Metapher - Zwischen Metaphysik und Archäologie: Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg 3770553667, 9783770553662

Metaphysik erwies sich uns oft als beim Wort genommene Metaphorik; der Schwund der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder

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German Pages 266 [267] Year 2013

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Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie: Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
I DIE WELTALTER SCHELLING
I.1 Fabelhafte Wahrheit: Die Dialektische Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung
I.2 Vom jetzigen Leben: Geschichtsphilosophie
I.3 Das schlafende Bild: Erkenntnistheorie zwischen Allegorie und Terminologisierung
I.4 Eine christliche Mythologie der Vernunft: Zur Theorie der Darstellung der Weltalter
II. SEINSGESCHICHTE HEIDEGGER
II.1 Metaphernkritik und Metapherngebrauch in Heideggers Spätphilosophie
II.1.1 Heideggers Metaphernkritik
II.1.2 Heideggers Metapherngebrauch
II.2 Die absoluten Metaphern der Geschichte
II.2.1 Die zwei Seinsbegriffe
II.2.2 Das Wachstum der Geschichte: Geschichtsmetaporik bei Schelling und Heidegger
II.2.3 Überlieferung: Übersetzung
II.2.4 Exkurs: Die hermeneutische Struktur der seinsgeschichtlichen Lektüre: Heideggers Schelling-Interpretation
II.3 Die Lichtung der aletheia
II.3.1 Die Kehre des Wahrheitsbegriffs
II.3.2 Die Raummetaphorik der Wahrheit
II.3.3 Werkgeschichtlicher Exkurs: Von der Offenheit zur Lichtung
II.3.4 Archäologische Metaphorik: Die Lichtung
II.4 Die Metapher des Bildes: Menschenbild und Weltbild
III. METAPHOROLOGIE DERRIDA UND BLUMENBERG
III.1 Die Erfindung der Metapher durch Aristoteles
III.2 Zur Dialektik von Positivität und Negativität in der manifesten Metapher
III.3 Metaphorologie als Archäologie I: Jacques Derrida
III.3.1 Erkenntnisökonomien: Metapher, eigentlicher Ausdruck und Begriff in Rhetorik und Philosophie
III.3.2 Metaphorologie zweiten Grades
III.4 Metaphorologie als Archäologie II: Hans Blumenberg
III.4.1 Blumenbergs Projekt: Technisierungsgeschichtsschreibung
III.4.2 Exkurs: Wittgensteins Vortrag über Ethik
RÜCKBLICK: DIE TECHNISIERUNGSGESCHICHTE DER METAPHOROLOGIE
LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER
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Metapher - Zwischen Metaphysik und Archäologie: Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg
 3770553667, 9783770553662

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Mende Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie

Dirk Mende

Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg

Wilhelm Fink

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Umschlagabbildung: Foto: Digne Meller Marcovicz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2013 Wilhelm Fink Verlag, München Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5366-2

INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS

Inhaltsverzeichnis VORWORT ................................................................................................. 009 Transformationsgeschichte archäologischen Denkens 9 – Umbesetzungs- und Schwundgeschichte 9 – Skizze der archäologischen Struktur der Weltalter 10 – der Spätphilosophie Heideggers 10 – der Metaphorologie Derridas und Blumenbergs 11 – Überblick über die Kapitel 11

I DIE WELTALTER SCHELLING............................................................................................ 015 I.1 Fabelhafte Wahrheit: Die Dialektische Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung................................................................. 017 Fünf Dimensionen der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung: – (1) gegenstandsmimetisch 18 – Symbol 20 – (2) wirkungsorientiert: Pop-Philosophie 21 – Mythologie der Vernunft 21 – eigentliche Metaphorik 23 – (3) anthropomorphe Metaphorik 24 – (4) analogische Methode des Textes 26 – ontologischer Monismus 28 – (5) Naturmetaphorik 30

I.2 Vom jetzigen Leben: Geschichtsphilosophie ............................................ 033 doppelte Zeitstruktur der Weltalter 34 – geschichtsphilosophischer Ort des Weltalter-Projektes 35 – innere Dialektik 38 – Kritik der Ekstase 39 – Erkenntnisform des jetzigen Lebens 41 – Kritik der Dialektik 43 – das Projekt: poetische Ontobiohistoriographie 44

I.3 Das schlafende Bild: Erkenntnistheorie zwischen Allegorie und Terminologisierung .......................................................................... 045 Bild-Metaphorik: Wirkungsgeschichte und Terminologisierung 45 – erkenntnistheoretische Allegorie: das verdunkelte, vergessene, schlafende Bild in der Seele 49 – Terminologisierung: Hybridisierung 50 – platonische Anamnesis 54 – plotinischer Einfluß 55 – Gnosis 56 – Geistesschlaf 57 – christliche imago-Lehre 59 – das erkenntnistheoretische Projekt: Funktionen des Bildes bei der Erkenntnis der Entwicklungsphasen des Urwesens 62

I.4 Eine christliche Mythologie der Vernunft: Zur Theorie der Darstellung der Weltalter............................................... 067 Theologische Implikationen der Sprachtheorie Schellings: Das Wort ist der Sohn 67 – Darstellungsformen der drei Weltalter: metaphorische Erzählung, Dialektik, symbolische Er-

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INHALTSVERZEICHNIS

zählung 69 – christliche Mythologie der Vernunft 72 – die ästhetische Dimension der Mythologie der Vernunft: die Ontobiohistoriographie als das größte Heldengedicht 74

II. SEINSGESCHICHTE HEIDEGGER ......................................................................................... 079 Forschungslage zum Verhältnis Schelling und Heidegger 81 – Umgang mit Sprache als bezeichnende Differenz der Philosophien 83 –

II.1 Metaphernkritik und Metapherngebrauch in Heideggers Spätphilosophie....................................................................................... 085 II.1.1 Heideggers Metaphernkritik................................................................ 086 Seinsgeschichte des Satzes vom Grund 86 – Heideggers Rekonstruktion der maßgeblichen Vorstellung der Metapher 88 – Ricœurs und Derridas Kritik an Heideggers Rekonstruktion 90

II.1.2 Heideggers Metapherngebrauch .......................................................... 092 Heideggers Kritik an anthropozentrischen Sprachverständnissen 93 – »Worte, wie Blumen enstehn«: nachmetaphysischer Metaphernbegriff 95 – Dichtung und Metapher: worthafte Stiftung des Seins 97 – Heideggers Sprachnot 100 – Heideggers Metapherngebrauch 102

II.2 Die absoluten Metaphern der Geschichte ............................................... 104 II.2.1 Die zwei Seinsbegriffe ......................................................................... 104 Sein des Seienden und Sein als Geschick 104 – das archäologische Geschehen der Entbergung 105 – die zwei Seinsbegriffe: das Selbe 106

II.2.2 Das Wachstum der Geschichte: Geschichtsmetaporik bei Schelling II.2.3 und Heidegger .................................................................................... 107 Pflanzenwachstum als Paradigma von Geschichte in den Weltaltern 107 – Heideggers Kritik: jäh aufspringende Knospe 108 – zur Differenz von Schellings Urwesen und Heideggers Sein 109

II.2.3 Überlieferung: Übersetzung................................................................. 111 Übersetzung: hermeneutische und historische Kategorie 112 – Übersetzung von Grundworten 112 – philosophische Quasi-Etymologien 114

II.2.4 Exkurs: Die hermeneutische Struktur der seinsgeschichtlichen Lektüre: II.2.3 Heideggers Schelling-Interpretation .................................................... 116 hermeneutische Struktur: Gefüge ineinander gestaffelter Synekdochen 118 – Seinsgeschichte als Fundamentalgeschichte 121 – die seinsgeschichtliche Stellung der Freiheitsschrift Schellings: Gipfel der Metaphysik des deutschen Idealismus 122

INHALTSVERZEICHNIS

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II.3 Die Lichtung der aletheia ....................................................................... 124 II.3.1 Die Kehre des Wahrheitsbegriffs ......................................................... 124 die transzendentale Wahrheitskonzeption von Sein und Zeit 125 – Tugendhat-Kritik: zwei Wahrheitsbegriffe 126 – der späte Wahrheitsbegriff: ineinander geschachtelte Bedingungsstruktur 129 – die archäologische Dimension der aletheia 131

II.3.2 Die Raummetaphorik der Wahrheit .................................................... 134 Raum in Sein und Zeit 135 – das quasi-räumliche Szenario der Spätphilosophie: ›Darstellung‹ der Entbergung 138

II.3.3 Werkgeschichtlicher Exkurs: Von der Offenheit zur Lichtung ............. 138 Heideggers Platon-Vorlesungen: Licht und Idee 139 werkgeschichtliche Entwicklung der Metapher der Lichtung in Vorlesungen 141

II.3.4 Archäologische Metaphorik: Die Lichtung .......................................... 143 die zwei Dimensionen der Lichtung: Ort und Geschehen 144 – Lichtung : Sein 145 – Vergleich der archäologischen Metaphorik bei Schelling und Heidegger 147 – die Lichtung und die abendländische Tradition: Lichtsymbolik und absolute Metaphorik 148

II.4 Die Metapher des Bildes: Menschenbild und Weltbild ........................... 150 eine metaphorologische Lektüre avant la lettre 150 – anthropologische Metaphorik der Spätphilosophie: Ek-sistenz 151 – metaphysische Grundstellung der Neuzeit als metaphorische Struktur 153 – Mensch als subjectum 154 – Seiendes als Gegen-stand 155 – Bild-Werdung der Welt in der Neuzeit 157 – Adornos Begriffs- und Heideggers Bildkritik 158 – Bildkonzeption des Spiegelstadiums (Lacan) 159 – zur Bildmetaphorik bei Schelling und bei Heidegger 160

III. METAPHOROLOGIE III. DERRIDA UND BLUMENBERG ....................................................... 163 III.1 Die Erfindung der Metapher durch Aristoteles...................................... 168 Metaphorik der Aristotelischen Metapherntheorie: Ort, Bewegung, Fremde 169 – die Metapher in der Poetik: ästhetische Verfremdung 172 – die Metapher in der Rhetorik: persuasives Erkenntnisinstrument 176

III.2 Zur Dialektik von Positivität und Negativität in der III.2 manifesten Metapher ............................................................................ 182 Determinationserwartung-Konterdetermination (Weinrich) 183 – der positive Untergrund 184 – linguistische Negativität als Merkmal der Metapher 186 – kalkulierter Fehler 187

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INHALTSVERZEICHNIS

III.3 Metaphorologie als Archäologie I: Jacques Derrida ............................... 189 III.3.1 Erkenntnisökonomien: Metapher, eigentlicher Ausdruck und III.3.1 Begriff in Rhetorik und Philosophie................................................... 189 Fünf Formen der Einhegung der Metapher: (1) Abkürzung 189 – (2) Schmuck 190 – Schmuck und nackte Wahrheit (Quintilian) 190 – ein Kleid, das ein Kleid bekleidet (Cicero) 192 – (3) Aufhebung der Metapher in den Begriff (Hegel) 194 – (4) Metaphysik als weiße Mythologie (A. France) 197 – (5) Ricœurs lebendige Metapher 201

III.3.2 Metaphorologie zweiten Grades ......................................................... 205 Metaphorologie und Archäologie 205 – Aristoteles-Kritk 206 – Ausarbeitung mit Lacan 207 – vier Ebenen der archäologischen Struktur 208 – (1) Sprache 209 – (2) Bildfelder (Weinrich) 212 – (3) ›Gründer‹-Tropen 214 – (4) Begriffe 216 – mein Interesse 218 – Verkettung 220

III.4 Metaphorologie als Archäologie II: Hans Blumenberg........................... 222 III.4.1 Blumenbergs Projekt: Technisierungsgeschichtsschreibung ................ 222 Technisierungsgeschichte als Einheit von Metaphorologie und Begriffsgeschichte 222 –– die absolute Metapher: Archäologie der Begrifflichkeit 225 – Derridas ›Gründer‹-Tropen und Blumenbergs absolute Metaphern: ein Vergleich 226 – katachrestische Setzungen 227 – Metaphorik und Anthropologie 228 – Metaphern und Lebenswelt 231 – zum Projekt der Technisierungsgeschichtsschreibung 233 – Umbesetzung 234 – Logik der Folgen 236 – Interdependenz 237 – Halbzeug 238 – Technisierungsgeschichte vs. Seinsgeschichte 239

III.4.2 Exkurs: Wittgensteins Vortrag über Ethik.......................................... 240 Ethikbegriff und Sprachverständnis Wittgensteins 241 – Gleichnisse oder doch Unsinn? 242 – Wittgenstein und Blumenberg: Gleichnis und absolute Metapher 243

RÜCKBLICK: DIE TECHNISIERUNGSGESCHICHTE DER METAPHOROLOGIE........................................................................ 246 LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................... 251 REGISTER ................................................................................................... 265

VORWORT VORWORT

Vorwort In meiner Arbeit überschneiden sich zwei Interessen in häufig nicht sehr geordneter Weise: Zum einen rekonstruiere ich die historische Abfolge von Schellings Weltalter-Spekulationen über Heideggers Spätphilosophie bis zu den Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs als systematische Transformationsgeschichte einer Form des archäologischen Denkens in der Philosophie. Der späte Schelling und der späte Heidegger interessieren mich dabei insbesondere als Vorgeschichte des metaphorologisch-archäologischen Denkens Derridas und Blumenbergs. Zum anderen gilt mein Interesse der Funktion von Metaphern im philosophischen Diskurs, deren performative Verwendung ich exemplarisch in den Texten Schellings und Heideggers untersuche und abschließend mit Derrida und Blumenberg theoretisch beschreibe. Seit dem Spätidealismus ist es in der modernen Philosophie zu Formen eines archäologischen Denkens gekommen, in denen das Andere der Vernunft als ihr Prinzip angesetzt wurde.1 Das archäologische Projekt dieser modernen Philosophien ergibt sich aus der Erfahrung des Daß der Vernunft, das als ihr Grund verstanden wird. Schopenhauers irrationaler Wille, die Basis, die den geistigen Überbau bestimmt, bei Marx, Nietzsches Wille zur Macht, die Triebstrukturen des Es bei Freud, Wittgensteins Logik der Sprachspiele, das In-der-Welt-Sein des frühen Heidegger und Foucaults diskursive Formationen sind philosophiegeschichtliche Gestalten des archäologischen Denkens, in dem die Vernunft als in ihrem Anderen fundiert und von ihm bestimmt aufgefaßt wird. Auch die Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs stellen eine spezifisch diskursanalytische Form des archäologischen Denkens dar. Im Verlauf der philosophiegeschichtlichen Transformation verwandelt sich das archäologische Projekt der hier untersuchten Autoren – so die These – von einem metaphyischen in ein diskursanalytisches. Es wird sich zeigen, daß sich diese Verwandlung systematisch als Umbesetzungs- und Schwundgeschichte der Stelle des Anderen der Vernunft beschreiben läßt: Blumenberg rekonstruiert geschichtliche Transformationen an einigen Stellen als Umbesetzungsgeschehen.2 Eine ›Stelle‹ mit mehr oder weniger identischer theoretischer Funktion wird im Laufe der Ge01 Christian Iber, Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin/New York 1994. 02 Vgl. Hans Blumenberg, »Die Epochen des Epochenbegriffs«, in: ders., Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt/Main 1988, S. 531-557 und meine Diskussion unten S. 234 f.

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VORWORT

schichte durch verschiedene systematische Instanzen besetzt: An die Stelle des Grundes beispielsweise tritt bei Schelling das Urwesen und beim späten Heidegger das Sein. Marquard hat bei seiner Untersuchung solcher Umbesetzungsgeschichten darauf hingewiesen, daß es im Laufe der Geschichte häufig zu einer »Abmagerung«3 der systematischen Ansprüche kommt und die historisch späteren Positionen oft »Schwundstufen« (Marquard 1978, 28) oder »Subtraktionsgestalten« (Marquard 1973, 23) der ursprünglichen, meist metaphysischen Theorien sind. In diesem Sinne möchte ich Heideggers Seinsgeschichte als Subtraktionsgestalt des Weltalter-Projektes Schellings und Derridas und Blumenbergs Metapherntheorie als Schwundstufe der Seinsgeschichte beschreiben: Jede der Positionen erweist sich als systematisch ›schlankere‹ Variante ihres Vorgängers. Schellings Weltalter wollen die metaphysische Struktur des natürlichen Kosmos und der abendländischen Geistesgeschichte freilegen. Diese archäologische Tiefenstruktur findet Schelling in der Entwicklungsgeschichte des Urwesens. Das Urwesen, ein »lebendiges, wirkliches Wesen«,4 entwickelt sich im Weltalter des Vaters zunächst in einer rein geistigen, vorweltlichen und vorzeitlichen Ewigkeit. Im Weltalter des Sohnes setzt es die Natur- und Geisteswelt aus sich heraus und entwickelt sich von nun an in der und als die Welt. Die Natur- und Geistesgeschichte sind daher nur als Ausdruck und auf dem Hintergrund der archäologischen Entwicklungsgeschichte des Urwesens selbst zu verstehen. Das Urwesen als metaphyischer Grund der Natur- und Geistesgeschichte wird zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte in den Weltaltern erkannt. Schellings Urwesen stellt eine historische Gestalt des Anderen der Vernunft, das zu ihrem Prinzip wird, dar. Dieselbe Struktur kennzeichnet auch Heideggers Spätphilosophie. Allerdings vollzieht sich im Übergang vom archäologischen Projekt der Weltalter zur Spätphilosophie eine Umbesetzung im erläuterten Sinne: Bei Heidegger tritt das Sein an die systematische Stelle, die das Urwesen bei Schelling einnahm. In seiner Spätphilosophie rekonstruiert Heidegger die abendländische Geistesgeschichte als Seinsgeschichte, das heißt, er legt in ihr die archäologische Dimension des Seins frei, von dem die manifeste Geistesgeschichte bestimmt ist. Die späte Seinsphilosophie stellt allerdings nicht nur eine Umbesetzung, sondern auch eine Depotenzierung des Projektes Schellings dar. Zum einen ist der Erklärungsanspruch der Seinsgeschichte beschränkter: Während die Weltalter die Bedingung der Möglichkeit der Natur- und der menschlichen Geschichte aus der Entwicklungsgeschichte des Urwesens aufweisen wollen, geht es Heideggers Spätphilosophie ›nur‹ um das archäologische Fundament der abendländischen Geistesgeschichte. Zum anderen depotenziert Heidegger die Darstellung der archäologischen Ebene: Während die Weltalter stellenweise einer mythologischen Erzählung vom Urwesen gleichen, entzieht Heidegger das Sein der 03 Vgl. Odo Marquard, Skeptische Methode im Blick auf Kant, Freiburg/München 1978, S. 28 f. und ders. Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt/Main 1973, S. 23 f. 04 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, in ders., Schellings Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung herausgegeben v. Manfred Schröter, Nachlaßband, Vierte, unveränderte Auflage, München 1993, S. 3.

VORWORT

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direkten Darstellung. An die Stelle der vielfältigen – und wie ich zeigen möchte – wörtlich gemeinten Metaphorik der Weltalter tritt bei Heidegger ein Metapherngebrauch, der in der Negativität und Unsagbarkeit des Seins begründet und keine Darstellung ist, sondern eher ein Wink in das Wirken der archäologischen Tiefenschicht der Seinsgeschichte sein will. In Heideggers Spätphilosophie erscheint das Sein an keiner Stelle selbst, es muß vielmehr aus dem in der Philosophiegeschichte Gesagten rekonstruiert werden. Man könnte nun die Entstehung der deutschen Begriffsgeschichte bei Joachim Ritter aus der Seinsgeschichte Heideggers so verstehen, daß die Begriffsgeschichte schlicht die Seinsgeschichte um die archäologische Dimension kürzt: Begriffsgeschichte ist, was von der Seinsgeschichte übrig blieb, nämlich immanente Rekonstruktion der begriffsgeschichtlichen Entwicklungen in der Philosophie. Mit Blumenbergs Metaphorologie, die in den absoluten Metaphern einen »Untergrund« der Begrifflichkeit freilegt, wird der archäologische Anspruch der Seinsgeschichte erneuert.5 Die historischen Tiefenstrukturen, die in Heideggers Spätphilosophie aus dem Sein stammen, werden in den absoluten Metaphern einer Zeit faßbar. Blumenberg und Derrida depotenzieren den metaphysischen Rest der Seinsphilosophie in einer metaphorologischen Diskursanalyse: An die Stelle des geheimnisvollen Seins tritt bei Derrida und Blumenberg ein komplexes Geschehen, in dem auch die Metapher nur eines von mehreren Gravitationszentren darstellt, als archäologische Bedingung der Möglichkeit des philosophischen Sprechens. Derridas und Blumenbergs metaphorologische Projekte sind verwandt aber nicht identisch: Ich werde vorschlagen, Blumenbergs Projekt auf den Begriff der Technisierungsgeschichtsschreibung und das Derridas auf den einer Metaphorologie zweiten Grades zu bringen. Die Umbesetzungs- und Depotenzierungsgeschichte, die die Arbeit rekonstruiert, führt also von der metaphysischen Entwicklungsgeschichte des Urwesens in Schellings Weltaltern über Heideggers späte Seinsgeschichte zu den diskursanalytischen Projekten Derridas und Blumenbergs. Um eine Orientierung in dem Text zu erleichtern, gebe ich abschließend einen kurzen Überblick über den Inhalt der Kapitel: Der erste Teil über Schellings Weltalter-Fragmente ist insbesondere eine Lektüre der kurzen »Einleitung«, die den methodologischen Horizont des Projektes absteckt. Es werden drei Schichten in der »Einleitung« unterschieden: Geschichtsphilosophie, Erkenntnistheorie und Darstellungstheorie. Schellings Weltalter wollten die Ontobiohistoriographie des Urwesens liefern, die Lebensgeschichte des Urwesens als dem lebendigen Grund des Seins. Mit diesem ontologischen Projekt ist ein nicht minder anspruchsvolles Darstellungsprojekt verbunden: Schelling strebte nach einer Form der Darstellung, die dem dargestellten Inhalt gleicht. Das erste Kapitel (I.1) buchstabiert die sprachphilosophischen, ontologischen und politischen Dimensionen seiner symbolischen Darstellungstheorie aus. Das zweite Kapitel (I.2) fragt nach dem geschichtsphilosophischen ›Ort‹ des Weltalter-Textes in der in ihm re05 Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt/Main 1999, S. 13.

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VORWORT

konstruierten Entwicklungsgeschichte des Urwesens. Das dritte Kapitel (I.3) liefert eine metaphorologische Analyse der zentralen erkenntnistheoretischen Idee: Wir können vom Urwesen wissen, weil wir ein ›Stück‹ dieses Wesens in Gestalt eines schlafenden Bildes in der Seele tragen. Ich beschreibe Schellings Erkenntnistheorie auf dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte der verwendeten Metaphern. Das letzte Kapitel (I.4) rekonstruiert das in den Weltaltern mehr angelegte als realisierte komplexe Darstellungsprojekt: Schelling zwingt systematische Perspektiven der Religionskritik, Wissenschaft, Mythologie und Kunst in der darstellungstheoretischen Konzeption einer christlichen Mythologie der Vernunft zusammen. Die im zweiten Teil diskutierte Spätphilosophie Heideggers rekonstruiert die abendländische Geschichte als Seinsgeschichte, als aus dem Sein bestimmter geschichtlicher Vollzug. Mein Interesse gilt insbesondere der archäologischen Metaphorik der Seinsgeschichte. Heidegger hat sich in verstreuten, wirkungsmächtig gewordenen Bemerkungen selbst zur Metapher geäußert. Das erste Kapitel (II.2) analysiert seine metaphorologischen Thesen (II.2.1) und die daran anschließende Diskussion um einen nachmetaphysische Metaphernbegriff (II.2.2). Das zweite Kapitel (II.2) umreißt die systematischen Grundzüge der Seinsgeschichte: Ich unterscheide in Heideggers uniformer Rede vom Sein zwei Seinsbegriffe (II.2.1), grenze Heideggers geschichtsphilosophische Metaphorik von der Schellings ab (II.2.2), beschreibe die Seinsgeschichte als Übersetzungsgeschichte und rekonstruiere die hermeneutische Struktur der seinsgeschichtlichen Interpretationen exemplarisch an Heideggers Schelling-Auslegung. Das dritte Kapitel (II.3) legt eine metaphorologische Analyse der zentralen archäologischen Metapher der Spätphilosophie, der Lichtung, vor: Zunächst wird die systematische Struktur der Kehre vom Früh- zum Spätwerk an der Wandlung der Wahrheitskonzeption beschrieben (II.3.1), dann arbeite ich die Bedeutung von Raummetaphorik in Heideggers Wahrheitskonzeption heraus (II.3.2), im dritten Unterkapitel untersuche ich, wie im Laufe des Werkes aus der Raum- die Lichtungsmetapher hervorgeht (II.3.3) und unterscheide dann zwei Bedeutungsdimensionen der Lichtung, die den zwei Seinsbegriffen entsprechen (II.3.4). Im letzten Kapitel (II.4) beschreibe ich Heideggers Neuzeit-Interpretation als auf Blumenberg vorausweisende metaphorologische Lektüre avant la lettre. Im dritten Teil interessieren mich insbesondere die archäologischen Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs, die als Transformationen der Seinsgeschichte beschrieben werden. Das erste Kapitel (III.1) zeichnet Aristoteles’ Erfindung der Figur der Metapher im Spannungsfeld der disziplinären Anforderungen der Poetik und Rhetorik nach. Das zweite Kapitel (III.2) arbeitet eine Doppeltheit an der Metapher heraus: Die Negativität der manifesten Metapher bewegt sich auf der ›Positivität‹ eines latenten Untergrundes. Die folgenden Kapitel sind der systematischen Ausarbeitung der Konzeption dieses Untergrundes in den archäologischen Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs gewidmet: Derrida und Blumenberg falten – so die These – ihre Metapherntheorien zu einer diskursanalytischen Archäologie aus. Das dritte Kapitel schließt an Derridas meta-

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pherntheoretische Überlegungen an: Zunächst werden fünf klassische Spielarten, das Verhältnis von Begriff und Metapher im abendländischen Denken zu bestimmen, rekonstruiert (III.3.1). Das zweite Unterkapitel (III.3.2) entwickelt Derridas Thesen zu einer archäologischen Theorie des latenten sprachgeschichtlichen Untergrundes weiter, auf dem aktuelle eigentliche und metaphorische Rede sich bewegt. Das vierte Kapitel (III.4) rekonstruiert eine diskursanalytische Logik historischer Folgen-Verläufe als die archäologische Struktur von Blumenbergs Projekt einer Technisierungsgeschichtsschreibung. In einem Exkurs (III.4.1) vergleiche ich Wittgensteins Gleichnis-Verständnis mit Blumenbergs Konzeption der absoluten Metapher. Der vorliegende Text stellt eine stellenweise grundlegende Überarbeitung meiner 2005 an der TU Dresden eingereichten Doktorabeit dar. In die Arbeit sind eine Vielzahl von Anregungen eingegangen, für die ich mich bedanken möchte: Mein Dank gilt meinen beiden Doktorvätern, Thomas Rentsch und Anselm Haverkamp. Für Gespräche und Hilfe bedanke mich bei Rüdiger Campe, Elisabeth Mende, Christoph Menke, Daniela Plügge und Christian Strub.

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VORWORT

I DIE WELTALTER SCHELLING

I.1 FABELHAFTE WAHRHEIT I.1 FABELHAFTE WAHRHEIT

I.1 Fabelhafte Wahrheit: Die dialektische Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung In diesem Kapitel geht es mir um eine Bestandsaufnahme der unterschiedlichen Funktionen und Verständnisse der Sprache und insbesondere der »bildhaften Rede« in Schellings Weltaltern.6 Schelling entwirft in der »Einleitung« (Schelling 1993, 3-9; 111-118) skizzen- und lückenhaft, was ich im Folgenden als seine dialektische Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung ausbuchstabieren werde (Schelling 1993, 3; 10). Im Zentrum steht der Versuch, eine Darstellung des philosophischen Wissens zu entwickeln, in der die sprachliche Form in einer nicht-äußerlichen Beziehung zu dem Inhalt dieses Wissens steht. Schelling bemüht sich, diesen Anspruch auch in seiner eigenen Schreibpraxis in den Weltaltern umzusetzen. Um die Konturen dieser oft eher impliziten dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung sichtbar zu machen, diskutiere ich Schellings Verständnis von Sprache und bildhafter Rede unter fünf Aspekten: Zunächst werde ich zwei Aspekte an der Sprachauffassung Schellings hervorheben, nämlich die (1) gegenstandsmimetische und die (2) wirkungsorientierte Dimension. In diesen Teilen wird eine grundsätzliche Einschätzung der sprachlichen Form des Weltalter-Projektes versucht, indem sprachphilosophische Überlegungen aus dem Ältesten Systemprogramm (1796)7 und den Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (1802-1805)8 hinzugezogen werden. Da (3) anthropomorphe Metaphorik in den Weltaltern eine bedeutende Rolle spielt, schließt sich eine Diskussion von Schellings Auseinandersetzung mit Eschenmayer an, der den Anthropomor06 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, in: ders., Schellings Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung herausgegeben v. Manfred Schröter, Nachlaßband, Vierte, unveränderte Auflage, München 1993, S. 34. Ich werde mich im Folgenden aus Gründen der Übersichtlichkeit der Argumentation weitgehend auf den »Druck I« genannten ersten Weltalter-Entwurf von 1811 (Schelling 1993, 1-107) konzentrieren und nur gelegentlich Passagen aus Druck II (Schelling 1993, 108-184) und dem WeltalterBruchstück von 1814/15 hinzuziehen. Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Die Weltalter. Bruchstück. (Aus dem handschriftlichen Nachlaß), in: ders, Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. VIII, Stuttgart 1861, S. 195-344. 07 N.N., Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Schellingiana rariora. Gesammelt u. eingeleitet v. Luigi Pareyson, Turin 1977, S. 51-54: 53. 08 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Philosophie der Kunst. (Aus dem handschriftlichen Nachlaß). Erstmals vorgetragen zu Jena im Winter 1802 bis 1803, wiederholt 1804 und 1805 in Würzburg, in: ders., Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. V, Stuttgart 1859, S. 355-736.

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I.1 FABELHAFTE WAHRHEIT

phismus der Freiheitsschrift (1809) kritisiert hatte.9 Schließlich untersuche ich an sechs über die Fragmente verstreuten Bemerkungen, was man (4) das ontoanalogische Fundament der Weltalter nennen könnte: Die leitende Frage ist, welche ontologischen Prämissen hinter dem extensiven Metapherngebrauch des Textes stehen. Abschließend soll noch auf den besonderen Status der (5) NaturMetaphorik, des neben dem Anthropomorphismus zweiten zentralen Metaphernkreises des Textes, eingegangen werden. Daß Schelling über keinen geklärten Sprach- und Metaphernbegriff verfügt, hat etwas mit seinem Philosophiebegriff zu tun: Philosophisches Wissen findet im Bewußtsein statt.10 Die Sprache gerät in den Weltaltern in den Blick, wenn es um die Darstellung dieses Wissens geht und diese Perspektive bleibt für Schellings Wahrnehmung des Phänomens Sprache prägend. Daran zeigt sich eine eigentümliche Ambivalenz des Sprachverständnisses der Weltalter: Einerseits wird deutlich werden, daß Schelling das Problem der sprachlichen Form intensiv beschäftigt hat, andererseits ist seine Sprachkonzeption nie über ein Verständnis der Sprache als Darstellungsmedium hinausgekommen – einem Darstellungsmedium, das allerdings auf komplexe Weise mit dem Gegenstand der Darstellung verwoben ist. Der paradigmatische Horizont der Bewußtseinsphilosophie, in dem sich Schellings Denken bewegt, scheint vor allem dafür verantwortlich zu sein, daß er nie ein weiterreichenderes Sprachverständnis, ja überhaupt einen geklärten Sprachbegriff entwickelt hat. Innerhalb eines Darstellungsparadigmas der Sprache allerdings nehmen die Weltalter eine besondere Stellung ein. Das Besondere an der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung besteht darin, daß sie eine (1) gegenstandsmimetische Sprachkonzeption darstellt: Die Form sprachlicher Darstellung soll dem Inhalt des Dargestellten entsprechen.11 In einem in der For09 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Briefwechsel mit Eschenmayer, in: ders., Sämmtliche Werke, Bd. VIII, a.a.O., S. 144-189: 166 f. 10 Damit meine ich nicht, daß das Bewußtsein der zentrale Gegenstand der Weltalter wäre, sondern daß es der Ort ist, an dem die Erkenntnis dieses Gegenstandes stattfindet. Der Gegenstand ist offensichtlich die temporale Struktur der Entwicklung des Urwesens, das war, lange bevor es menschliches Bewußtsein gab und deshalb selber bewußtseinstranszendent ist. Insofern das bewußtseinstranszendente Urwesen sich als der (Unter-)Grund und lebendige Inhalt (Schelling 1993, 4 f.) des erkennenden Bewußtseins entpuppt, von dem dieses Bewußtsein selber abhängig ist, stellt die Konzeption der Weltalter im Verhältnis zu dem einfachen Gegenüber von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt eine Komplizierung dar, die die reine bewußtseinsphilosophische Theorie der Erkenntnis an ihre Grenzen treibt. Diese verkomplizierende Konzeption des Verhältnisses von Subjekt und Objekt ist in Schellings Denken älter als das Weltalter-Projekt und datiert sich zurück schon auf die frühen transzendental- und naturphilosophischen Schriften. Vgl. Christian Iber, Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin/New York 1994, S. 71 f. 11 Vgl. dazu vor allem die legendären ersten beiden Sätze der »Einleitung« in die Weltalter (Schelling 1993, 3). Thomas Oser, Sprünge über den Horizont des Denkens. Interpretationen zum mittleren Schelling 1806-1811, Diss.-Ms., Berlin 1997, S. 154 f. hat als einer der wenigen Interpreten diese Aufeinander-Verwiesenheit von Inhalt und sprachlicher Form gesehen. Seine Diskussion des Problems der Darstellung verfehlt dann allerdings die entscheidende Pointe der dialektischen

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schung selten gewürdigten Satz hat Schelling deutlich gemacht, daß er das Problem der Form des Wissens für eines der drängendsten Probleme seiner Zeit hält: »Nachdem die Wissenschaft der Materie nach zur Objektivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, daß sie diesselbe der Form nach suche« (Schelling 1993, 4). Dabei erweist sich das Formproblem näherhin als das der sprachlichen Form, wie der nächste Satz deutlich macht: »Warum war oder ist dieß bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, wo die Wahrheit wieder zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit wird« (Schelling 1993, 4, kursiv von mir, D.M.)? Die »Materie« oder das »Gewußte« der Wissenschaft ist »die Geschichte der Entwickelungen des Urwesens« (Schelling 1993, 10, kursiv von mir, D.M.), aus dem alles hervorgegangen ist. In Schellings Verständnis von der »Entwickelung des Urwesens« in den Weltaltern wird das metaphorische Potential des Wortes bewußt aktualisiert:12 Die Geschichte des Urwesens ist die Geschichte seiner ›Auswickelung‹ von einem anfänglichen Zustand, in dem das Urwesen seine gesamten Möglichkeiten als potentielle, d.h. ›eingewickelte‹, unentwickelte noch in sich trägt, über einen Zustand, in dem es alle seine Möglichkeiten nach und nach aktualisiert, sich ent- und damit auswickelt, bis zu einem abschließenden Stadium, in dem diese Auswickelung wieder in die Einheit zurückgenommen wird. Die Weltalter der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind die temporale Struktur dieser Entwickelung: Die Vergangenheit ist der »unaufgeschlossene Zustand der vorweltlichen Zeit«, die Gegenwart beginnt mit der Erschaffung der Welt, in der sich das Urwesen als Natur und Geschichte entwickelt, die Zukunft ist der »nachweltliche Zustand« (Schelling 1993, 11) einer wiedererlangten, neuen Einheit. Die Grundstruktur der Entwickelung des Urwesens ist dialektisch: Die Thesis ist die anfängliche Eingewickeltheit, die Antithesis die Auswickelung, die Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung. Oser unterschätzt die Bedeutung des Darstellungsproblems, wenn er in den narrativen Passagen der Weltalter nur die Absicht des »populär gehaltenen Vortrags« sieht, in dem »voreilig auf philosophische Begründungsansprüche verzichtet« werde (Oser 1997, 156) und die daher nur eine »Verlegenheitslösung« sein könnten, eine »Verschleierung«, die »rückgängig zu machen und die erzählenden Passagen auf ihren systematischen Problembestand und ihr argumentatives Potential hin durchsichtig zu machen« seien (Oser 1997, 156, Fußn. 227). Auch Katia Hay verfehlt die darstellungstheoretische Pointe Schellings, wenn sie in der Erzählung vor allem eine »persönliche, teilweise autobiographische« Darstellung sieht – vgl. Die Notwendigkeit des Scheiterns. Das Tragische als Bestimmung der Philosophie Schellings, Freiburg/München 2012, S. 242 f. 12 Daß Schelling dieses metaphorische Potential bewußt benutzt, machen nicht nur die durchgängige Schreibweise »Entwickelung« mit dem eingefügten »e« klar, sondern auch Sätze wie »Alle Entwickelung setzt Einwickelung zum voraus« (Schelling 1993, 23, 95). In diesen metaphorischen Kontext gehört auch die von Druck zu Druck wichtiger werdende Band-Metapher (Schelling 1993, 22, 28 f., 61, 63). Schelling denkt die Entwickelung des Urwesens an manchen Stellen nach dem Modell der Auswickelung eines eingewickelten Bandes. Während Schelling die Weltalter-Drucke massiv überarbeitet, sind die »Einleitungen« zu den Drucken nahezu identisch. Eine der wenigen Änderungen in der »Einleitung« zum Druck II von 1813 ist die Einfügung der Band-Metapher (Schelling 1993, 112).

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Synthesis schließlich die Aufhebung der Auswickelung in eine neue, differenzierte Einheit. Den Entwickelungsstufen des Urwesens entsprechen diesen Phasen strukturell verwandte Darstellungsformen: Die Vergangenheit wird »erzählt« (Schelling 1993, 3), die Darstellungsform der Gegenwart ist die »Dialektik« (Schelling 1993, 5), die der Zukunft ist wieder die »Erzählung« (Schelling 1993, 9).13 Damit ergibt sich als das dialektisches Schema der Form sprachlicher Darstellung die Folge: Erzählung – Dialektik – Erzählung. Schelling versucht, dieser Darstellungstheorie auch in seinem eigenen Stil in den Weltaltern erkennbar Rechnung zu tragen, in dem metaphorische Narration und dialektische Argumentation einander ablösen und durchdringen. Es bleibt bei Schelling unklar, was die beiden Erzählungen oder Fabeln der Vergangenheit und der Zukunft voneinander unterscheidet. Dabei ist deutlich, daß die erste Erzählung, die dem noch völlig potentiellen, unentwickelten Zustand des Weltalters der Vergangenheit entspricht, Darstellungsform eines vorbegrifflichen Zustandes ist, während die zweite Erzählung des Weltalters der Zukunft sich auf einen nachbegrifflichen Zustand bezieht. Ich möchte vorschlagen, die vorbegriffliche Erzählung metaphorisch, die nachbegriffliche symbolisch zu verstehen. Schelling hat keine explizite Theorie der Metapher. Gleichwohl greift er in den Weltaltern oft bewußt auf Metaphorik zurück, die er an einer Stelle damit rechtfertigt, daß sie »anschaulicher» (Schelling 1993, 17) sei: Die metaphorische Erzählung als Darstellungsform des Weltalters der Vergangenheit ist vorbegrifflich, weil sie eine sinnliche Sprache ist. Eine berühmte Theorie des Symbols entwickelt Schelling in den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst. Das Symbol sei die »Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen« (Schelling 1859 V, 406). In der symbolischen Darstellung bedeutet das Besondere nicht nur das Allgemeine wie in der Allegorie, sondern »beide sind absolut eins« (Schelling 1859 V, 407). Im Symbol gehen die Sinnlichkeit des Bildes und die Bedeutung des Allgemeinen eine vollkommene Synthese ein, weswegen Schelling hervorhebt, wie »vortrefflich« die deutsche Bezeichnung »Sinnbild« für das Symbol sei (Schelling 1859 V, 412). Die Erzählung der Zukunft hebt die sinnliche Erzählung der Vergangenheit und die dialektische Explikation der Gegenwart in einer neuen, symbolischen Fabel auf, in deren Darstellung sich Besonderes und Allgemeines völlig durchdringen. Ausgezeichnetes Beispiel symbolischer Darstellung ist Schelling die griechische Mythologie, deren Götter »Darstellung der Ideen als realer« sind (Schelling 1859 V, 370). Tatsächlich ist das Symbol aber nicht nur Darstellungsform des Weltalters der Zukunft, sondern auch Darstellungsprinzip des gesamten Weltalter-Textes: Das wird auf inhaltlicher Ebene deutlich, wenn Schelling betont, daß die von ihm verwendete Metaphorik »nicht uneigentlich, sondern eigentlich verstanden« werden müsse (Schelling 1993, 46). Wie ich noch zeigen möchte, hält er die anthro13 Ausführlich stelle ich die drei Darstellungsmodi unten S. 70 f. dar.

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pomorphe Metaphorik, die seine Beschreibung des Urwesens prägt, für ontologisch angemessen. Schellings Weltalter sind der Entwurf einer – der griechischen ebenbürtigen – modernen »Mythologie der Vernunft« (Schelling 1977, 53), die eine symbolische Darstellung der Geschichte des Urwesens liefert, in der sich die endliche Metaphorik der Erzählung und ihr unendlicher Gegenstand bis zum »absoluten Gleichsetzen beider« durchdringen (Schelling 1859 V, 422).14 Das symbolische Darstellungsprinzip zeigt sich ferner auch auf formaler Ebene: Mit der dialektischen Reihe der Formen Erzählung, Dialektik, Erzählung strebt Schelling eine Darstellung an, in der die sprachliche Form »absolut eins« (Schelling 1859 V, 407) wird mit der temporalen Verfassung des allgemeinen Inhaltes, dem Urwesen in seinen Entwicklungsphasen. Das Symbol ist die vollkommenste Realisierung des gegenstandsmimetischen Anspruchs der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung. Es führt zu einer Darstellung, in der das inhaltliche und formale »Besondere ganz das Allgemeine, das Allgemeine zugleich ganz das Besondere ist« (Schelling 1859 V, 511). Neben dem bisher diskutierten gegenstandsmimetischen möchte ich einen (2) wirkungsorientierten Aspekt der Sprachkonzeption der Weltalter unterscheiden. Die Wirkungsabsicht des Textes soll entwickelt werden, indem ich die Weltalter als Realisierung bestimmter Forderungen des Ältesten Systemprogramms beschreibe:15 Das Fernziel, das das Systemprogramm anvisiert, ist eine »neue Religion«, die »das lezte, gröste Werk der Menschheit« sein werde (Schelling 1977, 53). Diese »neue« soll eine »sinnliche Religion« sein. Die Realisierung der »sinnlichen Religion« ist die »Mythologie der Vernunft«. Die Mythologie der Vernunft ist als synthetisches Phänomen konzipiert: Sie ist einerseits als Mythologie der Vernunft »philosophisch«, weil »diese Mythologie [...] im Dienste der Ideen« steht; sie ist andererseits als Mythologie der Vernunft »sinnlich«. Aus entgegengesetzten Gründen bedürfen ihrer daher sowohl der Philosoph als auch der »grosse Hauffen«: »Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, um das Volk vernünftig, und die Philosophie muss 14 Ich unterschlage in dieser Beschreibung eine wichtige Dimension, weil sie im aktuellen darstellungstheoretischen Kontext irrelevant ist: Es handelt sich nämlich um eine moderne christliche Mythologie der Vernunft, die die Weltalter entwerfen – vgl. unten S. 72-78. 15 Ähnliche Lesarten finden sich bei Peter Lothar Oesterreich, Philosophie, Mythos und Lebenswelt. Schellings universalhistorischer Weltalter-Idealismus und die Idee eines neuen Mythos, Frankfurt M./Bern/New York/Nancy 1984, S. 165 f. und Wolfram Hogrebe, Prädikation und Genesis. Metaphysik als Fundamentalheuristik im Ausgang von Schellings ›Die Weltalter‹, Frankfurt/Main 1989, S. 18. Vgl. zur Diskussion der hier interessierenden wirkungsorientierten Dimension des Systemprogramms unabhängig von den Weltaltern außerdem Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt/Main 1982, S. 153-187. Zur Verfasserfrage des Systemprogramms vgl. Hegel-Studien Beiheft 9 (1973) und zur Rezeptionsgeschichte Frank-Peter Hansen, Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Rezeptionsgeschichte und Interpretation, Berlin/New York 1989.

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mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen« (Schelling 1977, 53). Eine der Reihe der Darstellungsformen in den Weltaltern verwandte Abfolge scheint hier auf: Es gibt eine unphilosophische, rein sinnliche Mythologie und eine unsinnliche, rein vernünftige Philosophie, die Mythologie der Vernunft ist dann die sinnliche Darstellungsform der Philosophie. Das Systemfragment konzipiert hier eine Darstellungsform, die Schelling später »Sinnbild« nennt (Schelling 1859 V, 412). Dem Autor steht der Symbol-Begriff noch nicht zur Verfügung, aber seine Stelle im Rahmen einer ästhetischen Re-Interpretation der Mythologie zeichnet sich deutlich ab.16 Eine besondere Bedeutung kommt insbesondere der sinnlichen oder metaphorischen Seite der Mythologie der Vernunft im Rahmen der populärphilosophischen Wirkungsabsicht des Textes zu. Die Versinnlichung der philosophischen Ideen in der Mythologie der Vernunft ist ja nicht nur das Mittel, um »das Volk vernünftig« (Schelling 1977, 53) zu machen, sondern auch das einzige Mittel, um es überhaupt zu erreichen. »Die ›Weltalter‹ sind daher ausdrücklich als PopPhilosophie konzipiert«, bringt Hogrebe die Wirkungsabsicht auf den Punkt. Schelling »wählte ausdrücklich eine ›populäre‹ Prosa, um so der alten Forderung des ›Systemprogramms‹ nach einer Form der Philosophie, die auch das Volk versteht, Rechnung zu tragen« (Hogrebe 1989, 33). Hogrebe und Oesterreich17 verweisen als Belegstelle auf eine Passage aus einem in keinem der Drucke verwendeten Textfragment, in dem Schelling die in den Drucken I und II wiederkehrende Rede erläutert, daß die Weltalter »nicht in strengwissenschaftlicher, nur in leicht mittheilender Form« (Schelling 1993, 13; 121) verfaßt seien: »Ich habe mir vorgesetzt, die durch lange Betrachtung gewonnenen Gedanken über die Herkunft und große Folge der Zeiten schriftlich aufzuzeichnen, doch nicht in sogenannter streng wissenschaftlicher nur in leicht mittheilender Form, wie sie der Natürlichkeit dieser Gedanken und der zur Klarheit gekommenen Wissenschaft allein angemessen ist. Denn wie man bemerkt hat, daß das Erhabene in der Dichtkunst die schlichtesten u. allgemeinstverständlichsten Worte liebt: so ist gewiß daß überall das Höchste, wenn es erkannt ist, sich in die einfachsten und leichtesten Worte kleiden läßt. Die Sprache der Systeme ist von Gestern, die des Volks wie von Ewigkeit. Sodann glaube ich, daß die Zeit gekommen ist, da der mit der höchsten Wissenschaft Beschäftigte die Frucht der Forschungen mehr der Welt und seinem Volke als der Schule schuldig ist« (Schelling 1993, 224). Auch Harald Holz sieht in den Weltaltern eine »Popularphilosophie«, deren Ziel es sei, »die mehr oder weniger enge Esoterik reiner Vernunfttheoretisation zu

16 Die Verbindung von Mythologie und Kunstwerk als Anwendungsfeld des Symbolbegriffs hat, fünf Jahre vor der Entstehung des Systemprogramms, Karl Philipp Moritz, Götterlehre und mythologische Dichtung der Alten, Berlin/München/Wien o.J. (EV 1791) hergestellt. Vgl. zum Verhältnis von Moritz und Schelling Günter Niklewski, Versuch über Symbol und Allegorie. Winckelmann-Moritz-Schelling, Erlangen 1979, v.a. S. 62 f. 17 Peter Lothar Oesterreich, Das gelehrte Absolute. Metaphysik und Rhetorik bei Kant, Fichte und Schelling, Darmstadt 1997, S. 187 f.

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verlassen und unmittelbar massenwirksam zu werden«.18 Holz verweist auf einen Brief Schellings an seinen Verleger J. F. Cotta vom 19.08.1814, in dem er über den Text schreibt: »Alle Ansichten sind zu dem Punct geführt, wo sie schlechterdings in’s Leben eingreifen müssen. Wie denn von jeder Philosophie, die nicht wirkungslos für Welt und Menschheit vorüber gehen soll, zu erwarten ist, daß sie nach überwundner wissenschaftlicher Schwierigkeit sich in das allen Menschen Verständliche und Annehmliche verkläre«.19 Für die Wirkungsabsicht der Weltalter spricht schließlich der auffällige appellative Textduktus, besonders am Anfang von Druck I. So spricht Schelling stets von »wir«, ein Wir, das oft Autor und Leser zusammenbindet: »Laßt es uns hier wieder menschlich nehmen [...]« (Schelling 1993, 17, kursiv von mir, D.M.). Immer wieder wirft Schelling selbst Fragen auf, die diejenigen des Lesers aufzunehmen scheinen: »Wie fangen wir es nur an, diese Lauterkeit zu beschreiben?« (Schelling 1993, 15, kursiv von mir, D.M.). »Daher die so allgemeine Frage: wie wir denn diese Lauterkeit erkennen?« (Schelling 1993, 16, kursiv von mir, D.M.). Auf die letzte Frage antwortet Schelling, indem er den Leser direkt anspricht: »Die einzige Antwort ist: werde in dir selber eine gleiche Lauterkeit, fühle und erkenne sie in dir«. Der Text versucht passagenweise geradezu einen Dialog mit seinem Leser: »Ich frage die, welche gegen diese Priorität der Natur streiten, ob sie denn überall keine Natur in Gott erkennen?« (Schelling 1993, 44). Während Schellings dialektische Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung durch ihren gegenstandsmimetischen Anspruch nach einer besonderen Nähe der Darstellung zu ihrem Inhalt strebt, zielt er durch die populäre Absicht auf eine besonders eindrückliche Wirkung beim Leser.20 Die folgenden drei Aspekte der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung kreisen um ein Phänomen, das ich eigentliche Metaphorik nennen möchte. Schelling macht immer wieder deutlich, daß er die seine Beschreibungen prägende anthropomorphe und Natur-Metaphorik nicht nur für eine aus wirkungsästhetischen Gründen gewählte Form, sondern für ontologisch angemessen hält. Die Konzeption eigentlicher Metaphorik ergibt sich mit einer gewissen Logik aus dem Anspruch des Symbol-Begriffs. Schelling erläutert die Eigentlichkeit der Symbolik am Beispiel der Gestalten der griechischen Mythologie: »Die Bedeutung ist hier zugleich das Seyn selbst, übergegangen in den Gegenstand, mit ihm eins [...] Ihr höchster Reiz beruht eben darauf, daß sie, indem sie bloß sind ohne alle Beziehung – in sich absolut –, doch zugleich immer die Bedeutung durchschimmern lassen« (Schelling 1859 V, 411). Wenn im Symbol 18 Harald Holz, »Das Weltalter-Programm und die Spätphilosophie«, in: Hans Michael Baumgartner (Hg.), Schelling. Einführung in seine Philosophie, Freiburg/München 1975, S. 108-127: 108109. 19 Schelling und Cotta. Briefwechsel 1803-49. Herausgegeben v. Horst Fuhrmans u. Liselotte Lehrer, Stuttgart 1965, S. 87. 20 Später möchte ich zeigen, daß der Eindruck, den der Text der Weltalter bei den Lesern machen kann, selbst zum Motor der geschichtsphilosophischen Entwicklung, die die Weltalter beschreiben, werden kann: vgl. unten S. 35 f. und 70 f.

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Bedeutung und beschriebenes Sein eins werden, dann tendiert die übertragene Rede zur Eigentlichkeit. Zu den auffälligsten Zügen der von Schelling in den Weltaltern skizzierten Mythologie der Vernunft gehört (3) die anthropomorphe Metaphorik, die ich jetzt genauer untersuchen möchte. 1810 hat der mit Schelling befreundete Mediziner Carl August Eschenmayer ihm in einem Brief seine Bedenken angesichts der gerade veröffentlichten Freiheitsschrift (1809) vorgelegt. Schelling hat auf diesen Brief ausführlich geantwortet und Eschenmayer überredet, diesen Briefwechsel zu veröffentlichen. Einen der Hauptkritikpunkte Eschenmayers bildet, was er wieder und wieder die »Übertragung« menschlicher Begriffe und Eigenschaften auf Gott nennt.21 Eschenmayer kritisiert einen seiner Meinung nach illegitimen metaphorischen Begriffsgebrauch und insbesondere den Anthropomorphismus der Beschreibungen. Die Hauptkonfliktlinien verlaufen ähnlich wie in der ersten Auseinandersetzung.22 Eschenmayer lehnt jede »Wissenschaft von Gott« (Schelling 1861 VIII, 152) ab, »die ganze logische Denkweise überhaupt gibt keinen Maßstab für Gott« (Schelling 1861 VIII, 146). »Dieß Räthsel und alle übrigen löst, was man auch dagegen sagen mag, allein die Religion und der Glaube. Der Glaube leiht keine Eigenschaften aus [...] er ist sich selbst die Urkunde der Gottheit, die keines Zeugen aus dem Verstande bedarf. Da er ein für allemal dem Wissen entsagt hat, so liegt ihm an der ganzen Immanenz unserer Erkenntnis nicht viel« (Schelling 1861 VIII, 151). Von diesem agnostischen und tendenziell fideistischen Standpunkt aus verurteilt Eschenmayer Schellings »Übertragungen«. So sei etwa, »was wir Sehnsucht nennen, ein ganz menschlicher Prozeß, der keine Uebertragung auf Gott duldet. Ebenso verhält es sich mit den Prädicaten der Persönlichkeit, der Selbständigkeit, des Selbstbewußtseyns, des Selbsterkennens, des Lebens u.s.w. Sie sind alle ein Gemisch des freien Princips mit dem Nothwendigen und dadurch rein menschlich und unangemessen der Würde Gottes« (Schelling 1861 VIII, 148). Eschenmayer moniert die in seinen Augen unrechtmäßige Übertragung menschlicher Prädikate auf Gott, weil die Prädikate Gott »unangemessen« seien. Als Beschreibungen Gottes ließen sich die Prädikate nicht wörtlich verstehen, sondern nur als Über-tragungen aus dem Bereich des Menschlichen auf den ganz anders gearteten Bereich des Göttlichen. Diese Übertragungen seien angesichts der radikalen Verschiedenartigkeit der Bereiche unzulässig. Die Kritik zielt also auf die in Eschenmayers Augen illegitime Metaphorik, insbesondere den Anthropomorphismus der Weltalter. 21 Vgl. Schelling, Briefwechsel mit Eschenmayer, in: ders., Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. VIII, Stuttgart 1861, S. 143-189: 146, 147, 148. 22 Schon Schellings Aufsatz »Philosophie und Religion« (1804) ist eine Antwort auf Eschenmayers Schrift Die Philosophie in ihrem Übergang zur Nichtphilosophie (1803). Diese Auseinandersetzung habe ich an anderer Stelle nachgezeichnet, vgl. Vf., «Die Wiederkehr gnostischer Vorstellungen in Schellings Aufsatz ›Philosophie und Religion‹ (1804)«, in: Albert Franz/Thomas Rentsch (Hg.), Gnosis oder die Frage nach Herkunft und Ziel des Menschen, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2002, S. 135-157.

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Schellings Antwort auf diese erkenntnistheoretisch fundierte Sprachkritik ist dezidiert: »Es kann überhaupt nicht die Frage seyn, mit welchem Recht wir unsere Begriffe auf Gott übertragen; wir müssen vorerst wissen, was Gott ist« (Schelling 1861 VIII, 167, kursiv von mir, D.M.).23 Schelling weist die Kritik an seinen »Übertragungen« mit dem Argument zurück, daß weder Eschenmayer noch er wüßten, »was Gott ist«, und man daher die Rechtmäßigkeit gar nicht beurteilt werden könne, bis das geklärt sei. Schelling unterstellt damit, daß ein solches Wissen davon, »was Gott ist«, möglich sei – eine Idee, die Eschenmayer entschieden ablehnen würde. Tatsächlich setzt aber auch Eschenmayer in seiner Kritik an den unrechtmäßigen Übertragungen implizit ein Wissen über Gott voraus, worauf Schelling ihn hinweist: »Wenn, wie Sie sagen, meine Vernunft in dem, was sie von Gott bejaht, sich über Gott gestellt hätte, so würde ja die Ihrige in dem, was sie von Gott verneint, es ebenso, ja noch weit entschiedener thun, indem sie sich a priori, ohne alle Untersuchung, bloß subjektiv über Gott abzuurtheilen erlaubt, da ich im Gegentheil nichts aus mir selbst von Gott behaupte, sondern seinen Wegen nachzugehen suche« (Schelling 1861 VIII, 167-68). Eschenmayer kann sein in einer Glaubensgewißheit fundiertes Wissen von Gott, von dem er ausgeht, theoretisch nicht einholen. Das ist nur Schelling in seiner gnostischen Erkenntniskonzeption möglich: »Ehe durch objektive Untersuchung, durch Entwicklung des Urwesens selber, ausgemacht ist, was Gott ist, können wir von Gott so wenig etwas verneinen als bejahen« (Schelling 1861 VIII, 168). Die Argumentation Eschenmayers verstrickt sich für Schelling in einer für seine Zeitgenossen typischen Weise in Aporien, weshalb er in ihr ein geschichtlich überholtes Denken sieht. »Diese ganze Argumentation ist mit der Kantischen Philosophie zugleich veraltet und sollte billig nicht mehr gehört werden. Wenn wir sagen: Gott darf nicht nach menschlichen Begriffen gedacht werden, so machen wir die Beschaffenheit unserer menschlichen Begriffe ebenso – nur zum negativen Maß der Gottheit, wie Protagoras das wirklich bloß Subjektive des Menschen zum Maß aller Dinge machte« (Schelling 1861 VIII, 168). Der erkenntniskritische »Purismus« hat im zeitgenössischen Gottesbild klar sich abzeichnende Folgen: »Es geht freilich Gott hiebei nicht besser als morgenländischen Monarchen, die unter dem Vorwand ihrer über alles Menschliche erhabenen Würde und der göttlichen Verehrung ihrer Völker aller freien Bewegung und menschlichen Lebensäußerung beraubt werden. Um Gott ja recht hoch und fern von allem Menschlichen zu stellen, nehmen Sie ihm sorgfältig alle verständigen und verständlichen Eigenschaften, Kräfte und Wirkungen ab. Dahin – muß bei consequenter Verfolgung alle Kantische, Fichtesche, Jacobische, überhaupt die ganze Subjektivitätsphilosophie kommen, welche unsere Zeit beherrscht« (Schelling 1861 VIII, 167). 23 Habermas hat auf die Ähnlichkeit dieses Argumentes mit Hegels «Polemik gegen alle vorgängige Erkenntniskritik« in der »Vorrede« der Phänomenologie des Geistes hingewiesen, vgl. Jürgen Habermas, Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954, S. 226 f.

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Die herrschende Subjektivitätsphilosophie muß spätestens dann scheitern, wenn sie den persönlichen Gott zu denken versucht. »Allein, wie Sie richtig gefühlt haben, es gibt hier keine Wahl. Entweder überall keinen Anthropomorphismus, und dann auch keine Vorstellung von einem persönlichen, mit Bewußtseyn und Absicht handelnden Gott (welches ihn ja schon ganz menschlich macht), oder einen uneingeschränkten Anthropomorphismus, eine durchgängige und [...] totale Vermenschlichung Gottes« (Schelling 1861 VIII, 167). Ein persönlicher Gott läßt sich nur anthropomorph denken. In dem Briefwechsel läßt Schelling noch offen, ob er in dem Anthropomorphismus eine sprachliche Verlegenheitslösung sieht, um überhaupt von dem persönlichen Gott sprechen zu können oder ob er ihn für die diesem Gott ontologisch angemessene Sprache hält: Einerseits gibt er Kant Recht, »daß alle Anwendung von menschlichen Verstandesbegriffen auf Gott unstatthaft und thöricht ist«, andererseits legt er nahe, »daß Gott wirklich selbstbewußt, lebendig, persönlich, mit Einem Wort menschenähnlich ist« (Schelling 1861 VIII, 167). In den Weltaltern hat sich Schelling für letzteres entschieden: Die Ähnlichkeit des Göttlichen und des Menschlichen ist eine zentrale Prämisse: »Alles Göttliche ist menschlich [...] und alles Menschliche ist göttlich« (Schelling 1993, 158). Die anthropomorphe Metaphorik ist die einem persönlichen Gott ontologisch angemessene Sprache; es handelt sich für Schelling – gegen Eschenmayer – um ontologisch legitime eigentliche Metaphorik. Auf dem Hintergrund des Anspruchs der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung erweist sich der Anthropomorphismus der Weltalter als symbolische Darstellung, die der ontologischen Verfassung eines lebendigen, persönlichen Gottes Rechnung trägt. Einen vierten Kontext der Metapher (4) möchte ich im Folgenden aus der Diskussion von sechs über die Fragmente verstreuten Bemerkungen entwickeln. In diesen Bemerkungen versucht Schelling das zu rechtfertigen, was Habermas die »analogische Methode« (Habermas 1954, 226) der Weltalter genannt hat. Das methodische Vorgehen besteht darin, per analogiam von Eigenschaften des Menschen oder natürlicher Dinge auf die Beschaffenheit des Urwesens oder Gottes zu schließen. Insofern stellt der im vorangegangenen diskutierte Anthropomorphismus nur einen – wenn auch den bedeutsamsten – Fall der Anwendung der analogischen Methode dar. Im Folgenden geht es mir um die ontologische Prämisse, die das Vorgehen der analogischen Methode und die symbolische Darstellungsform der Weltalter insgesamt trägt. Die Bemerkung Schellings, mit der ich beginne, steht auf der ersten Seite von Druck I. Schelling benennt hier das Projekt der Weltalter: »Die Geschichte der Entwickelung des Urwesens« habe er sich »vorgesetzt zu beschreiben und zwar anfangend von seinem ersten noch unaufgeschlossenen Zustand, der vorweltlichen Zeit« seiner »Vergangenheit« (Schelling 1993, 10). Er stellt sich dann die Frage, wie angesichts der Entzogenheit dieses »vorweltlichen Zustandes« der Vergangenheit des Urwesens der Mensch davon wissen könne? Darauf antwortet die erste Passage: »Doch vor allem in uns selbst müssen wir die Vergangenheit zurückrufen, um zu finden, wovon alles ausgegangen und was zuerst den Anfang

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gemacht. Denn je menschlicher wir alles nehmen, desto mehr können wir hoffen, uns der wirklichen Geschichte zu nähern« (Schelling 1993, 10). In seiner Antwort betont Schelling, daß etwas »im« Menschen an dieser Vergangenheit teilhatte und er, indem er dieses etwas »zurückruft«, sich an die Vergangenheit erinnern kann.24 Der zweite Satz verallgemeinert die Aussage des ersten: »Je menschlicher wir alles nehmen, desto mehr« nähern wir »uns der wirklichen Geschichte« des Urwesens. Damit wird der Mensch zu einem ausgezeichneten Analogon des Urwesens erklärt. Das Problem besteht allerdings darin, daß Schelling hier nicht sagt, warum das so ist. In welcher ›Eigenschaft‹ des Menschen ist diese ontologische Auszeichnung, ein einzigartiges Analogon des Urwesens zu sein, an dem sich wesentliche seiner Züge ablesen lassen, begründet?25 Eine Passage aus Druck II der Weltalter von 1813 kreist um dasselbe Problem: Wiederum geht es um die Erkennbarkeit und diesmal vor allem Sagbarkeit des Urwesens. »Leicht ist es auf keinen Fall, das Wahre recht und gehörig auszusprechen. Doch werden wir auch hier am besten thun, alles so menschlich und natürlich zu nehmen als möglich. Denn es kann der Hergang, den wir zu beschreiben unternehmen, doch kein anderer seyn, als durch welchen eine jede erst ruhende und ihrer selbst unbewußte Natur an und zu sich selber kommt« (Schelling 1993, 135). Zunächst fällt auf, daß Schelling hier die »menschliche« und die »natürliche« Sphäre als in der Analogiebildung gleichberechtigte Bereiche nebeneinander nennt. Der letzte Satz begründet diese Gleichberechtigung der Sphären für die Analogiebildung damit, daß »der Hergang, den wir zu beschreiben unternehmen«, die Entwicklung des Urwesens, ein Geschehensvollzug ist, »durch welchen eine jede erst ruhende und ihrer selbst unbewußte Natur an und zu sich selber kommt« (Schelling 1993, 135, kursiv von mir, D.M.). Die Möglichkeit der Analogiebildung zwischen dem Urwesen einerseits und dem Menschen und den natürlichen Dingen andererseits beruht darauf, daß sie alle »Natur« sind und »eine jede [...] Natur« sich in derselben Weise entwickelt. Der gemeinsame NaturCharakter ermöglicht also die Analogiebildung, weil durch ihn eine strukturelle Ähnlichkeit des Entwicklungsvorganges garantiert wird. Noch weiter geht eine Passage aus Druck I. Schelling hat begonnen, das Urwesen in seiner anfänglichen absoluten Potentialität zu beschreiben. Er nennt es die »höchste Freyheit« (Schelling 1993, 14) oder den »Willen, der nichts will«. »Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles« (Schelling 1993, 15). Er ist »Nichts«, weil er noch nicht real ist, und er ist »Alles«, weil alle Möglichkeiten in ihm sind. Wieder fragt Schelling, wie eine Erkenntnis möglich sei: »Wie fangen wir es nur 24 Vgl. die Diskussion von Schellings Theorie des in der Seele schlafenden Bildes (Schelling 1993, 4) unten S. 37 f. und ausführlich S. 45 f. 25 Der sich aus dieser Analogie ergebende Anthropozentrismus ist nicht identisch mit dem im Kontext der Auseinandersetzung mit Eschenmayer diskutierten: Die anthropomorphe Metaphorik ergibt sich hier nicht aus der Menschenähnlichkeit von Gott-Vater als Persönlichkeit, sondern aus einer noch zu bestimmenden Ähnlichkeit zwischen dem Menschen und der Substanz alles Seienden, dem Urwesen. Insofern Gott-Vater eine Entwickelungsgestalt des Urwesens ist, ist der nun diskutierte Anthropomorphismus umfassender.

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an, diese Lauterkeit zu beschreiben? Fragen wir nur, was im Menschen allem wirklichen, allem bedingten Seyn vorangeht; denn was im Menschen das Höchste ist, das ist in Gott, das ist in allen Dingen das Wesen« (Schelling 1993, 15). Der erste Teilsatz der Antwort scheint zunächst erneut die Sonderstellung des Menschen zu betonen: Zu untersuchen sei, »was im Menschen allem wirklichen, allem bedingten Seyn vorangeht«. Der zweite Teilsatz, der dieses Vorgehen rechtfertigt, relativiert diese Sonderstellung allerdings wieder: Nach dem »Höchsten« im Menschen müsse gefragt werden, weil es ebenfalls das »Höchste [...] in Gott« und »in allen Dingen« sei. Dieses »Höchste« in Gott, dem Menschen und den Dingen ist »das Wesen« und das Wesen alles Seienden ist das Urwesen. Die analogische Methode beruht daher auf der ontologischen Annahme einer Konsubstantialität des Urwesens mit allem übrigen Seienden. Analogie-Schlüsse von irgendeinem Seienden auf das Urwesen sind möglich, nicht nur weil eine strukturelle Ähnlichkeit des Entwicklungsvorganges aufgrund des gemeinsamen NaturCharakters unterstellt werden kann, sondern weil eine Substanzgleichheit zwischen ihnen besteht, die die Analogie-Schlüsse ontologisch absichert. Im Paragraphen vor der diskutierten Passage erläutert Schelling die alles umfassende Eigenschaftslosigkeit des Willens, der nichts will, aus einer Analogie mit Quellwasser: »Am Erhabenen findet der Geschmack, d.i. die Unterscheidungsgabe, nichts zu schmecken, so wenig als am Wasser, das aus der Quelle geschöpft ist« (Schelling 1993, 15). Unmittelbar im Anschluß an die Passage analogisiert er die anfängliche »absolute Einheit von Subjekt und Objekt« im Urwesen der »reinen Frohheit« eines »Kindes«, »die sich selbst nicht kennt, die gelassene Wonne, die ganz erfüllt ist von sich selber und an nichts denkt, die stille Innigkeit, die sich freut ihres nicht Seyns« (Schelling 1993, 16). Dieses Hin- und Herspringen zwischen anthropomorpher und Natur-Metaphorik wird möglich, weil in beiden dieselbe Substanz, das Urwesen, ist, auf das sich die Analogien beziehen. Die ontologische Prämisse der analogischen Methode der Weltalter ist also ein Substanz-Monismus: Alles, was ist, ist das Urwesen in einer seiner Entwicklungsgestalten. Deshalb kann von der Beschaffenheit der menschlichen und natürlichen Entwicklungsgestalten auf das Urwesen zurückgeschlossen werden, weil sie es letztlich selber sind. Durch den Substanz-Monismus werden die Differenzen zwischen den Dingen eingezogen: Es ist alles Eines. Wenn es jedoch keine grundsätzlichen Differenzen gibt, gibt es auch keine metaphorische Übertragung, denn diese ist dadurch definiert, daß der metaphorische Ausdruck auf einen ihm ontologisch fremden Bereich übertragen wird. Durch die Annahme eines SubstanzMonismus verwandelt sich jede übertragene Rede von selbst in eigentliche Metaphorik. Zwar wird die Entwickelung des Urwesens durch einen antagonistischen Dualismus der Kräfte der »Liebe« und des »Zornes« (Schelling 1993, 19 f.) vorangetrieben, aber dieser dynamische Dualismus geht aus einer uranfänglichen Einheit des Urwesens hervor (Schelling 1993, 17 f.). Dieser Dualismus, jede Differenzierung in den Weltaltern steht vor dem Hintergrund eines anfänglichen Monismus.

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Der Logik des Monismus entspricht die Nicht-Unterscheidung der »menschlichen« und »natürlichen« Sphäre in der Analogiebildung. Warum unterscheiden, wenn doch nur ein gemeinsames Wesen in allem ist? Dennoch kommt dem Menschen in den Weltaltern eine analogische Sonderstellung zu, die nicht recht zu dem Monismus zu passen scheint, die Schelling allerdings zu dezidiert formuliert, als daß man sie übersehen könnte. »Wir versuchen auch diesen Zustand durch die Ähnlichkeit der menschlichen Natur zu erläutern. Alles Göttliche ist menschlich nach Hippokrates und alles Menschliche ist göttlich. Also können wir hoffen, uns der Wahrheit in eben dem Verhältnis anzunähern, in welchem wir alles menschlich nehmen« (Schelling 1993, 158). Schelling spricht von einer »Ähnlichkeit der menschlichen Natur« mit dem Göttlichen, eine »Ähnlichkeit«, die fast Identität ist: »Alles Göttliche ist menschlich nach Hippokrates alles Menschliche ist göttlich« (Schelling 1993, 158). Wiederum bleibt Schelling schuldig zu erklären, warum das so ist. Worin besteht die Ähnlichkeit? In der vorliegenden Gestalt hat das Gesagte die Form eines argumentum ab auctoritate: »nach Hippokrates«, heißt es ohne Erläuterung.26 In der nahezu identisch lautenden Parallelstelle aus dem Weltalter-Bruchstück von 1814/15 nennt Schelling die besondere Beziehung zwischen dem Menschlichen und Göttlichen einen »Schlüssel zu den größten Entdeckungen im Reiche Gottes und der Natur«.27 Wie kommt es, daß der Mensch ein solcher »Schlüssel« sein kann? Eine Antwort läßt sich aus einer Bemerkung entwickeln, die sich auf der ersten Seite des angeführten Weltalter-Bruchstückes findet; wiederum geht es um die Frage der Erkennbarkeit des Urwesens. »Ein Licht in diesen Dunkelheiten ist, daß, gleichwie nach dem alten und fast abgenutzten Satz der Mensch die Welt im Kleinen ist, so die Vorgänge des menschlichen Lebens vom Tiefsten bis zu seiner höchsten Vollendung mit den Vorgängen des allgemeinen Lebens übereinstimmen müssen« (Schelling 1861, 207). Schelling aktualisiert mit diesem Zitat auf den ersten Blick das klassische Schema der Identität von Mikro- und Makrokosmos. Der zweite Satzteil erläutert, warum »der Mensch die Welt im Kleinen ist«, weil nämlich »die Vorgänge des menschlichen Lebens« und die »des allgemeinen Lebens übereinstimmen«. In der Rede von den »Vorgängen des [...] Lebens«, die beim Menschen und dem Urwesen »übereinstimmen« sollen, scheint eine Annahme auf, die für alle deutschen Idealisten zentral war, die aber keiner so wörtlich genommen hat wie 26 Bemerkenswert ist allenfalls, daß Schelling sich hier auf einen griechischen Autor beruft. Er macht in den Weltaltern an keiner Stelle explizit von dem analogiebildenden Potential der christlichen Idee der Gottesebenbildlichkeit des Menschen Gebrauch. Anders als in der Freiheitsschrift, wo die Tatsache, daß der Mensch das »Ebenbild Gottes« ist, eine zentrale Rolle spielt: vgl. Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, in: ders., Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. VII, Stuttgart 1860, S. 330-416: 363. 27 Die ganze Stelle lautet: »Alles Göttliche ist menschlich, und alles Menschliche göttlich; dieser aus dem tiefsten Leben gegriffene Satz des alten Hippokrates war und ist noch jetzt der Schlüssel zu den größten Entdeckungen im Reiche Gottes und der Natur« (Schelling 1861 VIII, 291).

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Schelling, nämlich daß die Substanz ein Subjekt ist. Das Urwesen ist für Schelling »ein lebendiges, wirkliches Wesen« (Schelling 1993, 3), nicht nur eine gedachte Substanz. Der Mensch wird zum ausgezeichneten Analogon des Urwesens, weil er in seiner Subjektivität dem unterstellten Subjekt-Charakter der Substanz von allem Seienden am ähnlichsten ist. Die analogische Sonderstellung des Menschen in den Weltaltern gründet also in seiner ausgezeichneten über die durch den allgemeinen Monismus abgesicherte hinausgehenden ontologischen Ähnlichkeit mit dem Urwesen qua Subjektivität.28 Der jetzt aufgedeckte Monismus ist das ontologische Fundament der analogischen Methode der Weltalter: Alles Seiende kann als Analogon des Urwesens herangezogen werden, weil es als Entwickelungsgestalt selber ein Stück des Urwesens ist. Damit sichert er auch die ontologische Möglichkeit des Symbols ab: Wenn symbolisch heißt, daß ein Besonderes das Allgemeine nicht nur bedeutet – wie in der Allegorie –, sondern ist, dann ist das strenggenommen nur im Horizont eines Monismus’ möglich. Der Substanz-Monismus bildet also auch das ontologische Fundament der gesamten dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung des Textes. Der Monismus hat in den Weltaltern schließlich noch eine wichtige historische Dimension: Als ontologische Tatsache ist er so alt wie das Urwesen selber, die Erkenntnis dieser Tatsache in der Philosophie ist allerdings nach Schelling jüngsten Datums: »Es ist ein Vorzug unserer Zeit, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden« (Schelling 1993, 3, kursiv von mir, D.M.). Es markiert in der Geschichtsphilosophie der Weltalter und auch in der Entwickelungsgeschichte des Urwesens einen wichtigen Moment, wenn die ontologische Tatsache des Monismus’ wieder bewußt wird: Damit ist der Anfangspunkt eines Erkenntnisprozesses markiert, den Schelling in den Weltaltern für seine Leser zum Nachvollzug aufzeichnet, in dem der Mensch den Entwickelungsprozeß des Urwesens bewußt nachvollzieht. Im Menschen kommt das Urwesen zu seinem Selbstbewußtsein, das sich in der spekulativen Mythologie der Vernunft der Weltalter zum ersten Mal darstellt und die Vorstufe des Übergangs in die nachweltliche Zukunft des Urwesens ist. Diese geschichtsphilosophische Dimension, wonach Schellings Gegenwart einen besonderen Moment in der Entwicklungsgeschichte des Urwesens markiert, soll anhand von (5) Metaphern aus dem Bereich der Natur vertieft werden. Aufgrund des Substanz-Monismus lassen sich Erscheinungen aus dem Bereich der Natur ebenso wie solche aus der Sphäre des Menschlichen bei der symbolischen Darstellung des Urwesens verwenden. Auch die Naturmetaphorik der Weltalter tendiert zur Eigentlichkeit: »Es ist dieß ein andrer Anstoß, den unsre Vorstellung von Anbeginn gefunden, daß sie die sichtbare Natur so hoch gestellt und alle jene 28 Martin Blumentritt zeigt, wie diese ›vitalistische‹ Auslegung der Subjektivität Schelling in der Freiheitsschrift zu einer »Metaphysik des Lebendigen« führt – Begriff und Metaphorik des Lebendigen. Schellings Metaphysik des Lebens 1792 – 1809, Würzburg 2007, S. 340 f. –, die schon dort das onto-analogische Fundament seiner Verwendung von »Metaphern des Lebendigen« ist (Blumentritt 2007, 321).

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Kräfte, die wir aus dem Innern der Materie hervorbrechen sehen, für wahrhaft ewige Kräfte erkannt. Zwar behaupten wir darin nichts Neues in Bezug auf die eigentlich Alten. Wir haben ihre Meynung nur genauer verstanden und uns nicht begnügt mit der Vorstellung bloß gedachter oder bloß denkbarer Urbilder. Wir verwerfen nicht nur die gewöhnliche Meynung, nach welcher [...] die Elemente des Feuers und des Wassers, die Kraft des Blitzes und die Sanftmuth des Lichtes, erst mit dieser äußerlich sichtbaren Welt entanden seyn sollen, wir nehmen auch an, daß diese Kräfte in dem Urwesen, das der Welt voranging, nicht ohne Wirkung gewesen, und die Ausdrücke, deren wir uns in dieser Beziehung gebrauchen, sind darum nicht, wie manche sich vorgestellt, uneigentlich sondern eigentlich verstanden« (Schelling 1993, 46, kursiv von mir, D.M.). Schellings Verwendung von Naturmetaphorik steht außerdem im Kontext der ontologischen Annahmen einer Natur im Urwesen oder in Gott. In der Freiheitsschrift schreibt Schelling pointiert: »Aber Gott selbst, damit er seyn kann, bedarf eines Grundes, nur daß dieser nicht außer ihm, sondern in ihm ist, und hat in sich eine Natur, die obgleich zu ihm selbst gehörig, doch von ihm verschieden ist« (Schelling 1860, 375, kursiv im Original). In dem Zitat scheint eine Unterscheidung zwischen Gott selbst einerseits und dem Grund oder der Natur in Gott andererseits auf, die sich aus der anfänglichen Einheit des Urwesens ent-wickelt hat: Am Anfang ist das Urwesen die allumfassende Einheit, die »alles in sich hat« und »kann es eben darum nicht zugleich äußerlich haben« (Schelling 1993, 15). Diesem »Willen, der nichts will« gegenüber »zeugt [...] sich selbst« ein anderer Wille, der »Wille zur Existenz« (Schelling 1993, 17). Aus der Dynamik der antagonistischen Willen entsteht alles, was ist: aus dem Ringen der »Liebe« und des »Zorns« (Schelling 1993, 19), wie Schelling die beiden Willen auch nennt. Der Wille, der nichts will, ist »die zarte Gottheit, die in Gott selber über Gott ist« (Schelling 1993, 21), während der Wille zur Existenz die »ewige Kraft schlechthin, die Stärke Gottes« darstellt (Schelling 1993, 20). Der Wille zur Existenz ist der »Grund seiner (Gottes, D.M.) eigenen Existenz«, die »Natur in Gott«, aus der alles hervorgeht (Schelling 1993, 44). Da alle Entwicklung die Ent-wickelung des in diesem Natur-Grund Eingewickelten, Potentiellen ist, spricht Schelling von der »Priorität des Physischen, (Potentiellen), in Gott« (Schelling 1993, 44), »von dem alle, auch die Entwickelung des göttlichen Lebens, anfängt« (Schelling 1993, 9). In der Entwickelung durchdringen sich die beiden Willen und treten mit der Entstehung der realen Welt in die Natur und die Geisterwelt auseinander. Im Horizont dieser Entwickelungsgeschichte des Urwesens markiert die gegenwärtige Situation der Welt einen Zustand schrecklicher Zerrissenheit, der auf seine Aufhebung in eine neue Einheit in der Zukunft drängt. Schelling sieht in seiner Zeit einen geschichtsphilosophischen Wendepunkt. Die oben zitierte Passage zur Wörtlichkeit der Naturmetaphorik steht im Rahmen eines Exkurses, in dem Schelling am Beispiel von Spinoza das »abgezogene Verhältnis« kritisiert, »in welchem alle neueren Systeme gegen die wirkliche Natur stehen« (Schelling 1993, 46, kursiv von mir, D.M.). Dieser neuzeitlichen Abgezogenheit stellen die Welt-

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alter eine neue Hinwendung entgegen: »Jetzt ist, nach langen Verirrungen, die Erinnerung an die Natur, und an ihr vormaliges Einsseyn mit ihr, der Wissenschaft wieder geworden [...] Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedies nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören [...] Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden« (Schelling 1993, 9, kursiv von mir, D.M.). Vor diesem Hintergrund wird an Schellings Verwendung von Naturmetaphorik bei der Beschreibung des Urwesens eine weitere Dimension der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung deutlich: Die Weltalter stellen eine gezielte philosophie-, vor allem aber ontologiegeschichtliche Intervention dar. Indem in dem Text gegen »alle neueren Systeme« das Ineinander von Natur und Geist, die Geistigkeit der Natur und die Natürlichkeit des Geistes, systematisch entwickelt wird, findet in ihm eine erste Aufhebung der die Neuzeit als Entwicklungsphase des Urwesens kennzeichnenden ontologischen Zerrissenheit statt. Nicht zuletzt in der Wörtlichkeit und Metaphorik mischenden symbolischen Schreibweise der Weltalter scheint performativ jene »Eine Welt« auf, die die nächste Stufe der Entwicklung des Urwesens bildet. Das Symbol ist daher nicht nur die ontologisch angemessene Darstellungsform, sondern es treibt durch seine Wirkung auch die Entwicklungsgeschichte des Urwesens voran. Die im Vorangegangenen rekonstruierte dialektische Theorie der symbolischen Form der sprachlichen Darstellung könnte man als die implizite Poetik des Textes verstehen. In ihr verbinden sich auf komplexe Weise die ontologische Prämisse des Substanz-Monismus mit dem Anspruch einer sowohl gegenstandsmimetischen als auch wirkungsorientierten Darstellung des Urwesens, die noch dazu dessen ontologiegeschichtliche Entwicklung forcieren soll. Die SymbolKonzeption erweist sich dabei als der Brennpunkt, in dem sich die ontologischen und sprachphilosophischen Träume des Textes bündeln.

I.2 VOM »JETZIGE LEBEN« I.2 VOM »JETZIGE LEBEN«

I.2 Vom »jetzige Leben«: Geschichtsphilosophie Die folgenden drei Kapitel sind eine Lektüre der drei Schichten, die ich in der »Einleitung« in die Weltalter zu unterscheiden vorschlagen möchte.29 Die »Einleitung« ist aufgrund ihrer methodologischen Funktion für den Haupttext zentral: In ihr skizziert Schelling die Grundzüge der Geschichtsphilosophie, Erkenntnis- und Darstellungstheorie der Weltalter und steckt damit den methodischen Horizont des Haupttextes ab. In diesem Kapitel geht es mir um die erste Schicht, die häufig eher implizite als explizite Geschichtsphilosophie der Weltalter. Nach einer kurzen Darstellung der Grundstruktur der »Einleitung« und der komplexen zeitlichen Situierung des Weltalter-Projektes gehe ich den Text der »Einleitung« durch und rekonstruiere Schellings Einschätzung des historischen Ortes seines Weltalter-Denkens, indem ich ihn der geschichtsphilosophischen Formatierung sowohl seiner Erkenntnisals auch seiner Darstellungstheorie abzulesen versuche. Die Grundstruktur der »Einleitung« umreißen die berühmten ersten beiden Sätze. Sie setzen paradigmatisch die drei maßgeblichen Schichten oder Stränge der »Einleitung« in Beziehung: »Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet. Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt« (Schelling 1993, 3). Die beiden ineinander geschachtelten Sätze lassen sich in drei Reihen darstellen: Vergangene-gewußt-erzählt, Gegenwärtige-erkannt-dargestellt, Zukünftige-geahndetgeweissagt. Jede der Reihen ist eine Verbindung von drei unterschiedlichen, durch die Reihe aufeinander bezogenen und zwischen den Reihen verwandten Dimensionen. Löst man die Reihen auf und ordnet die verwandten Begriffe einander zu, entstehen folgende Gruppierungen: Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, wissen-erkennen-ahnden, erzählen-darstellen-weissagen. 29 Die »Einleitung« der Weltalter liegt in drei Fassungen vor: Die »Einleitung« zu »Druck I« von 1811 (Schelling 1993, 3-9), zu »Druck II« von 1813 (Schelling 1993, 111-118) und zu dem Weltalter-Bruchstück von 1814/15 (Schelling 1861 VIII, 199-206), das Schellings Sohn herausgegeben hat. Die Einleitungen zu »Druck I« und dem Weltalter-Bruchstück sind nahezu identisch; in der »Einleitung« zu »Druck II« finden sich einige Umstellungen und Hinzufügungen. Außerdem enthält der dritte Teil – »III Entwürfe und Fragmente zum Ersten Buch der Weltalter« (Schelling 1993, 185-236) – der von Schröter herausgegebenen Ausgabe der Weltalter das sogenannte »Früheste Conzeptblatt« (Schelling 1993, 187-194) und »Zwei Vorwortentwürfe« (Schelling 1993, 194-208), die später entfallene, umgearbeitete oder übernommene Passagen bringen. – Die Textgrundlage der folgenden Lektüre wird die »Einleitung« zu »Druck I« (Schelling 1993, 39) sein. Wo es mir sinnvoll erscheint, beziehe ich die übrigen Fassungen und Entwürfe mit ein.

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Diese drei Gruppierungen stellen die Struktur der drei Schichten oder Stränge der »Einleitung« dar: die zeitlich-ontologische Schicht (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), die erkenntnistheoretische Schicht (wissen, erkennen, ahnden) und die darstellungstheoretische Schicht (erzählen, darstellen, weissagen). Die ersten beiden Sätze ordnen jedem Weltalter (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) einen Erkenntnis- (wissen, erkennen, ahnden) und einen Darstellungsmodus (erzählen, darstellen, weissagen) zu. Einen Teil der zeitlich-ontologischen Schicht bildet die Geschichtsphilosophie der »Einleitung«. Schelling nimmt eine geschichtsphilosophische Erörterung des Weltalter-Projektes vor, indem er den Ort und die Funktion des Weltalter-Textes einerseits in der Geschichte der Menschheit und der abendländischen Philosophie und andererseits innerhalb der ontologischen Entwicklung des Urwesens bestimmt. Dabei verortet er seine Gegenwart und die Weltalter, indem er sie in dem System der ersten beiden Sätze lokalisiert: Das Weltalter-Projekt Schellings ist Teil des zeitlich-ontologischen Geschehens der Weltalter. Es stellt den Moment dar, in dem dieses Geschehen zum ersten Mal in einem Text der Philosophie erkannt und dargestellt wird. Die allgemeine Systematik dieser Erkenntnis und Darstellung umreißen die ersten beiden Sätze. Die geschichtsphilosophische Erörterung der »Einleitung« dreht sich insbesondere auch um die Frage, wie viel dieser allgemeinen Systematik bis zu Schellings Gegenwart schon realisiert worden ist und bis zu welchem Punkt das Weltalter-Projekt kommt. Die Teilhabe des Weltalter-Projektes am zeitlich-ontologischen Geschehen der Weltalter zeichnet sich deutlich in der doppelten Zeitstruktur der Weltalter ab, die sich in einer Doppeltheit von Schellings Rede von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft manifestiert: Einerseits handelt es sich dabei um Weltalter, zeitliche Entwickelungsphasen des Urwesens: »Die Zeit dieser Welt (d.h. die Gegenwart, D.M.) ist nur Eine große Zeit, die in sich keine wahre Vergangenheit noch eigentliche Zukunft hat [...] Die wahre vergangene Zeit ist die vor der Zeit der Welt gewesene, die wahre zukünftige ist die nach der Zeit der Welt seyn wird« (Schelling 1993, 188). Das Weltalter der Vergangenheit bezeichnet eine Entwicklungsphase des Urwesens, die stattfand, bevor es die materielle Welt gab, das Weltalter der Zukunft wird sein, wenn diese Welt verschwunden, in die neue Einheit des Urwesens aufgehoben sein wird. Das Weltalter der Gegenwart ist die Zeit seit und solange es die Welt gibt. Andererseits unterscheidet Schelling innerhalb des Weltalters der Gegenwart nochmals zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Sinne des gewöhnlichen Verständnisses als geschichtliche Vergangenheit, augenblickliche Gegenwart und noch ausstehende Zukunft in dieser Welt. Um diesen Unterschied terminologisch festzuhalten, werde ich, wenn es um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Weltalter geht, von »Temporalität« sprechen, wenn es sich um die Unterscheidung innerhalb des Weltalters der Gegenwart handelt, von »weltlicher« oder »geschichtsphilosophischer Zeit«. »Zeit« und »Zeitlichkeit« verwende ich bei der Diskussion von Zusammenhängen, die diesen Unterschied umfassen.

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Das Weltalter-Projekt Schellings hat seinen Ort also innerhalb zweier, ineinander geschachtelter Zeit-Reihen: Es hat einen Ort in der geschichtsphilosophischen Zeit, die ihrerseits als Weltalter der Gegenwart im Horizont der Temporalität der Weltalter steht. Die doppelte zeitliche Verortung des Weltalter-Projektes wird sichtbar, wenn man nach dem Ort der geschichtsphilosophischen Erörterung der »Einleitung« im temporalen System der Weltalter fragt, das der Haupttext entwickelt. Aufgrund dieser doppelten zeitlichen Verortung ist das WeltalterProjekt selbst ein Teil des Geschehens der Weltalter. Nur aufgrund dieser Teilhabe kann das Weltalter-Projekt seinerseits eine Wirkung auf das zeitlich-ontologische Geschehen der Weltalter haben: Beide ZeitReihen haben sich in dem Ort des Weltalter-Projektes bis zum selben Punkt entwickelt. Beide stecken in der Gegenwart fest. Die Weltalter Schellings sind also vor der Schwelle eines doppelten Umschlags in die Zukunft situiert. Dieser Umschlag hängt in entscheidender Weise von dem Weltalter-Projekt selbst ab: Wenn in den Weltaltern das zeitlich-ontologische Geschehen der Weltalter vollständig erkannt und dargestellt worden ist und sich diese Erkenntnis verallgemeinert hat, indem die Weltalter zum Gründungsdokument einer neuen, »universellen Kirche« (Schelling 1859, V, 415) geworden sind, wird das Weltalter der Gegenwart in das Weltalter der Zukunft übergehen.30 Die materielle Welt wird aufgehoben in eine neue Einheit des Urwesens, die das Ziel seiner Entwickelungsgeschichte ist. Die Vollendung des Weltalter-Textes, das macht Schelling unmißverständlich klar, ist in seiner Gegenwart noch nicht möglich: Das »größte Heldengedicht«, das sagt, »was war, was ist und was seyn wird«, wird erst die Zukunft bringen: »Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen« (Schelling 1993, 9).31 Die in der Forschung viel diskutierte Fragmentarität des Textes ist von Schelling also nicht nur vorgesehen, sondern wird von ihm mit dem Entwicklungsstand des zeitlichontologischen Geschehens der Weltalter begründet: Die Zeit für eine Vollendung des Weltalter-Projektes ist, nach Schellings eigener Einschätzung, noch nicht »reif« (Schelling 1993, 9). Im Folgenden möchte ich in einem ersten Durchgang durch den Text der »Einleitung« Schellings geschichtsphilosophische Verortung des WeltalterProjektes rekonstruieren, wie sie sich insbesondere in seinen erkenntnis- und darstellungstheoretischen Diskussionen abzeichnet. Schon in dem Abschnitt unmittelbar nach den beiden Anfangssätzen nimmt Schelling eine erste fundamentale Verortung vor: »Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, daß sie eine bloße Folge und Entwickelung eigener Begriffe und Gedanken ist. Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die sich in ihr darstellt. Es ist ein Vorzug unserer Zeit, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden [...]« (Schelling 1993, 3, kursiv von mir, D.M.). »Bisher« habe man Wissenschaft für 30 Zur Funktion der Weltalter im Rahmen der Geschichte der Religion und insbesondere des Christentums s. unten S. 72 f. 31 Zu der in der Bezeichnung sich andeutenden poetischen Qualität des Textes vgl. unten S. 74 f.

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eine Tätigkeit des Wissenschaftlers gehalten, der darin eigene Begriffe und Gedanken entwickelt, tatsächlich ist die Wissenschaft der ›Ort‹, an dem sich die »Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens«, des Urwesens, »darstellt«: Der Gegenstand der Wissenschaft ist die »Biographie« (Oesterreich 1984, 86) des Urwesens. Da das Urwesen, »das älteste aller Wesen« (Schelling 1993, 3), der Grund alles Seienden ist, fällt seine Biographie mit der Geschichte alles Seienden zusammen: Ontologie ist nur als »Ontobiologie« möglich (Oesterreich 1984, 86). Schelling markiert seine Gegenwart als wichtigen Moment, sowohl in der Geschichte des Urwesens selber wie auch in der Geschichte der philosophischen Ontologie, die Teil der Geschichte des Urwesens ist: Was Schelling den »Vorzug unserer Zeit« (Schelling 1993, 3), seiner Gegenwart, nennt, daß die Wissenschaft ihren eigentlichen Gegenstand in dem Urwesen wiederentdeckt hat, bedeutet, daß in der Geschichte des Urwesens dieses zum ersten Mal selbst erscheint. Damit beginnt gleichzeitig eine neue Epoche in der abendländischen Ontologiegeschichte, der bisher ihr eigentlicher Gegenstand verborgen war. Schelling profiliert in seiner geschichtsphilosophischen Erörterung die Weltalter als erstes Werk dieser neuen Epoche, in der Ontologie als Ontobiologie des Urwesens betrieben wird. Die neue Ontobiologie steht auch mit den Weltaltern Schellings noch am Anfang: »Nachdem die Wissenschaft der Materie nach zur Objektivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, daß sie dieselbe der Form nach suche« (Schelling 1993). Die neue Wissenschaft ist »der Materie nach zur Objektivität gelangt«, weil sie mit dem Urwesen ihren eigentlichen Gegenstand gefunden hat, aber sie hat noch keine »Form«, keine Darstellung, kurz: Die neue Wissenschaft existiert noch nicht. Um diese Formlosigkeit der neuen Wissenschaft kreisen auch die Fragen des folgenden Absatzes: »Warum war oder ist dieß« – daß die Wissenschaft eine Form findet – »bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden?« (Schelling 1993, 4). Auch diese Fragen enthalten eine Erörterung des Weltalter-Projektes, wenn Schelling festhält, daß es »bis jetzt« nicht gelungen sei, »das Gewußte der höchsten Wissenschaft« zu »erzählen«. »Wissen« ist der Erkenntnismodus der Vergangenheit, »erzählen« ihr Darstellungsmodus. »Bis jetzt«, sagt Schelling also, gibt es nicht einmal eine Darstellung des ersten Weltalters der Vergangenheit. Schelling läßt die Fragen unbeantwortet und geht im nächsten Absatz unvermittelt zur Diskussion der erkenntnistheoretischen Konzeption der »Mitwissenschaft der Schöpfung« (Schelling 1993, 4) über. Die Mitwissenschaft der Schöpfung ist das erkenntnistheoretische Fundament des Weltalter-Projektes. Gerade angesichts dieser zentralen Bedeutung für das gesamte Projekt ist es bemerkenswert, daß es sich um eine durch und durch metaphorische Konstruktion handelt.32 32 Vgl. die ausführliche Diskussion der Metaphorik der »Mitwissenschaft der Schöpfung« im folgenden Kapitel.

I.2 VOM »JETZIGE LEBEN«

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Die Konzeption der Mitwissenschaft der Schöpfung hat in den Weltaltern dieselbe Funktion, die in anderen Systementwürfen Schellings der »intellektuellen Anschauung« zukommt: Jeweils wird die Frage beantwortet, wie der Mensch vom Absoluten wissen kann. Gerade im Rahmen der Weltalter ergeben sich offensichtliche Probleme: Wenn der Gegenstand der neuen Wissenschaft die Biographie des Urwesens ist, wie kann der Mensch von den Teilen dieser Biographie wissen, die stattfanden, bevor es die Welt und den Menschen überhaupt gab, in dem vorweltlichen Weltalter der Vergangenheit des Urwesens? Schellings Lösung lautet: »Dem Menschen muß ein Princip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist«. Im Menschen ist ein »Princip von vor dem Anfang der Zeiten [...] Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung« (Schelling 1993, 4, kursiv von mir, D.M.). Schelling erläutert nicht weiter, was dieses Princip ist. Die Aussagen, daß es »aus der Quelle der Dinge geschöpft« und »außer und über der Welt ist«, lassen sich so verstehen, daß es sich dabei um ein Stück des Urwesens selbst handelt, das im Menschen liegt.33 Aufgrund dieses »Zeugen aus vorweltlicher Zeit« (Schelling 1993, 113) ist dem Menschen ein Wissen vom Urwesen möglich, selbst aus Zeiträumen seiner Biographie, die ihm sonst entzogen sind. Das »Princip« ist die erkenntnistheoretische Bedingung der Möglichkeit von Ontologie als Ontobiologie und damit des Weltalter-Projektes. Das aus der Quelle der Dinge geschöpfte innere Princip bestimmt Schelling näherhin als »Bild«: »Aber dieses Ur-bild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild« (Schelling 1993, 4). Ist schon die Bestimmung des Princips als Bild metaphorisch, so schreibt Schelling durch diesen Satz die Bild-Metapher selbst noch einmal in ein ganzes, sich überschneidendes System von Metaphoriken ein: der Metaphorik von Licht und Dunkelheit (»verdunkeltes«), von Bewußtsein und Bewußtlosigkeit, Wachen und Schlaf (»schläft«), von Erinnerung und Vergessen (»vergessenes«).

33 An einer Stelle der Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie fragt Schelling, wie ein »Schauen des Göttlichen«, »des Hergangs der Schöpfung« und »des Werdens der Dinge aus Gott« möglich sei – vgl. Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchener Vorlesung. (Aus dem handschriftlichen Nachlaß). Wohl 1833/1834 in: ders., Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. X, Stuttgart 1861, S. 1200: 185. Schelling verweist dann auf »das im Menschen sich selbst Bewußte und zu sich Gekommene – dieses ist das durch die ganze Natur Hindurchgegangene, das gleichsam alles erfahren hat, das aus der Selbst-Entfremdung wieder in sich, in sein Wesen Zurückgebrachte. Ist es aber der zurückgebrachte Anfang, so ist das Wesen des Menschen wieder das, was im Anfang der Schöpfung war, es ist nicht mehr dem Erschaffenen, sondern es ist wieder der Quelle der Schöpfung gleich« (Schelling 1961 X, 185), kursiv von mir, D.M.). Die Rede von dem »zurückgebrachten Anfang« als dem »durch die ganze Natur Hindurchgegangenem« scheint mir ebenfalls nahezulegen, daß es das Urwesen selbst ist, das da als »Princip« im Menschen liegt.

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I.2 VOM »JETZIGE LEBEN«

Der Satz spricht aber auch davon, daß das innere Princip dem Menschen nicht unmittelbar zugänglich ist: Der Zeuge »schläft«.34 Der Grund ist, daß dieses Princip aus der Quelle der Dinge »an ein geringeres Princip gebunden« ist (Schelling 1993, 4). Schelling inszeniert hier eine Doppeltheit von Prinzipien im Menschen, eine »Verdopplung unsrer selbst« (Schelling 1993, 5) in ein höheres und ein niedrigeres Princip, wobei das Niedrigere das Höhere irgendwie fesselt und hemmt. Die Verdoppelung führt zu einem »geheimen Verkehr«, der »das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist« (Schelling 1993, 5): »Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredlung bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm nicht beygegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein Anderes haben, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne. Denn in ihm (dem Höheren, D.M.) liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen« (Schelling 1993, 4-5). Durch die Verdoppelung der Prinzipien in der Seele des Menschen ist das Wissen vom Urwesen, die Mitwissenschaft der Schöpfung, das Produkt eines Gesprächs. Das Wissen entsteht aus dieser »inneren Unterredungskunst«, die ich auch ›innere Dialektik‹ nennen möchte, weil Schelling davon spricht, daß »die äußere [...] Dialektik [...] nur das Nachbild« (Schelling 1993, 5) von dieser sei. Das Wissen der Ontologie als Ontobiologie ist in dem radikalen Sinne Produkt der inneren Dialektik, daß es dieses Wissen vorher nicht gibt: Es »ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Innern immer erst entstehendes« (Schelling 1993, 5). Dieses Entstehen des Wissens hat Schelling oben als »darstellen« gefaßt: Der Erkenntnisprozeß ist ein Darstellungsprozeß. Die Komplexität dieses Prozesses wird sichtbar, wenn man untersucht, wie Schelling ihn in dem oben angeführten Zitat als Schnittpunkt ganz unterschiedlicher Prädikate faßt: »sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden [...] unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen« (Schelling 1993, 4-5). Die innere Dialektik ist für das höhere Prinzip ein Artikulationsprozeß in dem doppelten Sinn des lateinischen Wortes articulare als »aussprechen« und »gliedern«: Das höhere Princip spricht sich (in dem niederen) aus, stellt sich dar und unterscheidet sich dabei, legt sich auseinander und wird sich dadurch verständlich, kann sich beschauen. Damit tendiert die erkenntnistheoretische Konzeption der Mitwissenschaft der Schöpfung aus ihrer eigenen Logik heraus auf Realisierung in Darstellung: Die erkenntnistheoretische und die darstellungstheoretische Schicht erweisen sich als systematisch verknüpft. Das Produkt dieses Artikulationsprozesses ist nicht zuletzt der Text der Weltalter-Fragmente: Das Wissen, das aus der inneren Dialektik entsteht, ist Selbsterkenntnis als »Selbstdarstellung des Absoluten«.35 Von der neuen Wissenschaft hatte 34 Die Verdunkelung des Ur-Bildes, die Schelling »die Katastrophe des menschlichen Wesens« nennt, ist das Produkt eines (Sünden-) »Falls«, durch den der Mensch der »Centralanschauung« verlustig ging und »dem peripherischen Wissen anheimfiel« (Schelling 1861 X, 186). 35 Aldo Lanfranconi, Krisis. Eine Lektüre der ›Weltalter‹-Texte F.W.J. Schellings, Stuttgart/Bad Cannstatt 1992, S. 115.

