Menschenrechte und Soziale Arbeit. Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und Umsetzung einer Realutopie [1. ed.] 9783847421764, 9783847412045


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German Pages 318 [319] Year 2018

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Menschenrechte und SozialeArbeit. Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und Umsetzung einer Realutopie
Vorwort Zur Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit
Inhalt
Menschenrechte – Eine Realutopie und ihreRelevanz für die Soziale Arbeit Menschenrechte und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit (Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg)
Konzeptionelle Grundlagen – Menschenrechte als Bezugsmodelle und Konzepte
Social Work and Human Rights – The ‘Human’, the ‘Social’ and the Collapse of Modernity Social Work and Human Rights (Jim Ife)
Soziale Arbeit – Eine umstrittene Menschenrechtsprofession (Nivedita Prasad)
Menschenrechte in der Sozialen Arbeit – Ein Papiertiger? Gespräch zwischen Sabine Stövesand und Silvia Staub-Bernasconi
Zur Gefahr eines paternalistischen Umschlags des im Konzept Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession beanspruchten Tripelmandats – Vorschläge zu einem demokratischeren professionellen Ethos Sozialer Arbeit. (Michael May)
In welcher Hinsicht sind Menschenrechteabstrakt? Philosophische Betrachtungen zu Abwehr-, Teilhabe- und Teilnahmerechten (Stefanie Rosenmüller)
Migrationsforschung, Disability und Gender Studies als Bezugspunkte einer diversitätsbewussten und menschenrechtsbasierten Sozialen Arbeit (Karin E. Sauer, Barbara Schramkowski und Barbara Thiessen)
Dekolonialisierung des Wissens: Indigenes Wissen, Menschenrechte und Soziale Arbeit (Nausikaa Schirilla)
Gestaltungsfelder – Menschenrechte im fachlichen Diskurs
Mitgliedschaft als Menschenrecht?
Staatsbürgerschaftsrecht und Einwanderungspolitik im Fokus einer menschenrechtsorientierten Sozialen Arbeit (Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher)
Menschenrechte und Religion – Theoretische, empirische und praktische Zugänge zu einer religionssensiblen Sozialen Arbeit (Kathrin Hahn
)
Die Menschenrechte und der Schutz des Wohnens – Professionelles Handeln und die guten Gründe für den universellen Schutz des Wohnens (Edi Martin)
Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext bewaffneter Konflikte – Völkerrechtliche, ethische und handlungsbezogene Aspekte und Fragestellungen (Linus Mührel, Markus Hundeck und Eric Mührel)
Die Internationale
Melbourne-Definition. Sozialer Arbeit von 2014 – Ein Schritt nach vorn und drei zurück? (Silvia Staub-Bernasconi)
Vom Kopf auf die Füße stellen – Menschenrechte und ihre Vermittlung in der praxisorientierten Lehre (Walter Eberlei, Katja Neuhoff und Klaus Riekenbrauk)
Umsetzung – Menschenrechte und ihre Realisierung in Handlungsfeldern Sozialer Arbeit
Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsehen: Herausforderungen für die Klinische Soziale Arbeit (Isabelle Brantl, Margit Stein und Yvette Völschow)
Gehandelte Ethnie – Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Frauender Ethnie Rroma (Alexandra Geisler)
Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche in Deutschland – partizipativ-empowernde Unterstützungsangebote und ihre Bedeutung für eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche in Deutschland (Nadine Bochert, Petra Focks und Andrea Nachtigall)
Kinderrechte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung: Ein Vergleich der staatlichen Verfahrensrichtlinien in England, den Niederlanden und Deutschland
(Susanne Witte)
Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aus der Perspektive der UN Kinderrechtskonvention (Claudia Kittel)
Menschenrechte als Bezugsrahmen für die Soziale Arbeit mit älteren Menschen (Marina Vukoman und Ann-Christin Heming)
Menschenrechte und kritische Professionalisierung Sozialer Arbeit am Beispiel der Sozialpsychiatrie (Sandro Bliemetsrieder, Katja Maar, Josephina Schmidt und Athanasios Tsirikiotis)
Menschenrechts-Monitoring in der Sozialen Arbeit – Ein Beispiel eines Evaluationsvorhabens zur Umsetzung von Menschenrechten im Sozialamt der Stadt Salzburg (Robert Krammer)
Die Herausgeber_innen und Autor_innen
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Menschenrechte und Soziale Arbeit. Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und Umsetzung einer Realutopie [1. ed.]
 9783847421764, 9783847412045

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Buchreihe Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) Prof. Dr. Stefan Borrmann Prof. Dr. Sonja Kubisch Prof. Dr. Michaela Köttig Prof. Dr. Dieter Röh Prof. Dr. Christian Spatscheck Prof. Dr. Claudia Steckelberg Prof. Dr. Barbara Thiessen Band 16

Christian Spatscheck Claudia Steckelberg (Hrsg.)

Menschenrechte und Soziale Arbeit Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und Umsetzung einer Realutopie

Verlag Barbara Budrich Opladen • Berlin • Toronto 2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Alle Rechte vorbehalten. © 2018 Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin & Toronto www.budrich-verlag.de ISBN eISBN

978-3-8474-2176-4 (Paperback) 978-3-8474-1204-5 (eBook)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Bettina Lehfeldt, Kleinmachnow – www.lehfeldtgraphic.de Lektorat und Satz: Anja Borkam, Jena Druck: Paper & Tinta, Warschau Printed in Europe

Vorwort Vorwort

Zur Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit Die Wissenschaftsdisziplin der Sozialen Arbeit kann auf eine lange Tradition der Verknüpfung von Forschung und Praxis zurückblicken: Wissenschaftler_innen greifen Frage- und Problemstellungen aus der Praxis Sozialer Arbeit auf und transformieren diese so, dass sie im Rahmen anwendungs- und grundlagenorientierter Forschung bearbeitet werden können. Professionelle Fachkräfte, die sich in der Praxis mit der Wahrnehmung, Analyse, Vermeidung und Minderung sozialer Probleme sowie mit Bildungsherausforderungen und Subjektivierungen befassen, greifen auf Erkenntnisse wissenschaftlicher Analysen, auf Theorien und empirisches Wissen zurück, um die von ihnen wahrgenommenen Phänomene verstehen, erklären und professionell bearbeiten zu können sowie ihre eigene Praxis kritisch zu reflektieren. Inzwischen haben sich auch verschiedene Foren der Kooperation und des fachlichen Austauschs zwischen Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen in der Sozialen Arbeit etabliert. Für die Auseinandersetzung in gesellschaftlichen, fachlichen und politischen Diskursen benötigen Wissenschaftler_innen und Fachkräfte Sozialer Arbeit gleichermaßen fundierte Argumente, die allzu einfachen Erklärungsmustern begegnen und dazu beitragen, als problematisch wahrgenommene soziale Phänomene in ihrer Genese und im gesellschaftlichen Kontext zu analysieren und zu verstehen. Doch obwohl es inzwischen sowohl eine im Hinblick auf den Umgang mit sozialen Problemen und Bildungsherausforderungen reiche professionelle Praxis als auch eine weite und ausdifferenzierte Forschungslandschaft in der Sozialen Arbeit gibt, mangelt es in vielen Bereichen immer noch an empirischen Analysen und theoriebasierten Erklärungen. In manchen Bereichen bleiben Erfahrungen sowie gelungene und misslungene Lösungsund Interpretationsbemühungen undokumentiert, unausgewertet, unverstanden und vor allem unveröffentlicht. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) bemüht sich seit ihrer Gründung im Jahr 1989 darum, diese Erfahrungen für den professionellen und disziplinären Diskurs aufzubereiten. Als Förderin der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit entfaltet die Fachgesellschaft dafür eine Reihe von Aktivitäten in Forschung, Theorie und Ausbildung. Neben dem Fachdiskurs innerhalb der Sektionen, Fachgruppen und Jahrestagungen, der Anregung curricularer Weiterentwicklungen und der Unterstützung des wissenschaftlichen und professionellen Nachwuchses gehören dazu auch die Veröffentlichung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkennt-

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Vorwort

nisse. Die Fachbeiträge sollen dazu dienen, fundiert und aktiv fach- und gesellschaftspolitische Debatten mit zu gestalten, die sich mit der Lösung der für die Soziale Arbeit relevanten sozialen Probleme befassen. Die 2010 gestartete Schriftenreihe der DGSA versteht sich dabei als ein Forum, das sich aus den Beiträgen der Sektionen und Fachgruppen, den von ihnen veranstalteten Tagungen und Kongressen speist, jedoch darüber hinaus auch zentrale Themen und Fragestellungen des Fachdiskurses im Bereich der Sozialen Arbeit aufgreift. Die Reihe wendet sich an Lehrende, Forschende, Praktiker_innen und Studierende der Sozialen Arbeit sowie benachbarter Disziplinen und Professionen, die sich ebenfalls mit den Gegenständen der Sozialen Arbeit in Wort und Tat befassen. Wir verstehen diese Reihe als eine Einladung an alle Interessierten, sich am Diskurs über die aufgeworfenen Fragen zu beteiligen. In diesem Sinne hoffen wir, dass die Reihe zur Mehrung der Erkenntnisse beiträgt und möglichst vielen einen Ansporn gibt, sich in diesen Prozess einzubringen. Bremen, Hamburg, Frankfurt am Main, Köln, Landshut, Neubrandenburg im März 2018 Die Herausgeber_innen Stefan Borrmann Michaela Köttig Sonja Kubisch Dieter Röh Christian Spatscheck Claudia Steckelberg Barbara Thiessen

Inhalt Inhalt Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg Menschenrechte – Eine Realutopie und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit ............................................................................

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Konzeptionelle Grundlagen – Menschenrechte als Bezugsmodelle und Konzepte Jim Ife Social Work and Human Rights – The ‘Human’, the ‘Social’ and the Collapse of Modernity ..............................................................

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Nivedita Prasad Soziale Arbeit – Eine umstrittene Menschenrechtsprofession ...............

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Gespräch zwischen Silvia Staub-Bernasconi und Sabine Stövesand Menschenrechte in der Soziale Arbeit – Ein Papiertiger? .....................

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Michael May Zur Gefahr eines paternalistischen Umschlags des im Konzept Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession beanspruchten Tripelmandats – Vorschläge zu einem demokratischeren professionellen Ethos Sozialer Arbeit ...................................................

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Stefanie Rosenmüller In welcher Hinsicht sind Menschenrechte abstrakt? Philosophische Betrachtungen zu Abwehr-, Teilhabe- und Teilnahmerechten ..............

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Katrin E. Sauer, Barbara Schramkowski und Barbara Thiessen Migrationsforschung, Disability und Gender Studies als Bezugspunkte einer diversitätsbewussten und menschenrechtsbasierten Sozialen Arbeit ....................................................................................................

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Nausikaa Schirilla Dekolonialisierung des Wissens: Indigenes Wissen, Menschenrechte und Soziale Arbeit ................................................................................

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Inhalt

Gestaltungsfelder – Menschenrechte im fachlichen Diskurs Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher Mitgliedschaft als Menschenrecht? Staatsbürgerschaftsrecht und Einwanderungspolitik im Fokus einer menschenrechtsorientierten Sozialen Arbeit .....................................................................................

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Kathrin Hahn Menschenrechte und Religion – Theoretische, empirische und praktische Zugänge zu einer religionssensiblen Sozialen Arbeit ..........

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Edi Martin Die Menschenrechte und der Schutz des Wohnens – Professionelles Handeln und die guten Gründe für den universellen Schutz des Wohnens ...............................................................................................

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Linus Mührel, Markus Hundeck und Eric Mührel Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext bewaffneter Konflikte – Völkerrechtliche, ethische und handlungsbezogene Aspekte und Fragestellungen ................................................................

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Silvia Staub-Bernasconi Die Internationale Melbourne-Definition Sozialer Arbeit von 2014 – Ein Schritt nach vorn und drei zurück? .................................................

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Walter Eberlei, Katja Neuhoff und Klaus Riekenbrauk Vom Kopf auf die Füße stellen – Menschenrechte und ihre Vermittlung in der praxisorientierten Lehre .........................................

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Umsetzung – Menschenrechte und ihre Realisierung in Handlungsfeldern der Sozialer Arbeit Isabelle Brantl, Margit Stein und Yvette Völschow Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsehen: Herausforderungen für die Klinische Soziale Arbeit ............................

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Inhalt

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Alexandra Geisler Gehandelte Ethnie – Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Frauen der Ethnie der Rroma ......................

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Nadine Bochert, Petra Focks und Andrea Nachtigall Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche in Deutschland – partizipativ-empowernde Unterstützungsangebote und ihre Bedeutung für eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit .................................

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Susanne Witte Kinderrechte bei einem Verdacht Kindeswohlgefährdung: Ein Vergleich der staatlichen Verfahrensrichtlinien in England, den Niederlanden und Deutschland ......................................................

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Claudia Kittel Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aus der Perspektive der UN-Kinderrechtskonvention .................................................................

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Marina Vukoman und Ann-Christin Heming Menschenrechte als Bezugsrahmen für die Soziale Arbeit mit älteren Menschen ..................................................................................

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Sandro Bliemetsrieder, Katja Maar, Josephina Schmidt und Athanasios Tsirikiotis Menschenrechte und kritische Professionalisierung Sozialer Arbeit am Beispiel der Sozialpsychiatrie .........................................................

283

Robert Krammer Menschenrechts-Monitoring in der Sozialen Arbeit – Ein Beispiel eines Evaluationsvorhabens zur Umsetzung von Menschenrechten im Sozialamt der Stadt Salzburg ..............................

297

Die Herausgeber_innen und Autor_innen .............................................

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Menschenrechte – Eine Realutopie und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit Menschenrechte und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg

„Der Verlust der Menschrechte findet nicht dann statt, wenn dieses oder jenes Recht, das gewöhnlich unter die Menschenrechte gezählt wird, verloren geht, sondern nur wenn der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte haben kann und der die Bedingung dafür bildet, daß seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen von Belang sind.“ (Arendt 2006, 613). „Freedom of expression is the foundation of human rights, the source of humanity, and the mother of truth. To strangle freedom of speech is to trample on human rights, stifle humanity, and suppress truth.“ (Liu 2010). „I understand that a great many people are aggrieved that women, migrants and people of colour no longer seem to know their proper place. I understand that a great many otherwise decent human beings believe that more rights for black, brown and female people means fewer rights for ‘ordinary people’ by which they mean white people. But just because you’re angry doesn’t mean you’re right.“ (Penny 2017, Pos. 371).

Dieser Band widmet sich dem spannungsreichen Verhältnis von Menschenrechten und Sozialer Arbeit. Verschiedene Modelle und Erklärungen der Menschenrechte werden in den Diskursen von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit als zentrale Referenzpunkte herangezogen. In Theoriemodellen der Sozialen Arbeit wird die Realisierung der Menschenrechte als Realutopie, konzeptioneller Anspruch, ethischer Bezugsrahmen fachlichen Handelns, als Referenz im Umgang mit ethischen Dilemmata sowie zur Orientierung im Umgang mit menschenrechtswidrigen Forderungen konzeptualisiert (vgl. u.a. Ife 2010; 2012; Reichert 2011; Staub-Bernasconi 2003; i.E.; Wronka 2016; Beiträge aus dem seit 2016 erscheinenden Journal of Human Rights and Social Work). In der Praxis der Sozialen Arbeit wird die aktive und passive Nutzung des UNMenschenrechtsschutzsystems diskutiert und viele Praktiker_innen der Sozialen Arbeit finden in den Menschenrechten eine visionäre und zugleich konkrete Orientierung für ihr fachliches Handeln (vgl. etwa Engelhardt 2016). Zentrale internationale Positionspapiere der Sozialen Arbeit orientieren sich am Ziel der Umsetzung der Menschenrechte (z.B. IFSW 2012; IFSW/IASSW 2014). Nicht zuletzt beziehen soziale Bewegungen und Zusammenschlüsse von Adressat_innen ihre Aktivitäten auf die Realisierung und Ausweitung der Menschenrechte (vgl. Ignatieff 2002).

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Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg

Grundlegend für die Idee der Menschenrechte ist die Menschenwürde, die bei allen Menschen gleichermaßen geachtet werden muss. Individuen erhalten ihre Menschenrechte bedingungslos qua ihres Menschseins (vgl. Fritsche 2004: 19ff.). Jedoch ist die Realisierung von Menschenrechten immer gebunden an Individuen, Institutionen und Gesellschaften, die die Menschenrechte im sozialen, staatlichen, juristischen, familialen und gemeinschaftlichen Handeln achten und ihnen zur Geltung verhelfen. Prozesse der Realisierung der Menschenrechte waren und sind immer auch konflikthaft und gebunden an die historischen Einflussfaktoren von Interessen, Macht und Herrschaft in einer Gesellschaft (vgl. Moyn 2010; Joas 2011). Im Fachdiskurs werden unterschiedliche Teilbereiche der Menschenrechte deutlich. Hierbei sind neben Bürger_innen- und Freiheitsrechten genauso wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie Rechte auf gelingende soziale Entwicklung mit inbegriffen (vgl. Ife 2012). Wichtige Strategien zur Realisierung von Menschenrechten sind die Bewusstseins- und Menschenrechtsbildung, das Nutzen von Institutionen und Organisationen als konkrete alltagsnahe Orte und Modelle für den bewussten Umgang und die Auseinandersetzung mit Menschenrechten sowie die politische, anwaltschaftliche und organisierende Menschenrechtsarbeit (vgl. Spatscheck 2008). Aktuell wird die Wahrung der Menschenrechte in neuer Weise herausgefordert. Das Handeln fundamentalistisch, nationalistisch, autoritär oder austeritätspolitisch orientierter Akteur_innen wirkt sich einschränkend auf die Realisierung der Menschenrechte in verschiedenen Lebensbereichen und Gesellschaften aus und drängt menschenrechtliche Errungenschaften wieder zurück (vgl. Müller 2016; Emcke 2016; Klein 2017). Gleichzeitig stehen sozial zunehmend gespaltene und pluralisierte Gesellschaften vor der Herausforderung, sich gemeinsam auf geteilte normative Bezüge und Leitlinien zu verständigen (vgl. Putnam 2007). Zudem steht auch die bisherige Form der Formulierung der Menschenrechte selbst in Verdacht, als Projekt der westlichen Aufklärung ein ethnozentristisches Modell zu verfolgen, das bestimmte Gruppen bevorzugt und andere interessengleitet negiert oder völlig ausblendet (vgl. Nussbaum 2011: 101ff.). Soziale Arbeit als Profession und Disziplin steht vor der Herausforderung, sich reflektiert und bewusst in diesen Debatten zum Menschenrechtsdiskurs zu verorten und sich aktiv in den Auseinandersetzungen zu positionieren. Bislang besteht in vielen Feldern der Sozialen Arbeit jedoch noch wenig systematisches Wissen über die Umsetzung und Gestaltung von Interventionen zur Förderung der Menschenrechte. Und es gibt noch wenige Orte für den Austausch von Konzepten, Forschungsergebnissen, Strategien und Erfahrungen in der Menschenrechtsförderung und -realisierung. Vor diesem Hintergrund bot die DGSA Jahrestagung am 28. bis 29. April 2017 an der Alice Salomon Hochschule in Berlin ein Forum, in dem das Ver-

Menschenrechte und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit

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hältnis zwischen Sozialer Arbeit und den Menschenrechten in sehr unterschiedlichen Ebenen und Umsetzungsbereichen diskutiert wurde. Die Tagung bot ein Forum für die Präsentation und Diskussion von über 150 empirischen, theoretischen und praxisnahen Beiträgen. Anhand des thematischen und methodischen Spektrums der Beiträge der Tagung wird deutlich, dass vor allem folgende Fragestellungen und Kontroversen die aktuelle Fachdebatte bestimmen: Welche Konzepte, Modelle und Begriffe dienen als Grundlage im Menschenrechtsdiskurs und welche Kritiken und Thematisierungen sind vorhanden? In welchen Politikfeldern spielt der Menschenrechtsdiskurs eine Rolle? Wie taucht er in Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitiken auf? In welchen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit sind Menschenrechtsdiskurse relevant? Wie werden Menschenrechte dort thematisiert? Welche Verfahren, Konzepte, Strategien, institutionellen Formen und Rahmenbedingungen lassen sich identifizieren? Wie werden Menschenrechte in Bezug auf soziale Probleme thematisiert, eingefordert und realisiert? Welche Begründungen dienen ihrer Ausweitung oder Einschränkung? Inwiefern kann und sollte die Realisierung von Menschenrechten durch Indikatormodelle mess- und vergleichbar gemacht werden? Inwieweit werden die Menschenrechte in der Sozialen Arbeit von Adressat_innen eingefordert und ihnen gegenüber realisiert? Wo sind hier Kritikpunkte? Vor welchen Herausforderungen steht Forschung in der Sozialen Arbeit, wenn es um Fragen der Menschenrechte geht? Wurde die Soziale Arbeit in den letzten Jahren ihrem Anspruch, als eine Menschenrechtsprofession tätig zu sein, gerecht? Worin liegen weitere Herausforderungen und offene Ansprüche? Der hier vorliegende Sammelband führt nun eine Auswahl von Beiträgen zusammen, die anlässlich der genannten Tagung entstanden sind. Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil „Konzeptionelle Grundlagen – Menschenrechte als Bezugsmodelle und Konzepte“ werden die theoretischen Grundlagen des Diskurses um die Soziale Arbeit und die Menschenrechte formuliert und dargestellt. Im zweiten Teil „Gestaltungsfelder – Menschenrechte im fachlichen Diskurs“ wird diskutiert, wie die Menschenrechte im fachlichen und gesellschaftlichen Diskurs konkreter thematisiert und in Anwendungsmodellen formuliert werden können. Im dritten Teil „Umsetzung – Menschenrechte und ihre Realisierung in Handlungsfeldern der Sozialer Arbeit“ wird konkretisiert, wie Menschenrechte in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit umgesetzt und realisiert werden können. Der erste Teil des Bandes, „Konzeptionelle Grundlagen“, fokussiert auf die Fragestellung, wie Menschenrechte als Bezugs- und Theoriemodelle für die Soziale Arbeit konzeptualisiert werden können. Den Auftakt bestreitet Jim Ife mit einem einführenden Beitrag über die anthropologische und soziale Begründung der Menschenrechte im Kontext einer fragilen und in sich kollabierenden Moderne und die sich dabei ergebenden begrifflichen und konzeptionellen Verwirrungen, Ambivalenzen und Herausforderungen für die Soziale Arbeit.

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Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg

Nivedita Prasad führt in ihrem Beitrag aus, inwiefern Soziale Arbeit nicht als die einzige, aber als eine Menschenrechtsprofession zu verstehen ist und was dieser Bezugsrahmen in der Konsequenz für die Lehre und Praxis der Profession bedeutet. Vor allem als Orientierung bei der ethischen und fachlichen Analyse professionellen Handelns auf unterschiedlichen Ebene ist dieser Bezugsrahmen relevant, was auch angesichts aktueller politischer Probleme und Herausforderungen aufgezeigt wird. Der Diskurs um die Menschrechte in der Sozialen Arbeit wurde (nicht nur) im deutschsprachigen Raum wesentlich geprägt durch Silvia Staub-Bernasconi. Im Beitrag von Sabine Stövesand und Silvia Staub-Bernasconi wird in dialogischer Form der Frage nach der Wirkmächtigkeit von Menschenrechten nachgegangen, im Rückblick auf Meilensteine der Menschenrechtsdiskussion in Profession und Disziplin wie auch im Ausblick auf kommende Entwicklungen. Michael May hingegen kritisiert in seinem Beitrag den Anspruch und die Begründung Sozialer Arbeit, eine Menschenrechtsprofession zu sein. Ein Ethos Sozialer Arbeit, das sich auf anerkennungstheoretische Konzepte und den Begriff des kategorischen Imperativs bezieht, bezeichnet er als eine demokratischere Alternative. Eine kritische Perspektive nimmt auch Stefanie Rosenmüller ein, die die Folgen der Abstraktheit von Menschenrechten aufzeigt und mit Hannah Arendt herausarbeitet, inwiefern das Recht auf Teilhabe an einer Rechtsgemeinschaft als einziges und konkretes Menschenrecht Anwendung in der Sozialen Arbeit finden kann. Katrin E. Sauer, Barbara Schramkowski und Barbara Thiessen verweisen auf die verschiedenen Dimensionen einer menschenrechtsbasierten diversitätsbewussten Sozialen Arbeit, indem sie mit einer intersektionellen Perspektive drei zentrale Differenzkategorien in den Blick nehmen. Die Anerkennung und der Einbezug „indigenen Wissens“ stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Nausikaa Schirilla, in dem sie die Folgen für die westliche akademische Wissensproduktion in der Sozialen Arbeit erörtert. Der zweite Teil dieses Buches thematisiert anhand menschenrechtlicher „Gestaltungsfelder“, wie die Menschenrechte im fachlichen Diskurs der Sozialen Arbeit reflektiert und zu stärker anwendungsbezogenen Orientierungsmodellen formuliert und definiert werden. Eine kontroverse Diskussion führen Günter Rieger, Katrin Toens und Jens Wurtzbacher. Sie greifen dabei, wie bereits Rosenmüller, das Recht auf Teilhabe und Mitgliedschaft bei Hannah Arendt auf und beziehen dies konkret auf die Staatsbürgerschaft und Einwanderungspolitik, um eine politische Positionierung der Sozialen Arbeit hierzu vielschichtig zu diskutieren. Katrin Hahn weist in ihrem Beitrag zu Recht darauf hin, dass Religion als ein wichtiger Bestandteil in der Lebenswelt einer Vielzahl von Menschen in der Sozialen Arbeit kaum Beachtung findet, für eine menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit Religionssensibilität jedoch unerlässlich ist. Auch Edi Martin thematisiert mit dem Schutz des Wohnens einen zentralen Aspekt menschlicher Existenz. Zwar formulieren die Menschenrechte

Menschenrechte und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit

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kein explizites Recht auf Wohnen, ein solches Recht lässt sich jedoch aus mehreren Menschenrechtsartikeln herleiten, was wiederum von hoher Relevanz ist für die Soziale Arbeit, die es vielfach mit Menschen zu tun hat, denen dieses Recht verweigert wird. Linus Mührel, Markus Hundeck und Eric Mührel betrachten in ihrem Beitrag die Notwendigkeit einer menschenrechtlichen, ethischen und handlungsbezogenen Positionierung der Sozialen Arbeit im Kontext bewaffneter Konflikte und weisen dabei auf eine nötige Neuorientierung im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen hin. Silvia Staub-Bernasconi vergleicht in ihrem Artikel die menschenrechtlichen Aspekte der von der IFSW und der IASSW verabschiedeten Internationalen Definition der Sozialen Arbeit. Ihr Beitrag verweist auf fachliche Rückschritte, die sie im Vergleich der Montreál-Definition von 2000 und der aktuell gültigen Melbourne-Definition von 2014 herausarbeitet. Abschließend verdeutlichen Walter Eberlei, Katja Neuhoff und Klaus Riekenbrauk in diesem Teil wie der Menschenrechtsdiskurs in der praxisorientierten Lehre der Sozialen Arbeit konzeptionell und didaktisch „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden kann. Der dritte und letzte Teil zur „Umsetzung“ menschenrechtlicher Zugänge in der Sozialen Arbeit widmet sich den konkreten Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Realisierung der Menschenrechte in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialer Arbeit. Isabelle Brantl, Margit Stein und Yvette Völschow beginnen hier mit einem Beitrag über die menschenrechtliche Diskussion und Einschätzung von Zwangsehen sowie die ethischen und juristischen Konsequenzen für einen fachlich angemessenen Umgang im Kontext der Klinischen Sozialen Arbeit. Alexandra Geisler thematisiert in ihrem Beitrag den Umgang mit Situationen von Verdacht auf Menschenhandel mit Frauen aus der Ethnie der Rroma. Sie weist dabei auch auf verkürzende rassistische Diskriminierungen sowie Schwachstellen in den beteiligten transnationalen Hilfesystemen hin. Nadine Bochert, Petra Focks und Andrea Nachtigall betrachten die Lebenslagen von Trans*, inter* und genderqueeren Jugendlichen und beschreiben partizipativ-empowernde Unterstützungsangebote als konkrete Zugänge einer menschenrechtsbezogenen Sozialen Arbeit. Susanne Witte analysiert in ihrem Artikel, wie die Kinderrechte in Verdachtsmomenten von Kindeswohlgefährdung besser geschützt werden können und vergleicht dazu die unterschiedlichen Verfahrensrichtlinien in England, den Niederlanden und in Deutschland. Claudia Kittel verdeutlicht in ihrem Beitrag die Relevanz von institutionalisierten Beschwerdemöglichkeiten junger Menschen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und verortet ihre Überlegungen dabei an den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention. Marina Vukoman und Ann-Christin Heming analysieren die zentralen menschenrechtlichen Dimensionen in der sozialen Lebensführung älterer Menschen sowie die Herausforderungen von Altersdiskriminierung und die Gestaltung von Teilhabe im Kontext der Altenhilfe. Sandro Bliemetsrieder, Katja Maar, Josephina

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Christian Spatscheck und Claudia Steckelberg

Schmidt und Athanasios Tsirikiotis thematisieren die Relevanz der Menschenrechte am Beispiel der Sozialpsychiatrie und beschreiben Möglichkeiten einer kritischen Professionalisierung der Sozialen Arbeit in diesem Feld. Abschließend beschreibt Robert Krammer die Etablierung eines konkreten Projekts zum Menschenrechtsmonitoring in der Sozialen Arbeit am Beispiel einer Umsetzung im Sozialamt der Stadt Salzburg. Das Spektrum der für diesen Band ausgewählten Beiträge verdeutlicht die Vielschichtigkeit der ihr zugrundeliegenden Tagung. Doch akademische Debatten und Fachdiskurse benötigen immer wieder auch konkrete Orte und geeignete Tagungsformate. Eine jährliche Tagung mit über 500 Teilnehmenden stellt einen außerordentlich hohen organisatorischen Kraftakt dar. Die Organisation einer solchen Tagung könnte nicht gelingen, wenn nicht Hochschulen vor Ort sich dieser Aufgabe mit annehmen würden. Wir danken hierbei der Alice Salomon Hochschule Berlin, namentlich der Prorektorin Prof. Dr. Bettina Völter, für die gemeinsame Organisation und Durchführung der DGSA Jahrestagung 2017. Besonders gilt unser Dank Prof. Dr. Oliver Fehren, Prof. Dr. Nivedita Prasad und Prof. Dr. Barbara Schäuble, die vor Ort an der Alice Salomon Hochschule die Organisation verantwortet haben. Ein besonderer Dank gilt auch Monika Weimar und Gudrun Klein aus der Geschäftsstelle der DGSA. Ohne deren langjährige Erfahrung und tatkräftige Unterstützung wären DGSA Jahrestagungen in diesem Umfang von einem ehrenamtlich tätigen Vorstand längst nicht mehr zu bewältigen. Ebenso danken wir den studentischen Hilfskräften der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Hochschule Neubrandenburg, sowie in besonderer Weise Beke Küsener und Frauke Risse, die im Vorfeld der Tagung und bei der Veröffentlichung des Bandes besonders wertvolle und zuverlässige Unterstützung geleistet haben.

Literatur Arendt, Hannah (2006): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, 11. Auflage. München: Piper. Emcke, Carolin (2016): Gegen den Hass. Frankfurt am Main: S. Fischer. Fritsche, K. Peter (2004): Menschenrechte. Eine Einführung mit Dokumenten. Paderborn: Schöningh. Ife, Jim (2010): Human Rights from Below: Achieving Rights through Community Development. Cambridge: Cambridge University Press. Ife, Jim (2012): Human Rights and Social Work: Towards Rights-Based Practice, 3rd edition. Cambridge: Cambridge University Press. IFSW (International Federation of Social Workers) (2012): Statement of Ethical Principles. http://ifsw.org/policies/statement-of-ethical-principles/ [Zugriff: 12.10.17] IFSW (International Federation of Social Workers) (2014): Global Definition of Social Work. http://ifsw.org/get-involved/global-definition-of-social-work/ [Zugriff: 12.10.17]

Menschenrechte und ihre Relevanz für die Soziale Arbeit

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Ignatieff, Michael (2002): Die Politik der Menschenrechte. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt. Klein, Naomi (2017): No is not Enough. Defeating the new Shock Politics. London: Allen Lane. Joas, Hans (2011): Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte. Berlin: Suhrkamp. Liu, Xiaobo (2010): Nobel Lecture: I Have No Enemies: My Final Statement. Nobel Lecture in Absentia, December 10, 2010. https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/2010/xiaobo-lecture.html [Zugriff: 12.10.17] Moyn, Samuel (2010): The Last Utopia. Human Rights in History. Cambridge: Harvard University Press. Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Suhrkamp. Nussbaum, Martha (2011): Creating Capabilities: The Human Development Approach. Cambridge: The Belknap Press. Penny, Laurie (2017): Bitch Doctrine. Essays for Dissenting Adults. London: Bloomsbury (E-Book Ausgabe). Putnam, Robert D. (2007): E Pluribus Unum: Diversity and Community in the Twenty-first Century. In: Scandinavian Political Studies 30, 6/2007, S. 137-174. Reichert, Elisabeth (2011): Social Work and Human Rights: A Foundation for Policy and Practice, 2. Auflage. New York: Columbia University Press. Spatscheck, Christian (2008): Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Begründung und Umsetzung eines professionellen Konzeptes. In: Sozial Extra, 3/2008, S. 6-9. Staub-Bernasconi, Silvia (2003): Soziale Arbeit als (eine) Menschenrechtsprofession. In: Sorg, Richard (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Politik und Wissenschaft. Münster: LIT, S. 17-55. Staub-Bernasconi, Silvia (i.E.): Soziale Arbeit und Menschenrechte. Vom beruflichen Doppelmandat zum professionellen Tripelmandat. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich. Wronka, Joseph (2016): Human Rights and Social Justice: Social Action and Service for the Helping and Health Professions, 2. Auflage. Thousand Oaks: SAGE.

Konzeptionelle Grundlagen – Menschenrechte als Bezugsmodelle und Konzepte

Social Work and Human Rights – The ‘Human’, the ‘Social’ and the Collapse of Modernity Social Work and Human Rights Jim Ife

There are increasing signs that the neo-liberal order, which has been the norm for Western democracies since the 1980s, is being eroded and has become unsustainable (Bello 2103; Harvey 2015; Mason 2015; Stiglitz 2008). This is what many social workers, with broadly social democratic values, have been wishing for, but instead of a strong collectivist alternative, we are seeing the rise of forms of right-wing populism and neo-fascism (Goodhart 2017; Roth 2016). Traditional social democracy, it appears, is too encumbered with neoliberal trappings to be a viable vision for an electorate calling for change, as a result of the compromises social democrats have made with the dictates of ‘the market’. The Trump election in particular has rendered much previous writing on politics, sociology, the environment and the future of democracy largely irrelevant. And it has done the same for social work. We are clearly at a pivotal point in human history, with multiple threats to the world we have come to define as ‘normal’: the uncertainty of Trump, the further uncertainty of Brexit, economic instability and possibly serious collapse, the increase in racism and xenophobia, the threat of climate change, looming food crises caused by the over-fishing of the oceans and the desertification of land, an increased likelihood of major global conflict, and the crisis in democracy and governance as our political leaders are clearly unable to deal effectively with the multiple threats and crises that face us all. In such a world human rights based social work becomes both more challenging and at the same time more important.

1. Questioning Human Rights Ideas of human rights that, in the West, were until recently seen as widely accepted, are now called into question, and the comfortable consensus about the desirability of human rights no longer applies. Social workers used to be able to say that they believed in and worked for human rights, and this was not regarded as problematic, but was accepted as a given that would receive more or less universal endorsement. That is no longer the case. Governments that once supposedly supported human rights are showing increasing signs of

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standing against human rights, particularly in the case of immigration, refugees and asylum seekers, but also in regard to the erosion of welfare state provisions which we had taken for granted, eroding rights to health care, to education, to housing, and to income security. The increasingly precarious nature of work, with casualisation of the labour force and contract employment, is undermining the right to work for which trade unions fought so hard (Standing 2011; 2014). Rights to privacy, to freedom of expression, and to freedom from intimidation, are in many places under attack, often through new forms of rights violation on-line, which were undreamt of when the UN human rights regime was established. It has become increasingly clear that the apparently consensual commitment to universal human rights was weak, and was readily undermined by some very powerful interests. Voices that argue against human rights are now becoming stronger and are given a legitimacy that, at least in the West, would have been unthinkable only ten years ago. It used to be that we could indulge in critiques of conventional human rights that could loosely be categorised as from ‘the left’. Feminist critiques (e.g. Brems 1997; Binion 1995) have highlighted the patriarchal nature of traditional human rights, privileging the rights of men in the public domain rather than the rights of women and children in the domestic sphere. Post-colonial critiques (e.g. Brydon 2012; Douzinas 2007; Pereira 1997) have shown how the idea of universal human rights has been laden with Western Enlightenment assumptions, and have become part of the colonialist domination of people of the global South in the name of ‘development’. And postmodernist critiques (e.g. Arslan 1999) have identified human rights as part of heroic modernism, seeking to impose a single unified and ‘rational’ order through the characteristically modernist mechanisms of ‘the law’, thereby devaluing cultural context, cultural difference and the importance of diversity. These critiques are important, and have led to a more nuanced view of human rights and of ‘universalism’, rather than uncritically accepting human rights as a form of totalising dogma not to be challenged. They do not necessarily question the idea and importance of human rights, rather they encourage a more reflexive position. But we must now be particularly careful in how they are articulated, as these critiques can easily help to reinforce the assault on ideas of human rights that is coming from the resurgent political right. This neo-liberal view mistrusts the very idea of human rights (Freeman 2015), and where it does acknowledge them, seeks to limit human rights to the individual right of freedom of expression (often including the right to make offensive and degrading comments with impunity), and the individual right to own property, even to the level where that right is denied to others. Beyond that, the political right will not go, and other human rights are denounced as ‘political correctness’, limitations on ‘freedom’, and as dangerously ‘socialist’. The political right seeks where possible to abolish, or at least weaken, human rights legislation, conventions, and commissions.

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This is a very limited understanding of what human rights are about. Human rights represent the value of humanity, however that might be defined, and the dominant neo-liberalism defines humanity largely in terms of free speech and the ownership of property and wealth. There is no acknowledgement of the rights to become culturally active, educated, secure, healthy, and articulate citizens, with guaranteed basic levels of personal security, economic security and conviviality. Indeed, the neo-liberal right is far more concerned that the rights of corporations, rather than the rights of human beings, be guaranteed in treaties, laws and regulations. They are concerned with the globalisation of free trade, whereas human rights have been concerned with the globalisation of free humanity. Beyond that very limited view, traditional ideas of human rights are under attack, and it is important that the value of human rights – namely the value of humanity – be strongly asserted, more so than we are accustomed to. In doing so, it is important to recognise that human rights do not necessarily equate to social justice, at least in the neo-liberal world. Rights of freedom of expression regardless of whom we may offend, and rights to own property even to the level of extreme excess, have little if anything to do with social justice, and indeed can work against it. And human rights can be, and have been, used in ways that reinforce patriarchy, colonialism, and western individualism. If human rights are to be useful for social workers, they must be articulated in a much more nuanced and sophisticated way, emphasising economic social and cultural rights, collective rights, and the importance of the context within which rights are defined, claimed and achieved. In this regard, it is important not to equate rights with freedoms: they are not the same. Seeing rights as freedoms readily leads to human rights as a set of largely selfish claims, with little consideration of the way the exercise of those rights needs to be constrained by moral and ethical considerations. We are thus ‘free’ to exercise our rights whenever we want, however we want, and as much as we want, without regard for others. Social workers have understandably been reluctant to talk about duties and obligations, because this sounds too much like control and coercion, used by conservative governments emphasising the duties of citizens to conform. But ideas of duties, obligations or responsibilities are necessary in any rights regime. Without them, rights lose their context and their embeddedness within the social. With the right of freedom of expression goes the responsibility to exercise that right in such a way that it does not offend or demean others, with the right to vote goes the responsibility to inform oneself about the issues and to vote responsibly, with the right to education goes the responsibility to take advantage of that right to become an educated contributing citizen, with the right to own property goes the responsibility to limit the extent of that ownership so there is enough for others, and so on. Human rights, therefore, are associated with responsible citizenship, and that is what is missing in neo-liberal narratives where humanity is defined

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in terms of individual passive consumption rather than active collective citizenship. Social work that only recognises rights, without also promoting citizenship responsibilities, can readily reinforce the dominant neo-liberal ideology. Responsibilities, of course, also extend beyond the responsibility of the rights-holder to exercise rights responsibly. There are also the responsibilities of other actors, especially the state, to provide for people’s rights, to protect people’s rights, and to provide an environment where those rights can be realised. Advocating for such state responsibility has been core for human rights based social workers, and it remains particularly significant at this time of the erosion of the welfare state in many societies. In addition, social workers have been concerned with the human rights responsibilities of other actors: employers, family members, communities, religious institutions, and the private sector. In a pluralist society all these actors have responsibilities for the protection and realisation of human rights, and all must therefore be of concern to social workers. But the world is changing, and there is no longer a consensus about the desirability of Western Modernity. The project of neo-liberal globalisation is showing signs of coming to an end (Choonara 2016; Harvey 2015; Bello 2013). This poses particular challenges for social work, which is itself largely a child of western modernity, and also for human rights, as the contemporary narrative of human rights grew out of the Enlightenment project. So when considering social work and human rights, it is important to think about how those ideas might be reformulated for a very different future and a chaotic and unpredictable world. In this newly emerging world order ideas of social work and human rights will remain vitally important, in fact more important than ever. Social work will be important because it is social work, it is about relationships and the importance of the social, of the collective, at a time when individualism has reigned supreme and has been shown to ignore important aspects of the human condition. Human rights will be important because they are human rights, and are about affirming the primary value of humanity at a time when the idea of the ‘human’ is under attack from three directions: from the economic rationalists who have sought to devalue humanity in the interests of the economy, from technology which is beginning to replace human activity with robots, on-line resources and artificial intelligence, and from the need to adopt a less anthropocentric world view in the era of the Anthropocene, in the interests of future generations and in the interests of other species of life with whom we share this planet. There is therefore a need to re-evaluate what is understood by ‘humanity’ and the ‘human values’ that are at the core of social work.

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2. Human Rights and the Law In considering a social work perspective on human rights, it is necessary to address the way in which lawyers have dominated the human rights field, and to recognise that social workers have a very different orientation in doing human rights work. Understanding human rights as being defined and protected only through the law negates much of the important human rights work that social workers can do. This is not to devalue human rights law and human rights lawyers – they have played a really important role in the definition and protection of human rights – but rather to argue that social workers can take a broader view of human rights, seeing human rights not just as legal, but also as social. There are three problematic aspects of the legal approach to human rights that need to be considered. The first is the individualist bias of the legal perspective. Most laws are concerned with individuals and with regulating individual behaviour. Even when they apply to collectives, such as the actions of corporations, there is a strong tendency to identify and punish the individuals responsible for any misdemeanour. This is reinforced by the popular media, seeking individual scapegoats where possible, rather than focusing on systemic issues. ‘Somebody must take the blame’ is a common cry in the popular press, and indeed it is reinforced by ideas that a CEO must take ultimate responsibility: “the buck stops here” as the sign on President Truman’s desk famously stated. The idea that there must be an individual (or several individuals) who is at fault effectively draws attention away from collective experience and systemic causes of human rights violations. The International Criminal Court, the ultimate legal human rights court, only deals with individual violators, not institutions, corporations or states. This individualism, reinforced by a dominant neo-liberal discourse, leads to a particular framing of human rights, one that is peculiarly suited to the law, as the characteristic way we seek to regulate the behaviour of individuals. The second characteristic of a legal human rights regime is that the law, in a western liberal society, is overwhelmingly negative. The basis of a free society is that we are free to do whatever we want to, as long as we do not break the law. The law therefore tells us what we are not allowed to do, but does not tell us what we should do. It is thus about negative sanctions, rather than positive actions. It is not concerned with how we ought to live: this is left to other disciplines such as ethics, morality, religion and voluntary association, outside the scope of the law. Taking a legal view of human rights, therefore, concentrates on the negative: on the prevention of abuse, rather than the realisation of people’s rights and the affirmation of their humanity. And in doing so, it sets a minimum, rather than an optimal, standard for the human experience. It also privileges civil and political rights, which require protection that can be

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achieved through the law, rather than economic social and cultural rights, which require positive provision (e.g. of health, education or welfare) rather than protection. But human rights can only be fully realised if people and institutions are motivated by values, ethics and morality, rather than simply a fear of breaking the law. After all, nearly all of our day-to-day human actions, through which we either affirm or deny the rights of others, are not undertaken because of the law, but for other more human motivations. The third characteristic of the legal approach to human rights is its essentially top-down nature. Laws are enacted by parliaments, regulations are drawn up by governments, and UN instruments are determined at the level of international diplomacy. Hence, under the legal human rights regime human rights are defined and imposed by elites, and ordinary people have little or no say in what those rights are and how they are to be realised. This, we might argue, is itself a human rights violation: a violation of our right to define our rights for ourselves. It encourages people to accept human rights as given, and denies people agency in human rights determination. The critique of top-down rights has been that those who define human rights have been mostly privileged white men, and hence it is the rights of privileged white men that have been dominant (Ife 2010). There have certainly been significant attempts to have the voices women and people of other cultures heard in human rights debates. But they have still largely been the voices of privileged women and privileged people of diverse cultural and racial identities, and this is inevitable in a human rights discourse that is dominated by lawyers and a legal world view.

3. Social Work Perspectives on Human Rights In considering these three characteristics of legal human rights – individualism, negativism and top-down elitism – it becomes possible to articulate a social work approach to human rights, as social workers can work with the opposites of these three. Social work, after all, is social work. It works with the social, with relationships, with collectives, and refuses to define humanity, or the humans that have the rights, as atomised individuals. A social work approach to human rights will surely emphasise both the collective approach to rights – where relationships are central – but also a systemic approach, where we can see the importance of systems, of organisations, of discourses of power, of structural disadvantage, and so on; these go well beyond the individualism of the law (Ife 2012). Social work can also counter the negative approach to human rights that is implied by the legal perspective. Social work practice is about promoting more fulfilling lives for people, and social workers (other than those in authoritarian

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statutory settings) do not tell people what they can’t do, but rather encourage them to think about what they might do, and help to open up possibilities. A perspective on human rights as about what we should do, rather than what we must not do, requires discourses other than the legal, especially a discourse of the ethical. And social workers analyse, conceptualise and enact ethical practice in a deeper and more thoughtful way than many other professions, and tend to see ethics as more than simply avoiding unethical behaviour, but rather as what it means to practise ethically (Gray/Webb 2010). Social workers are concerned with values and morality, and understand that there is a limit to the extent to which morality can be legislated. Thirdly, social work, especially in its community development mode, is able to work effectively in a bottom-up way so that the dominance of the top-down perspective can be challenged and people and communities can have a real sense of ownership of human rights. Human rights are about relationships; an individual in total isolation has no rights, as there is nobody to meet the responsibilities that go with those rights: the responsibilities to respect, protect, and provide in such a way that those rights can actually be realised. Most people experience relationships in families and communities, rather than in their interaction with the state and the legal system, and so it is at that level of lived human experience that we need to understand, and work for, human rights: human rights from below. And social workers are ideally placed for this sort of human rights practice (Ife 2010; 2012). So human rights based social work should not simply follow the lead of the lawyers and find ways to put human rights law into practice. This is of course important work, and it has been the focus of some of the literature about human rights based social work (e.g. Reichert 2003). It has also helped to move social work away from the simply therapeutic, with its essentially conservative practice of helping people to adjust and to ‘fit in’, with the temptation of judgements of who is ‘deserving’, without questioning the fairness of the system they have to adjust to. But social work can achieve so much more, by concentrating on the things it does well (and that lawyers don’t do so well): thinking and working in terms of relationships, the social, the community, framing practice around ethics, morality, and values – what is right – rather than around what should be prohibited – what is wrong – and tapping into social work’s community development origins and traditions, practising human rights from a bottom-up perspective.

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4. The Human It is important to understand that Western Enlightenment modernity has affected not only the construction of the idea of rights, but also the construction of the idea of the human who has the rights. Conventional human rights have been defined in such a way that they are the rights of a particular sort of human, and imply a particular vision of humanity and its ideals. It is a view of humanity defined as individual, male, secular, youthful, heterosexual, able-bodied, and white. Anyone else is seen as not fully reaching the human ideal, and so we need to define ‘human rights’ for them. Anyone other than this ‘ideal’ human is ascribed human rights – the rights of women, of children, of people with disabilities, of LGBTIQ people, of ethnic, cultural or religious minorities, of the aged, of Indigenous People, of refugees, and so on, because of a perceived deficit. All of these categories somehow fall short of Modernity’s unspoken human ideal, so we give them ‘human rights’ as some form of compensation. This is a deficit view of rights, which readily leads to a colonialist and condescending form of practice, of ‘social inclusion’, which subtly disempowers and devalues those who need to be ‘given’ rights. Human rights can thus become a mechanism to ensure conformity to the Western ideal, leaving unchallenged the worldview which has led to this exclusion. By focussing on the ‘human’ we can elaborate human rights in a way that facilitates good social work practice. The definition of what counts as ‘human’ is contested: there have been many instances in history where some people have been defined as ‘sub-human’ and treated with contempt. After all, if someone is less than fully human, they cannot be said to have human rights. However, the contested definition of ‘human’ also causes problems in less dramatic ways. For example we regularly deny to children many of the rights we define as ‘human rights’, such as the right to vote, the right to work, the right to freedom of movement, and so on. If these are human rights, does this imply that somehow children are not fully human? If the rights of children are different from what we call ‘human’ rights, and some of those ‘human’ rights do not apply to children, our understanding of ‘the human’ can be seen as problematic. And the same argument can be made for other groups to whom we deny some accepted ‘human’ rights: prisoners, people with severe dementia, people with severe intellectual disability, and so on. This means that such groups are in particular danger of suffering ‘human rights abuse’, and social workers will sometimes collude with this by acting in what are seen as their ‘best interests’. We only need to remember the appalling things that have been done by social workers acting ‘in the best interests of’ children, Indigenous People, people with disabilities, and so on to see the dangers of this ready denial of ‘humanity’.

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This represents a departure from the more conventional ways of dealing with issues of cultural difference in human rights (e.g. Van Ness 1999). Traditionally attention has focussed on the idea of rights, and how they can be defined in a non-colonialist way. But we could also argue that it is the idea of human that needs to be interrogated. Human rights-based social work, therefore, requires an exploration of humanity, of what it means to be ‘human’ in different contexts, and to help people articulate their ideas of an ideal humanity, which may well be very different from the conventional Enlightenment view. This in turn suggests that a focus on humanity, and the idea of humanity, needs to be central to social work. And in doing so, we need to acknowledge that to see humanity in terms of isolated individuals is a very limited view indeed. Most of us realise our humanity not in splendid isolation, but in relationship – with friends, family members and community. Our humanity, and hence our human rights, are at heart social, and thus social workers are ideally placed to be human rights workers, though in a very different way from the lawyers. This emphasis on humanity implies that the study of humanity, that is the humanities, needs to be a central focus for study. Social workers can and should be as informed by the humanities as they are by the social sciences, and yet the humanities do not appear to be central to the curriculum in many social work schools, and tragically are being devalued by many universities and students in this neo-liberal age (Nussbaum 2010). I would suggest that social work cannot be creative, imaginative, or relevant for the human condition, unless it has a solid grounding in the humanities: history, literature, art, philosophy, theatre, poetry, cultural studies, and so on. And this must not be confined only to Western European cultural traditions of the humanities. This is important because the values of humanity (however that is constructed) are central to social work. In these difficult times, when the values of humanity are under threat, it is more important than ever that social workers articulate and defend these values, and take public stands in support of those values that are at the heart of the profession. This is the time for social workers to stand up, and make their presence felt and their voice heard, in opposition to social and political forces that are clearly contrary to social work values. For this reason, social work needs a strong yet nuanced vision of a diverse humanity, which can be forcefully argued and forcefully defended, both in the public sphere and also in the academic community. As discussed above, we are now historically at a point of major crisis, and the future is far from certain. Social workers will need to operate in a context of crisis and change; social workers are actually good at doing that, as they have always worked with people whose lives are characterised by crisis and change, but in doing so the values of humanity need to be strongly asserted.

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5. Beyond the Human Yet here we come to a paradox. Many of the problems facing the contemporary world have arisen as a result of our anthropocentrism (Hamilton 2017). As many people now acknowledge, we are living in the Anthropocene, an era where human activity has made a permanent change in the very physical state of the earth (Angus 2016; Bonneuil/Fressoz 2016). Our continuing assumption that the human is separated from something called ‘nature’ has resulted in us treating the world as if it is there exclusively for human benefit, and is a limitless source of energy and resources, and also a limitless garbage dump for our waste. The impact we have had on the rest of the natural world can no longer be ignored, and we have already impacted the natural world to such an extent that the future will be more dangerous, chaotic and unstable than we have been used to; a sad legacy for future generations. Because of this, there is now a strongly recognised need to adopt a more ecocentric, and less anthropocentric, world view, recognising that humans are interdependent with the rest of the natural world, and do not stand apart from or above nature. This requires a radically different ontology, especially for those of us in the so-called ‘developed’ west, and the people with the best understanding of such a world view, and what it implies, are the Indigenous Peoples of the world (Turner 2010; Sveiby/Skuthorpe 2006; Wallace 2009). It has become necessary and urgent for the ‘developed’ world to stop and listen to the voices of Indigenous People, not as problems, clients or people needing to be helped, but as people with the ideas needed to change the world. Social workers in many parts of the word are working extensively with Indigenous communities, and are in a position to validate and promote their voices. And of course there are now many Indigenous social workers, whose perspectives on the social, community, family and sustainability can inform a social work practice that is more in tune with an ecocentric world view. Social workers work with the divisions caused by privilege in its various forms, and those disadvantaged by structures and discourses of privilege: white privilege, male privilege, class privilege, age privilege, ability privilege, sexuality privilege, and so on (Pease 2010). They are good at that form of analysis, and at developing practice that emerges from it. It has now become important to extend that perspective of privilege to include human privilege, recognising that it is the arrogance of human privilege that has led to the ecological crisis that has already fouled much of the earth, depleted and poisoned the oceans, rendered many species extinct, and now threatens our future (Kingsnorth 2017). This suggests that it is no longer enough to talk simply about human rights. While, as argued earlier, we need to affirm the values of humanity, at the same time we need to decentre humanity from our moral reasoning, and recognise

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that our humanity is bound up with the health and well-being of other species, and indeed of the earth itself. It is important to note the initiatives taken in Bolivia and Ecuador to define the ‘rights of mother earth’ in constitutional guarantees1, and also the recent decision in New Zealand to grant legal rights to a river2. These are exciting developments, but they run into the danger of romanticising ‘nature’ seeing it simplistically as benign and bountiful. But ‘nature’ is not just benign and benevolent. It is also threatening and dangerous; after all, ‘nature’ includes earthquakes, tsunamis, poisonous snakes, mosquitoes, viruses, and so on (Hale 2016). We do need to reconnect to nature, and to realise that humans are part of nature and interconnected and interdependent with other species, but to do so recognising that nature can be hostile as well as nurturing, and is to be respected. Modernity’s heroic attempts to ‘master’ nature for human ends were partly also an attempt to protect ourselves from nature’s multiple threats and dangers. If we are to extend our understanding of the social, and of community, to include the non-human world, we need to do so with our eyes open, recognising that this is not an easy path, not replacing our contempt for ‘nature’ with a romantic embrace of ‘nature’, but rather learning from Indigenous People that both these stances – exploiting nature and romanticising nature – are flawed, and that what we need to learn is to recognise that we are a part of nature and to treat ‘nature’ with deep respect. This is a major challenge for anyone concerned with human rights, and indeed for social work. Extending the ‘social’ and ‘community’ to include the non-human world represents a change of major proportions, as we need to reformulate our ideas of both rights and justice, yet it is necessary if social work is to remain relevant in future decades. At the same time, we must remember that the most disadvantaged of the human population are the least responsible for ecological disaster; there is a real danger that the disadvantaged – who have been social workers’ primary concern – will be discarded in our pursuit of a more sustainable and ecologically sensible way of living. Hence, there is a need for social workers to be both asserting the values of humanity and decentering the human at the same time, however contradictory this might seem.

1 For the relevant texts see http://www.worldfuturefund.org/Projects/Indicators/motherearthbolivia.html and https://therightsofnature.org/wp-content/uploads/pdfs/Rights-for-Nature-Articles-in-Ecuadors-Constitution.pdf [Accessed: 29/08/2017] 2 See https://www.theguardian.com/world/2017/mar/16/new-zealand-river-granted-same-legalrights-as-human-being [Accessed: 29/08/2017]

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6. Some Suggestions for Social Work In conclusion, we can identify some more specific directions for a future social work, in order to meet these challenges and develop practice that will be appropriate for the difficult times of crisis and change that lie ahead. First, social work must publicly affirm the values of humanity, standing against the frightening directions that neo-liberalism has taken, and in the face of the unthinkable horrors promised by the potential ascendancy of the far right. This will require strong collective social work advocacy. Social work, of course, has always been political, but in these times must be overtly and strongly political, taking a stance on issues where the values of humanity are compromised. Social workers cannot sit idly by and watch the increasing racism, the xenophobia, the mistreatment of refugees, the obscene levels of inequality, the assaults on democracy, the increased levels of surveillance by both state and private agencies, and so on. These are utterly opposed to the values of social work, and it is imperative that social workers collectively take a strong stand. Whatever critiques we may have of the nuances of human rights, it remains true that the language of human rights is powerful and resonates across society. It is an important way that those values of humanity can be articulated. Second, social work needs to stand with, and be a part of, the various social movements working for change. This is hardly a new role for social workers; they have been part of the peace movement, the labour movement, the feminist movement, the human rights movement, and so on. Contemporary social movements are often more temporary and fragmented – for example the Occupy movement – and they are often located, in whole or in part, in the virtual world. But these social movements, for the most part, are articulating values that are similar to those of social work, and they represent important voices calling for change. Third, it is important for social work to have a strong community development focus to practice. In the future, it is unlikely that there will be the resources for individualised professionalised services for the people social workers serve. More collective, community-based solutions to social problems will need to be found. This fits with a human rights perspective: we cannot achieve our rights in isolation, rather we require some kind of community of rights and responsibilities in order to realise our full humanity, and so human rights work also becomes community development work (Ife 2010). Social work has a long tradition of community work, though it has often been devalued because of the dominance of individualist neo-liberal and medicalised narratives. It has become important to reaffirm that community focus. It is also through community work that social workers can play important roles in the transition to a new society, and in ensuring that such a new society

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incorporates important social work values. This is because change will emerge from the margins, rather than from the centre. It is in the marginalised communities, by-passed by the global economy, that we find creative alternatives, where people are experimenting with new forms of economy and community. This is happening already, in many marginalised communities around the world, and when modern globalised neo-liberal society starts to erode, if not collapse, it is in these marginalised communities that we are likely to find progressive alternatives that can help to forge a different world. As a consequence, social workers who work with marginal communities are most likely to find themselves in central positions to institute progressive social change. The fourth potential direction for social work is to seek to develop a more eco-centric practice. Defining ‘social’ and ‘community’ in ways that extend beyond the human will be an important challenge for social workers this century. This does not mean that we deny humanity, or even that there are significant difference between humans and the rest of nature – after all, we can expect humans to be reflective, capable of moral reasoning and of dialogical action in ways that we cannot apply to horses, spiders, fish, trees, or rivers. But we can think about how these living beings share ecosystems with us, and how we have moral responsibilities to them because of our interdependence. This can then flow into social work practice (e.g. Dominelli 2012). As well as thinking about the social environment of an individual or family, we can also consider their relationships with the natural world – land, animals, plants, and so on. As well as drawing genograms or sociograms, we could also draw ecograms to help make these connections. In doing so, the world views of Indigenous People have much to teach us, and Indigenous social workers will be leaders in these developments. After all, they will as a matter of course understand a human being as intimately connected to the natural world, which leads to asking different questions, exploring different alternatives, and implementing different practices. These ideas are very new for mainstream social workers, and we are still grappling with what they might mean in practice, but they are also very exciting and challenging, as they represent an important way towards a more just, sustainable and enjoyable world. The road ahead will not be an easy one for social workers, indeed for anyone who cares about the future of humanity. A future of turbulence, crisis and uncertainty seems inevitable, with the crisis of neo-liberalism and of modernity. But social workers are used to working with crisis, change and uncertainty – the characteristic experience of those who use social work services. Social workers know from practice experience that crises are also opportunities, if viewed creatively and imaginatively. Human rights will be under attack, but will also, if understood in a more nuanced way, be a very important way of framing the essential values of social work, and of social workers, in alliance with others, helping to bring about a world where future generations can thrive in both interdependence and diversity.

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Soziale Arbeit – Eine umstrittene Menschenrechtsprofession Nivedita Prasad

1. Soziale Arbeit: eine Menschenrechtsprofession Im Rahmen der UN-Dekade für Menschenrechtsbildung (1995–2004) identifizierten die Vereinten Nationen einige Professionen, die ihrer Meinung nach besonders relevant für Menschenrechtsbildung waren und erarbeiteten mit relevanten Vertreter_innen entsprechende Manuale. Zu diesen gehörten u.a. Lehrer_innen, Sozialarbeitende, Mediziner_innen, Jurist_innen und Polizist_innen (United Nations 1996: Abs. 44). So ist Soziale Arbeit keineswegs die einzige, sondern eine der Professionen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie am ehesten mit vulnerablen Gruppen in Kontakt kommen und zudem gefährdet sind, selbst Menschenrechte im Rahmen ihrer Tätigkeit zu verletzen. Das Verständnis von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession wendet Menschenrechte auf verschiedenen Ebenen an. So können Menschenrechte einen Bezugsrahmen darstellen auf der Ebene der Profession oder auf der Ebene der Definierung von Kernwerten. Sie können als Instrument für die Analyse von Lebenssituationen der Adressat_innen dienen und erleichtern die Erkennung von Menschenrechtsverletzungen in der Profession. Darüber hinaus können sie als Orientierungs- und Referenzrahmen in Mandatskonflikten dienen und schließlich kann die Nutzung des UN-Menschenrechtsschutzsystems für/mit Adressat_innen ein sehr effektives Machtmittel darstellen, um strukturelle und individuelle Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen zu erreichen.

2. Menschenrechte als Bezugsrahmen Soziale Arbeit hat eine Geschichte der Bezugnahme auf die Menschenrechte, die Staub-Bernasconi (2017a) bis zu Jane Addams im Jahre 1902 zurückverfolgt hat 1 . Neben Staub-Bernasconi sind u.a. Lynn Healy, Arbinder Singh 1 Da hier nur Ereignisse und Menschen erwähnt werden können, die dokumentiert sind und dies zudem in Sprachen, die in Europa zugänglich sind, ist davon auszugehen, dass diese Liste noch deutlich erweitert werden könnte.

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Kohli, Jim Ife, Elisabeth Reichert, Hans Walz, Joseph Wronka diejenigen, die durch ihre Werke die Verbindung zwischen Sozialer Arbeit und Menschenrechten in Europa, Australien und den USA maßgeblich weiterentwickelt haben. Die 2016 erstmal erschienene Zeitschrift „Journal of Human Rights and Social Work“ setzt diese Tradition fort. In der Zwischenzeit kann Soziale Arbeit auf eine Großzahl von Kern- bzw. Bezugsdokumenten (siehe Staub-Bernasconi 2017a: 26f.) zurückgreifen, die keinen Zweifel daran lassen, dass die Bezugnahme auf Menschenrechte – und nicht auf nationales Recht – keineswegs eine Frage des Beliebens, sondern ein Fundament einer als Profession verstandenen Sozialen Arbeit ist. Die explizite Nichtbezugnahme auf nationales Recht erklärt sich aus der Geschichte der Kodifizierung der Menschenrechte. So ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) u.a. nur deshalb so schnell verabschiedet worden, weil die Weltgemeinschaft noch unter dem Schock der Shoah stand, durch die deutlich wurde, was ein Staat – nationalrechtlich mehr oder weniger legal – seinen Bürger_innen antun konnte. Menschenrechte soll(t)en daher vor dem Staat schützen, ggf. auch vor deren Gesetzen. So agieren Sozialarbeitende zwar in nationalen Kontexten, aber eine unhinterfragte Übernahme gesetzlicher Vorgaben – so hat die Geschichte gezeigt – kann dazu führen, dass Sozialarbeitende Teil eines staatlichen Unterdrückungssystems werden können. Hier kann eine Unterscheidung zwischen legalem und legitimem Handeln hilfreich sein, bei der auch Menschenrechte als Korrektiv angelegt werden können. Neben der Bezugnahme auf der Ebene der Profession können Menschenrechtsdokumente 2 einen wichtigen Bezug darstellen, wenn es darum geht, Kernwerte der Sozialen Arbeit zu erfassen bzw. zu definieren. Im Folgenden wird aus Gründen der Fokussierung nur auf zwei dieser Werte exemplarisch eingegangen.

2.1 Partizipation Partizipation ist ein Wert, auf den sich Sozialarbeitende in nahezu allen Feldern beziehen. Dieser inflationäre und häufig sehr beliebige Gebrauch führt dazu, dass die Grundidee von Partizipation instrumentalisiert werden kann, u.a. weil es keinen Konsens über die Definition des Begriffs gibt. Es wäre zu diskutieren, ob eine Auslegung des Kinderrechtsausschusses (Ausschuss für die Rechte des Kindes 2009) eine gute Grundlage für die Erarbeitung einer Definition für Theorie und Praxis Sozialer Arbeit darstellen könnte. Die Kinderrechtskonvention erwähnt Partizipation nur implizit in mehreren Artikeln (Art. 12-15); in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 (ebd.) hingegen wird 2 Konventionen, Allgemeine Bemerkungen, Abschließende Bemerkungen oder Entscheidungen gegen Staaten.

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Partizipation dezidiert erläutert, Kernelemente von Partizipation werden genannt und z.B. darauf hingewiesen, dass Partizipation nur wirksam und sinnvoll sein kann, wenn sie als Prozess verstanden wird und nicht ein einmaliges Ereignis darstellt (vgl. ebd. Abs. 133). Diese Kernelemente wurden zunächst für Kinder ausformuliert; auf andere vulnerable Gruppen übertragen hieße dies, dass Partizipation nach dieser Auslegung transparent, informativ, freiwillig, achtungsvoll, bedeutsam, adressat_innenfreundlich, inklusiv, unterstützt durch Bildungsmaßnahmen und nicht zuletzt sicher und risikobewusst sein muss (vgl. ebd.).

2.2 Inklusion Das, was für die Kinderrechtskonvention Partizipation ist, ist für die Behindertenrechtskonvention „Inklusion“: ein Grundwert, der durchgängig Geltung haben soll und auch auf andere Bereiche bzw. vulnerable Gruppen übertragen werden kann. Der Begriff wird in der Konvention mehrfach erwähnt, in der offiziellen3 deutschen Übersetzung scheint er aber nicht vorzukommen, weil er mit den Begriffen „Teilhabe“ oder gar „integrativ“ übersetzt wurde!4 Dass es sich hierbei nicht um einen reinen Übersetzungsfehler handelt, wird u.a. darin deutlich, dass der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 4 (Committee on the Rights of Persons with Disabilities 2016) nicht nur erläutert, wie er sich eine inklusive Bildung vorstellt, sondern zunächst einmal konzeptionelle Klarheit schafft, indem die Unterschiede zwischen „Exklusion“, „Segregation“, „Integration“ und „Inklusion“ sehr dezidiert dargelegt werden (ebd. Abs. 11). Auch hier ist das Prinzip zunächst mit dem Fokus auf eine vulnerable Gruppe ausgeführt worden; die hier vorgeschlagenen Differenzierungen könnten aber für konzeptionelle Klarheit in vielen Bereichen der (Sozialen) Arbeit sorgen (vgl. Spatscheck/Thiessen 2017; Deutsches Institut für Menschenrechte 2012), insbesondere aber in der Arbeit mit Migrant_innen, wo weiterhin häufig sehr ungeniert die Rede von Integration ist und einige Praxen faktische Segregationspraxen darstellen.

3 Unter anderem wegen dieses Versäumnisses gibt es eine „Schattenübersetzung“ des Vereins für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V. (siehe Netzwerk Artikel 3 o.J.). 4 Die „Schattenübersetzung“ des „Netzwerk Artikel 3" macht solche Defizite der offiziellen Übersetzung sichtbar: http://www.nw3.de/index.php/info-material [Zugriff: 25.07.17].

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3. Menschenrechte als Analyseinstrument Die berechtigte Empörung über Lebensbedingungen einiger Adressat_innen Sozialer Arbeit bekommt eine deutlich stärkere Aussagekraft, wenn sie unter menschenrechtlichen Kriterien analysiert bzw. mit menschenrechtlichem Vokabular thematisiert werden. Hierfür ist es zunächst nötig zu beachten, dass von einer Menschenrechtsverletzung erst ausgegangen werden kann, wenn ein Staat, der von den entsprechenden Missständen weiß, durch sein Tun oder Unterlassen für eine Tat oder einen Zustand verantwortlich ist, was nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. So ist es möglich, dass ein Staat rechenschaftspflichtig für eine Körperverletzung wird, obwohl er diese weder veranlasst oder getätigt hat, aber keinen effektiven Rechtsschutz vor ihr geboten hat. Im Folgenden wird – ebenfalls aus Gründen der Fokussierung – nur auf die Verletzung zweier elementarer Menschenrechte in Deutschland hingewiesen. Sozialarbeitende klagen regelmäßig über die zum Teil menschenunwürdige Unterbringung von wohnungslosen, asylsuchenden, behinderten, psychiatrisierten und/oder armen Menschen in Deutschland. Sie weisen auf strukturelle Bedingungen dieser Unterbringungen hin und machen damit implizit die staatliche Verantwortung für die Verletzung des Rechts auf adäquate Unterbringung (Art. 11.1. Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) sichtbar. Dieser Artikel ist von fundamentaler Bedeutung für die Soziale Arbeit, weil hier Staaten verpflichtet werden, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung anzuerkennen. Ein Leben unter dem Asylbewerberleistungsgesetz und mittelkürzende Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger_innen sind hiermit kaum in Einklang zu bringen, ebenso wenig wie die Einkommens- und Vermögensabhängigkeit der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (siehe hierzu: Rickli/Wiegmann 2013). Das Recht auf Bildung ist zunächst ebenfalls zentral im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte thematisiert (Art. 13 und 14) und darüber hinaus spezifisch für Kinder im Rahmen des Art. 28 der Kinderrechtskonvention und für Menschen mit Beeinträchtigungen in Art. 24 der Behindertenrechtskonvention formuliert. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1999) hat im Rahmen seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 13 (Abs. 6) ausformuliert, welche Funktionen Bildungsinstitutionen aufweisen müssen, damit das Recht auf Bildung als erfüllt angesehen werden kann. Der Ausschuss geht davon aus, dass zunächst funktionierende, in ausreichendem Maße vorhandene und ausreichend ausgestattete Bildungseinrichtungen zur Verfügung stehen müssen (Availability), die für alle Menschen – auch physisch und ökonomisch – diskriminierungsfrei zugänglich sein müssen (Accessibility); der angebotene Unterricht muss zudem für alle Menschen akzeptabel sein (Acceptability) und schließlich flexibel gestaltet d.h. adaptierbar sein

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(Adaptability), um Diversitäten begegnen zu können. Dieses – später als 4 A Schema bekanntgewordene Analyseinstrument – ist sehr hilfreich, auch wenn es darum geht die Umsetzung anderer Menschenrechte zu bewerten. Die Übertragung des Schemas im Kontext der Bildungsrechte von LGBTIQ Kindern5, Kindern mit (psychischen) Beeinträchtigungen, Kindern ohne Aufenthaltspapiere und geflüchteten Kindern aus sog. sicheren Herkunftsstaaten zeigt deutlich, dass die Bildungsrechte dieser Kinder in Deutschland nur zum Teil gewährleistet sind. Sozialarbeitenden fällt es häufig leicht, Menschenrechtsverletzungen des Staates anzuprangern und zu thematisieren. Es herrscht allerdings ein eigentümliches Schweigen, wenn es darum geht, eigene Versäumnisse an die Beteiligung an Verletzungen von (Menschen-)Rechten zu reflektieren bzw. die Aufforderung an einer solchen Beteiligung abzulehnen. Auch hier könnten Menschenrechte eine Orientierung bieten; so z.B. bei der Weigerung, Frauen – trotz vorhandener Kapazitäten – in eine Schutzeinrichtung aufzunehmen, weil sie kein deutsch sprechen oder keinen Aufenthaltstitel haben. Eine solche Entscheidung kann auch als eine Beteiligung an der Verletzung des Rechts dieser Frauen auf Schutz vor Gewalt gewertet werden. Denn Staaten sind zwar verpflichtet, finanzielle und personelle Mittel für den Schutz von vulnerablen Gruppen zur Verfügung zu stellen; sie können aber einen Teil ihrer Verpflichtung an nichtstaatliche Organisationen abgeben. Dadurch erhalten diese die Macht zu entscheiden, wie sie die Regeln bzw. die Angebote in ihren Einrichtungen gestalten und handeln so an Stelle des Staates, aber in staatlicher Verantwortung.

4. Menschenrechte als Orientierung in Mandatskonflikten Die Notwendigkeit von Menschenrechten als Referenzrahmen im Umgang mit mandatswidrigen Forderungen wird deutlich, wenn Sozialarbeitende sich mit Forderungen seitens ihrer Arbeitgeber_innen konfrontiert sehen, die Mandatskonflikte erzeugen, weil diese die Menschenrechte der Adressat_innen berühren. Es stellt sich die Frage, wie mit Mandaten der Adressat_innen umgegangen wird, die im Widerspruch zum Auftrag der Arbeitgeber_innen oder rechtlichen Bestimmungen stehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn geflüchtete Adressat_innen Sozialarbeitende um Unterstützung bei der Jobsuche – d.h. bei

5 Gemeint sind hier Kinder und Jugendliche.

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der Ausübung ihres Rechts auf Arbeit – bitten, obwohl sie nicht arbeiten dürfen. Die Annahme dieses Mandats beinhaltet das Hinwegsetzen über ein Gesetz voraus. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Aufträge an Sozialarbeitende, wie z.B. das Ignorieren/Herausfordern einer rechtlichen Vorgabe oder die öffentliche Skandalisierung eines Unrechts, von Seiten der Adressat_innen oder gar der Auftraggeber_innen kommen werden. Vielmehr stellt sich hier die Frage der Selbstmandatierung bzw. des Verweigerns einer Forderung, weil sie in Konflikt mit den Menschenrechten steht: also einem Verständnis von Sozialer Arbeit als mit einem Tripelmandat ausgestattete Profession. Das Tripelmandat – so Staub-Bernasconi (vgl. 2017b) – besteht neben den Mandaten der Adressat_innen und der Auftraggeber_innen aus der wissenschaftlichen Fundierung der Theorien und Methoden und sowie der Orientierung an den internationalen berufsethischen Vorgaben der Berufsverbände. Wesentlich hierbei ist, dass das dritte Mandat nicht die legitimen Interessen des/der Adressat_in verletzten darf. Eine systematische Aufarbeitung von mandatswidrigen Forderungen von Seiten der Arbeitgeber_innen und/oder von selbstinitiierten Handlungen von Sozialarbeitenden existiert leider bislang nicht; Ausnahmen sind erste Forschungsarbeiten (z.B. Muy 2016 oder Seithe/Wiener-Rau 2014) oder vereinzelte Berichte/Beobachtungen aus der Praxis. So berichten Praktiker_innen z.B. im Rahmen von Fortbildungen, dass von ihnen verlangt wird, vorübergehende Abwesenheiten von geflüchteten Bewohner_innen in Gemeinschaftsunterkünfte „zu melden“ mit der Folge, dass deren Sozialleistungen gekürzt werden; ähnliches gilt für Nebentätigkeiten trotz Hartz IV-Bezug. Auch die Gestaltung von Wohneinrichtungen in einer Art, die kaum Privatsphäre zulässt oder aber die Nutzung eines Generalsschlüssels außerhalb eines Notfalls sind Praxen, die eine Beteiligung an der Verletzung des Rechts auf adäquate Unterbringung bzw. an der Verletzung des Schutzes der Freiheitssphäre der Einzelnen (Art. 17 Zivilpakt) darstellen. Das Befolgen einer Anordnung nach der Sozialarbeitende, die mit Geflüchteten arbeiten, sich nicht um die Einschulung aller Kinder bemühen sollen, kann als eine Beteiligung an der Verletzung des Rechts auf Bildung der vernachlässigten Kinder verstanden werden. In Fällen, in denen Sozialarbeitende die Verteilung von Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs an Bedingungen oder eine bestimmte Ethnizität knüpfen, dürfte der Hinweis auf die Menschenwürde zur Orientierung ausreichen, um den menschenrechtsverletzenden Charakter der Handlung zu erkennen. Während in diesen Fällen Menschenrechtsverletzungen sichtbar werden, zeigen sich bei dem Versuch, Sozialarbeitende für die Unterstützung bei Abschiebungen zu gewinnen, massive Konflikte mit dem internationalen Code of Ethics (vgl. IASSW/IFSW 2004: Abs. 5), welches sich wiederum explizit auf die Menschenrechte bezieht (vgl. auch: Initiative Hochschullehrender zu Sozialer Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften 2016: 5).

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Der Umgang von Sozialarbeitenden mit solchen Forderungen ist sehr unterschiedlich. Während die einen diese Vorgaben bewusst und aus Überzeugung umsetzen, erfüllen sie andere ohne sie zu hinterfragen. Andere Sozialarbeitende erkennen die Problematik der Forderungen und versuchen sie heimlich zu umgehen. Symptomatisch ist, dass sehr wenige Fälle dokumentiert sind, in denen einer mandatswidrigen Forderung offensiv begegnet wurde, z.B. mit einem Hinweis auf den Code of Ethics oder die Menschenrechte. Ebenso werden solche Vorfälle eher selten öffentlich gemacht oder versucht sie strukturell zu lösen, z.B. durch strategische Prozessführung, Whistleblowing und/oder Lobbyarbeit. Auch Praxen von Verweigerung aus Gewissengründen oder Handlungen zivilen Ungehorsams im Kontext von Sozialer Arbeit sind öffentlich eher unbekannt. Ein Beispiel für eine Ausnahme ist das Vorgehen des AKS München im Frühjahr 2017. Hintergrund war ein Schreiben des Bayerischen Sozialministeriums, in dem mit dem Entzug der finanziellen Förderung gedroht wurde, wenn in der Asylsozialberatung tätige Organisationen Geflüchtete umfassend über die ihnen zustehenden Rechte beraten würden (vgl. AKS München 2017). Der AKS machte dies öffentlich und lud die Fachcommunity ein, sich einzubringen. Es gelang ihnen, neben 1200 Protestunterschriften6, Stellungnahmen von ressourcenstarken Akteur_innen – wie dem Vorstand der DGSA und dem Bayerischen Flüchtlingsrat – zu erhalten, die alle deutlich machten, dass dieses Ansinnen mit einer professionellen Sozialen Arbeit nicht zu vereinbaren ist. Das Sozialministerium ist zumindest gegenüber der Presse leicht von diesem Ansinnen abgerückt (vgl. Birnbeck 2017), aber eine schriftliche Bestätigung steht noch aus7.

5. Menschenrechte als Machtquelle: Nutzung des UN Menschenrechtsschutzsystems Im Wesentlichen sieht das UN-Menschenrechtsschutzsystem fünf Möglichkeiten der Beschwerdeeinreichung vor8. Je nach Fallkonstellation, vorhandenen (finanziellen und sozialen) Ressourcen und Risikobereitschaft der Betroffenen gilt es zunächst zu erwägen, welcher Beschwerdeweg als der am ehesten geeignete erscheint. Eine Durchsicht von Beschwerden bzw. Stellungnahmen der 6 Diese Liste ist nicht mehr einsehbar, da einzelnen Unterzeichnenden mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht wurde! 7 Stand 01.08.2017. 8 Zur Einführung in verschiedene Formen der Beschwerden bei UN-Ausschüssen siehe Prasad 2011 und Hüfner et al. 2012.

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UN-Ausschüsse verdeutlicht, dass die Fallkonstellationen vielfach übertragbar sind. Insofern kann neben der Initiierung einer eigenen Beschwerde die Nutzung der Beschwerden Anderer eine sinnvolle Ergänzung der eigenen Arbeit darstellen, sofern die Rahmenbedingungen vergleichbar sind. Die Nutzung solcher Beschwerden oder Stellungnahmen kann die eigene Argumentation stärken; manchmal kann alleine die Androhung einer solchen Beschwerde dazu beitragen, dass Sachverhalte überdacht werden. Auch jenseits juristischer Auseinandersetzungen können bereits gefällte Entscheidungen auf der normativen Ebene Klarheit schaffen und zudem eine Ressource sein, die zum Empowerment beiträgt. So kann z.B. der Fall Lecraft gegen Spanien (ICCPR 1493/2006) sehr wertvoll für die Arbeit gegen Racial Profiling bzw. für die Arbeit mit Rassismuserfahrenen sein oder der Fall González Carreño gegen Spanien (CEDAW 47/2012), der für die Frauenhausarbeit sehr relevant ist, weil er verdeutlicht, dass bei Umgangsrechtsentscheidungen ein vorhandener Kontext häuslicher Gewalt mit einzubeziehen ist. Eine Übersicht von Fällen und Stellungnahmen, die auf die eigene Adressat_innengruppe übertragbar sind, kann sowohl in der Praxis, als auch auf diskursiver Ebene sehr wichtig sein. Die Fälle sind jeweils auf der Website des entsprechenden Ausschusses einsehbar, in vielen Fällen aber auch auf Websites von spezialisierten NGOs, nationalen Menschenrechtsinstitutionen oder aber auf der spezialisierten Website von Anne Bayefsky – einer kanadischen Juraprofessorin9.

6. Eine umstrittene Menschenrechtsprofession: Bezugnahme auf eurozentristische Werte? Ein zumindest auf den ersten Blick sehr nachvollziehbarer Vorwurf an eine menschenrechtlichen Orientierung ist der des Eurozentrismus (siehe z.B. Mutua 2006 oder Panikkar/Sharma 2007), der sich in der europäischen Fachliteratur häufig bestätigt (siehe z.B. Pollmann 2012). Hier wird ein Narrativ aufrechterhalten, in dem nur christlich/europäische Denker und Dokumente als Beiträge zur Entwicklung der Menschenrechte dargestellt werden (siehe z.B. Haspel 2011). Vielfach wird die als christlich deklarierte Idee des „Ebenbildes Gottes“ als theologische Begründung der Menschenwürde herbeigezogen (siehe z.B. Kälin/Künzli 2013: 23). Joas hingegen weist darauf hin, dass es „in den Ethiken aller religiösen und philosophischen Traditionen, die an den achsenzeitlichen Durchbruch zum moralischen Universalismus anknüpfen, ein Potenzial für die Sakralisierung der Person gibt“ (Joas 2015: 54). Lehners (2014) zeigt dies sowohl für den Buddhismus als auch für den Hinduismus auf; 9 Vgl. http://www.bayefsky.com/docs.php/area/jurisprudence [Zugriff: 27.10.2017]

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König weist auf islamische und konfuzianische Kontroversen hin und kommt zu dem Ergebnis, dass „die Weltgesellschaft im Diskurs der Menschenrechte über eine gemeinsame Sprache verfügt, deren universalistischer Geltungssinn Emanzipationsbewegungen stärkt und interkulturelle Verständigung ermöglicht“ (König 2005: 110) und schließlich Yousefi (2013) der davon ausgeht, dass „es nahezu ahistorisch wäre anzunehmen, dass eine bestimmte Tradition im Weltkontext die einzige Wiege der Menschenrechte, die einzige Erfinderin der Menschenwürde und ihre ausschließliche Hüterin sei“ (2013: 8). Neben der Sichtbarmachung diverser religiöser Bezüge werden zunehmend auch Werke außereuropäischer Denker_innen bekannt, die zur Entwicklung der Menschenrechte beigetragen haben. Hierzu gehört beispielsweise die Philosophie von Menzius, dem Nachfolger von Konfuzius, der bereits 300 v. Chr. in China explizit von Menschenwürde sprach (vgl. Klingst 2016: 31) und sich zudem für Umweltschutz aussprach. Leuprecht (2015) weist darüber hinaus auf Ibn Sina (980-1037 im heutigen Iran), Ibn Rushd (1126–1198, Spanien und Marokko) und Ibn Khaldun (1332–1406, Andalusien, Tunis und Kairo) hin, deren Werke auch zur Entwicklung der Idee von Menschenrechten beigetragen haben. Neben Personen sind auch einige Dokumente – wie z.B. die Charta von Mandén – in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Diese ausschließlich mündlich überlieferte Charta wurde vermutlich um 1255 in Mali ausgerufen und ist Teil des Weltkulturerbes der UNESCO. Sie postuliert die Gleichheit aller Menschen, verurteilt u.a. Hunger, Sklaverei, Ausbeutung sowie Quälerei und definiert u.a. ein Recht auf Nahrung und Meinungsfreiheit (UNESCO 2014: 39f.). Diese Charta wurde erst 1998 im Rahmen eines Workshops in Guinea wieder „entdeckt“ und hat seither Eingang in die Jura Curricula einiger westafrikanischer Universitäten gefunden (vgl. ebd.: 36). Ein weiterer Fund von Belang ist der Kyros-Zylinder10; auf ihm wurden 538 v. Chr. im heutigen Iran u.a. die Befreiung von Sklaven und Religionsfreiheit thematisiert. Es bleibt eine spannende Aufgabe, künftig noch mehr solcher Denker_innen und Dokumente sichtbar zu machen, um eine weitere eurozentristische Aneignung der Menschenrechtsidee zu verhindern oder das dominante Narrativ zumindest etwas zu irritieren.

6.1 Die Entstehung der AEMR Auch die Rezeption der Entwicklung der AEMR scheint beherrscht von einem eurozentristischen Narrativ; häufig wird ein Foto von Eleanor Roosevelt verbreitet, indem wie als die Verantwortliche für den Text dargestellt wird (siehe 10 Diesen Hinweis verdanke ich Ulf Brennecke.

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z.B. Titelbild von Hinze 2008). So war sie zwar die Vorsitzende der Kommission, die die AEMR ausgearbeitet hat, dieser gehörten aber Delegierte aus 18 Staaten an, die mitnichten alle Westeuropäer_innen waren. Hansa Mehta, eine indische Delegierte, setzte sich beispielsweise für eine genderneutrale Formulierung ein. Peng Chun Chang als Vertreter Chinas ist es zu verdanken, dass Verweise auf Natur und/oder Gott – wie z.B. von der niederländischen Delegation bevorzugt – nicht Teil der Erklärung wurden. Hernan Santa Cruz, ein chilenischer Richter, setzte sich für die Inklusion von sozioökonomischen Rechten ein und schließlich ist Karim Azoul aus dem Libanon zu nennen, der mit dem jüdischen Weltkongress für das bedingungslose Asylrecht eintrat (vgl. Joas 2011: 265ff.; Joas 2011: 71ff.; Davy 2015). Die AEMR wurde mit 48 Stimmen von Ländern unterschiedlicher (religiöser und regionaler) Traditionen und Alltagspraxen angenommen, sodass sich hieraus kein Hinweis auf eine europäische oder gar christliche Einigung ableiten lässt, ebenso wenig wie die sechs Enthaltungen einen Hinweis auf einen eurozentristischen Konflikt geben. Joas spricht daher von einem „geglückten Prozess der ‚Wertegeneralisierung‘“ (Joas 2015: 74).

6.2 Vergleich der AEMR mit regionalen Erklärungen Historisch problematisch bleibt hingegen, dass ein Großteil der Länder des globalisierten Südens unter Kolonialherrschaft stand und damit nicht stimmberechtigt war, als 1948 die AEMR verabschiedet wurde. Nicht zuletzt deshalb entstanden später die Banjul Declaration (1986), die Arabische Charta (2004) und die Asean Declaration (2012). Ein Vergleich der AEMR mit diesen regionalen Menschenrechtserklärungen zeigt, dass die meisten der dort erwähnten Menschenrechte sich auch in allen den regionalen Deklarationen wiederfinden. Die regionalen Erklärungen sind zwar etwas schwächer im Hinblick auf die wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Rechte, aber dafür deutlich progressiver in anderen Bereichen, z.B. in Bezug auf die Rechte von kolonialisierten Menschen und das Recht über natürliche Ressourcen zu verfügen (Banjul-Declaration). Problematisch hingegen ist in der arabischen Charta der Bezug zur Religion und die explizite Möglichkeit der Ausübung der Todesstrafe (Art. 6); für den europäischen Kontext ist zudem die Gleichsetzung von Rassismus und Zionismus sehr irritierend. Ebenso ist der Verweis auf „Pflichten“ in der Banjul-Declaration problematisch, der nahelegt, dass die Inanspruchnahme von Rechten die Ausübung von Pflichten impliziert (Präambel Banjul-Declaration). Dies erinnert an die anhaltenden europäischen Diskurse um Menschenpflichten, in denen z.B. die Ansicht vertreten wird, dass der moralische Anspruch auf Menschenrechte nur besteht, wo er umgekehrt an eine korrespondierende Menschenpflicht gebunden ist (vgl. Lob-Hüdepohl 2007: 124 sowie

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den Beitrag von Staub-Bernasconi in diesem Band) oder auch die Debatten um die sog. „Rettungsfolter“11 (vgl. Pollmann 2012: 335).

