labors in der Peripherie zumindest etwas, das eine Migration in die Region Paris für ihn erträglich machen würde. Die über die Orte hinausgehenden Merkmale, etwa die umliegende Region, die Nähe zur Natur oder das Klima sind schließlich weitere Aspekte, die das Leben der HIMs beeinflussen. Diesem Punkt wende ich mich jetzt zu. 10.1.3 Landschaft Neben Orten und den dort lokalisierten menschlichen Beziehungen und beruflichen Möglichkeiten gibt es noch mindestens einen weiteren Einflussfaktor auf die Migrationsentscheidung: die Geographie. Sowohl die Landschaft eines Ortes und seiner Umgebung als auch das Wetter werden in den Interviews als etwas genannt, das berücksichtigt wird bzw. das das Leben vor Ort beeinflusst. Für Magda waren etwa „Kultur, Berge, Seen“ wichtige Kriterien schon für die Wahl ihres Studienortes (Magda, Pos. 19), und diese Präferenz versucht sie auch in ihrem Berufsleben zu realisieren. Damit verbunden ist für sie auch die Möglichkeit, einen bestimmten Lebensstil zu führen: Die Nähe zum städtischen Zentrum, zur Natur, aber auch zum Flughafen ermöglichen es ihr, eine Innenstadt mit Kultureinrichtungen und -veranstaltungen sowie einer besonderen Architektur zu erleben, Freizeit in den

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

Bergen zu verbringen und zu (ver)reisen sowie „im Grünen zu wohnen“ (Magda, Pos. 32). Die Kombination von Stadt und Natur ist auch für Sarah wichtig, da sie gerne im Freien aktiv ist, insbesondere in den Bergen. Allerdings gehört auch eine Stadt dazu, wie sie hier ergänzt: Because I do like doing outdoor activities and things to do with nature, so for me a town, a big town would be a positive, it would be something which I discriminated against positively […]. I really prefer to live somewhere where there’s more access to nature, […] for me it’s hills more than anything else which is important. (Sarah, Pos. 83–86)

Interessanterweise problematisiert sie die Tatsache, dass sie derzeit in den Niederlanden, einem vergleichsweise flachen Land, lebt, kaum; auch ihr Mann, den sie als „eine Bergziege“ beschreibt, wird von München in die Niederlande umziehen, so dass sie zusammenleben können. Landschaftliche Präferenzen sind hier ein Aspekt, der Migrationsentscheidungen beeinflusst, allerdings nie als ausschlaggebendes Kriterium beschrieben wird. So auch von Sarah: There is not much by way of nature [in the Netherlands], so I think from that perspective it definitely wouldn’t be on my top ten places to live, not at all, I wouldn’t come here if not for the job. (Sarah, Pos. 42)

Das Zitat zeigt deutlich, dass die HIMs die Faktoren, die eine Entscheidung für oder gegen einen Ort beeinflussen, hierarchisieren – in diesem Fall wird die Arbeitsmöglichkeit als wichtiger bewertet als die Landschaft. Negative Vorurteile gegenüber dem Wetter am neuen Arbeits- und Wohnort können dabei auch die Zeit zwischen der Entscheidung für oder gegen den Ort und dem Umzug selbst bestimmen. So beschreibt François seine Sorge ob des Umzugs in die Niederlande: But one thing [… I] was so not really happy with […] was the weather in the Netherlands, you hear so much [and then I said] „sure you wanna go there?“ (François, Pos. 258)

In François’ Fall übernehmen ArbeitskollegInnen die Rolle der WetterbotschafterInnen übernehmen und verstärken vorhandene Klischees und Sorgen bezüglich des Wetters in den Niederlanden: When it was the discussion between going to Madrid or here, my collaborators in Spain were sending me a map of the average sun hours, o bloody bastards, this was a good way to tell me to come to Madrid. (François, Pos. 160–162)

Auch Luis beschreibt als Antwort auf die Frage, ob er in Wien etwas aus Granada vermisst, wie ihn das Wetter in Wien stört: Of course I miss the weather. […] To be honest […] this [is] what I don’t like about Vienna, it’s the gray skies. I was living in Andalusia, it was winter, blue skies, it was beautiful, so I will say I will miss that. (Luis, Pos. 84; 86–88)

Luis spricht in diesem Zusammenhang davon, dass man sich auch an derartige „wetterkulturelle“ Bedingungen anpassen könne, und findet dafür eine, für ihn als Naturwissenschaftler plausibel erscheinende, Erklärung:

10.2Migrationsentscheidungen Räume vor Ort 10.1 Orte und

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You get more flexible in terms of an environment because you live in different places, you have different weather, you also have like a weather culture. […] I’m a scientist, your body thermoregulates, it’s like a thermoregulation learning as well. (Luis, Pos. 334–338)

Die Fähigkeit, sich an lokale Wetterbedingungen anzupassen, wird nur von Luis explizit formuliert; die Bedeutung von Landschaft und Wetter für Migrationsentscheidungen klingt allerdings in den Narration der Migrationsbiographien immer mit an. Die Entscheidungen, welche Ziele für die Migration gewählt werden, sind im Fall der HIMs ebenso vom Arbeitsangebot wie von den Orten, die vergangene, aktuelle und mögliche Ziele der Migration darstellen, geprägt. Erfahrungswissen von vergangenen Stationen bietet ihnen einen Kontext für zukünftige Migrationsentscheidungen; eigene Vorlieben, die Infrastrukturen am Ort sowie landschaftliche und klimatische Bedingungen sind dabei Aspekte, die eine Rolle spielen, wenn zwischen Arbeitsangebot und Ort abgewogen wird. Durch die wiederholten Umzüge und das wiederholte Kennenlernen neuer Kulturen und anderer Alltags- und Berufspraktiken sind die HIMs in besonderer Weise darin geschult, sich an andere Gegebenheiten anzupassen. Mit neuen Situationen umzugehen, bestimmte Hobbies wie das Wandern aufgrund der Landschaft vor Ort nicht ausüben zu können, einen neuen Wohnort aufgrund des kalten Wetters weniger zugänglich zu finden verweist auf die Kopplung von Orten, Landschaften, Wetter und Praktiken, welche die Bindungen, die vor Ort und an Orte entwickelt werden, zu- oder abträglich sein können. Diesen Praktiken wende ich mich im folgenden Kapitel zu, wenn es um die Konstitution von Räumen an Orten geht. 10.2 Räume vor Ort Wie ich gezeigt habe, sind trotz ihres globalen und grenzüberschreitenden Lebens Orte wichtig für das Leben von internationalen MigrantInnen. Dabei sind Menschen und Orte auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden: Es liegen spezifische Bindungen von Menschen an Orten und zu Orten vor: Zu Orten werden Bindungen aufgebaut, aber es werden auch an Orten Bindungen zu Menschen eingegangen. Außerdem kommt es zu Bindungen zu bestimmten Einrichtungen, zu Objekten oder zu einer Lebenshaltung, die für den Ort als besonders wahrgenommen wird. Diese verschiedene Bindungsformen tragen dann wiederum dazu bei, dass spezifische Räume an Orten konstituiert werden.71 Außerdem werden vor Ort bestimmte Praktiken zur Anwendung gebracht, mit denen sich die Orte zueigen gemacht Lokalitäten hergestellt werden. Im Folgenden skizziere ich, wie die HIMs vor Ort Räume konstituieren, welche Materialitäten der Orte dabei eine Rolle spie71

Anders als Löw argumentiere ich nicht, dass Orte erst durch Räume hervorgebracht werden und erst dann die „Voraussetzung jeder Raumkonstitution“ (Löw 2001, 203) sind. Vielmehr gehe ich davon aus, dass durch Raumkonstitutionen an geographisch eindeutig identifizierbaren Orten – d.h.: Plätzen – Lokalitäten im Sinn von Massey (2007, 138–39) entstehen.

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

len und welche Praktiken vollzogen werden. Die lokalen Raumkonstitutionen sind Resultate spezifischer Wechselbeziehungen von Materialität und Sozialität vor Ort, die, wie ich im anschließenden Kapitel 10.3 zeige, Voraussetzung für die Entstehung von Lokalitäten sind. 10.2.1 Raumkonstitutionen Das hier vorgeschlagene Raumverständnis orientiert sich an der von Löw (2001) formulierten Raumsoziologie. Ähnlich wie andere VertreterInnen einer sozialkonstruktivistischen Raumtheorie (z.B. Lefèbvre 1991; Massey 2005; s. auch Tuan 1977) geht sie davon aus, dass Raum sozial hergestellt und damit veränderlich und dynamisch ist. Für die Analyse der Wechselbeziehung von Sozialem und Materiellem ist Löws Ansatz insofern instruktiv, als sie die Bedeutung von Objekten – bei ihr „soziale Güter“ (Löw 2001, 153) genannt – bei der Raumkonstitution hervorhebt. Raum entsteht nach Löw (2001, 158) aus einem doppelten Konstitutionsprozess von spacing und Syntheseleistung. Objekte spielen in beiden Prozessen eine wichtige Rolle: Im spacing werden wahrgenommene Elemente der Umgebung zueinander in Beziehung gesetzt, das heißt relational angeordnet (Löw 2001, 154). Diese Elemente können andere Menschen, aber auch Objekte, andere Lebewesen oder auch die Flora der Landschaft sein. Diese relationale Anordnung ist sowohl situativ als auch individuell unterschiedlich: Am selben Ort können sich zu unterschiedlichen Zeiten die wahrgenommenen Elemente unterscheiden, so dass dieselbe Person unterschiedliche relationale Anordnungen vornimmt (situativer Unterschied, diachrone Perspektive). Ebenso können am selben Ort zur selben Zeit unterschiedliche Personen die Elemente der Umgebung auf verschiedene Weise wahrnehmen und zueinander in Bezug setzen (individueller Unterschied, synchrone Perspektive). Für HIMs bedeutet dies: JedeR von ihnen konstituiert vor Ort je spezifische Räume, da sie sich individuell unterscheiden. Um die zwischen den Individuen unterschiedliche Wahrnehmung der umgebenden Dinge in das Konzept der Raumkonstitution integrieren zu können, verwendet Löw das Konzept der Syntheseleistung (Löw 2001, 159). Hiernach sind die Wahrnehmung und die Anordnung der Dinge abhängig von individuellen und kollektiven Einflussfaktoren wie der Sozialisation, der Gender- und Schichtzugehörigkeit, der ethnischen Herkunft und biographischen Erfahrung sowie kollektiv geteilter Zugehörigkeit und Identität. Zusammengenommen führen die Prozesse der Syntheseleistung und des spacing dazu, dass von Individuen, aber auch von Kollektiven spezifische Räume an einem Ort konstituiert werden. Mit dieser Konzeption gelingt es Löw, sowohl eine zeitliche und örtliche als auch eine soziale und materielle Dimension in der Raumkonstitution zu berücksichtigen. Raum wird zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort konstituiert, und er ist maßgeblich vom Vorhandensein spezifischer sozialer und materieller Entitäten abhängig. Raum ist daher, und hier stimmt Löws Konzept mit denen von Lefèbvre (1991)

10.2 Räume vor Ort

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oder Tuan (1977) überein, kein per se existierender Container-Raum, sondern etwas, das sozial produziert wird. Während Löw sowohl die physisch-haptische als auch die symbolische Dimension der umgebenden Umwelt in ihrem Konzept berücksichtigt, beide aber nicht zentral stellt, geht es Lefèbvre insbesondere um die symbolische Dimension von Objekten. Die Wahrnehmung der (städtischen) Umwelt ist nach Lefèbvre maßgeblich durch die Bedeutungen, die Objekte tragen, bestimmt. In Situationen sind Objekte Träger von symbolischen Bedeutungen, und die Objekte werden von den Gesellschaftsmitgliedern aufgrund ihrer eigenen gesellschaftlichen Sozialisation hinsichtlich ihres symbolischen Gehalts wahrgenommen, interpretiert und zueinander in Bezug gesetzt. Zusammen mit dieser spezifischen Wahrnehmung und Interpretation der Objekte wenden Menschen räumliche Praktiken an, welche wiederum auf charakteristische Formen der Wahrnehmung und Aneignung der Welt verweisen. Dies hat zur Folge, dass Gesellschaften sich durch je eigene Räume auszeichnen (Lefèbvre 1991, 31). Während Lefèbvre stark auf die symbolische Dimension von Objekten und der wahrgenommenen Umwelt abhebt und ihre Bedeutung für die Konstitution von Gesellschaft als Ganzer und von Individuen als Gesellschaftsmitgliedern stark macht, ergänze ich diese Perspektive um die Berücksichtigung der (Merk-)Zeichendimension der Objekte (s. Kapitel 7.3). Für die HIMs sind bestimmte Objekte gerade nicht intersubjektiv bedeutsam, sondern intrasubjektiv und tragen dazu bei, die Individuen als Persönlichkeiten zu konstituieren. Anders als bei Lefèbvre geht es hier also auch stärker um die individuelle als um die gesellschaftliche Ebene, auch wenn die so geprägten Individuen dann wiederum als Gesellschaftsmitglieder spezifische Rollen entsprechend ihren Persönlichkeiten übernehmen. Der bei Lefèbvre zu findende Fokus auf der Wahrnehmung der umgebenden Dinge und Lebewesen als Kern der Raumkonstitution ist auch in den Arbeiten von Tuan (z.B. 1977, 1979) zu finden, der noch stärker auf die Erfahrungsebene abhebt. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit der Frage, wie „Menschen Räumen und Orten Bedeutung zuweisen und sie organisieren“ (Tuan 1977, 5, Übers. ALM). Der von ihm Erfahrungsraum (Tuan 1979, 388) genannte Raum ist, und hier wird die inhaltliche Ähnlichkeit zu Lefèbvre und Löw deutlich, der Raum, den wir als Gesellschaftsmitglieder und Individuen „wahrnehmen und herstellen“ (Tuan 1979, 389, Übers. ALM). Die Raumkonstitution basiert dabei maßgeblich, so Tuan (1979, 399), auf unserer sinnlichen Wahrnehmung der Umgebung und ist von dieser vorstrukturiert. Die Vorstrukturierung der Wahrnehmung wiederum wird nicht zuletzt von der Materialität unserer Umwelt erzeugt, etwa den Gebäuden einer Stadt. Dabei ist die Materialität insbesondere dann ein Thema für die HIMs, wenn mit ihnen spezifische Infrastrukturen verbunden sind. Diesen physisch gebundenen Infrastrukturen wende ich mich nun zu, um zu zeigen, welche Bedeutung sie im Leben der HIMs für deren Raumkonstitutionen vor Ort aufweisen.

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

10.2.2 Infrastrukturen Es sind besonders zwei Infrastrukturen, die von den HIMs thematisiert werden: gastronomische und kulturelle Einrichtungen.72 Darüberhinaus ist auch die Architektur der Städte von Bedeutung, insbesondere die, der eine Historie inhärent ist. Die Räume, die auf der Grundlage der verschiedenen Infrastrukturen und der städtischen Materialität als Ganzer konstituiert werden, sind drei unterschiedliche, die sich überlagern und gegenseitig verstärken: der soziale Raum, der Kunstraum und der städtische Raum. Letzterer ist aus Sicht der Interviewees spezifisch für bestimmte Städte und macht die Urbanität dieser Orte aus; interessanterweise wird er nach klassisch europäischen Merkmalen beurteilt, wie etwa einem Innenstadtkern, Fußgängerzonen und alten Gebäuden. Dieter beschreibt es für die US-amerikanische Stadt Boulder so: Boulder ist halt eine total europäische Stadt mit einer kleinen Fußgängerzone und Eiscafés draußen, und das war richtig nett. (Dieter, Pos. 22)

Neben der Fußgängerzone beschreibt Paola die alten Gebäude in kleineren und mittelgroßen Städten als positives Merkmal und hebt dabei auch spezifische Infrastrukturen wie geschäfte und Kinos hervor: Amsterdam and Leiden have nice historic [buildings] and The Hague doesn’t have such pretty [buildings] but still have a nice, fairly large pedestrian [area] and shops and cinemas […]. I appreciate that in a city. (Paola, Pos. 248–252)

In diesem Stadtraum werden nun soziale Räume konstituiert, etwa in Cafés, Kneipen oder Bars. Diese Infrastrukturen sind da, um Menschen zu treffen, um zu arbeiten, sie werden aber auch zum „Leute gucken“ (Silja, Pos. 48) genutzt. Für Luis sind die Bars in Granada Orte, in die er „seine wissenschaftlichen Artikel mitbringt, sich einen Kaffee bestellt und die Artikel dann dort liest“ (Luis, Pos. 134, Übers. ALM). Diese selbstbezogenen Handlungen finden in einem sozialen Setting statt und sind von ihm gerahmt; die zufälligen Kontakte, die in den Bars zu Menschen entstehen, können sich allerdings zu ganz besonderen Kontakten entwickeln, welche sich wiederum zusammen mit der Bar als Ort und den Objekten – Tassen, Stühlen, Artikeln – für Luis zu einem besonderen sozialen Raum zusammenfügen. Dies ist bei der Hemingway Bar der Fall: After 2 months going there, talking with nobody except sometimes with the barman I start to notice: we are all the same people that come, sit there, and then, I don’t know, somehow I start to communicate with people and this place becomes sort of really magic, a place where I met so much amazing guys to the point that when I finished my thesis, in the acknowledgements 72

Ich nehme an dieser Stelle die Infrastrukturen insbesondere als architektonisch-räumliche Arrangements mit einer spezifischen Funktion in den Blick. Darüber hinaus ließe sich für den Fall der HIMs allerdings auch die international community aus einer people as infrastructuresPerpspektive als Infrastruktur verstehen. In ähnlicher Weise zeigen Weiner und Will (2018), wie sogenannte care infrastructures durch das Zusammenwirken von PatientInnen, Angehörigen und Pflegepersonal hervorgebracht werden. Großer Dank gilt an dieser Stelle Julia Lossau für den Hinweis, Infrastrukturen in dieser Hinsicht weiterzudenken.

10.2 Räume vor Ort

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are the names of these people from the bar, and if you go to Granada, if you go to this bar, you can take my thesis, it’s inbetween the books of the bar, a present to them, because I said „the ideas [I got here were] a very big stimulus“. (Luis, Pos. 132–140)

Luis erfährt in dieser Bar und über die Menschen, die er dort trifft, eine besondere Form der Integration. Ähnliche Formen der Inklusion erlebt Lisa im Fall der lokalen Musikszene. Lisa beschreibt, dass der Kontakt zu ähnlich Musikinteressierten ihr das Einleben vor Ort erleichtert, ihr aber auch während des weiteren Lebens in der Stadt einen sozialen Raum bietet: Das [Einleben] ist meistens über die Musik gelaufen. Weil ich einfach super viel auf Konzerte gehe und man da auch relativ relativ schnell Leute kennenlernt, die gleichgesinnt sind, oder vielleicht auch über längere Jahre hinweg Leute kennt, die einen mit anderen Leuten verknüpfen können. (Lisa, Pos. 41–42)

Ein sozialer, in diesem Fall spezifisch kultureller, Raum wird also nicht zuletzt durch Prozesse der Inklusion hergestellt. Hinzu kommen Prozesse der Exklusion, da sich die sozialen Räume der HIMs vor Ort durch spezifische Formen der Abgrenzung auszeichnen: Die HIMs sind nicht Einheimische, aber sie sind eben auch keine TouristInnen73, die den Ort für ihren Urlaub besuchen. Diese Abgrenzung ist Luis sehr wichtig, denn sie indiziert für ihn das Angekommensein vor Ort: In one month you don’t say „I hate tourists“, […] so it’s like a turning point when you start to say „I hate tourists“, [it] is when you feel „I belong here, therefore you are a tourist and I hate you“. (Luis, Pos. 418)

Schließlich gibt es noch einen dritten Raum, der als solcher auch explizit benannt wird und der in Lisas Beschreibung schon anklang: der kulturelle Raum. „Für mich“, sagt Silja, „ist immer der Kunstraum wichtig in der Stadt“ (Silja, Pos. 10). Der Kunstraum wird in und zwischen Kultureinrichtungen und -institutionen konstituiert, aber auch bestimmte Bars mit kultureller Tradition spielen dafür eine Rolle. Für Silja ist die Schönberg Bar in Wien ein solcher Ort als Teil des Kunstraums: Die einzige Bar, muss ich sagen, wo ich hier manchmal hingehe oder wo ich mich super wohl fühle, aber nur samstags nachmittags um vier, ist die Schönberg Bar. (Silja, Pos. 32)

Der Grund, warum sie die Bar nur zu einer bestimmten Tageszeit an einem bestimmten Wochentag mag, ist: „Weil da niemand ist. [Dann] bist du alleine, dann sind keine Touristen da.“ (Silja, Pos. 35–36) Ihr ist „immer die Kunstszene sehr wichtig“ (Silja, Pos. 10), und diese findet sie in der Schönberg Bar mit ihren charakteristischen modernen Architektur dargestellt. Es ist auffällig, dass die HIMs als wichtige Infrastruktur dieser Art Cafés an den Orten nennen, an denen sie gelebt haben. Diese Infrastrukturen scheinen aufgrund ihres hybriden Charakters attraktiv zu sein: Sie sind Orte, an die man in unterschiedlichen Ländern alleine oder mit anderen gehen kann, die einen Möglich73

In diesem Fall und in den folgenden, in denen keine Anführungszeichen verwendet werden, werden unter TouristInnen tatsächlich UrlauberInnen verstanden (und nicht das Baumanʼsche Konzept der „Touristen“).

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

keitsraum für verschiedene Handlungen darstellen – Lesen, Gucken, Zuhören, Nachdenken, Schreiben – und häufig lokale sowie global ähnliche Spezialitäten (Verlängerter und Cappuccino, Rothaus Tannenzäpfle und Heineken Bier etc.) anbieten. Damit sind sie ähnlich hybrid wie die Interviewees, die in unterschiedlicher Weise Lokales und Globales inkorporieren. Vor Ort konstituieren die HIMs spezifische Räume, die sowohl individuell spezifisch als auch überindividuell ähnlich sind. Diese Raumkonstitutionen gehen häufig damit einher, dass die HIMs etwas vor Ort tun: Sie lesen ihre wissenschaftlichen Artikel für die Dissertation wiederholt in derselben Bar, sie besuchen Museen, sie gehen in Plattenläden. Den mit dem Tun vor Ort verbundenen Praktiken wende ich mich nun zu. 10.2.3 Praktiken Die HIMs handeln und verhalten sich an den Orten, an denen sie leben. Bestimmte Handlungs- und Verhaltensweisen werden wiederkehrend eingesetzt, etwa um einen Ort kennenzulernen. Derartige Tätigkeiten verweisen auf inkorporiertes Wissen und routinierte Handlungen, welche sich als sinnvoll und hilfreich für bestimmte Situationen herausgestellt haben. Anhand der vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass Orte und Praktiken – und damit die Lebensstile der HIMs – eng miteinander verflochten sind. An bestimmten Orten können bestimmte Dinge besser oder schlechter getan werden als an anderen, etwa das Wandern. In diesem Fall ist die landschaftliche Einbettung eines Ortes wichtig für bestimmte (Alltags-)Praktiken (z.B. Cosgrove 1984). Einen solchen Natur-, eher: Landschaftsbezug beschreibt auch Sarah, die das Bienen züchten vor einigen Jahren für sich entdeckt hat: 10 years ago I started doing bee keeping, […] that was a really good way of getting to know people and getting involved with nature. (Sarah, Pos. 121–130)

Die Haltung von Bienen ist hier nicht nur eine Praktik des Züchtens und Kultivierens von Insekten. Es ist vielmehr eine Praktik, die einem doppelten Zweck dient: Menschen kennenzulernen und in der Natur zu sein, mehr noch: „in der Natur involviert zu sein“. Diese Strategie geht mit der Konstitution von, idealtypisch gesprochen, zwei unterschiedlichen Formen von Räumen einher: sozialen Räumen und Naturerlebnis-Räumen. Die sozialen Räumen werden hergestellt, wenn Sarah mit anderen BienenzüchterInnen interagiert, wenn sie mit anderen – auch mit mir als Interviewerin – über das Kultivieren von Bienen, den Umgang mit ihnen, ihre Krankheiten, oder die Qualität des Honigs der Bienen spricht. Die Naturerlebnis-Räume entstehen, wenn Sarah an ihrem Bienenstock arbeitet, dabei im Regen oder in der Sonne steht, die Nektar gebenden Blumen hegt oder sich über einen nahenden Kälteeinbruch Gedanken macht, der die Bienen schädigen könnte. An allen diesen Räumen sind ne-

10.2 Räume vor Ort

201

ben Sarah noch viele andere beteiligt: die Bienen, der Bienenstock, andere BienenzüchterInnen, Internet-Plattformen, auf denen Wissen über Bienen geteilt wird, Wetterprognosen, Pflanzen, aber eben auch bestimmte Praktiken. Dazu gehören das Entnehmen des Honigs, das Versorgen der Bienen, das Pflegen des Bienenstocks etc. Aus dieser Relation der Beteiligten und den Praktiken entstehen vor Ort die spezifischen Räume, die ich hier soziale Räume und Naturerlebnis-Räume nenne und die in diesem Fall mit der Praktik des Züchtens von Bienen verbunden sind. Dabei können Orte, Räume und Praktiken auf mindestens zwei verschiedene Arten miteinander verbunden sein: Erstens kann es wie bei Sarah der Fall sein, dass jemand zunächst vor Ort lebt und dann eine Praktik entwickelt, etwa die Bienenhaltung als eine Möglichkeit, Menschen kennenzulernen und in der Natur zu sein. Zweitens können die Orte gezielt danach ausgesucht werden, welche Praktiken sie ermöglichen und wie sie das Konstituieren bestimmter Räume unterstützen. So ist es bei Brigitte, die sich beim Umzug in die Schweiz ihren Wohn- und Arbeitsort dezidiert danach aussuchte, dass sie dort ihr Pferd unterstellen und weiterhin reiten kann (Brigitte, Pos. 16–20). Das Reiten und ihr Pferd waren die entscheidenden Variablen, nach denen sie den Ort ausgewählt hat, und die Praktiken des Reitens und des Umsorgens des Pferdes konstituieren vor Ort spezifische Freizeiträume. Anders als bei Sarah, bei der der Ort die Praktik mit hervorgebracht hat, ist es bei Brigitte also zuerst die Praktik, die sie aufrechterhalten will, und nach der sich dann die Wahl des Ortes richtet. Schließlich sind die Räume, die konstituiert werden, zeitlich gebunden. Ihnen ist eigen, dass sie in der spezifischen Situation, der lokalen Gegenwart, konstituiert und später, etwa an einer anderen Migrationsstation oder bei einer Rückkehr an die entsprechenden Orte, als Erinnerung aufgerufen werden. Dieser Zeitlichkeit der Räume wende ich mich nun zu. 10.2.4 Zeitlichkeit Die Raumkonstitutionen vor Ort sind nicht stabil, sondern dynamisch und müssen immer wieder reproduziert werden, um zumindest temporär auf Dauer gestellt zu werden. Das Stabilisieren und auf Dauer stellen lässt sich als eine Variante der „Klebrigkeit“ verstehen, von der Costas (2013) spricht: Mobilität wird für den Moment angehalten, das Tun vor Ort führt zu der Konstitution von Räumen, in die die Zukunft, das Mobilsein, das Verlassen des Ortes nicht eingelassen sind. Diese Räume sind eher Räume der Gegenwart und Vergangenheit (in dem Sinn, dass die Menschen sie auf Grundlage ihrer bisherigen Biographie und Erfahrungen konstituieren) als Räume der Zukunft, und sie tragen dazu bei, dass sich die HIMs vor Ort zugehörig fühlen. Für die konkreten Räume bedeutet die ihnen inhärente Zeitlichkeit, dass sie flüchtig sind, sofern sie nicht gepflegt werden: Wenn Dora während ihrer Zeit in

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

den Florida Keys regelmäßig an den einen Strand fährt, den sie so schätzt, um dort ihre freien Abende zu verbringen, ist der Raum, den sie dort konstituiert, über diese Zeit vergleichsweise stabil, er wird durch ihre wiederkehrende Konstitution gepflegt. Die Veränderungen des Strandes, der Menschen, die sich dort aufhalten, und der Menschen, mit denen sie dort Zeit verbringt, vollziehen sich kaum merklich. Anders ist es, wenn sie an einen anderen Ort umzieht und den Raum nicht mehr pflegen kann – dann verschwindet er, und nur der Ort bleibt. Diese Flüchtigkeit der Räume beschreibt Sven für seine Rückkehr nach Manchester. Die Rückkehr an seine Wohlfühlorte in Manchester sei insofern ernüchternd gewesen, als es dort nicht mehr dasselbe gewesen sei wie vorher: I think I’ve only really been back [to Manchester ] once since I left. There were certain places I liked to go when I was there and if I flew back maybe I would try those again, but one of the things was that when I did go back it was for work and I had to do a few things, too, but I stayed a little bit extra and it wasn’t the same anymore either. I lived there for a while and while I lived there I had my life there and there were places I wanted to go, but once I’d left and I’d been away for a while, going back there and seeing those things was nice, but again, it was not where I belonged, so […] for the period I was there I enjoyed it and I had my place there, but then, once I left and I came back, it wasn’t the same thing either anymore. (Sven, Pos. 189– 193)

Seine erneute Migration – vom britischen Manchester ins niederländische Leiden – führte dazu, dass sich die vor Ort konstituierten Räume oder, wie ich später argumentieren werde, die locality vor Ort, auflöste. Die Räume wurden nicht mehr über alltägliche Handlungen aufrechterhalten und zerfielen in ihre Bestandteile – übrig und weiterhin erfahrbar war die Infrastruktur an einem geographisch fixierten Ort, aber nicht die über Handlungen konstituierten Räume. Die Grundannahme der im letzten Abschnitt vorgestellten theoretischen Ansätze und empirischen Ergebnisse ist, dass Räume an Orten sozial produziert werden (vgl. auch Löw 2001, z.B. 198; 201). Die Räume werden dabei von den je vor Ort vorhandenen materiellen Ausstattungen, aber auch den vor Ort befindlichen und sie konstituierenden Lebewesen74 mit bestimmt. Die HIMs konstituieren dabei spezifische Räume, die sich insbesondere durch ihre Flüchtigkeit auszeichnen und durch die Tatsache, dass die HIMs auf vielfältiges, an unterschiedlichen Orten erworbenes Wissen und spezifische, wiederholt zur Verortung eingesetzte Praktiken zurückgreifen können. Der Dreiklang von Sozialität, Materialität und Örtlichkeit lässt sich mit dem von Massey (2007) formulierten Konzept der Lokalitäten sehr gut fassen, welches noch stärker die spezifischen Merkmale der Orte der Raumproduktion berücksichtigt, als es die bislang vorgestellten Ansätze tun. Dieses Konzept und seine Anwendbarkeit für den vorliegenden Fall des Verhältnisses von Menschen und Mobilität zwischen Orten im Leben internationaler MigrantInnen werde ich im Folgenden vorstellen. 74

Ich verwende an dieser Stelle den Begriff der Lebewesen, um auch die Fauna vor Ort zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz liegt mein Fokus hier auf der von Menschen vorgenommenen Raumkonstitution, da die Raumkonstitution von VertreterInnen der Fauna mit sozialwissenschaftlichen Methoden empirisch nicht oder nur schwer zu untersuchen sind.

10.3 Lokalitäten vor Ort

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10.3 Lokalitäten vor Ort Orte verlieren also, wie gezeigt, in globalisierten und internationalisierten Gesellschaften nicht an Bedeutung, auch nicht für hochmobile Menschen. Vielmehr liegen spezifische ortsbezogene Praktiken der Raumproduktionen und Handlungsweisen vor, die mich zu der These führen, dass wir ein sehr spezifisches Wechselspiel von Ortsbindung und Ortlosigkeit beobachten können. Die Bindungen an Orte und vor Ort werden im nachfolgenden Kapitel noch ausführlich behandelt; an dieser Stelle möchte ich das Konzept der Lokalität einführen, um mithilfe dieses Konzeptes zu erklären, welche Bedeutung Orte für die HIMs haben. Für die theoretische Fundierung dieser auf empirischen Beobachtungen beruhenden Annahme sind Martina Löws Raumsoziologie und Doreen Masseys locality-Konzept zentral. Die Tatsache, dass sich Löw (2001) in ihrer raumtheoretischen Arbeit auf Massey (z.B. 2007) bezieht, zeigt schon an, wie eng diese Konzepte miteinander verbunden sind. 10.3.1 Lokalität als Konzept Um zu verstehen, was Lokalitäten (localities) sind und wie sie unser Verständnis von einer aus Sozialität und Materialität bestehenden Welt verbessern können, eignen sich Doreen Masseys Arbeiten. Massey (1991, Herv.i.O.) definiert localities wie folgt: [they are] constructions out of the intersections and interactions of concrete social relations and social processes in a situation of copresence.

Dieser poststrukturalistische Ansatz, so Clarke (2013), unterscheide sich deutlich von anderen Ansätzen innerhalb der (geographisch ausgerichteten) locality studies, da Massey die lokal spezifischen Merkmale von Orten berücksichtige: local particularity comes from how a place is positioned as a point of intersection or meeting ground for a specific set of networks of social relations, [ultimately demonstrating] that locali ties are the products of interactions and interrelations [...]. (Clarke 2013, 500)

Es sind gerade diese Interaktionen und Wechselbeziehungen von verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen, die Lokalitäten an geographisch fixierbaren Orten entstehen lassen. Indem Massey das Konzept der Lokalität für die Analyse lokaler Phänomene einführt, betont sie die Beziehung zwischen den geographisch fixierten Orten und den sozialen Interaktionen, die an ihnen stattfinden und für die Konstitution von Räumen an Orten verantwortlich sind (Massey 2007, 68). Wenn man dieses Verständnis von Lokalitäten mit dem oben skizzierten Verständnis von relational erzeugten Räumen kombiniert, lässt sich festhalten, dass Lokalitäten lokalisierte Räume darstellen (Müller und Reichmann 2018).

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

Berücksichtigt man zudem die Tatsache, dass Orte nicht nur Arenen der sozialen Interaktionen sind, sondern ihnen auch eine physisch-materielle Ausstattung eigen ist, so lässt sich Masseys Konzept noch weiter präzisieren und für die Analyse der Wechselbeziehung von Sozialem und Materiellem fruchtbar machen. 75 Masseys Konzept kann damit in seiner Reichweite vergrößert werden, indem man es für die theoretische Fassung der Interdependenz von Materialität und Gesellschaft verwendet. Im Zuge einer solchen konzeptionellen Öffnung lässt sich eine locality dann als die Interaktion von Menschen und Dingen an einem geographischen fixierten Ort „in einer Situation der Kopräsenz“ (Massey 2007, 138, Übers. ALM) verstehen. Aufbauend auf und in starker sprachlicher Anlehnung an Masseys Konzept lassen sich Lokalitäten daher folgendermaßen definieren: Localities are constructions out of the intersections and interactions of concrete social relations and social processes in a situation of the co-presence of human and non-human actors, in particular of social actors and architecture. (Müller und Reichmann 2018, 37, Herv.i.O.)

Demzufolge sind Lokalitäten geteilte und gemeinschaftlich hervorgebrachte Merkmale eines Ortes, welche wiederum dazu führen, dass an diesen Orten spezifische Formen der Sozialität hervorgebracht werden. So sind Lokalitäten beispielsweise mit dafür verantwortlich, ortsspezifische Identitäten, Machtbeziehungen und/oder Atmosphären herzustellen. Die Betonung von Lokalitäten erlaubt es, der Bedeutung von Orten für die MigrantInnen auf die Spur zu kommen. Das Konzept ermöglicht zudem eine neue – das heißt: andere – Perspektive auf das, was derzeit unter den Begriffen der Atmosphäre (z.B. Böhme 1995; Hasse 2008) oder ambiance (z.B. Thibaud 2015) gefasst wird. Die Atmosphäre z.B. eines Ortes wird häufig als das „Dazwischen“ (Böhme 2001, 54) zwischen Subjekten und Objekten gefasst. Anders als die Konzepte der Atmosphäre oder der ambiance, welche zumeist eher vage bleiben und die Prozesse der sozialen und materiellen Wechselwirkung kaum theoretisch und noch viel weniger empirisch zu fassen vermögen, ist es möglich, das Konzept der Lokalitäten zu verwenden, um genau diese interdependenten Beziehungen fassbar zu machen. Lokalitäten als Konzept berücksichtigen sowohl die subjektive Wahrnehmung eines Ortes als auch die sinnliche Erfahrung und emotionale Interpretation der Umgebung und ermöglichen es den Forschenden, diese sozialen und emotionalen Wirkungen der Materialität empirisch zu untersuchen und analytisch zu fassen. Für eine Analyse der sozialräumlichen Bedeutsamkeit von Orten ist daher die Integration des Lokalitäts-Konzeptes besonders hilfreich, da es dadurch möglich wird, sowohl die physisch vorhandene und sinnlich wahrnehmbare Umwelt als auch die spezifischen sozialen Bedingungen vor Ort zu berücksichtigen. Welche Rolle spielen nun die verschiedenen Elemente der die Menschen umgebenden Umwelt an Orten für die Produktion von Lokalität? Und in welcher Hinsicht handelt es sich hierbei um etwas anderes als um konstituierte Räume? 75

Das Konzept der Lokalitäten lässt sich, wie ich an anderer Stelle zeige (Müller und Reichmann 2018), sehr gut in die Analyse der Architektur einer Gesellschaft integrieren.

10.3 Lokalitäten vor Ort

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Dazu zunächst einige Worte zu dem, was den geographisch fixierbaren Ort ausmacht, an dem Lokalitäten entstehen (können). Dieser Ort ist ein eindeutig identifizierbarer, geographischer fixierter Platz im Koordinatensystem, der eine Fläche einnimmt. Er ist außerdem, denkt man ihn dreidimensional, ausgestattet mit unterschiedlichen nicht-menschlichen Akteuren: Bäumen, Wegen, Straßen, Häusern, Bänken, Steinen, Zäunen. Je nachdem, welche Fläche der gewählte Ort einnimmt und wo er sich befindet, sind diese Ausstattungselemente zahlreicher oder weniger zahlreich, heterogener oder homogener. Bis zu diesem Punkt der Darstellung erscheinen Orte und ihre Ausstattungen eher passiv; fügt man nun aber Lebewesen hinzu und denkt das Ensemble im Sinn einer sozialkonstruktivistischen Raumtheorie, wie ich sie oben beschrieben habe, ändert sich das Bild: An dem geographisch fixierten Ort finden Interaktionen statt. Diese Interaktionen vollziehen sich zwischen Menschen, zwischen Menschen und Tieren, aber auch zwischen Menschen und Objekten. Diese Interaktionen vor Ort sind es nun, die Lokalitäten hervorbringen – anders gesagt: durch Interaktionen zwischen Lebewesen (Menschen und Tieren) und Objekten werden Räume konstituiert, welche durch ihre Verortung an einem geographisch eindeutig fixierbaren Ort zu einer Lokalität werden. Mit dieser Konzeption lassen sich nun zwei Theorieansätze konstruktiv verbinden: einerseits die Löw’sche Raumtheorie, andererseits die relationale Sozialtheorie der STS. Einige Beispiele sollen dies illustrieren, bevor ich im späteren Kapitel diese Beziehung anhand der HIMs detailliert durchspiele. Ich greife hier auf Beispiele aus der Religionsforschung zurück. In diesen wird der Bedeutung der Wechselbeziehung von Materialität und Sozialität für die Hervorbringung der Institution Religion und der religiösen Praktiken und Identitäten Rechnung getragen. Brenneman und Miller nehmen für ihre schon in Kapitel 8 vorgestellte programmatische Arbeit ein pointierte Annahme zum Ausgangspunkt: „when bricks matter“ (Brenneman und Miller 2016, 70). Jedes Kirchengebäude hat eine spezifische architektonische Gestalt und materielle Ausstattung, vom Kirchenschiff über die Bestuhlung und Ornamente bis zum Altar. Gestalt und Ausstattung variieren, wie Konieczny (2009) in ihrer vergleichenden Studie zu zwei katholischen Gemeinden zeigt. In ihrer ethnografischen Studie analysiert sie, in welcher Beziehung die materielle Kultur in einer Kirche zu jener im Zuhause der Gläubigen steht (Konieczny 2009, 419). Dabei ist insbesondere ihre Reflexion der Bedeutung von materieller Kultur für religiöse Praktiken und Identitäten interessant. Mithilfe einer dichten Beschreibung der religiösen Praktiken während des Gottesdienstes zeigt Konieczny (2009, 428, Herv.i.O.) die Wechselbeziehung von Materialität und Sozialität: Catholics at Assumption, then, interact with the art and architecture of the church in ways that acknowledge and create the transcendent sacred as mysterium tremendum [...], sacralize the family, emphasize corporate prayer, and de-emphasize worshippers’ individuality.