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Schelling gesagt: »Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt« (Schelling 1993, 3, kursiv von mir, D.M.). In der Ontologie als Ontobiologie stellt das Urwesen zum ersten Mal sich selbst dar. Ryosuke Ohashi hat an der Konzeption der Mitwissenschaft der Schöpfung und den Weltaltern im Ganzen ein »Schwanken zwischen Dialektik und Ekstase« wahrgenommen,36 das zu einer »inneren Krise der Weltalter« (Ohashi 1975, 57) und schließlich zum Scheitern des ganzen Projektes geführt habe. Ich möchte kurz zeigen, warum die Rede von einem »Schwanken zwischen Dialektik und Ekstase« in Bezug auf die Konzeption der Mitwissenschaft verfehlt ist. Das »Schwanken des Standpunktes der Weltalter« soll darin bestehen: »Die Wissenschaft wird prinzipiell durch die Ekstase ermöglicht, aber praktisch muß sie durch Dialektik entfaltet werden« (Ohashi 1975, 53, kursiv im Original). Es ist schon die Frage, ob die Begrifflichkeit Ohashis den Weltaltern angemessen ist: Der Begriff der »Ekstase« kommt in den Weltaltern nicht vor, sondern stammt aus den noch zur Weltalter-Periode gerechneten Erlangener Vorlesungen Initia philosophiae universae.37 »Ekstase« nennt Schelling dort »ein ›Außer sich selbst gesetzt werden‹. Denn das menschliche Wissen wird außer sich, d. i. außer seiner Stelle gesetzt und dafür das absolute Subjekt eingesetzt« (Schelling 1969, 39). Wird in der Mitwissenschaft der Schöpfung das menschliche Wissen »außer seiner Stelle gesetzt«? Die innere Dialektik ist ein Gespräch zwischen menschlichem Wissen, dem niederen Princip, und absolutem Subjekt, dem höheren Princip, in dem eines »Fragendes«, das andere »Antwortendes« (Schelling 1993, 5) ist, aber keines das andere verdrängt. Auch sind Beschreibungen Ohashis irreführend, das Wissen der neuen Wissenschaft werde zuerst »durch die Ekstase« zugänglich und müsse dann »durch Dialektik entfaltet werden«. In der Mitwissenschaft der Schöpfung steht nicht am Anfang eine Ekstase, deren Ergebnis dann dialektisch entwickelt werden müßte, sondern das Wissen entsteht erst im Prozeß der inneren Dialektik. Es kann hier nicht von einem Nacheinander und daher auch nicht von einem Schwanken die Rede sein, weil die beiden Dimensionen in der Mitwissenschaft der Schöpfung nicht getrennt sind. Man könnte etwas paradox von einer Ekstase als Dialektik sprechen: Das ›ekstatische‹ – im Sinne von die Vernunft überschreitende – Wissen des höheren Princips geht aus dem Prozeß der inneren Dialektik hervor. Eben weil in der inneren Dialektik das Wissen immer erst entsteht, ist der Erkenntnis- gleichzeitig ein Darstellungsprozeß: Die Erkenntnis entwickelt sich in der und als Darstellung, deshalb ist Erkenntnis in der Konzeption der Mitwissenschaft der Schöpfung aus ihrer eigenen Logik heraus auf Darstellung verwiesen.

36 Ryosuke Ohashi, Ekstase und Gelassenheit. Zu Schelling und Heidegger, München 1975, S. 51. 37 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Initiae Philosophiae Universae. Erlangener Vorlesung WS 1820/21, herausgegeben u. kommentiert v. Horst Fuhrmans, Bonn 1969, S. 38 f.

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Tatsächlich kommt Schelling selbst auf die Möglichkeit einer solchen reinen, nicht dialektisch vermittelten Ekstase zu sprechen, die für ihn das Kennzeichen der »Theosophie« (Schelling 1993, 8) ist. »Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer Erhöhung der Gemüthskräfte in’s Schauen schlechthin läugnen?« (Schelling 1993, 6). Die Beschreibung dieser Ekstase als »Schauen« bewegt sich in dem metaphorischen Rahmen, der durch die Auslegung des höheren Princips als »Bild« (Schelling 1993, 4) vorgezeichnet ist. Schelling hält eine solche ekstatische Schau durchaus für möglich, sie hat allerdings gravierende Nachteile: »Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das notwendige Maß, er ist eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; ebendarum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen das Unaussprechliche dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinzustellen und im Verstande gleichsam als einem Spiegel wieder beschauen zu können. Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes äußere Princip; denn es muß alles zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht also die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie [...]« (Schelling 1993, 7-8, kursiv von mir, D.M.). Das theosophische Schauen ist eine Erkenntnis, die auf Darstellung verzichtet. Der Erkenntnisprozeß ist kein Darstellungsprozeß, weil der Schauende sich unmittelbar in das höhere Princip versetzt. Diese Selbstaufgabe des Schauenden führt dazu, daß er »eins mit dem Gegenstand« wird; aufgrund dieser Verschmelzung kommt die innere Dialektik nicht zustande, durch die der Gegenstand artikuliert wird. Schelling betont, daß auf diese Weise keine gesicherte Erkenntnis möglich sei: »Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife: diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann« (Schelling 1993, 7). Auch der Schauende kennt den Gegenstand »nicht eigentlich«, denn er ist für ihn nicht artikuliert, nicht auseinandergelegt in seine »Momente« und ihre »Entgegensetzung«. Ein solcher Artikulationsprozeß ist Erkenntnis nur, wenn der Erkennende und der Gegenstand voneinander unterschieden sind und es dem Erkennenden gelingt, den Gegenstand »fest vor sich hinzustellen« und in der inneren Dialektik zu artikulieren. Dieses Artikulationsgeschehen faßt Schelling wiederum in einer Metaphorik, die sich im Horizont der metaphorischen Bestimmung des höheren Princips als »Bild« bewegt: Es gehe darum, den Gegenstand »im Verstande gleichsam als einem Spiegel wieder beschauen zu können«, ihn »zur wirklichen Reflexion« zu bringen (Schelling 1993, 7, kursiv von mir, D.M.). Weil das in der theo-

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sophischen Schau nicht geschieht, nennt Schelling den Theosophen an anderer Stelle den »nicht wissenschaftlich Wissenden« (Schelling 1862, 184). 38 Neben diesen systematischen Argumenten gegen die theosophische Schau führt Schelling noch eine geschichtsphilosophische Begründung ins Feld, an der sich eine weitere Erörterung des Weltalter-Projektes ablesen läßt: »Ein anderes (als die reine Möglichkeit, D.M.) aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältnis zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß was in diesem untheilbarerweise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweise auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweis, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann« (Schelling 1993, 7). Der letzte Satz faßt den Unterschied zwischen dem »jetzigen« und dem »vorhergehenden« Leben als Unterschied zweier Wissensarten: das »stückweis, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugte« Wissen und das »Schauen«. Es handelt sich erkennbar um den Unterschied zwischen dem Wissen des Weltalter-Projektes und dem der Theosophie. Schelling zieht damit in die systematische Unterscheidung der zwei Wissensarten eine historische Differenz ein. Wenn er schreibt »wir leben nicht im Schauen«, dann heißt das: wir leben nicht mehr im Schauen. Das Schauen erweist sich aus der Perspektive des »jetzigen Lebens« als überholte Erkenntnisform. Die geschichtsphilosophische Erörterung nimmt den Charakter einer philosophiegeschichtlichen Verortung des Weltalter-Projektes an. Auch die Philosophiegeschichte ist ein Teil des zeitlich-ontologischen Geschehens der Weltalter und davon bestimmt. Schelling sagt das deutlich in einer kurzen Vorbemerkung zu seinen Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie, die er wohl um 1833/34 in München gehalten hat: »Auch die Wissenschaft ist 38 In der Diskussion des »Theosophismus« in den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie (Schelling 1861 X, 182-192) interpretiert Schelling eine Bibelstelle: 1. Korinther 14. Paulus diskutiert dort den Unterschied zwischen »in Zungen reden« und »prophetischem Reden«. Die Ähnlichkeit, ja Identität der Differenzierung Schellings zwischen theosophischer Schau und dialektisch entfaltetem Wissen mit der Paulinischen Unterscheidung legt es nahe, sie als deren Vorbild anzunehmen: »Denn wer in Zungen redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheimnisvolle Dinge. Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen [...] Was nützt es euch, Brüder, wenn ich komme und in Zungen vor euch rede, euch aber keine Offenbarung, keine Erkenntnis, keine Weissagung, keine Lehre bringe? Wenn leblose Musikinstrumente, eine Flöte oder eine Harfe, nicht deutlich unterschiedene Töne hervorbringen, wie soll man dann erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? [...] Denn wenn ich nur in Zungen bete, betet zwar mein Geist, aber mein Verstand bleibt unfruchtbar. Was folgt daraus? Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand. [...] Ich danke Gott, daß ich mehr als ihr alle in Zungen rede. Doch vor der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Verstand reden, um auch andere zu unterweisen, als zehntausend Worte in Zungen stammeln« (kursiv von mir, D.M.). Vgl. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Psalmen und neues Testament. Ökumenischer Text, Stuttgart 1984, S. 2351-2352. Hier ist alles vorgezeichnet: Die Unverständlichkeit der theosophischen Schau und der daraus hervorgehenden Rede, die keine sicheren Erkenntnisse liefert, weil sie keine Unterscheidungen enthält, selbst die Bedeutung des Verstandes für das Wissen.

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ein Werk der Zeit«. Er fährt fort: »Jeder, der sich im Stande glaubt, sie (die Wissenschaft, D.M.) um einen großen oder kleinen Schritt weiter zu fördern, wird von selbst geneigt seyn, sein Verhältnis zu dem, was ihm vorherging, zu zeigen, um auf diese Art deutlich zu machen, von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes er die Wissenschaft aufnehmen, und nach welchem nächsten Ziel er sie zu fördern gedenke«. Bei der Darstellung der Entwicklung der Philosophie gehe es nicht nur um »eine neue Methode« oder »veränderte Ansichten in einzelnen Materien«, es gehe vor allem um die »Veränderung im Begriff der Philosophie«. Von jedem historischen Begriff der Philosophie gelte es zu zeigen, daß er »ein nothwendiges Ergebniß gerade dieser Zeit« (Schelling 1861 X, 3, kursiv im Original) sei: Jede Zeit bringt einen ihr entsprechenden Philosophiebegriff hervor. Diese These steht im Hintergrund der historischen Differenzierung des Philosophiebegriffs der Theosophie (»vorhergehend«) und dem Weltalter-Projekt (»jetzig«). Die Vorlesungen enden mit einem Kapitel über Jacobi und den Theosophismus. Das ist bemerkenswert angesichts Schellings Aussage, daß es in einer Darstellung der Philosophiegeschichte auch darum gehe anzuzeigen, »von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes« er selbst »die Wissenschaft aufnehmen« werde. Der Theosophismus markiert für Schelling den bisherigen Endpunkt der Entwicklung der neuzeitlichen Philosophie. Dabei ist der TheosophieBegriff derselbe wie in der »Einleitung« zu den Weltalter.39 Schelling bestimmt den Theosophismus als »Mysticismus« (Schelling 1861 X, 191). »Mysticismus drückt nur den Gegensatz gegen formell wissenschaftliche Erkenntnis aus. Keine Behauptung ist bloß des Inhalts wegen, sey er auch übrigens beschaffen wie er wolle, mystisch zu nennen [...] Mysticismus kann nur jene Geistesbeschaffenheit genannt werden, welche alle wissenschaftliche Begründung oder Auseinandersetzung verschmäht, die alles wahre Wissen nur von einem sogenannten inneren [...] im Individuum eingeschlossenen Licht [...] herleiten will [...] Dieselbe Wahrheit kann also bei dem einen mystisch seyn, die bei dem anderen wissenschaftlich ist, und umgekehrt. Denn bei dem, der sie aus einer bloß subjektiven Empfindung [...] ausspricht, ist sie mystisch; bei dem, der sie aus den Tiefen der Wissenschaft herleitet und sie daher auch allein wahrhaft versteht, ist sie wissenschaftlich« (Schelling 1861 X, 192, kursiv von mir, D.M.). Das Weltalter-Projekt stellt die nächste Stufe in der Entwicklung der neuzeitlichen Philosophie und damit die Philosophie des »jetzigen Lebens« dar, weil in ihm »dieselbe Wahrheit«, die in der mystischen theosophischen Schau in »untheilbarer Weise zusammen war«, durch die innere Dialektik wissenschaftlich »entfaltet und

39 Man könnte zunächst skeptisch sein, ob der notorische Proteus Schelling einen zentralen Begriff über zwanzig Jahre hinweg in gleicher Weise verwendet. Eine Analyse der Vorlesung zeigt aber, daß sich an den wesentlichen Bestimmungen nichts geändert hat; die Übereinstimmung geht so weit, daß in der Vorlesung (Schelling 1861 X, 187-189) ungefähr eine Seite aus der »Einleitung« nahezu wörtlich übernommen wurde (Schelling 1993, 7).

I.2 VOM »JETZIGE LEBEN«

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theilweise auseinandergelegt« wird (Schelling 1993, 7).40 Durch diese philosophiegeschichtliche Verortung erhält das Weltalter-Projekt außerdem noch eine geschichtsphilosophische Legitimation. Auch wenn Schelling in der Auseinandersetzung mit der Theosophie die Bedeutung der dialektischen Entfaltung des Wissens betont, scheint die Dialektik für ihn dennoch nur eine Zwischenstufe im Erkenntnis- und Darstellungsprozeß des Urwesens zu sein: »Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meynung, die Philosophie durch Dialektik endlich in Wissenschaft verwandeln zu können, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, da ja eben das Daseyn und die Notwendigkeit der Dialektik beweißt, daß sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist« (Schelling 1993, 5). Zwar stellt die Dialektik gegenüber der theosophischen Schau einen Fortschritt dar, aber mit ihr ist die Wissenschaft noch nicht am Ende: »Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Aber, kommt nie der Punkt, wo sie frey und lebendig wird, wie im Geschichtsschreiber das Bild der Zeiten, bey dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist, es auch der äußeren Form nach seyn könnte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückzukehren vermöchte?« (Schelling 1993, 8). Schelling gibt zunächst keine Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. Die Antworten lassen sich aber aus dem letzten Absatz der »Einleitung« rekonstruieren, der darüber hinaus das Weltalter-Projekt noch einmal nachdrücklich geschichtsphilosophisch positioniert: »Bei diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zur rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein oft überlegter Versuch hervorwagen, der zu einer künftigen objektiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält. Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geist umfassend, was war, was ist und was seyn wird. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen. Verkündiger derselben, wollen wir die Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht; noch muß, wie die Rede vom Rhythmus, Wissenschaft von Dialektik getragen und begleitet werden. Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und das Wider

40 Das Verhältnis zwischen Theosophie und dem Weltalter-Projekt ähnelt dem Verhältnis zwischen dem Weltalter des Vater und dem des Sohnes: »Denn nur mit dem Sohn fängt das Selbstverstehen und die Unterscheidung in dem Vater an, wie schon ein älterer Schriftsteller sich ausdrückt: Der Sohn ist die Gränze der väterlichen Tiefe und der Quellbronn der verständlichen Dinge« (Schelling 1993, 58, kursiv von mir, D.M.). Die Philosophiegeschichte ist Teil des zeitlichontologischen Geschehens der Weltalter. Jede Phase des Gesamtgeschehens wiederholt intern dieselbe Logik der Entwicklung wie das ontologische Gesamtgeschehen der Weltalter.

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I.2 VOM »JETZIGE LEBEN«

jeglicher Meynung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt« (Schelling 1993, 9). Das Ziel ist eine »objektive Darstellung der Wissenschaft«. Die »objektive Darstellung« ist ein »Heldengedicht« über das, »was war, was ist und was seyn wird« (Schelling 1993, 9). Das Heldengedicht wird eine poetische, symbolische Erzählung sein. Nach dem dialektischen »Forscher« kommt der poetische »Erzähler«. Der »Punkt«, der ein Zeit-Punkt ist – um nun auf das vorherige Zitat zurückzukommen –, an dem die Wissenschaft in die »Einfalt der Geschichte« (Schelling 1993, 8) als der poetischen, objektiven Darstellung der Entwickelung des Urwesens »zurückzukehren vermöchte«, liegt in der geschichtsphilosophischen Zukunft: Dann macht die Ontologie als Ontobiologie ihre letzte darstellungstheoretische Verwandlung durch und wird zu einer poetischen Ontobiohistoriographie des Urwesens. »Wissenschaft«, die »der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist«, wird es dann »auch der äußeren Form nach seyn« (Schelling 1993, 8): Der wissenschaftliche Dialektiker wird zum symbolischen Erzähler der Entwicklungsgeschichte des Urwesens.

I.3 DAS SCHLAFENDE BILD I.3 DAS SCHLAFENDE BILD

I.3 Das schlafende Bild: Erkenntnistheorie zwischen Allegorie und Terminologisierung Im Zentrum der folgenden Diskussion der erkenntnistheoretischen Schicht der »Einleitung« steht die metaphorologische Analyse der Konzeption der »Mitwissenschaft der Schöpfung« (Schelling 1993, 4). Schelling bestimmt die »Mitwissenschaft« durch eine dichte allegorische Textur sich überlagernder Metaphern, deren Mittelpunkt eine Bild-Metaphorik bildet. Das Kapitel ist eine Studie zur Terminologisierung und zur Wirkungsgeschichte von Metaphorik:41 Mich interessiert, wie sich Schellings Versuch, die Bild-Metapher zu terminologisieren, in den vorgespurten wirkungsgeschichtlichen Untergrund religiösen und philosophischen Metapherngebrauchs einschreibt. »Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet« (Schelling 1993, 3). Dieser erste Satz weist jedem Weltalter als einer Entwicklungsphase des Urwesens einen distinkten Erkenntnismodus zu: »Wissen«, »erkennen« und »ahnden« bilden die erkenntnistheoretische Grundstruktur des menschlichen Wissens vom Urwesen in seiner Geschichtlichkeit. Die Erkenntnis des Urwesens ist dem Menschen allerdings nicht unmittelbar, sondern nur vermittels eines inneren »Princips« möglich. Das »Princip« wird durch die innere Dialektik entfaltet, und auf diese Weise erlangt der Mensch eine »Mitwissenschaft der Schöpfung« (Schelling 1993, 4).42 Durch das innere »Princip« kann der Mensch »allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen, von der Gegenwart an bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen« (Schelling 1993, 4): Das »Princip« ist die einzigartige Verbindung des Menschen zum Urwesen und damit die erkenntnistheoretische Bedingung der Möglichkeit seines Wissens von diesem. Da also die Erkenntnis des Urwesens nur als die Erkenntnis des inneren Princips möglich ist, sind »wissen«, »erkennen« und »ahnden« zunächst die erkenntnistheoretische Grundstruktur unseres Wissens von der Entfaltung des inneren Princips: Die Konzeption der »Mitwissenschaft der Schöpfung« ist die Erkenntnisgeschichte der Entfaltung des inneren »Princips« als Erkenntnisge41 Die folgenden Überlegungen sind als eine exemplarische Studie zur Verwendung von Metaphorik, insbesondere der Bild-Metapher, in der Philosophie gemeint. Ich werde dabei auf eine Reihe von methodologischen Annahmen und Begriffen Bezug nehmen, die ich zu Beginn des Kapitels nur kurz erläutere aber ausführlich unten S. 214 f. eingeführt und diskutiert habe. 42 Die Grundzüge der Konzeption der »Mitwissenschaft der Schöpfung habe ich im vorangegangenen Kapitel skizziert vgl. S. 36 f. oben.

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I.3 DAS SCHLAFENDE BILD

schichte des Urwesens und »wissen«, »erkennen« und »ahnden« bilden die erkenntnistheoretische Struktur dieser Erkenntnisgeschichte. Schelling gibt der zunächst unklaren Rede vom inneren »Princip« eine Form, indem er sie durch eine Reihe metaphorischer Prädikate bestimmt. Unter diesen Prädikaten ist die Bild-Metaphorik systematisch am einflußreichsten. Diese BildMetaphorik ist keine originelle Erfindung Schellings, sondern er tritt damit in eines der großen abendländischen und eines der zentralen philosophischen Bildfelder ein.43 Nach Harald Weinrich sind Metaphern keine isolierten Ereignisse, sondern sie kommen fast immer im Rahmen einer sprachlichen Struktur vor, die er Bildfeld nennt. In einem Bildfeld werden »zwei sprachliche Sinnbezirke durch einen sprachlichen Akt gekoppelt und analog gesetzt« (Weinrich 1976, 283). Im vorliegenden Fall geht es um das Bildfeld, das den Bezirk des Sehens und den Bezirk des Wissens oder der Erkenntnis miteinander verknüpft und analogisiert. Dabei werden Phänomene des Wissens durch Ausdrücke aus dem Bereich des Sehens beschrieben und erläutert. Man könnte es das Bildfeld der Wissens-schau nennen: Wissen und Erkennen ist im Abendland wie Sehen, theorein.44 Das Bildfeld der Wissensschau hat sich sowohl in der Alltagssprache als auch in der philosophischen Terminologie und Problemstellung vielfältig niedergeschlagen: Einsicht, Ansicht, Weltbild, sich ein Bild von etwas machen, einleuchten, etwas bleibt dunkel, Überblick, point of view (engl. Standpunkt) sind nur einige Beispiele für umgangssprachliche Ausdrücke aus dem Bildfeld der Wissensschau. Auch in der philosophischen Terminologie hat das Bildfeld Spuren hinterlassen: Idee (idea grch. Anblick), Abbildung, Aufklärung, (Welt-) Anschauung, Einbildungskraft, Wesensschau, Horizont, Perspektive, Reflexion,45 der gnostische »Funke« und eben die Konzeption eines inneren Bildes machen die Bedeutung diese Bildfeldes im philosophischen Diskurs deutlich. 43 Harald Weinrich, »Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld«, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276-290. Vgl. meine ausführlichere Diskussion von Weinrichs Theorie der Bildfelder unten S. 185 f. und 212 f.. 44 Weinrich gibt Beispiele für weitere Bildfelder: Im Bildfeld der »Lebensreise« werden Phänomene des Lebens in Ausdrücken aus der Sphäre des Reisens beschrieben (Schiffbruch erleiden, vom Weg abkommen, ein Ziel erreichen). Im Bildfeld des »Textgewebes« werden textuelle Phänomene in einer Metaphorik des Gewebes (rote Faden, zusammenhängen, verknüpft sein) benannt (Weinrich 1976, 285). 45 Barbara Merker ist den Problemen, die die unerkannte optische Hintergrundmetaphorik des Reflexionsbegriffes in der modernen Erkenntnistheorie von Hume bis Husserl schafft, nachgegangen. Sie sieht in der philosophischen Verwendung des Reflexionsbegriffs eine als solche unerkannte »Terminologisierung einer Metapher«: »Reflexion ist Selbstbeobachtung durch Aufmerksamkeit auf die Operationen des eigenen Geistes« – vgl. Barbara Merker, Selbsttäuschung und Selbsterkenntnis. Zu Heideggers Transformation der Phänomenologie Husserls, Frankfurt/Main 1988, S. 131-152: 133. In einem neueren Aufsatz hat sie der Reflexions- der Expressionsmetaphorik gegenübergestellt – vgl. Barbara Merker, »Phänomenologische Reflexion und pragmatistische Expression. Zwei Metaphern und Methoden der Philosophie«, in: Haverkamp/Mende, Metaphorologie, a.a.O., S. 153-180. Das Vorbild für diese Analyse hat Blumenberg im VIII. Kapitel der Paradigmen »Terminologisierung einer Metapher: ›Wahrscheinlichkeit‹« geliefert (Blumenberg, 1999 117-141).

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Aber nicht nur die Terminologie bewegt sich in den metaphorischen Bahnungen des Bildfeldes der Wissensschau, sondern auch ganze philosophische Problemstellungen folgen seiner Logik: So expliziert z.B. das »Höhlengleichnis« die existenziellen Erkenntnisprobleme, um die es Platon geht, in einem durch und durch visuellen Szenario. Gerade die Erkenntnistheorie hat immer wieder solche visuellen Szenarien entworfen und entlang von Vorstellungen der Abbildung, Spiegelung, verzerrter oder getrübter Sicht Erkenntnisprobleme diskutiert.46 Bedeutsam sind solche durch ein Bildfeld vorgenommenen Analogsetzungen zweier Bereiche, weil das Denken damit sowohl die Semantik als auch die materielle Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches des bildspendenden Feldes auf das bildempfangende Feld überträgt.47 Mit Semantik des bildspendenden Feldes ist gemeint, was man nach Heidegger den »Aufriß« (Heidegger 1993, 252) eines Sprachbereiches nennen könnte: Das System von Beziehungen, das die Zeichen dieses Sprachbereiches untereinander und mit anderen Zeichen und Sprachfeldern unterhalten. Die innersprachliche Logik dieses Beziehungssystem des bildspendenden Feldes wird nun dem bildempfangenden Feld unterlegt. Während es sich dabei also um die Prägung des bildempfangenden Feldes durch die sprachliche Beschaffenheit des bildspendenden handelt, spielt außerdem noch die materielle oder ontologische Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches des bildspendenden Feldes eine Rolle: Das Sehen gehorcht anderen physikalischen Gesetzen als z.B. das Hören oder Riechen. Diese besondere Materialität des Gegenstandsbereiches führt zu Prägungen, die von den rein semantischen zu unterscheiden sind.48 Als einen Ursprung der Entstehung von Bildfeldern lassen sich Derridas »Gründer-Tropen« auffassen:49 Derrida rekonstruiert den Beginn der philosophi46 Zur Bedeutung metaphorischer Problemstellungen in der Erkenntnistheorie vgl. Richard Rorty, Der Spiegel der Natur: Eine Kritk der Philosophie, übers. v. Michael Gebauer, Frankfurt/Main 1981. 47 Weinrich hatte zwischen einem »bildspendenden« und einem »bildempfangenden Feld« innerhalb des Bildfeldes unterschieden (Weinrich 1976, 284): Das »bildspendende« Feld ist dasjenige, dessen Vokabular auf den anderen Bereich, das »bildempfangende« Feld, übertragen wird. Im Fall des Bildfeldes der Wissensschau ist der Bereich des Wissens das bildempfangende Feld und das Vokabular des Sehens und der Sichtbarkeit das bildspendende. 48 Will man sich den Einfluß der materiellen Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches eines bildspendenden Feldes klarmachen, versuche man einmal die visuelle Metaphorik des »Höhlengleichnis« in eine auditive zu übersetzen. Mir scheint, das geht nicht, und das hat etwas mit der physikalischen Beschaffenheit des Sehens zu tun, auf die das »Höhlengleichnis« rekurriert: Was würde z.B. der Sonne als der Quelle aller Sichtbarkeit beim Hören entsprechen? Wie ließe sich der Unterschied der wirklichen Gegenstände und der Schatten in einen akustischen Unterschied übersetzen? Daran wird ›sichtbar‹, wie die Problemformierung und -lösung einer wirkungsmächtigen abendländischen Theorie durch die an keiner Stelle reflektierte Wahl ihrer Metaphorik bestimmt ist. Vgl. Blumenbergs Bemerkungen zur unterschiedlichen ontologischen Beschaffenheit von Auge und Ohr und ihre metaphorologische Relevanz: »Exkurs: Auge und Ohr« in: Hans Blumenberg, »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld philosophischer Begriffsbildung«, in: Hans Blumenberg, Ästhetische und metaphorologische Schriften. Auswahl u. Nachwort v. Anselm Haverkamp, Frankfurt/Main 2001, S. 139-171: 159-164. 49 Jacques Derrida, »Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text«, übers. v. Mathilde Fischer und Karin Karabaczek-Schreiner, in: ders., Randgänge der Philosophie, Wien

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schen Sprache bei den Griechen als Übernahme von Ausdrücken aus der griechischen Alltagssprache in den philosophischen Diskurs, die dort durch ihre latente Metaphorizität eine in der Folge begrifflich nicht beherrschbare Produktivität entfalten. Seine Beispiele sind theoria (grch. Schau, Betrachtung), eidos (grch. Aussehen, Gestalt) und logos (grch. u.a. Sammlung, Wort, Denken) (Derrida 1988, 218).50 Diese Gründer-Tropen haben das philosophische Projekt durch ihre latente Metaphorik so sehr geprägt, daß sie sich nicht mehr einfach herauskürzen lassen. Blumenberg hat insbesondere die Bedeutung visueller Metaphorik für die griechische philosophische Sprache herausgearbeitet: »Für das griechische Denken war alle Gewißheit in Sichtbarkeit gegründet. Worauf der logos sich berief, war gestalthafter Anblick, war eidos. ›Wissen‹ und ›Wesen‹ (als eidos) gehören schon etymologisch aufs engste zu ›Sehen‹. Der logos ist gesammeltes Gesehenhaben« (Blumenberg 2001, 161). Diese Dominanz visueller Tropik hat sich durch die abendländische Philosophiegeschichte fortgeschrieben: Unter den philosophisch relevanten ist das Bildfeld der Wissensschau eines der bedeutendsten, was den Niederschlag in der philosophischen Terminologie und Problemstellungen betrifft. Meine Arbeitsthese, die ich in dieser Studie nur ansatzweise einholen kann, ist die eines – im historischen Ausmaß mit Derridas Logozentrismus konkurrierenden, sich mit ihm verschlingenden51 – das abendländische philosophische Denken prägenden ocularcentrism, einer Dominanz des sich geschichtlich wandelnden Bildfeldes der Wissensschau.52 Die visuelle Metaphorik der Erkenntnistheorie ist dabei offensichtlich absolute Metaphorik:53 Die Erkenntnis wird nicht lediglich durch visuelle Metaphorik beschrieben – auch wenn das möglicherweise das Selbstverständnis der Erkenntnistheoretiker ist. Vielmehr konstituiert der Theoretiker das unbekannte Geschehen der Erkenntnis, indem er darüber mit dem Vokabular des Bildfeldes der Wissensschau spricht:54 Er konstituiert den diskursiven Gegenstand ›Erkenntnis‹, indem er die Semantik und die ontologische Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches des bildspendenden Feldes überträgt. Das Feld, in das Schelling mit der Verwendung der Bild-Metaphorik eintritt, ist nicht nur sprachlich, sondern auch wirkungsgeschichtlich vielfältig ›vorgespurt‹. Gerade die Bild-Metaphorik hat eine lange, verzweigte Geschichte in Philosophie und Theologie: In Schellings Verwendung des Bildes verschlingen sich, wie ich im Folgenden zeigen möchte, platonische, neuplatonische, gnostische, rhetorische und christliche Einflüsse. Schon die Felder, in denen Schelling

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1988, S. 205-259: 214 f. (»La Mythologie blanche. La Métaphore dans le texte philosophique«, in: ders., Marges de la Philosophie, Paris 1972, S. 247-324: 261). Vgl. auch die entsprechenden Artikel in Christoph Horn/Christof Rapp (Hg.), Wörterbuch der antiken Philosophie, München 2002, S. 119 f., 254 f. und 436 f. Zum Begriff des »Logozentrismus« vgl. Jacques Derrida, Grammatologie, übers. v. Hans-Jörg Rheinsberger und Hanns Zischler, Frankfurt/Main 1988, S. 11 f. Martin Jay, »The rise of hermeneutics and the crisis of ocularcentrism«, in: ders., Force Fields. Between intellectual history and cultural critique, New York/London 1993, S. 99-113. Zu Blumenbergs Begriff der »absoluten Metapher« vgl. meine Diskussion unten S. 225 f.. Vgl. zum konstitutiven Charakter metaphorischer Rede unten S. 227 f.

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die Bild-Metaphorik vorzüglich verwendet, erweisen seine Zugehörigkeit zur Tradition: in der Theorie des Absoluten/Urwesens und der Erkenntnistheorie. In der Theorie des Urwesens, die ich nur kurz erwähne, kommt die Bild-Metaphorik in Form einer platonischen Ideenlehre vor, durch die klassisch die Herkunft der endlichen Dinge aus dem Absoluten erklärt wird: »Es ist eine Lehre [...], daß die Wesenheiten der Dinge von einem ewigen Herkommen, und bevor sie äußerlich sichtbar geworden, in ewigen Ur-Bildern vorhanden gewesen seyn« (Schelling 1993, 31).55 Die Bild-Metapher dient hier dazu, den Abgrund der Distanz zwischen Absolutem und endlichen Dingen durch das metaphorische Modell einer Verknüpfung zu überbrücken und gleichzeitig die Beziehung zu bestimmen: Abbildung des Vorbildes im Nachbild. Auch in der Erkenntnistheorie der Weltalter fungiert das Bild als metaphorisches Modell, durch das erklärt wird, wie der Mensch vom Absoluten wissen kann. Es ist eine der Grundfunktionen dieser Metaphorik, das Modell einer Verbindung zu liefern, durch die oft auch das Verhältnis des Verbundenen (z.B. Hierarchie, Deszendenz usw.) festgelegt wird. Ihre Unbestimmtheit dürfte nicht der geringste Vorzug der Metapher sein: Ein Bild kann das dem Dargestellten Nächste und Ähnlichste oder das unendlich entfernte tote Doppel sein. Die Bild-Metapher eröffnet daher einen weiten Anwendungs- und Auslegungsspielraum. Wie verwendet Schelling die Bild-Metaphorik in seiner Erkenntnistheorie? Sie wird eingeführt als Teil einer systematischen Allegorie, eines Metapherngeflechtes, mit dem Schelling die Konzeption der »Mitwissenschaft der Schöpfung« in zwei Absätzen dichter metaphorischer Rede entwickelt, die ich im Folgenden genauer untersuchen möchte und daher hier ganz zitiere: »Dem Menschen muß ein Princip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen, von der Gegenwart an bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Princip vor dem Anfang der Zeiten wäre? Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit aller Dinge und nicht sowohl wissend ist sie als selber die Wissenschaft. Aber nicht frey ist im Menschen das überweltliche Princip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Princip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt nothwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist. Es ruht in diesem die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-bild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild. Viel55 Schelling baut diese platonische Ideenlehre in die Geschichte des Urwesens ein: »Die Erzeugung solcher Ur-Bilder ist ein nothwendiges Moment in der Lebensentwicklung des Urwesens« (Schelling 1993, 31). Durch diese Verbindung von Ideenlehre und geistigem Vitalismus überschreitet Schelling dann allerdings den Platonismus. Diese explosive Kombination zweier gegensätzlicher ›Modelle‹ ist einer der für die Systematik und Sprache der Weltalter bestimmendsten systematischen Züge.

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leicht würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem dunklen selber die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntniß läge. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredelung bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm nicht beygegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein Anderes habe, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne. Denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem anderen aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen. Darum verlangen beyde gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es in seine ursprüngliche Freiheit heimkehre und sich offenbar werde, dieses damit es von ihm empfangen könne und ebenfalls obgleich auf ganz andere Art wissend werde« (Schelling 1993, 4-5, kursiv von mir, D.M.). Die beiden Absätze breiten eine komplexe Allegorie sich überlagernder, einander einschränkender und fortschreibender Metaphernfelder aus. Dabei fällt die Vielzahl der bildspendenden Felder in dieser Darstellung des inneren Princips auf: Der Text beginnt mit räumlicher Metaphorik (außer, über, auffsteigen, zurück verfolgen), daneben findet sich eine reiche Licht-Metaphorik (Nacht, Klarheit, Lauterkeit, dunkel, verdunkelt), außerdem Ursprungs- als Quell-Metaphorik (Quelle, geschöpft), Gedächtnis-Metaphorik (Erinnerung, vergessenes), Schlaf-Metaphorik (schläft, erwachen), Bild-Metaphorik (Ur-Bild, Bild) und eine Metaphorik des Verschwindens (ausgelöscht). Bei der Beschreibung des Verhältnisses des »überweltlichen Princips« zu dem »geringeren Princip« spielen verschiedene Dimensionen einer Metaphorik der (Ver-) Bindung (nicht frey, gebunden, verbunden, beygegeben, Scheidung, auseinanderlegen) eine Rolle, die die Tendenz hat, in eine Metaphorik der Gefangenschaft (gefesselt) umzukippen. Schließlich kommt der Metaphorik des Gesprächs (anrufen, aussprechen) eine wichtige Bedeutung zu, die in den folgenden Absätzen die Grundlage von Schellings Dialektik-Begriff wird. Diese Liste ist nicht vollständig. Im Folgenden interessiert mich vor allem der kursivierte Satz über das Bild, in dem die vorangegangenen Erörterungen zusammengeführt werden und kulminieren. Die hier eingeführte Bild-Metaphorik bildet die metaphorologische Tiefenstruktur der erkenntnistheoretischen Diskussionen der »Einleitung«. Zunächst werde ich die metaphorisch-systematische Entwicklung der Absätze bis zu dem Bild-Satz untersuchen, um mich dann einer Analyse seiner metaphorischen Struktur, insbesondere der Verarbeitung der metaphorologischen Wirkungsgeschichte in ihm zuzuwenden. Obwohl die zitierte Passage von vielfältiger Metaphorik geprägt ist, möchte ich vorschlagen, sie als Versuch einer Terminologisierung der Bild-Metaphorik zu verstehen. Viele philosophische Begriffe sind terminologisierte Metaphern: Begriff, Reflexion, Abbildung.56 Terminologisierung ist ein Geschehen der Hybridisierung: Einerseits bleiben häufig metaphorische Dimensionen des Wortes erhalten

56 Vgl. meine Diskussion des Verhältnisses von Begriff und Metapher unten S. 194-205.

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oder sind »doch mit einer bloßen Wendung der Aufmerksamkeit heraushörbar« (Blumenberg 1999, 117), andererseits prägen die Verwendungslogiken der begrifflichen Sprache und neue Verwendungskontexte die Bedeutung. Es entstehen komplexe und je spezifisch geformte hybride Sprachformen. Am Beispiel von Schellings Diskussion der Bild-Metapher möchte ich zeigen, wie sich die Terminologisierung als ein Geschehen der Überlagerung und gegenseitigen Einschränkung der Bestimmungen im Rahmen einer bestimmten Verwendung des Ausdrucks ergibt. Um die Schöpfung zu erkennen, bedarf der Mensch eines Princips von »außer und über der Welt« (Schelling 1993, 4). Wie Schelling sie beschreibt, ist die Schöpfung ein Entwicklungsgeschehen: der »lange Weg der Entwicklungen«. Die räumlichen Metaphern des »langen Weges«, den der Mensch nach rückwärts »zurück verfolgen« und nach vorwärts »aufsteigen« kann, verraten etwas über die Grundannahme Schellings über die Struktur dieser Entwicklung: Sie ist kontinuierlich. Das ist sie, weil es eine Substanz ist, die sich hier entwickelt: das Urwesen. Diese Kontinuität wird nicht zuletzt durch das biologistische Verständnis der Substanz alles Seienden, des Urwesens, als eines »lebendigen, wirklichen Wesens« (Schelling 1993, 3) gesichert: Weil es sich um eine identische Substanz handelt, die sich hier kontinuierlich entwickelt, ist auch nur ein Princip zu ihrer Erkenntnis notwendig. Diese eher implizite Kontinuitätsthese hat Schelling in der zweiten Fassung der »Einleitung« (Schelling 1993, 111-118) ausbuchstabiert, indem er zwischen die zitierten Absätze die Diskussion einer Band-Metaphorik geschaltet hat: »Dieses Wesen (d.h. das Princip, D.M.) ist das Band, durch das der Mensch fähig wird, mit der ältesten Vergangenheit, wie mit der fernsten Zukunft in unmittelbaren Bezug zu treten, weil es die Zeit eingewickelt enthält« (Schelling 1993, 112). Die Metapher des Bandes ist das metaphorologische Komplement von Schellings Verständnis der Entwicklung des Urwesens als »Entwickelung« (Schelling 1993, 10, 23, 40): als Aus-wickelung seiner eingewickelten Potentialität. Das Urwesen ist das sich ent-wickelnde Band; es ist das Band, das alles verbindet, ja alles ist nur als Stück dieses Bandes. Schelling überträgt eine Metapher, die er an anderer Stelle bei der Beschreibung des Urwesens benutzt (Schelling 1993, 22 f.), auf das innere Princip: Das innere Princip ist, wie ich zeigen möchte, ein Stück des Urwesens. Das »Band, durch das der Mensch fähig wird, mit der ältesten Vergangenheit, wie mit der fernsten Zukunft in unmittelbaren Bezug zu treten« (Schelling 1993, 112), ist sozusagen eine Faser aus dem Band, das das Urwesen selbst ist. Schelling führt im folgenden Satz eine Quell-Metaphorik ein, die die WegMetaphorik des vorausgehenden Satzes fortschreibt. Die Verknüpfung dieser beiden ontologisch einigermaßen unterschiedlichen Bereiche – eine Quelle und ein Weg verbindet in ihrer Beschaffenheit wenig – wird durch eine sprachliche Spur geleistet. Sie ist ein Beispiel dafür, daß metaphorische Verknüpfungen häufig den latenten Bahnungen eines Sprachsystems folgen: So ist es im Deutschen möglich zu sagen, daß ein Fluß ›seinen Weg an der Quelle beginnt‹. Schelling aktualisiert

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in seinem Text diese sprachliche Spur, wonach die Quelle Anfang und Ursprung eines Weges sein kann.57 Die Metapher von der »Quelle der Dinge« ist Ursprungsmetaphorik: Das innere Princip ist aus dem Ursprung der Dinge, dem Urwesen, »geschöpft«. Wichtig ist der Zusatz »ihm gleich«: Er macht unmißverständlich deutlich, daß das innere Princip nicht nur aus dem Urwesen stammt, »geschöpft« ist, sondern ihm gleicht: Deszendenz und Identität. In der zweiten Fassung der »Einleitung« ändert Schelling den Satz leicht ab und spricht statt allgemein von der »menschlichen Seele« (Schelling 1993, 4) vom »Ewigen der Seele« (Schelling 1993, 112). Er arbeitet damit schon in diesem Satz eine Differenzierung innerhalb der Seele heraus, die zu Beginn des nächsten Absatzes in der Unterscheidung von »überweltlichem Princip« und »geringerem Princip« explizit wird. Das Princip, von dem bisher die Rede war, ist das »überweltliche Princip«, das mit der Zeugung der Welt in der menschlichen Seele an ein »geringeres« gebunden wird. Der nächste Satz schreibt in die Ursprungs- eine Licht-Metaphorik ein: In der »Quelle aller Dinge«, aus der in Gestalt des »überweltlichen Princips« etwas in die menschliche Seele übergegangen ist, »liegt die höchste Klarheit aller Dinge« (Schelling 1993, 4). Die lichtmetaphorische Aufladung des Ursprungs ist ein traditionelles Element in der Wirkungsgeschichte des Platonismus: der helle Ursprung.58 Die ersten beiden Sätze des nächsten Abschnitts benennen unter Verwendung der Licht-Metaphorik, was es für das »überweltliche Princip« bedeutet, wenn es in der materiellen Welt an ein »geringeres Princip« gebunden wird: Seine aus der »Quelle« stammende »Klarheit« wird »verdunkelt«. Der folgende Satz geht wieder zur Bestimmung des »überweltlichen Princips« über und etabliert neben der Licht-Metaphorik ein zweites Metaphernfeld, die Gedächtnis-Metaphorik. Das gleichberechtigte Nebeneinander dieser zwei Metaphernfelder wird an der Parallelität der Formulierungen deutlich: »Klarheit aller Dinge« und »Erinnerung aller Dinge«. Das von mir ausgezeichnete Textstück führt nun nicht nur die Licht- und die Gedächtnis-Metaphorik explizit in einer systematischen Allegorie zusammen, es kombiniert sie mit drei weiteren Metaphernfeldern: einer Metaphorik des Schlafes, des Verschwindens und einer doppelten Bild-Metaphorik. »Aber dieses Urbild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild« (Schelling 1993, 4). Die Licht- und die Gedächtnis-Metaphorik werden einerseits enggeführt und andererseits von der Schlaf-Metaphorik überwölbt: Wenn Schelling schreibt, das »Ur-Bild [...] schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes», dann 57 Die These, daß Metaphern häufig Aktualisierungen der latenten Beziehungen des Sprachsystems darstellen, habe ich ausführlicher unten S. 206 f. diskutiert. 58 Vgl. Platons Höhlengleichnis: Platon, Werke in acht Bänden. Griechisch/Deutsch (Schleiermacher-Übersetzung), Bd. 4: Politeia/Staat, Darmstadt 1971, 514a f.

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heißt das, es »schläft«, weil es »verdunkelt und vergessen« ist. Gegenüber den negativen drei Attributen (schläft, verdunkelt, vergessen) des ersten Satzteiles markiert der zweite Teil einen verhaltenen Kontrapunkt: Das Bild sei »nicht völlig ausgelöscht«. Bemerkenswert ist schließlich die doppelte Bild-Metaphorik: »das Ur-Bild der Dinge schläft in der Seele als [...] Bild«. Der Satz hätte auch ohne die zunächst tautologisch wirkende zweite Verwendung des Wortes »Bild« am Ende Sinn gemacht. Warum fügt Schelling es ein? Das »Ur-Bild der Dinge« ist das, was aus der »Quelle der Dinge geschöpft« ist. Der Satz weist nun auf den Charakter dieses überweltlichen Ur-Bildes in der Seele hin: Es existiert dort als bildförmiges. Das überweltliche »Ur-Bild« erscheint in der menschlichen Seele als »Bild«. Schelling schreibt in seinem Versuch der Terminologisierung der Bild-Metapher, den Spuren der Wirkungsgeschichte folgend, bemerkenswert heterogene Metaphernfelder so aufeinander zu, daß sie ineinander greifen und sich gegenseitig bestimmen. Diesen ersten Überblick über das metaphorische Gewebe des Textes möchte ich nun vertiefen, indem ich mich der metaphorologischen Wirkungsgeschichte zuwende, in die sich Schellings Satz als Stellungnahme einfügt. Schelling ist ein eminent dialogischer Denker, der die hintergründige Dialogizität seiner Positionen allerdings häufig nicht offen legt. Viele seiner Thesen und Beschreibungen sind daher durch einen kaum markierten systematischen Synkretismus gekennzeichnet, dem ich exemplarisch und ohne Anspruch auf historische Vollständigkeit in seiner Verwendung der Bild-Metapher nachgehen möchte.59

59 Ich halte den systematischen Synkretismus für einen der bestimmendsten Züge von Schellings Denken, dem in der Schelling-Forschung, scheint mir, nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Diese Forschung ist von einer eigentümlichen Spaltung durchzogen: Es gibt einerseits eine Reihe von Arbeiten, die Schelling ganz aus dem Horizont des Deutschen Idealismus heraus rekonstruieren und verstehen wollen. Diese Forschungsrichtung hat in der Habilitation von Walter Schulz (1975) ihren überzeugendsten Ausdruck gefunden. Andererseits gibt es eine Anzahl von Texten, die auf die Bedeutung bestimmter Positionen und Autoren aus der Antike (Platon, Aristoteles), der Spätantike (Neuplatonismus, Gnosis), dem Mittelalter (Mystik) und der Neuzeit (Böhme, Giordano Bruno, Spinoza) hingewiesen haben. Jede dieser Forschungsrichtungen hat überzeugende Argumente auf ihrer Seite, daher wird es eine Aufgabe der Schelling-Forschung sein, den systematischen Synkretismus gerade des späten Schelling so zu analysieren, daß sie die Ergebnisse dieser beiden Forschungsrichtungen aufeinander bezieht und die Verarbeitung dieser Traditionen in Schellings Denken sichtbar macht. Offensichtlich hat Schelling ja gerade im Rahmen idealistischer Fragestellungen auf die historischen Positionen zurückgegriffen. Eine überzeugende Arbeit stellt hier Thomas Leinkauf, Schelling als Interpret der philosophischen Tradition. Zur Rezeption und Transformation von Platon, Plotin, Aristoteles und Kant, Münster 1998 dar. Albert Franz hat an verschiedenen Teilen der »reinrationalen Philosophie« im Detail Schellings Auseinandersetzung mit Platon, Aristoteles und der Gnosis, aber auch mit Kant, Fichte und Hegel aufgewiesen: Philosophische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlegungsproblemen der Spätphilosophie F.W.J. Schellings, Amsterdam/Atlanta 1992. Eine exemplarische Analyse, wie sich diese Forschungsrichtungen der Schelling-Forschung aufeinander beziehen lassen, am Beispiel der Funktion der Gnosis in Schellings Auseinandersetzung mit Fichte vgl. Vf., »Die Wiederkehr gnostischer Vorstellungen in Schellings Aufsatz ›Philosophie und Religion‹ (1804)«, in: Franz/Rentsch (Hg.), Gnosis, a.a.O., S. 135-157.

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Im erkenntnistheoretischen Kontext hat die Gedächtnis-Metaphorik die umfassendste Wirkungsgeschichte, mit der ich daher beginne: Wenn in dem Ur-Bild die »Erinnerung aller Dinge« liegt, die nun »vergessen« ist, erweist sich alles Wissen als Erinnerung. Diese Parallelisierung von Wissen und Erinnerung folgt den metaphorischen Spuren der Wirkungsgeschichte der Platonischen AnamnesisLehre.60 Daß »Lernen eben durchweg Wiedererinnern (anamnesis) ist« (81d), hat Platon zuerst im Menon behauptet und im Phaidon nochmals aufgegriffen.61 Im Menon entlockt Sokrates durch Fragen einem Sklaven mathematisches Wissen, das dieser nachweislich nirgendwo gelernt hat (85e). Sokrates legt dieses Wissen als »Wiedererinnerung« aus und schließt auf die Unsterblichkeit der Seele (86b): Die Wiedererinnerung ist Erinnerung an in früheren Leben Gelerntes. »Da also die Seele unsterblich und oft wiedererstanden ist und, was hier auf Erden und was im Hades ist, kurz alle Dinge geschaut hat, gibt es nichts, was ihr unbekannt wäre« (81c). Im Phaidon nimmt Platon eine Umgewichtung vor, indem er jetzt das wiedererinnerte Wissen weniger als ein in früheren Leben erworbenes, sondern als vorgeburtliches Wissen betrachtet: »Wenn wir sie (die in Frage stehenden Erkenntnisse, D.M.) nun vor der Geburt bekommen haben und im Besitz derselben geboren wurden, so erkannten wir auch schon, bevor wir geboren wurden und sogleich danach, nicht nur das Gleiche und das Größere und das Kleinere, sondern auch alles andere von dieser Art? Denn es ist jetzt vom Gleichen nicht in höherem Maße die Rede als auch vom Schönen selbst und dem Guten selbst und dem Gerechten und Frommen und, wie ich sage, von allem, das wir mit dem Begriff ›das selbst, was ist‹ bezeichnen [...]; so daß wir notwendig die Erkenntnisse von diesem allen schon vor der Geburt gewonnen haben« (75c-d). Platon stellt mit der Interpretation der Wiedererinnerung als vorgeburtlichem Wissen einen Zusammenhang zwischen Anamnesis und Ideenlehre her: Das philosophische Wissen ist Anamnesis der vorgeburtlich geschauten Ideen.62 So offensichtlich die metaphorologisch-systematische Spur der platonischen Anamnesis-Lehre ist, so quer steht sie zu anderen Annahmen Schellings: Das zu erinnernde Wissen stammt bei ihm weder aus den Erfahrungen früherer Leben noch aus vorgeburtlicher Schau der Seele, sondern aus einem aus dem Absoluten kommendem, in sie eingesenktem und nun schlafendem Bild. In dieser Immanenz des Wissens in der Seele könnte man – anstatt eines platonischen – einen plotinischen Einfluß sehen:63 Für Plotin können »Wahrneh60 Vgl. dazu Ludger Oeing-Hanhoff, »Zur Wirkungsgeschichte der platonischen Anamnesis-Lehre«, in: Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel/Stuttgart 1965, S. 240-271. 61 Vgl. Platon, Menon. Griechisch/Deutsch. Auf der Grundlage der Übersetzung v. Otto Appelt in Verbindung mit Else Zekl neu bearbeitet u. herausgegeben v. Klaus Reich, Hamburg 1993, S. 37 und Platon, Phaidon. Griechisch/Deutsch. Übers. u. herausgegeben v. Barbara Zehnpfennig, Hamburg 1991, S. 45. 62 Platon hat das Szenario der vorgeburtlichen Schau der Seele im Phaidros skizziert: 249d-250c. 63 Zu Schellings Plotin-Kenntnissen vgl. die Ausführungen bei Werner Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt/Main 1972, 102 f. Schelling hat Plotin wohl zum ersten Mal 1805 gelesen.

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mungen« nicht als »Prägungen oder Abdrücke« (IV, 6, 1, 1) des Äußeren im Inneren verstanden werden, vielmehr »hat die Seele die Fähigkeit, ohne etwas in sich aufzunehmen, ein Erfassen von Dingen zu vollziehen, die ihr nicht zuteil geworden. Denn die Seele ist ihrem Wesen nach der Inbegriff aller Dinge« (IV, 6, 3, 3-7).64 Als dieser »Inbegriff der Dinge« ist die Seele die Dinge: »Sie erkennt sie, indem sie in gewisser Weise selber diese Dinge ist; denn die Seele erkennt nicht dadurch, daß sie die Dinge in sich festsetzen läßt, sondern dadurch, daß sie sie in gewisser Weise besitzt, sie erschaut, sie ›ist‹ sie in einem getrübteren Sinne und, indem sie aus der Trübe gleichsam erwacht, wird sie deutlicher und schreitet aus der Potenz zur Aktualität« (IV, 6, 3, 12-17). Erkennen ist Erinnerung als das Erwachen aus »der Trübe« des undeutlich Erinnerten, die daher einen Übergang von »der Potenz zur Aktualität« darstellt. Diese Stelle weist bis in die Metaphorik des Erwachens und des Lichtes eine Ähnlichkeit mit der Konzeption Schellings auf. Aus der metaphorologischen Wirkungsgeschichte der abendländischen Gedächtnistheorie wird die problemlose Anschließbarkeit der Gedächtnis- an die Bild-Metaphorik verständlich: »vergessenes [...] Bild«. Erinnern ist im Kontext der platonischen und neuplatonischen Anamnesis wie auch in der rhetorischen Tradition der memoria, dem zweiten Strang abendländischer Gedächtnistheorie, ein »Schauen«: Bei Platon ist die Anamnesis Erinnerung an die Schau der Ideen, bei Plotin »erschaut« (noein) die Seele die Dinge in sich. In der rhetorischen Tradition schließlich werden die Erinnerungen einerseits mit »Bildern« und andererseits mit »Buchstaben« verglichen.65 Im metaphorologischen Feld abendländischer Gedächtnistheorie ist das zu Erinnernde oder das Vergessene daher oft ein Bild. Die Parallelisierbarkeit von Gedächtnis- und Licht-Metaphorik – »verdunkeltes und vergessenes« – ist durch die metaphorologische Wirkungsgeschichte des Platonismus vorgespurt. Blumenberg hat angemerkt, daß »in der Lichtmetapher die Lichtmetaphysik angelegt ist« (Blumenberg 2001, 143). Bei seiner Untersuchung der Geschichte der Licht-Metaphorik hat er eine »im platonischen Sonnengleichnis angelegte Transzendenz des Lichtes« hervorgehoben, der die »höh64 Plotin, Enneade IV, 6, »(41) Wahrnehmung und Gedächtnis«, in: Plotins Schriften, übers. v. Richard Harder. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext u. Anmerkungen, Bd. IVa: Die Schriften 39-45 in chronologischer Reihenfolge, Hamburg 1967, S. 84-95: 89. 65 Die rhetorische memoria-Lehre hat ihre erste bis zu Freuds »Wunderblock« wirkungsmächtige Ausprägung in der fälschlicherweise Cicero zugeschriebenen Rhetorica ad Herennium erhalten – vgl. Rhetorica ad Herennium. Lateinisch/Deutsch. Herausgegeben u. übers. v. Theodor Nüßlein, München/Zürich 1994, v.a. S. 165 f. Dort wird das Gedächtnis als Raum entworfen. Dieser Raum soll mit »Orten« (loci) aus der eigenen Erinnerung – z.B. Häusern, Landschaften – besetzt werden. An diesen Orten werden die Erinnerungen als »Bilder« (imagines) abgelegt. An anderer Stelle wird das Gedächtnis mit einer »Wachstafel« verglichen, in die die Erinnerungen wie »Buchstaben« eingeschrieben werden. Weinrich hat diese beiden Modelle als die »Magazin-« und die »Wachstafelmetaphorik« unterschieden: vgl. Harald Weinrich, »Metaphora memoriae«, in: ders., Sprache in Texten, a.a.O., S. 291-294. Man könnte dem die Unterscheidung von »Bild-« und »Schriftmetaphorik« für die Gegenstände des Gedächtnisses hinzufügen. Die erste und immer noch maßgebliche Studie zur antiken memoria-Lehre stammt von Frances A. Yates, The art of memory, London 2000.

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lenhafte Natur des ganzen Kosmos« (Blumenberg 2001, 144) als metaphorologisches Komplement entspricht. Auf dieses lichtmetaphorische Szenario von ›hellem‹ Ursprung und ›dunkler‹ Welt ist die Anamnesis direkt bezogen, insofern in ihr die Schau der ›hellen‹ Ideenwelt erinnert wird. ›Dunkelheit‹ und ›Vergessenheit‹ ergeben sich aus diesem Szenario als metaphoro-logische Korrelate. Diese Spur ist auch in die deutsche Sprache eingegangen: Man erinnert sich »dunkel« heißt, man erinnert sich nicht deutlich. Die Licht-Metaphorik Schellings hält einerseits Anschluß an die platonische und unterscheidet sich doch in einem wichtigen Punkt. Auch bei Schelling findet sich der Gegensatz von ›hellem‹ überweltlichem Ursprung und ›dunkler‹ Welt: Der »höchsten Klarheit« der »Quelle der Dinge« steht die Beschreibung des »geringeren Princips« gegenüber, das, weil es ein »gewordenes« ist, »unwissend und dunkel« genannt wird. Bei Schelling ist jedoch nicht die Transzendenz, sondern die tiefe Immanenz des Lichtes in der Welt das eigentliche Problem: Seit der »Zeugung« der Welt ist die Geistigkeit des Vaters nicht nur im Menschen, sondern in der gesamten Natur gefangen. In der Natur liegt eine »geistige Materie« verborgen, die »auf ihre Befreyung wartet«: »Es ist noch ein anderes um sie (die Dinge, D.M.) oder in ihnen, das ihnen erst den vollen Glanz und Schein des Lebens ertheilt: ein Überflüssiges spielt gleichsam um sie und umströmt sie als ein zwar unfaßliches doch nicht unmerkliches Wesen. Sollte dieses durchblickende, durchscheinende Wesen nicht eben jene innere geistige Materie seyn, die noch immer in allen Dingen dieser Welt verborgen liegt und auf ihre Befreyung wartet« (Schelling 1993, 32)? Bei Schelling ist die Welt keine lichtferne Höhle, sondern ein Gefängnis, in dessen verborgenen Zellen das Licht gefangen sitzt: »verdunkelt und vergessen«. Mit dieser Transformation der platonischen Licht-Metaphorik kommt Schelling in die Nähe gnostischer Positionen, besonders durch die Vorstellung eines im Menschen verborgenen Lichtfunkens: Schelling sagt vom »Ur-Bild«, es sei »verdunkelt«. Das ist es, weil es an das »geringere Princip gebunden« ist, von dem es heißt, es sei »dunkel und unwissend; und verdunkelt nothwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist« (Schelling 1993, 4). Das »Ur-Bild« wird durch das geringere Princip verdunkelt: Das »Ur-Bild« selber ist also hell. Es ist ein aus der »Quelle« stammender Lichtfunke des Urwesens selbst. Die Vorstellung eines »göttlichen Funkens« (grch. spinther) im Menschen wurde auf der Messina-Konferenz 1966, die Vorschläge zur terminologischen Fixierung der Begriffe »Gnostizismus« und »Gnosis« erarbeitet hat, als zentrales Element des Gnostizismus’ bezeichnet: »Der Gnostizismus der Sekten des zweiten Jahrhunderts enthält eine Reihe zusammenhängender Charakteristika, die man in die Vorstellung von der Gegenwart eines göttlichen ›Funkens‹ im Menschen zusammenfassen kann, welcher aus der göttlichen Welt hervorgegangen und in diese Welt des Schicksals, der Geburt und des Todes gefallen ist«.66 66 Carsten Colpe, »Vorschläge des Messina Kongresses von 1966 zur Gnosisforschung«, in: Walther Eltester (Hg.), Christentum und Gnosis, Berlin 1969, S. 129-132: 130. Vgl. die Diskussion der

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Schelling verbindet in der Konzeption des inneren Bildes gnostische und neuplatonische Dimensionen: Für den Gnostiker ist der göttliche Funken die einzige Tür, die aus dieser ansonsten gegenüber der geistigen Sphäre hermetisch abgeschlossenen und daher bösen materiellen Welt hinausführt.67 Durch diesen Funken ist eine erlösende Erkenntnis des transzendenten Gottes möglich, durch ihn kann der Gnostiker das schlechte »Gehäuse« des Kosmos überwinden. Auch für Schelling ist das Bild die einzige Verbindung des Menschen zum Urwesen. Allerdings teilt er in den Weltaltern nicht den gnostischen Antikosmismus, die entschieden negative Einschätzung der wirklichen Welt. Das Urwesen ist nicht das Andere der Welt, sondern entwickelt sich im Weltalter des Sohnes in der und als Welt, daher erweist sich das innere »Princip« auch wie bei Plotin als der ontologische »Inbegriff aller Dinge« (IV, 6, 3, 7). Es geht bei Schelling nicht um mystische Flucht aus einer schlechten Welt, sondern um ihre ontologische Durchdringung, die im Weltalter der Zukunft zu ihrer Aufhebung in einen geistigen Zustand führen wird.68 Die bisher diskutierte Gedächtnis- und Licht-Metaphorik wird eingefaßt von einer Metaphorik des Schlafes, an die auch der nächste Satz anknüpft: »Das UrBild schläft als verdunkeltes und vergessenes [...] Bild. Vielleicht würde es nie wieder erwachen [...]« (Schelling 1993, 4). Schelling bewegt sich mit dieser Metaphorik in dem in der deutschen Sprache gängigen Bildfeld des Geistes-schlafes: Geistige Zustände (bildempfangendes Feld) werden durch Worte aus dem Bereich des Schlafes (bildspendendes Feld) bezeichnet. Er »schläft« kann verwendet Vorschläge bei Kurt Rudolph, Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Dritte, durchgesehene u. ergänzte Auflage, Göttingen 1990, S. 65 f. 67 Vgl. die gnostische Vorstellung vom Kosmos bei Rudolph, Die Gnosis, a.a.O., S. 76 f.: Im Mittelpunkt des Kosmos steht die Erde, umgeben von acht Himmelssphären. Darüber, und durch eine undurchdringliche Schicht getrennt, ist das Reich des guten unbekannten Gottes, die Welt des Pleroma (grch. Fülle). Nach dem kosmologischen Mythos der Gnosis ist aus der rein geistigen Welt des Pleroma, die am Anfang alles war, ein Teil, die Sophia, abgefallen (Rudolph 1990, 81 f.). Aus der Sophia ging der materielle Kosmos hervor, der, weil außerhalb des Pleroma, als Ganzes schlecht ist. Aus dem fundamentalen Dualismus der Abfall-Lehre folgt der radikale Antikosmismus der Gnosis (Rudolph 1990, 68 f.). 68 Die Diskussion um Schelling und die Gnosis ist eine alte Debatte: Schon sein Zeitgenosse F.C. Baur hat Schelling in der Tradition der Gnosis gesehen und die Auseinandersetzung darüber ist seitdem nicht abgerissen – vgl. dazu Vf., »Die Wiederkehr gnostischer Vorstellungen in Schellings Aufsatz ›Philosophie und Religion‹ (1804)«, in: Franz/Rentsch (Hg.), Gnosis, a.a.O., S 135 f. Besonders während der Weltalter-Periode fällt Schellings Nähe zu gnostischen Fragestellungen auf: Die Abfall-Lehre aus »Philosophie und Religion« (1804), die Überlegungen zur Herkunft des Bösen in der Freiheitsschrift (1809) und schließlich die Vorstellung einer Aufhebung der Welt ins Geistige am Ende der Geschichte in den Weltalter-Fragmenten (1811 f.) sind Themen der Gnosis. Die zuletzt genannte Vorstellung kennt die Gnosis als Idee einer apokatastasis (grch. Wiederherstellung) der geistigen Sphäre durch die Vernichtung des schlechten Kosmos. Während der dialektische Charakter der gnostischen Idee der apokatastasis jedoch zumindestens fragwürdig ist, ist die Aufhebung der Welt bei Schelling die Endstufe eines dialektischen Geschehens: Im Weltalter des Vaters entwickelt sich das Urwesen in einer Sphäre vorweltlicher Geistigkeit (These), mit dem Weltalter des Sohnes wird es als Welt und Geschichte wirklich (Antithese). Diese Wirklichkeit wird im Weltalter der Zukunft in eine neue geistige Einheit der Einheit und des Gegensatzes aufgehoben (Synthese). Die Weltalter sind die Zeitstruktur einer Dialektik.

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werden im Sinne von ›er ist nicht aufmerksam‹, Interesse kann ›geweckt‹ werden und Neugier ›erwachen‹. Auch die von Schelling verwendete Rede, daß etwas im Menschen schläft, ist gängig: in ihm ›schlafen‹ oder ›schlummern‹ verborgene Talente, die wiederum ›geweckt‹ werden können. Schließlich gibt es zwischen den semantischen Felden des Schlafes und des Gedächtnisses Verbindungen: Auch Erinnerungen können ›geweckt‹ werden. Das Bildfeld des Geisteschlafes findet sich eher im religiösen als im philosophischen Sprechen. Die Bibel verwendet »Schlaf« zumeist wörtlich.69 An wenigen Stellen scheint eine metaphorische Verwendung im Sinne von geistigem Schlaf auf (1 Thess 5,6; Mk 13, 35-36). Bemerkenswert ist die Szene am Ölberg am Abend vor der Gefangennahme (Mt 26, 36-46): Jesus ist ergriffen von dem Kommenden, das ihm vor Augen steht, und bittet seine Gefährten, mit ihm wach zu bleiben, während er betet. Er findet sie dreimal schlafend. Gerade im Gegensatz zu seinem akuten Bewußtsein des Kommenden erscheint ihr Schlafen als mehr als nur natürliches Schlafbedürfnis: Ihr physischer Schlaf wird zum Zeichen eines geistigen Schlafes, durch den nicht dringt, was für Jesus so klar ist. Bezieht man Jesu Ausspruch »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« (Mt 26, 41) auf diesen geistigen Schlaf, dann scheint er der Leiblichkeit und Endlichkeit des Menschen geschuldet, gegen die der Geist in seinem Willen zur Wachheit kämpft. Auch bei Schelling »schläft« das »Ur-Bild« in der Seele, weil es durch seine Verbindung mit dem natürlichen »geringeren Princip [...] verdunkelt« wird. In der Bibel findet sich außerdem eine Analogisierung von Schlaf und Tod (1 Kor 15, 6, 15, 20; 2 Pet 3,4). Das Johannes-Evangelium macht diese Analogie anläßlich eines Mißverständnisses explizit: »Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche vom gewöhnlichen Schlaf« (Joh 11, 1113). Diese Analogie spielt auch bei Schelling eine Rolle, der an einer späteren Stelle die Frage diskutiert, ob das Bild einmal wieder »lebendig« (Schelling 1993, 8) werden könne. Führt aber die Erweckung des Bildes dazu, daß es »lebendig« wird, dann muß es vorher tot, sein Schlaf eigentlich ein Tod gewesen sein.70 Die Rede vom »erwachen« – »vielleicht würde es (das Ur-Bild, D.M.) nie wieder erwachen« (Schelling 1993, 4) – schließlich ist in der Bibel ebenfalls häufig

69 Vgl. die Liste der Bibel-Stellen: Joseph Schierse/Winfried Bader (Hg.), Neue Konkordanz der Einheitsübersetzung der Bibel, Düsseldorf/Stuttgart 1996, S. 1425-1427. Zur Verwendung und dem Verständnis in der Bibel vgl. Art. »Schlaf«, in: Herbert Haag (Hg.), Bibel-Lexikon, Zürich/Köln 1968, Sp. 1539, sowie Art. »Sleep; Asleep«, in: Geoffrey Bromiley et. al. (eds.), The International Standard Bible Encyclopedia, Vol. 4, Michigan 1991, S. 548-549. 70 Diese Analogie ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie eine weitere impliziert: Wenn Schlaf wie Tod ist, dann ist Erwachen wie Auferstehung. Bei Schelling hat das Erwachen des Bildes zwar nichts direkt mit der Idee einer Auferstehung zu tun, wohl aber ist die Erkenntnis als Erwachen des Bildes auf ein eschatologisches Szenario bezogen: Das Ziel der Weltalter ist es, eine neue Phase in der Entwicklung des Urwesen, den Übergang in das nachweltliche Weltalter der Zukunft, einzuleiten.

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wörtlich gebraucht (Gen 28, 16; 1 Kön 3, 15; Mt 1, 24).71 Die Psalmen kennen das Motiv vom Schlaf Gottes (Ps 78,65): »Erwache! Warum schläfst du, Herr?« (Ps 44,2). An einigen Stellen steht »erwachen« im Kontext der Analogie von Schlaf und Tod (Hi 14, 12). Das Geschehen des Erwachens des schlafenden Bildes in der Erkenntnis läßt sich, auch wenn das Wort nicht fällt, als eine Erwekkung auffassen. Damit ist die religiöse Hintergrundmetaphorik benannt, die die manifesten Metaphern des »schlafens« und »erwachens« aufeinander bezieht. »Erwecken« ist weit mehr als »Schlaf« und »erwachen« schon in der Bibel ein metaphorischer Topos, der nahezu immer in übertragener Bedeutung verwendet wird: Erweckt werden Geister (Jer 51,1; 1 Chr 5,26) und Propheten (Jer 29,15; Lk 7,16), vor allem aber wird der Geist eines Menschen durch Gott erweckt (Esr 1, 5; Jer 51, 11): »Darum erweckte der Herr den Geist des Königs Kyrus« (2 Chr 36, 22). Schelling dürfte diese Metaphorik nicht zuletzt aus seiner Lebenswelt vertraut gewesen sein: Im »letzten Viertel des 18. Jahrhunderts« setzte in Deutschland eine breite religiöse »Erweckungsbewegung« ein, die gegen die religiöse Aufklärung gerichtet war und der für Schelling wichtige Personen wie F. H. Jacobi, J. G. Hamann und der Kirchenhistoriker A. Neander nahestanden.72 Damit komme ich zur Diskussion der zentralen doppelten Bild-Metaphorik: »Aber dieses Ur-Bild schläft in der Seele als [...] nicht völlig ausgelöschtes Bild« (Schelling 1993, 4). Das »Ur-Bild« ist ein Stück des Urwesens selbst in der Seele des Menschen. In ihm durchdringen sich die plotinische Vorstellung vom »Inbegriff« alles Seienden in der Seele und die gnostische Lehre vom gefallenen Lichtfunken aus dem pleroma. Das zweite Stück, das »nicht völlig ausgelöschte Bild«, stammt aus der Tradition der christlichen imago-Lehre. Man kann zwei Grund-Dimensionen der christlichen imago-Lehre unterscheiden: eine fundamentale anthropologische und eine christologische Dimension. Die anthropologische Annahme vom Menschen als einer imago dei stützt sich direkt auf eine Stelle aus dem Schöpfungsbericht: »Dann sprach Gott: Laßt uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich« (Gen 1, 26). Auch die christologische Bestimmung von Christus als Bild des Vaters geht auf die Bibel zurück: Dort heißt es, Christus sei das »Ebenbild des unsichtbaren Gottes (eikon tou theou)« (Kol 1, 15). Christus ist dabei im Verhältnis zum Menschen das Gott ähnlichere Bild: Diese Differenz deutet sich in der Unterscheidung von »›imago‹ (Christus als das Bild Gottes) und ›ad imaginem‹ (der Mensch als ›zum‹ Bild Gottes geschaffen)« an. 73

71 Vgl. die Liste der Bibel-Stellen von »erwachen«, in: Große Konkordanz zur Luther Bibel, Stuttgart 1979, S. 351. 72 Vgl. Art. »Erweckung/Erweckungsbewegungen I/II«, in: Theologische Realenzyklopädie, ed. Gerhard Müller et. al., Bd. X, Berlin/New York 1982, S. 205-227: v.a. 210 f. 73 Mauritius Wilde, Das neue Bild vom Gottesbild. Bild und Theologie bei Meister Eckhart, Freiburg/Schweiz 2000, S. 92.

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Die vielgestaltige christliche imago-Lehre werde ich am Beispiel der imagoTheorie von Augustinus diskutieren.74 Die Grundthese Augustinus’ besteht in einer Analogisierung des menschlichen Geistes und der göttlichen Trinität: »Von jenem Bild aber, von dem es heißt: ›Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis‹ (ad imaginem et similitudinem nostram) (Gen 1, 26), glauben wir, daß der Mensch, weil es nicht heißt: nach ›meinem‹ oder ›deinem‹ Bild, nach dem Bild der Dreieinheit (ad imaginem trinitatis) geschaffen wurde« (Augustinus 2001, 241-243). Jedoch ist nicht der ganze Mensch, sondern nur die »mens« (Augustinus 1972, 76) nach diesem Bild der Dreieinheit erschaffen: »Vielmehr muß man in der Seele des Menschen, das heißt in der der Verstandeserkenntnis oder der Vernunfteinsicht fähigen Seele, das Bild des Schöpfers finden, das unsterblich ihrer Unsterblichkeit eingepflanzt ist« (Augustinus 2001, 180-191). Augustinus unterscheidet hier – wie Platon und Plotin vor und Schelling nach ihm – zwei Bereiche in der Seele: einen »höheren« (superius) und einen »niedrigeren« (inferius) (Augustinus 2001, 202).75 Nur dieser »höhere« Seelenbereich ist imago dei: Augustinus betont, »daß aber, wenn schon die Aufteilung geschieht, in dem Teil, welcher der Beschauung des Ewigen zugeordnet ist, nicht nur eine Dreiheit, sondern auch ein Bild Gottes sich finde, in jenem aber, der zur Beschäftigung mit dem Zeitlichen abgeordnet ist, zwar eine Dreiheit, nicht jedoch ein Bild Gottes gefunden werden könne« (Augustinus 1972, 175). Dieser höhere Seelenteil ist vor allem deshalb »Ort der Gottesebenbildlichkeit« (Schindler 1965, 181), »sofern sie (die Seele, D.M.) ihren Verstand und ihre Ver74 Einen Überblick über die imago-Theorien von Augustinus, Thomas, Dietrich von Freiberg und Eckhart bietet Wilde, Das neue Bild vom Gottesbild, a.a.O., S. 91-123. Ich werde mich bei der Diskussion der Augustinischen imago-Lehre auf zwei Texte von Augustinus konzentrieren: Aurelius Augustinus: »51. Frage: Von der Erschaffung des Menschen zum Bild und Gleichnis Gottes«, in: ders., Dreiundachzig Fragen. Lateinisch/Deutsch, Zum ersten Mal in deutscher Sprache v. Carl Johann Perl, Paderborn 1972, S. 70-77. Die zentralen Stellen finden sich in den Büchern XII, XIV und XV von Aurelius Augustinus, De trinitate (Bücher VIII-XI, XIV-XV, Anhang: Buch V), Lateinisch/Deutsch, Neu übers. u. mit einer Einleitung herausgegeben v. Johann Kreuzer, Hamburg 2001. Das in dieser Ausgabe nicht enthaltene Buch XII wird zitiert nach: Corpus Christianorum. Series Latina. Bd. 50: Sancti Aurelii Augustini, De trinitate (Liber I-XII), Turnholt 1968, S. 356-380. Die Übersetzung dazu: Aurelius Augustinus, Über den dreieinigen Gott. Ausgewählt und übertragen v. Michael Schmaus, Leipzig 1936, S. 173-185. – Bei den Dreiundachzig Fragen handelt es sich um Fragen, die die Mitbrüder Augustinus nach seiner Konversion, bevor er Bischof wurde, gestellt haben und die mitsamt den Antworten niedergeschrieben und später gesammelt wurden. Es werden kursorisch verschiedene Aspekte der imago-Lehre durchgegangen. Die zentrale These seiner eigenen imago-Theorie entwickelt Augustinus erst später in den Büchern XII und XIV von De trinitate: Der Mensch ist imago dei als Bild der göttlichen Trinität. Vgl. Alfred Schindler, Wort und Analogie in Augustins Trinitätslehre, Tübingen 1965, v.a. S. 6174 und 212-215. 75 Eingeführt wird die Unterscheidung im XII. Buch von De trinitate: »Der Teil von uns indes, der mit seinen Bemühungen so bei der Behandlung der körperlichen und zeithaften Dinge verweilt, wie es dem Tiere nicht zukommt, ist zwar etwas zum Verstande Gehöriges, ist aber aus dem Wesensbestand unseres Geistes (nostrae mentis substantia), mit dem wir der geistigen und unwandelbaren Wahrheit anhangen, gleichsam herausgeführt und zur Behandlung und Leitung der unteren Dinge (inferioribus) abgeordnet worden« (Augustinus 1972, 174). Die Bezeichnungen dieses »höheren« Seelenteiles variieren (Schindler 1965, 181).

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nunft zur Erkenntnis und Schau Gottes gebrauchen kann« (Augustinus 2001, 191, kursiv von mir, D.M.). Durch ihren Charakter als imago dei ist die Seele Gott gegenüber »empfänglich« oder »aufnahmefähig« (capax) (Augustinus 2001, 190/ 204/216). Die imago dei ist einerseits unverlierbar, andererseits kann das Bild aber durch ein sündhaftes Leben beschädigt werden: »So ist in der Tat von Beginn an [...] das Bild Gottes, mag es noch so verbraucht (obsoleta) sein, daß es beinahe nicht mehr ist, mag es verdunkelt (obscura) und entstellt (deformis) sein [...], immer da« (Augustinus 2001, 191, kursiv von mir, D.M.). Damit findet sich in der christlichen imago-Lehre die Figur eines unverlierbaren Bildes in der Seele vorgeprägt, das verbraucht, verdunkelt und entstellt werden kann, an die Schelling in der Metaphorik des »nicht völlig ausgelöschten Bildes« anknüpft. Die Bildfelder bei Augustinus und Schelling überlappen sich teilweise, das gilt vor allem für die in obscurus implizierte Licht-Metaphorik. In Schellings Ausdruck lassen sich zwei semantische Stränge ausmachen, beide verknüpfen die Metapher mit im Satz vorangegangener Metaphorik. Einerseits ist das »ausgelöschte« Bild auf die platonische und gnostische Licht-Metaphorik bezogen: »Ausgelöscht« werden Licht und Feuer.76 Andererseits besteht eine Verbindung zur skripturalen Auffassung des Gedächtnisinhaltes in der rhetorischen memoria-Theorie: »Ausgelöscht« werden kann auch Schrift (Grimm 1984, 1179). Durch ein sündhaftes Leben wird nach Augustinus die imago dei deformiert. Ändert der Mensch sein Leben und »wendet sich dem Herrn zu« (Augustinus 2001, 233), kann er jedoch diese Deformation nicht selbst rückgängig machen, sondern ist auf die »Gnade« (gratia) (Augustinus 2001, 228) Gottes angewiesen: »Nicht nämlich kann der Geist sich selber umgestalten (reformare se ipsam), wie er sich entstellen (deformare) konnte« (Augustinus 2001, 233). Anders bei Schelling: Hier ist die Erweckung des Bildes durch die innere Dialektik eine Leistung des Subjektes. Pierre Hadot hat den erkenntnistheoretischen Charakter von Augustinus’ imagoLehre hervorgehoben, als er ihn als Vorläufer Descartes und Husserls beschrieb.77 Das scheint zunächst naheliegend, hat doch das seelische Analogon der Trinität erkenntnistheoretischen Charakter: Vater, Sohn und heiliger Geist entsprechen memoria, intelligentia und voluntas.78 Im Denken der göttlichen Trinität stößt der Geist auf die Struktur, die ihm erlaubt, sie zu denken: »Diese Dreiheit des Geistes (trinitatis mentis) ist also nicht deshalb Bild Gottes, weil der Geist sich seiner erinnert, sich einsieht und liebt, sondern weil er zu erinnern, einzusehen und zu lieben vermag, von dem er geschaffen ist« (Augustinus 2001, 217). Das geistige

76 Vgl. Art. »löschen«, in: Deutsches Wörterbuch. Von Jacob u. Wilhelm Grimm, 33 Bde., Bd. 12, München 1984, Sp. 1177-1179: 1177. 77 Pierre Hadot, »L’image de la Trinité dans l’âme chez Victorinus et chez saint Augustin«, in: Studia Patristica VI (1962), S. 409-442: 409 f. 78 Diese Analogie ist prekär und Augustinus betont immer wieder die Differenzen (Augustinus 2001, 272 f.).

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Analogon der göttlichen Trinität ist zunächst eine allgemeine epistemologische Struktur allen Wissens. Im Denken der Trinität erkennt der Geist die Koinzidenz seiner epistemologischen Grundstruktur mit der göttlichen Trinität: sich als imago dei. Damit ist deutlich, daß die erkenntnistheoretischen Überlegungen eigentlich ethischen Charakter haben: Sie betreiben die Erneuerung des Menschen als imago dei. Im Vorangegangenen habe ich zu zeigen versucht, wie sich Schellings Verwendung und Verknüpfung der Metaphern in der ausgewählten Textpassage auf einem alten und vielfältig vor-gespurten metapherngeschichtlichen Hintergrund bewegen, zu dem sie sich als dialogische Stellungnahme verhalten: ihn aufrufen, rekombinieren oder transformieren. Abschließend möchte ich die Funktion des aus der Tradition übernommenen Bildes für die Erkenntnis des Urwesens in seinen Entwicklungsphasen in Schellings eigenem Denken bestimmen. Ähnlich wie bei Augustinus steht bei Schelling das Bild im Kontext eines Projektes von Erneuerung oder Erlösung. Allerdings geht Schellings Anspruch weit über die ethische Dimension hinaus: Er verbindet in den Weltaltern nicht nur Theologie und Ontologie, er bezieht sie in einem ontotheologischen Projekt aufeinander. Die Gotteserkenntnis ist in den Weltaltern von ontologischen Interessen geleitet, während die ontologische Erkenntnis mit theologischen Erlösungsmotiven aufgeladen wird. In der durch das »Ur-Bild« ermöglichten ontologischen Erkenntnis geht es um nichts weniger als die Erlösung der Welt. Im Weltalter der Gegenwart steckt die Entwickelung des Urwesens in der materiellen Gestalt der Welt fest. Durch die »Zeugung« (Schelling 1993, 56 f.) der Welt ist ein Dualismus von Natur und Geist entstanden: Mit dem Hervortreten der Welt wird die bisherige, rein geistige Welt des Urwesens »überwunden und somit als Inneres, als latent [...] gesetzt« (Schelling 1993, 60). Auf diese Situation ist die Erkenntnis als ontologisches Korrektiv bezogen: Die Erweckung des geistigen Bildes im Menschen geschieht als ontologische Erkenntnis, die zur Erweckung der »geistigen Materie« führt, die im Inneren der Dinge »auf ihre Befreyung wartet« (Schelling 1993, 32). »Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von den höchsten Begriffen« (Schelling 1993, 9). In der ontologischen Erkenntnis der Geschichte des Urwesens durch das innere Bild wird der Dualismus des Weltalters der Gegenwart überwunden und die letzte Synthese vorbereitet: Im Weltalter der Zukunft wird die materielle Welt in eine neue geistige Einheit aufgehoben und dabei von einer in ihr aufbrechenden Geistigkeit verzehrt. Die Erkenntnis der Geschichte des Urwesens ist für den Menschen nur als die Erkenntnisgeschichte des seelischen Ur-Bildes zugänglich. Das Ur-Bild wird durch die innere Dialektik entwickelt. Schellings Beschreibung dieser Entwicklung verbindet die Bild- mit einer Gesprächsmetaphorik, die die Grundlage seines Dialektik-Begriffs ist: Die Erweckung des Ur-Bildes geschieht, weil das »überweltliche Princip« von dem geringeren »angerufen« (Schelling 1993, 4) wird. In seiner Beschreibung wird die Bildmetapher mit einer Metaphorik der Ganzheit,

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Einheit, »Lebendigkeit« und »Fülle« aufgeladen:79 »Denn in ihm (dem überweltlichen Ur-Bild, D.M.) liegt alles ohne Unterscheidung, als Eins« (Schelling 1993, 5). Die Gesprächsmetaphorik dagegen wird mit einer Metaphorik der Differenzierung verbunden: »unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen«. Die Differenzierung des Ur-Bildes geschieht als ein Übergang ins Wort in der inneren Dialektik: »Diese Scheidung, diese Verdoppelung unserer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwei Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein wissendes [...] und ein unwissendes nach Klarheit ringendes, diese innere Unterredungskunst, ist das eigentliche Geheimnis des Philosophen [...]« (Schelling 1993, 5). »Wissen«, »erkennen« und »ahnden« bilden die erkenntnistheoretische Struktur dieser Entwicklungsgeschichte des seelischen Ur-Bildes. Im Folgenden möchte ich den Unterschied von »wissen«, »erkennen« und »ahnen« als Unterschied der Funktionen des Ur-Bildes in der Erkenntnis der verschiedenen Weltalter beschreiben. Das Weltalter der Vergangenheit, die vorweltliche Entwickelungsphase des Urwesens, ist der direkten Erkenntnis des Menschen entzogen. Es handelt sich um eine Zeit, bevor es den Menschen und die Welt überhaupt gab. Das »Wissen« von der Vergangenheit ist dem Menschen nur durch das seelische »Ur-Bild« (Schelling 1993, 4) als »Zeugen aus vorweltlicher Zeit« (Schelling 1993, 113) möglich. Die Erkenntnis des Weltalters der Vergangenheit ist damit rein apriorisches Wissen, das durch die Unterredungskunst der inneren Dialektik im Menschen entfaltet wird. Das Erkenntnisszenario des Weltalters der Gegenwart ist komplizierter, weil nun die äußere Welt da ist und in ihrem Verhältnis zur Geschichte des Urwesens verstanden werden muß. Schelling ist in keinem der Weltalter-Fragmente bis zu einer vollständigen Darstellung des Weltalters der Gegenwart gelangt; der erste Weltalter-Druck (1811) enthält Bruchstücke dazu. Wenn ich also im Folgenden den Erkenntnis- und Darstellungsmodus dieses Weltalter zu beschreiben versuche, buchstabiere ich eine von Schelling nicht entwickelte oder nur anskizzierte Logik aus. Erkenntnis der Gegenwart – »das Gegenwärtige wird erkannt« – bedeutet, die äußere Welt als Teil und Realisierung des Urwesens zu begreifen. Dieser Zusammenhang ist aber in der Welt selbst direkt nicht zu erkennen und gleichsam ›vergessen‹ und enthüllt sich auch dem Philosophen erst mit »Hülfe« des Ur-Bildes: 79 Die Metaphorik der »Tiefe, Fülle und Lebendigkeit« (Schelling 1993, 8) des Ur-Bildes hebt Schelling in seiner Auseinandersetzung mit der Theosophie positiv an ihr hervor, die ganz aus der Schau dieses Bildes lebt. Ihr mangelt es allerdings an seiner dialektischen Entfaltung. Gerade gegenüber der Theosophie arbeitet Schelling die Grenzen und Gefahren der Dialektik heraus: Wird sie äußerlich, »bloße Form« (Schelling 1993, 5) und bleibt nicht als Explikation des Ur-Bildes auf seine »Fülle« bezogen, drohen die »erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik« (Schelling 1993, 6). Für Schelling ist die Dialektik eine notwendige Zwischenstufe – das betont er gegen die Theosophie –, aber das letzte Wissen ist auch bei ihm nicht mehr dialektisch.

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»Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bey so vielen ist, die zwar das meiste von allem Geschehenen wissen, aber von der eigentlichen Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht bloß menschliche Begebenheiten, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen da, sind vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden sind: denn vom Innerlichwerden fängt alles Wissen und Begreifen an« (Schelling 1993, 114-115, kursiv von mir, D.M.). Schelling unterscheidet zwischen »Geschehenem« und »eigentlicher Geschichte« (Schelling 1993, 6): Das »Geschehene« sind die Begebenheiten der Welt als Natur und menschliche Geschichte, die »eigentliche Geschichte« ist die archäologische Meta-Geschichte des Urwesens. Die »eigentliche Geschichte« ist dem Menschen durch die Entfaltung des Ur-Bildes zugänglich. Die Aufgabe der Erkenntnis der Gegenwart ist es, das »Geschehene« als Realisierung und Darstellung der »eigentlichen Geschichte« zu erkennen. Dazu ist offensichtlich ein zweistufiges Verfahren nötig: Zunächst muß durch die innere Dialektik aus dem Ur-Bild die »eigentliche Geschichte« des Urwesens apriorisch ent-wickelt werden, dann kann die Schematik dieser »eigentlichen Geschichte« auf das »Geschehene« projiziert werden, wodurch es als Darstellung der »eigentlichen Geschichte« lesbar wird. Bei der Erkenntnis des Weltalters der Gegenwart müssen das apriorische Wissen aus dem Ur-Bild und aposteriorisches Wissen über die Welt aufeinander bezogen werden. Das metaphorische Modell für den zweiten Schritt dieses Verfahrens ist offensichtlich die Lektüre eines Textes. Damit steht Schelling in der alten metaphorischen Tradition des Verständnisses der Welt als eines Buches, dessen berühmtestes Exemplar das »Buch der Natur« ist, um das es auch Schelling vorrangig geht.80 Der Text des Geschehenen besteht bei Schelling aus »Denkmälern«, die »Bezeichnungen« von Entwicklungsstufen des Urwesens sind. Der Text des Buches der Natur und wohl alles »Geschehenen« ist einfach und kompliziert zugleich: Er liegt einerseits »offen da«, ist »vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert« und doch »redet« er nicht, sondern bleibt »todt«. Erst der ›Code‹ der archäologischen »eigentlichen Geschichte« bringt den Text wieder zum Sprechen, weil er seinen ›Sinn‹ enthüllt: Realisierung und Darstellung der »eigentlichen Geschichte« zu sein. Die ontologische Lektüre bringt den Text des Geschehenen jedoch nicht nur zum Sprechen (»redet«), sie erweckt ihn überhaupt erst zum Leben. Zuvor war er »todt«: Die Erkenntnis des »Geschehenen« ist in diesem wirksam. 80 Vgl. zur Geschichte dieses Topos’ Erich Rothacker, Das ›Buch der Natur‹. Materialien und Grundsätzliches zur Metapherngeschichte. Aus dem Nachlaß herausgegeben u. bearbeitet v. Wilhelm Perpeet, Bonn 1979 und Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt/Main 1986.

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Während das »Wissen« vom Weltalter der Vergangenheit und die »Erkenntnis« des Weltalters der Gegenwart – in unterschiedlicher Weise – von der Entfaltung des Ur-Bildes durch die innere Dialektik abhängen, scheint Schelling das »geahndete« zukünftige Wissen als nicht mehr dialektisch vermittelt zu denken. Es handelt sich dabei um das zukünftige Wissen innerhalb des Weltalters der Gegenwart vor dem Umschlag in das nach-weltliche Weltalter der Zukunft. So entschieden Schelling einerseits die Bedeutung der inneren Dialektik bei der Entfaltung des Ur-Bildes gegen die unvermittelte theosophische Schau verteidigt, so wenig fallen andererseits Wissenschaft und innere Dialektik bei ihm zusammen: »Durch innerliche Scheidung und Befreyung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen [...]. Was wir Wissenschaft nennen, ist erst Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst [...]. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meynung, die Philosophie durch Dialektik endlich in wirkliche Wissenschaft verwandeln zu können, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, da ja eben das Daseyn und die Notwendigkeit der Dialektik beweist, daß sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist« (Schelling 1993, 5). Die innere Dialektik ist eine Zwischenstufe auf dem Weg der Wissenschaft zu ihrer Vollendung: »Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Aber, kommt nie der Punkt, wo sie frey und lebendig wird, wie im Geschichtsschreiber das Bild der Zeiten, bey dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden [...]« (Schelling 1993, 8). Solange die Wissenschaft sich aus dem Gespräch der zwei Principien entwickelt, ist sie auf das geregelte Verfahren der inneren Dialektik angewiesen und also unfrei. Ist aber das Ur-Bild, in dem die »Erinnerung vom Urbeginn der Dinge« (Schelling 1993, 8) liegt, erweckt worden und »lebendig«, braucht die Wissenschaft keine Dialektik mehr: Das lebendige Bild ist das Ziel der Erweckung des schlafenden Bildes. Die Erweckung des schlafenden Bildes im Menschen hat auch Folgen für die Natur und führt – wie ich anhand des »Erkennens« der Gegenwart gezeigt habe – zu einer Erweckung der in den Dingen schlafenden Geistigkeit. Das lebendige Bild ist die Vollendung und Überwindung der Dialektik: Nicht das allseits dialektisch entfaltete System des Wissens ist das Ziel, sondern lebendige, wirksame Wahrheit. Diese Überwindung des Systems im Augenblick seiner Vollendung ist Heidegger entgangen.81 Heidegger geht in seiner ausführlichen Diskussion des System-Begriffs davon aus, daß es nicht nur ein wesentliches Merkmal der neuzeitlichen Philosophie ist, sondern auch für Schelling den in jeder Phase gültigen Orientierungsrahmen liefert: Das »System ist Seynsgesetz des neuzeitlichen Denkens« (Heidegger 1995, 42). Heidegger arbeitet scharfsichtig Voraussetzungen des Aufkommens des Systems heraus: Die »Vorherrschaft des Mathematischen« als der Forderung an das Wissen, eine »Einheit eines von den ersten Sätzen getragenen und nach ihnen geregelten Begründungszusammenhan81 Martin Heidegger, Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), herausgegeben v. Hildegard Feick, Zweite, durchgesehene Auflage, Tübingen 1995.

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I.3 DAS SCHLAFENDE BILD

ges von Sätzen« (Heidegger 1995, 36) zu sein, die Forderung nach »Gewißheit« im Sinne von »letzten und schlechthin gesicherten Begründungen« sowie die »Selbstgewißheit« des ego cogito als Grund jeder Begründung (Heidegger 1995, 37). Man könnte hier fragen, wie wichtig die Selbstgewißheit des ego cogito bei Schelling ist angesichts eines Wissens, das aus einem Gespräch dieses Ichs mit einem anderen entsteht? Vor allem aber verdeckt Heideggers Konzentration auf die erkenntnistheoretischen Probleme die existenziellen Dimensionen des Weltalter-Projektes: Die eschatologische Erlösungsperspektive der Weltalter verlangt nicht nur eine Erkenntnis des Gegebenen aus seiner Herkunft, sondern eine daraus hervorgehende tiefgreifende Verwandlung der Welt und des Menschen. Diese Verwandlung ist die eigentliche Absicht der Weltalter. Nicht zuletzt in dieser Sehnsucht nach einer ontologischen Verwandlung weisen sie eine Nähe zu Heideggers eigener Spätphilosophie mit ihrer Erwartung eines alles verändernden ›Advent‹ des Seins auf.

I.4 CHRISTLICHE MYTHOLOGIE DER VERNUNFT I.4 CHRISTLICHE MYTHOLOGIE DER VERNUNFT

I.4 Eine christliche Mythologie der Vernunft: Zur Theorie der Darstellung der Weltalter Da das Wissen der Weltalter kein »fertig daliegendes [...], sondern ein [...] erst entstehendes« (Schelling 1993, 5) ist, ist der Erkenntnis- ein Darstellungsprozeß: Das Wissen über die Entwicklung des Urwesens entsteht in der Darstellung dieser Erkenntnisse des inneren Bildes. »Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt« (Schelling 1993, 3). Erkenntnisund Darstellungstheorie erweisen sich daher systematisch aufeinander bezogen. »Erzählt«, »dargestellt« und »geweissagt« werden die Phasen der Entwicklung oder des Erwachens des inneren Bildes in der Erkenntnis des Menschen, die der Weltalter-Text aufzeichnen soll. Schelling widmet der Darstellungsdimension eine für einen philosophischen Text ungewöhnliche Aufmerksamkeit, da er eine Darstellung fordert, die dem Inhalt des Darzustellenden ähnlich sein soll. Allerdings stellen weder die Erkenntnis des Urwesens noch die Darstellung die Philosophie vor ein grundsätzliches Problem: Das Urwesen ist erkennbar und darstellbar. Das Kapitel hat drei Teile: Zunächst entwickele ich einige theologische Implikationen von Schellings Sprachphilosophie für das Projekt der Weltalter, dann beschreibe ich die unterschiedlichen Darstellungslogiken jedes Weltalters und schließlich versuche ich, die komplexe Konstellation von religiösen, philosophischen und ästhetischen Motiven, die insbesondere den vollendeten Weltalter-Text ausgezeichnet hätte, zu rekonstruieren. Schellings Sprachauffassung ist in ihren Grundzügen theologisch: Die Anleihen an den »Prolog« des Johannes-Evangeliums (Joh 1, 1-18) sind unübersehbar. Aus dem »Prolog« übernimmt Schelling zwei zentrale Bestimmungen seiner Sprachauffassung: Einerseits die Vorstellung von der Anfänglichkeit des Wortes – »Im Anfang war das Wort« (Joh 1, 1) wird zitiert (Schelling 1993, 75) – und andererseits die Analogie von Wort und Sohn: »Daher ist der Sohn in seiner Verwirklichung nichts anderes als das lebendige, artikulierende Wort selbst, und hinwiederum das lebendige Wort nichts anderes als der Sohn in seiner Verwirklichung« (Schelling 1993, 61). Schellings spezifisches Verständnis der aus dem JohannesProlog übernommenen Begriffe »Anfang« und »Sohn« ergibt sich allerdings erst aus ihrer Verwendung im Kontext der Weltalter, die ich im Folgenden diskutiere. Der Anfang ist der Anfang der Welt, der Übergang vom Weltalter des Vaters zu dem des Sohnes. Schelling beschreibt diesen Übergang als »Zeugung«: »Ein solches Setzen eines andern außer sich, wobey das Setzende in seiner Ganzheit bleibt, ist aber Zeugung« (Schelling 1993, 56). Durch die organische Metapher der Zeugung bestimmt er den Charakter des Übergangs von der idealen zur rea-

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I.4 CHRISTLICHE MYTHOLOGIE DER VERNUNFT

len Welt:82 Durch die Zeugung entsteht ein »Unabhängiges und Selbständiges«. Auf dieses metaphorisch-systematische Anfangsszenario ist Schellings Sprachauffassung bezogen. Zum ersten Mal wird das »Wort« als analogische Erläuterung der Zeugung erwähnt: »Allgemein scheint ein jedes Wesen, das sich in seiner eigenen Fülle nicht mehr enthalten oder zusammenziehen kann, außer sich zusammenzuziehen, wohin z.B. das hohe Wunder der Bildung des Wortes im Munde gehört, welches eine wahre Zeugung des vollen Innern ist, wenn es nicht mehr in sich selbst bleiben kann. Auch das Existierende sucht ja in der zunehmenden Fülle seines Innern nichts anders als das Wort, durch das es ausgesprochen, befreyt, entfaltet werden könne, und überall löst nur das gezeugte oder gefundne Wort die innere Zwietracht« (Schelling 1993, 56-57). Das gezeugte Wort ist Artikulation: Es »entfaltet« die undifferenzierte Fülle der Einheit, aus deren Überquellen es stammt. Der Anfang ist Zeugung und das Gezeugte ist der Sohn. »Der Sohn ist nicht des Vaters Gegensatz, sondern seine Lust und Liebe, wie, um ein schwaches Gleichnis zu geben, es uns Wonne ist, den Freund zu finden, der unser für sich verschlossenes Inneres zum Aufschließen, zum Sich-Aussprechen bringt, oder der uns endlich das Wort gibt, das alle Widersprüche unseres Lebens löst. Denn nur mit dem Sohn fängt das Selbstverstehen und die Unterscheidung in dem Vater an, wie schon ein älterer Schriftsteller sich ausdrückt: Der Sohn ist die Gränze der väterlichen Tiefe und der Quellbronn der verständlichen Dinge« (Schelling 1993, 58). Die Zeugung ist die Unter-scheidung der »väterlichen Tiefe« und durch dieses »Aufschließen« entstehen die »verständlichen«, diskreten »Dinge«, entsteht die Welt. In dieser unterscheidenden Kraft der Zeugung und der artikulierten Verständlichkeit der Welt des Sohnes liegt die Analogie zur Sprache begründet. Wobei Schelling mit den Analogien von Sprache und Zeugung einerseits und Sprache und Sohn andererseits zwei unterschiedliche Aspekte von Sprache in den Blick bekommt: Einmal geht es um den Prozeß der Differenzenbildung (Zeugung), das andere Mal geht es um die Sprache als Zustand der Differenziertheit (Sohn). Im Folgenden möchte ich zwei Ebenen in Schellings Überlegungen zur Sprache unterscheiden: Auf der Ebene des ontologischen Geschehens der Weltalter handelt es sich bei der Parallelisierung von Wort und Zeugung/Sohn um eine reine Analogie, die Schelling dem Johannes-Prolog entnimmt. Sprechen und die Entstehung der Welt sollen vergleichbar sein, weil sie beide eine vorgängige, undifferenzierte Einheit artikulieren. Das heißt aber nicht, daß es auf der ontologischen Ebene tatsächlich um Sprache ginge. Die Analogie hat auf der Ebene der Erkenntnistheorie andere Konsequenzen, denn hier wird das schlafende Bild durch das anrufende Wort erweckt, und dabei handelt es sich potentiell um wirkliche Worte. 82 Nur sieben Jahre vorher, in »Philosophie und Religion« (1804), hatte Schelling an dieser systematischen Stelle noch eine gnostische Theorie des Abfallens verwendet (Schelling 1861 VIII, 38 f.).