6.3 Ungelöste Konflikte Ungeachtet der regionalen Entwicklungen bleibt die Debatte um Universalität vs. Kulturrelativität (oder Partikularität) von Menschenrechten eine Debatte, die regelmäßig im Rahmen der Vereinten Nationen aufflackert, insbesondere wenn es um Frauenrechtsfragen geht. Davy geht davon aus, dass „Universalismus und Partikularismus nicht zwingend Gegensätze markieren“ (2015: 229), vielmehr geht sie davon aus, dass „ein Recht genau dann universell sein kann, wenn es in vielfacher Hinsicht partikularistisch gedeutet werden kann“ (ebd.). Als Beispiel nimmt sie hier das Recht auf adäquate Unterbringung dessen partikularistische Umsetzung laut Davy im Rahmen der Staatenberichtsverfahren deutlich wird (vgl. ebd.: 230); eine Übertragung auf beispielsweise Fragen der Rechte von Frauen ist nicht ganz so eindeutig leistbar, aber dennoch einen Versuch wert. Konflikthaft bleibt ebenfalls die Möglichkeit der Instrumentalisierung von Menschenrechten im Kontext internationaler (Wirtschafts-)Politik. So werden regelmäßig „Menschenrechte als Währung“ eingebracht, indem die Vergabe von Geldern von dem Stand der Umsetzung der Menschenrechte in dem jeweiligen anderen Staat abhängig gemacht wird. Die eigenen menschenrechtlichen Verstöße – wie in etwa die Durchführung der Todesstrafe in den USA oder die Grenzpolitik der EU, die unzählige Tote zur Folge hat – bleiben nicht nur folgenlos, sondern werden schlicht ignoriert. Dieser als Menschenrechtspolitik ‚getarnte‘ Imperialismus (vgl. Pollmann 2012: 333) macht es sehr leicht, die Universalität von Menschenrechten in Frage zu stellen.

7. Eine umstrittene Menschenrechtsprofession: Kritik aus der Profession Neben der Kritik an der Idee der Menschenrechte gibt es die folgende Kritiken aus der Profession: Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu verstehen, 11 Rettungsfolter ist ein euphemistischer Begriff, der die Anwendung von Folter im Rahmen einer Gefahrenabwehr bezeichnet. Befürworter_innen dieser Form von Folter argumentieren, dass diese legitimiert sei, weil hierdurch beispielsweise andere Leben gerettet werden könnten (siehe hierzu Bundeszentrale für politische Bildung 2006).

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überfordere Praktiker_innen; es sei eine Anmaßung und Enttäuschungen wären somit vorprogrammiert. Schließlich wird behauptet, dass soziale Gerechtigkeit für die Profession der relevantere Bezugspunkt wäre. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu verstehen macht die Arbeit nicht leichter, denn das Dargestellte umzusetzen ist sehr voraussetzungsvoll und sicher nicht nebenbei zu leisten. Insofern haben die Bedenken, dass hiermit eine Komplexität der Anforderungen und möglicherweise eine heillose Überforderung in der Praxis einher gehe (vgl. Großmaß 2010: 32) durchaus ihre Berechtigung, da derzeitig eine entsprechende curriculare Umsetzung größtenteils fehlt. Da es in Deutschland nur vereinzelt Masterprogramme in Sozialer Arbeit mit einem expliziten Bezug auf Menschenrechte gibt, ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl von Sozialarbeitenden sich dieses Wissen mit oder neben der Praxis aneignen müssen, was in der Tat eine Überforderung darstellen kann. Eine entsprechende curriculare Anpassung im Bachelorstudium könnte zumindest künftige Sozialarbeitende hiervor schützen. Niendorf ging 2015 im Rahmen eines Forschungsprojektes der Frage nach, wie Menschenrechte in Bachelor-Studiengängen Sozialer Arbeit berücksichtigt werden12. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die befragten Studiengangsleitungen Menschenrechten eine (sehr) große Bedeutung zusprechen, allerdings ohne dass diese als verpflichtender Lehrinhalt für alle Studierenden vorgesehen werden (vgl. Niendorf 2017: 18). Neben der Frage, ob ein Bachelor als Regelabschluss ausreichend sein kann13, müsste erörtert werden, wie und an welcher Stelle curriculare Veränderungen notwendig wären, um dem artikulierten Anspruch gerecht zu werden. Auch stellt sich die Frage, ob bei der befürchteten Überforderung nicht ein internalisiertes Bild der Sozialen Arbeit als einfacher Beruf zu Grunde liegt. Wie ist es sonst erklärbar, dass einerseits der wissenschaftliche und kritische Anspruch in der Profession wächst und zunehmend das Promotionsrecht eingefordert, aber gleichzeitig eine Orientierung an den Menschenrechten als Überforderung gewertet wird. Somit ist der Vorwurf, dass eine Orientierung der Sozialen Arbeit an den Menschenrechten eine Anmaßung sei, zumindest bedenklich. Es stellt sich hier letztlich die Frage, welches Mandatsverständnis dieser Behauptung zu Grunde liegt, wenn gar behauptet wird, dass Soziale Arbeit normativ fremd und durch ihre öffentlichen Auftraggeber bestimmt sei und zudem ihre Professionalität nicht unter sich ausmachen könne (vgl. Möhring-Hesse 2010: 12f.). Hier entsteht eher der Eindruck, als ginge der Autor nicht einmal von einem Doppel-

12 Im Rahmen der DGSA Jahrestagung 2017 hat Sebastian Dolsdorf diese Arbeit mit einer Umfrage „Zur Verankerung der Menschenrechte in der Lehre Sozialer Arbeit“ fortgesetzt. 13 Gerade im Umgang mit Mediziner_innen, Jurist_innen oder Lehrer_innen u.a. – mit denen Sozialarbeitende regelmäßig zusammenarbeiten – entsteht eine strukturelle Kluft, da in diesen Bereichen der Bachelor alleine nicht ausreicht, um (berufs-)tätig zu werden.

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mandatsverständnis Sozialer Arbeit aus. Vielmehr beschreibt er eine monomandatierte Tätigkeit, in der die Soziale Arbeit Vollstreckerin unhinterfragter Vorgaben ist. Großmaß ist der Ansicht, dass das Spannungsverhältnis zwischen der Legitimität menschenrechtlich begründeter Forderungen und den Möglichkeiten verrechtlichter Einforderungswege für die Praktiker_innen ein hohes Enttäuschungspotenzial darstellt, welches nur zu bewältigen ist, wenn hochkomplexe Anforderungen hinsichtlich der Verknüpfung von Wissen mit Reflexion und Entscheidungskompetenz verbunden werden (vgl. Großmaß 2010: 25). Offenbar liegt hier der Fokus auf der Initiierung von Einzelfallbeschwerden, die in der Tat sehr voraussetzungsvoll sind. Die argumentative Nutzung von Beschwerden anderer Akteur_innen und das Beschreiten anderer Beschwerdewege (wie z.B. das Schattenberichtsverfahren) hingegen gibt Sozialarbeitenden ein sehr effektives Machtmittel zum Handeln bzw. eine reale Möglichkeit des sich zur Wehrsetzens bzw. des Gehörfindens. Dass hierfür zumindest zu Beginn die in der alltäglichen Einzelfallarbeit eingeübte Handlungsebene verlassen werden muss und das Wissen aus dem verrechtlichten Menschenrechtsdiskurs fallangemessen mit der in der Praxis gewonnenen Expertise verbunden werden müsste (ebd.), versteht sich von selbst. Gerade in der Arbeit mit Adressat_innen, die faktisch keinen oder sehr wenig Zugang zu Rechten haben, kann dieser Weg manchmal der einzig gangbare sein. Dies betrifft in Deutschland u.a. die Arbeit mit Menschen ohne Papiere, Geflüchtete jenseits eines Asylverfahrens, nicht identifizierte Betroffene von Menschenhandel, Menschen auf sog. Terrorlisten, Syrien-Rückkehrer_innen, sehr kleine Kinder und/oder kognitiv stark beeinträchtige Personen. Die Kritik, dass soziale Gerechtigkeit für die Profession wichtiger sei als die Orientierung an den Menschenrechten (siehe z.B. DGSA 2017: 13) zeugt von einem sehr oberflächlichen Wissen über Menschenrechte. Offenbar ist deren Unterteilung in Freiheits-, Gleichheits-, Schutz-, Teilhabe- oder Antidiskriminierungsrechte nicht bekannt; ebenso bleibt unberücksichtigt, dass soziale Gerechtigkeit eine zentrale Säule der Teilhaberechte ist. Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Menschenrechten14 verdeutlicht zudem, dass die Verletzung einzelner Rechte in der Regel stark mit der Verletzung anderer Rechte verwoben ist. Eine isolierte Sichtweise kann somit der Komplexität der Rechtsverletzungen nicht gerecht werden.

14 Weitere wären: die Unveräußerlichkeit, d.h. niemand kann sie „abgeben“, die Interdependenz, d.h. sie stehen in Wechselwirkung zueinander, die Universalität, d.h. sie gelten überall für alle Menschen und sie müssen egalitär sein, d.h. Gleichbehandlung und Antidiskriminierung garantieren (vgl. Vereinte Nationen 1993. Abs. 5).

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8. Menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit: Implikationen für Hochschulen Eine curriculare Umsetzung des Dargestellten ist eine voraussetzungsvolle vielschichtige Aufgabe, weil es nicht nur darum geht, Faktenwissen zu vermitteln (Bildung über Menschenrechte), sondern auch darum, die Grundhaltung in der Lehre zu überprüfen (Bildung durch Menschenrechte) und für eine selbstverständliche Verpflichtung zur Unterstützung von vulnerablen Personen und Gruppen (Bildung für Menschenrechte) einzutreten. Die DGSA empfiehlt in ihrem Kerncurriculum das Thema Menschenrechte in die Bereiche „Normative Grundlagen Sozialer Arbeit“ und „Entstehung, Wandel und aktive Veränderung der gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit“ einzubauen (DGSA 2016: 6f.). Auch wenn die Umsetzung von Menschenrechten in Curricula Sozialer Arbeit eher eine Querschnittsaufgabe ist, wäre schon die Umsetzung dieser Empfehlung zunächst ein Gewinn, aber eine Inklusion in die Studienbereiche „Fachwissenschaftliche Grundlagen/Geschichte der Sozialen Arbeit“ scheint mir mindestens genauso relevant zu sein. Darüber hinaus wären die explizite Thematisierung des politischen Mandats Sozialer Arbeit und die Möglichkeiten und Grenzen von Widerstandspraxen in der Sozialen Arbeit curricular zu platzieren; Voraussetzung hierfür ist wiederum eine Erweiterung des Methodenrepertoires. Eine an Menschenrechten orientierte Soziale Arbeit kommt nicht umhin, Menschenrechtsverletzungen an ihren Adressat_innen zu erkennen, diese öffentlich zu benennen und neben der individuellen Unterstützung auch an Lösungen für strukturelle Problemen zu arbeiten. Hierfür brauchen Sozialarbeitende Kenntnisse, um Methoden wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyarbeit, Strategische Prozessführung, Whistleblowing und Nutzung des UN-Menschenrechtsschutzsystems, die bislang curricular kaum verankert sind.

8.1 Praktiker_innen und Adressat_innen unterstützen Eine kritische und/oder als Menschenrechtsprofession verstandene Soziale Arbeit kommt nicht umhin, Mandatskonflikte zu analysieren und ggf. mandatswidrige Forderungen abzulehnen. Hochschulen sind hierbei in der besonderen Verantwortung für ein klares Mandatsverständnis zu sorgen, Praktiker_innen in solchen Konflikten zu stärken und evtl. bei (rechtlichen) Auseinandersetzungen zu unterstützen. Hilfreich können Interventionen sein, aber auch Klarstellungen im Rahmen von Stellungnahmen (vgl. z.B. DGSA-Fachgruppe „Flucht, Migration und Rassismuskritik“ 2017) oder Positionspapiere (vgl.

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z.B. Initiative Hochschullehrender zu Sozialer Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften 2016). Auch können Hochschulen Praktiker_innen dabei unterstützen, Informationen über Missstände aufzubereiten, diese den Verantwortlichen – ggf. anonymisiert – vorzutragen und im Notfall öffentlich zu machen, d.h. Methoden wie Whistleblowing und/oder Öffentlichkeitsarbeit selbst anwenden.

8.2 Kammer als Korrektiv Wenn Adressat_innen Sozialer Arbeit unethischen, mandatswidrigen oder menschenrechtsverletzenden Handlungen durch Sozialarbeitende ausgesetzt sind, gibt es bislang wenig strukturell implementierte Möglichkeiten, sich hiergegen effektiv zur Wehr zu setzen. Je nach Zugang zu Information, Ressourcen und Machtmitteln können Adressat_innen versuchen, die Unterstützung zu beenden, sich eine andere Sozialarbeiter_in zu suchen oder sich öffentlich zu äußern. Eine zentrale Beschwerdestelle, wie etwa eine Kammer für Rechtsanwält_innen oder Mediziner_innen, gibt es jedoch nicht (vgl. hierzu für die Kinder- und Jugendhilfe den Beitrag von Kittel in diesem Band). Eine Profession, die die Einhaltung der Menschenrechte durch den Staat einfordert, ist in der Pflicht, auch eigene Korrektive zu entwickeln, um (die Zuarbeit zu) Menschenrechtsverletzungen in der Profession zu benennen, sichtbar zu machen und angemessen zu ahnden. Denkbar ist – in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband DBSH oder weiteren Fachgesellschaften – die Gründung einer Kammer/Kommission für Beschwerden gegen Sozialarbeitende, die allerdings nur dann effektiv sein kann, wenn Fehlverhalten konsequent aber verhältnismäßig geahndet werden könnte. Es wäre zu diskutieren, ob nicht im Rahmen der Verleihung der staatlichen Anerkennung oder der Vergabe des Abschlusses ein rechtlicher Passus – ähnlich dem hypokritischen Eid von Mediziner_innen – eingebaut werden könnte, der einerseits Sozialarbeitende vor mandats- bzw. menschenrechtswidrigen Forderungen schützt und andererseits Adressat_innen die Möglichkeit gibt, sich bei Fehlverhalten durch Sozialarbeitende effektiv zur Wehr zu setzen.

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Menschenrechte in der Sozialen Arbeit – Ein Papiertiger? Menschenrechte in der Sozialen Arbeit – Ein Papiertiger? Gespräch zwischen Sabine Stövesand und Silvia Staub-Bernasconi1

S. Stövesand: Zum Abschluss der Tagung gibt es nun die Gelegenheit, ihren Gegenstand, Soziale Arbeit und Menschenrechte, noch einmal zu betrachten und das nicht nur in einer allgemein theoretisch diskursiven oder praktisch methodischen, sondern auch in einer persönlich biografischen Perspektive. Gesellschaftliche, wissenschaftliche und soziale Entwicklungen und Veränderungen sind nichts Abstraktes, haben manchmal mit Zufällen zu tun, mit günstigen Bedingungen und dem Vorhandensein von Ressourcen. Ganz entscheidend aber sind sie von Menschen, ihren Ideen, Interessen und Leidenschaften gemacht – Menschen, die Gelegenheiten beim Schopf packen und mit Klugheit und langem Atem dabei bleiben. Ich freue mich sehr, heute die Gelegenheit zu haben, ein Gespräch mit einer Frau führen zu dürfen, die interessiert, leidenschaftlich, klug, theoretisch fundiert und über viele Jahrzehnte hinweg an der Entwicklung der Sozialen Arbeit sowohl in der Praxis, als auch in der Lehre, nicht zuletzt aber in der Theorie ‚drangeblieben‘ ist. Eine Frau, ohne die es den Menschenrechtsdiskurs – mit ganz praktischen Folgen für uns in der Sozialen Arbeit bis hin zu dieser Tagung – wohl so nicht gegeben hätte. Ich begrüße ganz herzlich Silvia Staub-Bernasconi. Silvia Staub-Bernasconi ist vermutlich für die meisten alles andere als eine Unbekannte, deshalb nur kurz etwas zur Person (vgl. Askeland/Payne 2017: 171ff.): Silvia, du bist Sozialarbeiterin mit jahrelanger und bis heute gelebter praktischer Erfahrung, promovierte und habilitierte Wissenschaftlerin, die einzige Frau, die in jüngerer Zeit im deutschsprachigen Raum maßgeblich eine eigenständige Theorie Sozialer Arbeit entwickelt hat. Du bist streitbar und durchaus umstritten, hast, zusammen mit Ernst Engelke, die Sektion „Theorie und Wissenschaftsentwicklung“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit gegründet und über viele Jahre entscheidend mitgeprägt, bist bis heute aktiv in dieser Sektion und hast des weitern die Gründung der Sektion Gemeinwesenarbeit in der DGSA initiiert. Du bist eine Schweizer Weltbürgerin und wolltest eigentlich aufgrund dessen, was du als Kind über die Schrecken und Gräuel

1 Das Gespräch wurde im Rahmen der Abschlussveranstaltung der DGSA Jahrestagung geführt. Es war als Interview konzipiert, die fett gedruckten Fragen stammen jeweils von Sabine Stövesand. Unter dem Link https://www.youtube.com/watch?v=x6WU5UkAN4g findet sich die Videoaufzeichnung im DGSA YouTube Channel.

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des Nationalismus erfahren hast, niemals nach Deutschland kommen. Glücklicherweise hast du es doch getan, so warst du Professorin hier in Berlin an der Technischen Universität Berlin. Eines deiner nachhaltigsten Werke, so Nivedita Prasad, deine Nachfolgerin im Masterstudiengang, trägt den Titel „Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofession" und wird seit 14 Jahren als kooperatives Projekt der Alice Salomon Hochschule, der Evangelischen Hochschule Berlin und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin angeboten. Das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt deiner zahlreichen Aktivitäten, zu denen das Publizieren genauso gehört wie die antirassistische, interkulturelle Arbeit als Gründerin, Vorstandsmitglied und teilweise Projektbegleiterin im „Kompetenzzentrum für Interkulturelle Konflikte“ (TikK) in Zürich. Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit zum Gespräch. Meine erste Frage lautet: Seit wann und warum beschäftigst du dich mit der Menschenrechtsfrage? S. Staub-Bernasconi: Die erste Frage kann ich kurz beantworten: ab 1980 (vgl. weiter unten). Die Antwort auf die zweite Frage ist komplexer. Ich muss zuerst auf eine zentrale, maßgebliche Vorphase zu sprechen kommen. Ich denke, dass in meinem Fall die sogenannten 68er Jahre in meiner Biografie eigentlich 1963 begonnen haben, und zwar nachdem ich dank eines UNO-Stipendiums für Universitätsstudien in Sozialer Arbeit als erstes in New York landete. Vermutlich trug ich immer noch das USA-Bild des Befreiers von Hitler- bzw. Nazi-Deutschland in mir, so dass ich das, was ich wahrnahm, sobald ich den Flughafen verlassen hatte, nicht als Kultur-, sondern als Sozialstrukturschock bezeichnen muss. Da lag im Hotel, das mir die UNO zugewiesen hatte, die „New York Times“ auf dem Frühstückstisch – mit der Headline „Säuglinge und Kleinkinder von Ratten (an)gefressen“. Meinem Englisch, das sich noch auf dem Winnie-the-Pooh-Level bewegte, konnte und wollte ich einfach nicht trauen, doch der Kellner bestätigte mir mit zynischem Lachen, dass ich richtig gelesen habe. Das sei in New Yorks Sozialwohnungen, in denen die Ratten aufgrund der miserablen sanitären Einrichtungen herumrennen, Alltag. Eine Mutter könne deswegen die Kleinkinder nie allein in der Wohnung lassen. In den nächsten Tagen setzten sich die ‚Schocks‘ fort: Obdachlose, die um den wärmsten Platz über den U-Bahnentlüftungsschächten kämpften, solche, die auf deren Treppen starben; eine Frau, die vom 14. Stock hinuntergesprungen war, Überfälle auf offener Straße usw., usw. – und eine ‚Laufkundschaft‘, die alles gelassen hinnahm, nicht einmal hinschaute. Ich war nicht gelassen, sondern fassungslos, gelähmt vor Empörung sowie extremer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Es war eine USA, die Michael Harrington in seinem Buch „The Other America – Poverty in the United States“ (1962) aufzeigte: nämlich dass die „low-class areas“ in den Städten nicht mehr Durchgangs-, sondern Endstationen waren.

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Nun, mein Studium war als erstes an der University of Minnesota in Minneapolis vorgesehen, dessen Campus von einem sogenannten ‚Slumbezirk‘ umgeben war, in welchem die meisten Schwarzen von Minneapolis lebten. Von Studieren konnte anfänglich allerdings nicht die Rede sein, da bei meiner Ankunft auf dem gesamten Campus Studentenproteste und Vorlesungsstreiks im Namen des von Berkeley ausgehenden Free Speech Movement stattfanden. Die Unileitung versuchte gerade, den als Sozialist und Pazifist verschrienen Prof. Mulford Sibley, Inhaber eines Lehrstuhls für Politologie, loszuwerden. An der Fakultät für Soziale Arbeit wurde man seitens der Student_innen, die in der Urban League engagiert waren, vom ersten Tag an mit der Frage konfrontiert: Wie hältst Du es mit der Rassenfrage? An dieser Uni hatte der Schwarze Whitney Young Soziale Arbeit studiert: Es war ihm gelungen, die National Urban League von einer zahmen Organisation mit vielen Weißen zu einer erfolgreichen Kampforganisation der Schwarzen umzukrempeln, die nicht nur für Bürger_innen-, sondern auch für Sozialrechte der Schwarzen kämpfte. Er hatte 1963 auch den von Martin Luther King angeführten Marsch auf Washington maßgeblich mit organisiert. Wie ernst und gefährlich die Situation auch für die in der Rassenfrage engagierten Sozialarbeiter_innen war, zeigte die Ermordung von sieben Sozialarbeiter_innen im Süden der USA durch Mitglieder des Ku-Klux-Clans, ‚nur‘ weil sie den Schwarzen geholfen hatten, sich für die Zwischen-Wahlen einzuschreiben. Zudem gab es von Sozialarbeiter_innen, zusammen mit Universitätsprofessor_innen – wie zum Beispiel Frances Fox Piven und Richard Cloward an der Columbia University New York – initiierte soziale Bewegungen: diejenige der Sozialhilfeempfänger_innen, Gefängnisinsass_innen, lokale Stadtteil- und Bürgerrechtsinitiativen; ferner diejenige von Saul Alinsky, der USA-weit als Berater für Bürgerrechtsaktivitäten angefragt wurde. Als ich mein Studium an der Columbia University fortsetzte, lernte ich die Praxis als erste niederschwellige Anlaufstellen – ursprünglich Ladenlokale – in der Lower East Side von New York kennen. Inspiriert durch Alinskys Machtquellen-/Empowermentkonzept ging es u.a. um den Kampf mit der riesigen Sozialbürokratie bzw. ihren Willkürentscheiden – so beispielsweise um die Besetzung der Haupt- und Büroeingänge, bis man von der Polizei weggetragen oder endlich für eine Besprechung zugelassen wurde. S. Stövesand: Das finde ich einen interessanten Aspekt. Die USA sind auch heute weit mehr als Donald Trump, Turbo-Kapitalismus und Militärmaschine. Hier scheinen mir die Einschätzungen, auch von Kolleginnen und Kollegen in der Sozialen Arbeit, manchmal etwas einseitig, denn in den USA gibt es auch diese lange Tradition von Opposition, theoretischen und praktischen Entwürfen eines anderen Lebens, einer progressiven Sozialen Arbeit und einen reichen Fundus an erfindungsreichen, zivilgesellschaftlichen Aktionsformen. Auch heute. Und ich bezweifle, dass sich hierzulande ein ganzes Bundesland

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ausdrücklich zum Sanctuary State, zur Zuflucht, zum Schutzraum für illegalisierte Menschen erklären würde, wie das gerade in Kalifornien passiert. Oder dass der Bürgermeister einer Millionenmetropole, wie in LA geschehen, erklärt, er werde die Maßnahmen der Zentralregierung gegen undokumentierte Migranten nicht umsetzen, sondern im Gegenteil, den Einwohnern seiner Stadt helfen, die keine Papiere haben; und die Polizei von Los Angeles werde die Einwanderer nicht verfolgen (Zeit Online: 2016). Das kann ich mir selbst für das rot-rot-grüne Berlin nicht vorstellen. Hast du nach deiner Rückkehr in die Schweiz deine Erfahrungen in den USA bereits in den Zusammenhang mit den Menschenrechten gebracht? S. Staub-Bernasconi: Nein! Im Vordergrund blieb für mich zunächst die Rassismus- und Bürgerrechtsfrage. Wer sich davon ein historisches Bild machen will, sehe sich den aktuellen Film „I’m not your Negro“ des Haitianers Raoul Peck an. Tief beeindruckt vom unvollendeten Manuskript „Remember this House“ von James Baldwin (1924-1984), stellt er den Bezug zur Gegenwart dar. Baldwin verknüpft seine eigenen Memoiren mit dem Leben der drei befreundeten schwarzen Bürgerrechtler, die zwischen 1963 und 1968 ermordet wurden: Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King. Er ist ein permanentes Pendeln zwischen Wirklichkeit (historische Originalaufnahmen) und Film. – Was bei mir prägend blieb, war die tiefe Empörung über so viel Ungerechtigkeit und die diesbezüglich entsetzliche Blindheit vieler Mitglieder der weißen Mittel- und Oberschicht in ihren vom Elend separierten „nice areas“. Als ich in die Schweiz zurückkam, wurde ich zunächst Lehrbeauftragte und bereits 1967 Dozentin an der Schule für Soziale Arbeit Zürich – dies allerdings nur im Rahmen einer Halbtagsstelle. Denn ich hatte den Entschluss gefasst, nach all den verstörenden Erfahrungen und vehement geführten Auseinandersetzungen, mir ein Hintergrundwissen darüber zu erwerben. Etwas anderes drängte sich zu dieser Zeit auf, als Soziologie zu studieren – und dies bei einem Professor, Peter Heintz, der davon ausging, dass der Gegenstand der Soziologie nicht auf nationale Gesellschaften begrenzt werden könne, sondern die Weltgesellschaft in ihrer Sozialstruktur und Dynamik umfassen müsse! Den in den 68er Jahren am Institut für Soziologie geführten Debatten in- und ausländischer (deutscher) Student_innen folgte ich aufgrund der USA-Erfahrungen mit immer größerer Skepsis. Da gab es eine Subgruppe mit theoretischem Hegemonieanspruch, deren Mitglieder mehrheitlich aus wohlsituierten, gutbürgerlichen Familien kamen und in meiner Einschätzung keine Ahnung über die Menschen hatten, die sie vom Kapitalismus befreien wollten. Im Vergleich dazu waren die meisten Studierenden an der Schule für Soziale Arbeit dem schwierigen Alltag und den Problemen ihrer Adressat_innen viel näher. Das war wohl der wichtigste Grund, weshalb ich mich entschied, das Angebot von Professor Heintz, am Institut zu arbeiten, nicht anzunehmen. Mein Interesse

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galt der Verknüpfung von Theorie und Praxis. Es war eine Zeit der vielfältigsten Projekte Sozialer Arbeit in verschiedensten Gemeinwesen und dazu parallel der Auseinandersetzung mit den Studierenden über die ‚grüne Bibel‘ von Walter Hollstein und Marianne Meinhold mit dem Titel „Soziale Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen“ (1973). „Casework“, das heißt Soziale Arbeit mit Individuen, war das ‚Hinterletzte‘ und machte den entsprechenden Dozentinnen das Lehren enorm schwer bis unmöglich, es sei denn, sie waren bereit – begründet durch die „Verelendungstheorie“ als eine Voraussetzung für den „Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse“ – dazu beizutragen, an der Veränderung des falschen Bewusstseins der Klientel zu arbeiten, um sie in die sozialistische Arbeiterpartei oder Gewerkschaft zu integrieren. Die Auseinandersetzung mit dem übergeordneten Thema ‚Menschenrechte‘ war – genau genommen – die Folge des Militärputsches in der Türkei von 1980 und des darauf folgenden großen Schauprozesses der Militärjunta, von dem u.a. viele linke bzw. gewerkschaftlich organisierte Student_innen betroffen und teilweise bereits im Gefängnis waren. Ein Absolvent der Schule für Soziale Arbeit erreichte die Bereitschaft der „Abteilung für Soziale Arbeit“, sie als Studierende aufzunehmen. 1989 feierte die ‚freie Welt‘ den Sieg des Kapitalismus. Ich erinnere mich an einen Kommentar des Historikers Eric Hobsbawm: „Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, sondern ist ganz einfach übrig geblieben!“ Wie auch immer, viele der Studierenden waren desorientiert, verstört und hatten erhebliche psychische Krisen, auch Selbstmordgedanken, so dass sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Wofür sie gekämpft hatten, ihre Ideale einer gerechteren Gesellschaft waren über Nacht begraben worden. So fragte ich mich, ob wir denn als Lehrende an einer Schule für Soziale Arbeit einen Beitrag zu einer Neuorientierung leisten könnten oder gar müssten. Inwiefern könnten es die Menschenrechte sein? Oder würde mir gleich die Marx’sche Kritik an der Jakobinischen Verfassung der Menschenrechtserklärung von 1793 als Instrument „egoistischer Besitzbürger“ entgegengehalten? Waren sie bereit, aufgrund ihrer eigenen, persönlichen Bedrohungs- und Leidenserfahrungen über die Würde und Freiheit des Individuums nachzudenken, ohne die Idee sozialer Gerechtigkeit aufzugeben? Meine Kenntnisse zum Thema waren – mit Ausnahme der UNO-Charta – sehr dürftig. So musste ich allen Mut zusammenbringen, ein Seminar zu einem Thema auszuschreiben, dessen Inhalt ich noch nicht kannte. Texte dazu gab es genug. Der Lern- und Diskussionseifer der Studierenden – auch untereinander – war umwerfend und wir begriffen und freuten uns, dass wir alle gemeinsam Lernende waren. Eine Folge dieses Seminars war eine von den Studierenden organisierte öffentlich ausgeschriebene Veranstaltung, für die ich die Verantwortung übernahm, da sie immer noch den Status der vorläufig aufgenommenen, politischen Flüchtlinge hatten und sich deshalb öffentlich politisch nicht äußern durften.

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Wie ging es dann weiter – was waren Meilensteine? S. Staub-Bernasconi: Ein erster Meilenstein war sicher die Anfrage von Ellen Mourajeff-Apstol (UNO-Büro der International Federation of Social Workers IFSW in Genf) für eine Stellungnahme zum Entwurf „Human Rights and Social Work“ (1. Fassung 1992) als Text für die Ausbildung von Sozialarbeiter_innen. Der Text war als Aufforderung gedacht, das Thema ‚Menschenrechte‘ im Studium zu verankern. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Frage, was Sozialarbeiter_innen denn menschenrechtlich überhaupt bewirken können, wurde mir klar, dass wir von der UNO viel zu viel erwarten: Mit viel zu wenig finanziellen Mitteln, Personal, einem Sicherheitsrat, in welchem fünf Weltmächte mit ihrem Vetorecht jeden Beschluss über Friedenverhandlungen und Friedensschlüsse boykottieren können, ist die UNO ein sehr schwaches Gebilde – ja in vielen Belangen tatsächlich ein ‚Papiertiger‘ – aber wir haben kein anderes, das die Weltgesellschaft repräsentiert und entsprechende hitzigenttäuschende, teilweise aber auch richtungweisende Debatten ermöglicht. So kam ich zum Schluss, dass die UNO auf verschiedensten sozialen Ebenen dringend ‚Übersetzer_innen‘ braucht, die versuchen, zusammen mit den Menschen, mit denen sie den Alltag teilen, die Relevanz der Menschenrechte in diesem Alltag zu erkennen und praktisch umzusetzen. Umfragen bei der Bevölkerung, aber auch bei Sozialarbeiter_innen in Organisationen des Sozialwesens, die Menschenrechte sogar in ihrem Leitbild haben, zeigen: im Durchschnitt können die Befragten vier von 28 Menschenrechten angeben. Eleonore Roosevelt hat diese Alltags- und im Fall der Sozialen Arbeit ‚Berufsnähe‘ an der Vollversammlung von 1948 in San Francisco anlässlich der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus meiner Sicht treffend formuliert: Sie fragt, wo beginnen die Menschenrechte? Nicht bei der UNO, sondern: „Sie beginnen an kleinen Orten, nahe von zu Hause – so nah und so klein, dass sie auf keiner Weltkarte entdeckt werden können. Doch sind sie die Welt der individuellen Person: (die Familie StB), die Nachbarschaft, in welcher sie lebt; die Schule oder Bildungsinstitution, die sie besucht; die Fabrik, der Bauernhof/die Farm oder das Büro, in welchen sie arbeitet. Dies sind die Orte, in denen jeder Mann, jede Frau, jedes Kind Gleichheit und Gerechtigkeit, Chancengleichheit, gleiche Würde ohne Diskriminierung sucht. Solange diese Rechte und Menschenwürde an diesen Orten keine Bedeutung haben, werden sie nirgends in der Welt Bedeutung haben. Ohne konzertierte Bürger_innenbewegungen, um sie in die Nähe des Wohnortes (close to home) zu bringen, werden wir vergeblich nach entsprechenden Programmen in der weiten Welt Ausschau halten.“

Und noch etwas wurde mir klar – und das hat sicher mit meiner USA-Erfahrung zu tun: Zentrales Thema der Sozialen Arbeit mussten die Sozialrechte, also der Pakt I sein. – Es war also nicht so, dass ich etwas über Menschenrechte und Soziale Arbeit las und dies eine schöne, ja bewundernswerte Idee fand, die

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der gesellschaftlich randständigen Sozialen Arbeit eine willkommene Anerkennung oder gar einen ‚Zuckerguss‘ verpassen könnte. S. Stövesand: Auch ich habe es so erfahren, dass Menschenrechte nichts Abstraktes sind, sondern von praktischer Relevanz für die Soziale Arbeit. Als Sozialarbeiterin habe ich mehrere Jahre in einem Frauenhaus gearbeitet, die Themen Gewalt bzw. Recht auf körperliche Unversehrtheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung haben mich von daher stark beschäftigt. Es war lange so, dass die Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit nicht als grundlegende Verletzung allgemeiner Rechte – als etwas, das demokratische Verhältnisse insgesamt und für alle in Frage stellt – wahrgenommen wurde, sondern irgendwie als etwas, das nur Frauen angeht und letztlich irgendwie doch als etwas Privates, in das sich der Staat nicht einzumischen hatte. Das änderte sich nicht unwesentlich dadurch, dass Frauenrechte spätestens ab der zweiten Menschenrechtsweltkonferenz 1993 und insbesondere der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 als unveräußerlicher und integraler Bestandteil der universellen Menschenrechte thematisiert wurden. Und diese Thematisierung hatte praktische Konsequenzen in vielerlei Hinsicht. So enthält die Aktionsplattform von Peking konkrete Maßnahmen und Aufgaben zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in zwölf Bereichen. Dieses umfassende Programm ist von 189 Staaten in der sog. ‚Pekinger Erklärung’ einstimmig angenommen worden. Darin verpflichten sich alle Mitgliedstaaten, den Inhalt der Aktionsplattform auch umzusetzen. Das ist in den Jahren 2000, 2005 und 2010 überprüft worden. Es gibt zahlreiche Konkretisierungen, z.B. im Rahmen des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women) kurz Frauenrechtskonvention. Hier werden Standards zur Bekämpfung der Frauendiskriminierung in den Bereichen Kultur, Soziales, Bildung, Politik und Gesetzgebung festgesetzt. Im Vergleich zur Menschenrechtserklärung in der UN-Menschenrechtscharta vom 10. Dezember 1948 der Vereinten Nationen ist in der Frauenrechtskonvention die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten für Rechtsverletzungen auf nicht-staatliche Akteur_innen erweitert worden. Es wurde bisher von 186 Staaten ratifiziert, auch von allen europäischen Staaten (bis auf den Vatikanstaat). Und ich merke zum Beispiel aktuell in der gemeinwesenbezogenen Arbeit, die wir in den „StoP“-Projekten machen (Stadtteile ohne Partnergewalt), dass genau dieser Zusammenhang – es geht um Menschenrechte, nicht um private Probleme, es geht um die Lebensqualität im ganzen Gemeinwesen – viel möglich macht, viele Türen öffnet, innere und äußere. Hier erlebe ich den Menschenrechtsbezug ganz und gar nicht als ‚Papiertiger‘.

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Welche Entwicklungen siehst du in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit? S. Staub-Bernasconi: Kein Meilenstein, aber entscheidend war die Berufung an die Technische Universität Berlin bzw. an das dortige Institut für Sozialpädagogik im Jahr 1996, gerade anschließend an meine Pensionierung an der Hochschule für Soziale Arbeit Zürich. Da lehrte Christina Thürmer-Rohr: sie gab die ersten Vorlesungen und Seminare zum Thema Soziale Arbeit und Menschenrechte noch vor meiner Berufung an die TU; dabei erinnert sie sich an Student_innen, die, dachten, sie seien in der falschen Vorlesung oder gar im falschen Studium; ferner Manfred Kappeler: eines seiner größten Engagements in dieser Zeit – neben demjenigen im Drogenbereich – galt den „Heimkindern nach 1945“ (vgl. Wensierski 2006), um ihnen zu ihrem Recht und einer bescheidenen Alterspension zu verhelfen. Bis heute bin ich über die Haltung der Vertreter_innen von Caritas, Diakonie sowie des „Runden Tisches“ fassungslos (vgl. dazu die ausführliche Berichterstattung von Manfred Kappeler in der „neuen praxis“, u.a. 2011: 3-19); Waltraut Kerber-Ganse forschte am UNO-Sitz in Genf für ihr Buch „Die Menschenrechte des Kindes“ (2009) zur Geschichte der Charta der Kinderrechte; Horatio Riquelme hatte zur Rolle der Ärzt_innen und Psycholog_innen während des Folterregimes von Pinochet geforscht. Er kannte keine Sozialarbeiter_innen, die mitgewirkt haben; die Frage bleibt trotzdem. Alle waren und sind – nicht zuletzt in Bezug auf die Praxis der Sozialen Arbeit – kritisch bis desillusioniert, aber hielten und halten dennoch daran fest, dass es die Menschenrechte braucht, genauer, dass auch wenn sie nicht eingehalten werden, man trotzdem bzw. erst recht daran festhalten muss. An einer Tagung der Sektion Sozialpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenshaft wurde Waltraut Kerber-Ganse gefragt, ob den Institutsmitgliedern bewusst sei, was sie sich da mit mir für ein Kuckucksei ins Institut geholt hätten? Ob sie überhaupt wüssten, was ich vertrete? Waltraut Kerber-Ganse: „Genau das wollten wir!“ Der Unterschied zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik war am Institut für Sozialpädagogik der TU überhaupt kein Thema, die Menschenrechte hingegen sehr wohl! Wenn Du nach Meilensteinen fragst, so kann man paradoxerweise den folgenden als ersten bezeichnen: Die Abwicklung der Hälfte der Institute und Professor_innen an der TU aus Spargründen um das Jahr 2000. An einer Retraite der Institutsmitglieder, an welcher die Folgen der Institutsschließung diskutiert werden sollte, entstand die Vorstellung, dass wir wenigstens ‚in Würde‘ untergehen wollten. Die Idee der Entwicklung eines Curriculums für einen Masterstudiengang „Soziale Arbeit für das 21. Jahrhundert“ entstand und wurde nach deren Präsentation an einem Fakultätentreffen (vertreten waren zwei Universitäten und vier Hochschulen, das heißt auch die Hochschule Potsdam) mit einigen wertvollen Ergänzungen gutgeheißen. Zu deren Ausarbeitung wurden Christina Thürmer-Rohr, Birgit Rommelspacher und ich beauf-

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tragt. Auf der Sitzung, an welcher die Entscheidung über die praktische Umsetzung des Projekts im Rahmen eines Masterstudienganges angesagt war, kam es zu einer Umfragerunde, wer denn bereit sei, die Verantwortung für die Planung zu übernehmen. Zu meinem Erstaunen klagten alle über eine dadurch unzumutbare Überlastung. Der großen Ratlosigkeit folgte eine Pause! Nach dieser erklärten sich die Rektor_innen der drei Berliner Hochschulen dankenswerterweise bereit, die Finanzierung für drei Jahre und die Räumlichkeiten sicherzustellen, bestätigten aber nochmals, dass sie keine Mehrarbeit auf sich nehmen können. Ich war perplex: Wer sollte denn inhaltlich am Projekt arbeiten? So kam es, um zu verhindern, dass das Projekt sang- und klanglos versenkt wurde, zu meinem Blitz-Entscheid und dem Vorschlag, wenigstens die Planungsphase des Masters zu übernehmen. Dann könne man ja nochmals zusammenkommen, um zu entscheiden, ob und wie es weitergehen soll. Nun, es wurde bekanntlich einiges mehr als eine Planungsphase! Offenbar wollte mich ein Mitglied der Runde über die gefasste ‚Bürde‘ mit der Bemerkung hinwegtrösten, dass „nach dem ersten Durchgang der Markt bestimmt ausgetrocknet sein werde“! Der zweite Meilenstein ist natürlich der Start des ersten Studiengangs „Soziale Arbeit als (eine) Menschenrechtsprofession“ im Jahr 2002 in Berlin. Und wie man heute feststellen kann, sind wir bis jetzt nicht ‚ausgetrocknet‘! Hinterher gedacht: Vielleicht war ich doch ein Kuckucksei – bin ja schließlich im Mai geboren! Ein dritter Meilenstein ist der Start eines Internationalen Masters „Social Work as a Human Rights Profession“ 2014 an der Alice-Salomon-Hochschule, an dessen inhaltlicher Planung ich mitwirkte. Die Studierenden kommen aus allen Weltregionen. Und in beiden Masterstudiengängen gibt es Projekte, die erfolgreich versucht haben und versuchen, das was ich als „Übersetzungsarbeit“ zur UNO-Menschenrechtserklärung bezeichnet habe, an jenen kleinen Orten – „close to home“ – zu verwirklichen. Ein vierter Meilenstein ist aber doch wohl diese Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Ich befürchtete, dass sich hier ein Häuflein von Idealist_innen, Kritiker_innen oder gar Gegner_innen versammeln würde, die gemeinsam über die schlimme Lage der Welt und der Sozialen Arbeit und das Totalversagen der Menschenrechte jammern! Gab und gibt es auch Kritik? S. Stövesand: Meines Erachtens müsste sich ein Kritikpunkt sicherlich darauf beziehen, dass der Begriff und die Idee der Menschenrechte angesichts der ganzen aktuellen Desaster, wie der Blockaden innerhalb der UNO-Gremien, der Kriegführung unter dem Deckmantel der Menschenrechte nicht mehr tragen. Statt von einem ‚Papiertiger‘ könnte man mit Max Horkheimer von einem „entleerten Begriff“ sprechen. Es gibt von ihm die Schilderung folgender Szene:

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Gespräch zwischen Sabine Stövesand und Silvia Staub-Bernasconi „Ein angesehener Gelehrter, der mit dem Sozialismus sympathisiert, hörte bei einem wissenschaftlichen Tischgespräch einen unbefangenen Teilnehmer von Menschlichkeit sprechen. Er – also der Gelehrte (S.St.) – erglühte sogleich in edlem Zorn und wies den Ahnungslosen zurecht: Der Begriff der ‚Menschlichkeit‘, der ‚Humanität‘, sei durch die übelste kapitalistische Praxis, die ihn durch Jahrhunderte als Deckmantel benützte, entehrt und inhaltslos geworden. Anständige Menschen könnten ihn nicht mehr ernsthaft gebrauchen, sie hätten aufgehört, das Wort in den Mund zu nehmen.“ (Horkheimer 1987: 315).

Frage also: Sind Menschenrechte nicht auch so ein entehrter, ein beschädigter Begriff? S. Staub-Bernasconi: Ja, die Menschenrechtsidee ist massiv beschädigt und zurzeit sogar im Rückwärtsgang. Sie mit der Idee von ‚Menschlichkeit‘ zu ersetzen geht nicht. Damit ist das ‚Recht, Rechte zu haben‘ (Ahrendt 1949) wegdefiniert. Dazu aber dennoch eine kritische Rückfrage zu dieser weitverbreiteten Kritik: Wird eine demokratische, rechtsstaatlich begründete Verfassung und Gesetzgebung widerlegt und damit irrelevant, wenn man sie nicht einhält? Die gleiche Frage könnte man beispielsweise bei biblischen Texten bzw. Ethiken stellen! Ich möchte diesem Zitat von Horkheimer eine Stimme aus Afrika gegenüberstellen: sie ist von Makau Mutua, u.a. Gründer des UN-Büros in Kenia. Sie bringt die schärfste Kritik, die ich kenne, auf den Punkt und lautet: „Internationale Menschenrechte setzen das Europäische Kolonialprojekt fort, das darin besteht, dass die Weißen sich als Retter einer dunklen und wilden nicht-europäischen Welt verstehen. Die weißen Menschenrechtseiferer_innen reihen sich in die ununterbrochene Kette ein, die sie mit dem kolonialen Verwalter, dem Bibel schwenkenden Missionar und dem Verkäufer für freies Unternehmertum verbindet. Rettung in der modernen Welt wird nur dank der heiligen Trinität von Menschenrechten, politischer Demokratie und freien Märkten als möglich betrachtet.“ (Mutua 2002: 155).

Trotz dieser massiven Kritik hält Makau Mutua an der Menschenrechtserklärung fest und fordert im Schlusskapitel seines Buches einen weltweiten, basisdemokratischen Auseinandersetzungsprozess, der von der Universalität der Menschenrechte ausgeht, aber ebenso kontextspezifische Interpretationen zulässt. Dies ist denn auch das zentrale Thema der Debatte über die „Global Definition of Social Work” von Melbourne 2014 (vgl. Staub-Bernasconi 2017 sowie ihr Beitrag in diesem Band). Was hindert Soziale Arbeit – zusammen mit ihren Adressat_innen – Teil dieser basisdemokratischen Auseinandersetzung zu sein?

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Soweit zur Kritik auf der Weltgesellschaftsebene. Und die Kritik in und an der Sozialen Arbeit? S. Staub-Bernasconi: Zu diesem Thema sei vorerst auf das Heft 107 der „Widersprüche“ von 2008 verwiesen, das teilweise scharfe, kritisch-ablehnende Beiträge enthält. Auch Manfred Kappeler hat dazu einen kritischen Beitrag mit dem Titel „Den Menschenrechtsdiskurs vom Kopf auf die Füße stellen“ geschrieben, der zu meiner Leitidee wurde. Was er damit meint, ist Folgendes: „[…] die Menschenrechte als politische und soziale Rechte in der Sozialen Arbeit selbst zu verwirklichen, sie als Maßstab für die eigene Praxis und für die eigene Theorie zu begreifen, sie als essentiell für das berufliche Selbstverständnis in den Institutionen und Organisationen der Sozialen Arbeit zu vertreten. Damit das gelingen kann, muss die legitimierende Selbstverortung (der Sozialen Arbeit, StB) als per se auf der Seite des Guten, Humanen, des Helfenden sich befindend, aufgegeben werden. Dazu hilft eine schonungslose Auseinandersetzung mit der Berufsgeschichte, die zeigt, dass die Soziale Arbeit in ihren Ursprüngen und ihrem Verlauf und in wesentlichen Teilen bis heute immer wieder die Menschenrechte, die Menschenwürde missachtet und aktiv verletzt hat, bis hin zur flächendeckenden Beteiligung an der menschenverachtenden NS-Bevölkerungspolitik.“ (Kappeler 2008: 37).

Was mir an Kritik zu Ohren kam, ist, dass die Menschenrechte als ein Thema der Sozialen Arbeit noch akzeptiert werden könnte; aber einen ganzen Masterstudiengang auf diese Grundlage zu stellen, sei inakzeptabel. Dabei wird teilweise unterstellt, dass man die ‚Menschenrechte‘ als ‚Alleinstellungsmerkmal‘ betrachte – ein Begriff aus dem neoliberalen Wortschatz –, der die Aufgabe oder Abgrenzung gegenüber anderen Vorstellungen Sozialer Arbeit fordere, was geradezu absurd ist. Wenn es eine ‚Idee‘ gibt, die allen Menschen, ja der Menschheit gehört, dann sind es die Menschenrechte und ebenso die Menschenwürde. Einige Kritiker_innen haben richtigerweise realisiert, dass der Bezug auf Menschenrechte die nationalen Grenzen des Sozialarbeitsverständnisses sowie das Doppelmandat des Staates überschreiten, was sie teilweise strikt ablehnen. Aber ich kann auch ab und zu eine gewisse Nachdenklichkeit feststellen, wenn Kritiker_innen daran erinnert werden, dass, historisch betrachtet, die Schrecken und Gräuel der nationalsozialistischen Terrorherrschaft die Ursache für die Menschenrechtserklärung von 1948 waren. Die kritischen Debatten über die theoretischen und philosophischen Begründungen der Menschenrechte und Menschenwürde haben in der Sozialen Arbeit erst begonnen. Es ist zu hoffen, dass sie fair und vor allem sachkundig geführt werden. Die Kritik an der Menschenrechtsorientierung der Sozialen Arbeit kommt aber auch seitens der ‚Kritischen Sozialen Arbeit‘. Das Hauptargument lautet dann oft: Die Menschenrechte seien ein „Produkt des (kapitalistischen) Westens“, was aufgrund der heutigen Forschung über den Aushandlungs- und Definitionsprozess nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. z.B. Joas 2016, vor allem aber Davy 2015; Heintz/Leisering 2015; Krumbein 2016).

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Die Hauptkritik scheint sich allerdings vor allem am Tripelmandat seitens der Adressat_innen, der Träger bzw. der Gesellschaft und seitens der Profession (mit ihrer Wissenschafts- und Menschenrechtsbasierung, vgl. oben UNOManual) zu stoßen. Unklar ist oft dabei, ob man a) vor allem den Anspruch, eine Profession zu sein, b) mit einem von der UNO angestoßenen Menschenrechtsmandat zu sein, c) oder die Überschreitung nationaler Grenzen bzw. Berücksichtigung ‚fremder‘, auch theoretischer Einflüsse durch die internationale Vernetzung der Sozialen Arbeit oder kurzum d) alles ablehnt. Ein Kritiker verbietet sogar der Sozialen Arbeit, eine eigene Definition von sozialer Gerechtigkeit zu formulieren. Vielleicht die heftigste Kritik und Abwehr entsteht dann, wenn von den Trägern realisiert wird, dass das Tripelmandat den Trägern einen Teil ihrer Definitionsmacht streitig macht und ihnen gegenüber auch kritisch sein kann. Was wäre als Fortschritt zu bewerten und was wären Empfehlungen?  



Fortschritt wäre, wenn endlich zur Kenntnis genommen würde, dass die Soziale Arbeit keineswegs beansprucht, die Menschenrechte für sich zu pachten – eine absurde, geradezu menschenrechtsfeindliche Vorstellung! Fortschritt wären Fortsetzungstagungen – vielleicht in kleinerem Kreis – um über die philosophischen, rechtsphilosophischen, ethischen, rechtlichen, interkulturellen und professionellen Voraussetzungen für die Umsetzung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit vertiefter nachzudenken und darüber konstruktive Debatten zu führen. Fortschritte wären, wenn die Sozialarbeiter_innen – dank der Menschenrechte in ihrem professionellen Mandat – für mehr professionsbezogene Zivilcourage eintreten könnten.

Hast du auch Empfehlungen – als ‚Herzenswünsche‘ – für die nächsten 20 Jahre? 





Eine erste Empfehlung wäre, die Menschenrechte als zentralen selbstverständlichen Bestandteil der Profession und des Studiums zu integrieren; wenn nicht innerhalb des Studiums, dann als längeres Weiterbildungsangebot mit Praxisanteil. Die zweite Empfehlung bezieht sich auf den Einsatz der Hochschulen für einen Masterabschluss als Regelstudium mit unproblematischem Zugang zum Doktorat. Dem Argument, welchem ich voll zustimme, dass ‚Menschenrechte‘ und ‚Menschenwürde’ sowie ihre Umsetzung in soziale Praxis höchst voraussetzungsvolle Themen sind, würde dadurch Nachdruck verliehen. Ihnen irgendwo noch einen kleinen Platz im Bachelor-Curriculum zuzuweisen bringt nichts. Zuletzt eher eine Hoffnung als eine Empfehlung: Der Mut für eine Konzeption Sozialer Arbeit als „Disziplin und kritische, insbesondere theorie- und machtkritische Profession“ – lokal, national sowie international –, die fähig ist, mit anderen, für Menschenrechte engagierten ‚Verbündeten‘, auch ‚Arbeitskreisen Kritischer Sozialer Arbeit‘, zusammen zu arbeiten. Wirksamer als gegenseitige Abgrenzung sind meines Erachtens Kooperationen und Allianzen im Sinne von

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Arbeitsteilung zwischen ‚drinnen‘ und ,draußen‘, ‚unten und oben‘ und zwar auf allen sozialen Ebenen der (Welt-)Gesellschaft.

Aber für heute möchte ich mit einem großen, herzlichen Dank an alle schließen, die an der Gestaltung und Organisation dieser Tagung mitgewirkt haben. Dieser Dank gilt ganz besonders dem DGSA-Vorstand, der den Anstoß dazu gab und meiner Nachfolgerin als Leiterin des deutschsprachigen Studienganges zum Thema „Soziale Arbeit und Menschenrechte“, Nivedita Prasad, die maßgeblich am Zustandekommen der Tagung mitwirkte und bei welcher ich den Berliner Studiengang in besten Händen weiß. Die große Zahl der Teilnehmer_innen wie auch die Vortragsthemen machen Mut in einer Zeit, in welcher man an der Weltlage fast verzweifelt. Um nicht ganz zu verzweifeln, schließe ich mit einem Zitat von Jane Addams auf einer Mauer in Los Angeles: „Was hat die Menschheit letztlich auf diesem Globus trotz allem Elend der Natur und trotz allem tragischen Versagen der Menschen letztlich am Leben erhalten, wenn nicht der Glaube an neue Möglichkeiten und Mut, dafür anwaltschaftlich einzustehen!“

Allerdings möchte ich nicht das letzte Wort haben, sondern dir, liebe Sabine, als Vertreterin der jüngeren Generation die Gelegenheit geben, deine Bedenken, Kritik sowie Hoffnungen und Empfehlungen den Tagungsteilnehmer_innen auf dem Heimweg mitzugeben. S. Stövesand: Da ich ein großer Jane Addams-Fan bin, freue ich mich, dass sie zum Schluss zur Sprache kommt, zumal das Interesse an und auch die Begeisterung für Jane Addams etwas ist, was uns beide verbindet – ein wunderbares Zitat! Ich möchte abschließend noch einmal zum Titel gebenden Thema der Menschenrechte als ‚Papiertiger‘ kommen: Geprägt hat diesen Begriff Mao Zedong, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas, er sagte „Der Imperialismus und alle Reaktionäre sind Papiertiger.“. Allerdings, und das steht zwar bei Wikipedia, ist aber nicht so bekannt, sagte er auch: „Ebenso wie es nichts auf der Welt gibt, das nicht eine Doppelnatur hätte (das ist eben das Gesetz der Einheit der Gegensätze), so haben auch der Imperialismus und alle Reaktionäre eine Doppelnatur: sie sind wirkliche Tiger und zugleich Papiertiger“ (Mao Tsetung, 2003, VI). Er meinte damit, dass es hier um reale Mächte ging, die durch den Volksaufstand entmachtet wurden und erst dadurch zu ‚Papiertigern‘ wurden. Der Begriff des ‚Papiertigers‘ eignet sich also nicht, um den der Menschenrechte einfach zu entwerten, denn er verweist auf einen komplexen Zusammenhang, in jedem Fall auf Machtverhältnisse, die immer einzubeziehen und zu thematisieren wären. Auch Horkheimer hat den „entehrten Begriff“, auf den er sich bezog, übrigens nicht verworfen. Die zitierte Stelle geht nämlich weiter, Horkheimer fragt am Schluss der Szene: „Nur – welcher Bezeichnungen für das, was gut ist, sollen wir uns dann noch bedienen dürfen? Sind sie nicht alle durch einen die

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schlechte Praxis verschleiernden Gebrauch ebenso entehrt wie der Ausdruck Humanität?“ (Horkheimer 1987: 315). Horkheimer distanziert sich also nicht von dem Begriff der „Menschlichkeit“, sondern er stellt eine Frage, regt zum kritischen Nachdenken an, und das halte ich für einen produktiven Zugang. Meines Erachtens ginge es darum, dass erstens die angesprochenen „Beschädigungen“ in die Profilbildung des Begriffes und der Sache eingehen und diese damit eben nicht zu verwerfen und aufzugeben wären, sondern zu reflektieren und mit dem, was faktisch daraus gemacht wird, offen, nüchtern und kritisch umzugehen (vgl. Negt 2016: 126). Es ginge zweitens um ein Bemühen, die Menschenrechte als Konzept immer wieder für die Soziale Arbeit zu konkretisieren und gleichzeitig ihren utopischen Gehalt nicht als Gegenargument, sondern als Horizont und Verpflichtung zu nehmen. Ich hoffe, dass diese Tagung und unser Gespräch dazu einen Beitrag geleistet haben.

Literatur Alinsky, Saul D. (1999): Anleitung zum Mächtigsein, 2. Auflage. Göttingen: Lamuv. Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. In: Die Wandlung 4, Herbstheft 1949, S. 754-770. Askeland, Gurid Aga/Payne, Malcolm (2017): Silvia M. Staub-Bernasconi (Kendall Awardee 2010): Internationalizing Social Work Education. Insights from Leading Figures Across the Globe. Bristol: Policy Press, S. 171-181. Davy, Ulrike (2015): Der „Universalismus“ der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Die Arbeit am Konsens, 1946-1948. In: Heintz, B./Leisering, B. (Hrsg.): Menschenrechte in der Weltgesellschaft. Deutungswandel und Wirkungsweise eines globalen Leitwertes. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 198-235. Harrington, Michael (1962): The Other America. Poverty in the United States. New York: Macmillan. Heintz, Bettina/Leisering, Britta (Hrsg.) (2015): Menschenrechte in der Weltgesellschaft. Deutungswandel und Wirkungsweise eines globalen Leitwertes. Frankfurt am Main, New York: Campus. Horkheimer, Max (1987): Gesammelte Schriften. Bd. 2, Frankfurt am Main: Fischer Joas, Hans (2016): Sind die Menschenrechte westlich? München: Kösel. Kappeler, Manfred (2008): Die Menschenrechte in der Sozialen Arbeit vom Kopf auf die Füsse stellen. In: Widersprüche, H. 107, S. 33-45. Kappeler, Manfred (2011): Unrecht und Leid – Rehabilitation und Entschädigung. Der Abschlussbericht des Runden Tisches, In: neue praxis 41, 1, S. 3-19. Kerber-Ganse, Waltraud (2009): Die Menschenrechte des Kindes. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich. Krumbein, Frédéric (2016): Chinas Beitrag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, In: Zeitschrift für Menschenrechte 10, 1, S. 60-77. Mao, Tsetung (2003): Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung. Essen: Verlag Neuer Weg.

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Mutua, Makau (2002): Human Rights – A Cultural and Political Critique. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. Negt, Oskar (2016): Interview. In: Indes, Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Heft 4/2016 Hundert Jahre Links, S. 124-135. Staub-Bernasconi, Silvia (2017): The Problem with ‘Social Problems’ as Domain of Social Work. A Critical Approach to the Melbourne ‘Global Definition of Social Work’ and Constructivist Theories of Social Problems. In: European Journal of Social Work 20, 6, S. 958-971. Wensierski, Peter (2006): Schläge im Namen des Herrn. München: DVA. Zeit Online (2016): Bürgermeister will Einwanderer vor Trump schützen. http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-12/los-angeles-donald-trump-migranten-buergermeister [Zugriff: 18.12. 2017]

Zur Gefahr eines paternalistischen Umschlags des im Konzept Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession beanspruchten Tripelmandats – Vorschläge zu einem demokratischeren professionellen Ethos Sozialer Arbeit Ein demokratischeres professionelles Ethos Sozialer Arbeit Michael May

1. Zur Verortung der Menschenrechte im historischen Prozess der Arbeit am Sozialen Die Konzeption Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession greift im Postulat menschlicher Grundbedürfnisse sehr stark auf quasi naturrechtliche Begründungsmuster von Bedarfsgerechtigkeit zurück, um von daher ein eigenes Mandat als Profession zu beanspruchen. Dieser Anspruch soll in diesem Beitrag kritisch beleuchtet werden. Dazu ist zunächst einmal die Position zu markieren, von dem ich aus einen solchen kritischen Blick auf die Entstehung der Menschenrechte im Allgemeinen und auf die Begründung Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession im Speziellen werfe, um dann auch Vorschläge zu einem demokratischeren professionellen Ethos Sozialer Arbeit zur Diskussion zu stellen. Laut Wörterbuch der Gebrüder Grimm bezeichnet das Adjektiv sozial in seiner allgemeinsten Form alles, „was die menschliche gesellschaft, das zusammenleben der menschen und seine staatlich-rechtliche ordnung wie die wirtschaftlichen verhältnisse betrifft“ (Grimm/Grimm 2004: Bd. 16, Sp. 1826,5). Aus der hier zugrunde gelegten analytischen Perspektive wird das Soziale als Produkt eines gesamtgesellschaftlichen Produktions- bzw. Gestaltungsprozesses betrachtet, in dem diese Bildung des Sozialen stets zugleich mit einer Bildung am Sozialen dialektisch vermittelt ist (vgl. Kunstreich/May 1999). Lebendiges Beziehungsarbeitsvermögen, wie z.B. Empathie, entsteht in zwischenmenschlichen Beziehungen, die selbst wiederum erst durch die Kooperation solcher lebendiger Beziehungsarbeitsvermögen sich bilden und ausgestalten. Aus der Kooperation lebendigen Beziehungsarbeitsvermögens bilden sich auf diese Weise bestimmte sinnlich-unmittelbaren, sinnlich-symbolischen und

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sprachlich-symbolischen Interaktionsformen aus (vgl. Lorenzer 1977). Es entwickeln sich Rituale sowie Konventionen, die sich in bestimmten Handlungsweisen des sich sinnlich und sprachlich in der Interaktion aufeinander Beziehens ausdrücken. Schließlich sind so auch die Methoden der Sozialen Arbeit entstanden. Ich spreche in diesem Zusammenhang von den Produktionsmitteln Sozialer Arbeit (May 2006), wobei Soziale Arbeit dabei von mir zunächst allgemein im Sinne jenes dialektisch miteinander vermittelten Prozesses einer Bildung des Sozialen und Bildung am Sozialen verstanden wird und nicht auf die von Professionellen in speziellen Institutionen des Sozialen in spezifischer Weise ausgeübte Berufstätigkeit eingeengt wird (vgl. May 2005). Nun impliziert die Frage nach dem „What works?“ der (quasi-)experimentellen Designs der Evidence Based Practice, dass entsprechende Methoden, Techniken oder institutionelle Programme etwas bewirken könnten. Um zu verdeutlichen, dass diese Produktionsmittel des Sozialen alle aus lebendiger Beziehungsarbeit heraus entstanden sind und nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch erneutes Hinzusetzen lebendigen Beziehungsarbeitsvermögens in entsprechenden Interaktionen wirksam werden, bezeichne ich solche Produktionsmittel des Sozialen im Anschluss an Negt/Kluge (1981) als tote Arbeit. Marx hat diesen Begriff im Hinblick auf Maschinen und Kapital geprägt, um darzulegen, dass nicht sie, sondern nur lebendige Arbeit Werte zu schaffen vermag. Und so bildet entgegen der Implikate des „What works?“ der Evidence Based Practice auch in der Sozialen Arbeit erst das Zusammenwirken lebendigen Beziehungsarbeitsvermögens mit der ebenfalls ursprünglich daraus hervorgegangenen toten Arbeit entsprechender Produktionsmittel gemeinsam deren Produktivkräfte. Selbst die für spezifische sozio-kulturelle Milieus mehr oder weniger verbindlichen Normen und schließlich sogar die im Wörterbuch der Gebrüder Grimm angesprochene staatlich-rechtliche Ordnung gehen ursprünglich aus lebendigem Beziehungsarbeitsvermögen hervor. In ihnen manifestieren sich dann aber eher bestimmte Produktionsverhältnisse Sozialer Arbeit. Schaarschuch/Oelerich (2005) sprechen vom Erbringungskontext Sozialer Arbeit. Die Institutionen Sozialer Arbeit mit ihren Strukturen und administrativen Regelungen können aber nicht so ohne weiteres den Produktionsverhältnissen zugerechnet werden, wird ihre Einrichtung doch zumeist im Sinne eines effizienten und nachhaltigen Produktionsmittels Sozialer Arbeit geplant. Und während für den einen in einer solchen Institution professionell Tätigen seine Dienst- und Fachaufsicht genau als ein solches machtvolles Produktionsmittel erachtet wird, wird sie von einer anderen als ein Produktionsverhältnis erfahren, welches ihre Beratungstätigkeit und die darin angestrebte vertrauensvolle Zusammenarbeit eher beeinträchtigt denn fördert.

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Auch die zunächst als ein Naturrecht proklamierten Menschenrechte weisen eine ähnliche Doppelgestalt als Produktionsmittel und Produktionsverhältnisse des Sozialen auf.

2. Zur Doppelgestalt der Menschenrechte als Naturrecht Ernst Bloch (1979: 621ff.; 1985) hat nachgezeichnet, wie die zunächst als Naturrecht eingeklagten Menschenrechte gleichsam als Produktionsmittel des Sozialen bzw. einer sozialeren Gesellschaft fungiert haben. Er zeigt, wie das „uralte, bezeichnenderweise mutterrechtlich bestimmte Antigone-Motiv […], durch stoisches Naturrecht vermittelt, im sechzehnten Jahrhundert“ (1979: 621) wieder aufgenommen wurde, als „das sogenannte Recht, das mit uns geboren. Das unveränderlich ist oder sein soll und als natürliches Recht allen willkürlichen Satzungen überlegen“ (ebd.). Im Unterschied zur zeitgleichen Konjunktur sozial-utopischer Entwürfe wurde damit „ein Anspruch aufs Bessere gestellt […], statt seines bloßen Vormalens“ (ebd.), was nur in dem Maße möglich wurde, wie „das Rechte […] statt des Nirgendwo der Vernunft“ (ebd.: 629) nun als „ihr ableitbares Überall“ (ebd.) erscheint und gerade deshalb „sich als bindend, als schlechthin geltend“ (ebd.), zu geben vermag. Der Charakter des klassischen Naturrechts als Produktionsmittel des Sozialen zeigt sich „vor allem in seiner letzten, feurigsten Gestalt […], bei Rousseau“ (ebd.: 625), in welcher „[d]er allgemeine Wille, die volonté générale, […] gleichsam erst das sittliche Naturrecht [wird], das dem bloß sittlich-neutralen Naturzustand noch fehlt“ (ebd.: 626). Denn daraus zog „die Französische Revolution […] den wichtigsten Impuls und besonders auch die Fassung ihrer Grundsätze. Paragraph 6 der ,Déclaration des droits de lʼhomme‘ bestimmt wörtlich nach Rousseau: ,La loi est léxpression de la volonté génerale.‘“(ebd.: 629). Bloch selbst betont nicht nur den Einfluss der auf diese Weise naturrechtlich begründeten Menschenrechte auf die „Befreiung der bürgerlichen Produktivkräfte“ (ebd.: 630). Er zeichnet auch nach, wie „genau das klassische Naturrecht […] das subjektive Recht mit dem ganzen Überschuss des Freiheitsideals ausgestattet [hat]: Recht wird wesentlich Recht auf etwas, und zwar von den vordem Beherrschten her. […] Daraus eben entwickelte sich letzthin die Theorie der Französischen Revolution“ (ebd.: 631f.). Bloch rekonstruiert diese als dialektische Bezogenheit ihrer drei Maximen: „Der Freiheitskampf erzeugt Gleichheit; die Gleichheit als Ende der Ausbeutung und Abhängigkeit erhält die Freiheit, die Brüderlichkeit lohnt eine Gleichheit, worin es keiner mehr nötig hat, ja überhaupt in der Lage ist, dem anderen ein Wolf zu sein“ (1985:

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194). Deutlich wird in dieser Rekonstruktion auch, dass die naturrechtlich begründeten Menschenrechte in dieser Weise zwar als Produktionsmittel einer sozialeren Gesellschaft fungiert haben mögen, dass es aber darüber hinaus lebendiger Beziehungsarbeit im Freiheitskampf bedarf, zur Freisetzung aller Produktivkräfte des Sozialen, die dann in den von Gleichheit geprägten Interaktionsformen wiederum lebendiges Beziehungsarbeitsvermögen entstehen lässt, dergestalt dass „es keiner mehr nötig hat, ja überhaupt in der Lage ist, dem anderen ein Wolf zu sein“ (ebd.). Griff das Naturrecht und die darüber begründeten Menschenrechte in skizzierter Weise „in bürgerliche Verfassungen ein, schrieb neue“ (Bloch 1979: 629), fungierte es in dieser Weise noch als Produktionsmittel einer sozialeren Gesellschaft. So hat „[s]elbst in Deutschland, dem nie eine Revolution gelang, […] Naturrecht immerhin Reformbestrebungen wie die Stein-Hardenbergsche beeinflusst“ (ebd.). In dem Maße aber, wie dann Menschenrechte in entsprechende Verfassungen und Gesetze eingingen, wurden sie zugleich zu Produktionsverhältnissen des Sozialen. Damit zusammen hängt eine – wie Bloch es nennt – „merkwürdige Äquivokation“ (ebd.: 631): „Recht als individuelle Berechtigung und Recht als angebliche Vertretung eines Gesamtinteresses, als objektive Rechtsvorschrift von oben herab“ (ebd.). Auflösbar ist dieses Spannungsverhältnis nur in einem volonté générale, der sich in einer Gesellschaftsform manifestiert, „die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes Gesellschaftsgliedes verteidigt und schützt und kraft dessen jeder einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, gleichwohl nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie vorher“ (Rousseau 1971: 45). Die Verwirklichung einer solchen Gesellschaftsformation lässt vorerst noch auf sich warten. Von daher kommt es auch zu eigentümlichen Spannungen in dem, wie Menschenrechte zu Gesetz werden, die im Folgenden skizziert werden sollen. Die bürgerlich-politischen Menschenrechte, welche liberale Abwehr- und politische Teilhaberechte umfassen (vgl. Krennerich 2013: 20), finden sich im deutschen Recht unter der Überschrift Grundrechte in den Artikeln 1 bis 19 der Verfassung, die als Grundgesetz den höchsten Rang in der bundesrepublikanischen Normenhierarchie (vgl. Ipsen 2016: Rn. 779) einnehmen. Sie sind zugleich objektives Recht, an das der Staat gebunden ist (vgl. Ipsen 2017: Rn. 53), wie zugleich auch subjektive Rechte, auf die sich Einzelne berufen können, um vor Gericht Schutz vor Grundrechtsverletzungen zu erlangen (vgl. ebd.: Rn. 54). Bestimmte Grundrechte, wie z.B. die Menschenwürde, die Freiheit der Person, der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit sowie die Religions- und Meinungsfreiheit, gelten prinzipiell für alle Menschen. Sie bestehen jedoch mit Ausnahme des Schutzes der Menschenwürde nicht unbeschränkt (vgl. ebd.: Rn. 155), sondern können – besonders wenn sie miteinander kollidieren – durch Gesetze eingeschränkt werden (vgl. ebd.: Rn. 157). Dieser sogenannte Gesetzesvorbehalt (vgl. ebd.: Rn. 172) betrifft vor allem

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den Eingriff in ein menschenrechtlich geschütztes Rechtsgut zum Schutz eines höherwertigen. Auf solche höherwertigen Rechtsgüter wird sich auch berufen, wenn im Rahmen Sozialer Arbeit zum Teil massiv in Freiheitsrechte eingegriffen wird. Und wenngleich solche Eingriffe in der Praxis Sozialer Arbeit deutlich reduziert werden könnten, werden Professionelle in bestimmten Fällen nicht umhin kommen, schwerwiegende Entscheidungen bezüglich der Abwägung zwischen Freiheits- und Schutzrechten zu treffen. Dabei dürfte ihnen die Rede von der Menschenrechtsprofession kaum Orientierung geben. Immerhin enthalten die einzelnen Artikel des Grundgesetzes zumindest zum Teil Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen für Beschränkungen und Eingriffe (vgl. Ipsen 2017: Rn. 178). Und zudem müssen die Grundrechte einschränkenden Gesetze nicht nur einen legitimen Zweck verfolgen, sondern auch geeignet sein, das damit verfolgte Ziel mit Mitteln zu erreichen, die in einem angemessenen Verhältnis zu diesem stehen (vgl. ebd.: Rn. 182184). Auf der anderen Seite können nicht alle Menschen in Deutschland die in den Grundrechten verbürgten bürgerlich-politischen Menschenrechte in Anspruch nehmen. So werden Rechte, wie die Versammlungsfreiheit oder das Recht zur freien Wahl des Aufenthaltes nur denjenigen gewährt, die über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen (vgl. Krennerich 2011: 106), wovon aktuell besonders die Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen betroffen ist. Noch stärker in ihrer Inanspruchnahme hierarchisch eingeschränkt sind die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Menschenrechte (vgl. Krennerich 2013: 20), welche in Deutschland als individuelle Rechtsansprüche durch einfache Gesetze verbürgt werden und damit auch den rechtlichen Rahmen für die Soziale Arbeit vorgeben1. Habermas hat verdeutlicht, wie „aus der Struktur des bürgerlichen Rechts […] sich die Notwendigkeit ergibt, die sozialstaatlichen Verbürgungen als individuelle Rechtsansprüche für genau spezifizierte Tatbestände zu formulieren“ (1981: 531). Im Anschluss an ihn hat Nancy Fraser gezeigt, wie damit zugleich eine Umdefinition der Bedürfnisse von Anspruchsberechtigten „als Korrelate bürokratisch verwalteter Bedarfsdeckungen“ (1994: 238) erfolgt. Überzeugend hat Habermas herausgearbeitet, wie durch den bürokratischen Vollzug von Ansprüchen und den Zwang zur administrativen Umdefinition von Alltagssituationen sozialstaatliche Verbürgungen häufig zugleich den Charakter von Eingriffen annehmen. Darüber hinaus hat Nancy Fraser dargelegt, wie dabei die Anspruchsberechtigten zugleich als abweichende Personen konstruiert werden. Deshalb trage die „Bereitstellung

1 Auf völkerrechtlich geregelte Menschenrechte, wie die auf Entwicklung, Frieden und saubere Umwelt, welche sich weniger auf das Individuum, als vielmehr auf ein Kollektiv beziehen (Krennerich 2013: 20), gehe ich hier aus Platzgründen nicht gesondert ein, weil sie auch weniger relevant sind für den Diskurs um Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession.

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von Unterstützung den Charakter der Normalisierung […] – obgleich die Normalisierung mehr auf Stigmatisierung als auf ,Reform‘ angelegt“ (1994: 238) sei.

3. Zur Begründung eines Tripelmandates Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und seiner Kritik Gerade um solcher sozialstaatlicher Indienstnahme Sozialer Arbeit von professioneller Seite etwas entgegen zu setzen, wird im Kontext des Diskurses Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession die Überwindung des klassischen „beruflichen Doppelmandates“ (Staub-Bernasconi 2007b: 8), „das sich aus der Hilfe für die AdressatInnen und dem Kontrollauftrag der gesellschaftlichen Instanzen […] ergibt“ (Staub-Bernasconi 2008: 22), durch ein eigenes drittes Mandat seitens der Profession Sozialer Arbeit propagiert. Dieses gründet sich Staub-Bernasconi zufolge einerseits „auf eine wissenschaftliche Beschreibungs- und Erklärungsbasis und damit wissenschaftsbegründete Arbeitsweisen/Methoden und Social Policies“ (ebd.). Hier interessiert jedoch vor allem der zweite Aspekt des „professionellen Tripelmandates“ (Staub-Bernasconi 2007b: 8): der „von der Profession definierte[.], verbindliche[.] Berufskodex, der sich im Falle der Sozialen Arbeit“ (Staub-Bernasconi 2008: 22) Staub-Bernasconi zufolge „explizit auf die Menschenrechte als dessen Grundlage“ (ebd.) beziehen sollte. Das „[w]ertbezogene[.] Fundament der Menschenrechte“ (ebd.: 19) verortet Silvia Staub-Bernasconi in der Menschenwürde (ebd.: 19), um sogleich darauf zu verweisen, dass „dazu […] allerdings viele konkurrierende Definitionen“ (ebd.) existieren. Im Hinblick auf „die Frage, ob eine Notwendigkeit besteht, sich angesichts dieser ,Kakophonie‘ von Begründungen […] auf eine bestimmte oder eine umfassende, universell geteilte Vorstellung von Menschenwürde zu einigen“ (ebd.: 20), bezieht sich Staub-Bernasconi auf John Rawlsʼ „Idee eines übergreifenden Konsens“ (Rawls 2016: 219ff.). Rawls entfaltet diese Idee in der Suche nach einer Antwort auf die ihn in seiner Theorie eines Politischen Liberalismus beschäftigende Frage, „[w]ie […] eine stabile und gerechte Gesellschaft freier und gleicher Bürger, die durch vernünftige und gleichwohl einander ausschließende religiöse, philosophische und moralische Lehren einschneidend voneinander getrennt sind, dauerhaft bestehen [kann]? Oder anders ausgedrückt: Wie können einander zutiefst entgegengesetzte, aber vernünftige umfassende Lehren zusammen bestehen und alle dieselbe Konzeption einer konstitutionellen Ordnung bejahen?“ (ebd.: 14).

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Rawlsʼ Idee eines übergreifenden Konsens basiert im Zusammenhang dieser Frage darauf, dass in einem sich wechselseitig bestärkenden Prozess von öffentlichem Vernunftgebrauch und der darin sich konsolidierenden Erfahrung, dass trotz einer persönlich bejahten spezifischen Gerechtigkeitslehre „es nicht vernünftig wäre, die Macht des Staates zu benutzen, um alle zu ihren Anhängern zu machen“ (ebd.: 225), sich ein Gleichgewicht inhaltlicher Gerechtigkeitsgrundsätze herausbilde. Dabei würde die individuelle, nicht rechtliche, sondern intrinsisch moralische Pflicht zur Bürgerlichkeit mit ihrer Orientierung an reziproker Rechtfertigung als übergreifender Konsens zunehmend gefestigt und als selbstverständlich anerkannt. Dieser übergreifende Konsens beinhalte auf diese Weise auch eine auf ihm beruhende Gerechtigkeitskonzeption, wonach politische Machtausübung nur dann angemessen und rechtfertigungsfähig ist, wenn sie im Einklang mit einer Verfassung geschieht. Von dieser könne vernünftigerweise erwartet werden, dass alle Bürger sie trotz ihrer unterschiedlichen Weltanschauungen anerkennen. Zwar schließt damit auch Rawlsʼ politische Gerechtigkeitskonzeption inhaltliche Gerechtigkeitsgrundsätze substantiellen Charakters ein. Diese sind jedoch nicht fixiert, sondern erscheinen als ein sich im Zuge der öffentlichen Debatten ständig neu formierender Bereich allgemein vernünftig akzeptabler politischer Werte. Rawls postuliert lediglich, dass diese um das Ideal des Staatsbürgers mit seiner moralischen Pflicht zur Bürgerlichkeit im öffentlichen Raum als einzig konstantem Element kreisten. Dieses Ideal vermöge dann auch dahingehend eine entsprechende normative moralische Wirkung zu entfalten, dass sich ein entsprechender übergreifender Konsens in Gestalt einer solchen pragmatischen Gerechtigkeitskonzeption herausbilde und stabilisiere. Demgegenüber schlägt Silvia Staub-Bernasconi im Hinblick auf die vielen konkurrierenden Definitionen von Menschenwürde als „[w]ertbezogenes Fundament der Menschenrechte“ (2008: 21) und der damit verbundenen Freiheitsvorstellungen eine inhaltliche Konkretisierung vor. Der zufolge könne „[e]in etwas weitergehender ,overlapping consensus‘ […] auch darin bestehen, dass diese […] – unabhängig von ihren religiösen und kulturellen wie öffentlichpolitischen Interpretationen – auf Bedürfnisse hinweisen, die allen Menschen, kontext- und kulturübergreifend, gemeinsam sind und deshalb eines rechtlichen Schutzes bedürfen“ (ebd.). Genau in dieser ‚menschenrechtlichen‘ Begründung eines Tripelmandates Sozialer Arbeit sehe ich jedoch die Gefahr, dass die eigentlich „politischen Fragen, welche die Interpretation von Bedürfnissen der Menschen betreffen, in gesetzliche, administrative und/oder therapeutische Angelegenheiten“ (Fraser 1994: 237) übersetzt werden und in ein paternalistisches „Management der Bedürfnisbefriedigung“ (ebd.: 240) seitens der Profession Sozialer Arbeit umschlagen. Zwar taucht in den von Staub-Bernasconi (1983a) nach „Mikro-“ (Individuum, Gruppe, Familie) sowie „Meso- & Makrobereich“ (territoriale & orga-

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nisationale Gemeinwesenarbeit) aufgeteilten „problembezogenen Arbeitsweisen“ Sozialer Arbeit „Sozialmanagement“ ursprünglich nicht auf. Ja, sie bezieht sich in ihrem Lehrbuch „Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft“ sogar explizit auf die „Bewusstseinsbildung nach Paulo Freire […] als spezielle Handlungstheorie Sozialer Arbeit“ (2007a: 311ff.). Entgegen dessen dialogischer Orientierung schließt sie darin jedoch zugleich auch an Ilse Arlt als „Bedürfnistheoretikerin der ersten Stunde“ (ebd.: 21ff.) an und bezieht sich dann auch auf Mary Parker Follett als „Prophetin eines demokratischen Sozialmanagements“ (ebd.: 101ff.). Bedeutsam für Staub-Bernasconis „Theorie Sozialer Probleme als Beitrag zu einem theoretischen Bezugsrahmen Sozialer Arbeit“ (1983b, 1995), wie auch für ihren Vorschlag für einen „etwas weitergehende[n] ,overlapping consensus‘“ (2008: 21) sind dann aber vor allem die von Werner Obrecht (1998: 19) postulierten achtzehn verschiedenen menschlichen Grundbedürfnisse. Vor diesem Hintergrund muss ein handlungstheoretischer Bezugsrahmen sowohl für sie, wie im Anschluss an sie, auch für Kaspar Geiser (2000: 68f.), sich stets auf die Befriedigung solcher biologischen, psychischen und sozialen Bedürfnisse beziehen. Nun hat aber Nancy Fraser in überzeugender Weise nachgezeichnet, wie es im Hinblick auf einen sozial gerechten Wohlfahrtsstaat stets „Streit darüber [gibt], was genau die verschiedenen Gruppen wirklich benötigen und wer in diesen Angelegenheiten das letzte Wort haben sollte. Mehr noch, in all diesen Fällen fungiert die auf Bedürfnisse zentrierte Rede als ein Medium, in dem politische Forderungen aufgestellt und bestritten werden: Es ist ein Idiom, in dem der politische Konflikt ausgetragen wird und durch das Ungleichheiten auf symbolischer Ebene entfaltet und angefochten werden“ (1994: 249). In diesem Zusammenhang stellt sich dann sofort die Frage, mit welchem Recht die von Obrecht (1998: 19) postulierten achtzehn verschiedenen menschlichen Grundbedürfnisse eine höhere Geltung beanspruchen können als diejenigen Grundbedürfnisse, die dem Hartz IV Mindestsatz zugrunde gelegt werden. Die Rechtfertigung, dass sich Obrechts Bedürfnistheorie „auf eine wissenschaftliche Beschreibungs- und Erklärungsbasis“ (Staub-Bernasconi 2008: 22) stützt, hilft dabei nicht viel weiter, wird doch auch die Bestimmung des Mindestsatzes ebenfalls von wissenschaftlich ausgebildeten Expertinnen und Experten vorgenommen. Zudem handelt es sich selbst bei den von Obrecht als „biologische Bedürfnisse im engeren Sinne“ (1998: 46) kategorisierten um interpretierte Bedürfnisse, da sie ja nicht unabhängig von ihrer Wahrnehmung existieren. Über deren Charakter lässt sich eigentlich nicht viel mehr sagen, als dass „der Leib das Seine treibt, fliehend, was ihm schadet, suchend, was ihn erhält“ (Bloch 1979: 53). Beides aber ist sehr stark auch von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig.

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Zu Recht hat Habermas an Rawlsʼ Gerechtigkeitstheorie kritisiert, dass sie zu wenig die „Kommunikationsvoraussetzungen und Verfahren einer diskursiven Willensbildung, in der sich der öffentliche Gebrauch der Vernunft manifestiert“ (Habermas 2009: 93) berücksichtigt hat2. Nancy Fraser beschreibt jedoch plausibel zwei Kriterien zur Beurteilung von Bedürfnisinterpretationen. Vor ihrem folgenorientierten Kriterium, dass „bei sonst gleichen Umständen diejenige als die beste Interpretation anzusehen ist, die nicht einige Gruppen gegenüber anderen benachteiligt“ (1994: 282), dürfte möglicherweise noch die von Obrecht „als universell postuliert[en]“ (1998: 22) Grundbedürfnisse bestehen können. Zweifellos scheitern sie jedoch an Frasers prozessorientiertem Kriterium, dass „bei sonst gleichen Umständen, die besten Bedürfnisinterpretationen jene sind, die mittels kommunikativer Prozesse erreicht werden, welche den Idealen von Demokratie, Gleichheit und Fairness möglichst nahe kommen“ (1994: 281). Im Anschluss an Joachim Weber (2014: 80ff.) ist jedoch noch ein viel gravierender Einwand gegenüber Staub-Bernasconis Begründungsversuch eines Tripelmandates Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession zu erheben. Die Grundlage von Webers Kritik ist Kants deontologische Ethik. In dieser bindet Kant menschliche Würde daran, dass Menschen nicht zum Mittel für andere Zwecke funktionalisiert werden, sondern als Selbstzweck Anerkennung finden. Dies gelingt nur in dem Maße, wie sie kategorischen Imperativen folgen, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass „eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objektiv-notwendig“ (Kant 1991: 43) erachtet wird. Im Anschluss an Joachim Weber (2014: 85) muss jedoch konstatiert werden, dass viele der „wissenschaftsbegründete[n] Arbeitsweisen/Methoden und Social Policies“ (Staub-Bernasconi 2008: 22), auf die Staub-Bernasconi ihr Tripelmandat Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession ebenfalls zu stützen versucht, hypothetischen Imperativen folgen, welche Kant zufolge „die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel [bezeichnen M.M.], zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen“ (Kant 1991: 43).

4. Vorschläge zu einem demokratischeren professionellen Ethos Sozialer Arbeit Statt Staub-Bernasconis Versuch einer substantiellen Füllung eines „etwas weitergehende[n] ,overlapping consensus‘“ (2008: 21) durch Obrechts Theorie menschlicher Grundbedürfnisse, schlage ich deshalb eine Rückbeziehung von 2 Zur Kritik von Habermasʼ Diskursethik vgl. May 2016: 56ff.