Dabei findet Konieczny einen interessanten Widerspruch zwischen der Ausstattung der Kirchen und der Ausstattung der jeweiligen Zuhause der Gläubigen: Im Fall der reich ornamentierten Kirche der Our Lady of the Assumption-Gemeinde

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

waren die Zuhause der Gläubigen geradezu asketisch eingerichtet (Konieczny 2009, 430), wenn auch die Praktiken an beiden Orten sehr ähnliche waren (Konieczny 2009, 431). Anders im Fall der zweiten untersuchten Kirche, der Kirche der St. Birgitta-Gemeinde: Hier zeichnen sich die materiellen Settings der Gottesdienste, die unter anderem in einer in der Nähe der Kirche befindlichen Turnhalle stattfinden, durch Zurückhaltung und sparsame Ausschmückung aus (Konieczny 2009, 433–34). In den Wohnungen der Gläubigen lässt sich dagegen beobachten, dass sie vielfältig und eher üppig mit religiösen Objekten eingerichtet sind: [The homes] were neatly ordered, reflected current middle-class trends in home design, contained many decorative objects, and displayed original art. [...] homes at St. Brigitta are created to be peaceful havens expressing inhabitants’ unique identities. (Konieczny 2009, 435)

Nicht nur die religiösen Praktiken werden durch die Materialität der Kirchen geprägt; auch die Identitäten der Gläubigen werden durch die materielle Gestaltung der Kirchen und der Wohnungen mit konstitutiert (Konieczny 2009, 440). Brenneman und Miller (2016) weisen auf etwas ähnliches hin, wenn sie die Wirkmächtigkeit religiös genutzter Materialität betonen: [The religious buildings] are not simply receptacles into which any person entering can impose a new set of meanings and values. The physical structures themselves interact with the social beings within. (Brenneman und Miller 2016, 84–85)

Konieczny und Brenneman und Miller sind sich einig darin, dass die Materialität des Religiösen eine spezifische Form von Zwang auf die Gläubigen ausübt: einen Zwang, sich entsprechend bestimmter Regeln zu verhalten und entsprechende Erwartungen zu erfüllen, was den Vollzug von Ritualen und Praktiken anlangt. Darüber wird schließlich, das zeigt Koniecznys Studie sehr anschaulich, eine spezifische religiöse Identität hervorgebracht. Dieser Zusammenhang von Materialität und Identität wird am Ende dieser Arbeit noch von Bedeutung sein, wenn es darum geht, welche Rolle Objekten für die Lebensstile und Lebensformen der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen zukommt. Was das Beispiel dieser ethnografischen Studie für die Hervorbringung von Lokalitäten an Orten zeigt, ist, dass an Orten wie einer Kirche durch spezifische Praktiken ein sozial wirksamer Raum konstituiert wird. Im Fall des Gottesdienstes konstituieren die Gläubigen und der Priester durch ihre Interaktionen miteinander sowie mit der Materialität der Kirche – dem Altar, der Bestuhlung, den Skulpturen – den für sie sakralen Raum des Gottesdienstes. Gleichzeitig werden durch diese spezifischen Interaktionen von Subjekten und Objekten die Institution der Kirche und der Religion sowie die damit verbundenen Wissensformen und Sozialordnungen hervorgebracht und, im weiteren Verlauf, stabilisiert. Die Kirche entsteht hier, ganz im Sinn der STS, aus Relationen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Im Sinn der Atmosphären-Forschung ließe sich davon sprechen, dass zwischen den Dingen und Menschen eine spezifische, für Kirchen spezifische Atmosphäre entsteht. Integriert man den Ort, an dem das Kirchengebäude steht,

10.3 Lokalitäten vor Ort

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in die Analyse, so machen der Raum des Gottesdienstes und die Kirche am Ort des Gebäudes zusammen die Lokalität der Our Lady of the Assumption-Gemeinde aus. Für das zweite Beispiel für die hier vorgeschlagene Verbindung von konstruktivistischer Raum- und relationaler Sozialtheorie komme ich noch einmal auf die schon im Kapitel 8 besprochene Studie zum Erdbeermarkt in Fontaines-en-Sologne zurück, in der Garcia-Parpet (2007) mit einem ökonomischen Fokus die spezifischen Interdependenzen von Sozialem und Räumlichkeit in dem Blick nimmt. Garcia-Parpets Fokus liegt in erster Linie auf den relationalen Beziehungen zwischen den Akteuren, die diesen Markt hervorbringen. Ihre Studie lässt sich darüber hinaus aber auch als eine Beschreibung einer Lokalität und der lokal spezifischen Wechselwirkung von Sozialität und Materialität lesen. Die auf Initiative einiger HändlerInnen, InteressenvertreterInnen und ErdbeerzüchterInnen ins Leben gerufene und lokal verortete Erdbeerauktion findet in der Stadt Fontaines-en-Sologne in einem extra dafür gebauten Gebäude statt. In diesem Gebäude finden unterschiedliche soziale Interaktionen statt, die maßgeblich durch die architektonische und räumliche Gestaltung geprägt sind. Das Gebäude besteht aus zwei Räumen: dem Schau- und dem Handelsraum (Garcia-Parpet 2007, 25). In ersterem werden die Erdbeeren von den ZüchterInnen ausgestellt. Im Handelsraum, welcher mittels einer Trennwand die beiden Gruppen der HändlerInnen und ZüchterInnen sowohl physisch als auch visuell trennt, werden diese ausgestellten Produkte dann als Waren in einer Auktion gehandelt. Im Schauraum geschieht aber noch mehr als das reine Ausstellen der Früchte. Das NebeneinanderAusstellen der Erdbeeren bedeutet, dass die HändlerInnen zum ersten Mal in einen direkten Wettbewerb miteinander treten und ihre Waren miteinander vergleichen können. Über diesen durch das architektonisch-räumliche Setting erzeugten und ermöglichten Wettbewerb veränderten sich die Preise für die Erdbeeren, aber auch die Qualität verbesserte sich, da niemand „als jemand wahrgenommen werden wollte, dessen Erdbeeren [aufgrund ihrer schlechten Qualität, ALM] zu Marmelade verarbeitet werden.“ (Garcia-Parpet 2007, 40, Übers. ALM) Allerdings entsteht so nicht nur ein Raum des Wettbewerbs, sondern auch einer der Information und der Wissensproduktion, indem die zusammenkommenden ErdbeerzüchterInnen ihr Wissen über Krankheiten der Pflanzen, Wuchsformen und Zuchterfolge teilen (Garcia-Parpet 2007, 40). Zudem stellt Garcia-Parpet fest, dass sich aus dieser Interaktion soziale Identitäten herausbilden, etwa die geteilte Identität der ErdbeerzüchterInnen. Die Herausbildung einer solchen Identität wird, so Garcia-Parpet (2007, 41), nicht zuletzt durch das spezifische architektonisch-räumliche Setting hervorgebracht: [E]ach working day the growers are brought together in a space which is distinct from that of the shippers. They grumble together about the buyers, help each other to unload, exchange information about agriculture – but at the same time they are involved in social contacts.

Die Architektur des Gebäudes bringt hier Menschen aufgrund ihrer Funktion und sozialen Rolle zusammen oder trennt sie. Die gleichzeitige und gleichörtliche Aus-

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10 Orte, Räume, Lokalitäten

stellung der Früchte vor der Auktion ruft einen Wettbewerb ebenso ins Leben wie einen Wissensaustausch und eine geteilte Identität. Diese Identität geht wiederum mit sozialen Ein- und Ausschlüssen einher (Garcia-Parpet 2007, 42). Auch hier lassen sich die beobachteten Phänomene mit einer Kombination aus Raum- und Sozialtheorie als lokal spezifische Merkmale der Lokalität Erdbeermarkt in Fontaines-en-Sologne beschreiben. Der Ort ist das Gebäude in Fontainesen-Sologne, in dem die Auktion stattfindet. An diesem Ort interagieren Menschen mit anderen Menschen und Objekten – Erdbeeren, Erdbeerkörben, Tischen. Mittels dieser Interaktionen miteinander und dem In-Bezug-Setzen zu den vor Ort befindlichen und wahrgenommenen Objekten und Lebewesen wird der spezifische Raum des Erdbeermarktes konstituiert. Durch die Verortung dieses Raums in dem Gebäude entsteht die spezifische Lokalität des Erdbeermarktes von Fontainesen-Sologne. Die Beispiele zeigen die Bedeutung der Ko-Präsenz, die Massey (2007, 138) für das Konzept der Lokalität stark macht. Ko-präsent sind dabei, wie die Arbeiten zeigen, nicht nur die verschiedenen menschlichen Akteure; ko-präsent sind auch die Gebäude, die Tische und Stühle, die Marien-Darstellungen und Kruzifixe, die Erdbeeren und die Hunde, die vor dem Gottesdienst vor der Kirche angebunden werden und auf Frauchen oder Herrchen warten (ähnlich auch Knorr Cetina und Bruegger 2000; Gieryn 2002; Jenkins 2002; Danyí 2015; Łukasiuk und Jewdokimow 2015). Mit dem Konzept der Lokalität ist es möglich, zwischenmenschliche Interaktionen ebenso zu berücksichtigen wie Subjekt-Objekt-Interaktionen und die charakteristischen Merkmale der Orte, an denen diese Interaktionen stattfinden. Die Integration der Löw’schen Raumtheorie ermöglicht es dann, individuelle und kollektive Formen der Raumproduktion zu berücksichtigen und neben individuellen Präferenzen auch die Einflüsse von Sozialisation und Gruppenzugehörigkeit zu integrieren. Die relationale Sozialtheorie, wie sie in Arbeiten der STS zu finden ist, gibt darüber hinaus das analytische Werkzeug an die Hand, die SubjektObjekt-Beziehungen vor Ort zu fokussieren. Eine solche konzeptionelle Fassung von Lokalität hat Konsequenzen für die Analyse hochmobiler Menschen, die regelmäßig territoriale Grenzen überschreiten und die Orte, an denen sie leben, wechseln. Neben die Berücksichtigung der transnationalen sozialen Räume, die über diese räumlichen Bewegungen hergestellt werden, tritt dann die Fokussierung der Lokalitäten an den Orten, an denen diese Personen temporär leben. Hier lassen sich spezifische Formen der Ortsbindung beobachten, die nicht zuletzt an die Produktion von Lokalität geknüpft sind. 10.3.2 Lokalitäten der HIMs Orte spielen für das persönliche und emotionale Leben der HIMs eine große Rolle – auch wenn (oder gerade weil) sie sie häufig wechseln. Das oben skizzierte, auf Masseys Arbeiten aufbauende Konzept der Lokalitäten bietet sich hier als analyti-

10.3 Lokalitäten vor Ort

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scher Rahmen besonders an, um die Verschränkung von physischem Ort, räumlicher Struktur und Praktiken zu erklären. 76 In der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Harveys (1989) hebt Massey hervor, dass localities mehr sind als die gebaute Umwelt und im Raum komprimierte Zeit (Massey 2007, 136); vielmehr entstehen sie erst durch die sozialen Prozesse und Interaktionen an geographisch fixierbaren Orten und sind daher in ihrer Natur als dynamisch zu verstehen. Sie entstehen aber auch, so argumentiere ich, unter Einbezug der lokal spezifischen Umwelt (oder Landschaft) und der vorfindlichen nicht-menschlichen Akteure. Im Sinn einer relationalen Perspektive fallen unter die nicht-menschlichen Akteure alle sinnlich wahrnehmbaren Elemente der Umwelt wie Bordsteinkanten, Sitzbänke und Gebäude auf Seiten der Materialität oder Gerüche, Helligkeit, Geräusche auf Seiten der sinnlichen Reize. All diese Merkmale eines Ortes werden von Einzelnen und Gruppen im Sinn einer Raumkonstruktion (Löw 2001) auf spezifische Weise wahrgenommen, verdichtet, mit den vollzogenen sozialen Interaktionen in Bezug gesetzt und vor dem Hintergrund eigener Sozialisation, biographischer Erfahrung, Prägung und Präferenzen sowie gesellschaftlicher Prozesse und Kontexte zu der je spezifischen locality aktualisiert. Nur so sind folgende Aussagen von Luis möglich: „I always said that my home is where I am.“ (Luis, Pos. 172–174) Diese Prozesse, die der Konstruktion einer locality an einem gegebenen Ort zugrunde liegen, sind sowohl individuell als auch kollektiv geprägt, und sie erklären, dass Orte multiple Charaktere haben (Massey 2007, 153). Dies bedeutet aber gerade nicht, dass die Merkmale von localities willkürlich sind; vielmehr beinhalten die Merkmale, die Orte für Individuen und Gruppen aufweisen, Hinweise auf diese Gruppen und ihre spezifischen ortsbezogenen Bindungen. Das Konzept der Raumkonstitution berücksichtigt dabei gerade auch die Sozialisation, die kollektiven Bindungen und die biographischen Erfahrungen derjenigen, die die Räume konstituieren. Das bedeutet für den Fall der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen, dass anzunehmen ist, dass sie sowohl individuell spezifische als auch kollektiv geteilte Lokalitäten konstituieren. Die Analyse der Interviews bezüglich der Konstitution von Lokalitäten zeigt nun genau dies: Infrastrukturelle Ausstattungen der Orte – Cafés, Bars, Museen – oder geographische Besonderheiten – der Strand, die Berge –, an denen bestimmte Dinge getan werden können und Räume konstituiert werden, sind dominante Themen und Motive in den Daten. Es sind Orte, die für die emotionalen Bindungen vor Ort wichtig sind und die auf diese Weise Teil einer Lokalität sind. Die Orte sind dabei, in den Worten von Djadi, eine „Kulisse“ und entfalten als solche Wirksamkeit. Im folgendem Zitat vergleicht er seine Wohnung am Heumarkt in Kölns Innenstadt mit anderen möglichen Wohnorten: 76

Vgl. hierzu die Arbeiten zur Bedeutung der Ko-Präsenz in sozialen Interaktionen und ihrer Wandlung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zunehmend Technologien in diesen Interaktionssituationen integriert werden, welche auch räumliche Distanzen zu überwinden helfen (z.B. Knorr Cetina und Bruegger 2002; Greschke 2012; Knorr Cetina, Reichmann und Woermann 2017).

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10 Orte, Räume, Lokalitäten Ich denke schon dass die Gegend spielt eine Rolle oder sagen wir mal, die Kulisse spielt schon eine Rolle. Ich glaube, wenn ich in Mühlheim oder in Köln oder in Deutz irgendwie eine Wohnung hätte, wäre ich [nicht] so ermutigt einfach rauszugehen. (Djadi, Pos. 37)

Als derartige Kulisse bilden Orte die Grundlage für das Handeln der Menschen vor Ort und an bestimmten Orten, für ihre Praktiken und schließlich für die Konstitution von Lokalitäten. Aber Orte können durch ihre Anlage und Gestaltung die Herstellung einer Lokalität auch verhindern, wie Djadi findet: Ich fand zwei Sachen manchmal auch so hinderlich, wenn Orte einfach keine geschlossenen Orte sind, sondern einfach offen. Wenn du jetzt in ein Industriegebiet gehst, du bist echt nicht ermutigt, aus dem Haus rauszugehen, [Du] denkst nur so: „Wuah, die Gegend passt nicht.“ Und wenn da keine Infrastruktur besteht, die dich schnell in die Altstadt führt und in Zentren, wo die Leute sich treffen und dieses soziale Leben eben ausgelebt wird, [dann] kann [das] als Hindernis gesehen werden. (Djadi, Pos. 81)

Hier sind die Orte, die er beschreibt, gerade keine passiven Kulisse, die die Bühne für das soziale Handeln darstellen (zur „Stadt als Bühne“ vgl. Helbrecht und Dirksmeier 2012). Vielmehr wird hier der gestaltende Charakter von Orten sichtbar: Die spezifische Wechselwirkung zwischen der gebauten Umwelt, den dort lebenden Menschen und der infrastruktuellen Ausstattung ermöglicht es Djadi, eine Lokalität herzustellen, welche ihn „ermutigt, rauszugehen“. Dieses „Rausgehen“ ist eine Voraussetzung für die Interaktionen vor Ort, die Massey (2007, 138) als konstitutiv für Lokalitäten beschreibt. Über die Lokalitäten entstehen Formen der Verankerung vor Ort. Dies werden einerseits als potentielle „Fußfesseln“, die Brigitte „sich anlegen lassen muss“ (Brigitte, Pos. 234–236), beschrieben und andererseits als emotional stabilisierend. Für Dora ist letzteres der Fall, und sie beschreibt das Gefühl der Verankerung, das sich nach vier Migrationsstationen an ihrem aktuellen Wohnort eingestellt hat, als erleichternd (Dora, Pos. 58). Derartige Verankerungen sind, wie ich am Anfang des Kapitels am Beispiel von Sven beschrieben habe, allerdings zeitlich gebunden: For the period I was there [in Manchester], I enjoyed it and I had my place there, but then, once I left and I came back, it wasn’t the same thing either anymore. (Sven, Pos. 189–193)

Lokalitäten sind demnach nicht zeitunabhängig, sondern werden für eine bestimmte Zeit konstituiert, und sie betreffen nicht die gesamte Stadt, in der jemand lebt. Vielmehr sind es, wie für Silja, nur bestimmte Orte dieser Stadt: „Aber es ist halt komischerweise gar nicht die Stadt, aber es sind halt immer nur so einzelne Orte.“ (Silja, Pos. 30) Lokalitäten sind damit Phänomene mit einer spezifischen Zeitlichkeit und Räumlichkeit. Die für die Konstitution von Lokalitäten bedeutsamen Orte in den Städten, in denen die HIMs leben, werden dabei nicht nur mit ihren Infrastrukturen und den dort lebenden Menschen erlebt, sondern auch sinnlich wahrgenommen und z.B. mit Gerüchen, Geräuschen oder Essen verbunden. Diese sinnlichen Erfahrungen sind wichtig für die Konstitution von Lokalitäten vor Ort, und sie können zeitlichen Bestand haben, auch wenn man den Ort schon verlassen hat – anders als die

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vor Ort durch die Handlungen und Interaktionen konstituierten Räume und damit die Lokalität selbst. So beschreibt Yuna, wie das Wiederaufrufen dieser sinnlichen Erfahrungen, etwa über soziale Medien, die Bindung an die Orte aktualisiert: Aber zum Beispiel Facebook oder irgendeine Gelegenheit, zum Beispiel ein kurzes Video von Mexiko City, vom Verkehr in Mexiko City oder irgendeinem Festival in Mexiko-Stadt. [Wenn ich] solche Sachen sehe, dann erinnere ich mich an die Zeit oder an den Moment. Zum Beispiel Geruch oder den Wind oder die Stimme oder die Tonart oder die Melodie der Sprache. (Yuna, Pos. 38)

Die Erinnerung an die Lokalität Mexico City wird für sie wieder aufgerufen, sobald sie an die sinnlichen Erfahrungen, die sich in ihren Körper eingeschrieben haben, anknüpfen kann. Dieses Anknüpfen geschieht in diesem Fall über eine technologisch vermittelte Erfahrung, was die Bedeutung von ICT für die internationalen MigrantInnen noch einmal betont. Bevor ich mich nun den Ortsbindungen zuwende, nehme ich in einem Exkurs auf die Konzepte der Atmosphären und der ambiances Bezug, um daran zu zeigen, wie die über das Physisch-räumliche und Soziale hinausgehenden Aspekte von Orten in der (geographischen) Diskussion verhandelt werden. 10.3.3 Exkurs: Atmosphären Die verbreitete Beobachtung, dass Orten eine Qualität zu eigen ist, die nicht allein ihrer infrastrukturellen Ausstattung oder den Menschen, die dort leben, zuzusprechen ist, führte in der philosophischen (z.B. Böhme 1995) und später auch humangeographischen (z.B. Kazig 2007; Kazig, Masson und Thomas 2017) Debatte dazu, sich systematisch mit dem Konzept der Atmosphären zu beschäftigen und es für die Analyse dieser besonderen Qualitäten von Orten nutzbar zu machen. Es handelt sich um einen Ansatz, der die Berücksichtigung der sinnlichen und emotionalen Wirkungen der Materialität zu berücksichtigen sucht und mit den Begriffen der Atmosphären und ambiances arbeitet. Da auch das von mir verwendete Lokalitäts-Konzept die sinnliche Erfahrung der Umgebung sowie die mit einem Ort verbundenen Emotionen empirisch und konzeptionell fassbar zu machen sucht, nutze ich diesen Exkurs, um die Atmosphären-Forschung zu diskutieren und anschließend in Abgrenzung dazu zu zeigen, dass es die Verwendung des Konzeptes der Lokalitäten ermöglicht, nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektiv geteilte Wahrnehmung eines Ortes in der Forschung zu berücksichtigen. Das Konzept der Lokalitäten integriert damit, so argumentiere ich, die konzeptionellen Leistungen der Atmosphären-Forschung, die in der Berücksichtigung der individuellen sinnlichen und emotionalen Aspekte von Wahrnehmung bestehen, und ergänzt sie um die Berücksichtigung der kollektiven, d.h. überindividuellen, und von Traditionen beeinflussten, d.h. überzeitlichen, Dimensionen der Raumwahrnehmung und -konstitution.

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Die verschiedenen Ansätze in der Atmosphären-Forschung sind sich insofern einig, als sie Atmosphären als das fassen, das „zwischen Subjekt und Objekt [ist].“ (Böhme 2001, 54, Herv.i.O.). Dieses Dazwischen begreift Böhme nicht als Beziehung zwischen denjenigen, die wahrnehmen, und demjenigen, das wahrgenommen wird. Vielmehr „sind [Atmosphären] nicht etwas Relationales, sondern die Relation selbst.“ (Böhme 2001, 54) Dabei ist es, so argumentiert Böhme (z.B. 2001, 56), nicht möglich, Atmosphären von den wahrnehmenden Subjekten oder den wahrgenommenen Objekten zu trennen. Vielmehr sind Atmosphären in dieser philosophischen Konzeption „die Anregung eines gemeinsamen Zustandes von Subjekt und Objekt.“ (Böhme 2001, 56, Herv.i.O.) Dieser Fassung des Dazwischen liegt der programmatische Ansatz Böhmes zugrunde, die „Dichotomie zwischen objektiv und subjektiv“ (Böhme 1995, 31) zu überwinden. Er fordert, und hier ist sein Ansatz den Arbeiten der science and technology studies oder auch der NaturenKulturen-Forschung nicht unähnlich, Dinge nicht als von ihrer sozialen, physischen und räumlichen Umwelt getrennte Entitäten zu verstehen, sondern als Dinge, die etwa durch ihr Volumen oder ihre Ausdehnung im (physikalischen) Raum Präsenz aufweisen, welche wiederum von den Subjekten wahrgenommen wird. Ausgehend von diesem relationalen Verständnis von Dingen und Menschen lassen sich Atmosphären sinnvoll [denken]. Sie sind Räume, insofern sie durch die Anwesenheit von Dingen, von Menschen oder Umgebungskonstellationen […] „tingiert“ sind. Sie sind selbst Sphäre der Anwesenheit von etwas, ihre Wirklichkeit im Raume. [… Atmosphären werden] nicht freischwebend gedacht, sondern gerade umgekehrt als etwas, das von den Dingen, von Menschen oder deren Konstellationen ausgeht und geschaffen wird. (Böhme 1995, 33, Herv.i.O.)

Hier wird deutlich, dass Böhme die Atmosphären als etwas aus der Interaktion von Menschen und Objekten, von Sozialität und Materialität Entstehendes begreift, welches auf unterschiedliche Weise, aber nicht willkürlich konstituiert wird. Atmosphären sind weder fix an ein Objekt gebunden noch unabhängig von der Materialität dieses Objektes – gleiches gilt für die Seite des Subjektes. In ähnlicher Weise argumentiert Thibaud (2011, 2015), schlägt dabei aber eine begriffliche Differenzierung zwischen Atmosphären und dem von ihm favorisierten Begriff der ambiances vor: Hence, from a theoretical point of view the notion of ambiance is not fundamentally diferent from the notion of atmosphere [...]. It seems to be just a question of stressing particular as pects of subject-objet [sic!] relationships: ambiance tends to emphasize more the situated, the built and the social dimensions of sensory experience while atmosphere is more afective, aerial and political oriented. (Tibaud 2015, 40)

Die Differenzierung, die Thibaud vorschlägt, macht es möglich, die verschiedenen Akteure zu identifizieren, die daran beteiligt sind, eine ambiance hervorzubringen: die Situation, die sozialen Beziehungen der anwesenden Personen, die physische (hier: gebaute) Umwelt sowie die individuelle sinnliche Wahrnehmung dieser Umwelt, der Personen und der Situation. Betrachtet man Thibauds und Böhmes Aussagen, so fällt auf, dass sie ähnliche Aspekte eines sozialräumlichen Phänomens

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konzeptionell zu fassen suchen, wie es das Konzept der Lokalität tut: Situation, Ort, Lebewesen, Objekte, Wahrnehmung, Emotionen. Ich argumentiere hier, dass die Konzepte der Atmosphäre und der ambiance daher eine weitere, theoretisch erhellende Perspektive auf die relationale Beziehung von Materialität und Sozialität bieten; das Konzept der Lokalität, welches, wie hier vorgeschlagen, mit einem sozialkonstruktivistischen Raumverständnis kombiniert wird, leistet allerdings deutlich mehr. Die Vorteile des Konzeptes der Lokalität für die Analyse eines sozialräumliches Phänomens wie der internationalen Migration bestehen in theoretischkonzeptioneller und methodischer Hinsicht: Aus theoretisch-konzeptioneller Sicht wird im Fall der Lokalität der Ort mit seinen spezifischen, eigensinnigen Merkmalen zum zentralen Gegenstand der Analyse, während die Konzepte der Atmosphäre und der ambiances stärker auf die Emotionalität und Sinnlichkeit der Erfahrung des Ortes abheben. Auch können die überindividuellen und überzeitlichen Modi der Wahrnehmung von und Raumkonstitution an Orten mit dem um ein sozialkonstruktivistisches Raumverständnis ergänztes Konzept der Lokalität angemessen berücksichtigt werden. Aus methodischer Sicht macht es die im Konzept der Lokalität enthaltene Lokalisierung von sozialen Phänomenen leichter, diese empirisch zu untersuchen und die spezifischen Praktiken der Raumkonstitution und Lokalitäts-Herstellung zu untersuchen. Die sinnliche und emotionale Wahrnehmung von Subjekt-Objekt-Beziehungen, welche im Mittelpunkt der Atmosphären- und ambiance-Forschung steht, wird aus einer Lokalitäts-Perspektive über die Raumkonstitutionsprozesse berücksichtigt, ist allerdings eine von mehreren Dimensionen einer Lokalität und nicht ihr Fokus. Nichtsdestotrotz spielt die spezifische Qualität eines Ortes, die alltagssprachlich als Atmosphäre bezeichnet wird, in der Selbstbeschreibung von MigrantInnen auch für die Migrationsentscheidung eine Rolle (vgl. Kapitel 10.1). So beschreibt ein Webdesigner aus einem früheren Forschungsprojekt die spezifische Atmosphäre in Dublin als einen der Gründe, warum er sich für die Rückkehr an diesen Ort entschieden habe: [I] put it like this, if Dublin wasn’t vibrant, or didn’t have a vibrant atmosphere, then I probably would have thought twice if I’m coming home, […] certainly the fact that it is vibrant just helped me make the decision to come home easier. (Webdesigner Dublin 2008, Pos. 72–74)

Derartige Merkmale des, insbesondere innerstädtischen, Lebens wertzuschätzen ist charakteristisch für hochqualifizierte internationale MigrantInnen, zu denen auch dieser Heimkehrer gehört.

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Silja beschreibt dies mit einer spezifischen Lebenshaltung und nimmt als Vergleich die deutsche Fernsehserie Gute Zeiten, schlechte Zeiten77 zur Hand: Das hört sich so blöd an, aber ich bezeichne das immer wie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten, also dieses, man ist um eine Straße, man kennt die Leute, man hat ein freundschaftliches Verhältnis, also selbst mit dem Büdchen-Mann, und man weiß halt eigentlich, wie es dem geht so’n bisschen. Sieht so, wenn er seine guten und schlechten Zeiten hat und lebt die auch mit, und das finde ich eigentlich sehr schön, also diese Rheinländische, dieser Ruhrpott. Und das ist ein bisschen ähnlich in Cambridge, weil man sieht im Café, wenn Leute schlechte Zeiten haben und man verurteilt es nicht. (Silja, Pos. 46)

Ähnliches zeigen Beckers und Boschman (2017, 9) in ihrer quantitativen Analyse zur Wohnpräferenz dieser Gruppe in den Niederlanden. Dass eine solche Atmosphäre etwas ist, das intrinsisch aus der Interaktion der Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen erwächst, lässt sich auch vermittelt aus dem folgenden Zitat einer Dubliner Stadtplanerin herauslesen: „as to whether you can create that atmosphere [is the question. …] I think you can do things to facilitate it“ (Stadtplanerin Dublin 2008, Pos. 646). Diese Aussage einer in der städtischen Verwaltung arbeitenden Planerin in Dublin ist ein Hinweis darauf, dass eine Atmosphäre maßgeblich durch die Interaktion der Wahrnehmenden mit dem Wahrgenommenen entsteht. PlanerInnen können insofern die Entstehung einer bestimmten Atmosphäre beeinflussen, als sie Infrastruktur, insbesondere in materieller Hinsicht, zur Verfügung stellen, welche bestimmte Interaktionen ermöglicht oder „Gebrauchssuggestionen“ (Hirschauer 2016, 52, Herv.i.O.) macht. Wird diese Infrastruktur in die Interaktionen integriert, kann, wie im Fall des Dubliner Technologieparks The Digital Hub, eine bestimmte, auch von den PlanerInnen antizipierte Atmosphäre entstehen, wie es ein Unternehmer dort beschreibt: The atmosphere is right. […] and atmosphere is hugely important […] and [the people working there] actually like being in the older part of the city […] I can imagine that the infrastructure is right. (Stadtplanerin Dublin 2008, Pos. 822–827).

Dass der Versuch einer Neu-Schaffung von Atmosphäre auch misslingen kann, wird in der Beschreibung einer Bewohnerin deutlich, die das umgestaltete Hafengebiet in Dublin wie folgt beurteilt: And then there’s all the Docklands […] where you’ve got the financial district, the IFSC it’s called, and all the apartments along there. They’re all lovely and new and nice and everything, but again, the atmosphere is lacking I suppose […] and I think it’s gonna be hard to make that happen, I think. (Grafikdesignerin Dublin 2008, Pos. 355–359) 77

Bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten handelt es sich um eine im deutschen Privatfernsehen ausgestrahlte Fernsehserie. Die Serie, „kurz GZSZ, ist eine Daily-Drama-Serie, die seit 1992 werktags im Vorabendprogramm bei RTL ausgestrahlt wird.“ (https://www.rtl.de/cms/sendungen/ gzsz.html (9.7.2019)) Verschiedene ProtagonistInnen können über den Serienverlauf von den ZuschauerInnen dabei begleitet werden, wie sie ihr Alltags-, Berufs- und Liebesleben meistern. Auch wenn die Einschaltquoten in den vergangenen Jahren tendenziell gesunken sind, sahen 2016 „im Durchschnitt noch immer 2,84 Millionen Menschen zu“ (Ludwig und Schmidbauer 2017).

10.3 Lokalitäten vor Ort

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Dieser kurze empirische Einschub zeigt, dass Atmosphären ein wichtiges Thema für Menschen sind, wenn es um die Beschreibung und Beurteilung von (urbanen) Qualitäten geht. Für die HIMs haben sie Bedeutung, da sie Bestandteil der vor Ort konstituierten Räume und Lokalitäten sind und ihre Bewertungen der Orte beeinflussen, welche wiederum für ihre Migrationsentscheidungen eine Rolle spielen. Das Interviewzitat zeigt zudem die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs der Atmosphäre, welche es zwar attraktiv macht, sich aus wissenschaftlicher Perspektive damit zu beschäftigten, aber der Operationalisierung der wichtigen Variablen für die empirische Forschung im Weg steht. Zudem zeigt sich, dass die Interaktion mit der ortsspezifischen (physischen und sozialen) Umwelt auch in der alltagssprachlichen Beschreibung wenig Berücksichtigung findet. Das Konzept der Lokalität dagegen ist geeignet, diesen Dimensionen der urbanen Qualitäten Rechnung zu tragen, welche letztlich zur Entstehung von Bindung vor Ort beitragen. Neben der individuellen sinnlichen und emotionalen Wahrnehmung werden in diesem Konzept die kollektiven Wahrnehmungsformen und die lokal und zeitlich spezifischen Praktiken der Nutzung und Raumkonstitutionen berücksichtigt. Damit wird es möglich, die sozialen, materiellen und emotionalen Dimensionen von MenschObjekt-Ort-Relationen, welche alle an der Herstellung von Bindungen vor Ort und an Orte beteiligt sind, in die wissenschaftliche Analyse zu integrieren. Diesen Bindungen an Orte(n) widme ich mich im folgenden Kapitel 11. Darin baue ich auf die in diesem Kapitel erarbeiteten Erkenntnisse zum Zusammenhang von Orten, Räumen und Lokalitäten auf. Wie ich gezeigt habe, spielen Orte eine spezifische Rolle bei den Migrationsentscheidungen der HIMs. Dabei werden die Entscheidungen für oder gegen ein Migrationsziel von den Arbeitsmöglichkeiten vor Ort, aber auch von dem Erfahrungswissen beeinflusst, welches die HIMs im Verlauf ihrer Migrationsbiographien erlangt haben. Dazu gehört das Wissen darum, welche Qualitäten Orte (nicht) haben sollten, um angemessene Wohn- und Arbeitsorte zu sein. Dazu gehören spezifische Arbeits- und Lebensbedingungen, aber auch Landschaft und Wetter. Dabei hierarchisieren die HIMs die verschiedenen Kriterien für ihre Ortswahlen eindeutig; im Zusammenhang mit Statuswechseln kann es dann auch dazu kommen, dass sich die Wertigkeit der Kriterien und damit die Hierarchie verändert. Vor Ort werden von den HIMs Räume konstituiert, die, wie das folgende Kapitel zeigt, sich auf ihre Bindungen an Orte(n) auswirken. Indem sie an Orten in Situationen der Ko-Präsenz Räume konstituieren, schaffen sie zudem spezifische Lokalitäten, die aufgrund ihres begrenzten Aufenthaltes vor Ort eine je spezifische Zeitlichkeit und Räumlichkeit aufweisen. In welcher Weise sich die Räume und Lokalitäten vor Ort auf die Bindungen der HIMs an Orte(n) auswirken, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.