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Was bedeutet die Analogie von Wort und Sohn bzw. Zeugung für die Erkenntnis- und Darstellungstheorie der Weltalter, in denen Sprache eine Rolle spielt? Wendet man die Analogie auf das erkenntnistheoretische Szenario an und ist das anrufende Wort der Sohn, dann nimmt das schlafende Ur-Bild die Stelle des Vaters ein. Damit wird auf der erkenntnistheoretischen Ebene nochmals eine mediale Differenz im Geschehen der inneren Dialektik sichtbar: Das anrufende Wort artikuliert und erweckt das schlafende Bild. Diese mediale Differenz wird von Schelling nicht thematisiert. Wörtlichkeit und Bildlichkeit scheinen keine einander heterogenen Elemente zu enthalten. Das Wort stößt in seiner Artikulation des Bildes auf nichts ihm Inkommensurables. Bild und Wort unterscheiden sich nur durch die Gliederung ihres Inhaltes: Der Inhalt ist im Bild ungegliedert und im Wort artikuliert. Diese mediale Differenz geht einerseits restlos auf: Das wird deutlich, wenn Schelling den Charakter der artikulierenden Scheidung erläutert. Er greift dabei auf die in der »Einleitung« neben der Bild- verwendeten Band-Metapher zurück: »Denn nicht absolute Trennung der Kräfte soll die Scheidung seyn, nicht Zerreißung des anfänglichen Bandes der Einheit [...] Nur Lösung soll die Scheidung seyn, durch welche jedes Princip unabhängig von dem andern oder in seine eigene Freiheit gestellt wird. Wir werden diese Lösung am richtigsten ansehen, wenn wir sie als Artikulation des stummen Bandes der Existenz betrachten, wodurch dieses in das vernehmliche, sprechende Wort verwandelt wird, in welchem Selbstund Mitlauter nicht getrennt, sondern nur in das gehörige, aussprechliche Verhältniß zu einander gesetzt sind. Nun verwirklicht sich der Sohn in dem Verhältniß, als er die dunkle Kraft der Indifferenz in dem Vater überwindet, d.h. in dem Verhältniß, als er das Band artikuliert« (Schelling 1993, 61, kursiv von mir, D.M.). Einerseits also artikuliert das »vernehmliche, sprechende Wort« das stumme Bild/Band. Diese Artikulation ist eine ›erhellende‹ Differenzierung der »dunklen Kraft der Indifferenz in dem Vater«: Die »Selbst- und Mitlauter« werden dadurch »in das gehörige, aussprechliche Verhältniß zueinander gesetzt«. Schelling benutzt hier eine Analogie aus dem Bereich der Sprache, um zu bestimmen, was Sprache leistet. Andererseits tritt der Sohn, das Wort, aber auch an die Stelle des Vaters, »überwindet« ihn. Das Bild wird durch seine Artikulation im Wort, das an seine Stelle tritt, verdrängt. Im Wort ist also einerseits die dunkle Einheit des väterlichen Bildes artikuliert und andererseits als diese Einheit überwunden und verdrängt. Dadurch wird das Bild sowohl zum Ausgangspunkt wie zum Ziel der Erkenntnis- und Darstellungstheorie der Weltalter: Zu Beginn soll die undifferenzierte Einheit des Bildes artikuliert werden, diese Differenzierungen müssen aber wieder in eine neue Einheit des artikulierten »lebendigen« Bildes (Schelling 1993, 8) aufgehoben werden. Was bedeutet diese Sprachauffassung für die Darstellungstheorie der Weltalter? Sprache ist nach Schelling Artikulation. Damit ist Sprechen an sich dynamisch: Es führt zu Unterscheidungen. Insofern wird durch das Schreiben der Weltalter als eines sprachlichen Textes das ontologische Geschehen der Weltalter vorangetrie-

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ben: Durch die sprachliche Darstellung in den Weltaltern geschieht eine Artikulation des Urwesens. Aufgrund des dynamischen Charakters der Sprache wird der Weltalter-Text selbst zu einem Motor im ontologischen Geschehen der Weltalter. Im Folgenden möchte ich die Darstellungslogik der einzelnen Weltalter näher untersuchen. Die ersten beiden Sätze der Weltalter treffen Zuordnungen: Zeitlichen Gegenstandskonstellationen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) werden Wissensformen (wissen, erkennen, ahnden) und diesen ihrerseits Darstellungsformen (erzählen, darstellen, weissagen) zugeordnet. Diese Zuordnungen gründen in Entsprechungen: Den ontologischen Weltaltern sollen die Wissensformen als Entwicklungsphasen des inneren Bildes und diesen wiederum die Darstellungsformen entsprechen. Für die Darstellungstheorie bedeutet dieses Entsprechungssystem, daß die Darstellung gegenstandsmimetisch ist: Die Darstellung ähnelt dem Darzustellenden. Als Schema der gegenstandsmimetischen Dimension der dialektischen Darstellungstheorie hatte sich die Folge von Darstellungsformen Erzählung Dialektik Erzählung ergeben.83 »Das Gewußte wird erzählt« (Schelling 1993, 3). Diese Erzählung hat Schelling als »Fabel« (Schelling 1993, 4) bezeichnet, dem lateinischen Ausdruck für das griechische mythos (Oesterreich 1985, 77). Die Erzählung der Vergangenheit hat die Form eines Mythos. Auch den Autor des »größten Heldengedichts« als der Darstellungsform der Zukunft nennt Schelling einen »Erzähler« (Schelling 1993, 9). Da in einer dialektischen Theorie das Endprodukt (Synthese) eine modifizierte Fassung der Ausgangsthese ist, könnte man schließen, daß auch die Darstellung der Zukunft die Form eines Mythos hat: Sie wird »geweissagt«. Diese beiden Mythosformen müssen sich allerdings als Darstellungen zweier unterschiedlicher Weltalter bzw. Entwicklungsphasen des inneren Bildes unterscheiden: Ich habe die Unterscheidung zwischen einem vorbegrifflichen und einem nachbegrifflichen Mythos vorgeschlagen. Ist die Darstellungsform der Vergangenheit vorbegrifflich und die der Zukunft nachbegrifflich, muß in einer dialektischen Theorie die Darstellung der Gegenwart begrifflich bzw. genauer dialektisch sein. Dieses Schema möchte ich nun genauer entwickeln. Das Weltalter der Vergangenheit und die ihm entsprechende anfängliche Entwicklungsphase des inneren Bildes repräsentiert einen »unaufgeschlossenen Zustand der vorweltlichen Zeit«. Schelling spricht von einer »Zeit des Schweigens und der Stille« (Schelling 1993, 10). Es handelt sich um einen undifferenzierten, vorsprachlichen und vorbegrifflichen Zustand des Urwesens und des inneren Bildes (schlafend, verdunkelt, vergessen). Vorsprachlich ist dieser Zustand auch, weil die Sprache erst im Weltalter des Sohnes entsteht, die Vergangenheit also mit Mitteln beschrieben wird, die aus späterer Zeit stammen. Das »Gewußte« als Wissensform der Vergangenheit wird »erzählt«. Die Erzählung ist als darstellungstheoretisches Äquivalent des undifferenzierten Zustandes der Vergangenheit eine vorbegriffliche Darstellungsform. Das Wissen über die vorweltliche Entwicklungsphase des Urwesens entstammt zur Gänze der 83 Vgl. die ausführliche Diskussion der Reihe dieser Darstellungsformen oben S. 20 f.

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apriorischen Artikulation des Bildes durch die innere Dialektik.84 Zu Beginn des inneren Gespräches, durch das das Bild artikuliert wird, dominiert die Bildlichkeit des Bildes das Geschehen. Daher ist die vorbegriffliche Erzählung des Geschehens im Weltalter der Vergangenheit metaphorisch. Die Metapher ist das sprachliche Medium dieser Erzählung. Das Weltalter der Gegenwart beginnt mit der Zeugung der Welt aus der vorweltlichen Einheit des Vaters. Die dunkle Kraft des Vaters entwickelt sich in der »Natur«, die unterscheidende Kraft des Sohnes als »Geisterwelt« (Schelling 1993, 62). Das Urwesen entwickelt sich also als Natur- und Geistesgeschichte. Schellings Gegenwart mit dem Weltalter-Projekt markiert in diesem Geschehen einen besonderen Moment. Durch die Erweckung des schlafenden, inneren Ur-Bildes wird erstmals die Natur- und Geistesgeschichte als die Entwicklungsgeschichte des Urwesens »erkannt«: »Das Gegenwärtige wird erkannt« (Schelling 1993, 3). In dieser Erkenntnis der Gegenwart wird das apriorische Wissen aus der Erwekkung des inneren Bildes auf das natur- und geistesgeschichtliche Geschehen bezogen: Das apriorische Wissen liefert den Code der Lektüre der Geschichte. Die Darstellung der erkannten Gegenwart ist dialektisch: Hier kommt ein zweiter Dialektik-Begriff ins Spiel. Dialektik war bisher innere Dialektik, die als das erkenntnistheoretische Prinzip die Entwicklung des inneren Bildes lenkte. Die Dialektik, um die es jetzt geht und die man ›äußere Dialektik‹ nennen könnte, ist eine Darstellungsform: Die Darstellung der Gegenwart ist dialektisch, weil die zwei Stränge, die Entwicklungsgeschichte des inneren Bildes und die äußere Natur- und Geistesgeschichte, dialektisch aufeinander bezogen und vermittelt werden müssen. Das Ziel ist es, das natur- und geistesgeschichtlich »Geschehene« als Moment und Ausdruck der »eigentlichen Geschichte« des Urwesens zu erkennen und diese Synthese darzustellen (Schelling 1993, 6).85 Dieser Erkenntnisprozeß bleibt dem Erkannten nicht äußerlich, sondern führt zu einer Erwekkung der Geistigkeit im Inneren der Natur. Die Zukunft des Weltalters der Gegenwart, die Zeit vor dem Umschlag in das nach-weltliche Weltalter der Zukunft oder des Geistes, ist der Moment der gelungenen Synthese: Im Menschen und in der Natur ist das vormals schlafende, geistige Bild erweckt und »lebendig« (Schelling 1993, 8). Die nachbegriffliche Darstellungsform dieser Periode der metaphysischen Durchsichtigkeit alles Seienden ist die symbolische Erzählung. »Symbolisch« hat Schelling eine »Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen« (Schelling 1859 V, 406, kursiv im Original) genannt, eine Darstellung, in der das Besondere »zugleich selbst das Allgemeine ist« (Schelling 1859 V, 409, kursiv im Original). Ausgezeichnetes Beispiel symbolischer Darstellung ist für ihn die griechische Mythologie, deren Götter »Darstellung der Ideen als realer« sind (Schelling 1859 V, 370). Die zukünftige symbolische Erzählung würde das be84 Vgl. die Darstellung der inneren Dialektik oben S. 63. 85 Vgl. meine Erläuterung der Unterscheidung von »Geschehenem« und »eigentlicher Geschichte« oben S. 64 f.

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sondere »Geschehen« der Natur- und Geistesgeschichte als die »eigentliche Geschichte« (Schelling 1993, 6) des allgemeinen Urwesens darstellen: Sie wäre eine Ontobiohistoriographie des Urwesens. »Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters [...] sich verkünden« (Schelling 1993, 9). Diese Ziel ist noch nicht erreicht, daher kann die zukünftige symbolische Erzählung nur »geweissagt« werden (Schelling 1993, 3). Schelling hat in der griechischen Mythologie eine gelungene symbolische Darstellung gesehen, der die christliche Moderne nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen hat. Das sollte sich mit der zukünftigen Vollendungsgestalt der Weltalter ändern: Sie waren als eine christliche Mythologie der Vernunft geplant. Die Ontobiohistoriographie des Urwesens sollte als moderne Mythologie der Vernunft die christlichen Ideen einerseits wissenschaftlich entwickeln (Mythologie der Vernunft) und andererseits symbolisch darstellen (Mythologie der Vernunft). In der Idee dieser zukünftigen nachbegrifflichen Darstellungsform, die der Höhepunkt und die vollendete Verwirklichung der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung wäre, überschneiden sich Religion, Wissenschaft, Mythologie und Kunst: Schelling träumt von einem modernen Epos, das als Darstellung einer christlichen Mythologie der Vernunft eine neue, wissenschaftlich verstandene Gestalt des Christentums bilden würde.86 Diese komplexe Konstellation möchte ich abschließend noch einmal etwas genauer auseinander legen. Dem Projekt des Systemprogramms vergleichbar, strebt Schelling in den Weltaltern eine neue Religion in Form einer »menschlicheren Gestalt« des Christentums (Schelling 1993, 71) an. Er rühmt »den dem Christenthum so ganz eigenthümlichen Sinn der Menschlichkeit und Natürlichkeit [...] Von ihnen (den »göttlichen Büchern« der christlichen Offenbarung, D.M.) habe ich zuerst gelernt, das, zu dessen Erkenntniß ich von Jugend auf den heftigsten Trieb fühlte, endlich auf die menschlichste Weise zu suchen und die überfliegenden Gedanken auf das natürliche Maß menschlicher Begreiflichkeit zurückzubringen« (Schelling 1993, 70). Schelling fährt fort: »Damit will ich aber nicht sagen, daß die Uebereinstimmung absichtlich gesucht worden: denn wer der reinen Wissenschaft folgt, ist am wenigsten fähig, sich irgend etwas bloß äußerlich anzueignen; für ihn muß auch ein göttliches Wort verloren seyn, so lange nicht aus eigner Brust ein innerlich gezeugter Widerhall ihm antwortet. Auch zweifele ich, ob ohne eine solche fortschreitende Bewegung, wie sie vielleicht nur durch die Wissenschaft entwickelt werden kann, die christliche Idee begreiflich vorzustellen ist« (Schelling 1993, 71). Während Schelling am Christentum einerseits dessen pädagogische Fähigkeit 86 Vgl. für eine meinen Überlegungen verwandte Einschätzung des Projektes der Spätphilosophie Kurt Appel, »Mythologie und Liturgie als Manifestationen des Absoluten in Schellings ›Philosophie der Kunst‹. Versuch einer Standortbestimmung vor dem Hintergrund möglicher Anfragen mittels Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹«, in: Christian Danz/Jörg Jantzen (Hg.), Gott, Natur, Kunst und Geschichte. Schelling zwischen Identitätsphilosophie und Freiheitsschrift, Göttingen 2011, S. 59-83: v.a. 72-76.

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hervorhebt, auch »überfliegende Gedanken auf das natürliche Maß menschlicher Begreiflichkeit« zu bringen, fordert er andererseits eine wissenschaftliche Aufarbeitung, durch die erst die »christliche Idee begreiflich vorzustellen« sei. Die gegenseitige Angewiesenheit von Religion und Wissenschaft hat Schelling in einem Brief an Eschenmayer vom 05.04.1812, ein Jahr nach der Drucklegung von Druck I, explizit ausgesprochen: »Unser eigentlicher Beruf liegt in der Ausbildung der Wissenschaft in Religion und der Religion zu kräftiger, lebendiger Erkenntnis, die nur durch Wissenschaft möglich ist, so wie nach meiner Ueberzeugung die einzige Hoffnung einer kommenden Regeneration ist«.87 Diese Ergänzung von Wissenschaft und Religion geschieht in den Weltaltern, indem Schelling die christliche Idee der Dreifaltigkeit zu einer Mythologie der Vernunft vertieft: Er beschreibt die Abfolge der Zeiten Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft in der Entwickelung des Urwesens als Abfolge der drei Persönlichkeiten Vater, Sohn und Heiliger Geist. »Über alle Vergleichung erhaben und einzig ist aber die christliche Idee, besonders in der Art, wie sie die Mehrheit der Personen mit der Einheit des Wesens verbindet, indem dadurch offenbar wird, wie jene fortschreitende Bewegung aus demselben durch dasselbe und in dasselbe geht, also nirgends eine Verwandlung des Wesens stattfindet [...] Die Eine Natur zur heiligen Dreyheit entfalten und die Dreyheit der Personen wieder in die Einheit des Wesens sammeln, ist die rechteste, die wahrhafteste Lehre« (Schelling 1993, 69). Die wissenschaftliche Entwicklung macht die christliche Idee der Dreifaltigkeit in ihrem ontologischen Gehalt erst verständlich, nämlich als mythologische Gestalten der Entwickelungsphasen des Urwesens. Die markante anthropomorphe Metaphorik der Weltalter stammt also zunächst aus der Übernahme des latenten Anthropomorphismus’ der christlichen Dreifaltigkeit im Zuge ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Allerdings radikalisiert Schelling den abgeschatteten Anthropomorphismus der Dreifaltigkeit erheblich: Dem Gott der Weltalter ist nichts Menschliches fremd. Er kennt »Lust« und »Wonne« (Schelling 1993, 30) ebenso wie den heftigsten inneren »Streit« (Schelling 1993, 37), »Leiden und Schmerz« (Schelling 1993, 40), »Angst«, »blinde Sucht« (Schelling 1993, 41), einen »der Trunkenheit ähnlichen Zustand« und selbst »Wahnsinn« (Schelling 1993, 42). Auf diese Radikalisierung des latenten Anthropomorphismus der Dreifaltigkeit bezieht sich Schellings Rede von der »menschlicheren Gestalt« des Christentums, die die aus seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung hervorgehende »lang erwartete Wiedergeburt« (Schelling 1993, 71) bringen wird. Der Komparativ »menschlichere Gestalt« betont dabei sowohl die Abhängigkeit wie die radikalisierende Überschreitung eines Christentums. Erst durch diese Radikalisierung wird die Dreifaltigkeit zu einer christlichen Mythologie der Vernunft.88 87 Gustav Leopold Plitt, Aus Schellings Leben. In Briefen, Bd. II: 1803-1820, Leipzig 1870, S. 304. 88 In den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst war Schelling noch skeptisch gegenüber der Möglichkeit einer »christlichen Mythologie« nach dem Vorbild der griechischen. Die griechische Mythologie war »symbolisch«: »Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen ist [...] symbolisch« (Schelling 1959 V, 406). Im Chris-

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Schelling hält den radikalen Anthropomorphismus der Weltalter einerseits für eine der Beschreibung des Urwesens angemessene und wissenschaftlich explikative Sprache. Andererseits spielt diese Metaphorik in der wirkungsorientierten Dimension der dialektischen Theorie der symbolischen Form sprachlicher Darstellung in den Weltaltern eine entscheidende Rolle: Durch den Anthropomorphismus der Weltalter, als der »menschlicheren Gestalt« des Christentums, sollen die »menschlichen Herzen aufs Neue gewonnen« werden. Diese allgemeine Wirksamkeit des Christentums ist neben seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung die entscheidende Voraussetzung der revolutionären Veränderung, die »der ganzen Ansicht der Dinge und Verhältnisse eine völlig andere Richtung geben« (Schelling 1993, 71) soll und die das eigentliche Ziel der Weltalter ist. Darüberhinaus spielt in dem Projekt einer christlichen Mythologie der Vernunft die Kunst eine zentrale Rolle. Diese poetische Dimension der nachbegrifflichen Erzählung wird mehr angedeutet als expliziert, wenn Schelling sie das »größte Heldengedicht« (Schelling 1993, 9) nennt. Dem Kunstwerk kommt sowohl in dem Schlußabschnitt des Systems des transzendentalen Idealismus89 (1800) wie auch in den 1802 gehaltenen und erst posthum veröffentlichten Vorlesungen zur Philosophie der Kunst eine ausgezeichnete Stellung zu: Im Kunstwerk allein wird das Absolute »objektiv«. »Das Kunstwerk nur reflektirt mir, was sonst durch nichts reflektirt wird, jenes absolute Identische« (Schelling 1858, 625). Die Kunst »steht auch als Darstellung des Absoluten auf gleicher Höhe mit der Philosophie [...] Die Philosophie stellt nicht die wirklichen Dinge, sondern ihre Urbilder dar, aber ebenso die Kunst, und dieselben Urbilder, von welchen nach den Beweisen der Philosophie diese (die wirklichen Dinge) nur unvollkommene Abdrücke sind, sind es, die in der Kunst selbst – als Urbilder – demnach in ihrer Vollkommenheit – objektiv werden, und in der reflektirten Welt selbst die Intellektualwelt darstellen« (Schelling 1859, V, 369, kursiv von mir, D.M.). Im Kunstwerk geschieht etwas, was in der christlichen Moderne nirgendwo sonst anzutreffen ist, daß nämlich die Urbilder selbst in den schönen Gegenständen real werden, »in der reflektirten Welt« der Wirklichkeit »die Intellektualwelt« des Absoluten erscheint. Oesterreich hat Schellings Beschreibung dieser Vollendungsgestalt aus der »Einleitung« der Weltalter als »das größte Heldengedicht [...] umfassend [...], was war, was ist und was seyn wird« (Schelling 1993, 9) auf die Bestimmungen des »Epos« in der Philosophie der Kunst bezogen (Oesterreich 1984, 112 f.). Hogrebe hat das präzisiert, indem er vorschlug (Hogrebe 1989, 23 f.), daß es sich um eine tentum gibt es für Schelling keine Symbole (Schelling 1859 V, 433). Von der Dreifaltigkeit heißt es dort: »[...] daß aber die Dreieinigkeit als solche nicht als Symbol einer Idee betrachtet werden kann, erhellt daraus, daß die Einheiten in der göttlichen Natur selbst ganz ideal gedacht werden, und selbst Ideen, aber nicht Symbole von Ideen sind« (Schelling 1859 V, 430-31). Der radikale Anthropomorphismus der Weltalter zielt darauf, aus den »ganz ideal gedachten« Einheiten der Dreifaltigkeit Symbole einer christlichen Mythologie der Vernunft zu machen. 89 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, System des transzendentalen Idealismus, in: ders., Sämmtliche Werke, herausgegeben v. K.F.A. Schelling, I. Abtheilung: Bd. III, Stuttgart 1858, S. 327634: 612-629.

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ganz bestimmte Gestalt des Epos, nämlich das von Schelling sogenannte »speculative Epos« oder »Lehrgedicht« (Schelling 1859 V, 662) handele, das ein »Gedicht von der Natur der Dinge« ist (Schelling 1859 V, 664).90 Die Hauptbestimmung des Epos’ ist, »ein Bild der Geschichte zu seyn« (Schelling 1859 V, 646). Das Lehrgedicht ist darüber hinaus »die Form des Wissens«, die »für sich fähig ist, ein Reflex des All zu seyn« (Schelling 1859 V, 663). »Es soll den Reflex des Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universums [...] seyn« (Schelling 1859 V, 666-667). Das Lehrgedicht ist das vollendete Wissen über das Universum, »was war, was ist und was seyn wird« (Schelling 1993, 9), das zur vollkommenen Darstellung des Absoluten wird, zum Kunstwerk also, in dem sich das Absolute selbst manifestiert. Schelling ist schon skeptisch, ob es ein solches Lehrgedicht unter den Alten gab. Was die Moderne angeht, »so können wir es von den Neueren ohne Zweifel kategorisch behaupten, daß sie überhaupt kein ächt poetisches Werk dieser Art aufzuweisen haben« (Schelling 1859 V, 666). Schon 1802 meinte Schelling also, daß der Moderne ein spekulatives Epos fehlt. Warum? »Daß die moderne Welt kein wahres Epos hat, und, weil mit einem solchen erst Mythologie sich fixiert, auch keine geschlossene Mythologie, brauche ich nicht weiter zu beweisen« (Schelling 1859 V, 442). Die Moderne hat kein Epos, weil sie keine Mythologie hat, und sie hat keine Mythologie, weil sie christlich ist. Die griechische Mythologie ist eine symbolische Darstellung des Absoluten. Die Götter der Mythologie sind die real erscheinenden Ideen: »Ideen [...] sind real betrachtet Götter« (Schelling 1859 V, 390, kursiv im Original). Die Götter sind keine sinnlichen Zeichen, die für die abstrakten Ideen stehen. Die Götter sind die Ideen unmittelbar. Die griechische Mythologie ist daher »Darstellung des

90 Obwohl Knatz in den Weltaltern ebenfalls ein »Epos« sieht, weist er auch darauf hin, daß Schelling »exklusiv in der kurzen Zeitspanne von 1802 bis 1804 [...] vom Epos als der für die Geschichte angemessenen Darstellungsform« spricht – vgl. Lothar Knatz, Geschichte-Kunst-Mythos. Schellings Philosophie und die Perspektive einer philosophischen Mythostheorie, Würzburg 1999, S. 134. In dieser Bemerkung scheint ein Problem auf, das sich durch die Übertragung der Kategorie des Epos’ aus der Philosophie der Kunst auf die Weltalter ergibt: Schelling hat im Laufe seines Lebens eine Reihe von zum Teil sehr unterschiedlichen Systementwürfen vorgelegt – was ihm auch den Titel eines »Proteus der Philosophie« eingetragen hat. Das macht es schwierig, Kategorien aus einer Werkphase auf eine andere zu übertragen, zumal aufgrund des Systemcharakters dieses Denkens jede einzelne Kategorie auf die zentralen Bestimmungen des Systementwurfs, dem sie entstammt, bezogen ist. Das führt im Falle der Kategorie des »Epos’« dazu, daß bestimmte Eigenschaften sich gut und in erhellender Weise auf die Weltalter beziehen lassen, andere nicht. Im Folgenden interessiert mich die Kategorie des Epos’ im Zusammenhang einer Klärung des Projektes der Weltalter. Ich werde daher nur die Bestimmungen herausgreifen und diskutieren, die zu dieser Klärung beitragen können. Insbesondere meine ich, daß Schellings folgende Bestimmungen des Epos’ sich schwerlich auf die Weltalter übertragen lassen: »Identität mit der Absolutheit« (Schelling 1859 V, 646), »Indifferenz gegen die Zeit« (Schelling 1859 V, 650), auch die Mittelstellung des Epos’ zwischen Lyrik und Tragödie, aus der sich insbesondere die »Identität mit der Absolutheit« ergibt, läßt sich nicht auf die Mythologie der Vernunft anwenden. Die Mythologie der Vernunft ist die abschließende Stufe einer dialektischen Trias, das Epos steht in der Philosophie der Kunst für die zweite Stufe.

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Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen« (Schelling 1859 V, 406, kursiv im Original). Die christliche Moderne ist von einem ganz anders gearteten Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem bestimmt, das es ihr unmöglich macht, eine symbolische Mythologie hervorzubringen: »Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Symbolik des Unendlichen war, so liegt dem Christentum die entgegengesetzte zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzuheben, d.h. es zur Allegorie des Unendlichen zu machen. Im ersten Fall gilt das Endliche etwas für sich, denn es nimmt das Unendliche in sich selbst auf, im anderen Fall ist das Endliche für sich selbst nichts, sondern nur, sofern es das Unendliche bedeutet« (Schelling 1859 V, 430). Die Ontologie des Christentums, alles Endliche nur als Allegorie und nicht als Symbol des Unendlichen zu begreifen, ist der Grund dafür, daß die Moderne keine »geschlossene Mythologie« (Schelling 1859 V, 442) ausgebildet hat. Angesichts dieser ontologischen Struktur stellt Schelling fest, »daß es (das Christentum, D.M.) keine vollendeten Symbole, sondern nur symbolische Handlungen hat« (Schelling 1859 V, 433). Nur im rituellen »Cultus« der Kirche (Schelling 1859 V, 435) ist das Christentum »symbolisch«, gelingt ihm die Verschmelzung von Endlichem und Unendlichem. »Deswegen ist nur die Kirche im Christenthum symbolisch« (Schelling 1859 V, 437). Deshalb ist im Christentum »die Kirche als ein Kunstwerk zu betrachten« (Schelling 1859 V, 455). Schelling hat nicht zuletzt wegen dieser Unfähigkeit zum Symbol das Christentum in seiner gegenwärtigen Gestalt als ein Übergangsphänomen betrachtet: »Die dem Christentum eigenthümliche Richtung ist vom Endlichen zum Unendlichen. Es ist gezeigt worden, wie diese Richtung alle symbolische Anschauung aufhebt und das Endliche nur als das Allegorische des Unendlichen begreift [...] Alle speculative Philosophie hat notwendig dieselbe der Richtung des Christenthums entgegengesetzte Richtung, sofern man nämlich das Christenthum in dieser seiner empirisch-historischen Gestalt nimmt, in welcher es sich als Gegensatz darstellt, und nicht in dieser Entgegensetzung es selbst als Übergang betrachtet« (Schelling 1859 V, 448, kursiv im Original). In der Darstellungstheorie der Weltalter ist es dann insbesondere die Kunst, die die christliche Unfähigkeit zum Symbol ausgleichend, eine symbolische Darstellungsform ermöglicht. Es ist diese komplexe systematische Konstellation aus Religion und Religionskritik, Wissenschaft, Mythologie und Kunst, die sich im darstellungstheoretischen Projekt einer Ontobiohistoriographie des Urwesens verdichtet: Ziel der Weltalter ist es, den impliziten Anthropomorphismus der Trinität zu einer christlichen Mythologie der Vernunft zu entfalten, die den Stoff für das erste moderne, christliche spekulative Epos oder Lehrgedicht bildet. »Das Lehrgedicht kat’exochen kann nur ein Gedicht vom Universum oder der Natur der Dinge seyn. Es soll den Reflex des Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universum muß also in der Wissenschaft erreicht seyn. Die Wissenschaft ist berufen, es zu seyn. Es ist gewiß, daß die Wissenschaft, welche diese Identität mit

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dem Universum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des Stoffs, sondern auch durch die Form mit der des Universums übereinstimmt, und inwiefern das Universum selbst das Urbild aller Poesie, ja die Poesie des Absoluten selbst ist, so würde die Wissenschaft in jener Identität mit dem Universum sowohl dem Stoff, als der Form nach schon an und für sich Poesie seyn und in Poesie sich auflösen« (Schelling 1859 V, 666-667). Das speculative Epos oder Lehrgedicht ist eine Vollendungsgestalt in mehreren Hinsichten: Auf dem Höhepunkt der Wissenschaft verschmilzt diese mit der Kunst. Die vollendete Wissenschaft gibt einerseits eine umfassende Darstellung ihres Gegenstandes: Die Ontobiohistoriographie des Urwesens in den Weltaltern zeichnet »ein vollkommenes Bild des Universums«. Andererseits ist die vollendetste Darstellung die der Kunst, denn in den symbolischen Formen der Kunst erscheint das dargestellte Absolute selbst. Damit ist die poetische Darstellung die formale Vollendung des gegenstandsmimetischen Anspruches der Weltalter. Der Kunstcharakter des speculativen Epos trägt entscheidend dazu bei, das symbolische Projekt einer modernen christlichen Mythologie der Vernunft gelingen zu lassen. Daran wird deutlich, daß die poetische Dimension der Weltalter dem Projekt nicht äußerlich angehängt ist, sondern die Philosophie aus der Logik ihres eigenen Darstellungsparadigmas heraus auf die Kunst stößt, insofern sich in deren Sphäre die vollkommenste Darstellung des Absoluten findet, nach der auch die Philosophie strebt: eine Darstellung, die das Dargestellte ist. Die Ontobiohistoriographie des Urwesens im speculative Epos zielt aufgrund ihres mythologischen Charakters darauf, unmittelbar massenwirksam zu werden. In der anthropomorphen christlichen Mythologie der Vernunft der Weltalter werden die beiden Seiten einer solchen Mythologie, die schon das Systemprogramm unterschieden hat, zu einer neuen Form von Christentum entwickelt. Das speculative Epos geht einerseits aus einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Christentums hervor, die es in sich aufhebt, insofern ist es eine Mythologie der Vernunft. Andererseits zielt die Radikalisierung des latenten Anthropomorphismus’ der christlichen Dreieinigkeit zu einer Mythologie der Vernunft auf eine unmittelbare, sinnliche Wirkung. Die Weltalter sollen das Gründungsdokument einer neuen, »universellen Kirche« werden,91 die das Ergebnis der »lang’ erwarteten Wiedergeburt« der »menschlicheren Gestalt« des Christentums ist und die »der ganzen Ansicht der Dinge und Verhältnisse eine völlig andere Richtung geben« wird (Schelling 1993, 71). Die universelle Kirche ist die Vollendung des wirkungsorientierten Anspruches der Weltalter. Die Ontobiohistoriographie des Urwesens als speculatives Epos wäre die Vollendung sowohl des gegenstandsmimetischen als auch des wirkungsorientierten Anspruch des Weltalter-Projektes. Schelling betont, daß sein Text diese Vollen91 Die ganze Stelle aus den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst lautet: »In der griechischen Mythologie hat die Natur ein solches Werk eines auf ein ganzes Geschlecht ausgedehnten gemeinschaftlichen Kunsttriebs aufgestellt, und die entgegengesetzte Bildung der griechischen, die moderne, hat nichts Aehnliches aufzuweisen, obgleich sie in der Bildung einer universellen Kirche gleichsam instinktmäßig etwas Aehnliches beabsichtigt« (Schelling 1859 V, 415).

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dungsgestalt noch nicht ist. »Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt [...] Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen [...] Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und das Wider jeglicher Meynung« (Schelling 1993, 9). Das Darstellungsprojekt der Weltalter ist aus geschichtsphilosophischen Gründen gescheitert: Die Zeit war noch nicht reif. Der Text ist daher nicht zufällig Fragment geblieben. Schelling hat jedoch nie das Projekt einer Darstellung des Urwesens in Frage gestellt und die Ontobiohistoriographie stellt sicher eines der anspruchsvollsten Darstellungsprojekte der modernen Philosophiegeschichte dar.

II SEINSGESCHICHTE HEIDEGGER

II SEINSGESCHICHTE: HEIDEGGER II SEINSGESCHICHTE: HEIDEGGER

Mit einem beeindruckenden Aufsatz hat Walter Schulz 1953 die Diskussion über das philosophiegeschichtlich-systematische Verhältnis der Spätphilosophien Schellings und Heideggers eröffnet.92 Schellings Spätphilosophie steht für ihn am »Übergang von Idealismus zum Nachidealismus« (Schulz 1975, 335).93 Sie markiert einen besonderen Moment: Der Geist »erfährt sein eigenes durch das Denken nicht aufzuhebendes Daß. Diese Entdeckung des ›Daß der Vernunft‹ ist das Werk des späten Schelling. [...] Die Vernunft erkennt, daß sie sich zu ihrem freien Sich-setzen nicht noch einmal vom Außerhalb ihrer selbst einsetzen kann [...] der Geist erfährt sich selbst als seines ›Zu-seins‹ nicht mächtig« (Schulz 1994, 100). In den Weltaltern erweist sich das Denken als eingesetzt und bestimmt durch die Entwicklungsgeschichte des Urwesens. Die Spätphilosophie Schellings entspringt der Einsicht, daß die »Letztbegründung der Vernunft keine Selbstbegründung sein kann. Das Denken kann sich nicht reflexiv selbst begründen, sondern ist auf eine Instanz verwiesen, die gerade nicht Denken ist, sondern Gott«.94 Es erkennt, mit Christian Ibers pointierter Formel, »das Andere der Vernunft als ihr Prinzip«: In den Weltaltern wird das Andere der Vernunft in Gestalt des Urwesens als ihr Grund und Prinzip eingesetzt.

92 Walter Schulz, »Über den philosophiegeschichtlichen Ort Martin Heideggers«, (EV 1953) in: Otto Pöggeler (Hg.), Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes, Dritte, ergänzte Auflage, Weinheim 1994, S. 95-139. Vgl. zum Verhältnis Schellings und Heideggers auch Ryosuke Ohashi, Ekstase und Gelassenheit. Zu Schelling und Heidegger, München 1975. 93 Nicht zuletzt aufgrund von Schulz’ bahnbrechender Habilitation ist die Diskussion um Schellings Spätphilosophie – oft unter Vernachlässigung anderer bedeutender Einflüsse – um die Frage ihres Verhältnisses zum Idealismus, insbesondere dem Hegels, zentriert: Für Schulz ist sie als »Vollendung des Idealismus« (Schulz 1975) vor der Schwelle des Übergangs vom Idealismus zum Nachidealismus angesiedelt. Für Michael Theunissen befindet sie sich als »Aufhebung des Idealismus« genau auf der Schwelle – vgl. Michael Theunissen, »Die Aufhebung des Idealismus in der Spätphilosophie Schellings«, in: Philosophisches Jahrbuch 83 (1976), S. 1-29 und ders., »Die Idealismuskritik in Schellings Theorie der negativen Philosophie«, in: Hegelstudien (1977), Beiheft 17, S. 173-191. Für Jürgen Habermas und Manfred Frank ist die Spätphilosophie »Idealismus im Übergang zum Materialismus« und befindet sich jenseits der Schwelle – vgl. Jürgen Habermas, »Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus – Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes«, in: ders., Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Frankfurt/Main 1978, S. 172-227 sowie seine Dissertation zu Schellings Weltaltern, bei Erich Rothacker geschrieben, Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954, schließlich Manfred Frank, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, 2. Auflage, München 1992. 94 Christian Iber, Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin/New York 1994, S. 278.

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Das nachidealistische Denken Heideggers setzt die Erfahrung des Daß der Vernunft schon voraus: »Die Nachidealisten vollziehen nicht mehr die Bewegung des Scheiterns, in der der Geist auf sein Daß stößt, sondern gehen bereits von einem Daß aus« (Schulz 1994, 100). Im Früh- und Spätwerk macht Schulz zwei aufeinander aufbauende Antworten Heideggers auf diese nachidealistische Grundsituation aus: Im Frühwerk – vor allem in Sein und Zeit und der Antrittsvorlesung – führt Heidegger das Scheitern aller metaphysischer Begründungsversuche vor und zeigt den Menschen gerade in seiner Ohnmacht und Nichtigkeit. Dieser »›heroische Nihilismus‹« der frühen Arbeiten wird im Spätwerk überwunden, wenn »das Dasein sich als Ganzes nicht mehr auf seine Ohnmacht versteift, sondern sich ausgesetzt weiß vom Sein« (Schulz 1994, 116). Schulz deutet die Bestimmtheit des Menschen aus dem anonymen Geschehen des Seins, wie es die Spätphilosophie Heideggers entwickelt, positiv:95 »Erst« mit dieser Wendung des späten Heidegger werde »der Selbstbehauptungswille, die Subjektivität, völlig überwunden« (Schulz 1994, 116, kursiv im Original). Aus der Erfahrung der Bestimmheit durch das Sein gibt die Subjektivität in Heideggers Spätphilosophie ihren Selbstbegründungsanspruch auf. Christian Iber sieht die von Schulz rekonstruierte Entwicklung von Schelling zu Heidegger ungleich kritischer. Schon in Schellings Spätphilosophie arbeitet Iber nicht nur ein vernunftkritisches, sondern ein vernunftzerstörerisches Potential heraus.96 Heideggers Spätphilosophie versteht er als ein Begründungsprojekt, das zu einer »Totalnegation« und »Destruktion« (Iber 1994, 357/358) der Vernunft führt. »Für Heidegger ist Metaphysik nicht mehr wie bei Hegel in der sich selbst begründenden Vernunft, im sich selbst denkenden Denken begründet, sondern in einer Radikalisierung des Schellingschen Ansatzes gleichsam im ›Anderen‹ der Vernunft, in Stimmungen und Befindlichkeiten« (Iber 1994, 328). In der späten Seinsphilosophie kann Iber schließlich nichts Neues, sondern nur einen Rückfall erkennen: Das geheimnisvolle Sein der Spätphilosophie ist ein »neues Absolutes«, »ein quasi neuer Gott« (Iber 1994, 351-52). Dieses quasi neue Absolute hat den Charakter eines avernünftigen Anderen der Vernunft, in dem Heidegger die Vernunft fundiert. Iber – damit folgt er Habermas’ Einschätzung –

95 Heideggers Spätwerk enthält die Vorstellung einer positiv verstandenen Heteronomie des Menschen durch das Sein. Im Humanismusbrief schreibt er beispielsweise: »Das Denken dagegen läßt sich vom Sein in Anspruch nehmen, um die Wahrheit des Seins zu sagen« – Martin Heidegger, »Brief über den Humanismus«, in: ders., Gesamtausgabe, I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1914-1970, Bd. 9: Wegmarken, Frankfurt/Main 1976, S. 313-365: 313 f. Denken ist hier nicht autonome Leistung des Denkenden, sondern dieser denkt und spricht nur aus dem Zuspruch des Seins. Vgl. meine Diskussion der Heteronomie unten S. 133 f. u. 152 f.. 96 Theunissen und Iber knüpfen in ihrer Einschätzung Schellings an eine historische Perspektive an, die in polemischer Absicht Georg Lukács entworfen hat. Lukács sieht durch Schellings »intellektuelle Anschauung [...] alle Wege zu einem Irrationalismus eröffnet«, vgl. Georg Lukács, Die Zerstörung der Vernunft. Der Weg des Irrationalismus von Schelling zu Hitler, Berlin 1955, v.a. S. 103155: 117.

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erkennt darin eine »Unterwanderung des okzidentalen Rationalismus«:97 Für Heidegger ist das Sein die vergessene Tiefenstruktur des abendländischen Denkens. Die Vernunft ist dabei lediglich eine historische Gestalt oder Episode der Seinsvergessenheit. Durch diese tiefergelegte Fundamentalkritik unterbricht Heidegger die Verbindung zwischen den Traditionen der Vernunftphilosophie und seinem späten Seinsdenken: Das Sein wird zu einer meta-rationalen »absoluten neo-mythischen Macht, der wir in absoluter, blinder Selbstaufopferung zu entsprechen haben« (Iber 1994, 358). Im folgenden Kapitel möchte ich ebenfalls in die Untersuchung des Verhältnisses der Weltalter-Spekulationen Schellings und Heideggers später Seinsphilosophie eintreten. Einerseits teile ich Ibers kritischere Einschätzung der Entwicklung, die ich in Bezug auf das Verhältnis von Schellings Weltalter-Spekulationen und Heideggers Spätphilosophie auf den Begriff der Umbesetzung bringen würde: An die systematische ›Stelle‹, die in den Weltaltern das Urwesen inne hat, tritt in Heideggers Spätphilosophie das Sein.98 Andererseits scheint mir Iber Bemühungen Heideggers zu übersehen, das Sein nicht schlicht zu einem neuen Absoluten verkommen zu lassen: In der Umbesetzung tritt nicht schlicht dasselbe an die alte Stelle. Diese Bemühungen zeigen sich vielleicht am deutlichsten an Heideggers Umgang mit Sprache. Er ist offensichtlich ungleich skeptischer, was die Möglichkeiten, über das Sein zu sprechen, angeht als Schelling es in Bezug auf die Möglichkeit der sprachlichen Darstellung des Urwesens war. Heidegger würde sicher schon den Begriff der »Darstellung« als Beschreibung der Sprache der späten Seinsphilosophie zurückweisen. An Schellings Weltalter befremdet der überbordende Gebrauch von Metaphorik und sein eigentümliches Vertrauen in die metaphysische Konzeption des Symbols. Ich möchte zeigen, daß eine Reihe der – auch oft kritisierten – Züge der späten Seinsphilosophie von Heideggers im Verhältnis zu Schelling viel akuterem sprachlichen Problembewußtsein herrühren. Gegenüber Schellings irritierender, fast verplauderter Vertrautheit mit dem Urwesen arbeitet Heidegger unser Nicht-Wissen, die Unvertrautheit sowie das Denken und Sprache Unzugängliche des Seins heraus. Heidegger betont die radikale Negativität des Seins. Dabei kommt nicht zuletzt der Metapher eine wichtige Funktion zu: Angesichts des fremden Seins, über das sich eigentlich nicht sprechen läßt, da alle Ausdrücke der Sprache Bezeichnungen für Seiendes sind, erscheint die uneigentliche Ausdrucksform der Metapher als eine der wenigen angemessenen sprachlichen Möglichkeiten. Zwei Aspekte der Metapher spielen für die Spätphilosophie eine wichtige Rolle: Einerseits wird die Metapher als eine Sprachform verwendet, die in ihrer Uneigentlichkeit eine Markierung der konstitutiven Unangemessenheit jedes Sprechens über das Sein enthält. Andererseits verwendet Heidegger Metaphern oft, wenn er neue, seinsgeschichtliche Perspek97 Vgl. Jürgen Habermas, »Die metaphysikkritische Unterwanderung des okzidentalen Rationalismus: Heidegger«, in: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/Main 1988, S. 158-190. 98 Zum Begriff der Umbesetzung vgl. Blumenberg, »Die Epochen des Epochenbegriffs«, in: ders., Legitimität der Neuzeit, a.a.O., S. 531-557 und meine Diskussion unten S. 234 f.

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II SEINSGESCHICHTE: HEIDEGGER

tiven auf scheinbar vertraute Gegenstände entwickelt. Die ungewöhnliche Sprachform der Metapher wird dann zur Sprachform des Ungewöhnlichen, Neuen. Während für die Weltalter eine im Symbol-Begriff angelegte Tendenz zum Wörtlich-Nehmen der Metapher bestimmend ist, ist es für Heideggers Spätphilosophie gerade ihre Fremdheit und Neuheit, die sie zu einer der bestimmenden Sprachformen der späten Seinsphilosophie werden läßt. Allerdings passiert es Heidegger nicht selten, daß er seinen eigenen Metaphern sozusagen auf den Leim geht und aus dem Wink in das fremde Sein eine Darstellung wird, die ihre Unangemessenheit zu vergessen scheint. Dann verwandelt sich das fremde Sein tatsächlich in einen »quasi neuen Gott« (Iber 1994, 351) und die Seinsphilosophie in positivistische Quasi-Religion.

II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH II.1.1 HEIDEGGERS METAPHERNKRITIK

II.1 Metaphernkritik und Metapherngebrauch in Heideggers Spätphilosophie Sind schon Schellings darstellungstheoretische Ausführungen karg, so fehlen explizite Aussagen zur Metapher und zum Symbol in der Weltalter-Phase, so weit ich sehe, fast völlig. Demgegenüber hat sich Heidegger an einigen wenigen Stellen zur Metapher geäußert. Diese knappen Bemerkungen sind zu einer nachhaltigen Anregung für die Metapherntheorie Derridas und Ricœurs geworden, die sich stellenweise als Ausarbeitungen der Heidegger’schen Bemerkungen lesen lassen.99 Während in Deutschland Heideggers »Jargon der Eigentlichkeit« einer Ideologiekritik unterzogen wurde, die wenig von ihm übrig ließ, waren Derrida und Ricœur von der Sprache vor allem der Spätphilosophie immer auch faszi-

99 Die Debatte um ›Heidegger und die Metapher‹ ist überhaupt weitgehend eine französische Diskussion gewesen, die in den frühen Siebzigern begann und in den späten Siebzigern endete: 1971 erschien Derridas »La Mythologie blanche. La Métaphore dans le texte philosophique« (dt. Derrida 1988, 205-258) in der Zeitschrift Poétique. Obwohl Derrida Heidegger in diesem Text nur in einer längeren Fußnote erwähnt (Derrida 1988, 347), wurde der Text zu einem zentralen Bezugspunkt der Debatte, weil Derrida eine Interpretation der zentralen These von Heideggers Metaphernkritik vorlegt, wonach es »das Metaphorische nur innerhalb der Metaphysik gibt«. 1973 erschien mit Jean Greischs Aufsatz »Les mots et les roses. La Métaphore chez Martin Heidegger«, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 57 Jg., Nr. 3 (1973), S. 433-55 die sympathetischste Diskussion Heideggers. 1975 kam Paul Ricœurs Buch La Métaphore vive heraus, in dem er in dem Kapitel »Meta-phorik und Meta-physik« (dt. Ricœur 1991, 245-273) in die Diskussion eingreift und u.a. vorschlägt, Derrida als Radikalisierung der Metapherntheorie Heideggers zu verstehen. 1978 schließlich wendet sich Derrida in einem Vortrag an der Universität Genf »Le retrait de la métaphore« dem Thema noch einmal zu. Der Vortrag wurde erst 1987 auf Französisch publiziert (dt. Derrida 1998,197-234). Darin weist Derrida berechtigterweise Ricœurs Interpretation der »Weißen Mythologie« zurück und tritt in eine metaphorologische Lektüre einiger Texte Heideggers ein. – Die ganze Debatte rekonstruieren noch einmal Joseph J. Kockelmans, »Heidegger on metaphor and metaphysics«, in: Christopher Macann (ed.), Martin Heidegger: Critical Assessments, Vol. III: Language, London/New York 1992, S. 293-320 und Giuseppe Stellardi, Heidegger and Derrida on Philosophy and Metaphor. Imperfect Thought, New York 2000. Vgl. außerdem zum Verhältnis des Denkens von Ricœur and Derrida allgemein Leonard Lawlor, Imagination and Chance. The Difference between the Thought of Ricœur and Derrida, Albany 1992 und zur Differenz der Metapherntheorien zuletzt Jean-Luc Amalric, Ricœur, Derrida. L’enfeu de la Métaphore, Paris 2006. Einen Überblick über die Vielzahl der an Heidegger und diese Debatte anschließenden Texte gibt Jörg Appelhans, Martin Heideggers ungeschriebene Poetologie, Tübingen 2002, S. 126-145.

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

niert.100 In der Folge wurden in Frankreich Heideggers eigener Sprach- und Metapherngebrauch wie auch die verstreuten metapherntheoretischen Bemerkungen ausführlich diskutiert. Obwohl die französischen Metapherntheoretiker Derrida, Greisch und Ricœur das Problem ›Heidegger und die Metapher‹ aus sehr unterschiedlichen Perspektiven diskutieren, stimmen sie in einer grundsätzlichen Einschätzung überein, die Ricœur so zusammenfaßt: »[...] daß man zu der Auffassung gelangen kann, der ständige Gebrauch, den Heidegger von der Metapher macht, sei letztlich wichtiger, als was er gelegentlich gegen die Metapher sagt« (Ricœur 1991, 255). Ricœur unterscheidet hier zwischen der expliziten theoretischen Metaphernkritik und dem performativen Metapherngebrauch Heideggers in seinen eigenen Texten. Diese Unterscheidung liegt der Unterteilung des folgenden Kapitels zugrunde: Im ersten Teil werde ich die bekannteste Passage der Metaphernkritik Heideggers aus der »Sechsten Stunde« der Vorlesung Der Satz vom Grunde von 1955/56 diskutieren.101 Im zweiten Teil des Kapitels untersuche ich den Gebrauch, den Heidegger von den Hölderlinschen Metaphern »Worte, wie Blumen« in seiner eigenen Sprachphilosophie macht.102

II.1.1 Heideggers Metaphernkritik In der Vorlesung Der Satz vom Grund untersucht Heidegger die geschichtlichen Wandlungen des Satzes, der lautet: »Nihil est sine ratione. Nichts ist ohne Grund« (Heidegger 1992, 14). Der Satz vom Grund taucht im europäischen Denken im

100 Vgl. Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt/Main o.J. Ich möchte keinen ›nationalen Unterschied‹ zwischen französischen Heidegger-Bewunderern und deutschen Heidegger-Kritikern behaupten. Es gibt in Frankreich natürlich eine HeideggerKritik: Kritisch und erhellend untersucht Heideggers Sprache z.B. Pierre Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs, Frankfurt/Main 1988. Und in Deutschland gab es natürlich Bewunderer der Heideggerschen Sprache, die sich allerdings eher unter den Literaturwissenschaftlern finden: z.B. Beda Allemann (Hölderlin und Heidegger, Zürich/Freiburg 1954), Wolfgang Binder (»Hölderlins Namensymbolik«, in: Hölderlin-Jahrbuch 12 (1961/62), S. 95-204), Rolf Zuberbühler (Hölderlins Erneuerung der Sprache aus ihren etymologischen Wurzeln, Berlin 1969) und Emil Staiger (»Zu einem Vers von Mörike. Ein Briefwechsel mit Martin Heidegger. Von Emil Staiger«, in: Martin Heidegger, Gesamtausgabe, I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 13: Aus der Erfahrung des Denkens, Frankfurt/Main 1983, S. 93-109). 101 Vgl. Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Siebte Auflage, Pfullingen 1992, v.a. S. 86-89. – Es finden sich, soweit ich weiß, zwei weitere theoretische Äußerungen zur Metapher beim späten Heidegger: Die erste im »Brief über den Humanismus« (Heidegger 1996, 358), die Derrida analysiert (Derrida 1998, 222 f.). Die zweite Äußerung steht in Martin Heidegger, »Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, 10. Auflage, Pfullingen 1993, S. 35-82: 44, diese Stelle diskutiert (Stellardi 2000, 168 f.). 102 Martin Heidegger, »Das Wesen der Sprache«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, a.a.O., S. 157216, v.a. 206 f.

II.1.1 HEIDEGGERS METAPHERNKRITIK

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17. Jahrhundert plötzlich auf und wird von Leibniz in die »strenge Fassung« des principium reddendae rationis (Heidegger 1992, 44) gebracht. Mit dem »Grundsatz des zuzustellenden Grundes« hat Leibniz, laut Heidegger, das Gesetz des neuzeitlichen Denkens formuliert: »Das von Leibniz gedachte principium reddendae rationis bestimmt in der Art seines Anspruches das neuzeitliche Vorstellen« (Heidegger 1992, 80). Der »Anspruch« des principium bestimmt sowohl die neuzeitliche Art des Erkennens wie auch den Charakter der Erkenntnisgegenstände: »Weil vielmehr nach dem Leitgedanken der neuzeitlichen Philosophie etwas nur ›ist‹, insofern ein begründetes Vorstellen es für sich als seinen Gegenstand sichergestellt hat, bleibt das principium reddendae rationis der oberste Grundsatz nicht nur des Erkennens, sondern zugleich der Gegenstände des Erkennens« (Heidegger 1992, 54). In der Neuzeit wird das Erkennen zu einem »Vorstellen« und das Seiende zum »Gegen-stand«: »Das im Vorstellen zum Stand gebrachte Begegnende ist der Gegenstand« (Heidegger 1992, 46). Diese systematische Konstellation, eines im Vorstellen begründeten Seienden als Gegenstand, ergibt sich aus dem Anspruch des principium reddendae rationis. Die Neuzeit ist für Heidegger keine Vergangenheit, vielmehr ist das Heute radikalisierte Neuzeit: »Heute, sagen wir und meinen das beginnende Atomzeitalter, durch das sich vermutlich die Neuzeit vollendet, insofern sich der anfängliche Grundzug der Epoche ins Letzte und uneingeschränkt entfaltet« (Heidegger 1992, 100). Auch Heideggers Gegenwart steht noch und in radikalisierter Weise unter dem Anspruch des Satzes vom Grund: »Unser Verhalten trägt überall dem Rechnung, was der Satz vom Grund sagt« (Heidegger 1992, 14). Dabei sind zwar Neuzeit und Moderne aus diesem Anspruch bestimmt, aber der Anspruch wird als Anspruch nicht wahrgenommen. So fragt Heidegger, »ob wir den Anspruch auf Zustellung des Grundes hören. Wir müssen antworten: ja und nein. Ja – denn wir haben den Anspruch auf Zustellung des Grundes neuerdings allzu drangvoll im Ohr. Nein – denn wir vernehmen den drängenden Anspruch noch kaum« (Heidegger 1992, 57). Heidegger interessiert sich vor allem für das, was er die »Incubationszeit des Satzes vom Grund« (Heidegger 1992, 96 f.) nennt. Der Satz hat eine zweifache Incubationszeit: eine, die seinem plötzlichen Erscheinen im 17. Jahrhundert voranging, und eine zweite, noch andauernde, in der sein Anspruch als Anspruch noch nicht gehört wird. An der medizinischen Metapher der Incubationszeit (lat. Ausbrütung), der Zeit zwischen Infektion und Krankheitsbeginn, wird Heideggers eigentliches Interesse deutlich: Die Frage hinter der Vorlesung über den Satz vom Grund ist, warum in der Geschichte etwas erscheint? Nach der metaphorischen Logik der Incubationszeit lautete die Antwort: Der ›Ausbruch‹ eines geschichtlichen Phänomens geht auf eine ›Infektion‹ durch das Sein zurück. Oder, wie Heidegger es im semantischen Horizont der visuellen Metaphorik der Rede vom ›erscheinen‹ formuliert: »Denn sobald Seiendes als solches in seinem Sein erscheint, ist beim Erscheinen des Seienden das Scheinen des Seins im Spiel« (Heidegger 1992, 97). Am Satz vom Grund weist Heidegger die abendländische Phi-

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

losophiegeschichte als Seinsgeschichte, als Geschichte aus dem ›infektiösen‹ »Scheinen des Seins« aus.103 Das Erscheinen aus dem Scheinen des Seins zeigt sich besonders in Momenten, in denen sich die Szene des Erscheinens ändert, in Momenten geschichtlicher Wandlungen. Heidegger bildet das Incubationsgeschehen des Satzes vom Grund in seiner Vorlesung performativ nach. Dabei markiert die »Sechste Stunde«, die den Exkurs über die Metapher enthält, einen entscheidenden Moment: Heidegger weist plötzlich eine neue Bedeutungsdimension in dem Satz vom Grund auf, was zunächst nur wie eine »Aussage über das Seiende« erschien, enthüllt sich nun auch als »Sagen vom Sein« (Heidegger 1992, 90 f.). Er führt seinen Hörern damit performativ einen jener Bedeutungswandel vor, von denen auch die Vorlesung über die geschichtlichen Wandlungen des Satzes vom Grund handelt. Heidegger spricht von einem »Wechsel der Tonart« (Heidegger 1992, 95) des Satzes. Angesichts dieses Wechsels fragt er, wie solche Wandlungen überhaupt möglich sind. Und genau in dem Moment, in dem er die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Neuen untersucht, stößt Heidegger auf die Metapher: »Unser Denken soll jetzt das in der Betonung eigentlich schon Gehörte erblicken. Das Denken soll Hörbares erblicken. Es er-blickt dabei das zuvor Un-erhörte« (Heidegger 1992, 86). Heidegger verteidigt zunächst die eigenwillige Rede vom »Denken« als »einem Erhören, das erblickt«, durch einen Hinweis auf die Herkunft der Metaphorik bei Platon und Heraklit: Platon habe, »was am Seienden das Eigentliche ausmacht, idea« genannt und damit das »Gesicht des Seienden und das von uns Gesichtete« gemeint. Heraklit habe vom »logos« als dem »Spruch des Seienden, dem wir im Hören entsprechen«, (Heidegger 1992, 86) geredet. Dann geht Heidegger jedoch noch einmal genauer auf den metaphorischen Charakter dieser Rede ein und mit einem Selbsteinwand beginnt seine Diskussion der Metapher, die er am Ende eine »Abschweifung« (Heidegger 1992, 89) nennen wird: »Ein Hören und Sehen kann das Denken nur in einem übertragenen Sinne heißen [...] Fassen wir das Denken als ein Hören und Sehen, dann wird das sinnliche Hören und Sehen übernommen und hinübergenommen in den Bereich des nicht-sinnlichen Vernehmens, d.h. des Denkens. Solches Hinübertragen heißt griechisch metapherein. Die Gelehrtensprache nennt eine solche Übertragung Metapher« (Heidegger 1992, 86-87). Heideggers Kritik gilt dem, was er später »die maßgebende Vorstellung von der Metapher« (Heidegger 1992, 72) nennen wird. In der Forschungsdiskussion wurde betont, daß Heideggers maßgebende Vorstellung von der Metapher aus zwei zusammenhängenden Merkmalen besteht: Erstens ist die »maßgebende Vorstellung« offensichtlich eine »Worttheorie« der Metapher.104 Die Metapher ist da-

103 Heideggers Konzeption von »Seinsgeschichte« erläutere ich unten S. 119 f. 104 Vgl. zur Kritik an am einzelnen Wort orientierten Metapherntheorien unten S. 183 f.

II.1.1 HEIDEGGERS METAPHERNKRITIK

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nach das »Hinübertragen« eines einzelnen, eigentlichen Wortes. Durch diese Übernahme wird der wörtliche Ausdruck in einem übertragenen Sinn verwendet. Das zweite und für Heidegger wichtigste Merkmal der »maßgebenden Vorstellung der Metapher« ist, was er die »Trennung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen« nennt: »Die Vorstellung von ›übertragen‹ und von der Metapher beruht auf der Unterscheidung, wenn nicht gar Trennung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen als zweier für sich bestehender Bereiche«. Da diese Trennung »ein Grundzug dessen, was Metaphysik heißt«, ist, kommt Heidegger zu dem berühmten Schluß: »Das Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik« (Heidegger 1992, 89). Paul Ricœur hat darauf hingewiesen, daß die beiden Merkmale zusammenhängen, insofern Heidegger nahelegt, daß die eigentliche Bedeutung eines Wortes sich immer auf das Sinnliche und die übertragene auf das Nichtsinnliche bezieht (Ricœur 1991, 256 f.). Nach der von Heidegger rekonstruierten »maßgeblichen Vorstellung« wäre eine Metapher also die Übertragung eines einzelnen Wortes, dessen wörtliche Bedeutung sich auf etwas Sinnliches bezieht und das in seiner übertragenen Verwendung etwas Nicht-Sinnliches bezeichnet. Heideggers Kritik konzentriert sich auf die »Trennung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen«, die der »Vorstellung von ›übertragen‹« unterliegen soll. »Wir hören zwar eine Bachsche Fuge durch die Ohren, allein wenn hier nur dies das Gehörte bliebe, was als Schallwelle das Trommelfell beklopft, dann könnten wir niemals eine Bachsche Fuge hören. Wir hören, nicht das Ohr. Wir hören allerdings durch das Ohr, aber nicht mit dem Ohr, wenn ›mit‹ hier sagt, das Ohr als Sinnesorgan sei das, was uns das Gehörte ermittelt [...] Das jeweils von uns Gehörte erschöpft sich niemals in dem, was unser Ohr als ein in gewisser Weise abgesondertes Sinnesorgan aufnimmt. Genauer gesprochen: Wenn wir hören, kommt nicht nur etwas zu dem hinzu, was das Ohr aufnimmt, sondern das, was das Ohr vernimmt und wie es vernimmt, wird schon durch das gestimmt und bestimmt, was wir hören [...] Unser Gehörorgan ist zwar eine in gewisser Hinsicht notwendige, aber niemals die zureichende Bedingung für unser Hören, jenes, was das eigentlich zu-Vernehmende uns zureicht und gewährt« (Heidegger 1992, 88, kursiv von mir, D.M.). Heidegger wendet hier, was man die ›Erfahrung des Seins‹ nennen könnte, gegen die metaphysische Trennung von Sinnlichem und Nichtsinnlichem. Diese Erfahrung zeige, daß jedes Wahrnehmen mehr ist als das Aufnehmen rein sinnlicher Eindrücke, daß »etwas zu dem hinzukommen« muß, was die Sinnesorgane aufnehmen. So wie das in einer visuellen Metaphorik »Scheinen des Seins« (Heidegger 1992, 97) Genannte, das das Erscheinen von Seiendem ermöglichen soll, kein sinnlich wahrnehmbares Scheinen ist, so wenig ist es ein sinnlich wahrnehmbarer Laut, der »jenes, was das eigentlich zu-Vernehmende [ist, D. M.] uns zureicht«. Für Heidegger haben wir keine unvermittelte Erfahrung von der Welt, sondern alles Wahrnehmen ist vermittelt durch das, was man in einer akustischen Metaphorik den lautlosen Laut des Seins nennen könnte: »Der Satz vom Grund ist einer jener Sätze, die ihr Eigenstes verschweigen. Das Verschwiegene ist das, was nicht verlautet. Das Lautlose zu hören, verlangt ein Gehör, das jeder von uns hat

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

und keiner recht gebraucht. Dieses Gehör hängt nicht nur mit dem Ohr zusammen, sondern zugleich mit der Zugehörigkeit des Menschen zu dem, worauf sein Wesen gestimmt ist. Ge-stimmt bleibt der Mensch auf das, von woher sein Wesen be-stimmt wird. In der Be-stimmung ist der Mensch durch eine Stimme betroffen und angerufen, die umso reiner tönt, je lautloser sie durch das Lautende hindurchklingt« (Heidegger 1992, 91). Dieser unsinnliche, »lautlose« Laut des Seins ist in der Spätphilosophie Heideggers die Bedingung der Möglichkeit u.a. sinnlicher Wahrnehmung. Aus der Erfahrung des Seins, in der die sinnliche Wahrnehmung durch den unsinnlichen Einsatz des Seins ermöglicht wird, weist Heidegger die metaphysische »Trennung von Sinnlichem und Nichtsinnlichem«, die in der metaphorischen Übertragung impliziert sein soll, als unangemessen zurück. Im Zentrum der Forschungsdiskussion zu Heideggers Metaphernkritik steht gar nicht diese Kritik selbst, vielmehr wird schon die Beschreibung der Metapher kritisiert. Zu der Trennung von Sinnlichem und Nichtsinnlichem in Heideggers »maßgeblicher Vorstellung von der Metapher« bemerkt Derrida knapp: »Im ›Satz vom Grund‹ legt er den Akzent vor allem auf den Gegensatz Sinnlich/Nichtsinnlich, ein wichtiges aber sicher nicht das einzige und ohne Zweifel weder ein beliebiges noch ein bestimmendes Merkmal des Wertes der Metapher« (Derrida 1988, 347, Übersetzung verändert, D.M.). Es gibt viele Metaphern – gerade in der Philosophie –, die den Gegensatz von Sinnlich und Nichtsinnlich benutzen, wie Heidegger es beschreibt, aber das gilt nicht für alle Metaphern. Der Gegensatz von Sinnlich und Nichtsinnlich ist daher kein definierendes Merkmal der Metapher. Paul Ricœur attestiert dem anderen Merkmal der »maßgebenden Vorstellung«, wonach die Metapher die »Übertragung« eines isolierten Wortes ist, Ausdruck einer »überholten Semantik« (Ricœur 1991, 257) zu sein. Die in Heideggers Beschreibung dominante räumliche Metaphorik – »übernommen«, »hinübergenommen«, »Hinübertragen«, »Übertragung« (Heidegger 1992, 86-87) – stammt aus einer alten rhetorischen und philosophischen Tradition, die zurückgeht auf die erste explizite Metapherntheorie des Aristoteles’. Aristoteles bestimmt die Leistung der Metapher durch die Metapher der epiphora, ein Ausdruck, dessen räumliche Logik in seine deutsche Übersetzung als »Übertragung« eingegangen ist.105 Die modernen Metaphorologen haben dieser alten »Worttheorie« die Vernachlässigung des Kontextes in der semantischen Analyse der Metapher vorgehalten. Es gibt ja kein einzelnes Wort, das an sich eine Metapher wäre, eine Metapher ist immer ein gewöhnliches Wort in einem Kontext, in den es nicht paßt: Erst »Wort und Kontext zusammen machen die Metapher« (Weinrich 1976, 319).106 Ausgehend von dieser konstitutiven Bedeutung des Kontextes haben die

105 Vgl. meine Diskussion der Metaphorik der Aristotelischen Metapherntheorie unten S. 169 f. 106 Vgl. meine Diskussion der Grundannahmen der modernen Metapherntheorie unten S. 183 f.

II.1.1 HEIDEGGERS METAPHERNKRITIK

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›Modernen‹ gegen die alte Worttheorie eine Theorie der metaphorischen Aussage entwickelt. In ihrem Zentrum steht nicht mehr das einzelne, übertragene Wort, sondern die Interaktion zwischen dem wörtlichen Satzsubjekt und dem metaphorischen Prädikat (oder umgekehrt) innerhalb eines metaphorischen Satzes. Für die modernen Metaphorologen ist die Metapher eine ungewöhnliche und daher interessante Prädikation. Die Vorstellung der Übertragung spielt dabei keine Rolle mehr; sie ist, wie Ricœur sagt, ein Teilstück einer »überholten« semantischen Theorie der Metapher. Als Ergebnis der Forschungsdiskussion läßt sich zusammenfassend sagen, daß die »maßgebende Vorstellung von der Metapher« einerseits falsche und andererseits überholte Vorstellungen von der Metapher enthält. Bemerkenswerterweise zeigt eine genauere Lektüre der Vorlesung nun, daß auch Heidegger genau dieser Meinung zu sein scheint: Wenn Heidegger das Verständnis der Rede vom »Denken«, das »erhört« und »erblickt« (Heidegger 1992, 86), als metaphorisch kritisiert, dann kritisiert er nicht die metaphorische Rede – diese ermöglicht ja gerade, zwischen Sinnlichem und Nichtsinnlichem hin und her zu wechseln, wie Heidegger es für angemessen hält. Er wendet sich vielmehr gegen ein bestimmtes Verständnis dieser metaphorischen Rede: Kritisiert wird die »maßgebende Vorstellung von der Metapher«. In Heideggers Metaphernkritik scheint ein anderer nachmetaphysischer Metaphernbegriff auf. Das läßt sich noch einmal deutlich an der Bemerkung ablesen, mit der Heidegger seine »Abschweifung« über die Metapher beschließt, und zwar besonders an der Verwendung des Wortes »maßgebend«: »Die Vorstellung von ›übertragen‹ und von der Metapher beruht auf der Unterscheidung, wenn nicht gar Trennung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen als zweier für sich bestehender Bereiche. Die Aufstellung dieser Scheidung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen, des Physischen und Nichtphysischen ist ein Grundzug dessen, was Metaphysik heißt und das abendländische Denken maßgebend bestimmt. Mit der Einsicht, daß die genannte Unterscheidung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen unzureichend bleibt, verliert die Metaphysik den Rang der maßgebenden Denkweise. Mit der Einsicht in das Beschränkte der Metaphysik wird auch die maßgebende Vorstellung von der ›Metapher‹ hinfällig. Sie gibt nämlich das Maß für unsere Vorstellung vom Wesen der Sprache [...] Das Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik«. (Heidegger 1992, 88-89, kursiv von mir, D.M.). Die »maßgebliche Vorstellung von der Metapher« ist Teil der »maßgebenden Denkweise« des Abendlandes, der Metaphysik. Indem die Metaphysik als das »Maß« unseres Denkens fraglich wird, wird auch der mit ihr verbundene metaphysische Metaphernbegriff »hinfällig«. Heidegger formuliert denn auch, worum es ihm in dem Exkurs über die Metapher geht, so: »Was sollen diese Hinweise, die sich wie eine Abschweifung ausnehmen? Sie möchten uns zur Behutsamkeit bringen, damit wir nicht voreilig die Rede vom Denken als einem Er-hören und einem Er-blicken für eine bloße Metapher halten und sie so zu leicht nehmen« (Heidegger 1992, 89, kursiv von mir, D.M.). Heideggers Kritik an dem metaphysischen Metaphernbegriff gilt einem Verständnis der Metapher als »bloßer Metapher«, das sie »zu leicht« nehmen

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

würde. Aber heißt das nicht, daß hier ex negativo ein anderer, nachmetaphysischer Metaphernbegriff gefordert wird? Ein Metaphernbegriff, der die Bedeutung der Metapher für die Philosophie ernst und eben nicht »zu leicht« nähme? Jean Greisch hat es in seinem Aufsatz Les mots et les roses so gesehen: »Il semble que ces remarques nous invitent à voir dans ce texte encore autre chose que l’exécution capitale et sommaire de la représentation métaphysique de la métaphore. Ce que Heidegger reproche à cette dernière, ce n’est pas tellement le fait qu’elle élabore une théorie de la métaphore, mais l’insuffisance de cette théorie, qui semble sous-estimer la métaphore. L’allusion à la ›simple‹ métaphore appelle donc nécessairement une autre question: dans quelle direction faut-il chercher la ›véritable‹ métaphore? Le renoncement à la théorie métaphysique de la métaphore ne semble pas pour Heidegger être équivalente d’une liquidation pure et simple de la question de la métaphore« (Greisch 1973, 441). Heidegger hat keine Theorie der véritable métaphore, keinen nachmetaphysischen Metaphernbegriff entwikkelt. Tatsächlich muß man der Vorlesung ja eher mühsam entlocken, daß es sich bei ihrer Metaphernkritik nicht nur um eine »exécution capitale et sommaire de la représentation métaphysique de la métaphore« handelt. Für die französischen Metapherntheoretiker wird bei ihren Überlegungen zu einem neuen Metaphernbegriff daher der virtuose Metapherngebrauch der späten Texte Heideggers wichtig. Derrida nennt es eine Greisch und Ricœur »gemeinsame [...] Behauptung, daß die metaphorische Kraft des Heideggerschen Textes mächtiger und entscheidender ist als die These über die Metapher, die Heidegger vertritt. Die Metaphorik dieses Textes soll über das hinausgreifen, soll das entgrenzen, was Heidegger thematisch – in der Manier einer vereinfachenden Anklage – über den sogenannten ›metaphysischen‹ Metaphernbegriff sagt«. Und er fügt hinzu: »Einer solchen Behauptung würde ich fast ohne Einschränkung zustimmen« (Derrida 1998, 216).

II.1.2 Heideggers Metapherngebrauch II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

Heideggers Metapherngebrauch werde ich paradigmatisch an seiner Verwendung einer Metapher aus Hölderlins Elegie »Brod und Wein« im Rahmen seiner eigenen Sprachphilosophie einführen. In den interessantesten Fällen – so die These – benutzt er Metaphern für ein fundamentales retroping: Insbesondere durch die Verwendung von Metaphorik entwirft Heidegger die neuen seinsgeschichtlichen Perspektiven seiner Spätphilosophie gegen die philosophische Tradition. Heidegger entwickelt seine sprachphilosophischen Überlegungen in den drei Vorträgen von 1957/58, die unter dem Titel »Das Wesen der Sprache« veröffentlicht sind, entlang eines »Leitwortes« (Heidegger 1993, 176), das eine »Ur-Kunde vom Sprachwesen« gibt: »Das Wesen der Sprache : Die Sprache des Wesens« (Heidegger 1993, 200). Das »Leitwort« soll einen »Wink« in eine andere »Erfahrung der Sprache« (Heidegger 1993, 202) geben. Das ist schwierig, »denn das Wesen der Sprache ist uns durch vielfältige Bestimmungen so bekannt, daß wir

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

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uns nur schwer daraus lösen können«. Heidgger beginnt daher mit einer Rekonstruktion dessen, was er die »geläufige Vorstellung von der Sprache« nennt: »Die Sprache begegnet« zunächst »als Tätigkeit des Sprechens, als Betätigung der Sprachwerkzeuge, als da sind: der Mund, die Lippen, die Zunge. Die Sprache zeigt sich im Sprechen als eine am Menschen vorkommende Erscheinung. Daß die Sprache seit langer Zeit von da her erfahren, vorgestellt und bestimmt wird, bezeugen die Namen, die sich die abendländischen Sprachen selbst gegeben haben: glossa, lingua, langue, language. Die Sprache ist die Zunge« (Heidegger 1993, 203). Heideggers Diskussion der historischen Erscheinungen der »geläufigen Auffassung von Sprache« in der Antike und im Christentum läßt sich so verstehen, daß er sie als Produkte der metaphorischen Logik auffaßt, die er mit dem Satz »die Sprache ist die Zunge« formuliert. Diese ›Metaphoro-Logik‹ legt vor allem eine anthropozentrische Auffassung von Sprache nahe, für die sich »Sprache im Sprechen als eine am Menschen vorkommende Erscheinung zeigt« (Heidegger 1993, 203). Für das Christentum verweist er auf die Erzählung des Pfingstwunders aus der »Apostelgeschichte«. Dort heißt es, daß »Zungen wie von Feuer« (Apg 2,3) auf die Apostel niedergingen, bevor sie »begannen, in fremden Sprachen zu reden« (Apg 2,4). Hier erscheinen die Sprachen wirklich als Zungen.107 Ebenfalls anthropozentrisch, allerdings in andere Weise, ist für Heidegger die »griechische Kennzeichnung des Sprachwesens«. Ihm lastet er seinen Logozentrismus, seine Betonung der Stimme an: »Der logos, das Aussagen, wird im Ausgang von der lautlichen Erscheinung des Sprechens vorgestellt« (Heidegger 1993, 203). Heidegger führt zum Beleg die Stelle aus Aristoteles’ Peri Hermeneias an: »Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme Symbole für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und unsere schriftlichen Äußerungen sind wiederum Symbole für (sprachliche) Äußerungen unserer Stimme [...] Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen Menschen dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, für alle dieselben«.108 Der erste Satz ordnet die Zeichen- und Bedeutungstheorie um das zentrale Phänomen der Stimme an. In beiden Sprachmodellen wird Sprache vom Menschen her verstanden.

107 Ob nun gerade das Pfingstwunder ein gutes Beispiel für eine anthropozentrische Sprachauffassung ist, kann man bezweifeln angesichts der Tatsache, daß es darüber in der Bibel heißt: »Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab« (Apg 2, 4). 108 Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 1, Teil II: Peri Hermeneias. Übers. u. erläutert v. Hermann Weidemann. Zweite, veränderte Auflage, Berlin 2002, S. 3.

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

Der Anthropozentrismus ist für Heidegger der Kardinalfehler der meisten abendländischen Sprachtheorien.109 Immer wieder hat er die anthropozentrische Logik sprachphilosophischer Metaphorik kritisiert: An der Vorstellung der Sprache als Zunge moniert er die durch diesen metaphorischen Horizont nahegelegte, rein menschliche Herkunft der Sprache. An der Metaphorik der Sprache als »Ausdruck« oder »Äußerung« (Heidegger 1976, 326) eines Inneren wird im Humanismusbrief die Einschränkung der Möglichkeiten des Bedeutens auf die Intentionen des Sprechers kritisiert. An der Metapher der Sprache als »Instrument« (Heidegger 1976, 318) hält Heidegger die damit implizierte Auslieferung der Sprache an das menschliche »Wollen und Betreiben« für problematisch. An allen diesen absoluten Metaphern der Sprachphilosophie kritisiert er die Einschränkung der Sprache auf den Bereich des Menschlichen. An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Seitenblick auf Wittgenstein werfen: Zunächst fällt auf, daß die »Zeichenbeziehungen« (Heidegger 1993, 204) des Peri-Hermeneias-Zitates Ähnlichkeiten mit der Zeichentheorie der ConfessionesStelle hat, mit der Wittgenstein die Philosophischen Untersuchungen eröffnet (Wittgenstein 1969, 289). Tatsächlich läßt sich auch das Grundanliegen der späten Sprachphilosophien Heideggers und Wittgensteins ähnlich beschreiben: Beiden geht es um eine Umstellung der grund-legenden absoluten Metaphorik der modernen gegenüber der vorhergehenden Sprachphilosophie. Allerdings konzentriert sich die Kritik Heideggers und Wittgensteins auf unterschiedliche sprachphilosophisch relevante Metaphernfelder: Heidegger geht es vor allem um alle Spielarten anthropozentrischer Metaphorik, während bei Wittgenstein die Auseinandersetzung mit dem metaphorischen Modell der Sprache als Bild der Welt im Zentrum steht. In den Philosophischen Untersuchungen geht es um die Kritik an und Alternativen zu der abbildtheoretischen Bild-Metapher nicht zuletzt seines Tractatus’. Dagegen mobilisiert Wittgenstein, grob gesagt, eine andere Metapher, die des »Sprachspieles«. Blumenberg hat auf diese metaphorologische Dimension von Wittgensteins Auseinandersetzung mit seinem Frühwerk anläßlich einer Interpretation des § 115 – »Ein Bild hielt uns gefangen« – der Philosophischen Untersuchungen hingewiesen: »Hat man das als unmittelbare Kritik am ›Tractatus‹ aufzufassen, läßt sich die Iteration vertreten, es sei das ›Bild des Bildes‹ gewesen, das den Erkenntnistheoretiker der Frühschrift gefangengehalten hatte«.110 Wittgenstein wendet sich gegen die Prägekraft der sprachphilosophischen Bild-Metaphorik, während Heidegger die Sprachphilosophie aus dem semantischen Horizont anthropozentrischer Metaphorik herauszulösen versucht.

109 Vgl. dazu auch Heideggers Kritik an der Sprachtheorie Wilhelm von Humboldts: »Humboldts Weg zur Sprache nimmt die Richtung auf den Menschen, führt durch die Sprache hindurch auf anderes: das Ergründen und Darstellen der geistigen Entwicklung des Menschengeschlechtes« – vgl. Martin Heidegger, »Der Weg zur Sprache«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, a.a.O., S. 239268: 249. 110 Hans Blumenberg, »Im Fliegenglas«, in: ders., Höhlenausgänge, Frankfurt/Main 1989, S. 752792: 775.

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

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Dieses Herauslösen der Sprache aus dem theoretischen Korsett der anthropozentrischen Metaphorik der Sprache als Zunge beginnt Heidegger in der Vorlesung, indem er fragt, »ob in den angeführten Vorstellungsweisen [...] das Leibhafte der Sprache, Laut- und Schriftzug, zureichend erfahren wird« (Heidegger 1993, 204). Er führt dann das Phänomen der »Mundarten« (Heidegger 1993, 205) an. »In den Mundarten spricht je verschieden die Landschaft und d.h. die Erde. Aber der Mund ist nicht nur eine Art von Organ an dem als Organismus vorgestellten Leib, sondern Leib und Mund gehören in das Strömen und Wachstum der Erde, in dem wir, die Sterblichen, gedeihen« (Heidegger 1993, 204). In den Mundarten findet Heidegger ein sprachliches Phänomen, in dem – nach seiner Interpretation – der Mund und also die Zunge weniger als Teil des autonomen menschlichen »Organismus« erscheinen, sondern »in das Strömen und Wachstum der Erde gehören«. Mit dem Phänomen der Mundarten läßt Heidegger im anthropozentrischen metaphorischen Paradigma der Sprache als Zunge eine Anomalie, etwas der Paradigma-Logik Widersprechendes, aufblitzen: ein sprachliches Phänomen, in dem nicht der Mensch der Ursprung der Sprache ist. 111 Der nächste Absatz bringt die Wendung in ein neues metaphorisches Paradigma: Heidegger führt dicht hintereinander vier Passagen aus Hölderlin-Gedichten an, die Aussagen über die Sprache enthalten. Die »Brod und Wein«-Stelle wird am ausführlichsten erläutert: »Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn«. Paul de Man hat der Zeile, ohne auf Heidegger einzugehen, eine minutiöse Lektüre gewidmet.112 Dabei hat er den dynamischen Charakter des Gleichnisses betont. »The image is essentially a kinetic process: it does not dwell in a static state where the two terms could be separated and reunited by analysis [...] The metaphor requires that we begin by forgetting all we have previously known about ›words‹ [...] and then informing the term with dynamic existence similar to that which animates the ›flowers‹« (de Man 1984, 3-4, kursiv von mir, D.M.). Der von de Man in der Metapher bemerkte »kinetic process« spiegelt sich genau in Heideggers Verwendung der Metapher in seiner eigenen Argumentation wider: Er benutzt sie als Übergang von der »geläufigen Auffassung von Sprache« – »all we have previously known about ›words‹« – in eine neue Ansicht der Sprache. Auch

111 Anomalien sind nach Thomas Kuhn Auslöser von Paradigmenwechseln. »Anomalie« nennt Kuhn die »Erkenntnis, daß die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten, die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfüllt hat« – vgl. Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, übers. v. Kurt Simon, Frankfurt/Main 1973, S. 80. »Die Wahrnehmung einer Anomalie – eines Phänomens also, auf welches das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatte – spielt eine wesentliche Rolle als Wegbereiter für die Wahrnehmung von Neuem« (Kuhn 1980, 86). Genau das ist die Rolle, die das Beispiel der Mundarten im Verlauf von Heideggers Argument spielt: »Wegbereiter für die Wahrnehmung« einer neuen, nicht-anthropozentrischen Auffassung von Sprache zu sein. 112 Paul de Man, »Intentional Structure of the Romantic Image«, in: ders., The Rhetoric of Romanticism, New York 1984, S. 1-17.

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

den thematischen Schauplatz dieses Übergangs hat de Man klar benannt: »The two terms of the simile are not said to be identical with one another (the word = the flower), nor analogous in their general mode of being (the word is like the flower), but specifically in the way they originate [...] The metaphor is not a combination of two entities or experiences more or less deliberately linked together, but one single and particular experience: that of origination« (de Man 1984, 4/5). Es geht um eine neue Ansicht der Herkunft von Sprache: »Worte, wie Blumen, entstehn«. Heidegger betont, daß »Worte, wie Blumen« keine Metapher sei: »Wir blieben in der Metaphysik hängen, wollten wir dieses Nennen Hölderlins in der Wendung ›Worte, wie Blumen‹ für eine Metapher halten« (Heidegger 1993, 207). Die Erwähnung der »Metaphysik« legt es nahe, Heideggers Aussage als Zurückweisung des von ihm in der etwa zeitgleichen Vorlesung Der Satz vom Grund kritisierten metaphysischen Metaphernbegriffes zu verstehen. Hölderlins Worte beschreibt er dagegen als ein »Nennen«. Was geschieht in diesem »Nennen«? Nach Heidegger wird hier »das Wort zurückgeborgen in seine Wesensherkunft« (Heidegger 1993, 207): »Wird das Wort die Blume des Mundes und Blüte genannt, dann hören wir das Lauten der Sprache erdhaft aufgehen [...] Das Lautende der Stimme ist so nicht mehr nur leiblichen Organen zugeordnet. Es ist aus dem Gesichtskreis der physiologisch-physikalischen Erklärung der bloß phonetischen Bestände herausgelöst« (Heidegger 1993, 208). Durch den »kinetic process« (de Man 1984, 3), der sich in der Metapher »Worte, wie Blumen, entstehn« vollzieht, wird das Wort einerseits aus dem metaphorischen Horizont des sprachphilosophischen Anthropozentrismus »herausgelöst« und gleichzeitig wird ein neuer metaphorischer Horizont einer nicht-anthropozentrischen Vorstellung der Herkunft von Sprache eröffnet. Heideggers Argumentation ist an dieser Stelle – und, das ist die These dieses Kapitels: auch an anderen wichtigen Stellen – durch und durch metaphorologisch: Er gebraucht Hölderlins Metapher für ein fundamentales re-troping, die Umbesetzung einer zentralen, grund-legenden sprachphilosophischen Metaphorik. In der sprachphilosophischen Metaphorik des Anthropozentrismus ist Sprache um den Menschen als Sprecher angeordnet: Er ist Herkunft (Zunge), Zentrum des Bedeutens (Ausdruck) und Beherrscher (Instrument) der Sprache. Durch die Metapher »Worte, wie Blumen, entstehn« wird der Mensch aus dem Zentrum der Sprachphilosophie entsetzt. »Worte, wie Blumen, enstehn« wird die »trope instituteur« (Derrida 1988, 214) einer nicht-anthropozentrischen Sprachphilosophie. Durch die Metapher entwirft Hölderlin/Heidegger die Grundstruktur eines neuen Verständnisses des Seins oder Wesens der Sprache: Die Sprache ist nicht die Zunge, sondern entsteht wie Blumen. Nicht der Mensch spricht die Sprache, sondern etwas spricht durch ihn. Hölderlins »Nennen« ist das Modell einer nachmetaphysischen Metapher, die als trope instituteur die Setzung eines neuen Seinsverständnisses der Sprache darstellt.113 113 Zur Konzeption einer nachmetaphysischen Metapher vgl. unten S. 201 f. u. 208 f.

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

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Es ist kein Zufall, daß das Modell einer nachmetaphysischen Metapher in Heideggers Text aus der Dichtung und dabei wiederum aus der Hölderlins stammt. Im Folgenden werde ich Heideggers Sprachauffassung diskutieren und auf die besondere Rolle der Dichtung darin sowie auf die ausgezeichnete Stellung Hölderlins eingehen. Die Zusammenhänge lassen sich knapp so zusammenfassen: Für Heidegger »ist die Sprache selbst Dichtung«.114 Wenn Sprache Dichtung ist, »muß umgekehrt das Wesen der Sprache aus dem Wesen der Dichtung verstanden werden«.115 Dabei spielt Hölderlin eine zentrale Rolle, denn Hölderlin ist »der Dichter des Dichters« (Heidegger 1981, 34), und das heißt: »Hölderlin dichtet das Wesen der Dichtung« (Heidegger 1981, 47) und also der Sprache. Wie in der Darstellungstheorie Schellings kommt auch in Heideggers Spätphilosophie der Kunst eine besondere Bedeutung zu. Während Schelling Kunst allerdings eng an das Paradigma der Darstellung bindet und sie dadurch auch in das Weltalter-Projekt einbezieht, spielt bei Heidegger diese mimetische Dimension nur eine geringe Rolle: Die seinsgeschichtlich zentrale Funktion der Kunst ist die Stiftung eines geschichtlichen Seinsbezugs: Die eigentliche Tätigkeit des Dichters ist das »Nennen« (Heidegger 1981, 41). »Der Dichter nennt die Götter und nennt alle Dinge, in dem, was sie sind. Dieses Nennen besteht nicht darin, daß ein vordem schon Bekanntes nur mit einem Namen versehen wird, sondern indem der Dichter das wesentliche Wort spricht, wird durch diese Nennung das Seiende erst zu dem ernannt, was es ist [...] Dichtung ist worthafte Stiftung des Seins« (Heidegger 1981, 41). Man sollte sich das Nennen also nicht als ein Namen-geben vorstellen, etwa nach dem Modell, daß der Dichter vor einen Gegenstand tritt und sagt: »Dieses Seiende nennen wir von jetzt an ›Dunstabzugshaube‹«. Der Dichter benennt nicht das Seiende, sondern er nennt das Sein des Seienden. »Worte, wie Blumen, entstehen« sagt etwas über das Sein der Sprache. Dichtung stiftet im Wort ein Seinsverständnis des Seienden. »Dichtung ist Stiftung durch das Wort und im Wort« (Heidegger 1981, 41). Alle Kunst ist für Heidegger Stiftung: Sie ist ein »Ins-Werk-Setzen der Wahrheit« (Heidegger 1994, 62). Als diese Ins-Werk-setzende Stiftung ist auch alle Kunst im Wesen Dichtung: »Das Wesen der Kunst ist die Dichtung. Das Wesen der Dichtung aber ist die Stiftung der Wahrheit« (Heidegger 1994, 63). Die dichterische Leistung des Nennens ist die eigentlich künstlerische Leistung in jedem Kunstwerk: »Kunst geschieht als Dichtung« (Heidegger 1994, 65). Jede andere Kunstgattung leitet sich aus der grundlegenden künstlerischen Leistung der Dichtung ab: »Bauen und Bilden dagegen geschehen immer schon und immer nur im Offenen der Sage und des Nennens« (Heidegger 1994, 62).

114 Martin Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, in: ders., Holzwege. Siebte, durchgesehene Auflage, Frankfurt/Main 1994, S. 1-74: 62. 115 Martin Heidegger, »Hölderlin und das Wesen der Dichtung«, in: ders., Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 4: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Frankfurt/Main 1981, S. 33-48: 43.

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

Die »worthafte Stiftung des Seins« ist ein Gründen im Werk: »Die Kunst ist Geschichte in dem wesentlichen Sinne, daß sie Geschichte gründet« (Heidegger 1994, 65). In der Stiftung des Seins durch das Nennen der als Dichtung verstandenen Kunst ist die Geschichte gegründet: »Dichtung ist der tragende Grund der Geschichte und deshalb auch nicht nur eine Erscheinung der Kultur und erst recht nicht der bloße ›Ausdruck‹ einer ›Kulturseele‹« (Heidegger 1981, 42, kursiv von mir, D.M.). Vielmehr ist es umgekehrt: Die geschichtliche »Kultur« und »Kulturseele« eines Volkes ›wachsen‹ aus dem »tragenden Grund« der Dichtung. »In solchem Sagen werden einem geschichtlichen Volk die Begriffe seines Wesens, d.h. die Zugehörigkeit zur Welt-Geschichte vorgeprägt« (Heidegger 1994, 62). Die Bedeutung von Kunst als Dichtung für den Menschen ist im wörtlichen Sinn fundamental: Dichtung gründet den Grund eines geschichtlichen Volkes. Diese Gründung ist kein einmaliger und dann ewig gültiger Akt, sondern der Grund ist ein geschichtlicher: Jeder Zeit muß ihr Grund von ihrer geschichtlichen Kunst gestiftet werden. Was die Kunst als Dichtung stiftet, ist die eine Kultur be-gründende geschichtliche Erfahrung des Seins des Seienden: ihres eigenen geschichtlichen Seins, seine »Zugehörigkeit zur Welt-Geschichte« und des geschichtlichen Wesens des umgebenden Seienden. Durch die »worthafte Stiftung des Seins« (Heidegger 1981, 41) als dem »tragenden Grund der Geschichte« (Heidegger 1981, 65) eines Volkes markiert die Dichtung einen Grundriß, in dem sich das alltägliche Sprechen bewegt. »Dichtung ist das stiftende Nennen des Seins und des Wesens aller Dinge – kein beliebiges Sagen, sondern jenes, wodurch erst all das ins Offene tritt, was wir dann in der Alltagssprache bereden und verhandeln« (Heidegger 1981, 43). Das Verständnis der Alltagssprache hält sich in dem von der Dichtung eröffneten Horizont. Es lassen sich hier also zwei Schichten in der Sprache unterscheiden: eine be-gründende Tiefenschicht des dichterischen Sprechens und eine Alltagssprache, die sich in dem von der Dichtung abgesteckten Grundriß bewegt. Die begründende Funktion der sprachlichen Stiftung der Dichtung hat Heidegger betont: »Dichtung ist die Ursprache eines geschichtlichen Volkes« (Heidegger 1981, 43). Dichtung stiftet den Grund eines geschichtlichen Volkes, aber diese Stiftung ist keine selbstherrliche Setzung des Dichters, sondern »Geschenk« (Heidegger 1981, 42). Der Dichter gehorcht seinerseits »Winken«. »Das Sagen des Dichters ist das Auffangen dieser Winke, um sie weiter zu winken in sein Volk« (Heidegger 1981, 46). Den Geschenk-Charakter besonders – aber nicht nur – der dichterischen Sprache möchte ich an der vielleicht bekanntesten Metapher der Heideggerschen Sprachphilosophie erläutern: Nach Heidegger »ist die Sprache das vom Sein ereignete und aus ihm durchfügte Haus des Seins« (Heidegger 1976, 333). In der »worthaften Stiftung des Seins« wird das geschichtliche Sein des Seienden genannt. Insofern ›wohnt‹ das Sein des Seienden in der Sprache, ist sie »das Haus des Seins«. Die Sprache einer geschichtlichen Epoche ist das Haus, in dem ihre geschichtlich je andere Erfahrung des Seins des Seienden sich ausspricht, ›wohnt‹.

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

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In dem angeführten Satz aus dem Humanismusbrief betont Heidegger nun zusätzlich, daß das Haus des Seins auch noch »vom Sein ereignet und aus ihm durchfügt« sei. Das Sein ist also nicht nur ›Bewohner‹ des Hauses der Sprache, sondern auch ›Architekt‹ oder ›Bauherr‹. Tatsächlich sind hier zwei Seinsbegriffe im Spiel:116 Das Sein des Seienden, der ›Bewohner‹ des Sprach-Hauses, ist eine für jede geschichtliche Epoche verschiedene Erfahrung des Wesens der Dinge. Davon unterschieden ist das Architekten- oder Bauherren-Sein, das ich im Folgenden provisorisch das andere Sein nennen werde. Um dieses andere Sein kreist Heideggers Spätphilosophie: Es ist der Grund der abendländischen Geschichte. Wenn dieses Architekten-Sein das Haus der Sprache durchfügt, ist es der Grund der grund-legenden worthaften Stiftung der Dichtung.117 Das stiftende Nennen des Seins des Seienden der Dichter stammt aus dem anderen Sein. »Dieses Nennen ernennt das Seiende zu seinem Sein aus diesem« (Heidegger 1994, 61, kursiv im Original). Die Dichtung »bringt nämlich in ihrem Sagen nur das ungesprochene Wort des Seins zur Sprache« (Heidegger 1976, 361). Der Dichter spricht aus, was aus dem anderen Sein sich ihm zuspricht, zuwinkt, und stiftet so in seiner Nennung des geschichtlichen Seins des Seienden den Grund seines Volkes. Daher ist die Dichtung, die das Sein des Seienden nennt, »Geschenk« des anderen Seins. In Schellings Weltaltern war Sprache ein Mittel der Darstellung; wie ›funktioniert‹ die Sprache in Heideggers Spätphilosophie? »Die Sprache ist nicht nur ein Werkzeug, das der Mensch neben vielen anderen auch besitzt, sondern die Sprache gewährt überhaupt erst die Möglichkeit, inmitten der Offenheit des Seienden zu stehen. Nur wo Sprache, da ist Welt« (Heidegger 1981, 38). Die höchste Möglichkeit der Sprache zeigt sich in der Dichtung: Sprache ist Welterschließung. Durch die Sprache (als Dichtung) wird einer geschichtlichen Sprachgemeinschaft das Sein des Seienden erschlossen. Das so gestiftete Vorverständnis bildet den Horizont, in dem sich das Seinsverständnis des alltäglichen Sprechens hält. Was aber geschieht in der philosophischen Sprache der Spätphilosophie Heideggers selber? In Heideggers Spätphilosophie spricht sich die Herkunft der Sprache als Dichtung und der abendländischen Geschichte aus dem anderen Sein aus. Die abendländische Metaphysikgeschichte beruht in dem anderen Sein, aber diese Tatsache ist in ihr vergessen.118 Heideggers Begriff der »Seinsvergessenheit« be116 Zur Unterscheidung der zwei Seinsbegriffe vgl. das Kapitel »Die zwei Seinsbegriffe« unten S. 104-107. 117 In der Vorlesung Der Satz vom Grund sagt Heidegger: »Sein als gründendes hat keinen Grund, spielt als der Ab-Grund jenes Spiel, das als Geschick uns Sein und Grund zuspielt« (Heidegger 1992, 188). Heidegger insistiert auf einer Differenz des anderen Seins zur abendländischen Vorstellung des Grundes: das Sein ein gründender Ab-Grund. Die abendländische Idee des Grundes ist die von einem Seienden, das andere Sein ist als der abgründige Grund alles Seienden selbst kein Seiendes. Aber dieser Ab-Grund ist der Grund, aus dem das Sein des Seienden ›wächst‹. 118 Heidegger hat diese These von der Herkunft der Metaphysik aus dem anderen Sein veranschaulicht, indem er ein von Descartes gebrauchtes Bild für die Philosophie aufgriff: Descartes vergleicht die Philosophie einem Baum, dessen Wurzeln die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen vom Stamm abgehende Äste alle anderen Wissenschaften seien – vgl. Martin

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

deutet die Vergessenheit der Herkunft der abendländischen Geistesgeschichte aus dem anderen Sein. In der Spätphilosophie kommt das andere Sein zum ersten Mal wieder als es selbst zur Sprache. Insofern zeichnet sich in der Spätphilosophie ein vorsichtiges Ende der Seinsvergessenheit und ein neuer Advent des anderen Seins ab. Ist Heideggers Spätphilosophie also wie Schellings Weltalter eine Darstellung? Eine Darstellung der Herkunft der abendländischen Geschichte aus dem anderen Sein? Es könnte zunächst so scheinen. Tatsächlich aber erweist sich das andere Sein als das Undarstellbare. Die notorische inhaltliche Unklarheit, die den zentralen Begriff der späten Seinsphilosophie umgibt, ist kein Zufall: Das andere Sein ist das »Ungedachte«119 und »Un-gesagte« (Heidegger 1992, 158) der abendländischen Metaphysikgeschichte; alle sprachlichen Kategorien der Metaphysik sind Kategorien für Seiendes. Das andere Sein ist jedoch das ganz Andere alles Seienden und entzieht sich der metaphysisch geprägten Sprache, die es nur im wörtlichen Sinne um-schreiben, darum-herum-schreiben kann. In seiner Antrittsvorlesung »Was ist Metaphysik?« hat Heidegger diese völlige Andersheit des Seins dadurch deutlich zu machen versucht, daß er es »das Nichts« nannte:120 Das ganz Andere alles Seienden kann für eine Metaphysik, die nur das Seiende kennt, nur ein Nichts sein. Heideggers Sprachnot angesichts des anderen Seins zeichnet sich in seinem Sprechen deutlich ab: Es lassen sich mindestens vier Formen, von dem anderen Sein zu sprechen, ausmachen. Es finden sich (1) ›tautologische‹ Bestimmungen des anderen Seins: »[...] was ist das Sein? Es ›ist‹ Es selbst« (Heidegger 1976, 331).121 Daneben kommen (2) ›negative‹ Bestimmungen vor, bei denen es vor allem darum geht, bekannte Bestimmungen abzuweisen: »Das ›Sein‹ – das ist nicht Gott und nicht ein Weltgrund« (Heidegger 1976, 331). Schließlich verwen-

Heidegger, »Einleitung zu: ›Was ist Metaphysik?‹«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 365-383: 365. Heidegger stimmt dem Bild zu, hält es aber nicht für abgeschlossen: »Wir fragen, um im Bild zu bleiben: In welchem Boden finden die Wurzeln des Baumes der Philosophie ihren Halt? [...] Worin ruht und regt sich die Metaphysik?« (Heidegger 1976, 365). Dieser »Boden« ist das, was ich bisher provisorisch das ›andere Sein‹ genannt habe. 119 Martin Heidegger, »Platons Lehre von der Wahrheit«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 203238: 203. 120 Martin Heidegger, »Was ist Metaphysik?«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 103-122: 119. – Diese paradoxe Figur, das ganz Andere das Nichts zu nennen, findet sich schon in der Scholastik: Duns Scotus nennt das Gutsein Gottes, weil es »über alles Begreifen erhaben ist«, das »Nichts« – vgl. Josef Koch, »Über die Lichtsymbolik im Bereich der Philosophie und der Mystik des Mittelalters«, in: Studium Generale 13 (1960), S. 653-670: 658. Viele Topoi der Heideggerschen Sprachnot angesichts des undarstellbaren Seins finden sich schon im Neuplatonismus und in der Scholastik. Es dürfte nur Heideggers Rhetorik der radikalen Differenz seiner Spätphilosophie zur metaphysischen Tradition sein, die diese Nähe bisher überdeckt hat. 121 Auch Stephan Grotz sieht Heideggers Verwendung von Tautologien im Kontext einer »Sprachnot« angesichts des unaussprechlichen Sein – vgl. Vom Umgang mit Tautologien: Martin Heidegger und Roman Jakobson, Hamburg 2000, S. 85-171: v.a. 119 f.

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

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det Heidegger (3) ›paradoxale‹ Beschreibungen: »Das Sein ist das Nächste. Doch die Nähe bleibt dem Menschen am fernsten« (Heidegger 1976, 331). Die ›tautologische‹, ›negative‹ und ›paradoxale‹ Beschreibung des anderen Seins artikulieren durch die Abweisung jeder einfachen oder bekannten Bestimmung die Negativität des Seins selbst als des ganz Anderen. Darüber hinaus verwendet Heidegger (4) metaphorische Bestimmungen des anderen Seins. Da ist die Rede von der »Lichtung des Seins« (Heidegger 1976, 332) oder dem »Geschick« (Heidegger 1976, 363). Diese metaphorischen Bestimmungen prägen Heideggers Sprechen am nachhaltigsten, denn im Unterschied zu den drei anderen Arten enthalten die Metaphern positive Bestimmungen, die nun auf das andere Sein selbst übergehen. Derrida meint, daß sich die Metaphysik angesichts der Vergessenheit ihres Grundes immer schon in einer »tropischen Situation« befinde: »Das Sein würde sich allein in einer metaphorisch-metonymischen Verschiebung oder Abweichung nennen lassen, weil es sich nicht offenbaren, nicht zeigen kann, ohne sich in einer epochalen Bestimmung zu verhüllen, in einem ›als‹, welches das ›als solches‹, dem es zugehört, durchkreuzt« (Derrida 1998, 217). Zwar ist die Metaphysik aus dem anderen Sein bestimmt, aber es selbst »als solches« erscheint in ihr nicht: Die Sprache der Metaphysik kann das andere Sein nie eigentlich nennen. Die Frage ist aber, ob das überhaupt möglich ist. Heideggers Spätphilosophie spricht offensichtlich von dem anderen Sein, das in der Metaphysik vergessen ist und sich in ihr nur in einer »Verschiebung und Abweichung nennen« läßt. In Heideggers Denken kommt das andere Sein zur Sprache. Aber ist das ein eigentliches Sprechen? Auch Heidegger kann von dem anderen Sein nur negativ oder metaphorisch sprechen. Die Sprache ist das aus dem anderen Sein »durchfügte Haus des Seins« (Heidegger 1976, 333), und doch bleibt dieser Herkunftsgrund allen Sprechens selbst der Sprache eigentümlich transzendent und auf wörtliche Weise unsagbar: Angesichts des anderen Seins ist alles Sprechen metaphorisch. Die Metapher bleibt daher auch eines der ausgezeichneten Medien der späten Seinsphilosophie Heideggers. Die Dichtung nennt die tropes instituteurs eines geschichtlichen Verständnisses des Seins des Seienden. Heideggers Spätphilosophie kreist um die tropes instituteurs eines Sprechens vom anderen Sein. Die Metaphern der späten Seinsphilosophie sollen den modernen Menschen in ein bewußtes Bewohnen des sprachlichen Hauses des Seins geleiten: »Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und die Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren« (Heidegger 1976, 313). Das Wesen der Sprache nennt Heidegger die »Sage« (Heidegger 1993, 253). »Das Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige« (Heidegger 1993, 254). »Die Sage ist Zeigen. In allem Sprechen waltet das Zeigen, das Anwesendes erscheinen, Abwesendes entscheinen läßt. Die Sage ist keineswegs der nachgetragene sprachliche Ausdruck des Erscheinenden, vielmehr beruht alles Scheinen und

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II.1 METAPHERNKRITIK UND METAPHERNGEBRAUCH

Verscheinen in der zeigenden Sage« (Heidegger 1993, 257). Durch das Zeigen der Sprache erscheint für den Menschen Seiendes. Spricht der Sprechende aus dem Wohnen in dem Haus der Sage heraus, folgt er den vom anderen Sein »ereigneten« Bahnungen in der Sprache. Die Sprache ist die »Be-wëgung«: »Wir hören das Wort Be-wëgung im Sinne von: Wege allererst ergeben und stiften« (Heidegger 1993, 198). »Die Sprache [...] eignet dem alles Be-wëgenden als dessen Eigenstes. Das All-Be-wëgende bewëgt, indem es spricht« (Heidegger 1993, 201). Wer aus der zeigenden Sage heraus spricht, folgt den Be-wëgungen der Welt aus dem anderen Sein heraus. »Das Regende im Zeigen der Sage ist das Eignen. Es erbringt das An- und Abwesende in sein jeweilig Eigenes, aus dem dieses sich an ihm selbst zeigt und nach seiner Art verweilt. Das Erbringende Eignen, das die Sage als die Zeige in ihrem Zeigen regt, heiße das Ereignen [...] Das Ereignende ist das Ereignis selbst« (Heidegger 1993, 258). Das Sprechen aus der zeigenden Sage läßt alles Seiende »in sein jeweilig Eigenes« kommen: Aus dem anderen Sein ereignet, erscheint die Welt in der ihr eigenen Ordnung. Die Vielzahl der Metaphern der späten Seinsphilosophie sind eine Be-wëgung in das andere Sein. Das andere Sein läßt sich nicht aussagen, geschweige denn darstellen, deshalb probiert Heidegger in seinen späten Texten eine Fülle von Metaphern aus, die in das Sein weisen.122 Die Metaphern der Spätphilosophie sind »Winke« in das andere Sein. Sie winken in ein selbst jedoch Unsagbares:123 Es ist als das »Regende« der Sprache in ihr nicht eigentlich sagbar. Das ist eine der grundlegenden Differenzen zwischen den Weltaltern und Heideggers Spätphilosophie: Für Schelling ist die Möglichkeit der sprachlichen Darstellbarkeit des Urwesens zu keinem Moment fraglich. Schelling hält seine Metaphorik zumeist – wie z.B. die anthropomorphe oder die Natur-Metaphorik bei

122 Paul de Man verfehlt, scheint mir, den eigenartigen reinen Verweisungscharakter der Sprache Heideggers angesichts des anderen Seins, wenn er über die Dichtung sagt: »The essence of poetry consists in stating the parousia, the absolute presence of Being« – vgl. Paul de Man, »Heideggers’s Exegeses of Hölderlin«, in: ders., Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism. Second Edition, revised, Minneapolis 1983, S. 246-266: 250. Die Dichtung stiftet aus einem »Wink« (Heidegger 1981, 46) des anderen Seins heraus im Wort das geschichtliche Sein des Seienden. Aber das Sein ist ›in‹ diesen Worten nicht ›präsent‹, auch läßt sich das Sein, wie gesagt, nicht »aussagen«, stating. Ihre Dignität erhalten die Worte der Dichtung durch ihre Herkunft aus den Winken des anderen Seins, aber das Sein ›durchweht‹ die Worte dann nicht mehr, von einer »absolute presence of Being« ganz zu schweigen. De Man schiebt Heidegger hier einen platonistisch-christlichen Präsenzbegriff unter – wie ja »Parousie« nicht unbedingt zu den Begriffen zählt, die sich regelmäßig in der Spätphilosophie fänden. De Man bastelt sich einen metaphysischen Heidegger als Voraussetzung seiner dekonstruktiven Lektüre zurecht. ›Ent-parousiert‹ man Heideggers Sprachbegriff wieder, stellt z.B. die Hölderlin-Zeile »das Heilige sei mein Wort« nicht mehr das Problem dar, das de Man daraus macht (de Man 1983, 258 f.). 123 Vgl. das über den »Wink« als »Grundzug des Wortes« Gesagte in Martin Heidegger, »Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, a.a.O., S. 83-155: 114 f.