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Rawlsʼ Idee an eine seiner Wurzeln vor: Rousseaus (1971) Begriff von volonté générale, der – wie skizziert – ja auch Eingang in die Deklaration der Menschenrecht im Zuge der Französischen Revolution gefunden hat und einen freien und allgemeinen Willen postuliert, der säkularisiert und damit auf sich selbst gestellt ist. Dessen Substanz deckt sich „mit keiner zufälligen Meinung einer Gruppe […], die dies und nicht etwas anderes für vernünftig oder rechtens hält“ (Ritsert 2006: 61) – auch dann nicht wenn sich diese Meinung „auf eine wissenschaftliche Beschreibungs- und Erklärungsbasis“ (Staub-Bernasconi 2008: 22) zu stützen vermag. Umgekehrt ist es weder notwendig, noch macht es Sinn, „die volonté générale in Analogie zu einem metaphysischen Großsubjekt zu stilisieren, das eigenwillig auftritt. ,Der Wille‘ in abstracto tut und lässt nichts“ (Ritsert 2006: 61). Nicht „die Willensäußerung eines Übersubjekts, das absolut frei, mithin durch keine wie immer auch geartete Form der Heteronomie eingeschränkt ist, […] bezieht sich auf sich selbst, sondern eine Willensäußerung des einzelnen Subjekts ist so verfasst, dass sie freie Willensäußerungen der anderen stützt und fördert“ (Ritsert 2007: 68f.). Mit guten Gründen hat deshalb auch Habermas (2009: 126) Rawlsʼ Freiheitsbegriff kritisiert. Er bezieht sich dabei auf eine Lesart von Kants Republikanismus, der zufolge niemand „auf Kosten der Freiheit eines anderen frei sein“ (ebd.) kann. „Weil Personen allein auf dem Weg der Vergesellschaftung individuiert werden“ (ebd.) – so Habermasʼ Argument – „ist die Freiheit eines Individuums mit der aller anderen nicht nur negativ, über gegenseitige Begrenzungen verknüpft“ (ebd.). Im Anschluss an Kant hat dann Hegel den „freie[n] Wille[n], der den freien Willen will“ (1979a: 79) als „absolute Bestimmung oder […] absolute[r] Trieb des freien Geistes“ (ebd.) sowie „abstrakte[r] Begriff der Idee des Willens […] überhaupt“ (ebd.) bestimmt. „Konkret und allgemein“ wird dieser Ritsert (2006: 61) zufolge dadurch, „dass die Selbständigkeit des einen durch alle selbständigen anderen bestätigt und nicht unterdrückt wird – so wie die Einzelperson die im freien Willen Anderer verankerte Würde des Subjekts anerkennen soll“ (ebd.). Entsprechend besteht für Hegel auch „das Recht […] darin, daß jeder Einzelne von dem anderen als ein freies Wesen respektiert und behandelt werde, denn nur insofern hat der freie Wille sich selbst im Anderen zum Gegenstand und Inhalt“ (1979b: 232). Damit aber hat er – wie Ritsert (2006: 60) darlegt – zugleich auch eine instruktive Lösung von „RousseausProblem der Demokratie“ (ebd.) vorgezeichnet, das er in seinem Gesellschaftsvertrag mit dem Postulat besagten volonté générale zu beantworten suchte. Das bedeutet dann auch, dass die Institutionen professioneller Sozialer Arbeit als „reflexive Institutionen“ (Ritsert 2007: 65) daran auszurichten wären, „den freien Willen der Einzelnen, seine Empathie sowie anerkennende Interaktionen mit ihrerseits selbständigen Anderen“ (ebd.: 64) zu stützen. Möglich

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ist dies nur im Rahmen einer sozialgenossenschaftlichen Organisation professioneller Sozialer Arbeit, wie sie schon von Paul Natorp (1974) im Hinblick auf die Verwirklichung der platonischen Vernunftidee einer sittlich vollkommenen Gemeinschaft vorgedacht und in Weiterführung solcher Entwürfe in den letzten Jahren von Timm Kunstreich (2015; 2017) in Modellen für bestimmte Arbeitsfelder Sozialer Arbeit konkretisiert wurde. Wie Rousseaus volonté générale die Doppelgestalt der Menschenrechte als Naturrechte in Form einer „individuelle[n] Berechtigung“ (Bloch 1979: 631) der von ihren menschlichen Verwirklichungsbedingungen Getrennten und zugleich „als angebliche Vertretung eines Gesamtinteresses, als objektive Rechtsvorschrift von oben herab“ (ebd.), aufzuheben beanspruchte, geht es auf diese Weise darum, das Tripelmandat Sozialer Arbeit in einem einzigen aufzuheben. Bis dahin kann sich jedoch ein professionelles Mandat nur auf die skizzierten kategorischen Imperative in Form von Kants Reich der Zwecke oder Hegels konkreter Freiheit als „freier Wille, der den freien Willen will“ (Hegel 1979a: 79), sowie der Marxʼschen Variante beziehen, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (1978: 385). Zugleich muss ein solches professionelles Mandat gesellschaftlich insgesamt auf eine „Aufhebung von Einschränkungen der Fähigkeiten zur Anerkennung“ (Gumbinger 1996: 144) zielen. Zwar argumentiert Judith Butler, dass die diesbezügliche „Frage […] nicht vorrangig eine reflexive [ist] wie bei Foucault wenn er wissen möchte: ,Was kann ich werden?‘“ (Butler 2007: 45), sondern „eine ganz direkte, und sie richtet sich an den Anderen: ,Wer bist du?‘ (ebd.). Die Beantwortung beider Fragen in Richtung der skizzierten anerkennungstheoretischen Weiterführung von Hegelʼs Idee der konkreten Freiheit aber scheint für die Profession Sozialer Arbeit unabdingbar. Dabei zu beachten ist, dass Butler bezüglich des „Hegelʼsche[n] Subjekt[s] der Anerkennung“ (ebd.: 41) zu Recht hervorhebt, dass „Anerkennung zu fordern oder zu geben […] gerade nicht [heißt], Anerkennung dafür zu verlangen, wer man bereits ist“ (2005: 62), sondern „ein Werden für sich zu erfragen, eine Verwandlung einzuleiten, die Zukunft stets im Verhältnis zum Anderen zu erbitten“ (ebd.). Dies habe ich auf solche, als objektive Möglichkeiten in der Alltäglichkeit ,anwesenden‘ (Lefebvre 1972: 31) Eigenschaften und Vermögen bezogen, die durch Blockierungen vielfältigster Art in deren Wirklichkeit zugleich in dem Sinne ,abwesend‘ (ebd.) sind, dass sie sich darin bisher – besonders in ihrer Kooperationsfähigkeit – nicht angemessen zu verwirklichen vermochten (vgl. May 2016: 128ff.). Gerade auf diese Vermögen muss sich die Anerkennungspraxis von Professionellen richten, um nicht ihre Adressatinnen und Adressaten auf das zu fixieren, was bloßer Ausdruck herrschaftlicher Blockierungszusammenhänge ist, denen sie im Rahmen ihrer Sozialisationsbedingungen unterworfen wurden. Dies setzt dann auch voraus – um zum Anfang

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zurückzukehren – dass im Zusammenhang von lebendiger und toter Beziehungsarbeit erstere den Ausschlag gibt.

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In welcher Hinsicht sind Menschenrechte abstrakt? Philosophische Betrachtungen zu Abwehr-, Teilhabe- und Teilnahmerechten In welcher Hinsicht sind Menschenrechte abstrakt? Stefanie Rosenmüller

In diesem Beitrag möchte ich die Interpretation eines zentralen Gedanken Hannah Arendts vorstellen (genauer mit detaillierten Nachweisen: Rosenmüller 2013), mit der die Bedeutung und die Anwendbarkeit der Menschenrechte für die Soziale Arbeit gestärkt und erweitert werden soll. Nach Hannah Arendt ist die ‚Abstraktheit‘ der Menschenrechte sowohl für die Begründung von Menschenrechten als auch für ihre Anwendung folgenreich. Arendt beschreibt drastisch ihre Wirkungslosigkeit als Schutzrechte für Flüchtlinge, die nicht frei, sondern geradezu vogelfrei seien. Sie stellt dem ein viel zitiertes ‚einziges Menschenrecht‘ gegenüber, das „Recht, Rechte zu haben“ (Arendt 2001a: 615), das Recht auf Teilnahme an einer Rechtsgemeinschaft, wörtlich: „auf Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft“ (Arendt 1949: 766). Um die mögliche Anwendung dieses eigentlichen und ‚konkreteren‘ Menschenrechts in der Sozialen Arbeit soll es im Folgenden gehen.

1. Kritik der Abstraktion: Drei Hinsichten des Menschseins bei Hannah Arendt Arendt kritisiert zunächst die Begründung der Menschenrechte, insofern sie ein reduziertes Menschenbild von einem „abstrakten Menschenwesen“ verwenden (Arendt 2001a: 623), das vorpolitisch ist und deshalb unwirksam bleibt. Eine ‚politische‘ Begründung der Menschenrechte ergibt sich dagegen aus einer wichtigen Unterscheidung von drei Hinsichten auf den Menschen (Arendt 1998: 40f.), die sich mit den zwei Grundbedingungen von Pluralität und Natalität (Arendt 1981: 14ff.) verknüpfen lassen. Menschenrechte können demnach weder in der Menschennatur, noch in der Vernunft begründet werden, weil in beiden Begründungen der Mensch ‚als solcher‘ und nur im Singular betrachtet wird: Das Naturwesen Mensch (1. Hinsicht) ist aber nach Arendt

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ein „abstraktes Menschenwesen“ (Arendt 2001a: 623), das sich, als biologisches Gattungswesen betrachtet, in „Verlassenheit“ befindet, weil das Prinzip der Natalität nicht berücksichtigt wird. Natalität bedeutet in Arendts Diktion, dass der Mensch „nicht anknüpfen muss an die Gattung“ (Arendt 1981: 353, Anm. 3), sondern als anfangendes Wesen spontan handeln und neu beginnen kann. Mit der naturrechtlichen Begründung werden Menschen als bloße Gattungswesen angesehen und in einen vorrechtlichen Begriffskontext gestellt. Diese Begründung ist untauglich, denn sie befördert begrifflich eher die Rechtlosigkeit und Barbarei und führt zu einer Ohnmacht des Rechts. Auch bei der Betrachtung des Menschen als intelligiblem Vernunftwesen (2. Hinsicht) wird die falsche Kategorie zur Begründung herangezogen: Als Vernunftwesen ist der Mensch nach Arendt nämlich „einsam“, weil er zwar als geistig spontanes Wesen gesehen wird, dabei wird aber von seiner Pluralität abstrahiert, denn er gehört zum „Geisterreich“ der intelligiblen Wesen (Arendt 1998: 41). Einsamkeit in der Reflexion ist kein negatives Attribut (Arendt 2006: 80ff.), aber sie beschreibt doch einen bloßen Selbstbezug. Als vernünftige Wesen im Sinne Kants sind die Menschen gerade nicht plural, sondern gleich, nämlich von universeller Vernunft geleitet. Nur Arendts dritte Hinsicht des Menschen als „Erdenwesen“ (Arendt 1998: 41) berücksichtigt, so scheint es, beide entscheidende Prinzipien von pluralen Wesen und Wesen, die neu anfangen können, also Pluralität und Natalität. Arendt beschreibt nun die Menschen als politische Wesen, „gesellig, in Gemeinschaft lebend. Mit Gemeinsinn, nicht autonom, aber frei“ (ebd.). Wenn das „einzige“, von Arendt proklamierte Menschenrecht, das „Recht auf Rechte“ auf diese Hinsicht der Menschen im Plural bezogen wird, lassen sich die Positionen vermeiden, die Arendt für eine formale Verwechslung von Moral und Politik hielt und die sie mit verschiedenen Stichworten – der Tyrannei der Wahrheit, der Durchsetzung des Willens und dem intelligiblen Ich einkreist, weil monolithische und universalistische Vorstellungen des moralisch Guten nicht als Prinzipien die Rechtsauslegung oder die Politik leiten sollen. Mit der „Abstraktheit“ der Menschenrechte kritisiert Arendt also, dass von falschen Menschenbildern ausgegangen werde, weil die biologische oder die vernunfttheoretische Hinsicht verabsolutiert würden. Wenn solche Begründungen zur Ohnmacht der Menschenrechte beitragen, wie soll die ‚dritte‘ Hinsicht der Menschenrechte sie dann stärken? Zwei Schritte der Korrektur möchte ich dazu vorstellen.

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2. Folgerung für das Rechtsverständnis: Spielregeln vor Abwehrrechten Etienne Balibar hat im Anschluss an Arendts Kritik den Fokus auf die rechtliche und politische Inklusion und Exklusion durch Menschenrechte gelegt. Aus Arendts Argumentationsweg folgert Balibar ein sogenanntes „Arendt Theorem“ (Balibar 2007: 264). Es sind demnach die Menschenrechte in den Bürgerrechten zu begründen und zu verankern, weil ein Recht ohne Gegenseitigkeitscharakter, also als „einsames Naturrecht“ gar keinen Rechtscharakter hätte (Balibar 2007: 265f.). Sigrid Graumann beschreibt recht ähnlich den Gedanken einer „Inklusivität“ des Menschenrechtsschutzes (Graumann 2011: 93). Bei Balibar tritt die Demokratie nicht als Gegengewicht, sondern als Voraussetzung, Garant und als „Medium“ (Menke/Pollmann 2007: 179) für die Menschenrechte auf. Denn Arendt favorisiert deren politische Begründung, aber nicht eine Begründung durch souveräne Gewalt, wie beispielsweise bei Carl Schmitt (s.u.), sondern durch Macht. Dabei ist ihr Begriff des Politischen durchaus normativ aufgeladen: Sowohl die demokratischen Einigungsprozesse als auch die rechtliche Verwirklichung von Menschenrechten sind bei Arendt in pluraler Zustimmung begründet. Damit es aber nicht nur um faktische Zustimmung geht, sondern um eine qualifizierte, müssen, so mein Vorschlag, die Prinzipien von Pluralität und Natalität berücksichtigt und in der Rechtsauslegung als Korrektive eingesetzt werden. Wie lässt sich dies weiter denken für die Interpretation der Grundrechte? Klassischerweise lassen sich einzelne Typen von Menschenrechten unterscheiden, die man auch als verschiedene Funktionen des Rechts ansehen kann. Liberale Theorien interpretieren sie vor allem als Abwehrrechte gegen den Staat; partizipative Ansätze interpretieren sie vor allem als politische Teilnahme- und ökonomische Teilhaberechte (vgl. Mührel/Röh 2008: 50). Ähnlich stellt man im Verfassungsrecht die Frage, ob die Grundrechte eher Prinzipien oder vor allem Abwehrrechte darstellen. Arendt versteht die Freiheit, die durch Menschenrechte gewährt wird, weniger als eine negative Freiheit, die im Schutzrecht vor den Eingriffen Anderer gesichert wird, sondern vor allem als positive Freiheit, zusammen mit Anderen das politische Leben gestalten zu können. Damit müssten die Teilnahmerechte für Arendt Vorrang haben. Darin bleibt sie der deutschen Rechtstradition eher fremd, aber nicht nur damit. Im 19. Jahrhundert standen sich mit der Willenstheorie nach von Savigny und der Interessentheorie nach von Jhering zwei Auffassungen gegenüber, deren Bestimmungen des Rechts bis in der heute vertretenen Kombinationstheorie vorherrschend sind (Stepanians 2008: 1068); Arendt würde hingegen beide ablehnen (Rosenmüller 2013, 343ff.). Nach von Savigny war ein Recht eine Machtausübung der Person im Gebiet, in dem ihr Wille herrscht. Diese Theorie, die sich auf die souveräne Willensausübung der

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Rechtsträger_in konzentriert, sieht Arendt als unpolitisch an, weil sie Handlungsmacht gar nicht als individuelle Willensdurchsetzung ansieht (Arendt 1989b: 160; Förster 2009). Arendt würde aber auch die Position von Jherings ablehnen, der das Recht in erster Linie durch Interessenkampf bestimmt sieht. Denn Arendt unterscheidet konsequent 'rechtfertigbare' Gewalt von 'legitimierender' Macht (Arendt 2000b). Sie legitimiert das Recht nur aus der Macht der Zustimmung Vieler, die sie in politischen Meinungen und nicht in ökonomischen Interessen verankert sieht. Die politischen Tätigkeiten, Handeln und Urteilen müssen bei Arendt deshalb weder aus der Willenskraft, noch aus dem Nutzen, sondern aus der Freiheit der Einbildungskraft entspringen (Arendt 2000c: 126). Denn die Willensfreiheit wird zwar wichtig für das Anstoßen von Kausalgesetzen in der Gegenstandswelt, sie kann ferner bei Rebellion und im Widerstand gegen Gewalt wirken (Förster 2009). Jedoch bleibt die individuelle Willensfreiheit vorpolitisch und monologisch und stellt deshalb nicht die entscheidende Freiheit dar. Die Freiheit der Willenskraft wird nun, so mein Eindruck, vor allem in den liberalen Abwehrrechten geschützt (Rosenmüller 2013: 437ff.). Diese Freiheit vor den Eingriffen der Anderen in die individuelle Souveränität ist nach Arendt zwar ein notwendiger Aspekt des Rechts, aber sie spielt nur eine sekundäre Rolle. Die eigentlich politische Freiheit ist die des politischen Meinungsstreits, also gerade nicht die Unabhängigkeit von Anderen, sondern eine Freiheit unter Menschen, mit Anderen, eine positive Bestimmung von Freiheit. Diese politische Freiheit ist bei Arendt in der Freiheit der Einbildungskraft begründet, nämlich der Fähigkeit der ‚erweiterten Denkungsart‘, möglichst viele Positionen einbeziehen zu können (Arendt 1998): je mehr, desto freier ist dieses Denken. Und auch in der phronesis, nämlich als einem Vermögen, einen Sinn für die Welt zu haben (Arendt 2000a: 267), wird diese plurale Freiheit verwirklicht. Diese Freiheit des Denkens und des Handelns betont die politischen Teilnahmerechte und das ‚Recht auf Rechte‘ als das Recht, teilzunehmen an der politischen Mitgestaltung von Urteilsprozessen. Wie lässt sich das konkret verstehen? Immer dann, wenn die negativen Abwehrrechte und die Willensfreiheit einer Person verletzt werden – beim Ausschluss von Wahlrecht, Meinungsfreiheit oder von Lebensformen – dann wird zugleich die Einbildungskraft aller Anderen eingeschränkt, denn diese ausgeschlossene Position kann nun nicht mehr im öffentlichen Raum erscheinen, wahrgenommen und ‚besucht‘ werden. Das erweiterte Denken Aller wird damit verengt – und so wird in die Menschenrechte Aller eingegriffen. Insofern geht es beim Schutz durch ein Menschenrecht immer zugleich um die Menschenrechte aller Anderen. Rechte betrachtet Arendt entsprechend nicht primär als schutzwürdige Eigenschaften (Balibar 2007: 265; Arendt 1949: 766) von unabhängigen Individuen und auch nicht als rechtfertigungsfähige Sanktionen, sondern eher als geltende „Spielregeln“ (Arendt 2000b: 96, Anm. 8; Arendt 2001a: 615; Arendt

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1949: 761; Volk 2010: 22, 266.). In dieser Weise wären die Grundrechte so auszulegen, dass das Recht vor allem die Aufgabe hat, den politischen Raum zu ermöglichen und zu erweitern.

3. Anwendung: Menschenrechte als positive Freiheit der Einbildungskraft Was bedeutet dies für die konkrete Anwendung von Menschenrechten? Und wie sollen die Menschenrechte in der praktischen Beurteilung von Situationen eine Rolle spielen? Dafür soll zunächst erläutert werden, wie unterschiedlich die Urteilskraft in der Einschätzung von Situationen vorgehen kann.

3.1 Drei Formen der Urteilskraft Arendt kombiniert für das praktische Urteilen drei Formen von Urteilskraft, die sie Kant und Aristoteles entlehnt; sie lassen sich als eine Stufenfolge von drei verschiedenen Arbeitsweisen der Urteilskraft verstehen, die alle in alltäglichen Situationen durchlaufen werden können. Die erste Arbeitsweise wird in der Jurisprudenz Subsumtion genannt und von Kant als ‚bestimmende Urteilskraft‘ bezeichnet, bei der ein Fall unter eine Regel subsumiert wird. Die zweite Arbeitsweise, die Kant beschreibt, ist die ‚reflektierende Urteilskraft', die selbständiger arbeitet als die bestimmende Urteilskraft, indem sie entscheidet, um welche Regel es geht und weil sie neue Regeln generieren kann aus Beispielen, also aus Einzelfällen; das ist dann wichtig, wenn gar keine Regel vorhanden ist. Kant äußert, dass die Urteilskraft zwar geübt werden kann, aber gerade nicht aus Gelehrsamkeit besteht, wie vielleicht reine Gedächtnisleistungen oder Verstandeswissen. Es kann umgekehrt sogar passieren, dass sehr belesene Menschen ganz untalentiert sind im Vermögen, gut zu urteilen. Es könnte umgekehrt sein, dass das Talent zum selbständigen Urteilen auch abstrahlt auf das Vermögen, die bestimmende Urteilskraft auszuüben. Dies entspricht Arendts Lesart Kants (Kurbacher 2003) und bedeutet, dass das eigentliche Vermögen des Urteilens nicht in der Regelanwendung begründet liegt, aber sich darin auch artikulieren kann. Arendt verknüpft nun scheinbar beide Urteilsmodelle Kants mit dem Vermögen der phronesis von Aristoteles (Rosenmüller 2013: 209). Die phronesis lässt sich als Urteilsvermögen ansehen, auch wenn sie oft als 'Klugheit' übersetzt wird. Arendt arbeitet in ihrem späten Schriftfragment (Arendt 1998) da-

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ran, den Problemen des politischen Urteilens in nachtraditionaler Zeit zu begegnen. Die Einbildungskraft, also ein anderes Wahrnehmungsvermögen als der Verstand, spielt eine tragende Rolle, weil sie an die Erfahrung und sinnliche Anschauung gekoppelt bleibt. Dieses Modell ist nach meiner Auffassung für die Praxis der Sozialen Arbeit gewinnbringend. Denn der Kern dieser Überlegungen ist, dass die bloße Ausführung von Regeln als ungenügend angesehen wird. Natürlich kommt die Subsumtion unter Regeln, seien es juristische, moralische oder fachliche Regeln, dauernd implizit vor und ist auch notwendig. Sie sollte aber korrigiert werden durch die anderen beiden Tätigkeiten der Urteilskraft, damit das Ergebnis nicht ungerecht und grausam gegenüber dem Einzelfall wird. Das Korrektiv und das Prinzip, das das Urteilen leitet, stellt der Gemeinsinn dar (Rosenmüller 2013). Diese grundlegende Wahrnehmungs- und Orientierungsfunktion des Gemeinsinns beschreibt Arendt – im Kontrast zum „Selbst-Sinn“ der „Vernunft, die aus dem Ich-denke lebt“ – mit der Metapher vom „Weltsinn“, „der als Gemeinsinn (passiv) und als Einbildungskraft (aktiv) von dem andern lebt“ (Arendt 2002: 570). Statt der „selbst-gebundenen Vernunft“ sei es der Gemeinsinn und mit ihm „die Einbildungskraft, die das Band zwischen den Menschen bildet“ (ebd.). Inwiefern hilft dies gegen die Abstraktheit der Menschenrechte? Und warum muss eigentlich die bestimmende Urteilskraft korrigiert werden? Allgemeine Regeln verfolgen nur eine bestimmte Form von Gerechtigkeit, die nicht hinreichend ist. Dies lässt sich veranschaulichen am berühmten Beispiel der Olympionikin Caster Semyena. Aber dieses Modell lässt sich auch auf alltägliche Beispiele der Sozialen Arbeit übertragen. Caster Semenya war 2008 die Gewinnerin des 800 Meter Laufes, und wurde zum Anlass eines Streits, weil wegen ihres Körperbaus infrage gestellt wurde, ob sie weiblich oder vielleicht intersexuell sei. Nach längeren Versuchen, hormonell und phänotypisch festzulegen, was unter ‚weiblich‘ falle, wurde 2011 zunächst entschieden, dass sie androgensenkende Mittel einnehmen müsse, weil ihre körperliche Verfassung ihr einen untypischen Vorteil einräume. Diese Entscheidung wurde von Menschenrechtsgruppierungen vehement kritisiert (Knuth 2016). Schauen wir nun, was dieses Urteil aus Sicht von Arendts Kritik an der Abstraktion der Menschenrechte bedeutet und wie ihre Korrekturvorschläge aussehen könnten.

3.2 Die Gefahren der Subsumtion Dieses Beispiel passt durchaus zur Warnung Arendts: Arendts Kritik am subsumierenden Urteil zielt auf die grausamen Effekte der Bürokratie eines reinen Regelpositivismus' und einer Tyrannei der Vernunft, die allgemeine Regeln

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zur Ideologie verabsolutiert und dabei den Wirklichkeitssinn verliert. Dabei geht die Einbildungskraft schließlich im Sinne der lebendigen Anschauung ganz verloren in einer monologischen und totalitär betriebenen Pseudo-Wirklichkeit. Die Tyrannei der Vernunft ist zwar laut Arendt viel älter, sie geht zurück bis auf die ersten Wurzeln bei Platon, der sich Philosophenherrscher mit einheitlichen Gesetzen wünschte. Doch in der Moderne stellt laut Arendt auch der sog. gesunde Menschenverstand, der traditionelle Gegenbegriff zur theoretischen Vernunft, keine Hilfe mehr gegen diese Tyrannei dar. Er kann keinen Halt mehr geben, da er auf Traditionen beruht, die überkommen sind (Arendt 2000c: 110ff.). Historisch zeigte sich zudem, dass auch der sog. gesunde Menschenverstand zur NS-konformen Auslegung des Rechts eingesetzt wurde, die Vorstellung vom ,Anstandsgefühl aller recht und billig Denkenden‘ (Reichsgericht von 1901) wurde pervertiert zum ,gesunden Volksempfinden‘ in einer nationalsozialistischen Auslegung. Arendt nutzt deshalb schließlich Kants Konstruktion des ästhetischen Urteils für die politischen Implikationen in einem jedem Urteil. Der Gemeinsinn stellt dabei eine Idee der Menschheit dar, die nicht abstrakte, sondern plurale Menschen versinnbildlichen soll.

3.3 Die Korrektur der Subsumtion durch die Phronesis Der Gemeinsinn hat eine zweite Komponente in Arendts Schriften, mit der sie ihn mit der aristotelischen phronesis verknüpft. Arendt beschreibt beide auch in einer Zusammenarbeit von innerem Sensorium und praktischem Sinn (Rosenmüller 2013: 234ff.). Dabei greift sie auf eine andere Bedeutung von Gemeinsinn zurück. Neben der lateinischen Wurzel vom sensus communis, der wie bei Cicero eher ein ,Sinn für die Gemeinschaft‘ ist, gibt es eine griechische Wurzel, einen ,gemeinsamen Wahrnehmungssinn‘ namens koine aisthesis, das ist der sog. sechste Sinn, der in der Antike als innerer Sinn die Funktion hatte, alle fünf Sinne zu koordinieren (vgl. Grünepütt 1995). Diese Bedeutung von Gemeinsinn als einer gemeinsamen Wahrnehmung aller fünf Sinne verknüpft sie mit dem Gemeinsinn als Sinn für eine Gemeinschaft – was bedeutet das? Arendt will offensichtlich zeigen, dass die Wahrnehmung nicht vorpolitisch ist, sondern in unseren gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen wurzelt (Arendt 2002: 335f.; Arendt 1989a: 59f.; Rosenmüller 2013: 246ff.). Sie versucht, so zu erklären, warum im NS-Regime die Wahrnehmung der Wirklichkeit so manipulierbar wurde, dass die Deportation von Menschen ausgeblendet wurde und so betrachtet wurde, als ginge es um den Transport von wertlosen Dingen. Diese Form der grausamen Gewissenlosigkeit nennt Arendt „Gedankenlosigkeit“ (Arendt 2001b: 371), und darin verbirgt sich ein Denkmangel: ein monologisches Denken in Klischees anstatt im kritischen Dialog. Hinzu

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tritt ein Urteilsmangel, bei dem in der Wahrnehmung der Weltbezug zu den anderen Menschen abbricht. Diesen Weltbezug sichert der praktische Sinn, die phronesis. Das weltbezogene Handeln ist nach Arendt „eine vernünftige Tätigkeit“ (Arendt 1989a: 11), das nicht durch theoretische Vernunft geleitet wird, sondern durch die phronesis, einer Art „Weltweisheit“ (Arendt 2000a: 267). Die phronesis wird in der Arendt-Literatur als ,Akteursurteil‘ verstanden (seit Beiner 1998, in Arendt 1998: 118ff.), der Staatsmann und die Staatsdame braucht sie, aber auch der und die Akteur_in in den Feldern der Sozialen Arbeit. Es ist dies ein zukunfts- und handlungsorientiertes Urteilen, mit dem das Besondere der Situation mit einem allgemeinen Prinzip zusammengebracht wird, damit die Situation gelingt und dabei braucht es Erfahrung. Bei Aristoteles wird zur Veranschaulichung die Metapher des Bogenschützen verwendet, der sich an einem Ziel ausrichtet. Entscheidend ist im Unterschied zur bloßen Regelanwendung, dass sich dieses Prinzip durch Erfahrung immer weiter mit Bedeutung anreichert, es verändert sich also – während eine Regel immer gleich bleibt. Dieses Vermögen wäre nun bei der Regelanwendung klug zu nutzen, durch eine Orientierung an Prinzipien, an denen sich die Bogenschütz_innen in der Praxis ausrichten. Im Zivilrecht wären dies z.B. Vorstellungen von ,Treu und Glauben‘; in der Sozialen Arbeit wären dies neben fachlichen Prinzipien auch rechtliche und moralische, wie das Prinzip der ,Sozialen Gerechtigkeit‘ im Sozialgesetzbuch oder die Menschenrechte im internationalen Ethik-Kodex. Diese Prinzipien reichern die Auslegung von alltäglichen Handlungsregeln an und sie erweitern und korrigieren ihre Anwendung. Im Beispiel von Caster Semenya ging der Streit so weiter, dass nach einem weiteren Rechtsurteil durch den Sportsgerichtshof CAS 2015 entschieden wurde, dass die hormonsenkenden Mittel menschenrechtsfeindlich seien. Das Argument war, dass Caster Semenya natürlicherweise so verfasst sei und deshalb gewissermaßen kein Doping vorliege (Knuth 2016). Wenn man dies als ein Ergebnis der korrigierenden phronesis im hier vorgestellten Sinn sieht, dann würde der Begriff der ‚weiblichen‘ Läuferinnen oder der Begriff ,von Natur aus‘ erweiterter ausgelegt als nach traditionalistischer Auslegung, weil die normative Ausrichtung an pluralen Menschenrechten die enge Auslegung einer ganz bestimmten Weiblichkeit korrigiert. Immerhin können nun mehr Beispiele von Menschen unter die olympischen Regeln ‚subsumiert‘ werden als vorher, weil der Begriff der weiblichen Läuferinnen pluraler geworden ist. Der Begriff der Menschheit wird damit schon etwas pluraler ausgelegt. Allerdings muss auch hinzugefügt werden, dass Caster Semenya in dem ganzen Verfahren kaum die Möglichkeit gehabt hätte, sich anders denn als ‚weiblich‘ zu verstehen – wenn sie sich nicht sehenden Auges von der Olympischen Welt hätte ausschließen lassen wollen.

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4. Die Korrektur durch die reflektierende Urteilskraft Diese Korrektur hätte deshalb noch durch die der reflektierenden Urteilskraft ergänzt werden sollen. Die reflektierende Urteilskraft ist noch eigenständiger und leistet in Arendts eigenwilliger Kant-Lektüre zwei Schritte: sie urteilt retrospektiv anhand der drei folgenden Maximen des Gemeinsinns: 1. Maxime: Selbst Denken – dies bedeutet dialogisch und befreit vom bloßen Mainstream denken; 2. Maxime: Aus Perspektive eines Jeden Anderen denken – dies bedeutet, möglichst viele Perspektiven zu besuchen, zumindest die aller Betroffenen, wie z.B. in einem gelungenen Teamgespräch; 3. Mit sich Selbst Einstimmig Denken – dies bedeutet, die ersten beiden Maximen zusammenzubringen, um einen relativ allgemeinen Standpunkt zu finden, keinen objektiven, aber einen intersubjektiv überprüften Standpunkt (Arendt 1998: 49ff.). Diese Korrektur soll gegen Klischees und Stereotype und gegen grausame 'Gedankenlosigkeit' helfen, indem das Urteil die Wahrnehmung möglichst Vieler einbezieht. Die reflektierende Urteilskraft leistet noch ein Zweites: Wenn es keine Regel gibt, erfindet sie anhand des Beispiels eine neue Regel. Im Beispiel von Caster Semenya war dies ganz offensichtlich eine Überforderung. Caster Semenya wurde zunächst als eine Ausnahme stigmatisiert, eine Ausnahme zwischen weiblich und männlich, die deshalb korrigiert und ,entandrogynisiert‘ werden musste, damit die binären Regeln der Olympiade aufrecht erhalten werden können. Nun hätte überlegt werden können, ob neue Regeln geschaffen werden können, sei es nach Gewichtsklassen, sei es nach Leistungen in Vorrunden. Eine grundlegende olympische Unterteilung wäre infrage gestellt und erweitert worden. Das Scheitern der Neuerfindung von Regeln zeigt, wie viel bei diesem Beispiel in Frage gestellt wurde an überkommenen Menschenbildern. Dies entspräche aber der Intention, die Arendt in ihrer Kritik verfolgt, dass Menschen nicht zu Überflüssigen (Meints-Stender 2004) und zu Ausnahmen gemacht werden, sondern Gegenbeispiele und Beispiele für etwas Neues darstellen sollen, da Menschen neu anfangen und Neuanfänge gestalten können. Dann bleiben Menschenrechte nicht abstrakt, sondern werden in der Auslegung durch die Erweiterung des Rechtsschutzes konkretisiert und verwirklicht.

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5. Was Ausnahme war, soll Beispiel werden Bei diesem freieren Urteilen wird eine andere Form von Allgemeinheit angestrebt, als bei der Allgemeinheit der Regel: eine Generalität anstatt der Universalität. Das implizite Motto könnte lauten: Was Ausnahme war, soll beispielhaft werden! In Arendts Anlehnung an Kant ist die reflektierende Urteilskraft immer ein Urteilen, das exemplarisch vorgeht. Dabei ist das ,eigentliche‘ Urteilen solches, bei dem das Neue als Exempel gefasst werden kann. Alle anderen Urteilstypen, insbesondere die bestimmende Urteilskraft, beruhen auf diesem freien Urteilen als einem „Prototyp“ (Kurbacher 2003). Für die Auslegung von Rechtsregeln lässt sich folgern, dass Arendt einen ganz anderen Rechtsbegriff vertritt als den der Souveränitätstheorie Carl Schmitts. Bei Schmitt wird die Souveränität des Rechts im Kontrast zum „Ausnahmezustand“ (Schmitt 1934: 11) bestimmt. Die Binarität zwischen Regelgeltung und Ausnahme ist aber nur für die unselbständige bestimmende Urteilskraft typisch, die ganz wie auch die juristische Subsumtion prüft, ob ein Fall unter die Regel fällt oder nicht. Wenn man hingegen mit Arendt davon ausgeht, dass nicht die bestimmende Urteilskraft der grundlegende Urteilstyp ist, sondern die reflektierende Urteilskraft, kann für die Konstitution des Rechts aus der Urteilskraft (Volk 2010, Förster 2009) nicht die ‚Ausnahme‘ die zentrale Gedankenfigur darstellen, sondern es muss das ‚Beispiel‘ sein. Das Beispiel verhält sich aber zur Regel anders als die Ausnahme: Im Extremfall stehen sich die geltende Regel und die radikale, unregelbare Ausnahme diametral gegenüber. Das Beispiel hingegen bestätigt, erläutert und illustriert zunächst die Regel, es ist nach Kant ,der Gängelwagen‘ der Urteilskraft (KrV B: 174), aber als Gegenbeispiel kann es die Regel erweitern, es steht ihr nicht binär gegenüber, das Urteil muss die Regel nicht immer ‚aussetzen‘, es kann Regeln erweitern und neu erfinden und die Menschenrechte Stück für Stück erweitern. Eine solche relativ gedachte Allgemeinheit der Regel kann umfassender sein als die Vorstellung einer universalen Regel, weil sie alle Gegenbeispiele potentiell und Schritt für Schritt einholen kann. Der Demokratietheoretiker Balibar nennt diesen Gedanken bei Arendt ,extensive Universalisierung‘ (vgl. Menke/Pollmann 2007), bei der Menschenrechte immer mehr Adressatengruppen umgreifen, anstatt dass die Menschenrechte, fälschlicherweise als bloße ,Ausnahmeregeln‘ konzipiert, versagen müssen. Der Gedanke vom Vorrang der reflektierenden Urteilskraft könnte auch in der Sozialen Arbeit dazu dienen, vormalige Ausnahmen als neue Beispiele für plurale Lebensformen wahrzunehmen. Es bedeutet, scheinbare Ausnahmen und ‚neue‘ Lebensformen zum Anlass zu nehmen, die bisherigen Regeln zu überdenken, zu erweitern und neue Regeln zu gewinnen, um allen Menschen die Verwirklichung von Menschenrechten zu ermöglichen, anstatt von ihnen zu abstrahieren.

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Migrationsforschung, Disability und Gender Studies als Bezugspunkte einer diversitätsbewussten und menschenrechtsbasierten Sozialen Arbeit Migrationsforschung, Disability und Gender Studies Karin E. Sauer, Barbara Schramkowski und Barbara Thiessen

1. Differenz, Diversität(sbewusstsein) und Menschenrechte Die Positionierung von Menschen innerhalb zentraler Differenzkategorien wie soziale und kulturell-nationale Herkunft, körperliche Verfasstheit und Gender (Winker/Degele 2009), hat Auswirkungen auf Chancen struktureller Teilhabe, den Zugang zu Ressourcen, Bewältigungsspielräume sowie das Ausmaß an Anerkennung, das Menschen jeweils erfahren. Daher benötigt Soziale Arbeit einen normativen Rahmen für die Analyse, Bewertung und Bearbeitung sozialer Probleme (Staub-Bernasconi 2012: 274ff.), die mit diesen Positionierungen und den hiermit verbundenen Exklusionsrisiken zusammenhängen. Denn oft entstehen soziale Probleme oder verschärfen sich, da Menschen Diskriminierungserfahrungen machen, weil sie infolge ihrer Behinderung, ihres Migrationshintergrundes oder Geschlechtes abgewertet werden und sich diese Zuschreibungen negativ auf ihre Teilhabechancen auswirken (Liebscher/Fritzsche 2010). Hier bieten sich, wie im fachlichen Mandat verankert (Staub-Bernasconi 2012: 277), die Menschenrechte als Orientierungs- und Reflexionsrahmen an, die als voraussetzungslose Rechte für alle Menschen gleichen Respekt und Schutz vor Diskriminierung einfordern, „unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder ethnischem, kulturellem oder religiösem Hintergrund“ (Oberlies 2015: 6) und der körperlichen Verfasstheit. Wenn menschenrechtlich verankerte Werte von Gleichheit und Gerechtigkeit handlungsleitend sind, Menschen aber unterschiedlich sind und bestimmte Differenzverhältnisse infolge hierarchisierender Bewertungen Einfluss auf Teilhabechancen haben, so ist es wichtig, das Gleichheits- und Gerechtigkeitsideal diversitätsbewusst zu reflektieren, weil eine gleiche Behandlung aufgrund unterschiedlicher sozialer Positionen infolge von „Ein- und Ausschlüsse[n] innerhalb kontextspezifischer Machtkonstellationen“ (Smykalla 2016: 232) nicht immer gerecht ist.

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Diversitätsbewusstsein, wie es etwa von Leiprecht (2011) formuliert wird, meint zum einen das Wissen um komplex miteinander verschränkte Wirkungen zentraler Differenzkategorien als „Platzanweiser“ (Gottschall 2000: 60) für strukturelle Positionierungen, die Auswirkungen auf Spielräume der Lebensbewältigung haben (Diskriminierungssensibilität). Zum anderen ist ein Bewusstsein für alltagsdiskursiv naheliegende gruppenbezogene Zuschreibungen gemeint, also dafür, Menschen und ihre Ausdrucksformen nicht essentialisierend mit einer Kategorie zu erklären (Zuschreibungssensibilität). Denn mit der besonderen Aufmerksamkeit für bestimmte Kategorien gehen Gruppeneinteilungen einher, die dazu führen, dass diese als Beurteilungsmuster von Lebenslagen und Bewältigungsmustern besonders fokussiert werden. Zentral für Sozialarbeiter_innen ist es jedoch, Menschen in der Vielfalt bestehender Bezüge zu sehen. So kann im sozialpädagogischen Alltag der Blick auf Geschlecht oder soziale Herkunft einer Person mit einer Behinderung nicht geschärft sein, was zu Fehleinschätzungen führen kann. Gleichzeitig sind „vereinheitlichende, essentialisierende Kategorisierungen als Grundlage von Privilegierung und Benachteiligung aufzudecken“ (Smykalla 2016: 232f.). Hier zeigt sich ein grundsätzliches Spannungsfeld Sozialer Arbeit, die soziale Probleme bearbeitet und zu lösen versucht, die u.a. aus hierarchischen Differenzzuschreibungen resultieren. Gleichzeitig denkt und handelt sie bei der Bearbeitung in Zielgruppenkategorien (Frauen, Menschen mit Behinderungen, Migrant_innen) und reproduziert somit Differenzkategorien, wenn durch Gruppeneinteilungen eine Facette der Lebenslagen von Menschen betont und entsprechende Maßnahmen konzipiert werden. Zu überlegen ist somit, wie eine Differenzlinie gleichzeitig fokussiert und ignoriert bzw. nicht essentialisiert werden kann, um Diskriminierungsrisiken zu mindern und zur Umsetzung des Gleichheitspostulats und Gerechtigkeitsversprechens der Menschenrechte beizutragen. Dieser Beitrag nähert sich dem Themenkomplex aus unterschiedlichen Perspektiven an: Die Perspektive der Migrationsforschung nutzt dabei empirische Befunde eines Forschungsprojekts, die Perspektive der Disability Studies bezieht den Theorie-Praxis-Transfer von Studierenden der Sozialen Arbeit ein, und die Perspektive der Gender Studies beleuchtet deren diskursive Grundlagen und Entwicklungen.

2. Perspektive Migrationsforschung Mit der Kategorie des Migrationshintergrundes werden oft negative Zuschreibungen assoziiert, die sich in schlechteren Teilhabechancen z.B. im Bereich Bildung und Arbeit materialisieren. Insofern handelt es sich um ein soziales Problem (Staub-Bernasconi 2012: 271f.), und mit Blick auf die Postulate

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Gleichheit und Untersagungen von Diskriminierung ist es wichtig, Individuen und ihre Lebenslagen im Kontext rassistischer Machtverhältnisse zu betrachten. Der Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass Rassismus bei der Analyse sozialer Probleme wenig beachtet wird, was zentral mit einem reduzierten Rassismusverständnis vieler Sozialarbeiter_innen zusammenhängt. 1 Oft werden nur Gewalttaten ‚rechter‘ Einzeltäter_innen als rassistisch definiert, oder der Begriff wird mit Bezug auf die NS-Diktatur als vergangenes Phänomen konzeptualisiert (Schramkowski/Ihring 2018). So werden alltägliche, oft subtile Rassismuserfahrungen vielfach nicht erkannt, banalisiert oder mit Hinweisen auf kulturelle Differenzen und migrationsbedingte Defizite sogar legitimiert (Kalpaka 2005). Beispielsweise werden schlechtere Schulabschlüsse von Kindern mit Migrationshintergrund damit erklärt, dass in „deren Kultur“ eine unzureichende Arbeitshaltung vorherrsche, worüber Mechanismen institutioneller Diskriminierungen (Gomolla/Radtke 2009) und somit machtbedingte Ausschlüsse wie auch weitere Facetten der Lebenswelten der Kinder ausgeblendet werden. Hier zeigt sich das einleitend skizzierte Spannungsfeld: Soziale Ungleichheitsanalysen erfordern die Bezugnahme auf die Kategorie des Migrationshintergrundes, um strukturelle Exklusionsrisiken zu erkennen. Gleichzeitig verweist der Begriff „auf die Nichtzugehörigkeit einer großen Bevölkerungsgruppe und fixiert diese gewissermaßen im Feld sozialarbeiterischer Zielgruppen“ (Castro Varela 2013: 15). Diese Kategorisierung leistet kulturalisierenden Erklärungen für Verhalten einer homogen gedachten Gruppe Vorschub, die als integrationsbedürftig markiert wird. Somit ist es neben der Bezugnahme auf die Kategorie wichtig, Zuschreibungen und ihre möglichen Auswirkungen auf professionelles Handeln und die Lebenslagen Betroffener zu reflektieren. Der Blick auf ein Projekt zur Interkulturellen Öffnung der katholischen Freiwilligendienste zeigt, wie herausfordernd es ist, Handlungsansätze zu finden, die zur Minderung von Rassismus beitragen, ohne Menschen mit Migrationshintergrund auf ihr „Anderssein“ festzuschreiben und die ihre Lebenslagen kennzeichnende Heterogenität zu übersehen. Hintergrund des Projekts war, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) unterrepräsentiert waren und der Deutsche Caritasverband sich verpflichtet hatte, Zugangschancen zu verbessern (Schramkowski 2012). Dies bedingt die Analyse von Zugangshürden, was dazu führt, dass eine Gruppe infolge ihres Migrationshintergrundes als „integrationsbedürftige“ Zielgruppe 1 Rassismus bedeutet, dass Menschen aufgrund einer Logik von Herkunft in homogen gedachte Gruppen eingeteilt werden (z.B. ausländisch) und dass diesen Gruppen pauschal quasi ‚angeborene‘ Eigenschaften mit hierarchisierender Bewertung zugeschrieben werden (z.B. häufiger kriminell). Durchschlagskraft gewinnen diese Zuschreibungen durch Machtverhältnisse, infolge derer Unterscheidungen auf diskursiver, struktureller und individueller Ebenen bedeutsam werden und sich Zugehörigkeitsverhältnisse etablieren, die ungleiche Behandlungen und strukturelle Verhältnisse legitimieren (Scharathow 2014).

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markiert wird. Auch die vor Projektbeginn durchgeführte qualitative Studie, in deren Kontext u.a. Sozialarbeiter_innen des Handlungsfeldes interviewt wurden, bewegt sich in diesem Spannungsfeld: Bereits über die leitende Fragestellung „Wie können mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund für ein FSJ gewonnen werden?“ (Schirilla/Schramkowski 2012) werden mit der Betonung des Migrationshintergrundes zwei Gruppen konstruiert. Dies kann die Thematisierung von Differenzen und hiermit alltagsdiskursiv assoziierten Zuschreibungen befördern, die – wie der folgende Ausschnitt aus einem mit einer Sozialarbeiterin geführten Interview exemplarisch zeigt – an einigen Stellen deutlich wurden: „Leute, die aus muslimischen Ländern kommen, haben wir auch, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber Herkunft der Eltern aus muslimischem Land. (…) Es ist eine Bereicherung mit Freiwilligen mit Migrationshintergrund, aber unterm Strich muss ich sagen, dass es sehr, sehr viel ist an Vermittlungen, an Kriseninterventionen, also im Vergleich zu deutschen Teilnehmern. (…) Was ich klar sagen muss, bei uns ist irgendwann eine Grenze, wenn immer mehr gefordert wird. Grad auch bei Spätaussiedlern. Es ist schwierig, wenn sich dann Eltern einschalten. Es ist eine Mentalitätssache, und müssen wir uns abgrenzen, weil wir nicht immer nur geben können und dafür einsetzen, wenn immer öfter gefehlt wird (in den Einsatzstellen; Anm. BS). Das haben wir auch mit deutschen Teilnehmern, da gibt’s auch Problematiken. Aber so vom Aufwand ist es bei Leuten mit Migrationshintergrund oft mehr.“

So werden Gruppen infolge bestimmter Bezüge (z.B. muslimisch) Eigenschaften zugeschrieben (z.B. problematischer). Beispielsweise wird angenommen, die vielen Fehltage in Einsatzstellen hätten etwas mit „der Mentalität“ von Spätaussiedler_innen zu tun, eine Erklärung, die vermutlich bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund nicht angesetzt würde und dazu führen kann, dass die Sozialarbeiterin im Einzelfall nicht genau hinschaut, wie die Fehltage zustande kommen, also ob es vielleicht Konflikte in der Einrichtung gibt, infolge derer sich der oder die Freiwillige unwohl fühlt. Auch wird die Anwesenheit von muslimischen Freiwilligen mit einem „Mehr“ an Kriseninterventionen assoziiert, während Probleme mit einzelnen Teilnehmenden ohne Migrationshintergrund vermutlich nicht generalisiert auf alle „deutschen“ Freiwilligen übertragen würden; eher würde der Einzelfall und seine spezifischen Umstände gesehen. Führen diese Zuschreibungen auch dazu, dass Bewerbungen junger Menschen mit Migrationshintergrund öfter abgelehnt werden? Diese Leseart wird durch Untersuchungen gestützt, die zeigen, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund beim Übergang Schule-Beruf häufig Diskriminierungen erfahren – vor allem Jugendliche türkisch-arabischer Herkunft (Enggruber/Rützel 2014), was im Kontext des zunehmenden antimuslimischen Rassismus zu interpretieren ist. Hier stellt sich die Frage: Werden hinter den Ablehnungen stehende, mehrheitlich nicht reflektierte Zuschreibungen, die zu diskriminierendem Verhalten führen können, überhaupt sichtbar?

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Deutlich zeigt sich, dass fehlendes Diversitätsbewusstsein dazu beiträgt, dass Lebenslagen nicht umfassend betrachtet, Rassismuserfahrungen nicht gesehen oder kulturalisierend ‚wegerklärt‘ werden und Teilhabechancen sogar schlechter sein können, obwohl Soziale Arbeit doch soziale Gerechtigkeit befördern sollte.

3. Perspektive Disability Studies Der Perspektive der Disability Studies folgend werden Menschen mit Behinderung nicht mehr als „fremdbestimmte Objekte“ sondern als „handlungsfähige Subjekte“ wahrgenommen. Im Bereich der Sexualität von Menschen mit „kognitiven“ oder „Schwerstmehrfach-Behinderungen“ kann eine diversitätsbewusste Perspektive helfen, die Differenzkategorien Sexualität und Behinderung mit der Wahrung der Menschenwürde zu verbinden. Hierzu werden im Folgenden Bedingungen, Bedeutungen und Begründungen dieses Themenkomplexes reflektiert. Menschenwürde wird rechtlich durch die internationalen Menschenrechtskonventionen gesichert. Die UN-Behindertenrechtskonvention soll Partizipation von Menschen mit Behinderungen ermöglichen, auch im Zusammenhang mit Sexualität (Artikel 22/23). Auf nationaler Ebene gewährleisten die Sozialgesetzbücher Grundlagen für die Möglichkeit der Ausgestaltung eines selbstbestimmten Lebens von Menschen mit Behinderungen. Insofern haben sie Anspruch auf sexuelle Aktivität, was Anträge auf Sexualassistenz ermöglicht (Dahm/Kestel 2012: 1f.), wobei aus einer Auswertung der bisherigen Rechtsprechung hervorgeht, dass bis dato solche Leistungsanträge mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt werden (ebd.: 2f.). Neben gesetzlichen Bestimmungen hängen die Bedingungen für eine selbstbestimmte Sexualität von Menschen mit Beeinträchtigungen von Gegebenheiten der Einrichtungen der Behindertenhilfe ab. Dass (sexuelle) Übergriffe auch auf institutionelle Gewaltverhältnisse zurückzuführen sind, wird selten systematisch reflektiert. Als Beispiel sei hier ein aktueller Fall aus der Praxis einer Studentin der Sozialen Arbeit angeführt: „Ein Mitte dreißigjähriger Mann lebt in einer Komplexeinrichtung für Menschen mit Behinderungen. Er hat eine Mehrfachbehinderung, und es fällt ihm schwer, sich verbal zu äußern. Weil das Risiko besteht, dass er sich nachts selbst verletzen könnte, wird er im Bett an Beinen, Armen und Becken fixiert. Er trägt Tag und Nacht eine Windel. Auffällig ist, dass er bei weiblichen Betreuerinnen schnell die Hand zu deren Gesäß führt und sie anlächelt. Er zeigt oft Frustrationen; ihm ist anzusehen, dass er mit dieser Situation unzufrieden ist. Aufgrund fehlender Konzepte und mangelndem

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Wissen der Fachkräfte konnte noch nicht auf seine – sexuelle – Selbstbestimmung eingegangen werden.“ (Praxisbericht DHBW 2017, unveröffentlicht).

Eine institutionelle Positionierung hängt jedoch nicht nur von gesetzlichen Bedingungen wie richterlichen Beschlüssen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen, medizinisch-therapeutischen Erfordernissen sowie etablierten Arbeitsweisen und Leitbildern ab, sondern auch von den unterschiedlichen Argumentationslinien der Diskurse um Sexualität und Behinderung. Sie umfassen sowohl sexuelle Übergriffe, die Menschen mit Behinderung erleben, als auch Übergriffigkeiten von ihnen selbst; gleichzeitig geht es um ihr Recht auf das Ausleben von Sexualität. Prinzipiell ist die Reform des Sexualstrafrechts (§177 StGB) für Personen mit schweren Beeinträchtigungen von großer Relevanz, da der Wille der Betroffenen nun stärkeres Gewicht erhält: „Nein heißt Nein“ (Deutscher Bundestag 2016). Sexuelle Handlungen gegen den Willen der Opfer können strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn von diesen kein aktiver Widerstand geleistet werden kann (Louis 2016). Offen bleibt jedoch, warum von Seiten der Opfer Widerstand geleistet werden muss, um strafrechtliche Konsequenzen zu bewirken. Hier erscheint das Heranziehen des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen sinnvoll. Dort ist formuliert: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr […]) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person […] erteilt werden.“ (ebd.: o.S.). Mit dem Diskurs um freie Willensbildung bei Menschen mit Beeinträchtigungen läuft parallel eine Debatte um sexuelle Selbstbestimmung (vgl. ausführlicher Sauer/Teubert 2017). Aus Studien (z.B. Fegert et al. 2006) lässt sich ableiten, dass eine Grundvoraussetzung für Prävention von Gewalt bei Menschen mit ‚kognitiven Beeinträchtigungen‘ sein muss, diesen Möglichkeiten der Artikulation zugänglich zu machen, die dafür sorgen, dass sie Gehör finden und auf individueller, institutioneller und struktureller Ebene Resonanz auslösen. Einen eigenen Willen zu haben und zu äußern ist aus der Perspektive vieler Menschen mit ‚kognitiven‘ und ‚schweren‘ Beeinträchtigungen noch nicht selbstverständlich. Die oft lebenslange Angewiesenheit auf professionelle und private Betreuung kann zu einem Verlust der Subjektivität führen. Diese Ansicht wird v.a. von den Disability Studies betont, die kritisieren „dass die Erfahrung von (Ver-)Objektivierung mit der Erfahrung von Behinderung allzu häufig eng verknüpft ist“ (Waldschmidt 2007: 124f.). Diese Beschränkung der Selbstbestimmung lässt sich aus der historischen Tradition der Anstalten nachvollziehen: Goffman (1996) veröffentlichte 1961 „Asyle“, eine Studie über Wohn- und Arbeitseinrichtungen für „psychiatrische Patienten und andere Insassen“, die er als totale Institutionen bezeichnete. „Die totale Institution ist insofern undurchlässig für Einflüsse der Außenwelt, als in ihr kein ‚normales‘ Verhalten anerkannt wird: Alles was der Insasse von sich aus tut, kann als Symptom seiner Abweichung gewertet werden“ (ebd.: 69).

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Sogenannte Verhaltensauffälligkeiten von institutionalisiert lebenden Menschen, die sich z.B. in verschiedenen Formen von Aggression oder sexuell übergriffigem Verhalten zeigen können, sind demzufolge eine ihrem eingeschränkten subjektiven Möglichkeitsraum eigentlich angemessene Reaktion und stellen einen Ausdruck von Bewältigungshandeln in Situationen dar, die von den Betroffenen selbst als existentiell bedrohlich oder übergriffig erlebt werden. Dies zeigt das folgende Beispiel aus dem Praxisbericht einer Studentin der Sozialen Arbeit: „Die tägliche Pflege im Bad löst bei einem älteren Heimbewohner regelmäßig heftigen Widerstand aus. Zwar benötigt er Unterstützung, kann diese aber kaum aushalten. Im Rahmen kontinuierlicher therapeutischer Arbeit konnten traumatische Erlebnisse aus der Anstaltszeit ausgemacht werden, in der ein sogenanntes ‚Deckelbad‘ als Sanktionsmittel genutzt wurde, in das ‚Insassen‘ über Stunden in entweder heißem oder kaltem Wasser eingesperrt wurden. Diese massiven Grenzüberschreitungen wurden nicht als solche (an-)erkannt und der Bewohner war ihnen völlig ausgeliefert. Seine Tendenz, sich heute der Hygiene entziehen zu wollen, kann mit Blick auf verletzte Menschenwürde als normale Reaktion gesehen werden. Gemeinsam mit den Sozialarbeitenden konnte erarbeitet werden, dass er grundsätzlich nicht baden muss und beim Duschen selbst die Brause in die Hand bekommt, auch wenn er sich dann nicht so gründlich reinigen kann wie Hygienestandards dies vorsehen würden.“ (Praxisbericht DHBW 2016, unveröffentlicht).

Diese Problematisierung kann im Kontext der Aufarbeitung von Grenzverletzungen, psychischer und körperlicher Gewalt in Institutionen gesehen werden, die aktuell insbesondere von kirchlichen stationären Einrichtungen verfolgt wird (z.B. Gmür 2017, Keupp et al. 2017). Mit Bezug auf eine professionelle Soziale Arbeit in diesem Bereich ist hierbei zentral, dass ‚auffälliges‘ Verhalten von Klient_innen vor dem Hintergrund lebensweltlicher Ausschlüsse diversitätsbewusst von Sozialarbeitenden zu reflektieren ist.

4. Perspektive Gender Studies Die Gender Studies verfügen über eine lange Tradition der Analyse hierarchischer Verhältnisse und Herstellung von Differenz. Dabei ist „Gender als wissensgenerierende und (wissens-)kritische Kategorie“ (Hark/Dietze 2006: 10) zu verstehen, die eine Analyse von sozialen Geschlechterverhältnissen, historisch gewordenen, normativen Geschlechterordnungen sowie Geschlecht als Identitätskategorie ermöglicht. Wesentliches Anliegen ist es, die Ontologie von Geschlecht in Frage zu stellen. Gleichzeitig werden geschlechterhierarchische Arbeitsteilungsmuster und Vergesellschaftsformen untersucht. Damit

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wird sowohl eine Infragestellung binärer Geschlechterformierung vorangetrieben als auch die Notwendigkeit einer binären Differenz zur Untersuchung geschlechtshierarchischer Effekte reifiziert. Auch die Debatte um Menschenrechte als Frauenrechte verweist auf dieses Dilemma. Bereits die geschlechtsneutrale Formulierung „all human beings are born free and equal in dignity and rights“ wurde anstatt des generischen maskulinum „all men are (…) created equal“ mit Hilfe einer feministischen Intervention erreicht. Die spezifischen Diskriminierungen, die im Privaten und bezogen auf den weiblichem Körper stattfinden, konnten erst durch die Formulierung von Menschenrechten als Frauenrechten aufgegriffen werden (siehe Beitrag Prasad in diesem Band). Gleichzeitig ist mit diesen Inventionen die Gefahr einer erneuten Essentialisierung und binären Zuschreibung von Gender verknüpft. Bezogen auf Soziale Arbeit formuliert Rose dieses Dilemma wie folgt: „In dem Moment, in dem ich sage ‚Ich kann mit Mädchen und Jungen gleich gut umgehen, ich mache keine Unterschiede‘, verschwindet das Geschlechterthema. Gerade das Bewusstsein von Unterschieden und damit auch das Bewusstsein, selbst Unterschiede zu machen, ist Merkmal von Professionalität geschlechterbewusster Pädagogik, nicht aber die ‚Fähigkeit‘, keine Unterschiede zu machen.“ (Rose 2011: 355) Es sind vor allem die Arenen von Bildung und Erziehung, in denen immer wieder und aufs Neue die Re-Naturalisierung von Geschlechterdifferenzen versucht wird, auch (oder gerade) weil sie im Alltag zunehmend an Plausibilität verlieren. Zwar wird die Gleichberechtigung der Geschlechter kaum mehr in Frage gestellt, im pädagogischen Alltag lassen sich jedoch ständig und in gewisser Hinsicht auch zunehmend, geschlechterbetonende Adressierungen und Etikettierungen rekonstruieren (Nentwich 2014). Dies betrifft nicht nur die immer deutlicher grassierende, ökonomisch einträgliche Dopplung von Kinderkleidung und Spielwaren in rosarote und blaue Sphären, auch die Debatten zur „boys crises“ (Fegter 2012) haben eine Dramatisierung von Geschlechterdifferenzen befördert, etwa in der Forderung nach Unterrichtsmaterialien, die den affirmativ gesetzten Interessen von Jungen entgegen kämen. Das Dilemma der (Ent-)Dramatisierung von Geschlechterdifferenz wird potenziert durch die Berücksichtigung weiterer Kategorien der Differenz. Die langjährigen Debatten um Ausschlüsse und Herstellung von hegemonialen Konzepten innerhalb feministischer Diskurse, die auch die Gender Studies hervorgebracht haben, reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück (Gerhard et al. 1990). Gegenwärtig wird das von Kimberlé Crenshaw (1991) formulierte Konzept der Intersektionalität breit in den Gender Studies rezipiert. Differenzen innerhalb einer Genus-Gruppe werden damit sichtbar und analytisch zugänglich als „kombinierte Effekte von Diskriminierungspraktiken“ (Crenshaw 2010: 38f). Mit diesem komplexen theoretischen Konzept von Gender kann auch eine Perspektive von Geschlechtergerechtigkeit entwickelt werden, die sich nicht

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auf simplifizierende und reifizierende Geschlechtervorstellungen bezieht. Vielmehr gilt es, Geschlechtergerechtigkeit im Kontext einer mehrdimensionalen Geschlechterordnung zu konzipieren (Pimminger 2012). Auf der Mikroebene bedeutet dies etwa, Geschlecht als wesentliche Identitätskategorie in Frage zu stellen, in pädagogischen Interaktionen eher eine Ent-Dramatisierung von Geschlecht zu unterstützen sowie Identifikationsmöglichkeiten jenseits naturalisierter Zweigeschlechtlichkeit anzubieten. Auf der strukturellen Ebene der Geschlechterverhältnisse (Meso-Ebene) sind institutionelle Regelungen gleicher Chancen und Ressourcenverteilung in bspw. Erziehung und Bildung, ebenso im Erwerbssystem vorzusehen. Bedeutsam im Hinblick auf die symbolische Dimension der Geschlechterordnung (Makro-Ebene) bleibt die Kritik an binären Geschlechtermustern und einer hierarchisch, heteronormativen Begehrensordnung.

5. Fazit: Diversitätsbewusstsein und Menschenrechte als fachliches Grundwissen Die Perspektiven weisen darauf hin, dass soziale Probleme im Sinne des fachlichen Mandates mit Blick auf einzelne Menschen und ihrer Verstrickung in strukturelle Machtverhältnisse und hiermit einhergehende Benachteiligungen zu analysieren und zu bewerten sind (Staub-Bernasconi 2012: 271ff.) – mit dem Ziel gleichen moralischen Respekt und Schutz vor Diskriminierung für Menschen einzufordern. Vorgeschlagen wird die Einnahme einer intersektionalen Perspektive, wenn es um die Vermeidung von Diskriminierung geht. Hier gilt es, die Entwicklung einer besonderen Aufmerksamkeit für Differenzkategorien zu fördern, insbesondere im Hinblick auf die sozialen Platzanweiser Behindertenfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie und ihre verschränkten, strukturell verankerten und machtvollen Wirkungen bezüglich Teilhabechancen an Funktionssystemen. Demzufolge ist es mit Blick auf die Ebenen professioneller Kompetenz von Haltung, Wissen und Können (Spiegel 2006) bedeutsam, Diversitätsbewusstsein im Curriculum Sozialer Arbeit zu verankern, damit soziale Probleme umfassend reflektiert werden können. Dies ist im Kerncurriculum Sozialer Arbeit der DGSA bereits angelegt (Der DGSA-Vorstand 2016). Besonders wichtig ist dabei die Förderung einer diversitätsbewussten Haltung, die sensibel ist für gruppenbezogene Zuschreibungen und Diskriminierungen, ohne Menschen auf eine Differenzlinie festzulegen, und vereinheitlichende Kategorisierungen als Grundlage von Privilegien und Benachteiligungen (Smykalla 2016: 232) identifiziert. Grundlegend hierfür ist ein Zusammenhangswissen zu Geschlechterverhältnissen, Geschlechterordnung, Migration und Rassismus,

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Disability und Impairment im Kontext von Stereotypisierung und Diskriminierung als Mechanismen sozialer Ungleichheit. Menschenrechte als normativer Rahmen in intersektionaler Perspektive sind damit eine wesentliche Basis für methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Das bestehende Dilemma zwischen der Zurückweisung (hierarchischer) Differenzzuschreibungen und der Reifizierung von Differenzkategorien im Umgang mit Zielgruppen bleibt eine Herausforderung für (selbst-)kritische Handlungsfähigkeit in der Sozialen Arbeit.

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Dekolonialisierung des Wissens: Indigenes Wissen, Menschenrechte und Soziale Arbeit Dekolonialisierung des Wissens Nausikaa Schirilla

Die von den internationalen Verbänden IFSW (International Federation of Social Workers) und IASSW (International Association of Schools of Social Work) verabschiedete aktuelle Definition Sozialer Arbeit nennt neben der Wissenschaft der Sozialen Arbeit auch indigenes Wissen als Referenz einer Profession und einer Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Der Begriff indigenes Wissen wird im Kontext Sozialer Arbeit unter vielerlei Perspektiven betrachtet. In diesem Beitrag möchte ich den Begriff indigenes Wissen in den Kontext der Dekolonialisierung des Wissens stellen und daraus Bezüge zur Menschenrechtsdebatte herstellen. Indigenes Wissen wird in der Literatur zu internationaler Sozialer Arbeit in unterschiedlichen Akzentuierungen gebraucht. Zum einen wird indigenes Wissen als Form der Vermittlung oder Anpassung modernen, westlichen Wissens von Methoden oder Konzepten Sozialer Arbeit an lokale, regionale oder kulturelle Kontexte vor allem in den Ländern des globalen Südens verstanden (vgl. Rehklau/Lutz 2007: 44). Dabei ist es wichtig, dass Adaption als mehrdirektionaler Prozess verstanden wird, also auch als Integration lokalen kontextbezogenen Wissens in den Wissensbestand Sozialer Arbeit. Die Aufnahme des lokalen Wissens in die Definition der Sozialen Arbeit führt zu einer Änderung des Gesamtkanons der Sozialen Arbeit in Ausbildung und Praxis. In einer zweiten Akzentuierung wird der Begriff indigenes Wissen im Kontext indigener Sozialer Arbeit oder Sozialer Arbeit des Südens als autochthones und damit als überliefertes regionales, kulturelles oder traditionelles Wissen lokaler oder indigener Communities zur Lösung sozialer Probleme verstanden (vgl. Straub 2012). Aus der Berücksichtigung und Akzeptanz von traditionellen Problemlösungsstrategien folgt auch deren Aufnahme in den Mainstream der Sozialen Arbeit. Dieses Verständnis indigenen Wissens basiert auf Prozessen, in denen angesichts der Fortdauer von Unterdrückung und Ausbeutung und aufgrund des wachsenden Selbstbewusstseins kolonialisierter Länder und indigener Gemeinschaften die Kritik an einem Import Sozialer Arbeit des Westens dazu führte, sich auf eigene Traditionen und Praktiken zu besinnen. Dieser Akzent bezieht sich primär auf die jeweiligen Wissensbestände vor Ort. Indigenes Wissen umfasst in diesem Kontext neben Wissen auch Erfahrungen, Vorstellungen oder Praktiken, die der Regelung des sozialen Zusammenlebens und dem Umgang mit Störungen, Herausforderungen

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oder Problemen im sozialen Zusammenleben dienen. Der Begriff indigenes Wissen setzt einerseits die organisierte Existenz indigener Gemeinschaften wie beispielsweise von First Nations, Aborigines oder indianische Communities voraus sowie entsprechende Formen der Überlieferung von Wissen. Indigenisierte oder indigene Soziale Arbeit kann auch allgemein als Soziale Arbeit im Kontext von Gesellschaften des globalen Südens begriffen werden. Beispiele für Bereiche, für die traditionelle oder indigene Formen der Problemlösung benannt werden, sind einmal das Verhältnis von individueller, fallbezogener und letztlich systemkonformer Hilfe zu gesellschaftspolitisch orientierten Ansätzen, wie der der Sozialen Entwicklung (vgl. Straub 2012). Weitere Konzepte, in denen sich Unterschiede zeigen, sind solche, die weniger auf das Individuum ausgerichtet sind, sondern eher gemeinschaftsbezogen oder an sozialen Beziehungen orientiert sind. Diese Konzepte nutzen das Potential von Netzwerken oder Gemeinschaften und sehen das Individuum nicht als isoliertes, von der Gemeinschaft losgelöstes Wesen (vgl. Straub 2012). Viele dieser indigenen Konzepte weisen Parallelen auf mit systemischen Ansätzen etablierter Sozialer Arbeit oder haben, wie beispielsweise das auf Aborigine Gemeinden zurück gehende Konzept der Familienkonferenz, Einzug in die westliche Soziale Arbeit gefunden (ebd.). Der Rekurs auf Konzepte aus unterschiedlichen kulturellen und philosophischen Kontexten wirft einige theoretische Fragen auf, die die Universalität von Konzepten und Normen, den Wissenschaftsbegriff etc. betreffen, vor allem, wenn es um die Wissenschaft der Sozialen Arbeit gehen soll. Hier ist zu betonen, dass der Begriff des indigenen Wissens auch als Kolonialismuskritik entstanden ist und daher eine politische Dimension hat. Es geht um Konzepte aus dem Kontext kolonialer Herrschaftskritik und um die Suche nach anderen, dieser Herrschaft entgegengesetzten Konzepten. Um die Debatte zu den theoretischen Implikationen führen und die in ihnen enthaltenen Kontroversen diskutieren zu können, wird sich hier auf den Begriff der „Dekolonialisierung des Wissens“ (Walter Mignolo) bezogen, denn die Debatte um indigenes Wissen muss auch in den Kontext der Dekolonialisierung gestellt werden.

1. Indigenes Wissens als Kolonialismuskritik Den Ausgangspunkt dekolonialer Ansätze, der lateinamerikanischen Variante des postkolonialen Denkens, bildet die Erkenntnis, dass der Kolonialismus als Entstehung einer „globalen Machtmatrix“ zu begreifen ist, die heute noch wirksam ist. In dieser Matrix ist die Dominanz europäisch geprägten Denkens im Sinne einer epistemischen Vorherrschaft zentral, wie Anibal Quijano und

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Walter Mignolo ausführen (vgl. Mignolo 2012; Quintero/Garbe 2013). Dekoloniale Ansätze betonen, dass das koloniale Wissen, also modernes westliches oder europäisches Wissen in cartesianischer Nachfolgewie im Kontext von Naturwissenschaft und Technik auch materielle Entwicklung versprach und ein an Demokratie gekoppeltes Emanzipationsversprechen enthielt. Alternative Denkweisen und Lebensformen (oder auch deren Mischformen) wurden verdrängt. Westlich geprägtes Wissen behält auch nach der Unabhängigkeit von den Kolonialstaaten seine Gültigkeit und Heilsversprechen. Mignolo (und viele andere Theoretiker_innen auch) gehen davon aus, dass Modernität, Kolonialität und Unterdrückung miteinander verbunden sind (vgl. Mignolo 2012; Saal 2013; Vazquez 2012). Sie stellen Zusammenhänge zwischen dem Denken der europäischen Moderne, den Phänomenen des Kolonialismus sowie der Kolonialität als Fortdauern der kolonialen Verhältnisse nach der Unabhängigkeit fest und konstatieren eine epistemische Dominanz des westlichen Denkens. Zentrale Folge dieser epistemischen Dominanz ist vor allem die Abwertung von nicht westlichen Denkweisen, solcher Denkweisen also, die nicht auf der Subjekt-Objekt, Mensch-Natur, Individuum-Gesellschaft Spaltung beruhen. Alternative Diskurse oder Wissen von marginalisierten Gruppen werden als nicht relevant angesehen. Andere postkoloniale Theoretiker_innen betonen die Bedeutung der Menschenrechte und der europäischen Aufklärung zur Legitimierung des kolonialen Projekts (vgl. Dhawan 2014). Die postkoloniale Debatte hat auch mit dem Begriff der „entangled modernities“, also der verflochtenen Modernen, Begrifflichkeiten gefunden, die ausdrücken, dass in kolonialen Gesellschaften die Moderne längst Einzug gefunden und sich mit dem vorkolonialen Denken vermischt hat (vgl. Conrad/Randeria 2002). Aber auch diese Ansätze werden vom herrschenden Denken nicht anerkannt. Vor allem auf der epistemischen Ebene dauert die Privilegierung einer spezifischen Form des Wissens als generelles Wissen und die Degradierung anderer Formen des Wissens, Denkens und der Erklärung von Natur und Gesellschaft als unwissenschaftlich und daher als primitiv oder unterentwickelt an. Wissenskritik aus einer kolonialismuskritischen Perspektive wird in verschiedenen Kontexten von vielen Theoretiker_innen geleistet, immer mit der Zielrichtung der Kritik der epistemischen Dominanz, wenn auch mit verschiedenen Begründungen und unterschiedlichen, teilweise sehr affirmativen Formen des Rekurses auf autochthones oder traditionelles Wissen (vgl. Davies et al 1993). Ich folge hier dem Diskurskontext um Quijano und Mignolo, da sie indigenes Denken explizit erwähnen. Beide betonen, dass diese Kritik an der Moderne und die Privilegierung des naturwissenschaftlichen Denkens bereits auch in zahlreichen innerwestlichen Debatten geleistet wurden, wie beispielsweise in der Frankfurter Schule und dem Poststrukturalismus. Quijano und Mignolo heben hervor, dass das westliche Denken sehr vielfältig und differenziert ist und die Kritik an seiner Dominanz auch aus sich selber hervorgebracht

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hat. Mignolo und andere postkoloniale Autoren neigen dennoch dazu, von DEM westlichen Denken oder DER Moderne zu sprechen sowie DAS koloniale Wissen zu beschreiben und damit eine Einheit zu konstruieren, die kritisch zu sehen ist. Unabhängig von dieser Kritik möchte ich der Zielrichtung ihrer Argumentation (und ihrer Diktion) folgen, nämlich die Allianz eines spezifischen Wissens mit der kolonialen Macht und der Ausgrenzung anderer Wissensformen und auch normativer Konzepte als Folge zu analysieren. Quijanos Konzept der Kolonialität der Macht beinhaltet nicht nur, dass mit dem Kolonialismus bestimmte Communities zerstört worden sind, sondern dass auch deren Wissen und deren Vorstellungen von einem guten Leben vernichtet wurden.

2. Dekoloniales Grenzdenken Mignolo setzt dem dominanten Wissen dekoloniale Optionen entgegen. Diese dekolonialen Optionen sind ihm zufolge aus Wissens- und Lebensformen zu entwickeln, die von der globalen Machtmatrix bekämpft oder ignoriert wurden. Aktuelle Beispiele dieser dekolonialen Optionen sind indigene Gesellschafts- und Naturvorstellungen oder die Ansätze der zapatistischen Revolution in Chiapas (vgl. Vazquez 2012). Die Wiederentdeckung oder Reartikulation dieses Wissens stellt einen Ansporn dar, der auch für sozialarbeiterisch relevantes Wissen Folgen hat. Es bedeutet, nicht akademisierte Wissensformen zu rekonstruieren, in denen andere, unterdrückte und alternative Praktiken, Konzepte der Gerechtigkeit und Lebensformen zum Ausdruck kommen. Vor dem Hintergrund der Kritik an der Ausgrenzung von Wissensformen argumentieren Mignolo und andere, dass koloniales und imperiales Wissen kritisch hinterfragt und überwunden werden muss. Tlostanova und Mignolo nennen diesen Prozess: „Learning to unlearn in order to relearn“ (Tlostanova/ Mignolo 2012: 13). Mignolo spricht auch von einem „Grenzdenken“ (borderthinking) und von „Grenzepistemologie“. Das von ihm entworfene neue Denken ist insofern Grenzdenken, als es ein Denken an oder über die Grenzen des ,Zulässigen‘ darstellt – mit Zulässigem ist hier dominantes (z.B. lineares, instrumentelles, objektivierendes) Denken gemeint (vgl. Mignolo 2012). Die dekoloniale Perspektive fragt nach neuen oder anderen Formen der Kritik und des Widerstands gegen das eurozentrische Projekt der Moderne. Mignolo begreift das Grenzdenken als Antwort subalterner oder marginalisierter Gruppen auf die emanzipatorische Rhetorik der Moderne mit ihrem Monopolanspruch, die aber de facto neue Unterdrückungsformen (nicht nur) für diese sozialen Gruppen mit sich bringt. Damit wendet sich Mignolo nicht gegen einen emanzipatorischen Anspruch, sondern stellt lediglich den Monopolanspruch der

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westlichen Moderne auf Emanzipation, Humanität etc. in Frage. Es geht nicht um das Aufgeben, sondern um eine Neudefinition von emanzipatorischen Ansprüchen aus der Perspektive der davon Ausgeschlossenen. Das dekoloniale Wissen speist sich damit auch aus den Erfahrungen kolonialer subalterner Subjekte. Als Wissen ‚an der Grenze‘ oder ‚jenseits‘ der Grenze stellt es eine hybride Form von Wissen dar und entzieht sich den dichotomen Zuordnungen wie modern oder traditionell. Zentral an diesem Prozess ist für Mignolo, dass diese Wissensproduktion von den durch die koloniale Machtmatrix Degradierten selbst ausgehen muss. Es soll nicht die Aufgabe westlicher akademischer Institutionen sein, diese Wissensbestände zu erforschen, sondern die Aufgabe besteht darin, denen zuzuhören, die dies leisten und das im dominanten Sinne nicht wissenschaftlich begründete Wissen als Wissen anzuerkennen. Im Kontext der Dekolonialisierung des Wissens wäre indigenes Wissen Grenzdenken. Was bedeutet das also für die westliche akademische Lehre und Wissensproduktion in der Sozialen Arbeit? Es bedeutet zunächst eine Selbstreflexion im Sinne der Infragestellung des ‚Monopols‘ der Definition von Wissen sowie die Hinterfragung erkenntnistheoretischer Setzungen, die als Voraussetzung für die Wissensproduktion Sozialer Arbeit fungieren, zu leisten. Daraus folgt eine Bescheidenheit wissenschaftlicher Ansprüche und auch emanzipatorischer oder demokratischer Selbstgerechtigkeit in dem Sinne, dass nur ‚unsere‘, also bestimmte Modelle vom Menschen, der Demokratie etc. befreiend seien. Rolando Vazquez spricht hier von der Notwendigkeit des akademischen Establishments humble, also bescheiden zu werden und auf Denk- und Lösungsansätze jenseits der westlichen akademischen Grenzen zu hören (vgl. Vazquez 2012). Eine weitere Folge ist die Sensibilität für ausschließende Praktiken in unserer westlichen akademischen Wissensproduktion und Lehre. In einer dekolonialen Perspektive ist ständig zu fragen, wer produziert Wissen, was wird als Wissen anerkannt, wer darf überhaupt von Wissen sprechen?

3. Pluralisierung von Wissensformen Zentrale Konsequenz dieses Ansatzes ist letztlich eine Pluralisierung von Wissensformen und auch von emanzipatorischen Ansprüchen, die einer Dezentrierung Europas gleichkommt. Im Kontext Sozialer Arbeit würde es bedeuten, andere Wissenstraditionen und Praktiken als relevant für Konzepte und Methoden Sozialer Arbeit anzuerkennen, wie beispielsweise das in Südafrika viel rezipierte Konzept des ubuntu, in dem Verbindungen zwischen Subjekten und das Gemeinschaftliche zentral sind (vgl. Bimsbergen 2002). In eine ähnliche

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Richtung gehen Konzepte des gesellschaftlichen Zusammenhalts oder des Helfens, die auf Menschenbildern basieren, in denen weniger Autonomie, sondern eher Relationalität im Zentrum steht (vgl. Vazquez 2012). Diese sind zu thematisieren, nicht, weil sie gut sind oder weil sie für „uns“ auch nützlich sind, sondern weil sie gedacht werden. Daraus folgt, neue Episteme, „andere“ Konzepte des Menschen, der Natur (Spiritualität etc.) anzuerkennen. Es geht um die Rezeption anderer Wissensformen als gleichwertig, potentiell universalisierbar und auch als Gegenstand unserer Lehre! Als Beispiel sei ein Beitrag von Vazquez zu dem aktuell viel rezipierten andinen Konzept des Buen Vivir genannt (Vazquez 2012). Buen Vivir umschreibt eine Lebensform, die auf einem realen und spirituellen Ausgleich von Natur, Gesellschaft, Kosmologie und Generationen beruht. Vazquez verortet Buen Vivir als eine Idee jenseits der dominanten europäischen Traditionen, also außerhalb der Modernität, die in andinen Kosmologien verankert ist. Für diese Kosmologien sind Konzepte der Relationalität zentral. Diese Relationalität ist sowohl sozial, temporal, spirituell und kosmisch zu verstehen und in ihrem Zeit- und Raumbegriff westlichem Denken diametral entgegengesetzt. Ein Denken, das diese Kosmologien einbezieht, stellt Vazquez zufolge ein bescheidenes Denken dar, insofern als es anderes als das moderne Denken als mögliche Grundlage für das Welt- und Menschverstehen annimmt und Denkansätze, die lange jenseits des Selbstverständnisses der Moderne lagen, integriert und zwar nicht als das exotische Andere, sondern als ernstzunehmenden Entwurf (Vazquez 2012). Daher kommt Vazquez zu dem Fazit, dass eine Auseinandersetzung mit den Konzepten des Buen Vivir nicht bedeutet, Buen Vivir als Konzept zu übernehmen, sondern dass es eher um das Zuhören geht: „…we seek to listen.“ (ebd.). Die Dekolonialisierung des Wissens wirft im internationalen Kontext einige Fragen auf: Um welches Wissen geht es überhaupt beim Grenzdenken, was macht Wissen aus? Die Verortung jenseits dominanten Wissens, sagt noch nichts darüber aus, ob Wissen adäquat oder inadäquat ist. Wer rekurriert wie auf welches Wissen? Diese Fragen werden auch im Kontext ‚dominanter‘ Debatten gestellt, z.B. über evidence based knowledge – es handelt sich also durchaus um translokale Fragestellungen. Es entstehen aber auch neue Fragen: Brauchen wir einen globalen Dialog oder Polylog darüber, was Wissen auszeichnet? Was zeichnet es aus – Stringenz, Systematik, Reflexivität oder der Nutzen oder vielleicht alles zusammen? Wenn der kolonialismus- und erkenntniskritische Impetus dieser Ansätze ernst genommen wird, können diese Debatten nicht als klassische wissenschaftstheoretische Debatten geführt werden, sondern es müssen neue Formen der Verständigung oder auch neue Modelle der Koexistenz von Denkformen gesucht werden.

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Eine weitere zentrale Frage, die sich stellt, ist die Frage nach der Universalität. Kann eine wissenschaftliche Gemeinschaft oder eine Disziplin damit leben, dass verschiedene „Universalismen“ neben einander bestehen, gibt es Überschneidungen, wie sind diese denkbar? Wichtig ist im Kontext der Dekolonisierung des Wissens, dass epistemische Grenzen dessen, was überhaupt als Wissen in Frage kommt, überwunden werden. Nach Mignolo geht es hier vor allem um den epistemischen Bruch, um die Überwindung der Grenzen von Modernität und modernem Wissen. Als ein Beispiel für eine Theorieproduktion, die mit sich überschneidenden Universalismen arbeitet, sei ein Aufsatz erwähnt, den Vazquez zusammen mit Rosalba Icaza verfasst hat (Icaza/Vazquez 2013). Es geht hier um Überschneidungen in unterschiedlichen epistemischen Ordnungen. Die Autor_innen vergleichen die zapatistische Bewegung in Chiapas/Mexiko und die Proteste gegen die WTO in Seattle/USA 1999. Dabei begreifen sie soziale Bewegungen als epistemische Kämpfe in dem Sinne, als diese nicht nur Reaktionen auf Unterdrückung und Ausgrenzung darstellen. Ein Verständnis sozialer Bewegungen als Reaktion auf Unterdrückung stellt ihnen zufolge ein mechanistisches, lineares, kausales Denken dar. Soziale Kämpfe sind – so argumentieren beide – eher als epistemische Kämpfe im Sinne der Sprengung von Deutungsmustern und als Entstehung neuer Erfahrungsräume und Kreation neuen Wissens zu verstehen (vgl. Icaza/Vazquez 2013). Dabei betonen sie zur Erklärung der Proteste in Seattle, dass nach langen Jahren des neoliberalistischen Credos (TINA –There is no Alternative) Aktionen und Demonstrationen gegen die herrschende Welthandelsordnung organisiert wurden, die von vielen Alternativen sprachen (ebd: 14). Diesen Prozess des Überwindens der lähmenden Alternativlosigkeit erklären die beiden mit Hannah Arendts Begriff des politischen Handelns als Bruch, als unkalkulierbar und unvorhersehbar und damit bezeichnen sie die Proteste als epistemischen Bruch. Die zapatistische Bewegung wiederum beruht auf indigenen, traditionellen Formen von sozialer Organisation und des Wirtschaftens und adaptiert diese für die Gegenwart. Sie stellt auch einen epistemischen Bruch sowohl mit konservativer Revolutionspolitik, Entwicklungsrhetorik als auch linker Mobilisierung dar. Vazquez und Icaza begreifen diese epistemischen Kämpfe mit Mignolos Konzept des dekolonialen Denkens als Suche nach anderen Konzepten der Moderne und sozialer Gerechtigkeit: ,, […] bringing together these different traditions of critique is a key analytical step to move beyond onesided universalisms into forms of argumentation that are built on the possibility of dialogue across a plurality of epistemic locations. This is a modest move in the muchneeded search for epistemic justice.“ (Icazan/Vazquez 2013:17). So bezeichnen die Autoren beide Bewegungen mit völlig unterschiedlichen Weltsichten als Versuche, einen epistemischen Bruch zu vollziehen und denken so verschiedene Universalismen nebeneinander.

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4. Zwischenfazit Ich möchte als Zwischenfazit festhalten, dass die Frage nach indigenem Wissens im Kontext der Dekolonisierung des Wissens bedeutet, in der Theorieproduktion Gerechtigkeit herzustellen. Es geht nicht darum, kultursensible Wissensformen zu finden oder kulturell ‚Andere‘ als Träger alternativer Konzepte zu feiern. Es geht auch nicht darum, von ‚Anderen‘ zu lernen, sondern es geht darum, neue Räume jenseits dominanter Wissensstrukturen aus der Perspektive der von ihnen Ausgegrenzten zu eröffnen und damit dominante Diskurse zu dezentrieren. In diesem Sinne ist indigenes Wissen kein kulturelles Wissen in einem affirmativen Sinne, sondern kritisches Wissen. Der Rekurs auf indigenes Wissen im Kontext Sozialer Arbeit bedeutet daher (frei nach Dipesh Chakrabarty) den Korpus des Wissens der Sozialen Arbeit zu provinzialisieren (Chakrabarty 2008), d.h. die Bedeutung europäischen Wissens zu begrenzen und auf andere Regionen der Erde als Wissensproduzenten zu hören. Da sozialarbeiterisches Wissen überwiegend in Europa entstanden ist, bedeutet dies, sozialarbeiterisches Wissen zu dezentrieren, auf Produzenten anderen Wissens zu hörenund eine Vielfalt von Wissen neu zu denken. Rolando Vazquez nennt diesen Prozess “Zuhören als Kritik“: ,,Listening as critique is not the artifice of a critique that judges and prescribes a utopia, nor the arrogance of a critique that denies hope; it is a critique that opens, that humbles, a critique that builds understanding in and through listening“ (Vazquez 2012: 246).