11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Der Titel dieses Kapitels zeigt mit der Formulierung „Bindungen an Orte(n)“ das konzeptionelle Doppel an, um das es in diesem Kapitel geht: die Formen der Bindungen, die die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen an Orten, das heißt: vor Ort, zu anderen Menschen herstellen und aufrechterhalten, und die Formen der Bindungen, die sie an Orte aufweisen und damit an Orte mit ihrer spezifischen Infrastruktur, Landschaft und wahrgenommenen Atmosphäre und Eigenlogik (Berking und Löw 2008). Es handelt sich bei dieser doppelten Form von Bindung um eine Bindung, die als Gleichzeitigkeit, als Ergänzung, aber auch als Widersprüchlichkeit in Erscheinung tritt und eine spezifische Form des regrounding darstellt (Ahmed et al. 2003). Im Fall der Bindungen vor Ort sind die sozialen und emotionalen Bezüge, die Menschen untereinander aufweisen und die ortsgebunden sind und mit dem Konzept des belonging gefasst werden, im Blick. Im Fall der Bindungen an Orte geht es um spezifische territoriale und räumliche Phänomene, die als Formen des place attachment verstanden werden; das Konzept des place attachment bezeichnet spezifische Formen der Bindung, die durch die Überlagerung von räumlich-territorialen und sozialen Beziehungen sowie emotionalen Haltungen zu Orten entstehen. Aufbauend auf diesen Formen der Ortsbindung werde ich in einem Exkurs skizzieren, in welcher Weise die HIMs vor Ort integriert sind, um abschließend Modi der Plurilokalität der Bindungen zu betrachten. Eingeführt wird in die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Migration und räumlichen Bindungen allerdings mit einer Auseinandersetzung mit der Form der räumlichen Bindung, die internationale MigrantInnen in besonderer Weise durch ihre grenzüberschreitende Mobilität in Frage stellen: die territorialen Bindungen. 11.1 Territoriale Bindungen Menschen weisen auf unterschiedliche Arten Bindung zu Orten auf, die auf einer Metaebene als territoriale oder räumliche Bindungen bezeichnet werden können. Durch ihre Rolle als StaatsbürgerInnen ist den Menschen zunächst eine spezifische territoriale Bindung zu eigen: Mit ihrer Staatsbürgerschaft wird ihre politisch und

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

rechtlich festgelegte Bindung an ein administrativ festgelegtes Staatsgebiet fixiert, ihre Bindung an diesen Staat, der innerhalb seiner Grenzen lokalisiert ist, drückt sich in ihrem Status als StaatsbürgerIn genauso aus wie in Dokumenten, etwa der Geburtsurkunde, dem Ausweis, der Wahlkarten etc. Je nach Staatsbürgerschaftsrecht hat der Ort bzw. das Staatsgebiet hier eine spezifische Funktion: In Staaten, in denen die Staatsbürgerschaft nach dem Geburtsort vergeben wird (ius soli), ist eine Person rechtlich an den Staat gebunden, in dem sie geboren wurde. In Staaten, in denen das sogenannte Abstammungsprinzip gilt (ius sanguinis), ist die Staatsangehörigkeit der Eltern als entscheidend für die Staatsangehörigkeit des Kindes; eine Bindung an ein Staatsterritorium liegt damit lediglich vermittelt vor. In den Fällen, in denen ein Kind in einem Staat mit ius soli geboren wird (z.B. den USA), die Eltern aber die Staatsbürgerschaft eines Staates mit ius sanguinis besitzen (z.B. Deutschland), besitzt dieses Kind in der Regel von Geburt an beide Staatsbürgerschaften. Insbesondere für wiederholt umziehende oder transnational lebenden Personen stellen diese territorialen Bindungen über die Staatsbürgerschaft Herausforderungen dar. So sind die Rechten und Pflichten dieser Personen in der Regel anders als die der sogenannten autochthonen Bevölkerung. Ein Staatsangehöriger eines EU-Staates darf in Deutschland lediglich auf kommunaler Ebene wählen; ein USBürger darf in Deutschland noch nicht einmal dies. Von Wahlen auf Landes- oder Bundesebene sind beide BürgerInnen gleichermaßen ausgeschlossen. Gleichzeitig darf ein Bürger weiterhin in seinem oder ihrem Herkunftsland wählen, auch wenn die Person dort nicht lebt und auch keine sozialen oder emotionalen Beziehungen zu dem Land aufweist und die Bindung lediglich im Wortsinn auf dem Papier, den Dokumenten, besteht. Diese Beispiele zeigen, dass territoriale Bindungen zunächst einmal Ausweis spezifischer politischer und administrativer Verhältnisse sind. Sie können mit Gefühlen der Zugehörigkeit – etwa zu einem Staat – einhergehen, müssen dies aber nicht tun. Trotz der vielfältigen transnationalen und multilokalen Bindungen, die heutzutage vorliegen, ist die Welt weiterhin stark über diese territorialen Bindungen strukturiert. Deutlich wird dies nicht zuletzt am Beispiel der sogenannten Staatenlosen. Auch wenn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Artikel 15 jedem Menschen das Recht auf Staatsangehörigkeit zusichert, besitzen, so schätzt die United Nations Refugee Agency (UNHCR), etwa 10 Millionen Menschen auf der Welt keine Staatsangehörigkeit (UNHCR o. J.). Dies wirkt sich auch auf die (Un-)Möglichkeit der grenzüberschreitenden Migration aus, da die Einreise in Staaten ohne offizielle Dokumente kaum möglich ist. Aber auch diejenigen, die eine Staatsbürgerschaft und die entsprechenden Ausweisdokumente besitzen, haben unterschiedliche Möglichkeiten, international zu migrieren und erfahren die Ein- und Beschränkungen am eigenen Leib. So beschreibt Burrell (2008), dass die seit 1989, nach dem Zerfall der Sowjetunion, für polnische MigrantInnen möglichen neuen Formen der Mobilität noch immer von der Erfahrung der eingeschränkten Reisemöglichkeit vor 1989 gekennzeichnet ist. Der Reisepass wird hier

11.1 Territoriale Bindungen

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nicht nur zu einem Dokument, das grenzüberschreitende Mobilität, besonders nach dem EU-Beitritt Polens 2004, möglich macht. Vielmehr ist er ein Symbol individueller und gesellschaftlicher Freiheit, denn, so Burrell (2008, 357): For a long time most people were not allowed to keep passports at home, or instead were forced to have separate documents for state-approved work related travel and more restricted personal movement.

Interessanterweise zeigen Burrells Interviews, dass die Erfahrung, einen eigenen Pass zu besitzen, vergleichsweise schnell als natürlich angesehen wird. Die Erzählungen über das Fehlen eines Ausreisedokumentes und das damit verbundene Leben werden nun von Erzählungen über das Leben mit einem vermeintlich falschen Pass abgelöst – einem Pass, der nicht ausreichend Zugang zu Staaten bietet: As passports became more easily available after 1989 their significance for mobility inevitably changed, something the interview conversations reflected. Tales of mobility obstructions being caused by the absence of passports were replaced by discussions of not having the right sort of passport. (Burrell 2008, 358)

Die Interviews von Burrell verweisen auf einen wichtigen Punkt der territorialen Bindung über offizielle Dokumente: Sie implizieren und repräsentieren eine spezifische geopolitische Hierarchie; sie sind im Schütz’schen Sinn Symbole, deren Bedeutung überindividuell verstanden wird und damit zeitliche, räumliche und individuelle Grenzen transzendiert. Dokumente dieser Art weisen aber auch eine hohes Maß an Funktionalität auf, da grenzüberschreitende Mobilität durch Ausweisdokumente möglich wird. Die Art dieser Möglichkeit unterscheidet sich allerdings je nach Staat, der den Ausweis ausstellt. Einreisemodalitäten unterscheiden sich für BürgerInnen unterschiedlicher Staaten sehr deutlich: EU-BürgerInnen bei der Einreise in andere EU-Staaten benötigen kein Dokument; die Einreise in die USA ist für StaatsbürgerInnen der USA einfacher und auch räumlich und technologisch anders strukturiert als für StaatsbürgerInnen anderer Länder. Hier werden auch die unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen deutlich: Während man sich für die Einreise in die USA im Vorfeld im Electronic System for Travel Authorization (ESTA) registrieren muss, müssen dies US-BürgerInnen nicht tun; diejenigen, die ein Visum für die Einreise benötigen, müssen mit zusätzlichen Fristen kalkulieren. Typisch ist schließlich, dass derartige territoriale Bindungen mit spezifischen Externalisierungen einhergehen. So verweisen dem Individuum äußerliche Materialitäten wie Ausweise auf die territoriale Zugehörigkeit dieser Person. Die Zugehörigkeit ist zudem in die Körper des Individuums eingeschrieben, etwa wenn für Ausweisdokumente der Körper vermessen (Größe, Augenfarbe) und digitale Fingerabdrücke gespeichert werden. Bei einer derartigen Externalisierung zeigt sich auch die Widersprüchlichkeit dieser Form der Bindung: So kann die territoriale Zugehörigkeit mithilfe von Ausweisen vorliegen und dem Körper eingeschrieben sein, aber die emotionale Zugehörigkeit zu einem Territorium, einem Staat, kann fehlen. Dasselbe ist für den umgekehrten Fall denkbar: Eine starke Bindung an einen Staat kann auch ohne die

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Externalisierung und Materialisierung dieser Zugehörigkeit in Dokumenten vorliegen, etwa wenn sich die sogenannten dreamers, junge illegale EinwanderInnen in den USA, ihrem Aufenthaltsland gegenüber verbunden fühlen und starke Bindungen an ihre Wohnorte und den Staat, in dem sie leben, aufweisen.78 Diese Form der emotionalen Zugehörigkeit ist also ein wichtiges Element des Phänomens der Bindung an Orten, und ihr werde ich mich nun unter dem Stichwort des belonging zuwenden. 11.2 Bindungen an Orten Anders als im Fall der territorialen Bindungen geht es bei Fragen des belonging um ein Phänomen, das in erster Linie den Personen innerlich ist und nicht mit externalisierten Materialitäten wie Ausweisdokumenten oder Geburtsurkunden zusammengehen muss. Verbunden sind damit Prozesse des homing und damit die Bedeutung des Zuhauses für Menschen.79 Zentral sind hier die Zugehörigkeiten, die emotional empfunden werden und die, analytisch, an Konzepte wie das Zuhause oder die Heimat geknüpft sind. Dabei stellt sich vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der transnationale und Ortsgrenzen überschreitende Beziehungen verbreitet sind, die Frage, welche Formen der emotionalen Zugehörigkeit vorliegen.80 Ich schließe hier an Arbeiten an, die für die globalisierte Welt statt Bindungslosigkeit und fehlender Zugehörigkeit eine andere Form von Zugehörigkeit konstatieren. Gerade weil, wie Binder (2008, 9, Herv.i.O.) hervorhebt, „Heimatgefühle, Heimatbewusstsein und territoriale Verankerung auch in der Gegenwart in der Regel höher bewertet werden als Heimatlosigkeit, Unterwegs-Sein und Mobilität“, gilt es, den „Fokus darauf [zu richten], in welchen Kontexten und mit welchen Wirkungen das Konzept der Heimat in den Prozess gesellschaftlicher Selbstverständigung eingespeist wird.“ Das bedeutet auch, so argumentiere ich hier, danach zu fragen, welche Formen von Heimat und welche Heimaten konstituiert werden, welche Rolle diese im Leben der Menschen spielen und welche Bedeutung Orte für die Herstellung dieser Heimaten haben. 78

79 80

In ähnlicher Weise lässt sich auch die Bindung z.B. von KurdInnen an einen (imaginierten) Staat Kurdistan interpretieren: Es existiert kein international anerkannter Staat Kurdistan mit den entsprechenden Externalisierung und Materialisierungen, aber er stellt für eine bestimmte Gruppe einen zentralen Bezugspunkt für das Handeln und das Gefühl der territorialen Bindung dar. Großer Dank gebührt Katrin Amelang, die für dieses Kapitel wertvolle Hinweise und Anregungen gab. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der politics of belonging aufschlussreich. Es basiert auf der Beobachtung, dass über emotionale Zugehörigkeiten, etwa im Fall von Nationalstaaten, auch Machtverhältnisse hergestellt, stabilisiert oder, wie etwa der Fall von regionalen Unabhängigkeitsbestrebungen wie in Katalonien, destabilisiert werden können. Mit der politischen Herstellung von Zugehörigkeit und Ortsbindungen gehen also auch spezifische soziale Hierarchisierungen und Differenzierungen einher (z.B. Lovell 1998; Westwood und Phizacklea 2000; dazu auch Anderson 1991).

11.2 Bindungen an Orten

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Eine solche Perspektive auf Zugehörigkeit ist möglich, wenn Zugehörigkeit und Zuhause, belonging und home, nicht ausschließlich als an Orte gebunden verstanden wird, sondern neben der territorialen Bindung die Relationen betont werden, aus denen Zugehörigkeit entsteht (Blunt und Dowling 2006; Lovell 1998; Binder 2008). Auch hier sind neben Menschen auch nicht-menschliche Akteure und Immaterielles wie Erinnerungen Teil der Verflechtungen; wie im einführenden Kapitel 3 beschrieben, sind es also sozio-materielle Elemente, die zusammen mit immateriellen Elementen die Zugehörigkeit als Set von Relationen hervorbringen. Blunt (2005b, 506) beschreibt dies in ihrer kulturgeographischen Auseinandersetzung mit dem Zuhause (home) folgendermaßen: „The home is a material and an affective space, shaped by everyday practices, lived experiences, social relations, memories and emotions.“ Demnach ist das Zuhause ein spezifischer konstituierter Raum, der mit Emotionen, Affekten, Erfahrungen, Praktiken, sozialen Beziehungen und Erinnerungen verknüpft ist. Daran anschließend weist das Zuhause eine spezifische raum-zeitliche Dimension auf: Als Raum wird es durch Praktiken, Wahrnehmungen, Gefühle hervorgebracht, durch die Verbindung mit Erinnerungen, etwa an vergangene Erlebnisse und Handlungen oder Personen, aber auch mit Zukunftsplänen, wird der Raum des Zuhauses von einer charakteristischen Zeitlichkeit durchzogen. Diese spezifische Zeitlichkeit wird nicht zuletzt mithilfe der materiellen Kultur hergestellt. So zeigt Rose (2003), dass Fotografien von Familienangehörigen dazu beitragen, ein Zuhause zu konstituieren und dabei zum einen die zeitliche Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, aber auch räumliche Grenzen zwischen entfernt lebenden Verwandten überbrücken. In ähnlicher Weise argumentiert ToliaKelly (2004), die herausarbeitet, wie südasiatische Frauen mithilfe materieller Kultur in ihren Wohnungen in Großbritannien ein Zuhause konstituieren, in dem Erinnerungen an das Herkunftsland und seine Traditionen bewahrt werden. Die damit verbundene Überschreitung von Zeit (Traditionen, Leben im Herkunftsland in der Vergangenheit) und Raum (Aufrechterhaltung der Beziehung zwischen Herkunftsland und Diaspora) lässt hier charakteristische Formen des Zuhauses entstehen. Diese sozio-materiellen Verbindungen, die wichtig für ein Gefühl von Zuhause sind, treten dabei, so Douglas (1991, 289), an die Seite einer Verortung des Zuhauses: [Home] is always a localizable idea. Home is localized in space, but it is not necessarily a fixed space. It does not need bricks and mortar, it can be a wagon, a caravan, a boat, or a tent. It need not be a large space, but space there must be, for home starts by bringing some space un der control.

Das home bedarf danach eines Ortes oder Platzes mit einer physikalischen Ausdehnung, aber kann nicht allein über seine Funktionen bestimmt werden, sondern die sozialen, emotionalen und psychologischen Dimensionen gehören mindestens ebenbürtig dazu (Douglas 1991, 288). Man könnte metaphorisch davon sprechen, dass das Zuhause ein emotionales Dach darstellt, welches, analog zu einem physi-

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

schen Dach, Schutz bietet. Das Zuhause stellt demnach eine spezifische, gleichsam institutionalisierte Form der Zugehörigkeit dar; und sowohl das Zuhause als auch die Zugehörigkeit sind Produkte der Relationen von Menschen, Orten, Objekten, Situationen und werden über „Praxen der Beheimatung“ (Binder 2008, 12) hergestellt. Eine solche Perspektive lässt sich mit Löws Konzept der Raumproduktion und Masseys Konzept der locality zusammenbringen: Das Zuhause wird als spezifischer Raum des Zuhauses konstituiert, welcher an einen geographisch fixierbaren Ort gebunden sein kann – in diesem Fall handelt es sich um die locality namens Zuhause. Formen der Zugehörigkeit oder des belonging, welche die Grundlage für ein home, ein Zuhause, sind, sind damit sowohl sozial, individuell als auch räumlich zu verstehen. Diese Verschränkung und damit die dezidiert geographische Dimension von Zugehörigkeit heben auch Mee und Wright (2009, 772, Herv.i.O.) hervor: Belonging connects matter to place, through various practices of boundary making and inhabitation which signal that a particular collection of objects, animals, plants, germs, people, practices, performances, or ideas is meant „to be“ in a place […].

Wie verändern sich nun diese Formen der Zugehörigkeit und des Zuhauses, wenn sich die gesellschaftlichen Kontexte in Richtung von Globalisierung entwickeln und transnationale Bezüge wichtig werden?81 Es lässt sich gut zeigen, dass in diesem Fall home anders konstituiert und verstanden wird, da es auf selbst gewählten Zugehörigkeiten im Sinn eines „elective belonging“ (Savage, Longhurst und Bagnall 2005, 29, Herv.i.O.) beruht. Zentral für diese neue Form der Zugehörigkeit sind die Wahlmöglichkeit des Ortes und die damit einhergehende situative Zugehörigkeit: Anstatt an einen Ort und in eine Gemeinschaft zu gehören, weil man dort und in sie hinein geboren wurde, entstehen Zugehörigkeiten vor Ort und an Orten dadurch, dass die Orte als Lebensorte gewählt und in die eigene Biographie eingepasst werden.82 Diese Biographien wiederum werden dann selbst transnational und zeigen sich als „übersetzte, übergesetzte Biographien, die für sich und andere fortwährend übersetzen müssen, damit sie als Dazwischen-Leben bestehen können.“ (Beck 2007, 131) 81

82

Morley (2001, 429) weist auf die Diskrepanz zwischen diskursiver Bedeutung des MobilitätsParadigmas und realer Betroffenheit der weltweiten Bevölkerung von räumlicher Mobilität hin: „While it is often claimed that the paradigmatic experience of postmodernity is that of ra pid mobility over long distances, it is important to note that this paradigm still actually applies only to 1.6 percent of the world’s population.“ Für das Jahr 2013 konstatiert die International Labour Orgaization eine Rate von 3.9% („ILO Global Estimates on Migrant Workers“ 2015, xi). Trotz dieser recht geringen Rate zeigt die Analyse des Diskurses um Mobilität, dass die Gruppe der MigrantInnen trotz ihrer quantitativen Marginalität qualitativ bedeutsam für Gesellschaften ist (vgl. Kapitel 5.1). Jeffery (2018) arbeitet am Beispiel einer Fallstudie in Salford, UK, heraus, wie eng soziale Klassenzugehörigkeit und die Möglichkeit, über (räumliche) Zugehörigkeit zu entscheiden, miteinander verbunden sind. Er hebt hervor, dass insbesondere Angehörige der Mittelschicht in der Lage seien, Wahlzugehörigkeiten zu (neuen) Wohnquartieren herzustellen, während dies für Angehörige der Arbeiterschicht schwerer möglich sei (Jeffery 2018, 257).

11.2 Bindungen an Orten

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Für Menschen, die wiederholt mobil sind, den räumlichen und sozialen Wandel als ständigen Begleiter mit sich tragen und, im Beck’schen Sinn, Übersetzungsbiographien aufweisen, bedeutet das home zwar Stabilität, weist aber selber Merkmale des Wandels auf (Morakhovski 2001). Die besondere Ausprägung von Zugehörigkeit und Zuhause bei internationalen MigrantInnen nimmt auch Nowicka (2007) in den Blick und versteht Zuhause in diesem Fall als einen „mobilen Ort“ (mobile location), welcher als Referenz für mobiles Leben wichtig ist: It offers stability, and it is a turning point amid constant movement. In this story, home is also not a location. It is not (or not only) an affectionate place, and not the source of identity. It has more to do with the issues of dwelling, organizing, arranging your life. It is a way of dealing with mobility, a strategy for managing the constant interplay of absence and presence, both a counter to and a constituent part of the movement. (Nowicka 2007, 77)

Für die von ihr untersuchten Personen stellt das Zuhause einen vergleichsweise stabilen Bezugspunkt dar, von dem aus das mobile Leben organisiert wird, welcher aber auch für den Umgang mit dem mobilen Leben entscheidend ist. Auch Nowicka geht es darum, die Bedeutung der Relationen von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren zu betonen, welche für Zuhause und Zugehörigkeit entscheidend seien. Ihrer Analyse nach treten für die hochmobilen Personen dabei die Orte tatsächlich hinter Menschen und Objekte in den Hintergrund: „Mobile individuals thus organize their homes primarily around people, or people and objects.“ (Nowicka 2007, 78) Dies tun Menschen, die kaum umziehen, auch – aber für sie spielen zudem die Orte und ihre unmittelbare Umwelt sowie das Wissen um die (familiäre) Vergangenheit ihrer Wohnorte eine Rolle. Hier scheinen also unterschiedliche Bindungsformen für unterschiedliche Gruppen von Menschen vorzuliegen, welche dann auch unterschiedliche Formen des Zuhauses und der Zugehörigkeit erzeugen.83 Die Frage, in welcher Situation und wo sich HIMs zuhause fühlen, bringt viele der Personen ins Grübeln. In den Gesprächen kristallisieren sich zwei Aspekte als zentral heraus: Zum einen sind zwischenmenschliche Beziehungen vor Ort wichtig. Zum anderen spielt die Tatsache, ob man die Dinge, die einem wichtig sind, um sich hat, eine Rolle. So möchte sich Sarah gerne mehr in der lokalen Gemeinschaft engagieren, um vor Ort mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und teilzuhaben. I would feel settled if I were actually doing things within the community, I mean, I would really like to help in the community, you know, interact with people who are in the community, 83

Zum Konzept des home in den Kulturwissenschaften z.B. Robertson (1994) und Mallet (2004); zur Herstellung von home vgl. z.B. Hinchliffe (1997) oder Cieeraad (2010), speziell für die Geographie Blunt und Dowling (2006); zur Verbindung von Heimat und Exil etwa die Ausgabe 58(1) der Zeitschrift Social Research (1991); zu home unter Bedingungen von Mobilität vgl. Rapport und Dawson (1998), hierzu auch Schmitz (2013) zu multiplen Identitäten von (Spät-)AussiedlerInnen; Bergmann und Römhild (2003) zur global heimat in der global city Frankfurt; zur Anwendbarkeit des Heimatkonzepts im Kontext der Globalisierung Costadura, Ries und Wiesenfeldt (2019); zu home und homing im häuslichen Bereich Boccagni (2017).

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n) not just be one of these expats which I think is really quite unpleasant, not just be a parasite, but take part. (Sarah, Pos. 236–237)

Sarah dient der Ausdruck „feel settled“ als Beschreibung für das Gefühl, sich an einem Ort zu Hause zu fühlen. Auch Paola betont die Bedeutung, die Menschen vor Ort für ihr Gefühl der Zugehörigkeit haben, und steht mit ihrer Aussage repräsentativ für alle der interviewten MigrantInnen: „when you start knowing people there, I think that already helps a lot feeling at home.“ (Paola, Pos. 278) Menschen, zu denen man vor Ort Bindungen aufbauen kann, stehen hier im Zentrum der Beschreibungen. Einig sind sich die HIMs bei der Bedeutung der Menschen für die Bindungen an Orten. Bei Objekten ist dies anders: Während für Ryan das Nicht-Vorhandensein bestimmter Dinge das Gefühl des Nicht-Zuhauseseins verstärkt (Ryan, Pos. 164– 168), sind für Lisa Objekte – wie die genannten Platten oder Comics – dagegen sekundär: „Die Sachen sind schon wichtig, aber sind, glaube ich, eigentlich eher ein Pflaster als wirklich das zu Hause fühlen.“ (Lisa, Pos. 55–56) Yuna schließlich betont noch eine weitere Komponente das Gefühl des Zuhauses ausmacht. Für sie sei „das Essen [...] das allerwichtigste und zentral.“ (Yuna, Pos. 49–50) Essen kann in ihrem Fall durchaus als comfort food (z.B. Gilly 1995; Bardhi, Ostberg und Bengtsson 2010) verstanden werden, allerdings anders als im ursprünglichen Sinn des Konzeptes: Während es beim comfort food vielfach um bekanntes Essen aus dem Herkunftsland geht, sind es für Yuna die lokalen Spezialitäten, die ihr ein Gefühlen der Geborgenheit vor Ort vermitteln. Neben emotional bedeutsamen Objekten wie dem Cello und lokalen Eigenarten wie dem Essen, die man vor Ort zu schätzen lernt, spielen demnach für Bindungen an Orten die Menschen für die HIMs eine zentrale Rolle. Diese Menschen treten in unterschiedlicher Weise in das Leben der HIMs und haben für sie unterschiedliche Bedeutungen. Sie lassen sich verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Gruppen zuordnen: Zum einen gibt es die Gruppe der anderen internationalen MigrantInnen. Sie werden wahlweise als expat oder international community bezeichnet und zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus Menschen bestehen, die selber Migrationserfahrung haben und vor Ort als internationale MitbürgerInnen ohne notwendigerweise langfristige Bleibeabsicht leben. Diese Menschen sind bedeutsam, da sie auf einen ähnlichen Erfahrungsschatz zurückgreifen und den HIMs vermitteln, mit ihren hochmobilen Lebensstil normal zu sein (z.B. Kennedy 2004). Die lokal ansässigen international communities segregieren sich dabei zum Teil auch räumlich, wie John es für eine Stadt in Holland beschreibt: [If you speak] to Dutch people they tell you [our neighbourhood] is not part of Holland because [most of the expats live down there]. (John, Pos. 71–73)

Eine solche räumliche Konzentration einer Gruppe mit ähnlichem Lebensstil und vergleichbaren Erfahrungen, etwa der der sprachlichen Desintegration, kann das Gefühl, dass der eigene, lokal als eher ungewöhnlich empfundene, Lebensstil nor-

11.2 Bindungen an Orten

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mal ist, verstärken und die HIMs so zusätzlich emotional entlasten und ihnen Stabilität vermitteln. Dann gibt es die eigene Familie der HIMs, die die jeweiligen PartnerInnen und möglicherweise die Kinder umfasst. Im Fall der von mir interviewten HIMs hatte keine der Personen an den verschiedenen Migrationsstationen weitere Familienangehörige ersten (Eltern, Geschwister) oder zweiten Grades (Onkel, Neffen oder Nichten) vor Ort. Paola beschreibt, welche Bedeutung es für sie und ihr Leben vor Ort hatte, dass zunächst ihr Mann nach Holland kam und sie nun als Familie mit Kindern dort leben: We got married and then [my husband] came to live here and he’s also got a job here, and so then you feel really at home, I mean, when your partner is here and at a certain point you even decide to buy a house, then [you feel] even more at home, […] plus having kids in a place and the kids go to the school, they go to the local school, they got friends, that makes you really feel part of the society. (Paola, Pos. 327–336)

Das, was Sarah für sich als fehlend beklagt, scheint Paola erreicht zu haben: Sie fühlt sich als Teil der Gesellschaft. Zwei weitere Gruppen von Menschen, die für die Bindungen an Orten wichtig sind, sind die der ArbeitskollegInnen und der Einheimischen. Zwischen der Gruppe der ArbeitskollegInnen und der der international community gibt es personelle Überschneidungen, beispielsweise wenn ausländische ArbeitskollegInnen von John in den Niederlanden ebenso Teil der lokalen international community sind. Dennoch sind die Gruppen nicht deckungsgleich. Diese Gruppen ließen sich zudem noch weiter ausdifferenzieren; so sind beispielsweise unter den Einheimischen diejenigen Personen, die Eltern von MitschülerInnen der eigenen Kinder sind, eine Sub-Gruppe, die besondere Bedeutung für die Eltern unter den HIMs aufweist. Mit ihnen werden Erfahrungen ausgetauscht und Sorgen diskutiert, die die eigenen Kinder betreffen. Ähnlich verhält es sich bei den Einheimischen, die Nachbarn sind. Der emotionale Stress, der bei vielen Interviewees deutlich wird, wenn sie reflektieren, auf welche Weise sie jeweils Zugehörigkeiten und Zuhause herstellen, dabei aber an ihren eigenen Ansprüchen scheitern oder mit der – realen oder empfundenen – Befristung vor Ort hadern, ist etwas, das Rieke nicht empfindet. Für sie ist die Frage nach dem Zuhause irrelevant: „Ich hab mir die Frage nie gestellt.“ (Rieke, Pos. 50) Zwar werde ihr die Frage von anderen gestellt, aber für sie selbst ist dies keine zentrale Kategorie ihres Lebens. Als Mutter von zwei Kindern spricht sie diesen zu, dass sie „das irgendwann entscheiden“; sie selber werde diese Entscheidung für ein örtlich fixiertes Zuhause allerdings nicht treffen (Rieke, Pos. 50). Es ist dabei aber nicht so, dass es das Konzept des Zuhauses für sie nicht gäbe; vielmehr sei sie immer dort zuhause, wo sie gerade sei: Und ich richte mir mein Zuhause [ein], auch wenn ich da nur ein Jahr wohne oder zwei, und da regt sich mein Mann tierisch auf. Ich tapeziere, ich mache das volle Programm. Egal, wie teuer und wie viel Geld ich rausschmeiße mit Umzugskosten, das mach ich mir immer schön. (Rieke, Pos. 50)

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Zwar verweist eine solche Haltung auf ein ökonomisches backup, das es ihr und ihrem Mann möglich macht, derartige Kosten bei den wiederholten Umzügen zu tragen. Aber es zeugt auch von einer Priorisierung: Während Ryan darunter leidet, dass seine Dinge an unterschiedlichen Orten verteilt sind, ihm seine Lampen und Platten fehlen, akzeptiert Rieke, dass ihr Dinge wie ihre eigenen Möbel wichtig sind, und scheut keinen Aufwand, sie vor Ort zu haben, um sich ein Zuhause einzurichten. Welche Bedeutung kommt nun den Orten selbst zu, wenn es um Zugehörigkeit und Bindung geht? Um dieser Beziehung auf die Spur zu kommen, führe ich im Folgenden das Konzept des place attachment ein. 11.3 Bindungen an Orte Im vorangegangenen Abschnitt habe ich die Verbindung von home und locality schon kurz gestreift: Versteht man die emotionale Zugehörigkeit, die Menschen empfinden und die sie eine Heimat konstituieren lassen, als nicht nur emotional und sozial, sondern auch zeitlich und räumlich strukturiert, so lässt sich als weiterer Einflussfaktor der Ort, an dem sich Menschen aufhalten, einführen. Damit kann dann eine ortsgebundene Form des Zuhauses entstehen, indem ein Raum des Zuhauses an einem Ort konstituiert wird und so die Lokalität Zuhause entsteht. Das Konzept, das ich hier einführe, um diesen Ortsbezug von Bindungen noch weiter zu fundieren, ist das des place attachment. Dieses Konzept ist eng an das eben vorgestellte Konzept des belonging gekoppelt. Es legt allerdings einen stärkeren Schwerpunkt auf die den Einzelnen und die Gruppe umgebende Umwelt als es für das belonging der Fall ist. Für beide Konzepte gilt, dass die affektiven Bindungen von Personen in den Fokus der Betrachtung rücken; über das Konzept des place attachment werden die emotionale und die räumliche Dimension von Ortsbindungen zusammengebracht.84 Proshansky, Fabian und Kaminoff (1983) arbeiten dazu schon früh heraus, dass die Identität des Selbst in Abgrenzung zu menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen sowie unter Bezugnahme auf places (als „physical settings“ (Proshansky, Fabian und Kaminoff 1983, 62)) konstituiert wird – ein Selbst entsteht also gerade auch unter Herstellung einer Bindung an Orte.85 Es ist diese Wirksamkeit des Ortes für die emotionale Zugehörigkeit, die eine Person empfindet, welche mit dem Begriff place attachment beschrieben wird.86 Low und Altman 84

85 86

Zur Verschränkung von place und identity z.B. Twigger-Ross und Uzzell (1996) sowie Nagar (1997), die herausarbeitet, wie vor Ort multiple Identitäten hergestellt werden, für die ethnische Zugehörigkeit, Klasse oder Religion eine Rolle spielen. Ähnlich argumentiert Binder (2008, z.B. 13) für den Prozess der Beheimatung. Vgl. hier auch die Arbeit von Simmel (1995[1903]) zum Zusammenhang von individueller Mentalität und Umwelt am Beispiel der Großstadt (dazu auch Proshansky 1978). Vgl. Fried (1963) für eine der ersten Beschreibungen des Zusammenhangs von emotionaler Bindung und Orten; eine qualitative Untersuchung zur Bedeutung von Orten aus psychologi-

11.3 Bindungen an Orte

227

(1992, 1–2) verorten die Anfänge der Forschung zu Formen des place attachment in phänomenologischen Arbeiten, die die Wechselbeziehungen zwischen individuellem Verhalten und umgebender Umwelt in den Blick nahmen; Untersuchungsgegenstände waren vielfach die „Zuhause und heiligen Orte“ (Low und Altman 1992, 2, Übers. ALM) von Menschen, mit deren Hilfe gezeigt wurde, welche emotionalen Bindungen zu diesen besonderen Orten bestanden. Scannell und Gifford (2010, 2) entwickeln zur Explikation der verschiedenen, im place attachment enthaltenen Relationen ein Konzept, welches zeigt, dass drei verschiedene Dinge an der Herstellung von Ortsbindung beteiligt sind: (1) die Person selbst, (2) der Ort, an dem sie sich befindet, und (3) ein psychologischer Prozess, der Emotionen und Verhaltensweisen beinhaltet. Bei der Person geht es darum zu sehen, wer die Bindung eingeht, von der wir sprechen, und inwiefern diese Bindung individueller Natur ist oder auch auf kollektiv geteilten Bedeutungen und Zugehörigkeiten basiert. Der psychologische Prozess ist eng daran gekoppelt, denn hier geht es um die Frage, wie sich Affekte und Verhaltensweisen in einer solchen Ortsbindung manifestieren. Welche Verhaltensweise zeigen, dass eine Person sich an einen Ort gebunden fühlt? Dieser Ort ist schließlich die dritte Dimension in dem Konzept. Hier geht es um die Frage, zu was sich die Person hingezogen fühlt, welche Bindungen sie wozu aufgebaut hat und was diesen Ort, diese Stadtteile, dieses Dorf auszeichnet. Vor dem Hintergrund von (wiederholter) räumlicher Mobilität stellt sich nun die Frage, wie sich derartige Ortsbindungen und Zugehörigkeiten zu Orten und räumlichen Settings ausgestalten. Gustafson (2001b) zeigt in seiner qualitativen Studie, dass Mobilität und Ortsbindung auf unterschiedliche Weise zusammengehen können. Indem Gustafson (2001b, 672) das begriffliche Doppel der Wurzeln und Wege (roots/routes) einführt, zeigt er, dass Orte sowohl für die Verwurzelung vor Ort als auch als Ausgangs- und Zielpunkte der Wege zwischen Orten wichtig sind. Seine Interviewees betonten in ihren Beschreibungen unterschiedliche Aspekte der Orte: Waren sie aus der Wege-Perspektive insbesondere deswegen von Bedeutung, weil das Gehen an neue Orte und das Verlassen bekannter Orte positiv konnotierte Gefühle von Mobilität und dem Kennenlernen von Neuem versprach, so waren sie aus der Wurzel-Perspektive bedeutsam, da vor Ort Gefühle der emotionalen Zugehörigkeit und der sozialen Bindung und Einbindung in Netzwerke vorlagen.87 Solche Bindungen an Orte gehen mit Grenzziehungen einher, etwa der zwischen Hier und Dort. Diese Grenzziehungen begleiten die grenzüberschreitenden Praktiken der Mobilität und lassen spezifische mentale Karten und räumliche Bil-

87

scher Perspektive findet sich bei Gustafson (2001a); für eine soziologische Fassung räumlichsozialer Bindungen z.B. Pollini (2005); zur Herstellung von place attachment unter besonderer Berücksichtigung von Zeitlichkeit (Vergangenheit und Zukunft) Milligan (1998); für die Diaspora-Forschung z.B. Deutsch (2005). Zu der Bedeutung von NachbarInnen und vor Ort wohnenden Verwandten und Freunden z.B. Mesch und Manor (1998).

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

der entstehen. So zeigt auch Nowicka (2012), dass die von ihr untersuchten hochqualifizierten MigrantInnen eine spezifische Vorstellung der (geographischen) Welt entwickelten, die auf ihrer kosmopolitanen und grenzüberschreitenden Lebensweise basiere (dazu auch Gustafson 2009). Dabei sei die Welt nicht entlang territorialer Grenzen strukturiert: Thus, the interviewees draw a kind of map of the world, which is quite different from and more complex than the nation-state order or the ethnic or cultural order, and it is indeed parallel to them. At this map, there are no borders but thresholds that mark discontinuity of practices which is due to different infrastructures. (Nowicka 2012, 12)

Für diese MigrantInnen ist die Welt nicht weniger differenziert als für andere Menschen. Aber ihre spatial imaginaries sind entlang anderer Grenzziehungen strukturiert: derjenigen der Praktiken. Wie schon in Kapitel 2 dargestellt, verlieren Orte also in einer internationalisierten, globalisierten Welt nicht an Bedeutung; die Bedeutung der Orte verändert sich, insbesondere für mobile Menschen, die sich in einem Zustand der „fixierten Instabilität“ befinden (Costas 2013, 1474, Übers. ALM).88 Wie deutlich sich dies für Menschen zeigt, die wiederholt grenzüberschreitend mobil sind, zeigen meine empirischen Daten. Für hochmobile Menschen stellt sich die Frage nach der Bindung an Orte auf besondere Weise, da sie sich zwischen vielen Orten bewegen. Meier (z.B. 2009, 2015) beschreibt dies am Beispiel deutscher Finanzmanager, wie sich diese an ihren temporären Wohn- und Arbeitsorten London und Singapur einleben und Bindungen herstellen, etwa indem sie Informationen über die Städte und bestimmte Orte darin von KollegInnen erhalten oder soziale Netzwerke aufbauen. Wie mein Interviewee Luis erlangen sie auf diese Weise Ortswissen, welches ihnen ermöglicht, Bindungen zu dem Ort, an dem sie leben, aufzubauen. Die Herkunftsund bisherigen Wohnorte und die im Verlauf der Biographie gemachten ortsbezogenen Erfahrungen sind für ein solches Einleben vor Ort und die Entwicklung spezifischer Referenzrahmen zur Einordnung des neuen Ortes von Bedeutung, wie auch Nowicka (2012, 11) herausarbeitet. Dabei finde, so die Analyse ihres Interviewmaterials, ein ständiges Abgleichen der vergangenen Erfahrungen mit den neuen Eindrücken statt, was schließlich zur Herausbildung charakteristischer räumlicher Vorstellungswelten führe (Nowicka 2012, 12).89 Unterschiedliche Infrastrukturen führen dabei dazu, dass bestimmte Praktiken (nicht) vollzogen oder anders als gewohnt vollzogen werden. Entlang dieser Grenzen des Tuns differenzieren sich die Orte aus – etwa wenn Brigitte an einem Ort problemlos das Hobby des Reitens ausüben kann oder es für Yuna in Oldenburg möglich ist, in einem Orchester Cello zu spielen, nicht aber in Mexico City. Für die HIMs beschreibt Holger diesen Referenzrahmen, der durch die Sozialisation entsteht:

88 89

Den Begriff der fixierten Instabilität entlehnt Costas dabei Sartre (1962). Zu räumlichen Vorstellungswelten s.a. Gregory (1994).

11.3 Bindungen an Orte

229

Bis vor dem Kosovo war es mein Dorf in Baden-Württemberg in der Nähe von Stuttgart. Das war also wirklich Zuhause und auch wirklich der Maßstab für alles, alle neuen Orte wurden immer an diesem Dorf gemessen. (Holger, Pos. 36)

Durch das Reisen kann, ähnlich wie Nowicka (2012) es herausarbeitet, ein neuer Referenzrahmen entstehen, der bei Holger nun durch das Kosovo gegeben ist und den ursprünglichen Referenzrahmen des Heimatdorfes zwar nicht ersetzt, aber doch deutlich modifiziert: Ich muss sagen, Kosovo war zum ersten Mal wirklich das Gefühl, dass ich irgendwo angekommen [bin], deswegen auch eben mein Drängen darauf, [dort] noch länger bleiben zu dürfen. […] In der ersten Woche sind wir auf einen Ausflug nach Belgrad gefahren, und ich kam samstagabends zurück und dachte mir: „Ach, endlich wieder zu Hause.“ Also es war wirklich klar von Anfang an, dass es das ist. […] Das Elternhaus steht noch dort [im Dorf bei Stuttgart], das wird auch immer Heimat bleiben, aber ich freue mich jetzt auch schon, in meine zweite Heimat [das Kosovo] im Sommer zurückkehren zu können und die Plätze wieder auf zusuchen zu können, die ich jetzt ein Jahr vermissen musste. (Holger, Pos. 36)

Auch wenn die von mir interviewten Personen sich als anpassungsfähig beschreiben („I am quite adaptable“ (Paola, Pos. 272)), so spielen Orte eine Rolle für sie und ihr alltägliches Leben. Sie verbringen Zeit damit, einen Ort kennenzulernen, wie Sven beschreibt: „you spend time walking around wherever you are, trying to figure out how the place ticks“ (Sven, Pos. 217). Das Gehen in der Stadt ist ein Modus, eine Stadt kennenzulernen und Wissen über sie anzueignen (Certeau 1988) – das heißt auch: um eine Bindung zu diesem Ort herzustellen und sich emotional zugehörig zu fühlen. Dieser Modus ist individuell unterschiedlich; der Austausch mit anderen, etwa Personen in ähnlichen Lebenslagen wie den Angehörigen der international community, ist dagegen ein stark kollektivierter Modus, sich eine Stadt oder einen Ort zu eigen zu machen und Bindungen aufzubauen. Bindungen im Allgemeinen und Ortsbindungen im Besonderen sind demnach Phänomene, die sowohl vom Individuum abhängig als auch auf Kollektive angewiesen sind: Zum einen nehmen einzelne Personen eine emotionale und kognitive Bedeutungszuschreibung vor – bezogen auf andere Menschen, bezogen auf ein Land, bezogen auf Orte oder Objekte: Sie binden sich an etwas. Gleichzeitig finden kollektive Einbettungen statt: Man sieht Gemeinsamkeiten zu anderen, die sich ebenfalls zu einem Land oder einer Stadt oder einem Objekt hingezogen fühlen. Es kommt zu Gefühlen der Solidarität und der Gemeinschaft, die der Bindung eine kollektive Dimension geben. Dieses Eingebunden-Sein lässt sich mit dem Konzept des belonging fassen. Wenn diese emotionale Zugehörigkeit einen Ort beinhaltet und dieser Ort konstitutiv für die Zugehörigkeit ist, lässt sich von place attachment, von Ortsbindung, sprechen. Der Ort selbst verwandelt sich in diesem Prozess zu einer Lokalität, die über die Raumkonstitutionen, emotionalen Bindungen und geographischen Qualitäten des Ortes hergestellt wird. Ortsbindung bedeutet also nicht nur, einen Ort zu mögen und gerne dort zu leben. Vielmehr bedeutet es ein Zusammenspiel von Menschen, Emotionen und Orten.