II.1.2 HEIDEGGERS METAPHERNGEBRAUCH

103

der Beschreibung des Urwesens – für sachlich gerechtfertigten, ja eigentlichen Sprachgebrauch. Bei Heidegger ist die Metaphorik ein Ausdruck der völligen Inadäquatheit von Sprache und Sein: Die Sprache kann das andere Sein nicht eigentlich aussagen, sondern nur Winke geben.

II.2 Die absoluten Metaphern der Geschichte II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

Mit diesem Kapitel beginne ich die Untersuchung des Metapherngebrauchs in den Texten der Spätphilosophie Heideggers. Bei der Auswahl waren zwei unterschiedliche Aspekte leitend: Einerseits werden Metaphern analysiert, die sich sowohl bei Schelling als auch bei Heidegger finden, um anhand der unterschiedlichen Verwendungsweise die Differenzen ihrer archäologischen Projekte zu konturieren. Meine Wahl ist auf die geschichtsphilosophische Naturmetaphorik (Kapitel II.2.2), und die Bild-Metapher (Kapitel II.4) gefallen. Andererseits habe ich mit der Metapher der Lichtung eine im Diskurs der Spätphilosophie selbst einflußreiche Metapher herausgegriffen (Kapitel II.3), mit der Heidegger die archäologische Struktur der Seinsgeschichte zu fassen versucht. Zu Beginn möchte ich den schon eingeführten Unterschied der zwei Seinsbegriffe noch einmal klarer herausarbeiten, auf den sich sowohl Heideggers Verwendung der Naturmetaphorik als auch der Lichtungsmetapher beziehen.

II.2.1 Die zwei Seinsbegriffe II.2.1 ZWEI SEINSBEGRIFFE

»In diesem (dem abendländischen, D.M.) Denken wird überall und stets in vielfältig sich abwandelnden Begriffen und Namen das mannigfach erfahrene Seiende hinsichtlich seines Seins befragt. In der Geschichte dieses Denkens und für sie kommt so in gewisser Weise das Sein, nämlich als Sein des Seienden zum Vorschein. Dieser Vorschein gibt jedoch einen Wink in das Sein als solches. Der Wink bringt eine Kunde vom Sein, danach es nie erst durch menschliches Vorstellen gesetzt wird. Sein schickt sich dem Menschen zu, indem es lichtend dem Seienden als solchem einen Zeit-Spiel-Raum einräumt. Sein west als solches Geschick, als Sichentbergen [...] Die Geschichte des abendländischen Denkens ruht im Geschick des Seins« (Heidegger 1992, 129-30). In diesem Textstück macht Heidegger von den schon erwähnten zwei Seinsbegriffen Gebrauch, wenn er sie auch terminologisch nur undeutlich von einander abhebt. In der Geschichte erscheint das »Sein des Seienden«. Damit ist die historisch je andere Erfahrung des Seienden in seinem Wesen gemeint. Heideggers Seinsgeschichte historisiert das in der abendländischen Metaphysikgeschichte traditionell zeitlos gedachte An-sich oder Sein der Dinge: Für jede historische Epoche erscheint nun das, was An-sich das Seiende ›ist‹, anders. Dieses Erscheinen gebe jedoch »einen Wink in das Sein als solches«, das er weiter unten auch »Geschick des Seins« nennt. Dieses »Geschick« hatte ich oben kurz das »andere Sein«

II.2.1 ZWEI SEINSBEGRIFFE

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genannt. Das Geschick »west« als »Sichentbergen«: Es »schickt sich dem Menschen zu« als geschichtliche »Entborgenheit« des Seienden in seinem Sein. Das historische Sein des Seienden beruht in dem »Geschick des Seins«. Dieses »Sein als solches« »schickt« die Entborgenheit des Seins des Seienden und bestimmt so die Geschichte: Es gibt sozusagen ein ›sendendes‹ und ein ›gesandtes‹ Sein. Es kennzeichnet die archäologische Konzeption der Spätphilosohie, daß zwischen den zwei Seinsbegriffen ein Hierarchie- oder Fundierungsverhältnis besteht: Das Sein als Geschick ist das Prinzip und der Grund des geschichtlichen Seins des Seienden. Das Zusammenspiel der beiden Seinsbegriffe ist das archäologische Geschehen der »Entbergung«:124 das Erscheinen-Lassen des geschichtlichen Sein des Seienden aus dem Geschick des Seins. Die »Entbergung« ist das Wesen des Seins als Geschick: Das Geschick ist (als) die Entbergung. Heidegger hat das Entbergungsgeschehen mit einer Vielzahl von absoluten Metaphern umschrieben. Die einflußreichste dürfte die Lichtungsmetapher sein, die ich im nächsten Kapitel diskutiere. Eine andere, in ihrer räumlichen Logik der Geschick-Metapher verwandte Metaphorik, ist die Rede vom Wurf des Seins. »Sein lichtet sich dem Menschen im ekstatischen Entwurf. Doch dieser Entwurf schafft nicht das Sein. Überdies ist der Entwurf wesenhaft ein geworfener. Das Werfende im Entwerfen ist nicht der Mensch, sondern das Sein selbst« (Heidegger 1976, 337). Die metaphorische Konstruktion des Wurfes des Seins ist eine Transformation der VerstehensKonzeption aus Sein und Zeit:125 Das Verstehen hat in Sein und Zeit selbst »Entwurfscharakter«.126 Der verstehende Entwurf hat die Struktur, »etwas als etwas« (Heidegger 1986, 149) zu verstehen. Das Seiende wird aus der Welt her als dieses oder jenes verstanden und so in seinem Sein erschlossen. Im Spätwerk wird der verstehende Entwurf des Menschen nun seinerseits vom Wurf des Seins ›durchworfen‹: Der geschichtliche, verstehende Entwurf des Seins des Seienden kommt aus dem Wurf des »Seins selbst«. »Das Werfende« im verstehenden Entwurf des Menschen, durch den das Seiende »als etwas« und so in seinem Sein ausgelegt wird, ist das Sein als solches: »Wie immer das Seiende ausgelegt werden mag, ob als Geist im Sinne des Spiritualismus, ob als Stoff und Kraft im Sinne des Materialismus, ob als Werden und Leben, ob als Vorstellung, ob als Wille, ob als Substanz, ob als Subjekt, ob als Energeia, ob als Ewige Wiederkehr des Gleichen, jedesmal erscheint das Seiende 124 Martin Heidegger, »Vom Wesen der Wahrheit«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 177-203:188. 125 Die Textpassagen über den Wurf des Seins gehören zu dem, was Friedrich Wilhelm von Herrmann die »Selbstinterpretation« Heideggers genannt hat: Von Herrmann meint damit Textstellen, in denen Heidegger Begriffe aus seinem Frühwerk aus der Perspektive des Spätwerks interpretiert – vgl. Friedrich Wilhelm von Herrmann, Die Selbstinterpretation Martin Heideggers, Meisenheim am Glan 1964, v.a. S. 77-84. Die Selbstinterpretationen des späten Heidegger sind radikale Uminterpretationen seines Frühwerks. Zur Uminterpretation der Verstehenskonzeption vgl. Vf., »›Brief über den Humanismus‹. Zu den Metaphern der späten Seinsphilosophie«, in: Dieter Thomä (Hg.), Heidegger-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart/Weimar 2003, S. 247-258: 253. 126 Martin Heidegger, Sein und Zeit, Sechzehnte Auflage, Tübingen 1986, S. 145.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

als Seiendes im Lichte des Seins« (Heidegger 1976, 365-66) oder wird dem Menschen durch den Wurf des Seins ›zugeworfen‹. Es ist zunächst erstaunlich, daß Heidegger zwei für die archäologische Konzeption der Spätphilosophie ebenso zentrale wie unterschiedliche Gegenstände wie die beiden Seinsbegriffe terminologisch nicht deutlicher auseinanderhält. Es gibt allerdings Anzeichen, daß Heidegger sie letztlich für das Selbe hält. Das deutet sich in der Rede vom »Sich-entbergen« (Heidegger 1992, 130) des Seins als Geschick an: Es entbirgt sich selbst. »›Es gibt‹ das Sein [...] Das ›es‹, was hier ›gibt‹, ist das Sein selbst. Das ›gibt‹ nennt das gebende, seine Wahrheit gewährende Wesen des Seins [...] Dieses ›es gibt‹ waltet als das Geschick des Seins [...] Zum Geschick kommt das Sein, indem Es, das Sein, sich gibt« (Heidegger 1976, 334-35, kursiv von mir, D.M.). Hier hat es den Anschein, als sei die historische Entborgenheit des Seins des Seienden nur ein geschichtlich erstarrtes Stück des Seins als Geschick. Diese Sätze legen fast eine Identität der beiden Seinsbegriffe nahe, die sich dann in der uniformen Rede vom »Sein« ausdrückt. Heidegger schwankt in seinen Texten zwischen Differenzierung und Annäherung, wobei es auf jeden Fall sinnvoll erscheint, an der terminologischen Unterscheidung der beiden Dimensionen von Sein festzuhalten. Mit der archäologischen Idee eines Entbergungsgeschehens artikuliert Heidegger, was man das historische Unbewußte der abendländischen Metaphysik von Platon bis Nietzsche nennen könnte: Der Grundzug dieser Metaphysik ist die »Seinsvergessenheit«, die Vergessenheit des Seins als Geschick.127 »Sein als lichtendes Sichzuschicken ist zugleich Entzug [...] Sein wahrt sein Eigenes im Sichentbergen, insofern es sich als dieses zugleich verbirgt« (Heidegger 1992, 122, kursiv von mir, D.M.). In der Metaphysik entbirgt sich das Sein als solches in historischen Gestalten des Seins des Seienden und verbirgt sich selbst dabei. In der Metaphysik erscheint das Sein nie als es selbst. Die Metaphysik entsteht aus der sich in ihr verbergenden Entbergung: »Im Entzug hinterläßt das Sein die Gestalten« (Heidegger 1992, 184) der Metaphysik. Derridas Diagnose von der »tropischen Situation« (Derrida 1998, 217) der Metaphysik erweist sich als zutreffend: »Die gesamte Geschichte der abendländischen Metaphysik wäre damit ein umgreifender struktureller Prozeß, in dem die epoché des sich entziehenden, im Entzug haltenden Seins eine Reihe von verflochtenen Weisen, Wendungen, Modi, will sagen: von tropischen Figuren zeigen, darstellen würde [...] Das Sein würde sich allein in einer metaphorischmetonymischen Verschiebung oder Abweichung nennen lassen, weil es sich nicht offenbaren, nicht zeigen kann, ohne sich in einer epochalen Bestimmung zu verhüllen, in einem ›als‹, welches das ›als solches‹, dem es zugehört, durchkreuzt« (Derrida 1998, 217). Das in der Heidegger’schen Spätphilosophie als Grund und Prinzip der abendländischen Geistesgeschichte rekonstruierte Sein als solches er-

127 Martin Heidegger, »Überwindung der Metaphysik«, in: ders., Vorträge und Aufsätze, Siebte Auflage, Stuttgart 1994a, S. 67-95: 74.

II.2.2 WACHSTUM DER GESCHICHTE

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scheint nie eigentlich, sondern es selbst entbirgt sich »verhüllt« in eine »epochale« Gestalt des Seins des Seienden. Die Metaphysik ist die unbewußte Tropologie des Seins selbst: sein verschobener, uneigentlicher Ausdruck.

II.2.2 Das Wachstum der Geschichte: Geschichtsmetaphorik bei Schelling und Heidegger II.2.2 WACHSTUM DER GESCHICHTE

Sowohl für Schelling als auch für Heidegger ist die menschliche Geschichte – für Schelling auch die Naturgeschichte – Ausdruck eines Anderen: des Urwesens oder des Seins als Geschick. Es macht den gemeinsamen archäologischen Charakter der Philosophien Schellings und Heideggers aus, Denken und Geschichte aus einem Anderen als ihrer Bedingung der Möglichkeit zu verstehen. Beider Geschichtsauffassungen sind zutiefst metaphorische Konstruktionen, an deren absoluter Metaphorik ich die Differenz der archäologischen Projekte noch einmal schärfer herausarbeiten möchte. Als Vergleichsfeld habe ich die geschichtsphilosophische Verwendung von Naturmetaphorik gewählt. Zu Beginn erinnere ich kurz noch einmal an die geschichtsphilosophische Metaphorologie Schellings, die ich als Horizont benutze, um davon die Geschichtsmetaphorik des späten Heidegger abzuheben: In den Weltaltern ist die natürliche und menschliche Geschichte Teil der »Geschichte der Entwickelungen des Urwesens« (Schelling 1993, 10). Diese Grundbestimmung der Geschichte hat eine Reihe metaphorologischer Implikationen: Die metaphorische Bestimmung der Geschichte des Urwesens als »Entwickelung« macht die Weltgeschichte zum Teil der kontinuierlichen Auswickelung des als »Band« (Schelling 1993, 61) gedachten Urwesens. Durch die dialektische Aufladung der Entwickelung wird die menschliche Geschichte als Antithesis der anfänglichen Einheit zu einem Geschehen der Verwirklichung, des Wirklich- oder Real-werdens des Urwesens. Insofern Schelling außerdem das Urwesen als »lebendiges, wirkliches Wesen« (Schelling 1993, 3) und »Natur« (Schelling 1993, 135) denkt, eröffnet er das Feld für Analogien zwischen dessen Entwicklung und der des Menschen und der Natur. Diese Bestimmungen des Urwesens sind das onto-analogische Fundament der Natur- und anthropomorphen Metaphorik der Weltalter. Während Schelling die Verwendung anthropomorpher und biomorpher Metaphern in der Beschreibung des Urwesens so ontologisch fundiert und rechtfertigt, handelt es sich bei Heidegger um arbiträre absolute Metaphorik: Durch Naturmetaphorik läßt sich in das Sein als Geschick weisen, aber das Sein ist keine Natur. Das zeigt sich an Heideggers eigenwilliger Verwendung der Naturmetaphorik, durch die er traditionelle, gerade für Schelling bedeutsame Implikationen unterläuft: »Vormals nämlich wie späterhin lichtet Sein sich, obzwar auf verschiedene Weise, im Charakter des Hervorscheinens, des verweilenden Scheinens, des Anwesens, des Gegenüber und Entgegen. Die Aufführung dieser Momente bleibt ein bloß aufzählender Hinweis, weit entfernt von einem Einblick in die je-

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

weiligen Epochen des vollen Seinsgeschickes und in die Art nach der die Epochen jäh aufspringen wie Knospen. Die Epochen lassen sich nicht auseinander ableiten und gar auf die Bahn eines durchlaufenden Prozesses schlagen. Gleichwohl gibt es eine Überlieferung von Epoche zu Epoche. Aber sie verläuft nicht zwischen den Epochen wie ein Band, das sie verknüpft, sondern die Überlieferung kommt jedesmal aus dem Verborgenen des Geschickes [...]« (Heidegger 1992, 154, kursiv von mir, D.M.). Für Schelling ist das pflanzliche Wachstum – neben der psychischen Entwicklung des Menschen, der Entwickelungsmetaphorik und der Dialektik – das metaphorische Modell der Entwicklung des Urwesens. Es sind bestimmte Züge des pflanzlichen Wachstums, die es als Modell der Entwicklung des Urwesens für Schelling attraktiv machen: Die Entwicklung der Pflanze ist ein geregelter, kontinuierlicher und unter günstigen Bedingungen vorhersagbarer Prozeß. Häufig läßt sich außerdem ein Ziel der Entwicklung angeben, das sich als Abschluß und Krönung des ganzen Prozesses verstehen läßt: Blüte oder Frucht.128 »Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife: diesen Verlauf in der Pflanze z.B. [...]« (Schelling 1993, 7). Man kann sich bei dieser Beschreibung von Entwicklung fragen, ob die am Ende beiher als Beispiel erwähnte Pflanze nicht eher das Paradigma ist, an dem die Beschreibung eigentlich abgelesen wurde. Heidegger zitiert mit der Erwähnung der »Knospen« dieses einflußreiche geschichtsphilosophische Paradigma, um es dann radikal umzubesetzen. Er benutzt seine Gegen-Lektüre für ein retroping: Zwar tritt hier nicht – wie im Falle der Sprachphilosophie – eine neue an die Stelle der alten, orientierenden Metapher, wohl aber führt Heidegger ein fundamental neues Verständnis der Naturmetaphorik ein. Die »jäh« aufspringende »Knospe« dementiert sowohl die mit dieser Metaphorik immer mitgemeinte Kontinuitätsunterstellung wie auch den Prozeßcharakter von Geschichte. Das diskontinuierliche Ereignis des jähen Aufspringens ist nicht die Vollendung einer langen, kontinuierlichen Entwicklung. Indem es Heidegger betont, löst er die Epochen-Knospen aus jeder prozeßhaften Logik heraus, in der sie als Stadien oder Endprodukt zu begreifen wären. Zwischen den Epochen gibt es keine Stufenabfolge. Geschichte läßt sich nicht als »Bahn eines durchlaufenden Prozesses« verstehen. Gerade die in Schellings geschichtsphilosophischer Metaphorologie so zentrale Band-Metapher, die mit der Entwickelungsmetaphorik zusammenhängt, weist Heidegger explizit ab: Jede Epoche kommt unmittelbar aus dem »Verborgenen des Geschick«. Für Heidegger ist Geschichte kein Entwicklungsprozeß und erst recht kein Entwickelungsprozeß. Der Unterschied in der Verwendung der Naturmetaphorik weist auf eine grundsätzliche Differenz der archäologischen Projekte Schellings und Heideggers 128 Zur Beliebtheit der Pflanzen-Metaphorik im Deutschen Idealismus dürfte auch ihre Vereinbarkeit mit der Dialektik beigetragen haben: Keim, entwickelte Pflanze und Frucht lassen sich leicht auf die dialektische Trias These, Antithese und Synthese beziehen.

II.2.2 WACHSTUM DER GESCHICHTE

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zurück, nämlich wie sie sich jeweils das Verhältnis von Geschichte und dem Urwesen bzw. Sein und schließlich wie sie das Urwesen bzw. Sein selbst denken. Für Schelling entwickelt sich das Urwesen in der oder als Geschichte: Die natürliche und menschliche Geschichte sind Teil der Verwirklichung, des Real-Werdens des Urwesens. Heidegger hat genau diese Vorstellung vom Verhältnis der Geschichte zu ihrem Anderen zurückgewiesen: »Freilich erschwert die eingängige Vorstellung von der Geschichte als zeitlicher Verwirklichung des Überzeitlichen jedes Bemühen, das Einzigartige zu erblicken, das sich in der rätselhaften Stetigkeit verbirgt, die sich jeweils in das Jähe des eigentlich Geschicklichen bricht und versammelt. Das Jähe ist das Plötzliche, das nur dem Anschein nach dem Steten, d.h. Ausdauernden widerspricht. Ausgedauert wird das schon Währende. Im Plötzlichen aber wird das schon Währende, bislang noch Verborgene erst gewährt und sichtbar« (Heidegger 1992, 160). Es wäre angesichts der zutiefst zeitlichen Konzeption der Weltalter falsch, hier von einer »zeitlichen Verwirklichung eines Überzeitlichen« zu sprechen; die metaphorische Vorstellung der Verwirklichung bleibt jedoch erhalten. Während Schelling die menschliche Geschichte ganz aus der Logik der kontinuierlichen Verwirklichung des Urwesens denkt, ist gerade die Kontinuität für Heidegger erklärungsbedürftig: »rätselhafte Stetigkeit«. Diese Stetigkeit der Geschichte entsteht erst durch das »Ausdauern« des jäh gewährten »Währenden«. Die Stetigkeit »verbirgt«, daß die Geschichte in den jähen Gaben des »eigentlich Geschicklichen« in Gestalt von ›Würfen‹ des Seins des Seienden aus dem Sein selbst beruht. Die seinsgeschichtliche Metaphorologie Heideggers läßt Geschichte als zutiefst diskontinuierliches Geschehen aus einem fremden Grund erscheinen, der sich in ihr verbirgt. In der Unterscheidung von »Jähem« und »Währendem« erkennt man dabei unschwer die zwei Seinsbegriffe wieder: Das, was jäh in einer Epoche, sie prägend, »sichtbar« wird, ist eine je besondere geschichtliche Erscheinung des Sein des Seienden. Das plötzliche Erscheinen beruht selbst im währenden Sein als Geschick, das in der historischen Epoche ausgedauert wird. Diese Differenzen der archäologischen Projekte treten im Horizont einer Schellings Weltaltern und Heideggers Seinsgeschichte gemeinsamen VordergrundHintergrund-Metaphorik auf, die sich in Schellings geschichtsphilosophischer Unterscheidung von »Geschehenem« und »eigentlicher Geschichte« (Schelling 1993, 6) deutlich abzeichnete:129 Das ›vordergründige‹ »Geschehene« der Naturund Weltgeschichte beruht in der ›hintergründigen‹ »eigentlichen Geschichte« als der Meta-Geschichte der Entwickelung des Urwesens; so stammt auch in der Seinsgeschichte das jähe geschichtliche Erscheinen des Seins des Seienden als ›Vordergrund‹ aus dem ›hintergründigen‹, verborgenen Sein als Geschick. Wie stellen sich Schelling und Heidegger den ›Hintergrund‹ selbst vor? Bei Schelling ist es offensichtlich die Entwickelungsgeschichte des Urwesens, von der die Weltalter handeln. Die Bestimmungen des Hintergrundes der Seinsgeschichte, des Seins selbst, sind dagegen bemerkenswert karg: »Hat es jedoch damit seine 129 Vgl. zu dieser Unterscheidung oben S. 64 u. 71.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

Wahrheit, daß Sein jeweils sich uns zuschickt, als solches sich uns einräumt und Schickung ist, dann ergibt sich hieraus, daß ›Sein‹ und ›Sein‹ jeweils in den verschiedenen Epochen seines Geschickes anderes sagt. Gleichwohl waltet im Ganzen des Seinsgeschicks etwas Selbiges, was sich allerdings nicht durch einen allgemeinen Begriff vorstellen oder als ein roter Faden aus dem vielfältigen Geschichtsgang herausziehen läßt« (Heidegger 1992, 110). Heidegger räumt hier lediglich ein, daß »im Ganzen des Seinsgeschicks etwas Selbiges waltet«. Die folgenden Bestimmungen dieses »Selbigen« sind negativ: Das Sein als Geschick ist kein »allgemeiner Begriff«, kein »roter Faden«, kein sich verwirklichendes Subjekt. »Es ist kein leerer Schall, wenn wir sagen ›Sein‹, wenn wir sagen ›ist‹. Wir verstehen, was wir sagen, d.h. aussprechen. Zugleich sind wir ratlos, wenn wir sagen, d.h. jetzt vor den Blick bringen sollen, was wir denken. Ratlos bleiben wir, wenn wir darin übereinkommen sollen, daß wir trotz verschiedener Vorstellungs-, Erfahrungs- und Ausdrucksweisen geschichtlich das Selbe denken« (Heidegger 1992, 155). Es ist ein Grundzug der späten Seinsphilosophie Heideggers, gegenüber allen traditionellen philosophischen oder theologischen Bestimmungen die Negativität des Seins selbst zu betonen. Auf zwei wesentliche Unterschiede des Seins selbst gegenüber dem Urwesen der Weltalter möchte ich abschließend noch hinweisen. Beide Bestimmungen sind negativ: Das Heidegger’sche Sein selbst ist kein Seiendes. Während die Weltalter von der Entwicklungsgeschichte des Urwesens handeln, hat das Sein selbst keine eigene Geschichte. Es lassen sich keine »Seinsgeschichten« als Geschichten vom Sein selbst erzählen, wie Schelling die Entwicklungsgeschichte des Urwesens selbst erzählen kann: Das Sein selbst ist nicht etwas für sich.130 Was Heidegger »Seinsgeschichte« nennt, ist die Geschichte der historischen Entbergungen des Seins selbst, in denen es sich selbst jedes Mal verbirgt und die so nicht seine eigene Geschichte genannt werden kann. Das Sein selbst soll insbesondere kein Subjekt sein. Schelling hat in seiner Idee des Urwesens die philosophische Subjekt-Konzeption biologistisch aufgeladen: Das Urwesen ist als Subjekt und Sein alles Seienden ein »lebendiges, wirkliches Wesen« (Schelling 1993, 3). Die Weltalter sind »Ontobiologie« (Oesterreich 1984, 86). Das Sein selbst dagegen ist nicht »lebendig« und ist kein »Wesen«, beides sind Attribute von Seiendem. Heidegger hat versucht, die späte Seinsphilosophie ganz aus dem Horizont der philosophischen Subjekt-Konzeption herauszudrehen. Man kann bezweifeln, ob das gelungen ist. Es scheint dazu zwei Strategien zu geben: Die radikale besteht darin, die philosophische Subjekt-Konzeption als grammatisch induzierte Metaphorik als Ganze abzulehnen. Heidegger nennt Fälle in der philosophischen Tradition, wo »das hypokeimenon [...] aus dem Subjekt des Aussagesatzes« gedeutet 130 »Die Geschichte des Seins ist kein gegenständlich vorstellbarer Prozeß, über den man ›Seinsgeschichten‹ erzählen könnte. Das Geschick des Seins bleibt in sich die Wesensgeschichte des abendländischen Menschen, insofern der geschichtliche Mensch in das bauende Bewohnen der Lichtung des Seins gebraucht ist« (Heidegger 1992, 157).

II.2.3 ÜBERLIEFERUNG : ÜBERSETZUNG

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wurde.131 Das Subjekt ist danach eine in die Philosophie eingewanderte und dort philosophisch systematisierte »fatale grammatische Kategorie« (Heidegger 1976, 201). Diese radikale Strategie gelingt Heidegger, meine ich, an keiner Stelle überzeugend. Die andere Strategie scheint eher in einer immanenten Umbesetzung der Subjekt-Konzeption zu bestehen: Das subiectum ist als lateinische Übersetzung des griechischen hypokeimenon eine historische Gestalt des Grundes alles Seienden. Auch das Sein selbst hat offensichtlich begründende Funktion. Heidegger hat durch die Betonung der Negativität des Seins versucht, es nicht zu einer weiteren historischen Gestalt des Grundes werden zu lassen: »Sein als gründendes hat keinen Grund, spielt als der Ab-Grund jenes Spiel, das als Geschick uns Sein und Grund zuspielt« (Heidegger 1992, 188). Es bleibt die Frage, ob die Konzeption des Seins als »Ab-Grund« es schon aus dem Horizont der SubjektKonzeption herauslöst; zumal Heidegger in dem Zitat den begründenden Charakter nochmals betont: »Sein als gründendes«. Habermas hat die Abhängigkeit der Spätphilosophie Heideggers von der bewußtseinsphilosophischen SubjektKonzeption betont: »In negativer Weise bleibt Heidegger schließlich auch an den Fundamentalismus der Bewußtseinsphilosophie gebunden [...] Weil Heidegger den Hierarchisierungen einer auf Selbstbegründung erpichten Philosophie nicht widerspricht, kann er dem Fundamentalismus nur mit der Ausgrabung einer noch tiefer gelegenen – und nunmehr schwankenden Schicht – begegnen. Heidegger überschreitet den Horizont der Bewußtseinsphilosophie nur, um in deren Schatten zu verharren« (Habermas 1988, 166). Heideggers Sein ›besetzt‹ dieselbe systematische Stelle wie Schellings Urwesen. Auch das Sein ist – wie das Urwesen – eine Gestalt des Anderen der Vernunft, die als ihr Grund und Prinzip auftritt. Man kann die von Heidegger betonte Negativität des Seins als Anzeichen der Krise des metaphysischen Begründungsprojektes ansehen, dessen archäologisches Programm die Spätphilosophie dennoch verfolgt.

II.2.3 Überlieferung : Übersetzung II.2.3 ÜBERLIEFERUNG : ÜBERSETZUNG

Das eigentliche Geschehen der Geschichte besteht für Heidegger in den jähen Gaben eines geschichtlichen Verständnisses des Seins des Seienden, die in den Epochen »ausgedauert« werden. Obwohl Heidegger damit eine Diskontinuität zwischen die geschichtlichen Epochen setzt, hat er eine »Überlieferung von Epoche zu Epoche« behauptet, die jedoch »jedesmal aus dem Verborgenen des Geschicks« (Heidegger 1992, 154) der jähen, diskontinuierlichen Gaben kommt. Diese beiden Bestimmungen der »Überlieferung« sind auf den ersten Blick widersprüchlich: Einerseits soll es – sozusagen auf ›horizontaler‹ Ebene – eine Überlieferung zwischen den Epochen geben. Genauso denkt die Metaphorik von »Tradition« Geschichte: Es findet eine »Übergabe« von Inhalten zwischen den 131 Martin Heidegger, »Der Spruch des Anaximander«, in: ders., Holzwege, a.a.O., S. 321-373: 351.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

Epochen statt. Auch in Schellings Entwickelungsmodell bauen die Epochen aufeinander auf.132 Diese Geschichtsmodelle sind offensichtlich kontinuierlich. Dagegen soll nach Heidegger andererseits die Überlieferung aus der – sozusagen ›vertikalen‹ – Tiefendimension der diskontinuierlichen Gaben des Seins als Geschick kommen. Heideggers Lösung verbirgt sich in seinem Begriff der »wesentlichen Übersetzung«. Er baut die Übersetzung zu einer absoluten Metapher der geschichtlichen Überlieferung aus, die an die Stelle der ›traditionellen‹ und Schellingschen Überlieferungsmetaphorik tritt. Übersetzung ist bei Heidegger gleichzeitig eine historische und eine hermeneutische Kategorie, die beiden Dimensionen schneiden sich in seiner Konzeption von Übersetzung: Das historische Geschehen der Überlieferung vollzieht sich in der hermeneutischen Übersetzung. Das sprachliche Geschehen der Übersetzung wird bei Heidegger zum Modell einer besonderen Form des geschichtlichen Verstehens: Dieses Verstehen ist ein Übersetzen einer vergangenen »geschichtlichen Sprache«, die durchaus auch die eigene Muttersprache sein kann, in die geschichtliche Sprache der eigenen Zeit: »Eine Übersetzung wird dort, wo das Sprechen der Grundworte von einer geschichtlichen Sprache in eine andere übersetzt, zur Überlieferung« (Heidegger 1992, 171, kursiv im Original). Heidegger erweckt – wie die Kursivierung im Zitat schon andeutet – für seinen Übersetzungsbegriff das tote metaphorische Potential des Wortes: Übersetzen ist ein »herübersetzen«, ein »Sprung über einen Graben« (Heidegger 1994, 329). Die zeitliche Differenz artikuliert sich in räumlicher Metaphorik, wobei die besondere Form dieser Metaphorik der Diskontinuität der Geschichte bei Heidegger entspricht und sie betont: Worte werden von einer Epoche in eine andere her-über-gesetzt und über-springen so den »Graben«, der die jähen Gaben des »eigentlich Geschicklichen«, die in den Epochen »ausgedauert« (Heidegger 1992, 160) werden, voneinander trennt. Was geschieht in der Über-setzung einer geschichtlichen Sprache in eine andere? Und inwiefern kommt die Übersetzung aus dem Geschick? »Damit meinen wir solche Übersetzungen, die in Epochen, da es an der Zeit ist, ein Werk des Dichtens oder Denkens übertragen. Der gedachte Zug besteht darin, daß die Übersetzung in solchen Fällen nicht nur Auslegung, sondern Überlieferung ist. Als Überlieferung gehört sie in die innerste Bewegung der Geschichte [...] Eine wesentliche Übersetzung entspricht jeweils in einer Epoche des Seinsgeschickes der Weise, wie im Geschick des Seins eine Sprache spricht [...] Das hier gemeinte Überliefern bewegt die eigentliche Geschichte« (Heidegger 1992, 164). Die Übersetzung, die als Überlieferung die »innerste Bewegung der Geschichte« ist, ist »Auslegung«. Die »Grundworte« werden nicht einfach unverändert von einer Epoche in eine andere herübergesetzt, sondern sie verwandeln sich in der auslegenden Übersetzung, worauf Heidegger bei einer Übersetzung aus dem Griechi132 »Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife« (Schelling 1993, 7).

II.2.3 ÜBERLIEFERUNG : ÜBERSETZUNG

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schen hinweist: »Meist legen wir unbedenklich den Wörten on und einai das unter, was wir selbst bei den entsprechenden Wörtern unserer Muttersprache an Ungedachtem meinen: Seiendes und Sein« (Heidegger 1994, 334). Das Sprechen der Übersetzung »entspricht« der Weise, wie das Sein selbst in der Sprache des Übersetzers »spricht«: Im Sprechen der Übersetzung wird die geschichtliche Sprache entsprechend dem eigenen Seinsgeschick ausgelegt. In der Übersetzung findet ein Eingriff in die zu übersetzende geschichtliche Sprache statt, der jedoch nicht der Willkür des Übersetzers entspringt, sondern aus dem Seinsgeschick selbst stammt. Die Übersetzung verwirklicht also die beiden anfangs erwähnten, widersprüchlich erscheinenden Anforderungen: Sie ist einerseits eine Überlieferung zwischen den Epochen, insofern von einer geschichtlichen Sprache in eine andere über-setzt wird. Gleichzeitig kommt die Überlieferung jedoch aus dem »Verborgenen des Geschicks«, denn wie die übersetzte Sprache jetzt spricht, entspricht dem Seinsgeschick in der Epoche des Übersetzers. Übersetzt werden vor allem die »Grundworte« (Heidegger 1992, 171). Grundworte sind die geschichtlichen Bestimmungen des Seins des Seienden. Die Konzeption der Grundworte ist Teil dessen, was ich im folgenden Kapitel als die synekdochische Struktur der Seinsgeschichte beschreiben werde:133 Die Grundworte sind die Worte für den »einzigen Gedanken« (Heidegger 1984, 20) jedes Denkers. Dieser »einzige Gedanke« ist sein geschichtliches Verständnis des Seins des Seienden. Die Geschichte der einzigen Gedanken der Denker, die gleichzeitig die Geschichte der auslegenden Übersetzung der Grundworte ist, ist die Ontologiegeschichte. Insofern die geschichtliche Auslegung des Seins des Seienden, die die Denker der Ontologiegeschichte artikulieren, der prägende Grund ihrer Epoche ist, ist Ontologiegeschichte die Fundamentalgeschichte des Abendlandes. Die auslegende Übersetzung »bewegt« die Überlieferung der abendländischen Fundamentalgeschichte. Übersetzung ist die Über-setzung von Grundworten. Die so bestimmte Übersetzung hat bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der rhetorischen Worttheorie der Metapher: Übertragung (epiphora) eines einzelnen Wortes. Das Überlieferungsgeschehen der Ontologiegeschichte beruht im Mechanismus der Metapher. Heideggers Seinsgeschichte rekonstruiert die Ontologiegeschichte als Übersetzungsgeschichte der Grundworte: »Das on ist physis tis, dergleichen wie ein vonsich-her-Aufgehen. Das on ist nicht ens im Sinne des ens creatum der mittelalterlichen Scholastik, Seiendes als das von Gott Geschaffene. On ist aber auch nicht der Gegenstand hinsichtlich seiner Gegenständigkeit« (Heidegger 1992, 136). Das griechische on, das mittelalterliche ens und der neuzeitliche Gegenstand sind auslegende Übersetzungen eines Grundwortes der geschichtlichen Sprachen, weil sich in ihnen jeweils ein anderes, aus dem Geschick kommendes Verständnis des Seins des Seienden ausspricht. Die Bedeutung dieser zunächst unscheinbaren Übersetzungen macht Heidegger sichtbar, indem er aus den Grundworten histo133 Vgl. zur synekdochischen Struktur der seinsgeschichtlichen Auslegungen Heideggers das folgende Kapitel S. 118 f.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

rische metaphorische Szenarien entfaltet, die Sein, Seiendes und Mensch in eine bestimmte historische Konstellation setzen und die die »Grundstellung« einer geschichtlichen Epoche bilden.134 An der Konzeption der Übersetzung der Grundworte wird ein charakteristischer Zug der Heideggerschen Sprachphilosophie sichtbar: Sie hat ihr Zentrum in der Semantik einzelner Worte. In Heideggers Interpretationen werden die Worte oft in unerwarteter Weise ›sprechend‹, indem er die tote Metaphorik der Worte oder sprachgeschichtliche alte Bedeutungsdimensionen wiederbelebt: Aus der Übersetzung wird z.B. die Über-setzung. Heidegger entwickelt inhaltliche Thesen über Gegenstände aus der etymologischen Lektüre der sie bezeichnenden Wörter. So entwickelt er in dem Aufsatz »Das Ding« das Wesen des Kruges aus dem althochdeutschen Wort thing.135 In diesem Zusammenhang wendet Heidegger sich ausführlich gegen den Vorwurf, daß es sich dabei nur um »die Willkür einer etymologischen Spielerei« (Heidegger 1994a, 167) handele: »Es könnte so aussehen, als werde das jetzt gedachte Wesen des Dinges aus der zufällig aufgegriffenen Wortbedeutung des althochdeutschen Namens thing gleichsam herausgedröselt« (Heidegger 1994a, 166). Dem hält er entgegen: »In Wahrheit steht es darum hier und in den übrigen Fällen nicht so, daß unser Denken von der Etymologie lebt, sondern daß die Etymologie darauf verwiesen bleibt, zuvor die Wesensverhalte dessen zu bedenken, was die Wörter als Worte unentfaltet nennen« (Heidegger 1994a, 167). Die Etymologie gründet in den »zuvor« bedachten »Wesensverhalten«, die »die Wörter als Worte unentfaltet nennen«. Die Wörter, um die es Heidegger vor allem geht, sind die Grundworte eines geschichtlichen Verständnisses des Seins des Seienden. Was die »Wörter als Worte unentfaltet nennen«, ist das metaphorische 134 Zum Begriff der »Grundstellung« vgl. Martin Heidegger, »Die Zeit des Weltbildes«, in: ders., Holzwege, a.a.O., S. 75-113: 104 f. Ein historisches metaphorisches Szenario ist ein komplexes Gebilde. Ich deute einige Züge aus dem neuzeitlichen Szenario an, das ich ausführlich im Kapitel über »Die Metapher des Bildes« unten S. 150 f. rekonstruiere. »Im Gegenstand bestimmt sich das Gegen aus dem vorstellenden Entgegenwurf durch das Subjekt« (Heidegger 1992, 140). Das Komplement des Seienden als Gegenstand in dem metaphorischen Szenario der Neuzeit ist der Mensch als Subjekt, das sich in seinem Vorstellen das Seiende ent-gegen-stellt. »Das Ich des Menschen wird in den Dienst dieses Subjectums gestellt« (Heidegger 1994, 109). Der Mensch als Subjekt ist das »Maß« und die »Szene« des Seienden: Der Mensch wird »dasjenige Seiende [...], das allem Seienden das Maß gibt und die Richtschnur zieht« (Heidegger 1994, 94). »Damit setzt sich der Mensch selbst als die Szene, in der das Seiende fortan sich vorstellen, präsentieren [...] muß« (Heidegger 1994, 91). Nur »sofern und soweit« etwas in der »Szene« des Menschen als Subjekt »sich präsentieren« kann, ist es in der Neuzeit ein Seiendes. Erst als von einem Subjekt auf sich zugestellter Gegen-stand ist das Seiende in der Neuzeit ein Seiendes »und empfängt so erst das Siegel des Seins« (Heidegger 1994, 92, kursiv von mir). Es sind solche metaphorischen Szenarien, die in den Grundworten erscheinen. In den Übersetzungen zeigt sich daher ein Wandel der historischen metaphorischen Szenarien als einer Konstellation von Sein, Seiendem und Mensch an. 135 Martin Heidegger, »Das Ding«, in: ders., Vorträge und Aufsätze. Siebte Auflage, Pfullingen 1994a, S. 157-175: v.a. 166-170.

II.2.3 ÜBERLIEFERUNG : ÜBERSETZUNG

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Szenario der seinsgeschichtlichen Grundstellung einer geschichtlichen Epoche, die aus dem Sein selbst kommt. Heidegger macht das in dem Aufsatz nochmals am lateinischen Wort res deutlich: Res ist das Grundwort des römischen Verständnisses des Seins des Seienden, das zwischen dem griechischen on und dem mittelalterlichen ens steht. »Das römische Wort res nennt das, was den Menschen in irgend einer Weise angeht. Das Angehende ist das Reale der res. Die realitas der res wird römisch erfahren als der Angang« (Heidegger 1994a, 168). Mit diesen Sätzen hat Heidegger ansatzweise das metaphorische Szenario, das in res »unentfaltet« genannt wird, zu entfalten begonnen: Res ist kein Gegenstand und der Mensch in diesem Szenario kein Subjekt. Diese unentfaltete Dimension bleibt in der gewöhnlichen Verwendung unsichtbar: »Die Wörterbücher übersetzen res adversae zwar richtig mit Unglück, res secundae mit Glück; von dem jedoch, was die Wörter, als gedachte gesprochen, sagen, berichten die Wörterbücher wenig« (Heidegger 1994a, 167, kursiv von mir, D.M.). Diese »zuvor« »gedachten«, »unentfalteten« »Wesensverhalte« behauptet Heidegger in seinen Etymologien zu ent-falten. Es ist richtig, daß Heideggers etymologische Lektüren keine sprachwissenschaftlichen Etymologien, sondern philosophische Quasi-Etymologien sind: Er klappt nicht einfach das Wörterbuch auf und hangelt sein Denken an der Liste der Bedeutungen entlang. Seine Etymologien sind selektiv: Es geht dabei um die verborgene Dimension der metaphorischen Szenarien, die die Grundworte »unentfaltet nennen«. Es geht um die in der Sprache verschüttete abendländische Fundamentalgeschichte der geschichtlichen Verständnisse des Seins des Seienden, die aus dem Sein selbst kommt. Dennoch kann man angesichts von Heideggers virtuoser etymologischer und metaphorischer Sprachpraxis Zweifel haben, ob sich hier immer nur »zuvor« bedachte »Wesensverhalte« aussprechen. Ein angemesseneres Bild dieser Sprachpraxis läßt sich folgendem Zitat entnehmen: »Unsere Sprachen sprechen geschichtlich. Gesetzt, daß an dem Hinweis, die Sprache sei das Haus des Seins, etwas Wahres sein sollte, dann ist das geschichtliche Sprechen der Sprache beschickt und gefügt durch das jeweilige Geschick des Seins [...] Die Sprache spricht, nicht der Mensch. Der Mensch spricht nur, indem er geschicklich der Sprache entspricht [...] Die Mannigfaltigkeit der Bedeutungen eines Wortes stammt deshalb nicht erst daher, daß wir Menschen im Reden und Schreiben zu Zeiten Verschiedenes mit einem Wort meinen. Die Mannigfaltigkeit der Bedeutungen ist jeweils eine geschichtliche. Sie entspringt daraus, daß wir selbst im Sprechen der Sprache je nach dem Seinsgeschick vom Sein des Seienden jeweils anders gemeint, d.h. angesprochen sind« (Heidegger 1992, 161). Ist die Sprache das »Haus des Seins«, das vom Sein selbst nicht nur »beschickt«, sondern »gefügt« ist, dann sind die Worte keine arbiträren Bezeichnungen der Sachen. Durch ihre Fügung aus dem Sein selbst liegt in den Worten eine grundsätzliche Wahrheit über die Dinge, die sich in ihrer jeweiligen geschichtlichen Bedeutung dem jeweiligen Seinsgeschick entsprechend ausspricht. Das Bewohnen des aus dem Sein selbst beschickten und gefügten Hauses des Seins be-

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

rechtigt zu einem grundsätzlichen Sprachvertrauen, das sich in der etymologisierenden und metaphorischen Sprachpraxis Heideggers manifestiert. Heideggers quasi-etymologischen oder metaphorischen Wort-Lektüren folgen einem distinkten zweistufigen Schema: Im ersten Schritt nimmt Heidegger eine quasi-etymologische oder metaphorische Deutung der bezeichnenden Worte vor. Diese Deutung wird im zweiten Schritt zur absoluten Metapher der bezeichneten historischen Sache. Im folgenden Kapitel werde ich versuchen, das an der zentralen Metapher der »Lichtung« vorzuführen.

II.2.4 Exkurs: Die hermeneutische Struktur der seinsgeschichtlichen Lektüre: Heideggers Schelling-Interpretation II.2.4 STRUKTUR DER SEINSGESCHICHTLICHEN LEKTÜREN

Das archäologische Projekt der Spätphilosophie schlägt sich nicht zuletzt in Heideggers Lektüren nieder. Im Folgenden möchte ich den archäologischen Charakter der späten Seinsphilosophie noch einmal anhand der hermeneutischen Struktur der seinsgeschichtlichen Lektüren am Beispiel von Heideggers SchellingInterpretation herausarbeiten. Die Grundstruktur der seinsgeschichtlichen Hermeneutik läßt sich ausgehend von Heideggers Unterscheidung von »Erörterung« und »Erläuterung« zu Beginn seiner Trakl-Interpretation aufweisen:136 »Erörtern meint hier zunächst: in den Ort weisen [...] Ursprünglich bedeutet der Name ›Ort‹ die Spitze des Speers. In ihr läuft alles zusammen [...] Der Ort, das Versammelnde, holt zu sich ein, verwahrt das Eingeholte, aber nicht wie eine abschließende Kapsel, sondern so, daß er das Versammelte durchscheint und durchleuchtet und dadurch erst in sein Wesen entläßt« (Heidegger 1993, 37). Jedes Denken und Dichten, Sprechen und Handeln wird durch seinen seinsgeschichtlichen Ort »bestimmt«. Das geschichtliche Geschick des Seins prägt jede geschichtliche Epoche als Ort, indem es alles, was ›in‹ ihm gesagt oder getan wird, »in sein Wesen entläßt«. Für den späten Heidegger ist jede geistige Äußerung nur aus dem seinsgeschichtlichen Ort heraus verständlich, dessen ›Ausdruck‹ sie ist. »Dem Ort des Gedichtes entquillt die Woge, die jeweils das Sagen als ein dichtendes bewegt« (Heidegger 1993, 38). Da aber die seinsgeschichtliche Erfahrung einer geschichtlichen Epoche nicht direkt zugänglich ist, muß man »versuchen, vom Gesprochenen einzelner Dichtungen (oder des philosophischen Textes, D.M.) her in den Ort zu weisen. Doch hierfür bedarf jede einzelne Dichtung bereits einer Erläuterung. Sie bringt das Lautere, das alles dichterisch (oder philosophisch, D.M.) Gesagte durchglänzt, zu einem ersten Scheinen« (Heidegger 1993, 38). Die seinsgeschichtliche Erläuterung ist eine Lektüre, die auf eine Erörterung, eine Verortung des Gesagten in ei136 Martin Heidegger, »Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, Stuttgart 1993, S. 35-82: 37 f.

II.2.4 STRUKTUR DER SEINSGESCHICHTLICHEN LEKTÜREN

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nem seinsgeschichtlichen Ort zielt. »Man sieht leicht, daß eine rechte Erläuterung schon die Erörterung voraussetzt. Nur aus dem Ort des Gedichts leuchten und klingen die einzelnen Dichtungen. Umgekehrt braucht eine Erörterung des Gedichtes schon einen vor-läufigen Durchgang durch eine erste Erläuterung einzelner Dichtungen« (Heidegger 1993, 38). Heideggers Lektüre legt die archäologische Fundierung des manifesten Textes in einem aus dem Sein als Geschick stammenden historischen Seinsverständnis frei. Die zweifache, hierarchische Struktur von Erläuterung und Erörterung, die das ontologische Verhältnis der Seinsbegriffe hermeneutisch wiederholt, faltet sich in Heideggers SchellingLektüre in vier ineinander gestaffelte Synekdochen aus, die ich nun entwickeln werde. Heidegger hat fünfmal Vorlesungen und Seminare zu Schelling veranstaltet.137 Eine frühe Vorlesung stammt aus dem Jahr 1929 und beschäftigt sich nur mit der Naturphilosophie Schellings, die Heidegger traditionell als Übergang von Fichte zu Hegel in der Gesamtbewegung des deutschen Idealismus interpretiert.138 Der sogenannten Freiheitsschrift Schellings von 1809, die als der erste Text der Weltalter-Periode gilt, widmet Heidegger im Sommersemester 1936 eine große Vorlesung,139 in einer weiteren Vorlesung im Trimester 1941 und in einem daran anschließenden Seminar im Sommersemester 1941 wendet er sich dem Text erneut zu.140 Die Vorlesung von 1936 und die Auseinandersetzungen von 1941 unterscheiden sich, was den Umgang mit dem Text Schellings angeht, signifikant voneinander. Die frühere Vorlesung ist eine sehr textnahe, die ganze Abhandlung von vorne nach hinten durchquerende Lektüre. Enthält der erste Teil (A) noch weiter ausgreifende, Schellings Fragestellung in philosophiegeschichtlich-systematischen Exkursen verortende Ausführungen, folgt die Vorlesung von da an im Stile eines erläuternden Kommentars Schellings Text. Gerade im Vergleich mit der späteren Vorlesung und dem Seminar kann man sagen, daß die Dimension der »Erörte-

137 Die früheste Schelling-Vorlesung Heideggers konnte ich nicht mehr berücksichtigen. Martin Heidegger, Seminar Hegel – Schelling, in: ders., Gesamtausgabe. Abteilung IV: Hinweise und Aufzeichnungen, Bd. 86, Frankfurt/Main 2012 enthält die Notizen zu einer Vorlesung über die Freiheitsschrift aus den Jahren 1927/28. Vgl. auch Lore Hühn/Jörg Jantzen (Hg.), Heideggers Schelling Seminar (1927/28). Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings ›Freiheitsschrift‹ (1927/28) und die Akten des Internationalen Schelling-Tages 2006, Stuttgart/Bad Cannstatt 2010. 138 Martin Heidegger, Der Deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart, in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1919-1944, Bd. 28, Frankfurt/Main 1997, v.a. S. 183-194. 139 Martin Heidegger, Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), herausgegeben v. Hildegard Feick, Zweite, durchgesehene Auflage, Tübingen 1995. 140 Die Vorlesung und das Seminar sind in einem Band publiziert: Martin Heidegger, Die Metaphysik des Deutschen Idealismus. Zur erneuten Auslegung von Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809), in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1919-1944, Bd. 49, Frankfurt/Main 1991.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

rung« deutlich schwächer gegenüber der kommentierenden »Erläuterung« ist.141 Inhaltlich scheint Heidegger in der Vorlesung von 1936 den Begriff der »Freiheit« für den zentralen Begriff der Abhandlung zu halten (Heidegger 1995, 10 f., 115, 128). Sowohl der Umgang mit dem Text wie auch die inhaltliche These ändern sich in der späteren Auseinandersetzung. In den Texten von 1941 nimmt Heidegger Schelling sehr souverän in den Griff seiner seinsgeschichtlichen, archäologischen Auslegung. Dieser Griff vollzieht und zeigt sich in einer Reihe von ineinander gestaffelten Synekdochen, die charakteristisch für die seinsgeschichtliche Lektürestrategie des späten Heidegger sind.142 Heidegger eröffnet seine Vorlesung mit der These, daß Schellings Freiheitsschrift »den Gipfel der Metaphysik des deutschen Idealismus« darstelle (Heidegger 1991, 1). Diese Aussage ist eine seinsgeschichtliche Erörterung in reinster Form, die Heidegger somit seiner Erläuterung Schellings voranstellt. Wann ist diese am Beginn einer Vorlesung einigermaßen kühne These »gerechtfertigt«? fragt Heidegger. »1. Wenn Schellings Abhandlung der Gipfel der Metaphysik des deutschen Idealismus ist. 2. Wenn in dieser Abhandlung alle wesentlichen Bestimmungen dieser Metaphysik zum Austrag kommen. 3. Wenn aus dieser Abhandlung überhaupt der Wesenskern aller Metaphysik des Abendlandes in der vollen Bestimmtheit herausgesetzt werden kann« (Heidegger 1991, 2). Diese drei Sätze enthalten die ersten beiden ineinander gestaffelten Synekdochen: Schellings Freiheitsschrift wird hier pars pro toto für die Metaphysik 141 Das ist natürlich kein Zufall, denn gegen Heideggers Tendenz, in den angeführten Überlegungen zum Verhältnis von »Erläutern« und »Erörtern« das »Erörtern« stark zu machen, sollte deutlich sein, daß dem »Erläutern« zumindestens in zeitlicher Hinsicht Priorität zukommt: Ich kann schlicht erst dann versuchen, einen Text seins- oder philosophiegeschichtlich zu verorten (erörtern), wenn ich ihn gelesen und mir selber verständlich gemacht (erläutert) habe. Diese Lektüre mag sich, worauf Gadamer hingewiesen hat, immer schon in einem wirkungsgeschichtlich vermittelten Vorverständnis – einer ›impliziten Erörterung‹, wie man mit Heidegger sagen könnte – halten, das ändert aber nichts daran, daß keine explizite Erörterung ohne vorgängige Erläuterung möglich ist. 142 Die Synekdoche ist eine rhetorische Figur, genauer eine Variante der Metonymie. Als Synekdochen werden u.a. Wendungen bezeichnet, in denen ein Teil für das Ganze steht, pars pro toto. Wer »komm unter mein Dach« sagt, hat nicht nur ein Dach, sondern ein ganzes Haus, und in seiner Rede steht das Teil, Dach, für das Ganze, Haus. Die Synekdoche interessiert mich als die Figur, durch die es möglich ist, sprachlich von einem Teil zu handeln, aber das Ganze zu meinen. Zwischen dem für Schelling so wichtigen Begriff des Symbols und der Synekdoche bestehen gewisse Ähnlichkeiten. Beide teilen zunächst dieselbe signifikative Struktur: Ein Einzelnes steht für das Ganze. Allerdings ist das Verhältnis bei der rhetorischen Figur der Synekdoche ›zeichenhaft‹, das Teil weist auf das Ganze hin. Das Symbol dagegen könnte man eine metaphysische Figur nennen, denn sie unterstellt eine Teilhabe oder gar Identität des Teiles mit dem Ganzen. Nach der metaphysischen Logik des Symbols ist im mikrokosmischen Teil das makrokosmische Ganze anwesend. Am Unterschied von Symbol und Synekdoche wird nochmals der Unterschied der Ontologie der Weltalter und der späten Seinsphilosophie faßbar: Für den ontologischen Monismus Schellings kann jedes Ding Symbol des Urwesens sein, da alles, was ist, letztlich Teil des Urwesens ist. Heideggers Sein ist kein Seiendes, wie das Zeichen dem Bezeichneten bleibt es der Welt fremd und ›äußerlich‹.

II.2.4 STRUKTUR DER SEINSGESCHICHTLICHEN LEKTÜREN

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des deutschen Idealismus gelesen, weil in der Freiheitsschrift »alle wesentlichen Bestimmungen dieser Metaphysik (des deutschen Idealismus, D.M.) zum Ausdruck kommen« (zweite Synekdoche).143 Darüber hinaus tritt auf diesem Gipfelpunkt des deutschen Idealismus »der Wesenskern aller Metaphysik des Abendlandes in der vollen Bestimmtheit« zu Tage. Anhand von Schellings Schrift als »Gipfel der Metaphysik des deutschen Idealismus« geht es also auch um den »Wesenskern« der gesamten abendländischen Metaphysik (dritte Synekdoche). Man sieht hier auch schon die Staffelung der Synekdochen: Freiheitsschrift (Teil) für deutschen Idealismus (Ganzes), Gipfel des deutschen Idealismus (Teil) für die gesamte abendländische Metaphysik (Ganzes). Heidegger ist sich dabei völlig im Klaren, was er tut: »So wird eine vereinzelte Schrift eines einzigen Denkers dieser Epoche ausgesondert. Dies Verfahren ist in Ordnung, wenn wir uns überhaupt darauf beschränken, nur diese Schrift dieses Denkers kennenzulernen und damit einen beschränkten Umkreis des Denkens des deutschen Idealismus’ uns näherzubringen. Dies Verfahren wird jedoch alsbald bedenklich, wenn dahinter der Anspruch steht, ›die Metaphysik des deutschen Idealismus’ auf solchem Wege zu durchdenken. Dieser Anspruch leitet uns allerdings« (Heidegger 1991, 1). Die synekdochische Stuktur der späten Interpretationen entspricht der archäologischen Konzeption der Seinsgeschichte. In Heideggers Verständnis der abendländischen Philosophiegeschichte als Seinsgeschichte erscheint diese als Abfolge geschichtlicher Epochen, in denen ein je besonderes »Seinsverständnis« (Heidegger 1991, 68 f.) erscheint. Dieses Seinsverständnis, ein Verständnis, was das geschichtliche Sein des Seienden ist, durchstimmt die geschichtliche Zeit. Heidegger spricht daher von diesem Seinsverständnis auch als der »Grundstellung, aus der« in dieser geschichtlichen Zeit »gefragt wird und nach der sich bestimmt, was das Fraglose ist, durch die sich regelt, wie vorzugehen sei, die ausmacht, was eigentlich zu wissen sei und welches die Art der ›Wahrheit‹ [...] ist« (Heidegger 1991, 95). An einer Stelle seiner Erläuterungen stellt Heidegger fest, daß Schelling in der Freiheitsschrift »›das Seiende‹ schon im Sinne der Unterscheidung (von Grund und Existenz, D.M.) auslegt; also nur das gefunden, was schon hineingelegt. Also ›Zirkel‹! Ja: aber welcher Art? Was heißt hier hineinlegen? Ist das eine Ansicht von Herrn Schelling?« (Heidegger 1991, 94). Darauf antwortet Heidegger später selbst: »Hier gilt es zu sehen, daß diese Auslegung des Seins als Wollen (die der Unterscheidung von Grund und Existenz zugrunde liegt, D.M.) nicht eine beliebige ›Ansicht‹ Schellings ist [...]« (Heidegger 1991, 187). Man könnte pointiert sagen, daß es für Heidegger nicht Schelling ist, der in der Freiheitsschrift spricht, sondern durch ihn ›spricht‹ die geschichtliche Grundstellung des deutschen Idea143 Ich beginne – etwas kontraintuitiv – mit der »zweiten Synekdoche«, weil ich erst später zeigen möchte, daß dieser eine »erste Synekdoche« vorgelagert ist, in der Heidegger ein Teil-Stück des Textes, sein »Kernstück« (Heidegger 1991, 11), wie er es nennt, für den ganzen Text interpretiert.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

lismus; nicht Schelling präsentiert sein Verständnis des Seins des Seienden, sondern das geschichtliche Seinsverständnis seiner Zeit präsentiert sich durch Schelling. Schellings Freiheitsschrift ist in einem wörtlichen Sinn Aus-druck des Seinsverständnisses seiner Grundstellung. Auf diese Grundstellung als den geschichtlichen Ort, dessen Ausdruck Schellings Denken ist, zielt die zweite Synekdoche der Heideggerschen Erörterung: Schellings Text als Aus-druck der Grundstellung des deutschen Idealismus auf seinem Gipfel zu lesen. Das Erscheinen eines geschichtlichen Seinsverständnisses beruht nach Heidegger seinerseits in dem »Geschick« einer anonymen Macht, die Heidegger ebenfalls »das Sein« nennt. Es handelt sich hier um zwei wohl zu unterscheidende Seinsbegriffe: Das Sein als Geschick schickt ein geschichtliches Seinsverständnis. Dieses Geschehen des Geschicks ist aber im abendländischen Denken nie gesehen worden, es wurde vergessen. Das meint Heideggers Begriff der »Seinsvergessenheit«: die Vergessenheit des Seins als Geschick des geschichtlichen Seinsverständnisses. Auf diese vergessene Tiefendimension der abendländischen Geschichte zielt eine vierte Synekdoche Heideggers: In der Lektüre eines Textes geht es darum, die darin sich aussprechende Grundstellung zu erkennen (zweite Synekdoche) und die Herkunft dieser Grundstellung aus dem bisher verborgenen Geschick des Seins wahrzunehmen (vierte Synekdoche), das der gesamten abendländischen Philosophiegeschichte (dritte Synekdoche), insofern sie eine Geschichte der Seinsvergessenheit ist, unerkannt zu Grunde liegt. Auch hierbei handelt es sich um eine Synekdoche, weil die geschichtlichen Erscheinungen von Seinsverständnissen die sozusagen historisch ›verfestigten‹ Gestalten des Seins als Geschick sind.144 »Das ›Sein‹ ›wird‹ nicht erst zum Sein durch einen menschlichen Entwurf – in dem Sinn, daß ›sich‹ das menschliche Subjekt eine Ansicht über das Sein ›einbildet‹ –, sondern der Ent-wurf stellt sich in das Offene dergestalt, daß er dabei ein geworfener ist, d.h. bestimmt und gestimmt durch das, was er entwirft, und durch das, woraufhin er entwerfen muß. Das Sein selbst, und nur dieses, kann den Entwurf des Seins auf seine Wahrheit und das Wesen dieser bestimmen« (Heidegger 1991, 68). Der menschliche Entwurf des Seins des Seienden in Gestalt eines geschichtlichen Seinsverständnisses (erster Seinsbegriff) ist seinerseits geworfen durch das Sein als Geschick (zweiter Seinsbegriff). Das Sein als Geschick ist – um Heideggers Metaphorik des ›Kerns‹ aufzunehmen – der bisher unerkannte Kern im »Wesenskern aller Metaphysik des Abendlandes« (Heidegger 1991, 2), auf den letztlich alle Lektüren Heideggers zielen (vierte Synekdoche). Alle »geschichtlichen Auseinandersetzungen mit Gewesenem«, der Philosophiegeschichte, zielen beim späten Heidegger nicht auf historische Kenntnisse, sondern auf das im Gewesenen »Wesende« (Heidegger 1991, 10), das vergessene Sein. An dieser Stelle wird der Begründungsanspruch des archäologischen Projektes der Spätphilosophie ablesbar: Das synekdochische Verhältnis von Teil und Gan-

144 Vgl. zum Verhältnis der zwei Seinsbegriffe oben S. 104-107.

II.2.4 STRUKTUR DER SEINSGESCHICHTLICHEN LEKTÜREN

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zem ist auch immer eines von Begründetem und Grund:145 Die Freiheitsschrift (Teil) als Ausdruck der Grundstellung (Ganzes) lesen, heißt auch, sie auf ihre Herkunft, ihren Grund hin zu befragen (zweite Synekdoche). An der Grundstellung einer geschichtlichen Lichtung (Teil) ihre Herkunft aus dem Geschick der Lichtung (Ganzes) herausstellen, heißt auch, das Geschick als ihren Grund zu verstehen (vierte Synekdoche). Die Grundstellung, aus der ein Denker denkt und die ihrerseits aus einem Geschick des Seins stammt, zeigt sich am deutlichsten in seiner Bestimmung des Seins des Seienden. Es ist dieser fundamentalen Bedeutung des Seinsproblems für den späten Heidegger geschuldet, daß bei ihm die Philosophie auf Ontologie, Seinslehre, zusammenschrumpft: Zur Ethik hat sich der späte Heidegger nur selten geäußert,146 für die Logik hat er meistens nur bissige Bemerkungen übrig,147 und die Ästhetik wird zu einer Unterdisziplin der Ontologie.148 Die Philosophiegeschichte als Seinsgeschichte zieht sich auf die Geschichte der Ontologie zusammen: Wenn alles nur Ausdruck des Seinsverständnisses ist, ist die Geschichte des Seinsverständnisses die Fundamentalgeschichte. Der seinsgeschichtlichen Eindampfung der Philosophie auf Ontologie im Großen entspricht im Kleinen, in der Auslegung einzelner Philosophen, deren Reduktion auf einen Gedanken. »Jeder Denker denkt nur einen einzigen Gedanken«.149 Dabei verhält es sich wohl eher so, daß jeder Denker eine Menge ganzer und auch halber Gedanken hat, daß Heidegger aber nur einen dieser Gedanken für wichtig, weil fundamental hält: Der »einzige Gedanke« ist die Bestimmung des Seins des Seienden, die sich in einem Denken ausspricht. Der einzige Gedanke ist der ontologische Gedanke, und die Philosophiegeschichte als Seinsgeschichte ist die Fundamentalgeschichte der einzigen Gedanken der Denker. In der späten Schelling-Interpretation führt das unmittelbar zur ersten Synekdoche: Heidegger interpretiert in den Auslegungen von 1941 nicht mehr die ganze Abhandlung, sondern macht in dem Text ein »Kernstück« (Heidegger 145 Heidegger hat 1956 in der Vorlesung Der Satz vom Grunde zu zeigen versucht, daß alle geschichtlichen Konzeptionen des »Grundes« ihrerseits aus dem Sein als Geschick stammen. Das Sein als Geschick ist also der ›Grund‹ der geschichtlichen Auslegungen des Satzes vom Grunde (Heidegger 1992, 119 f.). Gleichzeitig besteht Heidegger darauf, daß das Sein als Geschick zwar der Grund des Grundes sein mag, »daß Sein und Grund dasselbe ›sind‹« (Heidegger 1992, 181), das Sein als Geschick selber jedoch etwas ganz anderes ist als jede bisherige Konzeption des Grundes: »das Sein: der Ab-grund« (Heidegger 1992, 185). Der vorletzte Satz der Vorlesung lautet: »Sein als gründendes hat keinen Grund, spielt als der Ab-Grund jenes Spiel, das als Geschick uns Sein und Grund zuspielt« (Heidegger 1992, 188). Das Sein ist nicht wie alle bisherigen Grund-Konzeptionen ein Seiendes, auf das gegründet wird, sondern »Sein ›ist‹ gründen« (Heidegger 1992, 185), das »Spiel« des Gründens. 146 Vgl. Heidegger, »Brief über den Humanismus«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 353 f. Dazu Vf., »›Brief über den Humanismus‹«, in: Thomä (Hg.), Heidegger-Handbuch, a.a.O., S. 255-57. 147 Vgl. als ein Beispiel unter vielen Heideggers Bemerkungen zur Logik, die Rudolf Carnap in Rage gebracht haben, in der Antrittsvorlesung »Was ist Metaphysik?« (Heidegger 1976, 107 f.). 148 Martin Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, in: ders. Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1914-1976, Bd. 5: Holzwege, Frankfurt/Main 1994, S. 1-74. 149 Martin Heidegger, Was heißt Denken? Vierte, durchgesehene Auflage, Tübingen 1984, S. 20.

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II.2 ABSOLUTE METAPHERN DER GESCHICHTE

1991, 11) aus, das mit der Explikation der Unterscheidung von Grund und Existenz Schellings Bestimmung des Seins des Seienden, seinen »einzigen Gedanken« enthält.150 Anhand des Kernstücks geht es um den ganzen Text (erste Synekdoche), anhand des Textes geht es um das Ganze des deutschen Idealismus, seine Grundstellung (zweite Synekdoche), anhand der Grundstellung der Metaphysik des deutschen Idealismus geht es um den Wesenskern der abendländischen Metaphysik überhaupt (dritte Synekdoche) und anhand des Wesenskerns der Metaphysik geht es um den darin verborgenen Kern des Seins als Geschick (vierte Synekdoche). Was sich hier abzeichnet, ist das ineinander gestaffelte Gefüge von Synekdochen, das allen seinsgeschichtlichen Interpretationen Heideggers zugrunde liegt. Diese synekdochische Struktur der Interpretation spiegelt sich auch in der von Heidegger benutzten Metaphorik von Kern und Schale: »Wesenskern aller Metaphysik des Abendlandes« (Heidegger 1991, 2) und »Kernstück« der Freiheitsschrift (Heidegger 1991, 11 f.). In der umgangssprachlichen Metaphorik vom ›Kern einer Sache‹ findet eine eigenartige Umgewichtung des natürlichen Verhältnisses von Kern und Schale bei einer Frucht statt: Bei einer Frucht sind Kern und Schale zunächst zwei sozusagen ›gleichberechtigte‹ Stücke, der Kern ist dabei oft, beim Pfirsich, der Kirsche oder Pflaume etwa, gerade das nicht Genießbare. In der Metaphorik vom ›Kern einer Sache‹ wird der Kern zum Eigentlichen der Sache, die Schale zur zu vernachlässigenden Hülle. Die Logik der Metaphorik ist also ihrerseits synekdochisch: Der Kern (Teil) kann für das Ganze stehen, weil er nämlich das Eigentliche einer Sache enthält. Die Metaphorik vom Kern legitimiert also das synekdochische Vorgehen der seinsgeschichtlichen Interpretation: Einen Teil für das Ganze zu nehmen, ist gerechtfertigt, wenn der Teil der »Kern« in dem eben erläuterten Sinn des Ganzen ist. Wie wird diese von mir beschriebene formale Struktur nun inhaltlich besetzt? Was an Schellings Auslegung des Seins des Seienden macht sie nicht nur zum »Gipfel der Metaphysik des deutschen Idealimus«, sondern sogar zur »Vollendung der abendländischen Metaphysik« (Heidegger 1991, 97)? Worin besteht der »Wesenskern aller Metaphysik des Abendlandes«, der in der Freiheitsschrift »in der vollen Bestimmtheit« erscheint? Schelling bestimmt in der Freiheitsschrift das Sein des Seienden als Wille: »Wollen ist Urseyn« (Schelling 1860 VII, 350). Dieser Wille tritt auseinander in den »Willen des Grundes« und den »Willen zur Existenz«. Es ist diese Konzeption einer die Doppeltheit enthaltenden Einheit, »einigende Scheidung« (Heidegger 1991, 97), und die inhaltliche Bestimmung der beiden Seiten des Wollens, die für Heidegger Schellings Bestimmung des Seins ihre besondere geschichtliche Stellung verleihen: »Der Wille ist Grund, weil er als Erstrebnis (Sehnsucht) auf 150 In der Konzentration auf die Unterscheidung von Grund und Existenz als Schellings zentrale Bestimmungen des Seins des Seienden zeichnet sich in den späteren Interpretationen auch eine Verschiebung gegenüber der Vorlesung von 1936 ab, in der tendenziell der Begriff der »Freiheit« als zentraler Begriff des Textes behandelt wurde.

II.2.4 STRUKTUR DER SEINSGESCHICHTLICHEN LEKTÜREN

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sich selbst zurückgeht und in sich sich verschließt; so Basis für .. [...]; Der Wille ist Verstand, weil er auf Wirklichkeit, Einheit (Universum), Anwesenheit geht, und zwar dessen, was der Grund ist; Selbstheit«. Und nun interpretiert Heidegger diese in sich gedoppelte Einheit des Seins bei Schelling: »Der Wille ist subjectum zumal, 1. als hypokeimenon; aber willentlich, strebig; ›Basis‹; 2. als Egoität, Bewußtsein, Geist, ›Wort‹, logos. Im Sein als Wollen kam der Subjectumscharakter des Seienden in jeder Hinsicht zur Entfaltung. Wenn Seiendheit in aller Metaphysik subjectum (griechisch und neuzeitlich), wenn Ursein aber Wollen, dann muß Wollen das eigentliche subjectum sein« (Heidegger 1991, 90). Die gesamte abendländische Metaphysik hat das Sein des Seienden als subjectum, als das dem Seienden zu Grunde Liegende bestimmt, insofern auch der Wille bei Schelling subjectum ist, gehört er in die Tradition der Metaphysik. Der große Bruch zwischen der Antike und der Neuzeit besteht darin, wie hier jeweils das subjectum ausgelegt wurde: in der Antike als hypokeimenon, in der Neuzeit als Egoität, Bewußtsein oder Geist. Schellings Bestimmung des Seins als Wollen, das sich in die Doppeltheit von Grund und Existenz auseinanderfaltet, bringt beide Bestimmungen zusammen. Schellings Bestimmung des Seins vereinigt die Seinsauslegungen von Antike und Neuzeit und hält sie doch in der Einheit als Geschiedene auseinander. Deshalb vollendet sich in ihr die abendländische Metaphysik und tritt ihr »Wesenskern [...] in der vollen Bestimmtheit« zu Tage: »Inwiefern hier eine Vollendung der abendländischen Metaphysik? A) Das Seiende als ›subjectum‹: 1. hypokeimenon – ousia. 2. Ichheit, Selbstheit. B) In der Unterscheidung beides nicht nur aufgenommen, sondern in eine Einheit der Scheidung zurückgenommen, aufgehoben: Grund von Existenz und Existenz des Grundes« (Heidegger 1991, 97). Im »einzigen Gedanken« der Freiheitsschrift – der Bestimmung des Seins als »Wollen«, das sich in »Grund« und »Existenz« ausfaltet –, der sich im »Kernstück« der Freiheitsschrift (erste Synekdoche) ausspricht, wird die »Grundstellung« des deutschen Idealismus’ auf seinem »Gipfel« sichtbar (zweite Synekdoche), in dem sich gleichzeitig der »Wesenskern« der gesamten griechisch-neuzeitlichen Metaphysik des Abendlandes zeigt (dritte Synekdoche), die ihrerseits im vergessenen Sein als Geschick beruht (vierte Synekdoche). Die »Vollendung der abendländischen Metaphysik« nennt Heidegger die Freiheitsschrift vor allem wegen ihrer besonderen Stellung zum Ganzen der abendländischen Metaphysik, deren tiefste Differenz – die Differenz der griechischen und neuzeitlichen Bestimmung des Seins als subjectum – Schelling in die »Einheit der Scheidung« aufhebt. Die archäologische Konzeption der späten Seinsphilosophie schlägt sich auch in der hermeneutischen Struktur der philosophiegeschichtlichen Lektüren Heideggers nieder: Jede Text-Lektüre zielt über mehr oder weniger Zwischenstufen auf eine Erörterung, die Verortung des Textes in einem geschichtlichen Seinsverständnis, das aus dem Sein als Geschick kommt, das als eine Figur des Anderen der Vernunft in der Spätphilosophie Grund und Prinzip der abendländischen Geistesgeschichte ist.

II.3 Die Lichtung der aletheia II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

Zu den auffälligsten Metaphern der Spätphilosophie gehört die der Lichtung. Die Lichtung ist zugleich Wahrheits- und Seinsmetaphorik: Wahrheit und Sein sind das Selbe. Die Lichtungsmetapher dient insbesondere dazu, das unsinnliche archäologische Geschehen der seinsgeschichtlichen Entbergung sprachlich zugänglich zu machen. Das Kapitel nähert sich der Lichtung in mehreren Schritten: Das erste Unterkapitel (II.3.1) untersucht die Wandlung vom Früh- zum Spätwerk, die sogenannte »Kehre«, anhand der Transformation der Systematik der Wahrheitskonzeption. Die Position von Sein und Zeit, die sich noch als transzendentale Subjektphilosophie auffassen läßt, wandelt sich in die archäologische Konzeption des Spätwerks, die ich als eine Transzendentalphilosophie ohne transzendentales Subjekt beschreiben werde. Das zweite Unterkapitel (II.3.2) holt die metaphorologische Analyse der Wahrheitsdiskussion nach und stößt auf die zentrale Bedeutung von Raummetaphorik in Heideggers Wahrheits- und Seinskonzeptionen. Das dritte Unterkapitel (II.3.3) untersucht, wie sich aus der Raummetaphorik der Wahrheits- und Seinsdiskussion die Lichtungsmetapher entwickelt, die Heidegger systematisch erst seit ungefähr 1937 verwendet. Das letzte Unterkapitel (II.3.4) schließlich analysiert die metaphorologische Struktur der Lichtungsmetapher selber.

II.3.1 Die Kehre des Wahrheitsbegriffs II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

In der Wandlung vom Früh- zum Spätwerk Heideggers zeichnet sich ein philosophiegeschichtlich einflußreicher Übergang von einem noch subjektphilosophischen in ein nach-subjektphilosophisches Denken ab. In diesem Kapitel soll die systematische Struktur dieser von Heidegger »Kehre« genannten Wandlung rekonsturiert werden: Die systematische Struktur der Kehre wird anhand der Transformation des frühen Wahrheitsbegriffs aus Sein und Zeit im schon zum Spätwerk zu rechnenden Aufsatz »Das Wesen der Wahrheit« (1930) dargestellt. Heidegger entwickelt seinen frühen Wahrheitsbegriff in § 44 »Dasein, Erschlossenheit, Wahrheit« von Sein und Zeit. Darin geht es ihm darum, die »Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes« (Heidegger 1986, 214) aufzuzeigen. Seine These ist, daß der traditionelle Wahrheitsbegriff in einem bisher unerkannten Fundament ruht, »dem ursprünglichen Phänomen der Wahrheit« (Heidegger 1986, 214), das er verdeckt. Es sind nach Heidegger zwei systematische Kernthesen, die den traditionellen Wahrheitsbegriff ausmachen: »1. Der ›Ort‹ der Wahrheit ist die Aussage (das

II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

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Urteil). 2. Das Wesen der Wahrheit liegt in der ›Übereinstimmung‹ des Urteils mit seinem Gegenstand« (Heidegger 1986, 214). Die »Übereinstimmung« von Aussage/Urteil und Gegenstand darf nicht psychologistisch mißverstanden werden. Es ist kein Verhältnis zwischen der Aussage und meiner Vorstellung über den Gegenstand, sondern die Aussage bezieht sich auf den Gegenstand selbst. »Das Aussagen ist ein Sein zum seienden Ding selbst. Und was wird durch die Wahrnehmung ausgewiesen? Nichts anderes als daß es das Seiende selbst ist, das in der Aussage gemeint war. Zur Bewährung kommt, daß das aussagende Sein zum Ausgesagten ein Aufzeigen des Seienden ist, daß es das Seiende, zu dem es ist, ent-deckt. Ausgewiesen wird das Entdeckend-sein der Aussage [...] Zur Ausweisung steht nicht eine Übereinstimmung von Erkennen und Gegenstand oder gar von Psychischem und Physischem, aber auch nicht eine solche zwischen ›Bewußtseinsinhalten‹ unter sich« (Heidegger 1986, 218). Die Analyse des antipsychologistisch verstandenen traditionellen Wahrheitsbegriffs zeigt also weniger, daß die Aussage mit dem Gegenstand »übereinstimmt«, als vielmehr, daß sie ihn »ent-deckt«. »Die Aussage ist wahr, bedeutet: sie entdeckt das Seiende an ihm selbst. Sie sagt aus, sie zeigt auf, sie ›läßt sehen‹ (apophansis) das Seiende in seiner Entdecktheit. Wahrsein (Wahrheit) der Aussage muß verstanden werden, als entdeckend-sein« (Heidegger 1986, 218). Heidegger deckt in der Wahrheit als Entdeckend-sein das – historisch und systematisch – verschüttete Fundament des traditionellen Wahrheitsbegriffs auf. Wahrheit meint »entdeckend-sein«. Wahrheit ist primär keine »Übereinstimmung« der Aussage mit dem Seienden, sondern ein Entdecken des Seienden durch das »Dasein«.151 Daher ist Wahrheit auch primär keine Eigenschaft wahrer Sätze, sondern eine Weise des Daseins zu sein: »Wahrsein als entdeckend-sein ist eine Seinsweise des Daseins« (Heidegger 1986, 220). Das Dasein selbst, insofern es durch Erschlossenheit bestimmt ist, ist wahr. »Sofern das Dasein wesenhaft seine Erschlossenheit ist, als erschlossenes erschließt und entdeckt, ist es wesenhaft ›wahr‹. Das Dasein ist ›in der Wahrheit‹« (Heidegger 1986, 221). Damit meint Heidegger nicht, daß das Dasein immer die Wahrheit im gewöhnlichen Sinne weiß, sondern daß das Dasein erschlossen ist. Das »ursprünglichste Phänomen der Wahrheit« als Entdeckend-sein ist die »Erschlossenheit des Daseins« (Heidegger 1986, 220). Heidegger identifiziert die ursprüngliche Wahrheit mit dem Grundzug der Weise des Daseins zu sein: »Das Dasein ist seine Erschlossenheit« (Heidegger 1986, 133). Mit Erschlossenheit bezeichnet Heidegger einen fundamentalen Zug des Daseins, der in seiner Selbstverständlichkeit zunächst banal erscheint: Erschlossenheit meint, daß das Dasein der es umgebenden Welt gegenüber aufgeschlossen ist. Anders als etwa der Stein ›weiß‹ das Dasein von der Welt, es ist ihr gegenüber in einem grundsätzlichen Sinne geöffnet. Erschlossenheit meint eine »Unverschlossenheit« (Heidegger 1986, 132) des Daseins gegenüber der Welt: Die Erschlossenheit des Daseins zeigt sich darin, daß es Seiendes »entdeckt«. In 151 »Dasein« ist Heideggers Bezeichnung des Menschen in Sein und Zeit (Heidegger 1986, 11 f.).

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

dieser Unverschlossenheit gründet alles Erkennen und Wahrnehmen. Wäre das Dasein wie der Stein in sich abgeschlossen, gäbe es keine Erkenntnisprobleme. Winfried Franzen hat die Grundkonzeption von Heideggers Begriff der ursprünglichen Wahrheit als transzendental charakterisiert: »Dieser Wahrheitsbegriff ist also eindeutig ein transzendentaler. Die Möglichkeitsbedingungen von Wahrheit liegen im Subjekt«.152 Allerdings radikalisiert Heidegger das transzendentalphilosophische Szenario, indem er mit dem ursprünglichen Phänomen der Wahrheit nicht nur die »Möglichkeitsbedingungen von Wahrheit« in das Subjekt verlegt, sondern Subjekt und Wahrheit gleichsetzt. Auf die problematischen Implikationen dieser Gleichsetzung von Wahrheit mit der Erschlossenheit des Daseins hat Ernst Tugendhat hingewiesen:153 Das Hauptproblem sieht Tugendhat darin, »daß Heidegger dadurch, daß und wie er das Wort Wahrheit zu seinem Grundbegriff macht, das Wahrheitsproblem gerade übergeht. Daß er die Erschlossenheit schon an und für sich Wahrheit nennt, führt dazu, daß sie gerade nicht auf Wahrheit bezogen, sondern gegen die Wahrheitsfrage abgeschirmt wird« (Tugendhat 1994, 296, kursiv von mir, D.M.). Wenn jedes Entdecken, »das Seiendes aus der Verborgenheit ans Licht hebt« (Tugendhat 1994, 292), wahr ist, dann verschwindet die Frage, ob denn eine bestimmte Entdecktheit eines Seienden ›wahr‹ im Sinne von zutreffend oder falsch ist. Wahrheit ist noch nicht ausreichend dadurch bestimmt, daß überhaupt Seiendes entdeckt wird, sondern erst, wenn sich eine bestimmte Entdecktheit als eine ausweisen kann, die das »Seiende, wie es selbst ist«, entdeckt. »Das Selbstsein (des entdeckten Seienden, D.M.) ist die kritische Instanz des Entbergens« (Tugendhat 1994, 293). Da für Heidegger auch eine unzutreffende Entdecktheit das Seiende noch »entdeckt aber zugleich verstellt« (Heidegger 1986, 222), »geht der spezifische Sinn von Wahrheit« als einer kritischen Instanz in Heideggers Wahrheitsbegriff »gleichsam unter« (Tugendhat 1994, 293), wenn jedes Entdecken wahr genannt wird. Tugendhat hätte Recht, wenn sich Heideggers früher Wahrheitsbegriff in der Gleichsetzung von Wahrheit mit der Erschlossenheit des Daseins erschöpfte. Tatsächlich unterscheidet Heidegger aber in Sein und Zeit zwischen zwei Wahrheitsbegriffen: die bisher erläuterte »ursprüngliche« Wahrheit als Erschlossenheit des Daseins, das »Entdeckend-sein« und die Wahrheit als »Entdecktheit des Seienden« (Heidegger 1986, 220). »Das Entdecken ist eine Seinsweise des In-derWelt-seins. Das umsichtige oder auch das verweilend hinsehende Besorgen entdeckt innerweltliches Seiendes. Dieses wird das Entdeckte. Es ist ›wahr‹ in einem zweiten Sinne. Primär ›wahr‹, das heißt entdeckend, ist das Dasein. Wahrheit im zweiten Sinne besagt nicht Entdeckend-sein (Entdeckung), sondern Entdecktsein (Entdecktheit)« (Heidegger 1986, 220, kursiv von mir, D.M.). Die Entdecktheit von Seiendem ist eine ›sekundäre Wahrheit‹, die nur aufgrund der 152 Winfried Franzen, Von der Existenzialontologie zur Seinsgeschichte. Eine Untersuchung der Entwicklung der Philosophie Martin Heideggers, Meisenheim am Glan 1975, S. 59. 153 Ernst Tugendhat, »Heideggers Idee von Wahrheit«, in: Otto Pöggeler (Hg.), Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes. Dritte, ergänzte Auflage, Weinheim 1994, S. 286-97.

II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

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»primären« Wahrheit im Sinne des »Entdeckend-seins« (Erschlossenheit) des Daseins möglich ist. »Die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gründet in der Erschlossenheit« (Heidegger 1986, 220). Mit der »Entdecktheit von Seiendem« kommt ein zweiter Wahrheitsbegriff ins Spiel, wobei zwischen den beiden Wahrheitsbegriffen ein Fundierungsverhältnis besteht. Zwar ist das Dasein auf der »ursprünglichen« oder »primären« Ebene der Wahrheit als Entdeckend-sein (Erschlossenheit) immer »in der Wahrheit«. Aber in Bezug auf die Ebene der sekundären Wahrheit der Entdecktheit des Seienden unterscheidet Heidegger durchaus zwischen einem Entdecken, das das Seiende entdeckt, wie es tatsächlich ist, und einem Entdecken, das das Seiende mehr »verdeckt« (Heidegger 1986, 222). Heidegger unterscheidet zwischen einer »eigentlichen« und einer »uneigentlichen« Entdecktheit, die letztere nennt er auch »Unwahrheit«. »Unwahrheit« ist eine (uneigentliche) Entdecktheit des Seienden »im Modus der Verstelltheit und Verschlossenheit« oder »im Modus des Scheins« (Heidegger 1986, 221-22). Man kann Tugendhat daher kaum zustimmen, wenn er sagt: »Diese Differenz des Sich-zeigens zwischen einem unmittelbaren, gleichsam vordergründigen Gegebensein (des Seienden in der Entdecktheit, D.M.) und der Sache selbst wird von Heidegger nicht berücksichtigt« (Tugendhat 1994, 292). Die Verhältnisse auf den beiden Ebenen des Wahrheitsbegriffs unterscheiden sich: Auf der Ebene der ursprünglichen Wahrheit, dem Entdeckend-sein (Erschlossenheit), ist das Dasein immer in der Wahrheit, was jedoch die Wahrheit der Entdecktheit von Seiendem angeht, ist das Dasein »zunächst und zumeist« in der »Unwahrheit«: Es entdeckt das Seiende zumeist nicht, wie es an ihm selbst ist. Heidegger nennt dieses Phänomen »Verfallen« (Heidegger 1986, 221). In der uneigentlichen Entdecktheit von Seiendem »verfällt« das Dasein der »Herrschaft der öffentlichen Ausgelegtheit«, dem »Man« (Heidegger 1986, 222). Das verfallene Dasein bringt sich gar nicht in ein eigenes Verhältnis zum Seienden, durch das es allein entdeckt werden kann, sondern übernimmt die allgemeinen Meinungen über das Seiende: Das Dasein meint, was »Man« meint. In der »öffentlichen Ausgelegtheit« wird das Seiende aber gerade nicht eigentlich entdeckt, sondern »verdeckt« und »verstellt« (Heidegger 1986, 222). Daher kann Heidegger sagen: »Das Dasein ist, weil wesenhaft verfallend, seiner Seinsverfassung nach in der ›Unwahrheit‹« (Heidegger 1986, 222). Das an das Man verfallene Dasein hat kein unmittelbares Verhältnis zu dem Seienden, das für es nur durch die öffentliche Ausgelegtheit vermittelt und damit verstellt ist. Die Unwahrheit als uneigentliche Entdecktheit ist der Normalfall der Wahrheit als Entdecktheit. »Zunächst ist das Dasein Man und zumeist bleibt es so« (Heidegger 1986, 129). Da das Dasein sich zunächst in der Unwahrheit der uneigentlichen Entdecktheit befindet, führt sein Weg zur Wahrheit der eigentlichen Entdecktheit des Seienden über die Destruktion der Unwahrheit.154 »Wenn das Dasein die Welt eigens 154 Es ist kein Zufall, daß hier Heideggers eigenes Projekt einer »Destruktion der Ontologiegeschichte« aus Sein und Zeit anklingt (Heidegger 1986, 19-27). Die ontologische »Tradition

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

entdeckt und sich nahebringt [...], dann vollzieht sich dieses (eigentliche, D.M.) Entdecken [...] immer als Wegräumen der Verdeckungen und Verdunkelungen, als Zerbrechen der Verstellungen« (Heidegger 1986, 129). Das eigentliche Entdecken des Seienden vollzieht sich als bestimmte Negation und Überprüfung der vorgegebenen »öffentlichen Ausgelegtheit« als einer uneigentlichen Entdecktheit des Seienden. »Daher muß das Dasein wesenhaft das auch schon Entdeckte gegen den Schein und die Verstellung sich ausdrücklich zueignen und sich der Entdecktheit immer wieder versichern. Erst recht vollzieht sich alle Neuentdeckung nicht auf der Basis völliger Verborgenheit, sondern im Ausgang von der Entdecktheit im Modus des Scheins [...] Die Wahrheit (Entdecktheit) muß dem Seienden immer erst abgerungen werden« (Heidegger 1986, 222). Wahrheit als eigentliche Entdecktheit ist etwas, zu dem sich das Dasein aus der zunächst gegebenen vorgängigen Verdecktheit durcharbeiten muß. Der Weg zur Wahrheit führt über das negative Abtragen von Verdeckungen. Eine besondere Verdeckung betrifft dabei das Phänomen der ursprünglichen Wahrheit als Entdeckend-sein selbst: Heidegger hat es nicht nur gegen die Verdeckung durch den »traditionellen Wahrheitsbegriff« der »Übereinstimmung« entdeckt. Mit der Destruktion dieser systematischen Verdeckung meint er gleichzeitig das historisch ursprüngliche, griechische Verständnis von Wahrheit als aletheia, was Heidegger mit »Unverborgenheit« übersetzt, freizulegen: »Die Übersetzung durch das Wort ›Wahrheit‹ und erst recht die theoretische Begriffsbestimmung dieses Ausdrucks verdecken den Sinn dessen, was die Griechen als vorphilosophisches Verständnis dem terminologischen Gebrauch von aletheia ›selbstverständlich‹ zugrunde legten« (Heidegger 1986, 219). Der fundamentalontologische Kontext schlägt sich in Heideggers frühem Wahrheitsbegriff deutlich nieder: Die Grundkonzeption ist die einer transzendentalen Subjektphilosophie. Das Dasein-Subjekt ist als die »Fundamentalontologie« (Heidegger 1986, 13) die »Bedingung der Möglichkeit« von Wahrheit und Wissen.155 Diese subjektphilosophische Fundierung ändert sich im Spätwerk. Die »Kehre« bringt die nach-subjektphilosophische und archäologische Grundkonzeption der späten Seinsgeschichte hervor, die man als eine Transzendentalphilosophie ohne transzendentales Subjekt charakterisieren kann. Die Bedingung der Möglichkeit ist nun das Sein selbst, das damit an die fundierende Stelle tritt, die macht zunächst und zumeist das, was sie ›übergibt‹, so wenig zugänglich, daß sie es vielmehr verdeckt« (Heidegger 1986, 21). Durch eine »Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie« soll auf die »ursprünglichen Erfahrungen« (Heidegger 1986, 22) von philosophischer Entdecktheit zurückgegangen werden. 155 Dieser subjektphilosophische Horizont des frühen Wahrheitsbegriffes zeigt sich am deutlichsten im dritten Abschnitt c) des Wahrheitsparagraphen: »Wahrheit ›gibt es‹ nur, sofern und solange Dasein ist« (Heidegger 1986, 226). Wahrheit sowohl im Sinne des Entdeckend-seins wie der Entdecktheit »gibt es« nicht, wenn kein Dasein ist, das durch Entdeckend-sein bestimmt, Seiendes entdecken kann. »Vordem Dasein überhaupt nicht war, und nachdem Dasein überhaupt nicht mehr sein wird, war keine Wahrheit und wird keine sein, weil sie als Erschlossenheit, Entdeckung und Entdecktheit dann nicht sein kann« (Heidegger 1986, 226). Es gibt keine Wahrheit, wenn es kein Dasein oder Subjekt gibt.

II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

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bisher das Dasein inne hatte. Es wird sich zeigen, daß diese Herkunft aus der Subjektphilosophie in der späten Seinsphilosophie ihre Spuren hinterlassen hat. Es gibt strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Wahrheitskonzeptionen des Früh- und des Spätwerks: In beiden treten zwei Wahrheitsbegriffe auf, von denen der eine im anderen fundiert ist. In Sein und Zeit ist die Wahrheit als Entdecktheit des Seienden unmittelbar in der primären Wahrheit der Erschlossenheit des Daseins fundiert. Im Spätwerk treten zwischen die Wahrheitsbegriffe eine Reihe von Zwischenstufen: Es entsteht eine komplexe, ineinander geschachtelte Bedingungsstruktur. Besonders zu Beginn sind die Ähnlichkeiten der Ausführungen zum frühen und späten Wahrheitsbegriff auffällig: Was in Sein und Zeit der »traditionelle Wahrheitsbegriff« hieß, wird im Aufsatz »Das Wesen der Wahrheit« der »geläufige Begriff der Wahrheit« (Heidegger 1976, 178) genannt, aber gleich bestimmt: »Die Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Aussage mit einer Sache« (Heidegger 1976, 182). Wiederum wird die Übereinstimmung anti-psychologistisch interpretiert: »Die vorstellende Aussage sagt ihr Gesagtes so vom vorgestellten Ding, wie es als dieses ist. Das ›so-wie‹ betrifft das Vor-stellen und sein Vor-gestelltes. Vor-stellen bedeutet hier, unter Ausschaltung aller ›psychologischen‹ und ›bewußtseinstheoretischen‹ Vormeinungen, das Entgegenstehenlassen des Dinges als Gegenstand« (Heidegger 1976, 184). Daß das vorstellende Aussagen dem Ding entspricht, »dazu kommt es nur, wenn das Seiende selbst vorstellig wird beim vorstellenden Aussagen, so daß dieses sich einer Weisung unterstellt, das Seiende so-wie es ist, zu sagen. Indem das Aussagen solcher Weisung folgt, richtet es sich nach dem Seienden. Das dergestalt sich anweisende Sagen ist richtig (wahr). Das so Gesagte ist das Richtige (Wahre)« (Heidegger 1976, 185). Nach diesem ersten Wahrheitsbegriff muß Wahrheit als »Richtigkeit« verstanden werden. Wahrheit wird »Richtig-keit« genannt, weil sie so gedacht ist, daß der Mensch sich in seinem Sprechen und Vorstellen nach dem Seienden »richtet«. Einig sind sich der frühe und der späte Heidegger auch in ihrer Kritik an der Verengung des Wahrheitsbegriffs auf Aussagenwahrheit: »Wahrheit ist nicht ursprünglich im Satz beheimatet« (Heidegger 1976, 185). »Die Beziehung des vorstellenden Aussagens auf das Ding ist der Vollzug jenes Verhältnisses, das sich ursprünglich und jeweils als ein Verhalten zum Schwingen bringt« (Heidegger 1976, 184, kursiv von mir, D.M.). Die referentielle Beziehung zwischen Aussage und Gegenstand ist ursprünglich ein pragmatisches Verhältnis. Die Richtigkeit der Aussage gründet darin, daß der Mensch sich in seinem Verhalten nach dem Seienden richten kann. Die Fähigkeit des Verhaltens und damit der Aussage, sich nach dem Seienden zu richten, verdankt sich einer besonderen Beschaffenheit des Verhaltens. »Die Aussage hat ihre Richtigkeit zu Lehen von der Offenständigkeit des Verhaltens; denn nur durch diese kann überhaupt Offenbares (ein anderes Wort für Seiendes, D.M.) zum Richtmaß werden für die vorstellende Angleichung« (Heidegger 1976, 185). Es ist also die spezifische Beschaffenheit der »Offenständigkeit« des menschlichen Verhaltens, die es dem Menschen möglich macht, sich im Han-

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deln, Vorstellen und Aussagen nach dem Seienden zu richten. Die Offenständigkeit des Verhaltens ist die Bedingung der Möglichkeit jeder Wahrheit im Sinne von Richtigkeit. Die Offenständigkeit entspricht offensichtlich der Erschlossenheit aus Sein und Zeit. Im Spätwerk ist sie Teil des Wahrheitsgeschehens, wird jedoch nicht als eigenständige Form von Wahrheit bestimmt. Diese dreigliedrige Bedingungskette – die Richtigkeit der Aussage gründet in der Richtig-keit des Verhaltens, das durch die Offenständigkeit des Verhaltens ermöglicht wird – hat zunächst Ähnlichkeit mit den Vorstellungen des frühen Heidegger. Dennoch zeigen sich schon hier erste Differenzen: So nimmt Heidegger mit der Rede von der »Offenständigkeit des Verhaltens« eine Umgewichtung an der Konzeption der Erschlossenheit vor. In der Erschlossenheit liegt ein Verweis auf eine Tätigkeit des Daseins, das Erschließen.156 Das Dasein ist nicht einfach unverschlossen, sondern es ist durch Erschlossenheit bestimmt, weil es Seiendes in seinem Sein erschließt oder entdeckt. Erschlossenheit ist kein Zustand, sondern eine »Weise zu sein«. Die Rede von der »Offenständigkeit« legt eine größere Passivität nahe: Der Mensch ›steht‹ in seinem Verhalten dem Seienden offen gegenüber. Die in der Erschlossenheit implizierte Dimension von Handlung ist getilgt. Eine ähnliche Tendenz bestimmt auch den Unterschied von »Richtig-keit des Verhaltens« und »Entdecktheit des Seienden«. In der Konzeption der Richtigkeit wird eher die Dominanz des Erkenntnisobjektes, des Seienden betont, nach dem sich der Mensch passiv richtet. Im Fall der Entdecktheit wird, dem Projekt der Fundamentalontologie entsprechend, eher die Bedeutung des Subjektes in der Erkenntnis hervorgehoben. Die Entdecktheit des Seienden ist eine Leistung des entdeckenden Daseins. Man kann die Tendenz, die in diesen Differenzen sichtbar wird, so zusammenfassen, daß sich darin eine Marginalisierung der autonomen synthetischen Aktivität des Menschen abzeichnet. Zu den nun folgenden Fundierungsschritten des späten Wahrheitsbegriffs findet sich in Sein und Zeit nichts Entsprechendes mehr. Mit ihnen beginnt der Weg in die nach-subjektphilosophische Archäologie des Spätwerks. Dieser Weg öffnet sich, weil die »Offenständigkeit des Verhaltens«, anders als die Erschlossenheit, die die ursprüngliche Wahrheit war, ihrerseits in etwas anderem gründet. »Wenn aber nur durch diese Offenständigkeit des Verhaltens die Richtigkeit (Wahrheit) der Aussage möglich wird, dann muß das, was die Richtigkeit erst ermöglicht, mit ursprünglicherem Recht als das Wesen der Wahrheit gelten« (Heidegger 1976, 185). Diese Frage nach den Ermöglichungsbedingungen der Offenständigkeit bzw. Erschlossenheit wäre im Horizont der frühen Fundamentalontologie sinnlos. Erschlossenheit ist eine Grundbestimmung des Seins des Da156 Die Erschlossenheit ist nur in einem eingeschränkten Sinne eine Tätigkeit des Daseins zu nennen. Es ist keine Tätigkeit, die das Dasein auch unterlassen könnte. Der Mensch kann sich nicht vornehmen, mal für zwei Tage kein Seiendes zu entdecken, wie er sich vornehmen kann, zwei Tage nicht Klavier zu spielen. Die Erschlossenheit ist keine bewußt gesteuerte Tätigkeit, trotzdem liegt darin die Verweisung auf die ›Tätigkeit‹ des Entdeckens. Mit der Betonung der Tätigkeits-Dimension der Erschlossenheit geht es mir vor allem um die Abgrenzung von der passiven »Offenständigkeit« des Spätwerks.

II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

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seins. Für den späten Heidegger jedoch ist mit der Offenständigkeit noch nicht das letzte Fundament erreicht. »Die Offenständigkeit des Verhaltens als innere Ermöglichung der Richtigkeit gründet in der Freiheit. Das Wesen der Wahrheit ist die Freiheit« (Heidegger 1976, 186). »Wesen« meint hier den »Grund der inneren Möglichkeit« (Heidegger 1976, 186) der Wahrheit. Die Freiheit ist das »Wesen« der Wahrheit, weil sie als Grund der Offenständigkeit die Bedingung der Möglichkeit von Wahrheit als Richtigkeit ist. Heideggers Freiheitsbegriff ist zumindestens eigenwillig: »Die Freiheit zum Offenbaren eines Offenen läßt das jeweils Seiende das Seiende sein, das es ist. Freiheit enthüllt sich jetzt als das Sein-lassen von Seiendem« (Heidegger 1976, 188). Durch die Offenständigkeit des Verhaltens ist der Mensch gegenüber dem ihn umgebenden Seienden/Offenbaren aufgeschlossen. Aber die Offenständigkeit allein bietet noch keine Gewähr, daß der Mensch sich wirklich nach dem Seienden richtet und es »das Seiende sein« läßt, »das es ist«. Erst in der durch Freiheit bestimmten Offenständigkeit läßt der Mensch sich so auf das Seiende ein, daß er das Seiende es selbst sein läßt. Daher kann auch nur für eine durch Freiheit bestimmte Offenständigkeit das Seiende so zur »bindenden Richte« (Heidegger 1976, 186) werden, daß die Wahrheit im Sinne von Richtigkeit der vorstellenden Aussage verbürgt ist. Ihre vollständige Bestimmung erhält die Freiheit erst durch die nächsten Fundierungsschritte, denn auch sie denkt Heidegger durch eine weitere Instanz bestimmt: »Die Freiheit ist nur deshalb der Grund der inneren Möglichkeit der Richtigkeit, weil sie ihr eigenes Wesen aus dem ursprünglichen Wesen der einzig wesentlichen Wahrheit empfängt« (Heidegger 1976, 187). Heidegger führt hier einen zweiten Wahrheitsbegriff ein, der die bisher erläuterte Wahrheit im Sinne von Richtigkeit erst ermöglicht und aus dem auch die Freiheit »ihr eigenes Wesen« erhält. Diese zweite, »wesentliche Wahrheit« nennt Heidegger aletheia. »Wenn wir aletheia statt mit ›Wahrheit‹ mit ›Unverborgenheit‹ übersetzen, dann ist diese Übersetzung nicht nur ›wörtlicher‹, sondern sie enthält die Weisung, den gewohnten Begriff der Wahrheit im Sinne der Richtigkeit der Aussage um- und zurückzudenken in jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und der Entbergung des Seienden« (Heidegger 1976, 188). Die aletheia als Wahrheit im Sinne von Unverborgenheit denkt sich Heidegger als eine »Offenheit«, durch die das Seiende in seinem Sein entborgen wird und in die der Mensch durch die Freiheit eingelassen ist. Die durch Freiheit bestimmte Offenständigkeit des Verhaltens wird eingelassen in die Offenheit der Unverborgenheit. Mit der Dimension der aletheia öffnet Heidegger die archäologische Dimension des Spätwerks. Die Konzeption der aletheia durchzieht eine Doppeltheit, die der in Heideggers undifferenzierter Rede vom »Sein« genau entspricht:157 Die Wahrheit als aletheia ist »jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und Entbergung des Seienden«. »Entborgenheit« ist jedoch ein Zustand, während »Entbergung« ein Gesche157 Vgl. zur Selbigkeit der Begriffe des Seins des Seienden und des Seins selbst oben S. 104-106.