5. Dezentrierung der Menschenrechte Was bedeutet dies für die Menschenrechte? Dazu ist zunächst zu bemerken, dass es sich bei den Menschenrechten nicht um Wissen handelt, sondern um ein normatives Konzept, das in einer spezifischen Weise verrechtlicht wurde. In der soeben beschriebenen Debatte wurde aber deutlich, dass Wissen auch normative Elemente enthält, also Konzepte dessen, was den Menschen, sein/ ihr Verhältnis zu anderen, zu Natur und zu Kosmologie betrifft. Gerade in diesen Vorstellungen von Mensch und Kosmos unterschieden sich indigene Wissensformen von westlichen. Daher muss die Dekolonialisierung des Wissens auch auf die Menschenrechte angewandt werden. Hier geht es aber weniger um Menschenrechte in ihrer verrechtlichten Form, sondern um die in ihnen enthaltenen normativen Konzepte wie das der Menschenwürde. Zunächst möchte ich aber festhalten, dass die Dekolonialisierung des Wissens bereits mit den Menschenrechten arbeitet in dem Sinne, als das Konzept

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epistemische Ungerechtigkeit kritisiert. Um Ungerechtigkeit zu benennen und zu kritisieren, ist ein normatives Referenzsystem notwendig, das eine globale Gleichheit oder Gleichverteilung postuliert und gegenüber dem Ungerechtigkeit festgestellt werden kann. Dieses normative Referenzsystem bietet der Begriff der universalen und damit globalen Menschenwürde. Darauf wird im Kontext der Kolonialkritik kritisch rekurriert. Ich möchte abschließend zwei zentrale Konsequenzen einer Dekolonialiserung des Wissens für die Menschenrechtsdebatte benennen und mich dabei aufgrund der Literaturlage von der rein dekolonialen Kritik etwas entfernen. Zunächst ist hervorzuheben, dass die Kritik fortdauernder kolonialer Praktiken eine Kritik der nicht eingehaltenen Menschenrechte darstellt. De facto bedrohen multinationale Konzerne und modernistische Entwicklungsstrategien die Lebensgrundlagen (nicht nur) der indigenen Bevölkerung und dekoloniale Theoretiker_innen sehen die Entwertung von indigenen Kosmologien und Lebensweisen durch dominantes Wissen als traditionell, unzivilisiert oder undemokratisch als eine Legitimation für diese Bedrohung der Lebensgrundlagen. In der postkolonialen Literatur ist zu Recht auf die Rolle der Menschenrechte zur Legitimation kolonialer Herrschaft, deren Perpetuierung durch das Konzept der Modernität und dessen emanzipatorischen Anspruch hingewiesen worden (vgl. Dhawan 2014). Zentrale Konsequenz einer dekolonialen Perspektive ist meiner Meinung nach aber die Dezentrierung der Menschenrechte. Das bedeutet, die im westlichen Kontext entstandene Vorlage der Menschenwürde nicht als einzig mögliche Menschenwürde anzuerkennen und offen für alternative Sichtweisen von Menschenwürde und den mit der Menschenwürde gedachten normativen Implikationen zu sein, die als autochthone oder einfach als kritische Gegenentwürfe ausgegrenzter Gruppen entworfen worden sind. Diese Dezentrierung bedeutet nicht das Aufgeben einer menschenrechtlichen Orientierung, sondern die Kritik am Monopol Europas auf die Menschenrechte. Diese Perspektive geht aber wiederum mit veränderten inhaltlichen Akzenten der Menschenrechte oder ihrer Durchsetzung einher. Was bedeutet Dezentrierung der Menschenrechte? Dies beinhaltet zum einen eine Kritik an den Menschenrechten und ihre Rekonstruktion aus der Perspektive der von ihnen Ausgeschlossenen. Einige Theoretiker_innenin postkolonialer Orientierung um die postkoloniale Philosophin Nikita Dhawan argumentieren für eine Dezentrierung der Menschenrechte beziehungsweise des Denkens der europäischen Aufklärung. Sie stellen sich der Herausforderung, wie mit der Verquickung von kritischem oder emanzipatorischen Denkens mit kolonialen oder rassistischen Ansätzen umzugehen sei (vgl. Dhawan 2014), da die Aufklärung oder zeitgenössische aufklärerischen Ansätze die Basisfortdauernder kolonialer Masternarrative darstellt. Zugleich plädieren sie für eine Dekolonialisierung der Aufklärung, die in einer alternativen Aneignung von aufklärerischen Ansätzen in neuen Kontexten besteht. Ansätze transnationaler

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Gerechtigkeit oder der Menschenrechte in einer postkolonialen Perspektive sind einerseits diskurskritisch und zugleich emanzipatorisch. Sie nähern sich den normativen Konzepten immer aus der Perspektive der von ihnen ausgeschlossenen Gruppen an und entwickeln von da aus Räume für neue Begrifflichkeiten, die die Möglichkeit des Einbezugs marginalisierter Gruppen bieten. Die Dezentrierung der Menschenrechte bedeutet zum anderen auch die Anerkennung, dass Menschenrechte beziehungsweise die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen von Menschenwürde in philosophischen oder kosmologischen Traditionen der ganzen Welt zu finden sein könnten. Diese verschiedenen ‚Entstehungsorte‘ müssen stärker erforscht und miteinander in Verbindung gebracht werden (vgl. Yousefi 2013). Dieser Argumentation folgen viele Kritiker_innen des Eurozentrismus der Menschenrechte. Als ein Beispiel für diesen Ansatz sei ein Band erwähnt, den der interkulturelle Philosoph Hamid Reza Yousefi herausgebracht hat. Er verfolgt das Ziel, eurozentrische Sichtweisen auf die Menschenrechte zu überwinden und neue globale, interkulturelle und interreligiöse Sichtweisen dieser Konzepte zu entwickeln. Zentral ist hier die Idee der Ortlosigkeit oder besser der Vielfalt der Orte für philosophische Konzepte, gerade für solche, die dominante Narrative im europäischen Denken darstellen, wie die Menschenrechte. Deren Verankerung und die unterschiedliche Ausgestaltung in verschiedenen, quasi allen Orten dieser Erde und sehr unterschiedlichen religiösen und philosophischen Traditionen überall auf der Welt werden hier sehr eindrücklich demonstriert. Es wird deutlich, dass weder christliche Religionen noch westliche philosophische Traditionen ein Monopol auf die Menschenrechte haben und die diesbezügliche Forschung und Theorieentwicklung ein weltweiter Prozess sind, der keineswegs abgeschlossen ist. Grundlage von Yousefis Argumentation bilden die Begriffe der Menschenwürde. Es werden unterschiedliche Dimensionen wie beispielsweise Ethik, Recht und verschiedene Begründungszusammenhänge, z.B. über Vernunft, Würde, Zusammenleben, dargelegt, um zu demonstrieren „dass die Geschichte der Menschenrechte genauso alt ist wie die Menschheit selbst“ (Yousefi 2013: 8). Die Darstellung menschenrechtsbasierter oder analoger Ansätze in den verschiedenen Räumen und auch Religionen thematisiert oft eher allgemeine Ideen der Menschenwürde oder der Gleichheit. Durchgängig ist aber das Argument, Europa müsse sein Monopol auf die Menschenrechte aufgeben.

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6. Bescheidenheit und Zuhören Derartige kritische Zugänge und die Erweiterung des Menschenrechtsdiskurses bringen viele Fragen mit sich, was deren genauen Inhalt ausmacht, in welcher Form Menschenrechte verrechtlicht werden und wie sie durchgesetzt werden können. Die in einer globalen und postkolonialen Welt meiner Meinung nach notwendige Dezentrierung der Menschenrechte impliziert aber, dass diese Debatten zu führen sind, damit nicht Ansprüche auf Menschenwürde oder menschenwürdiges Leben, wie sie von eurozentrismuskritischen Theoretiker_innen oder von marginalisierten Gruppen erhoben werden, als irrelevant ausgegrenzt werden. Bei dieser Debatte stehen wir noch am Anfang, aber ich möchte abschließend mit Jim Ife eine Richtung für die Soziale Arbeit andeuten. Jim Ife fordert bei der Diskussion der Neuausrichtung eines Curriculums Internationaler Sozialer Arbeit auch eine neue Bescheidenheit und das Hören auf Ansätze jenseits der westlichen akademischen Diskurse. Er konstatiert, dass viele der drängenden Probleme der Welt vom ‚Westen‘ gemacht sind und stellt einen berechtigen Bedeutungsverlust des Westens fest, dem eine Anerkennung der eigenen Beschränktheit und eine Öffnung für Lösungsansätze außerhalb der westlichen Modernität folgen muss (vgl. Ife 2010). Für die Menschenrechtsorientierung Sozialer Arbeit impliziert dies auch einen selbstkritischen Zugang. Da Ife zufolge oft nur privilegierte Gruppen von Menschenrechten profitieren, während andere von ihrem Genuss ausgeschlossen bleiben, ist auch das etablierte westliche Verständnis der rechtlichen Dimension in Frage zu stellen und nach Bedeutungen der Menschenrechte jenseits der westlichen Modernität zu suchen. Mit seinem Ansatz, Menschenrechte ,von unten‘ im community development zu befördern, zeigt Ife einen Weg, wie Menschenwürde als gelebte Erfahrung oder als Unrechtserfahrung in einer bestimmten Community benannt, konkretisiert und umgesetzt werden kann. Ein derartig kontextorientierter und partizipativer Zugang kann offen sein für Selbstreflexion und für die neue Vielfalt, die in einem globalen Diskurs zu Menschenrechten und Sozialer Arbeit notwendig sind.

Literatur Bimsbergen, Wim van (2002): Ubuntu and the Globalisation of Southern African Thought and Society. http://www.quest-journal.net/shikanda/general/ubuntu.htm [Zugriff: 30.10.2017]. Chakrabarty, Dipesh (2008): Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference. Princeton NJ Princeton University Press.

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Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (2002): Einleitung: Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt. In: Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus: Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 9-49. Davies, MerrylWyn/Nandy, Ashis/Sardar, Ziauddin, (1993): Barbaric Others. A Manifesto on Western Racism. London: Boulder. Dhawan, Nikita (2014): Decolonizing Enlightenment. Transnational Justice, Human Rights and Democracy in a Postcolonial World. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. Icaza, Rosalba/ Vazquez, Rolando (2013): Social Struggles as Epistemic Struggles. In: Development and Change 44, 3, S. 1-22. Ife, Jim (2010): The New Internacional Agendas: What Role for Social Work? Las nuevas agendas internacionales: ¿quépapelpara el trabajo social? In: Trabajo social global 1,1, S. 80-102. Mignolo, Walter D. (2012): Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität. Wien, Berlin: Turia und Kant. Quintero, Pablo/Garbe, Sebastian (2013): Kolonialität der Macht. De/Koloniale Konflikte zwischen Theorie und Praxis. Münster: Unrast. Rehklau, Christine/Lutz, Ronald (2007): Internationale Themen. In: Wagner, Leonie/Lutz, Ronald (Hrsg.): Internationale Perspektiven Sozialer Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag. Saal, Britta (2013): Kultur, Tradition, Moderne im Spiegel postkolonialer Differenzbewegungen: Eine interkulturelle Kritik der Moderne.Mainz Wissenschaftsverlag. Straub, Ute (2012): Neues aus dem Süden. Indigenisierte und Indigene Soziale Arbeit. In: Sozialmagazin 37, 10, S. 48-56. Tlostanova, Madina V./Mignolo, Walter D. (2012): Learning to Unlearn Decolonial Reflections from Eurasia and the Americas. Columbus: The Ohio State University Press. Vazquez, Rolando (2012): Towards a Decolonial Critique of Modernity. BuenVivir, Relationality and the Task of Listening. In: Fornet-Betancourt, Raúl (Hrsg.): Capital, Poverty, Development. Denktraditionen im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität. Aachen, Mainz: Wissenschaftsverlag, S. 241-252. Yousefi, Hamid Reza (2013): Menschenrechte im Weltkontext. Geschichten – Erscheinungsformen – Neuere Entwicklungen. Wiesbaden: Springer VS.

Gestaltungsfelder – Menschenrechte im fachlichen Diskurs

Mitgliedschaft als Menschenrecht? Staatsbürgerschaftsrecht und Einwanderungspolitik im Fokus einer menschenrechtsorientierten Sozialen Arbeit Mitgliedschaft als Menschenrecht? Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher

„There is a crack in everything – that’s how the light gets in“ (Leonard Cohen: „Anthem“)

„Grundlage der Sozialen Arbeit sind […] die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit“ (Mührel/Röh 2008: 48). In diesem Sinne gilt Soziale Arbeit als eine „Menschenrechtsprofession“ (Staub-Bernasconi 2008): dezidiert bekennt sich die International Federation of Social Workers (IFSW) zu den Menschenrechten als Grundlage professioneller Sozialer Arbeit und verweist unter Punkt drei ihrer „Ethics in Social Work“ (2004) ausdrücklich auf die internationalen Menschenrechtserklärungen und –übereinkünfte (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, sowie weitere Konventionen mit Blick auf Flüchtlinge, Diskriminierung der Frau, Rassendiskriminierung, Kinder, Menschen mit Behinderung usw.). Entsprechend ihrer berufsethischen Standards soll sich Soziale Arbeit in ihren Zielen und Interventionen an den Menschenrechten orientieren. Allerdings zeigt die Praxis Sozialer Arbeit, wie die dort zu lösenden Probleme, dass um das richtige Verständnis von Menschenrechten immer aufs Neue zu ringen ist. Die gegenwärtige Flucht- und Migrationssituation ist so eine Problematik. Sie bietet Anlass und Chance „unser“ Verständnis von Menschenrechten zu klären. Liberal-demokratische Staaten begegnen an ihren Grenzen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihren bisherigen Lebensraum verlassen haben. Sie fliehen vor Bürgerkrieg, Unterdrückung, Folter und Diskriminierung, versuchen Armut und Not zu überwinden oder sind schlicht auf der Suche nach einem besseren Leben. Sie begehren an den Grenzen „unseres“ Gemeinwesens Einlass, um an Sicherheit, Freiheit und Wohlstand eines liberal-demokratischen Sozialstaates teilzuhaben. Sie können sich dabei auf die Menschenrechte als Kern liberal-demokratischer Überzeugungen berufen. Sie sind Menschen. Sie fordern den Schutz ihres Lebens und ihrer Würde. Sie wollen als Freie und Gleiche anerkannt werden. Sie verlangen eine faire Chance – und werden dann mit der Realität liberal-demokratischer Einwanderungspolitik konfrontiert.

124 Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher Diese gestaltet sich im Spannungsfeld von staatlicher Interessenpolitik und humanitären Erwägungen, getrieben von Sachzwängen und tagespolitischen Stimmungen. Zumeist geht es um Beschränkung, Selektion und Abwehr (vgl. Rieger 2002: 192). Die hier aufscheinende Problematik ist von grundsätzlicher Natur. Hier geraten – wie zu zeigen sein wird – nicht nur Idee und schlechte Praxis in Konflikt. Zweifellos kollidieren hier humanitäre Verpflichtungen mit einer von Eigen– und Machtinteressen getriebenen Realpolitik. In der gegenwärtigen Migrationsproblematik scheint jedoch ein grundsätzlicher, den Menschenrechten inhärenter Widerspruch auf. Es geht um das Spannungsfeld von Menschenrechten und Demokratie – von Menschenrechten und Sozialstaat. Menschenrechte als Individualrechte sind nur in Gemeinschaft zu verwirklichen. Eine Soziale Arbeit, welcher die Menschenrechte als Orientierung zur eigenen normativen Reflexion wie politischen Positionierung dienen, muss sich diesem Widerspruch stellen und Konsequenzen ziehen.

1. Eine (unsere) individualistische Perspektive der Menschenrechte Menschenrechte sind Individualrechte. Sie kommen merkmals- und situationsunabhängig jedem Menschen zu. In ihrer modernen Ausprägung als liberale, politische, soziale und kulturelle Rechte (vgl. Rieger 2010) sind sie zunächst und vor allem als Abwehrrechte (des Individuums) gegen den Staat konzipiert und in den Verfassungen liberaler Demokratien als Bürger- bzw. Grundrechte festgehalten. Als Gründungsdokumente der USA postulieren die Virginia Declaration of Rights (1776): „All men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights“ wie auch die Declaration of Independence (1776): „that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“; die Déclaration des Droit de l’Hommes et du Citoyen (1789) schreibt fest: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune“; schließlich erklärt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1949): „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Art. 1 Abs. 1) und bekennt sich zu den „unverletzlichen und unveräußerlichen“ Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2) zu denen zuvorderst die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1), das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2 Abs. 2), die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1), die Glaubens- (Art. 4) und Meinungsfreiheit (Art. 5) gehören.

Mitgliedschaft als Menschenrecht?

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Diese (individualistische) Sicht auf die Menschenrechte spiegelt sich in der politikphilosophischen Tradition der Vertragstheorien als Legitimationstheorien sozialer Gerechtigkeit und politischer Herrschaft von John Locke (16321704) bis John Rawls (1921-2002). Ob im Naturzustand (Locke) oder in der „original position“ (Rawls), stets sind es gleiche, freie und vernünftige Menschen, die sich (real oder im Gedankenexperiment) auf eine für alle gleichermaßen vorteilhafte und akzeptable Verteilungs- und Herrschaftsordnung einigen. Die Vertragspartner_innen, die sich auf die Gerechtigkeitsgrundsätze einer Gesellschaft einigen sollen, werden als unabhängig von gemeinschaftlichen Bezügen gedacht. Abhängigkeiten (von Kindern, Alten oder Kranken) fallen ebenso wie die Zugehörigkeit zu je spezifischen zivilgesellschaftlichen Gruppen und die gleichzeitige Existenz unterschiedlicher politischer Gemeinschaften der notwendigen Idealisierung der Vertragssituation zum Opfer. Diese Theorien der Gerechtigkeit kennen nur selbstständige und selbstbestimmte Individuen. Jeder und jede hat das gleiche Recht als Vertragspartner_in mit gleichen Ansprüchen anerkannt zu werden. Eine auf diese Weise legitimierte Verteilungs- und Herrschaftsordnung kennt dann aber keine (legitimen) Grenzen – mit entsprechenden Konsequenzen für Fragen von Flucht und Migration: „(T)he basic agreement among those in the original position would be to permit no restrictions on migration (whether emigration or immigration)“ (Carens 1987: 258)1. Wer die Menschenrechte ernst nehmen will, scheint auch für ein Recht auf Migration (Aus- wie Einwanderung) eintreten zu müssen. Grenzregime und der Status der Staatsbürgerschaft erscheinen als historische Relikte, die analog zu mittelalterlichen Feudalordnungen Ungleichheit zementieren und der anzustrebenden Gleichheit aller menschlichen Wesen im Wege stehen.

2. Hannah Arendt und das Recht auf Mitgliedschaft Hannah Arendt provoziert in ihrem Aufsatz „Es gibt nur ein einziges Menschenrecht“ (1949) einen Perspektivwechsel. Vor dem Hintergrund der unmittelbaren Erfahrung von Flucht, Vertreibung und Vernichtung reagiert sie äußerst kritisch auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948. Wohin sich die Flüchtenden des 20. Jahrhunderts auch wandten, sie stießen auf die Grenzen von Nationalstaaten, die sie nicht haben wollten, die sie abwiesen oder nur unter erheblichen Einschränkungen aufnahmen. Fliehende, asylsuchende Menschen fallen dadurch 1 Zu einer differenzierten Reflexion des Zusammenhangs von Mitgliedschaft und Gerechtigkeit vgl. Rieger 1998.

126 Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher für Arendt in einen Zustand der „Rechtlosigkeit“: „Das Unglück der Rechtlosen liegt nicht darin, daß (sic) sie des Lebens, der Freiheit, des Strebens nach Glück, der Gleichheit vor dem Gesetz oder der Meinungsfreiheit beraubt sind; ihr Unglück ist mit keiner der Formeln zu decken, die entworfen wurden, um Probleme innerhalb gegebener Gemeinschaften zu lösen. Ihre Rechtlosigkeit entspringt einzig der Tatsache, daß (sic) sie zu keiner irgendwie gearteten Gemeinschaft mehr gehören“ (ebd.: 759 (Herv. i. O.)). Ohne die Zugehörigkeit zu einer Rechte verwirklichenden politischen Gemeinschaft aber gibt es keine Rechte. „Gleichheit ist uns nicht gegeben, sondern wird durch eine vom Prinzip der Gerechtigkeit geleitete menschliche Organisation produziert. Als Gleiche sind wir nicht geboren, Gleiche werden wir als Mitglieder einer Gruppe erst kraft unserer Entscheidung, uns gegenseitig gleiche Rechte zu garantieren“ (ebd.: 763). Deshalb gibt es für Arendt nur ein einziges Menschenrecht: „nämlich das Recht jedes Menschen auf Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft“ (ebd.: 765); „nämlich dieses eine Recht, ohne das keines von all den anderen Rechten realisierbar ist, das Recht, einem politischen Gemeinwesen anzugehören“ (ebd.: 769). Dieses Recht ist als „ein Recht, Rechte zu haben“ (ebd.: 759 (Herv. i. O.)) zu verstehen. Es entspringt dem „Status der Staatsbürgerschaft“ als dem „große(n) Gleichmacher“ (ebd.: 765). „Denn der Mensch hat rein als Mensch nur ein einziges Recht, das über alle seine verschiedenen Rechte als Staatsbürger hinausgeht: das Recht, niemals seiner Staatsbürgerschaft beraubt zu werden, das Recht, niemals ausgeschlossen zu werden von den Rechten, die sein Gemeinwesen garantiert“ (ebd.: 768). „Gleich allen anderen Rechten kann auch dieses eine Menschenrecht nur durch gegenseitige Vereinbarung und Garantie sich realisieren. Als Recht der Menschen auf Staatsbürgerschaft transzendiert es aber die Rechte des Staatsbürgers und ist somit das einzige Recht, das von einer Gemeinschaft der Nationen, und nur von ihr, garantiert werden kann“ (ebd.: 770).

3. Menschenrechte und kollektive Selbstbestimmung Hannah Arendt schärft den Blick dafür, dass Freiheit (als Selbstbestimmung) und die Entfaltung der Persönlichkeit nicht ohne relevante Gemeinschaft(en) möglich sind. Die Klärung, was dem Menschen zukommt, worauf er oder sie ein Recht hat, kann nicht allein über die Vorstellung eines unabhängigen, ungebundenen Individuums erfolgen und begründet werden. Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte sich eine entsprechende kommunitaristische Kritik an den von John Rawls wiederbelebten Vertragstheorien formiert. Später betont Alas-

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dair McIntyre (2001) die „Abhängigkeit“ des Menschen von seinen Mitmenschen und Martha Nussbaum verweist im Rahmen des Capabilities-Approachs (2010) auf „Zugehörigkeit“ (McIntyre 2001: 113) als eine der wesentlichen, zu verwirklichenden menschlichen Fähigkeiten. Der damit angedeutete Perspektivwechsel impliziert nicht, dass die Vorstellung von Menschenrechten als jedem Individuum zukommende liberale, politische und soziale Grundrechte überflüssig oder weniger bedeutsam wäre. Die Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft, die die/den Einzelne(n) nicht anerkennt und ihr/ihm diese Rechte vorenthält, ist nichts Wert. Vielmehr sind wir in der Membership-Perspektive dazu aufgefordert zu berücksichtigen, dass die Mitgliedschaft das erste und wichtigste Gut ist, das wir verteilen (Walzer 1992: 65) und zu erkennen, dass Menschenrechte nur als Projekt kollektiver Selbstbestimmung denkund verwirklichbar sind, dass die Menschenrechte nur als Bürgerrechte existieren. Individuelle wie kollektive Selbstbestimmung brauchen die Möglichkeit zur Grenzziehung. Demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse setzen abgegrenzte bzw. abgrenzbare Gemeinwesen voraus. Ohne ein Mindestmaß an Homogenität, wechselseitigem Vertrauen und identitätsstiftendem Zugehörigkeitsgefühl ist Demokratie nicht möglich. Dies kann sich aber ohne (halbwegs stabile), in ihren Grenzen selbstbestimmte, politische Gemeinschaften nicht bilden (Demokratieprinzip). Ebenso braucht die Verwirklichung sozialer Menschenrechte Gemeinschaften wechselseitiger Hilfe und Unterstützung. Die Entfaltung der Persönlichkeit und ein Leben in Würde sind vor dem Hintergrund menschlicher „Abhängigkeit“ nur mit Unterstützung durch leistungsfähige Gemeinschaften möglich. Unter modernen Lebens- und Produktionsverhältnissen hat sich der Sozialstaat als eine solche Solidargemeinschaft herausgebildet (Sozialstaatsprinzip). Auch diese Vergemeinschaftungsform bedarf jedoch der Grenzziehung. Sozialstaat ist ohne die (wie auch immer schwache) Vorstellung von Zugehörigkeit und wechselseitiger Verpflichtung, die – zumindest rudimentäre – Erfahrung von kollektiver Identität, Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit, nicht machbar. Diese Notwendigkeiten vertragen sich nicht mit der Beliebigkeit offener Grenzen und willkürlich wechselnder Zugehörigkeiten. Menschenrechte, Demokratie und Sozialstaat können nicht ohne einander und müssen in ihrem Verhältnis und Zusammenwirken doch immer wieder neu politisch gestaltet werden. Denn es gilt selbstverständlich auch, dass Demokratie ohne garantierte individuelle Menschenrechte/Bürgerrechte stets Gefahr läuft, ihr immanentes Gleichheitsprinzip zu verraten und zu einer Tyrannei der Mehrheit (Tocqueville) zu entarten. Und einem Sozialstaat, der nicht bedingungslos alle seine Bürger_innen in ihrem Menschenrecht auf ein Leben in Würde und individueller Selbstbestimmung achtet, drohen Selektion und Fürsorgediktatur. Demokratie und Sozialstaat brauchen die Vorstellung von Menschenrechten. Menschenrechte gelten für alle Menschen. Aber die Demokratie

128 Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher akzeptiert nur ihre Bürger_innen; der Sozialstaat erkennt nur seine Bürger_innen als Vollmitglieder an.

4. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der Mitgliedschaftsperspektive Ist unsere Wahrnehmung erst einmal für die Bedeutung von Mitgliedschaft und Zugehörigkeit sensibilisiert, können wir gerade auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vielfältig gemeinschaftsbezogene Aspekte der Menschenrechte identifizieren: 1. „Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist“ (Art. 29) 2. Art. 21, 22 und 27 garantieren gemeinschaftsbezogene politische, soziale und kulturelle Teilhaberechte 3. Art. 16 schützt die „natürliche“ Gemeinschaft von Ehe und Familie und Art. 20 garantiert Vereinigungsfreiheit, als ein Recht mit anderen Gemeinschaften bzw. Vereinigungen zu bilden und diese auch wieder zu verlassen 4. Schließlich garantiert Art. 15 das „Recht auf Staatsangehörigkeit“

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erkennt also durchaus die Bedeutung von Gemeinschaften für die Verwirklichung der Menschenrechte an und enthält deshalb auch kein Recht auf Immigration. Freizügigkeit als Menschenrecht wird in Art. 13 Abs. 1 als innerstaatliches Recht „sich frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen“ formuliert und mit Blick auf die internationale Ebene in Art. 13 Abs. 2 als Auswanderungsrecht (mit Rückkehroption) festgehalten: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren“.

5. Menschenrechtsprofession in der MembershipPerspektive Aus den vorangegangenen Reflexionen folgt die Bedeutung der MembershipPerspektive für eine menschenrechtsorientierte Soziale Arbeit. Sie trägt m.E. einerseits dazu bei, den politischen Standpunkt Sozialer Arbeit in der Asylund Einwanderungspolitik zu klären und inspiriert andererseits Reflexionen zu den Zielen und Methoden Sozialer Arbeit.

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Auch eine Menschenrechtsprofession kann die Legitimität staatlicher Grenzziehung als Ausdruck kollektiver Selbstbestimmung anerkennen. Grenzregime sind also nicht per se illegitim. In einer Welt aber, in der Menschen an Orten leben, in denen jede staatliche Ordnung sich in Bürgerkrieg auflöst bzw. in Staaten leben, die nicht in der Lage oder willens sind, ihre Bürger_innen als gleichwertige Mitglieder mit gleichen Rechten anzuerkennen und deshalb Flucht zur einzigen Option wird, gibt es auch die (internationale) Verpflichtung Menschen zu ihrem „Recht Rechte zu haben“ zu verhelfen. Dass unser demokratischer Sozialstaat dieser Verpflichtung nachkommt, indem er im Rahmen seiner Möglichkeiten und unter Berücksichtigung des „kollektiven Selbstbestimmungsrechts der Bürgerschaft“ (Nida-Rümelin 2017: 148) Flüchtlinge aufnimmt und sich an internationalen, auf gerechtere globale Verhältnisse zielende Hilfsmaßnahmen beteiligt, dafür sollte Soziale Arbeit streiten. Denn was im „Rahmen seiner Möglichkeiten“ liegt, ist nicht a priori feststellbar, sondern zeigt sich in einer pluralen Demokratie erst im politischen Streit der Interessen. Eine Pflicht der Sozialen Arbeit sich gegen jede Form von Grenzregimen zu stellen, gibt es nicht. Wohl aber eine Pflicht, für deren menschenrechtskonforme Ausgestaltung einzutreten. Die Menschenrechtsprofession Soziale Arbeit ist in der Membership-Perspektive wesentlich Bürgerhilfe. Ziel ihres Tuns muss die Verwirklichung der vollen, liberalen, sozialen und politischen Bürgerrechte aller im jeweiligen Gemeinwesen lebenden Menschen sein. In diesem Sinne muss sie sich dafür einsetzen, dass Menschen die hier aufgenommen werden, möglichst schnell und umfänglich die gleichen liberalen, sozialen, politischen und kulturellen Rechte erhalten und wahrnehmen können wie alle Bürger_innen – und dass ihnen nach einer angemessenen Frist die Möglichkeit eröffnet wird, die Staatsbürgerschaft als ein Status, der nicht wieder entzogen werden kann, zu erlangen. Soziale Arbeit muss sich mithin in ihrem professionellen Handeln dafür einsetzten, dass allen hier aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen, die sich mehr als nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten, alle in der Verfassung garantierten Grundrechte (Leben in Würde, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl, Schutz der Familie, Vereinigungsfreiheit, freie Religionsausübung usw.) zugesprochen werden. Dazu gehört auch das Recht auf politische Teilhabe (freie Meinungsäußerung, Versammlungs-/Vereinigungsfreiheit, Wahlen), lediglich das Recht auf Staatsbürgerschaft darf stärker qualifiziert werden. In der Membership-Perspektive ergeben sich darüber hinaus grundsätzliche Überlegungen für eine Neuorientierung des methodischen Arbeitens einer menschenrechtsorientierten Sozialen Arbeit. Es gilt die einseitige, im Modell des aktivierenden Sozialstaats vorgegebene, Fixierung auf Individuum und Eigenverantwortung in Frage zu stellen. Individualistische, personenzentrierte Einzelhilfe ist notwendig durch Netzwerkorientierung, Gruppenarbeit, Förderung von Selbsthilfe(gruppen) und Gemeinwesenarbeit zu ergänzen. Zugehörigkeit und Anerkennung (im Rahmen relevanter Gruppen) müssen als ebenso wichtig für die Lebensführung begriffen werden wie individuelle Kompetenzen der Alltagsbewältigung. Kennzeichen prekärer Lebenslagen ist nicht nur der Mangel an materiellen Ressourcen und persönlichen Kompetenzen, sondern die fehlende Anerkennung als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und die Möglichkeit der Erfahrung kollektiver Selbstbestimmung.

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6. Menschenrechtsprofession in der Membership-Perspektive Ein Kommentar von Jens Wurtzbacher Unmittelbar an die von Günter Rieger vorgeschlagenen Eckpunkte einer Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession, die sich an der Membership-Perspektive orientiert, möchte ich drei Kommentierungen beisteuern, die zwar zuspitzend und akzentuierend formuliert sind, jedoch von einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit den Positionen Riegers getragen sind. Zunächst scheint es mir angebracht, die zurückhaltend formulierte Aussage, wonach „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession durchaus die Legitimität staatlicher Grenzziehung anerkennen kann“ dahingehend zuzuspitzen, dass sie dies nicht nur kann, sondern muss. Die Legitimität staatlicher Grenzziehung ist für die Soziale Arbeit als Teil wohlfahrtsstaatlicher Praxis nicht etwa ein zähneknirschend hinzunehmendes Übel, sondern die Grundvoraussetzung ihres Vorhandenseins. Der begrenzte Staat ist die Bedingung politischer Selbstbestimmung (vgl. Walzer 1992: 64) und damit auch von Wohlfahrtsstaatlichkeit als deren Ausdruck. Jedes Postulat sozialpolitischer Verpflichtungen gegenüber dem Einzelnen oder Forderungen nach sozial gerechten Politiken akzeptiert dies zumindest implizit. Zweitens teile ich die Auffassung, wonach der Sozialen Arbeit als Profession eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Einwanderungspolitik und insbesondere der Asylpolitik zukommt. Gleichwohl scheint mir, dass eine „menschenrechtskonforme Ausgestaltung“ unter „Berücksichtigung des kollektiven Selbstbestimmungsrechtes der Bürgerschaft“ nicht zwangsläufig eine liberale Einwanderungs- und Asylpolitik zur Folge hat. Leider hält die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte kein Menschenrecht auf Asyl fest, sondern unterwirft auch das Asylrecht der kollektiven Selbstbestimmung (vgl. Lange 2008: 24). Im Artikel 14 ist das Recht formuliert, „in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“, ein individueller menschenrechtlicher Anspruch auf Asyl scheiterte am politischen Widerstand einzelner Nationalstaaten, wie z.B. Großbritannien (vgl. ebd.). Auch die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert kein Einreiserecht, sondern regelt lediglich die rechtliche Stellung des Asylstatus zwischen Staaten. Unsere Verfassung geht insofern über die Menschenrechtserklärung hinaus, als sie aus der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für politisch Verfolgte heraus ein Asylrecht garantiert, seit 1993 jedoch durch die so genannte Drittstaatenregelung deutlich eingeschränkt bzw. an formale Bedingungen geknüpft. Wenn dem aber so ist, dann darf sich die Soziale Arbeit nicht selbstzufrieden zurücklehnen und auf eine liberale Einwanderungs- und Asylpolitik als menschrechtlich einzig mögliche verweisen, sondern muss sich selbst in die

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Debatte um politisch realisierbare, das heißt, auf dem politischen Selbstverständnis der demokratischen Gemeinschaft ruhende, Konzepte einer Migrations- und Asylpolitik ohne überhebliche Attitüde einmischen und dabei versuchen einerseits der Verantwortung gegenüber Flüchtlingen gerecht zu werden und andererseits anzuerkennen, dass diese kollektive Verpflichtung auch begrenzt ist, ohne dass diese Grenzen exakt bestimmbar wären (vgl. Walzer 1992: 91). Ein wichtiger inhaltlicher Punkt ist hierbei die kaum zu rechtfertigende Tatsache, dass zwar Ethnie, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer politischen oder sozialen Gruppe als Asylgründe anerkannt sind, fehlende Möglichkeiten der materiellen Lebenssicherung – nicht zuletzt aufgrund unseres ressourcenintensiven Lebensstils – jedoch als Wirtschaftsflucht politisch bagatellisiert werden. Auch die Soziale Arbeit braucht einen Diskurs darüber, wie eine zeitgemäße und verantwortliche Migrationspolitik aussehen kann (vgl. hierzu Collier 2014: insbes. 243ff.), da deren Gestalt durch den schlichten Verweis auf die Erklärung der Menschrechte noch nicht auf der Hand liegt. Damit sollte drittens eine Auseinandersetzung verbunden sein, welche Funktion der Menschenrechtsbezug im professionellen Selbstverständigungsdiskurs der Sozialen Arbeit generell erfüllt bzw. welcher Status den Menschrechten dort zugeschrieben wird. Lange (2008) schlägt vor, die Erklärung der Menschrechte als ein historisches Dokument zu begreifen, als „Ausgangspunkt eines nicht nur praktisch, sondern auch inhaltlich unvollendeten Projektes“ (ebd.: 27), Günter Rieger verweist auf die Notwendigkeit, dass Menschrechtsorientierung, Demokratie und Sozialstaatlichkeit „politisch immer wieder neu gestaltet werden müssen.“ Insofern scheinen alle Positionsbestimmungen unzulänglich, die die Soziale Arbeit mit dem Verweis auf die Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten aus dem mühsamen (tages-)politischen Widerstreit unterschiedlicher Interessenlagen heraushalten wollen oder ihr durch den postulierten Menschenrechtsbezug per se eine moralisch herausgehobene Stellung zuschreiben wollen.

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7. Mitgliedschaft im globalen Bezugsrahmen der Menschenrechte Ein Kommentar von Katrin Toens Auch ich kann die Idee einer Präzisierung der Menschenrechtsperspektive Sozialer Arbeit in Rekurs auf Hannah Arendt nur begrüßen, glaube aber, dass diese Argumentation einen stärker globalen und damit zusammenhängend europapolitischen Bezugsrahmen benötigt. Dieser ist natürlich im Verweis auf die Menschenrechte immer schon gegeben, müsste aber in den folgenden drei Punkten systematischer ausgearbeitet werden. 1. Der empirische Bezugspunkt Flucht und Migration: Es sollte nicht vorrangig oder gar ausschließlich um Geflüchtete gehen, die staatliche Grenzen passieren bzw. bis zu den relativ gefestigten demokratischen Rechtsstaaten des globalen Nordens vordringen können; ebenso relevant sind die besonders schutzbedürftigen und (ohne legalen Flüchtlingsstatus) vollkommen rechtlosen Binnenvertriebenen; 2. die Soziale Arbeit: Erst im explizit globalen Bezugsrahmen lassen sich die migrations- und flüchtlingspolitischen Entwicklungspotenziale einer Sozialen Arbeit aufzeigen, die sich zunehmend auch international und europäisch definiert; 3. der bezugswissenschaftliche Rahmen: politikwissenschaftliche und demokratietheoretische Analysen der aktuell krisenhaften supra-, trans- und internationalen Zusammenhänge können der Sozialen Arbeit für die Präzisierung ihrer Menschenrechtsperspektive in Rekurs auf Hannah Arendt dienlich sein.

In der hier gebotenen Kürze werde ich im Folgenden lediglich den dritten Punkt aufgreifen und etwas stärker umreißen. Ansetzen möchte ich an dem Widerspruch zwischen universalem Mitgliedschaftsanspruch der Staatenlosen und dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht der Staatsbürger_innen eines potenziellen konkreten Aufnahmelandes. Diese Argumentationsfigur steht häufig im Zentrum der Auseinandersetzung mit Arendts politischem Denken über die Menschenrechte (vgl. Michelman 1996; Benhabib 1999; Oudejans 2014). Die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, sind zahlreich, von der Überforderung der Staatsbürger_innen, über die Ohnmacht der Geflüchteten, bis hin zur Möglichkeit der Aufnahmeverweigerung in Rekurs auf ein nationalistisches Demokratieverständnis. Arendt wusste um diese Probleme. Sie war davon überzeugt, dass das Recht auf Mitgliedschaft nicht von innen heraus (aus der Bevölkerung eines Staates), sondern allenfalls durch die internationale Staatengemeinschaft garantiert werden kann. Die damals schon sichtbaren Schwächen internationaler Menschenrechtskonventionen reflektierend war Arendt sich nicht sicher, ob das jemals möglich sein würde. Der Idee einer föderalen Weltregierung stand sie ebenso skeptisch gegenüber wie der Außenpolitik einzelner Staaten. Was sich seither nicht verändert hat, ist die

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Herausforderung des Versuchs einer konstruktiven Vermittlung der für den demokratischen Verfassungsstaat konstitutiven universalen Menschenrechtsidee mit den konkreten legalen, politischen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen partikularer politischer Gemeinschaften, die die Menschenrechte jeweils für sich auslegen und sichern. Wir haben aber heute auch gute Gründe, nicht mehr nur an den Grenzen stehen zu bleiben, weder im übertragenden noch im realen Sinne. Unter dem Einfluss von Europäischer Union, transnationalen sozialen Bewegungen, NGOs und internationalen Organisationen werden die Staatsgrenzen vielfach porös und das weltweite Bewusstsein über die Relevanz der Menschenrechte wächst; gleichermaßen erleben wir in der aktuellen Migrations- und Flüchtlingspolitik die krisenhafte Zuspitzung der Konflikte zwischen den Menschenrechtsansprüchen der Staatenlosen und den Souveränitätsansprüchen der Kollektive. Die Vermittlung des Universalen mit dem Konkreten, zu der auch die Soziale Arbeit einen Beitrag leistet, kann hier ansetzen. Zum besseren Verständnis der europapolitischen Ursachen von Rechtspopulismus und demokratischer Repräsentationskrise sowie der Handlungsspielräume und Notwendigkeiten kann sich die Soziale Arbeit von der politikwissenschaftlichen Krisendiagnose inspirieren lassen (vgl. etwa Offe 2016). Sie braucht m.E. aber auch die ermutigenden Argumente einer normativen Demokratietheorie (vgl. etwa Benhabib 1999; 2008), die Arendts anthropologischen Universalismus diskursethisch aufgreift und das Universale im Konkreten verständigungsorientierten Handeln verortet, statt den Besonderheiten nationaler Demokratien gegenüberzustellen. Dahinter steht die „Realutopie“ des sozialen Lernens in der Demokratie oder, anders formuliert, einer Demokratie mit porösen Grenzen, die den Anschluss hält an transnationale Öffentlichkeiten, in denen die Regularien, Möglichkeiten und Grenzen aktueller Migrations- und Flüchtlingspolitik unter Einbeziehung von Menschenrechtsorganisationen und den Selbstvertretungen der Geflüchteten deliberativ erwogen werden.

Literatur Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, http://www.hannaharendt.net [Zugriff 08.01.2018] Benhabib, Seyla (1999): Hannah Arendt and „The Right to have Rights“. Problems of Democracy, Forum, Bd. 2, Nr. 1, http://www.hannaharendt.net [Zugriff 08.01.2018] Benhabib, Seyla (2008): Die Rechte der Anderen. Berlin: Suhrkamp. Carens, Joseph H. (1987): Aliens and Citizens: The Case for Open Boders. In: Review of Politics, 49, S. 251-273. Cohen, Joshua (2004): Minimalism About Human Rights: The Most We Can Hope For? In: The Journal of Political Philosophy 12, 2, S. 190-213.

134 Günter Rieger, Kommentare: Katrin Toens und Jens Wurtzbacher Collier, Paul (2014): Exodus – Warum wir Einwanderung neu regeln müssen. München: Siedler Verlag. Falck, Hans (1997): Membership. Eine Theorie der Sozialen Arbeit. Stuttgart: Enke. Lange, Jörg (2008): Migration und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 2008, 46, S. 21-27. Michelman, Frank (1996): ‚The Right to have Rights’. In: Constellations. An International Journal of Critical and Democratic Theory 3, 2, S. 200-229. Mührel, Eric./Röh, Dieter (2008): Menschenrechte als Bezugsrahmen in der Sozialen Arbeit. Eine kritische Diskussion der ethisch-anthropologischen, fachwissenschaftlichen, sozialpolitischen und sozialphilosophischen Dimensionen. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 28, 107, S 47-64. Nida-Rümelin, Julian (2017): Über Grenzen denken: Eine Ethik der Migration. Hamburg: Edition Körber-Stiftung. Nussbaum, Martha C. (2010): Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit Frankfurt am Main: Suhrkamp. Offe, Claus (2016): Europa in der Falle. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Oudejans, Nanda (2014): The Right to have Rights as the Right to Asylum. In: Netherlands Journal of Legal Philosophy 43, 1, S. 7-26. Rieger, Günter (1998): Einwanderung und Gerechtigkeit. Mitgliedschaftspolitik auf dem Prüfstand amerikanischer Gerechtigkeitstheorien der Gegenwart. Opladen: Westdeutscher Verlag. Rieger, Günter (2002): Das Menschenrecht auf Mitgliedschaft: Grenzziehung in der universalen Republik Dialogia. In: Märker, Alfredo/Schlothfeld, Stephan (Hrsg.): Was schulden wir Flüchtlingen und Migranten? Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 192-214. Rieger, Günter (2010): Menschenrechte/Grundrechte/Bürgerrechte. In: Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.) Lexikon der Politikwissenschaft, Bd.nr. 1 A-M. München: C. H. Beck. Staub-Bernasconi, Silvia (2008): Menschenrechte in ihrer Relevanz für die Soziale Arbeit in Theorie und Praxis, oder: Was haben Menschenrechte überhaupt in der Sozialen Arbeit zu suchen? In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 28, 107, S. 9-32. Walzer, Michael (1992): Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt am Main: Campus

Menschenrechte und Religion – Theoretische, empirische und praktische Zugänge zu einer religionssensiblen Sozialen Arbeit Menschenrechte und Religion Kathrin Hahn

Die derzeitige gesellschaftliche Präsenz von Religion gewinnt in der Sozialen Arbeit an Bedeutung und macht eine erneute Auseinandersetzung in Profession und Disziplin notwendig. Die „Religionstatsache“ (Nauerth 2017), mit der es Fachkräfte in der Praxis, u.a. durch ihre Adressat_innen und deren lebensweltlichen Sinndeutungen, vermehrt zu tun haben, fordert vielfach heraus und bedarf theoretischer, konzeptioneller und methodischer Antworten. Spätestens seit ihrer Entwicklung zu einer modernen Wissenschaft lässt sich das Verhältnis der Sozialen Arbeit zu Religion allerdings als ambivalent bezeichnen. Alles Religiöse wurde mehr oder weniger aus dem disziplinären Diskurs ausgeklammert und es ist deshalb erforderlich, seine Relevanz neu zu klären. Diese Ausgangslage aufgreifend, werden im Folgenden Möglichkeiten und Grenzen einer religionssensiblen professionellen Handlungsfähigkeit erörtert. Orientierungsrahmen sind dabei die Menschenrechte, zu denen sich die Profession selbst verpflichtet hat und zu deren Realisierung sie durch ihr Handeln beitragen will (vgl. IFSW/IASSW 2014). Die Menschenrechte fordern die Soziale Arbeit ethisch und politisch dazu auf, Religion als eine Dimension der Lebenswelt vieler Menschen anzuerkennen und zu berücksichtigen. Zugleich stellen sie ein geeignetes Bindeglied für eine Religion eher ablehnend gegenüberstehende Soziale Arbeit dar, sich diesem Thema wieder und auf spezifische Weise zu nähern.

1. Die gesellschaftliche Präsenz von Religion und die Soziale Arbeit Wir erleben seit einigen Jahren in unserer Gesellschaft eine gestiegene Aufmerksamkeit religiösen Themen gegenüber. Religion wird öffentlich – politisch, medial und im Alltag – wieder verstärkt wahrgenommen und rückt ins Zentrum gesellschaftlicher Diskurse. Die Pluralisierung aufgrund von Migrationsprozessen ist dabei sicherlich nicht der einzige, aber ein sehr zentraler

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Faktor. In ihrem Kontext hat sich die religiöse Landschaft in Deutschland deutlich verändert. Nicht-christliche Religionen, insbesondere die verschiedenen Ausprägungen des Islam, haben an Bedeutung gewonnen (vgl. Schulte 2017: 51). Religionen differenzieren sich auch intern weiter aus und religiöse Orientierungen – auch außerhalb von kirchlichen Institutionen – individualisieren sich. Anerkennungsforderungen verschiedener religiöser Identitäten werden lauter und finden ihren Ausdruck in politischen, kulturellen und sozialen Zusammenhängen. Der Umgang mit religiöser Vielfalt im Hinblick auf das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft ist dabei eines jener Themen, die in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind. Auch die unterschiedlichen religiösen Fundamentalismen und ihre Folgen sowie rechtspopulistische Positionen, die über den Versuch der Konstruktion eines christlichen Abendlandes als Leitkultur den Islam „pauschal als damit nicht vereinbar oder als ‚nicht zu Deutschland gehörig‘“ (ebd.: 57) zurückweisen, deuten auf eine gesellschaftliche Renaissance von Religion. Trotz fortschreitender Säkularisierungstendenzen1 ist Religion also vielfach sehr präsent und für viele Menschen eine relevante Dimension der Lebenswelt – und zwar sowohl in einem positiven Sinne als stärkende, identitäts- und sinngebende, orientierende Ressource, ebenso aber auch in einem eher problematischen Sinne, denn religiöse Zugehörigkeit kann zu einem gesellschaftlichen Diskriminierungsgrund werden oder selbst zu einem den Alltag einengenden Hindernis. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Religion mit starren Glaubensregeln, Pflichten, Geboten oder gar Gewalt einhergeht, die in Widerspruch zu alltäglichen Bewältigungsanforderungen geraten (vgl. Thiersch in Nauerth u.a. 2017a: 38). Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit werden mit diesen unterschiedlichen Facetten von Religion in ihrer Praxis konfrontiert und über ihre Adressat_innen und deren Lebenswelten zu einer Auseinandersetzung mit Religion aufgefordert. Dass sie darauf weder theoretisch noch methodisch vorbereitet sind, verwundert nicht, denn Religion war in den vergangenen Jahrzehnten eine Leerstelle in Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit (vgl. Nauerth et al. 2017b: 12ff.). In ihren zentralen theoretischen Modellen, im Methodendiskurs und in der Sozialarbeitsforschung fand Religion so gut wie keine Erwähnung. Hier scheint sich erst seit einiger Zeit etwas zu verändern (vgl. Lutz/Kiesel 2016; Freise 2016; Ehlke et al. 2017; Nauerth et al. 2017c). Die Leerstelle in der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit im Hinblick auf die Dimension des Religiösen mag unterschiedliche Gründe haben (vgl. hierzu Bohmeyer 2017 sowie Thiersch in Nauerth et al. 2017a). Festzustellen ist sicherlich, dass sich die 1 Zu einer differenzierten Betrachtung der Säkularisierungsthese vgl. Joas 2013; ihm zufolge ist die lange Zeit vertretene Annahme einer „irreversiblen und radikalen Säkularisierung“ (ebd.: 186), die das Religiöse im Zuge der Modernisierung tendenziell zum Verschwinden bringe, nicht haltbar. Die Entwicklung von Religion in der Gesellschaft ist vielmehr von zwei gegenläufigen Tendenzen bestimmt – einer fortschreitenden Säkularisierung einerseits und einem erneuten Bedeutungszuwachs andererseits.

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Soziale Arbeit im Kontext ihrer Professionalisierung und ihrer Verwissenschaftlichung seit den 1970er Jahren – nachvollziehbar und zu Recht – weiter säkularisiert hat, sich von ihren früheren vorprofessionellen, oftmals religiös begründeten und am Fürsorgegedanken orientierten Wurzeln emanzipiert und auch Religionskritik geübt hat. Vor diesem Hintergrund ist nun jedoch anzunehmen, dass der professionelle Umgang mit Religion derzeit nicht zum grundlegenden Handlungsrepertoire von Sozialarbeiter_innen gehört. Religion – so lässt sich beobachten – wird im Praxiskontext oft übersehen oder bewusst ausgeklammert, unabhängig davon, ob sie für die Adressat_innen von Bedeutung ist. Fachkräfte, die meist selbst keinen eigenen Bezug zu Religion haben, sind nicht vertraut mit religiösen Anliegen, empfinden Unbehagen und Unsicherheit; zum Teil bestehen ablehnende Haltungen allem Religiösen gegenüber.

2. Die Menschenrechte als Referenzrahmen einer religionssensiblen Sozialen Arbeit Mit diesen Bewältigungsstrategien ergibt sich allerdings ein berufsethisches Problem. Hans Thiersch betont: „Wenn Lebensweltorientierung bedeutet, Menschen in ihrer Selbstdeutung ernst zu nehmen, und wenn diese Selbstdeutung religiös ist, ist diese Selbstdeutung ein selbstverständlicher Ausgangspunkt einer gemeinsamen Arbeit“ (Nauerth et al. 2017a: 29f.). Das professionelle Selbstverständnis der Sozialen Arbeit – nicht nur im Kontext der Lebensweltorientierung, hier allerdings besonders pointiert hervorgehoben – besteht darin, die individuelle Lebensweise der Adressat_innen, ihre subjektiven Sinnsysteme und Wirklichkeitskonstruktionen zu achten und daran anzuknüpfen. Diesen Überlegungen folgend wird der Religionsbezug in der Sozialen Arbeit in neueren Publikationen lebenswelttheoretisch eingebettet und begründet (vgl. Bohmeyer 2009; Nauerth 2017; Lob-Hüdepohl 2017: 158). Der hier formulierte Anspruch steht ebenfalls in einem engen Bezug zu den Menschenrechten, zu dem sich dort manifestierenden Recht auf Selbstbestimmung – hier im Besonderen dem Recht auf Religionsfreiheit des Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.2 Es beinhaltet die freie Entscheidung eines jeden Menschen, ob und wie er sich religiös bzw. weltanschaulich 2 Dort heißt es: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen“ (Vereinte Nationen 1948). Der hohe Wert der Glaubensfreiheit wird bereits in der Präambel deutlich:

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orientieren möchte. Für eine Soziale Arbeit, die sich der Achtung dieses Rechts und aller damit verbundenen menschenrechtlichen Ansprüche verpflichtet fühlt, folgt daraus, die religiösen Selbstdeutungen ihrer Adressat_innen, wie auch immer sich diese gestalten, ebenso zu respektieren, wie die Freiheit, ein Leben ohne religiöses Bekenntnis zu führen (positive sowie negative Glaubensfreiheit). Des Weiteren ergibt sich daraus die Aufgabe, sensibel zu sein für Kontexte, in denen das Recht auf Religionsfreiheit eingeschränkt oder gefährdet wird, auch durch eigenes professionelles Handeln. Soziale Arbeit ist sodann aufgefordert, sich für dessen Schutz einzusetzen. Die Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten voraussetzungslos für jeden Menschen gleichermaßen und dienen der Wahrung seiner Würde. In einer Gesellschaft, in der Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von sozialen Benachteiligungen und institutioneller Diskriminierung betroffen sind, wie das auch in Deutschland der Fall ist, steht die Religionsfreiheit auf dem Spiel (vgl. Schulte 2017: 57f.; Deutscher Bundestag 2015). Der nach wie vor in manchen Branchen erschwerte Zugang von Kopftuchträgerinnen zu Ausbildung und Arbeitsmarkt ist dabei nur eines jener, auch für die Soziale Arbeit relevanten Beispiele, die vor dem Hintergrund der Zunahme islamophober Einstellungen in unserer Gesellschaft eine Herausforderung bleiben. Neben dem Respekt und dem Schutz der Religionsfreiheit benennt Lob-Hüdepohl eine weitere menschenrechtsethische Anforderung und zwar die Assistenz bei ihrer Verwirklichung: „Soziale Arbeit unterstützt die Verwirklichung des Rechts auf (positive wie negative) Religionsfreiheit dann, wenn sie die persönliche Selbstvergewisserung und Sprachfähigkeit im weiten Feld lebensweltlicher Kontingenzerfahrungen fördert“ (Lob-Hüdepohl 2017: 163), wenn sie etwa Räume eröffnet, in denen grundlegende Sinnfragen gestellt, die Relevanz von Religion für die eigene Lebensführung geklärt und verschiedene religiöse sowie nicht-religiöse Deutungsmöglichkeiten kennen gelernt werden können. Menschenrechtsorientierung in der Sozialen Arbeit benötigt folglich Religionssensibilität und zwar unabhängig davon, wie die Fachkräfte persönlich zu Religion stehen, ob sie selbst über ein religiöses Bekenntnis verfügen oder Religion kritisch gegenüberstehen. Ebenfalls setzt Menschenrechtsorientierung die Bereitschaft und die Fähigkeit voraus, die eigenen religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugungen und (Glaubens-)Wahrheiten in ihrer Relativität anzuerkennen, sie nicht zu verabsolutieren und durchzusetzen (vgl. Schulte 2015: 8f.). Wie ließe sich eine solche religionssensible Soziale Arbeit konkreter fassen? Der im Folgenden skizzierte Vorschlag soll einen Beitrag leisten zu einer noch relativ am Anfang stehenden fachlichen Debatte (vgl. auch Hahn 2017).

„da verkündet worden ist, dass einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt“ (ebd.).

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Der Religionsbegriff, der zugrunde gelegt wird, folgt einem weiten Verständnis und bezieht sich nicht allein auf institutionalisierte oder konfessionelle Formen (vgl. Nauerth et al. 2017b: 14f.). Ausgangspunkt sind existenzielle Erfahrungen, die jeder Mensch macht und denen er jeweils subjektiven Sinn zuweist. Religionen sind mögliche Deutungssysteme dieser Existenzerfahrungen. Grundsätzlich zu unterscheiden sind Deutungsweisen und Sinnzuschreibungen, die sich im Bereich des Immanenten bewegen und keinen religiösen Gehalt aufweisen, von Deutungsvorgängen, die die eigenen existenziellen Erfahrungen in Zusammenhang mit einer transzendenten Wirklichkeit bringen und daher dem Bereich des Religiösen zuzuordnen sind.3 Erlebnisse der Selbsttranszendenz bzw. der „vertikalen Resonanz“ – wie Hartmut Rosa (2016: 435ff.) es formuliert – können vielfältig bestimmt sein und setzen keinen bestimmten Glauben oder eine Konfession voraus. Sie umfassen etwa auch das Erleben tiefen Friedens im Einklang mit der Natur auf einer Bergspitze oder die innere Erschütterung in Situationen extremen Leids (vgl. Hans Joas in einem Interview mit Rabea Rentschler 2011: 22). Von ihnen wiederum zu unterscheiden sind Transzendenzerfahrungen, die sich in einer konkreten theologischen Vorstellung verdichten und mit dem Bekenntnis und der Zugehörigkeit zu einer Kirche bzw. religiösen Gemeinschaft einhergehen (Konfession). Vor dem Hintergrund der erwähnten religiösen Pluralisierung in unserer Gesellschaft ist ein weites Religionsverständnis, das die Vielfalt individueller und kollektiver Ausdrucksformen religiöser Erfahrungen in den Lebenswelten der Menschen erfasst, für die weiteren Überlegungen geeignet.

3. Religionssensibilität als professionelle Handlungsfähigkeit Ein kurzes Beispiel: Im Rahmen einer Weiterbildung zum Thema Umgang mit Vielfalt und Differenz bin ich vor einiger Zeit von Fachkräften der Sozialen Arbeit und Pflege gefragt worden, ob sie wohl ihren männlichen türkischen Klienten muslimischen Glaubens bei der Begrüßung die Hand geben dürften. Die Frage hat mich zunächst irritiert, denn ich konnte schwerlich stellvertretend für ‚die‘ muslimischen türkischen Männer eine Antwort darauf geben. Die Teilnehmenden insistierten aber, weil sich in ihrer Praxis genau diese Frage immer wieder stelle. Hinter ihrem Anliegen steckte der berechtigte Wunsch danach, respektvoll auf ihre Adressat_innen zuzugehen, religionssensibel zu

3 Zur Definition von Religion über die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz vgl. Luhmann 2000: 53-114.

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sein und das dafür nötige Wissen zu erwerben. Das Wissen um religiöse Besonderheiten – d.h. eine gute Grundlagenkenntnis von Religionen – ist ein Teil der Antwort auf die Frage, was Religionssensibilität ausmacht. Im Kern religionssensibler Handlungsfähigkeit – und im Zentrum der folgenden Erörterungen – stehen jedoch drei weitere Herausforderungen, die über die Aneignung konkreten Religionswissens hinausgehen.

3.1 Religionssensibles Handeln ist kritisch und differenzbewusst Religionssensibilität setzt sich nicht aus Regelwissen oder Rezepten zusammen, die ich einmal erwerbe und dann anwende, und sie bedeutet auch nicht, stets jede Situation, jeden Adressaten bzw. jede Adressatin unter religiösen Vorzeichen zu deuten. Religionssensibel zu sein heißt vielmehr – und darin liegt die Herausforderung – sensibel erfassen zu können, ob Religion überhaupt und wenn ja, inwiefern für einen Hilfeprozess bedeutsam ist und aufgegriffen werden sollte. Wenn eine Fachkraft um die wichtige Bedeutung von Religion weiß, dann will sie ihr auch Rechnung tragen und lenkt ihren Fokus darauf. Der Anspruch religionssensibel sein zu wollen, kann dann der Gefahr unterliegen, Religion übermäßig und dadurch eventuell unangemessen in Hilfesituationen hineinzudeuten. Ebenso wie die weiter oben bereits erwähnte Bewältigungsstrategie des Ausblendens von Religion greift auch ihr Gegenteil, die religiöse Überblendung von Lebenswelten zu kurz.4 Wenn religiöse Deutungen durch Fachkräfte zu einem leitenden Erklärungsmuster für sozial verursachte Problemlagen werden oder zum zentralen Schlüssel des Verstehens des bzw. der ‚Anderen‘, wird das dem einzelnen Subjekt und seiner individuellen Lebenssituation wenig gerecht. Im Zusammenhang mit Menschen, die über einen Migrationshintergrund verfügen und dem Islam angehören oder ihm zugerechnet werden, ist das allerdings keine seltene Umgangsweise. Denn das Wissen über ‚die Religion der Anderen‘ wirkt wie eine Schublade, in die fremd erscheinende, irritierende Situationen eingeordnet werden. Die gute Absicht, religionssensibel zu sein, verdichtet sich dann zu Stereotypisierungen bzw. Fremdzuschreibungen und mündet schlimmstenfalls in Fehldeutungen oder ungeeigneten Handlungsstrategien (vgl. z.B. Hahn 2011: 258ff.). Hier gerät Soziale Arbeit in Gefahr, selbst nicht menschenrechtskonform zu agieren, da das Recht auf (posi-

4 Vgl. hierzu analog die (sozial-)pädagogische Debatte um den Mechanismus der Kulturalisierung bzw. Ethnisierung des Sozialen, z.B. bei Hamburger 1999 und 2006

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tive und negative) Religionsfreiheit und das damit verbundene Verbot der Diskriminierung des Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte5 missachtet wird. Religion ist nicht nur eine anerkennenswerte Dimension der Lebenswelt vieler Menschen. Sie stellt in unserer Gesellschaft – auch in der Sozialen Arbeit – eine sehr wirkmächtige Kategorie der Differenz dar (vgl. Leiprecht/Lutz 2011: 188) und kann zu einem Instrument werden, wenn es darum geht, Menschen in ‚Wir‘ und die ‚Anderen‘ zu unterteilen. Religiöse Zugehörigkeiten unterliegen gesellschaftlicher Bewertung und entscheiden über soziale Chancen und Teilhabemöglichkeiten. Soziale Arbeit, die den Anspruch hat, sich für soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte einzusetzen, ist hier in ihrem berufsethischen und politischen Selbstverständnis angesprochen. Menschenrechtsbasierte Religionssensibilität verpflichtet sich, öffentlich gegen Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausschluss aufgrund der religiösen Zugehörigkeit einzutreten und zu handeln.6 Ein differenzbewusster und kritischer Blick auf Religion in einer gegebenen Hilfesituation analysiert und fragt also jedes Mal wieder neu: Ist Religion die stärkende personale Ressource, die einen gelingenden Alltag unterstützt? Oder ist sie Teil des Problems, um das es geht? Oder ist sie möglicherweise gar nicht relevant? Das herauszuarbeiten kann anspruchsvoll sein. Was ist dabei hilfreich?

3.2 Religionssensibles Handeln folgt einer selbstreflexiven und im hermeneutischen Sinne verstehenden Grundeinstellung Hilfreich ist, sich selbst als Fachkraft mitzudenken. Religionssensibel zu sein bedeutet, nicht allein die Religion der ‚Anderen‘, der Adressat_innen, in den Blick zu nehmen, sondern gegenüber eigenen Grundannahmen, Wertvorstellungen und religiösen Orientierungen gleichermaßen sensibel zu sein. Das kann auf besondere Weise herausfordern oder sogar eine Zumutung darstellen. Der zentrale Bezugspunkt der Sozialen Arbeit sind die Adressat_innen in ihrer Lebenswelt, die in ihrem Eigensinn verstanden und anerkannt werden sollen. Sich Anderen verstehend zu nähern bedarf zunächst keiner religionsbezogenen Kompetenzen. Entscheidend sind die Bereitschaft und die Fähigkeit 5 „Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ (Vereinte Nationen 1948) 6 In diesem Zusammenhang ließe sich kritisch fragen, ob der hier vorgeschlagene Begriff der Religionssensibilität stimmig ist, um die professionellen Anforderungen an eine menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit zu fassen. Diese gehen deutlich über ein sensibles Erkennen, Achten und Respektieren der religiösen Deutungssysteme von Adressat_innen hinaus und beinhalten, wie hier angedeutet, ebenso ein politisches Mandat.

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zum Perspektivwechsel. Der Perspektivwechsel jedoch beginnt beim Bewusstsein über die eigene Perspektive, die es zu wechseln gilt, und setzt insofern Selbstreflexion voraus. Was prägt mich im Umgang mit anderen Menschen? Was leitet meine Wahrnehmung? Die Subsumtion des Gegenübers unter bereits bekanntes Wissen nach dem Motto „Ich weiß, wer du bist“ führt ebenso schnell an die Grenzen des Verstehens, wie eine Expert_innenhaltung, die der Devise folgt „Ich verstehe dich sogar besser als du selbst“. Gadamer (1990: 274) zufolge kennzeichnet alles Verstehen eine gewisse Vorurteilshaftigkeit, denn Interpretationen erfolgen stets vom eigenen Standort der Verstehenden aus und sind entsprechend mit Vorverständnissen verbunden. Sie zu reflektieren ist daher ebenso eine Grundbedingung von gelingenden Verstehensprozessen, wie die Offenheit, sie in Frage zu stellen und zu modifizieren. Vorhandenes Wissen über die Lebenswelt von Adressat_innen kann daher immer nur als vorläufiges und damit auch unsicheres Wissen begriffen werden. Bezogen auf das weiter oben aufgeführte Beispiel hieße das: Nicht die Antwort auf die Frage, ob ich türkischen Männern muslimischen Glaubens die Hand gebe, ist das Entscheidende. Das Entscheidende ist, die Frage überhaupt zu stellen. Religionssensibles Verstehen kennzeichnet eine forschende Grundeinstellung und erfordert hermeneutisches Deutungswissen, anstelle eines eher blockierenden Regelwissens. Es ist gebunden an die grundsätzliche Offenheit und den Respekt für die Andersheit des bzw. der Anderen, auch wenn mich diese in meinen eigenen Standpunkten irritiert. Anders gesagt: Wer Fragen stellt, muss sich dann auch auf die Antworten einlassen können. „Offenheit für den anderen“, so formuliert es Gadamer (1990: 367), „schließt also die Anerkennung ein, daß ich in mir etwas gegen mich gelten lassen muß, auch wenn es keinen anderen gäbe, der es gegen mich geltend machte.“ Religionssensibilität zielt insofern auch auf die Fähigkeit, Kontingenzerfahrungen auszuhalten und trotzdem handlungsfähig zu bleiben. Die Einsicht in die Möglichkeit des NichtVerstehens sowie das Aufgeben des Wunsches nach Gewissheit fällt Fachkräften oft schwer, denn es bedeutet, sich von einer Deutungs- und Erklärungsmacht zu verabschieden, über die auch Handlungssicherheit gewonnen wird. Religionssensibilität meint nun aber keineswegs, den eigenen, professionsethisch begründeten Standpunkt aufzugeben. Soziale Arbeit muss gegenüber religiösen Selbstdeutungen und Einstellungen ihrer Adressat_innen kritisch bleiben, sofern diese ihrerseits gegen menschenrechtliche Ansprüche Dritter verstoßen, z.B. bei aggressivem oder gewaltbereitem Fundamentalismus, der zu Fremdgefährdungen führt. Lob-Hüdepohl (2017: 165) sieht in diesen Fällen menschenrechtsbegründet eine Berechtigung oder sogar eine Pflicht zu „kritische[n] Interventionen in die Sphäre religiöser Selbstverhältnisse von Adressatinnen und Adressaten“. Im besten Fall jedoch zielt Religionssensibilität auf den Dialog ab, d.h. auf einen offenen, transparenten und auf Verständigung hin orientierten kommunikativen Stil, der es ermöglicht, Perspektivenvielfalt zu

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gewinnen und im Modus des Verhandelns (vgl. Thiersch 2002: 109) konstruktive Handlungsalternativen für die Bewältigung des Alltags zu entwickeln. Als selbstreflexive Fähigkeit schließt Religionssensibilität auch die Klärung des eigenen Verhältnisses zu Religion ein. Religion lässt sich aufgrund ihres spirituellen Charakters nur bedingt methodisieren und entzieht sich einem sachlich-instrumentellen Gebrauch in der Sozialen Arbeit (vgl. Mühlum 2007: 88). Ein Zugang der Fachkraft zu Religion im Sinne einer eigenen spirituellen Grundorientierung oder Religionsmusikalität, die von einem Konfessionsglauben völlig unabhängig sein kann, kann daher ein zusätzliches Potenzial im professionellen Handeln darstellen. Sofern Hilfesuchende auf religiöser Basis Halt suchen, können wahrnehmbare ‚religiöse Sensoren‘ auf der Beziehungsebene eine Brücke bilden, die das nötige Vertrauen entstehen lässt, Religiosität überhaupt zur Sprache zu bringen und sich mit seinen religiösen Bedürfnissen ernst genommen zu fühlen (vgl. Hahn 2017: 330ff.). Spiritualität kann gewiss nicht verordnet werden. Fachkräfte in der Sozialen Arbeit können aber angeregt werden, sich selbstreflexiv mit existentiellen Fragen und eigenen Sinnquellen auseinanderzusetzen, um hierüber ein Bewusstsein zu erlangen. Mühlum (2007: 86) plädiert daher dafür, Räume für religiöse Selbstexploration in die Aus- und Weiterbildung zu integrieren. Auch Freise (2016: 460f.) ist der Auffassung, dass Sozialarbeiter_innen „weltanschaulichreligiöse Selbstkompetenz“ bereits im Studium zu entwickeln und einzuüben hätten. Denkbar wären sie z.B. als Erweiterung von sensibilisierenden Diversity- oder Antidiskriminierungsprogrammen, in denen die Befassung mit anderen Kategorien, wie Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft, ohnehin die Selbstreflexion eigener auf diese Kategorien bezogener Zugehörigkeiten beinhaltet. Der Ausgang einer solchen selbstreflexiven Auseinandersetzung mit Spiritualität muss notwendig offen bleiben. Sie kann dazu führen, ein Gespür für eigene religiöse Zugänge zu entwickeln oder eben persönliche Grenzen im Hinblick auf das Religiöse zu erkennen. Durch eine solche kritische Selbstklärung kann es möglich werden, die bereits erwähnten Berührungsängste, die Rat- und Sprachlosigkeit vieler Fachkräfte im Hinblick auf religiöse Themen abzubauen und Handlungsfähigkeit auszubilden.

3.3 Religionssensibles Handeln ist vernetzt mit religiösen Akteur_innen im Sozialraum Wenn Religion in konfessionell gebundener Form in der Sozialen Arbeit Bedeutung erlangt, d.h. wenn etwa in Krisensituationen auch seelsorgerische Begleitung gefordert ist, sterbende Menschen letzten Halt in ihrem Konfessionsglauben suchen, Eltern Erziehungsstile religiös begründen, Jugendliche Gewaltverhalten aus ihrem Konfessionsglauben herleiten oder kranke Menschen

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ihr Schicksal als von Gott gegeben erleben, dann ist mitunter spezifisches konfessionelles Wissen und Können der Fachkraft gefragt. Eine generelle spirituelle Grundorientierung oder eine menschenrechts- und differenzbewusste Einstellung helfen dann allein nicht immer weiter. Religionsspezifische Bedürfnisse und Deutungen der Lebenssituation erfordern entsprechende Herangehensweisen und theologische oder seelsorgerische Fachkompetenz (vgl. Hahn 2017: 333f.). Sozialarbeiter_innen können dies in der Regel nicht vorweisen, es sei denn, sie verfügen über eine Doppelqualifikation, wie es etwa Diakon_innen in Bezug auf den evangelischen Glauben tun. Thiersch sieht Sozialarbeiter_innen daher diesbezüglich „eher als Türöffner oder Brückenbauer“ (Nauerth et al. 2017a: 39). Die Herausforderung, die sich daraus für eine religionssensible Soziale Arbeit ergibt, besteht darin, religionsspezifische Anliegen der Adressat_innen als solche zu erkennen, sich der eigenen professionellen Grenzen ihres Einbezugs in den Hilfeprozess bewusst zu sein, Religion in diesem Fall jedoch nicht auszuklammern, sondern an entsprechende Expert_innen zu vermitteln und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Kooperation und Vernetzung der Sozialen Arbeit mit religiösen Akteur_innen im Sozialraum der Adressat_innen setzen eine gute Kenntnis der vorhandenen Angebote und Möglichkeiten voraus.

4. Menschenrechtsorientierung erfordert auch Religionssensibilität – ein Fazit Im Rückblick auf die vorangegangenen Erörterungen werden drei sich ergänzende religionssensible Zugänge in der Sozialen Arbeit erkennbar, die meines Erachtens in Theorie und Forschung zu vertiefen wären: Erstens ist eine religionsunabhängige differenzbewusste Handlungsfähigkeit, die auf die respektvolle, nicht-diskriminierende Anerkennung des Eigensinns ihrer Adressat_innen zielt und dabei auch die Dimension des Religiösen ganz selbstverständlich einbezieht, schon aus berufsethischen Gründen in der Sozialen Arbeit unverzichtbar. Sie gehört zum basalen professionellen Repertoire einer jeden Fachkraft. Zweitens sind eigene spirituelle Grundorientierungen auf Seiten der Fachkraft ein besonderes zusätzliches Potenzial. Das ist zwar nicht grundsätzlich vorauszusetzen, die Eröffnung von Möglichkeitsräumen zur Reflexion eigener Spiritualität sollte jedoch in Aus- und Weiterbildung mehr Gewicht erhalten und sich auch in den Organisationen – unabhängig davon ob es sich um konfessionelle oder nicht-konfessionelle Träger handelt – etablieren. Drittens ist konfessionsbezogenes professionelles Wissen und Können eine relevante Zusatzkompetenz, die über die Soziale Arbeit hinausgeht und als Teil

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einer Doppelqualifikation, z.B. zur Sozialarbeiterin und Diakonin, besonderes Gewicht erhält. Religionssensibilität schließt kognitive Fähigkeiten ein und umfasst auch Grundlagenwissen über Religionen. Sie ist zudem eine reflexive Fähigkeit und eine Haltung den Adressat_innen sowie uns selbst gegenüber. Die Aufgabe religionssensibel zu sein, stellt sich in jeder Situation immer wieder neu. Sie ist ein offener, dynamischer und bisweilen auch als Zumutung empfundener Lernprozess für alle Beteiligten. Dieser Lernprozess beinhaltet jedoch die Chance, sich selbst – eigene Prämissen und Handlungen – besser zu verstehen. Die Menschenrechte als ethisch-moralischer Referenzrahmen für einen neuerlichen Einbezug von Religion in die Soziale Arbeit sind eine Chance, Religion aufzugreifen, ohne dem eigenen professionellen Verständnis selbst religiöse Motive zugrunde zu legen. Religionssensibilität begründet sich nicht religiös, sondern menschenrechtlich. Sie kann daher in der Sozialen Arbeit – auch bei denjenigen Fachkräften, die dem Religiösen eher skeptisch gegenüberstehen – in ihrer Notwendigkeit gesehen und ausgebildet werden, wenn sie mit einer Sensibilisierung für die Menschenrechte einhergeht. Denn Menschenrechtsorientierung erfordert Religionssensibilität und bietet zugleich Raum für Religionskritik, sofern konfessionelle Bevormundung, Missionierung oder Gewalt drohen.

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Die Menschenrechte und der Schutz des Wohnens – Professionelles Handeln und die guten Gründe für den universellen Schutz des Wohnens Menschenrechte und Schutz des Wohnens Edi Martin

1. Einleitung Viele (potenzielle) Klientinnen und Klienten der Sozialen Arbeit leben in prekären Wohnverhältnissen, einige sind gar wohnungslos1. Wenn diese Missstände behoben werden sollen, dann braucht es gezielte Anstrengungen und Ressourcen. Die Beteuerung, Wohnen sei für Menschen sehr wichtig und der schlichte Hinweis auf die Menschenrechte, ist in der Regel nicht hinreichend zur Legitimation professionellen Handelns Sozialer Arbeit bei Trägerorganisationen, Geldgebern und Behörden. Es bedarf meist relativ ausführlicher Begründungen. Im Folgenden werden normative und beschreibend-erklärende Grundlagen präsentiert, die überzeugende Begründungen ermöglichen. In der Menschenrechtsdeklaration ist kein explizites Recht auf Wohnen deklariert, auf das man sich simpel berufen kann, deshalb werden Artikel aus mehreren Menschenrechtsdokumenten vorgestellt, die sich auf den Schutz des Wohnens beziehen. Im Anschluss daran werden wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Wohlbefinden, menschliche Bedürfnisse und die Relevanz des Wohnens für das Leben der Menschen präsentiert, wodurch die universelle Relevanz, der auf das Wohnen bezogenen Formulierungen, in den Menschenrechtsdokumenten nachvollziehbar und bestärkt wird. Der dritte Teil des Beitrags widmet sich dem Problem, dass ausgehend von Wissen über konkrete Lebensverhältnisse und die Menschen nicht auf Ziele geschlossen werden kann, weil es eine logische Lücke zwischen Sein und Sollen gibt. Dieser ernstzunehmende Vorbehalt wird Naturalistischer Fehlschluss genannt und betrifft u.a. auch die Frage, was gut für Menschen ist. Bei der Suche nach Antworten auf diese Frage stellen sich zahlreiche Fallen 2 , die 1 Gerne hätte ich auch Zahlen zur Anzahl von Wohnungslosen und prekär Wohnenden in der Schweiz und in Deutschland präsentiert, aber verlässliche Daten dazu sind nicht verfügbar. Für die Schweiz siehe: Bochsler et al. 2015. 2 Hier wären zu nennen das Abgleiten in postmodernen Subjektivismus, Relativismus, Kulturalismus oder das Erheben von Definitionen zu obersten moralischen Prinzipien.

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durch den Bezug auf wissenschaftliches Wissen über menschliches Wohlbefinden, menschliche Bedürfnisse und Wohnen vermieden werden können. Die logische Lücke zwischen Sein und Sollen ist für die Soziale Arbeit besonders wichtig, weil bei allen Menschen Veränderungsbereitschaft, die zu absichtsvollen Handlungen führen soll, motivierende Ziele voraussetzt (Obrecht 2004: 8ff). In der Praxis erfordert professionelles Handeln immer die Überbrückung dieser Lücke zwischen Sein und Sollen, ohne dabei dem naturalistischen Fehlschluss zu verfallen und ist ohne Problem-Ziel-Bezüge unmöglich.

2. Menschenrechtsdokumente als Basis für normative Aussagen zum Wohnen In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 finden sich mehrere Artikel, die auf Wohnen, Wohnort oder auf Bedürfnisse im Zusammenhang mit Wohnen verweisen (United Nations 1948; humanrights.ch 2014; siehe auch Rausch 2011: 236-238): Artikel 3: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Darin spiegeln sich a) im Recht auf Leben das generelle Recht darauf, seine Bedürfnisse zu befriedigen, b) im Recht auf Freiheit das Recht, das Bedürfnis nach Autonomie zu befriedigen und c) im Recht auf Sicherheit das Recht, das Bedürfnis nach physischer Integrität zu befriedigen. Für alle drei Aspekte stellt eine Wohnung eine wichtige Ressource dar. Artikel 12: Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

Darin spiegelt sich u.a. das Recht, das Bedürfnis nach Regenerierung zu befriedigen, indem Privatheit und die Wohnung vor willkürlichen Eingriffen geschützt werden. Artikel 13: (1) Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.

Darin geht es um den Schutz des zutiefst natürlich-menschlichen Bestrebens und Handelns, sich zu Orten hinzubewegen, die für das Leben günstig sind, indem allgemein günstige Bedingungen für die Befriedigung mehrerer Bedürfnisse geschaffen werden und der Gefahr starker Bedürfnisspannungen vorgebeugt wird (siehe Kapitel 3, Abs. 6).

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Artikel 25: (1) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, […[.

Darin spiegelt sich a) dass eine Wohnung zum Recht auf einen Lebensstandard gehört, der Gesundheit und Wohl gewährleistet. Der Begriff „Wohl“ spiegelt b) die bedürfnistheoretische Hypothese, dass Wohnen generell für die Befriedigung der Bedürfnisse grundlegende Voraussetzung ist. Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (abgeschlossen in New York am 16. Dezember 1966) ist in Art. 11 das Recht auf eine ausreichende Unterbringung festgehalten (Schweizerische Eidgenossenschaft 2015; humanrigths.ch 2014): Art. 11: (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschliesslich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an.

Beachtenswert ist, dass explizit auf die „stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“ hingewiesen wird und die Vertragsstaaten zu internationaler Zusammenarbeit aufgefordert werden. Weiter finden sich auf das Wohnen bezogene Rechte in mehreren internationalen Übereinkommen und Konventionen, die auf spezifische Personengruppen fokussieren, welche oft Adressaten Sozialer Arbeit sind: Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Art. 5, (Schweizerische Eidgenossenschaft 1965). Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Art 14, (2) (United Nations 1979; Schweizerische Eidgenossenschaft 1979). Übereinkommen über die Rechte des Kindes Art. 27, (1), (2) und (3) (Schweizerische Eidgenossenschaft 1989). Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen Art 43, (1), (3) – bisher von keiner westlichen Industrie- und Einwanderungsnation ratifiziert (humanrights.ch 1990). Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen Art. 14 (2), Art 28 (1) und (2) a) und d) (humanrights.ch 2006; Schweizerische Eidgenossenschaft 2006).

Explizit festgehalten ist das Recht auf Wohnung in der Europäischen Sozialcharta (revidiert) 3.5.1996, (von der Schweiz noch nicht ratifiziert):

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Teil I Die Vertragsparteien sind gewillt, mit allen zweckdienlichen Mitteln staatlicher und zwischenstaatlicher Art eine Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, geeignete Voraussetzungen zu schaffen, damit die tatsächliche Ausübung der folgenden Rechte und Grundsätze gewährleistet ist: (umfasst 31 Punkte) 31. Jedermann hat das Recht auf Wohnung. Teil II Die Vertragsparteien erachten sich durch die in den folgenden Artikeln und Nummern festgelegten Verpflichtungen nach Maßgabe des Teils III als gebunden. Artikel 31 – Das Recht auf Wohnung Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Wohnung zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die darauf gerichtet sind. 1) den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern; 2) der Obdachlosigkeit vorzubeugen und sie mit dem Ziel der schrittweisen Beseitigung abzubauen; 3) die Wohnkosten für Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, so zu gestalten, dass sie tragbar sind. (Department of the European Social Charter 2008; humanrights.ch 2014)

Soweit die zahlreichen Aussagen zum Wohnen in den Menschenrechtsdokumenten. Entsprechend haben die einzelnen Staaten Regelungen in ihre Staatsverfassungen aufgenommen, wenn teilweise auch nur in einer reduzierten Form, wie das Beispiel der Schweiz zeigt: Schweizerische Bundesverfassung Die Schweizerische Bundesverfassung schreibt – mit Ausnahme des Rechts auf Hilfe in Notlagen, dem Anspruch auf Grundschulunterricht und der Wirtschaftsfreiheit – keine verbindlichen und justiziablen Sozialrechte fest. Die meisten der durch internationale Menschenrechtsabkommen garantierten Sozialrechte sind in der Bundesverfassung auf bloss programmatische Sozialzielbestimmungen reduziert. Zum Recht auf Obdach hält die Bundesverfassung unter 3. Kapitel; Sozialziele in Artikel 41 fest: Art. 41: (1) Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: […] (e) Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können; […] (3) Sie [Bund und Kantone] streben die Sozialziele im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Zuständigkeiten und ihrer verfügbaren Mittel an. (4) Aus den Sozialzielen können keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen abgeleitet werden. (humanrights.ch 2014)

Befasst man sich eingehend mit all diesen Artikeln der Menschenrechtsdokumente und der nationalen Verfassung, dann gelangt man zu guten normativen Argumenten für die Begründung von Projekten und Interventionen im Wohnbereich.

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Interessant ist jeweils zu klären, inwieweit die Aussagen in den Menschenrechtsdokumenten, die für ein bestimmtes Vorhaben Sozialer Arbeit relevant sind, mit den Erkenntnissen der Wissenschaften übereinstimmen. Gibt es Übereinstimmung, dann ist ihre Gültigkeit nicht bloß durch internationale Vereinbarung (Konvention) begründet, sondern auch dadurch, dass sie den Tatsachen, der Natur der Dinge und im besten Fall universellen Gegebenheiten Rechnung tragen.

3. Die Relevanz von Wohnen im Leben der Menschen Ein paar Hinweise sind zur Vielfalt vergangener und gegenwärtiger Wohnformen und Behausungen sowie zu sesshaftem und mobilem Leben nötig, damit das Reden und Schreiben über Wohnbedürfnisse und Menschenrechte sich daran orientiert, was wir aufgrund wissenschaftlicher Arbeiten wissen können. „Lässt man die Vorgeschichte heutiger Menschen mit der Entstehung der Hominiden vor 6 Mio. Jahren beginnen, haben Menschen (bei einer Generationsdauer von 30 Jahren) 200.000 Generationen als Jäger und Sammler gelebt und davon gegen 70.000 [Generationen] als sprach- und selbstbewusstseinsfähige Wesen, 400 [Generationen] in Agrargesellschaften, d.h. unter Bedingungen ausgeprägter Statusdifferenzierung, und acht [Generationen] in modernen Industriegesellschaften und davon nur eine halbe in einer weltweit vernetzten „Informationsgesellschaft“, in der gegenwärtig über 50% der Bevölkerungen von Nationalstaaten in städtischen Agglomerationen leben. Die Periode der Status- bzw. vertikalen Differenzierung von Gesellschaften mit der mit ihr einhergehenden ausgeprägten Statuskonkurrenz umfasst dabei, da sie mit der Herausbildung der sesshaften Lebensweise in Agrargesellschaften beginnt, lediglich fünf Hundertstel der gesamten Zeit“ (Obrecht 2010: 7; Einfügungen: Martin).

Vereinheitlichende Vorstellungen bei der Behandlung von Wohnfragen sind nicht angemessen, weil die tatsächlichen Wohnbedingungen und Wohnformen extrem vielfältig und sehr unterschiedlich sind. Menschen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Gesundheitszuständen oder Behinderungen, sehr verschiedenen klimatischen, topographischen, sozialen und kulturellen Lebensbedingungen und entsprechenden Lebensformen befriedigen ihre Bedürfnisse in unterschiedlicher Weise (Brändle-Ströh 1999: 16; 2003: 87). Heute leben bei uns in Europa die meisten Menschen in städtischen Agglomerationen, sind sesshaft und auch die „Landlosen“ unter ihnen haben als Mietende eine Wohnung oder ein Haus. Aber es gibt gleichzeitig Wohnungsnot, Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Geflüchteten, Strafentlassenen und Personen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen. Es gibt zu

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wenige Standplätze für Jenische, Roma und Sinti sowie ein sehr knapp bemessenes und geografisch nicht flächendeckendes Angebot an Notunterkünften für Wohnungslose. All diese Personengruppen werden ignoriert, schikaniert oder gar bekämpft. Es stellt sich die Frage, ob die Schwierigkeiten, denen Wohnungslose ausgesetzt sind, durch Ängste der Sesshaften gegen alle Nicht-Sesshaften erzeugt und aufrecht gehalten werden. Warum ist Wohnen für das Leben der Menschen besonders wichtig? Beginnen wir bei uns als Mensch: „Als Biosysteme sind Menschen eine der zwischen 15-20 Mio. Spezies, die gegenwärtig die Welt bevölkern und gemeinsame Vorfahren in einzelligen Lebewesen haben“ (Obrecht 2010: 7). Wir Menschen – d.h. Sie und ich, wir alle – sind eine spezifische Art von Lebewesen, d.h. Biosystemen. Unser komplexes Nervensystem ist zentralisiert und hat äußere und innere Sensoren, welche regelungsbedürftige organismusinterne Größen registrieren. In spezifischen, festverschalteten Bereichen des Zentralnervensystems werden diese Erregungsmuster erkannt und bewertet (Biowerte) und schließlich werden organismische Prozesse und muskuläre Bewegungen aktiviert. Diese Klasse von Regelungsprozessen im festverschalteten Teil des Gehirns sind die Bedürfnisse. „Im Sinne einer übergeordneten Tendenz neigen Organismen mit solchen Nervensystemen […] dazu, räumliche Zonen aufzusuchen oder gar aktiv zu schaffen, in denen die defizitreduzierenden Ressourcen hinreichend und die Gefahr der Entstehung nicht kompensierbarer Defizite gering sind“ (Obrecht 2005: 36). Dieser Umstand ist für Fragen des Wohnens allgemein wichtig. Werner Obrecht (2005: 16ff.) hat nach Kenntnisnahme und Analyse der Bedürfnisklassifikationen zahlreicher Autorinnen und Autoren und weiterem Grundlagenstudium, die nachfolgend aufgelisteten Bedürfnisse herausgearbeitet. Aufgrund ihrer Funktion im Hinblick auf die innere Struktur menschlicher Organismen lassen sich drei Klassen von Bedürfnissen unterscheiden: Biologische, (bio-)psychische und (biopsycho-)soziale Bedürfnisse: Biologische Bedürfnisse 1.