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Aus stadtgeographischer Sicht sind jene Aussagen der HIMs besonders fruchtbar für die Analyse, in denen bestimmten Städten das Potential zugewiesen wird, dass soziale Beziehungen vor Ort auf stadtspezifische Weise ausgestaltet sind, und in denen sie sich selbst einem bestimmten Stadttypus zuordnen und damit (auch) ihre Migrationsentscheidungen begründen. Städte scheinen dabei für das Bleiben wichtiger als für das Hingehen. Städte mit ihren eigenen Dynamiken bewirken außerdem auch eigene Dynamiken der sozialen Beziehungen in diesen Städten, z.B. seien die Bindungen in Metropolen wie New York aufgrund der Dynamik der Stadt (Schnelllebigkeit) weniger stabil als in Kleinstädten – man würde schneller Bindungen aufbauen, aber auch schneller verlieren; Genf als „Durchgangsstation“ geht mit der Wahrnehmung von oberflächlichen sozialen Beziehungen einher; die Integration in soziale Netzwerke vor Ort findet u.a. durch gemeinsame Bezüge zum Heimatland (man kennt wen, der wen kennt,…) oder über gemeinsame oder ähnliche kulturell-nationale Prägungen statt; die Anwesenheit von Menschen vor Ort erzeugt eine Bindung, die als „Fesselung“, aber auch als „Verankerung“ beschrieben wird. Insgesamt aber spielt das Ortswissen – das knowing a place – die entscheidende Rolle für die Bindung an Orte. Es geht damit einher, Dinge wiederzuerkennen; in Löws Terminologie bedeutet dies: ihnen im Zuge der Syntheseleistung Bedeutung zuzuschreiben und in die Raumkonstitution zu integrieren. In den Städten, in denen die Interviewees leben, sind es nie die gesamten Städte, die für sie von Bedeutung sind; vielmehr sind es Orte in diesen Städten, Straßenzüge, Plätze, Einrichtungen, zu denen sie eine Beziehung aufbauen und die dann für ihr Gefühl des place attachment zentral sind. Ryan beschreibt es so: I can’t like claim to knowing large large parts of either of those cities, so my neighborhood in [the Canadian metropolis] was really dear to me, it was a wonderful place, and an island of affordability in a very expensive city , and that was really, really wonderful, it felt like a life sustaining sort of place in some ways and that was really wonderfull, very similarly the neighborhood that I lived in in [the US-american metropolis], it was very cheap and wonderfully diverse and really exciting, a really nice place to live [in]. (Ryan, Pos. 211)

Auf die Frage, was diese Orte so besonders und eindrücklich gemacht habe, ergänzt Ryan: Really cheap amazing food, really interesting community, it was an almost entirely Mexican community and it was very stable even though it was gentrifying and has sort of a really rich heritage of art and businesses. [The other neighbourhood I lived in] was similarly really inte resting in that way, it was immigrant heavy neighborhood, with immigrant groups that I was not even used to seeing around, like there was a large group of Tibetans and Nepalese [...] so it was a very interesting place that way, still roughly close to the other parts, the more expensive gentrified parts of the city, but still quite cheap. (Ryan, Pos. 212–213)

Auffällig ist hier, wie stark die Beschreibung dieser von Ryan so emphatisch beschrieben und idealisierten Stadtteile an Floridas (z.B. 2002, 2005, 2008) Darstellung der Anforderungen der creative class an den urbanen Raum erinnert. Berücksichtigt man Ryans Hintergrund als Teil einer Bildungselite mit hohem kulturellem Kapital, verwundert es nicht mehr so sehr; allerdings ist die Übereinstimmung

11.3 Bindungen an Orte

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zwischen Ryans Aussagen und Floridas Beschreibungen doch bemerkenswert und verweist auf den Gehalt der empirischen Beobachtungen Floridas. Wenn HIMs an einen neuen Ort ziehen und wie Ryan ihr vertrautes Quartier verlassen und sich in einer neuen Stadt einleben, tun sie dies nicht ziellos. Vielmehr werden dezidiert bestimmte Orte aufgesucht, wie es exemplarisch Lisa für ihre Ortswechsel beschreibt. Grund dafür ist ein Erfahrungswissen, das sie sich über die Zeit angeeignet und in eine Praktik des Herstellens einer Ortsbindung überführt hat: Das ist zum Beispiel auch [so], wenn ich in eine neue Stadt fahre, [dann] ist eigentlich das erste, was ich mache, nach Plattenläden zu suchen. Weil normalerweise die Plattenläden in den Gegenden sind, in denen auch gute Cafés sind und gute Bars sind, die man vielleicht nicht un bedingt im Touristenführer findet. Also es ist eigentlich eine gute, eine nette Art, neue Städte zu erkunden. (Lisa, Pos. 48)

Die hier anklingende Abgrenzung des eigenen Ortswissens von dem angeleiteten Wissen der TouristInnen ist in einigen Interviews zu finden. So ist Luis überzeugt davon, dass das, was er „Touristenfalle“ nennt, eine Komfortzone ist: Sich an den Orten aufzuhalten, an denen andere, die die Stadt wenig kennen, sich bewegen, führt einem die eigene Fremdheit mit dem Wohn- und Arbeitsort weniger vor Augen (Luis, Pos. 436–438). Sich aus dieser Komfortzone hinaus zu bewegen und sich von den Orten der TouristInnen und/oder ihren Praktiken, Rhythmen und räumlichen Bezugspunkten abzugrenzen, ist für Luis Teil der Herstellung des place attachment als – zumindest temporärer – Stadtbürger: You go to the museum the days that [there] are no tourists because you can choose the day, „no, I am not gonna go on a Sunday to this place, it’s gonna be full of tourists, I’m gonna go on Monday“. (Luis, Pos. 432–434)

Sich gerade nicht wie eine Touristin fühlen zu wollen, kann auch ein Grund sein, bestimmte Orte in einer Stadt nicht aufzusuchen: „Es gibt ja so tolle Kaffeehäuser in Wien, aber ich fühle mich immer wie ein Tourist“ (Silja, Pos. 32). Die alternative Strategie von Luis, einen zeitlich anderen Rhythmus als die TouristInnen zu nehmen, wendet aber auch Silja in besonderen Fällen an, wenn sie ihre Lieblingsbar nur zu den Zeiten besucht, wenn dort keine TouristInnen sind (Silja, Pos. 35–36). Das Ortswissen, das die StadtbewohnerInnen von den TouristInnen und temporären BesucherInnen unterscheidet, ist wichtig, um sich vor Ort zuhause zu fühlen und eine Ortsbindung aufzubauen: „knowing the places makes you feel at home, the fact you go out and you know where to go.“ (Paola, Pos. 280) Dieses auch an implizites Körperwissen gekoppelte Wissen ist schon zur Sprache gekommen, als es um die Raumkonstitutionen ging, welche vor Ort vollzogen werden. Damit wird die enge Verbindung von Raum und Ortsbindung noch einmal deutlich, die sich mit dem Konzept der locality fassen lässt. Trotz hoher Mobilität und Globalisierung existieren demnach Bindungen an Orte und vor Ort; sie weisen eine psychisch-emotionale, eine soziale, eine objektbezogene und eine territoriale Dimension auf. Bevor ich mich damit befasse, wie sich derartige Ortsbindungen

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

ausformen, wenn, wie im Fall der HIMs, mehrere Orte beteiligt sind und plurilokale Bezüge entstehen, werde ich in einem Exkurs die Frage nach der Integration vor Ort adressieren. 11.4 Exkurs: Integration vor Ort Soziale Bindungen vor Ort lassen sich auch in ihrem gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachten und betreffen dann Fragen der Integration. Integration verstehe ich hier als Teilhabe an unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, beispielsweise dem Arbeitsmarkt, der Bildung oder der Politik. Die Frage nach der (Des-)Integration vor Ort wird häufig von den HIMs thematisiert. Die HIMs erleben dabei in unterschiedlichen Kontexten eine Teilhabe an der lokalen Gesellschaft, etwa über die eigenen Kinder oder die ArbeitskollegInnen, aber auch an Subgruppen wie der lokalen international community. Gleichzeitig gibt es auch Erfahrungen der Desintegration, welche sowohl selbstgewählt als auch als von außen erzwungen empfunden werden. Daran wird deutlich, dass es sich bei der Frage nach der Integration immer auch um Fragen der Perspektive (Mehrheitsgesellschaft vs. ImmigrantIn) und der politischen Fassung etwa der Integrationsbereitschaft (HIMs vs. Flüchtlinge) geht. Die beobachtbaren Formen der Inklusion und Exklusion lassen sich dabei nicht eindeutig entlang sozialer Status beobachten. Zwar erscheint es auf den ersten Blick so, als sei Integration vor Ort leichter, wenn Kinder in der Familie sind, die vor Ort in das Sozialleben eingebunden sind. Die Interviewees beschreiben dies in einigen Fällen auch als stärkere Form der Integration in die Mehrheitsgesellschaft im Vergleich zu der Zeit davor. Auf einen zweiten Blick zeigen die in den Interviews beschriebenen Erlebnisse und Praktiken des Lebens vor Ort allerdings, dass eine solche Integration in erster Linie funktional ist und keine soziale Teilhabe außerdem des Kontextes Schule oder Kindergarten bedeuten muss.90 Integration und Desintegration sind demnach vielmehr individuelle Angelegenheiten, die unterschiedliche Personen am selben Ort auf je eigene Weise erfahren. Allerdings, und dies ist für eine relationale Perspektive interessant, unterscheiden sich auch die Erfahrungen, die dieselbe Person an unterschiedlichen Orten macht – es scheinen hier also auch ortsspezifische Merkmale vorzuliegen, die Integration ermöglichen oder behindern. Schließlich ist drittens immer auch die Migrationsbiographie der einzelnen Personen zu berücksichtigen; je nach Erfahrung und persönlicher, beruflicher oder familiärer Situation kann die Haltung der HIMs zu Fragen der Integration vor Ort unterschiedlich sein. Integration lässt sich vor Ort in unterschiedlichen Bereichen beobachten und wird durch verschiedene Aspekte beeinflusst: der Sprache, der Lebenshaltung, dem 90

Mein Dank gilt hier der instruktiven Diskussion mit Michael Flitner und Roland Lippuner während eines Vortrages zu diesem Thema im Rahmen der Vortragsreihe 2018 der Bremer Geographischen Gesellschaft.

11.4 Exkurs: Integration vor Ort

233

Glauben oder der Hautfarbe. Während Sprache von allen Interviewees als Differenzierungsmerkmal erfahren wird, spielen Lebenshaltung, Glauben oder Hautfarbe für diejenigen, die in anderen Kulturkreisen leben oder gelebt haben, eine Rolle. Insbesondere die Interviewees Rieke, Brigitte, Lola und Holger, die von Europa nach Afrika gegangen sind, erleben Desintegrations- und Exklusionserfahrungen, die mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, Religionszugehörigkeit oder Hautfarben zu tun haben. Rieke beschreibt ihre Desintegrationserfahrung als einschneidend: Ein Punkt, warum es nicht geht, ist, […] weil ich weiß bin. […] Für die war man immer ein Europäer, reich, nicht gläubig, weil wir damals nicht verheiratet waren. (Rieke, Pos. 12)

In dieser Beschreibung der Erfahrung dient die „weiße“ Hautfarbe als Chiffre für einen anderen Lebensstil. Nach einer Zeit „geht es“ für Rieke „nich“, dort länger zu leben; zu sehr konfligiert ihre Vorstellung, vor Ort genauso wie alle anderen zu leben („habe mit denen Mittagspause gemacht, habe die gleichen Schichten [gearbeitet], wollte auch nicht mehr Geld haben“ (Rieke, Pos. 12)), mit den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft, die ihren Lebensstil befremdlich finden. Nicht nur sind Rieke und ihr Mann nicht verheiratet; sondern sie leben ihren Lebensstil auch vor Ort so wie in ihrem Herkunftsland: Ein Thema war zum Beispiel, weswegen wir fast nicht anerkannt worden sind, dass wir keine Putzfrau hatten. Da habe ich so gesagt, „ja du, ich bin den ganzen Tag zu Hause“, hat ja 7 Monate gedauert [bis ich arbeiten durfte]. […] Und dann meinten sie ja, ob wir zu geizig wären und jemandem keinen Arbeitsplatz geben wollen. […] Und dann habe ich versucht, denen zu erklären, dass bei uns gar keiner eine Putzfrau hat. Oder eine Nanny. Wir sind richtig gemobbt worden von der Nachbarschaft. […] Aber richtig fies mit Drohungen und Tür eintreten, […] weil er nicht wollte, dass Weiße da in dem Haus [wohnen] und Ausländer und schon gar nicht Unverheiratete. (Rieke, Pos. 12)

Hier fallen verschiedene Dinge zusammen, die ein gemeines Zusammenleben unterschiedlicher Menschen vor Ort und damit eine soziale Integration erschweren oder unmöglich machen: Rieke und ihr Mann leben unverheiratet zusammen, was mit den lokalen Wertvorstellungen nicht übereinstimmt; sie führen ihren gewohnten Lebensstil fort, der beinhaltet, dass sie keine Putzfrau anstellen möchten – dies konfligiert mit den lokalen Vorstellungen von sozialen und ökonomischen Beziehungen; sie haben eine helle Hautfarbe und sind als Ausländer damit erkennbar anders als die Mehrheitsbevölkerung vor Ort. Damit irritieren sie mit ihrem Aussehen, ihrer Herkunft und ihrer Lebensweise die autochthone Bevölkerung, treffen auf Vorurteile und erleben das alltägliche Leben deutlich anders als zuvor imaginiert. Auf den ersten Blick wird hier der Integrationswille der ImmigrantInnen von der Aufnahmegesellschaft abgewehrt und eine Inklusion somit von außen verhindert. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass der Integrationswille durch das Beibehalten eines spezifischen Lebensstils eingeschränkt wird und so auch eine Selbst-Exklusion durch die beiden ProtagonistInnen vollzogen wird. Dies führt allerdings nicht zu einer Selbst-Inklusion in die international community, von der sie sich im Gegenteil ebenfalls deutlich abgrenzen; vielmehr entscheiden Rieke

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

und Holger nach einer Zeit, ihre Zeit in Afrika zu beenden und nach Europa zurückzukehren. Dass die Tatsache, als Ausländer erkannt zu werden, auch positiv gerahmt werden kann, beschreibt Holger für seine Zeit im Kosovo. Als Ausländer wurde er als Außenstehender wahrgenommen, der nicht in den Kosovokrieg involviert war. Dies hatte für ihn positive Folgen, da er den Kosovo dadurch anders erleben konnte: Und das fand ich sehr, sehr schön, und ich habe jetzt natürlich diese oberflächlich osmanische Welt, wie ich sie aus den Ivo Andric-Romanen kannte, so nachzuleben [versucht], halt ohne in diesen negativen Seiten hineingezogen zu werden. Weil man dann doch Außenseiter war, verschiedene Freiheiten natürlich hatte, auch in diese ganzen Konflikte und Neid-Geschichten nicht reingezogen wurde und natürlich auch nicht diesen Ballast der 90er Jahre hatte und man eben auch noch anders gesehen wurde. (Holger, Pos. 18)

Als Ausländer ist und bleibt er der Fremde, welches Vor- und Nachteile bringt sich bringt: Er ist nicht vollständig Teil der Gesellschaft, ist dadurch aber auch nicht Teil ihrer Geschichte, sondern wird als neutrales Mitglied wahrgenommen, von dem keine politische und/oder normative Positionierung erwartet wird. Neben diesem Konglomerat an Momenten, die eine Integration erschweren oder verhindern können, tritt zusätzlich die Sprache als bedeutsames Werkzeug der (Nicht-)Teilhabe vor Ort. Sie erschwert insbesondere dort die Integration, wo sie nicht oder nicht fließend gesprochen wird. Allerdings wird die Sprache auch in den Kontexten, in denen vermeintlich dieselbe Sprache gesprochen wird, thematisiert, etwa von Ryan: Er als Kanadier spricht Englisch, ebenso wie die Menschen in seinem aktuellen Wohn- und Arbeitsort in Großbritannien. Aber: [This town] is still a pretty foreign place to me, I can get along with my colleagues very well and I’ve started to feel quite at home at work and I’m comfortable in the city here after a bit more than a year. It’s still a very different place, it’s very working class here and the regional accent feels quite foreign to me, but still I can understand people for sure, but I don’t have as easy a time joking around with people in the way that I could at home or in the US either one, so it still feels foreign. (Ryan, Pos. 148–152)

Der „regionale Akzent“ erschwert es ihm allerdings, sich auch in der Sprache zuhause zu fühlen, wie es an der Beschreibung seiner Schwierigkeiten, „mit Menschen rumzublödeln“, zum Ausdruck kommt. Ähnliches beschreiben auch die Interviewees, die wie Dora als in Deutschland aufgewachsene deutsche Muttersprachlerin in der deutschsprachigen Schweiz leben. Die Differenzen zwischen den gesprochenen Sprachen treten häufig erst im Verlauf des Lebens vor Ort in den Vordergrund und werden zu Markern für andere Formen der Differenzen, etwa in der Art des alltäglichen Umgangs miteinander oder des beruflichen Arbeitens. So beschreibt Brigitte, wie sie nach ihrem Umzug ins schweizerische Bern aufgefordert wurde, „langsamer zu arbeiten“ (Brigitte, Pos. 184), und bringt dies damit zusammen, dass die SchweizerInnen auch langsamer sprechen würden als sie als

11.4 Exkurs: Integration vor Ort

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Deutsche (Brigitte, Pos. 182).91 Die Sprache dient ihr im Interview als Indikator für die verschiedenen Unterschiede zwischen ihr und „den Schweizern“ und auch für die Vorurteile, die auf Seiten der SchweizerInnen ihr (und allgemein den Deutschen) gegenüber bestünden, etwa dass sie „arrogant und eingebildet“ seien (Brigitte, Pos. 176). Die Sprache als etwas vermeintlich Natürliches wird hier dafür verwendet, bestimmte kulturelle Eigenschaften, die sie wahrnimmt, zu naturalisieren und einen spezifischen Typus des Schweizers und der Deutschen zu konstituieren. Dies hilft ihr letztlich auch, ihre Erfahrungen der Inklusion und Exklusion zu erklären, indem sie sie auf spezifische, als natürlich gerahmte Verhaltensweisen insbesondere der Aufnahmegesellschaft zurückführt.92 Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass Integration ein komplexes Feld ist, dem Prozesse sowohl der Selbst- als auch der Fremd-Inklusion und -Exklusion zugrunde liegen. Dabei ist es in der Tat nicht so, dass die HIMs alle darauf zielen, Teil der lokalen Gemeinschaft zu werden. So beschreibt François, dass die Ambitionen und das Engagement von ihm und seiner Partnerin, stärkeren Kontakt zu den Einheimischen etwa über das Erlernen der niederländischen Sprache zu bekommen, begrenzt sind: The fact that we don’t know the language, we don’t even live in Leiden, we live in a small village close [by] because that’s what we wanted, all that combined makes the integration much more difficult, but we know the reasons and we are not fighting against that, because also we know that it’s for a short period of time, we don’t want to make the effort to learn Dutch which is useful here and that’s all. (François, Pos. 220)

Ähnlich sieht es Dieter: Denn da muss man auch mal sagen, wenn man selber expat ist, merkt man, man will sich auch nicht in alles integrieren. (Dieter, Pos. 38)

Während es für François gerade auch die zeitliche Begrenzung seines Aufenthaltes ist, die seinen Integrationswillen einschränkt, macht Dieter deutlich, dass er nicht bereit ist, sich an alle Gepflogenheiten und lokalen Lebensweisen anzupassen und sich „in alles zu integrieren“. Eine Assimilation lehnt er damit ebenso ab wie eine Integration in alle Teilbereiche der Gesellschaft – seine Integration in den Arbeitsmarkt ist für ihn ausreichend, und mit seinem Leben in seinem sozialräumlich segregierten Stadtteil der international community ist er zwar zusätzlich in einen weiteren Bereich integriert, dieser stellt allerdings eine eigene, der Mehrheitsgesellschaft äußerliche Subkultur dar. 91

92

In den Interviews mit denjenigen, die Umzüge von Deutschland in die Schweiz erlebt haben, finden sich sehr differenzierte Beschreibungen der regionalen Unterschiede in der Schweiz, welche sich nicht nur sprachlich, sondern auch in den Arbeitspraktiken und Umgangsweisen zeigen würden. Auf diese Binnendifferenzierungen gehe ich an dieser Stelle nicht ein, sondern weise lediglich darauf hin, dass die Forderung des langsameren Arbeitens in Bern formuliert wurde. Diese Konstruktionen des Anderen lassen sich auch mit Anderson (1991) als imagined communities fassen.

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Die Beispiele von François und Dieter sind in politisch-normativer Hinsicht ein Hinweis auf den unterschiedlich wahrgenommenen und problematisierten Integrationswillen von MigrantInnen: Der weiße hochqualifizierte EU-Bürger François wird ob seiner fehlenden Integrationsbereitschaft nicht mit Sanktionen zu rechnen haben, weder rechtlich noch diskursiv; von ihm wird derzeit auch kein Sprach- oder Integrationskurs verlangt, um vor Ort bleiben zu können. Dieter wird möglicherweise bei einem Bäcker sozial sanktioniert, wenn er nicht auf niederländisch bestellen kann, aber ob einer möglicherweise fehlenden Integrationsbereitschaft nicht rechtlich sanktioniert. Anders ist dies etwa im Fall Geflüchteter aus Ländern des Globalen Südens, deren – oft auch visuell sichtbare – Anwesenheit diskursiv immer mit Fragen nach ihrer Integrationsbereitschaft verbunden werden. Schließlich ist das Thema Kinder ein wichtiges in den Narrationen der HIMs. Auf den ersten Blick erwecken diejenigen unter ihnen, die Kinder haben, in ihren Erzählungen den Eindruck, als sei Integration ab dem Moment, an dem man über seine Kinder in eine kinderspezifische Infrastruktur eingebettet sei, sehr viel leichter möglich. Dieter beschreibt, wie seine sportlichen und die musischen Aktivitäten seiner Frau nun über die Schule der Kinder realisiert werden: Hier spielen wir jetzt halt sozusagen in der Elternvereinigung der Schule. Da haben wir so ein Programm, wo halt Sport angeboten wird, und da spiele ich jetzt auch [Volleyball], und auch einen Chor haben wir da und so, das ist also schon in Ordnung. (Dieter, Pos. 20)

Die Perspektive der – kinderlosen – Sarah auf die Integration vor Ort ist interessant, da sie eine weitere Sicht darstellt: Sie ist weder Einheimische mit Kindern noch Migrantin mit Kind(ern), sondern beobachtet als Migrantin ohne Kind(er) das Leben ihrer internationalen KollegInnen. 93 Ihrer Ansicht nach erleichtern Kinder eine Teilhabe am Leben vor Ort deutlich: I think it’s easier to integrate if you have kids because you’re forced to, and dogs, too, because you just meet people in the park and you chat to them, so you feel more relaxed even if you don’t necessarily have more contact, you have [contact]. (Sarah, Pos. 136)

Ihr geht es dabei insbesondere um die Interaktion als solche – ihr Satz „even if you don’t necessarily have more contact, you have contact“ lässt sich so verstehen, dass die Begegnung mit Einheimischen und der small talk, sei es beim Abholen der Kinder vom Kindergarten oder beim Gassi gehen mit dem Hund, der sozialen Isolation entgegenwirken, ein Gefühl, das eine wiederholt umziehende, vor Ort allein lebende Frau haben kann. Ihr geht es dabei weniger um eine Teilhabe, welche über Kinder oder Hunde möglich sei, sondern um eine Vorstufe dazu: um Kontakt. Im Sinn der Kontakthypothese (Allport 1954) könnte man hier argumentieren, dass derartige alltägliche Interaktion insbesondere auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft Vorurteile gegenüber den MigrantInnen abbauen und eine Grundlage für soziale Teilhabe darstellen kann. Allerdings geht es Sarah hier um basalere Aspekte auf der 93

Für die Perspektive der Kinder und Jugendlichen, die als in expat communities leben, s. die ethnographische Arbeit von Sander (2016).

11.4 Exkurs: Integration vor Ort

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Mikroebene: um das individuelle Bedürfnis, in der Fremde mit Menschen in Kontakt zu treten, mit denen man etwas gemeinsam hat, ohne für eine solche Kontaktaufnahme größeren Aufwand betreiben zu müssen, etwa indem man in einen Verein eintritt. Aus ihrer Außenwahrnehmung gelingt dies Menschen mit Kindern leichter als Menschen ohne Kinder. Aber das Leben mit Kindern in der lokalen Gemeinschaft ist nicht problemlos. Erfahrungen der gefühlten Ungleichbehandlung und damit der sozialen Exklusion werden auch hier gemacht. So beschreibt Paola, dass die Noten ihrer Kinder für Niederländisch nicht gut seien und beklagt, dass die LehrerInnen nicht berücksichtigten, dass die Kinder nicht in einem muttersprachlichen Haushalt aufwachsen würden: Sometimes they [the kids, ALM] don’t get good Dutch marks, and they [the Dutch teachers, ALM] don’t take into consideration that they don’t speak Dutch at home, but ok, but of course you know yourself you need to make an extra effort. (Paola, Pos. 453–455)

Auch wenn sie sich selbst hier in der Verantwortung sieht, ihre Kinder im Spracherwerb und in der Schule zu unterstützen, so überträgt sie einen Teil der Verantwortung an die lokale Bildungseinrichtung, die nicht ausreichend den Kontext der Kinder (die italienische Muttersprache) berücksichtige und sie daher benachteilige. Dieser Beschreibung wohnt ein Paradox inne: Die Tatsache, dass die Kinder schlechtere Noten bekommen, verweist zunächst darauf, dass sie genauso behandelt werden wie die niederländischen Kinder. Damit sind sie in den Teilbereich Bildung funktional integriert. Die von Paola beschriebene Ungleichbehandlung verweist auf eine subjektiv wahrgenommene Desintegration der Kinder, welche von der Mehrheitsgesellschaft, repräsentiert durch die niederländischen LehrerInnen, vollzogen wird. Schließlich ist die Integration über die Kinder unterschiedlichen Ländern auf unterschiedliche Weise möglich. So beschreibt Holger seine Erfahrungen in Bosnien als alleinerziehender Vater, deren Frau und Mutter der Kinder im Ausland arbeitet, folgendermaßen: Es ist ein unglaublich kinderfreundliches Land, […] es ist kein Vergleich mit anderen südeuropäischen Länder, es ist kein Vergleich mit der arabischen Welt. Kinder haben nochmal einen ganz anderen Stellenwert dort. Das sind die Könige, also ich habe das noch nirgendwo in dem extremen Ausmaß erlebt. Natürlich hatte ich einen Bonus dann auch, alleinerziehender Vater dort zu sein, also dass ich dann also noch mehr Hilfe erfuhr. (Holger, Pos. 14)

Das Erfahren von Hilfe löst bei Holger ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit aus. Hilfe in seiner Situation als alleinerziehender Vater lässt ihn eine Integration in die Gesellschaft spüren. Holgers Narrationen seines Lebens im Kosovo sind ein Beispiel für HIMs, die keine Exklusion und damit verbundene Desintegration aufgrund ihrer Nationalität oder Sprache erfahren; hieran zeigt sich auch ihre privilegierte Situation vor Ort. Holger beschreibt vielmehr den Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft als sehr positiv und erlebt die Menschen als sehr aufgeschlossen; seine Beschreibungen sind

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allerdings auch sehr stark von seinen positiven Emotionen gegenüber dem Kosovo geprägt, wie an anderer Stelle schon deutlich wurde. Und es sind nicht nur die Kinder, mit deren Hilfe ihm eine Teilhabe am sozialen Leben vor Ort gelingt. Gerade auch ArbeitskollegInnen sind wichtige Bezugspunkte für sein Leben vor Ort. In folgender Beschreibung gibt es zudem eine Überlagerung dieser beiden wichtigen Gruppen, den Eltern von Nachbarskindern und den ArbeitskollegInnen: Und so habe ich eigentlich fast meine ganze Freizeit mit meinen Kollegen verbracht. […] Eine Kollegin hatte auch zwei Jungs im gleichen Alter wie meine, wir lebten alle in der Nachbar schaft, ich habe morgens den Fahrdienst gemacht, habe alle in der Nachbarschaft aufgesammelt. (Holger, Pos. 18)

Die Bedeutung von ArbeitskollegInnen ist für internationale MigrantInnen noch einmal größer als für andere ArbeitnehmerInnen, als sie sich oft in einem Umfeld bewegen, in dem möglicherweise ihre engen Familienangehörigen, aber keine langjährigen Freunde oder Menschen aus dem weiteren Familienkreis in ihrer Nähe leben. So zeigt Bahn (2015, 2109) in ihrer Studie zu hochqualifizierten internationalen ArbeitsmigrantInnen in West-Australien, dass für die Dauer des Lebens vor Ort die KollegInnen die Familie für die mobilen ArbeitnehmerInnen quasi ersetzten. Ganz ähnlich beschreibt es Dora für ihre Zeit als junge Frau in den USA, deren damaliger Freund in Deutschland lebte: „[Ich habe] mich da so gut integriert, dass ich ihn dadurch fast schon wieder ein bisschen vergessen habe.“ (Dora, Pos. 54) Damit zeigt dieses Beispiel, welche unterschiedlichen Formen von Integration oder Desintegration vor Ort je nach Perspektive der Betroffenen vorliegen und wahrgenommen werden können. Wie auch für die Zugehörigkeit vor Ort lässt sich für den Fall der lokalen Integration festhalten, dass soziale Einbettungen dafür eine zentrale Rolle spielen. In der vorliegenden Beschreibung der Integration ging es mir insbesondere um das Verhältnis von MigrantInnen und Mehrheitsgesellschaft am temporären Lebensmittelpunkt der HIMs. Hier zeigen sich verschiedene Formen der Integration, etwa über die eigenen Kinder oder die ArbeitskollegInnen, ebenso wie Modi der Desintegration. Dabei ist die Integration vor Ort eine Dimension des Lebens von Menschen, die wiederholt grenzüberschreitend umziehen. Wie sehen die örtlichen Bezüge im Leben dieser Menschen nun aus, wenn man die verschiedenen Orte, zwischen denen sie sich bewegen, berücksichtigt? 11.5 Plurilokale Bindungen Ein weiterer Aspekt der Zugehörigkeit, der mit transnationalen Beziehungen einhergeht, ist das Phänomen der Mehrfachzugehörigkeit.94 Gleichzeitigkeiten von 94

Dies betrifft nicht nur hochqualifizierte hochmobile Personen wie die ProtagonistInnen dieses Buches; auch andere Gruppen mit multilokalen Bezügen sind hiervon betroffen, wie beispielsweise Schmitz (2013) für (Spät-)AussiedlerInnen zeigt und Mecheril (2003) für türkischstämmige Jugendliche herausarbeitet. In diesen Fällen werden die Fragen der sozialen und räumli-

11.5 Plurilokale Bindungen

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unterschiedlichen Formen der Zugehörigkeit und des Verständnisses, was ein Zuhause ist und sein kann, beschreibt Heller (1995) in ihrer philosophischen Arbeit zu einer Typologie des Zuhauses. Dieses Nebeneinander von Zugehörigkeiten sei dabei, so Heller (1995, 4), charakteristisch für die Postmoderne als einer von Kontingenzen geprägten Zeit. Für verschiedene Verständnisse des Zuhauses identifiziert Heller je spezifische zeitliche und räumliche Bezüge und stellt zwei idealtypische Formen einander gegenüber: ein zentrumsbezogenes Zuhause, bewohnt von einer „geographisch monogamen Person“ (Heller 1995, 2, Übers. ALM), und ein Zuhause ohne Zentrum, bewohnt von einer „geographisch promiskuitiven“ (Heller 1995, 2, Übers. ALM) Person.95 Für letztere finde das Leben zudem in der „absoluten Gegenwart“ (Heller 1995, 2, Herv.i.O., Übers. ALM) statt, während erstere ihr Zuhause mit einem dezidierten Vergangenheits- und Zukunftsbezug konstituieren, etwa wenn sie an diesem Ort aufgewachsen sind und intendieren, dort bis zu ihrem Lebensende zu leben. Das Leben in der absoluten Gegenwart zeichne sich dagegen durch ein Jonglieren der Anforderungen unterschiedlicher Orte aus, durch welches sich die lokalen Unterschiede aber nahezu auflösten, so Heller (1995, 2): [The geographically promiscuous person] stays in the same Hilton hotel, eats the same tuna sandwich for lunch […]. She uses the same type of fax, and telephones, and computers, watches the same films, and discusses the same kind of problems with the same kind of people.

Eine frappierende Ähnlichkeit zu Baumans (1996) Beschreibung der „Touristen“, angereichert um Castells (1996) Beschreibung der Verbreitung von Informationsund Kommunikationstechnologien, liegt hier vor. Die Globalisierung und Transnationalisierung wirkt sich, wie sich hier zeigt, nicht nur auf sozialräumliche Beziehungen aus, sondern auch auf die damit verbundenen emotionalen Bindungen und Gefühle der Zugehörigkeit. Wie kommt dies im Leben meiner Interviewees zum Tragen? Die im vergangenen Kapitel beschriebenen Erfahrungen und Praktiken der Interviewees bezogen sich auf ein Leben vor Ort. Dabei sind das Wissen um die (potentiell) zeitliche Begrenztheit des Aufenthaltes, die transnationalen Beziehungen zu anderen Orten ebenso wie die Erfahrungen an früheren Orten Bestandteil des gegenwärtigen Lebens vor Ort. Die individuellen Erfahrungen in der Gegenwart werden allerdings auch überzeitlich und überörtlich kontextualisiert. An mehreren Orten gelebt zu haben und leben zu werden, bestehende Bindungen zu Menschen an unterschiedlichen Orten zu haben, die auch in der Zukunft Bestand haben sollen, sowie das Wissen um die eigene Situation erzeugen bei den Interviewees Ge-

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chen Zugehörigkeit in erster Linie von Erziehungs- und BildungswissenschaftlerInnen und bezüglich binationaler Bindungen untersucht. Beck (2007, z.B. 127) spricht in diesem Zusammenhang von „Ortspolygamie“, welche folgenreich für die Leben der Individuen sei: Eine solche Bindung an mehrere Orte, „die verschiedenen Welten zugehören: das ist das Einfallstor der Globalität im eigenen Leben, führt zu Globalisierung der Biographie.“ (Beck 2007, 129) Interessanterweise liegen in beiden Beschreibungen durch die verwendete Begrifflichkeit vergleichbare sexuelle Konnotierungen vor.

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

fühle der Fragmentierung. Diese Gefühle sind unterschiedlich stark ausgeprägt: Während sich Ryan geradezu „zersplittert“ fühlt und seine über ganz Kanada verstreuten Habseligkeiten dafür als Metapher verwendet, sind es bei der in den Niederlanden wohnenden Sarah die sozialen Beziehungen, die ein Gefühl der Fragmentierung verursachen und ein Gefühl des Zu-Hause-Seins verunmöglichen: I can honestly say I don’t feel at home, and because my husband is in Munich and my parents in law are in Austria, then my mom, well, she died recently, was in Birmingham, then basically I was split, and my sister was also in the UK, I was split over 4 different [countries], not fully split obviously, my main lace is here and my husband, but still there were other bits. (Sarah, Pos. 220)

Die emotionale und soziale Fragmentierung ist sowohl bei Ryan als auch bei Sarah mit der Tatsache verbunden, dass sich wichtige Bezugspunkte an anderen Orten befinden, sowohl menschliche als auch nicht-menschliche: Schallplatten, Lampen, die Schwester, der Ehemann. Die Mehrörtigkeit in der Migrationsbiographie geht in diesen Fällen mit einem Gefühl der pluralen Zugehörigkeit einher, welche insbesondere emotionaler Natur ist. In Sarahs Beschreibung ist es weniger ihre eigene Plurilokalität, sondern die der Bezugspersonen, die es ihr erschwert, sich an ihrem aktuellen Wohnort zuhause zu fühlen. Aber: Auch wenn beide bestimmte Aspekte ihres plurilokalen Lebens problematisieren, so sind sie doch reflektiert genug, um festzustellen, dass dieses Leben zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch ein selbst gewähltes ist. Beide verwenden dafür die Metapher des Kuchens, den sie anschauen, aber auch essen wollen: „I want my cake and I want to eat it: I want the mobility, but I also want [...] a base.“ (Sarah, Pos. 284–488) Ryan erklärt, warum er, auch wenn er die Mobilität auf der einen Seite erstrebenswert findet, auch die Ortsfeste möchte. Es liegt an seinem Beruf, der ihm weiterhin Mobilität ermöglichen würde: I think in some ways one of the reasons why I can fantasize so much about being in a stable place […] is because I also know that this job will allow me to travel a lot, you know, and so I get to have my cake and eat it, too. I think I would feel a lot more ambivalently about staying put if I knew that I really would be staying put, I wouldn’t get to go to conferences anymore, I wouldn’t get invited [to] places. (Ryan, Pos. 243–245)

Sein Beruf als international tätiger Wissenschaftler würde ihm eine Mobilität erlauben, auch wenn er eine feste Stelle an einem Ort hätte, an dem er dann auch für eine längere Zeit leben kann. Ohne diese Aussicht würde er, so seine Einschätzung, anders über ein ortsfestes Leben denken. Und auch Sarah empfindet das Doppel aus Mobilitätswunsch und Sehnsucht nach Ortsfeste nicht als Widerspruch: I want the mobility, but I also want to] have some sort of base, but […] I don’t think it ’s a contradiction, there’s a longer term and there’s a midterm and short term, you can still prepare for the longer term whilst having a sort of more transient existence. (Sarah, Pos. 284–288)

Anders als Ryan, der es sich derzeit sehr wünscht, nicht mehr mobil zu sein, versteht Sarah ihre derzeitige Mobilität eher als eine Durchgangsstation hin zu einem dauerhaften Leben vor Ort. Während die kurz- und die mittelfristige Perspektive

11.5 Plurilokale Bindungen

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also auf Mobilität ausgerichtet sind, ist ihre Langzeitperspektive auf Ortsfestigkeit ausgerichtet. Das räumlich plurilokale Leben der beiden wird hier von einer zeitlichen Rahmung eingefasst, mit der die Mobilität gleichsam eingehegt wird: Die Migrationsbiographie wird von Sarah in Phasen unterteilt, in denen Mobilität zwischen verschiedenen Orten und damit verbunden plurilokale Bindungen vorgesehen sind (kurz- und mittelfristig) bzw. in denen ein ortsfestes Leben und damit die Konzentration auf den Aufbau von Bindungen vor Ort angestrebt wird (langfristig). Ryan wiederum formuliert eine Biographie, in der sich die zeitlichen und räumlichen Bezüge insofern verändern, als der Zeithorizont vor Ort langfristiger, die Anzahl der kurzen räumlichen Wechsel etwa durch Konferenzreisen ähnlich bleiben oder erhöht werden soll. In beiden Fällen würden plurilokale Beziehungen aufrechterhalten werden, aber der Referenzpunkt würde sich vom jeweils nur temporär stationären Lebensort in einen langfristig stationären Lebensort verändern. Damit zeigen die beiden, die nach Baumans (1996) Terminologie zu den „Touristen“ gehören, eine andere Raum-Zeit-Beziehung als sie nicht nur Heller (1995) idealtypisch für sie formuliert, sondern auch Bauman (1998, 88, Herv.i.O.) selbst in seiner narrativen Darstellung ihrer Leben beschreibt: The shrinking of space abolishes the flow of time. The inhabitants of the first world live in a perpetual present, going through a succession of episodes hygienically insulated froom their past as well as their future. These people are constantly busy and perpetually „short of time“, since each moment of time is non-extensive – an experience identical with that of time „full of the brim“. People marooned in the opposite world are crushed under the burden of abundant, redundant and useless time they have nothing to fill with.