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

hen ist. In der aletheia konfundiert Heidegger die beiden Dimensionen. Die Offenheit der Entborgenheit (Zustand) beruht in der Entbergung (Geschehen): Die aletheia ist das Geschehen der Entbergung, das die Offenheit der Entborgenheit hervorbringt.158 Die Entborgenheit ist die des geschichtlichen Seins des Seienden, die in der Entbergung des Seins selbst beruht. Für Heidegger ist Sein und Wahrheit das Selbe: Das Sein selbst ist das Entbergungsgeschehen der Wahrheit als aletheia, aus dem die Entborgenheit des Seins des Seienden hervorgeht. Die aletheia hat den Charakter eines agonalen Geschehens. Heidegger spricht auch vom »streitbaren Wesen der Wahrheit«.159 »Die Unverborgenheit ist der Verborgenheit, im Streit mit ihr, abgerungen« (Heidegger 1982, 25). Die Unverborgenheit entsteht aus einem Streit mit einer vorgängigen Verborgenheit. »Die Verborgenheit versagt der aletheia das Entbergen [...] Die Verborgenheit ist dann, von der Wahrheit als Entborgenheit her gedacht, die Un-entborgenheit und somit die dem Wahrheitswesen eigenste und eigentliche Un-wahrheit [...] Die Verborgenheit des Seienden im Ganzen stellt sich nie erst nachträglich ein als Folge der immer stückhaften Erkenntnis des Seienden. Die Verborgenheit des Seiendem im Ganzen, die eigentliche Un-wahrheit, ist älter als jede Offenbarkeit von diesem und jenem Seienden« (Heidegger 1976, 193). Das Wesen der aletheia erscheint als meta-historischer Streit von Entbergung und Verbergung. Wie im Frühwerk betrifft eine besondere Verborgenheit die Wahrheit als aletheia im Sinne von Unverborgenheit selbst: Das Sein selbst oder die aletheia als Unverborgenheit sind in der abendländischen Geistesgeschichte verborgen. Heidegger spricht von »Seinsvergessenheit«: die Vergessenheit des Geschehens der Entbergung und Entborgenheit. Einerseits ist die abendländische Geistesgeschichte aus dem Sein selbst bestimmt, andererseits ist dieser Grund der Geschichte in ihr verborgen. Mit der aletheia als Entbergung und Entborgenheit ist der Grund des ineinander gestaffelten Bedingungsgefüges des späten Wahrheitsbegriffes erreicht: Die Wahrheit als Richtigkeit (1) gründet in der Offenständigkeit des Verhaltens (2), das von der Freiheit (3) bestimmt ist, die ihrerseits in die Offenheit der Entborgenheit (4) des Seins des Seienden ausgesetzt ist, das aus dem Entbergungsgeschehen (5) als dem Streit zwischen Verborgenheit und Entbergung stammt. Dabei erweist sich die Freiheit als das Bindeglied des Menschen zur aletheia: »Das Sein-lassen, d.h. die Freiheit ist in sich aus-setzend, ek-sistent. Das auf das Wesen der Wahrheit hin erblickte Wesen der Freiheit zeigt sich als die Aussetzung in die Entborgenheit des Seienden« (Heidegger 1976, 189). Durch die Freiheit ist der Mensch aus-gesetzt in die Offenheit der Unverborgenheit, durch die das geschichtliche Sein des Seienden entborgen wird. 158 Die Struktur der aletheia im Spätwerk entspricht der im Frühwerk: Auch in Sein und Zeit hat Heidegger die sekundäre »Entdecktheit des Seienden« (Zustand) in dem primären »Entdekkend-sein«, der Erschlossenheit des Daseins (Geschehen) fundiert. 159 Martin Heidegger, Parmenides, in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 19231944, Bd. 54, Frankfurt/Main 1982a, S. 25.

II.3.1 KEHRE DES WAHRHEITSBEGRIFFS

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Das ineinander geschachtelte Bedingungsgefüge führt das geschichtliche Denken und Handeln des Menschen auf die aletheia zurück. »Der Mensch ek-sistiert, heißt jetzt: die Geschichte der Wesensmöglichkeiten eines geschichtlichen Menschentums ist ihm verwahrt in der Entbergung des Seienden im Ganzen. Aus der Weise, wie das ursprüngliche Wesen der Wahrheit west, entspringen die seltenen und einfachen Entscheidungen der Geschichte« (Heidegger 1976, 191). Jede geschichtliche Epoche empfängt ihr Gepräge aus der Offenheit der in der Entbergung des Seins selbst beruhenden Entborgenheit des Seins des Seienden. In die Offenheit ek-sistiert, steht der Mensch hinein und aus ihr empfängt er die »Weisung zur Angleichung des Vorstellens an das jeweilige Seiende« (Heidegger 1976, 191). Das archäologische Geschehen der aletheia wird das eigentliche, geheime Agens im Handeln des Menschen. Die Entmächtigung des Menschen in Heideggers spätem Wahrheitsbegriff geht so weit, daß ihm auch der Irrtum abgenommen wird. Es ist nicht der Mensch, der irrt, sondern der Irrtum kommt ebenfalls aus der Unverborgenheit. »Weil aber die ek-sistente Freiheit als Wesen der Wahrheit nicht eine Eigenschaft des Menschen ist, sondern der Mensch nur als Eigentum dieser Freiheit ek-sistiert [...], deshalb kann auch das Unwesen der Wahrheit nicht erst nachträglich dem bloßen Unvermögen und der Nachlässigkeit des Menschen entspringen. Die Unwahrheit muß vielmehr aus dem Wesen der Wahrheit kommen« (Heidegger 1976, 191). Insbesondere die Unwahrheit der Seinsvergessenheit kommt aus der Unverborgenheit des Seins selbst. Die Seinsvergessenheit beruht in einer »Seinsverlassenheit«:160 Das Sein selbst hat sich in seine Verborgenheit zurückgezogen. Erst in Heideggers Spätphilosophie, die das Sein selbst wieder denkt, zeichnet sich ein zögerliches Ende der abendländischen Seinsvergessenheit ab. Im Spätwerk tritt das anonyme archäologische Geschehen der Entbergung an die Stelle der Erschlossenheit (Entdeckend-sein) des Daseins: Nicht mehr das Dasein entdeckt Seiendes in seinem Sein, sondern die Unverborgenheit entbirgt das geschichtlich je andere Sein des Seienden, und der Mensch richtet sich passiv nach dieser Entborgenheit. Die entdeckende Aktivität des Daseins wird ersetzt durch das anonyme Entbergungsgeschehen, und an die Stelle der Entdecktheit des Seienden als einer Leistung des Daseins tritt die geschichtlich je andere Entborgenheit des Seienden durch die Offenheit der aletheia, in der der Mensch ek-sistiert. Die Kehre erweist sich also als eine Abkehr von der zentralen Bedeutung des Menschen im fundamentalontologischen Projekt von Sein und Zeit. Dem Menschen kommt im Spätwerk keine bestimmende Bedeutung bei der Wahrheitsfindung mehr zu: Der Mensch wird zum passiven Wahrheitsempfänger. Trotz der gravierenden Umbesetzungen bleibt in der Spätphilosophie das subjektphilosophische Grunddesign des Frühwerks erhalten: Heidegger besetzt nur die zentrale Stelle um. Die weiteren Umbauten ergeben sich als Konsequenzen dieser

160 Martin Heidegger, »Überwindung der Metaphysik«, in: ders., Vorträge und Aufsätze. Siebte Auflage, Stuttgart 1994a, 67-95: 87.

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

Umbesetzung. An die Stelle des menschlichen Daseins als Subjekt tritt das Sein selbst. Diese krypto-subjektphilosophische Dimension blitzt in einem Satz aus der Schluß-Anmerkung auf: »Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit findet ihre Antwort in dem Satz: das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des Wesens [...] Das Subjekt des Satzes ist, falls diese fatale grammatische Kategorie überhaupt noch gebraucht werden darf, die Wahrheit des Wesens« (Heidegger 1976, 201). Das Wesen der Wahrheit als Unverborgenheit ist die Entbergung des Wesens oder des Seins selbst. Dieses zweite »Wesen« nennt Heidegger »das Subjekt des Satzes«, um diese Rede sofort wieder zurückzunehmen: Das Sein selbst der Spätphilosophie ist ein anonymes Subjekt. Habermas scheint mir daher Recht zu haben mit seiner Bemerkung: »In negativer Weise bleibt Heidegger schließlich auch an den Fundamentalismus der Subjektphilosophie gebunden« (Habermas 1985, 166). Die archäologische Konzeption der späten Seinsgeschichte ist eine Subjektphilosophie ohne menschliches Subjekt, das vom Sein selbst verdrängt und durch es ersetzt wurde. Mit dem Sein erscheint eine Gestalt des Anderen der Vernunft als Grund und Prinzip der historischen Erschlossenheit des Menschen.

II.3.2 Die Raummetaphorik der Wahrheit II.3.2 RAUMMETAPHORIK DER WAHRHEIT

Für Schellings Weltalter war insbesondere die Verwendung von Natur- und anthropomorpher Metaphorik prägend, in Heideggers Spätphilosophie kommt Metaphern des Raums eine zentrale Bedeutung zu. Die Raummetaphorik des frühen und späten Wahrheitsbegriffes stammt zunächst aus Heideggers etymologisierender Übersetzung des Griechischen aletheia mit »Unverborgenheit«. Vor allem die Raummetaphorik des Wahrheitsbegriffes in Sein und Zeit steht jedoch auch im Horizont der grundsätzlichen räumlichen Bestimmung des Menschen als Dasein. Die Bedeutung der Räumlichkeit des Daseins bleibt auch im Spätwerk in gewandelter Form erhalten, der gegenüber sich die archäologische Raum- und Lichtmetaphorik des Seins selbst allerdings verselbständigt. Zunächst möchte ich die Räumlichkeit des Daseins als Kontext der Raummetaphorik des frühen Wahrheitsbegriffs rekonstruieren. Es wird sich zeigen, daß die räumliche Bestimmung des Daseins ein distinktes Gegenmodell zur Räumlichkeit der neuzeitlichen Subjektphilosophie darstellt. Anschließend untersuche ich die Verselbständigung der Raummetaphorik im Wahrheitsdiskurs des Spätwerks. Die »Grundverfassung des Daseins« (Heidegger 1986, 59) ist das »In-derWelt-sein« (Heidegger 1986, 53). Auch wenn Heidegger im Folgenden das Inder-Welt-sein als »Existenzial« (Heidegger 1986, 12; 44), als den Menschen ontologisch auszeichnende Weise zu sein, von der kategorialen »Inwendigkeit« (Heidegger 1986, 56) vorhandener Gegenstände abhebt, bleibt die räumliche Metaphorik der Grundbestimmung erhalten und schreibt sich fort. Die Grundbestimmung besagt systematisch vor allem, daß das Dasein immer schon in der Welt, bei den Dingen und bei anderen Menschen ist. »Das Dasein aber ist ›in‹ der Welt im Sinne des besorgend-vertrauten Umgangs mit dem innerweltlich be-

II.3.2 RAUMMETAPHORIK DER WAHRHEIT

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gegnenden Seienden« (Heidegger 1986, 104).161 Der Mensch als Dasein ist kein isoliertes erkennendes Subjekt, das in den »Kasten« (Heidegger 1986, 60) seines Inneren eingeschlossen ist, aus dem es im Erkennen ›hervorlugt‹, wodurch Bilder von der Außenwelt in das Drinnen gelangen. In der Metaphorologie der Subjektphilosophie steht ein isolierter Subjekt-Kasten einer Außenwelt gegenüber, zwischen denen das Erkennen ein dann erkenntnistheoretisch erklärungsbedürftiges »commercium« (Heidegger 1986, 62) stiftet. Mit der »Erschlossenheit« (Heidegger 1986, 133) als Grundbestimmung des In-seins entwirft Heidegger in bewußter Abgrenzung ein anderes Raummodell des Verhältnisses des Daseins zur umgebenden Welt: Das Dasein ist immer schon bei der Welt und gerade zumeist nicht bei sich. »Sein Hier versteht das Dasein aus dem umweltlichen Dort [...] Das Dasein ist gemäß seiner Räumlichkeit zunächst nie hier, sondern dort, aus welchem Dort es auf sein Hier zurückkommt« (Heidegger 1986, 107). Im Gegensatz zum Subjekt-»Kasten« (Heidegger 1986, 60) hat das Dasein den Charakter der »Unverschlossenheit« (Heidegger 1986, 132): Zum Dasein gehört Welt, es ist kein isoliertes Subjekt, das auf ein ihm fremdes Gegenüber ausgreift, sondern immer schon bei den Dingen und anderen Menschen. »Im Sichrichten auf .. und Erfassen geht das Dasein nicht etwa erst aus seiner Innensphäre hinaus, in die es zunächst verkapselt ist, sondern es ist seiner primären Seinsart nach immer schon ›draußen‹ bei einem begegnenden Seienden der je schon entdeckten Welt. Und das bestimmende Sichaufhalten bei dem zu erkennenden Seienden ist nicht etwa ein Verlassen der inneren Sphäre, sondern auch in diesem ›Draußen-sein‹ beim Gegenstand ist das Dasein im rechtverstandenen Sinne ›drinnen‹, d.h. es selbst ist es als In-der-Welt-sein, das erkennt. Und wiederum, das Vernehmen des Erkannten ist nicht ein Zurückkehren des erfassenden Hinausgehens mit der gewonnenen Beute in das ›Gehäuse‹ des Bewußtseins, sondern auch im Vernehmen, Bewahren und Behalten bleibt das erkennende Dasein als Dasein draußen« (Heidegger 1986, 62). Heidegger weist die InnenAußen-Metaphorik der Subjektphilosophie und das dadurch hervorgebrachte erkenntnistheoretische Szenario zurück. In der Metaphorologie der existenzialen Analytik des Daseins tritt eine grundsätzliche Offenheit des Menschen und primäre Verwiesenheit auf die Welt an die Stelle der Abgeschlossenheit des subjektphilosophischen »Gehäuses«. Die Innen-Außen-Metaphorik »sprengt« die Zusammengehörigkeit von Dasein und Welt auseinander, weil sie es unterläßt, die Seinsart des Menschen ontologisch genauer zu bestimmen. Die Differenz wird an einer Stelle besonders deutlich, in der sich Heidegger scheinbar probeweise auf das subjektphilosophische Szenario einläßt und versucht, seinen zentralen Einwand in dessen Metapho161 Heidegger konfundiert in seinem Welt-Begriff zwei unterschiedliche Dimensionen: die »transzendentale, konstituierte Welt« und die »faktische, ontische Welt«, in der der Mensch lebt – vgl. dazu Romano Pocai, »Die Weltlichkeit der Welt und ihre abgedrängte Faktizität«, in: Thomas Rentsch (Hg.), Sein und Zeit, Berlin 2001, S. 51-67: 51. Ich berücksichtige hier den Unterschied nicht, weil in beiden Weltbegriffen raummetaphorische Bestimmungen leitend sind.

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

rik zu formulieren, indem er die Dimension des »zwischen« betont. »Was anderes stellt sich aber dann mit diesem Phänomen dar als das vorhandene commercium zwischen einem vorhandenen Subjekt und einem vorhandenen Objekt? Diese Auslegung käme dem phänomenalen Bestand schon näher, wenn sie sagte: das Dasein ist das Sein dieses ›Zwischen‹. Irreführend bliebe die Orientierung an dem ›Zwischen‹ trotzdem. Sie macht unbesehen den ontologisch unbestimmten Ansatz des Seienden mit, wozwischen dieses Zwischen als solches ›ist‹. Das Zwischen ist schon als Resultat der convenientia zweier Vorhandener begriffen. Der vorgängige Ansatz dieser aber sprengt immer schon das Phänomen, und es ist aussichtslos, dieses je wieder aus den Sprengstücken zusammenzusetzen [...] Das ontologisch Entscheidende liegt darin, die Sprengung des Phänomens vorgängig zu verhüten« (Heidegger 1986, 132). Die Raummetaphorik der existenzialen Analytik des Daseins bildet den Horizont der Wahrheitsdiskussion in Sein und Zeit, insofern Heidegger die Erschlossenheit des Daseins als das »ursprünglichste Phänomen der Wahrheit« (Heidegger 1986, 220) bestimmt und damit den Wahrheitsbegriff in die existenziale Analytik einbettet. Durch die Räumlichkeit der Erschlossenheit fällt die subjektphilosophische Problematik weg, wie im Erkennen das Außen in das Subjekt-Innere hineinkommt und dabei etwa ›verzerrt‹ wird: Wahrheit ist ein Geschehen draußen. Tatsächlich scheint die Konzeption der Wahrheit als Unverborgenheit an der hintergrundmetaphorischen Szene des Blicks auf einen Gegenstand im Raum abgelesen worden zu sein.162 Wahrheit ist der unverstellte Blick, der den Gegenstand un-verborgen sieht. Unwahrheit ist »Verborgenheit« als Eingeschränktheit des Blicks: In der Unwahrheit ist der Gegenstand »verstellt«, »verschlossen«, »verdeckt« (Heidegger 1986, 222). Etwas tritt zwischen Gegenstand und Blick: verstellt, ver-deckt. Die Unwahrheit als Verborgenheit ist negative Räumlichkeit. Ihr muß die Unverborgenheit »abgerungen werden« (Heidegger 1986, 222): Wahrheit ist »ent-decken« (Heidegger 1986, 218), ein Auf-decken der quasi-räumlichen »Verdecktheit« (Heidegger 1986, 222) des Seienden in der Unwahrheit. An dieser Stelle möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung zu Heideggers Umgang mit Metaphorik einschalten: Heidegger nutzt sowohl das semantische wie auch das quasi-bildliche Potential metaphorischer Ausdrücke. Für die RaumMetaphorik der Wahrheitskonzeption spielt die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes aletheia mit »Unverborgenheit« eine gewisse Rolle. Heidegger zieht also einerseits den Verweis auf Räumlichkeit in der Semantik des Wortes bei seiner Bestimmung von Wahrheit heran. Eine radikale Spielart der Ausbeutung der Semantik von Worten stellen die philosophischen Quasi-Etymologien des späten Heidegger dar.163 Andererseits spielen in der weiteren Diskussion von Wahrheit als aletheia aber auch quasi-bildliche Vorstellungen von Räumen eine 162 »Hintergrundmetaphorik« nennt Blumenberg Metaphern, die im Text gar nicht manifest vorkommen aber als »Leitvorstellungen« Aussagen aus der Latenz heraus organisieren (Blumenberg 1999, 20, 91 f). 163 Vgl. die Rekonstruktion der hermeneutischen Logik von Heideggers quasi-etymologischen Lektüren oben S. 114-116.

II.3.2 RAUMMETAPHORIK DER WAHRHEIT

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Rolle: Heidegger scheint in Sein und Zeit eine räumliche Szene als Paradigma von Wahrheit ›vor Augen‹ zu haben. Darin wird Wahrheit zum unverstellten Blick auf einen Gegenstand im Raum. Die quasi-bildliche Logik wird von der Semantik der Übersetzung von aletheia ausgelöst und verselbständigt sich dann ihr gegenüber. Diese quasi-bildhaften Dimensionen spielen in Heideggers metaphorischer Praxis eine mindestens gleichberechtigte Rolle neben der Semantik der Worte. Die Raummetaphorik der Wahrheitskonzeption bleibt auch in der archäologischen Konzeption der Spätphilosophie erhalten. In ihr läßt sich insbesondere die Verselbständigung der quasi-bildhaften Logik der Raummetaphorik beobachten: Die Räumlichkeit des frühen Wahrheitsbegriffs wird zu einem komplexen räumlichen Szenario entwickelt. Wie in der Räumlichkeit des Daseins ist auch im Spätwerk die Grundbestimmung des Menschen die einer fundamentalen Offenheit: »Das Verhalten ist offenständig zum Seienden« (Heidegger 1976, 184). Die »Richtigkeit« der Aussage, in der sich der Mensch nach dem umgebenden Seienden richtet, ist nur aufgrund dieser »Offenständigkeit des Verhaltens« möglich: »Die Aussage hat ihre Richtigkeit zu Lehen von der Offenständigkeit des Verhaltens«. Die Offenständigkeit des Verhaltens steht ihrerseits in dem »Offenen« (Heidegger 1976, 184) der Entborgenheit des Seins des Seienden. Die Offenständigkeit des Menschen wird in der Offenheit der Entborgenheit plaziert. Das Bindeglied zwischen der Offenständigkeit des Menschen und der Offenheit der Entborgenheit ist die Freiheit: »Die Offenständigkeit des Verhaltens als innere Ermöglichung der Richtigkeit gründet in der Freiheit« (Heidegger 1976, 186). Freiheit ist die »Ermöglichung der Richtigkeit«, weil durch sie die Offenständigkeit des Verhaltens angehalten wird, »das Seiende sein zu lassen, das es ist und wie es ist« (Heidegger 1976, 191). »Freiheit enthüllt sich jetzt als das Seinlassen von Seiendem« (Heidegger 1976, 188). Die passivische Metaphorik des »Sein-lassens« wird ihrerseits in einer Raummetaphorik fundiert: »Das Seinlassen, d.h. die Freiheit ist in sich aus-setzend, ek-sistent. Das auf das Wesen der Wahrheit hin erblickte Wesen der Freiheit zeigt sich als die Aussetzung in die Entborgenheit des Seienden« (Heidegger 1976, 189). Die Passivität des »Seinlassens« empfängt ihre »Weisung« (Heidegger 1976, 191) aus ihrer »Aussetzung« in die Offenheit der aletheia als Entborgenheit. »Die Freiheit ist nur deshalb der Grund der inneren Möglichkeit der Richtigkeit, weil sie ihr eigenes Wesen aus dem ursprünglichen Wesen der einzig wesentlichen Wahrheit empfängt« (Heidegger 1976, 187). Die archäologische Wahrheitskonzeption der Spätphilosophie ist ein komplexes räumliches Szenario: »Seinlassen – das Seiende nämlich als das Seiende, das es ist – bedeutet, sich einlassen auf das Offene und dessen Offenheit, in die jegliches Seiende hereinsteht, das jene gleichsam mit sich bringt« (Heidegger 1976, 188). Wahrheit wird zu einem quasi-räumlichen Geschehen, wobei die Offenheit der Entborgenheit, in die der Mensch durch die Freiheit eingelassen ist, den Raum stiftet, in welchem sich der Mensch und das Seiende begegnen können, indem beide in ihn »hereinstehen«. Es wird jedoch nicht einfach ein neutraler Raum der

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

Begegnung gestiftet, sondern ein gebahnter Raum. Die geschichtliche Offenheit der Entborgenheit bahnt den Bezug von Seiendem und Mensch vor: »Die Freiheit, das ek-sistente, entbergende Da-sein besitzt den Menschen und das so ursprünglich, daß einzig sie einem Menschentum den alle Geschichte erst begründenden und auszeichnenden Bezug zu einem Seienden im Ganzen als einem solchen gewährt« (Heidegger 1976, 190, kursiv von mir, D.M.). Spätestens mit diesem räumlichen Szenario der Wahrheit hat sich die quasi-bildliche räumliche Logik in Heideggers Diskussion verselbständigt: Hier ist nicht mehr von einem wirklichen Raum die Rede. Den Blick auf einen Gegenstand im Raum habe ich als das hintergrundmetaphorische Szenario des frühen Wahrheitsbegriffs beschrieben. In dem quasiräumlichen Szenario der späten Wahrheitskonzeption geht es um die Bedingungen der Möglichkeit dieses Blicks: Die Möglichkeit der Beziehung zwischen Mensch und Gegenstand scheint für Heidegger jetzt nicht mehr unproblematisch voraussetzbar. Tatsächlich ist eine raummetaphorische Grundbedingung einer solchen Beziehung, daß Mensch und Gegenstand im selben Raum sind. Dieser gemeinsame Raum wird durch die Offenheit der Entborgenheit des Seins des Seienden gestiftet, in die der Mensch durch die Freiheit »ausgesetzt« ist und »jegliches Seiende hereinsteht« (Heidegger 1976, 188). Diese Offenheit stiftet den Bezug des Menschen zum Seienden. Die archäologische Konzeption der aletheia als Entborgenheit räumt Mensch und Seiendes überhaupt erst in einen gemeinsamen Raum ein und ent-birgt das Seiende für den Menschen. Was der Blick des Menschen am Seienden ›sieht‹, in welcher Weise das Sein des Seienden ent-deckt oder »verdeckt und verstellt« (Heidegger 1976, 191) ist, bestimmt die den Bezug stiftende Offenheit der Entborgenheit: Sie ent-birgt und ver-birgt das Seiende in seinem Sein für den Menschen. Während die Räumlichkeit des frühen Wahrheitsbegriffs an dem potentiell realistischen Szenario eines Blicks auf einen Gegenstand im Raum abgelesen war, ist die Räumlichkeit der späten Wahrheitskonzeption durch und durch metaphorisch: Weder gibt es die Offenheit der aletheia noch ist die Freiheit eksistent. Die archäologische Quasi-Räumlichkeit der späten Wahrheitskonzeption ist der Versuch, durch Metaphern in das archäologische transzendentale Geschehen der Entbergung zu weisen, das die Bedingung der Möglichkeit sinnlicher, geschichtlicher Erfahrung sein soll.

II.3.3 Werkgeschichtlicher Exkurs: Von der Offenheit zur Lichtung II.3.3 VON DER OFFENHEIT ZUR LICHTUNG

Der Aufsatz »Vom Wesen der Wahrheit« wurde in der Forschung oft als das erste Dokument der »Kehre«, der Wendung vom Früh- zum Spätwerk Heideggers, betrachtet (Franzen 1975, 58). Angesichts der verwickelten Textgeschichte ist allerdings noch kein endgültiges Urteil möglich: Der Text wurde, wie Heidegger selbst in den »Nachweisen« am Ende der Aufsatzsammlung Wegmarken erläutert,

II.3.3 VON DER OFFENHEIT ZUR LICHTUNG

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1930 als Vortrag konzipiert, »öfter gehalten«, »mehrfach überarbeitet« und erst 1943 publiziert (Heidegger 1976, 483). Der zweiten Auflage 1949 wurde der erste Absatz der Schlußanmerkung hinzugefügt. Da die verschiedenen Fassungen des Vortrages/Aufsatzes nicht publiziert sind, läßt sich noch nicht entscheiden, wieviel Kehre schon in dem Vortrag von 1930 war und was erst in den mehrfachen Überarbeitungen der folgenden Jahre hinzugekommen ist (Franzen 1975, 186). Für eine gewisse Homogenität des Textes spricht folgende Beobachtung, um die es mir anschließend auch allein geht: Sieht man den Aufsatz durch, fällt auf, daß die Wahrheitsdiskussion vor allem durch die Raummetaphorik geprägt ist und die später oft verwendete Metapher der Lichtung fast völlig fehlt, die ausschließlich im ersten Absatz der Schlußanmerkung vorkommt, der dem Text erst 1949 hinzugefügt wurde. Das legt die Vermutung nahe, daß Heidegger die Lichtungsmetapher später entwickelt hat. In diesem Kapitel gehe ich dem Auftauchen und der Entwicklung der für die seinsgeschichtliche Archäologie des späten Heidegger zentralen Lichtungsmetapher anhand der frühen Vorlesungen nach: Die Lichtungsmetapher erweist sich als Kombination aus der Raummetaphorik der Wahrheitsdiskussion und einer wohl von Platon übernommenen Lichtmetaphorik. In dem ersten Paragraphen der Schlußanmerkung schreibt Heidegger: »Wahrheit bedeutet lichtendes Bergen als Grundzug des Seyn. Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit findet ihre Antwort in dem Satz: Das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des Wesens [...] Das lichtende Bergen ist, d.h. läßt wesen, die Übereinstimmung zwischen Erkenntnis und Seiendem [...] Der Name dieser Lichtung ist aletheia« (Heidegger 1976, 201). Das Wesen der Wahrheit als Unverborgenheit ist die Entbergung des Wesens als dem Sein als solchem. Die Offenheit der historischen Unverborgenheit des Seins des Seienden, die den Bezug zwischen Mensch und Sein und also die »Übereinstimmung von Erkenntnis und Seiendem« stiftet, stammt aus dem Geschehen der Entbergung, das das Sein als solches ist. Diese historische Offenheit der Unverborgenheit nennt Heidegger die »Lichtung«. Die Lichtung erscheint hier als anderer »Name« der Offenheit der Unverborgenheit. Wie aus der Offenheit die Lichtung wurde, erschließt sich vor allem aus den Vorlesungen Heideggers. Zwischen 1930 und 1940 hat Heidegger lediglich den Aufsatz »Hölderlin und das Wesen der Dichtung« veröffentlicht, in dem die Lichtungsmetapher nicht vorkommt.164 Sieht man seine frühen Vorlesungen durch, bemerkt man, daß er in zeitlicher Nähe zur Abfassung des Vortrages zweimal zu Platons »Höhlengleichnis«, einem der Gründungstexte der abendlän-

164 Vgl. Walter Biemels chronologische Liste der Veröffentlichungen in ders., Martin Heidegger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1973, 159 f. Der genannte Aufsatz findet sich jetzt in Martin Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, in: ders., Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 4, Frankfurt/Main 1981, S. 3348.

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

dischen Lichtmetaphysik, gelesen hat: im Wintersemester 1931/32165 und im Wintersemester 1933/34.166 Hier findet sich die Lichtungsmetapher zwar ebenfalls noch nicht, aber Heidegger diskutiert ausführlich, warum das Licht ein »Sinnbild« (Heidegger 1988, 53) der Ideen sein kann. Eine »doppelte Charakteristik« (Heidegger 2001, 156) wird als Grund der Analogie angeführt: »1. das Licht als das im voraus Vernommene und Gesichtete und 2. als dieses zugleich das den Blick und das Sehen Durchlassende« (Heidegger 1988, 53). Licht ist als »Helle« die »Bedingung dafür, daß ich Dinge überhaupt sehe oder nicht sehe« (Heidegger 2001, 155). Licht ist als die Bedingung der Möglichkeit jeder Sichtbarkeit das »im voraus Vernommene«. Der Grundcharakter des Lichtes ist »Durchsicht zu ermöglichen« auf das Seiende (Heidegger 2001, 155). Beides gelte auch für die Idee: In einem wahrnehmungstheoretischen Exkurs macht Heidegger klar, daß der Blick zunächst keine Gegenstände, sondern nur Eindrücke wahrnimmt. Erst die zuvor gewußte Idee macht die Dinge daher überhaupt und wie sie in ihrem Sein sind erkennbar. »Denn was wir da sehen, ein ›Buch‹, ist offenbar etwas anderes als ›schwarz‹, ›hart‹, ›weich‹ usw. Das in diesem Sehen Gesichtete ist die idea, das eidos« (Heidegger 1988, 51). Erst die zuvor gewußte Idee synthetisiert die disparaten Eindrücke (schwarz, hart) zur Einheit von Gegenständen (Buch). »Das Sehen der Idee, d.h. das Verstehen des Was- und Wie-seins, kurz des Seins, läßt uns überhaupt erst das Seiende als das jeweilige Seiende, das es ist, erkennen; mit den leiblichen Augen sehen wir nie das Seiende, es sei denn, daß wir dabei schon ›Ideen‹ sehen« (Heidegger 1988, 52). Die Ideen sind wie das Licht die Bedingung der Möglichkeit des Verständnisses des Seienden überhaupt, und sie gewähren erst die »Durchsicht« auf das Seiende in seinem Sein. »Das Verstehen und Erfahren der Ideen also ist das Vorgängige, was begriffen werden muß, um das Einzelne zu verstehen« (Heidegger 2001, 174). An einer Stelle verwendet Heidegger nebenbei eine Formulierung, die er später oft gebrauchen wird: »Die Idee lichtet, macht Licht auf das Einzelne« (Heidegger 2001, 174). Soweit ich sehe, findet sich die Lichtungsmetapher zum ersten Mal in einer Vorlesung im Wintersemester 1937/38.167 Die Lichtung erweist sich dabei als eine Kreuzung von Raum- und Lichtmetaphorik: Heidegger bestimmt sie als »helle Stelle« (Heidegger 1984a, 209). »Das Seiende – und wir selbst inmitten seiner – liegt in gewisser Weise offen. Im Seienden herrscht solche Offenheit [...] Das Seiende ist uns in dieser Offenheit nach seinen verschiedenen Bezirken verschieden vertraut und bekannt. Es steht in einer Helle des Kennens und der Beherrschung 165 Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet, in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1923-1944, Bd. 34, Frankfurt/Main 1988. 166 Martin Heidegger, Sein und Wahrheit. 1. Die Grundfrage der Philosophie, 2. Vom Wesen der Wahrheit, in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1919-1944, Bd. 36/37, Frankfurt/Main 2001. 167 Martin Heidegger, Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte ›Probleme‹ der ›Logik‹, in: ders., Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1923-1944, Bd. 45, Frankfurt/Main 1984a, v.a. S. 209 f.

II.3.3 VON DER OFFENHEIT ZUR LICHTUNG

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und gewährt Wege und Pfade der Durchdringung für die verschiedensten Weisen der Bearbeitung, Gestaltung und Betrachtung [...] Das Seiende steht in einer Helle, im Licht, und gibt den Zu- und Durchgang frei – es ist gelichtet. Wir sprechen von einer Waldlichtung, einer freien, hellen Stelle. Die Offenheit des Seienden ist solche Lichtung« (Heidegger 1984a, 209). Das Seiende ist nicht einfach »offen«, sondern die vorgängige Offenheit einer geschichtlichen Unverborgenheit des Seins des Seienden macht dem historischen Menschen das Seiende »bekannt und vertraut«. Der nächste Satz verbindet Lichtund Raummetaphorik: Die vorgängige Offenheit »gewährt« eine lichtmetaphorische »Helle des Kennens und der Beherrschung« oder raummetaphorische »Wege und Pfade der Durchdringung« des Seienden, die jeden theoretischen und praktischen Umgang mit ihm vorstrukturieren. Diese Koppelung der zwei Metaphernfelder wiederholt der folgende Satz: Das Seiende »steht in einer Helle« und »gibt den Zu- und Durchgang frei«. Heidegger scheint beide Sachverhalte in der Formulierung zusammenzufassen: »Es (das Seiende, D.M.) ist gelichtet«. Er verteilt in dem zuletzt diskutierten Satz die »doppelte Charakteristik« (Heidegger 2001, 156), die er in den Platon-Vorlesungen als Grund der Analogie von Licht und Idee ausgemacht hatte, auf die Licht- und die Raummetaphorik: Für den grundlegenden Bedingungscharakter von Licht und Idee als dem »im voraus Vernommenen« jedes (verstehenden) Sehens steht die lichtmetaphorische »Helle« der Lichtung. Aus dem Grundcharakter von Licht und Idee eine »Durchsicht« auf das (Sein des) Seienden zu gewähren, wird ein raummetaphorischer »Zu- und Durchgang« zum Verständnis des Seienden. Diese Umstellung einer visuellen auf eine räumliche Metaphorik läßt sich aus dem Unterschied im Verständnis von Wissen bei Platon und Heidegger erklären: Bei Platon ist »Wissen orientiert auf die Grunderscheinung der Idee und des Gesichteten« (Heidegger 2001, 150). Platons »Begriff des Erkennens ist auf das Sehen und auf das Licht orientiert. Theoretisches Erkennen, Theorie (theoria) ist Schauen« (Heidegger 2001, 154). Bei Platon sieht der Mensch das Sein des Seienden, die Ideen. Für Heidegger erfährt das Dasein ein Verständnis des Seins des Seienden im praktischen Umgang damit. Schon in Sein und Zeit hat Heidegger den räumlichen Charakter von Praxis betont. Im Spätwerk wird die Räumlichkeit der Praxis in die Offenheit der Unverborgenheit eingelagert und von ihr vorgeprägt: »Bearbeitung, Gestaltung und Betrachtung« des Seienden folgen den von der vorgängigen Offenheit »gewährten Wegen und Pfaden der Durchdringung« – platonisch: Durch-sicht – des Seienden auf sein Sein. Die Metapher der Lichtung der Unverborgenheit als »freie, helle Stelle« entsteht bei Heidegger aus einer Kombination von Licht- und Raummetaphorik. Die Lichtung – vor allem wenn man dabei, wie Heidegger, an eine »Waldlichtung« (Heidegger 1984a, 209) denkt – legt die Frage nach dem Umgebenden nahe, die sich zur Frage nach der Herkunft der Lichtung entwickelt. »Aber zugleich ist das Seiende umstellt, und zwar nicht nur durch jenes Seiende, was uns noch nicht und vielleicht nie zugänglich ist, sondern durch ein Verborgenes [...] Jenes, was das Seiende gegen das Nichtseiende auszeichnet, daß es

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

ist und so und so ist, steht nicht in der Lichtung, sondern in der Verhüllung [...] Die Lichtung, in der das Seiende ist, wird nicht einfach begrenzt und umgrenzt durch ein Verborgenes, sondern durch ein Sichverbergendes« (Heidegger 1984a, 210, kursiv von mir, D.M.). Die Lichtung ist »umstellt« durch ein »Verborgenes«, das »in der Verhüllung« ist. Schließlich erweist sich, was die Lichtung »begrenzt und umgrenzt«, als »Sichverbergendes«. Hier scheint es, als wäre das Sichverbergende, das Sein selbst, außerhalb der Lichtung, als entstünde die Lichtung aus einem Sich-zurückziehen des sich-verbergenden Seins. Das entbergende Sein selbst als das die Lichtung konstituierende Außerhalb der Lichtung beschreibt jedoch nur einen Teil des Lichtungsgeschehens: »Wenn nun aber am Seienden selbst das Seyn das Entscheidende bleibt und alles Betreiben und Austragen des Seienden, das wir selbst nicht sind und das wir selbst sind, wissentlich oder nicht auf das Seyn des Seienden drängt, darauf was und wie es ist, dann erweist sich die Lichtung nicht nur begrenzt durch das Sichverbergende, sondern: sie ist Lichtung für das Sichverbergende« (Heidegger 1984a, 210). Das Sein selbst, das Heidegger hier »Seyn« schreibt, ist nicht nur außerhalb, sondern auch in der Lichtung. »Da nun aber das Seiende und das als Seiendes Bekannte in der Lichtung steht, enthüllt sich das Seyn doch in gewisser Weise« (Heidegger 1984a, 210). Die Lichtung der Unverborgenheit des historischen Seins des Seienden stammt aus der Entbergung des »Seyns« selbst, das einerseits als Verborgenheit die Lichtung »umstellt« und andererseits »sich« in seiner verfestigten Gestalt als Sein des Seienden in der Lichtung »enthüllt«. Die Herkunft der Lichtung wird rein raummetaphorisch bestimmt: Die Lichtung ist vor allem ein Ort mit einem Innerhalb und Außerhalb. Das Gelichtet-sein der Lichtung spielt in dieser Diskussion der Herkunft keine Rolle. In einer Parmenides-Vorlesung von 1944 kommt Heidegger nochmals ausführlich auf die Lichtung zu sprechen, die er jetzt als genuin griechische Auslegung der Offenheit der aletheia interpretiert. »Der Hinweis auf das Wesen der aletheia im Sinne des Offenen der Lichtung und des Lichtes gibt uns die abschließende Erläuterung des griechisch erfahrenen Wesens der Wahrheit« (Heidegger 1982, 214). Heideggers Interpretation des Verhältnisses der Griechen zur aletheia ist ambivalent: In dem Aufsatz »Platons Lehre von der Wahrheit« von 1940 versteht er die Wahrheitslehre des »Höhlengleichnisses« als Ausdruck des »ungesagten Vorgangs des Herrwerdens der idea über die aletheia« (Heidegger 1976, 230) und damit als Beginn der Seinsvergessenheit der abendländischen Philosophiegeschichte. In Platons Ideenlehre werde die Herkunft der Ideen aus der aletheia vergessen: Die Ideen sind eine Lichtung der historischen Entborgenheit des Seins des Seienden, deren Herkunft aus dem Entbergungsgeschehen der aletheia mit Platon in die Vergessenheit gerät. In der Parmenides-Vorlesung scheint sich Heidegger dieses Urteils nicht mehr ganz so sicher: »Wenngleich die Griechen das Offene nicht ausdrücklich als das Wesen der aletheia durchdenken und nennen, erfahren sie es doch nach einer Hinsicht ständig, nämlich das Offene in der Wesensgestalt des Gelichteten und Lichten, dieses jedoch im Scheinen des Lichtes, das die Helle zubringt« (Heidegger 1992a, 214).

II.3.4 ARCHÄOLOGISCHE METAPHORIK

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Für die Untersuchung der Entwicklung der Metapher der Lichtung aus der Offenheit ist die Parmenides-Vorlesung bemerkenswert, weil Heidegger hier passagenweise rein lichtmetaphorisch argumentiert. Für die rein lichtmetaphorische Auslegung der Lichtung interpretiert Heidegger das Verhältnis von im voraus vernommener Helle und Durchsicht neu: Die Helle wird zu einem »Scheinen des Lichts, das die Helle« der Lichtung »zubringt«, in der die Durchsicht auf das Sein des Seienden möglich ist. Das Gelichtet-sein in der Lichtung ist das Produkt des Scheinens eines Lichtes von außerhalb. Dieses Licht ist als die Bedingung der Möglichkeit der Lichtung ihre Herkunft. Die Lichtung ist nicht mehr eine »helle Stelle« im Raum, sondern sie entsteht aus dem Scheinen eines Lichtes. Die Lichtungsmetapher geht also im Verlauf des Werkes aus der Raummetaphorik der Wahrheitsdiskussion hervor, die mit einer wohl aus den PlatonInterpretationen übernommenen Lichtmetaphorik aufgeladen wird. Zunächst dominiert ein raummetaphorisches Verständnis, die Lichtung als »helle Stelle«, neben das später eine stärker lichtmetaphorische Interpretation, die Lichtung als Produkt des Scheinens eines Lichtes, tritt.

II.3.4 Archäologische Metaphorik: Die Lichtung II.3.4 ARCHÄOLOGISCHE METAPHORIK

Die Lichtungsmetapher hat sich in Heideggers Spätwerk aus der lichtmetaphorischen Anreicherung der Raummetaphorik der Seins- und Wahrheitsdiskussion entwickelt. Die Raummetaphorik ist durch das skizzierte zweistufige Lektüreverfahren Heideggers in diese Diskussionen gelangt:168 Die aus einer quasi-etymologischen Lektüre (erste Stufe) des Wortes aletheia entwickelte Raummetaphorik wird zu einer absoluten Metapher und damit zu einem Modell der bezeichneten Sache ausgebaut (zweite Stufe). Auch die Lichtung ist als absolute Metapher des Entbergungsgeschehens »eine Art von ›Modell‹« der Sache (Blumenberg 2001, 140): der Wahrheit und des Seins. Um diesen metaphorischen Modell-Charakter der Lichtung für die Spätphilosophie geht es mir im Folgenden. Die archäologische Konzeption der späten Seinsphilosophie hat sich aus Heideggers Einsicht in die Vermitteltheit von Seinserkenntnis entwickelt: Der scheinbar unvermittelte Blick auf das Seiende erwies sich als vielfältig vermittelt. Die späte Seinsphilosophie ist die ›Reflexion‹ auf das unsinnliche Geschehen der Entbergung als Bedingung der Möglichkeit von (sinnlicher) Erkenntnis. Die absoluten Metaphern der Spätphilosophie kreisen um das Entbergungsgeschehen. Dabei ist Heideggers Bemühen erkennbar, das archäologische Geschehen der Entbergung nicht zu einer voll möblierten »Hinterwelt« werden zu lassen.169 Gerade im Vergleich mit Schellings Weltaltern fällt das auf: Schelling baut die 168 Vgl. zur hermeneutischen Logik der quasi-etymologischen Lektüren Heideggers unten S. 113-116. 169 Vgl. Friedrich Nietzsche, »Von den Hinterweltlern«, in: ders., Kritische Studienausgabe. ed. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, Bd. 4: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen, München 1999, S. 35-38.

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

abendländische Metaphorik des Grundes zu einer Meta-Geschichte eines lebendigen Urwesens, dem universalen Subjekt alles Seienden, als eigentliche Hinterwelt der Wirklichkeit aus. Heidegger versucht die Bestimmungen des Entbergungsgeschehens selbst karg zu halten – ohne daß ihm das immer gelingen würde: Vor allem in den etymologischen und metaphorischen Lektüren wird die betonte Negativität des Seins überlagert durch die semantischen und quasibildlichen Logiken, die diese Lektüren entwickeln, um das Sein faßbar zu machen. Ab dem Humanismusbrief (1946) ist die Lichtungsmetapher ein wiederkehrender Topos seiner Seinsphilosophie: »Die Lichtung selber aber ist das Sein« (Heidegger 1976, 332). Dabei durchzieht die Verwendung von Lichtung eine Doppeldeutigkeit, die einerseits der in der Rede von »Sein« entspricht und in der andererseits die »doppelte Charakteristik« der Lichtmetaphorik aus der PlatonDiskussion wiederkehrt: Die Lichtung ist Ort und Geschehen. Wie schon aus Heideggers Hinweis auf die »Waldlichtung« (Heidegger 1984a, 209) hervorgeht, ist die Lichtung einerseits ein Ort: »Weil Gewächs und Getier zwar je in ihre Umgebung verspannt, aber niemals in die Lichtung des Seins [...] frei gestellt sind, deshalb fehlt ihnen die Sprache« (Heidegger 1976, 326, kursiv von mir, D.M.). Hier erscheint die Lichtung als Ort, in dem der Mensch steht und durch den sein Bezug zum Sein des Seienden gestiftet wird. Die Lichtung ist die Ortschaft, in der das geschichtliche Sein des Seienden für den geschichtlichen Menschen entborgen wird. »In der Geschichte dieses (des abendländischen, D.M.) Denkens und für sie kommt so in gewisser Weise das Sein, nämlich als das Sein des Seienden, zum Vorschein. Dieser Vorschein gibt jedoch einen Wink in das Sein als solches. Der Wink bringt eine Kunde vom Sein, darnach es nie erst durch menschliches Vorstellen gesetzt wird. Sein schickt sich dem Menschen zu, indem es lichtend dem Seienden als solchem einen Zeit-Spiel-Raum einräumt. Sein west als solches Geschick [...] Sein als sich zu-sagendes, lichtendes Einräumen des Zeit-Spiel-Raumes für das je so oder so Erscheinende, das Seiende« (Heidegger 1992, 129-130). Die Lichtung ist der »Zeit-Spiel-Raum« für das Er-scheinen der Entborgenheit des geschichtlichen Seins des Seienden. Der Zeit-Spiel-Raum der Lichtung stammt aus dem »lichtenden Einräumen« des Seins als solchem. Die Lichtung als Ort der Entborgenheit des Seins des Seienden beruht in dem Geschehen eines Sich-lichtens. Auch dieses Geschehen oder Ereignis des Sich-lichtens nennt Heidegger Lichtung – wie man davon spricht, daß der Nebel ›sich lichtet‹. »Nur solange die Lichtung des Seins sich ereignet, übereignet sich Sein dem Menschen« (Heidegger 1976, 336, kursiv von mir, D.M.). Die Lichtung als Ort der Entborgenheit des Seins des Seienden stammt aus dem Geschehen der Lichtung der Entbergung des Seins als solchem. In meiner Erläuterung der zwei Bedeutungen der Lichtungsmetapher habe ich die zwei Seinsbegriffe verwendet, deren Zweiheit der Doppeldeutigkeit der Lichtungsmetapher entspricht: Die Lichtung als Ort ist die geschichtliche Entborgenheit (Zustand) des Seins des Seienden. Die Lichtung als Geschehen ist das

II.3.4 ARCHÄOLOGISCHE METAPHORIK

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Entbergungsgeschehen, das das Sein als solches ist. Auch die Selbigkeit der zwei Seinsbegriffe wiederholt sich in der Lichtungsmetapher: Der reflexiven Rede vom »Sich-entbergen« (Heidegger 1992, 130) entspricht das »sich lichten«: »Sein lichtet sich dem Menschen im ekstatischen Entwurf« (Heidegger 1976, 337, kursiv von mir, D.M.). Wie sich die Entborgenheit des Seins des Seienden in der reflexiven Rede als sozusagen ›erstarrtes‹ Stück des Seins als solches zeigt, so ist die Lichtung als Ortschaft ein räumlich fixiertes Produkt des Lichtungsgeschehens selbst. In der Doppeldeutigkeit der Lichtungsmetapher kehrt auch die »doppelte Charakteristik« (Heidegger 2001, 156), die dem Licht als »Sinnbild« (Heidegger 1988, 53) der Ideen zu Grunde liegt, aus der Platon-Diskussion wieder: Licht ist einerseits das in jedem Sehen »im voraus Vernommene« und andererseits das »den Blick« auf das Seiende »Durchlassende« (Heidegger 2001, 155). Von der Lichtung sagt Heidegger: »Sie gewährt [...] erst Anblick, aus welchem her Anwesendes den zu ihm an-wesenden Menschen be-rührt, so daß der Mensch selber erst im Vernehmen (noein) an das Sein rühren kann« (Heidegger 1976, 332, kursiv von mir, D.M.). Die Lichtung als Ort ermöglicht den »Blick« auf das Seiende in seinem Sein, während die Lichtung als Geschehen als das Ermöglichende des Anblicks das »im voraus Vernommene« ist. Die archäologische Lichtungsmetaphorik hat bei Heidegger erkenntnistheoretische und ontologische Aspekte; den eschatologischen oder religiösen Dimensionen der Lichtmetaphorik weicht er durch eine bemerkenswerte Halbierung aus: Die ›Gegenspielerin‹ des Lichtes, die Dunkelheit, wird im lichtmetaphorischen Diskurs der Spätphilosophie nicht thematisiert. Diese Verdrängung der Dunkelheit fällt besonders bei der Umschreibung der Raum- in die Lichtmetaphorik auf: In der raummetaphorischen Interpretation des Entbergungsgeschehens hat Heidegger die Entborgenheit auf eine vorgängige Verborgenheit bezogen: »Die Verborgenheit des Seienden im Ganzen [...] ist älter als jede Offenbarkeit von diesem und jenem Seienden« (Heidegger 1976, 193-94). Die Entbergung erscheint als ein Geschehen, das einer umfassenden Verborgenheit Räume der Entborgenheit abringt. In der lichtmetaphorischen Fassung der Entbergung als Lichtung geschieht Entbergung durch das Scheinen eines Lichtes: »Denn sobald Seiendes als solches in seinem Sein erscheint, ist beim Erscheinen des Seienden das Scheinen des Seins im Spiel« (Heidegger 1992, 97). Die Lichtung als Ortschaft des Erscheinens des Seins des Seiendem geht aus der Lichtung als dem Scheinen des Seins als solchem hervor. »Sein muß sogar von sich her und schon zuvor scheinen, damit jeweilig Seiendes erscheinen kann. Würde Sein nicht scheinen, dann gäbe es keine Gegend, innerhalb deren allein ein Gegenüber sich ansiedeln kann« (Heidegger 1992, 111). Das Sein als solches ist hier Licht: Das Seiende »zeigt sich nur im Licht von Sein« (Heidegger 1992, 113). In diesem Szenario fehlt ein lichtmetaphorisches Analogon der umfassenden, vorgängigen Verborgenheit der raummetaphorischen Auslegung, das offensichtlich die Dunkelheit sein müßte. Dabei ist die Dunkelheit die Sinnbedingung der

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

Lichtungsmetapher: Eine Lichtung als Ort und Geschehen kann es nur innerhalb einer vorgängigen, umfassenden Dunkelheit geben. Durch die Verdrängung der Dunkelheit aus dem lichtmetaphorischen Diskurs kappt Heidegger Implikationen der Lichtungsmetapher, die ihn in die Nähe einer dualistischen Lichtmetaphorik – wie sie sich etwa im Manichäismus findet – führen könnten. 170 Wie nah Heidegger einem solchen Dualismus ist, zeigen seinen Bemerkungen zum »streithaften Wesen der Wahrheit« (Heidegger 1992a, 25). Die Vorstellung von der Entbergung als Streit entwickelt Heidegger aus einer etymologischen Lektüre: Er legt die »Vorsilbe ›a-‹ und ›un-‹ in den Wörtern aletheia und Unverborgenheit« so aus, daß sie auf »so etwas wie Aufhebung und Beseitigung und Vernichtung der Verborgenheit« als Wesen der Wahrheit hinweisen (Heidegger 1992a, 23). Wiederum durch eine etymologische Lektüre also wird der Streit zur absoluten Metapher der Entbergung: »Die Unverborgenheit liegt, so scheint es doch, mit der Verborgenheit in einem ›Streit‹« (Heidegger 1992a, 23). Das Entbergungsgeschehen ist ein Streit mit der Verborgenheit um Unverborgenheit: »Die Unverborgenheit ist der Verborgenheit, im Streit mit ihr, abgerungen« (Heidegger 1992a, 25). Das Entbergungsgeschehen erscheint als Streit zweier Kräfte. Streit ist dann eine nähere Bestimmung des Charakters der Entbergung als einem meta-historischen Geschehen: In dem Entbergungsgeschehen streiten Verborgenheit und Entbergung um Unverborgenheit. Heidegger hat von diesem Streit keine lichtmetaphorische Auslegung gegeben: Die Entbergung als Lichtung müßte in einer solchen Auslegung als ein Streit mit der Dunkelheit verstanden werden. Das Lichtungsgeschehen wäre ein Streit der zwei Kräfte Licht und Dunkelheit, das die Ortschaft der Lichtung hervorbrächte. Jede geschichtliche Lichtung des Seins des Seienden hätte ihr Licht aus einem solchen Streit mit der Dunkelheit. Eine solche lichtmetaphorische Interpretation gibt es, wie gesagt, von Heidegger nicht. Aber schon in der Konzeption des streithaften Wesens der Wahrheit wird ein abgeblendeter, dualistischer Hintergrund des Entbergungsgeschehens sichtbar. Diesen dualistischen Hintergrund auszublenden, ist deshalb so einfach, weil die zwei ›Kräfte‹ ganz unterschiedlich wirken: Die Verborgenheit/Dunkelheit ist der passive, umfassende Horizont, in dem die aktive Entbergung/Lichtung Stellen von Unverborgenheit aufreißt. Insofern dabei die Entbergung die aktive Kraft ist, kann die Rolle der Verborgenheit unthematisiert bleiben. Die metaphorologische Analyse der Entbergung, der Lichtung und des Streits zeigt, daß sich auch Heideggers Beschreibung des Entbergungsgeschehens – wie Schellings Entwickelungsgeschichte des Urwesens – zu einer Meta-Geschichte der archäologischen Ebene zu verselbständigen droht. Heidegger erliegt dieser Gefahr 170 Vgl. Hans Jakob Polotsky, »Der Manichäismus«, in: Geo Widengren (Hg.), Der Manichäismus, Darmstadt 1977, S. 101-144. Polotsky charakterisiert den Manichäismus als »dualistische Gnosis« (Polotsky 1977, 107) und beschreibt den kosmogonischen Mythos, nach dem die Welt und der Mensch aus einem Kampf der Reiche des Lichtes und der Finsternis hervorgehen (Polotsky 1977, 112 f.).

II.3.4 ARCHÄOLOGISCHE METAPHORIK

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vor allem dann, wenn sich sein Diskurs den semantischen und quasi-bildlichen Logiken seiner absoluten Metaphorik distanzlos überläßt. Dabei macht allerdings gerade ein Vergleich der Streit-Metaphorik die Unterschiedlichkeit der archäologischen Ebene der Weltalter und der späten Seinsphilosophie deutlich: Auch in der Entwickelungsgeschichte des Urwesens findet an zentraler Stelle ein »Streit« statt (Schelling 1993, 37-43). Schellings Beschreibung dieses Streits ist von einer charakteristischen Doppeltheit durchzogen: Einerseits benutzt Schelling die anthropomorphistische Analogie eines psychischen Konflikts. Der Streit von zwei Willen ist ein »blindes bewußtloses Wirken« im »Inneren des (Ur-)Wesens«. Schelling vergleicht ihn »dem Spiel der Kräfte im Traum, wenn die vernünftige Seele nicht einfließt und diese für sich wirken« (Schellling 1993, 40). Er spricht von einem »besinnungslosen Zustand« (Schelling 1993, 42), von »Angst« (Schelling 1993, 41) und »Wahnsinn« (Schelling 1993, 42), in dem »wilde Phantasien durch sein (des Urwesens, D.M.) Inneres ziehen« (Schelling 1993, 41). Andererseits beschreibt Schelling den gleichen Streit als objektives, kosmogonisches Geschehen. Der Streit der zwei Willen wird zum naturalistischen Gegensatz von »Expansion« und »Contraction« (Schelling 1993, 36), zum Gegensatz von »Scheidung und Einung« (Schelling 1993, 38). Der Streit ist das kosmogonische Geschehen, in dem innerhalb der geistigen Sphäre »die Materie ihre letzte Zubereitung erhält« (Schelling 1993, 39, kursiv von mir, D.M.). Diese nicht vermittelte Zwiefältigkeit der Metaphorik des Streits stammt aus einer schon von Heidegger bemerkten Doppeltheit in der Konzeption des Urwesens: Es ist objektiver Grund und lebendiges Subjekt. Es ist vor allem als lebendiges Subjekt der universale Grund. In der Meta-Geschichte der archäologischen Dimension wird in den Weltaltern die Metapher des Grundes, anthropomorphistisch und biologistisch aufgeladen, zur Entwickelungsgeschichte eines lebendigen, absoluten Subjektes ausgebaut, das der universale Grund alles Seienden ist. In der unvermittelten Zwiefältigkeit der anthropomorphistischen und objektiven Metaphorik des Streits tritt die Doppeltheit noch einmal hervor, die die Konzeption der Meta-Geschichte der »Weltalter« zusammenzwingt: Das lebendige, absolute Subjekt als universaler Grund. Vergleicht man die meta-geschichtliche, archäologische Konzeption der Entwicklungsgeschichte des Urwesens mit dem Entbergungsgeschehen, fallen zunächst die Unterschiede ins Auge: Das archäologische Entbergungsgeschehen ist ein anonymer Vorgang. Sowohl die Raum- wie die Lichtmetaphorik entwerfen ein subjektloses Geschehen. Der Streit im Hintergrund der Entbergung ist die Auseinandersetzung anonymer Kräfte. Daher ist das Entbergungsgeschehen nicht die Entwicklungsgeschichte des Seins. Das Sein entwickelt sich nicht, es ist kein Seiendes. Das Sein ist also auch kein (lebendiges) Subjekt und kein Grund. Während Schelling die Grund- und Subjektivitätsmetaphorik miteinander verbindet, versucht Heidegger die Seinskonzeption aus beiden Metaphernfeldern herauszudrehen – ohne daß ihm das überzeugend gelingen würde. Heidegger betont zwar, daß das Sein kein Seiendes und daher auch kein Grund sei. Vielmehr sei es der »Ab-Grund« (Heidegger 1992, 188). Allerdings ist offensichtlich,

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II.3 LICHTUNG DER ALETHEIA

daß es die Funktion des Seins ist, zu begründen: Das Entbergungsgeschehen ist der Grund der abendländischen Geschichte als Seinsgeschichte. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Subjektivitätsmetaphorik: Auch wenn Heidegger das Sein nicht individualisiert und jeden Anthropomorphismus vermeidet, bleibt erkennbar, daß das Sein die systematische Stelle des absoluten Subjektes einnimmt. Das Sein ist ein dissimuliertes absolutes Subjekt. Die Lichtungsmetapher ist eine originelle Prägung auf dem Hintergrund der reichen abendländischen Tradition der Lichtmetaphorik und -metaphysik. Besonders ausgeprägt ist der lichtmetaphorische Diskurs in der Antike und im Mittelalter, während er seit der Neuzeit an Bedeutung verliert.171 Ohne auf die inhaltlichen Möglichkeiten von Lichtmetaphorik einzugehen, möchte ich abschließend drei Möglichkeiten unterscheiden, wie sich das lichtmetaphorische Sprechen zu seinem Gegenstand verhält: Werner Beierwaltes hat Platons »Höhlengleichnis« als Lichtsymbolik verstanden: »So hat auch das Bild von der Sonne hohe metaphysische Bedeutung. Es sagt über die Idee Wesentliches aus [...] Beide stimmen nicht nur darin überein, daß sie Ordnungs- und Lebensprinzip sind, sondern daß sie auch von Wesen Licht sind [...] Im ersten ist es das sinnliche Licht, im zweiten das intelligible. Das intelligible Licht ist dem sinnlichen logisch und ontologisch vorgeordnet. Licht ist also hier nicht nur der anschauliche Ausdruck für etwas Unanschauliches, sondern das körperliche Licht ist ein Analogon des unsichtbaren geistigen Lichtes« (Beierwaltes 1957, 52). In der Lichtsymbolik ist das Licht kein austauschbares, uneigentliches Analogon, sondern das Symbol teilt wesentliche Züge mit dem, wofür es steht. Lichtsymbolik ist nicht-arbiträr und gründet in einer ontologischen Ähnlichkeit mit der bezeichneten Sache. Die symbolische Interpretation der Lichtmetaphorik führt zur Lichtmetaphysik: Die Lichtsymbolik ist angemessen, weil das Sein Licht ist (Beierwaltes 1957, 73). Die Vorstellung eines intelligiblen Lichtes, die sich bei Platon, Philon (Baeumker 1908, 363), Plotin (Baeumker 1908, 367) und Augustinus (Baeumker 1908, 373) findet, ist metaphysische Ausfaltung der Lichtsymbolik. Auch die Licht-Sprache der mittelalterlichen Theologie ist Lichtsymbolik (Koch 1960, 653). 171 Überblicksdarstellungen der antiken und mittelalterlichen Traditon: Clemens Baeumker, »Witelo. Ein Philosoph und Naturforscher des XIII. Jahrhunderts«, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen, Bd. III, Heft 2, Münster 1908, v.a. S. 357-467 und Hans Blumenberg, »Licht als Metapher der Wahrheit«, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 139-171. Zur frühgriechischen Dichtung: Dieter Bremer, Licht und Dunkel in der frühgriechischen Dichtung. Interpretationen zur Vorgeschichte der Lichtmetaphysik, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Supplementheft 1, Bonn 1976. Zur Antike: Rudolf Bultmann, »Zur Geschichte der Lichtsymbolik im Altertum«, in: Philologus 97 (1948), S. 1-36. Zu Platon: Werner Beierwaltes, Lux intelligibilis. Untersuchung zur Lichtmetaphysik der Griechen, Diss-Ms., München 1957 und Julius Stenzel, »Der Begriff der Erleuchtung bei Platon«, in: Die Antike 2 (1926), S. 235-257. Zum Mittelalter: Josef Koch, »Über die Lichtsymbolik im Bereich der Philosophie und der Mystik des Mittelalters«, in: Studium Generale 13 (1960), S. 653-670. Zur frühen Neuzeit: Wolfgang Scheuermann-Peilicke, Licht und Liebe. Lichtmetapher und Metaphysik bei Marsilio Ficino, Hildesheim/Zürich/New York 2000.

II.3.4 ARCHÄOLOGISCHE METAPHORIK

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Eine ganz andere Licht-Sprache hat Dieter Bremer in der frühgriechischen Dichtung gefunden. Die Unterscheidung, die jede Lichtsymbolik impliziert, zwischen dem sinnlichen Licht und dem geistigen Licht oder dem sinnlichen Licht und seiner übertragenen Bedeutung gibt es hier noch nicht. Licht ist ein sinnlichgeistiges Phänomen: »›Licht‹ bedeutet in der frühgriechischen Dichtung nicht ›symbolisch‹ ein Anderes, das von dem ›realen‹ Licht wesentlich verschieden wäre [...] Für die archaische Sprache ist zu sagen: Licht ist, was es ist, indem es in seinem Wirken das Wirkliche erscheinen läßt und sichtbar macht; Licht ist als die Kraft des Erscheinenlassens und als das Medium des Erscheinens das Erhellende und die Helle, in der sich Wirkliches zeigt als das, was es ist, und zwar im sinnenfälligen wie im geistigen Bereich« (Bremer 1976, 12). Die Licht-Sprache der frühgriechischen Dichtung lag der Trennung von Sinnlichkeit und Geist voraus; sie gehört tatsächlich in die »Vorgeschichte der Lichtmetaphysik«. Heideggers Rede von der Lichtung ist schließlich absolute Metaphorik. Anders als für die Lichtsymbolik ist das Sein weder intelligibles Licht noch intelligible Lichtung. Allerdings ist die Lichtung auch kein gleichzeitig sinnliches und geistiges Phänomen. Wie in der Lichtsymbolik steht die Metapher für Anderes: Die Lichtungsmetapher ist ein Modell des archäologischen Entbergungsgeschehens. Durch die absolute Metapher wird ein arbiträres Modell des Seins entworfen, denn die absolute Metapher behauptet – anders als die Lichtsymbolik – keine Identität von Metaphorik und Gegenstand: Entbergung ist keine Lichtung. Die Lichtungsmetapher ist der Versuch, dem unsagbaren Geschehen der Entbergung eine sprachliche Form zu geben, die diesem Geschehen notwendig unangemessen ist. Diese Unangemessenheit ist der zentrale Unterschied von absoluter Metaphorik und Symbolik. Die Lichtungsmetapher ist eine uneigentliche Weise, vom Sein zu sprechen. Insofern steht die Lichtungsmetapher neben anderen absoluten Metaphern der Spätphilosophie wie »Geschick« (Heidegger 1976, 336), »Wurf« (Heidegger 1976, 342), »Ruf« und »Ereignis«. Gerade die Vielzahl und Diversität dieser Metaphern ist ein Zeichen ihrer Uneigentlichkeit: Keine kann beanspruchen, eigentliche oder symbolische Bezeichnung zu sein. Das schon mehrfach bemerkte Grundproblem der Spätphilosophie Heideggers besteht allerdings darin, daß sie ihrer eigenen Metaphorik zu oft auf den Leim geht, indem sie sie wörtlich nimmt: Heidegger gerät dann in die Gefangenschaft der Semantik und Modelle seiner absoluten Metaphern, die er entworfen hat, um auf das unsagbare Sein hinzudeuten.172

172 Auch wenn sich die Auswirkungen dieses Wörtlich-nehmens der absoluten Metaphern in der Spätphilosophie deutlich abzeichnen, ist Heidegger jedoch kein Einzelfall: Josef Koch weist auf ein ähnliches Phänomen in der Gottes-Rede von Pseudo-Dionysius hin. Jedes Denken, das die Sprache verwendet, um Unsagbares zu sagen, ist davon bedroht der »Gefangene seiner Bilder und seiner Bildersprache« (Koch 1960, 656) zu werden.

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II.4 METAPHER DES BILDES

II.4 METAPHER DES BILDES

II.4 Die Metapher des Bildes: Menschenbild und Weltbild II.4 METAPHER DES BILDES

Die Metapher des Bildes dürfte eine der einflußreichsten im abendländischen Denken sein. In den Schelling gewidmeten Teilen habe ich das Bild als Zentrum der Erkenntnistheorie und Ontologie der Weltalter dargestellt. In diesem Kapitel werde ich dem Heideggers Verwendung der Bild-Metapher in dem Aufsatz »Die Zeit des Weltbildes« gegenüberstellen.173 Der Abschnitt bildet gleichzeitig eine Überleitung in den nächsten Teil, da ich seinen Weltbild-Aufsatz als eine – auf Blumenberg vorausweisende – metaphorologische Lektüre avant la lettre rekonstruiere. Heideggers archäologisch-seinsgeschichtliche Lektüre legt am Grund des neuzeitlichen Denkens eine Struktur absoluter Metaphern frei, deren Zentrum die Metapher des Bildes bildet. In den Weltaltern ist das Bild ein in der Seele schlafendes Stück des Urwesens selbst. Das Bild ist eine absolute Metapher, die Erkenntnistheorie, Ontologie, Anthropologie und Ethik der Weltalter intern strukturiert und aufeinander bezieht.174 Auch wenn Schelling es nicht explizit sagt, dürfte das seelische Bild das Zentrum der Anthropologie der Weltalter sein: Der Mensch ist derjenige, der das schlafende Bild in sich trägt. Diese anthropologische Grundbestimmung hat ethische Implikationen: Die Lebens- und Menschheitsaufgabe ist die Erweckung des Bildes. Da das Bild die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis des Urwesens ist, bildet es auch das Zentrum der Erkenntnistheorie. Insofern schließlich nur aus der Entfaltung des Bildes und seinem In-Beziehung-Setzen mit den Erscheinungen der Welt ein Wissen über das Seiende möglich ist, ist es auch die Bedingung der Möglichkeit jeder Ontologie in den Weltaltern. Die absolute Metapher des Bildes entwirft ein metaphorisches Szenario der Art der Beziehung des Menschen zum Urwesen mit dazugehöriger ethischer und weltgeschichtlicher Dramaturgie.175 Das metaphorische Szenario der Beziehung des Menschen zum Sein in Heideggers später Seinsphilosophie ist charakteristisch anders organisiert: Im »Brief 173 Martin Heidegger, »Die Zeit des Weltbildes«, in: ders., Holzwege. Siebte, durchgesehene Auflage, Frankfurt/Main 1994, S. 75-113. 174 Zu Blumenbergs Begriff der absoluten Metapher vgl. unten S. 225-228. 175 Mit dem Begriff »metaphorisches Szenario« meine ich ein komplexes Modell von Verhältnissen und Dingen. Von einem metaphorischen Szenario würde ich insbesondere dann sprechen, wenn entweder (mehrgliedrige) Verhältnisse – z.B. zwischen Mensch und Urwesen – durch eine Metapher bestimmt werden oder wenn eine Metapher Konsequenzen in mehreren Feldern (Anthropologie, Erkenntnistheorie etc.) hat. In diesen Fällen faltet sich die ›punktförmige‹ Metapher zu einer Szene aus, in die mehrere Gegenstände oder Felder einbezogen sind.

II.4 METAPHER DES BILDES

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über den Humanismus« von 1947 erklärt Heidegger die Ek-sistenz zur anthropologischen Grundbestimmung. Die Eksistenz, die im Aufsatz »Vom Wesen der Wahrheit« noch ein Kennzeichen der Freiheit war, ist nun das Wesen des Menschen. »Der Satz: ›Der Mensch ek-sistiert‹, antwortet nicht auf die Frage, ob der Mensch wirklich sei oder nicht, sondern antwortet auf die Frage nach dem ›Wesen‹ des Menschen. Diese Frage pflegen wir gleich ungemäß zu stellen, ob wir fragen, was der Mensch sei, oder ob wir fragen, wer der Mensch sei. Denn im Wer? oder Was? halten wir schon nach einem Personhaften oder nach einem Gegenstand Ausschau. Allein das Personhafte verbaut und verfehlt zugleich das Wesende der seinsgeschichtlichen Ek-sistenz nicht weniger als das Gegenständliche« (Heidegger 1976, 327, kursiv von mir, D.M.). Die Eksistenz ist absolute anthropologische Metaphorik, durch die der Mensch in der Spätphilosophie ganz aus seinem Verhältnis zur Lichtung des Seins bestimmt wird: Der Mensch ist derjenige, der in der Lichtung des Seins steht. »Der Mensch ist und ist Mensch, insofern er der Ek-sistierende ist« (Heidegger 1976, 350). Die Ek-sistenz ist eine strikt formale Bestimmung: Keine der leiblichen oder geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen, auf die Anthropologien sich sonst beziehen, spielen irgendeine Rolle. Heidegger entsubstanzialisiert den Menschen, um ihn so noch entschiedener einer positiv verstandenen Heteronomie durch die Lichtung des Seins aussetzen zu können: Der Mensch ist das Wesen, das durch »ekstatisches Innestehen« (Heidegger 1976, 327) in der Lichtung gekennzeichnet und aus ihr bestimmt ist. Heidegger biegt die durch die Etymologie angelegte räumliche Metaphorik von Ek-sistenz kaum merklich zurecht: Einerseits enthält der Ausdruck offensichtlich eine Anspielung auf das Phänomen der Ekstase. Heidegger verwendet auch das Adjektiv »ekstatisch« (Heidegger 1976, 326-327). Andererseits paßt die räumliche Metaphorik von Ek-stasis (grch. Heraus-stehen) nicht ganz zur Metaphorologie der späten Seinsphilosophie: Ekstase als Heraus-stehen legt die Vorstellung eines subjektiven Innenraumes nahe, der sich gegenüber einer höheren Sphäre öffnet, indem er in sie hineinragt. In einer handschriftlichen Randbemerkung zur Metapher des »Hin-aus-stehens« wehrt Heidegger dieses räumliche Modell ab. 1947 kommentiert er die Metapher in dem Satz »Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hin-aus-stehen in die Wahrheit des Seins« (Heidegger 1976, 326) folgendermaßen: »›Hinaus‹: hin in das Aus des Auseinander des Unterschieds (das Da), nicht ›hinaus‹ aus einem Innen«. Der zweite Satzteil wendet sich gegen die Vorstellung vom Menschen als dunklem Kasten, der durch die Eksistenz in die Lichtung hinausragt.176 Der erste Satzteil ist kunstvolles Wortgedrechsel, das nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß Heidegger die Metaphorik verändert: Aus dem »Hin-aus-stehen« wird ein »ekstatisches Innestehen in der Wahrheit des Seins« (Heidegger 1976, 330, kursiv von mir, D.M.). Das »Da« ist die Lichtung. Der Mensch steht durch die Eksistenz in der Lichtung, in deren Licht alles für ihn erscheint.

176 Vgl. Heideggers Kritik an der Metapher des Subjekt-Kastens oben S. 134-136.

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II.4 METAPHER DES BILDES

Was bedeutet die paradoxe Prägung »ekstatisches Innestehen«? Durch die anthropologische Grundbestimmung der Eksistenz ist der Mensch auf eine Heteronomie durch das Sein angelegt: Das Innestehen der Eksistenz wird ekstatisch aus der Lichtung bestimmt. »Nur sofern der Mensch, in die Wahrheit des Seins eksistierend, diesem gehört, kann aus dem Sein selbst die Zuweisung derjenigen Weisungen kommen, die für den Menschen Gesetz und Regel werden müssen. Zuweisen heißt griechisch nemein. Der nomos ist nicht nur Gesetz, sondern ursprünglicher die in der Schickung des Seins geborgene Zuweisung [...] Den Halt für alles Verhalten verschenkt die Wahrheit des Seins. ›Halt‹ bedeutet in unserer Sprache die ›Hut‹. Das Sein ist die ›Hut‹« (Heidegger 1976, 360-61). Die Lichtung des Seins ist der behütende nomos, dem der Mensch durch sein eksistenzielles Wesen überantwortet ist, »gehört«. Die anthropologische Grundbestimmung der Eksistenz bedeutet für den Menschen eine wesentliche ekstatisch-geschickliche Verwiesenheit auf und Fremdbestimmung durch das Sein. Die absolute Metapher der Eksistenz ist in Heideggers Spätphilosophie ein Modell für das Verhältnis des Menschen zum Sein. Damit besetzt sie dieselbe systematische Stelle wie die Bild-Metapher in den Weltaltern. Die Eksistenz-Metaphorik ist Teil eines metaphorischen Szenarios, das sich in seinen erkenntnistheoretischen, ontologischen und ethischen Aspekten von dem Szenario der BildMetapher der Weltalter unterscheidet. An die Grundzüge dieses metaphorischen Szenarios möchte ich anhand eines Zitats noch einmal kurz erinnern: »Der Mensch ist vielmehr vom Sein selbst in die Wahrheit des Seins ›geworfen‹, daß er, dergestalt ek-sistierend, die Wahrheit des Seins hüte, damit im Licht des Seins das Seiende als das Seiende, das es ist, erscheint [...] Der Mensch ist der Hirt des Seins« (Heidegger 1976, 330-331). Die Eksistenz ist bei Heidegger – wie bei Schelling das Bild – die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis: Durch die Eksistenz ist der Mensch in die Lichtung »geworfen«, in deren »Licht« das Seiende in seinem geschichtlichen Sein erkannt werden kann. Insofern das Sein des Seienden nur im »Licht« der Lichtung »erscheint«, in der der Mensch innesteht, ist die Eksistenz auch die Bedingung der Möglichkeit von Ontologie. Heideggers seinsgeschichtliche Anthropologie hat darüberhinaus klare ethische Implikationen: »So kommt es denn bei der Bestimmung der Menschlichkeit des Menschen als der Ek-sistenz darauf an, daß nicht der Mensch das Wesentliche ist, sondern das Sein« (Heidegger 1976, 333334). Der Mensch ist nur aus dem Bezug zum Sein derjenige, der er ist. Durch die anthropologische Grundbestimmung der Eksistenz ist der Mensch aus seinem Wesen dazu bestimmt, der »Hirte des Seins« zu sein: Der Mensch soll seinen ekstatischen Bezug zum Sein und die daher kommenden »Zuweisungen« hüten und wird dadurch vom Sein selbst in die »Hut« (Heidegger 1976, 361) genommen. Die Bild-Metapher legt die Erkenntnistheorie und Ontologie der Weltalter auf eine komplexe Abbildlogik fest: Es ist der ungewöhnliche Fall eines Abbildes, das zu seiner Abbildlichkeit erst entfaltet werden muß. Das Ziel der Erkenntnistheorie, Ontologie und Ethik ist die Entwickelung des Bildes zu einem vollkommenen Abbild des Urwesens. Diese Entwickelung ist gleichzeitig eine Erweckung des

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Bildes zum Leben, denn das Bild ist ein schlafendes Stück des Urwesens. Das völlig ent-wickelte Bild ist am Ende die lebendige Sache selbst, das Urwesen. Das lebendige Abbild ist das abgebildete Ding an sich. Am Ende fallen Bild und sein Inhalt im lebendigen Abbild, das sein Inhalt ist, zusammen: Das Bild wird zu seinem Inhalt erweckt. Dagegen folgen weder das Entbergungsgeschehen noch die Konzeption der Ek-sistenz einer Abbildlogik: Durch die Entbergung/Lichtung, die das Sein selbst ist, erscheint das Seiende für den Menschen, der in der Gegend der Lichtung steht. Aber die Entbergung ist keine Abbildung, sondern die Bedingung der Möglichkeit des Erscheinens des Seienden in seinem geschichtlichen Sein. Das Seiende bildet die Entbergung nicht ab, sondern das Wie seines Erscheinens ist bestimmt durch das Licht der Lichtung. Auch bei der Eksistenz geht es nicht um Abbildung. In der Konzeption der Eksistenz geht es nicht einmal vorrangig um Erkenntnis: Der Mensch als Hirte des Seins kann – wie Heidegger selber – muß aber kein Philosoph des Seins sein. Durch die Eksistenz ist der Mensch ekstatisch in die Hut des Seins gestellt und aufgerufen, seinen Zuweisungen zu folgen. In der Eksistenz geht es um das »Sein-lassen« (Heidegger 1976, 188) der Zuweisungen. In den Weltaltern ist die existenzielle Umgestaltung des Menschen und der Welt, die die Erweckung des Bildes bewirkt, eng mit seiner theoretischen Erkenntnis verbunden. Diese Dimension theoretischer Erkenntnis tritt bei Heidegger nahezu völlig hinter die praktische Bedeutung des ekstatischen Innestehens zurück. Bei Heidegger soll der Mensch nicht Erkennender, sondern vor allem Gefäß des Seins sein. In den Weltaltern besitzt der Mensch das Absolute im schlafenden Bild in seiner Seele. Erkenntnis ist vor allem die apriorische Entwickelung des Bildes. In der späten Seinsphilosophie begegnet das Sein dem Menschen von außen: Er steht in der Lichtung des Seins. Durch sein eksistenzielles Wesen ist der Mensch darauf angelegt, dem Sein zu entsprechen. Damit ist deutlich, daß die systematische Stelle, die in den Weltaltern die BildMetapher besetzt, in Heideggers Spätphilosophie durch die Metaphorik der Eksistenz eingenommen wird. Die Bild-Metapher muß daher in der späten Seinsphilosophie eine andere Funktion haben. Die Frage ist: Welche? Die Bild-Metapher ist in dem Aufsatz »Die Zeit des Weltbildes« eine absolute Metapher für das Wesen der Neuzeit: »Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild« (Heidegger 1994, 94). Heideggers Weltbild-Aufsatz werde ich als eine metaphorologische Lektüre avant la lettre beschreiben. Seine seinsgeschichtliche Beschreibung des Wesens der Neuzeit operiert metaphorologisch. Als archäologische Grundstruktur der Neuzeit legt seine Lektüre eine kohärente Konstellation absoluter Metaphern frei, die in dem für die Neuzeit kennzeichnenden seinsgeschichtlichen Geschehen einer Bildwerdung der Welt aufeinander bezogen sind. In dem Aufsatz untersucht Heidegger die neuzeitliche Wissenschaft als Ausdruck der archäologischen Lichtung des Seins, die die Neuzeit bestimmt. »Die Metaphysik begründet ein Zeitalter, indem sie ihm durch eine bestimmte Auslegung des Seienden und durch eine bestimmte Auffassung von Wahrheit den

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Grund seiner Wesensgestalt gibt. Dieser Grund durchherrscht alle Erscheinungen, die das Zeitalter auszeichnen. Umgekehrt muß sich in diesen Erscheinungen für eine zureichende Besinnung auf sie der metaphysische Grund erkennen lassen« (Heidegger 1994, 75). Heidegger befragt die historische »Erscheinung« der neuzeitlichen Wissenschaft auf die »metaphysische Grundstellung« (Heidegger 1994, 97) als dem »metaphysischen Grund«, aus dem sie hervorgegangen ist. Eine metaphysische Grundstellung ist die Grundstruktur einer historischen Epoche als einer Lichtung des Seins. Die historischen Lichtungen des Seins unterscheiden sich durch ihre metaphysischen Grundstellungen, die aus dem Sein selbst kommen und alle manifesten Erscheinungen einer historischen Epoche »durchherrschen«. Eine metaphysische Grundstellung erweist sich als historische archäologische Konstellation von drei Grundbestimmungen, die aus dem Sein selbst kommen: dem historischen Sein des Seienden, dem historischen Wesen des Menschen und dem historischen Wesen der Wahrheit. Diese drei Grundbestimmungen bilden in der metaphysischen Grundstellung eine Konstellation, weil sie aufeinander verweisen, einander bedingen und stützen. Eine metaphysische Grundstellung ist in Heideggers Text ein metaphorisches Szenario. Sie ist eine historische Konstellation ontologischer (Sein des Seienden), anthropologischer (Wesen des Menschen) und alethiologischer (Wesen der Wahrheit) absoluter Metaphern. Wiederum entwickelt Heidegger aus einer quasi-etymologischen Lektüre von drei Grundworten historische absolute Metaphern ihrer Gegenstandsbereiche:177 Das seinsgeschichtliche Grundwort der neuzeitlichen Anthropologie lautet »Subjekt«, der neuzeitlichen Ontologie »Gegenstand« und der neuzeitlichen Alethiologie »Gewißheit«. Aus diesen aufeinander verweisenden Grundworten entfaltet Heideggers quasi-etymologische Lektüre die seinsgeschichtliche Tiefenstruktur der Neuzeit: Die metaphysische Grundstellung als historische Tiefenstruktur erweist sich in Heideggers Beschreibungen als Konstellation absoluter Metaphern. Die absolute Metapher, die Heideggers seinsgeschichtliche Anthropologie der Neuzeit bestimmt, ist die Interpretation des Menschen als »Subjekt«. »Nicht daß der Mensch sich (in der Neuzeit, D.M.) von den bisherigen Bindungen zu sich selbst befreit, ist das Entscheidende, sondern daß das Wesen des Menschen überhaupt sich wandelt, indem der Mensch zum Subjekt wird. Dieses Wort Subjectum müssen wir freilich als die Übersetzung des griechischen hypokeimenon verstehen. Das Wort nennt das Vorliegende, das als Grund alles auf sich sammelt. Diese metaphysische Bedeutung des Subjektbegriffs hat zunächst keinen betonten Bezug zum Menschen und vollends nicht zum Ich. – Wenn aber der Mensch zu dem ersten und eigentlichen Subjectum wird, dann heißt das: Der Mensch wird zu jenem Seienden, auf das sich alles Seiende in der Art seines Seins und seiner Wahrheit gründet. Der Mensch wird zur Bezugsmitte des Seienden als solchen«

177 Vgl. zu Heideggers quasi-etymologischen Lektüren oben S. 113-116.

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(Heidegger 1994, 88). In einer quasi-etymologischen Lektüre aktiviert Heidegger im neuzeitlichen Subjektbegriff die lateinische Bedeutung des Wortes. Der neuzeitliche Mensch ist Subjekt als der Grund, »auf den sich alles Seiende in der Art seines Seins und seiner Wahrheit gründet«. Die quasi-etymologische Auslegung von Subjekt als Grund wird zur absoluten Metapher des seinsgeschichtlichen Wesens des neuzeitlichen Menschen. Der Mensch als Subjekt nimmt eine historisch-systematisch präformierte Stelle ein: Subjectum ist »die Übersetzung des griechischen hypokeimenon«. In der Neuzeit wird die systematische Stelle des Grundes mit dem Menschen besetzt: »Das Ich des Menschen wird in den Dienst dieses Subjectums gestellt« (Heidegger 1994, 109). In der Neuzeit wird der Mensch als das denkende »ego und substantia finita« (Heidegger 1994, 101) aus dem Sein selbst »in den Dienst« des Grundes des Seienden »gestellt«. Heidegger betont, wie wenig selbstverständlich, vielleicht nicht einmal naheliegend dieser Vorgang ist, da die »metaphysische Bedeutung des Subjektbegriffs zunächst keinen betonten Bezug zum Menschen und vollends nicht zum Ich hat«. Heidegger faltet die weitreichenden Konsequenzen aus, die sich aus der absoluten Metaphorik des Menschen als Subjectum ergeben. Bei der Beschreibung dieser Konsequenzen rekurriert er auf den Horizont räumlicher Metaphorik, der mit der Grund-Metapher aufgerufen wird: »Als das Subjectum hat der Mensch sein Leben in den Vorrang der Bezugsmitte gebracht. Dies bedeutet: Das Seiende gilt erst als seiend, sofern es und soweit es in dieses Leben ein- und zurückbezogen, d.h. er-lebt und Er-lebnis wird« (Heidegger 1994, 94, ). Das Leben des Menschen wird zur »Bezugsmitte«, auf die alles Seiende »zurückbezogen« werden muß. Als diese »Bezugsmitte« ist der Mensch »dasjenige Seiende [...], das allem Seienden das Maß gibt und die Richtschnur zieht« (Heidegger 1994, 94). Neben die Metaphorik der »Bezugsmitte« tritt die räumlich-theatrale Metapher der »Szene«: »Damit setzt sich der Mensch selbst als die Szene, in der das Seiende fortan sich vor-stellen, präsentieren [...] muß« (Heidegger 1994, 91). Die »Szene« des Lebens ist als der Raum, in dem sich das Seiende »vor-stellen« muß, das »Maß« dieses Seienden in der Neuzeit. Damit wird sichtbar, daß der seinsgeschichtlichen Auslegung des Wesens des Menschen als Subjectum ein Verständnis des Seins des Seienden als zweites Stück der metaphysischen Grundstellung der Neuzeit entspricht. Das Grundwort der seinsgeschichtlichen Ontologie der Neuzeit ist »Gegenstand« (Heidegger 1994, 87). Diesmal beutet Heideggers Interpretation direkt das metaphorische Potential des Wortes aus und entwickelt daraus eine absolute Metapher für das neuzeitliche Sein des Seienden: »Das Seiende ist [...] das im Vorstellen erst entgegen Gestellte, Gegen-ständige« (Heidegger 1994,108). Das Seiende ist durch die räumliche Metaphorik des Entgegen-stellens bestimmt. Dieses Entgegenstellen findet in der Szene des Vorstellens des Subjectums statt. »Das Seiende wird [...] seiend dadurch, daß erst der Mensch es anschaut im Sinne des Vorstellens von der Art der subjektiven Perceptio« (Heidegger 1994, 90). Im Vor-stellen stellt sich das Subjectum das Seiende ent-gegen. »Die Vergegenständlichung des Seienden vollzieht sich in

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einem Vor-stellen [...] Nur was dergestalt Gegenstand wird, ist, gilt« in der Neuzeit »als seiend« (Heidegger 1994, 87).178 Heidegger hat den so metaphorisch entworfenen, subjektzentrierten neuzeitlichen Gegenstandsbegriff scharf kritisiert. »Vor-stellen bedeutet hier: das Vorhandene als ein Entgegenstehendes vor sich bringen, auf sich, den Vorstellenden zu beziehen und in diesen Bezug zu sich als den maßgebenden Bereich zurückzuzwingen« (Heidegger 1994, 91, kursiv von mir, D.M.). Das Seiende scheint hier größer zu sein als die Szene des Vorstellens, in die es daher zurückgezwungen werden muß. Heidegger hat in der subjektiven »Ver-gegen-ständlichung« (Heidegger 1994, 108) des Seienden einen Verlust an Sein ausgemacht: »Erst wo das Seiende zum Gegenstand des Vor-stellens geworden ist, geht das Seiende in gewisser Weise des Seins verlustig« (Heidegger 1994, 101). Das Seiende ist an sich mehr als das, was in der Szene des Vorstellens des Subjectums in der Neuzeit erscheint.179 Das dritte Stück der metaphysischen Grundstellung ist das neuzeitliche Wesen der Wahrheit als »Gewißheit des Vorstellens«. Bei der Bestimmung der alethiologischen Dimension der Grundstellung spielt Metaphorik eine geringere Rolle als bisher. »Diese Vergegenständlichung des Seienden vollzieht sich in einem Vorstellen, das darauf zielt, jegliches Seiende so vor sich zu bringen, daß der rechnende Mensch des Seienden sicher und d.h. gewiß sein kann. Zur Wissenschaft als Forschung kommt es erst dann, und nur dann, wenn die Wahrheit zur Gewißheit des Vorstellens sich gewandelt hat« (Heidegger 1994, 87). Die neuzeitliche Wahrheit als »Gewißheit des Vorstellens« ist eine Spielart der metaphysischen Wahrheit als »Richtigkeit« (Heidegger 1976, 185 f.), denn auch in der Gewißheit geht es darum, daß der Mensch sich in seinem Vorstellen nach dem Seienden »richtet«, um eine »Übereinstimmung« (Heidegger 1976, 182) von Seiendem und Vorstellen. Die Wahrheit als Gewißheit des Vorstellens entspricht dem neuzeitlichen Verständnis des Seins des Seienden und des Wesens des Menschen: Wenn das Seiende der vom Menschen als Subjectum sich in seinem Vorstellen entgegen gestellte Gegen-stand ist, wird Wahrheit zur Richtigkeit des Vorstellens. Die Wahrheit als Gewißheit des Vorstellens ist jedoch eine Richtigkeit sehr eigener Art. Zwar richtet sich der Mensch in seinem Vorstellen nach dem Gegen178 Heidegger stellt dem die Auslegung des Seienden im »Mittelalter« und bei den Vorsokratikern gegenüber: »Für das Mittelalter dagegen ist das Seiende das ens creatum, das vom persönlichen Schöpfergott als oberste Ursache Geschaffene. Seiend sein besagt hier: in eine je bestimmte Stufe der Ordnung des Geschaffenen gehören und als so Verursachtes der Schöpfungsursache zu entsprechen (analogia entis)« (Heidegger 1994, 90). In der »großen griechischen Zeit« (Heidegger 1994, 91), d.h. vor Platon, ist die Auslegung des Seienden wieder eine andere: »Das Seiende ist das Aufgehende und Sichöffnende, was als das Anwesende über den Menschen als den Anwesenden kommt« (Heidegger 1994, 90). Während in der Neuzeit das Seiende erst ist, wenn der Mensch es anschaut und vorstellt, ist in der »großen griechischen Zeit« der Mensch »vom Seienden angeschaut [...] und von ihm getragen« (Heidegger 1994, 91). 179 »Für die griechischen Denker war das Seiende niemals Gegenstand, sondern das aus dem Gegenüber her An-währende. Das Seiende war seiender als unsere Gegenstände« (Heidegger 1992, 148, kursiv von mir, D.M.).

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stand: Das Subjectum stellt das Seiende vor. Aber in diesem Vor-stellen liegt eben auch, daß das Seiende auf seinen Bezug zum vorstellenden Subjekt reduziert wird. Das Sich-richten ist also gleichzeitig ein Zurichten des Seienden zum Gegen-stand. Wahrheit als Gewißheit meint, daß das Vorstellen sich in der Weise nach dem zugerichteten Gegen-stand richtet, daß das Subjekt seiner »sicher« sein kann. Der Mensch ist des Seienden »sicher«, wenn es in seine Verfügbarkeit gestellt ist als berechenbarer Wissens-gegen-stand. In der Wahrheit als Gewißheit richtet sich das Subjectum nach Seiendem, das sein Vorstellen zu Gegen-ständen zugerichtet hat, um über sie verfügen zu können. Hier zeichnet sich ab, was Heidegger »das notwendige Wechselspiel von Subjektivismus und Objektivismus« (Heidegger 1994, 88) im neuzeitlichen Denken genannt hat: Einerseits wendet sich die neuzeitliche Wissenschaft mit bisher ungekannter Intensität dem Seienden zu, andererseits wird dieses Seiende dabei als Gegenstand in die Szene des menschlichen Vorstellens zurückgezwungen. Das Wechselspiel wird vom Subjektivismus dominiert: »Je umfassender nämlich und durchgreifender die Welt als eroberte zur Verfügung steht, je objektiver das Objekt erscheint, umso subjektiver, d.h. vordringlicher erhebt sich das Subjectum« (Heidegger 1994, 93). Dieses vom Subjekt dominierte Wechselspiel zeigt sich auch im »Grundvorgang der Neuzeit« (Heidegger 1994, 94): der Bildwerdung der Welt, in der Heidegger das metaphorische Szenario der Neuzeit zusammenzieht. Erst in der Neuzeit gibt es ein Weltbild: »Das Weltbild wird nicht von einem vormals mittelalterlichen zu einem neuzeitlichen, sondern dies, daß überhaupt die Welt zum Bild wird, zeichnet das Wesen der Neuzeit aus« (Heidegger 1994, 90). Das Bild der Welt ist eine absolute Metapher für das Wesen der Neuzeit. In einem längeren Absatz erläutert Heidegger die Metapher des Bildes: »Bei dem Wort Bild denkt man zunächst an das Abbild von etwas. Demnach wäre das Weltbild gleichsam ein Gemälde vom Seienden im Ganzen. Doch Weltbild besagt mehr. Wir meinen damit die Welt selbst, sie, das Seiende im Ganzen, so wie es für uns maßgebend und verbindlich ist. Bild meint hier nicht einen Abklatsch, sondern jenes, was in der Redewendung herausklingt: wir sind über etwas im Bilde. Das will sagen: die Sache selbst steht so, wie es mit ihr für uns steht, vor uns. Sich über etwas ins Bild setzen heißt: das Seiende selbst in dem, wie es mit ihm steht, vor sich stellen und es als so gestelltes ständig vor sich haben. Aber noch fehlt eine entscheidende Bestimmung im Wesen des Bildes. ›Wir sind über etwas im Bilde‹ meint nicht nur, daß das Seiende uns überhaupt vorgestellt ist, sondern daß es in all dem, was zu ihm gehört und in ihm zusammensteht, als System vor uns steht. ›Im Bild sein‹, darin schwingt mit: das Bescheid-Wissen, das Gerüstetsein und sich darauf Einrichten. Wo die Welt zum Bilde wird, ist das Seiende im Ganzen angesetzt als jenes, worauf der Mensch sich einrichtet, was er deshalb entsprechend vor sich bringen und vor sich haben und somit in einem entschiedenen Sinne vor sich stellen will. Weltbild, wesentlich verstanden, meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen. Das Seiende im Ganzen wird jetzt so genommen, daß es erst und nur seiend ist, sofern es durch den vor-

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stellend-herstellenden Menschen gestellt ist. Wo es zum Weltbild kommt, vollzieht sich eine wesentliche Entscheidung über das Seiende im Ganzen. Das Sein des Seienden wird in der Vorgestelltheit des Seienden gesucht und gefunden« (Heidegger 1994, 89-90). Heidegger unterscheidet zwei Hauptbedeutungen der Metapher des Weltbildes anhand von zwei Verwendungen des Wortes Bild: »Abbild« und »im Bild sein«. Die naheliegende Vorstellung, ein Weltbild sei ein Abbild der Welt, korrigiert er: Weltbild meint weniger »ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild«. In der Neuzeit wird die Welt zu dem Bild von ihr, das sich das vorstellende Subjectum vor-stellt. Insofern allerdings in der »Vorgestelltheit« als neuzeitlichem Sein des Seienden ein Verweis auf Bildlichkeit liegt, ist das Weltbild auch ein Bild von der Welt, ein Abbild. Die für Heidegger offensichtlich wichtigere Bedeutungsdimension entwickelt er aus der Redewendung »wir sind über etwas im Bilde«. Damit sei gemeint: »das Seiende selbst in dem, wie es mit ihm steht, vor sich stellen und es als so gestelltes ständig vor sich haben«. Es taucht hier wieder die Metaphorik des »Stellens« aus der Diskussion des Gegen-standes auf. Auch im Weltbild wird das Seiende vom Subjectum vor sich ge-stellt. Dabei zielt das Weltbild darauf, das Seiende »in all dem, was zu ihm gehört und in ihm zusammensteht« vorzustellen: Das Weltbild zielt auf das »System«. Anhand der Rede vom »im Bild sein« hebt Heidegger die instrumentellen Dimensionen des Weltbildes hevor: »Bescheid-Wissen«, »Gerüstetsein« und »sich darauf Einrichten« motivieren das sich-ins-Bild-setzen. Das Subjectum fixiert die Welt im Bild, um sich auf sie als gesicherten Wissens-gegenstand einzurichten. Nur ein Seiendes, das sich als Gegen-stand und Bild in die Szene des Vorstellens des denkenden Ichs »zurückzwingen« (Heidegger 1994, 91) läßt, ist in der Neuzeit, erhält vom Mensch als Subjectum das »Siegel des Seins« (Heidegger 1994, 92). In der Reduktion des Seienden darauf, Gegen-stand des vorstellenden Subjekts zu sein, wird es beherrschbar. Nicht zuletzt an der Metaphorik wird eine bemerkenswerte Nähe von Heideggers Bild- zu Adornos Begriffkritik sichtbar: Adorno hat das »Zurüstende und Abschneidende« des Begriffes betont.180 Heidegger spricht davon, daß das Seiende als Gegenstand auf seinen »Bezug« zum Subjectum »zurückgezwungen« werde (Heidegger 1994, 91). Heideggers Metaphorik legt einen reduktionistischen Zugriff auf das Seiende nahe, der seiner ›Größe‹ nicht gerecht wird. Genau auf eine solche ›Größenreduktion‹ spielt auch Adornos Metaphorik des »Abschneidenden« an: Der Begriff verkürzt, was er zu beschreiben vorgibt. In Adornos Metapher des »Zurüstens«, was soviel wie »vorbereiten« bedeutet,181 schwingt sowohl die von Adorno betont Gewaltsamkeit des Begriffs gegenüber dem »Einzelnen und Besonderen« (Adorno 1988, 20) wie auch die von Heidegger am Bild hervorgehobene Dimension des »Gerüstetseins« mit (Heidegger 1994, 89). Ohne die Ähn180 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/Main 1988, S. 21. 181 Vgl. Stichwort »zurüsten« in Brockhaus Enzyklopädie: Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, Mannheim 1995, (keine Seitenzahlen).

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lichkeiten und Differenzen von Heideggers Bild- und Adornos Begriffskritik im Detail weiterzuverfolgen, läßt sich sagen, daß das Bild für Heidegger und der Begriff für Adorno das Seiende, für das sie zu stehen vorgeben, beschneiden.182 Bei Adorno gerät der Begriff als ein ausgezeichnetes Werkzeug des Denkens in den Blick. Das Problem ist aber schon das identifizierende Denken selber: »Denken heißt identifizieren. Befriedigt schiebt begriffliche Ordnung sich vor das, was Denken begreifen will« (Adorno 1988, 17). Der zweite Satz operiert mit einer Vordergrund-Hintergrund-Metaphorik, mit der sich auch das für Heidegger gravierendste Problem des Bildes fassen läßt: Indem die Welt in der Neuzeit zum Bild wird, schiebt sich das Bild vor die Lichtung des Seins, aus der es stammt. Das neuzeitliche Bild der Welt überlagert und verdrängt die Lichtung des Seins in eine noch tiefere Seinsvergessenheit. Das Verhältnis von Bild und Lichtung hat Ähnlichkeiten mit der psychischen Konstellation, die Lacan aus dem Spiegelstadium hervorgehen sieht:183 Im »jubilatorischen« Entzücken des Säuglings angesichts des eigenen Spiegelbildes erkennt Lacan den Moment, in dem die »symbolische Matrix entsteht« (Lacan 1991a, 64), die später die Instanz des Ichs besetzen wird. »Aber von besonderer Wichtigkeit ist gerade, daß diese Form vor jeder gesellschaftlichen Determinierung die Instanz des Ich (moi) auf einer fiktiven Linie situiert, die das Individuum allein nie mehr auslöschen kann oder vielmehr: die nur asymptotisch das Werden des Subjekts erreichen wird, wie erfolgreich immer die dialektischen Synthesen verlaufen mögen, durch die es, als Ich (je) seine Nichtübereinstimmung mit der eigenen Realität überwinden muß« (Lacan 1991a, 64). Die vordergründige Einheit des Ichs, die anhand des Spiegelbildes antizipiert wird, ist phantasmatisch gegenüber der komplexeren »eigenen Realität«. Ebenso schafft das Weltbild eine phantasmatische Eindeutigkeit und Beherrschbarkeit der Welt und ihrer Gegenstände, die das komplexere seinsgeschichtliche Lichtungsgeschehen verdrängt. Diese Verdrängung der Lichtung gelingt zu keiner Epoche der Seinsgeschichte vollständig. Das Verhältnis von Weltbild und Lichtung hat Heidegger anhand der Metapher des »unsichtbaren Schattens« angedeutet. In der Moderne als radikalisierter Neuzeit stößt die »Planung und Berechnung und Einrichtung und Sicherung« (Heidegger 1994, 95) auf das »Riesenhafte«, das das »Unberechenbare« ist. »Dies (das Unberechenbare, D.M.) bleibt der unsichtbare Schatten, der um alle Dinge überall geworfen wird, wenn der Mensch das Subjectum geworden ist und die Welt zum Bild« (Heidegger 1994, 95). In einer Anmerkung am Ende des Textes erläutert Heidegger die Metapher des Schattens: »Das alltägliche Meinen sieht im Schatten lediglich das Fehlen des Lichtes, wenn nicht gar seine Verneinung. In Wahrheit aber ist der Schatten die offenbare, jedoch undurchdringliche 182 Zum Verhältnis von Heidegger und Adorno vgl. Hermann Mörchen, Macht und Herrschaft im Denken von Heidegger und Adorno, Stuttgart 1980. 183 Jacques Lacan, »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949«, in: ders., Schriften, Bd. I, 3. korrigierte Auflage, Weinheim/Berlin 1991a, S. 61-70: 64.