2. 3. 4.

nach physischer Integrität, d.h. nach Vermeidung von Verschmutzung, das Wohlbefinden reduzierenden, (schmerzhaften) physikalischen Beeinträchtigungen (Hitze, Kälte, Nässe), Verletzungen sowie der Exposition gegenüber (absichtsvoller) Gewalt; nach den für die Autopoiese erforderlichen Austauschstoffen: 1. verdaubarer Biomasse (Stoffwechsel); 2. Wasser (Flüssigkeitshaushalt); 3. Sauerstoff (Gasaustausch); nach Regenerierung; nach sexueller Aktivität und nach Fortpflanzung;

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(Bio-)psychische Bedürfnisse a) elementare (bio-)psychische Bedürfnisse: 5. 6. 7. 8. 8.

nach wahrnehmungsgerechter, sensorischer Stimulation durch a) Gravitation, b) Schall, c) Licht, d) taktile Reize (sensorische Bedürfnisse); nach schönen Formen in spezifischen Bereichen des Erlebens z.B. Landschaften, Gesichter, unversehrte Körper (ästhetische Bedürfnisse; Bedürfnis nach ästhetischem Erleben); nach Abwechslung/Stimulation (Bedürfnis nach Abwechslung); nach assimilierbarer orientierungs- und handlungsrelevanter Information; a) nach Information via sensorische Stimulation (Bedürfnis nach Orientierung);

b) komplexe, volles Selbstbewusstsein involvierende (bio-)psychische Bedürfnisse: 8.

b) nach einem der gewünschten Information angemessenen Code. Bedürfnis nach [erkenntnistheoretischem] „Sinn“, d.h. nach dem Verstehen dessen, was in einem und um einen herum vorgeht und mit einem geschieht, insofern man davon Kenntnis hat. Im Bereich des bewussten Denkens entspricht diesem Bedürfnis das Bedürfnis nach subjektiver Sicherheit/Gewissheit bzw. nach „Überzeugung“ in den subjektiv relevanten Fragen; 9. nach subjektiv relevanten (affektiv besetzten) Zielen und Hoffnung auf Erfüllung (Bedürfnis nach subjektivem „Sinn“); 10. nach effektiven Fertigkeiten („skills“), Regeln und (sozialen) Normen zur Bewältigung von (wiederkehrenden) Situationen in Abhängigkeit der subjektiv relevanten Ziele (Kontroll- oder Kompetenzbedürfnis); (Biopsycho-)soziale Bedürfnisse a) elementare biopsychosoziale Bedürfnisse 11. nach emotionaler Zuwendung (Liebe, Freundschaft, aktiv und passiv) (Liebesbedürfnis); 12. nach spontaner Hilfe (Bedürfnis, zu helfen); b) komplexe, volles Selbstbewusstsein involvierende biopsychosoziale Bedürfnisse; 13. nach sozial(kulturell)er Zugehörigkeit durch Teilnahme. Mitgliedschaft in Familie, Gruppe, Gesellschaft (Sippe, Stamm, „Ethnie“, Region, Nationalstaat) (Mitglied zu sein heißt Rechte zu haben, weil man Pflichten erfüllt) (Mitgliedschaftsbedürfnis); 14. nach Unverwechselbarkeit (Bedürfnis nach biopsycho-sozialer Identität); 15. nach Autonomie (Autonomiebedürfnis); 16. nach sozialer Anerkennung (Funktion, Leistung, „Rang“) (Anerkennungsbedürfnis); 17. nach (Austausch-)Gerechtigkeit (Gerechtigkeitsbedürfnis);

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Nachfolgend wird beispielhaft ein Bedürfnis in Bezug auf Wohnen erläutert, was auch zeigt, wie Theoriewissen und praxisbezogenes, kontextuelles Erfahrungswissen relationiert werden können: Das soziale Bedürfnisse 11) nach emotionaler Zuwendung hat innerhalb und in der räumlichen Nähe des Wohnens erhöhte Chancen befriedigt zu werden, vorausgesetzt es sind nicht soziale und kulturelle Differenzen vorhanden, die Fremdheitsgefühle provozieren. Unterstützend wirkt, wenn die Wege im Haus und im Außenraum so angelegt sind, dass sie Kontaktnahme ermöglichen ohne extreme Nähe zu erzwingen. Die Möglichkeit des freien Zugangs für Angehörige und Freunde sowie der freie Austausch zwischen ihnen sind wichtige Bedingungen für die unbehinderte Bedürfnisbefriedigung, die jedoch in Heimen, Einrichtungen und Anstalten nicht überall verwirklicht sind. Anteilnahme und Zuwendung eröffnen vielerlei Austauschbeziehungen und diese festigen den sozialen Zusammenhalt. Die positive Wirkung von Beziehungen zwischen Mensch und Heim- oder Haustier ist mehrfach nachgewiesen und müsste daher auch in institutionellen Wohnformen sowie im öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbestand zugelassen und gefördert werden. Zuwendung und Freundschaft kann über Distanz auch über Medien vermittelt sein (Telefon, Briefpost, Internet, Hilferuf- und Alarmsysteme) und deshalb ist der Zugang zu diesen wichtig. Die Möglichkeit freundlich gesinnte Menschen einladen zu können und gastfreundlich zu sein, bedingt eine Unterkunft, deren Ausgestaltung dies erlaubt. Wie beim Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung lassen sich bei allen 17 Bedürfnissen relevante Bezüge zum Wohnen feststellen. Erläuterungen zu weiteren Bedürfnissen finden sich in Martin (2015). Wohnen kann für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ermöglichende oder erleichternde Voraussetzungen bieten und es kann Menschen erleichtern, desorganisierenden und verschleißenden Vorgängen (die Bedürfnisspannungen aufbauen) zu begegnen. Zusammen mit der übergeordneten Tendenz räumlich günstige Zonen aufzusuchen, erklärt dies die hohe Relevanz des Wohnens für das menschliche Wohlergehen3. Weil Ausführungen über menschliche Bedürfnisse von jeder Person aufgrund eigener Erlebnisse und Erfahrungen leicht nachvollziehbar sind, sind sie zur Diskussion und Begründung von professionellen Vorhaben gut geeignet. Was wir über das vielfältige Wohnen der Menschen wissen können und was das Wissen über das Wohlergehen der Menschen und die Theorie menschlicher Bedürfnisse nahelegen, zeigt eine hohe Übereinstimmung mit den Aussagen in den Menschenrechtsdokumenten. Dies bedeutet, dass die normativen Aussagen der Menschenrechtsdokumente und die wissenschaftlichen Erkennt-

3 Wohlergehen definiert als Zustand, bei dem die menschlichen Bedürfnisse im Rahmen ihrer Elastizität ausreichend befriedigt sind.

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nisse sich als Argumente im Zusammenhang mit Wohnproblemen und Obdachlosigkeit vorzüglich ergänzen und dass ihnen universelle Gültigkeit zukommt. Nun zu einem oft vernachlässigten Aspekt professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit.

4. Der Übergang vom Sein zum Sollen: Vom Wissen über Wohnsachverhalte, über Menschen und deren Bedürfnisse zu Zielsetzungen bzw. von der Situationsanalyse und Diagnose zu Zielsetzungen. Wenn Professionelle einen konkreten Wohnsachverhalt analysiert haben, 1. mehr oder weniger tatsachengetreu beschreiben können, WAS ist, 2. in den zentralen Aspekten wissen, WARUM es so ist, wie es ist, 3. realistisch einschätzen können, WOHIN es sich entwickelt, wenn nichts unternommen wird 4. unter maßgeblicher Beteiligung der involvierten Personen menschenrechts- und bedürfnisbezogen bewerten können, was daran GUT und was PROBLEMATISCH ist,

dann stellt sich bezüglich der vorliegenden Probleme die Frage, WORAUFHIN gearbeitet werden soll – oder anders formuliert, welche Ziele angestrebt werden sollen (Martin 2014: 160ff.; ausführlicher Obrecht 2004: 5ff.). Aber wie gelangen wir von Tatsachenbeschreibungen zu Sollens-Vorstellungen? Der englische Philosoph David Hume hat auf ein Grundproblem ethischer Begründungen hingewiesen: Aus Tatsachenbeschreibungen lassen sich logisch keine Sollens-Aussagen ableiten. „Es ist demnach also unmöglich, aus einem beobachtbaren und als „natürlich“ aufgefassten Verhalten des Menschen darauf zu schließen, wie er sich verhalten soll“ (Liessmann et al. 2007: 204). Dieses Grundproblem wird als Naturalistischer Fehlschluss bezeichnet. Dagmar Fenner (2008: 87) präsentiert u.a. bekannte und aktuelle Argumente als Beispiele: 1. Z ist gegen Empfängnisverhütung, weil das naturwidrig sei. 2. X rechtfertigt seine Steuerhinterziehung damit, dass doch alle Menschen dies tun. 3. Y hat der fremden Frau beim Aussteigen aus dem Zug geholfen, weil sie alt und gebrechlich war und zwei schwere Koffer trug. 4. Immer mehr Menschen wollen Fliegen  es müssen mehr Flughäfen gebaut werden.

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All dies sind Naturalistische Fehlschlüsse! Auf unser Thema bezogen könnte formuliert werden: 

Immer mehr Menschen leben auf der Straße  es müssen mehr Straßenräume zum Wohnen angeboten werden.

Bei solchen Argumenten werden Normen auf Fakten reduziert, was logisch falsch oder zumindest unvollständig ist. Das Humsche Gesetz verweist darauf, dass es logisch unmöglich ist, aus einer deskriptiven Tatsachenaussage direkt eine normative Sollensforderung abzuleiten, denn Tatsachenbeschreibungen enthalten keine präskriptiven (vorschreibenden / verordnenden /empfehlenden) Eigenschaften (Prädikate). Abbildung 1: Der Übergang von Sein zum Sollen als Naturalistischer Fehlschluss Vom Wissen über Wohnsachverhalte, über Menschen und deren Bedürfnisse

➞ Zielsetzungen

bzw. von der Situationsanalyse

➞ Zielsetzung

= Naturalistischer Fehlschluss! Quelle: Eigene Darstellung

Es gibt also eine logische Lücke zwischen Ist- und Soll-Aussagen und „[…] alle, die diese Lücke zu überbrücken trachten, werden dabei des naturalistischen Fehlschlusses bezichtigt“ (Bunge/Mahner 2004: 180). Für Professionelle entsteht so ein handlungshemmendes Problem. Denn sie sind im Hinblick auf Problemlösungen gefordert, motivierende Ziele und Sollvorstellungen (möglichst gemeinsam mit den Adressaten) zu entwickeln. Was tun, wenn das logisch als unmöglich erklärt wird? Seit David Hume den Naturalistischen Fehlschluss thematisiert hat, haben sich, wie das in den Wissenschaften üblich ist, weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diesem Problem befasst. Was haben sie herausgefunden? Dagmar Fenner (2008) stellt fest: Der Naturalistische Fehlschluss ist in der unvollständigen Argumentation begründet, es fehlt die Schlussregel. „[…], die zeigt, wieso der Schluss von den Fakten oder Daten […] auf die ethische Sollensforderung […] richtig ist“ (2008: 87ff.). Mario Bunge (2003: 192) weist darauf hin, dass es eine starke und eine gemäßigte Form von naturalistischen Schlüssen gibt. Die starke Form sagt aus, dass alle Werturteile, Normen und Konventionen deduziert werden können von Aussagen über Fakten. Diese Sicht sei falsch, weil Aussagen über Fakten erzählen was ist und nicht was sein soll. Die gemäßigte Form sagt aus, dass Werte und moralische Normen analysiert werden können im Lichte der Naturoder Sozialwissenschaft. Es sei im Prinzip nichts falsch daran, an diesem Bestreben die Werte und Normen auf die Erde zu bringen.

Menschenrechte und Schutz des Wohnens

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Bunge und Mahner (2004: 180) stellen fest: Sein-Aussagen können gute Gründe für Sollens-Aussagen liefern, auch wenn diese nicht deduktiv aus ihnen folgen. Gemäß dem englischen Philosophen George Edward Moore ist der Naturalistische Fehlschluss kein falscher Schluss, sondern ein Irrtum, weil auf die Frage danach, welche Gegenstände, Zustände, Eigenschaften, Ereignisse „gut“ sind mit der Definition des Begriffs „gut“ geantwortet wird. Damit übernehmen Definitionen die Funktion oberster moralischer Prinzipien (Ricken 1983: 48). Weil jedoch Definitionen Konventionen sind, in denen wir vereinbaren, Begriffe oder Zeichen gleichzusetzen, sind sie weder wahr noch falsch, sondern allenfalls praktisch oder unpraktisch (Mahner/Bunge 2000: 57) und deshalb, wie Moore zutreffend festhält, zur Beantwortung moralischer Fragen ungeeignet. Mit dem Argument der offenen Frage hat Moore auch aufgezeigt, dass eine definitorische Bestimmung des Begriffs ,gut‘ nicht in der Lage ist, dessen Bedeutung abschließend zu klären. Ricken (1983: 50) stellt fest: das Argument mit der offenen Frage „[…] deutet an, dass wir zu beschreibenden Eigenschaften konkreter Sachverhalte wertend Stellung nehmen können“. Bunge und Mahner (2004: 180) legen nahe, dass aus guten Gründen Fakten daraufhin bewertet werden können, ob sie für das menschliche Wohlergehen der involvierten Personen und die Umwelt gut oder problematisch sind. Abbildung 2: Der Übergang von Sein zum Sollen ohne Naturalistischen Fehlschluss Vom Wissen über Wohnsachverhalte, über Menschen und deren Bedürfnisse



Zielsetzungen

Biowerte + Menschenrechte bzw. von der Situationsanalyse



Zielsetzung

Diagnose, d.h. Wertebezug Berücksichtigen von guten Gründen: pragmatische Überlegungen, wohl bestätigte wissenschaftliche Hypothesen (und Prognosen) und universale ethische Prinzipien = ohne naturalistischen Irrtum Quelle: Eigene Darstellung

Zusammenfassend: Die von Bunge und Mahner dargelegte Überbrückung der logischen Lücke zwischen Ist und Soll mittels guten Gründen stellt somit eine Möglichkeit für die Zielentwicklung dar. Dem Hinweis von Fenner auf die unvollständige Argumentation bei Sein-Sollens-Aussagen, die zusätzlich noch die Angabe der Regel erfordert, nach der ein Schluss von Fakten (Daten) auf ethische Sollensforderungen als richtig erachtet wird, kann damit ebenfalls Beachtung geschenkt werden. Auch die Feststellung von Ricken, dass zu SeinsZuständen wertend Stellung bezogen werden kann, zeigt, dass zwischen Ist

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und Soll den Werten eine zentrale Stellung zukommt. Dabei bleibt die Erkenntnis, dass Beschreibungswissen, Wertewissen und Zielwissen unterschiedliche Wissensformen sind, gewahrt. Dieses Vorgehen erlaubt es, gute Gründe aufgrund des Ist-Zustandes zu berücksichtigen, z.B.: 1. Durch Überlegungen zu Ressourcen, wie z.B. das Handlungspotenzial der Beteiligten 2. Durch wohlbestätigte Hypothesen, z.B. dass wir aufgrund von wissenschaftlicher Forschung wissen, dass schimmlige und feuchte Wohnungen, die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner stark beeinträchtigen. Wohlbestätigte Hypothesen können die Funktion als Schlussregel erfüllen, wie dies Fenner anregt. 3. Mit dem Wertebezug auf menschliche Bedürfnisse und Menschenrechte orientieren wir uns – wie Bunge und Mahner fordern – an universellen ethischen Prinzipien, deren Beitrag zum individuellen Wohlergehen und zum Zusammenhalt der Gesellschaft mindestens sehr plausibel ist, beobachtet und untersucht werden kann.

In der professionellen Praxis und den Handlungswissenschaften kann also die logische Lücke zwischen Sein und Sollen mit dieser gemäßigten Form von naturalistischen Schlüssen systematisch überbrückt werden, ohne dass dabei der naturalistische Fehlschluss vollzogen wird. Für den Schutz des Wohnens bilden die Menschenrechtsdokumente und wissenschaftliches Wissen über menschliche Individuen, deren Bedürfnisse und die zahlreichen Wohnformen die Basis, um Hoffnung stiftende Ziele zu entwickeln, Vorhaben fundiert begründen und Verbesserungen realisieren zu können.

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Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext bewaffneter Konflikte – Völkerrechtliche, ethische und handlungsbezogene Aspekte und Fragestellungen Soziale Arbeit und bewaffnete Konflikte Linus Mührel, Markus Hundeck und Eric Mührel

1. Einleitung Aktuell beschäftigt die Soziale Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland sowie weltweit vor allem die Bewältigung von Folgen bewaffneter Konflikte. Stellen sich aber nicht auch aus einer anderen Perspektive Herausforderungen an die Sozialer Arbeit im Selbstverständnis einer Menschenrechtsprofession (vgl. Mührel/Röh 2013) in bewaffneten Konflikten? Auf den ersten Blick erscheint diese Fragestellung ggf. absurd. Auf den zweiten Blick könnte sich aus dieser Fragestellung jedoch eine Herausforderung für die Soziale Arbeit in einem neuen Handlungsfeld eröffnen. Denn kann angesichts der Vielzahl aktueller bewaffneter Konflikte weltweit und der dramatisch zunehmenden vorsätzlichen oder auch fahrlässigen Einbeziehung von Zivilist_innen die Soziale Arbeit guten Gewissens den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in bewaffneten Konflikten zusehen? Sind diese Zivilist_innen nicht auch Adressat_innen der Sozialen Arbeit als eine Menschenrechtsprofession? Kann und sollte Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession daher in bewaffneten Konflikten tätig werden? Diese Fragestellungen wurden u.E. im deutschsprachigen Bereich noch nicht thematisiert. Es handelt sich also im Folgenden um eine erste Annäherung an diese komplexe Thematik, die ggf. weitere Bearbeitungen anstoßen wird. Diese Annäherung erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird das Spannungsfeld zwischen dem Humanitärem Völkerrecht (HVR) und den Menschenrechten in bewaffneten Konflikten erörtert (vgl. hierzu auch Mührel/Mührel 2013). Dies ist wichtig für die menschenrechtliche Rahmensetzung eines vermeintlichen Aufgabenbereiches der Sozialen Arbeit in solchen Kontexten. In Zeiten bewaffneter Konflikte findet das HVR Anwendung. Dieses beschreibt ein Spannungsverhältnis zwischen Menschlichkeit und militärischer Zweckmäßigkeit und erlaubt dabei, unter anderem, sogar die gezielte Tötung auch von

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Linus Mührel, Markus Hundeck und Eric Mührel

Zivilist_innen. Weitgehend wird das HVR als lex specialis zu den Menschenrechten behandelt, verdrängt diese also. Insbesondere in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten ist jedoch die Dichte der Regelungen des HVR sehr spärlich. Gerade hier stellt sich vermehrt die Frage, inwieweit menschenrechtliche Regelungen zur Geltung kommen können und gewisse Mindeststandards für die Betroffenen bewaffneter Konflikte verlangen. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob es überhaupt eine ethische Legitimation für das Töten von Menschen geben kann, die in irgendeiner Art und Weise mit dem Selbstverständnis der Sozialen Arbeit als einer Menschenrechtsprofession noch kompatibel wäre. Diese Frage stellt sich dringend in einem Handlungsraum der fließenden Übergänge der Geltung von Menschenrechten und HVR in bewaffneten Konflikten. Abschließend erfolgt eine Reflexion des Selbstverständnisses der Sozialen Arbeit mit Blick auf Macht und Ohnmacht in bewaffneten Konflikten.

2. Eine völkerrechtliche Perspektive: Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht Für eine Untersuchung der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext bewaffneter Konflikte ist aus einer völkerrechtlichen Perspektive zunächst nach Geltungs- und Anwendungsbereich von Menschenrechten in Zeiten bewaffneter Konflikte zu fragen. Weil das Völkerrecht für bewaffnete Konflikte ein eigenes Rechtsregime, das HVR, vorsieht, wird im Folgenden zunächst dieses Rechtsregime erläutert und sodann auf das Verhältnis von HVR und Menschenrechten bzw. deren Geltungs- und Anwendungsbereich in bewaffneten Konflikten eingegangen.

2.1 Humanitäres Völkerrecht Der zentrale Gedanke des HVR, auch Recht des bewaffneten Konflikts oder Kriegsrecht genannt, lässt sich durch ein Zitat von Jean-Jacques Rousseau veranschaulichen. In Der Gesellschaftsvertrag schrieb Rousseau 1762: „Der Krieg ist demnach kein Verhältnis eines Menschen zum andern, sondern das Verhältnis eines Staates zum andern, bei dem die Einzelnen nur zufällige Feinde sind, und zwar nicht als Menschen, ja nicht einmal als Bürger, sondern als Soldaten […]. Da der Zweck des Krieges die Vernichtung des feindlichen Staates ist, so hat man das Recht, die Verteidiger desselben zu töten, solange sie die Waffen in der Hand haben; sobald sie sie jedoch niederlegen und sich ergeben, so werden sie, weil

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sie aufhören, Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, wieder nur Menschen, und man hat kein Recht mehr auf ihr Leben.“ (Rousseau 1762: 23f.)

Das HVR bezweckt den Schutz derjenigen, die nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen (z.B. Verwundete, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilisten). Zudem reguliert es die Mittel und Methoden der Kriegsführung. Gleichzeitig berücksichtigt es die Möglichkeit des militärischen Erfolges über die gegnerische Konfliktpartei. Den Regeln des HVR liegt somit eine Balance zwischen militärischer Notwendigkeit einerseits und Menschlichkeit andererseits zugrunde. Wichtig für das Verständnis des HVR ist, dass es keine Aussage über den Grund des bewaffneten Konfliktes trifft, das heißt es kann ihn nicht legitimieren. Es setzt den bewaffneten Konflikt vielmehr als gegeben voraus1. Die Entwicklung des modernen HVR begann Mitte des 19. Jahrhunderts, somit ca. 100 Jahre nach dem genannten Zitat Rousseaus. Wurde vorher auf vage Naturrechtsprinzipien für das Verhalten im Kriege verwiesen, formulierte erstmalig Francis Lieber 1863 für die nordamerikanischen Streitkräfte umfangreiche Vorgaben zur Kriegsführung im amerikanischen Bürgerkrieg (sog. Lieber-Code). Im selben Jahr wurde das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf gegründet, das bis heute eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des HVR spielt. In der Folge wurde das HVR durch umfangreiche völkerrechtliche Verträge, also für Staaten bindende Regelungen ausgestaltet. Den Kern des gegenwärtigen HVR bilden die vier Genfer Konventionen von 1949 und ihre Zusatzprotokolle von 1977 respektive 2005. Problematisch ist, dass das HVR nicht mit der faktischen Entwicklung der bewaffneten Konflikte Schritt gehalten hat. So unterscheidet das HVR zwischen zwei Konfliktformen, dem internationalen bewaffneten Konflikt (Konflikte zwischen Staaten) und dem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt (Konflikte, in denen mindestens eine Konfliktpartei eine nichtstaatliche bewaffnete Gruppe ist). Während für internationale bewaffnete Konflikte eine Vielzahl völkervertraglicher Regelungen existiert, sieht das HVR für nicht-internationale bewaffnete Konflikte, welche die große Mehrheit der heutigen Konflikte ausmachen (Kongo, Libyen, Irak, Philippinen, Ukraine, usw.), nur wenige vertragliche Regelungen vor2. Hier gewinnen Militärhandbücher, Kommentare und Studien staatlicher wie nicht-staatlicher Akteure zunehmend an Bedeutung, die zum Teil unterschiedliche Rechtsaufassungen vertreten, was zu Fragmentierung

1 Hierin liegt die Unterscheidung zwischen HVR als ius in bello (Recht im Krieg) und dem ius ad bellum (Recht zum Krieg) begründet. 2 Für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt gelten neben kleineren Verträgen zu Waffenbeschränkungen und Kulturgüterschutz lediglich der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen von 1949 und das Zusatzprotokoll II von 1977, das 28 Artikel umfasst, die jedoch kaum über den Regelungsgehalt des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen von 1949 hinausgehen.

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des Rechts sowie Rechtsunsicherheit führen kann. Hinzu kommt, dass die moderne Kriegsführung eine klare Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden nicht mehr zulässt, das HVR für seine Anwendbarkeit in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten jedoch erst einen hinreichenden Organisationsgrad der nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe verlangt (ICRC 2016: Rn. 422-437). Bis zum Erreichen dieses Organisationsgrades gilt die jeweilige ‚Friedensordnung’, die unter Umständen keine adäquaten Regelungen für den Konflikt vorsieht. Ein weiteres Problem des HVR ist die Abwesenheit von ComplianceMechanismen. Verstöße gegen das HVR bleiben in der Regel ungeahndet. Die nichtzeitgemäße rechtliche Ausgestaltung insbesondere des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts sowie die Abwesenheit von Compliance-Mechanismen führen zu einem verminderten Schutzumfang für die nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmenden Personen.

2.2 Humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte Wie verhält es sich nun aber mit Menschenrechten in Zeiten bewaffneter Konflikte? Werden sie vom HVR verdrängt oder sind beide Rechtsregime nebeneinander anwendbar? Zunächst ist festzuhalten, dass HVR und Menschenrechte beide den Schutz des Menschen bezwecken. Jedoch gibt es in sachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht Unterschiede bezüglich der Ausgestaltung dieses Zweckes (ICRC 2014: 36-38): Menschenrechte binden grundsätzlich nur Staaten. Sie sind unter allen Umständen anwendbar und gelten für alle Individuen gleichermaßen. Sie sind aber örtlich grundsätzlich auf den Herrschaftsbereich des jeweiligen Staates und auf friedliche Zeiten ausgerichtet. Menschenrechte haben allein den Menschen oder Gruppen von Menschen zum Gegenstand. Der Schutz der Menschenrechte umfasst zudem zahlreiche Belange des Lebens, wie bspw. Meinungs- oder Religionsfreiheit, die nicht vom HVR erfasst sind. Das HVR bindet indes nicht nur Staaten, sondern auch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen. Es ist zeitlich auf bewaffnete Konflikte beschränkt und unterliegt keiner örtlichen Begrenzung. Es ist auf menschliche Bedürfnisse in Kriegszeiten zugeschnitten und sieht spezielle Regelungen vor, die situationsbedingte Konkretisierungen und Abwägungen enthalten. Aus dieser unterschiedlichen Ausgestaltung des gemeinsamen Zweckes ergibt sich bereits, dass der menschenrechtliche Schutz bei Anwendbarkeit des HVR nicht automatisch wegfällt. Vielmehr ist ein Nebeneinander, sind gegenseitige Ergänzungen möglich. Menschenrechte gelten also auch in Zeiten bewaffneter Konflikte. Die Derogationsklauseln in Art. 4 Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte und Art. 15 Europäische Menschenrechtskonvention stützen diese Sichtweise, nach der (nicht alle) Menschenrechte in

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Kriegszeiten derogiert werden können, das heißt grundsätzlich weiterhin Anwendung finden sollen (Arnauld 2014: 487f.). Was passiert aber, wenn sich HVR und Menschenrechte inhaltlich überschneiden? In Fällen, wie dem in beiden Rechtsregimen vorgesehen Folterverbot (vgl. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention und gemeinsamer Art. 3(1) lit. a Genfer Konventionen von 1949) stehen diese Verbote nebeneinander. Es gibt eine inhaltliche Überschneidung aber keine inhaltliche Divergenz. Eine andere Konstellation – inhaltliche Überschneidung und Divergenz – ergibt sich insb. im Rahmen von Gewaltanwendung und nicht-strafrechtlicher Gefangennahme (ICRC 2014: 39f.). Im Folgenden soll anhand der unterschiedlichen Behandlung von Gewaltanwendung exemplarisch dargestellt werden, wie sich HVR und Menschenrechte bei inhaltlicher Überschneidung und Divergenz zueinander verhalten. Dem HVR liegt die Annahme zugrunde, dass in Zeiten bewaffneter Konflikte tödliche Gewalt angewendet wird. Jedes militärische Objekt, jede(r) feindliche Soldat_in – solange nicht außer Gefecht gesetzt oder Kriegsgefangene(r) – darf mit allen nicht-verbotenen Mitteln und Methoden angegriffen werden (vgl. Art. 43(2) Zusatzprotokoll I von 1977). Zudem dürfen auch Zivilist_innen Ziel eines Angriffs sein und getötet werden, solange Regelungen zum Schutz des Lebens von Zivilpersonen eingehalten sind, wie bspw. das Verbot unterschiedsloser Angriffe in Art. 51(4) und die Pflicht zu Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffen in Art. 57, Zusatzprotokoll I von 1977. Demgegenüber kennen die Menschenrechte eine solche Ausnahme zum Recht auf Leben gerade nicht. Hier darf staatliche Gewalt gegen eine Person – ob Soldat_in oder Zivilist_in – nur als allerletztes Mittel angewendet werden, welches streng im Verhältnis zum legitimen Ziel stehen muss (vgl. z.B. Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention). Bezüglich der Gewaltanwendung sieht das HVR mithin eine spezielle Regelung für Zeiten bewaffneter Konflikte vor, die als lex specialis zu den Menschenrechten Anwendungsvorrang erhält. Die Handlung bemisst sich also nur nach den Maßstäben des HVR. Das Menschenrecht auf Leben gilt zwar weiterhin, findet aber keine Anwendung. Aus den Ausführungen ergibt sich, dass grundsätzlich ein komplementäres Verhältnis zwischen Menschenrechten und HVR besteht. Menschenrechte gelten auch in Zeiten bewaffneter Konflikte. Das HVR genießt aber in Kollisionsfällen, das heißt in Fällen inhaltlicher Überschneidung und Divergenz, wie etwa der Gewaltanwendung, als lex specialis Anwendungsvorrang gegenüber den menschenrechtlichen Standards als lex generalis (ICRC 2014: 40f.; Arnauld 2014: 488f.).

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2.3 Ausblick Voraussichtlich wird sich an dem geschilderten (und unbefriedigenden) Zustand in den kommenden Jahrzehnten nichts ändern. Neue umfassende Verträge zum HVR und insbesondere eine Reform des Rechts nicht-internationaler bewaffneter Konflikte sind aufgrund strategischer Interessen einzelner Staaten nicht zu erwarten. Der geschilderte Einfluss von einzelnen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren über bspw. Militärhandbücher wird zunehmen. Rechtsunsicherheit und eine Fragmentierung des HVR gehen damit einher. Dass Menschenrechte die ungenügende Ausgestaltung im HVR kompensieren könnten, ist aufgrund der unterschiedlichen Funktionen von Menschenrechten und HVR sowie einem zu beobachtenden Widerstand gegen eine weitere extensive Auslegung der Menschenrechte auszuschließen.

3. Ius ad bellum und ius in bello – ethische Anfragen an das Völkerrecht und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession Die folgenden Gedanken schließen an die obigen Ausführungen an und versuchen eine Problematik aufzuzeigen, die einerseits für das menschliche Handeln grundlegend ist und damit eine Grundfrage der Ethik formuliert und die andererseits aus der Perspektive der Profession Sozialer Arbeit eine Herausforderung darstellt, weil sie ihr Handeln normativ in den Menschenrechten verankert sieht. Den Fragen nach Menschenrechten und der Achtung der Menschenwürde stehen die Erfahrungen von Krieg, Vertreibung und die Tötung des Menschen, aus welchen Gründen auch immer, entgegen. Das Phänomen des Krieges, eine Geißel der Menschheit und Rechtfertigungsinstrument von Ideologien und Weltanschauungen im Modus des ‚Gerechten Krieges‘, scheint spätestens nach dem Terror der historischen Erfahrung von Auschwitz und Hiroshima in einem moralischen wie ethischen Sinn inakzeptabel geworden zu sein. Auch die Ausweitung des Völkerrechts und die Deklaration der Allgemeinen Menschenrechte von 1948 sowie die in Politik wie Rechtsprechung vorfindlichen Tendenzen konsequentialistischer Ethik bestätigen Krieg im letzten als etwas, das mit Blick auf jeden Menschen und seine Würde bzw. auf die Menschheit als Ganze zu ächten und abzulehnen ist. Jedes Nachdenken über kriegerisches Handeln und Handeln im Krieg verdeutlicht daher den Vorbehalt, dass die Realisierung des Krieges eine Ethik in prinzipielle Dilemmata

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hineinführt, die nicht bearbeitet werden können ohne Kontradiktionen zu erzeugen. Auch wissend, dass Krieg in unserer Welt allgegenwärtig ist, soll im Folgenden versucht werden, Überlegungen zwischen dem das HVR einschließende Kriegsvölkerrecht und der Spannung, in der dieses zu den Menschenrechten steht, in drei Punkten darzustellen: 1

Ius ad bellum und ius in bello – über das Recht zum Krieg und das Recht im Krieg 2. Die Menschenrechte zwischen internationalen Beziehungen und individualethischen Ansprüchen 3. Zehn Thesen zu den sich ergebenden Fragen im Blick auf die Soziale Arbeit

3.1 Ius ad bellum und ius in bello – über das Recht zum Krieg und das Recht im Krieg Die beiden vorliegenden Begriffe ius ad bellum und ius in bello sind die Kernphänomene der Lehre vom Gerechten Krieg, die ein Teil des Völkerrechtes sind. Das Völkerrecht versucht unter der Prämisse von der grundsätzlichen Unzumutbarkeit von Kriegen bewaffnete Konflikte und deren Legitimation rechtlich zu normieren und zu regulieren. Daraus folgt eine der Grundintentionen des Völkerrechts, dass es eine Welt ohne bewaffnete Konflikte nicht gibt und deshalb die Bedingungen umschrieben werden müssen, wie bewaffnete Konflikte beschränkt werden können, um ein Mindestmaß menschenrechtlicher Voraussetzungen nicht zu unterschreiten3. Das Völkerrecht dient demnach der Möglichkeit einer moralischen Legitimierung von Kriegen, wobei das Ziel der Legitimierung ebenso wie die Lehre vom ,Gerechten Krieg’ immer ambivalent bleiben. Die Lehre vom Gerechten Krieg ist ein Kompendium von in Philosophie, Theologie und Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien. Diese Kriterien bezeichnen die moralischen Einschränkungen beim Einsatz militärischer Gewalt und geben ethische Richtlinien für das Recht zum Krieg und das Recht im Krieg der jeweiligen Staatspraxis vor (vgl. Atack 2005: 61). Die Lehre vom gerechten Krieg dient der Beschränkung des Krieges und seiner Rechtfertigung (vgl. ebd.) und kann nach Gašparevic vorläufig anhand fünf Kriterien des „ius ad bellum“ (Recht zum Krieg) und zwei Kriterien des „ius in bello“ (Recht im Krieg) dargestellt werden (vgl. Gašparevic 2010: 2f.)4.

3 Siehe jedoch das allgemeine Gewaltverbot in Art. 2(4) UN Charta, demzufolge die Anwendung jeglicher Gewalt grundsätzlich. verboten ist. Gerechtfertigt ist Gewalt nur unter den Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts aus Art. 51 UN Charta oder durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates nach Art. 42 UN Charta. 4 Die von Gašparevic stichpunktartig aufgeführten Kriterien werden in der für die eigene Argumentation schlüssigen Weise erläutert und interpretiert.

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Das ius ad bellum – Recht zum Krieg muss sich 1. auf eine legitime Autorität beziehen, deren Legitimierung nicht nur auf einer binnenstaatlichen Autorität beruht und damit mögliche nationale Eigeninteressen rechtfertigt, sondern eine Entscheidung zu einem Krieg kann nur eine überstaatliche (internationale) bzw. transnationale anerkannte Institution (bspw. UN) legitimieren. Dabei muss 2. ein rechter Grund ausgewiesen werden, der ebenso nicht nur nationale Eigeninteressen betrifft, sondern international bzw. transnational von Bedeutung ist und die Beziehungen der Staaten betrifft. Dieser Grund, einen Krieg zu führen, um eine bestimmte Entscheidung herbeizuführen, z.B. durch totalitäre Willkür entstandene Notsituationen oder bewaffnete Konflikte zu beenden kann 3. immer nur als ultima ratio, als eine allerletzte Möglichkeit betrachtet werden5. Diese allerletzte Möglichkeit sollte 4. eine vernünftige Erfolgswahrscheinlichkeit des geführten Krieges garantieren, d.h., die Strategie ist ethisch geboten, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit Leben zu bewahren und zu retten (Militärangehörige und Zivilbevölkerung) garantiert. Diese ethische Notwendigkeit, Leben zu bewahren und zu retten impliziert 5. eine Verhältnismäßigkeit der Reaktion bzw. der Entscheidung, militärische Gewalt anzuwenden. Hierbei ist das Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht nur Regulativ des jeweiligen Entscheidungsprozesses, sondern als Potenzial für mögliche gewaltfreie Prozesse immer wieder neu auszuhandeln. Hinzukommend und eigentlich erweiternd sind die Kriterien des Rechts im Krieg (ius in bello) zu nennen, denn im ius in bello werden ethische Minimalforderungen genannt, die zugleich auch ein Maximum an Verantwortung für den Menschen bedeuten. Es ist 1. wiederum die Bestimmung der Verhältnismäßigkeit der angewandten militärischen Mittel und Methoden zu leisten, d.h., es wird hier als ethische Forderung eine größtmögliche Humanität gefordert. Eine Forderung allerdings, die im Kontext des Rechts im Krieg nur noch als utilitaristischer Anspruch einer Ethik verstanden werden kann, also unter der Hinsicht, dass das Ziel des Krieges die schnellstmögliche Beendigung desselben benennt unter Berücksichtigung minimalster Opfer. Dass hier eine contradictio in adjecto (ein Widerspruch in sich) formuliert wird, bestreitet noch nicht den Wert des Völkerrechts, sondern lediglich die Notwendigkeit des Krieges. Dies ist auch daraus zu ersehen, dass 2. das Kriterium der Immunität der Nichtkombattanten formuliert wird, was einerseits den unbedingten Schutz der Zivilbevölkerung verlangt und ethisch geboten ist und andererseits im Unterscheidungsgebot die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt, was einen Bezug zu den Menschenrechten in der Charta der UN herstellt. Denn in der Charta der UN ist dieser Widerspruch in sich einer Absicht des gerechten 5 Wie sehr diese vermeintlichen Gründe, Krieg zu führen, an diesen Kriterien vorbeigehen, zeigt nicht nur die Geschichte zur Genüge auf, sondern auch in neuerer Zeit bspw. der Kampf gegen den Terror. Dabei kann die ultima ratio in ethischer Hinsicht keinen Krieg rechtfertigen, um in diktatorisch geführten Ländern demokratische Prozesse zu initiieren. Eine Tatsache, die vom Völkerrecht nicht gedeckt ist, wie im ersten Teil dieses Beitrags dargelegt wurde.

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Krieges ausdrücklich ausgesagt und gilt für alle Mitglieder, die den Vereinten Nationen angehören: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ (Charta der UN 2014, Art. 2 Ziffer 4) Trotz der grundsätzlichen Ächtung des Krieges, die eine Debatte um einen gerechten Krieg obsolet erscheinen lässt (vgl. Kastner 1999; Huber 2004), gibt es immer wieder politisch motivierte Verstöße gegen das Gewaltverbot, die zwar umstritten sind, aber unter Bezugnahme auf Artikel 51 der UN-Charta im Falle eines bewaffneten Angriffs die Selbstverteidigung vorsehen. Die Problematik dieser Argumentation ist offensichtlich, denn das Prinzip der Selbstverteidigung ist individualethischer Natur und kann legitimerweise schon aus strukturlogischen Gründen nicht universalisiert bzw. auf eine Nation, einen Staatenbund usw. bezogen werden. Ebenso kann das Argument der Selbstverteidigung nicht als humanitäre Interventionen gelten, weil sie damit eine parallel zum Recht laufende Rechtfertigung darstellte. Auch der Rückgriff auf das Naturrecht gilt hier nicht als Begründungshorizont einer universellen Moral (bspw. Kosovo-Konflikt 1999 ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates). In kurzen Skizzen wurde hier deutlich, dass die im ius ad bellum und im ius in bello sich zeigende Problematik der Legitimation eines Krieges mit dem Terminus der Notwendigkeit und dessen Begründung steht und fällt. Notwendigkeit bezeichnet eine ultima ratio, eine letzte nicht weiter begründbare Tatsache, die wahr sein muss und die deshalb notwendigerweise einen nächsten Schritt nach sich zieht. Dabei wird eine Vernünftigkeit attestiert, die von allen Beteiligten geteilt wird. Die Problematik der Vernunft6 selbst produziert, da sie eine Wahrheit ansichtig macht bzw. sich auf diese bezieht, weiterführende Fragen nach dem Zusammenhang von Recht und Wahrheit. Dadurch ist das Verhältnis von Individuum und dem Ganzen nicht nur im Blick auf das Recht, sondern auch auf die Wahrheit mit der Herausforderung zu betrachten, inwieweit bei einer Entscheidung, die nach dem Prinzip individueller Entscheidung getroffen wird, auch der Einzelne im Ganzen Berücksichtigung findet (vgl. Chwaszcza 1996: 180ff.).

6 Das Verständnis von Vernunft müsste in diesem Zusammenhang der ultima ratio geklärt werden, d.h., auf welche Vernunft beziehen wir uns, wenn wir von der ultima ratio sprechen. Selbst ohne spitzfindige Arbeit am Begriff drängt sich diese Frage in den Vordergrund.

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3.2 Die Menschenrechte zwischen internationalen Beziehungen und individualethischen Ansprüchen Aus den Überlegungen zum ius ad bellum und zum ius in bello ergeben sich für eine Haltung zu und ein ethisches Handeln in bewaffneten Konflikten Fragen, die sowohl das Völkerrecht als auch die Menschenrechte in ihrem Kern betreffen: 1. Wie begründet und aus welchen politischen Prozessen legitimiert sich eine kollektive Selbstverteidigung, die aus dem logischen Muster einer individuellen Selbstverteidigung hergeleitet wird? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Einsatz militärischer Mittel? Ist die Friedenssicherung bzw. die Verteidigung der internationalen Friedensordnung, die möglicherweise mit einem militärischen Einsatz legitimiert wird, mit dem Argument der internationalen Solidarität zu rechtfertigen, auch dann, wenn, wie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, keine wirkliche Verletzung der internationalen Friedensordnung vorliegt? 2. Die in sich disparate Thematik von internationaler und individualethischer Dimension begleitet die völkerrechtlichen Regelungen der Haager Abkommen und der Genfer Konvention. Denn die Tatsache, dass jeder Krieg die absichtsvolle Tötung anderer Personen beinhaltet, widerspricht grundsätzlich dem individualethischen Tötungsverbot und damit den Menschenrechten in seiner Gesamtheit (Hundeck 2013: 55). Die am ius in bello darstellbare Problematik, die meint, das individuelle Tötungsverbot außer Kraft setzen zu können, argumentiert, der Soldat nehme lediglich sein Selbstverteidigungsrecht in Anspruch und setzt voraus, dass in der intersubjektiven Situation beide Subjekte das Recht auf Selbstverteidigung haben und einen Angriff des anderen Subjekts (des Gegners) bewusst abwehren dürfen (vgl. Chwaszcza 1996: 181). Diese intersubjektive Situation steht jeder Rechtfertigung des Krieges als einem Akt der Selbstverteidigung entgegen, da das individuelle Tötungsverbot als ein jeder Person zukommendes Recht, nicht getötet zu werden, mit der Pflicht, nicht zu töten, korrespondiert7, Die unbedingte Würde des Menschen als Person gilt demnach für beide Subjekte und steht quer zu jeder utilitaristischen Universalisierung, weil hier nicht nur das Recht auf Leben unabdingbar im Vordergrund, sondern auch der Kern der Menschenrechte im Hintergrund steht, d.h., die Menschenrechte als universale Rechte sind immer und grundsätzlich auf das je einzelne Subjekt zugesagt (vgl. Hundeck 2013: 55). Das hier auftretende Dilemma im Gegenüber zweier Subjekte, die beide dem Tötungsverbot unterliegen und beide ein Recht auf Leben haben, wird 7 Es kann hier nur ein bescheidener Hinweis auf die Gerechtigkeitsdebatten gegeben werden, denn z.B. wird diese bi-oder intersubjektive Dimension auch im Blick auf die distributive Gerechtigkeit und hier besonders im Blick auf die Hungerproblematik virulent. Vgl. dazu Nell 1975; 1986; Chwaszcza 1996.

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durch eine Kollektivierung, d.h., durch die Transponierung auf die Ebene politischer Beziehungen bearbeitet. Diese Transposition ist versuchte Rechtfertigung der politischen wie Relativierung der individuellen Ebene. D.h., staatliche und transstaatliche Politiken und Praktiken, die das Überleben gleich welcher Art unterbinden oder beeinträchtigen, sind damit in einem strengen Sinne ethisch insofern nicht zulässig, als dass Institutionen zuerst für den Schutz und die Garantie eines würdigen Lebens des einzelnen Menschen im Sinne der Menschenrechte verantwortlich sind (Hundeck 2006: 51). Die Legitimation des Krieges als intersubjektives Geschehen mit dem Recht individueller Selbstverteidigung zu rechtfertigen ist, wie gezeigt werden konnte, nicht zulässig, weil die Analogiebildung von individueller und kollektiver (staatlicher) Selbstverteidigung, die bei bewaffneten Konflikten vorgenommen wird, in einem ethischen Sinne nicht begründbar ist. Jeder Umgehungsversuch des Tötungsverbotes, der eine letzte und endgültige Nichtanerkennung der Person und seiner Würde nach sich zieht, kann nur ein Außerkraftsetzen der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit bedeuten und deshalb auch nicht mit einem höheren Gut legitimiert werden. Unter dieses Diktum fällt bspw. auch eine konsequentialistische Ethik, die etwa die absichtsvolle Tötung von Personen im Sonderfall des Krieges unter der Voraussetzung erlaubt, dass die Tötung ein unvermeidliches Mittel zur Erreichung eines moralisch höherstehenden Zweckes sei (vgl. Hare 1972; Chwaszcza 1996). Aus diesen skizzenhaft dargestellten Argumenten ergeben sich vielfältige Aufgaben, die das Spannungsverhältnis von Humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten (im sozial-ethischen Sinne) aufzeigen und verdeutlichen, dass bewaffnete Konflikte im Blick auf das individuelle Tötungsverbot und das Recht auf Leben solange als illegitim gelten müssen, wie nicht plausibel und für ,alle‘ Menschen einsehbar eine kriegerische Handlung begründet werden kann. Damit steht jeder vom Völkerrecht gedeckte militärische Einsatz, selbst zur Beendigung von Grausamkeiten und Diktatur, unter einem ethischen Vorbehalt (vgl. Sandel 2017), weil die Menschenrechte nicht nur Leitlinien des Handelns, sondern absolute Forderungen und Verpflichtungen sind, die für jeden Menschen gelten. Es ist daher auf die Schwierigkeit hingewiesen worden, wirklich ethische Kriterien zu entwickeln, weil die Diffusität verwendeter Begriffe wie bspw. der der Verhältnismäßigkeit dies fast unmöglich erscheinen lasse. Oder anders gesagt: Jenseits der numerischen Aufrechnung von Toten liegen keine Vergleichsmaßstäbe vor, nach denen eine Proportionalität zu bemessen wäre (vgl. Walzer 1988).

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3.3 Zehn Thesen zu den sich ergebenden Fragen im Blick auf die Soziale Arbeit 1. Die Analogie zwischen dem individualethischen Prinzip der Selbstverteidigung und der kollektiven Selbstverteidigung umgeht das Tötungsverbot eines Menschen und ist daher unzulässig. 2. Mit der Rechtfertigung eines ius ad bellum geschieht eine Güterabwägung, die notwendigerweise eine Relativierung der Würde des Menschen nach sich zieht. 3. Argumentiert das ius ad bellum mit der Notwendigkeit eines bewaffneten Konfliktes, so muss geklärt werden, auf welchen wahren Grund sich Notwendigkeit bezieht und welcher Vernunftbegriff der ultima ratio zu Grunde liegt. 4. Der Terminus ,Verhältnismäßigkeit‘, der sowohl im ius ad bellum (Verhältnismäßigkeit der Reaktion) wie im ius in bello (Verhältnismäßigkeit der angewendeten militärischen Mittel und Methoden) als Argument angeführt wird, muss in positiver Weise gefüllt werden, um daraus Regeln und Grenzen zu formulieren, die eine Eskalation der Gewalt verhindern bzw. unmöglich machen. 5. Die im ius in bello geforderte Immunität der Nichtkombattanten (unbeteiligte Personen, Zivilbevölkerung) muss die Menschenrechte als Maßstab ihrer Realisierung nehmen, damit die Würde und die Integrität jeder einzelnen Person ermöglicht werden kann. 6. Die Tötung eines oder mehrerer Menschen zur Erlangung eines höheren Gutes (selbst der eines planetarischen Friedens) stellt die universale Geltung der Menschenrechte und ihren Anspruch für jeden Menschen in Frage, d.h., eine utilitaristische Begründung des Rechts scheint im Blick auf die Menschenrechte nicht zulässig. 7. Da der einzelne Mensch in seinem Person-sein die ganze Menschheit und ihre Rechte repräsentiert, hat sich jeder Bezug des Rechts (der holistisch das Kollektiv der Menschheit als Argument anführt) auf persönliche oder nationale Interessen auf das größtmögliche Minimum zu reduzieren (unter der Voraussetzung, dass es ein völliges Absehen von Interessen in einem logischen Sinne nicht geben kann). 8. Jede Institution, die die Norm ihres Handelns in den Menschenrechten sieht, kann ihre Arbeit letztlich nur (oder immer) als politische Mitarbeit bzw. Zuarbeit am/zum Völkerrecht verstehen. 9. Soziale Arbeit kann sich insofern als politische Mitarbeit am Völkerrecht verstehen, weil sie in bewaffneten Konflikten zur Anwältin der Menschenrechte in der Begleitung der Zivilbevölkerung wird und aus dieser Erfahrung Argumente formulieren und differenzieren kann, die zu einer menschenrechtskonformen Fortschreibung und Weiterentwicklung des Völkerrechts anregen können. 10. Die Differenzen und unterschiedlichen Ebenen der Argumentation von Völkerrecht und Menschenrechten werden erst dann weitestgehend angeglichen bzw. bearbeitet sein, wenn eine universale Friedensordnung auch jedes nationale Interesse erreicht und sich in ein Interesse der Weltgemeinschaft verwandelt hat.

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4. Macht und Ohnmacht der Sozialen Arbeit in bewaffneten Konflikten – eine Reflexion zum Selbstverständnis der Sozialen Arbeit Abschließend wird auf die Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit im Selbstverständnis einer Menschenrechtsprofession in bewaffneten Konflikten eingegangen. Hat Soziale Arbeit in solchen Konflikten überhaupt etwas zu suchen und zu bewerkstelligen? Sollte diese Frage grundsätzlich bejaht werden, sind die Art und der Umfang dieses Aufgabenbereichs zu analysieren. Aus einer anderen Perspektive stellt sich die Frage, ob sich Soziale Arbeit vor dem Hintergrund bewaffneter Konflikte mit zunehmender Betroffenheit von Zivilist_innen einer solchen Berufung und Aufgabe überhaupt generell entziehen kann. Verrät sie damit nicht ihr eigenständiges Selbstverständnis als Menschenrechtsprofession? Muss sie sich nicht geradezu um die unfreiwillig in diese Konflikte hineingezogenen Zivilist_innen kümmern, damit deren Menschenrechtsanspruch mit einer weitest gehenden Sicherung ihrer menschlichen Würde so lange wie irgendwie möglich gesichert wird. Auch wenn die Faktenlage sehr schwankend und keinesfalls als abgesichert gelten darf, wird von folgenden ungefähren Zahlen ausgegangen:     

bis zu 740.000 Tote durch bewaffnete Konflikte weltweit jährlich; 80 bis 90 % davon sind Zivilist_innen; auf eine_n tote_n Soldat_in kommen zehn getötete Zivilist_innen; unzählige Verletzte bzw. Versehrte; zurzeit über 60 Millionen Geflüchtete weltweit (vgl. beispielhaft HIIK 2017).

Demgegenüber steht eine Zahl von ca. 45 bis 60 Milliarden USD für Waffenverkäufe jährlich. Wie lassen sich nun die Optionen beschreiben, die Soziale Arbeit hinsichtlich ihres Verhältnisses einer Verantwortung in und zu bewaffneten Konflikten entwickeln kann? Hierzu seien im Folgenden drei Alternativen vorgestellt.

Alternative 1: Das Ausschlussparadigma Bei dieser Alternative sieht sich Soziale Arbeit als völlig ohnmächtig in bewaffneten Konflikten. Damit ergibt sich eindeutig keine selbstbestimmte Aufgabe und Verantwortung zum professionellen Handeln. Unter diesen Voraussetzungen käme der Sozialen Arbeit nur eine pro- und metaphylaktische Aufgabe bei bewaffneten Konflikten zu. Sicherlich eindeutig positiv ist dabei zu bedenken, dass somit auch ein völliger Ausschluss der Gefährdung professioneller Mitarbeiter_innen gesichert wäre.

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Alternative 2: Das Vorbehaltsparadigma Unter den Voraussetzungen dieser Alternative würde sich über eine pro- und metaphylaktische Aufgabe Soziale Arbeit, auch unter gewissen Vorbehalten, in bewaffneten Konflikten professionell engagieren. Es müsste im Einzelfall je nach Lage vor Ort über die Weiterführung sozialarbeiterischer Interventionen entschieden werden. Das oberste Ziel wäre dabei, die Menschenrechtslage in sich bewaffneten Konflikten so lange wie möglich zu schützen oder sie wiederherzustellen. Unter diesen Umständen wären, wie weiter oben geschildert, fließende Übergänge zum HVR (lex specialis) jederzeit möglich. Aufgabe der Sozialen Arbeit in diesen Übergängen müsste dann die Funktion der Einhaltung bzgl. der entsprechenden Regelungen des HVR gegenüber Zivilist_innen sein. Zudem ist zu beachten, dass den professionellen Mitarbeiter_innen tendenziell eine lebensbedrohliche Gefährdung zugemutet würde.

Alternative 3: Das Gewährsparadigma Die Alternative des Gewährsparadigmas sähe eine Weiterführung sozialarbeiterischer Interventionen bis zu einem ultimativen Punkt X, des absoluten nogo, vor. Ziel dabei wäre der größtmögliche Schutz der Menschenrechte der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Dabei würde eine Gefährdung professioneller Mitarbeiter_innen bewusst eingegangen. Dies wäre selbstredend nur bei vorheriger freiwilliger Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter_innen möglich. Was könnte Soziale Arbeit überhaupt in bewaffneten Konflikten bewegen? Mit aller Vorsicht seien hierzu einige mögliche Punkte benannt:    

Fluchthilfe in Korridoren koordinieren; Politisch-humanitäre Einflussnahme bei Kriegsparteien im Konflikt zugunsten der Zivilbevölkerung, Gefangener und Verwunderter; Sicherung psychosozialer Grundversorgung und Unterstützung physischen und mentalen Überlebens sowie Mediation im Konflikt zwecks seiner Beilegung.

Zur Erfüllung dieser Ziele könnten auch die Rotkreuzgrundsätze der Menschlichkeit, der Neutralität, der Unabhängigkeit und der Freiwilligkeit (siehe DRK o.J.) als Leitgedanken für das professionelle Handeln der Sozialen Arbeit in bewaffneten Konflikten dienen. Es bleibt aber grundlegend abzuwarten, wie sich die Soziale Arbeit in ihrem internationalen Verständnis zu ihrer möglichen Verantwortung in bewaffneten Konflikten zukünftig positionieren wird.

Soziale Arbeit und bewaffnete Konflikte

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Die Internationale Melbourne-Definition Sozialer Arbeit von 2014 – Ein Schritt nach vorn und drei zurück? Internationale Melbourne-Definition Sozialer Arbeit von 2014 Silvia Staub-Bernasconi

Mit einer Verspätung von vier Jahren wurde die im Turnus von zehn Jahren zu diskutierende Internationale Definition Sozialer Arbeit (d.h. diejenige von Montréal 2000) an der Weltkonferenz in Melbourne/Australien 2014 verabschiedet (vgl. dazu auch Staub-Bernasconi 2017). Vorausgegangen sind äußerst harte Verhandlungen zwischen verschiedenen Interessengruppen. Nach einem Vergleich der beiden Definitionen stelle ich die Probleme und Paradoxien, die uns die neue Definition beschert, anhand von fünf Kritikpunkten dar.

1. Die Internationalen Definitionen Sozialer Arbeit von 2000 und 2014 Ausgangspunkt der Analyse beider Definitionen ist die These: Ohne Gegenstandsbereich keine Disziplin Sozialer Arbeit; ohne Zuständigkeitsbereich keine Profession Sozialer Arbeit!

1.1 Die „International Definition of Social Work“ – verabschiedet an der Weltkonferenz von Montréal/Kanada im Jahr 2000 „Soziale Arbeit als Profession fördert sozialen Wandel, Problemlösungen im Zusammenhang mit menschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Menschen, um ihr Wohlbefinden zu fördern. Unter Bezug auf/unter Nutzung von Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme interveniert Soziale Arbeit im Schnittpunkt der Interaktion zwischen In-

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dividuen/Menschen (people) und ihrer Umwelt. Die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit fundamental.“ (IFSW/IASSW 2000) 1. Diese Definition kann als sehr allgemeine Operationalisierung der obigen Ausgangsthese betrachtet werden:    

Als Disziplin bezieht sich der Gegenstand Sozialer Arbeit auf menschliches Verhalten und soziale Systeme; als Profession bezieht sich die Zuständigkeit Sozialer Arbeit auf Problemlösungen/Interventionen im Schnittpunkt der Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft/bzw. dessen soziales Umfeld; bezüglich konkreter Zielsetzungen und allgemeinster Handlungsleitlinien geht es um Ermächtigung und Befreiung von Menschen sowie um sozialen Wandel; ihre weltumspannende, universelle Wert-/Rechtsbasis, die Verbindlichkeit beansprucht, sind die Menschenrechte und im Besonderen soziale Gerechtigkeit als Teil der Menschenrechte (Pakt I von 1966 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948; im Hinblick auf Europa gilt auch die Europäische Sozialcharta).

Nach 2000 sind im Asiatischen Raum (China, Vietnam, Thailand, Malaysia, Südkorea usw.) über 600 Fakultäten für Soziale Arbeit auf Universitätsebene entstanden, was zu einer neuen Zusammensetzung, das heißt vor allem zu einem neuen zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Mitgliedern und Vorstandsmitgliedern aus dem westlichen, südlichen, aber vor allem asiatischen Raum in den internationalen Gremien (International Association of Schools of Social Work/IASSW; International Federation of Social Workers/IFSW; International Council of Social Welfare/ICSW) geführt hat.

1.2 Ein nahezu unbemerkter ‚Zwischenruf‘: Asiatischer Einspruch gegen die Montréal-Definition 2000 An der Weltkonferenz von Adelaide von 2004 wurde von den beiden internationalen Vereinigungen IFSW und IASSW das Dokument „Ethics in Social Work – Statement of Principles“ verabschiedet. Auf der Rückseite des Titelblattes dieses Dokumentes konnte man an der Konferenz Folgendes lesen: Kolleg_innen aus Hong Kong, insbesondere Professor_innen der Polytechnischen Universität geben ihrer Sorge über die fehlende Erwähnung von Verantwortung und des Kollektivs in der Montréal-Definition von 2000 Ausdruck. Sie schlagen deshalb die folgenden, als Zusätze (Kursivschrift) eingeschobenen Formulierungen zur Definition vor: 1 Alle in diesem Beitrag zitierten Definitionen sind in englischer Sprache verfasst und wurden von der Autorin jeweils in die deutsche Sprache übersetzt.

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„Die Profession Sozialer Arbeit fördert sowohl sozialen Wandel als auch soziale Stabilität, sowohl Problemlösung als auch Harmonie in menschlichen Beziehungen, sowie Empowerment und Befreiung von Menschen, um ihr Wohlbefinden zu verbessern. Indem sie sich auf Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme sowie auf Respekt vor den besonderen Traditionen und Kulturen in den unterschiedlichen ethnischen Gruppen stützt, interveniert Soziale Arbeit an Orten (points), wo Menschen mit ihrer Umgebung interagieren und wo sich die Individuen mit bedeutsamen Anderen gut vertragen (go well with their significant others). Sowohl die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit als auch Verantwortung und kollektive Harmonie sind für die Soziale Arbeit in den verschiedenen Ländern fundamental.“ (Englischsprachiges Originaldokument liegt der Autorin vor, Übersetzung ins Deutsche durch die Autorin).

Die meisten Konferenzteilnehmer_innen dürften diesen, gewissermaßen ‚heimlich‘ eingeschobenen Text nicht bemerkt oder nicht ernst genommen haben. Jedenfalls gab es dazu keine mir bekannten Reaktionen.

1.3 Die „Global Definition of Social Work“ – verabschiedet an der Weltkonferenz von Melbourne/Australien von 2014 „Soziale Arbeit ist eine praxisbasierte Profession und eine akademische Disziplin, die sozialen Wandel und Entwicklung, sozialen Zusammenhalt, Empowerment und die Befreiung von Menschen fördert. Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechte, kollektive Verantwortlichkeit und Respekt für Diversität sind zentral für die Soziale Arbeit. Untermauert/gestützt (underpinned) durch Theorien Sozialer Arbeit, Sozial- und Humanwissenschaften sowie indigenes Wissen, engagiert Soziale Arbeit Menschen und Strukturen, um die Herausforderungen des Lebens zu adressieren und Wohlbefinden zu unterstützen (enhance). Zusatz: Diese Definition kann auf der nationalen und/oder regionalen Ebene ergänzt/erweitert werden.” (IFSW 2014). Ein Abschnitt aus den ergänzenden „Commentary Notes for the Global Definition of Social Work“ (im Folgenden als ‚Kommentar‘ bezeichnet) lautet: „Es liegt in der Verantwortung jeder/jedes Professionellen der Sozialen Arbeit auf der ganzen Welt, die in dieser Definition dargelegten Werte und Prinzipien zu verteidigen, zu bereichern und zu verwirklichen. Diese Bestimmung Sozialer Arbeit ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn sich die Mitglieder der Sozialen Arbeit aktiv für die Werte und Visionen ihrer Profession einsetzen.“ (IFSW 2014).

Die neue ‚Melbourne-Definition‘ hat gegenüber der ‚Montréal-Definition‘ allerdings erhebliche Veränderungen erfahren: 

Praxisbasierte Profession? Es gibt keine ‚nicht-praxisbezogene‘ Profession! Die Formulierung ist das kuriose Produkt harter Verhandlungen zwischen

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Silvia Staub-Bernasconi IFSW und IASSW: der internationale Berufsverband lehnte die Formulierung „Soziale Arbeit als Disziplin und Profession“ ab, war dann aber kompromissbereit, sofern die Formulierung „praxisbasierte Profession“ in die Definition aufgenommen wird; neu ist die Erwähnung von „Theorien Sozialer Arbeit“; als Disziplinen werden Sozial- und Humanwissenschaften genannt – allerdings ohne den Gegenstandsbereich zu umreißen, den sie im Hinblick auf die Soziale Arbeit zu beschreiben und erklären haben; dazu kommt die Forderung nach Berücksichtigung von „indigenem Wissen“; die Formulierung eines professionellen sozialarbeiterischen Zuständigkeitsbereichs fehlt; er wurde offenbar durch die Formulierung „Herausforderungen des Lebens“ ersetzt , die so vage ist, dass sie jede beliebige Interpretation zulässt; insgesamt werden zehn Wertvorstellungen – alle optisch auf der gleichen Ebene – aufgeführt. Dies signalisiert, dass die Menschenrechte lediglich eine mögliche Wertoption unter neun anderen sind und entsprechend keinen Universalitätsanspruch und noch weniger einen übergeordneten Maßstab zur Beurteilung von Problemkonstellationen, Wissen, Werten und Zielen sowie Arbeitsweisen der Sozialen Arbeit beanspruchen können; jeder Sozialarbeiter, jede Sozialarbeiterin, aber auch die Lehrenden sind frei, die ihnen genehmen Werte herauszupicken; Hinweise auf professionsspezifische Arbeitsweisen fehlen (Aufzählungen finden sich im ‚Kommentar‘); in einem allgemeinsten Sinn geht es dort laut ‚Kommentar‘ darum, die „Herausforderungen des Lebens“ zu „adressieren“ und – ein offenbar bereits bestehendes „Wohlbefinden“ zu „erhöhen“ bzw. zu „steigern“ (enhance); zum Zusatz, der Ergänzungen der Definition auf nationaler und/oder regionaler Ebene ermöglicht: dass diese der allgemeinen Definition nicht widersprechen dürfen, sind Thema von zwei „Additional Motions“ (offenbar an der Vollversammlung angenommene Anträge) am Schluss des Dokumentes.

Wie sehr diese Zusatzforderung ein großes Anliegen der australischen Repräsentanten war, zeigt der von ihnen eingebrachte Begründungstext: „Mit der vorliegenden definitorischen Bestimmung wird gefordert und bekräftigt, dass nicht nur abendländisch-wissenschaftliche Theorie und westliche Praxiserfahrung die Grundlagen der Sozialen Arbeit bilden, sondern dass diese Grundlage insbesondere auch vom indigenen Wissen beeinflusst ist. Allein abendländische Theorie und im kulturellen Westen generiertes Wissen als wertvolles Wissen und indigenes Wissen als diesem unterlegen zu bewerten, ist Teil des Kolonialerbes. Dieser Prozess soll gestoppt werden. Und indem anerkannt wird, dass indigene Völker in jeder Region, in jedem Land und Gebiet ihre eigenen Werte, ihre eigene Art des Verständnisses und eigene Art der Weitergabe ihres Wissens haben, soll der historische westliche Kolonialismus und die westliche Hegemonie im Bereich der Wissenschaft überwunden werden, indem man den indigenen Völkern auf der ganzen Welt zuhört und von ihnen lernt. Die Erkenntnisse im Bereich der Sozialen Arbeit werden von indigenen Völkern mit erarbeitet und beeinflusst. Sie sollen nicht nur im lokalen Umfeld,

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sondern auch auf internationaler Ebene adäquat angewendet werden.“ (Englischsprachiges Originaldokument liegt der Autorin vor, Übersetzung ins Deutsche durch die Autorin)2.

Im Unterschied zur Montréal-Definition 2000 hat man es trotz vierjähriger Verzögerung aufgrund der geopolitischen Verschiebungen in den Vereinigungen offenbar nicht geschafft, sich auf einen Konsens bezüglich zentraler Kriterien einer Profession Sozialer Arbeit (allgemeiner Gegenstands- und Zuständigkeitsbereich, metatheoretische Wertbasis) zu einigen. Die beiden ersten Themen – Gegenstands- und Zuständigkeitsbereich – sind in einer ‚Black Box‘ verschwunden. Vorstandsmitglieder, die Mitglieder des Aushandlungsprozesses waren, weisen darauf hin, dass die in der Definition „verloren gegangenen“ Inhalte in den „Commentary Notes“ zu finden sind. Dies stimmt teilweise, löst aber das Problem, dass erfahrungsgemäß zumeist nur die Definition ohne Kommentar zitiert bzw. verbreitet wird, leider nicht. Dies führt zur Empfehlung, den ‚Kommentar‘ in der Global Definition (IFSW 2014) zur Kenntnis zu nehmen.

2. Probleme der Melbourne-Definition Sozialer Arbeit von 2014 In diesem Teil sollen die vorgängig aufgeführten Themen nochmals ausführlicher, u.a. unter Einbezug von Stellen aus dem ‚Kommentar‘, kritisch behandelt werden.

1.

Kritik: Von „Problemlösung in menschlichen Beziehungen“ zu „Herausforderungen des Lebens“

Sozialarbeiter_innen haben bekanntlich – nicht zuletzt gegenüber anderen Professionen, Politiker_innen usw. – beträchtliche Schwierigkeiten, das zu definieren, wofür sie aufgrund professioneller Expertise Zuständigkeit beanspruchen können. Anstatt dies in Kürze klarzustellen (vgl. die Montréal-Definition 2 Gestützt auf Texte der Vereinten Nationen definiert die IFSW ‚indigene Völker’ wie folgt: „Sie leben in geographisch klar definierten, angestammten Gebieten (oder halten Bindungen zu ihnen aufrecht); sie tendieren dazu, eigene soziale, wirtschaftliche und politische Organisationen zu unterhalten; sie sind bestrebt, typische kulturelle, geographische und institutionelle Besonderheiten zu bewahren und sich nicht vollständig der nationalen Gesellschaft anzupassen; und sie betrachten sich selbst als indigene Völker oder Stämme.“ (IFSW 2012, Übersetzung ins Deutsche durch die Autorin).

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von 2000) klafft hier ein ‚schwarzes Loch‘. Es kommen weder a) Subjekte als Adressat_innen/Problembetroffene oder Mitglieder sozialer Systeme noch b) sozialkulturelle (Teil)Systeme als Problemverursacher vor. Die Frage ist hier: Herausforderung ja, aber wodurch? Durch ein rassistisches Umfeld? Oder geht es um die Überquerung einer Straße bei starkem Verkehr? Herausforderung durch Migrationsströme und Fluchttragödien – tausende Ertrunkene im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa? Oder geht es darum, nicht zu wissen, wie man ein leckeres Dinner für eine große Party kocht? Herausforderung durch Armut, Perspektivlosigkeit, Wasser- und Nahrungsknappheit, Diskriminierung, Krieg und Terror? Oder handelt es sich um die Wasserrationierung für den Swimming Pool? Ohne es zu merken hat man hier einen in Wirtschaftskreisen gängigen und beliebten Begriff übernommen, aufgrund dessen man vermeiden kann, von ‚Problemen‘, die man teilweise weltweit verursacht, zu sprechen. Nur im ‚Kommentar‘ kommen die sozialen Probleme „Ungleichheit, Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung“, ferner Armut, Marginalisierung und sozialer Ausschluss vor. Damit unterstützt und legitimiert die Definition wohl ungewollt die im ‚Westen’ gängige Kritik an der ‚Problemorientierung‘ und seine Ersetzung durch den Begriff der ‚Lösungsorientierung‘. Damit geht auch teilweise die Vernachlässigung der Frage nach den inter- und transdisziplinären Ursachen von Ungleichheit, Diskriminierung und Ausbeutung sowie der Übersetzung von disziplinärem Wissen in Handlungsleitlinien einher. „Herausforderung“, auch ergänzt durch „life challenges“ ist eine Leerformel, welche a) die Adressat_innen Sozialer Arbeit von ihrem realen Leiden, ihren realen Nöten und Problemen mit ihrem sozialen Umfeld sowie deren Artikulation und b) die Sozialarbeiter_innen von ihrem professionellen Zuständigkeits- sowie disziplinären Gegenstandsbereich enteignet. Die Folge davon ist, dass die Leerstellen für Meinungen bzw. subjektive Problemkonstruktionen irgendwelcher Herkunft – auch für den hegemonialen ‚Zeitgeist‘ öffentlicher Diskursteilnehmer_innen sowie der herrschenden Machthaber Tür und Tor öffnet.

2.

Kritik: Großer Werteüberhang (zehn Werte) als Grundlage für moralisches Unternehmertum statt disziplinär begründete Professionalität

Das festgestellte „Gegenstands- und Zuständigkeitsloch“ wird in der Definition durch Wertvorstellungen ‚gefüllt‘. Dadurch begünstigt sie moralisches Unternehmertum, moralischen Paternalismus – „the goody-goody attitude of ineffectiveness“ (Addams, 1907: 9). Sie legt im Weiteren den Grundstein für die Überzeugung, prinzipiell auf der guten Seite der Geschichte zu stehen und entsprechend mit dem Finger auf die ‚bösen Anderen‘ zu zeigen! Dass man

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dabei einer Fiktion aufsitzt, zeigen zum einen Beispiele aus der Geschichte der Fürsorge/Sozialen Arbeit: die Mitwirkung der Fürsorgerinnen, Vorgesetzen und Theoretikern an den Verbrechen des Nationalsozialismus; die von der Sozialen Arbeit teilweise unterstützte Apartheid in Südafrika; der Rassismus weißer Sozialarbeiter_innen in den USA; der Umgang mit den Aborigines in Australien sowie in anderen Gesellschaften; die administrative Verwahrung aufgrund der ‚Diagnose‘ ‚liederlicher Lebenswandel‘, ‚Verwahrlosung‘ u.a.; die Geschichte der ‚Heim- und Verdingkinder‘, der ‚Kinder der Landstraße‘ (Sinti und Roma) in Deutschland und der Schweiz usw. Zum andern verhindert moralisches Unternehmertum die Diskussion über die aktuelle, teilweise kritik- und widerstandslose Anpassung der Sozialen Arbeit an die weltweiten, von vielen Trägern übernommenen und durchgesetzten, neoliberalen Management- und Fallsteuerungsvorgaben. Das Buch von Seithe/Wiesner-Rau „Das kann ich nicht mehr verantworten!“ (2013) ist eine eindrückliche Sammlung von Berichten, in denen Sozialarbeiter_innen erkennen, dass sie zentrale Werte ihrer Profession verletzen, aber fast durchwegs relativ hilflos sind, professionelles Wissen und Ethik, also ihr drittes Mandat, gegenüber dem Sozialmanagement des Trägers wirksam einzufordern.

3.

Kritik: Relativierung der „Menschenrechte“ als eine mögliche Wertoption unter vielen anderen sowie ihre Bindung an Pflichten

Wie bereits erwähnt, verschwinden die Menschenrechte – auch optisch – in einem Meer von anderen Werten. Sie sind nicht mehr, wie in der MontréalDefinition von 2000, die zentrale Legitimationsbasis, um auf einer übergeordneten, das heißt Metaebene für alle Menschen der Weltgesellschaft universalistische Werte wie Menschenwürde sowie davon ableitbare Menschenrechte zu begründen und Wege zu ihrer Einlösbarkeit aufzuzeigen. Sie konkurrieren überdies mit Werten wie Harmonie, kollektive Verantwortung, einer undifferenzierten Vorstellung der Anerkennung von Diversität als Sachverhalt, wobei dieser auch ein ‚Produkt‘ bzw. Anpassungsprozess an Diskriminierung und Unterdrückung sein kann (Bourdieu 1993; Mecheril 2003; Staub-Bernasconi i.E.). Im ‚Kommentar‘ findet man überdies die Forderung, dass „Menschenrechte entlang der Vorstellung kollektiver Verantwortung koexistieren müssen“. Sie seien „an eine tägliche, gegenseitige Verantwortungsübernahme“ sowie „an die Voraussetzung der Schaffung von Reziprozitätsbeziehungen zu binden“. (Passagen durch die Autorin kursiv gesetzt) Dabei bleibt das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv bzw. Gesellschaft unreflektiert (vgl. dazu Staub-Bernasconi 2011). Steht das ‚Kollektiv‘ bzw. die ‚kollektive Verantwortung‘ ethisch über den Rechten des ‚Individuums‘, ergibt sich die

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‚Chance‘ bzw. das Problem, den Zugang von Opfern von Menschenrechtsverletzungen zur Einklagung von Menschenrechten von der Erfüllung kollektiver Pflichten abhängig zu machen. Dies ist vor allem bei (innerfamiliären) patriarchalen, (neo)kolonialen oder diktatorischen Machtverhältnissen der Fall. Zudem: Was gilt, wenn infolge von Behinderungen, Demenz und anderen Beeinträchtigungen Pflichten gar nicht übernommen werden können? Um Missverständnisse zu vermeiden: Gegen Forderungen betreffend Verantwortungsübernahme und fairen Austauschbeziehungen ist nichts einzuwenden; jedoch darf man sie nicht als Bedingung für den Anspruch auf ein Menschenrecht, beispielweise die Befreiung von Folter oder die Sicherung eines bedürfnisgerechten, menschenwürdigen Existenzminimums ‚binden’. Zum andern kann die Forderung nach kollektiver Verantwortung zu einer menschenrechtlich nicht vertretbaren Vorstellung von Kollektivschuld und –strafe führen, in der Familien-, Parteimitglieder, Mitglieder der gleichen Nation, Ethnie, Religion usw. für die Unrechtstaten ihrer Mitglieder mit büßen müssen. Mit der Gleichstellung der Menschenrechte auf der gleichen Ebene mit anderen Werten handelt man sich ein weiteres Problem ein: Sie verhindert, zwischen Legalität und ethischer Legitimität einer Verfassung oder Gesetzgebung unterscheiden zu können, aber ebenso auch einzelne Werte, Normen, Wissen und Praktiken aus der Perspektive der Menschenrechte zu problematisieren. Zusammenfassend: Jede Verwässerung der Menschenwürde und Menschenrechte als universelle, jedem Individuum zugesprochene und zustehende, bahnbrechende ‚Ideen‘ vergisst ihren Ursprung im blutigen Sklavenaufstand in den USA, in der Französischen Revolution gegen Kaiser- und Papsttum, im Horror des Ersten, aber vor allem des Zweiten Weltkrieges, aber darüber hinaus ihre traurige aktuelle Realität – das unermessliche Leid in der aktuellen Weltgesellschaft. Zudem: dass sie vielfach praktisch nicht umgesetzt werden, ist kein Grund für ihre Ablehnung oder Relativierung, sowenig eine Gesetzesübertretung oder ein Verfassungsbruch ein Grund für deren unhinterfragten Aufhebung sein kann.

4.

Kritik: Die Forderung nach der Berücksichtigung von „indigenem Wissen“

Die Forderung wurde in Melbourne vor allem vom australischen Berufsverband mit Nachdruck eingebracht und war, auch im Gefolge der Konferenz, Anlass zu vielen Rück- und Streitfragen. Zum Beispiel: Ob man mit einem solchen Passus hoffe, Schuldgefühle abbauen zu können, anstatt als Profession zu den massiven, übrigens weltweiten Verfehlungen gegenüber den als minderwertig definierten First Nation Peoples zu stehen und ihre bis heute erfahrbaren psychischen und sozialen Folgen zusammen mit den davon Betroffenen

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zu reflektieren, erforschen und anzugehen? Warum konzentriert sich die Debatte allein auf ‚Wissensfragen‘ und nicht auf die wohl noch wichtigere Frage, inwiefern die Soziale Arbeit die ‚Indigenen‘ unterstützen kann, ihren legitimen Anspruch auf Menschenrechte, insbesondere Sozialrechte im Hinblick auf ihre bis heute miserablen Lebensbedingungen einzulösen? (für die Darstellung der bewegten Geschichte der Institutionalisierung von Indigenenrechten als Menschenrechte, vgl. Bennani 2015: 317-351). Zu beachten wäre bei dieser Diskussion ein weiteres Problem: Indigenes Wissen kann, wie jedes Wissen, nicht von vorneherein als menschenrechtlich unverdächtig betrachtet werden. Dazu folgende Beispiele: Der ugandische Berufsverband der Sozialen Arbeit unterstützte die staatliche Politik von Gefängnis, Folter und Todesstrafe für Homophilie! Dabei handelt es sich hier nicht nur um indigenes Wissen: die Verurteilung von Homosexualität als Sünde wurde auch von den christlichen Missionaren importiert und wird bekanntlich teilweise bis heute aufrechterhalten! – In anderen Ländern (Kongo, Tansania) werden Albinos, das heißt Kinder, die mit weißen Hautflecken oder weißer Haut zur Welt kommen – teilweise von ihren Müttern oder Vätern – getötet, weil man glaubt, sie besäßen magische Kräfte. Die meisten Morde bleiben ungeklärt, weil allfällige Zeugen nicht zu einer Aussage vor Gericht bereit sind. Kinder wollen nicht mit Albino-Kindern spielen, weil sie denken, dass sie Unglück bringen. Sie seien verfluchte Weiße. Die gebildete Mittelschicht geht hingegen tendenziell davon aus, dass Albinismus nicht mit Geistern, sondern mit veränderten Genen und fehlendem Melanin zu tun hat. – An diesen Beispielen wird die ganze Komplexität von individuellen, strukturellen und sozialkulturellen Problemkonstellationen und dem dabei entstandenen ‚indigenen‘, aber zugleich auch vom Westen beeinflussten wissenschaftlichen Wissen und entsprechendem Handeln erkennbar (Arthus-Bertrand 2016: 184-185; Beglinger/Basic 2016; Budowski 2005). Zudem: Warum soll nicht auch das Wissen eines Teils der ‚Social Work Community‘ des Westens bzw. Nordens verdächtig sein, wenn sie dem Effizienzdiktat folgt, das heißt, differenzierte Problemanalysen und -diagnosen durch Formulare ersetzt, komplexe Problemerklärungen für unnötig hält, die Werte und Zielvorgaben des Trägers unbesehen übernimmt, methodisch der Leitlinie ‚Lösungsorientierung‘ im Sinn von ‚Management by Objectives‘ folgt und dabei auf einen weltweiten, neoliberalen – kulturellen und sozialstrukturellen – Universalismusanspruch verweisen kann, der ihrem Tripelmandat und damit den Menschenrechten mehrfach widerspricht? Zudem: Die im Aushandlungsprozess über die „Global Definition“ entstandenen Kontroversen scheinen dazu geführt zu haben, dass die im ‚Kommentar‘ aufgeführte Liste von ‚Theorien‘ ein buntes, schwer verdauliches Durcheinander von Disziplinen (z.B. Soziologie, Ökonomie, Psychologie, Anthropologie), normati-

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ven Handlungstheorien (z.B. Sozialpädagogik, Psychiatrie, Sozialmanagement), Methoden (z.B. Gemeinwesenentwicklung) darstellt, in welchem übrigens jeder Hinweis auf indigenes Wissen fehlt.

5.

Kritik: Die Erblast der Kolonisierung der Sozialen Arbeit bzw. ihrer Ausbildungen durch westliches Wissen als Subtext der Auseinandersetzung über die Melbourne-Definition

Es gehört zum kolonialen Erbe der Entwicklung der Internationalen Sozialen Arbeit, dass ‚westliches Wissen‘ – in der Anfangsphase vor und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von den USA verbreitet – unbesehen als höherwertig und indigenes Wissen von vorneherein als minderwertig betrachtet wurde. Dies hat zu dem geführt, was die Internationalen Vereinigungen des Globalen Südens inklusive Asiens zur Zeit immer heftiger als hegemoniale ‚professional colonisation‘ kritisieren (vgl. dazu den ‚Kommentar‘ in IFSW 2014; ferner Sewpaul 2016). Allerdings soll dieser „Prozess nun aufgehalten und umgekehrt“ werden. Dies fordere die Bereitschaft, kontextspezifisches Wissen anzuerkennen und davon auszugehen, dass indigene Völker in allen Regionen und Ländern ihre eigenen Werte, Wege des Wissens und seiner Verbreitung entwickelt und dabei unschätzbare Beiträge („invaluable contributions to science“) zur Sozialen Arbeit geleistet haben. Der Wissenschaftsbegriff wird allerdings auch im ‚Kommentar‘ nicht weiter spezifiziert. Paradoxerweise ist es nun aber bei der eingangs festgestellten ‚Black Box‘ bezüglich Gegenstands- und Zuständigkeitsbereich der Melbourne-Definition trotz Kolonisierungskritik zur Einführung und Umsetzung eines in der ‚westlichen‘ Sozialen Arbeit seit Jahrzehnten weit verbreiteten, paradigmatischen Theorie- bzw. Wissenschaftsverständnisses gekommen. Die Grundlage dazu kann vor allem auf Herbert Blumer (1971), ferner Spector/Kitsuse (1977) zurückgeführt werden – alle drei amerikanische Soziologen und einflussreiche Mitglieder der „Society for the Study of Social Problems“. Blumer schreibt: „Soziologen, die eine Theorie sozialer Probleme aufgrund der Annahme entwickeln, dass sie in irgendeiner objektiven Sozialstruktur lokalisiert sind, missverstehen die Welt.“ (1971: 305f.) Diese Position wurde von der „Sektion ‚Soziale Probleme und soziale Kontrolle’ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ unter Verweis auf die drei genannten Autoren sowie auf Schetsches „Die Karriere Sozialer Probleme“ (1996) als maßgebend übernommen. „In diesen Perspektiven werden soziale Probleme nicht als Indikatoren für Störungen der gesellschaftlichen Entwicklung und sozialen Ordnung, sondern als Ergebnisse öffentlicher Problematisierungsaktivitäten kollektiver Akteure oder als soziale Bewegungen verstanden. Ausgangspunkt ist hier die Feststellung, dass Phänomene in der Gesellschaft nicht von sich aus problematisch sind,

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sondern ihr problematischer Charakter erst aktiv über gesellschaftliche Definitions- und Konstruktionsprozesse hergestellt werden muss. Erklärungsbedürftig an sozialen Problemen sind damit nicht mehr ihre Ursachen oder die Verbreitung bzw. Betroffenheit von sozialen Problemen, sondern die Art und Weise, wie bestimmte Phänomene in der Gesellschaft als problematisch dargestellt bzw. konstruiert und so in öffentlichen Diskursen als soziale Probleme wahrgenommen werden. […] (Es geht also) um Fragen der Konstruktion und Rekonstruktion vermeintlicher Sachverhalte als soziales Problem.“ (Groenemeyer 2012: 24). Auch wenn die kritisierten ‚Leerstellen‘ in der „Global Definition“ aufgrund von Verständigungsproblemen oder/und Blockaden entstanden sind, ist das Resultat klar kompatibel mit dem skizzierten theoretischkonstruktivistischen Hintergrund, der, philosophisch gesprochen, Wirklichkeitstheorie (Ontologie) auf Erkenntnistheorie (Epistemologie) reduziert. Theorien Sozialer Probleme werden dadurch zum Thema der Meinungs-, bzw. Wissenssoziologie, anstatt dass beide Zugänge und ihr Zusammenhang untersucht werden. Die ‚Verlierer‘ sind zum einen die Sozialarbeiter_innen, insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, miteingeschlossen Asiens. Konfrontiert mit (realen!) massiven sozialen Problemen und teilweise kaum vorstellbaren Leidens und je nach Kontext mit (politischer) Kritik ihres Auftrags oder gar Verfolgung, werden sie in dieser Definition mit einem Set von abstrakten, wohlklingenden Werten allein gelassen. Zum andern sind es die Adressat_innen Sozialer Arbeit, deren reale prekäre Situation, Probleme und Nöte erst dann ‚ent- und bestehen‘, falls sie von öffentlichen Akteur_innen aus welchen (Macht- und Kontroll-)Interessen auch immer definiert bzw. konstruiert werden. Zusätzlich zur Enteignung von ihren realen Problemen und deren Ursachen, handelt es sich um eine moderne Variante des alten, in der Sozialen Arbeit immer wieder bestehenden Paternalismus.

3. Ausblick Die hier angesprochenen Kritikpunkte zur „Global Definition of Social Work 2014“ lassen sich nicht mit einer ‚Pluralismusforderung‘ aus der Welt(Gesellschaft) schaffen. Die präzisierenden Ausführungen im ‚Kommentar‘ sind teilweise hilfreich, setzen aber voraus, dass man ihn abruft. In jedem Fall braucht es die Weiterführung der Auseinandersetzung über den disziplinären Gegenstands- und professionellen Zuständigkeitsbereich, die Arbeitsweisen der Profession, den Stellenwert von Werten, Menschenwürde und Menschenrechten. Was ist davon universalisierbar, was davon zu Recht kontextspezifisch? Dabei

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Silvia Staub-Bernasconi

wäre es gewiss gut, sich zu vergegenwärtigen: Nach einer Definition ist vor einer Definition!

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Vom Kopf auf die Füße stellen – Menschenrechte und ihre Vermittlung in der praxisorientierten Lehre Menschenrechte und praxisorientierte Lehre Walter Eberlei, Katja Neuhoff und Klaus Riekenbrauk

1. Einleitung und Herausforderungen „Bislang besteht in vielen Feldern der Sozialen Arbeit noch wenig systematisches Wissen über die Umsetzung und Gestaltung von Interventionen zur Förderung der Menschenrechte.“ – so die Verantwortlichen der DGSA-Jahrestagung 2017 zum Thema „Menschenrechte und Soziale Arbeit“ in ihrer Einladung. Diese Diagnose spiegelt auch unsere Erfahrung mit dem Menschenrechtsansatz wieder: Obwohl er seit fast 30 Jahren vielfach diskutiert, kontinuierlich weiterentwickelt und von den Berufsverbänden der Sozialen Arbeit als Leitidee bestätigt wurde, besteht immer noch erhebliche Unsicherheit darüber, wie er systematisch in die praxisorientierte Lehre integriert und für die Praxis fruchtbar gemacht werden kann. Häufig sieht sich der Menschenrechtsansatz mit der Auffassung konfrontiert, die Menschenrechte seien zwar eine gute Idee, taugten aber nicht für die Praxis. Diese Kritik sieht Menschenrechte vorrangig als Teil eines akademischen Diskurses bzw. Teil eines fernen, internationalen Völkerrechts. In scheinbarem Gegensatz dazu steht ‚die‘ Praxis sozialprofessionellen Handelns, die mit konkreten, individuellen Realitäten umzugehen hat. Menschenrechte erscheinen vor diesem Hintergrund als ‚nette‘ Ideen im Diskurs bzw. schöne Normen auf Papier. Darüber hinaus wird die Relevanz der Menschenrechte für die Praxis insbesondere auch für den deutschen Kontext in Frage gestellt: Menschenrechte seien vorrangig ein Thema in Ländern ohne gefestigte demokratische Strukturen; von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland zu sprechen, sei überzogen und erweise den Menschenrechten in der Konsequenz einen Bärendienst. Abgesehen von solchen Anfragen stellen sich aber auch ganz praktische Fragen der Umsetzung: Wie lässt sich der Menschenrechtsansatz systematisch im Curriculum verankern? Welcher Veränderungen auf welcher Ebene – Fachbereichsentwicklungsplan, Studiengangskonzepte, Modulhandbücher – bedarf es, um den Menschenrechtsansatz konsequent zu verankern? Lässt sich der Menschenrechtsansatz im System disziplinärer Lehrveranstaltungen angemes-

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sen umsetzen oder erfordert er interdisziplinäre Antworten, mindestens als interdisziplinäre Bearbeitung in disziplinär ausgerichteten Seminaren oder als interdisziplinär angelegte Seminare oder Schwerpunkte? Und nicht zuletzt: Auf welche Methoden kann eine menschenrechtlich orientierte Soziale Arbeit zurückgreifen? Diese Anfragen machen deutlich: Der Menschenrechtsansatz muss ‚vom Kopf auf die Füße gestellt werden‘ (vgl. hierzu auch Kappeler 2008), damit er in der Lehre der Sozialen Arbeit erkenntnisbringend eingesetzt und in der Praxis der Sozialen Arbeit handlungsleitend umgesetzt werden kann. Was heißt das konkret? Der Menschenrechtsansatz muss:  





systematisch gelehrt werden mit dem Ziel, menschenrechtlich begründete Handlungskompetenzen in allen Feldern Sozialer Arbeit zu erkennen, zu erwerben und zu stärken. an den realen Herausforderungen der alltäglichen, professionellen Praxis ansetzen und herausarbeiten, welche Menschenrechte in einer konkreten Situation prekär werden und wie menschenrechtsbasierte Lösungsansätze gefunden werden können. interdisziplinär angelegt sein: Menschenrechte sind zugleich vorpositive moralische Normen, in Völkerrechtsverträgen verbriefte Rechte und politische Konflikt- und Aushandlungsfelder. Mindestens die Ethik, die Rechts- und Politikwissenschaften haben insofern genuin eigene Zugänge zu den Menschenrechten, die zusammengedacht werden müssen. auf kontinuierliche Weiterentwicklung angelegt sein: Der Menschenrechtsdiskurs ist eine unabgeschlossene Lerngeschichte. Menschenrechte werden als Antworten auf Unrechtserfahrungen an bestimmten Orten und Zeitpunkten artikuliert und erkämpft. Menschenrechtliche Fragen sind regelmäßig Gegenstand rechtlicher Verfahren und zivilgesellschaftlicher bzw. politischer Debatten und Aushandlungsprozesse. Methodisch kann der Menschenrechtsansatz in der Lehre insofern nur exemplarisch vorgehen in dem Bestreben, die Sensibilität für Menschenrechtsverletzungen zu schulen und Handlungsansätze aufzuzeigen, die die gleichen Rechte aller Menschen achten, schützen und institutionell gewährleisten.