Sarah und Ryan leben gerade nicht in der „fortwährenden Gegenwart“, sondern stellen starke Bezüge zwischen (erlebter) Vergangenheit, (gelebter) Gegenwart und (antizipierter) Zukunft her. Diese zeitlichen Bezüge sind auch ein Interpretationsrahmen für die eigene Migrationsbiographie und tragen dazu bei, die Identität des Selbst als kohärent und zeitüberdauernd zu konstituieren. Die Erfahrung mehrerer Orte und Ortsbindungen im Verlauf der eigenen Migrationsbiographie führt allerdings auch dazu, dass die Bindung an das, was vor der Migration einmal das Zuhause war, in Frage gestellt wird. John beschreibt stellvertretend für die HIMs, dass er seiner Wahrnehmung nach nun auch eine längere Zeit der Anpassung bräuchte, um sich wieder in die lokale Gemeinschaft seines Heimatlandes und des Ortes, in dem er aufgewachsen ist, einzufügen (John, Pos. 218–219). Sven ist in dieser Hinsicht noch entschiedener: „After a while you fit in everywhere, but you don’t really feel at home.“ (Sven, Pos. 118) Dies gilt für ihn auch für den Ort, in dem er aufgewachsen ist, und es gilt auch für die Gesellschaft, in der er sozialisiert wurde. Die Erfahrung der Plurilokalität erzeugt bei den HIMs demnach eine spezifische Form der Ortsbindung: Sie entsteht schnell, wird aber auch schnell wieder gelöst, und eine vollständige Verankerung an einem Ort findet nicht statt. Vielmehr werden weniger stabile Anker an mehreren Orten gesetzt, welche insbesondere durch Menschen gehalten werden. Wenn, wie in Sarahs Fall, die Mutter in Birmingham stirbt, löst sich dieser Anker; es bleibt eine örtlich ge-

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

bundene Erinnerung. Eine in vergleichbarer Weise an den Ort gebundene Erinnerung bleibt auch von den Migrationsstationen, die die Interviewees durchlaufen und die sie positiv erinnern; sie werden zu idealisierten Momenten der eigenen Biographie, wie Granada für Luis, oder lösen den Herkunftsort als Heimatbezug nahezu ab, wie das Kosovo im Fall von Holger. Sie können auch in negativer Hinsicht idealisiert werden, wenn etwa Genf für Rieke all das vereint, was sie an einer Stadt nicht mag: die Blase der international community, die Verschlossenheit der lokalen Bevölkerung, der überteuerte Wohnungsmarkt. Damit stellen sich hier die Zeitbezüge deutlich anders dar als von Heller (1995) geschildert: Konstatiert sie für die hochmobilen Menschen ein Leben in der Gegenwart, das sich kaum durch Bezüge auf Vergangenes und Zukünftiges auszeichnet, so ist das mobile Leben der HIMs durch genau solche Bezugnahmen auf das Vergangene und Zukünftige geprägt. Erfahrungen mit vergangenen Migrationsstationen, über die Zeit entwickelte Routinen der Erkundung des neuen Ortes, die (lustvolle oder Schaudern machende) Erinnerung an die in der Vergangenheit bewohnten Städte prägen das Leben vor Ort und in der Gegenwart (dazu auch Nowicka 2006a). Das Wissen um die zeitliche Befristung des Aufenthaltes sowie in vielen Fällen der Wunsch nach zumindest längerfristiger Perspektive vor Ort bereiten den zeitlichen Horizont, vor dem sich das Handeln der Gegenwart ausgestaltet. Die HIMs leben daher vor Ort nicht ausschließlich in der Gegenwart; ihre zeitlichen Bezugsrahmen sind allerdings anders als die der ortsansässigen Bevölkerung. Und noch etwas zeichnet sie aus: eine relative Abgeklärtheit in ihrer Haltung gegenüber Ortswechseln. Diese Haltung kulminiert in der relativierenden Aussage von Rieke: „Egal, wo ich war, es ist alles genau gleich.“ (Rieke, Pos. 74) Zwar sei es nicht überall identisch, aber es lebt sich [genau gleich]. Also fast ((lacht)). [Es gibt] halt andere Sachen und andere Sachen wiederum nicht, weil man die Wetterproblematik wiederum nicht hat, aber an sich ist es überall ähnlich, das lernt man auch. (Rieke, Pos. 74)

Gesamtgesellschaftlich ist die Debatte um „Ortspolygamie“ (Beck 2007, 127) oder Ortsmonogamie auch in einen spezifischen Diskurs eingebettet. Dieser betrifft die Frage nach dem richtigen, genauer: dem normalen Leben. Als Normalitätserwartung dient hier die der Ortsfeste, und sie wird von Beck letztlich auch durch die Verwendung des negativ konnotierten Begriffs der Polygamie reproduziert. Diese Normalitätserwartung wird nach Wahrnehmung der Interviewees insbesondere von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft vor Ort formuliert. Da von vielen Interviewees das vermeintlich fehlende Zuhause allerdings auch bedauert wird, scheinen auch sie die Erwartung an ein normales Leben zu haben, dass dieses wenig und zumindest nicht dauerhaft von Mobilität geprägt sein solle. Rieke reflektiert auf bemerkenswerte Weise ihre eigene Gruppe der Hochmobilen und den Diskurs um das fehlende Zuhause als Problem. So fragt sie rhetorisch im Interview: „Stellen sich die Leute die Frage? Wo ist mein Zuhause? Oder ist man einfach zu Hause?“ (Rieke, Pos. 52) Ihre Haltung im gesamten Interview ist von einer kritischen Haltung gegenüber ihren peers innerhalb der international

11.611.5 Die Plurilokale Ortsbindungen der HIMs Bindungen

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community, aber auch gegenüber den von anderen Personen an sie herangetragenen Normalitätserwartungen geprägt. Das wird auch deutlich, wenn sie beschreibt, dass nicht sie sich die Frage nach einem Zuhause stelle, sondern andere: „Ich hab mir die Frage nie gestellt. Also sie wird mir gestellt, [aber ich] habe nicht den Anspruch an ein Zuhause. Oder ich stelle mir die Frage eigentlich nicht.“ (Rieke, Pos. 50) An verschiedenen Stellen im Interview spricht sie davon, dass an sie die Erwartung herangetragen wurde und wird, sesshaft zu werden – eine Vorstellung, die ihr missfällt, die sie derzeit allerdings unter Verweis auf ihre Kinder in Betracht zieht, für die sie sich wünscht, dass sie selbst gewählt mobil sein können, aber nicht erzwungenermaßen aufgrund der Mobilitätsfreude ihrer Eltern mobil sein müssen. Dieses Beispiel zeigt erneut, in welches Netz an Relationen und Verflechtungen die HIMs vor Ort und zwischen Orten eingebettet sind. Diese Relationen sind nicht allein sozialer Art; die Orte, die Infrastrukturen vor Ort, das Wetter, die Objekte, die sie begleiten und die sie zurücklassen ebenso wie die Praktiken sind Teil dieses Gefüges. Dieses Gefüge weist schließlich spezifische zeitliche Merkmale auf. Es ist von der Vergangenheit der HIMs geprägt, von ihrer Gegenwart am aktuellen Lebensmittelpunkt, aber auch von der Zukunft, die sie imaginieren – eine Zukunft ohne Ortswechsel, eine Zukunft mit wiederkehrenden Umzügen in andere Länder oder auch eine Zukunft mit wiederkehrenden, aber deutlich kürzeren mobilen Phasen mit dem gleichzeitigen Wissen um einen dauerhaften Lebensmittelpunkt an ein und demselben Ort. Im Folgenden führe ich die zentralen Erkenntnisse zur Ortsbindung der HIMs zusammen. 11.6 Die Ortsbindungen der HIMs Die Biographien der HIMs sind von einer spezifischen Wechselbeziehung von Menschen, Räumen und Bindungen gekennzeichnet. Charakteristisch ist dabei, dass sie, wie eben gezeigt, immer multiple und plurilokale Bindungen aufweisen. Die Bindungen an den aktuellen Wohn- und Arbeitsort, an die Menschen vor Ort, aber auch an die nicht-menschlichen Akteure werden immer auch in Relation zu anderen Orten – denen, an denen man schon war, denen, an die man nie gehen möchte, denen, an die man zukünftig gehen wird oder gehen möchte – hergestellt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Identitäten, die konstituiert werden, wie ich in den folgenden Kapiteln 12 und 13 zeige. Becks (2007) Konzept der „Mehrörtigkeit“, welches er für transmigrantisch lebende Personen entwickelt, ist auch für den vorliegenden Fall instruktiv, da es Identitäten an Orte koppelt: Die Orte [werden] zu erneuerten Gelegenheiten, besondere Seiten des Selbst aufzudecken und zu erproben. Inwieweit ist der Ort „mein Ort“ und „mein Ort“ mein eigenes Leben? Wie sind die verschiedenen Orte – nach der imaginären Landkarte „meiner Welt“ - aufeinander bezogen, und in welchem Sinn sind sie „signifikante Orte“ im Längsschnitt und Querschnitt des ei genen Lebens? Mehrörtigkeit heißt also […]: etwas Neues, auf das man neu-gierig sein oder werden kann, um dessen Welt-(Sicht) zu entschlüsseln. (Beck 2007, 133–34, Herv.i.O.)

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Diese „erneuerten Gelegenheiten, besondere Seiten des Selbst aufzudecken“, beschreibt John an den Beispielen eines Freundes und eines Kollegen: If you want to do something different, then you can do something different. I know people in my quarter, ALM, once you get to know them very well you realize they’ve changed their name. One very good friend, I can’t remember his first name, it was Stan or something, but he didn’t like it, and so when he came to Holland he decided he would use his middle name, Pontus, and from then on his name is Pontus. And [...] there was another guy I have to work with here, where his wife calls him one name and he’s known as somebody else, I don’t know what his name actually is. And so a lot of people do that, they decide to come here, „ok, it’s a new start, I’ve always wanted to have [a new name]“. (John, Pos. 131–135)

Die willentliche Änderung des Rufnamens und der Wechsel des Ortes fallen hier zusammen; das Neu-Beginnen an einem Ort wird als Gelegenheit gefasst, auch als Selbst neu zu beginnen – als Pontus. Wichtig ist, dass es hier nicht zu einem Ablegen der vorherigen Identität kommt. Vielmehr rückt ein Bestandteil der Identität in den Fokus, der bis dahin nicht im Mittelpunkt stand. Auch Dora bezeichnet ihren Umzug in die USA und den Aufenthalt dort als die Gelegenheit, etwas Anderes zu beginnen und zu leben: Naja, da war Skype und so noch nicht so groß, oder? Heute würdest du das vielleicht schon irgendwo anders noch ein bisschen kompensieren können, wenn man sich wenigstens sieht, aber das war schon so ein bisschen „aus den Augen, aus dem Sinn“, ich bin da in eine komplett neue Welt eingetaucht. Klar, die vielen Eindrücke, die du da verarbeiten musst, und allein schon die Sprache, wo du jetzt da wirklich total dich da reinknien musst, und da hast du das andere eigentlich alles so ein bisschen hinter dir gelassen und vergessen. (Dora, Pos. 54)

Was Dora hier als „das andere alles“ beschreibt, welches sie „so ein bisschen hinter sich gelassen und vergessen“ habe, sind ihr damaliger Freund und das alltägliche Leben in Deutschland. Die räumliche Distanz, die bei ihrem Umzug überwunden wird, geht mit einem Bedeutungsverlust dessen einher, was ihr vorher viel bedeutet hat – es ist „aus den Augen, aus dem Sinn“, die Bindungen sind gelöst. Das Hintersichlassen von Bezügen ist ein Weg, mit dem Wechseln von Orten umzugehen. Ein anderer ist es, Bezüge zu den verschiedenen Orten und den an anderen Orten lebenden Menschen aufrechtzuerhalten und somit ein plurilokales Leben zu führen, das durch transnationale soziale Räume gekennzeichnet ist. Dies kann allerdings emotional belastend sein, wie Sarah erklärt: What I found stressful [was] not so much the moving to one place, but the being split over dif ferent different places because you don’t know where home [is]. (Sarah, Pos. 222–224)

Die Frage nach dem Zuhause als eine letztlich unbeantwortbare zeigt sich bei vielen der interviewten Personen. Wenn HIMs darüber hinaus beschreiben, in welcher Hinsicht sie sich an welche Orte gebunden fühlten und fühlen, wird deutlich, dass es nicht nur die physisch vorhandenen Orte selbst sind, die eine Rolle spielen. Vielmehr geht es um Handlungen, die ausgeführt werden, es geht um Menschen, die getroffen werden, um Atmosphären, die wahrgenommen werden – letztlich: Es werden an diesen Or-

11.6 Die Ortsbindungen der HIMs

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ten Räume konstituiert, die die geographisch fixierbaren Lokalitäten zu erwähnenswerten Entitäten machen. Bezogen auf Orte werden Elemente aus drei Feldern genannt, deren Bedeutung ich im Verlauf dieses dritten Buchteils diskutiert habe: Es geht (1) um vor Ort vorhandene Infrastrukturen, (2) um Menschen, und (3) um zu bestimmten Zeiten und zu einem bestimmten Zeitpunkt vollziehbare Handlungen. Alle drei Bereiche sind wichtig für die Konstitution von Räumen, welche mithilfe von Praktiken vollzogen wird. So war retrospektiv die Hemingway Bar und der dort von ihm konstituierte Raum für Luis zentral für seine Bindung in und an Granada: Er lernte sie kennen, und nach einer Zeit des solitären Aufenthaltes in der Bar, während derer er las und am Computer arbeitete, begann er mit den Menschen vor Ort zu interagieren. Das Resultat: „This place becomes sort of really magic“ (Luis, Pos. 136). Hier fallen sowohl die Infrastruktur – Kneipe – als auch die Handlungen – arbeiten, mit Leuten sprechen – und die Menschen – Leute, die getroffen werden – an einem geographisch eindeutig bestimmbaren Ort zusammen. Luis ’ Handeln an diesem Ort, zusammen mit der Interaktionen mit Menschen und Objekten, lässt ihn einen Raum konstituieren, den für ihn spezifischen Raum der Kneipe. Dadurch wird die Kneipe Hemingway Bar für Luis zu einer locality im Massey’schen Sinn: die locality der Hemingway Bar. Für Dora ist ein bestimmter Strand in den Florida Keys eine vergleichbare locality. Hier verbringt sie mit ArbeitskollegInnen ihre Freizeit, picknickt und badet. Diese Beispiele zeigen, dass es sich bei Bindungen an Orte nie um ganze Städte handelt; vielmehr sind es spezifische Plätze, an denen localities hergestellt werden, welche die Bindung an Orte ausmachen. Diese Orte sind unverwechselbar, und an ihnen werden Räume konstituiert. In seinem Buch Kunst des Handelns formuliert de Certeau (1988, 218, Herv.i.O.) diesen Unterschied zwischen Orten und Räumen folgendermaßen: Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. […] Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht.

Orte lassen sich, de Certeau folgend, als zumindest temporär stabile, eindeutig identifizierbare Plätze definieren, mit oder, wie ich vorschlage, an denen durch das (menschliche) Handeln in der Zeit Räume hergestellt werden. Am Strand als Ort entsteht so ein Raum der Freizeit, der durch spezifische Handlungen – mit FreundInnen hinfahren, die Lebensmittel für das Picknick auspacken, die Handtücher auf dem Sand auslegen, im Meer baden, sich unterhalten, essen und trinken, bei aufziehender Dunkelheit Windlichter anzünden etc. – hergestellt wird. Räume und Lokalitäten sind damit spezifische Weisen, Bindungen an Orte(n) herzustellen. Für die HIMs lassen sich spezifische zeitliche und räumliche Bezüge identifizieren, die ihre Ortsbindungen für die charakteristisch machen. Hierzu gehören insbesondere das Wissen um die potentielle Begrenztheit des Aufenthaltes vor Ort und die plurilokalen Bezüge, die die Personen aufgrund ihrer Migrationsbiographien aufweisen.

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11 Ortsbindungen als Bindungen an Orte(n)

Die Relationen von Menschen und Orten, die ich in diesem Teil des Buches in den Blick genommen habe und die immer um den Ort als Bezugspunkt kreisten, zeigen zudem, dass die in den beiden vorherigen Teil dieses Buches behandelten Themenschwerpunkte – Mobilität und Objekte – nicht von den Orten getrennt werden können und die Orte nicht von ihnen. Weder sind mobile Menschen Solitäre, noch sind es noch Objekte oder Orte. Vielmehr fügen sie sich vor Ort zusammen, wenn die HIMs Lokalitäten konstituieren, und werden so für das Leben der HIMs und, so möchte ich ausblickend formulieren, für das Leben fast aller Menschen bedeutsam. Da es in diesem Buch um die HIMs geht, werde ich die Erkenntnisse der drei Themenbereiche nun zusammenführen und skizzieren, wie hochmobile Menschen mit ihren Objekten und spezifischen Ortsbezügen eine verflochtene Identität als HIMs entwickeln. Dazu gehören im Kern das Balancieren zwischen Hier und Dort, das Aushalten von Distanz und Nähe sowie das Verhandeln von Wünschen und Notwendigkeiten.

Verflochtene Identitäten

12 Verflochtene Identitäten

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, wie die hochqualifizierten internationalen MigrantInnen mit Objekten und Orten verbunden sind. Aus diesen Verbindungen entsteht das, was ich verflochtene Identitäten nennen möchte. Diese verflochtenen Identitäten werden im Verlauf der Migrationsbiographien stetig rekonfiguriert; diese Rekonfiguration ist ein typisches Merkmal von Subjektidentitäten in der Spätmoderne. Für die HIMs lässt sich aufgrund ihres plurilokalen Lebens und ihrer Einbettung in transnationale soziale Räume dabei eine spezifische Ausformung ihrer Identitäten konstatieren: Ihre Identitäten werden immer in Bezug auf vergangene, aktuelle und mögliche zukünftige Orte und vor dem Hintergrund einer potentiell dauerhaften Mobilität konstituiert. Objekte tragen in diesen Migrationsbiographien zu einer Stabilisierung der Identitäten über den Zeitverlauf und über räumliche Distanzen hinweg bei. Darüber hinaus entwickeln die HIMs spezifische Strategien des Balancierens zwischen Hier und Dort und etablieren charakteristische Praktiken des Bewegens zwischen Orten und der Verankerung an Orten. Diesen Strategien und Praktiken gilt es in diesem Kapitel noch einmal dezidiert nachzugehen, um die verflochtenen Identitäten der HIMs zu identifizieren und zu kontextualisieren. 12.1 Identitäten in der Spätmoderne Im Zuge des cultural turn setzte sich in den Sozialwissenschaften auch ein stärker prozessuales Verständnis von Identität durch. An die Stelle eines Verständnisses der Identität als einmal konstituiert und über den Lebenslauf unveränderlich trat ein Konzept von Identität, das diese als dynamisch und wandelbar versteht (Lossau 2014, 29). Grundsätzlich bedeutsam für die Konstitution von Identität ist die Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Anderen. Dies bedeutet, dass die Entwicklung einer personalen Identität über Ausgrenzungs- und Einschließungsmechanismen vor sich geht (Jackson 2005, 393). Dabei gibt es zunächst Selbstzuordnungen, die auf der Grundlage der Kategorien Alter, Gender oder ethnische und kulturelle Herkunft vorgenommen werden. Hinzu kommt die soziale Herkunft – das, was sich auch als Klassen- oder Schichtzugehörigkeit fassen lässt. Zudem spie-

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12 Verflochtene Identitäten

len Wertvorstellungen, Vorlieben und Interessen ebenso eine Rolle wie die eigene Lebenserfahrung und Biographie. So tragen ein bestimmtes Hobby oder die Musikvorlieben genauso zur Identitätsbildung bei wie die während der Sozialisation erworbenen Selbstverständnisse und (Wert-)Vorstellungen und führen auch dazu, dass sich die Einzelnen spezifischen Subkulturen oder Lebensstilen zugehörig fühlen. Dabei sind personale Identitäten immer mit kollektiven Identitäten verbunden: Nicht nur die nationale oder regionale Identität spielt hier für die individuelle Identitätskonstitution eine Rolle, auch die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder zu einer bestimmten Generation sind für die Herausbildung der Identität bedeutsam (Stichwort: Nachkriegsgeneration, die sogenannte Generation X (Coupland 1991)). Hier geht es nicht nur um Selbstzuschreibungen und Selbstverortungen innerhalb von Gruppen oder Subkulturen; vielmehr spielen auch Fremdzuschreibungen eine wichtige Rolle für das eigene Selbstverständnis als jemand. Die Antwort auf die Frage „Wer bist Du?“ (von Precht (2007) ergänzt um den Beisatz „und wenn ja, wie viele?“) beinhaltet demnach viele, oft auch widersprüchliche Aspekte, die erst zusammengenommen zu einem „Ich bin ...“ werden. Dieses „Ich bin ...“ befindet sich nun im biographischen Verlauf einer Person im Wandel. Dieser Wandel wird beispielsweise befördert durch die unterschiedlichen Statuspassagen, die Personen durchlaufen (Glaser und Strauss 1971) (s. auch Kapitel 5.2.2): Nach der Hochzeit ist der soziale Status als verheirateter Mann ein anderer als vor der Passage; nach dem Gefängnisaufenthalt hat sich der Status einer unbescholtenen Frau zu dem einer vorbestraften verändert. Derartige Veränderungen betreffen nicht alle Dimensionen der Identität gleichermaßen; so bleiben die individuellen Erfahrungen und Prägungen der Sozialisation dieselben, auch wenn sich der Umgang mit ihnen verändern kann. Auch die Gender-Identität bleibt in vielen Fällen in dem Sinn stabil, dass das biologische Geschlecht nicht verändert wird und die darüber diskursiv und individuell hergestellte Gender-Identität erhalten bleibt.96 Identitäten als facettenreich und prozesshaft zu verstehen ist nun insofern herausfordernd, als nicht nur gesellschaftliche Interaktion, sondern auch die Architektur eines Nationalstaates auf stabilen Identitäten basiert, etwa wenn bei der Anmeldung eines Wohnsitzes nach der Religionszugehörigkeit gefragt wird und das biologische Geschlecht und die Staatsbürgerschaft aufgenommen werden. Institutionen und Bürokratien tun sich schwer damit, mit sich verändernden Identitäten umzugehen und tendieren dazu, die personale und kollektive Identität einer Person zu essentialisieren. Dabei sei die Spätmoderne, so Giddens (1991), gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen sich der Wandelbarkeit von Identitäten bewusst seien und sie am eigenen Leib erlebten: everyone is in some sense aware of the reflexive constitution of modern social activity and the implications it has for her or his life. Self-identity for us forms a trajectory across the different institutional settings of modernity over the durée of what used to be called the „life cycle“, a 96

Die aktuellen Diskussionen um Intersexualität zeigen dabei einmal mehr, wie stark die Gender-Identität diskursiv und in den individuellen und kollektiven Praktiken verankert ist.

12.1 Identitäten in der Spätmoderne

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term which applies much more accurately to non-modern contexts than to modern ones. Each of us not only „has“, but lives a biography reflexively organised in terms of flows of social and psychological information about possible ways of life. Modernity is a post-traditional order, in which the question, „How shall I live?“ has to be answered in day-to-day decisions about how to behave, what to wear and what to eat – and many other things – as well as interpreted within the temporal unfolding of self-identity. (Giddens 1991, 14, Herv.i.O.)

Seine Beschreibung verweist darauf, dass das alltägliche Handeln immer auch die Identität betrifft: Möchte ich Urlaub in einem all-inclusive-Hotel machen und mich als Konsequenz zumindest situativ der Gruppe der Inklusivurlauber zugehörig fühlen? Trage ich als Frau im Büro täglich Kostüm oder eher einen Hosenanzug? Ernähre ich mich vegan, vegetarisch oder nach der Paläo-Diät? All diese alltäglichen Entscheidungen sind mit der Identität verbunden und bewirken spezifische Fremd- und Selbstzuschreibungen dessen, wer ich bin (und „wie viele“). Diese Zuschreibungen werden verstärkt dadurch, dass das eigene Selbst immer auch erzählt wird – es werden Narrative über das eigene Selbst produziert (Giddens 1991, 76). Zu diesen Narrativen gehört die Antwort auf die Frage „Wer bist Du?“ ebenso wie die – retrospektive – Darstellung und Rahmung der eigenen Biographie, die Interpretation der – gegenwärtigen – Situation und die Vorstellung des – zukünftigen – Lebensweges (s.a. Jackson 2005, 397). Die Narrative sind stark zeitlich strukturiert und dienen nicht zuletzt dazu, der eigenen Identität mit ihrer Prozesshaftigkeit eine innere Struktur und Logik zu geben. Derartige Narrative dienen gleichsam als roter Faden, der die multiplen Identitäten zusammenhält. Diese Narrative herzustellen bedeutet auch, Zeit und Leben in bestimmter Weise zu organisieren und zu strukturieren, sowohl retrospektiv als auch prospektiv. Giddens (1991, 85, Herv.i.O.) weist darauf hin, wie wichtig eine derartige „Organisation von Zeit“ für die Herstellung der eigenen Identität ist: the reflexive construction of self-identity depends as much on preparing for the future as on interpreting the past, although the „reworking“ of past events is certainly always important in this process.

Identitäten weisen neben dieser zeitlichen Dimension auch eine räumliche Dimension auf. Badminton gespielt wird in der Halle, die soziale Rolle als Ehemann wird (nicht nur, aber stark) zuhause und im Urlaub vollzogen, der Hosenanzug im Büro in der Nachbarstadt getragen. Hier sind es die lokalen Kontexte der Praktiken, die sich voneinander unterscheiden, zum Teil überlagern, aber auch getrennt voneinander existieren können. Hinzu kommen regionale und nationale Bezüge; so ist die Identität als Bürgerin eines Staates immer auch an ein bestimmtes Territorium geknüpft, und der Aufenthalt in diesem Territorium berechtigt und verpflichtet zu bestimmten Handlungen. Schließlich lassen sich globale Bezüge von Identität beobachten, wie Giddens (1991, 32, Herv.i.O.) herausstellt: Transformations in self-identity and globalisation, I want to propose, are the two poles of the dialectic of the local and the global in conditions of high modernity. Changes in intimate aspects of personal life, in other words, are directly tied to the establishment of social connections of very wide scope. I do not mean to deny the existence of many kinds of more interme -

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12 Verflochtene Identitäten diate connections – between, for example, localities and state organisations. But the level of time-space distanciation introduced by high modernity is so extensive that, for the first time in human history, „self “ and „society“ are interrelated in a global milieu.

Die globalen und lokalen Verflechtungen, die sich in der heutigen Zeit beobachten lassen, bilden dabei den Kontext für die im Prozess befindliche personale Identität und die Narrationen, die produziert werden. Dies gilt in besonderer Weise für die HIMs, die die Verflechtung von Selbst und Gesellschaft „in einem globalen Milieu“ (Giddens) quasi verkörpern. Für derartige Verflechtungen sind, wie ich im Verlauf des Buches gezeigt habe, Objekte von großer Bedeutung. Wie sich Objekte und Identitäten zusammen denken lassen, zeige ich im Folgenden. 12.2 Objekte und Identitäten Dass Objekte eng mit der Identität von Personen verbunden sind, leuchtet unmittelbar ein, wenn man sich einige Beispiele vor Augen hält: den Fanschal des Fußballbegeisterten; den Sylt-Aufkleber auf dem Auto; den Plüschbär-Anhänger am Schulranzen. Aber auch an Objekte gekoppelte Praktiken wie das Sammeln von Briefmarken stellen Elemente einer personalen Identität dar, wie Miller (2010, 43) eindrücklich beschreibt – ohne das Sammeln der Briefmarken und die Beschäftigung mit ihnen wäre die Person nicht die, die sie ist. Die Beispiele zeigen, wie Objekte Teil der personalen Identität werden können (vgl. Belk 1992). Der Fall des Briefmarkensammlers macht zudem deutlich, dass darüber auch kollektive Identitäten und Zugehörigkeiten hergestellt und markiert werden: Die Person gehört zur Gruppe der Philatelisten, die etwa in Deutschland sogar institutionell im Bund deutscher Philatelisten e.V. vereint sind. Eine solche Zugehörigkeit, für die das Objekt Briefmarke ebenso konstitutiv ist wie es die anderen SammlerInnen, die Vereinssatzung oder auch die Briefmarkenalben und nationalen Postagenturen sind, entsteht durch die Verflechtung von Menschen und Dingen. Aber auch die Orte sind Teil dieser Verflechtung, da die SammlerInnen an unterschiedlichen Orten leben und sich bei Briefmarkenauktionen in einer Stadt begegnen. Schließlich verweist der Fall der Briefmarken noch auf eine weitere räumliche Dimension: Briefmarken aus unterschiedlichen Ländern sind immer auch Repräsentationen dieser Länder und Bestandteil der Hervorbringung von (territorialen) Grenzen und Bilder und damit von geographischen Imaginationen (Gregory 1994). Die Integration von Objekten und Orten in die Konzeption von Identität, wie ich sie hier vorschlage, nimmt daher Jacksons (1999) Forderung ernst, dass Identität stärker relational gedacht werden müsse. Wenn man Objekte nun noch einmal genauer bezüglich ihrer Wirksamkeit für die Einbindung in kollektive und gesellschaftliche Kontexte anschaut, so wird schnell deutlich, dass auch hier Ein- und Ausschließungsprozesse mithilfe von Objekten vorgenommen werden.

12.2 Objekte und Identitäten

253

Spielen wir dies einmal am Beispiel des Eherings durch. Nicht nur ist der Ring ein emotional stark aufgeladenes Symbol für die jeweilige Person, die ihn trägt; darüber hinaus symbolisiert er nach außen sichtbar auch den übrigen Gesellschaftsmitgliedern den (rechtlichen) Beziehungsstatus des Gegenübers. Dies kann wiederum die Interaktion mit der den Ehering tragenden Person verändern, etwa in Flirt-Situationen. Hieran zeigt sich, wie stark bei der Bedeutung von Objekten für die Identität eines Menschen sowohl eine emotionale als auch eine symbolische Dimension eine Rolle spielen. Auf eine solche „Doppelfunktion persönlicher Objekte“ weist Habermas (1999, 13) hin, der ihnen „nicht nur Bedeutung für die Person, zu der sie gehören, sondern auch für andere“ zuspricht. Am Beispiel einer filmisch inszenierten Prostituierten, die in einer Szene ein Kuscheltier im Arm trägt, zeigt er, dass mithilfe des Objekts unterschiedliche Identitäten bzw. Identitätszüge präsentiert werden: Das Plüschtier suggeriert eine andere Identität als die der Prostituierten, nämlich die präsexuelle, kindliche Sehnsucht nach Zärtlichkeit und einem Partner, dem es nicht allein um sexuelle Befriedigung geht. (Habermas 1999, 14)

Hier ließe sich einwenden, dass auch Frauen mit Plüschtieren sexuell konnotiert inszeniert werden können, etwa im Fall des (Plüsch-)Hasen als Symbol der Männerzeitschrift Playboy. Wichtig ist aber die Differenzierung Habermas’ (1999, 14), dass „persönliche Objekte sich als […] Mittel der Fremddarstellung anbieten [… und] sie dieselbe Funktion in der Selbstdarstellung [erfüllen].“ Dieses Doppel von Fremd- und Selbstdarstellung ist auch bei Subkulturen wirksam. Derartige Kollektive zeichnen sich häufig dadurch aus, dass ihre Mitglieder nicht nur spezifische Interesse teilen und Praktiken inkorporiert haben, sondern auch dadurch, dass sie sich über Objekte identifizierbar machen. Beispiele hierfür sind die Lederjacke der Biker, die Dreadlocks der Rastafari oder die schwarze Kleidung der Gothic RockAnhänger. Die Identifizierung über Objekte erfüllt dabei genau die von Habermas beschrieben Doppelfunktion und stellt Kohärenz und Zugehörigkeit nach innen sowie Abgrenzung nach und Zuordnung von außen her. Auch wenn Objekte bei einem solchen näheren Hinsehen nahezu omnipräsent erscheinen, wenn es um das alltägliche Leben und die Identität von Menschen geht, sind sie für die Menschen selbst häufig so selbstverständlich, dass diese Präsenz kaum auffällt. Dann zeigt erst der Verlust oder die Beschädigung eines Objektes, wie die eigene Identität darüber stabilisiert und sowohl nach innen als auch nach außen repräsentiert wird. Miller (2010, 62, Herv.i.O.) lässt in diesem Kontext seinen Interviewee Simon zu Wort kommen, der Schallplatten und CDs im fünfstelligen Bereich sein Eigen nennt und sagt: Manche Leute sagen mir: „Verkauf doch die Platten, mach sie zu Geld“, aber einmal habe ich ein paar Platten aus Hochmut weggeworfen, so schmalziges Zeug, und nie in meinem Leben habe ich etwas so bitterlich bereut ...

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12 Verflochtene Identitäten

In diesem Fall ist es kein von Außen herbeigeführter Verlust, sondern ein selbst herbeigeführter, welcher starke emotionale Konsequenzen hat.97 Für den hier untersuchten Fall der internationalen MigrantInnen sind es die Musik-CDs, die zwar nicht verloren gehen, aber aufgrund der anderen klimatischen Bedingungen im Benin anfangen zu schimmeln, wie Lola beschreibt. Die Bedeutung der CDs gerät dadurch in Erinnerung, ebenso wie die physische Beschaffenheit der Objekte präsent wird. In diesem Fall werden die CDs trotz der Beschädigung weiterhin mit auf Reisen genommen und sind auch zum Zeitpunkt des Interviews noch im Besitz der Interviewten; sie dienen ihr über ihre Funktion als Speichermedium für Musik als Merkzeichen für ihre Musikvorlieben und ihre Biographie. Für Lola haben die CDs hier insbesondere eine nach innen gerichtete Funktion: Sie zeigen ihr an, was ihr wichtig ist, und sie helfen ihr, einen Teil ihrer Identität – den der Musikliebhaberin – aufrechtzuerhalten. Für Millers Protagonisten Simon erfüllen die Schallplatten und CDs und die darüber verfügbare Musik darüber hinaus noch weitere, auch nach außen gerichtete Funktionen: Simon möchte, daß seine Außendarstellung möglichst konsistent und stets auf dem neuesten Stand ist. Er möchte sie jederzeit korrigieren, sein Selbst regelmäßig neu komponieren und konstruieren können. Deshalb muß er soviel Musik zur Hand haben wie möglich, auf Vinyl oder CD. Deshalb besitzt er so viele Platten, auf die er zugreifen kann wie ein Koch auf seine Gewürze. Und daher grämt es ihn auch, daß er derzeit große Teile seiner Sammlung auslagern muß. (Miller 2010, 63–65)

Für Simon sind es nicht allein die Objekte, die Schallplatten und CDs als materielle Dinge, die Bedeutung haben. Es sind auch die Töne, die darauf gespeichert sind und darüber abrufbar werden. Die Beschreibung der Rolle, die die (immaterielle) Musik in seinem Leben und für die Konstitution seiner Identität hat, zeigt deutlich, dass Dinge nicht nur allein aufgrund ihrer Materialität bedeutsam sind, sondern dass sie Speichermedien sind: von Erinnerungen, von Wissen, von Emotionen oder, wie hier, im Wortsinn von Musik. Die Materialität der Träger der Musik ist aber auch für Simon entscheidend: Es ist ihm unverständlich, wie manche Leute ihm unterstellen können, daß er ein Materialist sei, weil ihm am Besitz dieser Dinge liegt. Es ist doch nur natürlich, daß seine Sammlung im Laufe seines Lebens, mit wachsendem Alter und wachsender Erfahrung, immer größer wird. Was sich da ansammelt, ist letztlich er selbst, und dieses wachsende Selbst muß er nach außen zeigen. (Miller 2010, 65)

Die Kopplung von Materialität und Selbst, von Objekten und Identität wird hier sehr eindrücklich beschrieben. Eine andere Form der Identität, für deren Herausbildung Objekte, Menschen, Orte und ihre Verflechtungen eine Rolle spielen, ist Mols (2002) Studie The Body Multiple. In dieser Arbeit geht es in doppelter Weise um Identität: Zum einen zeigt Mol, wie die Krankheit Arteriosklerose durch die Praktiken der ÄrztInnen, der PatientInnen, der PathologInnen und ForscherIn97

Über die Bedeutung der Materialität von Schallplatten und der sinnlichen Wahrnehmbarkeit von Vinyl vgl. auch Berli (2016).