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Bezeugung des verborgenen Leuchtens. Nach diesem Begriff des Schattens erfahren wir das Unberechenbare als jenes, was der Vorstellung entzogen, doch im Seienden offenkundig ist und das verborgene Sein anzeigt« (Heidegger 1994, 112, kursiv von mir, D.M.). Im Schatten erscheint in der zum Bild erstarrten Welt das »verborgene« Licht der Lichtung. Das Bild überlagert die Lichtung, deren Licht nur noch in der »undurchdringlichen Bezeugung« des Schattens zugänglich ist. Zwar stammt das Weltbild aus der Lichtung, aber es versiegelt diese Herkunft bis zur Absorption ihres Lichtes, das nur noch im Schatten er-scheint. Faßt man noch einmal die Unterschiede der Bild-Metaphern Schellings und Heideggers zusammen, fallen zunächst ihre Ursprünge aus unterschiedlichen philosophischen Traditionen ins Auge: Heideggers Bildmetaphorik ist der neuzeitlichen Erkenntnistheorie, vor allem Descartes, entnommen, Schellings Bildmetaphorik speist sich aus antiken und christlichen Einflüssen. Für Heidegger ist das Bild eine vordergründige, reduktionistische, instrumentelle Verdinglichung der Welt durch den Menschen als Subjectum, das die Lichtung des Seins als seiner Herkunft überlagert. Das Bild ist eine sekundäre Form des Begreifens, die sich gegenüber der Lichtung verselbständigt. Für Schelling ist das Bild – schlafend, verdunkelt, vergessen – das Urwesen selbst. Es ist kein Bild, das sich der Mensch macht, sondern im Bild empfängt der Mensch die Bedingung der Möglichkeit seines Wissens. Im geschenkten Bild besitzt der Mensch potentiell alles, was es zu wissen gibt, nämlich das Urwesen als Substanz des Alls. Heideggers Weltbild-Aufsatz habe ich als eine metaphorologische Lektüre avant la lettre rekonstruiert. Er entwickelt aus einer quasi-etymologischen Lektüre bestimmte Worte (Subjekt, Gegenstand) zu absoluten Metaphern der Gegenstandsbereiche, für die sie stehen. Diese Interpretation hat, so möchte ich vorschlagen, Ähnlichkeit mit Blumenbergs metaphorologischen Lektüren. Dabei spielt die metapherntheoretische Metaphorik, wonach die Metapher ein ›sprachliches Bild‹ sei, eine untergeordnete Rolle. Heideggers Neuzeit-Interpretation weist insbesondere in zweierlei Hinsicht auf die Metaphorologie voraus. Zum einen gleicht das Bild in seiner von Heidegger herausgearbeiteten Tendenz zur Ideologie-Bildung der Metapher. Indem Bild und Metapher für eine Sache eintreten, besteht die Gefahr, daß der bezeichnetet Gegenstand der Eigenlogik der bildhaften oder metaphorischen Perspektive unterworfen wird: Bild und Metapher können an die Stelle des Dinges treten, das sie nur zu beschreiben vorgeben. Zum anderen gleichen sich Seinsgeschichte und Metaphorologie in der archäologischen Struktur ihrer Interpretationen. Das Weltbild ist Ausdruck des Entbergungsgeschehens, das es aber gleichzeitig verstellt. Auch die technisierungsgeschichtliche Lesart der Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs, die ich im Folgenden vorschlagen möchte, rekonstruiert die manifeste Metapher vor dem Hintergrund linguistischer Latenzen. Diese latenten archäologischen Strukturen werden, wie bei Heidegger das Sein, als Bedingung der Möglichkeit historischen Sprechens aufgefaßt. Damit zeichnet sich hier noch einmal die Grundstruktur der Umbesetzungsgeschichte ab, die ich zu beschreiben versuche: An die systematische Stelle der metaphysischen Entwickelungsgeschichte des Urwesens als Grund und

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Prinzip der Welt tritt in Heideggers Spätphilosophie das anonyme Entbergungsgeschehens des Seins, das in der Konzeption der Technisierungsgeschichte durch ein komplexes Gefüge linguistischer Latenzen ›ersetzt‹ wird. Jeweils wird die zentrale Stelle neu besetzt, jedoch ist es eine von der vorhergehenden sehr verschiedene systematische Instanz, daher ist die Umbesetzungs- gleichzeitig eine Schwundgeschichte.

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III METAPHOROLOGIE DERRIDA UND BLUMENBERG

III METAPHOROLOGIE: DERRIDA UND BLUMENBERG III METAPHOROLOGIE: DERRIDA UND BLUMENBERG

In diesem Kapitel gilt mein Interesse vor allem den nachmetaphysischen Theorien der Metapher von Jacques Derrida (III.3) und Hans Blumenberg (III.4), die ich als letzte Stufe der Transformationsgeschichte, die von Schellings Weltaltern über Heideggers späte Seinsgeschichte zur modernen Metaphorologie führt, beschreibe. In welchem Sinne handeln Derrida und Blumenberg von einer nachmetaphysischen Konzeption der Metapher? Bei Blumenberg spielt Heideggers Kritik an dem metaphysischen Metaphernbegriff gar keine Rolle, Derrida hat sich von Heideggers kritischer Verknüpfung von Metapher und Metaphysik anregen lassen, ist ihm aber inhaltlich nicht gefolgt.184 Von welchem Zug des metaphysischen Metaphernbegriffs setzen sie sich also ab? Die Debatte dreht sich – so die These – um den Charakter der von der traditionellen Metapherntheorie der Metapher zugeschriebenen Ähnlichkeit. »Denn gute Metaphern zu finden, hängt von der Fähigkeit ab, Ähnlichkeiten (homoion) zu erkennen«, sagt Aristoteles in der Poetik (Aristoteles 2007, 33, 1458b). Die Übertragung des fremden Wortes folgt ontologischen Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Gegenständen. Derrida, wie ich ihn verstehe, entwickelt aus und gegen Aristoteles eine nachmetaphysische Konzeption der Metapher, indem er eine Neuinterpretation der Dimension der Ähnlichkeitsbeziehungen vorlegt, die sich in der manifesten Metapher kristallisieren. Es sind kulturelle und insbesondere sprachlich präformierte Ähnlichkeiten, die in der Metapher manifest werden: Metaphern sind Manifestationen latenter sprachlich-kultureller Strukturen – das ist die These von Derridas Projekt einer Metaphorologie zweiten Grades. Indem ich eine Rekonstruktion des archäologischen Systems dieser latenten Strukturen vorschlage, beschreibe ich die historisch-sprachlichen Bedingungen der Möglichkeit für das Erscheinen insbesondere von Metaphern. In der Ausarbeitung der Kritik an der die metaphysische Metapher fundierenden ontologischen Ähnlichkeit faltet sich die Metaphorologie zu einer diskursanalytischen Archäologie aus: Indem sich das archäologische System als Bedingung der Möglichkeit philosophischen Sprechens allgemein verstehen läßt, tritt es an die Stelle des anderen Seins der Heidegger’schen Spätphilosophie: Die seinsgeschichtliche wird durch eine diskursive Archäologie ersetzt.185 Gegenüber Derridas umfassender Kritik an dem metaphysischen Ähnlichkeitsbegriff scheint Blumenbergs Vorgehen zunächst partieller: Er kritisiert nicht den 184 Zu Heideggers Kritik am metaphysischen Begriff der Metapher vgl. oben S. 88-92. Zu Derridas Auseinandersetzung mit Heidegger vgl. »Entzug der Metapher«, in: Haverkamp (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., v.a. S. 202-234. 185 Auf die systematische Verwandtschaft des Projektes der späten Seinsphilosophie und der Metaphorologie Blumenbergs haben schon Anselm Haverkamp, »Unbegrifflichkeit: Die Aufgabe der Seinsgeschichte (Blumenberg und Heidegger)«, in: ders., Latenzzeit. Wissen im Nachkrieg, Berlin 2004, S. 73-82 und Felix Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, München 2005, S. 97 f. und 102 f. hingewiesen.

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III METAPHOROLOGIE: DERRIDA UND BLUMENBERG

metaphysischen Metaphernbegriff, sondern entwirft einen alternativen. Der zentrale Begriff seiner Metaphorologie, die absolute Metapher, ist als dezidiert nichtaristotelischer Metaphernbegriff konzipiert. Absolute Metaphern sind »Grundbestände der philosophischen Sprache [...], ›Übertragungen‹, die sich nicht ins Eigentliche [...] zurückholen lassen« (Blumenberg 1999, 10). Absolute Metaphern sind gar keine Metaphern im Sinne des Aristoteles, denn ihre »›Übertragungen‹« – damit zitiert Blumenberg den zentralen Begriff der traditionellen Metapherntheorie – beruhen nicht auf einer ontologischen Ähnlichkeit und lassen sich daher nicht in eigentliche Rede übersetzen. Es sind grundlose Setzungen, durch die – wie im Metapherngebrauch Heideggers – Gegenstände in ihrer Gegenständlichkeit erschlossen werden. Ihre hermeneutische Brisanz erhalten die nachmetaphysischen absoluten Metaphern, dadurch daß Blumenberg in der archäologischen Konzeption seiner Metaphorologie davon ausgeht, daß sie den »Untergrund« (Blumenberg 1999, 13) des begrifflich-systematischen Sprechens bilden. Damit faltet sich auch bei Blumenberg seine Metaphorologie in eine diskursanalytische Archäologie aus. Im Folgenden rekonstruiere ich Blumenbergs Metaphorologie als Teil seines umfassenderen philosophischen Projektes, das ich auf den Begriff der Technisierungsgeschichtsschreibung bringe. In diesem, Metaphorologie und Begriffsgeschichte verbindenden archäologischen Projekt beschreibt er philosophisches Sprechen als Folge und Fortschreibung vorangegangener diskursiver Entscheidungen. In der Technisierungsgeschichte wird die der Geistesgeschichte scheinbar externe Instanz des anderen Seins aus Heideggers Spätphilosophie durch eine immanente Logik diskursiver Folgen ersetzt. Derridas und Blumenbergs Metaphorologien, so wie ich sie rekonstruiere, kommen darin überein, daß sie ihre Überlegungen zu einem nachmetaphysischen Metaphernbegriff zu einer Theorie diskursanalytischer Archäologie weiter entwickeln und damit den engeren Rahmen einer Theorie der Metapher übersteigen. Beiden geht es darum, die sowohl spezifisch historischen als auch vorwiegend diskursiven Bedingungen der Möglichkeit philosophischen Sprechens verständlich zu machen. Indem so das latente System sprachlicher Beziehungen, das ich als Derridas Entwurf eine Metaphorologie zweiten Grades rekonstruiere und die Folge-Logik der Technisierungsgeschichte bei Blumenberg als immanente Prinzipien des philosophischen Diskurses aufgewiesen werden, lassen sich ihre Metapherntheorien als letzte Phase der Umbesetzungsgeschichte verstehen, die ich als von Schellings Weltaltern über Heideggers Spätphilosophie bis zu Derrida und Blumenberg führend beschreibe. Kurz gebe ich einen Überblick über die Abfolge der Kapitel: Zunächst diskutiere ich zwei einflußreiche traditionelle Metaphernkonzeptionen. Das erste Kapitel (III.1) entfaltet die Systematik und Metaphorik der ersten Theorie der Metapher von Aristoteles. Das zweite Kapitel (III.2) umreißt die gegen Aristoteles gerichtete moderne Satztheorie der Metapher. Das dritte Kapitel ist der Metapherntheorie Derridas gewidmet: Derrida entwickelt seine metapherntheoretischen Überlegungen aus der und gegen die Tradition. Daher werden im ersten Unterkapitel (III.3.1) zunächst fünf Beschreibungen des Verhältnisses von Meta-

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pher und Begrifflichkeit oder eigentlicher Rede in der Philosophie- und Rhetorikgeschichte dargestellt, auf die sich Derrida bezieht. Das zweite Unterkapitel (III.3.2) ist seiner Metapherntheorie gewidmet. Dabei entwickle ich aus seinen Thesen eine archäologische Theorie sprachlicher Latenz. Derridas Projekt einer »Metaphorologie zweiten Grades« (A. Haverkamp) wird durch die Rekonstruktion der Metaphorologie Blumenbergs vertieft, die ich auf den Begriff der Technisierungsgeschichtsschreibung bringe (III.4). Der Abschnitt endet mit einem Exkurs zum Verhältnis der Gleichnis-Interpretation Wittgensteins und der absoluten Metaphern Blumenbergs.

III.1 Die Erfindung der Metapher durch Aristoteles III.1 ERFINDUNG DER METAPHER DURCH ARISTOTELES III.1 ERFINDUNG DER METAPHER DURCH ARISTOTELES

Von Aristoteles stammt die erste explizite Theorie der Metapher, die systematische Perspektiven vorzeichnet, in denen sich die Metapherndiskussion jahrhundertelang bewegt hat und aus denen sie sich erst langsam zu lösen beginnt. Die folgenden Beschreibungen haben daher auch die Funktion, einen systematischen Rahmen und eine wirkungsgeschichtlich einflußreiche Ausgangsthesen zu markieren, an die die folgenden metapherntheoretischen Diskussionen angeknüpft oder von denen sie sich kritisch abgegrenzt haben. Das Kapitel hat drei Teile: Ich beginne mit einer Untersuchung der Metaphorik der Aristotelischen Metapherntheorie und diskutiere dann die Beschreibungen der Metapher in der Poetik und der Rhetorik. Jacques Derrida hat den (Aristotelischen) Metaphernbegriff als eine Art ›Knoten‹ in einem aus unterschiedlichen systematischen ›Fäden‹ gewobenen »begrifflichen Netz« beschrieben (Derrida 1988, 223). Im Folgenden möchte ich in einer systematischen Konstitutionsanalyse einige der Fäden des begrifflichen Netzes untersuchen, das den Aristotelischen Metaphernbegriff hält. Dabei geht es mir darum, sichtbar zu machen, wie die disziplinären Interessen der Aristotelischen Poetik und Rhetorik die Formierung des Begriffs prägen. Die Prägung durch die disziplinären Interessen zeigt sich insbesondere daran, daß der Aristotelische Diskurs über die Metapher in Poetik und Rhetorik immer wieder zwischen Beschreibungen des sprachlichen Phänomens und normativen Aussagen, wie entsprechend den disziplinären Anforderungen eine ›gute Metapher‹ sein soll, schwankt. Der Metaphernbegriff wird sich als Versuch einer systematischen Bändigung des sprachlichen Phänomens erweisen. Die prägnanteste Bestimmung der Metapher gibt Aristoteles in der Poetik. Die Stelle lautet wörtlich übersetzt: »Die Metapher ist die Übertragung (epiphora) eines fremden Wortes (onomatos allotriou) entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von der Art auf die Art oder gemäß der Analogie«.186 186 Die Übersetzung stammt von mir. Ein Problem der Übersetzungen der Poetik besteht darin, daß in ihnen die Metaphorik des ersten Satzteiles verloren geht: »Die Metapher ist die Übertragung eines Wortes, das (eigentlich) der Name für etwas anderes ist [...]«, in: Aristoteles, Poetik, in: ders., Werke in deutscher Übersetzung, übers. u. erläutert v. Arbogast Schmitt, Bd. 5, Darmstadt 2008, S. 29 (1457b). »Die Metapher ist die Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung verwendet wird) [...]«, in: Aristoteles, Poetik, Griechisch/Deutsch, übers. u. herausgegeben. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 67. Zur Kritik an Fuhrmanns Übersetzung vgl. Eckehard Eggs, Art. »Metapher«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5, Tübingen 2001, Sp. 1099-1185: 1103. »A ›metaphor‹ is the application (to something) of a

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Der Satz ist nicht zuletzt dadurch wirkungsmächtig geworden, daß er eine die gesamte abendländische Metapherntheorie durchziehende Verschlingung der Theorie der Metapher in ihren Gegenstand vorführt. »Es gehört zu den Paradoxien dieses Begriffs schon im Ansatz, daß die Metapher den Begriff ihrer selbst nicht begrifflich, sondern selbst nur metaphorisch fassen kann«.187 Die Metapherntheorie ist von Metaphern durchzogen, die den Begriff in eigentümliche metaphorische Felder und systematische Allegorien hineingezogen haben. Die Bedeutung der Metaphorik für die Metapherntheorie ist bisher (zu) wenig untersucht worden.188 Mich interessiert hier zunächst nur der erste Satzteil, in dem Aristoteles die Metapher im Zusammenspiel von drei metaphorischen Logiken zu fassen versucht: Der Satz ist von einer grundlegenden quasi-räumlichen Hintergrundmetaphorik (1) bestimmt, wonach es in der Sprache unterschiedliche ›Plätze‹ gibt, von denen oder auf die ein Wort ›transportiert‹ werden kann. Sichtbar wird der quasiräumliche Hintergrund in der Metaphorik der Bewegung (2), der »Übertragung«, die sich zwischen den Plätzen bewegt. Von den ersten beiden Metaphoriken abhängig ist (3) die metaphorische Logik der Fremdheit (und des Eigenen). Patricia Parker hat als bemerkenswerten Zug der bedeutendsten griechischen und lateinischen Metapherntheorien »the dominance in it of the notion of ›place‹« hervorgehoben.189 Unübersehbar ist dieser Zug in Quintilians Beschreibung der Metapher: »Übertragen wird also ein Nomen oder Verbum von der Stelle (ex eo loco), wo seine eigentliche Bedeutung liegt, auf die, wo eine eigentliche Bedeutung fehlt oder die übertragene besser ist als die eigentliche«.190 Die metaphorische Übertragung geschieht von einem Platz auf einen anderen. Anselm Haverkamp spricht von einem »proto-syntaktischen Gefüge der Stellen«, das die Hintergrundmetaphorik klassischer Theorien der Metapher als »Voraussetzung von deren [...] Übertragbarkeit« bildet.191

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name belonging to something else [...]«, in: Aristotle, Poetics, transl. with notes by Richard Janko, Indianapolis/Cambridge 1987, S. 28. »A metaphor is the application of a word that belongs to another thing [...]«, in: Aristotle, Poetics, Greek/English, ed. and transl. by Stephen Halliwell, Cambridge/London 1995, S. 105. Anselm Haverkamp, »Nach der Metapher. Nachwort zur Neuausgabe«, in: ders. (Hg), Theorie 2 der Metapher, Darmstadt 1996, S. 499-505: 500. Petra Gehring diskutiert am Beispiel der einflußreichen Vorstellung von der Metapher als ›sprachlichem Bild‹ das Problem der metapherntheoretischen Metaphorik: Petra Gehring, »Metapherntheoretischer Visualismus. Ist die Metapher ›Bild‹?«, in: Matthias Kroß/Rüdiger Zill (Hg.), Metapherngeschichten. Perspektiven einer Theorie der Unbegrifflichkeit, Berlin 2011, S. 1531. Patricia A. Parker, »The metaphorical Plot«, in: David S. Miall (ed.) Metaphor: Problems and Perspectives, Sussex/New Jersey 1982, S. 133-157: 133. Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Lateinisch/Deutsch, herausgegeben u. übers. v. Helmut Rahn, Bd. 2, Darmstadt 2006, S. 219 (8.6.5). Anselm Haverkamp, Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs, München 2007, S. 27.

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Bei Aristoteles bleibt dieser quasi-räumliche Stellenrahmen stärker im Hintergrund und erscheint nur in der Bewegung der Übertragung. Seine zentrale Bedeutung auch für Aristoteles wird allerdings an der eigentümlich zirkulären Bestimmung der Metapher ablesbar: Er nennt das sprachliche Phänomen »metaphora«, was »Übertragung« bedeutet, und bestimmt es durch den nahezu synonymen Ausdruck »epiphora«.192 »-phora« bezeichnet eine »Ortsveränderung« (Ricœur 1991, 23). Auch »metapherein«, so das Ergebnis der wortgeschichtlichen Studien Sinnreichs zur Verwendung des Wortes in der voraristotelischen Literatur, bezeichnet in seiner wörtlichen Bedeutung den »Vorgang einer Ortsveränderung«, z.B. die Verlegung eines Leichnams von einem Ort an einen anderen.193 Mit der quasi-räumlichen Metaphorik sprachlicher Orte und des Wechselns zwischen ihnen ist eine Metaphorik der Fremdheit und des Eigenen systematisch verbunden, die für die abendländische Metapherntheorie von zentraler Bedeutung ist.194 Wird das Alter »Lebensabend« genannt, dann erscheint der von seinem wörtlichen Verwendungsort übertragene »Abend« an seinem neuen Ort als »fremdes Wort«. Aristoteles zählt die Metapher ebenso wie die »Glosse«, das ungebräuchliche, also veraltete, fremdsprachliche oder dialektale Wort und die »Neubildung« zu den »fremdartigen (xenikois) Wörtern«, die »vom Normalen (kyrion) abweichen« (Aristoteles 2002, 31, 1458a). Seine Bestimmung des Gegenbegriffs »kyrion« macht deutlich, wie er die Fremdheit der Metapher hier versteht: »Unter ›normal‹ (kyrion) verstehe ich (eine Bezeichnung), die bei allen (Sprechern einer Sprachgemeinschaft) üblich ist« (Aristoteles 2002, 29, 1457b). Schmitts Ergänzungen in Klammern machen den Punkt deutlich: Die Fremdheit der Metapher ist eine Fremdheit ›am Ort‹ einer Sprachgemeinschaft, die Metapher ist ein ›sprachlicher Ausländer‹. In der Rhetorik kippt die stilistische Metapher der Fremdheit der Metapher in eine wörtliche Parallele um: »[...] denn die Abkehr von der allgemein gebräuchlichen Redeweise bewirkt den Anschein von Würde, wie nämlich die Menschen eine bestimmte Empfindung Fremden (xenous) und eigenen Mitbürgern gegenüber haben, so auch gegenüber dem sprachlichen Ausdruck. Daher ist es nötig, der Umgangssprache etwas Fremdartiges zu verleihen; denn die Menschen bewundern das Entlegene, und das Bewundernswerte ist angenehm«.195 Die stilisti192 Zur Synonymie von »metapherein« und »epipherein« vgl. Johannes Sinnreich, Die Aristotelische Theorie der Metapher. Ein Versuch ihrer Rekonstruktion, Diss.-Ms., München 1969, S. 60 f. Vgl. auch die Einträge »epiphora« und »metaphora« in: Greek-English Lexicon, ed. Henry George Liddell/Robert Scott, 2 Vol., Oxford 1948, S. 671 und 1118. 193 Vgl. Sinnreich, Aristotelische Theorie der Metapher, a.a.O., S. 68. Sinnreich findet neben wörtlichen auch metaphorische und frühe terminologische Verwendungen des Wortes. 194 Vgl. Patricia Parker, »Metapher und Katachrese«, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Die paradoxe Metapher, Frankfurt/Main 1998, S. 312-331: 316. 195 Aristoteles, Rhetorik, übers. mit Bibliographie, Erläuterungen u. Nachwort v. Franz G. Sieveke, 3 München 1989, S. 169 (1404 b). Außerdem Aristoteles, Rhetorik, in: ders., Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung, übers. u. erläutert v. Christof Rapp, Bd. 4.1/2, Darmstadt 2002, S. 131 und The ›Art‹ of Rhetoric, Greek/English, transl. by John Henry Freese, London/Cambridge 1959, S. 351.

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sche Metaphorik der Fremdheit zieht die Metapherntheorie in Geschichten über Mitbürger und Fremde hinein. Aus dem Horizont der Semantik des Eigenen und Fremden speist sich eine eigentümliche Ambivalenz in der Einschätzung der Metapher: Der Fremde kann ein reizvoller Gast oder ein nützlicher Gastarbeiter sein – aber er hat auch das Potential zum Feind. Stilistisch besteht die Gefahr darin, daß ein Übermaß an Metaphorik die Rede rätselhaft oder lächerlich macht (Aristoteles 2008, 31-32, 1458a-b). Den Gast vom Feind unterscheidet sein Auftreten am fremden Ort. Die Übertragung wird einer potentiellen Gewaltsamkeit verdächtigt, die sie als Usurpation erscheinen lassen kann. Cicero spricht im Redner von dieser – metaphorischen – Gefahr: »Denn eine Übertragung (translatio – der lateinische Name der Metapher, D.M.) muß behutsam vorgenommen werden, damit es scheint, als sei das Wort an seinem fremden Platz nicht eingedrungen (inrupisse), sondern eingeführt, und mit Verlaub, nicht mit Gewalt (non vi) erschienen«.196 Diese gewaltsame Dimension der Übertragung gibt es latent auch schon im Text von Aristoteles: Eine Bedeutung von »epiphora«, das traditionell mit »Übertragung« übersetzt wird, ist »Angriff«.197 An dieser Stelle wird die allegorische Produktivität der metapherntheoretischen Metaphorik sichtbar: Die Vorstellung der Übertragung als Usurpation entsteht aus der Verbindung der quasi-räumlichen Übertragungsmetaphorik mit der Metaphorik der Fremdheit.198 Die fremde Metapher überfällt, usurpiert einen ihr nicht zustehenden Ort. Patricia Parker hat von der plot-Struktur der metapherntheoretischen Metaphorik gesprochen. In der Aristotelischen Metapherntheorie verbinden sich eine Metaphorik der Räumlichkeit, der Bewegung und der Fremdheit zu einer systematischen Allegorie, die die Metaphorik der Usurpation nur fortschreibt. »What seems to be a straightforward illustration of the trope generates a kind of plot, with metaphor as the foreigner or ›alien‹ ursurping a place properly occupied by the original term« (Parker 1982, 134). Es gehört zu den Desideraten der Metapherntheorie, ihre eigene metapherntheoretische Metaphorik systematisch zu berücksichtigen. Diese Metaphern legen Logiken nahe, verknüpfen sich zu Erzählungen, die mit der Beschreibung des sprachlichen Phänomens wenig zu tun, deren systematische Implikationen aber weitreichende Konsequenzen haben können.199

196 Marcus Tullius Cicero, Über den Redner, Lateinisch/Deutsch, übers. u. herausgegeben v. Ha2 rald Merklin, Stuttgart 1991, S. 549 (3.165). 197 Greek-English Lexicon, ed. Liddell/Scott, a.a.O., S. 671. 198 Rüdiger Zill schließt an diese Metaphorik der Fremdheit bewußt metapherntheoretische Überlegungen an: Rüdiger Zill, »Metaphern als Migranten. Zur Kulturgeschichte rhetorischer Formen«, in: Kroß/Zill (Hg.), Metapherngeschichten, a.a.O., S. 105-140. 199 Untersuchungen zur metapherntheoretischen Metaphorik finden sich bei: Derrida, »Mythologie blanche«, in: ders., Randgänge, a.a.O., S. 244 f. und Petra Gehring, »Metapherntheoretischer Visualismus«, in: Kroß/Zill (Hg.), Metapherngeschichten, a.a.O., S. 15-31.

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Ich wende mich jetzt Aristoteles’ systematischer Bestimmung der Metapher im Rahmen der Poetik und der Rhetorik zu. Dabei werde ich im Anschluß an André Laks einen Unterschied zwischen der Behandlung der Metapher in den beiden Schriften herausarbeiten:200 Bei der poetischen Metapher geht es Aristoteles vorrangig um die Dimension der ästhetischen Wirkung durch Verfremdung der gewöhnlichen Sprache. In der Rhetorik spielt zwar die ästhetische Wirkung auch eine Rolle, wichtiger ist hier aber die Erkenntnisleistung der Metapher durch verfremdete Darstellung. Ein spezifischer Verfremdungsbegriff ist die Klammer, die beide Konzeptionen zusammenhält. Verfremdung ist auch die zentrale poetologische Kategorie des russischen Formalismus, der nicht zufällig in einer Phase der »Aristotelesrenaissance« in der russischen Literatur- und Kunstwissenschaft entstanden ist.201 Viktor Schlovskij hat in einem frühen programmatischen Aufsatz die Verfremdung zur wesentlichen Funktionsweise und Kennzeichen des Kunstwerkes im Gegensatz zur Alltagssprache erklärt: Im Alltag werde die Wahrnehmung durch »Wiederholung« automatisiert und zu einem bloßen »Wiedererkennen« der Dinge. Dem widersetzt sich das Kunstwerk, indem es durch nicht alltägliche sprachliche Formen – wie Tropen, ungewöhnliche perspektivische Schilderung, schwierige Syntax – die Wahrnehmung erschwert, um die Dinge neu wahrnehmbar zu machen. Im Formalismus sind also die ästhetische Wirkung und die Erkenntnisleistung der Verfremdung unmittelbar aufeinander bezogen: »Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren des Kunst ist das Verfahren der ›Verfremdung‹ der Dinge [...] ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden«.202 Meine These ist, daß Aristoteles in der Rhetorik die Metapher genau aus der Perspektive ihrer ästhetisch-erkenntnistheoretischen Wirkung beschreibt, in der Poetik dagegen interessiert ihn vorrangig die ästhetische Wirkung der Metapher, insofern sie die Sprache des Kunstwerkes »gehoben« und »nicht alltäglich« (Aristoteles 2007, 31, 1458a) erscheinen läßt. Ich möchte nicht behaupten, daß Aristoteles annähme, daß die poetische Metapher keine Erkenntnisse vermitteln könne, sondern lediglich daß der Erkenntnisdimension der Metapher in der Poetik nicht sein Hauptinteresse gilt. 200 Vgl. André Laks, »Zeitgewinn. Bemerkungen zum Unterschied zwischen Metapher und Vergleich in Aristoteles’ ›Rhetorik‹«, in: Enno Rudolph/Heinz Wismann (Hg.), Sagen, was die Zeit ist. Analysen zur Zeitlichkeit der Sprache, Stuttgart 1992, S. 11-19 sowie ders., »Substitution et connaissance: Une interprétation unitaire (ou presque) de la théorie Aristotélicienne de la métaphore«, in: David J. Furley/Alexander Nehamas (eds.), Aristotle’s Rhetoric. Philosophical Essays, Princeton 1994, S. 283-305. 201 Aage Hansen-Löve, Der russische Formalismus. Methodologische Rekonstruktion seiner Entwicklung aus dem Prinzip der Verfremdung, Wien 1978, S. 24 f. 202 Viktor Schlovskij, »Die Kunst als Verfahren«, in: Jurij Striedter (Hg.), Russischer Formalismus. 4 Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa, München 1988, S. 3-35: 15.

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Die Behauptung einer solchen Differenz zwischen der poetischen und rhetorischen Behandlung der Metapher setzt offensichtlich für die Poetik eine bestimmte Interpretation des Verhältnisses der beiden Metaphernkapitel (21-22) zum zentralen Begriff des Textes, der mimesis, voraus.203 Gerade durch die mimesis-Konzeption führt Aristoteles Dichtung und Erkenntnis eng: »Zwei Ursachen« haben die Dichtung hervorgebracht, mimesis gehört zur »Natur« des Menschen und bereitet ihm »Freude«. »Ursache« für Letztere »ist, daß zu erkennen nicht nur für Philosophen höchste Lust ist, sondern genauso für alle anderen« (Aristoteles 2007, 6, 1448b). Ein Teil des Vergnügens an Dichtung speist sich aus dem Vergnügen am Erkennen. Stellt man die Metapherndiskussion der Poetik in den Horizont der mimesis-Konzeption, was Derrida (Derrida 1988, 229-39) und Ricœur (Ricœur 1991, 51) umstandslos tun, scheint auch die poetische Metapher mit Erkenntnis zu tun zu haben. Dagegen steht Laks schlichte Textbeobachtung: »Bezeichnend ist, daß er (Aristoteles, D.M.) nur in der Rhetorik, niemals aber in der Poetik auf den kognitiven Aspekt der Metapher zu sprechen kommt« (Laks 1992, 15).

203 Dichtung und Musik sind Arten der mimesis, sagt Aristoteles am Anfang der Poetik (Aristoteles 2007, 3; 1447a). Die Probleme beginnen bereits mit der Übersetzung: Fuhrmann und Schmitt übersetzen mit »Nachahmung«. Diese deutsche Übersetzung scheint nahe zu legen, Kunst sei für Aristoteles eine »die Natur wiederholende Kopie« (Ricœur 1991, 48). Damit wird die Übersetzung dem eigentümlichen »Pendeln zwischen strikter Naturnachahmung und geringfügigen Abweichungen« (Manfred Fuhrmann, »Nachwort«, in: Aristoteles, Poetik, a.a.O., S. 169), die die Aristotelische mimesis-Konzeption gestattet, nicht gerecht. Ricœur betont daher »innerhalb der mimesis selbst eine Spannung zwischen Unterwerfung unter das Wirkliche [...] und schöpferischer Arbeit« (Ricœur 1991, 50). Janko weist diese Spannung auch im weiten Bedeutungsfeld des griechischen Wortes auf: »The Greeks drew no clear distinction between imitation, copying, impersonation and representation – all these concepts were included in the word mimesis [...] Plato tends to stress the idea that visual art copies nature [...] Aristotle redefines mimesis to stress that poetry represents action and life«. Er schlägt als Übersetzung daher »representation« vor (Janko, »Introduction«, in: Aristotle, Poetics, a.a.O., S. XV). Insofern Aristoteles drei Arten der mimesis unterscheidet – »entweder er (der Künstler, D.M.) stellt etwas so dar, wie es war oder ist, oder so, wie man sagt und meint, (daß es ist) oder so, wie es sein müßte« (Aristoteles 2007, 36-37, 1460b) – und außerdem betont, »die Dichtung nämlich stellt eher etwas Allgemeines, die Geschichtsschreibung Einzelnes dar« (Aristoteles 2007, 14, 1451b), räumt er dem Künstler offensichtlich gewisse Freiheiten ein. Ricœur versucht diesen Spielraum der mimesis auf die Formel zu bringen, daß Dichtung »nachahmt, komponiert und konstruiert« (Ricœur 1991, 49). Allein Hans Blumenberg hat kein Problem mit der Übersetzung von mimesis durch »Nachahmung«, da er alle Freiheiten, die Aristoteles dem Künstler einräumen mag, letztlich ontologisch durch den »unverrückbaren eidentischen Bestand reguliert« sieht, über den der Künstler im Horizont der Aristotelischen Kunsttheorie nicht hinausgehen kann – vgl. Hans Blumenberg, »›Nachahmung der Natur‹. Zur Vorgeschichte des schöpferischen Menschen«, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 9-46: 26. Eine reizvolle Lösung schlägt Friederike Ankele vor, indem sie anstelle der einen Bedeutung je nach den unterschiedlichen Sprachspiel- und Verwendungskontexten verschiedene Bedeutungsdimensionen der mimesis unterscheidet – vgl. Friederike Ankele, Mimesiskonzeptionen bei Platon und Aristoteles, Ms., Frankfurt/Oder 2010. Vgl. zur mimesis-Konzeption in der Poetik Stephen Halliwell, Aristotle’s Poetics, London 1986, S. 109-137 und allgemein ders., The Aesthetics of Mimesis. Ancient texts and modern problems, Princeton 2002.

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In der Poetik wird die Metapher im Rahmen der Diskussion der lexis, der sprachlichen Gestaltung, zum Thema, einem der sechs Teile der Tragödie, die Aristoteles herausarbeitet. Innerhalb der Darstellung der lexis ist es näherhin die schon angesprochene Unterscheidung von »normalen« und »fremdartigen« Ausdrücken, die den Horizont der Metapherndiskussion abgibt (Aristoteles 2007, 29, 1457b). Unter den fremdartigen Wörtern widmet Aristoteles der Metapher den meisten Raum und nennt sie »am allerwichtigsten« (Aristoteles 2007, 32, 1459a). Aristoteles gibt die Funktion der Verwendung fremdartiger Ausdrücke eindeutig an: »Die beste Ausdrucksweise (lexeos de arete) ist die klare (saphe) und nicht alltägliche (me tapeinen). Am klarsten ist die, die Worte normal gebraucht, sie ist aber alltäglich [...] Gehoben (semne) und eine Abweichung vom normalen (kyrion) Wortgebrauch ist die (Ausdrucksweise), die fremdartige (xenikois) Worte verwendet« (Aristoteles 2007, 31, 1458a). Die Funktion der fremdartigen Ausdrücke ist eine Verfremdung des alltäglichen Sprachgebrauchs, die gegenüber diesem Sprachgebrauch als besonders eindrücklich, überlegen und reizvoll – »gehoben«, »erhaben« (Fuhrmann), »grand« (Janko) – wahrgenommen wird. Damit ist die zentrale Funktion der Metapher in der Poetik benannt: Die linguistische Verfremdung, die die Metapher als fremdartiger Ausdruck darstellt, zielt auf eine ästhetische Wirkung. Aristoteles unterscheidet von den normalen sieben Typen fremdartiger Ausdrücke: Glosse, Schmuck, Neubildung, Metapher, Erweiterung, Verkürzung, Abwandlung (1457b). Die sieben Typen zerfallen in zwei Grundformen von Verfremdung: Erweiterung, Verkürzung und Abwandlung bezeichnen kleinere phonetische, lexikalische oder grammatische Abweichungen im Gebrauch gewöhnlicher Worte. Glosse, Schmuck, Neubildung und Metapher sind dagegen alle Übertragungen, der Gebrauch gewöhnlicher Worte an einer ungewöhnlichen Stelle.204 Die Bestimmung der Metapher durch die Übertragungsmetapher wurde wirkungsmächtig, insofern sie eine Worttheorie des metaphorischen Prozesses nahelegte: Die Metapher wird als die Verwendung eines isolierten einzelnen Wortes an ungewöhnlicher Stelle bestimmt. Erst die Satztheorien des 20. Jahrhunderts werden die Metapher als ungewöhnliche Prädikation beschreiben und damit das prädikative Verhältnis zwischen z.B. einem wörtlichen Subjekt und einem metaphorischen Prädikat im Rahmen eines Satzkontextes ins Zentrum der theoretischen Aufmerksamkeit rücken.205 Ricœur hat die wirkungsgeschichtlichen Konsequen204 Eine kurze Erläuterung zu den anderen Übertragungsformen neben der Metapher: »Glosse« bezeichnet alle Arten von in einer Sprachgemeinschaft ungebräuchlichen Ausdrücken: Worte aus dem Sprachgebrauch anderer sozialer Schichten, Gegenden, Zeiten und fremder Sprachen. »Schmuck« wird in der Poetik nicht erläutert, eine Parallelstelle in der Rhetorik legt nahe, daß es sich um euphemistische Bezeichnungen handelt, so wenn man »Räuber« »Geldbeschaffer« nennt (Aristoteles 2002, 133, 1405a). »Neubildungen« sind ungewöhnliche Verwendungen gewöhnlicher Bezeichnungen durch den Dichter, wenn er z.B. das »Geweih« von Tieren »Zweige« nennt (Aristoteles 2008, 30, 1457b). Aristoteles Neubildungen weisen eine Nähe zu dem auf, was Quintilian später »Katachrese« nennen wird. 205 Vgl. dazu das folgende Kapitel, S. 183 f.

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zen der Aristotelischen Übertragungsmetaphorik ein wenig dramatisch so charakterisiert: »Damit ist das Schicksal der Metapher für Jahrhunderte besiegelt: Sie hängt von nun an mit der Poetik und Rhetorik nicht auf der Ebene der Rede, sondern eines Teiles der Rede, des Nomens zusammen« (Ricœur 1991, 20-21). Eine Spannung durchzieht die Aristotelische Bestimmung der Metapher: Deren Definition durch die Metapher der Übertragung führt zu einem weiten Metaphernbegriff, der eher dem entspricht, was die rhetorische Tradition »Trope« nennt.206 Nicht nur sind, wie bemerkt, Glosse, Neubildung und Schmuck ebenfalls Übertragungen, sondern auch Metonymie, Synekdoche und Ironie sind es. Wird ein Schwert synekdochisch »Eisen« oder metonymisch ein Text nach seinem Autor »der Vergil« genannt, liegen Übertragungen von der Gattung auf die Art bzw. von einer Art auf eine andere vor. Dem stellt Aristoteles später in einem berühmten Satz einen engen Metaphernbegriff gegenüber: »Denn gute Metaphern zu finden, hängt von der Fähigkeit ab, Ähnlichkeiten (homoion) zu erkennen« (Aristoteles 2007, 33, 1458b). Ähnlichkeit ist in der rhetorischen Tradition das Merkmal, das die Übertragungen der Metapher von denen der anderen Tropen unterscheidet. Der weite und der enge Metaphernbegriff bleiben unvermittelt nebeneinander stehen. Allein in der zuletzt genannten Form der Übertragung, der Analogie, kommen die beiden Metaphernbegriffe überein: »Unter Analogie verstehe ich eine Beziehung, in der sich die zweite Größe zur ersten ähnlich (homoios) verhält wie die vierte zur dritten« (Aristoteles 1982, 69, 1457b). Die analogische Übertragung »Abend des Lebens« wird ermöglicht, weil sich das Alter (1) zum Leben (2) »ähnlich verhält« wie der Abend (3) zum Tag (4) und daher Abend ›an die Stelle‹ von Alter treten kann. Die quasi-räumliche Übertragungsmetaphorik und die mit ihr systematisch verbundene Metaphorik der Fremdheit machen die Metapher zu einer »Entlehnung« (Ricœur 1991, 24): Die Aristotelische Metapherntheorie beschreibt die pragmatische Verwendungslogik eines Wortes, das von ›seiner Stelle‹ entlehnt und an einer ›fremden Stelle‹ verwendet wird. Ist die Entlehnung auch eine Ersetzung? Tritt das fremde Wort ›an die Stelle‹ eines dort ›einheimischen‹ Wortes, das es nur verdrängt? Das bleibt bei Aristoteles unklar: Einerseits nennt er unter den Analogiemetaphern selbst ein Beispiel, bei dem eine Metapher eine fehlende Bezeichnung ergänzt. Es fehlt ein Ausdruck für eine bestimmte Art des Scheinens des Sonnenlichtes, das dem »Ausstreuen von Samen« ähnele, daher könne gesagt werden »säend das gottgeschaffene Licht« (Aristoteles 2007, 30, 1457b). Hier übernimmt die Metapher eine Funktion, die Quintilian später der Katachrese zuschreiben wird: »denn um Katachrese handelt es sich, wo eine Bezeichnung fehlt« (Quintilian 2006, 233, 8.6.34). Andererseits erläutert Aristoteles die Arten der Übertragung in einer Weise, daß die übertragenen Formen offensichtlich an die Stelle bestehender Bezeichnungen treten. Sein Beispiel einer Übertragung von der 206 Vgl. Harald Weinrich, Art. »Metapher«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Darmstadt 1980, Sp. 1179-1186: 1179.

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Art auf die Gattung erklärt er so: »›Wahrhaftig zehntausend gute Dinge hat Odysseus schon vollbracht‹; ›zehntausend‹ ist nämlich ›viel‹, und an der Stelle von ›viel‹ wird das Wort hier verwendet« (Aristoteles 1982, 69, 1457b).207 Ricœur hat recht, wenn er schreibt: »Daß jedoch der metaphorische Begriff einem fremden Bereich entlehnt ist, schließt nicht ein, daß er an die Stelle eines gewöhnlichen Wortes tritt, das man statt seiner hätte finden können« (Ricoeur 1991, 25). Allerdings scheint Aristoteles die Übertragung oft genau auf diese Weise zu denken. Für die These, daß es insbesondere die ästhetische Wirkung der Metapher und der anderen fremdartigen Worte ist, die Aristoteles in der Poetik vorrangig interessiert, spricht schließlich der Fortgang der Diskussion: In Kapitel 22 versucht er, Kriterien für die gelingende »gehobene« Sprachform des Kunstwerks zu entwikkeln. Das Gelingen zielt hierbei auf die Wirkung, »alles«, was »den Eindruck einer gewählten Sprache erweckt« (Aristoteles 2007, 32, 1459a); erkenntnistheoretische Dimensionen spielen keine Rolle. Zwar warnt Aristoteles vor der übermäßigen Verwendung fremdartiger Worte, die die Sprache unverständlich mache, aber vor allem deshalb, weil, was nicht verstanden wird, nicht wirken kann. Aristoteles formuliert die Regeln einer ästhetische Wirkungen erzielenden gehobenen Sprachform als rein stilistische Anforderungen. Fremdartige Wörter müssen »passend« oder »angemessen« (prepon) und »maßvoll« (metron) verwendet werden. Beide Anforderungen scheinen auf Ähnliches hinauszulaufen: Während in die Bestimmung der Angemessenheit (prepon) in der Rhetorik auch noch ontologische Gesichtspunkte einfließen – die Rede muß »in rechter Relation zu dem zugrundliegenden Sachverhalt (stehen)« (Aristoteles 1989, 1408a) – sind die Kriterien in der Poetik poetologisch: Die Verfremdungen dürfen nicht allzu offensichtlich von den Gesetzen der Metrik und Umgangssprache abweichen, und sie müssen zu dem Charakter der Gattungen, in denen sie verwendet werden, passen. Allzu offensichtliche Verfremdungen wirken »lächerlich« (Aristoteles 2007, 32, 1458b). Mit den beiden formalen Begriffen versucht Aristoteles noch einmal jene Mittelstellung zwischen Klarheit und Verfremdung zu markieren, die die »beste Ausdrucksweise« im Sinne der ästhetisch wirkungsvollsten kennzeichnet, von der der erste Satz des Kapitels handelt: »Die beste Ausdrucksweise (lexeos arete) ist die klare und nicht alltägliche« (Aristoteles 2007, 31, 1458a). Aristoteles’ Interesse an der Metapher ist in der Rhetorik, zu der ich nun übergehe, charakteristisch anders gelagert: Sein Augenmerk gilt jetzt insbesondere dem Erkenntnis- und Überredungspotential der Metapher. Dieses Erkenntnisinteresse hängt mit der systematischen Grundkonzeption seiner Rhetorik zusammen: Die Rhetorik hat – ähnlich der Dialektik – keinen eigenen Gegenstandsbereich, sondern sie ist wesentlich ein »Vermögen, bei jedem Gegenstand das möglicherweise Glaubenerweckende (pithanon) zu erkennen« (Aristoteles 1989, 12, 1355b). Rhetorik ist nach Aristoteles also die Theorie der kunstmäßigen und methodisch lehrbaren »Überzeugungsmittel«. Die Metapher wird – wie in der Poetik – als

207 Vgl. die Diskussion der Stelle bei Ricœur, Lebendige Metapher, a.a.O., S. 24 f.

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Teil der lexis, der sprachlichen Form, im dritten Buch der Rhetorik behandelt. Gegenstand des dritten Buches ist, wie man etwas sagt: »denn es genügt nicht, über das zu verfügen, was man sagen muß, sondern es ist notwendig, daß man auch darüber verfügt, wie man es sagen muß« (Aristoteles 2002, 129, 1403b). Im ersten Buch hat Aristoteles die technischen Mittel der Überzeugung (Enthymem, Beispiel, Topoi) eingeführt und dann ausführlich die den drei Grundgattungen (beratende, gerichtliche und vorführende Rede) spezifischen argumentativen Gesichtspunkte (Topoi) diskutiert. Das zweite Buch handelt von den »Emotionen«, die eine Rede erregen oder behandeln kann, und die daher in ihren Ursachen und Auswirkungen dargestellt werden. Das dritte Buch handelt von der sprachlichen Form (lexis) und Anordnung (taxis) der Rede. Aristoteles’ Haltung gegenüber der sprachlichen Form ist in der Rhetorik eigentümlich ambivalent: So findet er die Beschäftigung mit der reinen sprachlichen Form, weil sie nicht unmittelbar die »Dinge selbst« betrifft, sondern vielmehr »auf den Hörer bezogen« ist, »richtig betrachtet ungebührlich«, da die sprachliche Form jedoch »viel vermag«, ist die Beschäftigung »notwendig« (Aristoteles 2002, 130, 1404a). Diese starke Sachorientierung der Aristotelischen Rhetorik zeigt sich deutlich in der Bestimmung der besten sprachlichen Form der Rede, die gerade, weil sie dieselben Begriffe wie die Poetik benutzt, die Differenz deutlich markiert: »es soll die Vortrefflichkeit der sprachlichen Form (lexeos arete) dadurch definiert sein, daß sie klar (saphe) ist – die Rede ist nämlich ein sprachliches Zeichen, so daß sie, wenn sie ihren Gegenstand nicht klar macht, ihre Aufgabe nicht erfüllt – und nicht zu banal (mete tapeinen) und nicht über die Maße erhaben, sondern angemessen (prepousan). Die sprachliche Form der Dichtung nämlich ist vielleicht nicht banal, jedoch für die Rede nicht angemessen« (Aristoteles 2002, 131, 1404b). Während in der Poetik die Vortrefflichkeit der sprachlichen Form durch eine Balance zwischen den Ansprüchen auf ästhetische Differenz durch verfremdete Ausdrucksweise und Klarheit gekennzeichnet ist, hat sich in der Rhetorik das Gewicht deutlich in Richtung Klarheit verschoben – und zwar einer Klarheit der referentiellen Darstellung von Gegenständen, denn das ist die eigentliche »Aufgabe« der sprachlichen Zeichen einer Rede. In der Rhetorik soll der Gebrauch fremdartiger Wörter in der Rede nur in einer bestimmten Spannbreite zugelassen werden: Die Rede darf »nicht zu banal und nicht über die Maßen erhaben« sein. Insbesondere wird aber ihre Verwendung durch zwei Forderungen geregelt: Unmerklichkeit und Angemessenheit. Im Gegensatz zu ihrem Gebrauch in poetischen Werken müssen die Kunstmittel in der Rede unmerklich angewendet werden: »Daher ist es erforderlich, die Kunstfertigkeit anzuwenden, ohne daß man es merkt, und die Rede nicht als verfertigt, sondern als natürlich erscheinen zu lassen – dies nämlich macht sie glaubwürdig, jenes aber bewirkt das Gegenteil; denn die Zuhörer nehmen wie gegen jemanden, der etwas im Schilde führt, Anstoß daran« (Aristoteles 1989, 170, 1404b). Während Verfremdung ein konstitutives Merkmal poetischer Werke ist, kann sie in der Rede verdächtig wirken und bedarf daher besonders sorgsamer Verwendung und möglicherweise sogar der Verbergung.

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Vor allem aber erhält die Angemessenheit (prepon), die in der Poetik im wesentlichen eine Forderung nach kontextueller Passung war, in der Rhetorik eine komplexe inhaltliche Bestimmtheit. Die Art und Weise der Rede muß »der zugrundeliegenden Sache«, den behandelten Emotionen, dem Alter, Geschlecht, der sozialen Stellung und Bildung des Redners angemessen sein und auch der »Zeitpunkt«, wann etwas in der Rede gesagt wird, unterliegt Anforderungen der Angemessenheit (Aristoteles 2002, 139 f., 1408a-b). Die im Verhältnis zur Dichtung veränderten stilistischen Anforderungen an die Rede schlagen sich umittelbar in einer von der Poetik abweichenden Bestimmung der Metapher nieder: Auch in der Rhetorik zeichnet Aristoteles die Metapher unter den fremdartigen Wörtern aus, weil »die Metaphern am meisten bewirken«. Allerdings ist die Begründung bemerkenswert: Sie tun das, weil sie nicht nur »in höchstem Maße« fremdartig, sondern ebenso alltäglich sind. »Ein Zeichen dafür ist, daß alle allein diese gebrauchen; alle nämlich unterreden sich mit Metaphern und den eigentümlichen und üblichen Ausdrücken. Wenn daher einer die Rede gut macht, wird sie offensichtlich fremdartig sein und (dabei) in der Lage, es zu verbergen, und sie wird klar sein« (Aristoteles 2002, 132, 1404b). Aristoteles trifft mit der doppelten Bestimmung, daß Metaphern fremdartig und allgemein üblich sind, einen wichtigen Punkt am sprachlichen Phänomen: Metaphern sind Abweichungen vom alltäglichen Sprachgebrauch, und sie sind gleichzeitig ein ebenso häufiger wie auch selbstverständlicher Bestandteil der Umgangssprache. Jede Metapherntheorie wird diesen beiden, fast widersprüchlich anmutenden Seiten des sprachlichen Phänomens systematisch Rechnung tragen müssen. Das Problem besteht hier also nicht in der Widersprüchlichkeit der Bestimmungen in Poetik und Rhetorik, sondern darin, daß sie unvermittelt bleiben. Mich interessiert diese Widersprüchlichkeit der Bestimmungen nur als ein besonders prägnanter Fall, an dem sich zeigt, wie das sprachliche Phänomen »Metapher« bei Aristoteles im systematischen Spannungsfeld der Disziplinen konstituiert wird. Dieser Konstitutionsprozeß wird dann angesichts von so offensichtlich in den disziplinären Interessen begründeter Widersprüche wahrnehmbar. Aristoteles’ Inszenierung der Metapher als Mittel der Erkenntnis und Überredung in der Rhetorik ist insbesondere an zwei Bestimmungen greifbar: die Metapher als Gleichnis (eikon) und als Rätsel (ainigma). Am Anfang des vierten Kapitels des dritten Buches behauptet Aristoteles, daß »auch das Gleichnis (eikon) eine Metapher ist« (Aristoteles 2002, 135, 1406a). Diese Annäherung von Gleichnis und Metapher legt eine diskursive Dimension in der Metapher bloß, die in der Charakterisierung als Übertragung verdeckt blieb. Im Gegensatz zur Theorie der Übertragung, die die Metapher als einzelnes Wort an ungewöhlicher Stelle beschreibt, stellt das Gleichnis ein Verhältnis zwischen zwei Begriffen her: ›Achilleus ist wie ein Löwe‹. Das Gleichnis operiert auf der Ebene des Satzes. Insofern liegt hier ein – von der Tradition nicht aufgenommener – Ansatz zu einer Satztheorie der Metapher vor. Die Annäherung von Gleichnis und Metapher beruht auf der erkenntnistheoretischen Grundstruktur des Aristotelischen Metaphernbegriffs: Metaphern enthal-

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ten nach Aristoteles Erkenntnisse, sie sind Ausdruck und Zeichen vorgängiger ontologischer Verhältnisse, deren Ähnlichkeit in ihnen ›zu Wort kommt‹. Der Unterschied zwischen Gleichnis und Metapher ist »geringfügig« (Aristoteles 2002, 135, 1406b) und besteht nur darin, daß in der Metapher »die Erklärung fehlt« (Aristoteles 2002, 136, 1407a), gemeint ist das Vergleichswort »wie« oder »ähnlich«. Das Gleichnis spricht danach die erkenntnistheoretische Struktur des Aristotelischen Metaphernbegriffs offen aus, die in der Metapher verdeckt bleibt und die Aristoteles herausarbeitet. Deshalb ist die Aristotelische Metapher ein um seine »Erklärung« verkürztes Gleichnis und das Gleichnis für ihn eine »entfaltete Metapher« (Ricœur 1991, 33). Ihre Ausdrücklichkeit ist allerdings gerade ein Nachteil der Gleichnisse: »Deswegen ist es (das Gleichnis, D.M.) weniger angenehm, weil länger« (Aristoteles 2002, 144, 1410b). Die Untersuchung dieser Begründung leitet über zu der zweiten Bestimmung, der Rätselhaftigkeit der Metapher: »Metaphern nämlich geben Rätsel auf« (Aristoteles 2002, 133, 1405b). In dieser Bestimmung ziehen sich das Erkenntnis- und das Überredungspotential der Metapher zusammen, denen Aristoteles’ Hauptinteresse in der Rhetorik gilt. Zu Beginn des zehnten Kapitels fragt er danach, wie man die beiden zentralen Ziele einer Rede erreicht: Wie man der Rede »Esprit« (asteia) verleiht und den »Beifall« des Publikums erlangt. Er fragt hier also nach den Bedingungen einer Rede, die Erkenntnisse enthält und eine überredende Wirkung hat. Einer solchen Rede kommt die »Natur« des Menschen entgegen: »Leicht zu lernen ist nämlich von Natur aus für alle angenehm«. Lernen geschieht durch Worte, und »die Metapher bewirkt dies (leichte Lernen, D.M.) am ehesten« (Aristoteles 2002, 144, 1410b). Warum? »Es besteht aber auch der Esprit in den meisten Fällen durch eine Metapher und eine zusätzliche Täuschung; denn es wird in höherem Maße deutlich, daß man etwas gelernt hat, wenn es sich (der Erwartung) entgegengesetzt verhält, und die Seele scheint zu sagen: ›Wie wahr, aber ich irrte mich‹« (Aristoteles 2002, 147, 1412a). Gelingt es, die täuschende Verfremdung der Metapher auf den in ihr ausgedrückten Sinn zu durchschauen, das Rätsel ›zu knacken‹, stellt sich nicht nur eine Erkenntnis ein, sondern eine zusätzliche Überredungswirkung, die sich genau dieser Komplizierung durch den metaphorischen Esprit verdankt. Aus einer ungewöhnlichen Sprachform ist ein besonders wirkungsvolles, weil persuasives Erkenntnisinstrument geworden. Bei Aristoteles wird die Metapher »damit betraut«, in verfremdeter Form »den Inhalt eines Denkens [...] nach außen zu tragen oder zu repräsentieren« (Derrida 1988, 217). Diese Repräsentation und die persuasive Erkenntnis gelingen allerdings nur, wenn die metaphorische Täuschung auf die in ihr ausgedrückten Ähnlichkeitsverhältnisse durchschaut wird. Daß das nicht selbstverständlich ist, machen die die Poetik und Rhetorik durchziehenden Warnungen vor der Unverständlichkeit der Metapher deutlich, einer Metapher also, deren Verfremdung opak bleibt. Aristoteles entwickelt daher einige Grundvoraussetzungen für eine sowohl kognitive als auch persuasive Wirkung der Metapher: In der Rhetorik warnt Aristoteles insbesondere vor Metaphern, die zu »weit hergeholt sind« (Aristoteles 2002,

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135, 1406b): »Ferner darf man nicht von weither, sondern muß aus dem Verwandten und Gleichartigen die Übertragungen vornehmen« (Aristoteles 2002, 133, 1405a). Der metaphorische Ausdruck soll dem, wofür er steht, nicht zu unähnlich sein, sonst verdichtet sich die täuschende Verfremdung zu einem unverständlichen Rätsel. Eine quasi-räumliche Hintergrundmetaphorik spielt eine Rolle: Das Verwandte scheint ›benachbart‹, daher muß es die Übertragung nicht von »weither« holen. Entscheidend ist, daß der ›Abstand‹ durch überraschende Erkenntnis zu überbrücken bleibt: »Man muß, wie früher gesagt, vom Eigentümlichen und nicht Offenkundigen die Übertragung vornehmen, wie es in der Philosophie Sache eines zielsicheren (Philosophen) ist, auch in den weit auseinanderliegenden Dingen das Ähnliche zu entdecken« (Aristoteles 2002, 147, 1412a). Die Übertragung muß sich durch Erkenntnis nachvollziehen lassen. Derartige Überlegungen sind offensichtlich keine Beschreibungen des sprachlichen Phänomens, sondern Forderungen, wie, gemäß der zentralen Anforderung an die rhetorische Rede, glaubenerweckend zu sein, eine rhetorisch effektive Metapher gemacht sein soll. Solche Forderungen und Ratschläge sind sinnvoll nur dann, wenn es auch andere Metaphern gibt. Aristoteles rhetorischer Begriff der Metapher und das sprachliche Phänomen klaffen auseinander. Es mag philosophisch wünschenswert und rhetorisch effektiv sein, wenn sich Metaphern als verfremdete Darstellungen von Ähnlichkeitsverhältnissen auffassen ließen, für das sprachliche Phänomen ist das nur eine partiell richtige und nicht erschöpfende Beschreibung. Gerade die metaphorische Verfremdung eröffnet kaum kontrollierbare Möglichkeiten der Sprache: »Indem sie (die Metapher, D.M.) das Moment der Bedeutungswege und -umwege markiert – wobei gleichzeitig die Bedeutung den Anschein erwecken kann, sich zu verselbständigen, indem sie davon losgelöst zu sein scheint, was sie eigentlich anzielt, nämlich von der Wahrheit, die sie mit ihrem Referenten in Einklang bringt – eröffnet die Metapher auch die Irrfahrten des Semantischen« (Derrida 1988, 232). Derrida wird aus und gegen Aristoteles’ Versuch, die Metapher in ontologischen Verhältnissen zu fundieren, sprachliche Strukturen als Untergrund ihrer Übertragung freilegen.208 Aristoteles hat in seiner Diskussion ungewöhnlichen Sprachgebrauchs in Dichtung und Alltagssprache den poetologischen, rhetorischen und philosophischen Begriff der Metapher erfunden und mit seinen metaphorischen und systematischen Bestimmungen die Metapherndiskussion geprägt. Dabei faßt er in der Poetik und in der Rhetorik das Phänomen unterschiedlich: In der Poetik betont er die Dimension der ästhetischen Wirkung, in der Rhetorik die persuasive Erkenntnisleistung der Metapher. Zwar bildet ein Verfremdungsbegriff die Klammer zwischen den beiden Bestimmungen, dennoch wird sichtbar, wie Aristoteles die Beschreibungen des sprachlichen Phänomens nach den disziplinären Interessen modelliert. Diese disziplinäre Prägung des Begriffs in den Diskursen der Poetik und Rhetorik zeigt sich schließlich auch daran, daß Aristoteles zwischen Beschreibungen 208 Vgl. zu Derridas Rekonstruktion der linguistischen Tiefenstrukturen der Metapher unten S. 205 f.

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des sprachlichen Phänomens und normativen Forderungen, wie entsprechend den disziplinären Anforderungen eine ›gute Metapher‹ sein soll, schwankt. Der von Aristoteles erfundene Begriff der Metapher erweist sich dabei als Versuch einer systematischen Bändigung des sprachlichen Phänomens.

III.2 Zur Dialektik von Positivität und Negativität in der manifesten Metapher III.2 ZUR DIALEKTIK VON POSITIVITÄT UND NEGATIVITÄT III.2 ZUR DIALEKTIK VON POSITIVITÄT UND NEGATIVITÄT

Das folgende Kapitel knüpft mit einer kritischen Auseinandersetzung an die im vorangegangenen Teil dargestellte Aristotelische Metapherntheorie an: Ein zentraler Kritikpunkt der modernen Metapherntheoretiker an Aristoteles ist seine Orientierung am einzelnen Wort. Durch die moderne Kritik wird die Aristotelische Worttheorie in eine Satztheorie der Metapher überführt. Als bestimmendes Merkmal der Metapher arbeiten die modernen Theoretiker dabei heraus, was man ihre linguistische Negativität nennen könnte: Metaphern stellen sprachliche Abweichungen dar. Im Folgenden geht es mir einerseits um die Explikation der Dimension linguistischen Negativität und andererseits darum anzudeuten, wie diese ihrerseits in positiven, latenten Strukturen gründet, so daß jede Metapher eine Dialektik von Negativität und Positivität darstellt. Im 20. Jahrhundert hat das wiedererwachte Interesse an der Metapher nach dem Schiffbruch der Rhetorik im 19. Jahrhundert zu einem »Paradigmenwechsel« in der Metaphernforschung geführt.209 Mit der Unterbrechung der rhetorischen Tradition wurde die Selbstverständlichkeit ihrer Bestimmungen fraglich, was bei den modernen Autoren entweder zu einer Kritik an diesen Bestimmungen (M. Black, P. Ricœur) oder zu dem Versuch führte, sie überhaupt zu vermeiden (M. Beardsley, D. Davidson). Bei den modernen Theoretikern verbindet sich ein Interesse am Phänomen ›Metapher‹ mit dem Eindruck, daß nicht klar sei, worin dieses Phänomen genau bestehe, d.h. was eigentlich eine Metapher ist: »Wie erkennen wir einen Fall von Metaphorik?«210 Bei ihnen findet sich daher neben dem Bemühen zu klären, was die Metapher leistet und wie sie das tut, die Suche nach einem auf ihrer »linguistischen Struktur«211 basierenden »diagnostischen Kriterium«212 für das Vorliegen einer Metapher. Mich interessiert im Folgenden weniger, ob es nun ein notwendiges und hinreichendes diagnostisches 209 Christian Strub, Kalkulierte Absurdität. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie, Freiburg/München 1991, 27 f. 210 Max Black, »Die Metapher«, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 2 1996, S. 55-79: 55 (»Metaphor«, in: ders., Models and Metaphors. Studies in Language and 4 Philosophy, Ithaca 1968, S. 25-47: 25). 211 Monroe Beardsley, »Die metaphorische Verdrehung«, in: Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, a.a.O., S. 120-141: 125 (»The metaphorical twist«, in: Philosophy and Phenomenological Research Vol. XXII, No. 3 (1962), S. 293-307: 296). 212 Max Black, »Mehr über die Metapher«, in: Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, a.a.O., S. 379-413: 404 (»More about Metaphors«, in: ders., Perplexities. Rational Choice, the Prisoner’s Dilemma, Metaphor, Poetic Ambiguity, and other Puzzles, Ithaca/London 1990, S. 47-76: 69).

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Kriterium für die manifeste Metapher gibt,213 als vielmehr ein Grundzug der Familienähnlichkeit, der allen in dieser modernen Diskussion angeführten Eigenschaften der Metapher eigen ist: ihre manifeste linguistische Negativität. Ich diskutiere im Folgenden die Beschreibungen der linguistischen Kennzeichen der manifesten Metapher bei verschiedenen Autoren (M. Beardsley, M. Black, D. Davidson, C. Strub, H. Weinrich). Alle diese Theoretiker haben einen weiten Metaphernbegriff, d.h. sie untersuchen nicht die Kennzeichen der Figur Metapher im Gegensatz etwa zu Metonymie, Ironie, Synekdoche usw., sondern für sie ist ›Metapher‹ synonym mit ›Trope‹ (Strub 1991, 58 f.); untersucht wird also das Phänomen der »uneigentlichen Rede«. Exemplarisch definiert Harald Weinrich: »Ich verwende dabei den Begriff der Metapher, dem Sprachgebrauch der modernen Metaphernforschung folgend, in seiner weitesten Bedeutung für alle Formen des sprachlichen Bildes« (Weinrich 1976, 277). Beginnen möchte ich mit Weinrichs flexibler semantischer Bestimmung: »Eine Metapher [...] ist ein Wort in einem Kontext, durch den es so determiniert wird, daß es etwas anderes meint, als es bedeutet« (Weinrich 1976, 311). Erläuterungsbedürftig ist hier zunächst die Unterscheidung von »Meinung« und »Bedeutung« eines Wortes, die Weinrich vornimmt: »Bedeutung« bezeichnet den im Wörterbuch aufgelisteten gesamten Bedeutungsumfang eines Wortes, »Meinung« nennt Weinrich den gegenüber der gesamten Bedeutung eingegrenzten Sinn, den ein Wort in einem bestimmten Satzkontext hat. »Wir gebrauchen nämlich die Wörter der Sprache nicht in der Isolierung, sondern mit anderen Wörtern in Texten. Hier geben sich die Wörter gegenseitig Kontext und determinieren einander, d.h. sie reduzieren gegenseitig ihren Bedeutungsumfang [...] Je mehr Kontext ich hinzugebe, desto mehr Möglichkeiten fallen aus. Im Text hat daher ein Wort nicht mehr seine weite Bedeutung, sondern nur noch eine gegenüber seiner Bedeutung dem Umfang nach reduzierte und relative enge Meinung« (Weinrich 1976, 318). Durch den Kontext wird der weite und damit vage Bedeutungsumfang eines Wortes auf seine enge und damit relativ genaue Meinung in einem bestimmten Satz reduziert. Bei der Metapher verhält es sich signifikant anders: Dazu gehört zunächst, »daß Metaphern, im Unterschied zu Normalwörtern unter keinen Umständen von den Kontextbedingungen entbunden werden können« (Weinrich 1976, 319). Es gibt kein einzelnes Wort, das an sich eine Metapher wäre. Eine Metapher ist immer ein Wort im Kontext: »Wort und Kontext machen zusammen die Metapher« (Weinrich 1976, 319). »Wer [...] eine Metapher von jeglichem Kontext [...] zu entblößen versucht, zerstört damit die Metapher. Eine Metapher ist folglich nie ein einfaches Wort, immer ein – wenn auch kleines – Stück Text« (Weinrich 1976, 319). 213 Max Black, der die Beschreibungen der linguistischen Eigenschaften der manifesten Metapher bei vielen Theoretikern auf den Begriff der Suche nach einem »diagnostic criterion« gebracht hat, scheint selbst eher skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines eindeutigen Kriteriums zu sein: »Jedes noch so einleuchtende Kriterum für das Vorliegen einer Metapher ist unter besonderen Umständen anfechtbar« (Black 1996, 404).

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Auch andere moderne Theoretiker haben die konstitutive Kontextangewiesenheit der Metapher bemerkt.214 Sie haben daraus eine Konsequenz gezogen, die die modernen Metapherntheorien von denen der Rhetorik unterscheidet: Moderne Metapherntheorien sind Satztheorien oder Theorien der metaphorischen Aussage. Die ›Worttheorien‹ der Rhetorik, die Metaphern als isolierte Worte behandeln, verfehlen eine Dimension der Metapher, die sie tatsächlich überhaupt erst möglich macht. Diese im Verhältnis zu Normalwörtern fundamentale Kontextangewiesenheit der Metapher ist in ihrer signifikant anders gearteten Beziehung zum Kontext begründet. Üblicherweise führt die Verwendung eines Wortes in einem Kontext dazu, daß sich seine Meinung durch eine – von der Einpassung in den Kontext geleiteten – Auswahl aus seinem gesamten Bedeutungsumfang ergibt. Die Meinung eines Normalwortes ist seine reduzierte Bedeutung; Meinung und Bedeutung verhalten sich idealerweise wie Teil und Ganzes zueinander. Genau das ändert sich bei Metaphern: Schon Aristoteles hatte deutlich gesehen, daß die Metapher ein gewöhnliches Wort ist, das in einem im Verhältnis zu seiner Bedeutung ungewöhnlichen Kontext verwendet wird. Der ungewöhnliche Kontext führt dazu, daß der metaphorische Ausdruck eine Meinung erhält, die von seiner lexikalischen Bedeutung abweicht. »Es entsteht ein Überraschungseffekt und eine Spannung zwischen der ursprünglichen Wortbedeutung und der nun vom Kontext erzwungenen unerwarteten Meinung« (Weinrich 1976, 320). Bei Normalwörtern harmoniert das Zusammenspiel von Kontext und Wortbedeutung, bei Metaphern treten diese beiden die Meinung eines Wortes prägenden Instanzen miteinander in Konflikt. Die Bedeutung eines Wortes ist nach Weinrich »eine Determinationserwartung« (Weinrich 1976, 319), die Erwartung, daß es in einem seinem vorgegebenen Bedeutungsumfang entsprechenden Kontext verwendet wird. Für Weinrich ist es das Merkmal von Metaphern, daß sie diese Determinationserwartung enttäuschen. »Wir wollen diesen Vorgang Konterdetermination nennen, weil die tatsächliche Determination des Kontextes gegen die Determinationserwartung des Wortes gerichtet ist« (Weinrich 1976, 319). Das linguistische Kennzeichen der Metaphern ist eine durch einen ungewöhnlichen Kontext bedingte Konterdetermination der bedeutungsmäßigen Determinationserwartung. Da es der Kontext ist, der diese Konterdetermination auslöst und bestimmt, wird nun die oben bemerkte konstitutive Kontextabhängigkeit von Metaphern verständlich. Weinrich hat in seiner Theorie der Bildfelder allerdings auch klargemacht, daß die manifeste Metapher als Konterdetermination nicht nur negativ »in die syntagmatische Ordnung des Textes« gehört, sondern auch positiv in die der »paradigmatischen Ordnung des Bedeutungsfeldes (Wortfeldes)« vergleichbare Ord214 »Üblicherweise meinen wir, wenn wir von einer relativ einfachen Metapher sprechen, einen Satz oder Ausdruck, in dem einige Wörter metaphorisch verwendet werden, während der Rest nichtmetaphorisch gebraucht wird« (Black 1996, 57). »Wir sagen daher, daß die Metapher ein Satz oder ein gleichwertiger Ausdruck ist, worin bestimmte Worte metaphorisch, andere unmetaphorisch gebraucht sind« (Ricoeur 1986, 146).

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nung der »Bildfelder«.215 Mit einer kurzen Erläuterung der Theorie des Bildfeldes, auf das ich im übernächsten Kapitel ausführlich eingehe,216 möchte ich exemplarisch an diesem Phänomen eine meiner metaphorologischen Grundthesen andeuten: Die bisher erläuterte linguistische Negativität, die stets als auffälligstes Merkmal der Metapher herausgearbeitet wurde, bewegt sich tatsächlich immer auch auf einem sowohl historischen als auch systematischen Untergrund latenter Strukturen: Metaphern sind historische Manifestationen ›positiver‹ diachroner und synchroner latenter Strukturen.217 Bildfelder sind synchrone sprachliche Strukturen. Weinrich betont, daß die »Metapher nicht isoliert ist. Sie steht seit ihrer Geburt in einem festgefügten Bildfeld« (Weinrich 1976, 282). In einem Bildfeld werden zwei Sinnbezirke »gekoppelt und analog gesetzt« (Weinrich 1976, 283). Weinrich untersucht exemplarisch Metaphern, in denen Ausdrücke aus dem Bezirk des Münzwesens auf die Sprache übertragen werden: Wortschatz (thesaurus), ein Wort prägen, Reichtum der Sprache (Weinrich 1976, 278 f.). Seine Grundthese ist, daß die linguistische Negativität, die das Merkmal manifester Metaphern ist, getragen wird von der latenten, synchronen Struktur der Bildfelder. Zwar gibt es »die beliebige, isolierte Metapher«, die in keinem Bildfeld steht, »aber sie ist seltener, als man denkt« (Weinrich 1976, 286). Historische Metaphern sind Manifestationen der latenten Bildfeld-Strukturen einer Sprachgemeinschaft. Erst aus der Doppelseitigkeit von manifester linguistischer Negativität und latenten Hintergrundstrukturen wird das Phänomen der Metapher verständlich. Die Metapher ist keine radikale Ausnahme, sondern eine in der Sprache angelegte Möglichkeit des abweichenden Gebrauchs. Auf die positive Dimension komme ich zurück; an der Textoberfläche allerdings ist die von der modernen Metapherntheorie hervorgehobene Negativität ein charakteristisches Merkmal. Die Metapher als Verwendung eines fremden Wortes in einem dazu unpassenden Satz-Kontext erzeugt auf der wörtlichen Ebene einen Widerspruch zwischen Subjekt und Prädikat, der durch die Konterdetermination überwunden wird. »Jede Metapher enthält einen Widerspruch zwischen ihren zwei Gliedern und enthüllt ihn, wenn wir sie beim Wort nehmen«.218 »Die Metapher ist eine widersprüchliche Prädikation« (Weinrich 1976, 308). 215 Harald Weinrich, »Allgemeine Semantik der Metapher«, in: ders., Sprache in Texten, a.a.O., S. 317-327: 325. 216 Vgl. dazu meine Diskussion unten S. 212-214. 217 Um die Doppelseitigkeit der Metapher – zwischen manifester linguistischer Negativität und Bezogenheit auf einen latenten sprachlichen und historischen Untergrund – prägnant zu formulieren, habe ich auf den Gegensatz von Negativität und Positivität zurückgegriffen. Mit den Anführungszeichen um ›positiv‹ möchte ich nun darauf hinweisen, daß Latenz eine Positivität besonderer Art ist, die gerade nicht vorliegt, sondern ihre Wirkungen aus einer Verborgenheit heraus entfaltet. Diese Wirkungen machen dann allerdings deutlich, daß da ›etwas‹ ist, auf das ich als metaphorologisches Komplement der offensichtlichen Negativität der Metapher mit dem Ausdruck Positivität hindeuten möchte. 218 Harald Weinrich, »Semantik der kühnen Metapher«, in: ders., Sprache in Texten, a.a.O., S. 295-316: 303.

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Dabei sind Widersprüchlichkeit und Konterdetermination nicht nur semantisch beschreibbare Phänomene semantischer Negativität; vor allem beinhalten die Widersprüchlichkeit, die Enttäuschung der Determinationserwartung und die Konterdetermination Erfahrungen von Negativität für den Rezipienten. Auf die Bedeutung semantischer Negativität und Negativitätserfahrung für die metaphorische Sinnproduktion ist von verschiedenen Theoretikern hingewiesen worden. Besonders Monroe C. Beardsley hat die Funktion des »logischen Gegensatzes« (Beardsley 1996, 129) zwischen der wörtlichen Bedeutung des metaphorischen Ausdrucks und dem Kontext – dem dadurch entstehenden »clash of meanings« – als Auslöser der metaphorischen Sinnproduktion, die er als einen »twist of meaning« beschreibt, betont: »[...] und diese Verdrehung (twist) in der Bedeutung entsteht durch innere Spannungen und Oppositionen in der Metapher selbst« (Beardsley 1996, 121). Ricœur hebt die Rolle, die Beardsley »der logischen Absurdität [...] bei der Freisetzung« (Ricœur 1991, 160) der metaphorischen Bedeutung zubilligt, ausdrücklich als wichtige Einsicht hervor. Für Donald Davidson sind es die Erfahrungen von Negativität, die uns dazu bringen, ein Wort überhaupt als Metapher aufzufassen. »Im allgemeinen geschieht es nur dann, wenn ein Satz für falsch gehalten wird, daß wir ihn als Metapher anerkennen und uns daranmachen, seine verborgene Implikation aufzuspüren. Dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb die meisten metaphorischen Sätze eklatant falsch sind [...] In einem metaphorischen Satz gewährleisten Absurdität und Widersprüchlichkeit, daß wir nicht daran glauben werden, und so werden wir unter geeigneten Umständen angeregt (invites us), den Satz als Metapher aufzufassen [...] Die gewöhnliche Bedeutung ist im Verwendungszusammenhang seltsam genug, um uns zu veranlassen, die Frage der buchstäblichen Wahrheit außer acht zu lassen«.219 Die semantisch beschreibbaren Phänomene der Widersprüchlichkeit, Falschheit und Absurdität führen zu Negativitätserfahrungen, die uns wiederum veranlassen, auf die Jagd nach den »verborgenen Implikationen« eines widersprüchlichen Satzes zu gehen, d.h. ihn als Metapher aufzufassen. Die Negativitätserfahrungen sind also von den Phänomenen semantischer Negativität vorgezeichnet. Schon Davidson schränkt seine Festlegung auf starke Phänomene von semantischer Negativität ein: »Daß Metaphern eklatant falsch sind, ist das Übliche, doch mitunter wird eklatante Wahrheit das gleiche leisten« (Davidson 1990, 362). Auf diesen Punkt hat auch Max Black in seiner Diskussion von Beardsleys Idee der jeder Metapher notwendig zukommenden »tension« (Spannung) schon einmal aufmerksam gemacht. Zunächst unter Hinweis auf das Problem verneinter Metaphern: ›Der Mensch ist kein Wolf‹ ist schlicht wahr und kann doch, etwa als eine Entgegnung auf Hobbes’ berühmten Ausspruch, eine Metapher sein. Verneinte Metaphern sind meistens weder falsch noch widersprüchlich. »Ausschlaggebend 219 Donald Davidson, »Was Metaphern bedeuten«, in: ders., Wahrheit und Interpretation, übers. v. Joachim Schulte, Frankfurt/Main 1990, S. 343-71: 361-62 (»What metaphors mean«, in: ders., Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1991, S. 245-264: 258).

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für die Wahl der Interpretation (ob es sich bei einer Aussage um eine Metapher handelt, D.M.) mag, wie dies oft der Fall ist, die offensichtliche Verkehrtheit oder Inkohärenz der wörtlichen Lesart sein – doch kann es ebensogut an der Banalität der Wahrheit jener Lesart liegen, an ihrer unsinnigen oder mangelnden Übereinstimmung mit dem umgebenden Text und der nichtverbalen Einbettung« (Black 1996, 403). Man wird also keine zu hohen Anforderungen an das, was semantische Negativität heißt, stellen dürfen. Auch Phänomene wie »pointlessness« im Sinne von allzu großer Selbstverständlichkeit des Gesagten oder Formen von Unpassendheit mit dem Kontext (lack of congruence) können Negativerfahrungen auslösende Phänomene semantischer Negativität sein, die auf Metaphern hindeuten. Christian Strub hat einen wichtigen Zug der semantischen Negativität der Metapher herausgearbeitet, indem er danach fragte, inwiefern für die Beschreibung der »semantischen Anomalie« (Strub 1991, 54), die die Metapher darstellt, der Begriff des »Fehlers« angemessen sei. Er geht in seiner Diskussion von Nelson Goodmans Definition der Metapher als »kalkuliertem Kategorien-Fehler« aus;220 eine Definition, die sich wie eine prägnante Zusammenfassung der eingangs diskutierten Bestimmung des Aristoteles in der Poetik anhört.221 Während Strub einerseits auf der semantischen Negativität als fehlerhafter Abweichung von ansonsten geltenden Regeln insistiert, schränkt er andererseits ein: »Nun sind Metaphern aber keine zu vermeidenden Phänomene unserer Umgangssprache; diejenigen, die Metaphern benutzen, machen keine Fehler« (Strub 1991, 92). Tatsächlich sind Metaphern selbstverständlicher Bestandteil jeder Umgangs- und Wissenschaftssprache. Sie werden selbstverständlich verwendet und problemlos verstanden. Es bedarf oft erst einer speziellen Aufmerksamkeit, um die Metaphorizität eines verwendeten Wortes zu bemerken. Die semantische Negativität ist ein akzeptierter und oft genutzter Bestandteil der Sprache. Es ist nicht sinnvoll, ein so akzeptiertes Element der Sprache als »Fehler« zu beschreiben, andererseits ist die fehlerhafte Abweichung eines der Phänomene semantischer Negativität, die Kennzeichen von Metaphern sind. Strub hat daher vorgeschlagen, »den Terminus ›Überschreitung‹ zur Bezeichnung der nichtfehlerhaften Abweichung« (Strub 1991, 93), die die Metapher darstellt, zu verwenden. Der Unterschied zwischen einem schlichten Fehler und der Metapher als »Überschreitung« besteht darin, daß die Metapher ein »fruchtbarer Fehler« (Strub 1991, 93) ist: ein Fehler, der Sinn macht. »Wenn aber der Begriff der ›nichtfehlerhaften Abweichung‹ nicht einfach ein positiver Verlegenheitsbegriff zum Begriff 220 Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Übers. u. mit einem Nachwort von Jürgen Schläger, Frankfurt/Main 1973, S. 82. 221 Aristoteles bestimmt die Metapher als die »Übertragung (epiphora) eines fremden Wortes [...], und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine andere oder nach den Regeln der Analogie« (1457b). Damit definiert er die Metapher geradezu über Kategorienverwechselungen. Die Frage ist nun, in welchem Sinne Metaphern Fehler sind. Die Übertragung führt dazu, daß in metaphorischen Aussagen auf der wörtlichen Ebene oft semantisch unvereinbare Wortverbindungen entstehen, die man kategorial ›fehlerhaft‹ nennen kann.

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III.2 ZUR DIALEKTIK VON POSITIVITÄT UND NEGATIVITÄT

›Fehler‹ sein soll, dann sollte er als eine bestimmte Art von Fehler beschrieben werden, nämlich als ein gewollter, bewußter kalkulierter Fehler, d.h. als Fehler, der in Kauf genommen wird, um etwas auszudrücken, was unter Anwendung der normalen Regeln in einer normalen Sprechsitutation nicht ausgedrückt werden kann oder will« (Strub 1991, 93). Die kalkulierte fehlerhafte Abweichung, die ein metaphorischer Ausdruck auf der wörtlichen Ebene darstellt, wird durch die Metapher auf einen ›neuen‹ Sinn hin überschritten. Die Metapher ist ein kalkulierter Fehler, durch den etwas ausgedrückt werden kann, was sich möglicherweise anders nicht sagen ließe. Der neue Sinn ist also manchmal auch in dem starken Sinne neu, daß damit etwas Neuartiges, bisher Ungesagtes ausgedrückt wird. Gerade an Strubs Bestimmung der Metapher als »nichtfehlerhafte Abweichung« wird der positive Horizont jeder Metaphorik noch einmal sichtbar: Ob nämlich etwas eine Metapher ist oder ein grammatischer Fehler, entscheiden wir anhand der entstehenden Bedeutung. Entsteht eine Bedeutung, die Sinn ergibt und das heißt, die wir mit unserem übrigen Wissen in Verbindung bringen können, werden wir von einer Metapher sprechen, ansonsten von einem schlichten Fehler. Die Metapher muß bei aller Negativität und Devianz in den Horizont unseres Wissens integrierbar sein. Diese Notwendigkeit zur Integration läßt den Hintergrund sichtbar werden, aus dem heraus wir über den Unterschied von Fehler und Metapher entscheiden. In der räumlichen Metaphorik des Überschreitungsbegriffs deutet sich darüber hinaus ein Stufen-Modell der Metapher an, das Paul Ricœur in seiner Kritk an Jean Cohen herausgearbeitet hat. Auch bei Cohen beginnt alles mit einem Fehler: der »semantischen Impertinenz«. Cohen bezeichnet so die unzulässige Kombination von Zeichen, deren Signifikate nicht zueinander passen. Die Metapher ist für Cohen die der Abweichung der semantischen Impertinenz komplementäre »Abweichungsreduzierung« (Ricœur 1991, 86). Ricœur hat an Cohen nicht nur berechtigterweise dessen Identifizierung der Metapher mit dem Vorgang der Abweichungsreduzierung kritisiert, sondern als »schwerwiegende Lücke« (Ricœur 1991, 91) in Cohens zweistufigem Modell das Fehlen der Dimension der »neuen Pertinenz« herausgestrichen. Im Anschluß an Ricœur möchte ich daher ein dreistufiges Modell der Metapher vorschlagen, wobei jede der drei Stufen ein konstitutiver Bestandteil einer Metapher ist: Zugrunde liegt jeder Metapher eines der Phänomene, die ich unter dem Begriff der semantischen Negativität (1. Stufe) zusammenfasse. Die Erfahrung der semantischen Negativität gibt den Anstoß, die fehlerhafte Abweichung auf einen neuen Sinn hin zu überschreiten (2. Stufe). Die Dimension des neuen Sinnes (3. Stufe) ist dabei wichtig, weil wir nur solche Abweichungen als »fruchtbare Fehler«, d.h. Metaphern, zu akzeptieren bereit sind, die sich auf einen neuen Sinn hin überschreiten lassen. Erweist sich ein Fehler nicht als »fruchtbar«, ist kein neuer Sinn erkennbar, der durch ihn ausgedrückt wird, handelt es sich um einen schlichten Fehler oder Unsinn. Nicht jeder, der Fehler macht, verwendet deshalb schon Metaphern. Metaphern beruhen auf einem Vorkommnis semantischer Negativität, das sie als kalkulierten Fehler nutzen und auf einen neuen Sinn, der in den Horizont unserer Vorverständnisse integrierbar ist, hin überschreiten.

III.3 Metaphorologie als Archäologie I: Jacques Derrida III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Die beiden Unterkapitel dieses Teiles bauen aufeinander auf. Im ersten Unterkapitel rekonstruiere ich, ausgehend von Derridas Diskussion des Verhältnisses von Begriff und Metapher in den Traditionen von Philosophie und Rhetorik, die Voraussetzungen seiner eigenen metapherntheoretischen Überlegungen, die im zweiten Unterkapitel entwickelt werden. Im zweiten Teil bestimme ich dann Derridas Metapherntheorie als das Projekt einer »Metaphorologie zweiten Grades« (Haverkamp 2009, 155). Im Ausgang von Derridas Grunddiagnose eines »Entzugs« des traditionellen Metaphernbegriffs durch die allgemeine Ausbreitung des Metaphorischen,222 falte ich seine nachmetaphysische Metaphernkonzeption zu einer diskursanalytischen Archäologie aus.

III.3.1 Erkenntnisökonomien: Metapher, eigentlicher Ausdruck und Begriff in Rhetorik und Philosophie III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

Derrida untersucht an verschiedenen Stellen Beschreibungen des Verhältnisses von Metapher und wörtlicher Rede oder Begrifflichkeit in der Philosophie- und Rhetorikgeschichte. In diesen Traditionen wurde die Metapher zumeist im Rahmen erkenntnisökonomischer metaphorischer Modelle und Erzählungen verortet. In diesem Kapitel betrachte ich fünf Formen der erkenntnisökonomischen Einhegung der Metapher: als abkürzende Verdeutlichung des Gemeinten (1), als Schmuck der Rede (2) oder als Vorform des Begriffs bei Hegel (3) und A. France (4). Der Abschnitt endet mit einer etwas detaillierteren Diskussion der Metapherntheorie Paul Ricœurs (5), auf deren Hintergrund ich Derridas eigene metapherntheoretische Thesen skizziere. Alle erkenntnisökonomischen Modelle laufen auf die Einhegung der ungewöhnlichen Sprachform der Metapher auf die Repräsentation eines Inhaltes hinaus. Prägnant wird das am Verständnis der Metapher als (1) »ökonomisches Abkürzungsverfahren« deutlich, das Derrida »klassisch« (Derrida 1988, 216) nennt. Danach soll die einprägsame Sprachform der Metapher dazu dienen, eine lange Erläuterung zu ersparen. Sie ist ein Zeichen, das völlig der »Autorität der bedeuteten Idee« (Derrida 1988, 216) untersteht. »Nichts ist zu viel an diesem kostbaren 222 Vgl. Derrida, »Der Entzug der Metapher«, in: Haverkamp (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., S. 197-234.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Zierat, das die Metapher ist; nichts überlädt das notwendige Aufblühen der Idee, die natürliche Entfaltung des Sinns» (Derrida 1988, 217). Ein Verständnis der Metapher als diskursökonomischer Abkürzung verortet die Figur in einer Logik der Repräsentation: Danach ist die Metapher nicht mehr als die punktgenaue, einprägsame Repräsentation eines Inhaltes. Die durch jede Metapher eröffneten semantischen Abwege erscheinen im voraus auf den einen darzustellenden Sinn eingegrenzt. In der Tradition der Rhetorik ist die Metapher darüber hinaus eine ausgezeichnete Form des (2) Schmuckes (ornatus). Schmuck ist – neben der Richtigkeit (latinitas) und Verständlichkeit (perspicuitas) – der bedeutendste virtus der Rede. Zum Schmuck gehören insbesondere die Tropen und Wortstellungsfiguren. Der Schmuck hat einerseits allgemein die Funktion, den Genuß (delectatio) der Rede zu steigern. Cicero betont, »daß alle an übertragener, uneigentlicher Ausdrucksweise mehr Gefallen finden, als an den eigentlichen, eigenen Ausdrücken«.223 Andererseits hat er aber auch Auswirkungen auf die Aufnahmebereitschaft der Hörer: »Denn Hörer, die gern zuhören, passen auch besser auf und sind leichter bereit zu glauben, werden meistens schon durch den Genuß gewonnen, ja manchmal durch Bewunderung mitgerissen«.224 In der klassischen Antike konnte es noch nicht zu einer erkenntnistheoretischen Spannung zwischen übertragener und wörtlicher Rede kommen: »Kosmos und Logos waren Korrelate. Die Metapher vermag hier nicht die Kapazität der Aussagemittel zu bereichern; sie ist nur Mittel der Wirkung der Aussage [...] Die vollkommene Kongruenz von Logos und Kosmos schließt aus, daß die übertragene Rede etwas leisten könnte, was das kyrion onoma (eigentliche Wort, D.M.) nicht äquivalent zuwege brächte« (Blumenberg 1999, 8-9). In den lateinischen Rhetoriken wird die erkenntnistheoretische Spannung zwischen Schmuck und Inhalt zu einem Problem, das z.B. bei Quintilian durch eine elaborierte Konstruktion bewältigt werden muß. Das erkenntnistheoretische Problem des Schmuckes ergibt sich aus dem impliziten Gegensatz dieser rhetorischen Metapher zur zentralen abendländischen Hintergrundmetaphorik der Wahrheit, wonach die Wahrheit nackt ist.225 Schmuck dagegen ist im weiteren Sinne ›Bekleidung‹, die potentiell die Nacktheit der Wahrheit beeinträchtigen, ›verdecken‹ kann. Auf der terminologischen Oberfläche des rhetorischen Diskurses schlägt sich dieser metaphorische Gegensatz in einer selbst wiederum metaphorisch tingierten Diskussion über das Verhältnis von Schmuck und Inhalt sowie übertragener und wörtlicher Rede nieder. Bei Cicero und Quintilian wird der Schmuck der Rede vor allem mit zwei Metaphernkreisen 223 Marcus Tullius Cicero, De Oratore / Über den Redner, Lateinisch/Deutsch, übers. u. herausge2 geben v. Harald Merklin, Stuttgart 1991, S. 545. 224 Marcus Fabius Quintilianus, Institutionis oratoria. Libri XII / Ausbildung des Redners. Zwölf Bü3 cher, Lateinisch/Deutsch, herausgegeben u. übers. v. Helmut Rahn, Bd. II, Darmstadt 2006, 8.3.5. 225 Blumenberg hat der Metapher der nackten Wahrheit ein Kapitel der Paradigmen zu einer Metaphorologie (Blumenberg 1999, 61-76) gewidmet.

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III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

beschrieben: einerseits einer Lichtmetaphorik des »Glanzes« oder »Lichtes« (splendor, lumen) der Rede (Cicero 1991, 543, 547; Quintilian 2006, II, 8.0.21) und andererseits einer Oberflächenveredelungsmetaphorik der »Kleidung« (vestis) (Cicero 1991, 543), »Schminke« (fucata) und des »Frisierens« (capillum reponere) (Qunitilian 2006, II, 8.0.19-22). Quintilian versucht, den metaphorischen Gegensatz von nackter Wahrheit und geschmückter Rede durch die Konzeption eines natürlichen Schmuckes zu unterlaufen: Eine Rede besteht aus Worten (verba) und Inhalten (res). Im Vorwort des Buches über den Schmuck warnt Quintilian nun vor leerer Wortkunst. »Sorgfalt also, wünsche ich, soll den Worten, den Gehalten aber das emsigste Bemühen gelten« (Quintilian 2006, 8.0.20). Gerade im Bezug auf den Schmuck, behauptet ausgerechnet der Lehrer der Rhetorik, gebe es zwischen Wort und Sache gar keinen Gegensatz: »[...] als ob es irgendeinen Vorzug von Worten gäbe, der nicht in dem Zusammenhang mit den bezeichneten Sachverhalten begründet wäre« (Quintilian 2006, 8.0.26). Der Schmuck der Rede ist das Erscheinen der Schönheit der Sache. Quintilian erläutert seine Vorstellung eines Schmuckes der Sache selbst anhand eines Vergleiches, der nicht zufällig die beiden zentralen Metaphern des Schmukkes und der Nacktheit in einem wörtlich gemeinten Beispiel zu verbinden sucht: »Gesunde Körper mit frischem Blut und durch Übung gestärkter Kraft empfangen ihr schönes Aussehen aus denselben Quellen wie ihre Kräfte; denn sie besitzen Farbe, Straffheit und eine ausgeprägte Muskulatur; dieselben Körper aber sind, wenn sie jemand rasiert und geschminkt herausputzt, am allerekelhaftesten gerade durch ihr Bemühen um schönes Aussehen« (Quintilian 2006, 8.0.19). Der wahre Schmuck bringt die innere Wahrheit des Gegenstandes zum Erscheinen – so wie im schönen Aussehen des nackten Körpers seine Gesundheit und Kraft erscheinen. Hier deutet sich eine Unterscheidung von zwei Arten von Schmuck an, die Quintilian kurz danach auch trifft: Es gibt den echten oder »ehrenhaften Schmuck« (Quintilian 2006, 8.3.11), der das Wesen zeigt, und allerlei Oberflächenveredelungskünste, die die Sache mehr verstellen als sie darzustellen. Die Unterscheidung wird in einem Vorwurf Quintilians an seine Zeitgenossen erkennbar, »die es vor allem ekelt, was die Natur diktiert hat (natura dictavit), die nicht echten Schmuck suchen, sondern Dirnentand [...]« (Quintilian 2006, 8.0.26). Mit »Dirnentand« übersetzt Rahn »lenocinia«, was zunächst »Kuppelei«, dann aber auch »Lockmittel« bedeutet. Diese Lockmittel können von körperlichen Reizen über Schmuck bis zu verbaler Schmeichelei reichen. Eine gerade für den Zusammenhang der Institutio passende Übersetzung ist »Toilettenkünste«,226 denn Quintilians Analogien für den den Zusammenhang von Wort und Sache entstellenden Schmuck sind das Frisieren, Glätten der Fingernägel und Schminken (Quintilian 2006, 8.0.19-22). Die Künste der – insbesondere weiblichen – 11

226 Vgl. Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 2 Bde.: Bd. 2, Hannover 1962, Sp. 613.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Toilette bieten keinen natürlichen Schmuck, den die »Natur« der Sache selbst »diktiert«, sondern sie überschminken und entstellen vielmehr deren wesenhafte Schönheit.227 Es ist eine elaborierte Konzeption, die Quintilian hier entwickelt, um den hintergründigen Gegensatz von nackter Wahrheit und geschmückter Rede systematisch in den Griff zu bekommen. Rhetorik wäre demnach die Kunst, das innere Wesen des Sachverhaltes im von diesem diktierten Schmuck der Rede zum Erscheinen zu bringen: Die nackte Wahrheit erscheint als Schmuck. Blumenberg hat eine ähnliche Konzeption bei Laktanz und Lessing aufgewiesen und sie als »Unionsformel« bezeichnet. Die Konzeption bringt den untergründigen Gegensatz von nackter Wahrheit und rhetorischem Schmuck auf eine gemeinsame Formel: »der Glanz der Diktion ist der Glanz der Wahrheit selbst, unmittelbare Selbstumsetzung der ›Sache‹ in die Sprache und ihre Überzeugungskraft« (Blumenberg 1999, 59). Aus metaphorologischer Perspektive stellt Quintilians Konzeption des natürlichen Schmuckes eine Einhegung der sprachlichen Produktivität der Metapher zu einem verläßlichen Erkenntnismittel dar. Daß es mit der erkenntnistheoretischen Zuverlässigkeit der Metapher nicht ganz so einfach ist, wird an der Unterscheidung der beiden Schmuck-Formen deutlich: Denn nur der ›männliche‹, natürliche Schmuck, in dem die Schönheit der Sache selbst erscheint, ist epistemologisch gehaltvoll. Bei dem ›weiblichen‹, künstlichen Schmuck ist das nicht gesichert. In der Konzeption des natürlichen Schmucks entwirft Quintilian die Idee einer Metapher, die der nackten ontologischen Wahrheit so angemessen ist wie das eigentliche Wort. In erkenntnistheoretischer Hinsicht versucht Quintilian damit, die Unterscheidung von eigentlicher und übertragener Rede in der Konzeption einer eigentlichen Metapher einzuziehen. Gerade diese Unterscheidung wird in Ciceros Diskussion der Metapher auf neue Weise virulent. Cicero verortet die Metapher im Rahmen einer genealogischen Erzählung von der Entstehung der Sprache: Den metaphorischen Gebrauch von Worten »hat der Zwang des Mangels und der Enge hervorgebracht, dann aber das Vergnügen und der Reiz vermehrt. Denn wie man das Gewand zuerst erfand, um sich der Kälte zu erwehren, dann aber anfing, es auch anzuwenden, um dem Körper Schmuck und Würde zu verleihen, so wurde auch die Übertragung eines Wortes aus Mangel eingeführt, doch zum Vergnügen häufig wiederholt« (Cicero 1991, 543). Nach Ciceros kleiner Erzählung sind die Worte der Sprache zu Beginn Tropen. Genaugenommen kann man zu Beginn der Entwicklung einer Sprache nicht einmal von ›Tropen‹ sprechen, denn es gab damals gerade noch keine Eigentlichkeit, von der sich diese Worte als Uneigentlichkeit 227 Die Beispiele lassen schon ahnen, daß eine Parallele zwischen den beiden Arten von Schmuck und der Geschlechterdifferenz die Beschreibung untermauern soll. Den ehrenwerten Schmuck charakterisiert Quintilian folgendermaßen: »Jedoch soll dieser Schmuck – um es noch einmal zu sagen – männlich, kräftig und rein sein und nach weibischer Leichtfertigkeit und durch Schminke vorgetäuschter Farbenpracht kein Verlangen haben. Blut und Kraft geben ihm seinen Glanz!« (Quintilian 2006, 8.3.6).

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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unterschieden hätten. Der »Mangel« an passenden sprachlichen Bezeichnungen zwingt im Anfang der Sprache zur Katachrese: »Denn um Katachrese handelt es sich, wo eine Benennung fehlt« (Quintilian 2006, 8.6.35). Die ersten Worte der Sprache waren daher Katachresen, die Quintilian als den »Tropus« definiert, »der die Bezeichnung für Dinge, die keine eigene Benennung haben, dem anpaßt, was dem Gemeinten am nächsten liegt« (Quintilian 2006, 8.6.34). Dieser katachrestische Ursprung der Sprache ist im zum usus gewordenen eigentlichen Sprachgebrauch vergessen. Metaphern sind als uneigentlicher Sprachgebrauch erst auf dem Hintergrund einer solchen aus Vergessenheit entstandenen Eigentlichkeit möglich und erscheinen dann als Schmuck der eigentlichen Rede. Sind Tropen aber Gewänder, dann ist schon der ursprungsvergessene eigentliche Sprachgebrauch – ohne es selbst zu ahnen – ein Gewand. Und die Metapher wäre ein Kleid, das ein Kleid bekleidet. Es ist die für die gesamte rhetorische Diskussion des Schmuckes wichtige Unterscheidung von (nacktem) Körper und bekleidendem Schmuck, die hier in eine Krise gerät: Was ist der Körper, den der Schmuck bekleidet, wenn schon die eigentlichen Wörter tropische Kleider und nicht von der »Natur diktiert« (Quintilian 2006, 8.0.26) sind? »Ein ›übertragener‹ Ausdruck, der nicht oder nicht mehr von einem ›eigentlichen‹ unterschieden werden kann, wird [...] zu einer Art Nessusgewand, zu einem Kleid, das nicht mehr entfernt werden kann».228 Die WortGewänder des usus sind zur Natur des Körpers gewordene – und als solche nicht durchschaute – Verkleidungen, die noch die Möglichkeiten der Metapher sowohl als abweichender wie auch gerade im Abweichen auf sie bezogener ›Schmuck zweiten Grades‹ vorzeichnen. Was sich in dieser Diskussion abzeichnet, ist die dekonstruktive Umkehrung des hierarchischen Gegensatzes von eigentlicher und uneigentlicher Rede: Während traditionell die Metapher als erklärungsbedürftige Abweichung von der wörtlichen Rede galt, wird nun umgekehrt die vermeintliche Abweichung zum Normalfall, die selbst noch die Wörtlichkeit sowohl trägt als auch radikal verwandelt. Derrida hat diese Situation mit der Konzeption des Entzugs der Metapher beschrieben: »Vielleicht zieht sich die Metapher zurück, in ihren Entzug [...]; sie zieht sich zurück von der Szene der Welt, sie entzieht sich ihr im Moment ihrer übermäßigen Ausbreitung, im Augenblick, in dem sie jede Grenze überschreitet. Ihr Entzug hätte somit die paradoxale Form einer unbotmäßigen und überbordenden Insistenz« (Derrida 1998, 199-200). Wenn ›alles‹ metaphorisch ist, verliert der traditionelle Metaphernbegriff seinen Sinn, entzieht sich und insistiert. Derridas Metaphernbegriff ist die Ausarbeitung der Doppeltheit von Entzug und Insistenz der Metapher.