2. Der Menschenrechtsansatz in der (Lehre der) Sozialen Arbeit Diese Vorgaben versuchen die Autorin (Sozialethikerin) und die Autoren (Politikwissenschaftler und Rechtswissenschaftler) dieses Beitrags in einem Lehrbuch-Projekt zum Menschenrechtsansatz in der Sozialen Arbeit umzusetzen (Eberlei/Neuhoff/Riekenbrauk 2018). Das Lehrbuch umfasst im Kern zwölf exemplarische Handlungsfelder der Sozialen Arbeit, die jeweils induktiv über

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ein Fallbeispiel erschlossen werden. Es folgen ethische Analysen, rechtliche Grundlagen und politische Dimensionen des Falls und des Feldes. Abgerundet wird die Diskussion durch gute Beispiele aus der Praxis. Hier ein Beispiel aus dem Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe1: Sie sind beim städtischen Jugendamt im Allgemeinen Sozialdienst (ASD) beschäftigt und werden u.a. auch in Fällen von Kindeswohlgefährdung tätig. Dabei ist es Ihre Aufgabe, Hinweisen bspw. aus der Nachbarschaft, Kindertagesstätten oder der Schule nachzugehen und nach Kontaktaufnahme mit den Eltern zu entscheiden, welche Hilfen diesen angeboten werden können oder ob Kinder aus den Familien herausgenommen werden müssen. Eines Tages erhalten Sie einen Anruf aus dem Gesundheitsamt und erfahren, dass Frau S., alleinerziehende Mutter, seit einem halben Jahr nicht mehr mit ihrer einjährigen Tochter Yvonne zu den Vorsorgeuntersuchungen kommt. Daraufhin vereinbaren Sie mit Frau S. einen Besuchstermin in ihrer Wohnung, um festzustellen, was Frau S. davon abhält. Zu dem Termin stehen Sie vor verschlossener Tür. Nach 15 Minuten vergeblichen Klingelns und ergebnislosen Versuchen telefonischer Kontaktaufnahme entschließen Sie sich zu gehen, als Sie eine Nachbarin von Frau S. anspricht und Ihnen berichtet, dass Yvonne häufig von ihrer Mutter allein gelassen würde, „weil sie nachts in einer Kneipe kellnert“. Immer wieder käme es dabei vor, dass Yvonne schreie. Weitere Versuche, Kontakt mit Frau S. aufzunehmen, scheitern. In Ihrem Team beraten Sie das weitere Vorgehen.

Die ethische Analyse des Beispiels fokussiert eine typische Herausforderung, mit der Sozialprofessionelle regelmäßig und in nahezu allen Feldern der Sozialen Arbeit konfrontiert sind: dem Konflikt zwischen zwei hoch- ggf. auch gleichrangigen moralischen Normen – hier: Kindeswohl und Elternrecht –, die nicht gleichzeitig vollumfänglich realisiert werden können (vgl. Großmaß/Perko 2011). Argumentativ werden die Leser_innen daher zunächst aufgefordert, vorschnelle, intuitive Beurteilungen zugunsten eines menschenrechtsbasierten Abwägens zu vermeiden. Erster Schritt der ethischen Analyse ist die Einordnung beider Normen in den Kanon der Menschenrechtsnormen: Auf der einen Seite das Kindeswohl als die zentrale Norm der Kinderrechtskonvention, die bestimmt, dass alle Entscheidungen, Maßnahmen, etc., die Auswirkungen auf ein Kind als individuelle_n Rechtsträger_in oder auf Kinder als Gruppe haben, so gestaltet werden müssen, dass sie die Interessen des Kindes/von Kindern vorrangig berücksichtigen. Auf der anderen Seite das Elternrecht als ein zentrales Freiheits- und Abwehrrecht, welches die Bürger_innen vor willkürlichen Eingriffen des Staats in ihr Privat- und Familienleben schützt und eine wichtige Schranke gegenüber staatlichen Ambitionen darstellt, den Bürger_innen ein Leben nach bestimmten Werten zu verordnen. Der Staat hat sich gegenüber einer Vielzahl von miteinander konfligierenden und ggf. unvereinbaren Konzeptionen des Guten grundsätzlich neutral zu verhalten (vgl. 1 Die folgenden Absätze sind, teilweise stark verkürzt bzw. zusammengefasst, aus dem Manuskript des Lehrbuchs entnommen. Auf Begriffserklärungen und vertiefende Erläuterungen, die im Lehrbuch vorgenommen werden, wird hier verzichtet.

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Hinsch 2002). Außerdem formulieren die Menschenrechte keine Ansprüche auf optimale Bedingungen, sondern Mindestgarantien für ein menschenwürdiges Leben: Der Staat hat das Kind vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die Schwelle liegt nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei einer erheblichen, nachhaltigen und absehbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls (vgl. BVerfG 24, 119). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Herausnahme des Kindes aus der Familie zu Recht eine sogenannte Ultima Ratio-Maßnahme ist, denn sie stellt einen gravierenden Eingriff in das natürliche Elternrecht auf Pflege und Erziehung der eigenen Kinder dar. Gleichwohl kann sie zum Schutz des Kindes geboten sein. Denn auch das Kind hat eigene Rechte gegenüber dem Staat und der Staat Pflichten gegenüber dem Kind. Ein wichtiges normatives Prinzip, das die Kinderrechtsdebatte prägt, ist die Abkehr vom Adultismus, der Erwachsene als Maßstab und Norm setzt für das, was für Kinder als richtig gilt. Gegen diese Vorstellung von Kindern als unfertigen Erwachsenen und Objekten der Fürsorge setzt die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) das Bild des Kindes als eigenständiges Rechtssubjekt und Träger von Menschenrechten, welches aufgrund seiner Verletzlichkeit des besonderen Schutzes bedarf. Erst im zweiten Schritt – nach Klärung der zu beachtenden Prinzipien – stellt sich also die Frage, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Kindesinteressen im vorliegenden Fall getroffen werden sollten (vgl. hierzu auch Engelhardt 2016). Da sich auch widerstreitende Ansichten auf das Kindeswohl berufen, lässt sich diese Frage nur einzelfallbezogen mithilfe der Erkenntnisse der Kindheitspädagogik, der Psychologie und der Erziehungswissenschaften beantworten. Hier wird deutlich, dass der Menschenrechtsansatz in der Sozialen Arbeit notwendig interdisziplinär angelegt sein muss. Moralphilosophisch haben es Sozialprofessionelle mit einer abgestuften Problematik zu tun: Wenn Kinder sich frei eine eigene Meinung bilden und diese äußern können, darf ihr freier Wille nicht übergangen werden. Sofern Kinder dies (noch) nicht können, sollte im bestverstandenen Interesse des betroffenen Kindes entschieden werden. Ein geringes Alter des Kindes ist nicht per se ein legitimer Grund, es nicht zu beteiligen. Gründe, die gegen eine Beteiligung des Kindes sprechen, müssen sich vielmehr selbst durch das Kindeswohl rechtfertigen lassen (vgl. Wiesemann 2015). Damit wird deutlich: Die eigenen Werte wie die individuelle Sozialisation – Grundlagen intuitiver Beurteilungen – sind wichtige Quellen sozialprofessionellen Handelns, die sich allerdings nicht unreflektiert in Entscheidungen und Handlungen niederschlagen dürfen. Grundlage einer menschenrechtsbasierten Argumentation müssen die Menschenrechte selbst und die in ihnen enthaltenen normativen Prinzipien sein. Die Erörterung der rechtlichen Grundlagen beginnt mit der Einordnung möglicher Ansprüche in das geltende Völkerrecht und ins nationale Recht. Auf

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völkerrechtlicher Ebene ist, wenn es um das Wohl des Kindes und seine Menschenrechte geht, die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) maßgeblich. Weil die UN-KRK mit Gesetz vom 17.02.1992 (BGBl. II, 121) ratifiziert wurde und am 05.04.1992 für Deutschland in Kraft trat, sind die Regelungen unmittelbar geltendes Recht, das von allen Behörden, insbesondere von den Jugendämtern, und den (Familien-)Gerichten angewendet werden muss (Schmahl 2013: Einl. Rn. 26). Mit der UN-KRK ist seither international anerkannt, dass auch Kinder, also Menschen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Art. 1), uneingeschränkt menschenrechtsfähig sind. Neben den klassischen Freiheitsrechten und Prozessgarantien (z.B. Art. 13-16, 37, 40), dem Diskriminierungsverbot (Art. 2) gehören zu den Kinderrechten auch die sozialen und kulturellen Rechte (Art. 24-29, 32). Bezogen auf den vorliegenden Fall sind die Vertragsstaaten zu geeigneten Maßnahmen in Gesetzgebung, Verwaltung sowie im Sozial- und Bildungsbereich verpflichtet, „um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen (…)“ (Art. 19 Abs. 1). Dabei wird in Art. 18 auf das Primat der elterlichen Verantwortlichkeit Bezug genommen und die staatliche Pflicht hervorgehoben, die Eltern bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, zu denen auch der Schutz ihrer Kinder gehört, angemessen zu unterstützen. Auf europäischer Ebene ist mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine sehr allgemein gehaltene Menschenrechtsvorschrift vorhanden, die jeder Person das „Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (…)“ garantiert. Diese Vorschrift gewährleistet eher das Zusammenleben der Eltern mit ihren Kindern und weniger den Schutz von Kindern vor Vernachlässigung. Dennoch wird in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine bedeutsame Verfahrensdimension von Art. 8 EMRK erkennbar: Zum Schutz der Familie und seiner Mitglieder gehört es auch, dass staatliche Maßnahmen nicht in bevormundender Weise über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden dürfen, sondern alle hinreichend an Entscheidungen, die insbesondere Eingriffe in das Familienleben beinhalten, beteiligt werden (EGMR Urt. v. 26.02.2004: Rn. 52f. [Görgülü/Deutschland], NJW 2004, 3397-3401). Im Grundgesetz fehlt eine den menschenrechtlichen Anforderungen der UN-KRK angemessene Vorschrift zum Schutz von Kindern. Der menschenrechtliche Gehalt von Art. 6 Abs. 2 GG bezieht sich allein auf die Eltern und ihre Verantwortung bei Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Eher indirekt kommt der Charakter dieser Verfassungsnorm als eine Schutzbestimmung zugunsten von Kindern zum Ausdruck: Zum einen durch die den Eltern „zuvörderst obliegende Pflicht“, die mit einem Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung korreliert (Michael/Morlok 2014: Rn. 256), und zum anderen in der

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Schutzpflicht des Staates, der über die Ausübung der elterlichen Sorge zu wachen hat (sog. Wächteramt). Wir haben es also mit einer verfassungsrechtlichen Dreiecksbeziehung zu tun: Auf der einen Seite das Kind mit seinen Rechten aus der KRK und dem uneingeschränkt geltenden Postulat aus Art. 3 UNKRK, nach dem bei allen staatlichen und privaten Maßnahmen das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist; auf der anderen Seite die Eltern, die nach Art. 6 Abs. 2 GG das Grundrecht der elterlichen Sorge besitzen, das als Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen z.B. eine Einmischung in die elterliche Erziehung verbietet; und schließlich der Staat, der bei Grenzüberschreitungen in der Ausübung der elterlichen Sorge in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG zur Wahrung des Kindeswohls einzugreifen hat. Die Schutzansprüche von Yvonne im Beispielfall werden im Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) betreffend das Recht der elterlichen Sorge sowie im Kinder- und Jugendhilferecht des SGB VIII geregelt. Ausgangspunkt zur Durchsetzung des Schutzes ist der – allgemein gehaltene – Schutzauftrag des Jugendamtes nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII. Liegen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor, muss das Jugendamt gem. § 8a Abs. 1 SGB VIII tätig werden, indem es das Gefährdungsrisiko einzuschätzen hat. Dies soll i.d.R. mit den Erziehungsberechtigten gemeinsam geschehen. Die bisherigen Versuche der Kontaktaufnahme mit Frau S. waren also richtig; sie weiterhin zu unternehmen, sollte zunächst die Aufgabe des Jugendamtes bleiben. Weil alle weiteren Schritte, die § 8a SGB VIII vorsieht, davon abhängen, wie es Yvonne gesundheitlich geht und wie ihre Mutter ihrer Erziehungsverpflichtung nachkommt, muss das Jugendamt Zugang zu beiden finden. Gelingt dies nicht, weil Frau S. den Kontakt grundsätzlich verweigert, muss das Jugendamt das Familiengericht einschalten (§ 8a Abs. 2 SGB VIII), das nach § 1666 BGB über weitere, dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit entsprechende Maßnahmen zu entscheiden hat, die von dem Gebot, Hilfen des Jugendamtes anzunehmen, bis zur Entziehung des elterlichen Sorgerechts reichen (§ 1666 Abs. 3 BGB). Die Erörterung der politischen Dimensionen beginnt mit sehr grundlegenden, normsetzenden Aspekten: Der rechtliche Rahmen, in dem sich Sozialprofessionelle heute bewegen, wenn sie nach dem Kindeswohl fragen, ist das Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse, die sich über Jahrzehnte hingezogen haben: Schon 1913 fand ein erster internationaler Kinderschutz-Kongress statt, bei dem über notwendige Verträge diskutiert wurde. In seiner ‚Genfer Erklärung‘ von 1924 formulierte der Völkerbund erste Grundsätze, die 1959 in einer UN-Resolution über Kinderrechte weiterentwickelt wurden. Es brauchte weitere 40 Jahre politischer Lobbyarbeit und vielfacher Verhandlungen, bis 1989 endlich die völkerrechtlich verbindliche UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurde (der erste Entwurf war bereits 1980 vorgelegt worden); ein politischer Mammutprozess, der auch ganz wesentlich von internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen – einer Kinderrechtsbewegung – forciert

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worden war. Die Ratifizierung der Konvention durch die Staatenwelt gelang vergleichsweise gut, aber auch hier mit politisch gewollten Einschränkungen. So ratifizierte Deutschland 1992 z.B. nur unter Vorbehalt: U.a. wurden die in der Konvention definierte Altersgrenze von 18 Jahren sowie die Anerkennung von Kinderrechten für ausländische Kinder nicht vollständig akzeptiert. Es brauchte nahezu 20 Jahre politischer Lobby- und Kampagnenarbeit deutscher Kinderrechtsorganisationen bis dieser Vorbehalt 2010 zurückgenommen wurde. Ebenso begannen Kinderrechtslobbyisten schon in den 1990er Jahren damit, sich für ein Fakultativprotokoll zur Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens zur KRK zu engagieren. Was zunächst als aussichtsloses Unterfangen von Idealisten galt, wurde nach über 15 Jahren Realität: Das Fakultativprotokoll wurde 2013 auch vom Deutschen Bundestag ratifiziert. Mit der Einrichtung einer Monitoringstelle für Kinderrechte am Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) im September 2015 bekam die Umsetzung der Kinderrechte endlich auch institutionelle Rückendeckung. Diese kurze Skizze zeigt: Völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtsnormen sind das Ergebnis eines oft langwierigen politischen Kampfes. Die Umsetzung solcher Normen ist aber mit der Ratifizierung bei weitem nicht abgeschlossen. Zahlreiche kinder- und familienpolitische Streitpunkte standen in den vergangenen Jahren allein in Deutschland auf der Agenda, z.B. die Debatte um wirksame Maßnahmen gegen Kinderarmut; die Forderung nach ausreichenden Kita-Plätzen, auch für Kinder unter drei Jahren; der Streit um das Betreuungsgeld (‚Herdprämie‘); die Behandlung Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge. Hinter diesen Streitpunkten stehen unterschiedliche, z.T. konträre ethische und politische Grundverständnisse, z.B. über die Verantwortung des Staates und die Freiheit der Eltern. Doch oft geht es ganz schlicht um knappe Ressourcen: Wie viel Geld wird für die Bekämpfung von Kinderarmut, Familienpolitik, Kindesschutz usw. bereitgestellt? Die jährlichen Haushaltsdebatten im Bundestag (und je nach Zuständigkeit auch in den Länderparlamenten und kommunalen Vertretungen) zeugen von diesen politischen Kämpfen. Solche haushaltspolitischen Entscheidungen haben konkrete Auswirkungen: Wie werden z.B. Jugendämter personell und finanziell ausgestattet? Gibt es genügend angestellte Sozialpädagog_innen oder Sozialarbeiter_innen, die sich um das Wohl von Kindern bemühen können? Die Beantwortung dieser Frage hängt ganz wesentlich mit den Haushaltsmitteln zusammen, die von staatlicher Seite für diese Arbeit bereitgestellt werden. Finanzielle Ressourcen sind knapp – der politische Streit um ihre Verteilung ist allgegenwärtig. Der politische Kampf um Menschenrechte macht deutlich: Selbst, wenn Menschenrechte als moralische Normen grundsätzlich anerkannt sind und als Anspruchsgrundlagen im Völkerrecht und im nationalen Recht verbindlich gesetzt sind, bedarf es des fortwährenden politischen Ringens um die Durchsetzung und eine angemessene Umsetzung der Menschenrechte. Diese Kämpfe

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sind oft langwierig und zäh, aber sie zeigen auch politische Erfolge, ohne jemals abgeschlossen zu sein. Dabei spielen Netzwerke und Zusammenschlüsse von Menschenrechtsorganisationen eine wichtige Rolle (vgl. Dünnweller 2009). Hier sind im Rahmen eines Menschenrechtsansatzes der Sozialen Arbeit sozialprofessionell Tätige auch als politische Akteur_innen gefordert. Nachdem sich der Menschenrechtsansatz als eine – nicht unangefochtene – Leittheorie der Sozialen Arbeit etabliert hat, muss er im professionellen Alltag der Sozialen Arbeit handlungsleitend werden (vgl. Staub-Bernasconi 2017). Er befähigt dazu, im einleitend skizzierten Fall einer Kindeswohlgefährdung eine klare anwaltschaftliche Position zugunsten der betroffenen Kinder einzunehmen, ohne dabei die Rechte der Eltern aus den Augen zu verlieren. Mancherorts ist dies bereits gelebte Praxis. Gute Beispiele sind die Einrichtung Till Eulenspiegel der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Düsseldorf, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Interessen und Rechte von Kindern – gemeinsam mit ihnen – zu vertreten, die Kampagne Enemene-Mu. Hey ich will zur U des Kinderschutzbundes Hamburg oder die präventiv ausgerichteten kommunalpolitischen Initiativen Dormagener Modell und Monheim für Kinder. Sie verdeutlichen, dass menschenrechtsbasiertes Handeln in der Praxis der Sozialen Arbeit möglich ist und machen die Rahmenbedingungen sichtbar, die notwendig sind, um den Menschenrechtsansatz in Institutionen und Praxen der Sozialen Arbeit zu implementieren. Eine gute Hilfestellung für die Praxis bieten die „Allgemeinen Bemerkungen“ der Menschenrechtsausschüsse (DIMR 2005). Sie legen das Völkerrecht systematisch aus, indem sie zentrale Begriffe, z.B. den Begriff des Kindeswohls, in seiner Bedeutungsvielfalt konkretisieren und für besonders verletzliche Personengruppen präzisieren (vgl. General Comment Nr. 14/ 2013).

3. Menschenrechtsbildung und professionelle Identität Die Implementierung des Menschenrechtsansatzes in der Praxis der Sozialen Arbeit kann nur über die Akteur_innen selbst erfolgen. Die grundlegenden methodischen Elemente eines Menschenrechtsansatzes in der Sozialen Arbeit sind Menschenrechtsbildung und die Weiterentwicklung der professionellen Identität. Für alle Handlungsfelder der Sozialen Arbeit gehört Menschenrechtsbildung zum methodischen Repertoire. Ihr Ziel ist es, eine „Kultur der Menschenrechte“ zu fördern, wie die Vereinten Nationen es in Art. 2 der Erklärung über Menschenrechtsbildung und -training formulierten (vgl. VN 2011). Mit folgendem Dreiklang beschreiben die Vereinten Nationen dort die unterschiedlichen Dimensionen von Menschenrechtsbildung:

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Bildung über Menschenrechte umfasst das Wissen über Normen und Prinzipien der Menschenrechte und zugrundeliegende Werte sowie über wichtige Instrumente zum Schutz der Menschenrechte. Bildung durch Menschenrechte spricht Einstellungen und Haltungen an, die durch Menschenrechte geprägt werden. Es umfasst auch Formen des Lernens und Unterrichtens (Hochschulen: des Studierens und Lehrens), die partizipativ und inklusiv angelegt sein sollen. Bildung für Menschenrechte steht im engen Zusammenhang mit Empowerment: Es geht darum, im Sinne emanzipatorischer Ziele, Menschen darin zu stärken, ihre eigenen Rechte zu kennen und auszuüben sowie die Rechte anderer zu achten, zu schützen und damit eine Menschenrechtskultur zu fördern.

Menschenrechtsbildung verschafft menschenrechtlich orientierten Sozialprofessionellen das notwendige Wissen, stärkt menschenrechtskonforme Haltungen und ermutigt sie, sich für die eigenen Rechte wie die anderer Menschen zu engagieren. Dass Menschenrechte ein komplexes und oft kontroverses Thema sind, ist dabei zwingend zu reflektieren; insofern ist Fritzsche zuzustimmen, wenn er schreibt, dass Menschenrechtsbildung „eine Art Schule des kritischen Denkens und des auf Veränderung zielenden Handelns“ ist (Fritzsche 2016: 194). In der Sozialen Arbeit wird dieses Handeln für andere im Sinne eines emanzipierenden Ansatzes zu einem Engagement mit anderen und letztlich zu ihrem Empowerment führen, also der Befähigung von Einzelnen wie Gruppen, ihre Rechte zu kennen und sich dafür selber erfolgreich einsetzen zu können. Ein menschenrechtsbasierter Ansatz der Sozialen Arbeit setzt ein ebensolches Selbstverständnis voraus und ist damit untrennbar mit der Entwicklung einer menschenrechtsbasierten professionellen Identität verbunden. Bereits 1988 bekannte sich die IFSW zu den Menschenrechten als zentralem Gegenstand und als Grundlage der Sozialen Arbeit (IFSW 2010): Soziale Arbeit sei konzeptionell immer schon eine Menschenrechtsprofession gewesen2. 1994 gaben die UN mit Bezug zu diesem Selbstverständnis unter dem Titel „Menschenrechte und Soziale Arbeit“ ein erstes Handbuch für (Hoch-)Schulen der Sozialen Arbeit mit konkreten Anregungen für eine menschenrechtsbasierte Praxis heraus (vgl. UN 1994). Mit ihrem Beschluss „Ethics in Social Work, Statement of Principles“ setzten IFSW und IASSW international klare Standards für eine Orientierung der Sozialen Arbeit an den Menschenrechten (IFSW/IASSW 2004). Jenseits dieser grundsätzlichen Erklärung und einer wissenschaftlich gut ausgearbeiteten Theorie steht die Entwicklung des Menschenrechtsansatzes zu einer wirklichen Leitidee der Praxis des sozialprofessionellen Handelns aber noch am Anfang. Ein wichtiger Schritt in die Richtung, das von Silvia Staub-Bernasconi geforderte Tripelmandat (vgl. z.B. Staub-Bernasconi 2003) zur selbstverständlichen Basis der Praxis der Sozialen Arbeit zu machen, ist die berufsethische 2 Für eine kontroverse Diskussion um die Relevanz der Menschenrechte in der neuen Fassung der Global Definition of Social Work vgl. den Beitrag von Staub-Bernasconi in diesem Band.

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Selbstverständigungsdiskussion, die der DBSH mit Herausgabe der Berufsethik für Soziale Arbeit (2014) und der Berliner Erklärung (2016) angestoßen hat: Beide Dokumente beziehen sich auf die Menschenrechte als ethischen Orientierungsrahmen der Sozialen Arbeit, der zur Stärkung der professionellen Identität beiträgt. Die Umsetzung eines Menschenrechtsansatzes in der Sozialen Arbeit erfordert ferner eine entsprechende persönliche Haltung und die „kontinuierliche Weiterentwicklung des individuellen, kritischen Reflexionsvermögens“ (DBSH 2014: 26). Hier sind die – im UN-Manual von 1994 bereits angesprochenen – (Hoch-)Schulen der Sozialen Arbeit gefragt. Denn die für eine menschenrechtsbasierte Praxis notwendige Ausbildung einer professionellen Identität beginnt im Studium Sozialer Arbeit: Der Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf (HSD), dem die Autorin und die Autoren dieses Beitrags angehören, hat daher das Bekenntnis zu den Menschenrechten als normative Leitidee im eigenen Selbstverständnis verankert (im Fachbereichsentwicklungsplan). Im Modulhandbuch für den BA-Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik wurden explizit eine Grundlagenveranstaltung über „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“ sowie – in der Aufbauphase – ein interdisziplinäres Wahlmodul „Menschenrechte“ verankert. Das Bachelor-Studium kann durch den ausdrücklich menschenrechtlich geprägten Master „Empowerment Studies“ ergänzt werden. Dies sind Schritte zur strukturellen Verankerung des Menschenrechtsansatzes in der Lehre. Das allein reicht allerdings noch nicht aus, damit Menschenrechte tatsächlich zur bestimmenden Größe des professionellen Handelns werden können. Hier ist jede_r einzelne Lehrende_r gefragt. Ein konsequenter Einsatz für die Umsetzung der Menschenrechte erfordert, dass menschenrechtliches Sehen, Urteilen und Handeln in Seminaren, z.B. anhand von Falldiskussionen, eingeübt wird, dass die Menschenrechtsperspektive über Fächergrenzen hinweg zu einer Leitperspektive wird und eine menschenrechtliche Debattenkultur in den Veranstaltungen und über diese hinaus gefördert wird.

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Menschenrechte und praxisorientierte Lehre

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Umsetzung – Menschenrechte und ihre Realisierung in Handlungsfeldern Sozialer Arbeit

Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsehen: Herausforderungen für die Klinische Soziale Arbeit1 Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsehen Isabelle Brantl, Margit Stein und Yvette Völschow

1. Hintergrund Früh- und Zwangsehen definieren sich als Bruch des im Artikel 16 der UNMenschenrechtserklärung zugesicherten Rechts auf freie Ehepartner_innenwahl (vgl. Resolution 217A (III) der Menschenrechtsversammlung von 1948), da die Betroffenen keine Option haben, die für sie ausgewählten potentiellen Ehegatt_innen wirklich abzulehnen. International gilt die Einigung auf die UN-Definition, die besagt, dass Früh- und Zwangsehen jene Eheschließungen sind, bei denen das freie und volle Einverständnis mindestens einer der beiden involvierten Personen fehlt (vgl. UN A/HRC/26/22: 4; Robbers 2008: 8). Die Definition von Zwangsehen schließt auch sogenannte Frühehen, also Eheschließungen Minderjähriger, mit ein, da davon ausgegangen wird, dass emotionaler, psychischer oder physischer Druck auf die Betroffenen ausgeübt wurde oder es durch ihr Alter faktisch für sie nicht möglich war, sich dem elterlichen Willen zur Eheschließung zu widersetzen. Davon abzugrenzen sind arrangierte Ehen, bei denen eine Vermittlung der Partner_in durch die Familie oder die Gemeinschaft stattgefunden hat, aber beide Partner_innen der Eheschließung aus freiem Willen zugestimmt haben (vgl. Chantler 2012: 176). Obwohl es sich hierbei theoretisch um unterschiedliche Konzepte handelt, ist die Unterscheidung in der Praxis nicht immer eindeutig, da in einigen Fällen bei arrangierten Ehen ebenfalls Druck ausgeübt wird (vgl. Kool 2012: 452; Alanen 2015: 228). Zwangsehen sind ein global auftretendes Phänomen und entstehen aus diversen Motiven, wie etwa zur sozialen oder finanziellen Sicherung der Familie oder aufgrund von in der Kindheit abgeschlossenen Versprechungen der Eltern, aber zuweilen auch zum Erhalt bzw. Erwerb einer bestimmten Staatsbür-

1 Disclaimer: This publication has been produced with the financial support of the Justice Programme of the European Union. The contents of this publication are the sole responsibility of Isabelle Brantl, Margit Stein and Yvette Völschow and can in no way be taken to reflect the views of the European Commission.

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gerschaft (vgl. Rude-Antoine 2005: 7). Die sozialen Situationen der Betroffenen sind folglich schwer zu verallgemeinern. Es lässt sich jedoch festhalten, dass der ursprüngliche Bruch des Menschenrechts auf freie Partner_innenwahl nicht nur den Zeitpunkt der Heirat betrifft, sondern sich i.d.R. über den gesamten Verlauf der Ehe erstreckt (vgl. Yerlikaya/Cakir-Ceylan 2011: 205). Insbesondere weibliche Zwangsehenbetroffene sind einem höheren Risiko ausgesetzt durch Partnergewalt – z.B. in Form von psychischer und physischer Gewaltanwendung oder innerehelicher Vergewaltigungen – viktimisiert (vgl. Sabbe et al. 2014: 174f.) sowie in der Familie des Ehemanns unter ausbeuterischen Umständen zur Hausarbeit gezwungen zu werden (vgl. Alanen 2015: 233). Weibliche Betroffene von Frühehen, die durch ihr Alter und Geschlecht doppelt marginalisiert sind und deren frühe Schwangerschaften zu psychischen und physischen Problemen bei Mutter und Kind führen können, sind dabei besonders vulnerabel (vgl. Chantler 2012: 181). Die Verletzung der Menschenrechte, etwa auf freie Partner_innenwahl und die Gewährung gleicher Rechte bei der Heirat sowie während der Ehedauer (Artikel 16), des Rechts auf Bildung (Artikel 26) und des Rechts auf Sicherheit der Person (Artikel 3), tritt nicht nur im Moment der Heirat auf, sondern kann während der Ehe jahrelange schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben. Diese Faktoren können die Anfälligkeit für Depressionen, Essstörungen und sogar Suizid erhöhen (vgl. Alanen 2015: 240). Trotz des steigenden medialen und wissenschaftlichen Interesses an Frühund Zwangsehen gibt es keine verlässlichen Angaben über das genaue Ausmaß der Früh- und Zwangsehen. Die Quantifizierungen der Daten für Europa sowie Nordamerika und Australien (vgl. Anitha/Gill 2015: 1124) beruhen auf Schätzungen. So vermutet der United Nations Population Fund (UNFPA) jährlich weltweit etwa 14,2 Millionen neue minderjährige Betroffene in diesem Jahrzehnt und geht von einer steigenden Anzahl für die kommenden Jahrzehnte aus (vgl. UNFPA 2012: 6). Eine genaue Angabe wird durch die häufige transnationale Verwicklung sowie die enge Verbindung mit Zwängen und Loyalitätskonflikten der Betroffenen gegenüber ihren Familien und Gemeinschaften, die diese Zwänge ausüben, erschwert. Bedingt durch die starke emotionale Bindung an die ‚Täter_innen’ und ein oft vorherrschendes stark traditionelles Rollenbild in der Herkunftsfamilie ist die Bereitschaft der Betroffenen, sich Hilfe zu suchen oder gar rechtrelevante Aussagen zu machen, aus Angst, der Familie ‚in den Rücken zu fallen’ zusätzlich verringert (vgl. Women Living Under Muslim Law 2013: 10). Die Geschlechterrollenbilder und die daraus abgeleiteten Verhaltenserwartungen sind bei Früh- und Zwangsehen besonders essentiell, da überdurchschnittlich viele Frauen und Mädchen von dem Phänomen betroffen sind. Obwohl auch Männer und Jungen viktimisiert werden, waren etwa 80 % der Betroffenen im UK und sogar 94 % der Betroffenen in Deutschland, die sich bei Hilfsorganisationen gemeldet haben, weiblich (vgl.

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FMU 2017: 7; Sabbe et al. 2014: 174). Das erklärt sich auch aus den gegenderten Verhaltenserwartungen: So wird weibliches Verhalten einer stärkeren Kontrolle unterzogen, da es essentiell für das Konzept der ‚Familienehre‘ ist (vgl. Gangoli et al. 2009: 424; Cinibulak 2011: 35). Außerdem kann die zunehmende Emanzipation der Töchter und ihre wahrgenommene ‚Verwestlichung’ zu einer Sinnkrise in der Männlichkeitskonstruktion z.B. der Väter führen, so dass sie anstreben, Kontrolle u.a. durch eine Zwangsverheiratung zurückzugewinnen (vgl. Cinibulak 2011: 35). Gleichzeitig widerspricht die soziale Identität des ‚Opfers’, die mit Passivität und mangelnder Handlungsmacht assoziiert wird, der gängigen Männlichkeitskonstruktion, die sich im Gegensatz dazu durch Aktivität und Handlungsmacht auszeichnet, sodass ein psychischer oder physischer Zwang zur Einwilligung in die Heirat, oft von den Betroffenen nicht als ‚Zwangsehe‘ identifiziert wird (vgl. Gangoli et al. 2006: 17) oder sie sich aus Schamgefühl nicht an Beratungsstellen wenden. Durch diese starke Verbindung von Früh- und Zwangsehen mit Geschlechterrollenbildern vor und nach der Heirat kann in diesem Zusammenhang auch von ‚genderbased violence‘ gesprochen werden (vgl. Kool 2012: 449).

2. Rechtliche Maßnahmen Die Istanbul-Konvention des Council of Europe, die thematisch auf Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt eingeht, schreibt in Artikel 37 die Illegalisierung von Früh- und Zwangsehen in allen ratifizierenden Ländern vor (vgl. Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence Against Women and Domestic Violence 2011). Die Judikative der einzelnen Länder in Europa hat in unterschiedlichem Ausmaß und Tempo darauf reagiert. Die verschiedenen nationalen Strategien in der rechtlichen Regelung sollen im Folgenden insbesondere und beispielhaft an Großbritannien und Deutschland verdeutlicht werden. Der Umgang mit Früh- und Zwangsehen in den beiden Ländern verläuft sehr unterschiedlich und deckt dabei bei Weitem nicht die Bandbreite an nationalen Strategien und Angeboten ab, die z.B. von nicht existenten bis zu sehr etablierten Unterstützungsnetzwerken reichen. In Großbritannien wurde bereits 2005 gemeinsam vom Foreign and Commonwealth Office und dem Home Office die sogenannte ‚Forced Marriage Unit‘ (FMU) eingerichtet, die sowohl mit Fallbetreuungen als auch mit Informations- und Aufklärungskampagnen und der statistischen Aufarbeitung der Fälle befasst ist. Aufgrund des hohen emotionalen Drucks auf Betroffene, der mit einer strafrechtlichen Anzeige gegen die eigene Familie einhergeht, wird zunächst eine zivilrechtliche Lösungsmaßnahme durch ‚Forced Marriage Pro-

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tection Orders‘ (FMPO) angestrebt, die als Schutzmaßnahme gegen eine drohende Zwangsverheiratung fungieren soll. Diese Maßnahme ist umstritten, da Kritiker_innen sie auf einen falsch verstandenen Multikulturalismus zurückführen, der den Schutz der Betroffenen behindern oder gar verhindern kann (vgl. Quek 2013: 628). Seit 2014 steht daher zusätzlich durch den ‚Anti-social Behaviour, Crime and Policing Act’ auch eine strafrechtliche Maßnahme zur Ahndung der Erzwingung einer Heirat zur Verfügung, sodass Betroffene sich zwischen zivil- und strafrechtlichen Vorgehen entscheiden können (vgl. Foreign and Commonwealth Office/Home Office 2013: Guidance Forced Marriage). In Deutschland existiert ausschließlich ein strafrechtliches Angebot. Das war seit 2005 zunächst als Teil des § 240 StGB und ab 2011 dann in § 237 im Rahmen des neuen Zwangsheirats-Paragraphen verankert. Diese Gesetzgebung ist allerdings auch nicht unumstritten. Bestimmte Aspekte – wie etwa die Frage, ob alle auftretenden Formen der Eheschließung unter die in Deutschland geltende Ehedefinition fallen und damit im Paragraph enthalten sind (vgl. Bülte/Becker 2012: 64) oder die grundlegende Kritik an einem Strafrechtsparagraph als nicht angemessene Lösung (vgl. Valerius 2011: 433) – bleiben ungeklärt. Zudem wird die Fokussierung nationalstaatlicher Interessen gegenüber der Sorge um das Wohlergehen der Betroffenen in beiden Ländern geäußert, da durch die Begründung der Notwendigkeit der deutschen Gesetzgebung (vgl. Valerius 2011: 430) und die Ankopplung an das Foreign and Commonwealth Office im UK eine asyl- und aufenthaltsrechtliche Priorisierung offengelegt wird 2 . Unter dem Vorwand des Schutzes der Betroffenen vor Zwangsehen und insbesondere Eheschwindel können so in Europa strengere Richtlinien für den Nachzug der Nicht-EU Partner_innen durchgesetzt werden, wie es etwa seit Juni 2012 im UK zu beobachten ist (vgl. D’Aoust 2013: 270). In Deutschland wurde die Debatte um eine Umformulierung des § 237 mit Blick auf umgangssprachlich als ‚Kinderehen‘ bezeichnete Frühehen durch die besonders hohe Zahl ankommender Geflüchteter um das Jahr 2015 begünstigt. Der Umgang mit diesen – auch nicht selten durch die Flucht etc. traumatisierten – Betroffenen stellt klinische Sozialarbeiter_innen vor Herausforderungen, da auch eine juristische Expertise mit Blick auf „asylrelevante Fluchtgründe“ (Riedelsheimer 2010: 66f.) gefordert ist.

2 In Baden-Württemberg wurde etwa ein Gesinnungstest eingeführt, der u.a. überprüfen soll, ob potenzielle Einzubürgernde Zwangsehen mit der Menschenwürde für vereinbar halten, sodass hier eine direkte aufenthaltsrechtliche Konsequenz droht (vgl. Kulcke 2009: 24).

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3. Besonderheiten im Umgang mit Früh- und Zwangsehen Trotz der Ratifizierung der Istanbul-Konvention gibt es starke Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Ländern im Umgang mit Früh- und Zwangsehen, die die Gesetzgebung und auch das Unterstützungsangebot umfassen. So gibt es deutschlandweit sechs spezialisierte Schutzeinrichtungen für weibliche minderjährige Betroffene, die nach dem Jugendschutzgesetz Betroffene bis maximal 21 Jahre aufnehmen. Ältere weibliche Betroffene hingegen werden zumeist an Frauenhäuser verwiesen, die durch weniger strenge Anonymität und keine Spezialisierung nicht ideal auf die Bedarfe der Frauen ausgerichtet sind, aber aufgrund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten für die Unterbringung von Betroffenen über 21 Jahren3 oft als einzige Möglichkeit bleiben. Somit stellt die Einführung eines Strafrechtsparagraphen in Deutschland den Betroffenen zwar juristische Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die gelebte Realität bleibt allerdings oft durch Platzmangel und mangelnde Unterstützungsangebote für erwachsene Betroffene kritisch, wie eine deutsche Betroffene im Rahmen des Interviews für das Forschungsprojekt „EU Roadmap on Referral Pathways Addressing Early/Forced Marriage for Frontline Professionals“ (EU Fem Roadmap) geäußert hat (vgl. weiterführend Brantl et al. i.E.): „Es fehlt überall, weil man denkt zwar auch wenn man jetzt fünfundzwanzig ist, man bekommt Unterstützung, so ist‘s eben nicht, ich hab’ die ganze Zeit diese Satz zu hören bekommen ‚Sie sind ja schon einundzwanzig, dann ist schon alles zu spät‘, dass man eben keine Unterstützung bekommt. Ich war ja quasi zehn Tage obdachlos, weil ich nicht wusste wohin und dann gibt eben auch Probleme mit den ganzen Formalitäten wegen Frauenhaus, man wird erst, man guckt erst, ob man das Geld bekommt.“ (BDE1, Z.203-209).4

Für männliche Betroffene besteht überhaupt kein Angebot, sodass sie in Obdachlosenunterkünften untergebracht werden und keinerlei psychosoziale Stabilisierung und Betreuung durch Fachleute erhalten. Sowohl für männliche als auch weibliche Betroffene ist die Situation in ruralen Räumen besonders 3 Nach dem § 41 SGB ist in ‚begründeten Einzelfällen‘ zwar auch nach der Vollendung des 21. Lebensjahrs eine Hilfe gewährleistet (vgl. BMFSFJ 2009: 19f.), allerdings muss der Anspruch halbjährlich begründet werden und die Beantragung kann sehr zeitaufwendig sein, sodass konkrete Gefährdungen und der daraus entstehende Bedarf an Notunterkünften erwachsener Betroffener nicht immer zeitnah abgedeckt sind. 4 Dieses, wie auch alle weiteren angeführten Zitate stammen aus dem EU Fem Roadmap Projekt als Teil der erhobenen Daten. Es handelt sich somit um wörtliche, anonymisierte Interviewausschnitte, die anhand des Kürzels aus den Rohdaten belegt sind. Zum Schutz der Anonymität der Befragten ist der volle Rohdatensatz und damit der Quellenbeleg im Literaturverzeichnis nicht weiter ausgeführt.

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schwierig, da hier die Gefährdung, von der Familie entdeckt zu werden, durch eine verringerte Anonymität und ein Mangel an Unterstützungsstrukturen zusätzlich erhöht ist. Ein weiteres Problem besteht für Paare, die zusammen aus einer drohenden Zwangsehe ausbrechen wollen, da auch hier keine Unterstützungsangebote existieren. Obwohl Früh- und Zwangsehen in politischen und medialen Diskursen vielfach als subkulturelles Problem konstruiert werden, hat eine US-amerikanische Studie 56 verschiedene Herkunftsländer unter den Betroffenen sowie Betroffene ohne jeglichen Migrationshintergrund gefunden (vgl. Alanen 2015: 228f.). In Deutschland werden Zwangsehen zumeist im Kontext des Islams genannt, was sich wiederum auch auf die generelle Wahrnehmung und Stereotypisierung von Muslim_innen als vermeintlich homogener Gruppe von subkulturellen ‚Anderen‘ mit frauenverachtenden Verhaltensweisen im Kontrast zu liberalen europäischen Gesellschaften auswirkt (vgl. Reuter/Gamper 2007: 38). Es gibt keine einheitliche Nationalität, Religion oder keinen Kulturkreis, dem Betroffene zuzuordnen wären. Man kann aber eine stark hierarchische und besonders ausgeprägte patriarchale Machtstruktur (vgl. Yerlikaya/CakirCeylan 2011: 208f.) als strukturelle Gemeinsamkeit in den Familien der Betroffenen festhalten. Dies erschwert die Lage der Betroffenen auch in Fällen von Partnergewalt, die in Zwangsehen vermehrt auftritt, denn die starke Kontrolle weiblichen Verhaltens kann den freien Zugang zu Unterstützungsangeboten verhindern (vgl. Sabbe et al. 2014: 174f.). Das von dem Rights, Equality and Citizenship Programm der EU geförderte Forschungsprojekt „EU Fem Roadmap“ hat es sich daher zum Ziel gesetzt, einen Leitfaden für mögliche Erstanlaufstellen der Betroffenen zu erstellen, um die Unterstützungsstruktur zu verbessern.

4. Relevanz des „EU Fem Roadmap“ Projektes für die Klinische Sozialarbeit Das internationale Forschungsprojekt „EU Fem Roadmap“ beleuchtet die aktuelle Lage der Unterstützungsangebote für Betroffene von Früh- und Zwangsehen und wird gleichzeitig in den fünf EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Österreich, Portugal und Wales durchgeführt. Ein Handlungsleitfaden, der in dem Projekt entwickelt wird, richtet sich an verschiedene Akteur_innen im Feld, die direkt in der Erstbetreuung von Betroffenen involviert sein können, wie etwa Schulen, Polizei oder Fachberatungsstellen. Dabei steht die jeweilige soziale Situation der Betroffenen im Vordergrund, in der sie

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sich an die Akteur_innen wenden. Es geht um die Unterstützung von Fachberatungsstellen und von Beratungsstellen, die nicht im Umgang mit Zwangsehen geübt sind. Dazu wurden zunächst bestehende Dokumente zu Früh- und Zwangsehen aus Europa sowie der internationale Forschungsstand gesichtet und auf dieser Basis eine Bedarfserhebung sowie Interviewleitfäden für Expert_innen- und Betroffeneninterviews erarbeitet. Zusätzlich wurden pro Partnerland drei bis zehn Expert_inneninterviews (16 insgesamt) und insgesamt 21 Betroffeneninterviews geführt. Hier zeigten sich bereits gravierende Unterschiede in der Möglichkeit, Interviewpartner_innen zu finden, da etwa in Portugal ein Mangel an Expert_innen zu dem Thema festgestellt wurde und in Frankreich nur eine Betroffene für Interviews zur Verfügung stand. Dennoch wurden die Interviews in allen Partnerländern nach einem identischen, übersetzten, offenen Leitfaden qualitativ durchgeführt und die vereinheitlichten und anonymisierten Transkripte aggregiert. Zudem wurden den Teilnehmerinnen an den Betroffeneninterviews vor den Befragungen Informationsblätter zugesandt, um ihre freie und informierte Einwilligung zu den Interviews abzusichern. Damit das Risiko einer Retraumatisierung bei den Befragten minimiert wurde, wurden keine Fragen zu ihren persönlichen Viktimisierungserfahrungen gestellt. Es wurde den Interviewpartnerinnen jedoch freigestellt, darüber zu sprechen. Die Analyse der Transkripte erfolgte nach deren vollständiger Anonymisierung, sodass durch die Analyse der Expert_innen- und Betroffeneninterviews keine Rückschlüsse auf Aufenthaltsorte oder Namen oder Organisationen möglich waren. Anschließend wurden die Transkripte mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Der aus diesem Material erarbeitete Leitfaden wurde in Fokusgruppen mit nationalen Expert_innen diskutiert, bevor er in eine Evaluationsphase an Akteur_innen in verschiedenen Erstanlaufstellen gegeben wurde, um die Verwendbarkeit in der Praxis zu testen und abzusichern. Bei den 21 geführten Betroffeneninterviews war nur eine Interviewpartnerin minderjährig (17 Jahre alt). Im restlichen Sample lag eine Spannweite von 19 bis 46 Jahren bei den allesamt weiblichen Befragten vor. Die erreichten Bildungsabschlüsse variierten in Abhängigkeit der Herkunft und des Alters, wobei die portugiesischen Betroffenen, die alle aus Roma-Gemeinschaften stammen, als einzige die Schule in jungen Jahren abgebrochen haben, um verheiratet zu werden (n=5). Die Mehrzahl der anderen Befragten war entweder zum Zeitpunkt der Befragung noch in der Schule (n=6) oder bereits an der Universität oder hatte ein Studium beendet (n=6). Die restlichen Befragten (n=4) hatten einen mittleren Bildungsabschluss5. Auffällig ist dabei, dass der Schulabbruch mit einem ext-

5 Obwohl die hohen Bildungsabschlüsse im Sample aus einem Verzerrungseffekt durch die freiwillige Rekrutierung über Fachberatungsstellen stammen könnte und das Dunkelfeld nicht zwangsläufig korrekt abbildet, sollte dieses Ergebnis als Indikator für die weite Streuung der Betroffenen durch alle Bildungsschichten gesehen werden.

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rem frühen Zeitpunkt der Eheschließung einherging, sodass Frühehen zusätzlich zum erhöhten Risiko von Partnergewalt als besonders gefährdend für den Bildungsweg der Betroffenen anzusehen sind. Unter den Befragten, die eine Angabe über ihre ethnische Herkunft gemacht haben, gab es zwölf verschiedene ethnische Hintergründe (afghanisch, mazedonisch, albanisch, ägyptisch, kosovarisch, kurdisch, türkisch, griechisch, tajikisch, bangladeschisch, pakistanisch, mauretanisch), sodass, wenn auch nur im kleinen erhobenen Sample der amerikanische Befund, dass aufgrund der hohen Anzahl verschiedener ethnischer Hintergründe Früh- und Zwangsehen nicht als kulturelle Praxis einer bestimmten Gruppe gelten kann (vgl. Alanen 2015: 228), auch für die beteiligten europäischen Länder bestätigt wird. Die Unterstützung der Betroffenen wurde sowohl von den Expert_innen als auch den Betroffenen selbst als schwierig eingeschätzt, da die vorliegenden sozialen Zwänge oft komplex sind und Unterstützungsangebote auf individuelle Bedarfe eingehen, aber auch gleichzeitigen den bürokratischen Ansprüchen der Ministerien und Jugendämtern genügen müssen. So berichtet ein_e Expert_in aus Österreich davon, dass eine „der größten Herausforderungen … definitiv die Sensibilisierung der Institutionen, wie z.B. das Jugendamt, ähm, die Polizei und das Gericht und so weiter“ ist (EAT1, Z. 125-126). Die Expert_innen im Feld, die potentiell traumatisierte Betroffene beraten, müssen also nicht nur selbst auf deren Belange und Herausforderungen vorbereitet sein, sondern zudem auch andere mögliche Erstanlaufstellen sensibilisieren und über diverse Hintergründe informieren, so etwa wie ein_e deutsche_r Expert_in erklärt mit Blick auf asylrechtliche Lücken, „weil wir haben‘s natürlich auch viel mit Menschen mit Migrationshintergrund zu tun oder jetzt, die erst neu zu uns kommen, 'ne Zwangsheirat ganz klar als geschlechterspezifischer Verfolgungsgrund sehen, der auch anerkannt werden sollte“ (EDE1, Z. 572-575). Um eine wirklich wirksame Prävention zu gewährleisten, müssen sowohl die Erstanlaufstellen als auch die Betroffenen selbst über die rechtliche Lage aufgeklärt werden, um besonders bei den Betroffenen ein Bewusstsein über ihre Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, den Betroffenen auch in für Beratung unkonventionellen Settings zuzuhören und die erzählten Erfahrungen zu validieren, da viele der Mädchen und Frauen, die sich an Unterstützungsstellen wenden, bereits Loyalitätskonflikte gegenüber ihren Herkunftsfamilien durchleben, weshalb sie oftmals unentschlossen oder zögerlich sein können. „Also auch das Mittragen ist für uns ganz wichtig und auch – ja das Mittragen der Ambivalenz, weil das natürlich immer in jeder Beratung Thema ist und nicht so einfach für das Klientel, zu entscheiden, welchen Weg sie gehen. Und da sind wir schon – ist es für uns eine Hauptaufgabe, das mitzutragen.“ (EDE3, Z. 437-441).

Die Entscheidung der Betroffenen zu respektieren, aber gleichzeitig ihre Anliegen und Sorgen ernst zu nehmen, kann auch für professionalisierte klinische

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Sozialarbeiter_innen herausfordernd sein. Zudem sind insbesondere im Bereich der Früh- und Zwangsehen viele der Betroffenen unsicher, ob sie überhaupt einen berechtigten Grund haben, sich an Beratungsstellen zu wenden. Bei Früh- und Zwangsehen gilt die sogenannte ‚Eine-Chance-Regel‘, da Betroffene, die nicht sicher sind, ob ihnen Unterstützung zusteht, möglicherweise nicht wiederkommen. Zusätzlich besteht das Risiko, dass die Beratung entdeckt wird, sodass eine drohende Zwangsehe beschleunigt werden könnte. Folglich gilt die Aussage einer deutschen Betroffenen: „wichtig ist immer die Person ernst zu nehmen, des ist schon wichtig, weil, wenn man nicht ernst genommen wird, dann wird man, nimmt man das Problem entweder selber nicht ernst oder denkt, ich bin eh ausgeliefert.“ (BDE5, Z.457-459). Die Betroffenen, die sich an Beratungsstellen wenden, thematisieren auch nicht immer die drohende Früh- oder Zwangsehe, sondern suchen oft aufgrund von anderer Viktimisierung, etwa häuslicher Gewalt, Hilfe, denn, wie ein_e französische_r Expert_in sogar betont: „Es ist sehr klar, dass alle Mädchen, die in Gefahr sind, zwangsverheiratet zu werden, aus misshandelnden Familien stammen. Das Vorkommen einer Zwangsehe ist nie ein isoliertes Geschehnis in einer Familie, es ist Teil eines familiären Prozesses des mangelnden Respekts und der Gewalt“ (EFR8, Z.283-285, übersetzt aus dem Original). Das Verhalten der zumeist weiblichen Betroffenen wird zudem generell, aber insbesondere nach der Thematisierung einer anstehenden Früh- oder Zwangsehe vielfach streng kontrolliert, sodass es für die Beratungsstellen herausfordernd sein kann, Treffen überhaupt zu ermöglichen. So berichtet ein_e deutsch_e Expert_in: „(…) es geht sehr viel um Kontrolle auch, wir haben so Mädchen, die wirklich nur zur Schule dürfen und zurück und der Bruder guckt, welchen Weg sie genommen hat und mit wem sie sprechen und diese Freiheitseinschränkung, des ist eigentlich Gewalt im Namen der Ehre. Da kommen die Mädchen und Jungen zu uns.“ (EDE3, Z. 288-291).

Die diversen Problemlagen in den Herkunftsfamilien, die simultan existieren, führen nicht nur zu einer gesteigerten Verunsicherung der Betroffenen, sondern darüber hinaus zu einer besonders hohen Gefährdung, weiter viktimisiert zu werden. Die zumeist vorliegenden gewalttätigen Erfahrungen in der Kindheit und Jugend der Betroffenen führen zudem dazu, dass themensensibel vorgegangen werden sollte, sodass stabilisierendes und gleichzeitig aufklärendes Arbeiten priorisiert wird. Die Arbeit mit den oft ambivalenten Betroffenen erfordert viel Geduld, da schnelle Fortschritte unwahrscheinlich sind. Die Betroffenen benötigen Zeit, um ihre Erfahrungen zu überwinden. „Ich denke sie erwarten, dass du zu schnell selbstbewusst wirst, aber dir zu sagen, dass du das schnell machen sollst ist nach so einem Trauma nicht fair. Sie müssen den Frauen Zeit zum heilen geben, bevor sie dazu gedrängt werden Selbstbewusstsein aufzubauen.“ (BUK5, Z. 209-211, übersetzt aus dem Original). Die größte Herausforderung besteht somit darin, die vielschichtigen und komplexen Be-

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darfe der Betroffenen zu berücksichtigen, die breitere Öffentlichkeit, insbesondere mögliche Erstanlaufstellen, über die besonderen Gegebenheiten von Früh- und Zwangsehen zu informieren und gleichzeitig den formalen Ansprüchen des Staates zu genügen, um die benötigte Finanzierung abzusichern. Somit werden bei der Unterstützung von Betroffenen von Früh- und Zwangsehen die Grenzen zwischen diversen Disziplinen aufgehoben und die Sozialarbeiter_innen nicht selten in Konflikte verstrickt, deren Lösung nur durch ein Zusammenspiel aus interdisziplinärer Kompetenz, Supervision und einer gründlichen Gefahreneinschätzung erfolgen kann, um die Menschenrechtsverletzungen bei Früh- und Zwangsehen in Europa einzudämmen, die ernste, weitreichende Konsequenzen bis hin zur Ermordung der Betroffenen beinhalten können. Zusätzlich zur klinischen Sozialarbeit ist folglich auch die Politik sowie andere Akteur_innen im Feld, wie etwa Anwält_innen, Ärzt_innen oder Jugendamtsmitarbeiter_innen, zur Zusammenarbeit aufgefordert. Zudem müssen die Angebote für über 21-jährige weibliche und männliche Paare, sowie Paare, die gemeinsam vor einer Zwangsehe flüchten wollen, ausgebaut werden, um den Anforderungen der Menschenrechtserklärung von 1948 und der IstanbulKonvention gerecht zu werden. Dann kann die Lebenssituation der Betroffenen verbessert werden, denn wie eine deutsche Betroffene formuliert, „sie kriegen Freiheit, sie kriegen ein Leben, natürlich müssen sie es alles klären, aber es wird schöner, als sie sich alle vorstellen können. Man sieht endlich die Sonne aufgehen“ (BDE4, Z. 342-347).

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Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsehen

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Gehandelte Ethnie – Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Frauen der Ethnie Rroma Gehandelte Ethnie Alexandra Geisler

In der Fachliteratur zum Themenkomplex Menschenhandel wird seit mehreren Jahren eine erhebliche Präsenz der Ethnie Rroma1 unter den Betroffenen des Menschenhandels sowie den Täter_innen artikuliert. In der Mehrzahl der Studien entsteht der Eindruck eines imaginären Rroma-Kollektivs als Risikogruppe für den Menschenhandel. Die Erklärungen für ein hohes Gefährdungspotential beziehen sich kaum auf empirische Daten und eine Analyse der Wechselwirkungen sowie die nationalen bzw. regionalen Ausprägungsformen des Menschenhandels. Vielmehr werden immer wieder Betroffenen- sowie Täter_innenprofile wiederholt, die eine statische Auffassung von und Fixierung auf Ethnie bedienen sowie die Festschreibung der ihr innewohnenden TäterOpfer-Dichotomie. Zur differenzierteren Überprüfung der Lage wurden in der für diesen Beitrag grundlegende Studie (Geisler 2015) die wissenschaftlichen Analysen zum Thema einer Revision unterzogen sowie 370 Mitarbeiter_innen in Projekten für Betroffene des Menschenhandels in Deutschland, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn und Rumänien schriftlich angefragt – mit einem 1 Der Fokus meiner Fragestellung wirft ein grundlegendes Dilemma hinsichtlich der Rolle auf, die meine Promotionsforschung potentiell bei der Konstruktion, Normierung oder Naturalisierung ethnischer Differenz spielt. Wenn Ethnie als soziale Konstruktion verstanden wird, ist es nicht möglich, generalisierende Begriffe zu verwenden. Andererseits besteht die Notwendigkeit, die Kategorie Rroma als einen analytischen Begriff zu benutzen. Derzeit wird diese Kategorie benötigt, um gesellschaftliche Macht- und Dominanzverhältnisse zu erforschen, dies ist jedoch nur möglich, wenn zeitgleich auch eine Auseinandersetzung mit der ethnischen Konstruktion von Personen und den damit verbundenen Machtverhältnissen stattfindet. In dem vorliegenden Artikel wird der Begriff Rroma grundsätzlich kursiv gesetzt. Ziel ist es, unter anderem deutlich zu machen, dass Kultur und Ethnizität (oder Ethnie) konstruierte Merkmale und Kategorien sind, auf die beispielsweise von machtstärkeren, dominanten Gruppen zurückgegriffen wird, um ihre Interessen zu wahren. Auch wenn Merkmale und Kategorien in der Realität eine bedeutende, Struktur gebende Funktion haben, werden sie in dieser Arbeit als Konstrukte entworfen, die als solche grundsätzlich durch andere ersetzbar sind. Der Gebrauch von zwei ,r‘ wird von mehreren internationalen Rromavereinigungen vorgeschlagen und in offiziellen Dokumenten bevorzugt (so hat bspw. der Europarat die Benutzung des Begriffs Rroma in seinen offiziellen Dokumenten anerkannt – CLARE Recommendation vom 11. Juni 1995).

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Alexandra Geisler

Rücklauf von 79 Fragebögen. Des Weiteren wurden 22 Expert_inneninterviews mit Mitarbeiter_innen in sozialen Projekten für Betroffene des Menschenhandels und 24 Interviews mit selbst-identifizierten Personen der Ethnie Rroma, die von Menschenhandel betroffen waren, geführt. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse entstammen meiner auf dieser Studie basierenden Promotionsforschung (vgl. a.a.O.: 120-275).

1. Identifikation zentraler Einflussfaktoren im Menschenhandel Generell werden in den vorliegenden Studien zum Thema sowie einem Teil der Expert_inneninterviews rromaphobe und essentialistische Zuschreibungen nach wie vor unhinterfragt reproduziert und bedienen dabei einige geläufige Stereotype (vgl. a.a.O.: 266):   

Rromnia werden als Opfer patriarchaler Gemeinschaftsstrukturen der Ethnie dargestellt. Das Bild der Rroma entspricht dem der skrupellosen Täter, die Rromnia in der Prostitution und Kinder und Jugendliche der Ethnie durch Kinderarbeit bspw. in Form von Betteln ausbeuten. Migrant_innen der Ethnie Rroma werden primär als Großgruppenzusammenhänge betrachtet, die sich nur zum Zweck krimineller Aktivitäten ins Ausland begeben haben.

Letztendlich darf nicht vergessen werden, dass tief verwurzelte Stereotype gegenüber der Ethnie Rroma kaum etwas von ihrer Wirkungskraft verloren haben. Der gesamtgesellschaftlich rromaphobe Kontext und die Konstruktion von Rroma als den Anderen2 fließt immer auch in den Menschenhandelsdiskurs mit ein.

2 Die Feststellung von Gemeinsamkeiten in optischer und gesellschaftlicher Dimen-

sion existiert auf der Ebene der Ethnie oftmals nur noch als imaginäre bzw. eingebildete Gemeinschaft (Barth 1969; Fenton 2004; Anderson 1983). Die Interpretationen dessen, wer die Rroma sind, was die Ethnie bzw. Kultur ausmacht, ob es eine oder mehrere Varianten gibt oder überhaupt eine spezifische Ethnie, sind daher auch sehr unterschiedlich. In der Öffentlichkeit werden als Rroma jedoch meist nur diejenigen identifiziert, die in das Bild passen, d.h. die erkennbaren Rroma. Dies können bspw. Personen am untersten Ende der Sozialstruktur sein, für die der Alltag sich eher um Armut, Anfeindung und Ausgrenzung dreht. Aber ebenso auch bessergestellte Rromagemeinschaften, die z.B. in Rumänien anhand von Kastellos erkennbar sind. Für Rroma, die als das bedrohliche Andere produziert und reproduziert werden, findet primär eine einseitige Fremdzuordnung auf den unterschiedlichen

Gehandelte Ethnie

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Es werden bspw. Bedrohungsbilder der Ethnie Rroma herausgebildet, die innerhalb nationaler Diskurse die Funktion der sozialen Grenzziehung erfüllen. Dass die Ethnie Rroma in der gesellschaftlichen Realität einer Vielzahl von Formen der Diskriminierung ausgesetzt ist, bei denen es nicht nur um individuelle Vorurteile, sondern auch um Diskriminierung durch staatliche Organisationen, Benachteiligung in zentralen Lebensbereichen geht, wird in der Mehrzahl der Expert_inneninterviews gänzlich verschwiegen. Das Szenario der bedrohlichen Anderen wird in Bezug auf die Thematiken Ausbeutung, Menschenhandel, mafiöse Strukturen sowie Kriminalität noch verstärkt, indem der Eindruck vermittelt wird, dass die Verwandtschaftsnetzwerke der Rroma durch ein solides Beziehungsnetz gekennzeichnet sind, welches gegenseitige Unterstützungsleistungen sichert und in dem die kriminellen Aktivitäten in einer von außen undurchschaubaren Weise stattfinden. Der Menschenhandelsdiskurs in Bezug auf Rroma wird derzeit polarisiert und vor allem stereotypisiert geführt, womit ferner die Aufmerksamkeit auf die teilweise konstruierte Differenz der Ethnie der Rroma gelenkt wird. Doch die essentielle Voraussetzung einer Rroma-Identität birgt die Gefahr der Unterschätzung von Verschiedenheit der Individuen und Lebensverhältnisse in sich. Es sollte nicht darum gehen aufzuzeigen, dass Rroma stärker dem Risiko des Menschenhandels ausgesetzt sind, sondern darum bedeutende Differenzen und Gleichheiten aufzuzeigen. Doch der Begriff Menschenhandel wirkt nicht bloß beschreibend. Mit der Benennung kann auch erst der Gegenstand geschaffen werden, der beschrieben werden soll. Daraus folgt, dass die soziale Wirklichkeit nicht objektiv abgebildet wird, sondern tendenziell auch eine Verengung des Blicks auf vorgestellte Betroffenen- und Täter_innengruppen erzeugt werden kann. Meine Untersuchung hat gezeigt, dass die Interviews mit Rroma selbst ein viel differenzierteres Bild geben (vgl. a.a.O.: 225-238). Sie kommt zum Schluss, dass Personen der Ethnie Rroma einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Betroffene des Menschenhandels zu werden, was jedoch weniger mit der ethnischen als vielmehr der sozialen Herkunft zusammenhängt. Die ethnische Herkunft spielt insofern eine Rolle, dass Personen der Ethnie Rroma häufiger von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, was existentielle Gefährdungen auf materieller und immaterieller Ebene vereint. Letztendlich darf von der oftmals fremdzugeschriebenen ethnischen Zugehörigkeit, von im Menschenhandel involvierten und betroffenen Personen der Ethnie Rroma nicht automatisch auf eine tatsächliche Überrepräsentation der Ethnie selbst abgeleitet werden. Beides – die ethnische Zugehörigkeit und die Existenz von Gemeinschaftsbezügen – sollte nicht einfach vorausgesetzt werden, wie dies vielfach im Kontext der Expert_innenDifferenzierungsebenen statt. Dies führt zu einer Kumulation gesellschaftlich negativ besetzter Merkmale wie bspw. nomadische und segregierte Wohnform, dunkle Hautfarbe, geringe Schulbildung bzw. Arbeitslosigkeit, Armut, traditionelle Familienstruktur (vgl. Geisler 2015: 42-62).

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interviews in sozialen Projekten für Betroffene des Menschenhandels der Fall war, sondern muss immer Gegenstand von Untersuchungen sein. Es kann somit noch einmal hervorgehoben werden, wie wichtig ein permanentes Infragestellen von als selbstverständlich angenommenen ethnischen (Fremd-) Zuschreibungen der Betroffenen und Täter_innen im Menschenhandelsdiskurs ist. Zudem haben die Ergebnisse gezeigt, dass es keinen alleinstehenden oder bestimmenden Faktor gibt, der die Betroffenheit von Menschenhandel für Personen der Ethnie Rroma beeinflusst (vgl. a.a.O.: 257). Vielmehr zeigt sich eine Konvergenz verschiedener Einflussfaktoren, wie beispielsweise: Migrationsbereitschaft und informelle Netzwerke, Informationsdefizite bzgl. Arbeits- und Migrationsmöglichkeiten innerhalb der Europäischen Union, sozio-ökonomisch prekäre Lebenslagen, Segregation und gesellschaftlicher Ausschluss in zentralen Lebenslagen, Ghettoisierung, dysfunktionale Familien und/oder soziale Netzwerke, Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund des Geschlechts und/oder ethnischer Merkmale, Stigmatisierung von Prostitution. Daher sind die Einflussfaktoren bezüglich der Betroffenheit im Menschenhandel bei Personen der Ethnie Rroma genauso facettenreich wie bei der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung. Die Forschung hat ferner ergeben, dass sich spezifische regionale und soziostrukturelle Einflussfaktoren abzeichnen, wie bspw. eine erhöhte Migrationsbereitschaft von Personen der Ethnie Rroma aufgrund des gesellschaftlichen Ausschlusses und der in verstärktem Maße stattfindenden Diskriminierung, ferner die Fremdunterbringung in staatlichen Institutionen des Kinderschutzes, was in diesem Artikel noch näher ausgeführt wird (vgl. a.a.O.: 181-196). Des Weiteren wurde eine erhöhte Prävalenz von Risikofaktoren benannt, die Personen der Ethnie Rroma stärker dem Risiko des Menschenhandels aussetzen wie Personen, die sich in der gleichen gesellschaftlichen Position befinden, so u.a. Arbeitslosigkeit, Arbeit im Niedriglohnsektor oder in prekären Gelegenheitsjobs, Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungswesen und der Gesundheitsfürsorge (vgl. a.a.O.: 245f.). Die Grafik (a.a.O.: 258) verdeutlicht abschließend noch einmal ausschnitthaft die komplexen Zusammenhänge und Dimensionen der Betroffenheit, die während der Untersuchung als Einflussfaktoren im Menschenhandel ausgearbeitet wurden. Um einer tendenziellen Wahrnehmung von Klasse, Ethnie und Geschlecht in eher getrennten Kategorien entgegenzuwirken, werden die möglichen Dimensionen als miteinander verwoben bzw. aufeinander bezogen dargestellt. Betroffene im Menschenhandel, die der Ethnie Rroma zugeordnet werden, sind von gesellschaftlichen Kategorisierungen, Diskriminierungen, Ungleichheiten und gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen in jeweils unterschiedlicher Weise betroffen. Diese Perspektive ermöglicht eine Darstellung der komplexen Überschneidungen von verschiedenen Dimensionen der Betroffenheit sowie spezifischen Erfahrungen und einen Blick auf die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Machtstrukturen.

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Abbildung 1: Einflussfaktoren im Menschenhandel – Dimensionen der Betroffenheit

Quelle: Eigene Darstellung

Im Folgenden werden nun anhand der Situation junger Frauen der Ethnie Rroma in der Kinder- und Jugendhilfe ihrer Herkunftsländer sowie der Anwerbestrategie der „Loverboys“ zwei besonders zentrale Einflussfaktoren auf den

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Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung von Rromnia ausführlicher beschrieben, bevor dann zusammenfassende Empfehlungen für weitere Strategien im Feld formuliert werden.

2. Die Realität der staatlichen Institutionen des Kinderschutzes und die Stigmatisierung der Ethnie Rroma Im Rahmen der Studie wurde grundlegend deutlich, dass für ein Verständnis des Menschenhandels mit der Ethnie der Rroma ein Einblick in die Situation dieser Zielgruppe in den jeweiligen Systemen der Kinder- und Jugendhilfe eine unabdingbare Rolle spielt (vgl. a.a.O.: 187). Die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in staatlichen Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe – vor allen Dingen die Inobhutnahme und Unterbringung in staatlichen Heimen – hat in ganz Europa eine lange Geschichte (Carter 2006: 11f.). Insbesondere die übermäßige Inanspruchnahme der Heimunterbringung über die letzten Jahrzehnte und die Reform der Sozialsysteme in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas hat erhebliche Problematiken sichtbar gemacht (Anghel et al.: 2013: 244; The United Nations Children’s Fund UNICEF 2010: 19ff.). Aufgrund mangelnder statistischer Erhebungen ist das Ausmaß der Fremdunterbringung jedoch nur teilweise bekannt. Dasselbe gilt für statistische Daten, die einen Rückschluss auf die Ethnie der Kinder und Jugendlichen bzw. ihrer Herkunftsfamilien zulassen würden (Brown et al. 2014: 25). In allen beteiligten Ländern dieser Studie gibt es keine offiziellen Statistiken zum prozentualen Anteil der Ethnie Rroma in staatlichen Institutionen des Kinderschutzes. Nichtsdestotrotz wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche der Ethnie Rroma in der Heimunterbringung im Vergleich zum allgemeinen Bevölkerungsanteil überrepräsentiert sind. Der Erhebung Life Sentence – Romani Children in Institutional Care zufolge machen Kinder und Jugendliche der Ethnie Rroma unter den fremd untergebrachten Kindern in der Tschechischen Republik 40,6 % aus, im Vergleich zu einem offiziellen Bevölkerungsanteil der Ethnie von 3 %, in der Slowakei 82,5 % im Vergleich zu 9 %, in Ungarn 65,9 % im Verhältnis zu 7 % und in Rumänien 28,8 % verglichen mit 9 % (European Roma Rights Centre 2011: 7). Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass zwei primäre Faktoren zur Überrepräsentativität von Rroma in staatlichen Einrichtungen des Kinderschutzes beitragen – erstens Faktoren in Bezug auf die Situation in der Herkunftsfamilie und zweitens Faktoren, die im Kinderschutzsystem selbst lie-

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gen. Diskriminierung wiederum ist ein weiterer Faktor, der sowohl die Herkunftsfamilie als auch das Kinderschutzsystem tangiert (vgl. Geisler 2015: 188; European Roma Rights Centre 2011: 46-50). Materielle Gründe (unzureichende Wohnverhältnisse, Verschuldung, Zwangsräumungen, fehlende Strom-, Wasser- und/oder Gasanschlüsse, Armut etc.) spielen somit in vielen Fällen eine Rolle beim Eintritt der Kinder in das System institutioneller Unterbringung (Brown et al. 2014: 26; European Roma Rights Centre 2011: 39ff.). Die Praxis der Fremdunterbringung von Rroma in staatlichen Institutionen baut ferner auch noch auf eine jahrzehntealte staatliche Einflussnahme auf. Kinder werden selten nur für kurze Zeit im Heim untergebracht, denn die materiellen Armutsfaktoren in den Herkunftsfamilien, die als Kindeswohlgefährdung der Inobhutnahme zugrunde gelegt wurden, können nicht durch das System des Kinderschutzes beseitigt werden (vgl. Geisler 2015: 190). Zudem gibt es kaum Präventionsmaßnahmen der Behörden für Rromafamilien, die von einer möglichen Herausnahme der Kinder aus den Familien bedroht sind. Des Weiteren spielt die gesamtgesellschaftliche Diskriminierung von Rroma auch im Prozess der Weitervermittlung in Adoption eine bedeutende Rolle, da zukünftige Adoptiveltern oftmals nicht bereit sind, ein Kind aufzunehmen, welches der Ethnie Rroma zugeordnet wird. Ethnizität ist nicht zu trennen von Macht-, Herrschafts- und Klassenverhältnissen, sondern eng damit verbunden, und so finden auch durch Mitarbeiter_innen des Kinderschutzes unterschiedliche Merkmalszuschreibungen statt, die im Fall der Ethnie Rroma oftmals als Rechtfertigung für vorschnelle oder rettende Eingriffe in einkommensschwache oder gefährdete Familien gelten (vgl. a.a.O.: 188f.; Costa 2012: 18). Da zum Teil verbindliche Richtlinien für die Feststellung von Kindeswohlgefährdung fehlen, bietet dies Möglichkeiten der subjektiven Interpretation oder Fehleinschätzung. Im Ergebnis scheint dies zu einer Überrepräsentativität von fremduntergebrachten Kindern der Ethnie Rroma bei zu tragen. Die Auslegung von Kindeswohlgefährdung in Bezug auf die Ethnie Rroma (vgl. Geisler 2015: 189) wird in den Expert_inneninterviews einerseits in Bezug zu alltäglichen Problemlagen einkommensschwacher Familien gesetzt – so bspw. Armut, Arbeitslosigkeit, Verschuldung und schlechte Wohnverhältnisse. In mehreren Interviews wurde davon ausgegangen, dass es den Kindern der Ethnie Rroma in staatlichen Heimen besser gehen würde, da ihre Eltern nicht in der Lage seien, adäquat für sie zu sorgen. Andererseits werden als auslösende Faktoren für die Fremdunterbringung von Rromakindern negative ethnische Zuschreibungen von Seiten der Expert_innen genannt. Kinderreichen Rromafamilien wird vorgeworfen, es ginge ihnen bei der Familienplanung lediglich um den Bezug von Kindergeld. Aufgrund angenommener traditioneller patriarchaler Geschlechterrollen in Rromafamilien – insbesondere

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in Bezug auf frühe Heirat – werden minderjährige Rromnia oftmals pauschal als gefährdet eingestuft. Über Jahrzehnte betrieben die unterschiedlichen osteuropäischen Regierungen eine rigide Anpassungspolitik in Bezug auf die Ethnie Rroma, die zum Teil auch heute noch in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu finden ist (vgl. a.a.O.: 24-30). Auch in den Expert_inneninterviews fanden sich teilweise Bezüge zu Forderungen von Geburtenkontrollen bei der Ethnie Rroma sowie zu der Notwendigkeit einer Fremdunterbringung von Rromakindern, um sie nach den Werten der Mehrheitsgesellschaft zu erziehen. Diese Praxis basiert auf einer gesellschaftlich rromaphoben Ideologie, wonach die Ethnie Rroma als minderwertig angesehen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass solche Überzeugungen und Meinungsäußerungen die Interaktion mit Familien der Ethnie Rroma von Seiten der Mitarbeiter_innen des Kinderschutzes negativ beeinflussen. „The gender roles are very clear in the Rroma community. The women is nothing. The women is only to make children. (…) It’s what I can tell you. It’s the importance of the women. And I think the first guilty in these issues is the women, the Rroma women. (…) So I think we must wake up the Rroma women. But to wake up the Rroma women, we cannot make in the same community, we must take them out.“ (a.a.O.: 206).

Ferner werden Kinder der Ethnie Rroma überproportional häufig im institutionellen System der Kinder- und Jugendhilfe als verhaltensauffällig, sprachgestört, geistig und/oder seelisch beeinträchtigt, verwahrlost, schwererziehbar sowie entwicklungsverzögert klassifiziert (Ram 2014: 10-13). Ohne adäquate Überwachung des Diagnoseverfahrens führen diese Kategorisierungen oftmals zu einer Pathologisierung. In dem System der staatlichen Heimunterbringung in Rumänien vor 1989 führte dies beispielsweise zu der Kategorie irecuperabilă, wodurch Kinder und Jugendliche als unwiederbringlich pathologisiert und in speziellen Heimen verwahrt werden konnten (Brujan 2015: 42) Wenn abweichende Verhaltensweisen durch Zuschreibungen in der Person selbst begründet werden, wird der stigmatisierende Kontext sowie die Diskriminierung der Ethnie Rroma ausgeblendet (UNICEF 2005: 25f.). Diese Klassifizierungen verstärken oftmals noch die gesamtgesellschaftliche Stigmatisierung der Ethnie Rroma durch Etikettierungen als minderwertig. In der Untersuchung konnte festgestellt werden, dass in allen Ländern die Überrepräsentativität von Rroma in staatlichen Einrichtungen des Kinderschutzes einen Risikofaktor für die Betroffenheit im Menschenhandel darstellt (vgl. Geisler 2015: 253). Aufgrund sozialstruktureller Bedingungen wie Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern, gesellschaftlicher Ausgrenzung, Diskriminierung und Ghettoisierung als auch geringerer Ressourcenausstattung innerhalb der Familie sind Kinder und Jugendliche, die der Ethnie Rroma zugeordnet werden, vielfach ungünstigeren Entwicklungsmöglichkeiten ausgesetzt. Die derzeitigen Systeme des Kinderschutzes und der sozialen Dienste sind kaum

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in der Lage, Familien mit komplexen Problemlagen adäquat zu unterstützen. Vielmehr schaffen sie durch die vorherrschende Praxis der institutionellen Heimunterbringung aufgrund materieller Armut eine Spirale, aus der nur schwer wieder ausgebrochen werden kann (Eurochild 2010: 7-11). In den Expert_inneninterviews in sozialen Projekten für Betroffene des Menschenhandels sowie einem Teil der Interviews mit Personen der Ethnie Rroma selbst wird die Überrepräsentativität von Rroma in staatlichen Einrichtungen des Kinderschutzes in direkten Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für den Menschenhandel gebracht (vgl. Geisler 2015: 247).

3. Das Phänomen Loverboy als Form der Anwerbung Hinsichtlich der Anwerbung potentieller Betroffenen für den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung machte die Studie deutlich, dass hier oft unterschiedliche Netzwerke vor dem Hintergrund einer größtmöglichen Gewinnmaximierung agieren (vgl. a.a.O.: 254). Neben den klassischen kriminellen Netzwerken, wie z.B. Reise-, Arbeits- und Heiratsagenturen, die als Scheinfirmen genutzt werden, um potentielle Betroffene des Menschenhandels bspw. über vorgetäuschte Arbeitsmöglichkeiten anzuwerben, wird zunehmend der nähere Bekannten- und Freundeskreis unterwandert. Betroffene des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, die zum Zeitpunkt der Anwerbung in staatlichen Institutionen des Kinderschutzsystems leben, werden oftmals über die so genannte Loverboy-Methode angeworben, d.h., die Händler_innen machen sich die unsichere soziale sowie familiäre Lebenssituation und die gesellschaftliche Isolation von Mädchen und jungen Frauen, die im Kinder- und Jugendschutzsystem aufwachsen, zunutze und bauen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eine Beziehung zu ihnen auf (vgl. Myria Federal Migration Centre 2015: 23-26; Gamble 2010: 9f.). „Also in Slovak, ehm, I was in one institutional care and they told me that there are people waiting outside and contacting girls. But I didn’t see this kind here in Czech Republic.” (Geisler 2015: 193). „Ehm die Heime und dort, wo diese Mädchen leben, dort sieht es noch immer so aus, dass die Jungs dort stehen, vor dem Eingang, vor dem Heimeingang […].“ (a.a.O.: 193).

Die Ergebnisse der Untersuchung haben verdeutlicht, dass die Anwerber_innen sich unterschiedlicher Mittel in der Phase der Anwerbung bedienen (vgl. a.a.O.: 254f.). Ferner zeigt sich eine Weiterentwicklung der Methoden der Anwerbung, sodass verstärkt subtile Formen des Zwangs mit dem Zweck der Ma-

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nipulation und Ausbeutung der Betroffenen angewendet werden. Vor der Anwerbung bestanden meistens Vorbeziehungen zu den Anwerber_innen aufgrund bekanntschaftlicher, verwandtschaftlicher oder partnerschaftlicher Beziehungen. Diese Beziehungen werden von Seiten der Anwerber_innen gezielt zum Aufbau von Vertrauen eingegangen, um die zu einem späteren Zeitpunkt geplante Anwerbung und/oder den Verkauf durchzuführen. Insbesondere in Form von romantischen Beziehungen – wie anhand der Methode des Loverboys veranschaulicht – realisieren die Betroffenen erst sehr spät im Verlauf der Ausbeutung ihre eigene Viktimisierung (vgl. a.a.O.: 256). Dieses Vorgehen konstituiert nicht in jedem Fall automatisch Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Es ist eine bestimmte Methode, Mädchen und junge Frauen für eine spätere sexuelle Ausbeutung gefügig zu machen, und wird zu einem Teil als Zuhälterei einzustufen sein, bei Minderjährigen jedoch als kommerzielle sexuelle Ausbeutung (Institut für Menschenrechte 2013). Insbesondere die Lebenssituation junger Menschen, die in staatlichen Institutionen aufwachsen, wird ausgenutzt (European Commission 2015: 69f.). Es werden gezielt junge Frauen angesprochen, um sich ihre Unsicherheit, Bedürfnisse nach Geborgenheit und Zugehörigkeit sowie emotionale Formbarkeit zunutze zu machen (UNICEF 2008: 10). Aufgrund unzureichender Nachsorge sind viele der jungen Menschen zudem bei Erreichen der Volljährigkeit und dem Verlassen der Institution einer Reihe negativer Faktoren ausgesetzt – so unter anderem der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Heimkindern, der Nichtexistenz eines familiären Unterstützungsnetzwerkes, drohender Wohnungslosigkeit, ungenügender Schul- bzw. Ausbildung sowie finanzielle Benachteiligung aufgrund fehlender Ressourcen. Trotz eines Mangels adäquater Übergangsmodelle und gesellschaftlicher Hürden wird von den jungen Menschen erwartet, beim Übergang von der Jugendhilfe in die Selbstständigkeit ökonomisch und sozial auf eigenen Beinen zu stehen. Wie es den jungen Menschen gelingt, nach der Institution ihren Weg zu gestalten, dazu existieren keine systematischen Informationen. „Now in our country, the government tries to finish with these awful orphanages. But before […] or by the time they are doing this now, lots of girls who are eighteen years old have no place where to go after finishing this period. […]. And the risk to be trafficked was bigger, because they had no place to go and they had to survive somehow. And they were in the situation in which they can accept any offers to them. We have in the shelter about ten cases or fifteen cases of girls who were in orphanages and after that who were trafficked.” (Geisler 2015: 195).

In den Interviewaussagen der Expert_innen wurde deutlich, dass vermehrt Betroffene des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung zuvor als junge Frauen in den staatlichen Institutionen des Kinderschutzes gelebt haben. Das Ausmaß der Betroffenheit sowie das Risiko des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung variiert je nach den strukturellen Bedingungen der jeweiligen nationalen Kinder- und Jugendschutzsysteme.