12.3 Identitäten der HIMs 12.2Die Objekte und Identitäten

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nen, aber auch der Angehörigen eine spezifische Identität als Arteriosklerose erlangt. Im Zusammenspiel mit Untersuchungen, Medikamenten, Gesprächen, Therapien, Krankenhäusern, Operationssälen, Skalpellen und ähnlichem wird die Krankheit mit ihren beschreibbaren Merkmalen hervorgebracht. Zum anderen geht es um die Identität der beteiligten Akteure, etwa der PatientInnen. Die dichte Beschreibung zeigt, auf welch unterschiedliche Weise und mit welch unterschiedlichen Merkmalen Menschen als Arteriosklerose-PatientInnen konstituiert werden. Diese Teil-Identität als PatientIn ist eine Facette ihrer personalen Identität und schafft Zugehörigkeit zu anderen Betroffenen (kollektive Identität) sowie Abgrenzung gegenüber behandelnden ÄrztInnen oder zu der Krankheit forschenden WissenschaftlerInnen. Und sie zeigt den prozessualen Charakter von Identitäten an: Eine Arteriosklerose entwickelt sich über die Zeit, so dass der Status einer Arteriosklerose-Patientin erst in einer bestimmten Situation als Teil der Identität wirksam wird. Diese Darstellungen zeigen, wie wichtig Objekte für die Konstitution von Identitäten sind. Natürlich spielen nie alle vorhandenen Objekte eine gleichermaßen wichtige Rolle, und ebenso wenig sind Objekte in allen Situationen und allen biographischen Momenten gleich bedeutsam. Es gilt daher, die Situationen in den Blick zu nehmen, in denen Materialität wirksam wird (Jackson 2000, 13) – für die Einzelnen oder das Kollektiv, für die Situation oder die Biographie. Im Fall der HIMs sind diese Situationen besonders interessant und für ihre Identitätskonstruktionen aussagekräftig, da ihr Leben das Horten von Dingen erschwert: Jeder Umzug bedeutet, zu überlegen, was zurückgelassen, was eingelagert und was mitgenommen wird. Die Interviews zeigen dabei, dass die Interviewees in ihren Narrationen über sich und ihr Leben die Objekte benennen, die für sie bedeutsam und für ihr Selbst wichtig sind, sei es, da sie sie begleiten oder abwesend sind. Wie die vorangegangenen Ausführungen in Teil 2 dieses Buches gezeigt haben, kann sich jemand beispielsweise ebenso fragmentiert fühlen wie sein materieller Besitz es ist, der sich an unterschiedlichen Orte auf mehreren Kontinenten befindet, oder diese Verteilung als Absicherung verstehen, die emotional stabilisierend wirkt. Mehr noch als die Besitztümer bewegen sich die HIMs selbst zwischen Orten. Diese Bewegung bei wiederholter lokaler Einbindung wirkt sich auch auf die Identitäten der Personen aus. Welche Merkmale der Identitäten der HIMs lassen sich daraus identifizieren? 12.3 Die Identitäten der HIMs Aus den Narrationen der Interviews lassen sich verschiedene charakteristische Merkmale ihrer Identitäten herausarbeiten. Letztlich kreisen die Selbstbeschreibungen ihrer Migrationsbiographien immer auch um die Frage, wer sie sind, was sie in ihrem und mit ihrem Leben wollen und warum sie auf eine bestimmte Art und Weise handeln. Die Frage nach der Identität ist damit quasi der Kern des Gan-

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12 Verflochtene Identitäten

zen, ihres Lebens und auch meiner Arbeit über ihre Leben. Kern bedeutet hier natürlich gerade nicht, dass ich mich auf die Suche nach dem einen, unveränderlichen Wesen der Personen mache. Im Sinn des oben skizzierten Verständnis fasse ich Identitäten als wandelbar und von den Individuen konstituiert auf und zeichne nach, welche Praktiken, Strategien, Selbstverständnisse und, insgesamt, Verflechtungen mit Menschen, Orten und Objekten vorliegen. Damit sind auch schon die vier zentralen Merkmale der Identitäten der HIMs umrissen: (1) Sie verhandeln auf spezifische Weise zwischen dem Hier bleiben und dem Dort hingehen und bilden entsprechende Strategien des Balancierens zwischen Hier und Dort aus. (2) Sie weisen eine plurale Werthaltung auf, die ihre vielfältigen Erfahrungen mit anderen Gesellschaften und Institutionen spiegelt. (3) Sie sind eingebettet in ein Netz aus lokalen und transnationalen Bezügen, welches ihre kollektive Identität als Teil der international community anzeigt. (4) Sie entwickeln besondere Praktiken der Ortsbindung, welche es ihnen ermöglichen, sich während ihrer wiederholten Wohnortwechsel und mit dem Wissen um die potentielle Begrenztheit ihres Aufenthaltes vor Ort temporär zuhause zu fühlen. Für alle vier dieser Merkmale sind die Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten auf spezifische Weise charakteristisch. Das folgende Kapitel widmet sich diesen Merkmalen im Detail und zeigt, welcher Lebensstil den hochqualifizierten internationalen MigrantInnen zu eigen ist und wie sich anhand der unterschiedlichen Ausprägung dieser Merkmale auch verschiedene Typen innerhalb der HIMs identifizieren lassen. Anschließend gehe ich auf die Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten, die ihre verflochtenen Identitäten entstehen lassen, noch einmal ein.

13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

Die HIMs bilden im Verlauf ihrer Migrationsbiographie eine spezifische Identität als HIMs aus. Diese Identität ist eine von mehreren: Sie sind immer auch Sohn oder Tochter ihrer Eltern, der Mannschaftskollege beim Volleyball oder die Sängerin im Chor, aber auch der Arbeitnehmer und die politisch interessierte Stadtbürgerin98. Die Identität als HIMs ist insbesondere von den räumlichen Besonderheiten ihres Lebens gekennzeichnet, d.h. von dem wiederholten Umziehen über Staatsgrenzen hinweg. Neben dem prozessualen Charakter weist ihre Identität damit eine spezifische Räumlichkeit auf. Die Identitäten werden dabei stetig konstruiert und rekonstruiert, und zu diesem Prozess der (Re)Konstruktion und (Re)Konfiguration gehören auch die subjektiven Darstellung und Erzählungen der HIMs darüber, wer sie sind. So ist Sarahs Antwort auf die rhetorische Frage, wer sie sei, genau eine solche Narration über das Selbst: If you ask me what am I? Who am I? What is my nationality? I would say I am born in Britain, […] I was brought up there with occasional trips elsewhere, but I do not feel British and we never did. We didn’t quite understand why we didn’t fit in at school and that was because our parents didn’t grow up in that country and so they didn’t have the same cultural background. And so you don’t quite fit in because you haven’t got the cultural references. So you’re a gipsy once you’ve lived in one or two different places, you always itch. It’s just the way it is. (Sarah, Pos. 170–176)

Die Interviews mit den HIMs, auf denen das vorliegende Buch basiert, sind demnach selbst Bestandteile der fortwährend vor sich gehenden (Re)Konstruktion von Identitäten. Und durch meine Auswahl der Interviewees als hochqualifizierte internationale MigrantInnen weise ich ihnen eine bestimmte Rolle und Position im sozialen Feld zu und stärke diesen einen Aspekt ihrer Identität durch meine Zuschreibung von außen.

98

Ich spreche hier explizit von StadtbürgerInnen im Gegensatz zu den StaatsbürgerInnen, da die Interviewees in den meisten Fällen nicht die Staatsbürgerschaft ihres aktuellen Aufenthaltslandes besitzen.

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

13.1 Wer bin ich? Wie unterschiedlich die Identitäten der HIMs sind und wie sich die eigene und die von außen vorgenommene Darstellung dessen, was und wer jemand ist, unterscheiden können, zeigt sich in den Interviews immer dann besonders gut, wenn die Interviewees über eine andere Person, die ich ebenfalls interviewt habe, sprechen. Da die Auswahl der Interviewees über das Schneeballsystem vor sich ging, ist es wenig verwunderlich, dass sich einige der GesprächspartnerInnen bekannt sind. In zwei Fällen habe ich, getrennt voneinander, Paare interviewt, in zwei anderen Fällen waren die Personen mit einer dritten, ebenfalls von mir interviewten Person gut bekannt. Dies lässt sich für die Untersuchung der Identitäten und Lebensstile der HIMs sehr fruchtbar machen, da mithilfe der Kontextualisierung dieser unterschiedlichen Narrationen über das Selbst und die Anderen die Subjektivität und Selektivität der (Re)Konstruktionen von Identitäten besonders zutage tritt. Nimmt man die verschiedenen Facetten der Identitäten, die sich für jede einzelne interviewte Person herausarbeiten lassen, zusammen und verdichtet die Narrationen, lässt sich eine Identität als HIM identifizieren. Wie skizziert, weist diese vier zentrale Merkmale auf, die alle spezifische Raumbezüge aufweisen. Durch die Tatsache, dass die MigrantInnen eine spezifische Migrationsbiographie haben, über deren Verlauf die Identitäten fortwährend (re)konstruiert werden, weisen die Identitäten zudem spezifische zeitliche Bezüge auf. Alle Identitätsmerkmale haben mit Praktiken zu tun, mit denen die Identitäten hergestellt und stabilisiert, aber auch modifiziert werden. Sie lassen sich daher auch als Identitätsstrategien bezeichnen. Schließlich sind die HIMs in Netzwerke von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren eingebettet, deren Konfigurationen die Identitäten zusätzlich prägen. 13.1.1 Balancieren zwischen Hier und Dort Wie die vergangenen Ausführungen gezeigt haben, ist das Leben der HIMs durch ein Doppel aus Gehen und Bleiben gekennzeichnet. Sie verhandeln auf spezifische Weise zwischen einem Hier bleiben und einem Dort hingehen und bilden entsprechende Strategien des Balancierens zwischen den beiden Polen Hier und Dort aus. Dieses Balancieren bedeutet auch, mehrere lokale Bezüge zu haben: zu dem Ort, an dem man lebt, zu dem Ort, an dem die Eltern leben, zu dem Ort, an dem man einmal gelebt hat und zu dem Ort, an dem man gerne einmal leben möchte oder voraussichtlich einmal leben wird, da dies die beruflichen Karriere beim Arbeitgeber vorsieht. Beck (2007, z.B. 127) beschreibt diese „Ortspolygamie“ als Einfallstor der Globalität im eigenen Leben, [sie] führt zu Globalisierung der Biographie. Globalisierung der Biographie heißt: Die Gegensätze der Welt finden nicht nur dort draußen, sondern im Zentrum des eigenen Lebens, in multikulturellen Ehen und Familien, im Betrieb, im Freundeskreis, in der Schule, im Kino, beim Einkaufen an der Käsetheke, Musikhören, Abend-

13.1 Wer bin ich?

259

brotessen, Liebemachen usw. statt. Ohne daß dies gewußt oder gewollt würde, gilt mehr und mehr: Wir alle leben glokal. (Beck 2007, 129)

Mit der Beschreibung des glokalen Lebens wird das Balancieren zwischen dem Hier und dem Dort gefasst. Für Sven bedeutet ein solches Leben, „überall hineinzupassen, aber nirgendwo zuhause zu sein“ (Sven, Pos. 118). Dieses Gefühl des Dazwischen, das Sven ausdrückt, ist den HIMs als VertreterInnen dieser „Sozialfigur[en] der Globalisierung“ (Beck 2007, 131), der „Touristen“ (Bauman 1996) eigen. Ein solches Leben im Dazwischen zeigt aber auch an, dass zwischen Hier und Dort etwas ist: ein Leben, das sich in den transnationalen sozialen Räumen abspielt und in dem Netze zwischen den Orten aufgespannt werden. Wiederum mit Beck (2007, 131) gesprochen: Ob freiwillig oder gezwungen oder beides – die Menschen spannen ihr Leben über getrennte Welten hin auf. Ortspolygame Lebensformen sind übersetzte, übergesetzte Biographien, Übersetzungs-Biographien, die für sich und andere fortwährend übersetzen müssen, damit sie als Dazwischen-Leben bestehen können.

Im Sinn dieser Übersetzungsmetapher sind die Strategien des Balancierens zwischen Hier und Dort immer auch Strategien, die zwischen dem Selbst und dem Anderen zu vermitteln suchen. Die HIMs sind alle eingebettet in soziale Netzwerke. Deren Bedeutung für das Balancieren kann sehr groß sein, etwa wenn Riekes Partner und Kinder von dem eigenen Wunsch, erneut umziehen, betroffen sind, da sie dann ebenfalls umziehen würden. Andere Netzwerke sind weniger stark an diesen Strategien beteiligt, etwa wenn Sarahs Mutter bis zu ihrem Tod in England lebt und Sarah daher Beziehungen zwischen den Niederlanden und England aufrechterhält. Anders als Riekes enge Familie war Sarahs Mutter aber nicht unmittelbar von Sarahs Umzugsentscheidungen tangiert. Übersetzt wird hier also zwischen den Lebensformen der Mobilen und der ortsfest Lebenden und zwischen den Leben an unterschiedlichen Orten. Es ist eine „[t]ransnationale Ortspolyamie, das Verheiratetsein mit mehreren Orten, die verschiedenen Welten zugehören“ (Beck 2007, 129) – der Welt von Sarah als Kind ihrer Mutter, der Welt von Rieke als Mutter ihrer Kinder und Ehefrau ihres Mann, aber auch den Welten von Rieke und Sarah als Arbeitskolleginnen, Bekannten, Freundinnen, Nachbarinnen und Angehörigen einer international community. Sven stellt heraus, dass es neben dieser sozialen Dimension noch eine berufliche Dimension des Balancierens gibt: Den Beruf auszuüben und das zu tun, „für das Du Dich begeisterst“ (Sven, Pos. 347, Übers. ALM), geht für ihn als Wissenschaftler mit „deutlichen Opfern im persönlichen Leben“ einher (Sven, Pos. 349, Übers. ALM). Damit umzugehen ist für ihn ein Aushandlungsprozess: to find a balance and to see until which point can I go and how long can I stand that and what can I balance, what can I do that is close enough to do what I want [to do] and still give me some kind of stability. (Sven, Pos. 347–353)

Die Strategien des Balancierens sind zudem von einer spezifischen Lebenseinstellung und Lebensform gekennzeichnet:

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten people seem to define aspects of their self-identity, as well as schedules of self- and life-strategies, through reference to de-synchronized, post-traditional or „detraditionalized“ social settings, where such schedules are rarely shared. Life „on the move“ is the kind of life in which the capacity to be „elsewhere“ at a different time from others is central. […] Such mobile lives demand flexibility, adaptability, reflexivity – to be ready for the unexpected, to embrace novelty, as even one’s significant others are doing different things and at different times. People’s experiences are de-synchronized from each other, so that systems and people have to be available „just-in-time.“ (Elliott und Urry 2010, 4, Herv.i.O.)

Die hier genannte Flexibilität wird von den Interviewees unterschiedlich konnotiert. Während sie für Rieke ein positiver Bestandteil ihres mobilen Lebens ist, ist sie für Dora eine von außen an sie und ihre Familie herangetragene Anforderung, die das Leben vor Ort erschwert, da es dieses immer als potentiell temporär rahmt. Dagegen werden die Merkmale der Anpassungsfähigkeit und der Reflexivität von den Interviewees durchweg als positive Merkmale ihres mobilen Lebens und ihrer Identitäten gefasst; sie gehören zu einer pluralen Werthaltung, die die HIMs im Verlauf ihrer Migrationsbiographie ausbilden. 13.1.2 Plurale Werthaltungen Bezeichnend ist, in welcher Weise die Interviewees davon sprechen, wie sie das wiederholte Umziehen und Leben in ihnen fremden Gesellschaften geprägt hat. Auf der Grundlage ihrer Aussagen kann man sagen, dass sie eine plurale Werthaltung aufweisen, die ihre vielfältigen Erfahrungen mit anderen Gesellschaften und Institutionen spiegelt. Eine solche Haltung ist in keiner Weise als relativistische Haltung zu verstehen; die HIMs beschreiben sich selbst vielmehr als Personen, die wissen, dass Dinge auch anders gemacht werden können als in ihrer Herkunftsgesellschaft, und die auf der Grundlage dieses Wissens für sich entscheiden und bewerten, welche Lebensformen, gesellschaftlichen Strukturen und Umgangsweisen sie schätzen oder ablehnen. In Riekes Beschreibung ihres Lebens in Afrika und ihres gesamten Lebens als MigrantIn kommen diese beiden Aspekte zum Tragen: Also es ist ein ganz verrücktes Wertedenken [in Afrika], also es ging nicht [für mich]. […] Ich finde es wichtig und ich finde auch, jeder sollte einfach mal in einem anderen Land gelebt haben, um mal selber Ausländer zu sein und auch mal zu sehen, dass es woanders auch anders geht. Und nicht nur nach unserem Standard. (Rieke, Pos. 4)

Die Werte und Normen und die Formen des Zusammenlebens, die sie in Afrika erlebt hat, kann sie für sich nicht tolerieren, was dazu führt, dass sie ihren Aufenthalt in dem Land früher als gehofft beendet. Für sich selbst beschreibt sie die Wirkung wiederholter Migration auf sie als Person damit, dass „man toleranter [ist]. Man ist demütiger.“ (Rieke, Pos. 74) Diese Selbstbeschreibung als tolerant und „sensibler […], was die Bedürfnisse anderer angeht“ (Lisa, Pos. 62), ist ein durchgängiges Motiv in den Interviews. Das bedeutet,

13.1 Wer bin ich?

261

[man] akzeptiert einfach mal, dass es auch andere Modelle gibt. […] Die sind nicht besser oder nicht schlechter, die sind anders. Und man merkt halt auch, dass in anderen Ländern Dinge einfach auch mal anders gemacht werden. Wie gesagt, es ist nicht besser oder nicht schlechter, das ist nur meist anders. (Dieter, Pos. 28)

Und Dieter fügt im Gesprächsverlauf an: „Man investiert nicht mehr so richtig viel in irgendwelche, sagen wir mal, ideologischen Prozesse.“ (Dieter, Pos. 28) Derartige „ideologische Prozesse“ würden bedeuten, fortwährend das eigene erlernte Verhalten als einzig gültige Referenz für die Bewertung des als neu kennengelernten Verhaltens zu verwenden. Gerade dies ist aber bei den HIMs nicht der Fall, denn, so Luis, die wiederholte Einbindung in andere Kulturen für zu einer Veränderung: It changes your personality because you can look at things in a different way. […] You have a different reference. (Luis, Pos. 330; 342)

In der Literatur wird diese Dimension der migrantischen Identitäten als „kosmopolitane Haltung“ (Mau, Mewes und Zimmermann 2008, 4, Übers. ALM) beschrieben, die sich wie folgt ausdrückt: People with cosmopolitan attitudes and values are characterized by their recognition of others because of their value and integrity as human beings, quite independently of their national affiliations. They share an open and tolerant world view that is not bound by national categories but is based on an awareness of our increasing economic, political and cultural interconnectedness, which they perceive as enriching rather than threatening. (Mau, Mewes und Zimmermann 2008, 5)

Hannerz (1990, 239) hebt hervor, dass eine solche Haltung spezifische Kompetenzen nötig macht: There is the aspect of a state of readiness, a personal ability to make one’s way into other cultures, through listening, looking, intuiting and reflecting. And there is cultural competence in the stricter sense, a built-up skill in manoeuvring more or less expertly with a particular system of meanings and meaningful forms.

Aufgrund dieses Sets an Kompetenzen oder, mit Bourdieu gesprochen, an Kapital, über das Menschen in unterschiedlichem Maße verfügen, können diese „Kosmopoliten“ (Hannerz 1990, 238, Übers. ALM) auch unterschiedlich mit den neuen Kulturen, auf die sie treffen, umgehen. Dies kann aber auch verunsichern. So ist es zu erklären, dass sich Holger von den neuen (Interaktions-)Kontexten, auf die er immer wieder trifft, eher überfordert als bereichert fühlt: Dieses moralische Regelwerk, das man jedes Mal neu erlernt und neu in sich aufnimmt, wird eigentlich nicht kleiner, sondern es erweitert sich. Also es ist schon irgendwie fast wie eine Lähmung irgendwann ((lacht)), dass man eigentlich gar nicht mehr weiß, was richtig und was falsch ist und wie man sich verhalten soll. Das macht einen schon sehr unsicher so auf Dauer. Das macht es schwieriger. (Lisa, Pos. 58)

Für Holger ist der neue „Referenzrahmen“ (Luis), den man im Zuge der Migrationbiographie entwickelt, ein konstant instabiles Gebilde, das immer wieder stabilisiert werden muss, um als Bezugspunkt für das eigene Handeln gelten zu können.

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

Wie das eigene Verhalten immer wieder in Frage gestellt wird, beschreibt François, der in Frankreich sozialisiert wurde und eine Zeit in den USA lebte: One thing that I realized recently, and it was quite funny to look at that in general, is: In the US for instance you have this invisible barrier between the men and the women, it’s really a complicated relationship when you don’t know each other. In France, when you go [out] with some people and you meet some new friends of a friend and then […] in France you just kiss them. I learned how it could be inappropriate by being in the US and how it could be seen as an aggression from a woman’s point of view. (François, Pos. 330–334)

Die Besonderheit der eigenen kulturellen Sozialisation wird François bewusst, als er sich in den USA und damit in einem anderen kulturellen Kontext befindet. Eine solche Reflexion der eigenen Verortung in einer kulturellen Landschaft ist Voraussetzung für eine plurale Werthaltung. Dabei verorten einige der Interviewees den Ursprung dieser Haltung der Offenheit gegenüber anderen und ihren differierenden Lebensformen in ihrer frühen Sozialisation: I think that your decision to move around does depend on what sort of background you come from, if your parents were very mobile or if they were international. […] I didn ’t think anything of moving because my dad was German, my mom was Turkish, they moved to England and we always travelled a lot. […] It’s not a big deal [to move], it’s just something I accept. (Sarah, Pos. 144)

Eine solche Prägung, wie sie Sarah hier beschreibt, lässt sich mit Welsch (1999, 198) als Transkulturalität fassen, einer für spätmoderne Gesellschaften charakteristischen Form der kulturellen Hybridisierung. François beschreibt diese hybride Dimension seiner kulturellen Prägung auch als Resultat seiner Mobilität. So nehme er von jeder seinen Stationen einzelne Element der dortigen Kultur mit und füge sie in seinem Leben und in seiner Person zusammen: „You keep [some of the cultures of the US] and you bring it with you because you think it ’s good for you.“ (François, Pos. 322) Eine solche Hybridiserung betrifft dabei nicht nur die Werthaltung, sondern auch die räumliche Bindung an Orte: You don’t think about one home. There is no place which is home. […] You put together all the bits, you pick the best bits of all the different places and you invent this utopia which could never exist. […] And I think that’s actually positive: you take all the positive bits from the experiences, the outlooks, the different ways people have of treating the same situation. (Sarah, Pos. 253–260)

François beschreibt, dass sich diese Haltung, die aus der wiederholten Migration ergibt, fundamental auf ihn als Person auswirkt: That’s one of the positive [effects] of this mobility: I will say you’re less an asshole than the others. You’re just like „yeah, he’s just doing what he wants the way he wants, it’s different, that’s fine. He doesn’t need to be an idiot for that.“ (François, Pos. 354)

Die Tatsache, dass François durch sein Leben an verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern und Gesellschaften gelernt hat, dass es sehr unterschiedliche Arten gibt, zu handeln und seinen Alltag und die Gesellschaft als Ganze zu organisieren,

13.1 Wer bin ich?

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macht ihn nach der Selbstbeschreibung zu einem besseren Menschen, da er sein Gegenüber aufgrund anderen Verhaltens nicht per se verurteilt. Es sind diese unterschiedlichen Umgangsweisen mit dem Alltag und miteinander, die das Leben an einem neuen Ort herausfordernd machen. Ein Weg, mit dieser Herausforderung umzugehen, ist, sich der lokalen international community anzuschließen und von ihrem lokalen Wissen zu profitieren. In welcher Weise sich die HIMs in diese Gemeinschaft einbinden und daraus eine kollektiv geteilte Identität entwickelt, zeige ich im Folgenden. 13.1.3 Kollektive Identitäten Die bisher skizzierten Merkmale der Identitäten der HIMs beziehen sich in erster Linie auf das Individuum und damit auf die personale Identität. Die HIMs sind aber auch in Kollektive eingebunden und bilden entsprechend kollektive Identitäten aus. Eine wichtige Bezugsgruppe ist die der international community, innerhalb derer sie eine kollektiv geteilte Identität ausbilden. Diese Identität zeigt dabei die Einbindung der HIMs in ein Netz aus lokalen und transnationalen Bezügen an, wie ich sie im Verlauf dieses Buches ausführlich vorgestellt habe. Durch ihre Teilhabe an international communities vor Ort, die Verbindungen zu internationalen Gemeinschaften an anderen Orten und die Selbstzuschreibung als Angehörige dieser Gemeinschaft entsteht eine spezifische Ausgestaltung dessen, was Morley und Robins (1995, z.B. 108, Übers. ALM) „Räume der Identität“ nennen. Es werden grenzüberschreitend Räume konstituiert, denen eine spezifische Identität zugeschrieben wird: die der international community. Eine solche Gemeinschaft ist eine transnationale Spielart der imagined communities, wie sie Anderson (1991) für Nationen beschrieben hat, da sie auf der Grundlage imaginierter Gemeinsamkeiten und Erfahrungen sowie ähnlicher Lebensstile und geteilter Werthaltungen konstituiert wird. Sie unterscheidet sich von den transnational communities der TransmigrantInnen in mindestens einem wichtigen Punkt: Es sind nicht einzelne Personen, zu denen über Orte und Staatsgrenzen und über den Zeitverlauf hinweg Beziehungen aufrechterhalten werden, sondern es ist das Kollektiv der international community, zu dem Bindungen bestehen. Einzelne Personen dieses Kollektivs werden vor Ort wichtig, bei einem Umzug werden diese Bindungen bis auf wenige Ausnahmen allerdings wieder gelöst, um am neuen Ort neue Bindungen zu anderen Mitgliedern der international community aufzubauen. Ein wichtiges Merkmal, über das sich die international community als imaginierte Gemeinschaft konstituiert, ist das Selbstverständnis ihrer Mitglieder als „internationale BürgerInnen“ (Sarah, Pos. 177), welches aus der Erfahrung der internationalen Mobilität entsteht. Nationale Bindungen treten in der Bedeutung für die Menschen hinter die geteilten Erfahrungen zurück – ein weiter Unterschied zu den transnational communities der TransmigrantInnen. Die lokalen international communities sind dabei so bedeutsam für die individuelle Person, da ihre Angehö-

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rigen „selber erlebt haben, was ich erlebe“ (John, Pos. 189–193) und „die eigene Art zu denken teilen“ (John, Pos. 271). Für die Integration in diese Gruppe und die Ausbildung einer Identität als „internationale“ (John, Pos. 313) Person ist die geteilte Erfahrung der wiederholten grenzüberschreitenden Umzüge zentral. Dass die anderen innerhalb der lokalen international community nicht gleichzeitig enge Freunde sind, wird immer wieder betont. Ihr Wert liegt insbesondere darin, dass sie vor Ort Unterstützung im Alltag bieten können, welche in anderen Fällen von Familienangehörigen oder Bekannten geleistet werden würde: [Als ich nach Benin gekommen bin,] waren dann aber viele Kollegen, die mir geholfen haben, also das ging auch überraschend einfach. Ich bin, glaube ich, zwei Tage lang mit jemandem durch Cotonou gefahren und hab mir verschiedene Wohnungen angeschaut. Dadurch, dass man da so eine Hilfestellung hatte und dadurch, dass man da auch so eine Gemeinschaft hat vor allem von der expat community, [war das Ankommen relativ einfach, ALM]. Da hilft man sich gegenseitig, da hatte ich dann ziemlich schnell eine Wohnung gefunden. Und ich hatte auch die Möglichkeit, ein paar Kisten von Deutschland nach Benin zu schicken, sodass ich ein bisschen mehr Sachen mitnehmen konnte als jetzt nur Klamotten. (Lola, Pos. 34)

Neben den Hilfestellungen im alltäglichen Leben und dem geteilten Erfahrungshorizont spielen die Angehörigen der lokalen international community eine wichtige Rolle für das Einleben vor Ort und als WissensvermittlerInnen: I think the most important thing about getting to know a place is to get to know the people who are living there already, although not necessarily the Dutch people here and the English people in England, but people who have been there for long enough to have insight into how the system works there. (Sven, Pos. 217)

Sven verweist hier auf den funktionellen Wert dieses Netzwerkes: Ortskenntnisse und Wissen über die lokalen Besonderheiten etwa der Bürokratie oder des Gesundheitssystems werden weitergegeben. In gewisser Weise findet hier eine erneute Sozialisation statt, wie sie die HIMs zu Beginn ihres Lebens durch ihre Eltern in ihrem Herkunftsland erworben haben. Neben dieser funktionellen Bedeutung werden die expats zum Teil aber auch als emotionale Anker beschrieben, die ein Heimatgefühl erzeugen können, wie Sven es für sich und seine Lebensgefährtin beschreibt: „We feel more at home with the expat community“ (Sven Pos. 114). Allerdings gibt es nicht die eine international community, und die Einbindungen unterscheiden sich im Verlauf der individuellen Migrationsbiographien durchaus (dazu auch Spiegel, Mense-Petermann und Bredenkötter 2017). Innerhalb der lokalen Gemeinschaft gibt es beispielsweise Unterscheidungen nach der Dauer, die man schon vor Ort lebt. Die Neuankömmlinge bilden dabei eine Untergruppe, die Etablierten eine andere, und je nachdem, zu wem man aufgrund seines Migrationsstatus gehört, fühlt man sich einer dieser Untergruppen stärker oder weniger stark verbunden, wie Sven beschreibt (Sven, Pos. 295). Außerdem kann sich im Verlauf der eigenen Migrationsbiographie und in Abhängigkeit vom lokalen Kontext die Einbindung in die Gemeinschaft verändern. Sven, Lisa und Ryan haben alle erfahren, dass sie sich in unterschiedlichen Städten unterschiedlich stark in die international community integriert haben. Für Ryan wird sie erst dann zu einem

13.1 Wer bin ich?

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Bezugspunkt, als er den Kontinent wechselt und aus den USA nach England umzieht (Ryan, Pos. 249–253); dort ist es dann insbesondere der nordamerikanische Teil der Gemeinschaft, der für ihn wichtig wird. Für Sven verstärkt sich dagegen die Bindung, als er seine jetzige Lebensgefährtin kennenlernt, die aus Argentinien stammt und sich der international community in Den Haag sehr verbunden fühlt; für Sven entsteht durch die Integration in diese Gemeinschaft dann tatsächlich ein Gefühl des Zu-Hause-Seins (Sven, Pos. 110–114). Und in Lisas Leben spielt die Gemeinschaft während ihres Aufenthaltes in Norwegen eine Rolle, während der anderen Stationen in den USA und der Schweiz dagegen kaum (Lisa, Pos. 76). Dass die Frage der Einbindung weniger mit der nationalen Kultur als vielmehr mit dem Ort zu tun hat, wird an Lisas Migrationsbiographie ebenfalls deutlich: Sie hat an zwei Orten in England gelebt; und während sie in Cambridge nicht in die dortige international community eingebunden war, war sie ihr während ihrer Zeit in London wichtig. Auch die Frage, wer zur international community gehört, wird zum Teil von den Interviewees verhandelt. Für John ist klar, dass die Zugehörigkeit eine zeitliche Dimension hat: „[In Spain] there’s a very few of what I would call expats because if they have been there for 20 years, you know, they are locals.“ (John, Pos. 199–201) Die Dauer des Aufenthalts an einem Ort bestimmt nach John die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft; so, wie man als neu Hinzugezogener das Recht hat, sich an die Gemeinschaft zu wenden, so verliert man aus seiner Perspektive das Recht, sich ihr zuzurechnen, wenn man lange an einem Ort leben bleibt. Die Mitglieder der international community nehmen wie John daher spezifische Inklusions- und Exklusionsstrategien vor, über die Zugehörigkeit bestimmt wird. In dem von John beschriebenen Fall ist nicht mehr gegeben, was Sven als charakteristisch für diese Gemeinschaft beschreibt: For all of them there is something that’s driving them. They have a passion for something that is driving them to move around; that could be as to discover things and not wanting to stay in one place or it can be, like it is for me, what research I want to do, like what is it that I’m passionate about and then moving around is an effect of it. (Sven, Pos. 303–305)

Interessant ist, in welcher Weise für dieses Merkmal der Identitäten der HIMs das Doppel von Selbst- und Fremdzuschreibung, über das die Identitäten konstituiert werden, wirksam wird. Die HIMs werden insbesondere von der Aufnahmegesellschaft dieser Gruppe der expats zugeordnet. Gegenüber dieser Fremdzuschreibung verhalten sie sich entweder affirmativ, wie die oben angeführten Auszüge aus dem Material zeigen. Es kommt aber auch vor, dass sie diese Zuordnung als Zwang empfinden oder sich explizit von der international community als Gemeinschaft abgrenzen. So empfand Holger die von ihm erwartetete Einbindung in die international community im Kosovo als Zwang: „Ich war zeitweise Teil [der UN-Organisation vor Ort] und musste mich ganz einfach in dieser international bubble bewegen.“ (Holger, Pos. 18) Die Erwartungshaltung der KollegInnen, sich ihrem Kollektiv zuzuordnen, erfüllt Holger eher widerwillig – aber er erfüllt sie, allerdings nur für kurze Zeit: „Ich habe mich sehr, sehr früh aus dieser expat bubble ausge-

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

klinkt und eben mehr mit den Nachbarn gemacht.“ (Holger, Pos. 18) Zu diesen Nachbarn gehören ArbeitskollegInnen, die zum Teil selber internationaler Herkunft sind, aber auch kosovarische ArbeitskollegInnen. Die kollektive Identität der international community wird hier zugunsten einer geteilten Identität mit Nachbarn und ArbeitskollegInnen aufgegeben. Sie erfüllen für ihn allerdings ganz ähnliche Zwecke, etwa die der gegenseitigen Hilfe. So organisieren Holger und seine Nachbarn einen gemeinsamen Fahrdienst für die Kinder, um sie in den Kindergarten oder in die Schule zu bringen, und unterstützen sich damit im Alltag – ein wichtiger Grund, warum viele der HIMs die international community schätzen, da ihnen die entsprechenden lokalen Netzwerke fehlen. Holgers ambivalente Haltung gegenüber der international community findet sich in ähnlicher Form auch bei Lola und Rieke. Beide erleben während ihrer jeweiligen Aufenthalte in Afrika die internationale Gemeinschaft zum ersten Mal. Die Differenz zwischen Aufnahmegesellschaft und expat community ist hier besonders deutlich spürbar. Lola stellt dabei für sich fest: „Die Erfahrung in Benin hat mir auch gezeigt, dass jetzt dieses Expat-Leben gar nicht so mein Ding ist.“ (Lola, Pos. 104) Aber auch ähnlich wie Holger ist sie temporär Teil dieser Gemeinschaft. Die Teilhabe an der Gruppe vollzieht sich, so ihre Beschreibung, nicht über gemeinsam geteilte Vorlieben, Hobbies oder Einstellungen, sondern über den Zufall, der unterschiedliche Menschen am selben Ort zusammenführt: Diese expat community ist ja so eine bisschen künstliche Gemeinschaft. Also man verbringt die Zeit [miteinander], weil man zufällig alle an einem Ort ist und nicht viele Alternativen hat. Und es war immer okay, aber das waren jetzt nicht für mich gute Freunde, wo ich wirklich große Lust hatte [sie wiederzusehen]. (Lola, Pos. 98)

Rieke dagegen ist deutlich abweisender, was die mögliche Integration in dieses Kollektiv angeht. Für sie kommt es weder in Afrika noch an anderen Stationen in Frage, sich der lokalen international community zuzuordnen. Auch wenn sie Kontakt mit den Personen hatte und sie gelegentlich traf, ist sie sehr entschieden gegen die sozialräumliche Integration in einem „compound“ (Rieke, Pos. 4), denn: Es interessiert mich nicht. Also […] da könnte ich auch in Deutschland bleiben. […] Ich will ja in die Länder, weil ich die Leute kennenlernen will und weil ich eben da eintauchen und halt nicht in Deutschland leben will oder nicht in unserer, wie soll ich sagen, langweiligen routinierten Welt. (Rieke, Pos. 17–18)

Rieke stellt hier das Leben in Deutschland – langweilig, routiniert – dem Leben in Afrika gegenüber. Die Differenz, die sie markiert, erinnert an koloniale Beschreibungen des (in kolonialer Terminologie formuliert) wilden, fremden Afrika und seiner andersartigen BewohnerInnen. Solche Spuren des Kolonialen in einer kosmopolitanen Haltung beschreiben auch Thompson und Tambyah (1999). Die AutorInnen zeichnen nach, wie nicht nur der Diskurs um Kosmopolitanität von diesen Spuren gekennzeichnet ist, sondern auch das Leben und die Narrationen von Hochqualifizierten geprägt, die in Singapur als expats leben. In diesen Narrationen und den Identitätskonstruktionen als Kosmopoliten finden sich beispielsweise wie-

13.1 Wer bin ich?

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derkehrend Formen der Exotisierung und Besonderung der Einheimischen, die große Ähnlichkeiten zu den entsprechenden Beschreibungen der fremden Einheimischen während der Kolonialzeit aufweisen (Thompson und Tambyah 1999, z.B. 218). An diesen Beschreibungen wird sehr deutlich, wie Identitäten über Grenzziehungen hergestellt werden – in diesem Fall innerhalb der internationalen Gemeinschaft, die vor Ort lebt, aber auch zwischen dem Selbst und der Aufnahmegesellschaft – und welche, häufig tradierten, Bilder des Anderen und geographischen Imaginationen dabei eine Rolle spielen. Abgrenzungen und Distanzierungen sowie die Problematisierung des Lebens in einer „expat-Blase“, wie Holger sie nennt, gibt es einige. Für Rieke war ein wichtiges Anliegen ihres Aufenthaltes in Afrika, vor Ort „integriert“ (Rieke, Pos. 4) zu leben. Dies versucht sie über ihre Arbeit zu realisieren: „Ich habe da bewusst nicht in einem expat- oder in so einem Privat- Krankenhaus gearbeitet, sondern wollte wirklich in einem lokalen Krankenhaus arbeiten.“ (Rieke, Pos. 4) Und auch Sarah strebt nach einem Leben in der lokalen und nicht der internationalen Gemeinschaft. Ihrer Ansicht nach würde dies ihr Gefühl der Ortsbindung unterstützen und ihre Fähigkeit, sich vor Ort zuhause zu fühlen, vergrößern: „I would feel settled if I were actually doing things within the community [...and] not just be one of these expats,[...] not just be a parasite.“ (Sarah, Pos. 236–237) In welcher Weise die Ortsbindung und die damit verbundenen Praktiken, eine solche herzustellen, zur Identitätskonstruktion der HIMs gehören, zeige ich nun. 13.1.4 Praktiken der Ortsbindung Das vierte Merkmal der Identitäten der HIMs machen ihre spezifischen Praktiken der Ortsbindung aus, anders gesagt: ihre Verortungen. Diese ermöglichen es ihnen, sich während ihrer wiederholten Wohnortwechsel und mit dem Wissen um die potentielle Begrenztheit ihres Aufenthaltes vor Ort temporär zu Hause zu fühlen. Charakteristisch für die HIMs ist, dass immer mehr als ein Ort für die bedeutsam ist. Die Bindungen an den aktuellen Ort und an die Menschen vor Ort werden immer auch in Relation zu anderen Orten hergestellt. Zu diesen anderen Orten gehören die, an denen man schon war, ebenso wie die, an die man nie gehen möchte, und die, an die man zukünftig gehen wird oder gehen möchte. Die Wechsel der Orte und die Wahl derselben erfolgen nicht immer freiwillig und nach individueller Entscheidung, sondern aufgrund eines Konglomerats an beruflichen, familiären und emotionalen Gründen (dazu auch Beck 2007, 130). Die Orte, an denen die HIMs temporär leben, zeichnen sich in ihrer Darstellung durch bestimmte infrastrukturelle Ausstattungen aus, die für die HIMs bedeutsam sind und ihnen eine Bindung an den Ort ermöglichen. Cafés, Bars, Museen oder geographische Besonderheiten wie der Strand oder die Berge werden für die Raumkonstitution vor Ort und damit die Herstellung eines place attachment ge-

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

nutzt. Diese Ausstattungen und Besonderheiten sind wichtig, da sie ein bestimmtes Tun ermöglichen: sich in die Anonymität einer Bar oder eines Cafés zurückziehen und dabei gleichzeitig Teil am alltäglichen Leben der Einheimischen haben; in den Bergen wandern gehen, wie man es schon immer getan hat; sich am Strand mit Freunden aus der international community treffen. Was dieses Tun besonders macht und ihm eine Bedeutung für die Ortsbindung zukommen lässt, ist der routinehafte Charakter: Diese Dinge werden wiederholt getan, sie schreiben sich in die Körper der HIMs ein und sind damit Praktiken der Ortsbindung. Dies bedeutet nicht, dass an jedem Ort dasselbe getan wird; bezeichnend ist aber, dass die Interviewees, die wie Silja beschreiben, dass sie in Wien gerne eine bestimmte Bar aufsucht, ähnliche Infrastrukturen auch an den anderen Stationen ihrer Migrationsbiographien aufsuchen, etwa das Café in Cambridge, in dem Silja regelmäßig Kaffee trank, arbeitete und die Leute beobachtete. Damit ist die Art des Tuns so vergleichbar, dass man von einer spezifischen Praktik der Ortsbindung sprechen kann. Sie impliziert nicht nur Silja und die Bar; auch die Menschen, die Möbel, die Lage der Bar, die Gläser und ihr Laptop sind Teil davon und bringen die Praktik erst als Praktik der Ortsbindung hervor. Indem diese Praktiken vor Ort Anwendung finden und an den Orten Räume konstituiert und emotional aufgeladen werden, entstehen Lokalitäten. Diese Lokalitäten stellen eine räumliche Dimension der Identitäten der HIMs dar, da sie sie sozial, emotional und geographisch verorten. Ähnliches arbeitet Nagar (1997) heraus: People are always embedded in multiple identities and social relationships, and their experiences of these identities and relationships are rooted in their day-to-day lives and environments.