228 Vgl. zu dem hier nur angerissenen Verhältnis von Metapher und Katachrese den brillanten Aufsatz von Patricia Parker, »Metapher und Katachrese«, in: Haverkamp (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., S. 312-331: 325.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

An dieser Stelle wird ein für die dekonstruktive Lektüre charakteristisches Schema von zwei Lektüre-Schritten erkennbar:229 Dekonstruktion ist Arbeit an begrifflichen Systemen. »Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist«.230 Begriffe stehen nicht allein, sondern sind durch Beziehungen zu anderen Begriffen bestimmt, insbesondere steht jeder Begriff in einer engen Austauschbeziehung mit seinem GegenBegriff (Natur/Geist, gesprochene Rede/Schrift, Wörtlichkeit/Metapher). Eine solche »Opposition metaphysischer Begriffe [...] ist nie die Gegenüberstellung zweier Termini, sondern eine Hierarchie und die Ordnung einer Subordination. Die Dekonstruktion kann sich nicht auf eine Neutralisierung beschränken oder unmittelbar dazu übergehen: Sie muß durch eine doppelte Gebärde, eine doppelte Wissenschaft, eine doppelte Schrift eine Umkehrung der klassischen Opposition und eine allgemeine Verschiebung des Systems bewirken« (Derrida 1988, 313). Zunächst unterminiert die dekonstruktive Kritik die traditionelle Opposition und verkehrt die systematische Hierarchie, eine »Vertauschung von ›oben und unten‹« findet statt (Menke 1995, 122): Im Fall der Metapher von scheinbar selbstverständlicher Wörtlichkeit und davon abweichender Metaphorik. Der zweite ›Schritt‹, die »Verschiebung des Systems«, geschieht durch eine Neuverwendung oder Wiedereinschreibung des alten Begriffs in völlig neuer Weise. Derrida beschreibt dieses Vorgehen als »Logik der Paläonymie«. Der alte Name wird als »Interventionshebel« benutzt, »um die vorhergehende Anordnung, die in wirksamer Weise verändert werden soll, im Griff zu behalten« (Derrida 1986, 139). Derrida diskutiert die Metapher nach dem Entzug des traditionellen metaphysischen Metaphernbegriffs und zielt auf eine – wie ich vorschlagen möchte – nachmetaphysische Konzeption der Metapher.231 Die folgenden zwei erkenntnisökonomischen Modelle (3-4) teilen bei aller Gegensätzlichkeit eine bestimmte Begrifflichkeit und erörtern beide die Metapher im Horizont einer Logik der Repräsentation. G. W. F. Hegel und Anatole France 229 Derrida beschreibt diese Doppeltheit am ausführlichsten in »Positionen. Gespräch mit JeanLouis Houdebine und Guy Scarpetta«, in: Jacques Derrida, Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, übers. v. Dorothea Schmidt/Astrid Wintersberger, Wien 1986, S. 83-184: 87 f., 120 f., sowie in Jacques Derrida, »Signatur, Ereignis, Kontext«, in: ders., Randgänge der Philosophie, a.a.O., S. 291-314: 313. – Die doppelte Lektüre der Dekonstruktion ist auch in der Sekundärliteratur diskutiert worden: Vgl. Rodolphe Gasché, »Deconstruction as Criticism«, in: ders., Inventions of Difference. On Jacques Derrida, Cambridge/London 1994, S. 22-57: 38 f. und Bettine Menke, »Dekonstruktion. Lesen, Schrift, Figur, Performanz«, in: Miltos Pechlivanos et. al. (Hg.), Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart/Weimar 1995, S. 116-137: 117 f., 122 f. 230 Jacques Derrida, »Die différance«, in: ders., Randgänge, a.a.O., S. 29-52: 37. 231 Rodolphe Gasché hat vorgeschlagen, den neuen Metaphernbegriff, der in Derridas Beschreibungen auftaucht, als »Quasimetaphorizität« zu bezeichnen – vgl. The Tain of the Mirror. Der5 rida and the Philosophy of Reflection, Cambridge/London 1997, S. 293-318. Die deutsche Übersetzung des letzten Kapitels des Buches findet sich in Haverkamp (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., S. 235-267.

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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verorten die Metapher im Vorfeld des Begriffs; diese Grundannahme falten sie in zwei allegorisch-systematische Erzählungen aus, in denen durch ein Geschehen der »Abnutzung« aus der sinnlichen Metapher der geistige Begriff wird. Hegel (3) entwickelt das philosophische Projekt der Unterwerfung der Metapher unter den Begriff: Die Abnutzung des neuen metaphorischen Ausdrucks durch den Sprachgebrauch führt zu seiner Aufhebung in den philosophischen Begriff. France verfolgt geradezu das Gegenprojekt: (4) Er deckt eine unerkannte Metaphorizität der metaphysischen Begriffe auf. Danach ist der philosophische Begriff eine abgenutzte und undurchschaute Metapher, weil er die entstellte Repräsentation seines ursprünglich sinnlichen Inhaltes darstellt. Hegel verortet die Metapher in einer teleologischen Erzählung der Abnutzung als Aufhebung, France rekonstruiert die Verdeckungsgeschichte der Abnutzung als Entstellung eines ursprünglich sinnlichen Inhaltes. In einer beeindruckenden Passage aus Hegels Vorlesungen über die Ästhetik, die Derrida anführt, wird das Modell der (3) Abnutzung der Metapher als ihre Aufhebung in den Begriff entworfen: »Metaphern entstehen dadurch, daß ein Wort, welches zunächst nur etwas ganz Sinnliches bedeutet, auf Geistiges übertragen wird. ›Fassen, begreifen‹, überhaupt viele Wörter, die sich auf das Wissen beziehen, haben in Rücksicht auf ihre eigentliche Bedeutung einen ganz sinnlichen Inhalt, der sodann aber verlassen und mit einer geistigen Bedeutung vertauscht wird; der erste Sinn ist sinnlich, der zweite geistig. Nach und nach aber verschwindet das Metaphorische im Gebrauche solch eines Wortes, das sich durch die Gewohnheit aus einem uneigentlichen zu einem eigentlichen Ausdruck umwandelt, indem Bild und Bedeutung dann bei der Geläufigkeit, in jenem nur diese aufzufassen, sich nicht mehr unterscheiden und das Bild uns statt einer konkreten Anschauung nur unmittelbar die abstrakte Bedeutung selber gibt. Wenn wir z.B. ›begreifen‹ im geistigen Sinne nehmen wollen, so fällt es uns in keiner Beziehung ein, dabei noch irgend an das sinnliche Anfassen mit der Hand zu denken«. Ob »das Metaphorische im Gebrauche« verschwunden, »durch Abnutzung zu eigentlichen Ausdrücken« geworden ist, soll sich daran erkennen lassen, »ob ein Wort, das ganz malerisch schildernd und veranschaulichend aussieht, diese seine erste sinnliche Bedeutung und die Erinnerung an dieselbe beim Gebrauch für Geistiges nicht im Leben der Sprache selbst bereits verloren und zur geistigen Bedeutung aufgehoben hatte«.232 Hegel entwirft seine genealogische Erzählung der Geburt des philosophischen Begriffs aus dem Tod der Metapher mit Hilfe einer Reihe von Metaphern: Der sinnliche Inhalt des metaphorischen Wortes wird »verlassen«, durch »Abnutzung« im gewohnheitsmäßigen Gebrauch »verschwindet das Metaphorische«, das sich dadurch zu einem wörtlichen Ausdruck »umwandelt«. Beschrieben wird ein Transsubtantiationsgeschehen, in dessen Verlauf aus einem zunächst neuen me-

232 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, in: ders., Werke: in 20 Bänden, ed. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Bd. 13, Frankfurt/Main 1986, S. 518-519.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

taphorischen Wort durch Abnutzung im Sprachgebrauch eine tote Metapher wird. Die tote, abgenutzte Metapher kann zum philosophischen Begriff werden. Für Hegel handelt es sich bei dieser Abnutzung der Metapher durch den Gebrauch um ihre Aufhebung in den Begriff. Die Verbegrifflichung ist »eine Bewegung der Idealisierung [...] sie wird unter der Hauptkategorie des dialektischen Idealismus, der Aufhebung, begriffen, das heißt das Gedächtnis, das die Zeichen hervorbringt, verinnerlicht sie (Erinnerung), indem es die sinnliche Äußerlichkeit erhöht, durchstreicht und aufbewahrt« (Derrida 1988, 219). Mit dieser Bemerkung bezieht Derrida die Metapherntheorie der Ästhetik-Vorlesungen auf Hegels Zeichentheorie im Psychologie-Kapitel der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften.233 Für beide, Metapher und Zeichen, ist nach Hegel die Aufhebung zentral: Ebenso wie der Begriff die sinnliche Dimension der Metapher in sich aufhebt, erscheint in der Enzyklopädie das Zeichen als Bezeichnung einer allgemeinen Vorstellung, wenn diese die Bilder der Anschauung in sich aufgehoben hat: »Indem nun die von dem Inhalte des Bildes freigewordene allgemeine Vorstellung sich in einem willkürlich gewählten äußerlichen Stoffe zu etwas Anschaubaren macht, so bringt sie das Zeichen hervor [...] Wenn die Intelligenz etwas bezeichnet hat, so ist sie mit dem Inhalte der Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff (d.h. dem Zeichen, D.M.) eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben. So bedeutet zum Beispiel eine Kokarde oder eine Flagge oder ein Grabstein etwas ganz anderes als dasjenige, was sie unmittelbar anzeigen. Die hier hervortretende Willkürlichkeit der Verbindung des sinnlichen Stoffes mit einer allgemeinen Vorstellung hat zur notwendigen Folge, daß man die Bedeutung der Zeichen erst lernen muß« (Hegel 1986a, § 457). Der Grabstein steht kurz danach wieder im Text, wenn Hegel als prägnante »Semaphor des Zeichens« die Pyramide einführt:234 Das Zeichen gleiche einer »Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist« (Hegel 1986a, §458). Es ist für Hegel der radikal äußerliche, arbiträre und sinnliche Repräsentant eines in ihm nur verwahrten geistigen Inhaltes. »Der Name als Existenz des Inhaltes in der Intelligenz ist die Äußerlichkeit ihrer selbst in ihr [...] Indem sich daher die Intelligenz mit dem Worte erfüllt, nimmt sie die Natur der Sache in sich auf« (Hegel 1986a, § 462). Hegels Metapherndiskussion bringt nicht zufällig dasselbe Gegensatzpaar geistig/sinnlich wieder ins Spiel: Die Metapher wird zu einem Begriff, wenn »Bild und Bedeutung dann bei der Geläufigkeit, in jenem nur diese aufzufassen, sich nicht mehr unterscheiden und das Bild uns statt einer konkreten Anschauung nur unmittelbar die abstrakte Bedeutung selber gibt« (Hegel 1986, 518, kursiv von mir, D.M.) – wenn wir also bei »›begreifen‹ im geistigen Sinne« in keiner Weise mehr »an das sinnliche Anfassen mit der Hand denken«. Nur wenn der »sinnliche 233 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, in: ders., Werke, in: 20 Bde., ed. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Bd. 10, Frankfurt/Main 1986a, v.a. §§ 451-468. 234 Vgl. Jacques Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, in: ders., Randgänge, a.a.O., S. 85-118: 97.

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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Inhalt« des metaphorischen Wortes »verlassen« und im Begriff mit einer »geistigen Bedeutung vertauscht wird«, bleibt das Zeichen dem Inhalt radikal äußerlich. Das Zeichen ist nur dann der pyramidenhaft arbiträre Repräsentant der Sache, wenn man es auf seine geistige Bedeutung unmittelbar – ohne Brechung – durchschauen kann. Hegels Erzählung von der Abnutzung als Aufhebung schreibt die Metapher in den Rahmen einer Logik der Repräsentation ein: Die Metapher ist die Vorstufe des seinen geistigen Inhalt rein repräsentierenden, weil arbiträren Begriffs. Derridas Zweifel setzen an Hegels Vorstellung dieser schlackenlosen Aufhebung der Metapher in den Begriff an: Reicht als Kriterium der gelingenden Aufhebung, daß wir nicht mehr an die metaphorische Dimension des begrifflichen Wortes »denken«? »Daß es inaktive Metaphern gäbe, die hier nicht von Interesse wären, weil der Autor nicht an sie dachte und weil die metaphorische Wirkung im Rahmen des Bewußtseins untersucht werde [...]« (Derrida 1988, 219). In vieler Hinsicht den Gegenentwurf zu Hegel entwickelt Anatole France (5), anhand von dessen Überlegungen ich der Frage nach der metaphorischen Aktivität im Untergrund der Begriffe nachgehen möchte, auf die das obige letzte Zitat Derridas anspielt. Wie so oft bringt der Gegen-Entwurf denselben Satz von Begriffen ins Spiel wie der Entwurf, dem er entgegnet: eine Geschichte der Abnutzung und den Gegensatz sinnlich/geistig. Während für Hegel die Abnutzung der Metapher zur Aufhebung in den Begriff führt, sieht France in der begrifflichen Verwendung von Worten eine Abnutzung, die sie zu entstellten Metaphern ihres ursprünglich sinnlichen Inhaltes macht. An den zentralen zeichentheoretischen Metaphern Hegels und Frances wird der Gegensatz greifbar: Hegels Pyramide charakterisiert den Begriff einerseits als radikal arbiträr gegenüber seinem Inhalt und andererseits als Begräbnisstätte der konkreten Anschauung, die in der Idee, deren Zeichen der Begriff ist, aufgehoben wurde. France vergleicht den metaphysischen Begriff einem Palimpsest.235 Sein Ziel ist es, durch eine Art »geistiger Rekonstruktion« die »verblaßte Tinte« des ursprünglichen »sens primitif et concret« »sichtbar werden zu lassen«, der »unsichtbar unter dem abstrakten und neuen Sinn verborgen ist« (France 1906, 170). Während für Hegel die Sinnlichkeit der Metapher im begrifflichen Zeichen neutralisiert wird, bleibt bei France der metaphysische Begriff als Palimpsest ein entstelltes »Symbol« (France 1906, 181 f.) seiner ursprünglich sinnlichen Bedeutung, die durch seine neue Verwendung hindurchschimmert. Frances Thesen stehen im Horizont einer sprachphilosophischen und ›empiristischen‹ Metaphysikkritik. Ihr Gegenstand sind nicht Begriffe allgemein, sondern nur metaphysische Begriffe, die sich auf nicht-sinnliche Gegenstände (Seele, Gott) beziehen. Die Entstehung dieser Begriffe erklärt Frances Geschichte der 235 Anatole France, »Ariste und Polyphile oder Die metaphysische Sprache«, in: ders., Der Garten des Epikur, Autorisierte Übersetzung v. Olga Sigall, Minden 1906, S. 159-183: 170 (»Ariste et Polyphile ou le Langage Métaphysique«, in: ders., Le Jardin d’Epicure, Paris 1921, S. 195-223: 206 f.).

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Abnutzung: »Ich dachte daran, daß, wenn die Metaphysiker sich eine Sprache bilden, sie Scherenschleifern gleichen, die statt Messer und Scheren, Medaillen und Münzen an den Schleifstein legen, um die Inschrift, die Jahreszahl und das Bildnis zu tilgen. Wenn sie es erreicht haben, daß auf ihren Münzen weder Viktoria noch Wilhelm oder die Republik sichtbar sind, dann sagen sie: ›Diese Münzen haben nichts Englisches, nichts Deutsches noch Französisches an sich, wir haben sie aus der Zeit und dem Raum gelöst, sie sind nicht fünf Francs wert, sie haben einen unschätzbaren Wert, und ihr Umlauf ist ohne Grenzen‹. Sie haben recht, so zu sprechen. Infolge dieses Schleifens sind die Worte aus physischen zu metaphysischen geworden« (France 1906, 162-163). Wobei die Metaphysiker »mit Vorliebe zum Schleifen Worte wählen, die schon etwas abgenutzt zu ihnen gelangen« (France 1906, 167). Als Beispiele werden die Worte »Seele« und »Gott« genannt. Das Abschleifen ist nur die forcierte, bewußte Form der Abnutzung. Die metaphysischen Begriffe entstehen, wenn die Worte aus ihren alltäglichen Verwendungsweisen gelöst, ihre (umgangssprachliche) Prägungen abgeschliffen werden, lautet Frances Wittgensteinianisch anmutende These. »Zwar«, führt France die Allegorie weiter, »kommen« die Worte durch das Abschleifen »tatsächlich glatt wie Spielmarken aus der Münze. Aber zu ihrer Herstellung mußte doch das alte gewöhnliche Metall verwendet werden. Und das ist neben allem übrigen in Betracht zu ziehen« (France 1906, 168). Das Metall als Grundlage jeder Sprach-Münze ist Sinnlichkeit. Im Dialog betont die Figur des Polyphile, die die zentralen Thesen entwickelt, »daß alle Worte der menschlichen Sprache bei ihrem Ursprung nach einem sinnlichen Vorbilde geprägt werden und daß alle, als sie neu waren, irgendeine materielle Vorstellung wiedergaben. Es gibt keinen Ausdruck, der nicht anfänglich Zeichen eines Gegenstandes gewesen, der dieser Welt der Formen und Farben, der Töne und Gerüche [...] angehörte [...] Der Wortschatz des Menschen entstand auf sinnlichem Wege, und diese Sinnlichkeit haftet seiner Natur so unverkennbar an, daß sie sich [...] sogar in den durch die Kunst der Metaphysiker hergestellten Benennungen wiederfindet, die die Abstraktion in ihrer höchsten Entwicklung ausdrücken sollen. Selbst diese entgehen nicht dem unvermeidlichen Materialismus des Wortschatzes; sie hängen noch an irgendeiner Wurzel an den alten Wortgebilden der menschlichen Rede.« (France 1906, 169, kursiv von mir, D.M.). Auch die abgenutzten, abstrakten metaphysischen Begriffe sind tief vom ursprünglichen »Materialismus des Wortschatzes« geprägt, dem sie nur durch ihre Blindheit für diese Prägung zu entkommen meinen. Das Abstrakte ist dabei für France nichts weiter als »die Asche des Konkreten« (France 1906, 173). Polyphile betont, »daß das Abstrakte in den Worten nur ein geringeres Konkretes ist«, ein »verdünntes und entkräftetes Konkretum« (France 1906, 179). So bedeute »Seele« ursprünglich »der warme Atem des Körpers« (France 1906, 172).236 236 Das französische Wort »âme« wurde im 8. bis 9. Jahrhundert vom lateinischen »anima«, »Atem«, abgeleitet – vgl. Dictionnaire Étymologique, Paris 2001, S. 24. Die Unterhaltung entzündet sich an der traditionellen metaphysischen Aussage: »Die Seele erfaßt Gott in dem Maße,

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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Am Ende des Textes formuliert France die sprachphilosophischen Implikationen seiner Thesen: Das für den terminologischen Gebrauch von den Metaphysikern abgeschliffene Wort kann »nicht das Zeichen des abstrakten Begriffes sein. Es könnte nur das Symbol und, um es besser zu sagen, die Allegorie sein. Das Zeichen kennzeichnet den Gegenstand und ruft ihn ins Gedächtnis. Es hat keinen Wert an sich. Das Symbol bildet einen Ersatz für den Gegenstand. Es zeigt ihn nicht, es vertritt ihn. Es ruft ihn nicht hervor, es ahmt ihn nach (il l’imite). Es ist ein Bild (figure). Es hat aus sich selbst eine Realität und eine Bedeutung« (France 1906, 181). Die Art, wie France im zweiten Satz die entgegengesetzten Begriffe des Symbols und der Allegorie gegeneinander austauscht, läßt eine gewisse Vorsicht gegenüber seiner Terminologie geraten erscheinen. Wie stellt sich France die Struktur des begrifflichen Wortes vor? Es ist kein arbiträres Zeichen, denn ursprünglich wurde es als Bezeichnung eines sinnlichen Phänomens verwendet. Diese ursprünglich sinnliche Bedeutung schimmert noch durch die abstrakte Verwendung des palimpsest-artigen Begriffswortes. Die ursprünglich sinnliche Bedeutung der metaphysischen Ausdrücke zeigt sich insbesondere in ihrer Etymologie. Die etymologische Untersuchung der abstrakten Begriffe entziffert in ihrem Untergrund ein abgeschliffenes sinnliches »Bild« oder eine »Figur«. Am Grund des Begriffs der »Seele« stößt die Untersuchung auf das Bild des »Atems«. Diese Figur ist keine abiträre Bezeichnung des Gemeinten, sondern sie hat »eine (eigene, D.M.) Realität und Bedeutung«. France – und das ist der entscheidende systematische Schritt, den er selbst in keiner Weise erläutert – faßt die durch die etymologische Untersuchung rekonstruierte sinnliche Figur als Metapher des vom Begriff Gemeinten auf: Die etymologisch rekonstruierte Figur »ahmt« den vom Begriff gemeinten Gegenstand »nach«. Die Konsequenz ist, daß der Metaphysiker ein unbewußter Metaphoriker ist: »Durch ein seltsames Geschick sind diese Metaphysiker, die der Welt der Erscheinungen zu entgehen glauben, gezwungen, unaufhörlich in der Allegorie zu leben. Erbärmliche Dichter, nehmen sie den alten Fabeln ihre Farben und sind nichts als Fabelsammler« (France 1906, 182). Die metaphysischen Aussagen sind terminologisch ausgebleichte Fabeln, entstellte, abgeschliffene Metaphern der ursprünglich sinnlichen Bedeutung: Metaphysik ist »weiße Mythologie« (France 1906, 182). Frances Metaphysikkritik zielt auf den superioren Anspruch metaphysischer Erklärungen. »Und wenn ich weiß, daß das Abstrakte mit den erloschenen und entstellten Überresten antiker Bilder und plumper Vorstellungen dargestellt wird, hört das Abstrakte sofort auf, sich mir zu vergegenwärtigen, ich sehe nichts als die Asche des Konkreten, und anstatt eines Gedankens an sich den feinen Staub von Götzenbildern, Amuletten und Fetischen, die man zerrieben hat« (France 173). in dem sie am Absoluten teilhat« (France 1906, 161), den Polyphile am Ende, indem er die in den metaphysischen Ausdrücken abgeschliffenen, ursprünglich sinnlichen Bedeutungen aufdeckt, in folgenden Satz übersetzt: »Der Atem ruht auf dem, der glänzt, nach Maß der Gabe, die ihm an dem alles in sich Auflösenden zuteil wird« (France 1906, 181).

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Der Aufweis der sprachlichen Herkunft der metaphysischen Begriffe führt zu einer Kritik ihrer Inhalte und Ansprüche. Als Mittel, diesen Nachweis zu führen, skizziert France ein begriffsgeschichtliches Forschungsprojekt, eine »histoire naturelle des idées métaphysiques« (France 1921, 209). France schwebt eine Geschichte des »wunderbaren Schicksals« der »armen Silben« von ihren natürlichen Anfängen bis zur ihrer abgenutzten gegenwärtigen Verwendung vor, eine Geschichte, die den geschichtlichen Abstand der zwei Schriften des terminologischen Palimpsestes rekonstruiert und ausmißt. Ziel dieser »histoire naturelle« ist es dabei offensichtlich, die Geschichte auf die Natur zurückzuführen. Es ist nun einerseits sicher ein Mißverständnis, wie Ricœur anzunehmen (Ricœur 1991, 260-264), daß Derrida sich die Logik der Abnutzung als These zu eigen mache, während sie für Derrida wohl eher eine historisch bemerkenswerte Figur darstellt, für deren »implizite Logik« (Derrida 1988, 206) er sich interessiert. Und auch wenn Derrida selbst andererseits Frances metaphorologische Thesen als »Phantasterei« (Derrida 1988, 206) bezeichnet, so ist doch eine eigentümliche Nähe Derridas zu den Überlegungen von France nicht zu übersehen. Es sind wenige systematische Umbesetzungen, die die Differenz zu France markieren, die sich dann allerdings zu einem Unterschied ums Ganze summieren. Man könnte diesen Unterschied vielleicht auf die Formel bringen, daß Derridas Theorie der Metapher – anstelle von Frances histoire naturelle – eine archäologische histoire culturelle des idées philosophiques versucht. Ein zentraler Einwand, den Derrida gegen die Logik der Abnutzung bei Hegel und France erhebt, betrifft das, was er ihre »kontinuistische Voraussetzung« (Derrida 1988, 211) nennt, der er regelmäßig sein »Interesse am syntaktischen Motiv« entgegenhält (Derrida 1998, 210). Diese Voraussetzung unterstellt, daß eine als kontinuierlich rekonstruierbare Entwicklung von der Metapher zum Begriff führt oder ein »›notwendiges Band‹« der Ähnlichkeit die beiden Ausdrücke, die eine Metapher aufeinander bezieht, verbindet:237 Danach »gleicht die Geschichte der Metapher im wesentlichen nicht einer Verschiebung mit Brüchen, mit Wiedereinschreibungen in ein heterogenes System, mit Mutationen, Abweichungen ohne Ursprung, sondern einer progressiven Erosion, einem regelmäßigen semantischen Verlust, einem ununterbrochenen Ausschöpfen der ursprünglichen Bedeutung« (Derrida 1988, 211). Derrida setzt der kontinuierlichen ökonomischen Metaphorik der Abnutzung eine Metaphorik der unkontrollierbaren semantischen »Wucherung« und des »Wucherzinses« (Derrida 1998, 212) entgegen, die die vermeintlich klaren Verbindungen entstellen und überwuchern. Man kann den Unterschied zwischen France und Derrida als den Unterschied zwischen zwei Verständnissen der Palimpsest-Metapher formulieren: Für France sind die metaphysischen Begriffe Palimpseste, weil seine Untersuchung in ihnen die »verblaßte Tinte« einer ursprünglich sinnlichen Bedeutung »sichtbar werden läßt« (France 1906, 170). Dabei sperrt sich die Palimpsest-Metapher eigentlich 237 Vgl. Paul de Man, Allegorien des Lesens, übers. v. Werner Hamacher und Peter Krumme, Frankfurt/Main 1988, S. 102.

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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aus zwei Gründen gegen die France’sche Verwendung: Einerseits geht beim realen Palimpsest die zweite Schrift nicht aus der ersten hervor. Die beiden Texte, die da übereinander geschrieben wurden, haben in den allermeisten Fällen inhaltlich nichts miteinander zu tun.238 Andererseits besteht zwischen den zwei Schriften des Palimpsestes kein so grundlegender Unterschied wie zwischen dem Artefakt des metaphysischen Begriffs und der ursprünglich sinnlichen Bedeutung, als deren Analogie das Palimpsest bei France dienen soll. Beim Palimpsest ist die verblaßte Tinte der ersten Schrift, die die Reagenzien des Chemikers sichtbar machen, ebenso Artefakt wie die lesbare zweite Schrift. Derridas Verständnis der Palimpsest-Metapher wird dieser zweiten Dimension dagegen gerecht: Die Metapher im Text erscheint bei Derrida als Schrift, die den verblaßten Bahnungen vorangegangener Schriften nach-schreibt. Ihr Erscheinen folgt einem »Zug«, der im differentiellen System der Sprache angelegt oder latent vorgezeichnet ist (Derrida 1998, 226 f.). Derrida führt die Bemerkung, daß »metaphorikos im sogenannten ›modernen Griechisch‹ alles, was die Transportmittel betrifft, bezeichnet«, zu einer metaphorologischen Allegorie weiter: »Metaphora fährt durch die Stadt, sie befördert uns als ihre Bewohner, auf verschiedenen Strecken, mit Ampeln, Einbahnstraßen, Kreuzungen und Scheidewegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorschriften« (Derrida 1998, 197). Metaphern und Begriffe haben auch für Derrida eine palimpsest-artige Struktur, denn ihr sichtbares Erscheinen ist die Manifestation latenter sprachlicher Züge. Sie fahren auf den kaum sichtbaren und dennoch von vielfältigen kulturellen Verkehrsregeln geprägten Bahnen einer ›ersten Schrift‹. In Derridas metaphorologischer Palimpsest-Konzeption zeichnet die manifeste metaphorische Syntax der Sprache die kaum mehr sichtbaren Züge einer sprachlich-kulturellen Syntax nach, die in der Metapher zur Erscheinung kommen. Die Dekonstruktion der Ähnlichkeitsbehauptung der philosophischen Metapher deckt ihre metonymische Tiefenstruktur auf: »Metonymische Verknüpfungen sind nicht bloß syntagmatische Ergänzungen von paradigmatischen Figuren, sondern die Dekonstruktion des metaphorischen Scheins« (Menke 1995, 128). Für Derrida beschreibt die Metonymie die semantische Struktur der Metapher:239 Die Metapher ist die Manifestation der latenten metonymischen Verknüpfungen einer sprachlich-kulturellen Syntax. Als eine Theorie der metonymischen Latenz stellen Derridas nachmetaphysische Metapherntheorie das Projekt einer metaphorischbegriffsgeschichtlichen Archäologie dar. Abschließend möchte ich das im Vorangegangenen skizzenhaft umrissene metaphorologisch-archäologische Projekt Derridas weiter konkretisieren, indem ich es mit der am besten ausgearbeiteten modernen philosophischen Theorie der 238 Es ist deutlich, daß diese Schwierigkeit eigentlich auch der Verwendung des Palimpsestes als Metapher für Intertextualität im Wege steht – vgl. dennoch Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übers. v. Dieter Hornig, Frankfurt/Main 1993. 239 Vgl. Christoph Menke, »›Unglückliches Bewußtsein‹. Literatur und Kritik bei Paul de Man«, in: Paul de Man, Die Ideologie des Ästhetischen, hrsg. v. Christoph Menke, übers. v. Jürgen Blasius, Frankfurt/Main 1993, S. 265-299: 281 f.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Metapher, (5) Paul Ricœurs Konzeption der métaphore vive, konfrontiere.240 In der Figur der lebendigen Metapher konzentriert sich Ricœurs Theorie auf das Phänomen der neuen Metapher. Er interessiert sich für die Metapher als Sprachform des bisher Ungesagten. Sie ist eine »impertinente Prädikation«, ein »gewollter Fehler« (Ricœur 1991, 85), durch den eine neue »Wirklichkeitserfahrung« (Ricœur 1991, 238) zur Sprache kommt. Mein Interresse gilt Ricœurs Beschreibung des Verhältnisses von Metapher und Begriff, das bei ihm die Form einer Untersuchung der »wechselseitigen Implikation von dichterischem und spekulativem Diskurs« annimmt (Ricœur 1991, 273). Die Metapher bildet das Zentrum von Ricœurs Begriff von Dichtung: Danach trennt nur eine »›Maßstabsveränderung‹ [...] die Metapher als ›Miniaturgedicht‹ (Beardsley) vom Gedicht selbst als vergrößerter Metapher« (Ricœur 1991, 233). Ricœur verfolgt eine modifizierte Form des Hegelianischen Projektes: Einerseits beschreibt er das Verhältnis des dichterischen und des spekulativen Diskurses als »Dialektik« (Ricœur 1991, 274), andererseits betont er aber eine fundamentale »Diskontinuität« (Ricœur 1991, 280) zwischen den Diskurssphären, die eine endgültige Aufhebung der Metapher in den Begriff zur Illusion macht. Das Ergebnis ist eine komplexe Beschreibung der wechselseitigen Verwiesenheit der Diskurse: »Man kann einerseits zeigen, daß der spekulative Diskurs seine Möglichkeit in der semantischen Dynamik der metaphorischen Aussage hat, andererseits daß der spekulative Diskurs seine Notwendigkeit in sich selbst trägt, im Einsatz der Mittel begrifflicher Artikulation, die wohl auf dem Geist selbst beruhen, ja der sich selbst reflektierende Geist selbst sind. Mit anderen Worten, das Spekulative erfüllt die semantische Forderung des Metaphorischen nur, indem es einen Schnitt legt, der den unreduzierbaren Unterschied zwischen den beiden Diskursmodi bezeichnet. Welches immer das spätere Verhältnis zwischen dem Spekulativen und dem Dichterischen sei, das erstere führt die semantische Intention des letzteren nur um den Preis einer Umwandlung fort, die aus seiner Übertragung in einen anderen Sinnraum resultiert« (Ricœur 1991, 274).241 240 Zwischen Derrida und Ricœur kam es zu einer – verunglückten – Debatte über die Metapher. Zum Verlauf der Debatte vgl. oben Fußnote 99. Verunglückt ist diese Auseinandersetzung, weil Ricœurs Kritik von Anfang an an Derridas Thesen vorbei geht: Es ist sicher weder zutreffend, daß die Figur der abgenutzten Metapher für Derrida systematisch zentral sei, noch daß er annimmt, daß die »metaphorische Übertragung« immer »vom sichtbaren auf das intelligible Sein« geschehe (Ricœur 1991, 260). Derrida rückt zwar in dem Retrait-Vortrag diese Irrtümer zurecht (Derrida 1998, 206-212), tritt aber seinerseits nur sehr indirekt in eine Debatte mit Ricœurs metapherntheoretischen Thesen ein. Aufschlußreich ist eine Podiumsdiskussion zwischen Ricœur und Derrida, die immer wieder auch das Thema der Metapher streift: »Philosophy and Communication: Round-table Discussion between Ricœur and Derrida«, in: Lawlor, Imagination and Chance, a.a.O., S. 131-163. 241 Ricœur ›überträgt‹ in seinen Beschreibungen des Wechselverhältnisses von dichterischem und spekulativem Diskurs Bestimmungen, die der belgische katholische Theologe und Logiker Jean Ladrière für den theologischen Diskurs entwickelt, auf die Philosophie. Ladrière ist in der französischen Ausgabe der Métaphore vive die abschließende Studie gewidmet. In dem Aufsatz, auf den sich Ricœur bezieht, – »Le Discours théologique et le Symbole«, in: Revue des Sciences religieuses 49 (1975), S. 116-141 – behauptet Ladrière, daß die »langage spéculatif« des theologi-

III.3.1 ERKENNTNISÖKONOMIEN

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Ricœur bringt die Differenz der Diskurse auf folgende Formel: »Zwischen dem Impliziten und Expliziten liegt der ganze Unterschied, der die zwei Diskursmodi voneinander trennt und der durch die Wiederaufnahme des ersten im zweiten nicht aufgehoben werden kann« (Ricœur 1991, 274). Die Bedeutung des dichterischen Diskurses für das Denken besteht darin, daß in ihm neue Erfahrungen artikuliert werden, allerdings in einer semantischen Form, die zu einer »Erläuterungsforderung« (Ricœur 1991, 273) führt, die semantischen Implikationen der metaphorischen Aussage begrifflich zu explizieren. In einer selbst zutiefst metaphorischen Passage beschreibt Ricœur, wie der »semantische Entwurf« der Metapher »einen unbekannten Referenzbereich zur Sprache erhebt, unter dessen Herrschaft das semantische Ausdrucksstreben aktiv wird und sich entfaltet« (Ricœur 1991, 279). In der dichten, energetischen Bewegungsmetaphorik zeigen sich wesentliche Züge dessen, was bei Ricœur die »Lebendigkeit« der lebendigen Metapher ausmacht: »Am Anfang des Prozesses steht also, was ich die ontologische Vehemenz (véhemence ontologique) eines semantischen Ausdrucksbestrebens (visée sémantique) nennen möchte, die von einem unbekannten Bereich angetrieben (mue), dessen Vorgefühl sie in sich trägt. Diese ontologische Vehemenz löst die Bedeutung aus ihrer ursprünglichen Verankerung, befreit sie als Form einer Bewegung und versetzt sie in einen neuen Bereich, den sie mit ihrer eigenen Gestaltungskraft prägen kann [...] Eine Erfahrung, die mehr als etwas Empfundenes ist, will ausgedrückt werden« (Ricœur 1991, 279-80).242 Von der Energie einer bisher unsagbaren Erfahrung »angetrieben«, bricht von außen ein heftiges ontologisches Ausdrucksstreben über die gewohnte Sprache herein und reißt Worte aus der semantischen »Verankerung« ihrer wörtlichen Verwendung und »versetzt« sie in einen neuen Kontext. Was Ricœur hier beschreibt, ist offensichtlich das im Falle der lebendigen Metapher dramatische Hintergrundgeschehen, dessen sichtbaren grammatischen Vordergrund die Metapherntheorie seit Aristoteles als die »Übertragung eines fremden Wortes« (Poetik, 1457 b) bezeichnet hat. Die lebendige Metapher soll Ausdruck des Einbruchs einer neuen Erfahrung in eine bestehende Zeichenordnung sein. Einerseits knüpft nun der spekulative Diskurs an das semantische Potential der metaphorischen Aussage an, in der er den »Entwurf einer begrifflichen Bestimmung« (Ricœur 1991, 280) des neuen Referenzbereiches vorfindet. Andererseits schen Diskurses »est seulement un langage second, présupposant toujours un langage religieux direct, celui de la proclamation, de l’annonce, de la confession« (Ladrière 1975, 116). Gegenüber dieser symbolischen »langage originaire« (Ladrière 1975, 122) der Religion erweist sich der theologische Diskurs als lediglich sekundäre »interprétation« und hermeneutischer »commentaire« (Ladrière 1975, 117-119). 242 Rainer Rochlitz übersetzt die Metaphorik der Passage weitgehend gelungen ins Deutsche. Indem er véhemence nicht übersetzt, glättet er den Text systematisch etwas: véhemence heißt »Heftigkeit, Ungestüm«. visée sémantique ist ebenfalls eine Metapher: visée bedeutet wörtlich »Zielen, Anvisieren«, das Verb viser auch »anstreben«. Daher übersetzt Rochlitz mit »Ausdrucksbestreben«. mue, Partizip Perfekt von mouvoir, überträgt Rochlitz wörtlich: Das Wort wird sowohl verwendet, wenn »etwas durch Elektrizität« als auch wenn »jemand durch eine Person angetrieben wird«.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

betont Ricœur die Diskontinuität zwischen dichterischem und spekulativem Diskurs. Letzterer ist keine »Verlängerung« des dichterischen Diskurses, sondern »verdankt sich selbst das Mittel eines begrifflichen Raumes, den er der Sinnentfaltung, die sich metaphorisch abzeichnet, zur Verfügung stellt« (Ricœur 1991, 280). Der spekulative Diskurs weist in sich noch einmal eine hierarchische Gliederung auf: Der spekulative Diskurs im engeren Sinne entwickelt aus dem metaphorischen Entwurf zunächst die grundlegenden »ersten Begriffe, die Prinzipien« des neuen Gegenstandsbereiches, die dann von einer stärker deskriptiven Begrifflichkeit eines spekulativen »Diskurses zweiter Stufe« artikuliert werden. »In diesem Sinne ist das Spekulative die Bedingung der Möglichkeit des Begrifflichen« (Ricœur 1991, 280). Als historische Beispiele solcher einen Gegenstandsbereich neu erschließenden ersten Prinzipien nennt Ricœur »die ›großen Gattungen‹, die ›Seinskategorien‹, die ›Verstandeskategorien‹, die ›philosophische Logik‹, die ›Grundelemente der Vorstellung‹« (Ricœur 1991, 280). Die spekulativen ersten Prinzipien bilden den »Horizont« oder »logischen Raum« der allgemeinen Begrifflichkeit. Indem der semantische Entwurf der lebendigen Metapher mit den begrifflichen Mitteln des spekulativen Diskurses expliziert wird, wird sie den Anforderungen der systematischen Sphäre unterworfen: »Die Mittel des Systematischen, die in dem bloßen Artikulationsregister des spekulativen Diskurses impliziert sind, treten an die Stelle der Schematisierungsmittel, die in dem Register der prädikativen Assimilierung impliziert sind« (Ricœur 1991, 283). Ricœur beschreibt den Prozeß der begrifflichen Explikation der Metapher als »Kampf um Eindeutigkeit« (Ricœur 1991, 283), wobei stets die Gefahr besteht, daß die begriffliche »Rationalisierung [...] die Erfahrung eliminiert, die durch den metaphorischen Prozeß zur Sprache kommt« (Ricœur 1991, 283). Es vollzieht sich ein Geschehen der »Interpretation«: »Jede Interpretation will den von den metaphorischen Aussagen vorgezeichneten Entwurf in einen Horizont des begrifflich verfügbaren und beherrschbaren Verstehens eintragen« (Ricœur 1991, 284). Die gelingende Interpretation trägt eine »Dynamik von Attraktion und Repulsion« der beiden Diskurssphären aus und versucht, den »zwei rivalisierenden Forderungen« der »Klarheit des Begriffs« und der metaphorischen »Dynamik der Bedeutung« (Ricœur 1991, 284) gerecht zu werden. Für Ricœur ist die lebendige Metapher die Manifestation einer in die Sprache einbrechenden neuen Erfahrung, die der spekulative Diskurs begrifflich expliziert und so interpretiert. Er führt seine metapherntheoretischen Thesen an keiner Stelle an einer bestimmten Metapher vor. In die Nähe eines Beispiels kommen allerdings seine Erläuterungen zu Heideggers Verwendung eines Vergleiches aus Hölderlins Hymne »Brot und Wein«: »Worte, wie Blumen«. Hier verwendet der Philosoph Heidegger Worte des Dichters Hölderlin, um mit ihnen einen sprachphilosophischen Paradigmenwechsel von einer anthropozentrischen zu einer ereignishaften Sprachauffassung einzuleiten. »Wird das Wort die Blume des Mundes und Blüte genannt, dann hören wir das Lauten der Sprache erdhaft aufgehen«. Hölderlins Vergleich sei ein »Sagen, worin sich das Erscheinenlassen von Welt begibt« (Heidegger 1993, 208), faßt Heidegger sein Verständnis der Worte

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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zusammen. Ricœur zitiert den letzten Satz und fragt dann: »Ist das nun aber nicht gerade, was die lebendige Metapher tut?« (Ricœur 1991, 259). »Worte, wie Blumen« wäre demnach eine lebendige Metapher, weil in ihr die »Welt« einer neuen Erfahrung zum »Erscheinen« gebracht würde. Ist »Worte, wie Blumen« tatsächlich eine neue, ungewöhnliche Metapher? Hat hier die »ontologische Vehemenz« des »semantischen Ausdrucksbestrebens« eines »noch unbekannten Referenzbereiches« die Worte »aus ihrer ursprünglichen Verankerung gerissen« und sie »in einen neuen Bereich versetzt« (Ricœur 1991, 279), wie Ricœur die Entstehung der lebendigen Metapher beschreibt? Die semantische Verbindung, die das »wie« herstellt, ist in keiner Weise neu: Von den antiken und mittelalterlichen »Florilegien« – Sammlungen als exemplarisch angesehener Text-Stellen – über die christliche Konzeption eines »Buches der Natur« bis zum romantischen »Blütenstaub« ziehen sich mindestens abendländische Traditionen, in denen »Wort« und »Blume« in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind.243 Zumindest dieses Beispiel einer – vermeintlich – lebendigen Metapher läßt sich wesentlich plausibler mit Derridas Überlegungen zu einer metonymischen Tiefenstruktur der Metapher interpretieren: Die Ähnlichkeiten, die Metapher und Vergleich behaupten, sind Manifestationen latenter, durch Sprache und Tradition gebahnter, syntaktischer Verbindungen, die in der Metapher in Erscheinung treten.

III.3.2 Metaphorologie zweiten Grades III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

Die folgenden Überlegungen gehen von Derridas metapherntheoretischen Beschreibungen aus, die ich zu einer archäologische Konzeption von Metaphorologie ausfalte. Derridas Beschreibungen zielen auf eine »Metaphorologie zweiten Grades« (Haverkamp 2009, 155 f.).244 Es geht um die archäologischen Bedingungen 243 Hans Blumenberg ist in Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt/Main 1986 einer HintergrundUnterstellung, die häufig in der Verbindung von Wort und Blume im Spiel war, durch die abendländische Geschichte nachgegangen. 244 Ich verwende Anselm Haverkamps prägnanten Begriff, mit dem er Blumenbergs Projekt beschreibt, um das Jacques Derridas zu charakterisieren. Derridas und Haverkamps Metapherntheorien kommen im Interesse an einem »proto-grammatischen« Zustand von Sprache (Haverkamp 2004, 189, Fn. 125) für die Metapherntheorie überein, das es, meine ich, bei Blumenberg nicht gibt. Für Metapherntheorien dieses Typs möchte ich die Bezeichnung »Metaphorologie zweiten Grades« vorbehalten. Différance und Dissemination sollen bei Derrida diese proto-grammatische Dimension von Sprache faßbar machen, auf die auch Haverkamps Verständnis von Blumenbergs Unbegrifflichkeit als »quasi-transzendentaler Bodensatz« zielt (Haverkamp 2004, 78; 2007, 161). Ich selber verstehe Unbegrifflichkeit weniger als Sprachzustand denn als Sprachform. Unbegrifflichkeit bezeichnet die Sprachform des im Wittgenstein'schen Sinne – vgl. unten S. 243 f. – »Unaussprechlichen« (Blumenberg 1988a, 83): Die Sprachform von Metaphysik und Religion und der metaphysischen und religiösen Einlagen historischer Lebenswelten, die in historischen Metaphysiken und Religionen expliziert und begrifflich kristallisiert (Blumenberg 1999, 13) werden - vgl. unten S. 233 f. Die wichtigste unbegriffliche Sprachform ist die von Blumenberg beschriebene absolute Metapher – vgl. unten Fn. 277. Die folgenden Überlegungen sind weder eine Darstellung von Derridas noch von Haverkamps

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

der Möglichkeit des Auftauchens manifester Metaphern und anderer sprachlicher Formen ›ersten Grades‹. Diese Möglichkeitsbedingungen habe ich in Gestalt eines latenten Gefüges sprachlicher Beziehungen zu rekonstruieren versucht. Insofern die latenten sprachlichen Strukturen den ›positiven‹ Untergrund darstellen, auf dem noch die von der Norm abweichende Negativität der manifesten Metapher spielt, vertiefen die folgenden Überlegungen die Ausführungen zur Dialektik von Positivität und Negativität.245 Da Derrida seine Thesen zuerst in einer Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Metapherntheorie formuliert, wird es nicht zuletzt um den Charakter der der Metapher zugrundeliegenden Ähnlichkeit gehen. Bei Derrida zeichnet sich ein nachmetaphysischer Begriff der Metapher ab, der mit dem Aristotelischen nur noch den Namen teilt. Schließlich möchte ich die Transformation der metaphysisch-archäologischen Struktur der Ontobiologie Schellings und der späten Seinsphilosophie Heideggers in Derridas Konzeption einer Metaphorologie zweiten Grades herausarbeiten. Am Ende des vorangegangenen Kapitels wurde in der Auseinandersetzung mit Ricœurs Idee der métaphore vive ein Zug des Derrida’schen Begriffs der Metapher deutlich: Während für Ricœur die lebendige Metapher Zeichen eines zum Ausdruck drängenden neuen Referenzbereiches ist, ist sie für Derrida Manifestation einer latenten sprachlich-kulturellen Syntax. Diesen Zug möchte ich zu Beginn genauer entwickeln: Derrida erläutert ihn im Rahmen einer kritischen Diskussion eines Beispiels für eine Analogie-Metapher bei Aristoteles. In der Poetik untersucht Aristoteles eine Analogie-Metapher für das Sonnenlicht, in der nicht alle vier Glieder präsent sind: »In manchen Fällen fehlt eine der Bezeichnungen, auf denen die Analogie beruht [...] So heißt z.B. das Ausstreuen von Samen ›säen‹; für die Tätigkeit der Sonne hingegen, die ihr Licht ausstreut, gibt es keine spezielle Bezeichnung. Doch verhält sich diese Tätigkeit ähnlich (homoios) zum Sonnenlicht wie das Säen zum Samen; man hat daher gesagt: ›Säend das göttliche Licht‹« (Aristoteles 1982, 69, 1457b). Für Aristoteles ist diese Metapher möglich, weil es eine ontologische Ähnlichkeit zwischen dem Sonnenlicht und dem Säen von Samen gibt: Die Metapher »erkennt das Ähnliche [...] in weit auseinanderliegenden Dingen« (Aristoteles 1989, 195, 1412a). Derrida interessiert sich für das Zustandekommen und den Charakter dieser von Aristoteles behaupteten Ähnlichkeit. »Wo hat man jemals gesehen, daß zwischen Sonne und ihrem Licht die gleiche Beziehung besteht wie zwischen dem Säen und dem Samen? Wenn sich diese Analogie aufdrängt – und sie tut es –, dann deshalb, weil sie innerhalb der Sprache eine lange und kaum erkennbare Kette durchläuft [...] Handelt es sich hier nicht anstatt um eine Metapher um ein ›Rätsel‹, um eine geheime Erzählung, welche aus mehreren Metaphern zusammengesetzt ist, ein machtvolles Asyndeton [...]« (Derrida 1988, 234)? Die sich aufdrängende Analogie zwischen Sonnenlicht und Samen ist nicht in einer sichtbaren, erkennbaren ontoloMetapherntheorie, sondern ein Versuch, bestimmte mir gehaltvoll erscheinende Grundideen der Theorie Derridas – im Sinne von Habermas – zu »rekonstruieren« (Habermas 1976, 9). 245 Vgl. dazu oben S. 182-188.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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gischen Ähnlichkeit begründet, sondern sie existiert »innerhalb der Sprache«. »Wenn die Sonne ›säen‹ kann, dann deshalb, weil ihr Name in ein System von Beziehungen eingeschrieben ist, durch das er gebildet wird. Dieser Name ist nicht mehr der Eigenname von etwas Einzigartigem, aus dem die Metapher unerwartet auftauchen würde [...] Die Figur wird fortgetragen in das Abenteuer eines langen impliziten Satzes, einer geheimen Erzählung, von der uns nichts versichern kann, daß sie uns zum Eigennamen zurückführen wird« (Derrida 1988, 235). Die Metapher rekurriert auf ein System sprachlicher Beziehungen und kultureller »Erzählungen«, in denen latent die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit von Dingen, wie sie in der Metapher manifest werden, vor-erschlossen sind. Dieses archäologische System ist der Gegenstand der Metaphorologie zweiten Grades. In diesem Zug gleichen Derridas Beschreibungen auf bemerkenswerte Weise denen Jacques Lacans. In dem Aufsatz »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten« (1957) nimmt sich Lacan eine zeichentheoretische Rekonstruktion der Freud’schen Psychoanalyse, insbesondere des Symptom-Begriffs, vor.246 Die semantische Arbeit von »Verschiebung« und »Verdichtung«, den beiden wichtigsten Mechanismen der Traumarbeit nach Freud, reformuliert Lacan mit Hilfe der rhetorischen Begriffe der »Metonymie« und der »Metapher«.247 »Der Mechanismus eines zweifachen Abspannens bei der Metapher ist ebenderselbe wie beim Symptom im analytischen Sinne. Zwischen dem rätselhaften Signifikanten des sexuellen Traumas und dem Term, dem dieser sich dann in einer aktuellen signifikanten Kette substituiert, geht der Funke hindurch, der in einem Symptom – einer Metapher, in der das Fleisch oder die Funktion als signifikantes Element genommen werden – die Bedeutung festhält, unzugänglich dem bewußten Subjekt [...]« (Lacan 1991, 44). Lacan beschreibt den Signifikanten strukturalistisch als konstituiert durch seine Verweisung auf andere Signifikanten. Signifikant sein heißt, Teil einer »signifikanten Kette« zu sein: »Ringe, die in einer Kette sich in den Ring einer anderen Kette einfügen, die wieder aus Ringen gefügt ist« (Lacan 1991, 26). Der metaphorische Signifikant »substituiert sich«, ›verdrängt‹ einen anderen Signifikanten, indem er an seine Stelle tritt. Ermöglicht wird diese Verdrängung, weil die beiden Signifikanten – Ringe – einander in der signifikanten Kette benachbart sind, so daß der »Funken« entlang der GliederVerbindung der Kette überspringen kann. Die Metapher ist ein Zeichen, das an die Stelle eines anderen Zeichens tritt, mit dem es durch eine Verbindung »innerhalb der Sprache« (Derrida 1988, 234) verknüpft ist. Lacan illustriert diese die Metapher ermöglichende Eigenschaft der »siginifikanten Kette, die, gleichsam an der Interpunktion jeder ihrer Einheiten eingehängt, alles stützt, was sich an bezeugten Kontexten artikuliert, sozusagen in der Vertikale dieses Punktes« (Lacan 1991, 28), indem er ein Beispiel Saussures auf246 Jacques Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud«, 3 in: ders., Schriften, Bd. II, übers. v. Norbert Haas, Weinheim 1991, S. 15-55. 247 Vgl. zu Freuds Verständnis von »Verschiebung« und »Verdichtung«: Sigmund Freud, Die Traumdeutung, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. II/III, Frankfurt/Main 1999, S. 283 f.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

greift: Saussure erläutert die Unterscheidung von Signifikant und Signifikat, indem er unter das Wort »arbre« (Baum) ein Bäumchen malt.248 Anhand dieser »irrigen« Illustration (Lacan 1991, 23) des Funktionierens eines Zeichens entfacht Lacan ein »Funken«-Feuerwerk, in dem das Bäumchen im Nu verbrennt: Anagrammatisch erweist sich das Wort »arbre« (Baum) dem »barre« (Balken) verbunden. Und weiter: »Indem es alle symbolischen Kontexte anzieht, in denen es im Hebräisch der Bibel erscheint, errichtet es auf einem baumlosen Hügel den Schatten des Kreuzes. Es reduziert sich dann auf das große Y als Zeichen für die Dichotomie, das ohne das Bild, das als Ausschmückung in den Wappenbüchern vorkommt, dem Baum nichts zu verdanken hätte – so genealogisch es auch daher käme. Baum des Kreislaufs, Lebensbaum des Kleinhirns, Baum des Saturns oder der Diana, kristalliner Niederschlag auf einem blitzleitenden Baum [...]« (Lacan 1991, 28). Die Ketten-Struktur des Zeichens durchzieht die Sprache mit einem komplexen Geflecht von Bahnungen, die den »Funken«-Flug von Zeichen zu Zeichen orientieren, dessen Ergebnis die Metapher ist. Die metaphorologische Metapher des »Funkens«, der den metaphorischen Signifikanten mit dem verbindet, den er verdrängt, übernimmt hier offensichtlich die Funktion, die in traditionellen Metapherntheorien der Ähnlichkeit zukommt. Der Funke springt oder der metaphorische Signifikant gleitet auf den latenten, sprachgeschichtlich sedimentierten Syntagmen im Gefüge von Sprache und Kultur entlang. Die semantische Struktur der Metapher erweist sich als metonymisch: Die Ähnlichkeitsbehauptung gründet in sprachlicher Kontiguität.249 Es sind latente, sprachgeschichtlich erschlossene Möglichkeiten, die in einer Metapher manifest werden. Derrida hat diesen metonymisch-syntagmatischen Untergrund der Metapher in einer metaphorologischen Allegorie anzuzeigen versucht: »metaphorikos bezeichnet im sogenannten ›modernen Griechisch‹ alles, was die Transportmittel betrifft«. Und er ›fährt fort‹: »metaphora fährt durch die Stadt, sie befördert uns als ihre Bewohner, auf verschiedenen Strecken, mit Ampeln, Einbahnstraßen, Kreuzungen oder Scheidewegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorschriften« (Derrida 1998, 197). Ein latentes Streckennetz sprachlichkultureller Beziehungen bildet das Leitsystem, auf dem die nachmetaphysische Metapher wie ein Fahrzeug zirkuliert, in das die Sprechenden »immer schon ›eingestiegen‹« sind. Im Folgenden möchte ich versuchen, etwas genauer zu beschreiben, wie man sich diese »Strecken, mit Ampeln, Einbahnstraßen, Kreuzungen oder Scheidewegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorschriften« vorzustellen hat. Ich 248 Vgl. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hg. v. Charles Bal2 ly/Albert Sechehaye, übers. v. Herman Lommel, Berlin 1967, S. 78. 249 Zur metonymischen Struktur der Metapher vgl. Anselm Haverkamp, »Einleitung in die ›Theorie der Metapher‹«, in: ders., Theorie der Metapher, a.a.O., S. 1-27: 13 f. Etwas anders beschreiben das Verhältnis Christoph Menke, »›Unglückliches Bewußtsein‹. Literatur und Kritik bei Paul de Man«, in: Paul de Man, Die Ideologie des Ästhetischen, a.a.O., S. 280 f. und Bettine Menke, »Dekonstruktion. Lesen, Schrift, Figur, Performanz«, in: Pechlivanos et. al. (Hg.), Einführung in die Literaturwissenschaft, a.a.O., S. 128 f.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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schlage vor, vier Ebenen in der Struktur dieses latenten sprachlichen und diskursiven Strecken-Netzes zu unterscheiden. Diese vier Ebenen sind: (1) die Ebene der Sprache; (2) die Ebene der »Bildfelder«, unter welchem Titel Harald Weinrich das Phänomen der geschichtlichen Dominanz bestimmter Metaphern untersucht hat; (3) die Ebene einer sehr alten, grund-legenden Schicht von »›Gründer‹-Tropen« (Derrida 1988, 218) und schließlich (4) die der Begriffe. Jede der vier Ebenen bildet in sich einen strukturellen Zusammenhang. Historische Perioden lassen sich vielleicht aufgrund einer historisch je besonderen strukturellen und inhaltlichen Beschaffenheit der Ebenen und einer je besonderen Überschneidung und Durchdringung der Elemente der Ebenen untereinander abgrenzen.250 Die grundlegende Ebene ist die der Sprache (1). Aus metapherntheoretischer Perspektive hebt Derrida einen doppelten Grundzug an der Sprache hervor: Aus dem arbiträren Charakter des sprachlichen Zeichens folgt, daß es keine ›eigentlichen‹ – im Sinne von ›ontologisch angemessenen‹ – Bezeichnungen geben kann. Die Konsequenz ist einerseits eine »abgründige Verallgemeinerung des Metaphorischen« (Derrida 1998, 219): Die Sprache als Ganze ist ›metaphorisch‹.251 Wenn es allerdings keine Eigentlichkeit mehr gibt, weil alles ›metaphorisch‹ ist, dann wird andererseits der Metaphernbegriff selbst problematisch, da er nur aus dem Unterschied zu einem wörtlichen Sprachgebrauch verständlich ist. Es kommt somit einerseits zu einer ubiquitären Ausbreitung des Metaphorischen: »Was geschieht mit der Metapher? Nun ja, alles, es gibt nichts, was nicht mit der Metapher geschieht und durch die Metapher geschähe. Jede Aussage, gleichgültig über welches Thema – auch jede Aussage über die Metapher selbst –, wird sich ohne Metaphern nicht bilden lassen [...]«. Andererseits entzieht sich dadurch der Begriff der Metapher selbst: »Vielleicht zieht sich die Metapher zurück, in ihren Entzug [...] sie zieht sich zurück von der Szene der Welt, sie entzieht sich im Moment ihrer übermäßigen Ausbreitung, im Augenblick, in dem sie jede Grenze überschreitet. Ihr Entzug hätte somit die paradoxale Form einer unbotmäßigen und überbordenden Insistenz« (Derrida 1998, 199-200). Diese

250 Für eine solche sprachlich-diskursive Struktur drängt sich natürlich der Name »diskursive Formation« auf – woraus deutlich wird, daß die folgenden Überlegungen zu Derridas Metaphorologie als Archäologie eine gewisse Nähe zu Foucaults Projekt haben – vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens, übers. v. Ulrich Köppen, Frankfurt/Main 1981. 251 Man könnte gegen diese Argumentation einwenden, daß viele Sprachphilosophien bei der Bestimmung der Metapher keine ontologische Eigentlichkeit als normativen Horizont voraussetzen, von dem sich die uneigentliche Sprachform der Metapher unterscheidet, sondern lediglich die Eigentlichkeit eines ›normalen‹ Sprachgebrauchs (usus). Es ist Derridas These, daß zumindestens im Hintergrund des wirkungsmächtigen Aristotelischen Metaphernbegriffs eine Idee ontologischer Eigentlichkeit steht (Derrida 1988, 223-248): Für Aristoteles sind die sprachlichen Bezeichnungen zwar konventionell, dennoch bilden sie ontologische Verhältnisse ab. Weitgehend unstrittig – und höchstens terminologisch gewöhnungsbedürftig – dürfte dagegen Derridas Schlußfolgerung sein, daß, insofern die Sprache keine im ontologischen Sinne ›eigentlichen‹ Ausdrücke enthält, sie als Ganze ›metaphorisch‹ – weil arbiträr – ist. Allerdings gewinnt er dieser These im Rahmen des nun zu entwickelnden Projektes einer Metaphorologie zweiten Grades wichtige systematische Pointen ab.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Gleichzeitigkeit von Entzug und Insistenz des traditionellen Begriffs der Metapher charakterisiert die moderne Sprache und die Situation der Metapher in ihr. Derrida erläutert diesen in sich gedoppelten Grundzug der Sprache von Entzug und Insistenz der Metapher an einem sprachphilosophischen Text des späten Heidegger.252 Dort wird die »Einheit des Sprachwesens« als »Aufriß« bestimmt. »Der Auf-Riß ist das Ganze der Züge derjenigen Zeichnung, die das Aufgeschlossene, Freie der Sprache durchfügt. Der Aufriß ist die Zeichnung des Sprachwesens, das Gefüge eines Zeigens [...]« (Heidegger 1993, 252). Die Sprache ist ein holistisches System von »Zügen« oder »Rissen«. Durch die Züge des Aufrisses werden die Zeichen in Beziehung gesetzt, und aus diesem In-Beziehung-setzen heraus »zeigt« die Sprache. »Das Wesende der Sprache ist die Sage als Zeige. Deren Zeigen gründet nicht in irgendwelchen Zeichen, sondern alle Zeichen entstammen einem Zeigen, in dessen Bereich und für dessen Absichten sie Zeichen sind« (Heidegger 1985, 254). Derrida liest Heideggers Beschreibungen als Ausdruck eines differentiellen Zeichenverständnisses, »da er (Heidegger, D.M.) den Zug oder das differentielle Ziehen (traction differentielle) als Möglichkeit der Sprache, des Logos und der Lexis im allgemeinen nennt« (Derrida 1998, 226). Die Wirkung der differentiellen Züge des Aufrisses bestimmt Derrida näher, indem er Heideggers Ausdruck »Nachbarschaft von Dichten und Denken« untersucht – dabei interessiert ihn sowohl die sprachliche Beziehung von Dichten und Denken als auch die ›metaphorisch‹ anmutende Rede von »Nachbarschaft«.253 »Dichten« und »Denken« erweisen sich durch ein Spiel sprachlicher Züge konstituiert: »Der Zug, der Nähe stiftet, der nähernde Zug, der eigentliche Zug, der Dichten [...] und Denken in ihrer nachbarlichen Nähe aufeinander bezieht, der sie teilt und den beide teilen, dieser gemeinsame differentielle Zug, der sie gegenseitig anzieht und dabei zugleich ihre irreduktible Differenz anzeigt, dieser Zug ist der Riß« (Derrida 1998, 227). Dichten und Denken sowie ihr Verhältnis zueinander sind in der Sprache bestimmt durch den differentiellen Zug, durch den sie gebildet werden, indem er sie »aufeinander bezieht« und aus der gegenseitigen Abgrenzung ihre Grenzen umreißt. »Er (der Riß, D.M.) reißt auf und ermöglicht, daß sich Dichten und Denken aufeinander beziehen. Zueinander in die Nähe ziehen beide nicht von einem anderen Ort aus, wo sie schon sie selbst sind und von dem aus sie sich dann anziehen lassen« (Derrida 1998, 228). »Dichten« und »Denken« sind in der Sprache nicht die Bezeichnungen zweier selbstidentischer Gegenstände, sondern sie sind als Zeichen Teil des sprachlichen Systems, dessen Elemente nach Saussure »Werte« sind, die durch ihre differentiellen Beziehungen zu den sie umgebenden Werten des Sprachsystems bestimmt, ›umrissen‹ sind.254 252 Martin Heidegger, »Der Weg zur Sprache«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, Stuttgart 1993, S. 239-268. 253 Vgl. Martin Heidegger, »Das Wesen der Sprache«, in: ders., Unterwegs zur Sprache, a.a.O., S. 157-216: 173 f. und 186 f. 254 Vgl. Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, a.a.O., Kap. IV: »Der sprachliche Wert«, S. 132 f: »Da die Sprache ein System ist, dessen Glieder sich alle gegenseitig bedingen und

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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Es läßt sich unschwer erkennen, daß Derrida in der Auseinandersetzung mit Heidegger Grundthesen seiner eigenen Sprachphilosophie entwickelt. An dem für Derridas Zeichentheorie zentralen, vielschichtigen Begriff der »différance« möchte ich zwei Aspekte hervorheben, die über Saussures strukturale Analysen hinausweisen:255 Derrida greift einerseits Saussures Grundthese, »daß es in der Sprache nur Verschiedenheiten (différences) gibt« (Saussure 1967, 143) auf. Jedes Wort und »jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist« (Derrida 1988, 37). Andererseits geht Derrida über Saussure hinaus, indem er in dem »Spiel«, durch das die Differenzen aufeinander verweisen, ihren ›Ursprung‹ ausmacht: »Was sich différance schreibt, wäre also jene Spielbewegung, welche diese Differenzen [...] durch das ›produziert‹, was nicht einfach Tätigkeit ist. Die différance, die diese Differenzen hervorbringt, geht ihnen nicht etwa in einer einfachen und an sich unmodifizierten, in-differenten Gegenwart voraus. Die différance ist der nicht-volle, nicht einfache Ursprung der Differenzen. Folglich kommt ihm der Name ›Ursprung‹ nicht mehr zu« (Derrida 1988, 37). Die Differenzen der sprachlichen Werte können nur durch die »Spielbewegung« der différance zum Tragen kommen, die diese Werte in ihrer Verschiedenheit aufeinander bezieht und als solche gegeneinander abgrenzt. »Somit erweist sich die différance als die Formation der (sprachlichen, D.M.) Form« (Derrida 1983, 110). Derrida geht schließlich auch durch die Entwicklung der spezifisch zeitlichen Dimension der différance als »Temporisation« (Derrida 1988, 33) über Saussure hinaus. Dieser hatte in seinen strukturalen Beschreibungen auf eine strikte Trennung von synchroner, statischer und diachroner, zeitlicher Analysen bestanden (Saussure 1967, 93 f.). Derrida bricht diese Trennung auf und beschreibt durch die différance auch die zeitliche Struktur sprachlicher Differenzen: »Die différance bewirkt, daß die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist, wenn jedes sogenannte ›gegenwärtige‹ Element, das auf der Szene der Anwesenheit erscheint, sich auf etwas anderes als sich selbst bezieht, während es das Merkmal des vergangenen Elements an sich behält und sich bereits durch das Merkmal seiner Beziehung zu einem künftigen Element aushöhlen läßt, wobei die Spur sich weniger auf die sogenannte Gegenwart bezieht, als auf die sogenannte Vergangenheit, und durch eben diese Beziehung zu dem, was es nicht ist, die sogenannte Gegenwart konstituiert [...]« (Derrida 1988, 39). Jeder sprachliche Wert erweist sich in seinem Erscheinen als konstituiert durch die komplexe Spielbewegung der différance, als »nicht-einfache [...] nicht-originäre Synthese von Merkmalen, von Spuren von Retention und Protention« (Derrida 1988, 39). Indem Derrida die Spielbewegung der différance als komplexes Ineinanderblenden synchroner und diachroner in dem Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des anderen sich ergeben« (Saussure 1967, 136, kursiv von mir, D.M.). 255 Jacques Derrida, »Die différance«, in: ders. Randgänge, a.a.O., S. 29-52. Vgl. auch Derrida, Grammatologie, übers. v. Hans-Jörg Rheinberger u. Hanns Zischler, Frankfurt/Main 1983, v.a. Erster Teil, S. 9-170.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

differentieller Beziehungen inszeniert, verabschiedet er sich von Saussures Idee der Sprache als jeweils geschlossener synchroner »Ordnung« (Saussure 1967, 110). Die Folge ist, daß die Identität der Zeichen unbestimmter wird. Die differentielle offene ›Struktur‹ der Sprache bildet ein systematisches – jeder sprachliche Wert ist gebildet durch seine Beziehung zu anderen –, kulturelles Geflecht, in dem die Beschaffenheit der Beziehung der Gegenstände zueinander erschlossen ist. Die Quasi-Metapher der »Nachbarschaft« bringt die latenten Verflechtungen der Sprache, auf denen nach Derrida die Metapher gleitet, ›selbst‹ zur Sprache. In ihr wird die Spielbewegung der différance in ihrem Effekt benannt: Annäherung. Derrida verfolgt mit der différance offensichtlich »eine Art transzendentales Projekt« (Gasché 1998, 259), das in Abgrenzung zur traditionellen Transzendentalphilosophie auch »ultra-transzendental«256 oder »quasi-transzendental« (Gasché 1998, 238) genannt wurde. Die différance wird einerseits als »Ursprung« und »Bedingung der Möglichkeit des Funktionierens jedes Zeichens« (Derrida 1988, 31) und von »Begrifflichkeit« (Derrida 1988, 37) dargestellt: Jedes Sprechen beruht auf dem Spiel der Differenzen und Spuren. Andererseits entzieht sich die différance als ›Phänomen‹: Die ungewöhnliche Schreibweise mit dem im gesprochenen Französisch unhörbaren »a« weist auf das gleichfalls lautlose Geschehen hin: »Das Spiel (der Differenzen und Spuren, D.M.) ist stumm« (Derrida 1988, 31). Die différance, die die »Gegenwärtigung des gegenwärtigen Seienden ermöglicht«, gehört weder zur Ordnung der Sinnlichkeit noch der Intelligibilität, ist »kein gegenwärtiges Seiendes« (Derrida 1998, 31-32): »Die différance ist nicht« (Derrida 1988, 47). Die zweite Ebene des syntaktischen Gefüges, in dem die Metapher zirkuliert, sind (2) die »Bildfelder«. Die Theorie der Bildfelder hat Harald Weinrich, ausgehend von der Beobachtung der »außerordentlich weitgehenden Übereinstimmung im Metapherngebrauch bei den Angehörigen eines Kulturkreises, zumal einer Epoche«, entwickelt, die »schwerlich auf Zufall beruhen« könne.257 Will man das Zustandekommen dieser »überindividuellen Bilderwelt« (Weinrich 1976, 277) verstehen, so bedarf es nach Weinrich einer »Methodologie der Metaphernlehre«, die in Anlehnung an Saussures Sprachwissenschaft aufhört, die Metapher als isoliertes irreguläres Sprachereignis zu verstehen. »Sie (die Metapher, D.M.) steht jedoch nicht nur – diachronisch – in einem linearen Traditionsstrang, sondern auch – synchronisch – in sprachinternen Zusammenhängen mit anderen Metaphern, die deskriptiv-systematisch dargestellt werden können« (Weinrich 1976, 279). Genau darum geht es in der Theorie der Bildfelder. In jeder Metapher werden »zwei sprachliche Sinnbezirke durch einen sprachlichen Akt gekoppelt und analog gesetzt« (Weinrich 1976, 283). Weinrichs mit ei256 Vgl. Christoph Menke, Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida, Frankfurt/Main 1991, S. 228 und Thomas Khurana, Sinn und Gedächtnis. Die Zeitlichkeit des Sinns und die Figuren ihrer Reflexion, München 2007, S. 59. 257 Harald Weinrich, »Münze und Wort. Untersuchungen zu einem Bildfeld«, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276-90: 278.

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ner beeindruckenden Menge von Belegstellen aus allen westeuropäischen Sprachen und der gesamten abendländischen Tradition angeführte Beispiele sind Metaphern aus dem Bereich des Münzwesens, die beim Sprechen über Sprache verwendet werden: Wortschatz (thesaurus), ein Wort prägen, Reichtum der Sprache (Weinrich 1976, 278 f.). Seine zentrale These ist nun, daß diese »Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke« (Weinrich 1976, 283) nicht die Leistung der einzelnen Metapher ist, sondern daß die Koppelung schon vorliegt und die einzelne Metapher nur eine Stelle in einem Feld, einer Struktur einnimmt, die ihr vorausliegt und die die einzelne Metapher geradezu erst ermöglicht. Die Struktur, die die Koppelung leistet, nennt Weinrich »Bildfeld«. Bildfelder sind also die durch die »metaphorische Tradition« (Weinrich 1976, 278) vor-geleistete Koppelung zweier Sinnbereiche.258 Innerhalb der Koppelung durch das Bildfeld läßt sich zwischen dem »bildspendenden« und dem »bildempfangenden Feld« unterscheiden. In Weinrichs Beispiel der Verwendung von Begriffen und Vorstellungen aus dem Bereich des Münzwesens zur Beschreibung der Sprache stellt das Münzwesen das »bildspendende«, die Sprache das »bildempfangende Feld« dar (Weinrich 1976, 284). Weinrich verwendet den Begriff des Bildfeldes in Analogie zu »Wortfeld« und »Bedeutungsfeld«. Bildfeld ist ein zentraler Begriff einer »synchronischen Metaphorik« (Weinrich 1976, 282), die die Vernetztheit auch so irregulärer Sprachereignisse wie der Metapher in einer übergreifenden, sie ermöglichenden Struktur herausarbeitet. Denn die »Metapher ist nicht isoliert. Sie steht seit ihrer Geburt in einem festgefügten Bildfeld« (Weinrich 1976). Zwar sei die »beliebige, isolierte«, das heißt keinem Bildfeld zugehörige Metapher »allzeit möglich. Aber sie ist seltener, als man denkt, und – was wichtiger ist – sie hat gewöhnlich keinen Erfolg bei einer Sprachgemeinschaft« (Weinrich 1976, 286). Was Weinrich mit der Metapher der »Koppelung« der Bildfelder beschreibt, sind die latenten Beziehungen oder Bahnungen, die zwei thematische Bereiche in der Sprache so aufeinander beziehen, daß für die Erläuterung eines Bereiches Worte aus dem anderen nahe gelegt werden. In der Metapher werden diese latenten Bahnungen, auf denen die Metapher sich bewegt, manifest. Allerdings scheint mit den Bildfeldern ein syntaktisches Geflecht sichtbar zu werden, das nicht nur in der Sprachstruktur einer Nationalsprache angelegt ist, sondern in den Bereich kultureller Vorverständnisse reicht. Denn Bildfelder sind nicht »exklusiver Besitz der Einzelsprachen« (Weinrich 1976, 287), vielmehr stimmen sie in den Sprachen des abendländischen »Kulturkreises« weitgehend überein: »Die konkreten Bildfelder sind wohl kaum jemals Allgemeinbesitz der Menschheit, aber auch nicht exklusiver Besitz der Einzelsprachen (Muttersprachen). Sie gehören zum sprachlichen Weltbild eines Kulturkreises [...] Es gibt eine Harmonie der Bildfelder zwischen den einzelnen abendländischen Sprachen. Das Abendland ist eine Bildfeldgemeinschaft« (Weinrich 1976, 287). 258 Einige dieser traditional abgesicherten Bildfelder seien angeführt: Tier-Reich, Verstandes-Licht, Dichter-Schöpfer, Text-Gewebe, Lebens-Reise (Weinrich 1976, 285).

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Auf die dritte Ebene des Systems von Beziehungen, innerhalb dessen die Metapher zirkuliert, stößt man, indem man danach fragt, wie Bildfelder in der Sprache entstehen: (3) die ›Gründer‹-Tropen. Bildfelder entwickeln sich offensichtlich innerhalb der Geschichte einer Sprache, eines Kulturkreises. Dabei folgen sie, wie es scheint, einer ausgesprochen konservativen Entwicklungslogik: Nicht nur sind »isolierte«, keinem Bildfeld zugehörige Metaphern selten, sie haben vor allem »gewöhnlich keinen Erfolg bei der Sprachgemeinschaft» (Weinrich 1976, 286). Die ›neue Metapher‹ muß entweder eine noch unbesetzte Stelle im Stellengefüge eines bestehenden Bildfeldes einnehmen oder in irgendeiner anderen Weise an ein bestehendes Bildfeld anschließen. Dieser Konservatismus der metaphorischen Tradition macht es sinnvoll, bei der Frage nach der Entstehung von Bildfeldern in der philosophischen Sprache einen Blick zurück auf die Anfänge philosophischer Begriffsbildung zu werfen, da man von ihnen eine Prägewirkung erwarten kann. Derrida hat auf die Verschlingung und Ununterscheidbarkeit von Begriff und Tropus am Beginn der philosophischen Begriffsbildung hingewiesen: Die »›Gründer‹-Begriffe (concepts ›fondateurs‹) (theoria, eidos, logos usw.)« der philosophischen Sprache sind von einer Reihe »›archaischer‹ Tropen [...] als ›natürlicher‹ Sprache bestimmt worden« (Derrida 1988, 218). Die Philosophie hat für ihr Unternehmen Worte aus dem Schatz der natürlichen Sprache geschöpft, aber weil es dieses philosophische Unternehmen damals noch gar nicht gab, ist die tropische Produktivität dieser Worte in unabsehbarer und unkontrollierbarer Weise darin eingegangen. »Es sind die Werte ›Begriff‹, ›Gründung‹, ›Theorie‹, die metaphorisch sind und jeder Meta-Metaphorik standhalten« (Derrida 1988, 218). Derrida hat dieses anfängliche Szenario in einer – wie könnte es anders sein – ihrerseits zutiefst metaphorischen Erzählung nachgestellt: Jeder dieser »›Gründer‹Begriffe« »ist aus einem Netz von Philosophemen hervorgegangen, die ihrerseits Tropen oder Figuren entsprechen und die diesen gleichzeitig oder in systematischer Weise innerlich verbunden sind. Diese Schicht von ›Gründer‹-Tropen (tropes ›instituteurs‹), dieser Belag von ›ersten‹ Philosophemen (angenommen, die Anführungszeichen sind hier eine ausreichende Vorsichtsmaßnahme) kann nicht beherrscht werden. Sie läßt sich nicht durch sich selbst, durch das, was sie selbst hervorgebracht hat, beherrschen, sie läßt auf ihrem Boden austreiben, getragen von ihrem eigenen Fundament« (Derrida 1988, 214). Die anfänglichen ›Gründer‹-Begriffe der Philosophie sind weder Tropus noch Begriff – Derrida spricht von »Philosophemen« –, weil sie verwendet wurden, bevor die Philosophie überhaupt zwischen Begriff und Tropus unterschieden hat, ja, die Unter-scheidung nicht zuletzt in einer von ihnen ermöglichten philosophischen Sprache geleistet und begründet wurde. Es ist kein Zufall, daß Derrida von diesen anfänglichen Worten der Philosophie mal als »›Gründer‹-Begriffe« (concepts fondateurs) und mal als »›Gründer‹-Tropen« (tropes instituteurs) spricht: Sie sind beides und keines von beidem.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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Derridas pointierte These – »Die Metapher ist weniger im philosophischen Text – und im rhetorischen Text, der darauf abgestimmt ist – vorhanden als jener in der Metapher« (Derrida 1988, 248) – muß vor diesem Hintergrund gelesen werden. Derrida verfolgt nicht das Projekt Nietzsches, die Philosophie in der Metapher zu fundieren.259 Vielmehr zielt seine Argumentation auf einen Bereich, der der Unterscheidung von Begriff und Metapher vorausliegt und den Gasché unter der Bezeichnung »Quasi-Metaphorizität« diskutiert. Die quasi-metaphorische »Schicht der ›Gründer‹-Tropen« bildet einen strukturellen Zusammenhang, denn es handelt sich um eine »Pluralität definierender Tropen [...] Die irreduzible Metaphorizität der ›Gründer‹-Tropen [...] gehört wesentlich zur Ordnung der Syntax« (Gasché 1998, 263). »Die irreduzible Metaphorizität der ›Gründer‹-Tropen der Philosophie muß als eine Struktur der Instituierung, Gründung, Definition beschrieben werden, die qua Struktur und kraft ihres Plurals und der Resistenz ihrer Syntax sich selbst als Ursprung auslöscht« (Gasché 1998, 264). Derrida hat an diesem Szenario zwei Züge hervorgehoben: die Arbitrarität und die Unkontrollierbarkeit der Struktur der ›Gründer‹-Tropen. Gerade an dieser quasi-metaphorischen Grundschicht wird deutlich, daß »die philosophische Sprache ein System von Katachresen, ein Schatz ›erzwungener Metaphern‹« (Derrida 1988, 248) ist. Es gibt – außer historischen – keine besonderen Gründe, warum ein bestimmter Satz ›Gründer‹-Begriffe oder -Tropen ›gewählt‹ wurde.260 So entspringt es nur einer historischen Logik, daß im quasi-metaphorischen Netzwerk, das für die Bildfeld-Tradition der abendländischen Philosophie prägend geworden ist, visuelle Metaphern eine so zentrale Rolle spielen. Martin Jay hat von einem fundamentalen »ocularcentrism« der philosophischen Tradition gesprochen.261 Besonders das Denken und Erkennen wird im Abendland in einer Metaphorik des Sehens und der Sichtbarkeit beschrieben. Denken ist wie Sehen: theorein.262 Die Setzungsmacht der quasi-metaphorischen Tiefenschicht ist dabei 259 Friedrich Nietzsche, »Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne«, in: ders., Kritische Studienausgabe, ed. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Bd. 1, München 1999a, S. 873-890. 260 Es dürfte klar sein, daß diese Gründer-Begriffe/Tropen keinen absoluten Anfang darstellen, sondern ihrerseits dem Sprachsystem der griechischen Sprache mit seiner Geschichte und seinen dominanten Bildfeldern entstammen. Ein Anfang oder Grund sind sie nur für die Geschichte der abendländischen Philosophie. 261 Martin Jay, »The rise of hermeneutics and the crisis of ocularcentrism«, in: ders., Force Fields. Between intellectual history and cultural critique, New York/London 1993, S. 99-113. 262 Ein wirkungsgeschichtlich einflußreiches Beispiel für diesen »ocularcentrism« ist Platons »Höhlengleichnis«, in dem Erkenntnis- und Lebensprobleme (paideia) innerhalb eines tropischen Szenarios beschrieben und diskutiert werden, das durch und durch visuell ist. Ganze philosophische Problemstellungen sind nur aus dem metaphorischen Horizont des ocularcentrism heraus verständlich, wie z.B. die erkenntnistheoretische Frage nach dem Ab-bild-charakter von Erkenntnis. Schon die Problemstellung rekurriert implizit auf die aus der Metaphorologie des ocularcentrism hervorgehende Unterstellung, daß Denken ein Sehen ist und dabei also Bilder entstehen. Auch die philosophische Begrifflichkeit ist von diesem ocularcentrism geprägt: Idee, Theorie, aletheia, Bild, Abbildung, Einsicht, Aufklärung, Horizont, Perspektive, Lichtung sind philosophische Begriffe, die in diesem Bildfeld wurzeln.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

absolut arbiträr und katachretisch. Die folgende Philosophiegeschichte erscheint als die Geschichte des Versuchs eines rationalen Umgangs mit den »gewaltsamen schöpferischen tropologischen Bewegungen« (Gasché 1998, 257) dieser quasimetaphorischen Grundstruktur. Genau mit dieser katachrestischen Arbitrarität der Setzungsmacht durch die quasi-metaphorische Grundstruktur hängt deren Unkontrollierbarkeit zusammen. Die Gegenstände und ihre Verhältnisse werden erst in dem und durch das arbiträre Beziehungssystem der Sprache zu dem, was sie für eine Kultur sind. ›Grund‹-legende Bahnungen in diesem Beziehungssystem werden durch die quasi-metaphorische Grundstruktur erst gespurt. Sie beherrschen zu können, würde bedeuten, daß es möglich wäre, aus diesem Beziehungssystem herauszutreten. Das ist ad hoc nicht möglich. Allerdings scheinen ungefähr seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Grenzen dieses das Abendland bestimmenden Beziehungssystems zunehmend sichtbar zu werden. Damit zusammenhängend finden sich Versuche, die von diesem System vor-geschriebene ›Logik‹ zu beschreiben und bewußt zu unterwandern, indem etwa andere Bildfelder oder Metaphern ins Spiel gebracht werden.263 Darin scheint mir eine der Leistungen des metaphorischen Stils des späten Heidegger zu bestehen: im Entwurf einer neuen quasimetaphorischen Tiefenstruktur für das abendländische Denken.264 Damit komme ich zur vierten Ebene, den Begriffen (4). Im Zentrum steht die Frage nach Derridas Fassung des Verhältnisses von Begriff und Metapher oder Trope allgemein. Um diese Frage zu klären, muß man mit Derrida durch die drei Stadien (a-c) der Geschichte dieses Verhältnisses gehen: (a) Die Grundbegrifflichkeit der metaphysischen Philosphie hat sich aus der Struktur quasimetaphorischer ›Gründer‹-Tropen entwickelt, die diese Philosophie der Alltagssprache entnommen hat und deren tropische Logik in unkontrollierter Weise in die Philosophie eingegangen ist und ihr Unternehmen geprägt hat. Auf diese

263 Ansätze, die sich bewußt in diesem oder einem vergleichbaren philosophiegeschichtlichen Szenario verorten, finden sich außer bei Heidegger und Derrida, beim späten Wittgenstein und ›frühen‹ Rorty. Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 115: »Ein Bild hielt uns gefangen...«, in: ders., Schriften 1, Frankfurt/Main 1969, S. 279-544: 343. Dazu die bestechende Studie von Hans Blumenberg, »Im Fliegenglas«, in: ders., Höhlenausgänge, Frankfurt/Main 1989, S. 752-792. Schließlich Richard Rorty, Der Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie, übers. v. Michael Gebauer, Frankfurt/Main 1981, S. 22: »Nicht Sätze, sondern Bilder, nicht Aussagen, sondern Metaphern dominieren den größten Teil unserer philosophischen Überzeugungen. Das Bild, das die traditionelle Philosophie gefangen hält, ist das Bild vom Bewußtsein als einem großen Spiegel [...] Ohne die Idee des Bewußtseins als Spiegel hätte sich eine Bestimmung von Erkenntnis als Genauigkeit der Darstellung (representation) nicht nahegelegt«. 264 Brigitte Hilmer scheint Heideggers Absichten ähnlich einzuschätzen, wenn sie auch bezüglich seines Erfolges skeptisch ist: »Heidegger war offenbar der Meinung, daß die Metaphysik durch neue derartige (sprachliche, D.M.) Gründungsakte in Bewegung gesetzt oder auch in etwas anderes verwandelt werden könne«, vgl. Brigitte Hilmer, »Metaphysik und Metapher«, in: Uwe Justus Wenzel (Hg.), Vom Ersten und Letzten. Positionen der Metaphysik in der Gegenwartsphilosophie, Frankfurt/Main 1999, S. 111-130: 128.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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Grundschicht ist die Unterscheidung Begriff-Tropus nicht anwendbar, weil diese Schicht dieser Unterscheidung – historisch und systematisch – vorausliegt. (b) In einer aporetischen Bewegung setzt die Philosophie, einerseits von der tropischen Bewegung dieser Grundschicht getragen, andererseits gegen ihre gewalttätigen katachrestischen Bewegungen gerichtet, die Struktur ihrer (metaphysischen) Begrifflichkeit. Damit wird erst ›in‹ der Philosophie und als Teil der Struktur ihrer Begrifflichkeit die Unter-scheidung gesetzt, die das Feld zwischen Begriff und Metapher aufteilt und beide aus der Unter-scheidung entstehen läßt. »Erinnern wir uns daran, daß sowohl die Metapher wie auch der Begriff philosophische Begriffe sind« (Gasché 1998, 256). Von der Rekonstruktion verschiedener historischer Formen der erkenntnisökonomischen Unter-scheidung von Metapher und Begriff, die ich im vorangegangenen Kapitel nachgezeichnet habe, geht Derrida im Zuge einer »aktiven Interpretation« (Derrida 1988, 224), die die Brüche und Dysfunktionalität innerhalb des »geregelten Austausches« (Gasché 1998, 253) dieser historischen Unterscheidungen aufweist, zu einer Neuvermessung des Feldes (c) über. Aus und gegen die traditionellen Theorien der Metapher entwickelt Derrida das archäologische Projekt einer Metaphorologie zweiten Grades. Dabei überschreitet er – ebenso wie Blumenberg mit seinem Projekt der Technisierungsgeschichte – den engeren Rahmen einer Metapherntheorie: Die Metaphorologie zweiten Grades interessiert sich weniger für manifeste Metaphern als vielmehr für die latenten archäologischen Bedingungen der Möglichkeit des historischen Erscheinens von Metaphern und Begriffen. Ziel des Projektes einer Metaphorologie zweiten Grades ist die kritische Rekonstruktion der Voraussetzungen historischen Begriffs- und Metapherngebrauchs. Der Sprecher einer Sprache, die durch eine bodenlose »Verallgemeinerung des Metaphorischen« (Derrida 1998, 219) geprägt ist, ist »immer schon ›eingestiegen‹, ›unterwegs‹ im Wagen, an Bord eines Fahrzeugs, das ihn umschließt, ihn mitnimmt, in dem Augenblick fortträgt, in dem er es zu bezeichnen, es zu lenken, zu führen und ›wie ein Steuermann sein Schiff‹ zu beherrschen glaubt« (Derrida 1998, 198). Jedes Sprechen – nicht zuletzt das über die Metapher – wird fortgerissen auf den latenten Bahnungen, die eine historische Sprache durchziehen. »Ich kann das Fahrzeug nicht mehr anhalten, das Schiff nicht mehr verankern, kann das Abdriften und Wegrutschen nicht mehr ganz meistern« (Derrida 1998, 199). Die Metaphorologie zweiten Grades versucht, die Möglichkeiten des Abdriftens historisch-kritisch zu ›vermessen‹. Derrida formuliert das Ziel der kritischen Rekonstruktion der sprachlichen Bahnungen, auf denen der Sprecher im Fahrzeug seines Sprechens treibt, noch bescheidener: Fester Grund oder Halt ist nicht zu gewinnen, auch die meta-sprachliche Beschreibung wird den rekonstruierten Voraussetzungen nicht entkommen, daher erscheint einzig denkbar, »das Schleudern und Wegrutschen zu verlangsamen« (Derrida 1998, 200). Einen anderen Umgang mit derselben Situation sieht Derrida in der modernen Literatur: »Alles, was man als die literarische Moderne bezeichnen könnte, zielt im Gegenteil darauf ab, die literarische Besonderheit hervorzuheben gegen

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

die Unterwerfung unters Poetische, das heißt unters Metaphorische, unter das, was Rousseau selbst als die spontane Sprache analysierte. Wenn es so etwas wie eine literarische Originalität gibt, was keineswegs gewiß ist, dann muß sie sich, wenn schon nicht von der Metapher [...] so zumindest von der wilden Spontaneität des bildlichen Ausdrucks emanzipieren, wie er in der nicht-literarischen Sprache auftaucht. Dieser moderne Protest kann siegreich verlaufen oder, wie bei Kafka, aller Illusionen beraubt, verzweifelt [...]« (Derrida 1983, 464). Ziel der kritischen Rekonstruktion ist es, von der Bewegung der Sprache nicht einfach fortgerissen zu werden. Der Literatur traut Derrida dagegen zu, einen »Protest«, eine eigene, gegenläufige Bewegung auslösen zu können.265 Mein eigenes Interessen an der Unterscheidung der vier Ebenen ist stärker historisch-deskriptiv. Die vier Ebenen stellen verräumlichte, unvollständige AnalysePerspektiven dar, die eine historische Sprachsituation beschreibbar machen sollen. Blumenberg benutzt den Begriff der »Sprachsituation«, um einen jeweils historisch distinkten Zustand der Sprache zu kennzeichnen.266 Derridas Beschreibungen von Sprache schwanken zwischen der These der »Unendlichkeit« der sprachlichen Möglichkeiten und einer Metaphorik der »textuellen Maschine«, die einem »Mechanismus« gleich »in Gang gesetzt« wird und – über den Kopf des Autors hinweg – eine Art vorgezeichnetes semantisches ›Programm‹ ausführt.267 Demgegenüber gehen an der Konzeption der Sprachsituation orientierte Überlegungen davon aus, daß die sprachlichen Möglichkeiten auf jeweils historisch charakteristische Weise verknappt sind. Die historisch-archäologische Struktur dieser sprachlichen Verknappung soll durch die vier Analyse-Ebenen systematisch faßbar gemacht werden. Auf jeder der vier Ebenen werden sprachlich-historische Formen und ihre Beziehungen analysiert. Darüberhinaus werden historisch charakteristische halb-stabile Beziehungen zwischen den Ebenen sichtbar. Der historische Zustand einer Sprache wird dann am Vorherrschen bestimmter Sprachformen, gebahnter syntagmatischer Verbindungen zwischen bestimmten Begriffen und Metaphern sowie der Dominanz bestimmter Bildfelder und prägender ›Gründer‹-Tropen greifbar. Die vier Ebenen bilden ein latentes historisches Gefüge sprachlicher Beziehungen, das sich in konkreten historischen Texten niederschlägt. Der einzelne Text 265 Derridas Einschätzung der Möglichkeiten der Literatur ist nicht zuletzt wegen ihrer Nähe und gleichzeitig pointierten Distanz zu Ricœur aufschlußreich. Ricœurs Idee der lebendigen Metapher ist eng mit Vorstellungen von Spontaneität verbunden: Das Neue taucht in ihr in unerwarteter, spontaner Lebendigkeit insbesondere in der Literatur auf. Für Derrida ist es demgegenüber gerade das bestimmende Merkmal zumindestens der modernen Literatur, daß sie sich der »wilden Spontaneität des bildlichen Ausdrucks« (Derrida 1983, 464) widersetzt. Moderne Literatur wäre dann nicht lebendiger Ausdruck noch ungesagter Erfahrungen, wie bei Ricœur, sondern die ›nicht-spontane‹, bewußte, ›dekonstruktive‹ Erkundung ungewöhnlicher Möglichkeiten, durch die Sprache zu driften. 266 Hans Blumenberg, »Sprachsituation und immanente Poetik«, in: Blumenberg, Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 120-135. 267 Jacques Derrida, »Dissemination«, in: ders., Dissemination, übers. v. Hans-Dieter Gondek, Wien 1995, S. 323-414: 328-329.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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erweist sich dann als Kristallisation, durch die die latenten sprachlichen Beziehungen aktualisiert, fort- oder umgeschrieben werden. Im Text manifestieren sich die latenten verknappten Beziehungsmöglichkeiten in einem konkreten Syntagma, in dem Elemente der Ebenen momenthaft in Beziehung gesetzt werden. Das archäologische Projekt einer Metaphorologie zweiten Grades untersucht dieses latente historische Gefüge sprachlicher Beziehungen als Bedingungen der Möglichkeit historischen Sprechens. Die latenten Beziehungsmöglichkeiten der vier Analyse-Ebenen bilden das ›Strecken-Netz‹ auf dem sich nicht zuletzt die nachmetaphysische Metapher bewegt.268 Aus der Perspektive einer Metaphorologie zweiten Grades sind historische Sprachformen, Begriffe und Metaphern als momenthafte Manifestationen der latenten Beziehungsmöglichkeiten und Kohärenzzwänge der historischen Sprachsituation zu verstehen, die die vier Ebenen analysierbar machen. Damit wird das Verhältnis der Ebenen zur manifesten gesprochenen und geschriebenen Sprache als sprachphilosophische Transformation der späten Seinsphilosophie Martin Heideggers lesbar. Transformation meint hier ein Geschehen der »Umbesetzung«: Eine systematische ›Stelle‹ wird durch eine neue Konzeption besetzt.269 In seiner Spätphilosophie beschreibt Heidegger ein hierarchisches und transzendentales Verhältnis der beiden Seinsbegriffe und entsprechend der Lichtungsmetaphern: Jede historische Erfahrung des Seins des Seienden beruht in einer Entbergung des Seins selbst bzw. jede historische Lichtung des Seins des Seienden im Geschehen der Lichtung. Das anonyme Geschehen der Lichtung des Seins selbst ist Bedingung der Möglichkeit der historischen Lichtungen des Seins des Seienden.270 In der sprachphilosophischen Transformation der Heidegger’schen Spätphilosophie tritt das Gefüge der Ebenen an die ›Stelle‹ – d.h. es übernimmt eine ähnliche Funktion – des Geschehens der Lichtung und das historische Sprechen an die Stelle der Lichtung des Seins des Seienden. Das transzendentale Verhältnis der beiden Seinsbegriffe kehrt, ins Sprachphilosophische gewendet, im Verhältnis der archäologischen Ebenen zum manifesten Sprechen wieder. Aus Heideggers Seinsgeschichte wird »Gesagtseinsgeschichte«.271

268 »metaphora fährt durch die Stadt, sie befördert uns als ihre Bewohner, auf verschiedenen Strekken, mit Ampeln, Einbahnstraßen, Kreuzungen oder Scheidewegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorschriften« (Derrida 1998, 197). 269 Vgl. zum Begriff der Umbesetzung Hans Blumenberg, Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausga2 be, Frankfurt/Main 1988, S. 540 f. – Blumenberg versucht, die epochalen Differenzen zwischen Mittelalter und Neuzeit als unterschiedliche Antwort-Besetzungen identischer FrageStellen verständlich zu machen. Zum theoretischen Untergrund von Blumenbergs Geschichtsverständnis vgl. Vf. »Technisierungsgeschichten. Zum Verhältnis von Begriffsgeschichte und Metaphorologie bei Hans Blumenberg«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 85-107: 100 f. 270 Vgl. meine Unterscheidung der zwei Lichtungskonzeptionen in Heideggers Spätphilosophie oben S. 144 f. 271 Zum Begriff der Gesagtseinsgeschichte vgl. Haverkamp, »Unbegrifflichkeit. Die Aufgabe der Seinsgeschichte (Blumenberg und Heidegger)«, in: ders., Latenzzeit, a.a.O., S. 78.

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III.3 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE I : JACQUES DERRIDA

Schon die unterschiedliche Bezeichnung zeigt, daß die sprachphilosophische Umbesetzung der seinsgeschichtlichen Verhältnisse – die sich auch als eine Übersetzung verstehen läßt – systematisch nicht folgenlos ist. Blumenberg hatte die eigentümliche Geschichtslosigkeit und Transzendenz der Heidegger’schen Seinsgeschichte kritisiert: Für »die Neuzeit als Episode der Seinsgeschichte – spezieller: der Seinsverlassenheit – hätte man die Stigmen der Herrschaft, der Dienstbarkeit der Theorie für die Technizität, der Selbstreproduktion des Menschen gerade nicht als ›Antwort‹ auf eine wie auch immer ihr hinterlassene Herausforderung, sondern als eine gnadenlose Verlegenheit um das seit den Vorsokratikern entzogene, verborgene ›Sein‹« (Blumenberg 1988, 220) aufzufassen. Das Heidegger’sche Sein selbst bricht danach – fremd wie ein deus ex machina – über die Geschichte herein und prägt sie. Diese Logik der Seinsgeschichte ändert sich durch ihre sprachphilosophische Transformation in eine diskursanalytische Archäologie: Das bedingende Gefüge der Ebenen verändert sich historisch durch das von ihm bedingte Sprechen. Zwischen den Ebenen und dem historischen Sprechen besteht kein hierarchisches Verhältnis wie zwischen den Seinsbegriffen, sondern eine Interdependenz: Die Ebenen prägen nicht nur das historische Sprechen, sondern die daraus entstehenden Sprachformen schreiben sich als Folgen wiederum in ihre Voraussetzungen ein, und diese werden damit zu gewandelten Voraussetzungen neuer Folgen. Auch Pirmin Stekeler-Weithofer hebt die Einsicht in die Sprache als Fort- und Umschreibungsgeschehen als wichtige Dimension der dekonstruktiven Sprachphilosophie hervor, als deren Zentrum er die »Kritik an jedem subjektiven Intentionalismus des Meinens und jedem Präsentismus des Verstehens« ausmacht, insofern sie die Sprachpraxis mißverstehen.272 »Sie (die Rede, D.M.) ist nicht unmittelbar sinnvoll, sondern nur als Aktualisierung einer sinngebenden Form durch Fortsetzung ihrer Spur [...] Wir dürfen daher die Einbettung in die entsprechende allgemeine Textur und die Fortsetzung einer gemeinsamen Praxis im einzelnen Tun nicht übersehen oder vergessen, auch wenn wir sie nicht überblikken können« (Stekeler-Weithofer 2002, 27). Derridas »Schriftprojekt« entwickelt kritisch diese »komplexen Sinnbestimmungen durch implizite Fortschreibung einer gemeinsamen Praxis« (Stekeler-Weithofer 2002, 22): »Wir schreiben Spuren und Linien fort, die in der Tradition gemeinsamen Handelns vorgezeichnet sind« (Stekeler-Weithofer 2002, 37). Das Fortschreiben von Spuren, das sich als Bewegungsgesetz der Gesagtseinsgeschichte verstehen läßt, folgt einer Logik der Verkettung. Allerdings dürfen die sich verkettenden Sprachhandlungen nicht als diskrete, in sich abgeschlossene Glieder – wie bei einer realen Kette – verstanden werden; vielmehr zeichnen die vorangegangenen Glieder Horizonte vor, in die die folgenden eintreten.273 Tho272 Pirmin Stekeler-Weithofer, »Zur Dekonstruktion gegenstandsfixierter Seinsgeschichte bei Heidegger und Derrida«, in: Andrea Kern/Christoph Menke (Hg.), Philosophie der Dekonstruktion, Frankfurt/Main 2002, S. 17-42: 26. 273 Zur Metaphorik der Kette vgl. Christian Strub, Art. »Band, Kette«, in: Ralf Konersmann (Hg.), 3 Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2011, S. 25-36.

III.3.2 METAPHOROLOGIE ZWEITEN GRADES

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mas Khurana hebt in seiner Beschreibung der Verkettungsstruktur diesen »antizipatorischen Charakter« sprachlicher Vollzüge hervor, indem er betont, »daß die sinnhafte Operation als Teil einer nichtbeliebigen Verkettung ihre Bestimmheit vor allem darin findet, daß sie das Feld möglicher Anschlüsse vorweg strukturiert« (Khurana 2007, 53). Die latenten Beziehungen und sprachlichen Formen, die durch die vier Ebenen beschrieben werden, sind ihrerseits als Sedimente vorangegangenen Sprechens entstanden, bevor sie nun selbst Möglichkeiten folgender sprachlicher Kristallisation vorzeichnen. »In diesem Iterationsprozeß kommt es zur laufenden Aus- und Umbildung von ›Strukturen‹, die sich in Kondensation und Konfirmation sinnhafter Vollzüge, Bildung reduktiver Identitäten und überschüssiger Verweisung niederschlagen« (Khurana 2007, 53). Mit dem Gefüge der vier Ebenen wird der sprachgeschichtliche Untergrund faßbar gemacht, auf dem die manifesten Verkettungen eigentlicher und metaphorischer Rede sich vollzieht. Dieser Untergrund ist gleichzeitig der Spielraum der nachmetaphysischen Metapher. Indem Derrida den engen Rahmen einer Theorie der Metapher auf eine Metaphorologie zweiten Grades überschreitet, wird sein archäologisches Projekt als Transformation der Seinsgeschichte Heideggers lesbar. Das Gefüge der Latenzen, das die archäologische Analyse freilegt, nimmt die Stelle und die Funktion ein, die das Entbergungsgeschehen in Heideggers Spätphilosophie inne hat.