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4. Dimensionen der Betroffenheit und Handlungsempfehlungen: Ein abschließender Blick Meine hier in diesem Beitrag zusammengefasste Untersuchung hat gezeigt, dass eine Ethnisierung der Forschung zum Menschenhandel in Bezug auf die Ethnie Rroma zu erkennen ist. Angeblich homogene ethnische Merkmale werden konstruiert und Personen der Ethnie Rroma zugeschrieben. Diese Merkmale werden mit dem Phänomen des Menschenhandels verknüpft und auf deren Basis werden wiederrum gesellschaftliche Ausschlussmechanismen legitimiert. Thematische Beispiele hierfür wären Geschlechterrollen in Verbindung zu früher Heirat und arrangierten Ehen sowie organisiertes Betteln und die Ausbeutung von Kindern in Verbindung zu Wirtschaftsmigration und Überlebensstrategien im informellen Sektor (vgl. a.a.O.: 223). Diese Studie hat geholfen zu erkennen, welche Dimensionen der Benachteiligung einen Einfluss auf die Betroffenheit von Menschenhandel für Personen der Ethnie Rroma haben. Diese wurden in Abschnitt 1 ausführlicher dargestellt. Ferner hat die Forschung gezeigt, dass es unter den Mitarbeiter_innen der sozialen Projekte generell an Wissen darüber fehlt, wie und wo multiple Benachteiligung und Diskriminierung auftreten (vgl. a.a.O.: 274f.). Es müssen Initiativen und Kampagnen entwickelt und durchgeführt werden, um die Existenz von multipler Benachteiligung und deren Auswirkungen auf das Phänomen des Menschenhandels stärker ins Bewusstsein der professionell Tätigen und der politischen Entscheidungsträger_innen zu rücken. In der professionellen Arbeit mit Betroffenen des Menschenhandels der Ethnie Rroma muss ferner auch die Frage gestellt werden, wer befugt ist, über wen zu sprechen (vgl. a.a.O.: 275). Die Forschung hat gezeigt, dass selbst in den pädagogischen Zusammenhängen im Bereich Menschenhandel pädagogisches Handeln zum Teil Dominanzverhältnisse wiedergibt und in diese verstrickt ist. Zukünftig sollte besondere Aufmerksamkeit auf die Rolle der Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen bei der Duldung und/oder institutionalisierten Ethnisierung von Bevölkerungsgruppen und damit einhergehenden Exklusionspraktiken gelegt werden. Vor diesem Hintergrund sind wiederholte Schulungen zur interkulturellen Sensibilisierung in sozialen Projekten für Betroffene des Menschenhandels unabdingbar, auch um Zugangsbarrieren sowie Diskriminierung und Vorurteile gegen Personen der Ethnie Rroma in den Einrichtungen selbst zu reduzieren. Den Organisationen obliegt die Aufgabe, angemessene Schritte zu unternehmen bspw. in Form von Qualitätsentwicklung und Mitarbeiter_innenfortbildungen, um die Sensibilität, das Bewusstsein und Verständnis bezüglich der Verbindungen von Armut, Ethnie und Geschlecht zu erhöhen. In Bezug auf die Überrepräsentation von Personen der Ethnie Rroma in staatlichen Institutionen des Kinderschutzes und dem damit einhergehenden

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Risiko des Menschenhandels besteht ein erheblicher Forschungs- und Datenbedarf. Weiterführende Untersuchungen könnten zu einer Verminderung der Diskriminierung der Ethnie Rroma, bei der Institutionalisierung von Kindern beitragen sowie zur Entwicklung geeigneter Präventionskampagnen im Bereich des Menschenhandels und angemessener Nachsorgeprogramme im Kinderschutzsystem (vgl. a.a.O.: 273). Zusammenfassend sollten vor dem Hintergrund der Studienergebnisse folgende Thematiken in einer längerfristigen Analyse und Interventionsstrategie eine Rolle in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit spielen: 









Verbesserung der Kinderschutzsysteme durch Entwicklung umfassender Ansätze, wozu rechtliche Reformen, verlässliche nationale Budgets und Strategien sowie Wirkungsbeobachtung aller Maßnahmen im Rahmen nationaler Aktionspläne gehören, Entwicklung von nationalen Richtlinien zur Feststellung von Kindeswohlgefährdung bspw. im Rahmen der Implementierung eines Kinderschutz-Index (ChildPact 2017), wodurch der Bedarf an Maßnahmen und die Lücken im Kinderschutzsystem verifiziert werden könnten, Etablierung institutioneller Schutzkonzepte in den Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe: Ein bestmöglicher Schutz vor Gewalt in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe kann nur erreicht werden, wenn das jeweils fachliche Handeln auch danach ausgerichtet ist. Dazu bedarf es der Entwicklung jeweils einrichtungsspezifischer institutioneller Schutzkonzepte. Diese sollten u.a. beinhalten: standardisierte Verfahrensweisen bei Verdacht auf Gewalt, bei Gewaltvorfällen, Anwerbeversuchen, ein Risikomanagement um Gefährdungslagen einzuschätzen sowie die Rechte der Betroffenen gelten zu machen, Entwicklung eines Leitbildes mit Bekenntnis zu grenzachtendem Umgang sowie zur Gewaltfreiheit, Entwicklung eines Verhaltenskodex sowie Sensibilisierung und Weiterbildung für alle Mitarbeiter_innen, Hausordnung, Etablierung einer internen sowie Bekanntmachung externer Beschwerdestellen, Ausarbeitung eines sexualpädagogischen Konzepts zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, Etablierung von Verfahrenswegen um Hinweisen, Anhaltspunkten und Verdachtsmomenten unverzüglich nachzugehen sowie einer vermuteten, drohenden oder akuten Kindeswohlgefährdung im familiären oder sozialen Umfeld. Der Verdacht auf sexualisierte Gewalt, auch in Form der „Loverboy“Methode, sollte als eine besondere Form der Kinderwohlgefährdung verstanden werden. Förderung eines Einstellungswandels: Wirksamer Kinderschutz setzt auch darauf, Einstellungen, Haltungen und Umgangsformen nach und nach im Dialog zu verändern. Dasselbe gilt für den Abbau von Stereotypisierungen und Stigmatisierungen der Ethnie Rroma, Vernetzung und Kompetenzaufbau öffentlicher Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen. Durchführung von kontinuierlichen Schulungen aller Akteur_innen. Dies umfasst sowohl Mitarbeitende innerhalb der Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, als auch der spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene des Menschenhandels, der Polizei, des Bundesgrenzschutzes etc. Empfehlenswert ist zudem ein interdisziplinärer Austausch in Form von runden

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Tischen, um sich durch die verschiedenen Blickwinkel über die Problematiken zu informieren und letztendlich die Betroffenen zu unterstützen, Politischer Einsatz für Kinderrechte: kontinuierliche politische Lobbyarbeit für Kinderrechte. Bspw. wird in der EU-Anti-Trafficking-Strategie dem Menschenhandel von Kindern spezielle Aufmerksamkeit geschenkt (European Commission 2017). Unter anderem sieht sie den Schutz von minderjährigen Betroffenen durch die Entwicklung von Richtlinien und durch die Verstärkung des Kinderschutzes in den einzelnen Mitgliedsstaaten vor. Ferner wird sich stärker auf Maßnahmen für schutzbedürftige Gruppen konzentriert, einschließlich Kindern, und die Forschung bezüglich besonders gefährdeter Gruppen gefordert, inklusive der sogenannten generation home alone oder children left behind3, deren Eltern zu Arbeitszwecken migriert sind.

Um Menschenhandel – auch im Fall der Ethnie Rroma – sinnvoll zu adressieren, ist es notwendig, Risikofaktoren für die Betroffenheit von Menschenhandel und Erscheinungsformen des Menschenhandels detaillierter zu analysieren. Hier kommt einer unabhängigen und eigenverantwortlichen Forschung eine erhebliche Bedeutung zu. Forschung im Bereich des Menschenhandels fokussiert aufgrund der Zugangsproblematik oftmals auf die in diesem Bereich tätigen Organisationen als Hauptansprechpartner_innen für den Zugang zum Forschungsfeld. Damit kann jedoch gleichzeitig eine thematische Einengung des Forschungsfeldes stattfinden. Durch neue Wege zum Forschungsfeld ist es möglich, bisher unbeachtete Problematiken bzw. systemische Benachteiligungen und Ausschlüsse zu identifizieren.

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3 In Rumänien betrifft dies insbesondere die Bundesländer im Norden, Osten und ei-

nige südöstliche Regionen. Von 350.000 Kindern mit mindestens einem Elternteil zur Arbeit oder Arbeitssuche im Ausland – 7% des Bevölkerungsanteils unter 18 Jahren – wurde 1/3 von beiden Elternteilen zurück gelassen. Dieses Phänomen wurde bereits durch die Europäische Union als Begleiteffekt der Arbeitsmigration wahrgenommen (vgl. Anghel et al. 2013: 247).

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Brujan, Lucian (2015): Rumänien zwischen Zuhause und Diaspora – Migration und ihre Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Rumänien. In: Südosteuropa Mitteilungen 55, 1, S. 32-47. Carter, Richard (2006): Family Matters. A Study of Institutional childcare in Central and Eastern Europe and the Former Soviet Union. London: Every Child. ChildPact (2017): Child Protection Index 2016. http://2016.childprotectionindex.org/ [Zugriff: 28.06.2017]. Costa, Michela (2012): Deinstitutionalisation and Quality Alternative Care for Children in Europe. Lessons Learned and the Way Forward. Brüssel: Eurochild. Eurochild (2010): Children in Alternative Care. National Surveys, 2. Auflage. http://eurochild.org/ fileadmin/public/05_Library/Thematic_priorities/06_Children_in_Alternative_Care/Eurochild/Eurochild_Publication_-_Children_in_Alternative_Care_-_2nd_Edition_January2010. pdf [Zugriff: 28.06.2017]. European Commission (2015): Study on High-risk Groups for Trafficking in Human Beings. Luxembourg: Publications Office of the European Union. European Commission (2017): EU Anti-trafficking Action 2012-2016 at a Glance. https://ec.europa.eu/anti-trafficking/publications/eu-anti-trafficking-action-2012-2016-glance_en [Zugriff: 28.06.2017]. European Roma Rights Centre/Bulgarian Helsinki Committee/Milan Šimečka Foundation/Osservazione (2011): Life Sentence – Romani Children in Institutional Care. Budapest. Fenton, Steve (2004): Ethnicity. Cambridge: Polity Press. Gamble, Meredith (2010): Sexual Exploitation and Abuse of Street Children in Romania. Catalysts of Vulnerability and Challenges in Recovery. Second Annual Interdisciplinary Conference on Human Trafficking. http://digitalcommons.unl.edu/humtrafconf2/17 [Zugriff: 28.06.2017]. Geisler, Alexandra (2015): Ethnie als Ware. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Frauen der Ethnie Rroma. Marburg: Tectum Verlag. Institut für Menschenrechte (2013): United Nation Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie 2000. http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRC/crc_op2_de.pdf [Zugriff: 26.11.2013]. Myria Federal Migration Centre (2015): Annual Report 2015. Trafficking and Smuggling of Human Beings. Tightening the links. http://www.myria.be/files/Annual-report-2015-traffickingand-smuggling-full.pdf [Zugriff: 28.06.2017]. Ram, Melanie H. (2014): Europeanized Hypocrisy. Roma Inclusion and Exclusion in Central and Eastern Europe. In: Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe 13, 3, S. 15-44. UNICEF Innocenti Research Centre (2005): Innocenti Insight. Children and Disability in Transition in CEE/CIS and Baltic States. Florence. UNICEF Innocenti Research Centre (2008): Child Trafficking in Europe. A Broad Vision to Put Children First. Florence. UNICEF (2010): Blame and Banishment. The underground HIV Epidemic Affecting Children in Eastern Europe and Central Asia. Geneva: Regional Office for CEE/ CIS.

Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche in Deutschland – partizipativ-empowernde Unterstützungsangebote und ihre Bedeutung für eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche in Deutschland Nadine Bochert, Petra Focks und Andrea Nachtigall

„Ich bin ein Transmann. Soweit man das von einem 12-Jährigen behaupten kann. Ich habe das meinen Eltern schon mitgeteilt. Manchmal versucht mein Vater mich darum auch so zu behandeln. Fügt danach aber immer ein ‚eigentlich passt das ja nicht‘ hinzu. Bei den Anderen war das so, dass sie sich geoutet haben und dann war es erledigt. Ich habe das Gefühl, dass ich auf der Kippe stehe. Meine Eltern das also nicht ernst nehmen. Wenn ich das also jetzt nochmal ansprechen würde, würden sie denken: Jetzt kommt der schon wieder mit seiner Macke, von der er eh nichts versteht. Habt ihr eine Idee was ich machen könnte?“ (Anonyme Anfrage einesKindes/Jugendlichen über das Portal www.meingeschlecht.de, 12/2015).

1. Einleitung Junge Menschen, die geschlechtlich nicht eindeutig als entweder ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ verortet sind, stehen vor außerordentlichen Herausforderungen, ihren Platz in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft zu finden. Trans*, inter* und genderqueere Jugendliche passen körperlich oder psychisch scheinbar nicht in das vorherrschende heteronormative Schema der Zweigeschlechtlichkeit, das auf der Vorstellung einer fixen und kohärenten Geschlechtsidentität beruht. Ausgrenzung, Abwertung oder Nicht-Ernstnehmen, Diskriminierungen und Verletzungen der Menschenrechte sind für viele trans* und inter* Personen an der Tagesordnung und durch den Zwang zu geschlechtlicher Eindeutigkeit gesellschaftlich scheinbar legitimiert. Die Angebote von Kinder- und Jugendhilfe und Schulen sind primär an cisgeschlechtlichen1 Jugendlichen ausgerichtet, es fehlt außerdem an verlässlichem wissenschaftlichen Hintergrundwissen für die bedarfsgerechte Ausrichtung und Neuschaffung von Angeboten für die Kinder und Jugendlichen. Dies 1 Cisgeschlechtliche Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

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gilt in besonderem Maße für die Angebotsstruktur außerhalb der großen Metropolen und in ländlichen Regionen, wo Unterstützungs- und Aufklärungsangebote in der Regel kaum vorhanden sind. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht, wie sich diese Situation auf die Lebenswelten junger trans*, inter* und genderqueerer Menschen auswirken kann – und was Soziale Arbeit, insbesondere wenn sie sich auf Menschenrechte und Soziale Gerechtigkeit als Bezugsgröße stützt, dem entgegensetzen kann. Der Beitrag bezieht sich hierzu auf zwei aktuelle Praxis- bzw. Forschungsprojekte: das von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geförderte Projekt „Inter*- Trans*-Jugendliche-Online – das Portal www.meingeschlecht.de“ sowie der wissenschaftlichen Begleitforschung der professionalisierten, community-basierten Beratungsstelle für Inter* und Trans* in Deutschland „QUEER LEBEN“ mit Sitz in Berlin. Anhand der Projekte wird nachgezeichnet, warum menschenrechtsorientierte, nicht-pathologisierende Unterstützungsangebote besonders für trans*, inter* und genderqueere Jugendliche und Erwachsene unabdingbar sind und welche Bedeutung hierbei partizipative und empowernde Angebote zur Realisierung der Menschenrechte im Kontext der Sozialen Arbeit erhalten können.

2. Die Lebenssituationen von trans*, inter* und genderqueeren Jugendlichen Zu den spezifischen Lebenssituationen von inter*, trans* und genderqueeren Jugendlichen liegen derzeit für Deutschland nur wenige empirische Daten vor. Die meisten (z.T. älteren) Studien beschäftigen sich mit lesbischen, schwulen, bisexuellen und nur wenige auch mit transgeschlechtlichen Jugendlichen2; zu Inter* gibt es kaum empirische Ergebnisse. Zudem werden in den meisten Untersuchungen lediglich Dritte stellvertretend befragt, z.B. Eltern, Ärzt_innen, Therapeut_innen etc. – nicht aber die inter* und trans* Jugendlichen selbst. Dies widerspricht bereits der grundlegenden Forderung, „keine Forschung über uns, ohne uns“. Die großen, repräsentativen Jugendstudien, wie beispielsweise Shell, Jugendsurvey und PISA, kommen dabei ganz ohne die Berücksichtigung von lsbtiq* Perspektiven aus.3 Aus den bereits veröffentlichten Studien zu den Lebenslagen von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen geht hervor, dass die Jugendphase für Jugendliche, die nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen 2 Für einen Überblick vgl. Sielert/Timmermanns 2011; für eine aktuelle Studie, die trans* Jugendliche jedoch nur am Rande behandelt, Krell/Oldemeier 2015. 3 LSBTIQ* ist ein international gebräuchliches Kürzel für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und queere Menschen.

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und Erwartungen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität entsprechen, besonders vulnerabel ist (z.B. Krell/Oldemeier 2015). Das Gefühl, die eigene geschlechtliche Identität entgegen der sog. sozialen Erwünschtheit zu empfinden, stellt viele trans* und inter* Jugendliche vor eine schwierige Aufgabe. Besonders problematisch ist nach wie vor die Erfahrung allgegenwärtiger Diskriminierung (vgl. zu Trans*: Fuchs et al. 2012; zu Inter*: Ghattas 2013; OII Europe 2016). Unverzichtbar ist eine intersektionale Perspektive: In vielen Fällen kommt es zu überlappenden Diskriminierungserfahrungen, die nicht nur auf den Kategorien Geschlecht und/oder sexuelle Orientierung beruhen, sondern auch im Hinblick auf Ethnizität, Klasse/sozialer Status, Hautfarbe, Religion, Alter, Behinderung etc. betrachtet und analysiert werden müssen (vgl. weiterführend auch Nachtigall 2017). Trans*, inter* und genderqueere Menschen, die sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht oder nicht vollständig identifizieren und/oder deren körperliches Geschlecht nicht eindeutig der Zwei-Geschlechter-Ordnung entspricht4, erleben in ihrem Alltag vielfältige Schwierigkeiten und Belastungssituationen bis hin zu Psychopathologisierung und Diskriminierung – auch durch Institutionen des Hilfesystems (vgl. Focks 2014). Trans* Personen machen häufig die Erfahrung, dass ihnen Anerkennung und Respekt bezüglich der eigenen Geschlechtsidentität bzw. dem eigenen geschlechtlichen Erleben versagt werden – und sie z.B. nicht mit dem gewünschten Namen und Pronomen angesprochen werden. Dies gilt besonders für trans* und inter* Kinder und Jugendliche bzw. junge Erwachsene, für die kaum spezielle Unterstützungsangebote vorhanden sind und die als Expert_innen in ihrer eigenen Sache nur selten Gehör finden (vgl. Sauer/Meyer 2016: 5). Studien zeigen darüber hinaus, dass trans* und genderqueeren Menschen die gesellschaftliche Teilhabe in vielen Bereichen erschwert und versagt wird, so z.B. im Arbeitsleben (vgl. Franzen/Sauer 2010). Aber auch im sozialen Umfeld, in Familie, Partnerschaft und Freundeskreis kann es – insbesondere zum Zeitpunkt des transsexuellen Coming-Outs und während der Transition5 – zu Nichtanerkennung, Abwertung und Ausgrenzung, teilweise mit gravierenden Folgen wie Kontaktabbruch, finanziellen und gesundheitlichen Problemen kommen (vgl. Fuchs et al. 2012: 17ff.). Für inter* Personen ist insbesondere ein pathologisierender, medizinisch geprägter Blick vorherrschend: Eine international vergleichende Studie zeigt, dass inter* Personen in der Regel als Menschen mit einer „Störung“ wahrgenommen und als „abnorm“ behandelt werden, mit dem Ziel, den interge-

4  Die Erfahrung, dass die Zweigeschlechterordnung (oder der darin zugewiesene Platz) nicht zum eigenen (Er-)Leben oder Sein passt, ist intergeschlechtlichen und transgeschlechtlichen Menschen gemeinsam – auch wenn sich beide Gruppen in anderer Hinsicht unterscheiden. 5 Transition bezeichnet den Prozess des Geschlechtswechsels bzw. der Geschlechtsveränderung bei einer Trans*Person.

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schlechtlichen Körper möglichst durch operative Maßnahmen an die Zweigeschlechterordnung anzupassen und damit zu „normalisieren“ (Ghattas 2013: 28). Damit einher gehen Erfahrungen von struktureller und verbaler Diskriminierung bis hin zu physischer Gewalt aufgrund von nicht-genderkonformem Verhalten und Erscheinung (vgl. ebd.: 19ff.). Intergeschlechtlichen Menschen wird als Folge von Operationen oder anderen geschlechtsmodifizierenden medizinischen Interventionen zudem ihr Recht auf körperliche Integrität verwehrt sowie die Möglichkeit genommen, ihre eigene Geschlechtsidentität zu entwickeln (vgl. OII Europe 2016: 17). Diese Eingriffe können das körperliche und psychische Wohlbefinden (zer-)stören und produzieren häufig negative Effekte mit lebenslangen Folgen (vgl. ebd.). So zwingt eine starke Furcht vor Stigmatisierung und sozialem Ausschluss viele inter* Menschen dazu, ihre Intergeschlechtlichkeit geheim zu halten (vgl. ebd.: 18). Psychosoziale Schwierigkeiten wie Unsicherheit und Angst, innerer Rückzug und Depression, Selbstzweifel und Selbsthass, Leistungsabfall und Schulabsentismus können mögliche Folgen der erlebten Ausgrenzung und Diskriminierung sein. Alarmierend ist insbesondere der Befund eines stark erhöhten Suizidrisikos. Eine Befragung von trans* Personen in Frankreich ergab, dass 69 % der Befragten im Zusammenhang mit ihrer Transidentität schon einmal über Suizid nachgedacht haben und 34 % schon einen oder mehrere Versuche hinter sich haben (HES/MAG-LGBT Youth 2009, zit. nach Kugler/Nordt 2015: 209). Dabei zeigen die Ergebnisse der TransPulse-Studie (Bauer et al. 2015) deutlich, dass nicht das Trans*-Sein, sondern die Erfahrung von Gewalt, Diskriminierung und Exklusion vielfach zu hohen Suizidraten führen (vgl. Focks 2014). Trans*, inter* und genderqueere Menschen verfügen über spezifische Ressourcen und entwickeln vielfältige Bewältigungsstrategien, um mit den beschriebenen Belastungen und Einschränkungen der Menschenrechte umzugehen, und zu stabilen und gesunden Identitäten und Lebensläufen zu finden (vgl. auch Fuchs et al. 2012: 55ff.). Den zuvor beschriebenen spezifischen Lebenssituationen von trans*, inter* und genderqueeren Menschen steht auf der anderen Seite ein eklatanter Mangel an sozialen Unterstützungsangeboten gegenüber, verbunden mit zumeist fehlenden oder mangelhaften Informationen auf Seiten der Fachkräfte in medizinischen und sozialen Einrichtungen. Studien wie die Fachkräftebefragung der Stadt München (2011) zeigen: Die Lebenslagen von trans* und inter* Jugendlichen sind in der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt wenig bekannt, Fachwissen und Angebote kaum vorhanden. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen: Trans* Personen machen auch hier häufig negative Erfahrungen und fühlen sich im Gesundheitswesen diskriminiert (vgl. LesMigraS 2012). Trans* Personen haben, so zeigen die Ergebnisse, zumeist einen eingeschränkten Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgung und erleben häufig, dass

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ihre spezifischen Bedürfnisse ignoriert oder sie mit grenzverletzender Neugierde konfrontiert werden (vgl. Bundesverband Trans* 2016: 18ff.). Für ländliche Regionen und kleinere Städte kommt noch erschwerend hinzu: Es gibt kaum Schutzräume, Treffpunkte und Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen trans* und inter*Jugendlichen. Für viele ist häufig das Internet der einzige Weg des Austausches und der Informationsgewinnung. Insgesamt lässt sich aus Menschenrechtsperspektive festhalten, dass es sich bei trans*, inter* und genderqueeren Jugendlichen um eine besonders vulnerable Gruppe handelt, deren Lebensrealitäten, Bedarfe und Rechte – auch im Sozial- und Gesundheitswesen – häufig unberücksichtigt bleiben und es auch dort zu Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen kommt.

3. Partizipation und Selbstbestimmung als Bestandteile menschenrechtsbezogener sozialer Arbeitsschwerpunkte Aus den dargestellten Erkenntnissen der Forschung wird ein Bedarf nach partizipativen Unterstützungsangeboten erkennbar, die vor allem die eigenen Lebenswirklichkeiten und subjektiven Deutungsmuster trans*, inter* und genderqueerer Menschen einbeziehen und sichtbar werden lassen. Partizipation beginnt, ausgehend von einem neunstufigen Modell nach Wright, von Unger und Block dort, wo Personen mitbestimmen können (vgl. Wright et al. 2010: 42). Danach „bedeutet Partizipation also nicht nur die Teilnahme, sondern die Teilhabe von Praxis- und Community-Partner/inne/n“ am Arbeitsprozess. „Partizipation ist nur gegeben, wenn die Partner/innen mit Entscheidungsmacht […] beteiligt sind – und dazu befähigt sind oder werden“ (von Unger 2012: 11). Bezogen auf empowernde Unterstützungsangebote nimmt eine solche Herangehensweise trans*, inter* und genderqueere Personen als Expert_innen in eigener Sache wahr und ermöglicht eine Kooperation auf Augenhöhe. Auch und gerade noch minderjährige Jugendliche oder junge Erwachsene, die aufgrund ihres Alters leicht als ‚zu jung‘ oder als nicht hinreichend qualifiziert kategorisiert werden, können und sollten partizipativ im oben genannten Sinn beteiligt werden. Im Folgenden soll anhand zweier Praxisforschungsprojekte verdeutlicht werden, wie so verstandene Partizipation konkret werden kann.

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3.1 Das Online-Portal www.meingeschlecht.de Gefördert durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin entstand 2014 das Online-Portal www.meingeschlecht.de6. Ziel des Portals ist das Empowerment von inter*, trans* und genderqueeren Jugendlichen durch Informationstransfer, Vernetzungsmöglichkeiten und der Sichtbarmachung der eigenen Lebenswirklichkeit. Zudem erhalten inter*, trans* und genderqueere Jugendliche und vor allem auch Angehörige und pädagogische Fachkräfte Zugang zu den Themen Intergeschlechtlichkeit, Transgeschlechtlichkeit und GenderQueerness sowie zu entpathologisierenden Angebotsstrukturen in ihrer Region. Schließlich soll das Portal bundesweit bei jenen Institutionen und Organen bekannt gemacht werden, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. So hält das Portal eine differenzierte, bundesweite Auflistung von Angebotsstrukturen mit regionalem und überregionalem Bezug (u.a. Beratungsangebote, Anlaufstellen sowie Interessenverbände in Deutschland) bereit. Das Herzstück des Portals bildet ein teilinteraktiver und moderierter Bereich, der als Akt des Empowerments den Jugendlichen die Möglichkeit bietet, die eigene Geschichte und die eigenen Gedanken zu ihrer Situation als lesens-oder hörenswert darzustellen und damit als ihre Erfahrung zu veröffentlichen. Das Vorgehen bei der Entwicklung und Umsetzung des Portals war in allen Umsetzungsschritten partizipativ ausgerichtet. Bereits in der Planungsphase wurde im Rahmen von Workshops innerhalb der Community mit trans*, inter* und genderqueeren Jugendlichen und Angehörigen über das Vorhaben des Portals diskutiert und gemeinsam wurden Planungsideen entworfen. Integrativer Bestandteil der Gestaltungsphase bildeten Feedbackschleifen, die im Rahmen regelmäßiger Arbeitstreffen mit einer queeren Jugendgruppe in Berlin in Kooperation mit lambda e.V. und gleich&gleich e.V. durchgeführt worden sind. Auf der Grundlage vorab geführter Expert_innen-Interviews (vgl. Focks 2014) wurden zudem zu Beginn des Projekts good-practice-Kriterien7 entwickelt, die bei der inhaltlichen Gestaltung der Seite handlungsleitend waren. Diese Kriterien waren insbesondere dafür ausschlaggebend, welche (Fach-)Li‐ teratur und welche Angebotsstrukturen in den einzelnen Bundesländern be‐ rücksichtigt und in das Portal aufgenommen wurden. 

6  Zum partizipativen Forschungsteam unter Leitung von Petra Focks (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin) und Andrea Nachtigall (Ernst-Abbe-Hochschule Jena) gehörten Nadine Bochert, Dan Christian Ghattas, Ins A Kromminga sowie Rufus V. Sona. Das Forschungsprojekt der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin fand zudem in Kooperation mit dem Jugendnetzwerk lambda e.V. sowie der Organisation TransInterQueer e.V. statt. Die Seite wird seit 2015 ehrenamtlich gepflegt und verwaltet. 7 Weitere Informationen finden sich auf http://www.meingeschlecht.de/wissen/literatur.

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Die Erfahrungswerte zeigen, dass das Portal sowohl bei den Jugendlichen als auch bei Angehörigen, Fachkräften und Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet durchweg positive Resonanz findet. Bis zum heutigen Zeitpunkt werden über das Portal Anfragen gestellt, die – wie das Eingangszitat deutlich zeigt – insbesondere einen hohen Beratungsbedarf erkennen lassen. Jugendliche und Eltern wenden sich an das Team von meingeschlecht.de und schildern ihre Geschichte, suchen nach Unterstützungsmöglichkeiten in ihrer Region und vor allem nach Möglichkeiten der Vernetzung. Von verschiedenen europäischen NGOs, die zu den Menschenrechten von LSBTIQ* arbeiten, wurde das Portal bereits als good-practice-Beispiel an politische Entscheidungsträger_innen kommuniziert (ILGA Europe, TGEU, OII Europe u.a.). Ausschlaggebend für den Erfolg der Seite ist neben dem erwähnten partizipativen Vorgehen vor allem auch die Zusammensetzung des Projektteams (vgl. Kap. 4). Hierdurch war es zum einen möglich, während der Entwicklung des Portals gezieltes Feedback von Jugendlichen einzuholen. Zum anderen ermöglichten die eigene Verortung in der Trans* und Inter*-Community sowie die langjährigen Erfahrungen in der Beratung anderer transgeschlechtlicher und intergeschlechtlicher junger Menschen ein Expert_innenwissen, das grundlegend war in Bezug auf die verwendete Sprache auf dem Online-Portal. Die aus der langjährigen Aufklärungsarbeit und der eigenen reflektierten Diskriminierungserfahrung gewonnene Kompetenz, auch subtile pathologisierende und diskriminierende Sprache zu identifizieren, machte es möglich, bewusst ‚Dinge anders zu formulieren‘ und Sprache als Medium der Entpathologisierung und des Empowerments einzusetzen.

3.2 Die community-basierte Inter* und Trans* Beratungsstelle QUEER LEBEN in Berlin Ein weiteres Beispiel für partizipativ-empowernde Unterstützungsangebote in der Sozialen Arbeit ist die inter* und trans* Beratung QUEER LEBEN in Berlin, in Trägerschaft der Schwulenberatung Berlin gGmbH. Bei der Beratungsstelle handelt es sich um eine besondere Form der partizipativen Beratung; um eine professionalisierte, community-basierte Beratungsstelle. Community-basiert bedeutet hier, dass die Berater_innen selbst einen trans* oder inter*geschlechtlichen Hintergrund haben und Teil der Inter*- oder Trans*-Community sind und zugleich neben ihrem eigenen reflektierten biographischen Erfahrungswissen über Qualifikationen in sozialer und therapeutischer Arbeit verfügen und entsprechende Abschlüsse haben. Die Beratungsstelle existiert seit Juli 2014 und bietet Beratungsgespräche für inter* und trans* Personen und ihre Angehörigen an. Dazu gehören sowohl Fachberatungen zur Vermittlung zuverlässiger Informationen zu Inter*- und

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Trans*-Themen, als auch Prozessberatungen wie z.B. zur Gestaltung des eigenen Coming-Outs, aber auch trans*/inter*-kompetente Paar- bzw. Beziehungsberatungen. Darüber hinaus werden Fachkräfte unterschiedlicher psychosozialer Professionen beraten, u.a. Sozialarbeiter_innen, z.B. Mitarbeiter_innen von Jugendämtern, von sozialpsychiatrischen Diensten und von Krisendiensten; aber auch Berufsgruppen, wie z.B. Hebammen, Psychotherapeut_innen und Lehrer_innen. Neben Beratungen bieten die Mitarbeiter_innen auch Vorträge und Fortbildungen zu Trans* und Inter* für Multiplikator_innen und Fachpersonal an. Die Bandbreite an Themen umfasst sowohl Grundsensibilisierung und erste Informationen zu Trans* und Inter* als auch spezifisches Versorgungswissen, das an die Arbeitskontexte der entsprechenden Professionen angepasst ist. Darüber hinaus werden Flyer jeweils für die Eltern von inter* und trans*Kindern erstellt und im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit bundesweit versendet. Regelmäßige Treffen für Eltern von trans*Kindern und moderierte Selbsthilfegruppen von Trans* werden aufgebaut. Von 2015 bis 2016 wurde die Beratungsstelle von zwei Hochschulen (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin; Ernst-Abbe-Hochschule Jena) wissenschaftlich begleitet8. Es ging darum, sich der Frage anzunähern, was die Kriterien für eine gelungene Beratung von trans*, inter* und queer lebenden Menschen und deren Angehörigen sind. Methodisch umgesetzt wurde das Forschungsprojekt mit einer Mischung aus qualitativer und quantitativer Befragung. Die Durchführung und Umsetzung erfolgten ebenfalls partizipativ. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung sind sehr eindrücklich: Sie belegen die Wichtigkeit der Beratungsstelle und die große Zufriedenheit mit der Beratung (vgl. Focks et al. 2017: 10f.). Vor allem zeigt die Analyse der Daten, dass die community-basierte Ausrichtung nicht nur ein wichtiges, sondern ein zentrales Merkmal der Beratungsstelle ist: so gaben 82% der Befragten in den Fragebögen an, dass es für sie wichtig war, durch Berater_innen mit eigener trans*/inter* Lebenserfahrung beraten zu werden (vgl. ebd.: 46ff.). Da dieser partizipative Ansatz für die Beratung als wesentlich erlebt wurde und auch in den Interviews mit den Mitarbeiter_innen als zentral hervorgehoben wurde, wurden die offenen Antworten aus dem Fragebogen und die Interviews von einer studentischen Projektforschungsgruppe im Rahmen des Tätigkeitsbegleitenden Masterstudiengangs Soziale Arbeit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin noch einmal eingehender un-

8  Zum partizipativen Forschungsteam unter Leitung von Petra Focks (KHSB) und Andrea Nachtigall (EAH) gehörten außerdem Kai Egener, Janek Kempe; Sascha Rewald (Student_innen des Tätigkeitsbegleitenden Masterstudiengangs Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin/KHSB). Die wissenschaftliche Begleitforschung wurde gefördert durch Mittel der Lotto Stiftung Berlin. Die folgenden Ausführungen sind Teil der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung und bereits ähnlich veröffentlicht im Abschlussbericht (vgl. Focks et al. 2017).

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tersucht. Es ging darum, besser zu verstehen, welchen Stellenwert geteilte Lebenserfahrungen von Beratenden und Ratsuchenden im Rahmen einer professionellen Beratung einnehmen kann. Dabei haben sich fünf Kategorien herauskristallisiert: fachliche Kompetenz, Empathie, die Gestaltung einer Beratungsbeziehung, eine auf den Lebensweg bezogene Ermutigung, die Rolle der Berater_innen als Vorbildfunktion und Empowerment auf individueller und politischer Ebene (vgl. ebd.: 46ff.).

4. Bedeutung und Herausforderungen für eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit Vor allem jene vulnerablen Gruppen, die von Ausgrenzung, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, weil Sie herrschenden normativen Vorstellungen nicht entsprechen, können durch eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit Unterstützung erfahren. Ausgangspunkt und erster Schritt einer menschenrechtsbezogenen Sozialen Arbeit ist es dabei, Menschenrechtsverletzungen als solche sichtbar zu machen, gesellschaftlich das Unrechtsbewusstsein zu schärfen und sich in Zusammenarbeit mit den Menschen selbst als Expert_innen ihrer Lebenswelten für die Verbesserung der Lebenssituation und die Umsetzung von Menschenrechten einzusetzen. Dabei stellen die gesellschaftlichen Normalitätserwartungen auch Sozialarbeiter_innen vor die Herausforderung, diese nicht zu reproduzieren. Denn alle Menschen, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind und leben, sind beeinflusst und geprägt von der herrschenden binären Geschlechterordnung, wenn sie sich nicht bewusst und (selbst-)reflektiert damit auseinandersetzen (vgl. Focks 2016: 9ff.). Eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit stellt die Menschen, ihr Erleben und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Dies erfordert von Sozial Arbeitenden eine kritisch-dekonstruktive Haltung, und damit auch die Akzeptanz der jeweiligen geschlechtlichen Selbstbeschreibungen von trans*, inter* und genderqueeren Kindern und Jugendlichen (vgl. Nachtigall 2017: 8ff.). Es geht darum, dass sich Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der Frage stellen, wo sie in ihren Strukturen und ihrem Handeln trans*, inter* und genderqueere Kinder und Jugendliche benachteiligen und ausgrenzen und wie sie dazu beitragen können, dass diese einen gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (wie z.B. Bildung) erhalten (Focks 2017a). Charakteristisch für eine menschenrechtsbezogene Soziale Arbeit sind die beiden genannten partizipativ-empowernden Unterstützungsangebote, weil sie zur Umsetzung von Menschenrechten auf der Mikro-, Meso- und der Makro-

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ebene ansetzen. So bietet das Online-Portal auf der Miko-Ebene für Jugendliche (deren Angehörige und professionelle Fachkräfte) Information und Aufklärung in einer jugendgerechten Sprache und betreibt zugleich Menschenrechtsbildung. Zudem ermöglicht das Portal Selbstwirksamkeitserfahrungen, indem Jugendliche die Seite mitgestalten, die eigene Geschichte und eigene Erfahrungen darstellen und sich austauschen können. Die Beratungsstelle QUEER LEBEN bietet auf der Mikro-Ebene konkrete individuelle Beratung und Unterstützung. Da die Berater_innen selbst einen trans- oder intergeschlechtlichen Hintergrund haben und Teil der Inter*- oder Trans*-Community sind, stehen das Erleben und die Bedürfnisse im Mittelpunkt und es kann fernab von Pathologisierungen die Entwicklung gefördert werden. Community-basiert bedeutet jedoch auch eine enge räumliche (und personelle) Verflechtung mit anderen Trans*-/Inter*-/Queeren-Organisationen sowie einen Austausch und eine Vernetzung mit anderen Community-Organisationen und Berater_innen (vgl. Focks et al. 2017: 4). Gleichermaßen erfüllt eine community-basierte Beratungsstelle häufig eine Brückenfunktion in die psychomedizinische Versorgungslandschaft hinein (vgl. ebd.). Einer menschenrechtsbezogenen Sozialen Arbeit geht es jedoch neben Veränderungen auf der Mikro- und Meso-Ebene auch um Veränderungen auf der Makroebene. Vor allem über die Beteiligung am Berichtsverfahren, wie z.B. den Parallelbzw. Schattenberichten bietet das UN-Menschenrechtsschutzsystem die Möglichkeit, Beschwerden einzureichen. Die Parallelberichte eignen sich dabei besonders um strukturelle Defizite aufzuzeigen. So sind beispielsweise Menschenrechtsverstöße gegen Trans*Frauen im Parallelbericht von TransInterQueer e.V. zum 7. und 8. Staatenbericht von Deutschland zu CEDAW zusammengetragen (TransInterQueer e.V. 2017). Die Beratungsstelle QUEER LEBEN und TransInterQueer e.V. liegen auch räumlich nah beieinander, so dass der Austausch hier gewährleistet und die Zusammenarbeit möglich ist. Zum partizipativen Team des Portals www.meingeschlecht.de gehörten sowohl Sozialarbeiter_innen aus dem Bereich Jugend, Trans*, Inter* und Queer, Wissenschaftler_innen als auch Menschenrechtsaktivist_innen, ebenfalls zum Großteil selbst mit lsbtiq*-Hintergrund. Sozialarbeiter_innen, Vertreter_innen von Verbänden und Menschenrechtsaktivist_innen, aber auch Forscher_innen können dabei die Erfahrungsperspektiven von verletzlichen Gruppen im Menschenrechtsdiskurs einbringen und diesen verändern9. Denn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 schließt zwar sprachlich alle Menschen ein. Da Menschenrechte jedoch auf Unrechtserfahrungen basieren, ist es notwendig, bei ihrer Ausformulierung unterschiedliche Erfahrungsperspektiven zu berücksichtigen und nicht nur bestehende Rechte nachträglich auf alle Menschen auszuweiten (vgl. Bielefeldt 9 So haben beispielsweise die Forschungsergebnisse der TransPulseStudie in Ontario auch zu Veränderungen der Menschenrechte in Kanada geführt (vgl. Focks 2014).

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2009: 11f.). Daher bedarf es einer Forschung zu den Lebenswelten und Erfahrungsperspektiven von verletzlichen Gruppen und über Menschenrechte bzw. Menschenrechtsverletzungen10.  Um Prozesse des Othering (vgl. dazu Riegel 2016: 135ff.) und der Objektivierung bzw. der Retraumatisierung von vulnerablen Gruppen zu vermeiden, erweist sich dabei ein menschenrechtsbezogener und partizipativer Forschungsansatz als besonders sinnvoll (vgl. weiterführend Focks 2017b).

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10  Wenngleich auch neuere Menschenrechtsdokumente der binären Geschlechterordnung verhaftet bleiben, so lassen sich doch Veränderungen feststellen. So gehört die Geschlechtsidentität inzwischen zu den anerkannten Diskriminierungsgründen, die es zu verhindern oder zu beseitigen gilt. Beispielsweise hat der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2016 einen Beschluss zum „Schutz gegen Gewalt und Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität“ verabschiedet, um eine_n unabhängige_n Expert_in für dieses Thema zu beauftragen (Queer Amnesty 2016).

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Kinderrechte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung: Ein Vergleich der staatlichen Verfahrensrichtlinien in England, den Niederlanden und Deutschland Kinderrechte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung Susanne Witte

1. Kinderrechte und Kinderschutz „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozialund Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.“ (Art. 19 UN 1989).

Artikel 19 der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention) stellt die Grundlage des Schutzes von Kindern1 vor Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung dar. Wie alle weiteren Förder-, Schutz- und Beteiligungsrechte, die in der UN-Kinderrechtskonvention aufgeführt sind, gelten sie für alle Kinder und sollen von allen Vertragsstaaten umgesetzt werden. In welcher Art und Weise Staaten die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention gewährleisten und welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden, variiert in Abhängigkeit der historischen Entwicklung, der sozialen und ökonomischen Gegebenheiten und der gesellschaftlichen Voraussetzungen der jeweiligen Staaten. Als spezifischer Themenbereich der Umsetzung der Kinderrechte werden im Folgenden Verfahren zur Abklärung eines Verdachts auf Kindeswohlgefährdung herausgegriffen, d.h. wenn eine Maßnahme zum Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung oder Vernachlässigung im Raum steht. Im Hinblick auf die Umsetzung von Kinderrechten sind sie von besonderer Bedeutung, da eine Abklärung eines Verdachts auf Kindeswohlgefährdung eine große Herausforderung für die Gesetzgebung, die Soziale Arbeit und alle Fachkräfte, die mit Kindern arbeiten, darstellt. Ihr kommt eine besonders große Bedeutung zu, da Fehler schwerwiegende Folgen nach sich ziehen 1 Im vorliegenden Text wird aus Gründen der Lesbarkeit von Kindern gesprochen, gemeint sind hiermit sowohl Kinder als auch Jugendliche.

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können. Es gilt dabei die Balance zu halten zwischen zu viel und zu wenig Eingriffen in das Leben von Kindern und Familien. Im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes HESTIA, gefördert durch die DFG im Rahmen der europäischen Förderlinie NORFACE Welfare State Futures, wurden die Vorgehensweisen im Kinderschutz zwischen drei europäischen Ländern, England, den Niederlanden und Deutschland, verglichen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Unterschieden zwischen den Ländern bildet eine strukturierte Analyse der Gesetzgebung, Richtlinien sowie fachlichen und öffentlichen Diskurse im Kinderschutz durch die Arbeitsgruppen in den drei Ländern (Witte et al. 2017, 2016; Baldwin/Biehal 2017; Bouma et al. 2016). Nach einer kurzen Einführung in die historische Entwicklung der Kinderrechte und des Kinderschutzsystems in den drei Ländern werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien zum Umgang mit Kindeswohlgefährdung in England, den Niederlanden und Deutschland anhand ausgewählter Artikel der UN-Kinderrechtskonvention dargestellt und abschließend diskutiert.

1.1 Historischer Wandel Die ersten Anfänge eines staatlichen Kinderschutzes finden sich in allen drei Ländern im ausgehenden 19. Jahrhundert (Kindler/Borrmann 2012: 163; Batty 2005). Auch wenn das Bestreben Kinder zu schützen bereits vor der Jahrhundertwende zu finden ist, gilt diese Zeit als der Beginn eines modernen Verständnisses von Kindheit als schützenswerte und besondere Lebensphase (Mierendorff 2012: 112). In dieser Zeit erschien auch das Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ von Ellen Key (1905), das als Geburtsstunde der Kinderrechte angesehen wird. Während das Wohl von Kindern zunehmend in den Mittelpunkt des staatlichen Handelns rückte, orientierten sich die ersten Überlegungen und Richtlinien in allen Staaten nicht ausschließlich an dem Wohl der Kinder, sondern an dem gesamtgesellschaftlichen Wohl und der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung (vgl. Reicher 1908). Trotz einer Zunahme staatlicher Eingriffe in Familien in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, zeigten sich in allen Ländern erst ab den 1970er Jahren eine zunehmende Orientierung an dem Wohl der Kinder und die Etablierung kooperativer Beziehungen zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und den Eltern (Kindler/Borrmann 2012: 166; Batty 2005). In England, anders als in Deutschland, ging diese Bewegung auch mit Überlegungen zur Schaffung von Stabili-

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tät im Leben von Kindern einher, deren Entwicklung in ihrer Familie als gefährdet galt (permanency movement). Ein Anliegen, das auch in der aktuellen Gesetzgebung umgesetzt ist (HM Government 2010: 9). In Deutschland orientierte sich der Kinderschutz ab der Wiedervereinigung 1990 hin zu früher Unterstützung und der Etablierung von präventiven Strukturen (Kindler/Borrmann 2012: 168). In England wurde in diesen Jahren das „Paramountcy-Principle“ eingeführt, das das Kindeswohl als entscheidenden Faktor für alles staatliche Handeln im Kinderschutz festlegt. In den folgenden Jahren hatten in allen drei Ländern schwere Fälle von Kindeswohlgefährdung einen bedeutenden Einfluss auf den öffentlichen und politischen Diskurs zu Kindeswohlgefährdung, wie dies in Deutschland bei dem Tod von Kevin und Jessica beispielsweise der Fall war. In England zählen hierzu der Tod von Victoria Climbie, in dessen Folge verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung der Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen unternommen wurden (Children Act 2004), und der Tod des Säuglings Peter Connelly, welcher in der Folge zu einer Stärkung der kindzentrierten Arbeitsweise im Kinderschutz führte (vgl. Munro 2011). Auch in den Niederlanden wurden bei schweren Fällen, wie dem Tod des Kleinkindes Savannah und dem sog. ‚Meuse Mädchen‘, vor allem die Kooperation zwischen den Fachkräften und die unzureichende Einleitung von schützenden Maßnahmen kritisiert (Noordegraaf/van der Veer 2012: 223). Parallel zu den Entwicklungen im Kinderschutz nahm in allen Ländern der Diskurs über das Wohl von Kindern im Allgemeinen zu. Es wurden politische Programme verabschiedet, die die Beteiligung und die Rechte von Kindern stärken sollen. Damit einher ging der Erlass von Gesetzen zur gewaltfreien Erziehung und der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention in allen drei Ländern, wenn auch nicht ohne Vorbehalte (England: 1991; die Niederlande: 1995; Deutschland: 1992).

1.2 Staatliche und strukturelle Rahmenbedingungen für Abklärungen eines Verdachts auf Kindeswohlgefährdung In England, den Niederlanden und Deutschland gibt es staatliche Strukturen, die für die Abklärung einer Gefährdung von Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung zuständig sind. In Deutschland ist dies auf kommunaler Ebene das Jugendamt. Gesetzliche Rahmenbedingungen werden sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene geschaffen. In der konkreten Ausgestaltung der Strukturen von Hilfsangeboten, vor allem der freien Träger der Kinderund Jugendhilfe, kommt der Steuerung auf kommunaler Ebene mit dem Kinder- und Jugendhilfeausschuss eine besondere Bedeutung zu. Dies ermöglicht

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eine hohe Flexibilität der Hilfsangebote, aber auch eine große Heterogenität bis hin zur Unübersichtlichkeit. Vergleichbar mit dem deutschen Jugendamt gibt es in England das Children’s Department. Dieses ist für die Abwicklung von Verfahren zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung zuständig (Section 47 enquiries). Es ist eingebettet in das größere staatliche System des englischen Wohlfahrtsstaates und als solches enger verknüpft mit dem Gesundheitssystem als dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden zentral vorgegeben (Littlechild/Meffan 2012). Dies gilt auch für die Richtlinien zur konkreten Abschätzung in einzelnen Fällen. In den Niederlanden gestaltet sich das Kinderschutzsystem komplexer als in den beiden anderen Ländern. Es gibt zwei staatliche Behörden, die für die Klärung von Verdachtsfällen zuständig sind (vgl. Bouma et al. 2016): Das AMHK (Advies- en Meldpunt Huiselijk Geweld en Kindermishandeling) und das CPB (Child Protection Board). Ersteres ist als niederschwellige Anlaufstelle konzipiert, bei der jede Person eine Meldung machen kann und Hilfe auf freiwilliger Grundlage angeboten und vermittelt wird. Das CPB bearbeitet nur Fälle, bei denen ein möglicher Eingriff in die elterliche Sorge in Betracht gezogen wird. Eine Meldung ist nur durch bestimmte staatliche Stellen, wie dem AMHK, der Polizei und dem Jugendgericht (vergleichbar mit dem deutschen Familiengericht), möglich. Das CPB spricht in der Folge Empfehlungen für das Gericht aus. Die Gesetzgebung zum Kinderschutz wird in den Niederlanden zentral erlassen, die Verantwortung für die Bereitstellung einzelner Hilfen obliegt jedoch den Kommunen (vgl. Bouma et al. 2016; Noordegraaf/van der Veer 2012).

2. Kinderrechte in Verfahren zur Einschätzung eines Verdachts zur Gefährdung des Kindeswohls Im Folgenden werden anhand ausgewählter Artikel der UN-Kinderrechtskonvention einzelne Aspekte der Verfahren bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung exemplarisch herausgearbeitet.

2.1 Schutzrechte Bei einer Kindeswohlgefährdung obliegt dem Staat einerseits die Aufgabe das Wohl des Kindes sicherzustellen (Art. 19, UN 1989). Andererseits ist auch die Beziehung zur Herkunftsfamilie des Kindes als ein besonders schützenswertes

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Gut anzusehen (Art. 9, ebd.). Bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung findet folglich auf der Seite des Hilfssystems ein Abwägungsprozess im Hinblick auf die Rechte und Bedürfnisse des Kindes statt. Hierbei geben staatliche Richtlinien Definitionen vor, die Schwellen festlegen, welche die Schutzbedürftigkeit von Kindern kennzeichnen. Des Weiteren erfolgt im Rahmen dieses Abwägungsprozesses auch eine Gewichtung des Elternrechts. Mit der Gewichtung der Einflussnahme erfolgt gleichzeitig auch die Bedeutungszuweisung der Beziehungen zu der Herkunftsfamilie. Anders als in Deutschland und England bezieht sich die Gesetzgebung zum Eingreifen bei einer Gefährdung des Kindeswohls in den Niederlanden explizit auf die UN-Kinderrechtskonvention und lehnt sich stärker an den gesellschaftlichen Diskurs zu Gewalt im Allgemeinen an (Noordegraaf/van der Veer 2012: 229). Zudem wird in der Gesetzgebung noch einmal das Abhängigkeitsverhältnis von Kindern gegenüber ihren Eltern bzw. für sie sorgepflichtige Erwachsene betont (vgl. Bouma et al. 2016). Bei der Beziehung zu den Eltern wird in den Niederlanden beiden Elternteilen und deren Zusammenwirken in der Erziehung des Kindes eine hohe Bedeutung beigemessen. Dies zeigt sich auch in der Einordnung von problematischen Scheidungen als eine potentielle Gefährdung des Kindeswohls. Im Hinblick auf unterschiedliche Eingriffsschwellen liegt in den Niederlanden eine strukturelle Trennung vor. So ist das AMHK nur für freiwillige Hilfsmaßnahmen zuständig und das CPB für unfreiwillige. In der Folge ist das AMHK stärker familienorientiert ausgerichtet, während das CPB kindzentriert arbeitet. In England wird eine Gefährdung in der Familie als schlechte Behandlung und Gefährdung der körperlichen und seelischen Gesundheit definiert (Baldwin/Biehal 2017: 1). Konzeptionell orientieren sich die Gesetzgebung und die Verfahrensrichtlinien stark an den Begriffen körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch, emotionale Misshandlung und Vernachlässigung. Im „Adoption and Children Act 2002“ wurde die Definition von „significant harm“ noch einmal um das Miterleben von häuslicher Gewalt erweitert. Die Stabilität des Kindeswohls ist ausschlaggebend. So kann das Elternrecht auch unwiderruflich entzogen werden. In den letzten Jahren wurden zunehmend Initiativen im Bereich der präventiven Angebote und frühen Hilfen in England gefördert (Littlechild/Meffan 2012: 94). Zudem werden auf der Grundlage des Rechtsbegriffes von „children in need“ (Children Act 1989) einer breiten Gruppe an Kindern Hilfe und Unterstützung angeboten, die zwar einen erhöhten Förderbedarf haben, aber nicht notwendigerweise gefährdet sind (Baldwin/Biehal 2017: 1). In allen Fällen orientiert sich die Einschätzung des Hilfebedarfs an einem Rahmenmodell, welches die Bedürfnisse für die Entwicklung des Kindes, die elterlichen Ressourcen und das erweiterte familiäre und soziale Umfeld umfasst (HM Government 2015). In Deutschland gilt die Kindeswohlgefährdung als unbestimmter Rechtsbegriff (§1666 BGB), der jedoch durch den Bundesgerichtshof näher bestimmt

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wurde (BGH 1956). Hierbei wird ein Eingreifen in die elterliche Sorge erst dann als notwendig angesehen, wenn das körperliche, psychische und geistige Wohl des Kindes in einem starken Maße gefährdet ist oder eine solche Gefährdung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorhergesehen werden kann. Des Weiteren müssen die Eltern unwillig sein, Hilfe anzunehmen oder unfähig sein, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Unterhalb der Schwelle des Eingriffs in die Elternrechte befindet sich im deutschen Kinderschutzsystem der Anspruch der Eltern auf Hilfs- und Unterstützungsangebote. Schon zu einem frühen Zeitpunkt wird im Verlauf von Verfahren auf die Kooperation und Zusammenarbeit mit Eltern hingewirkt. Das Aufwachsen in der Familie und Kontakt mit Familienmitgliedern wird als bedeutsam für die Entwicklung von Kindern angesehen. Auch haben Kinder das Recht auf Kontakt zu beiden Elternteilen (§1684 Abs.1 BGB). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in England im Vergleich zu Deutschland das Recht von Kindern auf Schutz vor Gewalt in der Familie stärker betont wird. In Deutschland hingegen stehen der Kontakt zu den Eltern und die Aufrechterhaltung der Beziehung zu ihnen im Vordergrund. In den Niederlanden zeigt sich ein ähnliches Muster wie in Deutschland.

2.2 Förderrechte Kinder haben das Recht auf Förderung ihrer Persönlichkeit und Entwicklung. Gerade Kinder, die von Misshandlung und Vernachlässigung betroffen sind, sollen besonders gefördert werden (Art. 39, UN 1989). Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention muss eine solche Förderung in einer Umgebung stattfinden, die der Würde und Selbstachtung des Kindes förderlich ist. In allen drei Ländern gibt es eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten für Kinder, die misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wurden oder bei denen ein Risiko für eine Gefährdung des Kindeswohls besteht. Diese reichen von ambulanten Angeboten bis hin zu familienersetzenden Maßnahmen, also der Unterbringung von Kindern bei einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Vor allem seit den 1990er Jahren wird in allen drei Ländern auf eine verstärkte Etablierung von Angeboten hingewirkt, die auf eine Unterstützung von Familien vor einer negativen Entwicklung in der Familie abzielen (Kindler/Borrmann 2012: 168; Littlechild/Meffan 2012: 94; Noordegraaf/van der Veer 2012: 229). In Deutschland sind diese Bestrebungen besonders deutlich und zudem mit einem gesetzlichen Anspruch der Eltern verknüpft. Die vorgegebene Struktur der dargebotenen Angebote unterscheidet sich zwischen den Staaten: In England werden häufig stark strukturierte Programme angeboten (vgl. Littlechild/Meffan 2012), in Deutschland herrschen zu großen Teilen eher individuelle Zugänge zu Familien vor (vgl.

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Biesel 2011). In den Niederlanden haben sich die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe seit der Umstellung der Verantwortlichkeiten im Jahr 2015 noch nicht vollständig etabliert. Bisherige Richtlinien betonen jedoch zum einen die Kompetenz der Fachkräfte und zum anderen die Einordnung des Vorgehens in vorgegebene theoretische Modelle (Noordegraaf/van der Veer 2012: 231). Allen drei Ländern gemeinsam ist die Diskussion über das Spannungsfeld zwischen professioneller Autonomie und der Vorgabe von Verfahrensrichtlinien (vgl. Noordegraaf/van der Veer 2012; Bode/Turba 2014; Munro 2011). Die Adressatinnen und Adressaten von Unterstützungs- und Hilfsangeboten sind unterschiedlich zwischen den Ländern: In England herrscht zumeist eine auf das Kind ausgerichtete Förderung vor, während in Deutschland das Hilfssystem eine starke Familienorientierung aufweist. Hierbei ähnelt Deutschland stärker den Niederlanden, in denen vermehrt Unterstützungsmöglichkeiten für alle Familienmitglieder etabliert werden. Die Zielsetzung der angebotenen Hilfe ist in allen drei Ländern eine Verbesserung der Situation der Kinder. Allerdings werden in den Niederlanden und Deutschland stärker Prinzipien gemäß der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfolgt. Diese beruhen auf dem Subsidiaritätsprinzip. Dies bedeutet, dass jeweils die nächstgrößere soziale Einheit als verantwortlich angesehen wird. Erst wenn diese eine Herausforderung nicht bewältigen kann, wird Hilfe aus der nächsten sozialen Einheit in Betracht gezogen. Im Hinblick auf eine aktive Förderung von Kindern, die in familienersetzenden Maßnahmen aufwachsen, gibt es in allen drei Ländern über eine reine Verhinderung einer negativen Entwicklung hinaus wenig staatlich verankerte Maßnahmen. Im öffentlichen Diskurs wird die Benachteiligung von Pflegekindern in England bereits seit den 1980er Jahren, vor allem im Bereich der schulischen Leistung, diskutiert. In der Umsetzung zeigen sich immer noch Mängel, wie beispielsweise ein erschwerter Übergang in das Erwachsenenalter (Committee on the Rights of the Child 2016: 12). In Deutschland wurde die Förderung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen erst um die Jahrtausendwende zunehmend im Rahmen des Runden Tisches Heimerziehung (vgl. Runder Tisch Heimerziehung 2010) und der Care Leaver-Bewegung (vgl. Sievers/Thomas 2016) diskutiert. Dies steht im Kontrast zu einer wesentlich häufigeren Fremdunterbringung von Kindern in Deutschland im Vergleich zu England (vgl. Knuth 2008). Die hohe Anzahl der Kinder in der Fremdunterbringung wurde von der UN-Kinderrechtskommission 2014 bemängelt und gefordert, dass umfassender als bisher das Wohl der Kinder bei Fremdunterbringung berücksichtigt werden solle (Committee on the Rights of the Child 2014: 9).

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2.3 Beteiligungsrechte Die UN-Kinderrechtskonvention sieht mit Artikel 12 vor, dass bei allen Belangen, die das Kind betreffen, der Kindeswille berücksichtigt wird (UN 1989). In Deutschland und auch in den beiden anderen Ländern werden zunehmend das Recht auf Partizipation von Kindern und eine partnerschaftliche Erziehung als Wert und Recht anerkannt (vgl. Committee on the Rights of the Child 2009, 2014, 2016). Im Bereich der Abklärung einer Kindeswohlgefährdung haben in allen drei Ländern Kinder das Recht, eine eigene Gefährdung zu melden und sich beraten zu lassen, ohne dass die Eltern darüber informiert werden (in den Niederlanden gilt dies nur für eine Meldung beim AMHK). In Deutschland hat zudem jedes Kind das Recht in Obhut genommen zu werden, wenn sie oder er dies wünscht (§ 42 Abs. 1 SGB VIII). Auch bei der Entwicklung neuer Leitlinien im Kinderschutz zeigen sich zunehmende Bemühungen Betroffenenvertreter_innen mit einzubeziehen. Bei dem Einbezug der Eltern in das Verfahren zur Kindeswohlgefährdung zeigt sich in allen Ländern jedoch ein altersabhängiger Rechtsanspruch. In den Niederlanden soll beispielsweise jede Meldung und deren Inhalt mit den Kindern besprochen werden, wenn diese über 12 Jahre alt sind. Des Weiteren erhalten die Familien Kopien der Akten. In der Beteiligung von Kindern zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma der Entscheidungen um Kindeswohlgefährdung im Interesse des Kindes: Kindeswille und das Wohl des Kindes stehen nicht zwingend im Einklang miteinander. Einerseits dient ein paternalistischer Kinderschutz, der Kinder ‚unter eine Käseglocke stellt‘ nicht der Entwicklung von Kompetenzen und der Stärkung als eigenständige Person (Liebel 2009: 52). Andererseits kann einem Kind nicht die Verantwortung beispielsweise über die Einrichtung einer familienersetzenden Maßnahme übertragen werden, einer Entscheidung, die bereits Fachkräften wegen der Tragweite dieser schwer fällt.

2.4 Nachprüfbarkeit Ein wesentlicher Aspekt rechtsstaatlichen Handelns ist die Nachprüfbarkeit von Entscheidungen. Diesem wird auch in der UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 9 Rechnung getragen. Ein solcher Anspruch muss sich auch gerade an solche Verfahren richten, in denen einer Gefährdung des Kindeswohls nachgegangen wird. In England, den Niederlanden und Deutschland wird diesem Aspekt vor allem bei dem langfristigen Entzug oder der Beschränkung der elterlichen Sorge Rechnung getragen. Dieser Eingriff in das elterliche Recht beruht auf einem

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gerichtlichen Verfahren und kann somit geprüft und angefochten werden. Dem vorgeordnet ist häufig ein Verfahren durch das Jugendamt, bzw. der jeweiligen Behörde (vgl. Witte et al. 2016; Bouma et al. 2016; Baldwin/Biehal 2017). In allen drei Ländern wird bei der Entscheidungsfindung in einem solchen Verfahren durch die Einschätzung mehrerer Fachkräfte ein großer Stellenwert beigemessen. Allerdings unterscheiden sich diese Verfahren in der Art der Ausgestaltung. Während in Deutschland das Vier-Augen-Prinzip ausschlaggebend ist und in einzelnen Einrichtungen Entscheidungen immer in Rücksprache mit der Leitungskraft getroffen werden sollen (Lillig 2006), gibt das niederländische und das englische Kinderschutzsystem eine Entscheidungsfindung im Rahmen einer Konferenz mit mehreren Fachkräften als Maßstab vor (HM Government 2015: 43; Bouma et al. 2016: 2). Eine besonders starke Formalisierung findet sich im englischen System, in dem anderen Professionen aus dem Gesundheits- und Bildungswesen ein Widerspruchsrecht nach einer erfolgten Entscheidung eingeräumt wird (HM Government 2015: 41). Auch in den Richtlinien der einzelnen Länder zur Durchführung der Verfahren finden sich unterschiedlich stark strukturierende und reglementierende Vorgaben. So ist in England eine maximale Verfahrensdauer sowie das Einholen und Bewerten von Informationen stärker vorgegeben, als dies in Deutschland der Fall ist. Hier kommt der professionellen und fachlichen Einschätzung ein größerer Stellenwert zu. Gesetzlich vorgeschrieben sind ausschließlich Hausbesuche bei fachlicher Notwendigkeit und das Hinwirken auf die Inanspruchnahme von Hilfe (Information und Angebot von Unterstützungsmöglichkeiten).

3. Ausblick In allen drei Staaten besteht ein großes Bestreben, alle Kinder vor Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung in ihrer Herkunftsfamilie zu schützen. Auch wird in allen Ländern dem Spannungsfeld Rechnung getragen, das dadurch entsteht, dass bei einer Kindeswohlgefährdung der Wert des Schutzes vor Gewalt und der Wert der Aufrechterhaltung der Beziehung zur Herkunftsfamilie in Konkurrenz stehen. Dies ist in der Etablierung von präventiven Strukturen deutlich sichtbar. Dennoch werden solche Programme, wie beispielsweise die Frühen Hilfen, stärker in Deutschland und den Niederlanden forciert als dies in England der Fall ist. Vergleicht man die Staaten, so finden sich in allen Ländern im Rahmen des Kinderschutzes aber auch bei den Richtlinien zur Gestaltung von Verfahren eine erstaunlich geringe Auseinandersetzung mit Fragen der Diskriminierung und der sozialen Ungleichheit, welche eben auch Kinder betrifft. Eine Berücksichtigung dieser gesellschaftlichen und

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staatlichen Rahmenbedingungen fehlt. In allen drei Ländern wird der Schutz der Kinder vor Gewalt stärker hervorgehoben als Beteiligungsrechte. Der vorliegende Beitrag beruht auf einer umfassenden Analyse von Richtlinien und Gesetzen zu Verfahren zur Abklärung einer Kindeswohlgefährdung und ihre Einbettung in den gesellschaftlichen, politischen und fachlichen Diskurs in den jeweiligen Ländern. Aussagen über die tatsächliche Fallarbeit in der Praxis können auf dieser Grundlage nicht getroffen werden. So bleibt unklar, wie sich die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und praktischen Rahmenbedingungen gestaltet. Des Weiteren wurde die Frage nach den finanziellen und personellen Ressourcen ausgeklammert, die einen weiteren Indikator für die Wichtigkeit darstellen, welche der Staat einem Bereich beimisst und die den Zusammenhang zwischen Rhetorik und Praxis noch einmal moderiert. Die UN-Kinderrechtskonvention bietet einen nützlichen Rahmen für den Vergleich von Kinderschutzsystemen. Ihr besonderer Wert zeigt sich in dem Aufdecken von Themenbereichen, die in allen Staaten noch unzureichend gelöst sind, wie beispielsweise ein angemessener Einbezug von Kindern. Für eine vertiefte Analyse der Vorgehensweisen kann sie jedoch nur einen Ausgangspunkt und Werterahmen als Orientierung bieten. Es bleibt zu bedenken, dass Kinderschutz einen wesentlichen Bestandteil der Umsetzung von Kinderrechten darstellt, Kinderrechte aber weit mehr umfassen als einen effektiven Kinderschutz (vgl. Maywald 2009).

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Kinderrechte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

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Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aus der Perspektive der UNKinderrechtskonvention Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen Claudia Kittel

1. Einleitung Es ist Kernstück des „Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes“ von 1989 (BMFSFJ 2014; im Folgenden UN-Kinderrechtskonvention, Konvention oder UN-KRK), Kinder1 in ihrer Subjektstellung zu stärken. Sie sollen als eigenständige (Rechts-)Persönlichkeit respektiert und ernst genommen werden und nicht mehr als Objekte der Erziehung durch die Eltern oder den Staat. Ein zentrales Grundprinzip ist dabei das Recht des Kindes auf Gehör seiner Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten gemäß Artikel 12 UN-KRK. Dies beschreibt ein Grundrecht des Kindes, welches auch Beschwerdemöglichkeiten für Kinder einschließt. Der UN-Ausschuss fordert daher systematisch die Einrichtung von Kinderrechteinstitutionen in den Vertragsstaaten, die auch Beschwerden von Kindern entgegen nehmen und diese mittels kindgerechter Verfahren effektiv bearbeiten. Die weltweite UNICEFVergleichsstudie „Einsatz für Kinderrechte“ aus dem Jahr 2012 zeigt Deutschland als weißen Fleck auf der Übersichtsweltkarte hinsichtlich einer solchen Beschwerdefunktion (vgl. UNICEF 2012: 6). Dennoch gibt es auch in Deutschland bereits erste institutionalisierte Beschwerdemöglichkeiten. Insbesondere innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe hat es hier einige Entwicklungen gegeben, die aus kinderrechtlicher Perspektive zu begrüßen sind. Der vorliegende Beitrag benennt zunächst die zentralen generellen Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention für die Umsetzung der Kinderrechte und 1 Wenn im weiteren Text von Kindern gesprochen wird, dann sind damit gemäß Vorgaben aus Artikel 1 UN-KRK alle Menschen gemeint, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, auch wenn im deutschen Sprachgebrauch in diesem Falle meist von Kindern und Jugendlichen gesprochen wird. Da aber Jugend in Deutschland weit über das 18. Lebensjahr hinausgeht, müsste der Konkretisierung halber immer von Kindern und minderjährigen Jugendlichen gesprochen werden, wovon aus Gründen der besseren Leserlichkeit aber Abstand genommen wurde.

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richtet dann darauf basierend seinen Fokus auf Beschwerdeverfahren in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie die Notwendigkeit einer weiterreichenden Etablierung externer und unabhängiger Beschwerdestellen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.

2. Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention Die UN-KRK von 1989 ist eines der derzeit neun Menschenrechtsabkommen, die in Fortschreibung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entstanden sind. Unter diesen ist die UN-Kinderrechtskonvention jenes Menschenrechtsabkommen, dem bislang die meisten Staaten weltweit beigetreten sind. Die derzeit 196 Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, haben sich dazu verpflichtet, die in der Konvention verbrieften Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte2 von Kindern in ihrer nationalen Gesetzgebung zu verwirklichen. In Deutschland trat die UN-KRK am 05. April 1992 in Kraft – vorbehaltslos spätestens zum 10. Juli 2010 (vgl. Cremer 2011). Deutschland hat sich damit verpflichtet, die in der UN-KRK verbrieften Rechte aller Kinder auf deutschem Hoheitsgebiet zu verwirklichen, zu achten und zu schützen, auch vor Verletzungen der Kinderrechte durch Dritte.

2.1 Die vier Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention Das der Konvention innewohnende Bild der Kinder als vollumfängliche Menschenrechtsträger_innen spiegelt sich in den vier sogenannten Grundprinzipien der UN-KRK wider: dem Diskriminierungsverbot (Art. 2 UN-KRK), dem Vorrang des Wohls des Kindes (Art. 3 UN-KRK)3, dem Recht des Kindes auf Leben und Entwicklung in größtmöglichem Umfang (Art. 6 UN-KRK) und dem Recht des Kindes auf Berücksichtigung seiner Meinung, in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten (Art. 12 UN-KRK) (vgl. UNICEF 2007: 35).

2 Im Englischen wird hier von den drei P’s der Konvention gesprochen: protection, provision und participation. Die Übersetzung von provisions mit Förderrechten im Deutschen greift dabei ein wenig zu kurz, denn hier sind gemäß Vorgaben aus Artikel 4 UN-Kinderrechtskonvention sowohl Förderrechte als auch konkrete staatliche Leistungen, gemeint, die einem jeden Kind zugänglich gemacht werden sollen. 3 Aus Sicht der Monitoring-Stelle UN-KRK ist es notwendig an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass hier im englischen Original der UN-KRK von den „best interests of the child“ gesprochen wird und nicht von dessen „well-being“.

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Diese Grundprinzipien gilt es bei allen Fragen, die ein Kind bzw. Kinder betreffen, anzuwenden (vgl. UNICEF 2007: 35). Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Interpretationshilfen des UN-Ausschusses zu den einzelnen Artikeln der UN-KRK, die sogenannten ‚Allgemeinen Bemerkungen‘ (engl.: ‚General Comments‘)4. In den Ausführungen der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 zu Artikel 12 UN-KRK wird die Staatenverpflichtung, der Meinung von Kindern bei allen sie berührenden Angelegenheiten Gehör zu schenken und dieser auch angemessen Gewicht (engl.: ‚due weight‘) bei der Entscheidungsfindung zu verleihen, betont (vgl. UN, Committe on the Rights of the Child 2009: Ziffer 15). Artikel 12 gilt als Grundprinzip der Konvention, das in besonderem Maße die Subjektstellung von Kindern betont, da es diesen neben ihrer Schutzbedürftigkeit und neben allen Förderrechten eine direkte Einflussnahme auf ihr Leben garantiert; also genau das unterstreicht, was Kerngedanke der Entstehungsgeschichte der UN-KRK war (vgl. UN, Committee on the Rights of the Child 2008: Ziffer 18).

2.2 ‚Beschwerde‘ in der UN-KRK Die Vorgaben aus Artikel 12 UN-KRK sind eng verwoben mit der Funktion und Rolle von Beschwerden (engl.: ‚complaints‘) im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention. Zur Staatenverpflichtung zählt es, gemäß Allgemeiner Bemerkung Nr. 12, geregelte Verfahren für Beschwerden von Kindern bereitzustellen. Verfahren, die es dem Kind ermöglichen, seine Meinung, wie es in Artikel 12 Abs. 1 lautet, „frei zu äußern“ und diesem auch garantieren, dass seine Meinung Berücksichtigung finden wird5. Als zentrale Staatenverpflichtung wird dabei in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 die Bereitstellung von Mechanismen benannt, die dem Kind den Zugang zu allen notwendigen Informationen, der notwendigen Unterstützung und vor allen Dingen zu Beschwerdemöglichkeiten garantiert, die bei Problemen Abhilfe schaffen.

4 Die General Comments sind zwar nicht im strengen Sinne völkerrechtlich verbindlich; sie formulieren aber den jeweils aktuellen Stand der Interpretation der Menschenrechtsnormen durch die zuständigen Vertragsausschüsse der Vereinten Nationen und haben von daher politischrechtliches Gewicht (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte 2005: 5). 5 Artikel 12, Abs. 1 UN-KRK: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.”

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2.2.1 Beschwerdemöglichkeiten auf nationaler Ebene Bereits kurz nach seiner ‚Amtseinführung‘ hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Allgemeine Bemerkung Nr. 2 veröffentlicht, in der er die Einrichtung von sogenannten unabhängigen Kinderrechtsinstitutionen fordert – und deren Einrichtung sogar als „Bekenntnis der Unterzeichnerstaaten zur praktischen Anwendung der Konvention“ bezeichnet hat (UN, Committe on the Rights of the Child 2002). Laut Auffassung des UN-Ausschusses, sollten in allen Vertragsstaaten unabhängige Kinderrechtsinstitutionen geschaffen werden, zu deren Aufgaben neben der kritischen Überwachung der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auch die Annahme von Beschwerden von Kindern zählen soll, die hier mittels kindgerechter Verfahren effektiv bearbeitet werden. Ziel ist es, Kindern so den Zugang zu den in der Konvention verbrieften Rechten und zur direkten Einflussnahme in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten zu verhelfen. Ganz im Sinne der eingangs erwähnten Ursprungsidee der Konvention mit ihrem ‚Dreiklang‘ der Schutz-, Förder- aber eben auch Beteiligungsrechte von Kindern. Auch die UN-Kinderrechtskonvention selbst kennt seit 2012 eine solche individuelle Beschwerdemöglichkeit für Kinder auf internationaler Ebene. Mit Inkrafttreten des Individualbeschwerdeverfahrens in Form des dritten Zusatzprotokolls (UN, General Assembly 2011) können Kinder sich bei Verletzungen ihrer Rechte auch an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf wenden6.

2.2.2 Beschwerdemöglichkeiten für Kinder in Fremdunterbringung Die Staatenverpflichtung zur Bereitstellung von Beschwerdemöglichkeiten wird vom UN-Ausschuss insbesondere dann als Notwendigkeit benannt, wenn 6 Das Individualbeschwerdeverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention beinhaltet keine neuen Rechte für Kinder, sondern bietet ein Verfahren, mit dem die Verletzung von Kinderrechten vor den UN-Ausschuss gebracht werden kann. Wie alle Individualbeschwerdeverfahren der Vereinten Nationen hat dieser Prozess einen sogenannten „quasi gerichtlichen Charakter“. Besonders am Individualbeschwerdeverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention ist, dass dieses mit seinen „Verfahrensregeln“ (engl.: ‚rules of procedure‘) ein kindgerechtes Verfahren entwickelt hat, dass auch Kindern selbst das Einreichen von Beschwerden möglich machen soll. Darüber hinaus wird im Fakultativprotokoll ein Staatenmitteilungsverfahren beschrieben, wodurch ein Vertragsstaat dieses Verfahren gegenüber einem anderen bei vorliegender Übertretung geltend machen kann. Mehr Informationen unter Netzwerk Kinderrechte – National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland e.V.: Informationen zum Fakultativprotokoll ein Individualbeschwerdeverfahren betreffend: http://www. netzwerk-kinderrechte.de/un-kinderrechtskonvention/3-zusatzprotokoll-individualbeschwer de.html [Zugriff: 31.07.2017].

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Kinder nicht bei ihren Eltern aufwachsen, also fremd untergebracht sind (engl.: ‚in alternative care‘) oder sich in Einrichtungen in öffentlicher Verantwortung aufhalten (vgl. UN, Committee on the Rights of the Child 2009: Ziffer 97). Zur Sicherung der Vorgaben aus Artikel 12 Abs. 1 UN-KRK für Kinder, die fremd untergebracht sind, werden in der Allgemeinen Bemerkung folgende Kernelemente genannt, die es von Seiten der Vertragsstaaten bereitzustellen gilt (vgl. ebd.): 





Eine Gesetzgebung, die Kinder ins Zentrum ihrer Angebote stellt und diesen das Recht auf Information über jede der geplanten Maßnahmen/Leistungen sowie Gehör ihrer Meinung und deren Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung sichert. Die Einrichtung einer Kinderrechteinstitution (in Form einer Ombudsperson bzw. -stelle oder einer bzw. einem -beauftragten), die Zugang zu allen Einrichtungen hat und sich direkt mit den Kindern in einer Einrichtung austauschen kann sowie sich einen Überblick darüber verschaffen kann, wie in der jeweiligen Einrichtung mit den Anliegen von Kindern verfahren wird7. Und last but not least: die Stärkung von effektiven Mechanismen der Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen (beispielsweise in Form von Einrichtungsräten), die direkten Einfluss auf die Konzepte und Regeln der jeweiligen Einrichtung haben.

3. Beschwerdemöglichkeiten für Kinder in Deutschland Rein rechtlich betrachtet sind Minderjährige in Deutschland hinsichtlich ihrer Beschwerdemöglichkeiten eingeschränkt. Sie haben nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, beispielsweise selbst Verfahren vor Gericht oder gegenüber der Verwaltung einzuleiten. Gemäß der Vorgaben aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes steht ihnen dieser Weg lediglich über ihre Eltern bzw. Vormünder zur Verfügung (mit Ausnahmen im Familienrecht nach Vollendung des 14. Lebensjahres) (vgl. Schimke 2016: 8). Diese generelle Einschränkung von Kindern hinsichtlich ihres Zugangs zum Recht ist von einem Schutzgedanken ge-

7 Diese Rolle der Kinderrechte-Institution hinsichtlich der Beschwerden von Kindern in Fremdunterbringungen betonen auch die „Guidelines for the Alternative Care of Children“, die 2010 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurden (vgl. UN, General Assembly 2010: Ziffer 130 a). Darüber hinaus sichert Artikel 25 UN-KRK jedem Kind, das sich in einer Einrichtung befindet, „[…] das Recht auf eine regelmäßige Überprüfung der dem Kind gewährten Behandlung sowie aller anderen Umstände, die für seine Unterbringung von Belang sind.“

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tragen und nicht grundsätzlich von Nachteil. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Rollenverhältnis zwischen Eltern und Kind in Deutschland sehr gewandelt hat und dies auch seinen Niederschlag im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gefunden hat8. In den meisten Vertragsstaaten der UN-KRK steht Kindern der Rechtsweg lediglich über ihre Eltern oder andere Sorgeberechtigten zur Verfügung. Dies wird von der UN-KRK auch ausdrücklich begrüßt und im Sinne der elterlichen Verantwortung für die Verwirklichung der Rechte ihrer Kinder (Artikel 5 UNKRK) auch nicht in Frage gestellt. Dennoch fordert die UN-Kinderrechtskonvention darüber hinaus individuelle Beschwerdemöglichkeiten für Kinder, insbesondere dann, wenn diese fremduntergebracht (engl.: ‚in alternative care‘) sind.

3.1 Beschwerdemöglichkeiten für Kinder innerhalb der Kinderund Jugendhilfe Auch in Bezug auf die Erziehung in öffentlicher Verantwortung hat in Deutschland, mit den zahlreichen Novellierungen die das SGB VIII in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, ein deutlicher Wandel hin zu einer Verbesserung der (Rechts)Subjektstellung von Kindern stattgefunden. Rechtlich wurde einer Willkür der Erziehung durch Erwachsene (sei es in der Familie oder in der öffentlich verantworteten Erziehung) spätestens mit in Kraft treten des „Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ im Jahr 2000, ein Riegel vorgeschoben. Einen weiteren Wendepunkt stellte die Aufarbeitung der Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland (AGJ 2010) und die Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR (AGJ 2012) dar. Die in diesem Zusammenhang – auch unter Beteiligung ehemaliger Heimkinder – entwickelten Forderungen zum Schutz von Kindern vor Übergriffen durch Erwachsene, enthielten immer wieder auch den Ruf nach unabhängigen Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen.

8 Dass Kinder selbst auch Träger eigener Rechte sind, ist in Deutschland spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 29.07.1968 zum Wesen des Elternrechts manifestiert. Mit der Reform des Sorgerechts 1979 wurde der Begriff der „elterlichen Gewalt“ durch die „elterliche Sorge“ abgelöst und in Verbindung damit die Eltern gemäß § 1626 Abs. 2 BGB verpflichtet „[…] die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln […]“ zu achten. Eine Entwicklung hinsichtlich der Wahrnehmung der Subjektstellung des Kindes, die aus kinderrechtlicher Perspektive sehr begrüßenswert war.

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3.2 Beschwerdeverfahren in Einrichtungen Der Ruf nach Beschwerdemöglichkeiten in Einrichtungen fand seinen Wiederhall im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes, das 2012 in Kraft trat. Die im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes eingeführten Vorgaben gemäß § 45 SGB VIII, Abs. 2 Nr. 3, dass zur Erteilung einer Betriebserlaubnis „[…] zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden […]“müssen, sind aus kinderrechtlicher Perspektive absolut begrüßenswert. Zu bemängeln ist lediglich, dass die Regelung keine Anwendung auf schon bestehende Einrichtungen findet. Denn aus kinderrechtlicher Perspektive sollte jede Einrichtung der Kinderund Jugendhilfe Beschwerdeverfahren vorhalten, um systematisch und in ihrem Weg sowie hinsichtlich ihrer Wirkmöglichkeiten in einer für das Kind transparenten Art und Weise zu arbeiten. Bei all diesen Beschwerdeverfahren sollte das Kind Subjekt des Verfahrens sein. In der 2015 veröffentlichten Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes geben zunächst 70% aller Einrichtungen an, ein institutionalisiertes Beschwerdeverfahren vorweisen (vgl. BMFSFJ 2015: 121). Es bleibt hierbei jedoch offen, welche Minimalanforderungen diesen Beschwerdeverfahren zugrunde gelegt wurden und ob dieses dem Kriterium einer umfassenden Transparenz wirklich gerecht wurde. Eine begrüßenswerte Begleiterscheinung der Einrichtung der Beschwerdeverfahren nach § 45 SGB VIII ist noch zu nennen: Zahlreiche Studien zu Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe haben deutlich gemacht, dass dies nicht ohne eine Auseinandersetzung aller Fachkräfte in einer Einrichtung hinsichtlich der Frage nach einer regelrechten ‚Beteiligungskultur‘ im Sinne der eingangs erwähnten Vorgaben aus Artikel 12 UN-KRK und dem Recht des Kindes auf Gehör seiner Meinung sowie der Reflexion der eigenen Haltung der Fachkräfte in einer Einrichtung geschehen kann (vgl. Hansen/Knauer 2015; Hartig/Wolff 2013; Urban-Stahl 2013).

3.3 Externe Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe Zu differenzieren ist ein solches internes Beschwerdeverfahren aus kinderrechtlicher Perspektive von der Funktion einer externen, unabhängigen Beschwerdestelle mit den eingangs erwähnten Befugnissen. Eine solche Beschwerdestelle wird vom UN-Ausschuss auf nationaler Ebene empfohlen. Im Zuge der letzten Berichterstattung vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zum zusammengelegten Dritt- und Viertbericht der Bun-

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desregierung gemäß der Vorgaben aus Artikel 44 UN-KRK (vgl. UN, Committee on the Rights of the Child 2012), hatte der Ausschuss Deutschland erneut aufgefordert, eine Kinderrechtsinstitution auf nationaler Ebene einzurichten. In seinen sogenannten „Abschließenden Bemerkungen“ schlug er vor, diese Funktion zusammen mit dem Monitoring der UN-KRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte anzusiedeln (vgl. UN, Committee on the Rights of the Child 2014: Ziffer 18). Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands, die gemäß der Vorgaben der sogenannten „Pariser Prinzipien“ (vgl. UN, General Assembly 1993) der Vereinten Nationen unabhängig ist. Dieser erneuten, nachdrücklichen Empfehlung des UN-Ausschusses ist die Regierung gefolgt und hat über Mittel des Kinder- und Jugendplans des Bundes eine zweijährige Aufbauphase für die Einrichtung einer Monitoring-Stelle zur UN-KRK am Deutschen Institut für Menschenrechte ermöglicht. Anders als dies vom UN-Ausschuss in Genf empfohlen wurde, bearbeitet die Monitoring-Stelle keine Beschwerden von Kindern. Nach vertiefender Befassung mit den in Deutschland vorhandenen Beschwerdemöglichkeiten für Kinder in den unterschiedlichen Säulen der Gerichtsbarkeit und den unterschiedlichen Lebensbereichen erscheint es aus Sicht der Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention wenig sinnvoll, eine solche Stelle auf nationaler Ebene anzusiedeln. Auch Beschwerdestellen – in ihrer Funktion als unabhängigen Stellen – gilt es aus Sicht der MonitoringStelle näher am unmittelbaren Lebensumfeld von Kindern zu verorten, nicht zuletzt deshalb, damit sie dem Kriterium aus der Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 gerecht werden können, für Kinder auch wirklich erreichbar zu sein. Mit Blick auf die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, lässt sich aus kinderrechtlicher Perspektive das Fehlen einer externen und unabhängigen Beschwerdestelle festhalten. Ombudschaften, wie sie sich mit Gründung des „Berliner Rechtshilfefonds Kinder- und Jugendhilfe e.V.“ 2002 vermehrt innerhalb der Kinder und Jugendhilfe entwickelt haben und wie sie sich 2012 im „Bundesnetzwerk Ombudschaften Kinder- und Jugendhilfe e.V.“ zusammengeschlossen haben, definieren Ombudschaft nach skandinavischem Vorbild „[…] als eine unparteiische Vorgehensweise bei Streitfragen, in der die Interessen der strukturell unterlegenen Partei durch die Ombudsperson besondere Beachtung finden […]“ (Urban-Stahl 2012: 5) Auf Basis dieser Grundlage genügen diese den Vorgaben einer Beschwerdestelle aus Sicht der UN-Kinderrechtskonvention – wenn auch ihr eingegrenzter Zuständigkeitsbereich aus kinderrechtlicher Perspektive insgesamt weiterhin kritisch zu betrachten ist. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um das Gesetz zur Stärkung von Kinder und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) in der aktuellen Wahlperiode9, bleibt zu hoffen, dass der im Entwurf enthaltene neue 9 Der hier in der Entwurfsfassung neu aufgeführte § 9a Ombudschaften lautet: „Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann eine Ombudsstelle oder vergleichbare Strukturen errichten, an

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§ 9a Ombudschaften seinen im Rahmen der (sehr kritischen) Auseinandersetzungen zum Gesetzesentwurf noch eingeführten Zusatz über das Charakteristikum einer unabhängigen Arbeit der Ombudschaften nicht wieder verliert. Dies ist hier auch mit Blick darauf vermerkt, dass diese zum einen das Vertrauen der betroffenen Kinder in solche Stellen stärken und zum anderen die Akzeptanz der Entscheidungen dieser Stellen im Falle einer ‚Schlichtung‘ zwischen zwei ‚Streitparteien‘ erhöhen würde.

4. Kinderrechte und Beschwerdemöglichkeiten – Ein kurzer Ausblick Dieser Beitrag verdeutlichte die bereits bestehenden Möglichkeiten, an der Realisierung der Kinderrechte über transparente Beschwerdemöglichkeiten in Deutschland zu arbeiten sowie die dazu geschaffenen zentralen Regelungen und Institutionen. Doch auch für die Zukunft muss die Umsetzung der UNKRK im Hinblick auf diesen Bereich auch in Deutschland weiter überprüft werden. Formell muss Deutschland im April 2019 seinen nächsten Staatenbericht gemäß Artikel 44 UN-KRK beim UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes einreichen. Dann gilt es, dort auch inhaltliche Rechenschaft darüber abzulegen, welche Beschwerdemöglichkeiten Kindern in Deutschland konkret zur Verfügung stehen und ob diese transparent für Kinder sind und mittels kindgerechter Verfahren arbeiten. Vor dem Hintergrund der Ausführungen aus diesem Beitrag und um den Ansprüchen der UN-KRK gerecht zu werden, wäre Deutschland aus Sicht der Autorin dann gut beraten, bis dahin sowohl die gesetzlichen Rahmungen für interne Beschwerdeverfahren für alle Kinder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als auch für externe und unabhängige Beschwerdestellen in Form der Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen zu haben. Hinsichtlich des perspektivisch wünschenswerten Zugangs zu unabhängigen Beschwerdestellen für alle Kinder mit all ihren Anliegen wäre dies sicherlich ein wichtiger weiterer Schritt in die konkrete Umsetzung der menschenrechtlichen Ansprüche der UN-KRK.

die sich junge Menschen und ihre Familien zur allgemeinen Beratung sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe wenden können. Ombudsstellen oder vergleichbare Strukturen arbeiten unabhängig und sind fachlich nicht weisungsgebunden.“ (DIJuF-Synopse zum Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen) (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), Stand: 28.6.2017, http://kijup-sgbviii-reform.de/wp-content/uploads/2016/07/DIJuF-Synopse_Gesetz-zur-St%C3%A4rkung-vonKindern-und-Jugendlichen_28.06.2017-1.pdf [Zugriff: 31.07.2017]).