In ihrer Studie untersucht Nagar vier Gruppen von SüdasiatInnen, die in der tansanischen Stadt Daressalam leben. Die Gruppen unterscheiden sich aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit, und Nagar zeigt, dass die mentalen Karten der Stadt sich zwischen den Gruppen deutlich unterscheiden. Und nicht nur dass: Auch innerhalb der Gruppen unterscheiden sie sich zwischen einzelnen Personen, beispielsweise in Abhängigkeit von der jeweiligen Gender- oder Klassenzugehörigkeit (Nagar 1997, z.B. 11). Die individuellen und kollektiven Formen der Repräsentation von Raum, wie sie Nagar vorstellt, korrespondieren mit den individuellen und kollektiven Konstitutionen von Lokalität, wie sie im Fall der HIMs zu finden sind. Die für die Herstellung von Lokalitäten wichtige Raumkonstitution ist nie ausschließlich von den individuellen Erfahrungen der Einzelnen, sondern immer auch von ihrer Sozialisation, den kollektiven Bindungen und Zugehörigkeiten beeinflusst. Dies bedeutet, dass zwar jedeR der HIMs individuelle Räume konstituiert und Lokalitäten herstellt, diese aber etwa innerhalb der international community durchaus Ähnlichkeiten aufweisen. Wenn vor Ort situativ Lokalitäten hergestellt werden, bedeutet dies allerdings nicht, dass die anderen, entfernten Orte in der Migrationsbiographie keine Rolle

13.2 Identitäten 13.1 aus einer relationalen Perspektive Wer bin ich?

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spielen. Diese „Ortspolygamie“ (Beck 2007, z.B. 127) ist charakteristisch für die Interviewees. Die Bedeutung der einzelnen Orte variiert dabei: So fühlt Holger noch heute, nun in der Schweiz lebend, eine starke Bindung an den Ort Priština im Kosovo und hält diese Bindung mit Besuchen vor Ort aufrecht. Sven wiederum erlebt, dass die Lokalität und die Bindung an Orte, die ihm in Manchester wichtig waren, nachlässt, seit er nicht mehr dort lebt; ein erneuter Besuch zeigte ihm, „dass es nicht mehr dasselbe ist“ (Sven, Pos. 189, Übers. ALM). Die Identität der HIMs ist damit eine der Hybridität, in der unterschiedliche soziale, kulturelle, nationale und räumliche Einflüsse zu einem für die Person kohärenten Ganzen zusammengefügt werden. Hinzu kommen spezifische zeitliche Bezüge: Anders als die von Bauman (1998, 88) skizzierten „Touristen“ leben sie gerade nicht in der fortwährenden Gegenwart, sondern stellen starke Bezüge zwischen (erlebter) Vergangenheit, (gelebter) Gegenwart und (antizipierter) Zukunft her. Diese zeitlichen Bezüge sind auch ein Interpretationsrahmen für die eigene Migrationsbiographie und tragen dazu bei, die Identität des Selbst als kohärent und zeitüberdauernd zu konstituieren. Die Identität bleibt dabei allerdings stets im Wandel und wird die Ortswechsel immer wieder neu herausgefordert. Hier liegt eine spezifische Form des lebenslangen Lernens vor, die Konsequenzen hat: „Man bleibt wach und flexibel.“ (Rieke, Pos. 74) Wie lassen sich diese Identitäten nun aus einer relationalen Perspektive verstehen, die auch die nichtmenschlichen Akteure berücksichtigt? 13.2 Identitäten aus einer relationalen Perspektive Die Identitäten der HIMs sind, wie die aller Menschen in der Spätmoderne, facettenreich und stets im Wandel begriffen. Wiederholte Migration bewirkt dabei, wie ich gezeigt habe, eine Vielzahl an räumlichen Bezügen, für deren Ausgestaltung Objekte, Orte und Menschen wichtig sind. Diese globalen und lokalen Bezüge wiederum sind Teil der Identität und werden kontinuierlich von den HIMs aufgerufen, um ihre Identität als Person und als Mitglied einer Gemeinschaft zu formen. Ihre personale und kollektive Identität ist damit Ausdruck eines spezifischen Netzes aus Relationen zwischen sich selbst, anderen Menschen, Objekten und Orten, an denen sie leben, zwischen denen sie sich bewegen und die von ihnen imaginiert werden (etwa als der eine Ort, an dem sie einmal dauerhaft leben wollen). Nimmt man die Metapher des Netzes ernst, lassen sich die Identitäten der HIMs auch als „Rhizom“ (Deleuze und Guattari 1977) beschreiben. Rhizome sind im Verständnis von Deleuze und Guattari Gefüge von Verbindungen, die sich durch die Vielzahl und Vielfalt dieser Verbindungen auszeichnen und gerade keinen fixen Bezugspunkt haben (z.B. Deleuze und Guattari 2007, 16–18). Für die Diskussion der wandelbaren und multiplen Identitäten der HIMs ist besonders instruktiv, was die Autoren als „Prinzip des asignifikanten Bruchs“ (Deleuze und Guattari 2007, 19) bezeichnen: „Ein Rhizom kann an jeder Stelle unterbrochen

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

oder zerrissen werden, es setzt sich an seinen eigenen oder an anderen Linien weiter fort.“ Eine solche Perspektive auf die Identitäten der HIMs erhellt die Verbindungen zwischen den Elementen ihrer Identitäten. Wenn sich etwa Johns Kollege an einem neuen Arbeitsort entschließt, zukünftig seinen zweiten Vornamen Pontus statt seines bisherigen Rufnamens Stan zu verwenden, bedeutet dies nicht, dass die Phasen der Biographie, in denen er seinen ersten Vornamen trug, nicht mehr Teil seiner Identität sind. Vielmehr wird das Rhizom Identität von der Person, die Stan Pontus im Vornamen heißt an einer Stelle „unterbrochen oder zerrissen [… und] setzt sich an seinen eigenen oder anderen Linien weiter fort“, wie Deleuze und Guattari (2007, 19) schreiben. In diesem Fall setzt es sich „an seinen eigenen Linien“ fort, denn Pontus war immer schon Teil von Stans vollständigem Namen. Diese Umbenennung steht hier natürlich stellvertretend und eher metaphorisch für Elemente der Identitäten, die die HIMs ausbilden und die im Verlauf der Migrationsbiographie an Bedeutung verlieren oder gewinnen können, etwa in Situationen des Statuswechsels oder bei Umzügen. Die im vorangegangenen Kapitel stark subjektzentrierte Darstellung der Identitäten der HIMs wird im Folgenden nun entlang der Verbindungen dieses Gefüges entflochten, um noch einmal in verdichteter Form die Bedeutung der Objekte, Orte und Menschen darzustellen. 13.2.1 Objekte Objekte spielen für die HIMs eine wichtige Rolle. Sie sind als Merkzeichen für die Konstitution und Aufrechterhaltung der personalen Identität entscheidend, etwa wenn Sven ein Bild seiner männlichen Familienangehörigen immer mit sich trägt oder Dora ihre in den USA geliebte Kleidung weiterhin in einem Karton im Keller aufbewahrt. Aber sie sind auch in weniger positiver Hinsicht ein Merkzeichen, etwa wenn die Verteilung der Besitztümer an unterschiedlichen Orten in Nordamerika für Ryan ein Zeichen seiner empfundenen Bindungslosigkeit ist. Objekte sind darüber hinaus als Symbole wichtig. Offizielle Dokumente wie Zeugnisse oder Reisepässe symbolisieren einen bestimmten sozialen und rechtlichen Status: etwa den eines Akademikers oder den einer Bürgerin eines Nationalstaates. Mit diesen Objekten wird dann an einen kollektiv geteilten, Zeit und Raum transzendierenden Bedeutungsgehalt angeknüpft, der es einer Person ermöglicht, die Staatsgrenze zwischen Frankreich und den Niederlanden zu überschreiten und im Aufnahmeland als Akademiker zu arbeiten. Dabei weisen Objekte eine situationale Biographie auf, wie ich sie in Anlehnung an Kopytoffs (1986) Konzept der kulturellen Biographie von Dingen nenne. Damit fasse ich das Phänomen, dass Objekte im Verlauf der Migrationsbiographie für die Einzelnen unterschiedliche Bedeutungen erhalten können. Ähnlich wie die Identitäten der HIMs sind somit auch die Identitäten der Objekte dynamisch und wandelbar, ihre Bedeutungen werden in Situationen raum- und zeitspezifisch kon-

13.2 Identitäten aus einer relationalen Perspektive

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stituiert. Dies gilt insbesondere für die Objekte, die die HIMs auf ihren Reisen begleiten und daher ebenfalls mobil sind und ihre eigene Migrationsbiographie aufweisen. In diesen Fällen begleitet das Objekt dieselbe Person über einen längeren Zeitraum und verändert dabei seine Bedeutung, da sich die Person selbst verändert, ihre Praktiken und ihr Lebensstil sich modifizieren und dadurch auch der Gebrauch von Objekten ein anderer wird: Das Objekte wird auf eine andere Art in das Handeln eingebunden und ermöglicht andere Formen der „materiellen Partizipation“ (Marres 2012, z.B. 2, Übers. ALM). Die Objekte, die vor Ort verbleiben und nicht mit umgezogen werden, weisen dagegen eher die von Kopytoff beschriebene kulturelle Biographie auf: Sie wechseln ihre BesitzerInnen und entfalten so in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterschiedliche Wirksamkeit. Luis’ Roller, mit dem er Granada erkundet, bleibt dort, als Luis nach Cambridge umzieht; voraussichtlich bekommt der Roller, der maßgeblich für Luis’ Praktiken der Ortsbindung war, neue BesitzerInnen und ist inzwischen möglicherweise verschrottet. Alle Objekte haben Teil an der Identitätskonstitution der HIMs. In den Interviews beschreiben sich die HIMs auch über ihren Umgang mit Objekten. So beschreibt sich Magda als „jemand, der nicht hortet“ (Magda, Pos. 30), während Luis von sich sagt, dass er „als Wissenschaftler besessen von seinem Computer und seinen Büchern“ sei (Luis, Pos. 372). Luis begründet seinen Umgang mit spezifischen Objekten also mit seiner Profession und verortet sich damit innerhalb des Kollektivs der WissenschaftlerInnen. Der Umgang mit dem Computer und den Büchern wird dadurch normalisiert und steht für ihn nicht im Widerspruch zu seiner tief empfundenen Freude, den Umzug von Granada nach Cambridge mit nur einem Koffer und einem Rucksack zu machen. Derart „leicht zu reisen“ erfüllt ihn „mit Stolz“ (Luis, Pos. 386), zeigt es doch an, wie wenig er auf materielle Güter angewiesen ist. Die Bedeutung der Objekte verändert sich über die Zeit – sie bleibt nicht stabil und verweist damit auf den Charakter der Objekte als Merkzeichen, welche eng an die individuelle Situation der Bezugsperson gekoppelt sind und eine stark situationale Biographie aufweisen. Die Situationen, in denen die Objekte je spezifische Bedeutung erlangen, ereignen sich häufig an Orten, welche für die Konstitution von Identitäten ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. 13.2.2 Orte Jackson (2000) argumentiert dafür, Identitäten aus einer relationalen Perspektive zu betrachten und sieht darin eine große Ähnlichkeit zu den Raum- und Ortskonzepten, wie sie etwa von Massey (z.B. 2007) vorgeschlagen werden. Denn nicht nur die räumlichen Bezüge der Menschen seien in der Spätmoderne umfangreicher und komplexer geworden und erforderten eine kontinuierliche (Re)Stabilisierung. Vielmehr gelte dies auch für Identitäten: „In a world „on the move“, identities are

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

increasingly complex and unstable“ (Jackson 2005, 396, Herv.i.O.). Und so formulieren auch Morley und Robins (1995) eine Theorie der spaces of identity, um die zunehmend komplexer werdenden Bezüge, die für die Menschen in der Postmoderne wirksam sind, fassen zu können. Diese Bezüge seien heute deutlich durch die Wechselwirkungen zwischen lokaler und globaler Ebene gekennzeichnet, wie die Autoren für das Beispiel Europa herausstellen: The geography of Europe – economic, political and cultural – is being refashioned in the context of an ever more apparent global-local nexus. In this process, there is great scope and potential for elaborating new forms of bonding: new senses of community; new attachments and allegiances; new identities and subjectivities. (Morley und Robins 1995, 5)

Die weltweit zwischen verschiedenen Orten aufgespannten Räume bringen neue Identitäten hervor und modifizieren bestehende Identitäten, etwa die der Nation. So ist auch Sarahs Aussage zu erklären, die sich selbst als „in Großbritannien geboren und aufgewachsen, aber nie dort zugehörig gewesen“ (Sarah, Pos. 170–176) und als „internationale Bürgerin“ beschreibt (Sarah, Pos. 177). Ihre lokalen und nationalen Bezüge sind Teil ihrer Identität, ebenso aber die globalen Bezüge und die Selbstverortung in der international community. Diese ist ihre Bezugsgemeinschaft – und nicht die Nation, der sie nach ihrem Pass zugehörig ist. Orte sind schließlich auch die Kontexte, in denen die HIMs handeln und am sozialen Leben teilhaben. Die Einbindung in soziale Zusammenhänge vor Ort ist ein wichtiger Bestandteil ihrer personalen, aber auch ihrer kollektiven Identität. Indem sie mit ihren ArbeitskollegInnen interagieren, konstituieren sie eine berufliche Identität in dem Unternehmen oder der Forschungseinrichtung, in der sie vor Ort arbeiten. Sie sind dann eben nicht nur Biologe oder Logistikerin, sondern Biologe in dem einen Labor in Granada oder Logistikerin in der einen Firma in Wien. Die berufliche Identität wird verortet und im Zuge dieser Verortung spezifiziert. Gleichzeitig können über Arbeitszusammenhänge auch plurilokale Bezüge etabliert und aufrechterhalten werden. So finden wissenschaftliche Konferenzen an unterschiedlichen Orten auf der Welt statt, und auf diesen Konferenzen trifft Ryan KollegInnen, mit denen er sich austauscht und einen transnationalen wissenschaftlichen Raum aufspannen, in dem Wissen zirkuliert. Hier wird eine spezifische wissenschaftliche Identität verräumlicht und durch wiederholte Treffen an den jeweiligen Orten auf Dauer gestellt. Derartige Verortungen sind, trotz grenzüberschreitenden, technologisch angereicherten Interaktionsmöglichkeiten, wichtig für die Bindungen und die Stabilisierung der kollektiven Identitäten (dazu auch Bauschke-Urban 2011, 92).99 Im Zuge von Umzügen und den damit einhergehenden Neu-Verortungen finden dann nicht nur Justierungen der eigenen Identität statt, sondern es werden auch Reklassifizierungen von außen vorgenommen, wie Bauschke-Urban (2011, 99

Auch Sassens (1991) global city-Konzept lässt sich in diese Richtung weiterdenken: Nicht nur sind face-to-face-Kontakte zwischen GeschäftspartnerInnen weiterhin eine gängige Praxis in der Wirtschaft, sondern lokalisierte Unternehmen tragen auch zu der Konstitution einer Identität als Manager in Manhattan oder als Börsenhändlerin in Tokyo bei.

13.2 Identitäten aus einer relationalen Perspektive

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89) mit ihrer Studie zu transnationalen Karrieren von Wissenschaftlerinnen zeigt. Ihre Interviewee Nalan illustriert dies: Nalan wurde in Deutschland als Tochter eingewanderter türkischer Eltern aufgrund ihres Migrationshintergrunds diskriminiert; dagegen „wurde sie in Großbritannien zwar als Migrantin wahrgenommen, hier jedoch nicht als Person, die eine familiäre Einwanderungsgeschichte hat, sondern als mobile Wissenschaftlerin, die besonders hoch qualifiziert ist.“ In diesem Fall wird Migration in doppelter Weise zu einem Identitätsmerkmal: als Ausweis ihrer familiären und ihrer individuellen Biographie. Die Bedeutung von Orten für die Rekontextualisierung des Identitätsmerkmals „Migrationsbiographie“ betont Bauschke-Urban (2011, 89): „An ihrem Beispiel zeigt sich sehr anschaulich, dass ein lokaler Kontextwechsel durch die Mobilität nach Großbritannien eine Veränderung der sozialen Zuschreibung von Ethnizität bedeutete.“ Orte und Ortswechsel spielen daher eine wichtige Rolle für die Identitäten der HIMs. Das letztgenannte Beispiel der Fremdzuschreibung des Migrationshintergrunds verweist schließlich auf den dritten Punkt im Netzwerk der verflochtenen Identitäten: die Menschen. 13.2.3 Menschen Menschen kamen in den vorangegangenen Ausführung schon vielfach zur Sprache. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, wie und welche Identitäten von den HIMs ausgebildet werden; dies betrifft sowohl ihre kollektive als auch ihre personale Identität. Die HIMs sind dabei wiederum in einem Gefüge aus Menschen zu denken. Und auch dieses Gefüge weist spezifische räumliche und zeitliche Merkmale auf. So sind im Verlauf der Migrationsbiographie unterschiedliche Menschen und Gruppen die Bezugspersonen, die für die Ausbildung, Stabilisierung und Modifizierung der Identitäten den Referenzrahmen bilden. In der frühen Phase der beruflichen Karriere sind häufig die KollegInnen ein wichtiger Bezugspunkt, besonders in der Wissenschaft. So beschreibt Luis, wie er am Ende seiner Promotion mit anderen DoktorandInnen über ihr transnationales Leben und ihre berufliche Zukunft diskutiert habe. Diese Gespräche und die damit verbundene emotionale Unterstützung halfen ihm dabei, eine positiv konnotierte Identität als internationaler Wissenschaftler auszubilden: In Spain when we were all looking for postdocs […] we were discussing about professions and about cities. […] We were five of us, we worked in different labs, but we were like a really strong group of girls and guys, they were my friends in the institute. (Luis, Pos. 236–254)

Als seine Karriere fortschritt, änderte sich die Bedeutung dieses kollegialen Austauschs. Dies lag nicht nur daran, dass er als Vater nun einen anderen sozialen Status hat, sondern auch an der veränderten beruflichen Situation: Now at this point of my career I don’t wanna give this information [about job offers] because maybe he is going to use it not in a nice way. So you start to become more closed, more protec-

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten tive, and as a post doc I have to say you develop in a different way than some PhD students. You are more focused on your project and your career as a business. (Luis, Pos. 266–268)

Luis ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Bezugspersonen nicht nur über den Verlauf der Karriere, sondern auch in Abhängigkeit vom sozialen Status ändern; Statuspassagen, etwa vom Single zur verheirateten oder in Partnerschaft lebenden Frau, gehen mit derartigen Wechseln des Bezugsrahmens einher. Als Paar geht es nun, so Luis, nicht mehr nur um ihn selbst, sondern auch um die Lebensgefährtin und sein Kind. In diesen Phasen werden die multiplen Identitäten mit ihren unterschiedlichen Anforderungen, Praktiken und Lebensstilen daher besonders deutlich. Dabei sind gerade letztere in der Spätmoderne ein zentrales Element des Selbstverständnisses als Person, wie Giddens (1991, 81) herausstellt: in conditions of high modernity, we all not only follow lifestyles, but in an important sense are forced to do so – we have no choice but to choose. A lifestyle can be defined as a more or less integrated set of practices which an individual embraces, not only because such practices fulfil utilitarian needs, but because they give material form to a particular narrative of self-identity. (Giddens 1991, 81)

An den Lebensstilen, die uns auch für andere erkennbar und identifizierbar und letztlich klassifizierbar machen, wird auch die körperliche Dimension der Identität sehr deutlich. Nicht nur sind die Praktiken, die zentral mit der Ausübung eines Lebensstils verbunden sind, in der Regel verkörpert – etwa bei dem Volleyballspieler Dieter. Vielmehr dient der Körper als Darstellungsmedium eines Lebensstils und bildet die Grundlage für unsere Art, uns zu kleiden, zu schminken, zu tätowieren oder anderweitig zu schmücken. Darüber werden wir als Einzelne zuordnenbar; in ausdifferenzierten Gesellschaften ein wichtiges Ordnungskriterium, nach dem Inklusion und Exklusion vorgenommen und nicht nur personale, sondern auch kollektive Identitäten produziert werden (dazu auch Butler 1997). Und Migration hat auf den Körper noch eine unmittelbare Wirkung: Sie wird verkörpert. Dora beschreibt es so: Du bist dann hautfarbenmäßig auch anders, wenn du immer da in sonnigen Gefilden bist, dann hast du einfach immer einen schönen Teint. Dann kannst du knalligere Farben tragen. Das machst Du hier dann [nicht]. (Dora, Pos. 62)

Ihr Aufenthalt in Florida wirkt sich direkt auf ihren Körper aus. Mittelbar führt dies dazu, dass sie sich anders kleidet, mit „knalligeren Farben“. Nach ihrem Umzug in die Schweiz stellt sie fest, dass ihre Kleidung nicht zu der aktuellen Situation und auch nicht mehr zu ihrem Körper passt – die Konsequenz: Sie lagert sie nun als Merkzeichen ihres Aufenthaltes in den USA im Keller. Das wiederholte Umziehen bedeutet, neben dieser eher ästhetischen Konsequenz der Migration, auch physische Erschöpfung. François beschreibt, wie er und seine Lebensgefährtin durch das Umziehen nicht nur psychisch ermüdeten, sondern auch physisch:

13.3 Widersprüche Leben der Perspektive HIMs 13.2 Identitäten aus einerim relationalen

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One thing that also was tiring for us at some point was the physically moving. It’s such a pain in the ass, every time you have to pack and pack and pack, and it’s just like: „I’m tired of that“. (François, Pos. 252)

Der Körper ermüdet beim Packen der Kisten für den nächsten Umzug. Er kann aber auch über die Migrationsbiographie hinweg ermüden; hier fallen dann physische und psychische Wirkungen wiederholter Migration zusammen. Im Kontext von arbeitsbezogener Migration kann die wiederholte Migration schließlich noch weitere Konsequenzen haben, etwa wenn prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wie sie beispielsweise in der Wissenschaft üblich sind, das psychische Wohlbefinden der MigrantInnen zusätzlich beeinträchtigen. Der Körper ist damit ein zentrales Moment für die Herstellung, Aufrechterhaltung und Modifikation von Identitäten. Über ihn werden wir (vermeintlich) erkennbar, er trägt und erträgt unser alltägliches Handeln, er ermöglicht das Lernen neuer Sprachen und ist eine materialisierte Spur unseres Lebens – für die HIMs heißt das: Spur ihrer Migrationsbiographien und ihrer verflochtenen Identitäten. Denn: The body is an object in which we are all privileged, or doomed, to dwell, the source of feelings of well-being and pleasure, but also the site of illnesses and strains. However, as has been emphasised, the body is not just a physical entity which we „possess“, it is an action-system, a mode of praxis, and its practical immersion in the interactions of day-to-day life is an essential part of the sustaining of a coherent sense of self-identity. (Giddens 1991, 99, Herv.i.O.)

Aber der Körper zeigt eben immer nur bestimmte Aspekte der Identitäten; und auch wenn er Spuren des Vergangenen ausdrückt, so ist Doras dunklerer Teint inzwischen längst verblasst, François hat sich vom Kistenpacken des letzten Umzugs physisch erholt und Riekes Sprachkompetenzen sieht man ihr nicht an. So steht der Körper letztlich als vermittelndes Moment zwischen uns und den anderen und lässt nur spezifische Züge unsere Identitäten zum Vorschein treten. 13.3 Widersprüche im Leben der HIMs Die vergangenen Ausführungen haben vergleichsweise kohärente Identitäten der HIMs gezeigt. Dies ist nur konsequent, da die Selbstbeschreibungen in der Regel genau darauf abzielen: das eigene Selbst als stabile, in sich schlüssige Entität zu konzipieren. Liest man die Migrationsbiographien und die Selbstbeschreibungen der HIMs noch einmal mit der Lupe des Widerspruchs, so zeigen sich in beidem Brüche, Friktionen und Inkonsistenzen. Die folgenden Ausführungen dienen dazu, auf diese Widersprüche in den Leben, Identitäten und Selbstbeschreibungen der HIMs hinzuweisen – nicht, um sie bloßzustellen, sondern um dem Phänomen gerecht zu werden. Dabei gibt es zunächst die oft widersprüchliche Haltung zur Mobilität als ganzer. Diese wird von den Interviewees durchaus explizit gemacht und als ebensolche reflektiert. Ryan und Sarah verwenden dafür beide die Metapher des „Kuchens,

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

den sie gleichzeitig anschauen und essen wollen“ (Sarah, Pos. 284; Ryan, Pos. 247). Mobilität wird geschätzt, da es ihnen vieles ermöglicht, und sie können sich kein Leben ohne räumliche Mobilität vorstellen; selbst Ryan nicht, den seine aktuelle sozial und räumlich prekäre Situation stark belastet. Für ihn ist ein „Fantasieren über ein Leben an einem Ort“ nur möglich, weil ihm sein „Beruf die Möglichkeit bietet, immer mobil zu sein“, etwa wenn er auf Konferenzen fährt (Ryan, Pos. 247). Costas (2013) verweist auf diesen Widerspruch, der letztlich auf die Differenz von Neuem und Routine verweist. Während zunächst das – neue – mobile Leben als glamourös wahrgenommen wird, wird es, nachdem es zur Routine geworden ist, als instabil und nomadenhaft gerahmt und negativ umgedeutet: Being on the move is thus experienced as unstable and disorientating […]. This unsettling realization of even home being unstable, lacking in sociality, reinforces the need for having „more … a sense of control over … life“. (Costas 2013, 1480–81, Herv.i.O.)

Im selben Zug wird das – inzwischen fremde – sesshafte Leben, das nicht gelebt wird, idealisiert. An die widersprüchliche Wahrnehmung von Mobilität geknüpft sind auch die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Mobilität und Ortsbindung. Die HIMs beschreiben es als Herausforderung, zwischen diesen beiden Momenten und den damit verbundenen Erwartungen und Emotionen zu balancieren. Letztlich geben sie der Mobilität und der Bindung aber unterschiedliche große Möglichkeiten, in ihr Leben, ihren Lebensstil und ihre Identität einzusickern. Die Unterschiede sind dabei sowohl innerhalb einer individuellen Migrationsbiographie und damit über den Zeitverlauf als auch zwischen den Individuen festzustellen. Für diese zwei Typen des Umgangs mit Mobilität und Ortsbindung lassen sich, je nach Fokus, unterschiedliche Begriffe finden. Ich arbeite hier mit zwei Begriffspaaren: dem der Amöbe und des Kirschkerns sowie dem des Parasiten und des Neobiont. Das Begriffspaar Amöbe-Kirschkern fokussiert die individuellen MigrantInnen und ihren Umgang mit der Mobilität und mit dem dadurch erlangten (neuen) Wissen. Das Begriffspaar Parasit-Neobiont fokussiert dagegen das Verhältnis von MigrantIn und Aufnahmegesellschaft und damit stärker die Ortsbindung. Die Typen stellen spezifische Praktikenbündel dar, durch die sie charakterisiert werden können; diese schließen damit auch Umgangsweisen mit Objekten und Orten ein und berücksichtigen so alle Fäden der Verflechtungen von Menschen, Orten und Objekten. Das Begriffspaar Amöbe-Kirschkern erzeugt bei LeserInnen bestimmte Bilder im Kopf: Während die Amöbe sich in der spezifischen Ausformung ihrer Gestalt an ihre Umgebung anpasst, ist der Kirschkern das harte, nicht veränderliche, nur physisch zerstörbare Innere einer Frucht. Die Unterscheidung zwischen den Amöben und den Kirschkernen ist von diesen Bildern geprägt. So gibt es HIMs, die über ihre gesamte Migrationsbiographie hinweg oder während einzelner Phasen dieser Biographie ihre eigene Persönlichkeit als maßgeblich durch die Mobilität geprägt verstehen; ihre Selbstbeschreibungen sind von der Beschreibung ihrer pluralen Werthaltung und einer positiv konnotierten (räumlichen) Flexibilität geprägt. Lisas Beschreibung ihrer selbst kulminiert in folgender Aussage:

13.3 Widersprüche im Leben der HIMs

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Im Endeffekt, glaube ich, wird man jedes Mal zu einer anderen Person, wenn man in anderen Gesellschaften kontextualisiert wird. (Lisa, Pos. 40)

Hier zeigt sich die Wirkung eines wiederholten regrounding auf die Ausformung der migrantischen Identität.100 Die Amöben beschreiben sich als „offen“ (Djadi, Pos. 71) und als „reisefreudig“ (Magda, Pos. 12); Magda beschreibt, dass sie „ein authentisches Interesse an Menschen“ habe (Magda, Pos. 34). Vielfach begründen die Personen ihren mobilen Lebensstil auch mit ihrer familiären Sozialisation. Damit findet hier eine Verschneidung von privaten und beruflichen Momenten ihres Lebens statt, die auch Costas (2013, 1476, Herv.i.O.) für die von ihr untersuchten BeraterInnen identifiziert: Consultants remark how, outside of work and before having started working for the company, they „liked to travel alot“ (Miriam, manager, FC) to exotic destinations, such as „Australia, New Zealand, Thailand and Cambodia“ (John, consultant, CE).

Die Kirschkerne dagegen sind diejenigen, die – trotz der auch von ihnen für sich konstatierten Offenheit für andere Lebensweisen – sehr entschieden darin sind, ihren Lebensstil unabhängig vom konkreten Ort, an dem sie sich befinden, weiterzuführen und „sich nicht in alles integrieren wollen“ (Dieter, Pos. 38). Ihre plurale Werthaltung stellt dabei gleichsam das Fruchtfleisch der Kirsche dar, während ihr Lebensstil, an dem sie festhalten, der Kern der Kirsche ist. Diejenigen, die während einer Phase ihrer Biographie oder über ihr gesamtes bisheriges Leben hinweg eher Merkmale der Kirschkerne zeigen, beschreiben ihre Beziehung zur (lokalen) international community häufig deutlich affirmativer als die Amöben, aber auch der Bezug zur nationalen Identität ist noch vergleichsweise stark ausgeprägt (Dieter, Pos. 54). Mit diesen Umgangsweisen mit Mobilität und der Interpretation der Mobilität als Teil des eigenen Lebens gehen dann spezifische Praktiken einher: Die Amöben setzen viel daran, das, was ihnen wichtig ist und mit dem sie sich an unterschiedlichen Orten zuhause fühlen können, vor Ort zu praktizieren – und ziehen zusammen mit ihrem Musikinstrument um. Die Kirschkerne tendieren dazu, Dinge einzulagern und an dem Moment, an dem ihre berufliche und/oder finanzielle Situation es zulässt, nachkommen zu lassen. Ähnliche Unterschiede gibt es auch beim Umgang mit Essen: Die lokalen Lebensmittel und Zubereitungsformen werden in den Alltag aufgenommen, oder es wird versucht, ausgewähltes bekanntes und geschätztes Essen mit mitunter recht hohem Aufwand zu erhalten. Auf eine ähnliche Unterscheidung zwischen den Umgangsweisen mit Mobilität verweist auch Jones (2013) auf der Grundlage einer Studie zu Studierenden und jungen ArbeitnehmerInnen, die von Südindien nach Großbritannien umziehen. Dabei zeigen sich zwei idealtypisch voneinander zu trennende Gruppen: die der „Kosmopoliten“ und die der „Cliquen“ (Jones 2013, 430–31). Während erstere dazu tendierten, ethnisch diverse Freunde zu haben, zeichneten sich die Bezugsgruppen letzterer durch ethnische Homogenität aus. Diese Haltung der Kirschker100 Hier ließe sich auch mit Giddensʼ (1984) Konzepten der dis/embeddedness argumentieren.

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13 (Re)Konstruktion und Narration von Identitäten

ne wird auch von Duchêne-Lacroix (2006, 245) identifiziert, der diesen Typus mit dem Bild einer „Festung“ umbeschreibt. Das zweite Begriffspaar Parasit-Neobiont entstammt ebenso wie das der Amöbe und des Kirschkerns aus der Biologie. Hier geht es um unterschiedliche Umgangsweisen mit den Orten, an denen man lebt, und damit auch mit der Aufnahmegesellschaft. Interessanterweise ist der Begriff des Parasiten auch ein in-vivo code: Sarah beschreibt sich selbst als „Parasitin“ (Sarah, Pos. 237) in der Aufnahmegesellschaft. Im Diskurs der Moderne ist ein Parasit, so Stullich (2013, 26), „eine Pflanze, die gut davon lebt, wertvolle Nährstoffe, also Ressourcen, abzuziehen. Zugleich wird aber ein Zusammenhang zwischen der Gefahr für das Überleben der Wirtspflanze und dem Überleben der parasitischen Pflanze hergestellt.“ 101 Demgegenüber steht die Figur des Neobionten: In der Biologie eine Bezeichnung für invasive Tierarten, die in ihrer neuen Umgebung heimisch werden. Übertragen auf die HIMs bedeutet dies, dass wir es hier mit unterschiedlichen Haltungen zur lokalen Einbindung und zur Aufnahmegesellschaft zu tun haben. Die Neobiota als Neuankömmlinge in der Gesellschaft setzen viel daran, die lokalen Besonderheiten, Gepflogenheiten und Praktiken kennenzulernen. So nutzt Luis den Roller in Granada, um „die versteckten Orte zu entdecken“, und schwärmt davon, wie er vor Ort das „einheimische Essen kennenlernt“ und „bekannt wird für diese Expertise“ (Luis, Pos. 116–118, Übers. ALM). Als Parasit dagegen nutzt man die Möglichkeiten, die die Aufnahmegesellschaft einem bietet, etwa für die berufliche Karriere. An Luis lässt sich zeigen, dass sich in ihm gleichzeitig beide Züge – die des Neobionten und die des Parasiten – finden: Er beschreibt, dass für ihn die Orte, an denen er arbeitet, zunächst nicht so entscheidend sind, da „die Zeiten in den Städten Deadlines haben“ und er dort „für die Karriere lebt und danach sich weiterentwickelt und weiterzieht“ (Luis, Pos. 324– 328, Übers. ALM). Die Parasiten sind stärker Teil der international community als die Neobiota; dies kann gewollt sein, wie im Fall von John, oder als bedauernswerte, aber notwendige Konsequenz des eigenen mobilen Lebens gerahmt werden, wie es Sarah tut. Aber auch im Leben von John zeigt sich die Gleichzeitigkeit des neobiontischen und parasitären Lebens, wenn er sagt, dass er „wahrscheinlich ein schlechter expat sei, da er so viel mit seinen [einheimischen] Nachbarn zu tun“ habe (John, Pos. 273). Der unterschiedliche Umgang mit der Aufnahmegesellschaft und dem Leben vor Ort, der der Unterscheidung von Neobiota und Parasiten zugrunde liegt, wird häufig zeitlich begründet. Das Wissen um ein mögliches baldiges Umziehen lässt die HIMs zurückhaltend sein, was ihre Engagement in der lokalen Gemeinschaft angeht. Bei Sarah, die sich selber als „internationale Bürgerin“ (Sarah, Pos. 177) beschreibt und ihr „parasiäteres“ Dasein bedauert, verändert sich über den Zeitverlauf dieses Engagement: Sie beginnt, sich mit dem Bienenzüchten zu beschäftigen, und kommt so in Kontakt zu Einheimischen (Sarah, Pos. 121). 101 Zur Verwendung des Begriffs des Parasiten für die Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse und sozialer Beziehungen auch Serres (2016).

13.3 Widersprüche im Leben der HIMs

279

Dass sich diese unterschiedlichen Umgangsweisen mit und Haltungen gegenüber der jeweiligen Aufnahmegesellschaft auf die Identitäten der HIMs auswirken, ist im Verlauf der Ausführungen deutlich geworden (dazu auch Li et al. 1995). Die Identitäten der HIMs sind die Momente, an denen die Verflechtung von Menschen, Orten und Objekten für die Individuen und die Gesellschaft wirksam werden. Ihre zeitlichen und räumlichen Merkmale zu spezifizieren, war auch Anliegen dieses das Buch abschließenden Kapitels. Was bleibt nun zu sagen über das Balancieren zwischen Hier und Dort von hochqualifizierten internationalen MigrantInnen?