III.4 Metaphorologie als Archäologie II: Hans Blumenberg III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

III.4.1 Blumenbergs Projekt: Technisierungsgeschichtsschreibung III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

Im Zentrum dieses Kapitels stehen die metaphorologischen Arbeiten Hans Blumenbergs.274 Obwohl das Kapitel intern weitgehend als eine Erläuterung seiner Überlegungen auftritt, ist es gleichzeitig ein Versuch, die Theorien der Metapher von Blumenberg und Derrida aufeinander zu zu lesen. Beide verbindet, daß sich ihre Metapherntheorien zu dem Projekt einer diskursanalytischen Archäologie ausfalten, das ich bei Blumenberg auf den Begriff der Technisierungsgeschichtsschreibung bringen möchte. Blumenberg konzipiert seine Metaphorologie als archäologische Untersuchung des »Untergrundes« (Blumenberg 1999, 13) von Begrifflichkeit: Die Metaphorologie stellt insofern ein Alternativprojekt zur Begriffsgeschichte dar, wie sie etwa zeitgleich in Joachim Ritters Historischem Wörterbuch der Philosophie entwickelt wurde.275 Ein Alternativprojekt ist die Metaphorologie weniger deshalb, weil sie sich angeblich vornehmlich mit Metaphern und die Begriffsgeschichte mit Begriffen beschäftigt, sondern weil sie die archäologische These vertritt, daß Begrifflichkeit auf einem metaphorischen Untergrund operiert. Blumenberg integriert begriffsgeschichtliche und metaphorologisch-archäologische Perspektiven, indem er sie systematisch aufeinander bezieht. Man könnte sein philosophisches Projekt als Technisierungsgeschichtsschreibung charakterisieren:276 Der komplexe 274 Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf: Hans Blumenberg, »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld philosophischer Begriffsbildung«, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 139-171, (Erstveröffentlichung 1957); ders., Paradigmen zu einer Metaphorologie, a.a.O., (Erstveröffentlichung 1960); ders., »Beobachtungen an Metaphern«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 15 (1971), S. 161-214; ders., »Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit«, in: ders., Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt/Main 1988a, S. 75-93 (Erste Auflage 1979), schließlich ders., Theorie der Unbegrifflichkeit. Aus dem Nachlaß herausgegeben v. Anselm Haverkamp, Frankfurt/Main 2007 (wahrscheinlich um 1975). 275 Blumenberg hat gleich zur Veröffentlichung des ersten Bandes des Historischen Wörterbuches das Verhältnis von Metaphorologie und Begriffsgeschichte zu umreißen versucht (Blumenberg 1971, 163). 276 Vgl. Vf., »Technisierungsgeschichten. Zum Verhältnis von Begriffsgeschichte und Metaphorologie bei Hans Blumenberg«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 85-107: 102 f. Zu Blumenbergs Auseinandersetzung mit Husserls Begriff der »Technisierung« aus der Krisis vgl. Hans Blumenberg, »Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomeno-

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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diskursanalytische, Metaphorologie und Begriffsgeschichte verbindende Zugriff zielt auf die Rekonstruktion der historisch-systematischen Genesis abendländischer Phänomene wie der Neuzeit oder des kopernikanischen Weltbildes. Blumenbergs und Derridas archäologische Metapherntheorien kommen nicht zuletzt darin überein, daß Blumenbergs absolute Metapher und Derridas ›Gründer‹-Tropen dasselbe Phänomen beschreiben, allerdings mit bemerkenswert unterschiedlicher Gewichtung: Während Blumenberg oft einzelne Metaphern untersucht, hebt Derrida immer wieder die Vernetztheit von Metaphern untereinander und in der Sprache hervor. Blumenberg hat sich demgegenüber stärker für die geschichtliche Dynamik der Metaphorik und die Logiken, nach denen eine Metapher historisch an die Stelle einer anderen tritt, und für die bei Derrida weitgehend ausgeblendete pragmatische Bedeutung von Metaphern interessiert. Positiver als Derrida beschreibt Blumenberg auch das Verhältnis von absoluter Metaphorik und Metaphysik. Da es inzwischen eine Diskussion innerhalb der Sekundärliteratur zur Entwicklung von Blumenbergs metaphorologischem Projekt vom frühen LichtAufsatz (1957) bis zur späten Theorie der Unbegrifflichkeit (1979) gibt, möchte ich nur kurz festhalten, daß ich im Folgenden die Metaphorologie als eine in sich differenzierte, von Entwicklungen und unterschiedlichen Gewichtungen durchzogene Einheit verstehe. Insbesondere sehe ich keinen grundlegenden Bruch zwischen den frühen metaphorologischen Texten und der späten Theorie der Unbegrifflichkeit mehr.277 logie«, in: ders., Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, S. 7-54. Der Aufsatz enthält zentrale Thesen aus Blumenbergs unveröffentlichter Habilitation, die den Titel trägt Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls, Ms., Kiel 1950. 277 Eine Differenz zwischen den frühen metaphorologischen Arbeiten und der späten Theorie der Unbegrifflichkeit behauptet haben insbesondere Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Hintergrund, Tübingen 2000, v.a. S. 253 f. und Anselm Haverkamp, »Metaphorologie zweiten Grades. Unbegrifflichkeit, Vorformen der Idee«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 237-255: 239 f. – Die These einer »Kehre« (Haverkamp 2009, 240) in Blumenbergs metaphorologischem Projekt kann sich auf Aussagen von Blumenberg selbst im Unbegrifflichkeits-Aufsatz stützen, die ich inzwischen für ein Selbstmißverständnis halte. Dort behauptet er, die »Metaphorologie« bedürfe der »Einfügung in den weiteren Horizont einer Theorie der Unbegrifflichkeit« (Blumenberg 1988a, 83). Dabei bleibt undeutlich, welche zusätzlichen Inhalte denn dieser »weitere Horizont« enthalten soll, schließlich hatte Blumenberg schon in den Paradigmen weitere Formen von Unbegrifflichkeit – wie Mythos und Symbol – untersucht. Ich kann nicht sehen, daß der Unbegrifflichkeits-Aufsatz hier – über die Ankündigung hinaus – Neues enthält. Das gilt auch für die scheinbar zentrale These des Aufsatzes: Auf der ersten Seite markiert Blumenberg die vermeintliche Differenz, indem er die prägnante Metapher einer Umkehrung der »Blickrichtung« verwendet: In der Theorie der absoluten Metapher sei es nur um die »Konstitution der Begrifflichkeit« gegangen, nun jedoch gelte es umgekehrt »die rückwärtigen Verbindungen zur Lebenswelt als dem ständigen – obwohl nicht ständig präsent zu haltenden – Motivierungsrückhalt aller Theorie« in den Blick zu nehmen (Blumenberg 1988a, 77). Es ist zwar richtig, daß an keiner systematisch relevanten Stelle in den Paradigmen der prägnante spätphänomenologische Begriff der Lebenswelt vorkommt, den Blumenberg erst ab 1971 im Zusammenhang metaphorologischer Diskussionen verwendet (Blumenberg 1971, 163 f.) – die

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

In seiner Auseinandersetzung mit der Begriffsgeschichte umreißt Blumenberg das Möglichkeitsfeld der Metapher: »Der Raum der Metapher ist der Raum der unmöglichen, der fehlgeschlagenen oder der noch nicht konsolidierten Begriffsbildung. Die Norm der Begrifflichkeit beruht auf vorgreifender Orientierung, die ihrerseits notwendig außerhalb des Normbereiches und seiner Systematik liegen müssen, die aber nicht dessen bloßes, sich im Prozeß selbst aufzehrendes genetisches Vorfeld bilden« (Blumenberg 1971, 171). In dieser programmatischen Äußerung weist er der Metapher eine Funktion sowohl in dem Feld vor als auch nach der Begrifflichkeit zu. Die Metapher findet man im »Vorfeld des Begriffs«: »Die Philosophie, die es immer wieder mit dem Unbegriffenen und Vorbegriffenen aufzunehmen hat, stößt dabei auch auf Artikulationsformen des Unbegreifens und Vorbegreifens« (Blumenberg 2001, 139). In dieser Bemerkung vermischen sich zwei Dimensionen der Metapher: Metaphern können einerseits z.B. in der Wissenschaft interimistisch im Prozeß einer »noch nicht konsolidierten Begriffsbildung« Verwendung finden, wo begriffliche Beschreibungen aufgrund mangelnden Wissens zunächst noch nicht möglich sind. Diese metaphorischen Aussagen oder Modelle sollen einmal durch begriffliche Beschreibungen ersetzt werden. Andererseits zeichnet sich hier aber auch ein für Blumenberg charakteristisches Interesse ab: Die Metapher erscheint bei ihm an manchen Stellen als das weniger erstarrte, sowohl für Neues als auch für die Artikulation lebensweltlicher Erfahrung »sensiblere« Medium; er spricht kontrastiv von der »starren Architektonik der (begrifflichen, D.M.) Systeme« (Blumenberg 2001, 139). Ein Vicoianischer und romantischer Zug grundiert diese Dimension von Blumenbergs Interesse an der Metapher. Seine Erwartungen an die metaphorische ›Sensibilität‹ der Metapher wirken auch angesichts der von Derrida herausgearbeiteten syntaktischen Tiefenstrukturen, auf denen Metaphern sich bewegen und Weinrichs Entdeckung der Bildfelder fast naiv. Allerdings ist damit eine wichtige, von Derrida abweichende Dimension von Blumenbergs metaphorologischem Projekt markiert. Ich komme darauf zurück. Aber auch, wo die Begriffsbildung »fehlschlägt« oder »unmöglich« ist, wo der Begriff nicht mehr hinreicht, springt die Metapher ein. Das ist vor allem – aber nicht nur – in der Metaphysik der Fall, wenn sich das Denken auf Gegenstände richtet, die zu groß für eine direkte begriffliche Erfassung sind. »Je mehr wir uns entsprechende Fragestellung aber durchaus: Im zweiten Kapitel der Paradigmen diskutiert Blumenberg die lebensweltliche Dimension unter dem Stichwort der »historischen« und »pragmatischen« Wahrheit absoluter Metaphern: »Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie (die absoluten Metaphern einer Epoche, D.M.) also die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten« (Blumenberg 1999, 25). Hier versteht Blumenberg die absoluten Metaphern als »Indizien« (Blumenberg 1999, 15) genau jenes lebensweltlichen »Motivierungsrückhaltes aller Theorie«, der vorgeblich erst mit der Theorie der Unbegrifflichkeit in den Blick kommt. Es mag sein, daß mit der prägnanten Fassung dieser Dimension durch den Lebenswelt-Begriff diese Fragestellung klarere Konturen erhält, neu ist sie nicht.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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von der kurzen Distanz der erfüllbaren Intentionalität entfernen und auf Totalhorizonte beziehen, die für unsere Erfahrung nicht mehr zu durchschreiten und abzugrenzen sind, um so impressiver wird die Verwendung von Metaphern« (Blumenberg 1988, 80, kursiv von mir, D.M.). Solche »Totalhorizonte« sind klassische Gegenstände der Metaphysik wie Gott, das Sein, die Welt (Blumenberg 1999, 23 f.; 77 f.), die Geschichte, das Leben, der Mensch, die Wahrheit (Blumenberg 1999, 14 f.). Damit ist das begriffsarchäologische Interesse Blumenbergs an der Metapher umrissen: In den beiden wichtigsten Fällen – sowohl bei der Erschließung der fundamentalen Züge der Gegenständlichkeit eines Gegenstandes (Sein des Seienden) wie auch, wenn sich das Denken auf das Ganze eines Gegenstandsbereiches (Seiende im Ganzen) bezieht – springt die Metapher ein und gibt eine Struktur vor, innerhalb derer die Begrifflichkeit ansetzt. Die Metapher setzt jene »vorgreifende Orientierung« (Blumenberg 1971, 171) für die Begrifflichkeit, von der Blumenberg im zweiten Satz des zu Beginn angeführten Zitates spricht. Insofern sich die begriffliche Ausarbeitung nur innerhalb des von der Metapher vorgezeichneten Entwurfes bewegt, wird die Metapher »zur Norm der Begrifflichkeit« (Blumenberg 1971, 171). Der metaphorische Entwurf wird zum konstitutiven Horizont des Begriffs, der, eben weil er die »Norm der Begrifflichkeit« bildet, »außerhalb des Normbereiches« (Blumenberg 1971, 171) liegt, jenes Bereiches, den die Begrifflichkeit dann ausarbeitet. An dem spezifischen Erkenntnisinteresse wird ablesbar, daß es Blumenberg – ebenso wie Derrida – nicht um eine allgemeine Theorie der Metapher geht. Die Tropen, die Gegenstand seiner Metaphorologie sind, nennt er »absolute Metaphern«. Schon die eigentümliche Charakterisierung dieser Metaphern als »absolut« – von lat. absolutus, was sich mit »losgelöst, unabhängig, in sich geschlossen« übersetzen läßt – legt nahe, daß es sich hierbei um keine Metaphern im traditionellen, aristotelischen Sinne handelt – ebenso wenig wie bei Derridas ›Gründer‹Tropen. Blumenberg beschreibt die absoluten Metaphern dann auch als »Grundbestände der philosophischen Sprache [...], ›Übertragungen‹, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen« (Blumenberg 1999, 10). Es sind nur ›Übertragungen‹ – Blumenberg zitiert den zentralen Begriff der Aristotelischen Metapherntheorie – in Anführungszeichen, da die in ihnen behauptete Ähnlichkeit angesichts der der theoretischen Erkenntnis unzugänglichen Totalhorizonte nicht verifizierbar ist. Es bleibt immer ein begrifflich uneinholbarer Rest, deshalb spricht Blumenberg davon, daß absolute Metaphern ein »Mehr an Aussageleistung« (Blumenberg 1999, 9) erbringen. Die Entdeckung solcher metaphorischer »Grundbestände« hat Konsequenzen für das Verständnis von Philosophie, die Blumenberg ganz ähnlich wie Derrida (Derrida 1988, 251) beschreibt: »Der Aufweis absoluter Metaphern müßte uns wohl überhaupt veranlassen, das Verhältnis von Phantasie und Logos neu zu durchdenken, und zwar in dem Sinne, den Bereich der Phantasie nicht nur als Substrat für Transformationen ins Begriffliche zu nehmen [...], sondern als eine katalysatorische Sphäre, an der sich zwar ständig die Begriffswelt bereichert, aber ohne diesen fundierenden Bestand

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

dabei umzuwandeln und aufzuzehren« (Blumenberg 1999, 11). Gegenstand der Metaphorologie sind diese unbegrifflichen Grundbestände des philosophischen Sprechens, die den Grund oder Horizont jeder begrifflichen Ausarbeitung bilden, der die Art dieser Ausarbeitung vorprägt. Blumenberg hat daher sein Unternehmen folgendermaßen charakterisiert: »Die Metaphorologie versucht an die Substrukturen des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisation« (Blumenberg 1999, 13). Die Metaphorologie ist eine Archäologie der Begrifflichkeit, insofern die absoluten Metaphern »die Nährlösungen der systematischen Kristallisation« enthalten.278 Die sich hier abzeichnende Nähe der Projekte Derridas und Blumenbergs ist bisher, soweit ich sehe, in der Forschung kaum gewürdigt worden, wie auch die Autoren selber voneinander scheinbar keine Notiz genommen haben.279 Eine systematische Nähe weisen, wie gesagt, die Konzeptionen der »›Gründer‹-Tropen« und der »absoluten Metapher« auf. Derrida entwickelt die Idee der ›Gründer‹Tropen im Rahmen einer historischen Perspektive: Es gab eine Zeit – etwa zu Beginn der griechischen Philosophie und davor –, zu der noch keine klare Unterscheidung zwischen Begriffen und Metaphern möglich war, weil die philosophische Sprache sich gerade erst entwickelte. In dieser Zeit gingen Ausdrücke, die Derrida wahlweise als ›Gründer‹-Tropen oder als ›Gründer‹-Begriffe bezeichnet und die keines von beidem waren, in die philosophische Sprache ein und prägten das sich entwickelnde Denken: »theoria, eidos, logos« (Derrida 1988, 218). Diese historische Perspektive ergänzt Blumenbergs Konzeption der »absoluten Metapher«, insofern durch sie deutlich wird, daß das Denken angesichts der keiner 278 Den Archäologie-Begriff haben im Zusammenhang mit Blumenbergs Projekt schon Felix Heidenreich, Mensch und Moderne, a.a.O., S. 84 und 97 f. und Anselm Haverkamp, Metapher, a.a.O, S. 156 verwendet – vgl. dazu oben Fn. 244. 279 Die, soweit ich sehe, früheste Würdigung bezieht sich eher auf die frühen ›Gesamtprojekte‹ Derridas (Grammatologie) und Blumenbergs (Metaphorologie) als auf das Verhältnis ihrer Metapherntheorien: Anselm Haverkamp, »Paradigma Metapher/Metapher Paradigma«, in: ders. (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., S. 268-286 (Erstveröffentlichung 1987). Haverkamp arbeitet den gemeinsamen Horizont der rhetorischen Topik in Derridas Grammatologie und Blumenbergs Paradigmen heraus. Die Grammatologie als »Umbesetzung« der Semiologie Saussures »setzt« topisch »die ›syntaktischen Stellen‹ des alten Paradigmas voraus« (Haverkamp 1998, 271). »Die in Derridas Projekt der Grammatologie postulierte ›Strategie‹«, die Umbesetzung nämlich, »ist Gegenstand von Blumenbergs Metaphorologie; sie reflektiert die rhetorische Vergangenheit des topischen Modells und macht im Vorhaben ›einer metaphorologischen Paradigmatik‹ die historische Dynamik thematisch« (Haverkamp 1998, 273), die Blumenberg als »›Metakinetik‹ der Umbesetzungsvorgänge« beschreibt (Haverkamp 1998, 278). Außerdem: Stoellger, Metapher und Lebenswelt, a.a.O., v.a. Kap. II.D. »Die Unmöglichkeit einer Metaphorologie. Derridas Kritik jeder Metaphorologie als Metaphysik«. Stoellger verkennt zumeist die Nähe von Derridas und Blumenbergs Ansätzen, weil es ihm oft nicht gelingt, in Derridas Beschreibungen auseinanderzuhalten, an welchen Stellen Derrida die traditionelle Konzeption der Metapher darstellt oder kritisiert und wo er sich absetzt und in eigener Sache argumentiert. So ist z.B. die »Abnutzung« (usure) sicher kein »Vorschlag Derridas«, wie Stoellger meint (Stoellger 2000, 218 f.). Vgl. schließlich: Anselm Haverkamp, »Die Technik der Rhetorik. Blumenbergs Projekt«, in: Blumenberg, Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 435-454: 446 f., Fußnote 10.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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theoretischen Erkenntnis zugänglichen Totalhorizonte – Wahrheit, Welt, Leben – grundsätzlich und zu jeder Zeit von neuem auf unbegriffliche Sprachformen zurückgreifen muß. Einig sind sich Derrida und Blumenberg über den Charakter der quasimetaphorischen ›Gründer‹-Tropen und der absoluten Metaphern: Es handelt sich um katachrestische Setzungen. Blumenberg hat den katachrestischen Charakter der absoluten Metaphern in ihrer Bezeichnung markiert. Die »absolute«, d.h. »unabhängige«, »in sich geschlossene« Metapher ist eine Katachrese, sie setzt die Ähnlichkeiten, die sie zu beschreiben behauptet. Diesen katachrestischen Setzungscharakter hat niemand so klar herausgearbeitet wie Paul de Man.280 »Die Metapher gibt sich selbst die Totalität, die sie zu definieren beansprucht, doch tatsächlich ist sie die Tautologie ihrer eigenen Setzung«.281 Die absoluten Metaphern treten als Bestimmungen auf, tatsächlich aber setzen sie diese ›Bestimmungen‹ erst. Aufgrund dieser verdeckten katachrestischen Setzungsleistung ist die absolute Metapher tatsächlich die tautologische Bestätigung ihrer eigenen Behauptung. »Der empirischen Situation, die offen und hypothetisch ist, wird eine Konsistenz verliehen, die nur in einem Text existieren kann. Dies wird durch eine Metapher bewerkstelligt [...], eine substitutive Redefigur [...], die eine zwischen Fiktion und Tatsache in der Schwebe befindliche referentielle Situation in eine wörtliche Tatsache verwandelt«.282 Die absoluten Metaphern, die für die Welt gefunden wurden, geben diesem offenen Erfahrungsraum eine Form (»Konsistenz«) und machen ihn damit überhaupt erst zugänglich.283 Im selben Moment wird die Welt aber auch zu dem, was de Man eine »wörtliche Tatsache« nennt. »Paradoxerweise verleiht diese rhetorische Figur dem Referenzobjekt eine wörtliche Bedeutung (literalizes) und beraubt es seines parafiguralen Charakters« (de Man 1993, 248), faßt de Man die Setzungsleistung der Metapher zusammen. Indem die absoluten Metaphern als Beschreibungen einer »empirischen Situation, die offen und hypothetisch ist«, auftreten, schreiben sie diese Situation fest, die zunächst vor jeder Bestimmung angesiedelt, daher »para-figural«, ist. Durch diese ›Bestimmung‹ wird aus einer parafiguralen Situation der Referent eines Zeichens, ein »literal fact«. Die »vorgreifende Orientierung« (Blumenberg 1971, 171), die die absoluten Metaphern für die Begrifflichkeit darstellen, ist die Setzung einer Ordnung für eine zuvor »offene und hypothetische« Situation oder einen parafi280 Dieser Setzungscharakter zeichnet nach de Man alle Metaphern aus. Hier interessiert mich de Mans These zunächst nur als plausible Beschreibung der Leistung absoluter Metaphern. 281 Paul de Man, »Epistemologie der Metapher«, in: Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, a.a.O., S. 414-437: 419 (»The Epistemology of Metaphor«, in: Critical Inquiry (1978) Vol. 5.1, Special Issue on Metaphor, S. 13-31: 17). 282 Paul de Man, »Metapher«, in: ders., Die Ideologie des Ästhetischen, a.a.O., S. 231-262: 248 (»Metaphor (Second Discourse)«, in: ders., Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust, New Haven and London 1979, S. 135-159: 151). 283 Vgl. Blumenbergs Diskussion von Beispiele für Welt-Metaphern in den Paradigmen (Blumenberg 1999, 25 f.).

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guralen Gegenstand, die diese als so gesetzte allererst konstituieren und die zur »Norm« (Blumenberg 1971, 171) ihrer begrifflichen Ausarbeitung wird. Blumenberg hat diesen Setzungscharakter absoluter Metaphern deutlich benannt: »Die Metaphorologie [...] will auch faßbar machen, mit welchem ›Mut‹ sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie er sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft « (Blumenberg 1999, 13, kursiv von mir, D.M.). In den absoluten Metaphern »entwirft« der Geist antizipierend – in »vorausgreifender Orientierung« (Blumenberg 1971, 171) – die Welt. Der katachrestische Entwurfs- oder Setzungscharakter absoluter Metaphern wird am deutlichsten in dem, was Blumenberg »Sprengmetaphorik« (Blumenberg 1999, 178) genannt hat, die ihn nämlich ausstellt. Die Sprengmetaphorik, die in der Tradition der »negativen Theologie der Spätantike und des Christentums« (Blumenberg 1999, 179) entwickelt wurde, ist eine absolute Metaphorik, die eine Metapher für Gott anbietet, die aber so beschaffen ist, daß sie ihre Unzulänglichkeit, genau das zu sein, ausstellt und sich damit wieder zurücknimmt. Die Sprengmetaphorik ist Ausdruck »der elementaren Verlegenheit jeder Theologie, über Gott unentwegt sprechen zu sollen, ohne über ihn etwas zu sagen sich zutrauen zu dürfen« (Blumenberg 1988, 84). Nikolaus von Cues hat die Vorstellung der coincidentia oppositorum für das Wesen Gottes entwickelt und sie durch die »Sprengmetapher des Kreises, dessen Radius unendlich wird, wobei die Peripherie eine unendlich kleine Krümmung erhält, so daß Bogenlinie und Gerade zusammenfallen« (Blumenberg 1988, 84), dargestellt. Das Besondere der Sprengmetaphorik liegt in der Erfahrung, die sie ermöglicht: Sie »zieht die Anschauung in einen Prozeß hinein, in dem sie zunächst zu folgen vermag (z.B. den Radius eines Kreises verdoppelt und immer weiter vergrößert zu denken), um aber an einem bestimmten Punkt (z.B. den größtmöglichen bzw. unendlichen Radius eines Kreises zu denken) aufgeben – und das wird verstanden als ›sich aufgeben‹ – zu müssen. Worauf es hier ankommt, ist, die Transzendenz als Grenze des theoretischen Vollzugs und eo ipso als Forderung heterogener Vollzugsmodi sozusagen ›erlebbar‹ zu machen« (Blumenberg 1999, 180). Was hier aus metaphorologischer Perspektive »sozusagen ›erlebbar‹« wird, ist der aporetische Setzungscharakter absoluter Metaphorik, die einen unerfahrbaren Totalhorizont oder parafiguralen Gegenstand durch ihren Entwurf erschließt und konstituiert. Insofern wird an der Sprengmetaphorik nur ein Grundzug aller absoluten Metaphorik sichtbar, daß ihre Setzungen »die Grenze des theoretischen Vollzugs« überschreiten, wobei allerdings der aporetische Charakter dieser Überschreitung zumeist verborgen bleibt. Neben ihrer strukturellen Notwendigkeit im Vorfeld der begrifflichen Erfassung kommt den absoluten Metaphern bei Blumenberg – und damit geht er einen wichtigen Schritt über Derrida hinaus – in bestimmten Fällen auch eine anthropologische Notwendigkeit zu.284 Dem Menschen drängen sich, ihrer theoreti284 In mehreren Arbeiten ist die Bedeutung der Anthropologie für Blumenbergs Denken – gerade auch für seine Kulturtheorie und die Metaphorologie – ausführlich dargestellt worden: Am de-

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schen Unzugänglichkeit zum Trotz, Fragen nach »Totalhorizonten« wie Gott, der Welt und dem Leben auf, meint Blumenberg. In dieser Perspektive sind absolute Metaphern aporetische Antworten auf unbeantwortbare, aber existenziell drängende Fragen. »Absolute Metaphern ›beantworten‹ jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden« (Blumenberg 1999, 23). Mit den Anführungszeichen um »beantworten« markiert Blumenberg abermals den prekären Status dieser Antworten auf unbeantwortbare Fragen, die nichts anderes als bodenlose Setzungen sind. »Denn dies ist doch die genaue Darstellung der Funktion ›absoluter Metaphern‹, die in die begreifend-begrifflich nicht erfüllbare Lücke und Leerstelle einspringen, um auf ihre Weise auszusagen« (Blumenberg 1999, 177, kursiv von mir, D.M.). Der Antrieb für dieses theoretisch aussichtslose Unternehmen, unbeantwortbare Fragen beantworten zu wollen, ist schiere anthropologische Notwendigkeit: »Was die Welt eigentlich sei – diese am wenigsten entscheidbare Frage ist doch zugleich die nie unentscheidbare und daher immer entschiedene Frage« (Blumenberg 1999, 26). Es ist instruktiv, kurz die Nähe der aporetischen Formulierung Blumenbergs von den unbeantwortbaren Fragen, die sich dem Menschen dennoch aufdrängen, zu den ähnlich klingende Aussage Kants zu untersuchen: »Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft«.285 Die Fragen, von denen Kant spricht, sind die der Metaphysik. Tatsächlich handelt es sich auch bei jenen Fragen, die wir, nach Blumenberg, »als im Daseinsgrund gestellte vorfinden« und die sich auf die »Totalhorizonte« beziehen und durch die absoluten Metaphern ›beantwortet‹ werden, um metaphysische Fragen, denen er – in einer sehr Heideggerschen Geste – große, ja unausweichliche Relevanz für die alltägliche Existenz des Menschen unterstellt. Obwohl Blumenberg das Wort ›Metaphysik‹ selten verwendet, wird deutlich, daß für ihn die absoluten Metaphern ausgezeichnete metaphysische Artikulationsmittel sind, durch die in der alltäglichen Praxis und im philosophischen und wissenschaftlichen Diskurs der notwendige und aporetische Bezug auf Totalhorizonte hergestellt wird.286 Blumenberg hat die menschliche Situation allgemein als durch die aporetische Konstellation von »Evidenzmangel« und »Handlungszwang« gekennzeichnet betailliertesten von Oliver Müller, Sorge um die Vernunft. Hans Blumenbergs phänomenologische Anthropologie, Paderborn 2005. Vgl. auch Heidenreich, Mensch und Moderne, a.a.O., S. 25-43. 285 Immanuel Kant, »Vorrede«, in: ders., Werkausgabe, ed. Wilhelm Weischedel, Bd III: Kritik der reinen Vernunft 1, Frankfurt/Main 1988, S. 11. 286 Vgl. zum Zusammenhang von Metapher und Metaphysik, auch im Bezug auf Kant, Thomas Rentsch, »Thesen zur philosophischen Metaphorologie«, in: Haverkamp/Mende, Metaphorologie, a.a.O., S. 137-152: v.a. 138 f. und den schönen letzten Satz der Paradigmen (Blumenberg 1999, 193).

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

schrieben: Es fehlt dem Menschen an sicherem Wahrheitswissen, aber er steht dennoch unter dem Zwang, sich zu orientieren und zu handeln. Diese anthropologische Situation verweist ihn an die Rhetorik »als eine Technik, sich im Provisorium von allen definitiven Wahrheiten und Moralen zu arrangieren« (Blumenberg 2001, 411). Insbesondere an der Leistung der Metapher wird diese Funktion der Rhetorik ablesbar: »Der menschliche Wirklichkeitsbezug ist indirekt, umständlich, verzögert, selektiv und vor allem metaphorisch [...] etwas als etwas zu begreifen, unterscheidet sich radikal von dem Verfahren, etwas durch etwas anderes zu begreifen. Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlußreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertrauter und handlicher Verfügbare« (Blumenberg 2001, 413-414). Indem die absoluten Metaphern das Unvertraute durch Ausdrücke aus vertrauten Bereichen zugänglich machen, schaffen sie keine theoretischen Wahrheiten, aber sie stiften, wenn sie sich durchsetzen, Institutionen und Konsense von Verständnissen, eine historische vérité à faire, die lebbare Orientierungen unter der Situation des Handlungszwanges gibt. Der Mensch braucht für seine Lebensorientierung Antworten auf die Fragen nach der Beschaffenheit der Welt, seinem eigenen Wesen, dem Leben, der Theoretiker auch eine Vorstellung vom Wesen der Wahrheit, nach der er sucht (Blumenberg 1999, 30). Für jede Lebensorientierung ist die Frage drängend, was für eine Welt das ist, in der man lebt. Aus den unterschiedlichen absoluten Metaphern, durch die man sich diese Frage beantworten läßt, leiten sich die Unterschiede im Weltverhalten und Lebensentwurf ab. Orientiert man sein Weltverhalten an der absoluten Metaphorik des apokryphen Jesus-Wortes »Die Welt ist eine Brücke. Geh hinüber, aber laß dich nicht auf ihr nieder« (Blumenberg 1999, 27), wird man die Welt als Durchgangs- oder vielmehr ›Übergangsort‹ begreifen und sein Leben auf das ›Danach‹ des Übergangs einrichten; zumal das Jesus-Wort im zweiten Satz die pragmatischen Implikationen seiner im ersten Satz verwendeten absoluten Metaphorik selbst ausspricht. Anders dürfte das Weltverhalten ausfallen, orientiert man sich innerhalb der absoluten Metaphorik, die der französische Moralist de Vauvenargues vorgeschlagen hat, der das Weltgeschehen in (absoluter) Analogie zu dem Geschehen eines Maskenballs (Blumenberg 1999, 29) gesehen hat. Auch hier erscheint die Welt als ein Ort der Uneigentlichkeit, aber die Implikationen der Maskenball-Metaphorik wecken weniger die Hoffnung auf ein erlösendes ›Danach‹, als sie eher zu einer innerweltlichen Vorsicht im Umgang mit der Welt anhalten. Blumenberg hat, was ich die anthropologische Notwendigkeit der absoluten Metaphern genannt habe, in ihrer pragmatischen Relevanz gesehen.287 »Ihre (der 287 Vgl. die Diskussion von Blumenbergs Verständnis von »pragmatisch« bei Rüdiger Zill, »›Substrukturen des Denkens‹. Grenzen und Perspektiven einer Metapherngeschichte nach Blumenberg«, in: Hans Erich Bödeker (Hg.), Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, Göttingen 2002, S. 209-258: 234 f.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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absoluten Metaphern, D.M.) Wahrheit ist, in einem sehr weiten Verstande, pragmatisch. Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierung ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität [...] Eine Frage wie ›Was ist die Welt?‹ ist ja in ihrem ebenso ungenauen wie hypertrophen Anspruch kein Ausgang für einen theoretischen Diskurs; wohl aber kommt hier ein implikatives Wissensbedürfnis zum Vorschein, das sich im Wie eines Verhaltens auf das Was eines umfassenden und tragenden Ganzen angewiesen weiß und sein Sich-einrichten zu orientieren sucht. Dieses implikative Fragen hat sich immer wieder in Metaphern ›ausgelebt‹ und aus Metaphern Stile von Weltverhalten deduziert. Die Wahrheit der Metapher ist eine vérité à faire« (Blumenberg 1999, 25). Die Relevanz der pragmatischen vérité à faire absoluter Metaphern gründet in der praktischen Notwendigkeit, das eigene Verhalten im Horizont eines umfassenden Ganzen (Welt, Leben, Gott) orientieren zu müssen. »Mit den absoluten Metaphern bestimmen wir nichts bezüglich theoretischer Vorhandenheit [...], sondern artikulieren die Hinsicht, in der etwas uns praktisch bedeutend erscheint und in welcher Hinsicht wir es pragmatisch verstehen« (Rentsch 2009, 139). Vertieft man die pragmatische Relevanz, die in Derridas Theorie fehlt, historisch und intersubjektiv, zeigt sich eine weitere Dimension der Metaphorologie Blumenbergs: Absolute Metaphern werden als Chiffren der Grundstruktur einer geschichtlichen Lebenswelt lesbar. »Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie (die absoluten Metaphern, D.M.) also die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten« (Blumenberg 1999, 25, kursiv von mir, D.M.). Blumenberg versteht absolute Metaphern weniger als Leistung individueller Autoren, sondern als epochale »Leitfossilien« (Blumenberg 1988, 77), an denen grund-legende Verständnisse historischer Lebenswelten und Epochen ablesbar werden.288 Blumenbergs Metaphorologie ist immer auch das Projekt einer ›detektivischen‹ Historiographie: Indem er bestimmte absolute Metaphern als »Leitfossilien« der Epoche ihrer Verwendung ausmacht, liest er sie als »Indizien« (Blumenberg 1999, 15; 25) der archäologischen Tiefenstrukturen einer historischen Lebenswelt.

288 Blumenberg verwendet einen geologischen terminus technicus als metaphorologische Metapher. Leitfossilien werden als Hilfsmittel bei der Datierung geologischer Schichten verwendet. »Leitfossilien« sind »fossile Tier- und Pflanzenarten, die für eine bestimmte [...] Schicht oder Schichtenfolge mit gleichem geologischem Alter charakteristisch (›leitend‹) sind. Um als Leitfossilien zu gelten, müssen die Arten oder Gattungen räumlich sehr verbreitet gewesen sein, dürfen aber zeitlich gesehen nicht zu lange gelebt haben, also nur während der Ablagerung der betreffenden Schicht. Mithilfe der als Leitfossilien erkannten Fossilien lassen sich auch isolierte Reste von Gesteinsschichten sicher datieren [...]«, aus: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, Bd. 16, 21. Auflage, Mannheim/Leipzig 2006, S. 579.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

Im Folgenden möchte ich nicht in eine detaillierte Diskussion des Husserl’schen Lebenswelt-Begriffs eintreten,289 sondern nur die Dimension von Blumenbergs Verständnis herausarbeiten, die mir im Zusammenhang der Metaphorologie relevant scheint:290 Blumenberg charakterisiert die Lebenswelt als »Grenzbegriff« (Blumenberg 2010, 35).291 Als solcher kann Lebenswelt nie vorliegen, vielmehr ist damit die »in jeder Welt bestehende Tendenz zur Selbstverständlichkeit« bezeichnet (Blumenberg 2010, 65). Schon Husserl hatte die »anonyme Subjektivität« der Lebenswelt als das »Selbstverständliche« beschrieben, »das alles Denken, das alle Lebenstätigkeit in allen ihren Zwecken und Leistungen voraussetzt« (Husserl 1954, 115). Blumenberg verwandelt – vielleicht unter dem Einfluß Rothackers292 – Husserls Idee des subjektiven »Apriori der Lebenswelt« (Husserl 1954, 143) in die Konzeption eines historischen Apriori der Lebenwelt. Seine Analysen zielen auf die Selbstverständlichkeitsstruktur historischer Lebenswelten, »die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen [...] einer Epoche« (Blumenberg 1999, 25), die absolute Metaphern indizieren und die als historisches Apriori Wissen und Leben einer Zeit orientieren. Diese Selbstverständlichkeiten historischer Lebenswelten sind für ihre jeweiligen zeitgenössischen Bewohner unsichtbar, da sie durch »Unauffälligkeit« (Blumenberg 2010, 70) und »Begründungslosigkeit« (Blumenberg 2010, 90), ja Begründungsunbedürftigkeit ausgezeichnet sind: Sie verstehen sich eben ›von selbst‹. Die gleiche Unbewußtheit umgibt die historische Verwendung absoluter Metaphern, deren »Zeugniswert zur Voraussetzung hat, daß der Aussagende selbst keine Metaphorologie besaß« (Blumenberg 1999, 24). Der indizielle Zeugniswert der Metaphern hängt davon ab, daß sie nicht bewußt gewählt werden, sondern, einer unbewußten Entsprechung zu den Strukturen der Lebenswelt folgend, ›erscheinen‹ – zu dieser historischen Erscheinungslogik gleich mehr. Absolute Metaphern sind für Blumenberg nicht zuletzt eine der wenigen zugänglichen 289 Vgl. Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften, in: Husserliana, Bd. VI, ed. Walter Biemel, Den Haag 1954, S. 114 f., 126 f., 138 f. Zum Lebenswelt-Begriff allgemein vgl. auch die von Blumenberg mitbetreute Konstanzer Dissertation von Rüdiger Welter, Der Begriff der Lebenswelt. Theorien vortheoretischer Erfahrung, München 1986 sowie Bernhard Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, Frankfurt/Main 2005. 290 Blumenberg hat sich mehrfach ausführlich mit dem Lebenswelt-Begriff auseinandergesetzt. Diese veröffentlichten und unveröffentlichten Texte sind jüngst zusammengestellt worden: Hans Blumenberg, Theorie der Lebenswelt. Herausgegeben v. Manfred Sommer, Berlin 2010. Für die folgende Argumentation ist insbesondere der Aufsatz »Lebenswelt und Technisierung« aus dem Jahr 1963 wichtig (Blumenberg 1981, 7-54). 1986 nimmt Blumenberg noch einmal ausführlich zu dem Begriff Stellung im Ersten Teil von Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/Main 2001a, S. 7-68. Zum Lebenswelt-Begriff Blumenbergs vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne, a.a.O., S. 106-124 und Stoellger, Metapher und Lebenswelt, a.a.O., S. 256 f. und 307 f. 291 »Grenzbegriffe« versteht der Mathematiker du Bois-Reymond folgendermaßen: »Mit dem Namen Grenzbegriff bezeichnet man in der Mathematik ein gewisses Schlußverfahren, vermöge dessen aus der Art der Aufeinanderfolge von Werthen, die sich messen und beobachten lassen, auf das Dasein von Werthen geschlossen wird, die der Wahrnehmung gänzlich entzogen sind und deren Vorhandensein sich auch nie im gewöhnlichen Sinne beweisen lassen wird« (Blumenberg 2010, 36). 292 Vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne, a.a.O., S. 109 f.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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Anzeigen der archäologischen Selbstverständlichkeitsstrukturen einer geschichtlichen Lebenswelt. Es sind allerdings nicht irgendwelche Selbstverständlichkeiten, die die absoluten Metaphern indizieren, vielmehr sind es die metaphysischen Grundannahmen einer historischen Lebenswelt, die durch sie angezeigt werden. Oben habe ich zu zeigen versucht, daß absolute Metaphern die ausgezeichnete Sprachform der Metaphysik sind. Hier wird nun deutlich, daß Blumenberg sie benutzt, um an die metaphysischen Selbstverständlichkeiten, die das historische Apriori einer Epoche darstellen, heranzukommen. Daher zeichnet sich – neben der begriffsarchäologischen – eine zweite Dimension der Metaphorologie ab: Blumenberg verfolgt mit ihr auch das Projekt einer Archäologie der metaphysischen Grundstrukturen historischer Lebenswelten. 293 Etwas weiter ausholend möchte ich mich zum Abschluß der eben erwähnten Erscheinungslogik absoluter Metaphern zuwenden und dabei vorschlagen, Blumenbergs philosophisches Projekt auf den Begriff der Technisierungsgeschichtsschreibung zu bringen. Ein wichtiger Unterschied zwischen Derridas und Blumenbergs Metapherntheorien betrifft ihre Darstellung der Vernetztheit und Pluralität von Metaphern. Derrida spricht explizit von dem »Netz« (Derrida 1988, 214) der ›Gründer‹-Tropen/Begriffe. Blumenbergs Tendenz, vor allem die diachrone Verwandlung je einer absoluten Metapher in der Geschichte zu verfolgen – etwa die Geschichte der Wahrheitsmetaphorik (Blumenberg 1999, 14 f.) oder der »nautischen Daseinsmetaphorik« (Blumenberg 1971, 171 f.) – verdeckt dagegen die von Derrida klar gesehene Vernetztheit absoluter Metaphern. Wenn sich in den absoluten Metaphern allerdings die Selbstverständlichkeiten einer geschichtlichen Lebenswelt angesichts zentraler metaphysischer oder theologischer ›Gegenstände‹ – wie Welt, Wahrheit, Gott – zeigen, dann wird man erwarten müssen, daß die einzelnen Metaphern miteinander zusammenhängen; daß also beispielsweise die ontologischen, theologischen und anthropologischen Metaphern aufeinander abgestimmt sind. Die metaphorischen »Leitfossilien« einer historischen Epoche stellen eine kohärente archäologische Formation, eine systematische Struktur dar. Metaphorologischen »Paradigmen« vergleichbar, bildet ein historisch je besonderes Netz absoluter Metaphern die Tiefenstruktur geschichtlicher Epochen.294 293 Blumenberg selbst hat die beiden Aspekte der Metaphorologie durch die Metapher der »Blickrichtung« aufeinander bezogen (Blumenberg 1988a, 77): Man könne von der Metapher aus sozusagen nach ›vorn‹ auf die »Konstitution von Begrifflichkeit« im Horizont metaphorischer Entwürfe blicken – das wäre das Projekt einer Metaphorologie als Archäologie der Begrifflichkeit – oder nach ›hinten‹ auf »die rückwärtigen Verbindungen zur Lebenswelt«, deren Indizien absolute Metaphern sind – das wäre das Projekt der Metaphorologie als historiographische Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Es müssen dabei nicht dieselben Metaphern sein, die in einer Zeit begriffsarchäologisch oder lebenswelthermeneutisch relevant sind. 294 Vgl. Haverkamp, »Einleitung in die ›Theorie der Metapher‹«, in: ders. (Hg.), Theorie der Metapher, a.a.O., S. 1-27: 21, auch ders., «Paradigma Metapher/Metapher Paradigma«, in: ders. (Hg.), Paradoxe Metapher, a.a.O., S. 273 f. Heideggers Rekonstruktion der metaphysischen Grundstellung der Neuzeit im Weltbild-Aufsatz habe ich eine ›metaphorologische Lektüre avant

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

Blumenberg neigt bei seinen Beschreibungen dazu, die in den Blick kommenden geschichtlichen Phänomene auf die eine absolute Metapher, deren Geschichte er untersucht, als ihr geheimes Urbild zurückzuführen, unter Vernachlässigung des Einflusses umgebender systematischer Strukturen. Während die Konfrontation Blumenbergs und Derridas an dieser Stelle bei Blumenberg eine problematische Privilegierung der Diachronie gegenüber der systematischen Vernetzung offenbart, fällt umgekehrt bei Derrida die Statik der quasi-metaphorischen ›Gründer‹-Tropen/Begriffe auf. Die ›Gründer‹-Tropen/Begriffe werden zwar untereinander vernetzt gedacht, aber es findet sich bei Derrida keine Andeutung einer geschichtlichen Dynamik dieser Grundschicht. Es ist aber unplausibel und widerspricht auch den historischen Befunden Blumenbergs, diese Grundschicht als dem geschichtlichen Wandel völlig entzogen zu denken, für den nun wieder Blumenberg das faszinierende Modell einer »Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte« (Blumenberg 1999, 13) vorgeschlagen hat: »Daß diese Metaphern absolut genannt werden, bedeutet nur, daß sie sich gegenüber dem terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden können, nicht aber, daß nicht eine Metapher durch eine andere ersetzt bzw. vertreten oder durch eine genauere korrigiert werden kann. Auch absolute Metaphern haben daher Geschichte. Sie haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikation erfahren« (Blumenberg 1999, 13). Die Rede von der »Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen« macht deutlich, daß es das historische Apriori der lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten in Gestalt der systematischen Struktur absoluter Metaphern ist, das sich im metakinetischen Wandel verändert. Insofern die absoluten Metaphern das Denken und Handeln einer historischen Epoche prägen, ist die Ersetzung einer Metapher durch eine andere folgenreich, weil damit die Grundorientierungen eines geschichtlichen Horizonts in Bewegung geraten. Man kann die Struktur absoluter Metaphern auch als topisches System von Stellen ansehen, Metakinetik würde sich dann als Umbesetzung innerhalb dieses Stellen-Systems beschreiben lassen.295 So spricht Blumenberg ja auch davon, daß »eine Metapher durch eine andere ersetzt bzw. vertreten« (Blumenberg 1999, 13) werden könne. Blumenberg hat den Umbesetzungsbegriff im Zusammenhang seiner Diskussion der Probleme des geschichtlichen Epochenbegriffs eingeführt, also in einem Kontext, in dem es um die Schwierigkeit geht, grundlegende metakinetische Umstellungen in der historiographischen Beschreibung zu erfassen.296 la lettre‹ genannt, weil er die Begriffe Gegenstand, Subjekt und Bild als absolute Metaphern liest, die in ihrer systematischen Vernetztheit das metaphorisch-archäologische Paradigma des neuzeitlichen Denkens bilden – vgl. oben S. 150-161. 295 Vgl. zum Begriff der Umbesetzung Heidenreich, Mensch und Moderne, a.a.O., S. 77 f. und Müller, Sorge um die Vernunft, a.a.O., S. 218 f. 296 Blumenberg, »Die Epochen des Epochenbegriffs«, in: ders., Legitimität der Neuzeit, a.a.O., S. 531-557: 541 f.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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Eben weil es »keine Zeugen von Epochenumbrüchen gibt« (Blumenberg 1988, 545), der Epochenbegriff eine nachträgliche Beschreibungskategorie ist, muß »das Problem der Epochen von der Frage nach der Möglichkeit ihrer Erfahrung her aufgerollt werden«. »Alle Veränderung, aller Wechsel vom Alten zum Neuen sind nur dadurch für uns zugänglich, daß sie sich [...] auf einen konstanten Bezugsrahmen beziehen lassen [...] Der Begriff der ›Umbesetzung‹ bezeichnet implikativ das Minimum an Identität«. Dieses vorausgesetzte »Minimum an Identität« besteht darin, daß bei der Umbesetzung von Stellen die neuen Besetzungen als »Antworten auf identische Fragen verstanden werden können« (Blumenberg 1988, 541, kursiv von mir, D.M.). Blumenberg legt also im Untergrund der absoluten Metaphern eine FrageAntwort-Logik frei. Die neue Metapher »setzt die ›syntaktischen (Frage-, D.M.) Stellen‹ des alten Paradigmas voraus« (Haverkamp 1998, 271), indem sie darauf antwortet. »Absolute Metaphern ›beantworten‹ jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern im Daseinsgrund als gestellte vorfinden« (Blumenberg 1999, 23, kursiv im Original). Absolute Metaphern wären historisch wechselnde lebensweltliche Antworten auf grundlegende und mehr oder weniger identisch sich durchhaltende, insbesondere metaphysische Fragen. Gegen dieses – vielleicht ein wenig schlichte – Verständnis hat Rüdiger Campe in seiner Lektüre von Blumenbergs Technik-Konzeption argumentiert.297 Entgegen der Vorstellung, daß wechselnde Metaphern auf gleichbleibende Fragen antworten, die auch noch vorgefunden werden sollen, entwickelt Campe ein komplexes Ineineinander wechselseitiger Prägung von Fragen und Antworten: »Aber nicht nur die Antwort ist [...] immer irgendwo schon einmal entschieden [...] Auch die Frage selbst ist schon vorgeprägt, vorformuliert und im Archiv ihres Vorkommens eingefangen, bevor sie [...] formuliert und gestellt werden kann. Der ganze Zusammenhang von Frage und Antwort [...] ist schon in Stellensammlungen vorgeformt, bevor die Frage eigentlich gestellt und die eigentliche Antwort gegeben werden kann« (Campe 2009, 287). In komplexen intertextuellsystematischen Prozessen, die Gegenstand der Technisierungsgeschichte sind, werden Fragen und Antworten, Metaphern und Begriffe erzeugt. Campes Vorschlag scheint mir darauf hinauszulaufen, die hierachische Konzeption der Metakinetik und die ihr unterliegende Frage-Antwort-Logik in eine ›flachere‹ und vor allem interdependente Struktur zu überführen. So können schon die Fragen nicht schlicht als vorgefunden gedacht werden, sondern gehen selbst aus älteren diskursiven Archiven hervor. Darüberhinaus müßte man eine Rückkoppelung zwischen den Fragen und den Antworten denken: Die Beantwortung einer Frage auf eine bestimmte Weise bringt Anschlußfragen und Erwartungen mit sich, die durch andere Antworten sich nicht ergeben würden. Das kann schließlich dazu führen, daß Fragen irgendwann nicht mehr gestellt werden oder 297 Rüdiger Campe, »Von der Theorie der Technik zur Technik der Metapher. Blumenbergs systematische Eröffnung«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 283-315.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

daß neue Fragen entstehen. Technisierungsgeschichte untersucht, indem sie Begriffsgeschichte und metaphorologische Archäologie aufeinander bezieht, diese historische Dynamik der Genesis sprachlicher Formen und Aussagen. Diese Konzeption von Technisierungsgeschichte möchte ich abschließend genauer charakterisieren, indem ich einen kurzen, bisher wenig bekannten Text Blumenbergs erläutere.298 1967 betont er, daß ihn mit dem Projekt der Begriffsgeschichte ein das rein historische übersteigendes »theoretisches Interesse« verbindet: nämlich das an der »Struktur der Genesis von Begriffen« (Blumenberg 1967, 79). 1971 rückt er anläßlich des Erscheinens des ersten Bandes des Historischen Wörterbuchs der Philosophie auch die Metaphorologie in diese Perspektive ein: »Vielmehr leistet die Metaphorologie der Begriffsgeschichte den Hilfsdienst, an eine genetische Struktur der Begriffsbildung heranzuführen, in der zwar die Forderung der Eindeutigkeit nicht erfüllt wird, die aber die Eindeutigkeit des Resultats als Verarmung an imaginativem Hintergrund und an lebensweltlichen Leitfäden erkennen läßt« (Blumenberg 1971, 163, kursiv von mir, D.M.).299 Aus diesem Interesse an der »inneren Logik der Konstitution von Begriffen« (Blumenberg 1967, 79) heraus, hat Blumenberg zwei Dimensionen an der Begriffsgeschichte hervorgehoben: Für die begriffsgeschichtliche Forschung sei es einerseits wichtig, »Begriffsbildungen als Vorgänge ›mit Folgen‹ zu begreifen und kritisch zu praktizieren«, und andererseits »Organe auszubilden für die Diagnose von Problemen, die noch unter der Oberfläche terminologisch beruhigt erscheinender Bereiche schwelen« (Blumenberg 1967, 80). Beide Formulierungen eröffnen komplexe Forschungsperspektiven. Begriffsbildungen als »Vorgänge ›mit Folgen‹« zu verstehen, verweist auf eine implizte Theorie der Struktur der Genesis von Begriffen: Begriffe entstehen in systematischen Zusammenhängen, in Diskursen mit spezifischen Fragestellungen, aus Perspektiven auf und durch wissenspraktische Umgangsformen mit Gegenständen (z.B. in Laboren), schließlich in Feldern, die möglicherweise von starken außerdiskursiven Interessen geprägt sind. Darüber hinaus ruhen Begriffe auf den sprachlichen Latenzen ihrer früherer Verwendungen auf. Aus den »Folgen« dieser Art inner- und außerdiskursiver Zwänge entstehen Begriffe. Sie sind – in ihrer intensionalen und extensionalen Struktur – diese Folgen. Schließlich treten sie selber in das systematische Feld ein und eröffnen Folgemöglichkeiten und verschließen andere für künftige Begriffe. Begriffsbildungen als Vorgänge mit und aus Folgen zu begreifen, rückt eine mikrologische wirkungsgeschichtliche Logik der 298 Hans Blumenberg, »Nachbemerkung zum Bericht über das Archiv für Begriffsgeschichte«, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz (1967), S. 79-80: 79. 299 Blumenbergs Behauptung des subsidiären Charakters der Metaphorologie gegenüber der Begriffsgeschichte halte ich für einen systematisch durch nichts gerechtfertigten Bescheidenheitsgestus. Gottfried Gabriel hat diese Behauptung in seiner Bestimmung des Verhältnisses von Begriffsgeschichte und Metaphorologie affirmativ aufgegriffen – vgl. Gottfried Gabriel, »Kategoriale Entscheidungen und ›absolute Metaphern‹. Zur systematischen Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 65-84: 66 f. Meine These ist, daß Blumenberg beide in seinem Projekt der Technisierungsgeschichte integriert.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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inneren Konstitution in den Vordergrund, die detaillierte Berücksichtigung der inner- und außerdiskursiven Bedingungen der Entstehung von Begriffen verlangt. Blumenbergs zweite Forderung an die Begriffsgeschichte, »Organe auszubilden für die Diagnose von Problemen, die noch unter der Oberfläche terminologisch beruhigt erscheinender Bereiche schwelen« (Blumenberg 1967, 80), verweist in ihrer Metaphorik auf das archäologische Projekt der Metaphorologie. Blumenberg fordert in der Begriffsgeschichte eine systematische Berücksichtigung der lebensweltlich-metaphysischen Tiefenstrukturen, die die absoluten Metaphern indizieren. Der eigentümliche Gegensatz von oberflächlich terminologischer Ruhe und untergründig metaphorischem Schwelen verweist auf eine fast romantische Idee, die sich insbesondere in den frühen metaphorologischen Arbeiten findet. Im Licht-Aufsatz schreibt Blumenberg zum Verhältnis von Metaphorik und Begrifflichkeit: »Dieses (metaphorische, D.M.) Vorfeld des Begriffs ist in seinem ›Aggregatzustand‹ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand« (Blumenberg 2001, 139). Schon die Metaphorik des Satzes – hier die »fixierten Traditionsformen« und die »starre Architektonik«, dort die »plastische«, gar »sensible« Metapher – macht deutlich, daß Blumenberg der Metapher eine Unmittelbarkeit, fast Lebendigkeit des Ausdrucks zutraut. Dieses soweit beschriebene Projekt einer Technisierungsgeschichte möchte ich in zwei Punkten kritisch korrigieren: Unplausibel scheint mir die hierarchische Konzeption der Metaphorologie als Archäologie der Begrifflichkeit.300 Wenn Metaphern Auswirkungen auf Begriffe haben, wird man annehmen können, daß auch die umgekehrte Wirkung möglich ist. Metaphern müssen in die begrifflichen Systeme ›passen‹, in denen sie verwendet werden. Begriffe entstehen nicht nur im Horizont absoluter Metaphern, sondern sie haben auch einen Einfluß darauf, welche Metaphern in einem Diskurs verwendet werden können. Hier wird man die hierarchische Struktur der Archäologie durch eine diskursive Logik der Interdependenz ersetzen müssen.301 Diese Interdependenzen lassen sich so beschreiben, – und das wäre der zweite Korrekturvorschlag – daß die von Blumenberg auf die Begrifflichkeit beschränkte Logik der Folgen zu einer Begrifflichkeit und Metaphorik umfassenden diskursiven Logik wird. Technisierungsgeschichtsschreibung 300 Dieser Punkt wurde schon kritisch hervorgehoben von Rüdiger Zill »›Substrukturen des Denkens‹«, in: Bödeker (Hg.), Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, a.a.O., S. 229 f. 301 Ich meine übrigens nicht, daß die nun herausgearbeitete diskursive Logik der Interdependenz das Verständnis der Blumenberg’schen Metaphorologie als Archäologie der Begriffsgeschichte grundsätzlich in Frage stellt. Auch wenn es wechselseitige Beeinflussungen der beiden Sphären von Begriff und Metapher gibt, bleibt die archäologische Grundthese, daß Begriffe oft lediglich Ausarbeitungen der Entwürfe absoluter Metaphern sind, weiterhin richtig: Absolute Metaphern bilden den transzendentalen Horizont von Begrifflichkeit – nur können eben die aus den metaphorischen Entwürfen hervorgehenden Begrifflichkeiten eine Rückwirkung auf diese grundlegende Horizontstruktur der absoluten Metaphern haben.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

ist die Metaphorologie und Begriffsgeschichte verbindende diskursanalytische Rekonstruktion der historischen Folgen-Verläufe, die zum Auftauchen von Aussagen geführt haben und das Umbesetzungsgeschehen regulieren. Die Technisierungsgeschichte führt zu einer Neubewertung des Verhältnisses von Technisierung und Lebenswelt. Die Begriffe stammen aus Husserls Krisis und sind dort im Sinne einer Entgegensetzung aufeinander bezogen. Für Husserl ist es der eigentlich Grund für die Krise der abendländischen Wissenschaften, daß durch Methodisierung und Formalisierung etwa in der Mathematik »technische Verfahren« herausgebildet werden, die die »ursprüngliche Sinngebung« (Husserl 1968, 46) dieser Erkenntnisse im Kontext der Lebenswelt verdecken. Technisierung stellt daher für Husserl ein »pathologisches Phänomen« (Blumenberg 1981, 40) dar. Von dieser Auffassung des Verhältnisses setzt sich Blumenberg klar ab: »Der Zusammenhang von Lebenswelt und Technisierung ist komplizierter, als Husserl ihn gesehen hat« (Blumenberg 1981, 37). Technisierung ist nicht das einfache Gegenteil der Lebenswelt, denn ihre Erzeugnisse gehen in die Selbstverständlichkeitsstrukturen der Lebenswelt ein: »Zu sagen, die Lebenswelt sei [...] vor der Theorie, bedeutet keineswegs, daß in den Auffassungen und Meinungen, der Weltansicht eben dieser Lebenswelt nicht Sedimente von Erfahrungen und Erkenntnissen liegen, die ihrem Typus nach theoretischen Resultaten ähnlich sein können oder sogar einmal solche waren, etwa im Transport astronomischer oder astrologischer Elemente von Babylon oder Ägypten ins vorsokratische Griechenland« (Blumenberg 2010, 80-81). Technisierungsprodukte, Metaphern oder andere Ausdrücke, die mehr oder weniger theoretische Implikationen mit sich führen, werden Teil der Selbstverständlichkeiten einer historischen Lebenswelt und »beginnen ihrerseits, die Lebenswelt zu regulieren« (Blumenberg 1981, 37). Die Selbstverständlichkeiten historischer Lebenswelten sind selbst Technisierungsprodukte. Technisierung ist ein Geschehen, das sich in der Lebenswelt abspielt.302 Damit zeichnet sich dann allerdings die Naivität der romantischen Untertöne zumindest der frühen metaphorologischen Entwürfe Blumenbergs ab: Wie andere sprachliche Formen sind Metaphern »Halbzeug« (Blumenberg 1999, 29).303 Halbzeug ist ein betriebswirtschaftlicher terminus technicus, der eine Zwischenstufe von Industrieprodukten zwischen Rohmaterial und fertigem Erzeugnis bezeichnet. Als sprachliches Halbzeug weisen Metaphern die ›Gebrauchsspuren‹ ihrer technisierungsgeschichtlichen Verwendungsgeschichte auf. Spätestens Weinrichs Entdeckung der »metaphorischen Traditionen« der »Bildfelder« (Weinrich 1976, 278) hat deutlich gemacht, daß Metaphern weder »lebendig« (Ricœur) noch »sensibler« (Blumenberg 2001, 139) sind, sondern ihr Halbzeug-Charaker höchstens unter einer etwas dickeren Schicht von Sprachideologie besser verborgen ist. 302 Rüdiger Campe kommt in seiner Diskussion zu einer ähnlichen Einschätzung (Campe 2009, 304 f). 303 Vgl. die Explikation der Halbzeug-Metapher Blumenbergs bei Rüdiger Campe, »Von der Theorie der Technik zur Technik der Metapher«, in: Haverkamp/Mende (Hg.), Metaphorologie, a.a.O., S. 285-290.

III.4.1 TECHNISIERUNGSGESCHICHTSSCHREIBUNG

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Metaphern, Begriffe und sprachliche Formen allgemein sind geistesgeschichtliches Halbzeug, das nach wirkungsgeschichtlich-diskursiven Logiken entsteht, die die Technisierungsgeschichte rekonstruiert. Blumenbergs philosophiegeschichtliche Beschreibungen zeichnen sich durch eine systematische Immanenz aus, die die metaphorologische Archäologie und Logik der Folgen verbindende Konzeption der Technisierungsgeschichte prägt. Jede neue Entwicklung wird aus vorangegangenen plausibilisiert. Eine hermeneutische Grundannahme ist, »daß das Neue in der Geschichte nicht das jeweils Beliebige sein kann, sondern unter der Strenge vorgegebener Erwartungen und Bedürfnisse steht« (Blumenberg 1988, 541), die aus den vorangegangenen systematischen Entscheidungen hervorgehen. Deutlich zeichnet sich diese immanente Logik in der historiographischen Metapher der »Pseudomorphose« ab. »Pseudomorphose« ist ein geologischer terminus technicus und bezeichnet den Vorgang der »Nachbildung der Kristallgestalt einer Mineralart A durch feinkristalline Substanzen einer Mineralart B, indem die Substanz A durch Verwitterung oder Metamorphose langsam gelöst oder verändert und durch die Substanz B ersetzt wird«.304 Die Pseudomorphose als historiographische Metapher beschreibt den technisierungsgeschichtlichen Vorgang der Umbesetzung: Das Neue in der Geschichte (»Mineralart B«) tritt nicht einfach selbständig auf, sondern bildet sich, indem es das »durch Verwitterung oder Metamorphose langsam gelöste oder veränderte« Alte (»Mineralart A«) »ersetzt«. Das Neue ist selbst Halbzeug, das aus einer wirkungsgeschichtlichen Logik aus dem Alten hervorgeht, an dessen Stelle es tritt – das beschreibt die Logik der Umbesetzung – und damit auch den systematischen Anforderungen, die mit einer Stelle verbunden sind, zu entsprechen hat. Die Immanenz-Anforderungen der Technisierungsgeschichte werden in Blumenbergs Kritik an Heideggers seinsgeschichtlicher Interpretation der Neuzeit deutlich: »Die Neuzeit als Episode der Seinsgeschichte – spezieller: der Seinsverlassenheit – hätte die Stigmen der Herrschaft, der Dienstbarkeit der Theorie für die Technizität, der Selbstproduktion des Menschen gerade nicht als ›Antwort‹ auf eine wie auch immer ihr hinterlassene Herausforderung, sondern als eine gnadenlose Verlegenheit um das seit den Vorsokratikern entzogene, verborgene ›Sein‹ [...] Nicht die Gehalte der Epoche werden zu Pseudomorphosen ihrer 304 Art. »Pseudomorphose«, in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 22, 21. Aufl., Leipzig/Mannheim 2006, S. 228. Der Artikel fährt fort, indem er verschiedene Pseudomorphose-Formen unterscheidet: »1) Verdrängungs-Pseudomorphose (Ausfällungs-Pseudomorphose) mit völligem Wechsel der Substanz, z.B. Quarz nach Kalkspat, Gips oder Dolomit nach Steinsalz, 2) UmwandlungsPseudomorphose durch Stoffzufuhr (Silberglanz nach Silber), Stoffabgabe (Kupfer nach Rotkupfererz) oder teilweisen Stoffumtausch (Aragonit nach Gips), 3) Perimorphose (UmhüllungsPseudomorphose), wobei der Kristall A zunächst umhüllt und nach der Herauslösung der Substanz zum ›negativen‹ Kristall wird, 4) Paramorphose (Umlage-Pseudomorphose), bei der durch Änderung von Druck und Temperatur, aber bei Erhaltung der chemischen Zusammensetzung das Kristallgitter umgebaut, z.B. eine Hochtemperaturmodifikation durch Kristalle der Tieftemperaturmodifikation ersetzt wird«. Zur Geschichte von »Pseudomorphose« als historiographischer Metapher vgl. Anselm Haverkamp, »Die Technik der Rhetorik. Blumenbergs Projekt«, in: ders., (Hg.), Ästhetische und metaphorologische Schriften, a.a.O., S. 435-454: 450 f.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

theologischen Herkunft, sondern die Qualifikation ihrer geschichtlichen Stelle ist nur als Pseudotheologie bestimmbar« (Blumenberg 1988, 220). In Heideggers Spätphilosophie kommt der seinsgeschichtliche Grund einer historischen Epoche, ihre »metaphysische Grundstellung«, die ihre Erfahrung der Welt bestimmt, aus der Lichtung oder dem Geschick einer anonymen Instanz, des Seins.305 In der diskontinuierlichen Geschichtskonzeption der Seinsgeschichte sind die historischen Epochen nicht nach der Logik der Folge aufeinander, sondern jeweils auf das Sein als dem Ursprung ihrer metaphysischen Grundstruktur bezogen. Blumenberg kritisiert diese diskontinuierliche Herauslösung der Epochen aus ihrer historisch-systematischen Bezogenheit, in der jede sich erst als »›Antwort‹ auf eine wie auch immer ihr hinterlassene Herausforderung« systematisch konstituiert. Diesen historisch-systematischen Konstitutionsprozeß von Begriffen und systematischen Formationen zu rekonstruieren, ist das Ziel der immanenten Analysen der Technisierungsgeschichtsschreibung. Wie Derrida faltet Blumenberg seine Metaphorologie zu einer diskursanalytischen Archäologie aus. Die Technisierungsgeschichtsschreibung legt im Hintergrund des historischen Sprechens die wirkungsgeschichtliche Logik der Folgen frei, die sich als eine ›immanente apriorische‹ Struktur des Diskurses verstehen läßt. Auch wenn damit in Blumenbergs Projekt der Technisierungsgeschichtsschreibung die Logik der Folgen an die Stelle des Entbergungsgeschehens der späten Seinsphilosophie tritt, unterscheidet es sich doch signifikant davon: An die Stelle des hierarchischen Verhältnisses der zwei Seinsbegriffe tritt eine ›flachere‹, in der sich jede Folge wieder in ihre Voraussetzungen einschreibt, womit sich der ›Grund‹ des Diskurses permanent durch seine Folgen verändert.

III.4.2 Exkurs: Wittgensteins Vortrag über Ethik III.4.2 WITTGENSTEINS VORTRAG ÜBER ETHIK

Während Wittgenstein im Tractatus das »Unaussprechliche« (Wittgenstein 1969, 82, Satz 6.522) dem Schweigen überantwortete, hat er in der zwischen 1929 und 1930 entstandenen Lecture on Ethics306 so etwas wie eine Theorie religiösen und metaphysischen Sprechens entworfen, die bei ihm unter dem eigenwilligen Titel »Ethik« firmiert.307 Zwar kommt er dabei – wie schon im Tractatus (Wittgenstein 1969, 80) – einerseits zu dem Schluß, daß »Unsinnigkeit (nonsensicality) ihr (der ethischen Aussagen, D.M.) eigentliches Wesen ausmacht« (Wittgenstein 1999, 18), andererseits beschließt Wittgenstein den Vortrag mit der persönlichen Be305 Heideggers Neuzeit-Interpretation findet sich am pointiertesten in: Martin Heidegger, »Die Zeit des Weltbildes«, in: ders., Holzwege, a.a.O., S. 75-113: 98. 306 Ludwig Wittgenstein, »Vortrag über Ethik«, in: ders., Vortrag über Ethik und andere kleinere 4 Schriften, übers. u. herausgegeben v. Joachim Schulte, Frankfurt/Main 1999, S. 9-19 (»Wittgenstein’s Lecture on Ethics«, in: The Philosophical Review 74 (1965), S. 3-12). 307 Wittgenstein knüpft terminologisch und inhaltlich an den Tractatus an, wo er in Satz 6.42 auf die Ethik zu sprechen kommt: »Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken« (Wittgenstein 1969, 80).

III.4.2 WITTGENSTEINS VORTRAG ÜBER ETHIK

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merkung, ethisches Sprechen sei für ihn das »Zeugnis eines Drangs im menschlichen Bewußtsein, den ich für meinen Teil nicht anders als hochschätzen kann und um keinen Preis lächerlich machen würde« (Wittgenstein 1999, 19). Damit durchzieht Wittgensteins Analyse ethischen Sprechens eine ähnliche Aporetik wie Blumenbergs Überlegungen zu den absoluten Metaphern als Sprachform metaphysischen Sprechens. Mich interessiert im Folgenden an Wittgensteins kleiner Lecture zweierlei: einerseits seine Bestimmung der nonsensicality ethischer Sätze und andererseits seine schnell abbrechende Diskussion der Verwendung von »Gleichnissen (similes)« (Wittgenstein 1999, 16) im ethischen Sprechen. Zunächst eine Bemerkung zur eigenwilligen Verwendung des Begriffs »Ethik« durch Wittgenstein. Während Wittgenstein in einem Definitionsversuch zu Beginn des Textes Ethik mit G. E. Moore als »allgemeine Untersuchung dessen, was gut ist« (Wittgenstein 1999, 10) erläutert und als synonyme Beschreibungen »Untersuchung dessen, was wirklich wichtig ist« und »was das Leben lebenswert macht« (Wittgenstein 1999, 10) vorschlägt, erweitert er am Ende diese Definition durch explizite Hinweise auf die religiösen und metaphysischen Dimensionen, von denen der Text tatsächlich die meiste Zeit handelt: »Ethik geht aus dem Wunsch hervor, etwas über den letztlichen Sinn des Lebens, das absolute Gute, das absolut Wertvolle zu sagen [...]« (Wittgenstein 1999, 19). »Ethik ist, sofern sie überhaupt etwas ist, übernatürlich [...]« (Wittgenstein 1999, 13). Der Grund, warum Wittgenstein die Probleme religiöser Rede von Gott (Wittgenstein 1999, 16) und der metaphysischen Behandlung des Staunens über die Existenz der Welt (Wittgenstein 1999, 14) unter dem Titel »Ethik« behandelt, scheint mir zu sein, daß es die ethischen Implikationen solchen Sprechens sind, – darin ist er Heidegger und Blumenberg verwandt – die für ihn das Wesentliche dieser Gegenstände ausmachen. Den Nachweis der Unsinnigkeit ethischer Aussagen führt Wittgenstein durch eine Sprach- und Sinnkritik. »Werden unsere Wörter so verwendet wie in der Wissenschaft, sind sie Gefäße, die nichts weiter zu enthalten und mitzuteilen vermögen als Bedeutung und Sinn, natürliche Bedeutung und natürlichen Sinn [...] so, wie in eine Teetasse eben nur eine Teetasse voll Wasser hineingeht, auch wenn ich’s literweise darübergösse« (Wittgenstein 1999, 13).308 Im ethischen Sprechen werden endlichen und natürlichen Sinn transportierende Worte benutzt, um über etwas Unendliches und Übernatürliches (Gott z.B.) zu sprechen, 308 In ganz ähnlicher Weise wie von Wittgenstein wird die Metaphorik der Teetasse in einer ZenGeschichte verwendet: »Nan-in, ein japanischer Meister der Meiji-Zeit (1868 bis 1912), empfing den Besuch eines Universitätsprofessors, der etwas über Zen erfahren wollte. Nan-in servierte Tee. Er goß die Tasse seines Besuchers voll und hörte nicht auf weiterzugießen. Der Professor beobachtete das Überlaufen, bis er nicht mehr an sich halten konnte. ›Es ist übervoll. Mehr geht nicht hinein!‹ ›So wie diese Teetasse‹, sagte Nan-in, ›sind auch Sie voll mit Ihren eigenen Meinungen und Spekulationen. Wie kann ich Ihnen Zen zeigen, bevor Sie Ihre Tasse geleert haben?‹« Vgl. Paul Reps (Hg.), Ohne Worte – ohne Schweigen. 101 Zen-Geschichten und andere Zen-Texte aus vier Jahrtausenden, München 1987, S. 21. Während bei Wittgenstein die Worte wie Gefäße sind, ist es in der Zen-Geschichte der Geist selber. Allerdings ist der Geist, anders als Wittgensteins Worte, prinzipiell aufnahmefähig.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

das macht diese Rede unsinnig. »Denn ich wollte sie ja gerade dazu verwenden, über die Welt – und das heißt: über die sinnvolle Sprache – hinauszugelangen« (Wittgenstein 1999, 18). Es gehört zur Hintergrundmetaphorik von Wittgensteins Sprachphilosophie, die sich in den Metaphern des »Gefäßes« und dem Gleichnis der »Teetasse«, aber auch der Rede vom »über die Welt hinausgelangen (go beyond the world)« andeutet, die Sprache als einen Raum zu denken, der potentiell ein Gefängnis ist.309 Wittgenstein ist für Blumenberg ein »Spezialist für solche Gefangenschaften« (Blumenberg 1989, 210), der immer von neuem »die Beziehung jeder Philosophie auf eine Ausgangslage der Gefangenschaft« durchspielt (Blumenberg 1989, 215). Auch im Vortrag besteht die Unsinnigkeit ethischer Rede darin, daß sie aus dem natürlichen Raum der Sprache auf ein Jenseitiges ausgreifen will, und Wittgenstein beschreibt diesen »völlig und absolut aussichtslosen« (Wittgenstein 1999, 19) Versuch dann auch konsequent in einer die räumliche mit einer Metaphorik der Gefangenschaft kombinierenden Analogie als »Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs« (Wittgenstein 1999, 19). Es ist die Natürlichkeit des sprachlichen Sinns, aus dem die Wände des Käfigs sind. Das wird nochmals deutlich in Wittgensteins Versuch, die ethischen Sätze in einem »ganz bestimmten Erlebnis« (Wittgenstein 1999, 14) zu begründen. Er führt dann als »mein Erlebnis par excellence« das Staunen über die Existenz der Welt an. Das Besondere dieses »Erlebnisses« ist, daß darin etwas Absolutes aufzublitzen scheint, ein »übernatürlicher Wert« (Wittgenstein 1999, 17). Aber Wittgenstein korrigiert diesen Schein sofort: »Doch wenn ich sage, es seien Erlebnisse, dann sind es ja wohl auch Tatsachen (facts); sie haben dann und dort stattgefunden, sie haben eine bestimmte Zeit in Anspruch genommen, und folglich sind sie beschreibbar«. Die Erfahrungen, die an einem Ort stattgefunden und eine bestimmte Zeit gedauert haben, sind durch und durch endlich. »Das Paradoxe ist, daß ein Erlebnis – ein Faktum – übernatürlichen Wert zu haben scheint« (Wittgenstein 1999, 17). Dieses Paradox zeichnet jede Form ethischen, religiösen und metaphysischen Sprechens aus. Deshalb ist Wittgensteins Fazit, »daß sich ein bestimmter charakteristischer Mißbrauch (misuse) der Sprache durch alle ethischen und religiösen Ausdrucksformen hindurchzieht« (Wittgenstein 1999, 16). Ethisches Sprechen ist ein »Anrennen gegen das Paradox« (Rentsch 2000, 322 f.). Das Paradox besteht darin, daß ein endlicher, natürlicher Sprechakt etwas Unendliches und Übernatürliches ausdrücken soll. Im Zuge der weiteren Analyse des paradoxen Mißbrauchs der Sprache erwägt Wittgenstein, das ethische Sprechen als gleichnishaft aufzufassen. Neben dem Staunen über die Existenz der Welt diskutiert er ein weiteres Beispiel einer metaphysischen Erfahrung, nämlich das »Erlebnis der absoluten Sicherheit« (Wittgen309 Blumenberg hat Wittgensteins Sprachphilosophie eben wegen ihrer klaustrophobischen räumlichen (Hintergrund-)Metaphorik in der Tradition einer mit der absoluten Metapher der (Welt-, Bewußtseins-, Erkenntnis-) Höhle operierenden Philosophie gesehen: Hans Blumenberg, »Im Fliegenglas«, in: ders., Höhlenausgänge, a.a.O., S. 752-792.

III.4.2 WITTGENSTEINS VORTRAG ÜBER ETHIK

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stein 1999, 14). Der Ausdruck »sicher« im gemeinten religiösen Sinne ist für Wittgenstein ebenfalls ein typischer ethischer »Mißbrauch« der Sprache. »Wir alle wissen, was es im Alltag heißt, in Sicherheit zu sein. In meinem Zimmer bin ich sicher, denn dann kann ich nicht vom Bus überfahren werden [...] Sicher sein heißt im wesentlichen, es sei physisch ausgeschlossen, daß mir bestimmte Dinge passieren, und deshalb ist es Unsinn zu behaupten, ich sei sicher, egal, was passiert. Dies ist ein Mißbrauch des Wortes ›sicher‹ [...] Alle diese Ausdrücke scheinen auf den ersten Blick nur Gleichnisse (similes) zu sein« (Wittgenstein 1999, 15-16). Das Gleichnishafte an allen ethischen Ausdrücken besteht darin, daß in ihnen ein Ausdruck, der in der Alltagssprache einen angebbaren, praktischen Sinn hat, in einer Weise verwendet wird, die der umgangssprachlichen Verwendung ähnelt, ohne daß es möglich wäre, den Ausdruck wirklich wörtlich zu nehmen. Das ethische Sprechen scheint die umgangssprachlichen Worte uneigentlich, wie in einem Gleichnis zu gebrauchen. Die ethischen Gleichnisse erweisen sich allerdings beim genaueren Hinsehen als nonsense. Den Grund für diese Sinnlosigkeit gibt Wittgenstein klar an: »In der ethischen und religiösen Sprache verwenden wir, wie es scheint, ständig Gleichnisse. Doch ein Gleichnis muß ein Gleichnis für etwas sein. Und wenn ich eine Tatsache mit Hilfe eines Gleichnisses beschreiben kann, muß ich ebenfalls imstande sein, das Gleichnis wegzulassen und die Fakten ohne es zu beschreiben. Sobald wir nun in unserem Fall versuchen, das Gleichnis wegzulassen und schlicht die zugrundeliegende Tatsache wiederzugeben, merken wir, daß es gar keine derartigen Tatsachen gibt. Und so scheint, was zunächst wie ein Gleichnis wirkt, nichts weiter zu sein als Unsinn« (Wittgenstein 1999, 16-17). Was zunächst aufgrund der scheinbar analogischen Verwendung umgangssprachlicher Worte in ethischen Sätzen wie ein Gleichnis aussah, ist tatsächlich »mere nonsense«, weil sich herausstellt, daß hinter dem Gleichnis nichts steht. Vergleicht man Wittgensteins und Blumenbergs Umgang mit dem Problem des metaphysischen und religiösen Sprechens, fallen – neben der Übereinstimmung in der grundsätzlichen Einschätzung – einige Differenzen ins Auge: Wittgensteins eigentümlicher Versuch, ethisches Sprechen in persönlichen Erlebnissen zu begründen, scheitert nicht nur, sondern offenbart auch eine charakteristische historische Unreflektiertheit. Es scheint Wittgenstein gar nicht aufzufallen, wie sehr diese »Erlebnisse« gerade keine »ganz persönliche Sache« (Wittgenstein 1999, 14), sondern zutiefst von der metaphysischen und religiösen Tradition geprägt sind.310 So hat ›sein‹ Staunen über die Existenz der Welt eine lange metaphysische 310 Die Entdeckung von Wittgenstein als ›religiösem Denker‹ – und dessen Verhältnis zum ›Sprachphilosophen Wittgenstein‹ – steht im deutschen Sprachraum noch bevor: vgl. dazu Thomas Rentsch, »Gnosis und philosophische Moderne: Heidegger, Wittgenstein, Adorno«, in: Albert Franz/Thomas Rentsch (Hrsg.), Gnosis oder die Frage nach Herkunft und Ziel des Menschen, Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, S. 191-206: 196-200 und ders., »Anrennen gegen das Paradox: Wittgenstein, Heidegger und Kierkegaard«, in: ders., Negativität und praktische Vernunft, Frankfurt/Main 2000, S. 322-334. Der erste Aufsatz bezieht sich weitgehend auf den frühen Wittgenstein, der zweite geht von einer Diskussion der Lecture on Ethics zu einem

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

Geschichte und ist etwa von Schelling und Heidegger auf die Formel »warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?« gebracht worden.311 Insofern auch Blumenberg absolute Metaphern als »Indizien« historischer Lebenswelten liest, stehen sie auch bei ihm ›für etwas‹. Es ist allerdings nicht ganz leicht zu sagen, wofür eigentlich: Mir scheint, Blumenberg würde sagen, daß sich in absoluten Metaphern durchaus spezifische historische Erfahrungen andeuten, etwa Erfahrungen mit bestimmten Phänomenen einer historischen Realität, die dann zu ›Welt-Erfahrungen‹ verallgemeinert werden.312 Diese ›Verallgemeinerung‹ macht die Ausdrücke dann in ähnlicher Weise sinnlos wie Wittgensteins Gleichnisse. Allerdings würde Blumenberg nicht aus dem Blick geraten, daß diese Erfahrungen sich in der Sprach- und Vorstellungswelt eines jeweils bestimmten Moments der Technisierungsgeschichte artikulieren müssen und somit von Anfang an zutiefst vermittelt sind und man nirgendwo auf »ganz persönliche Sachen« (Wittgenstein 1999, 14) stößt. Dieser Unterschied prägt auch das tropologische Verständnis: Wittgenstein spricht von Gleichnissen, Blumenberg von absoluten Metaphern. Blumenberg hat Wittgenstein zu »der traditionsstarken Denkerfraktion« gerechnet, «die das Gleichnis als didaktisch favorisiert, die Metapher aber als rhetorisch ablehnt [...] Mit dem Gleichnis erläutert der Redende seine Intention [...]« (Blumenberg 1989, 773). Das Gleichnis erscheint als etwas rational Handhabbares, und das ist zunächst auch Wittgensteins Absicht: Gleichnisse sollen »für etwas« stehen, und eigentlich sucht er auch zunächst nach den facts which stand behind it (Wittgenstein 1965, 10). Erst indem sich die Gleichnisse des ethischen Sprechens als Unsinn erweisen, nähern sie sich Blumenbergs absoluten Metaphern an, die diesen Umweg nicht nötig hatten. Blumenberg hat sie von Anfang an – in Analogie zum Kantischen Symbol313 – als die ausgezeichnete Umgangsform mit dem Paradox konzipiert, das Wittgenstein so klar herausgearbeitet hat: »Denn dies ist doch die Vergleich des »Christentumverständnisses« (Rentsch 2000, 329 f.) von Wittgenstein und Kierkegaard über. In beiden Aufsätzen arbeitet Rentsch die Verflochtenheit von sprach- und religionsphilosophischen Fragestellungen bei Wittgenstein heraus, im zweiten Aufsatz wird aus genau dieser Verflochtenheit Wittgensteins Interesse an Kierkegaard verständlich (Rentsch 2000, 332 f.). Die religiösen Dimensionen von Wittgensteins sprachphilosophischem Denken, wiederum anhand einer Auseinandersetzung mit Kierkegaard, hat Mariele Nientied herausgearbeitet: Kierkegaard und Wittgenstein. ›Hineintäuschen in das Wahre‹, Berlin/New York 2003. 311 Vgl. Martin Heidegger, »Was ist Metaphysik?«, in: ders., Wegmarken, a.a.O., S. 103-122: 122. 312 Im fünften Kapitel der Paradigmen untersucht Blumenberg, wie die lebensweltliche Erfahrung der Entdeckerzeit die »Art der ›Intentionalität‹ des Bewußtseins der frühen Neuzeit« (Blumenberg 1999, 79) prägt: Für die ontologisch aufgeladene terra incognita-Metapher ist »charakteristisch, daß sie von einer ganz bestimmten historischen Erfahrung ausgeht: sie nimmt das Fazit des Entdeckungszeitalters metaphorisch, daß die durch Jahrtausende ziemlich konstante ›bekannte Welt‹, die nur an ihren Rändern noch gewisse Unbekanntheitszonen zu haben schien, sich im nachhinein nur als ein kleiner Winkel der Erde herausstellt« (Blumenberg 1999, 77). Die ontologische Verallgemeinerung der historischen Entdeckungserfahrung zu einem ›WeltEntwurf‹ »wirkt bewußtseinsbestimmend, weckt eine attentio animi, ein in allem Neuen nur die Kaps und Vorinseln von Kontinenten sehendes Gespanntsein« (Blumenberg 1999, 78). 313 Vgl. Blumenbergs Ausführungen zum Symbol in der »Einleitung« in die Paradigmen (Blumenberg 1999, 11-12).

III.4.2 WITTGENSTEINS VORTRAG ÜBER ETHIK

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genaue Darstellung der Funktion ›absoluter Metaphern‹, die in die begreifendbegrifflich nicht erfüllbare Lücke und Leerstelle einspringen, um auf ihre Weise auszusagen« (Blumenberg 1999, 177). Wittgenstein und Blumenberg gleichen sich in der semantischen Einschätzung des metaphysischen und religiösen Sprechens. Während Wittgensteins Analyse allerdings in einer nicht weiter begründeten ›Hochachtung‹ für ethisches Sprechen endet, geht Blumenbergs Metaphorologie in ihrer Explikation der hermeneutischen und pragmatischen Funktion absoluter Metaphern weiter: Für Blumenberg zwingt die anthropologische Grundsituation des Menschen zwischen »Evidenzmangel« und »Handlungszwang«, wie er sie beschreibt, den Menschen zum Umgang mit diesen paradoxen sprachlichen Formen.314

314 Zu dem Gegensatzpaar »Evidenzmangel« und »Handlungszwang« in Blumenbergs Anthropologie vgl. oben S. 229 f.

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III.4 METAPHOROLOGIE ALS ARCHÄOLOGIE II: HANS BLUMENBERG

Rückblick: Die Technisierungsgeschichte der Metaphorologie LITERATURVERZEICHNIS RÜCKBLICK NACHWORT

Der letzte Satz der Paradigmen lautet: »Metaphysik erwies sich uns oft als beim Wort genommene Metaphorik; der Schwund der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder an ihren Platz« (Blumenberg 1998, 193). Während Blumenberg hier die Metaphorologie zu einer historischen Methode der Metaphysik-Bewältigung erklärt, bin ich in dieser Arbeit eher der Verstrickung von Metaphorologie und Metaphysik nachgegangen. Durch die Kapitel hindurch habe ich die Transformation des Projektes einer metaphysischen in das einer diskursanalytischen Archäologie verfolgt: Die historische Entwickung von den metaphysischen Entwürfen Schellings und Heideggers zu den diskursanalystischen Derridas und Blumenbergs habe ich als ein historisch-systematisches Umbesetzungsgeschehen zu rekonstruieren versucht, das gleichzeitig die technisierungsgeschichtliche Vorgeschichte der Metaphorologie darstellt. Schellings Ontobiohistoriographie, Heideggers Seinsgeschichte, Derridas Metaphorologie zweiten Grades und Blumenbergs Technisierungsgeschichtsschreibung teilen eine archäologische Struktur: Von allen werden manifeste Verhältnisse durch ein hintergründiges Geschehen erklärt, das als ihr Grund verstanden wird. In den Weltaltern ist das manifeste Geschehen der Natur- und Geistesgeschichte nur als Teil und Ausdruck der Entwickelungsgeschichte eines lebendigen Urwesens verständlich, das der metaphysische Grund und Ursprung alles Seienden ist. Heideggers Konzeption der Seinsgeschichte gründet das sichtbare Geschehen der abendländischen Geistesgeschichte in der Lichtung oder dem Ereig315 nis des Seins als ihrem vergessenen Grund. Derridas Metaphorologie zweiten Grades sieht in der historischen Dynamik sprachlicher Beziehungen die latenten Bedingungen der Möglichkeit manifesten Sprechens. Blumenbergs Techisierungsgeschichtsschreibung schließlich beschreibt die systematische Formatierung älterer terminologischer und metaphorischer Sprachformen als archäologische Voraussetzung aktueller Begriffe und Metaphern. 315

Das Buch von Oliver Marchart, Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben, Frankfurt/Main 2010 ist mir leider zu spät in die Hände gefallen. Marchart nimmt Heideggers Rede vom Sein als Abgrund ernster, als ich es getan habe (Marchart 2010, 67-74). In meiner Heidegger-Lektüre ist das Sein eine – nicht sehr originelle – Figur des Grundes, die Differenz zwischen Seinsgeschichte und Metaphysik kleiner, als Heidegger es stets behauptet. Der philosophiegeschichtliche Schritt in den »Postfundamentalismus«, den Marchart diskutiert, findet, würde ich sagen, nach Heidegger statt.

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In allen Fällen ist eine archäologische Vorder- und Hintergrund-Logik im Spiel: Ein latenter Hintergrund wird als Bedingung der Möglichkeit des manifesten, vordergründigen Geschehens rekonstruiert. Allerdings bestehen, sowohl was die systematische Ausgestaltung von Vorder- und Hintergrund als auch was die Beschreibung ihrer Beziehung angeht, zwischen den vier Autoren gravierende Unterschiede. Die Entstehung dieser Unterschiede aus der philosophiegeschichtlichen Transformation des archäologischen Projektes möchte ich abschließend noch einmal als eine Geschichte systematischer Umbesetzungen darstellen. Umbesetzungen haben sich als komplexe, systematische Vorgänge erwiesen, bei denen nicht nur einzelne ›Stellen‹ und Begriffe in Bewegung geraten, sondern ganze Problemfelder und philosophische Strategien sich verschieben können. Auch wenn ich einerseits die diskursanalytischen Archäologien als »Schwundstufen« (Marquard 1978, 28) des metaphysischen Denkens Schellings und Heideggers rekonstruiere, insofern systematische Ansprüche aufgegeben werden, möchte ich andererseits zeigen, wie die quasi-transzendentalen Projekte Derridas und Blumenbergs durch dieses Aufgeben neue Probleme und Perspektiven entdecken. Schellings Weltalter stellen das metaphysische Projekt einer romantischen Wissenschaft des lebendigen Grundes dar. Die Ontobiohistoriographie des Urwesens, die die Weltalter erzählen, umfaßt Kosmogonie, Naturgeschichte und Geschichtsphilosophie. Schelling befindet sich dabei gegenüber dem Urwesen in einer Position, die der Heideggers angesichts des Seins ähnelt: In der bisherigen Wissenschaft wurde das Urwesen, der archäologische Grund alles Seienden, ›vergessen‹. Die Weltalter zielen daher nicht zuletzt darauf, die Existenz des vergessenen, lebendigen Grundes zu erweisen. Dabei bezieht Schelling apriorisches Wissen aus der Erwekkung des inneren Bildes und Beobachtungen aus Natur und Geschichte aufeinander. Die durch das Bild apriorisch erkannte Entwicklungsgeschichte des Urwesens liefert den ›Code‹, der das sichtbare Geschehen der Natur- und Geistesgeschichte als Ausdruck und Teil der Entwickelungsgeschichte ›lesbar‹ macht. Natur- und Geistesgeschichte enthalten »Denkmäler« (Schelling 1993, 114), die durch die Ontobiohistoriographie der Weltalter auf ihre archäologische Herkunft aus der »eigentlichen Geschichte« (Schelling 1993, 115), der Entwicklungsgeschichte des Urwesens, hin transparent werden. In den ontologischen Lektüren der Weltalter verbinden sich ein hermeneutisches Modell und ein Zeichenbegriff: Das hermeneutische Modell ist offensichtlich die Lektüre eines – fremdsprachigen - Textes, der dadurch erst in seinem Sinn verständlich wird. Es ist die Grundthese des ontologischen Monismus der Weltalter, daß alles, was ist, ein Teil des Urwesens ist. Dadurch werden alles Geschehen und alle Gegenstände zu Symbolen des Urwesens, »Darstellungen des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen« (Schelling 1859 V, 406). Durch die ontologische Lektüre der Weltalter wird die Wirklichkeit erstmals als symbolische Darstellung des lebendigen Grundes einsichtig, der damit auch seinerseits zum ersten Mal in der abendländischen Geistesgeschichte als er selbst erkannt wird. Dabei ist der problematische mythologi-

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sche Charakter der Darstellung des Urwesens in den Weltalter der metaphysischen Formatierung der Symbol-Konzeption geschuldet, in der Besonderes und Allgemeines unkritisch vermengt werden. Heideggers späte Seinsphilosophie ist als Suche nach dem vergessenen Grund der abendländischen Geistesgeschichte wie Schellings Weltalter Fundamentalphilosophie: Das Sein tritt an die systematische Stelle, die bei Schelling das Urwesen besetzte. Allerdings stellt schon Heideggers Spätphilosophie gegenüber der Ontobiohistoriographie eine »Schwundstufe« (Marquard 1978, 28) dar, insofern kosmologische und naturphilosophische Erklärungsansprüche nicht mehr erho316 ben werden und diese Problemfelder verschwinden. Die späte Seinsphilosophie ist zunächst in dem Sinne ›Geschichtsphilosophie‹, als sie die Herkunft des philosophischen Denkens aus einem in ihm vergessenen Geschehen der Lichtung des Seins aufweisen will. Die abendländische Geistesgeschichte soll als Seinsgeschichte lesbar werden, als Geschichte, die aus ihrem archäologischen Grund, dem Sein, bestimmt ist. Dabei sind Heideggers seinsgeschichtliche Lektüren – anders als Schellings ontologische – wirklich Lektüren von Texten. In seinen synekdochischen Lektüren der Texte der philosophischen Tradition zielt der späte Heidegger stets auf den Aufweis des vergessenen, sie ermöglichenden archäologischen Geschehens der Lichtung des Seins. Schelling nahm eine Identität von lebendigem Grund und Wirklichkeit an. Auch Heidegger denkt sich die geschichtliche Sprache der Tradition als »Haus des Seins« aus dem Sein bestimmt. Allerdings bleibt die Sprache dem Sein dennoch auf ähnliche Weise äußerlich wie ein Haus seinem Bewohner. Sprache kann in das Sein weisen, aber Sprache und Sein sind nicht das Selbe. Im Verhältnis zu Schellings naiv anmutendem Sprachvertrauen, das sich in der metaphysischen Symbol-Konzeption kristallisiert, ist Heideggers Verhältnis zur Sprache kritischer. Daher wird für Heideggers Spätphilosophie die Metapher zum bestimmenden zeichentheoretischen Modell in doppelter Hinsicht: Weil in der seinsvergessenen, abendländischen Geistesgeschichte das Sein nie als es selbst und eigentlich erscheint, sind alle Texte der Philosophie seinsgeschichtliche Metaphern, verschobener, uneigentlicher Ausdruck der Lichtung des Seins, deren Sinn erst Heideggers seinsgeschichtliche Lektüre sichtbar macht. Schließlich kann aber auch Heideggers Seinsphilosophie über das Sein selbst, das kein Seiendes ist, nicht eigentlich sprechen, sondern muß sich mit Metaphern behelfen – Lichtung, Ruf, Ereignis -, die in das Entbergungsgeschehen nur weisen und es nicht eigentlich benennen können. Das Sein der Spätphilosophie als Grund der abendländischen Geistesgeschichte ist ein Ab-grund, der nie eigentlich vorliegt und deshalb – wie das Unbewußte Träume - Metaphern produziert.

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Angesichts des Erfolges der Naturwissenschaften sind weitreichende naturphilosophische oder gar kosmogonische Thesen im 20. Jahrhundert philosophisch nicht mehr vertretbar. Allerdings kommt Heidegger in seinen späten Aufsätzen zu Ding und Technik auf die unerledigten naturphilosophischen Fragen zurück.

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In den Metapherntheorien Derridas und Blumenbergs macht die metaphysische Begründungsidee Schellings und Heideggers eine tiefgreifende Transformation in ein quasi-transzendentales Projekt durch. Dabei bleibt bei aller Differenz die diskursanalytische Archäologie als »Schwundstufe« der metaphysischen auf diese bezogen. An die Stelle des metaphysischen Grundes tritt die diskursanalytische Idee eines immanenten historischen Aprioris: Der Grund ist dem Begründeten zwar vorgelagert aber kein absoluter Grund mehr, sondern selber historisch als Begründeter aus einem früheren immanenten Grund hervorgegangen. Diese Idee liegt sowohl Derridas Logik der Verkettung als auch Blumenbergs Logik der Folgen zugrunde, die die zentrale Idee seiner Technisierungsgeschichtsschreibung ist, auf die ich mich hier konzentriere. Blumenbergs technisierungsgeschichtliche Lektüren fragen – wie Heideggers seinsgeschichtliche – nach den Bedingungen der Möglichkeit des Aufkommens philosophischer Begriffe, Metaphern oder ganzer Problemlagen, z.B. der »Neuzeit«. Während sowohl Schelling als auch Heidegger geistesgeschichtliche Phänomene als Produkte eines transzendenten Grundes verstehen, rekonstruiert sie Blumenberg als Folgen vorangegangener Entscheidungen. In dem Begriffsgeschichte und Metaphorologie aufeinander beziehenden Projekt einer Technisierungsgeschichtsschreibung wird das immanente Geschehen der Technisierung, der Fort- und Umschreibung vorangegangener begrifflicher oder metaphorischer Verwendungen, als Grund für das Aufkommen neuer Begriffe, Metaphern und Problemlagen erkennbar. Das historische Archiv früherer Sprachformen ist mit seinen latenten systematischen Anschlußmöglichkeiten und Ausschlüssen das historische Apriori späterer geistesgeschichtlicher Phänomene, die dann ihrerseits darin eingehen, es möglicherweise umformen und dann eine neue historischapriorische Struktur für zukünftiges Sprechen bilden. Auch die Konzeption der nachmetaphysischen Metapher beruht auf einer Logik, die die Technisierungsgeschichte beschreibt: Die nachmetaphysische Metapher erweist sich als Manifestation der latenten systematischen und sprachlichen Beziehungen, die die Technisierungsgeschichte stiftet. Die nachmetaphysische Metapher ist eine akute Kristallisation ihres historisch-systematischen Untergrundes, dessen technisierungsgeschichtlich hergestellte Konstellationen der Dinge in ihrer Ähnlichkeitsbehauptung aufscheinen.

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LITERATURVERZEICHNIS

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Weber, Samuel 1975: »Der Einschnitt. Zur Aktualität Volosinovs«, in: Valentin N. Volosinov, Marxismus und Sprachphilosophie, herausgegeben u. eingeleitet v. Samuel Weber, übers. v. Renate Horlemann, Frankfurt (Main)/Wien/Berlin Weinrich, Harald 1976: »Münze und Wort. Untersuchungen zu einem Bildfeld«, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart, S. 276-290 Weinrich, Harald 1976: »Semantik der kühnen Metapher«, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart, S. 295-316 Weinrich, Harald 1976: »Allgemeine Semantik der Metapher«, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart, S. 317-327 Weinrich, Harald 1980: Art. »Metapher«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Darmstadt, Sp. 1179-1186 Welter, Rüdiger 1986: Der Begriff der Lebenswelt. Theorien vortheoretischer Erfahrung, München Wetz, Franz Josef/Timm, Hermann (Hg.) 1999: Die Kunst des Überlebens. Nachdenken über Hans Blumenberg, Frankfurt/Main Wilde, Mauritius 2000: Das neue Bild vom Gottesbild. Bild und Theologie bei Meister Eckhart, Freiburg/Schweiz Wittgenstein, Ludwig 1969: Tractatus logico-philosophicus, in: ders., Schriften 1, Frankfurt/Main, S. 7-83 Wittgenstein, Ludwig 1969: Philosophische Untersuchungen, in: ders., Schriften 1, Frankfurt/Main, S. 279-544 Wittgenstein, Ludwig 1999: »Vortrag über Ethik«, in: ders. Vortrag über Ethik und andere kleinere Schriften, herausgegeben u. übers. v. Joachim Schulte, Vierte Auflage, Frankfurt/Main, S. 9-19 (»Wittgenstein’s Lecture on Ethics«, in: The Philosophical Review 74 (1965), S. 3-12) Yates, Frances A. 2000: The art of memory, London Zill, Rüdiger 2002: »›Substrukturen des Denkens‹. Grenzen und Perspektiven einer Metapherngeschichte nach Blumenberg«, in: Hans Erich Bödeker (Hg.), Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, Göttingen, S. 209-258 Zill, Rüdiger 2011: »Metaphern als Migranten. Zur Kulturgeschichte rhetorischer Formen«, in: Matthias Kroß/Rüdiger Zill (Hg.), Metapherngeschichten. Perspektiven einer Theorie der Unbegrifflichkeit, Berlin, S. 105-140 Zuberbühler, Rolf 1969: Hölderlins Erneuerung der Sprache aus ihren etymologischen Wurzeln, Berlin

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Register REGISTER LITERATURVERZEICHNIS

Anamnesis 54-55 Andere der Vernunft 9 f. , 82, 111 Archäologie 247-250 – bei Schelling 64 f., 107-110 – bei Heidegger 105 f., 107-111, 116-123, 130-134, 143-149, 153-161 – bei Derrida 201 f., 205 f., 217 f. – bei Blumenberg 222 f., 225 f., 232-240 Bild 37, 45-66, 69, 215 – als Modell 49 – in der Seele 45-66 – Weltbild (Heidegger) 157-161 Bildfeld 46, 184-185, 212-214 – der Wissenschau 46-49 Buch der Natur 64 Dialektik 20 f., 71 – innere 38-41, 43, 62-66 Dichtung (nach Heidegger) 97-103 Ek-sistenz 151-153 Ekstase 39-41 Epos (spekulatives) 74-76 Erzählung (Fabel) 19 f., 44 Gedächtnis-Metaphorik 50, 52 f., 54-56 Darstellung – gegenstandsmimetische 17-21, 74, 77 – wirkungsorientierte 21-24, 74, 77 Geschichts-Metaphorik 107-111, 111-116 Gnosis 56-57 imago dei 59-62 Katachrese 227-228

Kehre (der Wahrheitskonzeption) 124-134 Lebenswelt 231-233 Lektüre – metaphorologische (Heidegger) 153-161 – ontologische (Schelling) 64 f. – quasi-etymologische (Heidegger) 113-116, 136 f. – seingeschichtliche (Heidegger) 116123 Licht-Metaphorik 50, 52 f., 55-57, 61, 191 Lichtung 138-143, 143-149 Metapher/Metaphorik – absolute (Blumenberg) 48, 143, 149, 151, 154 f., 224-240 – anthropologische Notwendigkeit der 228-231 – anthropomorphe 24-26, 72-73 – Aristotelische Theorie der 168-181 – und Begrifflichkeit 195-197 (Hegel), 197-201 (France), 202-205 (Ricœur), 214-218 (Derrida), 222226 (Blumenberg) – eigentliche 20, 23 f., 26, 28, 30 f., 74, 192 – ›Gründer‹-Tropen (Derrida) 214216, 225-228, 233 f. – als Halbzeug 238 – Heideggers Gebrauch der 92103 – Heideggers Kritik der 86-92 – lebendige 202-205 – metapherntheoretische 169-171, 201, 208 – und Metaphysik 228 f., 233 f., 240-245

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REGISTER

– Metonymie als semantische Struktur der 201, 208 – Metakinetik von 234 – nachmetaphysischer Begriff der 91-92, 96, 165 f., 194, 206 f., 208, 225 f., 250 – Satztheorie der 174 f. – als Schmuck 190-194 – Sprengmetaphorik 228 – Worttheorie der 182-185 metaphorisches Szenario 113-116 Metaphorologie (Blumenberg) – und Anthropologie 228-231 – und Begriffsgeschichte 222, 224226, 235-240 – und Lebenswelt 231-233 – und Metaphysik 224-225, 228-229, 233, 235 Mitwissenschaft der Schöpfung 36-39, 45-66 Mythologie der Vernunft 21-24 – christliche 72-78 Natur-Metaphorik 30-32, 107-112 Negativität – linguistische 182-188 – des Seins 83, 101, 143 f. Ontobiohistoriographie 44, 72 f. – Ontologie als 76-78 Ontobiologie 36 Ontotheologie 62 Raum-Metaphorik 134-138, 138-143, 151-153, 242 f. retroping 92, 94-96, 108 Schlaf-Metaphorik 57-59

Sein 107 f. – Geschick des 104 f., 107 f., 120 – Haus des 98-103, 115-116 – zwei Begriffe von 104-107, 109, 120, 144 f. – Wurf des 105 Seinsgeschichte 87-88, 104, 107-111, 111-116, 119 f., 153-161, 219 f., 239-240 Seinsvergessenheit 106, 120, 132 f. Sprachnot (Heidegger) 100-103 Symbol 20-24, 71-78, 148, 248 – christliche Unfähigkeit zum 76 Technisierungsgeschichte 236-240, 247-250 Terminologisierung 45, 50-51, 53 Übersetzung 111-116 Umbesetzung 9, 83, 111, 133 f., 160 f., 165-166, 219-221, 234-240, 247-250 Urwesen 19, 27 f., 35 f., 110-111, 147 Wahrheit – aletheia 128, 131-134, 138 f., 142 f. – Erschlossenheit 125-128 – Gewißheit 156 f. – nackte 190-193 – Richtigkeit 129-131 – Wahrheitsbegriffe 124-134 Wirkungsgeschichte – von Metaphern 45 f., 62 Wort als Sohn 67-69