14 Was zählt? Fazit und Ausblick

In diesem Buch ging es um die Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten. Zentral war die Frage, wie Migration und eine bestimmte Lebensform des Migrantischen durch das Zusammenspiel von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren an Orten und zwischen Orten hervorgebracht, stabilisiert und dynamisiert wird. Ich bin dieser Frage mithilfe der Narrationen von Menschen nachgegangen, die in ihrem Berufsleben wiederholt international umgezogen sind und vor Ort mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung gelebt haben. Ihre Migrationsbiographien und ihre Identitäten sind von diesen wiederholten Ortswechseln und ihr Leben und Arbeiten in unterschiedlichen Ländern gekennzeichnet. Charakteristisch ist dafür ein Balancieren zwischen Hier und Dort und damit die Gleichzeitigkeit von lokalen und plurilokalen Bezügen und Bindungen. Für diese Bezüge sind Menschen und Orte ebenso wichtig wie Objekte, und sie sind integraler Bestandteil ihrer migrantischen Identitäten. Das vorliegende Kapitel dient dazu, die in diesem Buch vorgestellten Ergebnisse in der gebotenen Kürze zusammenzufassen und die zu Beginn gestellte Frage, inwiefern die HIMs sich von anderen MigrantInnengruppen unterscheiden, aufzugreifen. Abschließend skizziere ich, in welcher Weise sich die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit für weitere Forschung in spätmodernen Gesellschaften eignet. 14.1 Balancieren zwischen Hier und Dort Das Leben von hochqualifizierten internationalen MigrantInnen kennzeichnet sich, so die zentrale These dieses Buches, durch ein spezifisches Wechselspiel von Mobilität und Ortsfeste. Sie balancieren dabei zwischen Hier und Dort: zwischen ihrem aktuellen Lebensmittelpunkt und vergangenen Wohn- und Arbeitsorten, zwischen ihrem gegenwärtigen Wohnort und den Orten, an denen wichtige Bezugspersonen leben oder an denen Habseligkeiten gelagert sind. Für dieses Balancieren bilden sie spezifische Praktiken aus, mit denen sie die plurilokalen Bezüge zu einem integralen Bestandteil ihres Lebens machen. Diese Praktiken beziehen sich in besonderer Weise auf Objekte und auf Orte.

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14 Was zählt? Fazit und Ausblick

14.1.1 Objekte Mithilfe der mobilen Objekte, die die HIMs auf ihren Reisen begleiten, gelingt es den HIMs, sich vor Ort zuhause zu fühlen. Dabei verändern die Objekte über den Zeitverlauf durchaus ihre Bedeutung für die HIMs; sie weisen nicht nur selbst eine Migrationsbiographie, sondern darüber hinaus eine situationale Biographie auf, die sie beispielsweise von einem Funktionsträger zu einem Erinnerungsträger und damit von einem funktionalen Objekt zu einem Merkzeichen der Migrationsbiographie ihres Besitzers oder ihrer Besitzerin werden lässt. Ihre jeweilige Bedeutung ist demnach eng an die Person gebunden, die sie nutzt und in die eigenen Praktiken inkludiert. Je nach Situation verändert sich diese Nutzung und in diesem Zuge auf die Bedeutung der Objekte. Damit weist die Objekt-Mensch-Beziehung eine spezifische Zeitlichkeit auf. Stationäre Objekte und die vor Ort genutzten mobilen Objekte dienen den HIMs dazu, sich an für sie fremden Orten einzuleben und Ortswissen und erlangen und stabilisieren ihr alltägliches Leben in Situationen wiederholter Instabilität. Die Objekte sind Teil von Raumkonstitutionen, die vor Ort vorgenommen werden, und materialisieren darüber hinaus die Migrationsbiographien der HIMs, etwa wenn ein Kleidungsstück als Erinnerung an ein Leben an einem anderen Ort erinnert. Damit ist der Objekt-Mensch-Beziehung neben der Zeitlichkeit auch eine spezifische Räumlichkeit zu eigen. 14.1.2 Orte Das Leben der HIMs vor Ort ist von einer spezifischen Räumlichkeit und Zeitlichkeit gekennzeichnet. Erstere weist eine lokale und eine plurilokale Dimension auf: Lokal werden unter Bezugnahme auf die Qualitäten der Orte und ihrer Infrastrukturen und Landschaft spezifische Räume konstituiert, die Bindungen an diese Orte erzeugen (place attachment). Gleichzeitig sind die HIMs mit anderen lokalen Kontexten verbunden, da sie die Orte, an denen ihnen wichtige Personen leben, ihr Besitz gelagert ist oder mit denen sie für sie wichtige Erinnerungen verbinden, in ihr Referenzsystem vor Ort integrieren. Darüber werden transnationale Räume konstituiert, die das lokale Leben in der Gegenwart kennzeichnen. Eben dieses Leben in der Gegenwart kennzeichnet sich, so der zweite Punkt, durch charakteristische Bezugnahmen auf die Vergangenheit und die Zukunft und damit eine spezifische Zeitlichkeit. Das Wissen um die potentiell oder real zeitlich begrenzten Aufenthalte vor Ort wirkt sich auf die Einbettungen und Einbindungen am jeweils aktuellen Wohn- und Arbeitsort aus. Es führt dazu, dass bestimmte Situationen bewältigt und Kompromisse akzeptiert werden können, die beispielsweise die (nicht ideale) Wohnung oder die (fehlende) Einbindung in die Aufnahmegesellschaft betreffen. Das aus der eigenen Migrationsbiographie resultierende Erfahrungswissen um den Umgang mit bestimmten Situationen fügt der Zeitlichkeit des Lebens vor Ort ei-

14.1 Balancieren zwischen Hier und Dort

283

nen expliziten Vergangenheitsbezug hinzu. Auch dieses Erfahrungswissen kann der Bewältigung von Situationen dienen, es kann aber auch die Migrationsentscheidungen für oder gegen einen Ort selbst beeinflussen und weist damit einen eigenen Zukunftsbezug auf. 14.1.3 Menschen Schließlich sind Bindungen zu Menschen wichtig für das Balancieren zwischen Hier und Dort. Diese Bindungen können wiederum lokal und plurilokal sein. An Orten bestehen sie zu Individuen wie beispielsweise den PartnerInnen und Kindern sowie den ArbeitskollegInnen und zu Kollektiven wie der lokalen international community. Darüber hinaus weisen die HIMs ein vielfältiges soziales Beziehungsnetz auf, das sie mit Orten in unterschiedlichen Ländern verbindet. Dazu gehören Familienangehörige ebenso wie Freunde und ehemalige ArbeitskollegInnen, die im Verlauf der Migrationsbiographie zu wichtigen Bezugspersonen geworden sind. Indem die HIMs diese Beziehungen aufrechterhalten, konstituieren sie einen transnationalen sozialen Raum, der sich zwischen den verschiedenen Orten, zu denen sie Bezüge aufweisen, aufspannt und der ihr Leben im Hier mit den Leben im Dort verbindet. Das Leben im Hier ist durch eine temporäre Verortung und die Konstitution spezifischer Lokalitäten gekennzeichnet. Diese Lokalitäten entstehen aus der Verflechtung von Objekten, Menschen und Orten an Orten und den darüber konstituierten Räumen und sind wichtig für die Bindungen, die vor Ort entstehen und die die Zugehörigkeit (belonging) und temporäre Integration der MigrantInnen an wechselnden Orten ermöglichen. Lokalitäten weisen dabei, wie das Leben der HIMs vor Ort insgesamt, eine spezifische Zeitlichkeit und Räumlichkeit auf, da sie aufhören zu existieren, wenn sie nicht aktualisiert werden, und ortsgebunden sind. Damit zeigt sich, dass grenzüberschreitende Mobilität nicht unabhängig von geographisch fixierbaren Orten vor sich geht. Auch wenn die HIMs in der globalisierten Welt, in der sie leben, transnationale soziale Räume herstellen und sich in einer global agierenden Gruppe anderer internationaler MigrantInnen bewegen, so sind diese Phänomene doch nicht ohne die Orte zu verstehen, zwischen denen sie sich bewegen, an denen sie temporär leben und an denen sie lokal spezifische Räume und Lokalitäten konstituieren. Die Verortung ist danach ebenso Bestandteil des Lebens der HIMs wie die Mobilität, und das eine findet in Bezugnahme auf das je andere statt. Dieses gelebte Balancieren zwischen Hier und Dort und die dafür wichtigen Verflechtungen von Menschen, Orten und Objekten konstituieren verflochtene Identitäten der HIMs.

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14 Was zählt? Fazit und Ausblick

14.1.4 Verflochtene Identitäten Die Identitäten der HIMs kennzeichnen sich durch eine spezifische Umgangsweise mit dem Wechsel von Mobilität und Ortsfeste und damit mit dem Balancieren zwischen Hier und Dort. Damit verbunden sind unterschiedliche Umgangsweisen mit räumlicher Bewegung auf der einen Seite und unterschiedliche Formen der sozialen Einbindung auf der anderen Seite. Diese weisen innerhalb der HIMs Binnendifferenzierungen auf und lassen sich zwei Typenpaaren zuordnen: dem Paar Amöbe-Kirschkern und dem Paar Parasit-Neobiont. Als Unterscheidung wird die Dimension verwendet, auf die sich die für das jeweilige Typenpaar charakteristischen Praktikenbündel in besonderer Weise beziehen. Im Fall Amöbe-Kirschkern ist es die Bewegung zwischen Orten, im Fall Parasit-Neobiont die Bindung vor Ort. Die Praktikenbündel, die für die Typen konstitutiv sind, beinhalten die Praktiken des Migrierens zwischen Orten respektive des Lebens vor Ort sowie die sozialen Einbindungen und die spezifischen Umgangsweisen mit Objekten und Orten. Damit berücksichtigen sie die verschiedenen Elemente der Verflechtungen von Menschen, Orten und Objekten, die ich in diesem Buch diskutiert habe. Das Typenpaar Amöbe-Kirschkern fokussiert die individuellen MigrantInnen und ihren Umgang mit der Mobilität und mit dem dadurch erlangten Wissen. Der Typus der Amöbe ist dabei der flexiblere, während der Typus des Kirschkerns der rigidere ist. Dieses Charakteristikum bezieht sich sowohl auf die Haltung zur Mobilität als Lebensform und Anforderung als auch auf den Umgang mit Neuem. In den (Selbst-)Beschreibungen derjenigen HIMs, die sich den Amöben zurechnen lassen, lässt sich eine plurale Werthaltung mit einer großen Offenheit für neue Eindrücke und Wissensformen sowie eine positive Haltung gegenüber (räumlichen) Flexibilität finden. Die HIMS, die sich den Kirschkernen zurechnen lassen, formulieren dagegen entschiedener ihren Wunsch, ihren Lebensstil unabhängig vom konkreten Wohn- und Arbeitsort weiterführen zu können und betrachten die an sie herangetragene und von ihnen gelebte Mobilitätsanforderung deutlich zurückhaltender. Zwar weisen auch ihre Beschreibungen ein hohes Maß an Offenheit für andere Lebensformen und ways of doing auf, doch sie sind von diesen Einflüssen weniger stark durchzogen als die Amöben. Das Typenpaar Parasit-Neobiont fokussiert mit dem Verhältnis von MigrantIn und Aufnahmegesellschaft die Ebene der Bindungen vor Ort. Dabei zeichnen sich die Parasiten durch eine deutliche Bezugnahme auf die (lokale) international community aus. Hier lassen sich Formen des Selbsteinschlusses in die Gemeinschaft der internationalen MitbürgerInnen und des Selbstausschlusses aus der Gemeinschaft der auf Dauer ortsfesten Bevölkerung identifizieren; diese werden von einigen Parasiten als intendiert vorgenommen, von anderen als unvermeidliche Konsequenz des eigenen mobilen Lebens gerahmt. Die Neobiota sind dagegen stärker bestrebt, als Neuankömmlinge die Besonderheiten, Gepflogenheiten und Praktiken der Gesellschaft vor Ort kennenzulernen.

14.2 Hochqualifizierte als diezwischen AnderenHier unterund denDort MigrantInnen 14.1 Balancieren

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Mit diesen verflochtenen Identitäten ist ein spezifischer Lebensstil der wiederholten Mobilität verbunden, der ähnlich wie die Identitäten der HIMs unterschiedliche Ausprägungen aufweist. Die gemeinsame Klammer ist der Umgang mit Anderem – anderem Wissen, anderen Lebensformen, anderen Menschen, anderen Institutionen. Durch die Migrationsbiographie erlangen die HIMs eine routinierte Umgangsweisen, mit Fremdem und Neuem umzugehen, welche Konsequenzen für die sozialräumliche Einbettung in der Welt hat, wie es François beschreibt: Each place and gives you certain skill sets and a certain way of behaving and then you move to another place and you have incorporated some of the things from the last place and then you pick up new things here and in the end all of it comes together, and I guess that ’s what comes together and makes it so that you don’t completely fit in anymore because you have aspects from everywhere you’ve been. (Sven, Pos. 231–233)

Es ist dieser Lebensstil der wiederholten Mobilität, der die HIMs zu einer abgrenzbaren sozialen Gruppe mit einem geteilten, sie von anderen migrantischen und nicht-migrantischen Gruppen unterscheidbaren Umgang mit ihrer sozialen und räumlichen Umwelt macht. 14.2 Hochqualifizierte als die Anderen unter den MigrantInnen Zu Beginn dieses Buches habe ich in der Einführung der Untersuchungsgruppe der hochqualifizierten internationalen MigrantInnen die Frage, inwiefern sie die Anderen unter den MigrantInnen darstellen, wie folgt beantwortet: „Die HIMs sind daher insofern anders als andere MigrantInnen, als sie in spezifischen Kontexten leben, für sie charakteristische Erfahrungen machen und sich durch eine für sie typische Verflochtenheit von Menschen, Objekten und Orten auszeichnen.“ (Kapitel 2.1) Die ihnen eigenen Erfahrungen und typischen Verflechtungen mit Menschen, Orten und Objekten drücken sich in ihrem Lebensstil der wiederholten Mobilität aus, welcher eng mit ihren verflochtenen Identitäten verbunden ist. Diesen Identitäten ist auch eigen, dass sie zwischen Mobilität als (beruflicher) Anforderung und damit als von außen kommender Zwang und emotional empfundene Last auf der einen und Möglichkeit der (beruflichen) Entfaltung und emotional empfundener Lust balancieren. Denn neben der psychischen und physischen Belastung sei die wiederholte internationale Mobilität „a lot of fun“ (Sven, Pos. 150– 152). Neben diesen Besonderheiten, die die HIMs auszeichnen und deren Gründe eher auf der individuellen Ebene zu finden sind, gibt es strukturelle Gründe, die sie zu einer besonderen Gruppe machen. Über ihre Migrationsbiographie hinweg kann es ihnen in besonderer Weise gelingen, ihr soziales und kulturelles Kapital zu vermehren und in die je neuen lokalen Kontexte zu übersetzen. Der mit dieser Übersetzung einhergehende Zuwachs an Kapital kann dazu führen, dass sie innerhalb einer Gesellschaft einen privilegierten Status erhalten. Da die HIMs, die ich interviewt habe, alle aus Gesellschaften stammen und sich in und zwischen Kon-

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14 Was zählt? Fazit und Ausblick

texten bewegen, in denen ein spezifisches Set an Kapital – gespeist aus wissenschaftlichem, organisationellem oder wirtschaftlichem Wissen, interkultureller Erfahrung, (englischer) Sprachkompetenz – übereinstimmend sozial (und in der Regel auch ökonomisch) positiv sanktioniert wird, sind sie an allen ihren Migrationsstationen in privilegierten Positionen. Damit verbunden ist eine spezifische Wertigkeit, die unterschiedliche Migrationsformen durch gesellschaftliche Zuweisung zugesprochen bekommen. Hier kommt es in spätmodernen Gesellschaften zu einer Besonderung der Gruppe der HIMs, die dazu führt, dass ihrer räumlichen Mobilität eine hohe Wertigkeit zugesprochen wird – anders als der räumlichen Mobilität von Asylsuchenden oder Flüchtlingen. Diese Zuweisung eines besonderen Status wird von den HIMs, die ich interviewt habe, wahrgenommen und reflektiert. So sieht sich Paola als Teil der HIMs einerseits als Teil der Gruppe der ImmigrantInnen, die wie sie im niederländischen Leiden leben, reflektiert aber auch die Unterschiede, die zwischen ihrem und dem Leben anderer ImmigrantInnen besteht. Diese Unterscheidung werde, so Paola, auch von der Aufnahmegesellschaft vorgenommen: [The society thinks we are] different from what they call the immigrants […], but we are im migrants. […] But the fact that you go with the job, that you know that you’re there and gonna have a job and you gonna be decently paid then, that makes it feel more like an adventure, like something that you learn, and not like a struggle because you have to go in a different country and you don’t know what’s gonna happen and whether you will be able to survive. (Paola, Pos. 493–497)

Die HIMs sind also sowohl in individueller als auch in struktureller Hinsicht die Anderen unter den MigrantInnen. Für die sie charakteristischen Umgangsweisen des Balancierens zwischen Hier und Dort und die daraus entstehenden verflochtenen Identitäten lassen sich spezifische Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten identifizieren, die für weitergehende, auf Migrationsphänomene bezogene Forschungen zum Nexus von Raum, Sozialem und Materialität instruktiv sind. 14.3 Ausblick Wie dieses Buch gezeigt hat, sind HIMs eine wichtige soziale Figur in spätmodernen Gesellschaften. Sie sind nicht nur Teil einer Gemeinschaft international mobiler Personen und damit eines globalen und transnationalen Netzwerkes. Vielmehr sind sie auch an den Orten, an denen sie leben und zwischen denen sie sich bewegen, prägend, indem sie über ihre plurilokalen Bindungen, ihren Lebensstil und die damit verbundenen Praktiken und Werthaltungen zu einer Hybridisierung der Gesellschaft beitragen. Ihre Bedeutung für die Formierung und Ausgestaltung von spätmodernen (postmigrantischen) Gesellschaften zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie wissen, dass Gesellschaft grundsätzlich auch anders organisiert werden könnte und wie auf unterschiedliche Weisen gelebt und gehandelt werden kann, so

14.3 Ausblick

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dass sie diese Gesellschaften in all ihren Teilbereichen herausfordern. Für ihr Leben in diesen Gesellschaften gilt, was Dieter stellvertretend für die HIMs formuliert: „Das ist das Recht der Menschen zu sagen, ich möchte eigentlich ein bisschen anders sein.“ (Dieter, Pos. 40) Dieses Anderssein zeigt sich im Fall der HIMs in spezifischen Formen der Bindungen an Orte(n), der plurilokalen sozialen Beziehungen und der Verflochtenheit mit Materialitäten und Menschen. Aus meiner Sicht lässt sich die hier vorgeschlagene Forschungsperspektive insbesondere für drei Felder innerhalb der Migrationsforschung weiterdenken: (1) Biographie und Identität; (2) Hybridisierung von Gesellschaft; (3) Bewertungsmodi der Mobilität. Sie sind mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und theoretischen und/oder empirischen Fokussen verbunden. So richtet sich das Erkenntnisinteresse einer Migrationsforschung, die das Doppel von multipler und singulärkohärenter Identität in den individuellen Migrationsbiographien und damit über den Zeitverlauf in den Blick nimmt, auf die Prozesse der Identitätskonstruktion und -stabilisierung von räumlich hochmobilen Personen. Hiermit wäre dezidiert die Zeit-Dimension von Gesellschaft der Bezugspunkt der Forschung. Eine Migrationsforschung, die die Gleichzeitigkeiten von globalen und lokalen Bezügen von Individuen und Kollektiven und damit die Hybridisierung ganzer Gesellschaften adressiert, würde darüber hinaus die Raum-Dimension von Gesellschaft explizit zum Gegenstand ihrer Forschung machen. Indem sie danach fragte, auf welche Weise hybride Räume zwischen Hier und Dort und vor Ort konstituiert werden, richtete sie ihren Blick auf die Verflechtungen von Menschen, Objekten und Orten und die Gleichzeitigkeit von globaler Ähnlichkeit und lokaler Spezifizität nicht nur von Orten, sondern auch von Praktiken, Lebensstilen und Infrastrukturen. Die Bedeutung von territorialen Grenzen sowie nationalen, ethnischen und/oder kulturellen Zuschreibungen bei der Analyse spätmoderner Gesellschaften zu berücksichtigen, scheint mir dabei zentral für den Erkenntnisgewinn zu sein; hier kann gerade die geographische Migrationsforschung mit ihrer diesbezüglichen Expertise das Forschungsfeld sehr bereichern. Schließlich sind die diskursiven Zuschreibungen und Rahmungen von Migration und räumlicher Mobilität ein Thema für die Migrationsforschung, mit dem die Sozial-Dimension von Gesellschaft zum Gegenstand der Analyse gemacht würde. Die Tatsache, dass unterschiedliche Arten von Migration ebenso wie unterschiedliche migrantische Gruppen auf je eigene Weise bewertet werden, verweist auf spezifische Normalitäts- und Wertvorstellungen und Diskurse in spätmodernen Gesellschaften. Einige dieser Diskurse – etwa die der Flexibilität und Mobilität im Beruf – sind in diesem Buch thematisiert worden. Eine Migrationsforschung, die derartige Zuschreibungen und Rahmungen untersuchte, leistete einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der verschiedenen und zum Teil äußerst widersprüchlichen Perspektiven auf Migration und räumliche Mobilität nicht nur in den sogenannten Aufnahmegesellschaften, sondern auch in den Gesellschaften der Herkunfts- und Transitländer, die Emigration und temporäre Migration erfahren. In allen Feldern wäre es aus meiner Sicht für die Migrationsforschung zentral, nicht

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14 Was zählt? Fazit und Ausblick

nur gesellschaftsvergleichend zu arbeiten, sondern auch das Neben-, Gegen- und Miteinander unterschiedlicher Diskurse und Bewertungsmodi in den Teilbereichen von Gesellschaften wie Arbeitsmarkt, Politik, Bildung zu untersuchen und auf diese Weise die je gesellschaftsspezifischen Prozesse und Logiken zu analysieren.

15 Nachwort

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15 Nachwort

Mit der Publikation dieses Buches ist ein weiteres Objekt entstanden, das sich in das Netzwerk aus Materialitäten, Orten und Menschen einfügt. Es weist eine eigene Widerständigkeit auf und trägt dazu bei, die Geschichte der Relationen von Menschen, Orten und Objekten weiterzuschreiben. Zudem verweist es auf die Relationen, in die ich als Autorin eingebunden bin und von denen ich einige an dieser Stelle explizit machen möchte. Ohne die Personen, die mir ihre Geschichten und biographischen Erfahrungen zugänglich gemacht haben, wäre dieses Forschungsprojekt ebenso wenig entstanden wie letztlich dieses Buch. Ihnen allen, die hier mit Pseudonymen genannte sind, danke ich zuallererst. Ebenso danke ich den vielen, oft namenlos gebliebenen Kolleginnen und Kollegen, die auf Konferenzen und Workshops meine Forschung kritisch kommentiert und mit ihren Fragen, Einwänden und Hinweisen zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben. Meine Arbeit an diesem Buch hat darüber hinaus viel mit Menschen zu tun, denen ich auf diesem Weg explizit danken möchte für ihre Unterstützung, ihre Fragen, ihr Verständnis für Momente, in denen Fragen nicht willkommen waren, und ihre Zugewandtheit und Aufgeschlossenheit. Dazu gehört Julia Lossau, meine Wegbegleiterin in der Geographie; Andreas Pott als Bezugsperson in der Migrationsforschung; Martina Löw, die meine Transition von der Stadtsoziologie in die sozialgeographische Migrationsforschung begleitet hat. Susanne Henkel, Andrea Walker und Sarah Griebel vom Steiner Verlag gebührt Dank für die Unterstützung während des Publikationsprozesses. Michael Flitner, Roland Lippuner und Ivo Mossig gehören als stets geschätzte Kollegen und Ratgeber ebenso dazu wie Verena Andreas, Andreas Müller, Ulrike Falk und die Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Geographie an der Universität Bremen. An der Durham University verbrachte ich einen inspirierenden Forschungsaufenthalt, der ohne Cheryl McEwan und ihre intellektuelle Zugewandtheit und Herzlichkeit nicht möglich gewesen wäre. Unerlässlich für diese Arbeit waren auch die Diskussionen mit Katrin Amelang, Friederike Gesing, Juliane Jarke und Henning Laux über die soziale Wirksamkeit von Materialität sowie mit Jörg Plöger über Migration in allen ihren Facetten. Carmen Reisch, Daniel Müller und Katrin Troy waren neben allem anderen unersetzliche TüröffnerInnen für die empirische Arbeit. Bei meinen Eltern Gun-

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15 Nachwort

dula und Ulf Müller, meinem Großvater Otto Müller und bei Elke Redeker kann ich mich nicht genug bedanken für ihre Unterstützung und Begleitung über inzwischen mehrere Jahrzehnte. Lina Oravec, Julia Sacher und Kerstin Zeiß waren stets als Gesprächspartnerinnen und Unterstützerinnen ganz eigener Art präsent. Schließlich wäre diese Arbeit auch nicht ohne Orte, Materialitäten und Praktiken möglich – das adamz und die Sunshinebar, die Deiche, die Diers’sche Kaffeemaschine, das Laufen und das Rennradfahren. Und, zwischen Hier und Dort immer da: Werner Reichmann. Danke.

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Register

Ahmed, Sara 10, 121, 217 Anderson, Benedict 59, 67, 88, 263 Appadurai, Arjun 126, 128ff., 151 Atmosphäre 169, 204, 206, 211ff., 217, 244 Bardhi, Fleura 89, 116, 124f., 159, 167, 169, 224 Bauman, Zygmunt 68f., 75ff., 92, 97, 100, 176f., 179, 181f., 239, 241, 259, 269 Beaverstock, Jonathan V. 17, 19 Beck, Ulrich 66, 179, 182, 186, 222f., 242f., 258f., 267, 269 belonging 12, 86, 165, 168, 217, 220ff., 226, 229, 283 Bindungen – vor Ort 10, 12, 19ff., 90, 109, 166, 171, 182, 186, 188, 195, 203, 209, 215, 217, 224f., 230ff., 239, 241, 245, 267, 283f., 287 – zu Objekten 109, 116, 119, 124, 148, 161, 171, 195, 224, 229, 287 –, emotionale 59, 163 –, nationalstaatliche 60 –, plurilokale 63, 67, 109, 171, 186, 218, 232, 239ff., 243f., 259, 281ff., 287 –, soziale 26, 53, 60, 84ff., 109, 171, 182, 195, 209, 224, 227, 229, 232, 239, 244, 263, 265, 268, 272, 283, 287 –, territoriale 217ff., 263 –slosigkeit 66, 68, 77, 101, 220, 270 Blunt, Alison 66, 221 Böhme, Gernot 204, 211f. Bourdieu, Pierre 11, 75, 102f., 109, 136f., 261 Burrell, Kathy 74, 121ff., 161, 218f. Castells, Manuel 60, 68, 98, 160, 176, 239

Cresswell, Tim 52 Dant, Tim 116 Deleuze, Gilles 269f. Elite 17ff., 28f., 95, 100, 124, 230 Elitenforschung 18 Engbersen, Godfried 69, 180f. Foucault, Michel 99 Fragmentierung 82, 157, 165f., 169f., 240 Giddens, Anthony 66, 144, 250ff., 274f. Glick Schiller, Nina 12, 60 Grenze –, nationalstaatliche 9f., 12, 53f., 56, 58ff., 62f., 65ff., 73f., 90, 122f., 152, 176f., 179, 218, 228, 252 –, räumliche 52f., 55, 65f., 119, 179, 221 –, soziale 14, 52f., 55, 65, 72, 75ff., 179 –, zeitliche 14, 65, 79ff., 87, 179, 221, 235, 267 Grenzziehungen –, räumliche 65f., 73f., 76, 79, 84, 87, 90, 108f., 227 –, soziale 65f., 70, 72ff., 84f., 87, 91, 108f., 122, 267 –, territoriale 54, 65, 73, 123 –, zeitliche 10, 80, 83f., 87 Greschke, Heike Mónika 60ff., 67, 70, 90, 152 Guattari, Félix 269f. Habitus 11, 21, 109, 137, 181 Haraway, Donna 126 Hartmann, Michael 19, 95, 97, 104 Harvey, David 68, 77, 98, 152, 177f., 209 Heimat s. home

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Register

Hillmann, Felicitas 17 Hirschauer, Stefan 13, 15, 119, 142ff., 151, 214 Hobbies 137, 148, 150, 168, 195, 266 Hochqualifizierte 10, 15, 17, 19ff., 27f., 100, 182, 189, 236, 266 –, Definition 22, 24 Hochqualifizierte internationale MigrantInnen (HIMs) 9, 14, 17ff., 22, 89, 99, 104, 115, 117, 119, 126, 129, 137, 143, 159, 182, 206, 209, 213, 217, 228, 238, 249, 255ff., 281, 285 home (auch: Heimat; Zuhause) Definition Zuhause 221f., 239 Heimat 61, 67, 83, 92, 118, 145, 160f., 163, 183, 220, 226, 229, 242, 264 homing 220, 222 Zuhause 9, 13, 71, 86, 145, 151, 163, 165, 193, 220ff., 229, 239, 241ff., 256, 259

international community 20, 52, 65, 70ff., 84ff., 89, 109, 163, 224f., 229, 232f., 235, 242, 256, 259, 263ff., 272, 277f., 283f.

Identität –, Definition 249ff., 256, 271 –, hybride 14, 258, 269 – der HIMs 118f., 170, 249, 255ff., 260f., 264f., 268ff., 272f., 275ff., 279, 281, 284f. –, kollektive 61, 196, 207f., 250, 252, 255f., 263, 266, 269, 272ff. –, Konstitution von 59, 118, 140, 157ff., 165, 171, 187, 207, 241, 249ff., 257f., 265ff., 269, 271ff., 287 –, multiple 244, 251, 253ff., 268, 274 –, nationale 250f. –, personale 249ff., 263, 269f., 272ff. –, räumliche Dimension von 59, 88, 90f., 138, 178, 204, 243, 268, 272f., 277 –, rhizomatische 9, 270 –, verflochtene 11, 14, 118, 246, 249, 251, 256, 269, 273, 275, 283, 285f. –, Verkörperung von 219, 274f. –, Wandelbarkeit von 250, 257f., 269ff. Immigration 20, 57, 100 Infrastruktur11, 68, 81, 122ff., 156, 185f., 193, 195, 197ff., 202, 209ff., 214, 217, 228, 236, 245, 267f., 282 Integration 10, 12, 17, 20, 55, 70, 77, 79, 81, 85ff., 90f., 108, 137, 152, 199, 230, 232ff., 264ff., 283

Landschaft 186, 193ff., 200, 209, 215, 217, 282 Latour, Bruno 10, 116, 119, 139f., 144, 153 Lefèbvre, Henri 11, 176f., 196f. Lokalität 9ff., 14, 74, 176, 185f., 195f., 202ff., 213, 215, 222, 226, 229, 231, 245f., 268f., 283 Lossau, Julia 249 Löw, Martina 10, 13f., 176, 196f., 202f., 205, 208f., 217, 222, 230 Lynch, Michael 139

Jackson, Peter 116, 141, 249, 251f., 255, 271f. Kapital –ausstattung 75, 99, 102ff., 109, 261, 286 –, Bildungs- 157 –, kulturelles 93, 102ff., 108, 230, 285 –, linguistisches 104f. –, ökonomisches 103f. –, soziales 18, 103, 109 Kazig, Rainer 211 Knorr Cetina, Karin 10, 13, 139ff., 208 Kopytoff, Igor 125, 129, 157, 170, 270f. Kosmopolitismus 105, 228, 266

Marres, Noortje 11, 125, 141, 185, 271 Massey, Doreen 10, 14, 176, 196, 202ff., 208ff., 222, 245, 271 Materialität –, Definition 115f. – und Migration 121ff., 129, 138, 159, 161, 166, 254, 270 –ssensitive Perspektive 9f., 13, 21, 114ff., 118f., 121, 123, 125, 128ff., 136ff., 143ff., 150, 153ff., 171, 185, 196, 198, 204f., 213, 221, 252ff., 287 Meier, Lars 19, 228 Migration –, internationale 10, 12, 19, 21, 52f., 56, 58, 60, 66, 69, 73, 81, 100, 116, 121, 147, 213 –, Definition 12, 21f., 54, 56ff.

Register liquid migration 69, 179ff. –sbiographien der HIMs 9, 11, 15, 26f., 52, 81, 119, 125, 137, 149, 155, 157, 160, 162, 168, 170, 183, 186ff., 193, 195, 215, 232, 240f., 245, 249, 255, 257f., 260, 264f., 268ff., 273, 275f., 281ff., 285 –sentscheidung 17f., 62, 186ff., 213, 215, 230, 283 –, Motive der 20, 58 –, Risiken der 101f., 177 –, Verkörperung von 78, 99, 122, 143, 161, 163, 170, 211, 268, 274f. Transmigration 12, 58ff., 62, 67 –, Definition 59f., 62f., 67 Miller, Daniel 118, 140, 158, 252ff. Mobilität – als berufliche Anforderung 9, 19, 29, 95, 97, 99, 101, 181f., 285 – als gesellschaftliche Anforderung 80, 93f., 99ff., 284 –, räumliche 11f., 18f., 51ff., 56ff., 65f., 73f., 76, 93, 102, 109, 123, 182, 284, 286 –, soziale 51ff., 93, 102ff., 108f. –sregime 97, 100 Netzwerke –, soziale 228, 264 –, transnationale 60, 68, 81 – vor Ort 67, 227, 264 Nowicka, Magdalena 17, 69, 223, 228f., 242 Objekte – als Akteure 115, 122f., 125, 128, 130, 138ff., 142f., 145, 151ff., 155, 157, 159, 162f., 165f., 168f., 196, 206, 252, 255, 271, 282 – als Symbole 13f., 114ff., 119, 124, 130f., 134f., 137f., 151, 154, 161, 163, 197, 219, 253, 270 – der HIMs 117ff., 134f., 137f., 148f., 151, 156ff., 160, 165ff. –, Bindungen zu 161 –biographie 125, 129f., 148, 157f., 160, 162f., 170, 270f., 282 –, Definition 13f., 114, 125f., 128, 135, 140

315 –, mobile 9, 52, 118f., 122, 142, 155ff., 160ff., 166f., 170, 271, 282 –, stationäre 9, 162f., 166, 169f., 282 Ort –sbindung 10, 12, 19, 26, 69, 99, 109, 166, 168ff., 176, 178, 182f., 185f., 190f., 195, 203, 208, 211, 215, 217, 226ff., 241, 243ff., 262, 267ff., 276, 282, 287 –spolygamie 242, 258f., 269 –swissen 81, 143f., 163, 169, 193, 228ff., 264, 278, 282 place attachment 12, 168, 217, 226f., 229ff., 267, 282 Plöger, Jörg 17, 69, 189 Plurilokalität 51, 61f., 165, 169ff., 182, 186, 217, 239ff., 243f., 249, 259, 282 Portes, Alejandro 60 Praktiken –, Alltags- 52, 68f., 81, 92, 147, 149, 200 –, Definition 13, 26, 142ff. – der HIMs 11, 79, 143f., 147, 149, 170, 201, 277f., 281f., 284, 286 – der Mobilität 75, 161, 227, 249, 284 – der Ortsbindung 13, 147, 150, 163, 165, 186, 195, 201, 231, 256, 267f., 271, 277 Preda, Alex 140 Pries, Ludger 12, 59 Raum –konstitution 13, 21, 70, 79, 147, 152, 155, 175, 177, 186, 195ff., 200ff., 205f., 208f., 213, 215, 221f., 229ff., 245, 267f., 282f. Raum-Zeit-Verdichtung 68, 98, 177f. –, transnationaler sozialer Raum s. Transnationalität Reichmann, Werner 13, 118, 140, 203f. Robertson, Roland 178 Sassen, Saskia 60, 68, 72, 176, 178 Schatzki, Theodore R. 13, 144 Scheffer, Thomas 141 Schurr, Carolin 126 Schütz, Alfred 13f., 117, 131ff., 137f., 151, 161, 170, 219 Snel, Erik 69, 180f.

316 Statuspassage 19, 84, 93, 103, 106ff., 250, 274 STS 10, 115, 139, 153, 205f., 208 Symbole 131ff., 137 Tolia-Kelly, Divya 145, 221 Transmigration s. Migration Transnationalität transnationale Bindungen 19ff., 60, 238 transnationale soziale Räume 11, 20, 60ff., 67, 69f., 72, 151f., 180, 185, 244, 249, 259, 263, 283 Transnationalisierung 59, 67, 185, 239 Urry, John 52f., 68, 75, 260 Verflechtungen 9ff., 14, 21, 26, 51, 59, 62, 65ff., 72f., 76, 92, 109, 114, 116, 118f., 121, 126ff., 135, 141, 144, 147, 150f., 153, 155, 162, 169f., 175f., 179, 185, 190, 195, 206, 215, 221ff., 227, 243, 246, 252, 254, 256, 269, 271, 276, 279, 281, 283ff. Verortung 10ff., 14, 21, 52, 55, 69f., 87, 107f., 121, 149, 151, 153, 202, 205, 208, 210, 221, 262, 267, 272, 283

Register Vertovec, Steven 180 Weiß, Anja 20, 99 Werlen, Benno 98, 144f. Werthaltung, plurale 256, 260, 262, 277, 284 Yeoh, Brenda 102 Zugehörigkeit –, Definition 221f., 238f. –, emotionale 218ff., 226f., 229, 239f. –, Herstellung von 65, 129, 221f., 225 –, nationalstaatliche 61, 122, 219 –, soziale 67, 71, 103, 105, 138, 196, 208, 222f., 227, 233, 237, 249f., 252, 255, 265, 268 – an Orten 10, 60, 165f., 168f., 222, 224, 238, 283 – durch Objekte 168f., 220, 252f. – zu Orten 12, 222, 226f., 229 Zuhause s.home Zukunftsorientierung der HIMs 12, 82ff., 162, 192, 201, 239, 241, 243, 269, 273, 282f.

Wie leben Menschen ihren Alltag, wenn sie von Berufs wegen häufig umziehen? Um diesen Balanceakt zwischen Hier­ bleiben und Weggehen zu untersuchen, hat Anna­Lisa Müller Interviews mit hochqualifizierten Menschen aus der Privatwirtschaft, dem Kultursektor und der Wissenschaft geführt. Die Interviews geben Aufschluss darü­ ber, wie sich Menschen das Leben an und zwischen Orten unterschiedlich einrichten. Ebenso wichtig wie andere Bezugspersonen und ihre Netzwerke sind für sie dabei Dinge: das Cello, das immer wieder über Ländergrenzen hinweg umgezogen wird; das Familien­

ISBN 978-3-515-12473-7

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7835 1 5 1 247 3 7

foto, das in jeder Wohnung steht; aber auch der Motorroller, der nur in einer Stadt wichtig ist, um sich zuhause zu fühlen, oder der Computer, um soziale Medien zu nutzen. Wichtig für das Balancieren zwischen Hier und Dort sind außerdem Verortungen: an dem Ort, an dem man lebt, an den Orten, an denen man gelebt hat, an den Sehn­ suchtsorten und zwischen den Orten im transnationalen Netzwerk. Müller zeigt, dass Migrantinnen und Migranten in Relationen von Menschen, Objek­ ten und Orten eingebunden sind und darüber charakteristische Identitäten entwickeln, die Ausdruck ihrer Migra­ tionsbiographie sind.

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