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Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen

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Menschenrechte als Bezugsrahmen für die Soziale Arbeit mit älteren Menschen Menschenrechte und Soziale Arbeit mit älteren Menschen Marina Vukoman und Ann-Christin Heming

1. Einleitung Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen älterer Menschen sind alltäglich und ein weltweites Phänomen. Physische Barrieren oder Vorurteile, aber auch eine insgesamt unzureichende Umsetzung geltender Menschenrechte behindern ältere Menschen in ihrer Lebensgestaltung und -qualität und missachten staatliche Schutz-, Gewährleistungs- und Achtungspflichten (vgl. Mahler 2013: 27ff). Die Menschenrechte Älterer sind – anders als etwa die von Kindern oder Menschen mit Behinderungen – nicht explizit in einer Konvention verankert, sondern Bestandteil der Universalität der Menschenrechte. Sowohl auf nationaler Ebene (z.B. im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz) als auch auf internationaler Ebene (z.B. in der UN-Behindertenrechtskonvention) zeigt sich jedoch eine explizite Berücksichtigung des Merkmals „Alter“ als Diskriminierungsgrund. Auch in der politischen Diskussion rücken menschenrechtsverletzende Problemlagen Älterer ins Blickfeld. Dies spiegelt sich in Aktionsplänen und Themenjahren wieder, die allerdings nicht mit Rechtsansprüchen für ältere Menschen verbunden sind. Zudem sind Bemühungen zu beobachten, die Menschenrechte Älterer zu stärken, z.B. im Rahmen der UN„Open-ended Working Group on Ageing“ (Mahler 2013; 2017). In unserem Beitrag soll es jedoch nicht darum gehen, wie der defizitären Verankerung der Rechte Älterer Abhilfe geschaffen werden kann und ob es dazu einer Menschenrechtskonvention speziell für ältere Menschen bedarf. Vielmehr stellen, dessen ungeachtet, die Menschrechte in unserem Beitrag eine Basis für eine kritische Haltung zum professionellen Handeln der Sozialen Arbeit und eine „individual- und gesellschaftsdiagnostische Kategorie“ (Staub-Bernasconi 2008: 12) dar. Im Besonderen steht die kritische Auseinandersetzung mit Leitbildern, Methoden und Konzepten der Praxis Sozialer Altenarbeit in Bezug auf Diskriminierungstendenzen in unserem Fokus. Dazu werden zunächst die Diskriminierungen älterer Menschen und ihr theoretischer Hintergrund in den Blick genommen. Anschließend wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Transformationsprozesse eine Gefahr für die Soziale (Alten-)Arbeit als Menschenrechtsprofession darstellen, um schließlich an-

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hand des Praxisfeldes der altersintegrierten Quartiersentwicklung die Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung von Menschenrechten sowie dessen Bedeutung für die Soziale Altenarbeit zu erläutern.

2. Menschenrechte, Diskriminierung und Alter: Theoretischer Überblick Der Schutz vor Diskriminierung ist als ein Strukturprinzip der Menschenrechte zu verstehen, das auf Art. 1 und damit dem Prinzip der Universalität der Menschenrechte beruht (vgl. Mahler 2013: 14). Unterschieden werden können Diskriminierungen etwa in symbolische und sprachliche, individuelle oder institutionelle Diskriminierungen (aufgrund des Alters). Zudem kann zwischen mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung differenziert werden. „Wird etwa eine Stelle im Internet ausgeschrieben, so ist diese Information zwar prinzipiell für alle zugänglich. Aufgrund der geringeren Nutzung des Internets bei älteren Personen ist aber davon auszugehen, dass diese mehr Schwierigkeiten haben werden, an diese Information zu gelangen“ (Rothermund/Temming 2010: 23) – es handelt sich hierbei also um eine mittelbare Diskriminierung. Unmittelbar diskriminiert würden Ältere z.B., wenn eine Stellanzeige eine Altersbeschränkung formuliert: „suchen junge, motivierte und zuverlässige Aushilfe“. Im Folgenden soll anhand verschiedener Beispiele von Menschenrechtsverletzungen und Altersdiskriminierungen auf individueller und institutioneller Ebene sowie in gesellschaftspolitischen Diskursen ein theoretischer Überblick über das Thema gegeben werden. Altersdiskriminierungen zeigen sich darüber hinaus auch in stereotypisierenden Theorien des Alter(n)s, wie etwa der Disengagementtheorie (Cumming/Henry 1961) oder der Aktivitätsthese (Havighurst/Albrecht 1953). Denn sie zeichnen ein vermeintlich einheitliches, erfolgreiches (nicht-) Altern/optimiertes Altern oder aber zurückgezogenes Alter(n) und vernachlässigen die Bedeutung von Lebenslagen zugunsten individueller Gestaltungsmöglichkeiten des Alternsprozesses (vgl. van Dyk 2015). Anders als gängige Vorurteile über ‚das‘ Alter(n) glauben machen wollen, erweist sich dieses als sehr vielfältig. Dass sich die Bevölkerungsgröße, Altersstruktur und Bevölkerungszusammensetzung in unserer Gesellschaft verändern, ist hinlänglich bekannt. Auch die Lebensphasen des Alter(n)s unterliegen einem Strukturwandel, der unter den Schlagworten Entberuflichung, Verjüngung, Feminisierung, Singularisierung und Hochaltrigkeit zusammengefasst wird (vgl. Tews 1993; Backes/Clemens 2013). Welche Möglichkeiten Individuen zur Entfaltung ihrer Grundanliegen haben, unabhängig davon, für

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welche Möglichkeit sie sich im Konkreten entscheiden, steht im Fokus des Lebenslagenansatzes. Einige Aspekte des in der Zwischenkriegszeit von Otto Neurath entwickelten und vielfach rezipierten Ansatzes sind bis heute wegweisend. Er beruht auf der Grundannahme, dass prekäre Lebenslagen nicht einfach auf individuelles Fehlverhalten zurückzuführen und durch soziale Disziplinierung und Fürsorge zu bewältigen sind, sondern der Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Strukturordnung und der individuellen Lebenslage in den Blick genommen werden muss. Das Lebenslagenkonzept betont, dass die strukturellen Rahmenbedingungen „eine konstituierende Bedeutung für die Ausprägung einer bestimmten ‚Lebenslage‛ [Hervorhebung im Original]“ (Voges et al. 2003: 39) innehaben. Zudem hebt es die Mehrdimensionalität der Lebensumstände hervor: die Handlungsspielräume unterscheiden sich im Hinblick auf den Einkommens- und Vermögensspielraum, Kontakt- und Kooperationsspielraum, Lern- und Erfahrungsspielraum, Muße- und Regenrationsspielraum sowie Dispositions- und Partizipationsspielraum (Nahnsen 1975; 1992 zit. n. Voges et al. 2003: 41f.). Eine Übersetzung des Konzeptes für die Sozialpädagogik und -arbeit gelang durch die Rezeptionen von Anton Amann und Lothar Böhnisch in den 1990er Jahren (vgl. Hey 2000). Die Mehrdimensionalität des Strukturwandels, der Lebenslagen und die Intersektionalität sozialer Ungleichheitsdimensionen innerhalb einer Lebenslage (z.B. alleinstehend, weiblich, hochaltrig) machen deutlich, dass Alter aufgrund zunehmender Pluralisierungstendenzen und der zeitlichen Ausdehnung schwerlich auf eine klar abgrenzbare Lebensphase zu reduzieren ist. Alter(n) und die Möglichkeiten der Realisierung von Menschenrechten, wie etwa Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, erweisen sich vielmehr in Folge dieser vielfältigen Differenzierungsprozesse und hohen interindividuellen Unterschiede, auch biografischen Prägungen, als sehr heterogen: es gibt also nicht ,das‘ Alter. Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen können sich z.B. auf das chronologische Alter oder äußerliche Alterserscheinungen beziehen. AntiAging Produkte, Bilder vom Alter(n) in der Werbung, vermeintliche Komplimente („Sie sehen aber gar nicht so alt aus, wie Sie sind!“) aber auch Zuschreibungen in Hinblick auf die Zurechnungs- und Belastungsfähigkeit älterer Menschen diskriminieren Individuen und Gruppen in ihrem Alltag und schränken ihre Autonomie ein. Mit diesen individuellen Formen der Diskriminierung und darüber hinaus auch mit den „Rahmenbedingungen einer strukturell das Alter abwertenden Gesellschaft“ (van Dyk 2015: 125) befasst sich ageism. Der Begriff „ageism“ ist geprägt worden durch den amerikanischen Gerontologen Robert Butler, der 1986 in Zusammenhang mit dem sozialen Wohnungsbau für sozial schwächer gestellte Ältere von ageism in Abgrenzung zu Rassismus sprach (Butler 1989). Ageism, definiert im weiten Sinne, umfasst jede Form von Stereotypisierung, Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber jedem Lebensalter (vgl. u.a. Bytheway 2005; Laws 2009). Institutionelle Formen des ageism finden sich beispielsweise in der Gesetzgebung und können sowohl

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einen Ausschluss aus gesellschaftlichen Systemen durch Altersgrenzen (Beschränkungen) wie auch eine Gewährung von Leistungen aufgrund des chronologischen Alters bedeuten (Privilegien aufgrund der Stigmatisierung von Personen als bedürftig) (vgl. Bytheway 2005). Bei der Gefahr der Altersarmut oder aber einem fehlenden verbindlichen Menschenrechtsrahmen für die (stationäre) Pflege (vgl. Aronson/Mahler 2016) handelt es sich ebenfalls um institutionelle Formen von ageism. Welche Rolle Alter(n) in gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen und Diskursen zukommt und damit auch der Frage, wie individuelles und kollektives Verhalten durch Regierungen gesteuert werden, steht im Fokus der „foucauldianischen Gerontologie“ (vgl. van Dyk 2015). Im Rückgriff auf die Arbeiten von Michel Foucault setzt diese sich damit auseinander, wie sich neue Machtverhältnisse mit Mitteln der (Selbst-)Regierung bzw. (Selbst-)Steuerung des Alterns durchsetzen, die eine repressive, disziplinierende Machtausübung weitestgehend abgelöst haben und sich in Menschenrechtsverletzungen älterer Menschen niederschlagen können. Der demografische Wandel, mal als „Herausforderung“ betitelt, manchmal direkt als „Bedrohung“ formuliert, wird von Politik und Wirtschaft nicht selten als Legitimation für Leistungskürzungen, Beitragserhöhungen oder Umstrukturierungen gesellschaftlicher Systeme herangezogen (vgl. van Dyk 2007; 2015). Ein solches Bedrohungsszenario kann als konstruierte Wahrheit im Sinne der foucauldianischen Gerontologie ein Mittel zur Durchsetzung eigener Machtverhältnisse darstellen. Auch Leitbilder des aktiven und erfolgreichen Alterns schaffen den Rahmen für (Selbst-)Steuerung bzw. -regierung, für die Zuschreibung von Eigenverantwortung im neoliberalen Aktivierungsstaat. Sie sind eine „moralische Anleitung zum ,vernünftigen‘ Sich-Verhalten [Hervorhebung im Original]“ (van Dyk 2015: 77) sowie zu einer Selbstoptimierung der alternden Menschen (vgl. van Dyk 2015: 76f.). Mit Blick auf die Soziale Arbeit können vor diesem Hintergrund Leitkonzepte der Selbstbestimmung und des Empowerments womöglich umschlagen in eine sich unterwerfende Form der Selbstoptimierung und Selbstkontrolle. Vor dem Hintergrund dieses kurzen theoretischen Überblicks stellen sich für die Soziale (Alten-) Arbeit folgende Fragen:  

Welche Rolle kommt angesichts derartiger Ambivalenzen den Menschenrechten in der Sozialen Altenarbeit1 zu? Inwiefern spiegeln sich Entmächtigung und Instrumentalisierung im Sinne von individuellen und institutionellen Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen älterer Menschen in den Methoden, Konzepten und Leitbildern der Sozialen (Alten-)Arbeit wieder?

1 Die Autorinnen fokussieren sich im Weiteren auf den Bereich der offenen Altenarbeit und schließen die Perspektiven der (teil-)stationären Bereiche der Altenhilfe aus der Betrachtung aus.

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Wie kann es der Sozialen Altenarbeit gelingen, Selbstbestimmung (im eigentlichen Sinne) älterer Menschen zu fördern und Menschenrechtsverletzungen zu begegnen?

3. Transformation Sozialer Altenarbeit – eine Gefahr für die Menschenrechtsprofession? Der alte Wohlfahrtsstaat, wie er bisher existierte, steckt – verkürzt gesagt – in einer ‚Krise‘ (vgl. Lessenich 2012). Die komplexen Diskurse zur Ursache reichen dabei von Debatten über die Unbezahlbarkeit des Sozialstaates über Argumente des Leistungsmissbrauchs bis hin zur neoliberalen Kritik an der Freiheitsbeschneidung und den Entwicklungshemmnissen des Marktes durch den Sozialstaat. Die ‚Sozialstaatskrise‘ ist jedoch nicht durch diesen selbst hervorgerufen, sondern vielmehr Folge von ‚Wirtschafts- und Beschäftigungskrisen‘ (vgl. Butterwegge 2014: 79). Dies führt seit einigen Jahren zu einer sozialstaatlichen Transformation, weg vom fürsorglichen hin zum aktivierenden Sozialstaat (vgl. Lessenich 2012). Der damit vollzogene Wandel im Wohlfahrtsstaatsverständnis führte u.a. auch dazu, dass eine „Neubetonung und Ausweitung der Subsidiarität unter dem Primat der Aktivierung zu erkennen [ist], die auch bedeutet, dass Eigenverantwortung, Selbstaktivierung und Selbstdressur nicht nur erwartet, sondern auch gefordert und (falls notwendig: mit Zwang) durchgesetzt wird“ (Dahme et al. 2008: 273). Zudem werden die Aspekte der Autonomie und Selbstbestimmung betont, die einerseits grundlegende Menschenrechte sind, andererseits ganz den neoliberalen Erwartungen an die Bürger_innen entsprechen. Diese „neosozialen“ (Lessenich 2003: 81) Entwicklungen wirken längst auf die Soziale Arbeit und formulieren neue Anforderungen an die Profession (vgl. hierzu auch Kessl 2013). Nicht zufällig lauten die neuen Paradigmen der Sozialen Arbeit ebenfalls Aktivierung, Eigenverantwortung, Autonomie und Selbstbestimmung (vgl. u.a. Götsch/Kessl 2017). Seithe warnt jedoch davor, dass die ethischen Orientierungspunkte der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit im Rahmen der Neoliberalisierung verloren gehen (vgl. Seithe 2012: 362). Die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit hat zudem Folgen für die Soziale Praxis. Als Beispiel sei hier die neuere Entwicklung in Deutschland zu einer „Evidenzbasierten Sozialen Arbeit“2 zu nennen, die auf Grundlage zertifizierter Instrumente u.a. versucht, förderfähige von marginalisierten Menschen zu unterscheiden (vgl. Dahme et al. 2008: 273). Demnach „versteht neosoziale Soziale Arbeit sich nicht mehr als theoretisch geleitete

2 Zur „Evidenzbasierten Sozialen Arbeit“ siehe ausführlicher Borrmann/Thiessen (2016).

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Handlungswissenschaft, sondern als ‚wissenschaftlich fundierte Versorgungspraxis‘ [Hervorhebung im Original]“ (Seithe 2012: 340). Vor dem Hintergrund dieser Transformationsprozesse wäre zu überprüfen, inwiefern die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession in Gefahr geraten kann, wenn die neosozialen Entwicklungen unkritisch übernommen werden. Insbesondere im Feld der offenen Altenarbeit verstärkt sich die Wirkung der aktivierenden Sozialpolitik, da die Finanzierung hier besonders von Bundesund Landesprogrammen abhängig ist (vgl. Schweppe 2012; Aner/Köster 2016). Exemplarisch soll im Folgenden dargestellt werden, inwieweit sich die beschriebenen Entwicklungen, u.a. im Kontext der gesetzlichen Verankerungen, in der Sozialen Altenarbeit niedergeschlagen haben: 







Die Praxis der offenen Altenarbeit wird in den Kommunen sehr unterschiedlich umgesetzt, da das Altenhilfegesetz nach § 71 SGB XII in den Kommunen vor allem als freiwillige Leistung gilt. Dadurch kommt es in Deutschland zu großen Unterschieden in der Versorgung Älterer (vgl. Kraus 2003: 33f.; Aner 2013: 305f.). Offene Angebote der Altenhilfe sind in Deutschland ungleich, unsystematisch und nicht einklagbar. Sie hängen insbesondere von sich verändernden politischen Leitbildern bzw. Diskursen um das Alter(n) sowie den Adressierungen älterer Menschen in der Sozialen Arbeit (vgl. Aner 2017: 429) und der damit zusammenhängenden Priorisierung in kommunalen Haushaltsentscheidungen ab. Durch die gesetzliche Trennung von Pflege und Altenhilfe im Zuge der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1995, kam es zu erschwerten Bedingungen in der Umsetzung einer umfassenden Gesundheitsversorgung (vgl. Aner 2013: 307), indem die Hilfen für ältere Menschen vor allem im ökonomisierten Gesundheitswesen angesiedelt wurden und als „körperbezogene […] Hilfeleistungen“ (Aner 2013: 306) verstanden werden. Hinzu kommt, dass der Sozialen Arbeit im Rahmen der Pflegeversicherung kaum noch legitime Aufgaben zugeschrieben werden (vgl. Kraus 2003: 34). Bedarfe älterer Menschen, die über pflegerische Unterstützungen hinausgehen, wie beispielsweise Bedarfe nach sozialen Kontakten oder Unterstützung bei der Gestaltung der freien Zeit, wurden bislang weitestgehend ausgeklammert. Seit den 1990er Jahren rücken die ‚produktiven Älteren‘ sowohl in Politik und Wissenschaft als auch in der Altenarbeit als Zielgruppe in den Vordergrund (vgl. u.a. Amann et al. 2010: 49, 67; Aner 2010: 41f.). Die Orientierung der Altenarbeit an den Bedarfen vulnerabler Gruppen, sozusagen den ‚unproduktiven Alten‘, läuft im Umkehrschluss Gefahr, aus dem Blickfeld zu geraten. Zudem sind auch paradoxe Tendenzen festzustellen: Ein relativ junges Feld der Altenarbeit ist die gesellschaftliche (Re-)Integration der sogenannten ‚jungen Alten‘, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind bzw. ausscheiden mussten (vgl. Schweppe 2012; Aner 2010). Einerseits wird der Ruhestand als sozialpolitische Errungenschaft angesehen, andererseits ist ‚gesellschaftliche Inaktivität‘ älterer Menschen im Neoliberalismus offensichtlich nicht tragbar (vgl. u.a. Amann et al. 2010: 47ff.).

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4. Partizipation und Quartiersentwicklung als Möglichkeit zur Realisierung von Menschenrechten 4.1 Soziale Arbeit und Quartiersentwicklung Laut der internationalen (Melbourne-)Definition Sozialer Arbeit von 2014 hat diese die „principles of social justice, human rights, collective responsibility and respect for diversities“ (IFSW/IASSW 2014) zu beachten3. Bereits früher vorliegende Definitionen münden in „Standards in Social Work Practice meeting Human Rights“, die hier zwar nur exemplarisch aufgelistet werden, jedoch insbesondere für die offene Altenarbeit als relevante Handlungskonzeptionen anzusehen sind. Hier sind vor allem die Förderung der Inklusion vulnerabler Gruppen, das Aufzeigen und Beseitigen von Barrieren und Ungleichheiten, die Unterstützung bei der Nutzung von sozialen Diensten sowie die Ermutigung zum Engagement für die eigenen Anliegen zu nennen (vgl. IFSW 2012). Die Transformation der Sozialen Arbeit zeigt sich vor allem in veränderten Aufgabenbereichen und in der Entstehung neuer (oder wiederentdeckter) Handlungsfelder. Im Anschluss an die Dezentralisierung von sozialpolitischer Steuerung von der kommunalen auf die subkommunale Ebene (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2011: 12f.) hat die Soziale Altenarbeit in vergangener Zeit ihre Aufgabenbereiche ebenfalls auf die subkommunale bzw. Quartiersebene verlagert. Soziale (Alten-)Arbeit agiert zunehmend sozialraumorientiert (vgl. Kessl/Reutlinger 2010: 16) und bearbeitet Fälle dezentral im Stadtteil, was eine starke Vernetzung der beteiligten Akteur_innen vor Ort einschließt (vgl. Rüßler/Heite 2017). Ein relativ junges Handlungsfeld der Altenarbeit stellt dabei die Quartiersentwicklung dar (vgl. u.a Kricheldorff 2015). Dieser Arbeitsbereich wird häufig in Form von Projekten durchgeführt, die aus Finanzierungsquellen der Bundes- oder Landesprogramme hervorgebracht werden. Ziele der Quartiersentwicklungsprozesse sind vielfältig und rücken insbesondere die Stärkung der Autonomie der (älteren) Bewohner_innen und die (partizipative) Gestaltung der Lebensumwelt in den Fokus der Vorhaben, um einen längeren Verbleib in der gewohnten Umgebung sowie eine bessere Lebensqualität zu gewährleisten. Neben unterschiedlichen Zielsetzungen ist das Handlungsfeld auch durch diverse Adressat_innengruppen geprägt. So können ehrenamtliche Ermöglichungsstrukturen für interessierte Ältere aufgebaut werden (z.B. Ausbildungen zum/r ehrenamtlichen Patientenbegleiter_in, Lots_innen durch das Altenhilfesystem etc.) sowie auch diejenigen adressiert werden, die sich aufgrund von Altersphänomenen in prekären Lebenslagen be-

3 Zu den problematischen Aspekten dieser neuen Definition vgl. auch den Beitrag von StaubBernasconi in diesem Band.

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finden und für die das Quartiersmanagement Unterstützungsstrukturen bereithalten bzw. entwickeln soll. Eine weitere Differenzierung, die mit unterschiedlichen Zielen und Adressat_innengruppen einhergehen, zeigt sich vor allem in den folgenden von uns identifizierten Aufgabengebieten der Quartiersentwicklung, die auf die Umsetzung von Menschenrechten (Gesundheit, Teilhabe, Autonomie etc.) zielen und hier beispielhaft aufgezeigt werden sollen: 

 





Sozialraumorientierte Neugestaltung der gesundheitsbezogenen und pflegerischen Versorgung z.B. durch die Vernetzung von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen für verbesserte Zugänge oder der Entwicklung (neuartiger) integrierter Versorgungskonzepte (vgl. Heusinger et al. 2017: 441ff.). Sozialraumorientierte Projekte der Gesundheitsförderung, die für und mit älteren Benachteiligten (z.B. Migrant_innen) gesundheitsfördernde Maßnahmen entwickeln und umsetzen (vgl. z.B. Buchcik et al. 2014). Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe älterer Menschen sowie die Förderung von ehrenamtlichem Engagement, wie es auch in den gesetzlichen Bestimmungen der Altenhilfe als Aufgabe formuliert ist; mit dem Ziel der Inklusion von Älteren sowie niedrigschwelligen Zugängen zur (Weiter-)Bildung (vgl. Heite/Rüßler 2017). Förderung nachbarschaftlicher Hilfen und Vernetzungen unter dem Stichwort ‚sorgende Gemeinschaften‘, insbesondere zur Unterstützung von Älteren, mit dem Ziel des längeren Verbleibs im Wohnumfeld dieser (vgl. Kricheldorff 2015: 21f.). Projekte der partizipativen Technikentwicklung mit Älteren4 im Quartier, um z.B. Soziale Teilhabe, Autonomie, Mobilität und Gesundheit zu stärken (vgl. Jokisch/Wahl 2016).

4.2 Chancen und Risiken der Quartiersentwicklung Betrachtet man die Maßnahmen der Quartiersentwicklung im Kontext der Anforderungen der Menschenrechte, stellt man schnell fest, dass menschenrechtlich relevante Aspekte wie z.B. Partizipation, Autonomie, Bildung, angemessener Lebensstandard, Gesundheitserhaltung und -förderung etc. entweder Ziel dieser Maßnahmen oder mindestens konzeptionell verankert sind. Dabei ist die Quartiersentwicklung jeweils durch Chancen aber auch Risiken geprägt, die mit sich verändernden aktivierungspolitischen Leitbildern in der Sozialen Arbeit einhergehen und im Folgenden gegenübergestellt werden sollen. Das Quartier als wichtige Lebensumwelt für Menschen, zunächst einmal unabhängig vom Alter, gibt Struktur, bietet Identifikationspotenziale (vgl. Schnur 2008: 43) und hält soziale Funktionen bereit: Das Quartier kann als ein Inklusionsraum verstanden werden. Durch die Quartiersentwicklung können 4 Amann nennt diese Entwicklung in kritischer Distanz „Erziehungsprozesse für Anpassungen an den technologischen Wandel“ (Amann 2006: 42).

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Beziehungen und soziale Netzwerke gefördert, Unterstützungsstrukturen aufgebaut und dadurch auch nachbarschaftlicher Rückhalt gestärkt werden (vgl. Heite/Rüßler 2017). Quartiersentwicklung kann zudem als Aufbau eines „lebendigen Gemeinwesens“ verstanden werden, „das von den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht nur mitentwickelt, sondern auch reproduziert […] wird“ (Drilling/Schnur 2012: 20). Die oftmals auf Bürgerbeteiligung ausgerichteten Projekte bergen allerdings auch die Gefahr der Exklusion insbesondere vulnerabler Gruppen (vgl. Wohlfahrt 2004: 132) oder reproduzieren gar soziale Ungleichheiten: (Ältere) Menschen mit Migrationshintergrund, Pflegebedarf und geringen materiellen Ressourcen werden durch Quartiersarbeit seltener erreicht (vgl. Heite/Rüßler 2017: 196f.). Wenn hingegen ein Einbezug vulnerabler Gruppen stattfindet, dann vor allem explizit als Zielgruppe, was die Stigmatisierung dieser Personengruppe noch verstärken kann (vgl. Kessl/Reutlinger 2010: 127f.). Zudem können soziale Ungleichheit auch zwischen Quartieren befördert werden, wenn z.B. ein Quartier eine besondere Zuwendung erfährt, während das Nachbarquartier nicht auf dieselben Ressourcen zurückgreifen kann. Nichtsdestotrotz ist dem Quartier natürlich eine hohe Bedeutung als Alltags- und Lebenswelt, besonders älterer Menschen, zu bescheinigen (vgl. Kricheldorff 2015: 17ff.). Mit zunehmendem Alter hängen Lebensqualität, der Grad der Selbstständigkeit und die persönliche Zufriedenheit maßgeblich von der Wohnung und dem Wohnumfeld ab. Die Gefahr besteht allerdings in einer möglichen Negierung der Heterogenität älterer Menschen eines Quartiers (vgl. Leitner/Vukoman 2016: 9). Dadurch, dass der Sozialraum als Bezugspunkt aufgefasst wird, besteht die Gefahr einer ‚Gleichmachung‘ der Bewohnerschaft eines Quartiers. Es gibt jedoch immer unterschiedliche Interessen und Lebenslagen, die es zu beachten gilt und die in einigen Fällen vielleicht nicht miteinander vereinbar sind (vgl. Stövesand 2006: 47). Die Stärkung der (lokalen) Demokratie sowie das Hinwirken auf Veränderung der Verhältnisse sollten in Konzepten der Quartiersgestaltung, die auf die Emanzipation der Bürger_innen basieren, fest verankert sein. Gemeinsam mit den Bewohner_innen sollen Barrieren und Ungleichheiten aufgespürt und diese beseitigt werden. Gleichzeitig müssen die Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten des Sozialraums z.B. im Hinblick auf materielle Ressourcen oder übergeordnete (sozial-)politische Strukturen (vgl. Stövesand 2006: 47; Heite/Rüßler 2017: 198) bestimmt und transparent gemacht werden, um Frustrationen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entwicklung nachhaltiger Strukturen für Partizipation und Engagement von besonderer Bedeutung, indem auf eine Verankerung der Demokratie- und Teilhabemöglichkeiten in institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung hingewirkt wird. Dies gelingt in den häufig projektinduzierten Quartiersentwicklungsprozessen mitunter nicht (ausreichend) oder wird gar nicht erst verfolgt.

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Nicht zuletzt kann die partizipative Quartiersgestaltung die Autonomie, Lebensgestaltungs- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen stärken und erweitern (vgl. Schweppe 2012: 507ff.). Es darf dabei aber nicht übersehen werden, dass Projekte, insbesondere jene, die von Bundes- und Landesmodellprogrammen gefördert werden, häufig eine aktivierungspolitische und normierende Ausrichtung der (sozialraumorientierten) Konzepte aufweisen (vgl. Aner/Köster 2016: 466). Daher empfiehlt es sich, eigene Konzepte und Handlungspraxen dahingehend zu überprüfen und stets zu reflektieren, um eine Instrumentalisierung der Sozialen Arbeit durch einseitig neosoziale politische Leitbilder zu vermeiden, zumindest aber menschenrechtsbezogene Handlungsspielräume auszuloten und zu erhalten.

5. Fazit Die Soziale Altenarbeit befindet sich, wie die Soziale Arbeit insgesamt, immer im Spannungsfeld zwischen einer möglichen aktivierungspolitischen Instrumentalisierung und ihren fachlichen Ansprüchen als Menschenrechtsprofession mit der erforderlichen Sensibilität für vulnerable Gruppen Älterer. Dies gilt in besonderer Weise vor dem Hintergrund einer Abhängigkeit von oft prekären Fremdfinanzierungen dieses Handlungsfeldes Sozialer Arbeit. Menschenrechte sind aber gerade für die rechtlich schwach verankerte Altenhilfe ein wichtiger ethischer Bezugsrahmen, um sozialstaatliche Vorgaben und die Förderkriterien der Bundes- sowie Landesprogramme kritisch zu reflektieren: Wie kann bspw. durch die Ermöglichung von Partizipation älterer Menschen mehr Demokratie und Teilhabe gefördert werden, ohne zugleich ungleichheitsverstärkend oder polarisierend zu wirken? Zu prüfen ist aus unserer Sicht ferner, ob sozialraumorientierte Altenarbeit bzw. Quartiersentwicklungsprozesse auch diskriminierende, exklusionsfördernde, stigmatisierende und abgrenzende Mechanismen aufweisen und Wegbereiter für Gentrifizierungsprozesse sind. Letztlich vertreten wir die Position, dass alle Menschen das Recht auf „gleichwertige soziale Standards“ und Lebensverhältnisse besitzen und zwar „nicht als BewohnerInnen eines Stadtteils, sondern als SozialstaatsbürgerInnen“ (Leitner/Vukoman 2016: 8) und, im Sinne der Menschenrechte, allein schon aufgrund ihres Menschseins.

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Menschenrechte und kritische Professionalisierung Sozialer Arbeit am Beispiel der Sozialpsychiatrie Professionalisierung Sozialer Arbeit und Sozialpsychiatrie Sandro Bliemetsrieder, Katja Maar, Josephina Schmidt und Athanasios Tsirikiotis Sandro Bliemetsrieder et al. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Ergebnisse eines Forschungsprojektes über Partizipation in der Sozialpsychiatrie. Nach einer Beschreibung des Forschungszugangs werden im Folgenden exemplarisch von Nutzer_innen sozialpsychiatrischer Angebote wahrgenommene Menschenwürde- bzw. Menschenrechtsverletzungen thematisiert und anhand ausgewählter Interviewpassagen verdeutlicht. Daran anschließend werden hier relevante Menschenrechtsdiskurse aufgegriffen und im Hinblick auf ihre Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten zur Professionalisierung Sozialer Arbeit hin diskutiert.

1. Eine forschende Annäherung an Partizipation in der Sozialpsychiatrie Die folgenden Ausführungen basieren auf dem an der Hochschule Esslingen angesiedelten Forschungsprojekt „Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern“. Zentrale, erkenntnisleitende Fragen des qualitativ ausgerichteten Forschungsprojektes waren:    

Was bedeutet Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern aus der Perspektive verschiedener Akteur_innen? Wie erleben Adressat_innen sozialpsychiatrischer Einrichtungen Partizipation? Was würden sie sich wünschen? Wie wird Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern thematisiert und umgesetzt? Welche Machtverhältnisse werden in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern reproduziert, stabilisiert bzw. dekonstruiert?

Das Forschungsdesign war durchgängig triangulierend, partizipativ und multiperspektivisch ausgerichtet. Einem grundsätzlich rekonstruktiven Paradigma folgend, wurden nach einem Experteninterview mit einem Vertreter eines Interessenverbandes Psychiatrie-Erfahrener verschiedene Handlungsfelder der

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Sozialpsychiatrie für die Datenerhebung ausgewählt. Neben dem Interessenverband Psychiatrie-Erfahrener wurden in einer stationären Wohneinrichtung, einer niedrigschwelligen Einrichtung mit Tagesstätte und Zuverdienst sowie einem Sozialpsychiatrischen Dienst jeweils Einzelinterviews mit Nutzer_innen und Fallwerkstätten mit Mitarbeitenden geführt. Zudem fanden Gruppendiskussionen mit einer Theater- und einer Künstler_innengruppe statt. Darüber hinaus wurden zwei Hilfeplankonferenzen teilnehmend beobachtet sowie Expert_inneninterviews mit einem Mitarbeiter eines 24-Stunden Krisendienstes und einer Vertreterin eines Interessenverbandes Angehöriger psychisch Kranker geführt. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Akteur_innen sozialpsychiatrischer Handlungsfelder wurden insgesamt 15 Texte aus der Perspektive Psychiatrie-Erfahrener erhoben, sechs aus der Perspektive der Fachkräfte und einer aus Angehörigenperspektive. Die Texte wurden mit einer Kombination aus rekonstruktiver Feinanalyse einzelner Sequenzen und einem induktiv kategorialen Verfahren der gesamten Texte ausgewertet (vgl. Kruse 2014), um Aspekte der Bedeutungszuschreibungen, der formulierten Wünsche, entdeckten Partizipationsmöglichkeiten und latenten Machtstrukturen herauszuarbeiten. Ein zentraler Anspruch des Forschungsprojektes war die Fokussierung der Wissensperspektive Psychiatrie-Erfahrener, sowie ihre aktive Einbindung, z.B. als Mitglieder des Forschungsbeirats, als Redner_innen und Gäste eines Fachtags, durch die Gestaltung kommunikativer Räume, auch wenn das Vorgehen nicht alle Kriterien partizipativer Forschung erfüllen konnte (vgl. Russo 2016).

2. Menschenrechtsverletzungen aus Nutzer_innenperspektive anhand ausgewählter Interviewsequenzen An dieser Stelle werden nun schlaglichtartig ausgewählte Sequenzen von Psychiatrie-Erfahrenen aus dem o.g. Forschungsprojekt1 vorgestellt und im Sinne 1 Die Sequenzen sind Auszüge aus den Transkriptionen der als Audiodatei aufgenommenen Interviews mit Psychiatrie-Erfahrenen verschiedener sozialpsychiatrischer Handlungsfelder, wie Tagesstätten, Wohnheimen, Sozialpsychiatrischen Diensten. Bei den Transkriptionen haben wir uns an Transkriptionsregeln gehalten, welche die Interpretation durch die Schreibenden möglichst gering halten, so dass bspw. keine Satzzeichen verwendet werden und Großbuchstaben dort stehen, wo laut oder betont gesprochen wird. Pausen sind unter Angabe der Sekunden mit runden Klammern (), Einschübe mit eckigen Klammern [] und gleichzeitiges Sprechen mit geschweiften Klammern {} gekennzeichnet.

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einer Forschung als Menschenrechtsassistenz insbesondere in Anlehnung an Andreas Lob-Hüdepohl (Lob-Hüdepohl 2013) eingeordnet2. Dabei handelt es sich um Teilergebnisse des Forschungsprojektes, die Gesamtergebnisse werden an anderer Stelle publiziert. Die Interviewpassagen sind tendenziell von der Ambivalenz zwischen Selbstbestimmung und Integritätenschutz durchdrungen. Dies zeigt sich besonders eindrücklich in der Frage um das nachträgliche Reflektieren von Zwangsmaßnahmen aus der Sicht eines Nutzers/einer Nutzerin: „P1: Aber (.) ich finde ALLES nicht SO GUT (.) ich finde alles nicht so GUT dass man (.) weil manchmal MUSS man MEDIKAMENTE GEBEN (.) und wenn jetzt jemand so KRANK und so und=und was soll man da machen FIXIEREN also (.) das ist AUCH nicht SCHÖN gell […] jeder (.) jeder braucht doch SEINE ZEIT gell (.) einer ist nach EINER WOCHE wieder FIT (.) der andere braucht ZWEI MONATE gell (.) warum NICHT gell [mhm mhm] die GUCKEN auch gar nicht INDIVIDUELL (.) die LEUTE die das beSCHLIEßEN sitzen eben am SCHREIBtisch und haben davon GAR KEINE AHNUNG […]“ (Interview 2, Abs. 49)

Der/die Nutzer_in weist in dieser Sequenz auf das Erleben einer nicht individuell auf ihn/sie abgestimmten, sondern pauschalen und tendenziell biologisierenden, psychiatrischen, paternalistischen Behandlung hin, die er/sie auch im Nachhinein nicht billigen kann. Es stellt sich für ihn/sie das Gefühl ein, übergangen zu werden. Auch wenn der/die Nutzer_in sich möglicherweise zum Zeitpunkt der medizinischen Intervention in einem Zustand befand, in dem eine reflektierte selbstbestimmte Entscheidung nicht möglich war, fordert der/die Nutzer_in eine Alternative, indem die Entscheidungen zumindest im Nachhinein akzeptiert werden können müssen (Lob-Hüdepohl 2013: 3). Auf eine informierte Zustimmung finden sich in dieser Sequenz keine Hinweise. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert im Art. 3 ein Recht auf die Freiheit, eigene Entscheidungen treffen zu können. Dieses Nutzer_innenmandat ist in der Sozialen Arbeit primär (vgl. ebd.: 4). Die Idee der Entscheidungsfreiheit wird besonders prekär in Fragen befähigungsgerechter Lohnarbeit bei Psychiatrie-Erfahrenen: „I: und (.) was ANDERES (.) wo sie vielleicht MEHR verDIENEN können P2: ja aber das werde ich (.) wahrscheinlich NICHT PACKEN von meiner beLASTbarkeit her (1) das hab ich mir AUCH schon ÖFTERS einmal überlegt so vierhundert EURO job (.) aber das ist ja heutzuTAGE zu FINDEN (2) und dann kommen

2 Im Forschungsprojekt wurden weitere theoretische Perspektiven zwischen stellvertretender Krisendeutung und Nutzer_innenorientierung zur Analyse hinzugezogen, die in weiteren Veröffentlichungen ausgeführt werden. Entsprechend des Themas dieser Publikation, werden die Interviewpassagen mit dem Fokus der Menschenrechtsassistenz interpretiert. Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Rekonstruktion von Interviewmaterial, sondern vielmehr um eine Illustration durch Adressat_innenperspektiven.

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auch von die ARbeitGEBER noch mal (.) ZU viele FRAGEN (.) die was ich ANtworten kann aber ob die dann halt (.) ob ich da dann eine CHANCE bekomme wäre (.) MEHR als FRAGLICH […]“ (Interview 3, Abs. 104-105)

In dieser Aussage tritt der Wunsch zu Tage, dass die psychiatrisierte Person ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise selbst verdienen möchte – aber nur dort arbeiten könne, wo es eher um Beschäftigung und Tagesstruktur geht und nicht um eine möglichst gerechte Entlohnung. Die UN-BRK stellt in Art. 27 die Frage nach dem Recht auf Arbeit. Eine Gefahr ist, dass sich die Fachkräfte – der entmutigten Einschätzung des Nutzers/der Nutzerin folgend – in einer Mandatskonkurrenz (vgl. Lob-Hüdepohl 2013: 3) für das staatliche und institutionelle Mandat entscheiden und von einer Beschäftigung auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt aus paternalistisch-fürsorglichen Erwägungen heraus abraten. Für die, im besten Falle, mit den Nutzer_innen loyalen Professionen zeigt sich hier der Zusammenhang von Nutzer_innenbedürfnissen und ihren Sinnstiftungen und dem sekundären, staatlichen und institutionellen Mandat. Dabei ist zu bedenken, dass die Mandate, die an die Soziale Arbeit herangetragen werden, in der Regel zeitlich limitierte Mandate sind, durch die die Selbstzwecklichkeit der Person geachtet und Selbstbestimmungsrechte respektiert werden müssen (vgl. ebd.: 16). Dies wird besonders bedeutsam, wenn Nutzer_innen Sozialer Arbeit sich in Langzeiteinrichtungen befinden, in denen sie hospitalisiert werden können: „P3: ja (.) und (1) sie hat gesagt sie möchte auch ausziehen weil die ist auch schon länger hier als ich (.) die ist 13 Jahre hier (2) und ist ne lange zeit (2) irgendwann ist man=hat man auch mal die schnauze voll [I: mhm] wenn man so lange hier ist (.) was heißt, die schnauze voll uns geht's ja hier gut (.) aber man=man=man sehnt sich schon nach was anderes irgendwie doch danach oder davor [I: mhm] irgendwie (1)“ (Interview 650004, Abs. 283)

Diese Interviewsequenz ist geprägt von einem ambivalenten Erleben des Ausschlusses und der Nichtteilhabe von Möglichkeiten außerhalb des stationären Hilfeangebotes für Psychiatrie-Erfahrene. Die Frage nach der Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und menschlicher Vielfalt (Präambel) und nach dem Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport findet sich in Art. 30 der UN-BRK. Weiter ist die Sequenz getragen von einer Selbstbestimmungssehnsucht im Erinnern und im Hoffen in eine offene Zukunft hinein. Fachkräfte sind nicht ,Erfüllungsgehilfen‘ für versprachlichte Wünsche von Nutzer_innen, die Übernahme von Mandaten entsteht im Eingehen eines Arbeitsbündnisses mit zwingend freiwilligen Anteilen von beiden Seiten des Erbringungsverhältnisses, d.h. Mandate können abgelehnt werden, wenn sie gegenüber den Nutzer_innen nicht rechtfertigbare Gründe beinhalten (Lob-Hüdepohl 2013: 16). Einer Fachkraft „ist die Ausübung des Mandats nur zuzumuten“, wenn sie von der Sinnhaftigkeit dessen, was sie tun soll, „aus fachlichen Gründen überzeugt ist“ (ebd.). Eine

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Vereindeutigung von Hilfsbedürftigkeit (in der Einrichtung verbleiben) oder Selbstbestimmung (Entlassung aus der Einrichtung) kann im Falle der Sequenz die Fachkräfte magnetisieren. Bezogen auf die Wünsche der Nutzer_innen geht es jedoch vielmehr um Ambivalenzarbeit im Sinne eines Zusammendenkens von ,gut gehen‘ und ,sich weg sehnen‘ dürfen und vielleicht auch können. Dabei sind Pathologisierungs-, Diskriminierungs- und Stigmatisierungsprozesse – z.B. auf dem so genannten freien Wohnungsmarkt, welchem Psychiatrie-Erfahrene ausgesetzt sein können – zu berücksichtigen: „P4: ja das ist dann auch die FRAge wie ERNST man auch geNOMMEN wird (.) das ist eGAL in welchem zuSAMMENhang (.) ja ähm also nicht NUR als KÜNSTLER sondern sonst (.) wenn du eine (.) PSYCHISCHE diaGNOSE hast und ich Weiß nicht die HAUSverwaltung erfährt daVON oder [I: mhm mhm] was dann WOLLEN sie dich DRAUßen haben oder so was auch wenn du NIE AUFfällig warst oder so JA […]“ (Gruppeninterview 1, Abs. 181)

Die psychische Erkrankung führt zu Erfahrungen und dadurch Erwartungen des Diskriminiertwerdens. Die/der Sprecher_in erlebt sich als nicht anerkannt und nicht ernst genommen. Gerade der Art. 5 der UN-BRK beschreibt jedoch das Recht auf Nichtdiskriminierung. Die Professionen müssen hierbei den Schutz der räumlichen Integritäten der Nutzer_innen mit in den Blick nehmen. Dazu gehört auch, dass im Sinne der Aufrechterhaltung, des Schutzes oder der Wiederherstellung somatopsychosozialer Integritäten (vgl. Oevermann 2008: 61) Nutzer_innen Sozialer Arbeit aus ihrer teilhabebeeinträchtigenden Diagnose entlassen werden können. Nach reziproker Einwilligung von Fachkräften und Nutzer_innen dürfen Fachkräfte besorgt sein und sich gemeinsam mit den Nutzer_innen Sozialer Arbeit für eine Verbesserung oder Behebung der Situationen verantwortlich zeigen. Ein Paternalismus ist in diesem Falle nicht zu rechtfertigen (vgl. Lob-Hüdepohl 2013: 17). In unserem Interviewmaterial zeigt sich, dass psychiatrieerfahrene Nutzer_innen die Definitionsmacht über Fragen von Selbstbestimmung, Partizipation und Teilhabe zurückbekommen müssen, damit sie nicht strukturell überhört bleiben: „P5: mir hängt das thema partizipation und inklusion hängt mir zum Hals heraus (4) das ist vielleicht gerade nicht schön aber (3) an sich empfinde ich das jetzt als alter hut die teilhabe an der eh also ich übersetze es mit teilhabe (2) und ehm (1) ich möchte mal sehen wie es die anderen machen und wie man auf uns zukommt (.) es muss nicht immer von uns kommen [I: mhm] (2) uns hat man so oft die türen ZUgemacht (4) als ich gestern war ich auf ner sitzung zum thema wohnen (2) und da hat der [Name eines Anbieters psychiatrischer Angebote] wieder definiert was psychiatrieerfahrene denken und sagen und das hat mir gestunken (1) das brauchen wir nicht mehr (3) das ist keine partizipation (14)“ (Interview 650005, Abs. 222-223)

Hier gibt die/der Sprecher_in ein deutliches primäres Mandat, welches in die gesellschaftlichen Verhältnisse loyal hineingetragen werden müsse. Gleichzei-

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tig wird das sekundäre, sich aus dem primären Mandat legitimierende, staatliche und institutionelle Mandat formuliert, für Inklusionsverhältnisse zu werben. Das tertiäre professionelle Selbstmandat (in diesem Falle die Forschung) ruft auf, „kritisch-kreatives“ und „emanzipatorisch-partizipatives Wissen“ (Lob-Hüdepohl 2013: 14) zu generieren und mit Psychiatrie-Erfahrenen zu validieren. Diese Wissensproduktion muss ambitioniert sein, menschenrechtsfördernd zu wirken, ohne dabei die Idee aufzugeben, dass (verletzliche) Menschen prinzipiell aufeinander angewiesen und gleichzeitig selbstbestimmt sind und sein dürfen.

3. Die Notwendigkeit, Menschenrechte als soziale Idee und Rechtsordnung zusammen zu denken Die skizzierten exemplarischen Einblicke in die Nutzer_innenaussagen enthalten gewichtige Hinweise auf Würdeverletzungen und Missachtungen der Prinzipien der Menschenrechte wie Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit, Inklusion, Partizipation, Empowerment, Rechenschaftslegung und Transparenz (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte o.J.). Dies kann sehr unterschiedliche Formen haben. Rainer Forst erkennt Würdeverletzungen von Personen im Übergangen-werden, in der Nicht-Partizipation, in dem Nichts-zählen, in der bürokratischen herablassenden Praxis oder dem (systematischen) Überhört-werden (vgl. Forst 2009: 153). Hierbei stehen die Selbstbestimmung sowie eine radikal verstandene Partizipation als professionelle Handlungslogik im Sinne von Rechtfertigungsverhältnissen im Zentrum der Betrachtung. Forst sieht aus diskursethischer Perspektive in einem den Menschenrechten vorauseilenden Recht auf Rechtfertigung ein grundlegend irreversibles „formal-abstraktes Menschenrecht“ (Klemme 2012: 3), das in jeweilige gesellschaftliche Verhältnisse, Machtstrukturen und sozialpolitische Gerechtigkeitsvorstellungen kontextualisiert und konkretisiert werden muss (vgl. Forst 1999: 104, zit. n. Klemme 2012: 3). Die Rechtfertigungen müssen dabei Kriterien von Allgemeinheit und Reziprozität entsprechen und verlangen im Falle eines Paternalismus oder Egozentrismus nach einem unbedingten Vetorecht. Das Recht auf Rechtfertigung „ist insofern ein Begründungsrecht, das paternalistische Rechtefestlegungen und -verweigerungen ausschließt“ (Forst 2009: 157). Dieses Recht auf Rechtfertigung impliziert, dass alle Menschen selbstbestimmte und handlungsfähige Personen sind, welche gesellschaftliche Strukturen mitbestimmen können (bzw. müssen), und zwar vor allem in den Angelegenheiten, die sie wesentlich und persönlich betreffen (vgl. Forst 2012: 203). Ein menschenrechtsassistierendes primäres, kategorisches Mandat Sozialer

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Arbeit müsste in diesem Sinne die Selbstbestimmung der Nutzer_innen privilegieren und das hypothetische sekundäre staatliche und institutionelle und tertiäre Mandat der eigenen Profession vor den eigenen Nutzer_innen rechtfertigen können (vgl. Lob-Hüdepohl 2013: 15f). Die Nutzer_innen müssen dabei die Rechtfertigungen begründet zurückzuweisen können. Micha Brumlik stellt dagegen die Selbstachtung der Personen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Verletzung der Selbstachtung beginnt für ihn, wenn Menschen die Kontrolle über ihren Körper, die Beachtung und Anerkennung als Handelnde und Sprechende verlieren und sie in ihren Zugehörigkeiten herabgesetzt und verächtlich gemacht werden (vgl. Brumlik 2013: 186). In dieser Blickrichtung werden ein im Sinne Emmanuel Lévinas alteritätsorientierter Schutz von körperlichen, sozialen und psychischen Integritäten sowie die Anerkennung als Rechtssubjekte in den Mittelpunkt gerückt. Lévinas versteht die Phänomenologie der Menschenrechte nicht als die meiner eigenen Rechte, sondern als Rechte der Anderen, welche sich aus meiner Verpflichtung für Andere konstituieren. Wir sind und werden durch die Anderen „vor-ursprünglich“ – noch vor allem Handeln – betroffen (vgl. Loidolt 2009: 253). Ein solch verstandener sozialer Sinn der Menschenrechte geht vom Subjekt aus, das sich jedem anderen Subjekt verpflichtet. Die Menschenrechte sind demnach, im Sinnereignis der Alterität, nur von dem/der Anderen her zu denken, welche_r mich in eine kritisch solidarische Gerechtigkeitssuche hineinzieht und zum gerechten Urteil aufruft und mich zur Handlungslogik der selbstbestimmungszusichernden Stellvertretung aufruft (vgl. ebd.: 255). Diese menschenrechtsassistierende Idee der unbedingten Anerkennung der Person aufgrund ihrer Antlitzhaftigkeit geht auch im Kontext der Sozialen Arbeit sinnlogisch einem primären, kategorischen Mandat der Nutzer_innen voraus. Im Antlitz der mir begegnenden Anderen erfahre ich ihr Bitten und Flehen, ihr möglichst Abhängigkeitsbeziehungen zu ersparen, in denen sie droht, verzwecklicht zu werden, ihr nicht zu schaden, sie nicht zu töten und sie in ihrem Sterben nicht alleine zu lassen. Zwängen und Erniedrigungen, Schmerzen und Folter müssen widersprochen werden (vgl. Lévinas 2007: 109f.). Hier zeigt sich die Ambivalenz der Handlungslogiken, zur Verantwortung für „den Anderen“ kategorisch verpflichtet zu werden, ohne dabei gleichzeitig dessen Selbstbestimmung zu verletzen. Ein Ausweg kann in einer widersprüchlichen Einheit der Lévinas‘schen und Forst‘schen Positionen zu den Menschenrechten gesehen werden, Menschenrechte sowohl als Integritätenschutz (Lévinas) als auch als radikale Möglichkeit der Selbstbestimmung (Forst) zugleich zu verstehen. Auch in unseren illustrierenden Interviewsequenzen zeigt sich, dass sich eine Trennung von Selbstbestimmung und Integritätenschutz nicht voll aufrechterhalten lässt. Es geht hierin gleichzeitig um Fragen der Transparenz und Aushandlung von Behandlungsmethoden gegen ein strukturelles und personelles Überhört-werden, um das Gewähren von Eigenzeitlichkeit, einer Kritik an

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bürokratischer Hilfeplanung und der Forderung nach partizipativer Mitgestaltung der Hilfe, Chancengleichheit durch inklusive Arbeitsverhältnisse in Fragen von befähigungsgerechter Lohnarbeit und Nachteilsausgleiche, selbstbestimmte Entscheidungen über Ideen der Wohnformen und freie Wahl des Wohnortes sowie die notwendige Unterstützung und Assistenz, Empowerment und Selbstvertretung gegen Hospitalisierungstendenzen, Schutz vor Diskriminierungen in der Frage von Wohnraum, Arbeit und Ausbildung, Ermutigung bei erwarteten und erwartbaren Stigmatisierungsprozessen usw. Werden in diesem Sinne die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Selbstbestimmung und somatopsychosozialer Integritätenschutz zusammengedacht, ergibt sich ein Kaleidoskop einer auf Menschenwürde bezogenen professionellen, menschenrechtsassistierenden Praxis, welche eine radikale Idee von Partizipation und Stellvertretung zugleich – in Aushandlung mit den Nutzer_innen – ausbalanciert. Die Menschenrechte als Rechte der Nutzer_innen bekommen in diesem Sinne für die Nutzer_innen sozialer Dienstleistungen einen zweifachen Gebrauchswert. Menschenrechte können dabei mit Jürgen Habermas metaphorisch als „Janusgesicht“ (Habermas 1999: 216) als soziale Idee und justiziable Rechtsordnungen verstanden werden. Sie sind ein moralisches, orientierungsgebendes Konzept, nach dem professionelles Handeln ausgerichtet werden kann. Hierbei bedarf die Handlungslogik der Konkretisierung menschenrechtlicher Fragen. Menschenrechte sind gleichzeitig, im besten Falle, justiziable Rechtsordnungen, mit unterschiedlichen internationalen und nationalen Reichweiten und Einklagbarkeiten. Dazu bedarf es mit Hannah Arendt gesprochen, anerkennungsethisch, vorauseilend ein Recht auf diese Rechte (Arendt 1986: 422ff.). Die Rechtsordnungen der Menschenrechte sind allerdings weniger diskursoffen. Dabei stellt sich die Frage, ob sie durch ihre häufig fehlende rechtliche Verbindlichkeit und Einklagbarkeit, aber auch in der (fehlenden) Konsequenz ihrer Formulierung, hinter den, von uns gewählten, alteritäts- und diskursethischen Begründungen zurückfallen. Um über die Justiziabilität der Menschenrechte im Kontext Sozialer Arbeit konkret sprechen zu können, müssen sich die Akteur_innen Sozialer Arbeit mit konkreten Fragen auseinandersetzen: „Daher ist es wichtig zu fragen, inwieweit Deutschland völkerrechtlichen Verträgen zum Schutz von Menschenrechten beigetreten ist? Sind die darin genannten völkerrechtlichen Verpflichtungen bereits in die nationale Rechtsordnung integriert worden? Tragen diese Rechtsvorschriften den völkerrechtlichen Vorgaben ausreichend Rechnung?“ (Schmid i.E.)

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen findet in der Handlungslogik der politischen Einmischung in konkrete Verhältnisse bzw. im „fachlichen und politischen Mandat“ Sozialer Arbeit ihre Legitimation.

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Ein Zusammendenken von diskurs-, alteritäts- und anerkennungsethischen Positionen mit den partizipativen, stellvertretenden und sich konkret einmischenden Handlungslogiken verdeutlicht folgende Tabelle: Tabelle 1: Menschenrechte als soziale Idee und justiziables Recht zugleich „Janusgesicht“ der Menschenrechte (Habermas) Menschenrechte als soziale Idee Diskursethik: Forst: Recht auf Rechtfertigung

Alteritätsethik: Lévinas: Rechte der Anderen

Partizipation • Empowerment • Rechenschaftslegung • Transparenz • Nichtdiskriminierung • Chancengleichheit • Selbstbestimmung

Stellvertretung • • • • • • •

Körperliche Psychische Emotionale Kognitive Rechtliche Moralisch-ethische Individuelle und gruppenbezogene • Räumliche Integritäten

Diskurse über das gute Leben

Justiziabilität der Menschenrechte Anerkennungsethik: Arendt: Recht auf Rechte

Konkretisierung, polit. Einmischung • Ratifizierung der menschenrechtlichen Dokumente (UN-BRK) • Darin geforderte Umsetzung durch den Staat • Tatsächliche Umsetzung der staatlichen Verpflichtung • Konkrete Ansprüche, die sich aktuell im nationalen subjektiven, öffentlichen Recht finden (z.B. Bundesteilhabegesetz) • Unmittelbare Wirkung von Konventionen bereits vor ihrer Umsetzung (umstritten) Bleiben häufig hinter den ethischen Überlegungen zurück (in Fragen von Rechtsverbindlichkeit, Einklagbarkeit, Konsequenz ihrer Formulierungen)

Quelle: Eigene Darstellung

4. Einbettung in den theoretischen Diskurs zur Professionalisierung Sozialer Arbeit Betrachtet man die vorangegangenen Überlegungen vor dem Hintergrund gegenwärtiger Professionalisierungsdiskurse der Sozialen Arbeit, so zeigen sich unterschiedliche theoretische Anschlussmöglichkeiten, welche im Folgenden kurz dargelegt werden sollen. Der Diskurs um eine Menschenrechtsorientierung in der Sozialen Arbeit ist seit Silvia Staub-Bernasconi unweigerlich mit dem Tripelmandat verbunden. Soziale Arbeit agiert im Spannungsfeld dieser drei Mandate: das Mandat durch

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die Nutzer_innen, das Mandat des Staates bzw. der gesellschaftlichen Institutionen sowie das professionelle Mandat (vgl. z.B. Staub-Bernasconi 2013: 37). Lob-Hüdepohl konstruiert vor diesem Hintergrund das Mandat, das von den Nutzer_innen Sozialer Arbeit an die Professionellen gerichtet ist, als kategorisch. Das Mandat des Staates sowie jenes der eigenen Profession – im Sinne eines Tripelmandates – müssen nach Lob-Hüdepohl notwendigerweise vom adressat_inneneigenen Mandat abgeleitet werden und können daher nur (befristet) hypothetisch gelten (vgl. Lob-Hüdepohl 2013: 1). Da personenbezogene Dienstleistungen hochgradig in das Leben bzw. die Verfassung des Menschen eingreifen (können), bedarf es, im Sinne einer Menschenrechtsassistenz, einer ausdrücklichen (informierten) Zustimmung seitens der Nutzer_innen. Diese muss die menschenrechtlichen Ansprüche der Nutzer_innen zentral in den Blick nehmen und gleichzeitig Dritte schützen können (vgl. ebd.: 3ff.). Hierbei gilt jedoch grundsätzlich das Primat der Selbstbestimmung – das Mandat der Nutzer_innen kann daher nach Lob-Hüdepohl als das primäre Mandat verstanden werden, aus dem sich die sekundären und tertiären Mandate des Staates/der Institutionen und der Profession geltungslogisch ableiten lassen (vgl. ebd.: 10). Es geht dabei um die Ambitioniertheit, dass menschenrechtliche Fragmente guten Lebens eingefordert und verwirklicht werden (vgl. ebd.: 15). Dazu gehört auch, dass im besonderen Falle, im Sinne einer Sorgebeziehung, stellvertretende und advokatorische Handlungen notwendig werden können. Hierbei ist jedoch immer die Frage rechtzufertigen, ob der/die Nutzer_in – unterstellter Weise – seine/ihre Zustimmung unter anderen Umständen geben würde (vgl. ebd.: 8). Das tertiäre Mandat, zu dem auch die Wissensproduktion der Disziplin zählt, leitet sich aus dem primären Mandat der Adressat_innen ab. Dieses Wissen ist nicht nur epistemischer Rationalitäten verpflichtet, sondern ist immer normativ aufgeladen und an aktuellen Menschenrechtspapieren (z.B. UN-BRK) auszurichten, stets in der Sorge und im Verpflichtet-sein um menschenrechtlich eröffnende Lebensverhältnisse für Nutzer_innen, im Sinne einer „wissenschaftsgestützte[n] Menschenrechtsassistenz“. Deutlich kann diese Idee gerade in Konzepten im Sinne partizipativer Forschung zu Tage treten (vgl. ebd.: 12ff.). Die vorangegangenen Überlegungen sind anschlussfähig an unterschiedliche professionstheoretische Diskurse, wie z.B. dem dienstleistungstheoretischen Zugang von Andreas Schaarschuch, der für einen radikalen Perspektivenwechsel von der Professionellen- hin zur Nutzer_innenperspektive plädiert. Ausgehend von den, seit den 1970er Jahren geführten, Dienstleistungsdiskursen (vgl. exemplarisch Häußermann/Siebel 1995; Offe 1987; Gartner/ Riessman 1978) reformuliert Schaarschuch Soziale Arbeit als soziale Dienstleistung. Dienstleistung wird dabei verstanden als „ein professionelles Handlungskonzept, das von der Perspektive des nachfragenden Subjekts als aktivem Produzenten seines Lebens und Konsumenten von Dienstleistungen zugleich

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ausgeht und von diesem gesteuert wird“ (Schaarschuch 1999: 554). Die Nutzer_innen eignen sich also die sie betreffenden Hilfen aktiv an bzw. sie produzieren diese maßgeblich selbst und sind damit die eigentlichen Produzent_innen der Dienstleistung. Voraussetzung für eine aktive Aneignung bzw. Produktion der Dienstleistung ist ein antizipierter Gebrauchswert bzw. Nutzen derselben durch die Nutzer_innen. Die Interaktion zwischen Fachkraft und Nutzer_in gestaltet sich vor diesem Hintergrund idealtypisch als prinzipiell gleichberechtigter Aushandlungsprozess zwischen zwei mündigen Bürger_innen. Die Fachkräfte fungieren in diesem Kontext als „Ko-Produzent_innen“, d.h. sie stellen ihr Wissen, ihre Kompetenzen und Ressourcen zur Verfügung. Ein solches Verständnis der Interaktion zwischen Nutzer_innen und Fachkräften widerspricht einem entmündigenden bzw. paternalistischen Erbringungsverhalten seitens der Fachkräfte vehement und stellt eine durch Partizipation gekennzeichnete Aneignung der Hilfen durch die Nutzer_innen in den Vordergrund. Menschenrechtsassistenz in diesem Sinne kann auch unter Berücksichtigung der Rechtfertigungsgerechtigkeit heißen, in der Privilegierung der Nutzer_innen die Selbstbestimmung und radikal verstandene Partizipation als Prinzipien der Menschenrechte zu wahren. Zum anderen soll hier ergänzend zu der vorherigen Nutzer_innenorientierung auf den Ansatz der stellvertretenden Deutung verwiesen werden. Dieser richtet den Fokus eher auf das professionelle Handeln bzw. auf das Arbeitsbündnis zwischen professionellen Fachkräften und Adressat_innen. Das Konzept der stellvertretenden Deutung wendet sich ebenfalls ab von einer Dominanz der Expert_innenperspektive und stellt die Autonomie und Problemlösungskompetenz der Adressat_innen in den Vordergrund. „An die Stelle der Vorstellung, daß sich soziale ebenso wie technische Probleme durch wissenschaftsbasierte soziale Technologien lösen lassen, soll demnach eine hermeneutisch aufgeklärte Professionalität treten, die ein rekonstruktives Fallverstehen mit dem Respekt von [sic.] der Autonomie und der Problemlösungskompetenz der Betroffenen verbindet“ (Dewe et al. 2001: 24). Ähnlich wie bei Lévinas kann hierbei Menschenrechtsassistenz nicht nur aus einer gleichberechtigten Aushandlung verstanden werden, sondern im Versuch möglichst gerechten Eintretens für den/die Andere_n her, der/die mich durch sein/ihr Antlitz ansieht und mich deshalb angeht (vgl. Lévinas 2007: 107). In diesem Angesprochen-werden und in dieser Verantwortung sind Fachkräfte nicht beliebig austauschbar (vgl. ebd.: 108). Menschenrechte in diesem Sinne sind Rechte von den Anderen her und der Sorge auf Andere hin. Beide skizzierten theoretischen Zugänge möchten wir in einem dialektischen Verständnis zusammendenken. Im Aufeinander-beziehen von Rechtfertigung und Alterität kann eine menschenrechtliche Orientierung in der Sozialen Arbeit sowohl Grundlage für radikal nutzer_innenorientierte (Schaarschuch) und advokatorisch-stellvertretende hermeneutische Professionalität

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(Dewe, Oevermann) sein. Dabei geht es auch um eine Aushandlung zwischen theoretischem Wissen und Handlungswissen der Fachkräfte einerseits und dem subjektiven Erfahrungs- und Deutungswissen der Adressat_innen andererseits. Fragt man nach einer normativen Hintergrundfolie dieser Aushandlungsprozesse, bietet sich schließlich als dritter theoretischer Bezugspunkt das von Staub-Bernasconi repräsentierte dritte Mandat durch die Profession an (vgl. Staub-Bernasconi 2007). Insbesondere angesichts der gegenwärtig weiter zunehmenden Dominanz neoliberaler Steuerungsmechanismen in der Sozialen Arbeit sowie der Ausweitung und Verfestigung sozialer Spaltungs- und Ausgrenzungsprozesse erscheint eine so explizite normative Ausrichtung Sozialer Arbeit besonders bedeutsam. Darüber hinaus braucht es gerade im Kontext dieses Mandates ein Wissen um die Justiziabilität der Menschenrechte im nationalen subjektiven öffentlichen Recht mit den Inklusionsansprüchen der Nutzer_innen. „Kritische Professionalisierung kann in diesem Sinne als Konzept verstanden werden, in dem eine partizipative Nutzer_innenorientierung und eine stellvertretende Krisenbewältigung zugleich graduell und handlungsfeldbezogen [menschenrechtsassistierend] ausbalanciert wird“ (Bliemetsrieder et al. 2016: 379).

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Forst, Rainer (2012): Universelle Achtungsmoral und diskursethische Menschenrechtsbegründungen. In: Pollmann, A./Lohmann, G. (Hrsg.): Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: JB Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, S. 198-204. Gartner, Alan/Riessmann, Frank (1978): Der aktive Konsument in der Dienstleistungsgesellschaft. Zur politischen Ökonomie des tertiären Sektors. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, Jürgen (1999): Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte. In: Brunkhorst, H./Köhler, W./Lutz-Bachmann, M. (Hrsg.): Recht auf Menschenrechte. Menschenrechte, Demokratie und internationale Politik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 216-227. Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter (1995): Dienstleistungsgesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Klemme, Heiner F. (2012): Recht auf Rechtfertigung – Pflicht zur Rechtfertigung. Überlegungen zu einem Begründungsmodus der Menschenrechte. Erschienen in portugiesischer Übersetzung: „Direito à justificacao – dever de justificação: Re-flexoes sobre um modus de fundamentação dos direitos humans“. In: trans/form/ação. Revista de Filosofia da UNESP (Brasilien) 23, 2, S. 187-197. https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2013/04/Auf satz-Forst-Rechtfertigung-2007-2012-finis.pdf [Zugriff: 09.11.2015]. Kruse, Jan (2014): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. Weinheim: Beltz Juventa. Lévinas, Emmanuel (2007): Verletzlichkeit und Frieden: Schriften über die Politik und das Politische. Herausgegeben von: Alfred Hirsch und Pascal Delhom. Berlin: Diaphanes-Verlag. Lob-Hüdepohl, Andreas (2013): „People first“. Die ,Mandatsfrage‘ sozialer Professionen aus moralphilosophischer Sicht. In: EthikJournal 1, 1, S. 1-22. Loidolt, Sophie (2009): Anspruch und Rechtfertigung. Eine Theorie des rechtlichen Denkens im Anschluss an die Phänomenologie Edmund Husserls. Berlin, New York u.a.: Springer. Oevermann, Ulrich (2008): Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule. In: Helsper, W./Busse, S./Hummrich, M./Kramer, R.-T. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule. Wiesbaden: VS Verlag, S. 55-77. Offe, Claus (1987): Das Wachstum der Dienstleistungsarbeit: Vier soziologische Erklärungsansätze. In: Olk, T./Otto, H.-U. (Hrsg.): Soziale Dienste im Wandel 1. Helfen im Sozialstaat. Neuwied/Frankfurt am Main: Luchterhand Verlag, S. 171-198. Russo, Jasna (2016): Betroffene in der psychiatrischen Forschung. Infragestellung oder Erweiterung des biomedizinischen Diskurses? In: Kerbe, 2, S. 32-34. Schaarschuch, Andreas (1999): Theoretische Grundelemente Sozialer Arbeit als Dienstleistung – Ein analytischer Zugang zur Neuorientierung Sozialer Arbeit. In: neue praxis 39, 6, S. 543560. Schmid, Alexander (i.E.): Menschenrechte und Gesundheit (Arbeitstitel). In: Bliemetsrieder, S./Maar, K./Schmidt, J./Tsirikiotis, A. (Hrsg.): Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern. Esslingen: Eigenverlag. Staub-Bernasconi, Silvia (2007): Soziale Arbeit: Dienstleistung oder Menschenrechtsprofession? Zum Selbstverständnis Sozialer Arbeit in Deutschland mit einem Seitenblick auf die internationale Diskussionslandschaft. In: Lob-Hüdepohl, A./Lesch, W. (Hrsg.): Ethik Sozialer Arbeit. Weinheim: UTB, S. 20-53. Staub-Bernasconi, Silvia (2013): Der Professionalisierungsdiskurs zur Sozialen Arbeit (SA/SP) im deutschsprachigen Kontext im Spiegel internationaler Ausbildungsstandards Soziale Arbeit – eine verspätete Profession? In: Becker-Lenz, R./Busse, S./Ehlert G./Müller-Hermann S. (Hrsg.): Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag, S. 23-48.

Menschenrechts-Monitoring in der Sozialen Arbeit – Ein Beispiel eines Evaluationsvorhabens zur Umsetzung von Menschenrechten im Sozialamt der Stadt Salzburg Menschenrechts-Monitoring in der Sozialen Arbeit Robert Krammer

1. Einflussfaktoren auf die Umsetzung von Menschenrechten Anfang 2017 hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit einer Proklamation zur europäischen Säule für soziale Rechte aufhorchen lassen (vgl. Europäische Kommission 2017). In drei Kapiteln und 20 Unterpunkten zählt die Kommission in ihrer Erklärung soziale Rechte auf, die jeder EU-Bürgerin und jedem EU-Bürger zustehen sollen. Diese Struktur soll Europa zu einem sogenannten „sozialen Triple-A“ verhelfen, also zu einer Bestnote für die Umsetzung sozialer Standards. Mit Blick auf die DGSA Jahrestagung 2017, die sich unter dem Thema „Soziale Arbeit und Menschenrechte“ mit dem Spannungsfeld der Umsetzung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit beschäftigte, könnte man sich fragen, ob es sich bei diesem Vorhaben um eine Realutopie handelt oder doch ein konkreter Handlungsauftrag ‚von ganz oben‘ zu entdecken ist? Zur Umsetzung bzw. Realisierung von Menschenrechten ist in der Regel ein ausgewogenes Kräfteverhältnis unterschiedlicher, wichtiger Akteur_innen notwendig. Vereinfacht dargestellt könnte dies am Beispiel der Umsetzung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit folgendes bedeuten: im Fokus steht die Realisierung von Menschenrechten. Diese gilt es zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. ‚Achten‘ im Sinne der staatlichen Verpflichtung, jede Verletzung der Menschenrechte zu unterlassen. ‚Schützen‘ im Sinne der staatlichen Verpflichtung, alle seinem Schutz unterstellten Menschen vor Übergriffen – auch vor Übergriffen dritter Personen – zu bewahren. ‚Gewährleisten‘ im Sinne der staatlichen Verpflichtung, für die in seinem Einflussbereich befindlichen Personen unter Bedachtnahme der Menschenrechte Sorge zu tragen.

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Die zentralen Einflussfaktoren – sei es mit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Realisierung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit – können nun von unterschiedlichen Akteur_innen gestaltet werden.

1.1 Internationale Akteur_innen 1.1.1 EU-Organe Beim zuvor erwähnten Statement der Europäischen Kommission handelt es sich um die Erklärung eines obersten EU-Organs. Rechtlich betrachtet ist dies lediglich eine Empfehlung. Dieser Rechtsakt eines EU-Organs ist im Vergleich zu einer Verordnung oder Richtlinie für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich. Ebenso braucht es für seine Wirksamkeit keiner Zustimmung des europäischen Parlaments oder des europäischen Rats. Man könnte darin auch einen Wunsch bzw. Rat an die Mitgliedsstaaten erblicken. Dabei darf jedoch die Wirkung von Empfehlungen nicht unterschätzt werden, da sie als Argumentationsgrundlage für die Politik herangezogen werden können oder als Auslegungsmaßstab für Gerichte von EU-Recht dienen.

1.1.2 Internationale Organisationen Die Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit werden zudem durch die Struktur der Weltgesellschaft und ihren Rechtsakten beeinflusst. Dazu zählen etwa UNKonventionen wie der von der UN verabschiedete „Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ (UN 1966) oder das UN-Manual „Human Rights and Social Work“ (UN 1994), welches bei der UNOMenschenrechtskonferenz 1993 in Wien erarbeitet wurde. Desgleichen hat der Europarat empfohlen, Menschenrechte in die Lehrpläne, Weiterbildungen und die soziale Praxis von Sozialarbeiter_innen zu integrieren (vgl. Ministerkomitee 2001). Darüber hinaus bestehen weitere unterschiedliche Konventionen, völkerrechtliche Verträge, etc., die sich auf die Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit auswirken können.

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1.2 Nationale Akteur_innen 1.2.1 Staatsgewalten Auf nationaler Ebene bedarf es zur Gewährleistung von Menschenrechten eines ausgewogenen Zusammenspiels der Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Neben entsprechenden gesetzlichen Verankerungen durch den Gesetzgeber ist eine konsequente und lückenlose Anwendung der gesetzlichen Normierungen notwendig. Sofern es an der Umsetzung oder Wahrung von Menschenrechten mangelt, kann mit entsprechenden Beschwerdemöglichkeiten durch die Gerichtsbarkeit Abhilfe geschaffen werden. Versagen eine oder mehrere dieser Gewalten, ist die Realisierung von Menschenrechten massiv gefährdet. Insofern wäre dem menschenrechtlichen Grundgedanken nicht Genüge getan, würde man sich bloß mit wertaufgeladenen Begrifflichkeiten in Gesetztestexten begnügen, ohne etwa auf einen regelkonformen Vollzug zu achten oder Betroffenen ihren Zugang zum Recht zu gestatten.

1.2.2 Sozialarbeiter_innen Damit ein international bzw. national definiertes Selbstverständnis nicht bloß aus folgenlosen Deklarationen besteht, bedarf es weiterer ganz wesentlicher Akteur_innen: den Angehörigen der Sozialen Arbeit. Die Debatten über eine Implementierung der Menschenrechte in der Sozialen Arbeit sind Angehörigen der Sozialen Arbeit nicht fremd. Diverse Deklarationen im Zusammenhang mit Menschenrechten repräsentieren dahingehend einen langwierigen Weg. Bloß demonstrativ zu nennen sind etwa die Erklärungen der Generalversammlungen der IASSW und der IFSW in Australien 2004, wonach die Prinzipien der Menschenrechte zu den Grundlagen der Sozialen Arbeit gezählt werden (vgl. IASSW/IFSW 2004: 2)1. Auch die Präambel der Verfassung des internationalen Verbands der Sozialarbeiter_innen aus 2016 hält ausdrücklich fest, dass sich derselbe für die Menschenrechte einsetzt (vgl. IFSW 2016: Preamble)2. Weiters wird unter den Zielen des Verbands erklärt, dass die Sozialarbeiter_innen einen einzigartigen, professionellen und kritischen Beitrag in der Gesellschaft leisten, wozu auch der Einsatz für Menschenrechte zählt

1 „[…] Principles of human rights and social justice are fundamental to social work.“ (IASSW/IFSW 2004: 2) 2 „The Mission of IFSW is to advocate for social justice, human rights and social development through plans, actions, programs and the promotion of best practice models in social work within a framework of international cooperation.” (IFSW 2016)

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(ebd.: Article 4)3. Nicht zuletzt vertritt Silvia Staub-Bernasconi schon seit vielen Jahren die Position, dass die Soziale Arbeit eine Menschenrechtsprofession sei (Staub-Bernasconi: 2017). Damit Menschenrechte von den Angehörigen der Sozialen Arbeit in ihrem beruflichen Umfeld geachtet, geschützt und gewährleistet werden, müssen diese über Wissen, Können und eine entsprechende Haltung verfügen. Wissen über Menschenrechte und deren Auslegung, Können im Sinne der Anwendung von Menschenrechten bei sozialarbeiterischen Interventionen und Haltung im Sinne einer wertebewussten professionellen beruflichen Umsetzung. Hier liegt letztendlich der Schlüssel zur Realisierung von Menschenrechten im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit, um die Betroffenen, die in aller Regel einer vulnerablen Gruppe angehören und somit besonders schützenswerte Personen darstellen, menschenwürdig zu behandeln. Um der konkreten Umsetzung dieses Anspruchs gerecht zu werden, soll im Folgenden ein weiterer Garant zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten beschrieben werden, der sich national und international immer mehr durchsetzt und sich zunehmend zu einem wirkungsvollen Instrument entwickelt: das „Menschenrechts-Monitoring“.

1.3 Monitoring Der Begriff ‚Monitoring‘ stammt bekanntlich aus dem Englischen und wird mit Kontrolle, Überwachung oder Beobachtung übersetzt. Bereits die verschiedenen Übersetzungen lassen die vielfältigen Formen eines Monitorings erkennen. Monitoring kann somit auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Auswirkungen betrieben werden. Die grundsätzliche Ausrichtung eines Monitorings ist das systematische Sammeln und Erfassen von Informationen und Abläufen. In weiterer Folge sind der Ist-Zustand zu bewerten und konstruktive Empfehlungen zu erarbeiten. Handelt es sich um ein Menschenrechts-Monitoring, stehen Schutz und Förderung von Menschenrechten der Betroffenen im Fokus. Als Prüfungsmaßstab dienen entsprechende nationale und internationale Schutznormen sowie menschenrechtliche Standards. Das Monitoring-Mandat wiederum definiert, wie umfangreich sich der Einfluss eines Monitorings auf die tatsächlichen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen auswirkt.

3 „Social workers make a unique, professional and critical contribution to society. […] IFSW supports social workers to achieve this through the following aims: […] Advocating professional social work values, standards, ethics, human rights, recognition, training and working conditions.“ (ebd.: Article 4)

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Die Vorstellung des in der Folge beschriebenen Projekts befindet sich auf der niederschwelligsten Ebene des Monitorings, dem ‚Beobachten‘. Bevor dieses genauer beschrieben wird, soll im Zusammenhang mit den Einflussfaktoren auf die Umsetzung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit noch eine hochschwellige Form des Monitorings behandelt werden.

1.3.1 OPCAT Im Juni 2006 ist das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete „Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ (OPCAT 4 ) in Kraft getreten (Generalversammlung der Vereinten Nationen 2002). Artikel 3 des Protokolls bestimmt, dass jeder Vertragsstaat auf innerstaatlicher Ebene eine oder mehrere Stellen bilden, bestimmen oder unterhalten soll, die zur Verhinderung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlungen oder Strafen Besuche durchführen. Dadurch soll ein umfassendes Menschenrechts-Monitoring in den Unterzeichnerstaaten gewährleistet werden. Für die Einrichtung eines „nationalen Präventionsmechanismus“ hat der Staat mehrere Garantien zu übernehmen: dazu zählen die Unabhängigkeit der Institution und ihres Personals, die nötige Sachkompetenz, eine ausgewogene Beteiligung der Geschlechter, eine angemessene Vertretung der ethnischen Gruppen und Minderheiten des Landes und die für die Arbeit erforderlichen finanziellen Mittel (vgl. Artikel 18 OPCAT). Die Mitglieder können in weiterer Folge jeden Ort der Freiheitsentziehung eines Staates unangemeldet besuchen und kontrollieren. Die Untersuchungsergebnisse dienen insbesondere dazu, von höchster Stelle Prüfverfahren einzuleiten, die sich direkt an die obersten Verwaltungsorgane des Landes richten. Bei den Besuchsorten handelt es sich im Besonderen auch um Stellen, an denen Sozialarbeiter_innen beschäftigt sind. Neben den klassischen Orten des Freiheitsentzugs, wie Justizanstalten und Polizeiverwahrungen, zählen dazu vor allem Alten- und Pflegeheime, Psychiatrische Anstalten, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder Einrichtungen und Programme für Menschen mit Behinderungen (sofern ein entsprechendes Mandat nach der UN-Behindertenrechtskonvention vorhanden ist). Beim „OPCAT-Mandat“ handelt es sich insofern um ein effizientes Instrument zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten. Alleine die jeweilige innerstaatliche Umsetzung wird sehr unterschiedlich wahrgenommen, wobei hier wiederum die bereits erwähnten nationalen Akteur_innen ins Spiel

4 OPCAT steht für „Optional Protocol to the Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment”

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kommen. Dies soll ein Vergleich des OPCAT-Umsetzungsstandes zwischen Deutschland und Österreich illustrieren.

1.3.2 OPCAT-Umsetzung in Deutschland und Österreich Deutschland hat das OPCAT im Jahr 2008 ratifiziert. Für die Umsetzung verantwortlich zeichnet die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“, die als „Nationaler Präventionsmechanismus“ eigens dafür gegründet wurde. Für die Bundesstelle arbeiten zwei Mitglieder, für die Länderkommissionen acht, allesamt ehrenamtlich. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 82,2 Millionen Menschen erstreckt sich das Mandat auf ca. 13.200 Einrichtungen. Im Berichtszeitraum 2016 wurden von der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter in Deutschland 63 Besuche durchgeführt (vgl. Nationale Stelle zur Verhütung von Folter 2016). Österreich hat das OPCAT im Jahr 2012 ratifiziert. Verantwortlich ist die seit 1977 für die Missstandskontrolle zuständige Volksanwaltschaft: sie wurde 2012 um die Aufgaben des OPCAT-Mandats entsprechend erweitert. Dazu zählen insbesondere derzeit 56 Expert_innen, die auf Honorarbasis ihre Aufgaben in sechs regionalen Kommissionen wahrnehmen. An der Spitze der Volksanwaltschaft stehen drei Volksanwält_innen, die einem Verwaltungsapparat mit Sitz in Wien mit gut 90 Angestellten vorstehen. Bei knapp einem Zehntel der Einwohnerzahl Deutschlands (etwa 8,7 Millionen Einwohner_innen) sind in Österreich ca. 4.000 Einrichtungen vom OPCAT-Mandat umfasst. Im Berichtszeitraum 2016 wurden von den Kommissionen der Volksanwaltschaft 522 Einsätze durchgeführt, davon 92 % unangekündigt. In 83 % der Besuche kam es zu menschenrechtlichen Beanstandungen. Für die Tätigkeit des Nationalen Präventionsmechanismus stand im Jahr 2016 eine Summe von € 1.450.000 zur Verfügung (vgl. Volksanwaltschaft 2016).

2. Menschenrechts-Monitoring im Sozialamt der Stadt Salzburg 2.1 Vorgeschichte Im Jahr 2008 hat die Stadt Salzburg als erste österreichische Stadt die ursprünglich im Jahr 2000 in St. Denis verabschiedete „Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt“ unterzeichnet und trat der „Europäischen Konferenz Städte für die Menschenrechte“ bei (vgl. Stadt Salzburg 2008). Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von ca. 235 Städten, welches

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im Oktober 1998 in Barcelona ins Leben gerufen wurde, um eine Kultur der Menschenrechte in den Städten zu fördern. Grundlage für die Aktivitäten dieses Städte-Netzwerks ist die „Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt“. Neben der ganz allgemeinen und grundsätzlichen Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten aus dem österreichischen Rechtsbestand wollte die Stadt Salzburg mit diesem Schritt noch weitere Ziele umsetzen. Dazu zählte vor allem die ausdrückliche Orientierung des Regierungs- und Verwaltungshandelns an den Menschenrechten mit dem Ziel, Menschenrechte im Alltagsleben der Einwohner_innen zu realisieren sowie eine Kultur des gegenseitigen Respekts im städtischen Zusammenleben zu fördern und zu sichern. Dies sollte vor allem durch entsprechende Information und Bewusstseinsbildung von Akteur_innen in Politik, Verwaltung, Bildung, Polizei, Justiz usw. wie auch der Bevölkerung selbst erreicht werden. Vor diesem Hintergrund wurden langjährig praktizierte Abläufe in der städtischen Behörde, dem Magistrat der Stadt Salzburg, evaluiert. Die Ergebnisse brachten zumindest in bestimmten Bereichen Zweifel an einem menschenrechtskonformen Vorgehen zutage, wodurch ein interner Diskussionsprozess in Gang gesetzt wurde. Gerade in Hinblick auf die Bezeichnung „Menschenrechtsstadt Salzburg“ erhob der Magistrat Salzburg den Anspruch, dieser Selbstverpflichtung gerecht zu werden. Im Fokus stand die Frage, wie man z.B. Verfahrensabläufe oder direkte Kontakte zur Bevölkerung menschenrechtsförderlicher gestalten könne. Vorerst wurde das Augenmerk auf die Gestaltung des ‚mittelbaren Kontakts‘ von Klient_innen zur Behörde gelegt, um im ‚mittelbaren‘, sprich nichtpersönlichen Kontakt zur Bevölkerung die Verständlichkeit und Klarheit zu erhöhen. Dies betraf vorwiegend Schriftstücke und Bescheide.

2.2 Projektvorhaben In einem weiteren Schritt sollte sodann der Fokus auf den ‚unmittelbaren Kontakt‘ zur Behörde gerichtet werden, d.h. dem direkten Zusammentreffen von Klient_innen mit Mitarbeiter_innen des Magistrats Salzburg. Von Seiten des Magistrats Salzburg hat man sich zu diesem Zweck für eine externe Begleitung und Beobachtung im Sinne eines ‚Menschenrechts-Monitorings‘ des ‚unmittelbaren Kontakts‘ durch das Österreichische Institut für Menschenrechte (ÖIM) der Universität Salzburg entschieden. Als Arbeitsbereich wurde die Abteilung mit dem intensivsten Kundenkontakt gewählt, nämlich die „Abteilung 3/Soziales, Bedarfsorientierte Mindestsicherung“. Deren Klient_innen sind in der Regel Personen, die in finanzielle Not geraten sind und ihren Lebensunterhalt nicht abdecken können und einen

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Antrag auf Mindestsicherung stellen. Das Behördenpersonal setzte sich in diesem Bereich, neben der Amtsleitung, aus Referent_innen und Sozialarbeiter_innen zusammen.

2.3 Projektziele Die externe Begleitung im Bereich „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ sollte folgende Ziele verfolgen: die direkten Kontakte zwischen Antragsteller_innen und Behörde im Sinne eines Menschenrechts-Monitorings zu begleiten und zu beobachten mit dem Ziel, gute Arbeitsweisen zu erfassen, Best Practice Modelle aufzuzeigen sowie Schwachstellen zu erkennen und Veränderungsbedarfe zu benennen. Dadurch sollte letztendlich ein Beitrag zu einem menschenrechtskonformen Umgang zwischen Behörde und Klient_innen geleistet werden

2.4 Projektvereinbarungen Im Vorfeld wurden dazu unterschiedliche Vereinbarungen getroffen. Das Projekt beruhte in erster Linie auf den Grundsätzen der Kooperation und Freiwilligkeit. Es bestand eine Verschwiegenheitsverpflichtung durch das ÖIM. Die Anonymität für Mitarbeiter_innen und Klient_innen bzgl. ihrer Aussagen musste in vollem Umfang gewährleistet sein. Es sollte eine hohe Prozesseinbindung der Mitarbeiter_innen stattfinden. Letztlich sollten Mitarbeiter_innen in einem bereits praktizierten menschenrechtskonformen Umgang mit Klienten_innen gestärkt werden. Ausdrücklich wurden auch „Nicht-Ziele“ kommuniziert: u.a. sollten Mitarbeiter_innen durch das Projekt nicht kontrolliert werden und eventuelle Schwächen oder Fehler dürften nicht personenbezogen publik gemacht werden. Über Ziele wie „Nicht-Ziele“ wurde in einer Kick-Off Veranstaltung informiert.

2.5 Durchführung des „Menschenrechts-Monitorings“ Wie bereits dargestellt bedeutet der Begriff „Monitoring“ in dessen Ursprünglichkeit Kontrolle, Überwachung oder Beobachtung. Das hier beschriebene Projekt basierte auf den Grundsätzen der Freiwilligkeit und Kooperation, daher handelte es sich in diesem Fall um ein Monitoring im Sinne einer Beobachtung (und nicht einer Überwachung oder Kontrolle). Da es sich um ein „Men-

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schenrechts-Monitoring“ handelte, lag schließlich der Fokus auf der Beobachtung menschenrechtskonformer Abläufe und Rahmenbedingungen in der Verwaltung. Hierbei jedoch bloß den Blick auf den Umgang mit Klient_innen zu werfen, wäre verkürzt. Zum einen sind Menschenrechte unteilbar, d.h. sie gelten für alle Beteiligten (somit auch für sämtliche Mitarbeiter_innen). Zum anderen kann erst im Zusammenspiel aller Akteur_innen und sämtlicher Rahmenbedingungen ein menschenrechtskonformes Verhalten sichergestellt werden. Zur Durchführung des Menschenrechts-Monitorings wurde vereinbart, dass das ÖIM beim unmittelbaren Kontakt zwischen Behörde und Klient_innen beobachtend anwesend ist und die Gespräche – es handelte sich um Erst- bzw. Folgeanträge sowie um Sozialberatungen im Zusammenhang mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung – begleitet. Dazu bedurfte es jeweils der vorherigen Zustimmung der jeweiligen Klient_innen. Die Beobachtungen wurden in einem eigens dafür entwickelten Monitoring-Leitfaden systematisch erfasst. Hauptaugenmerk wurde vorwiegend auf die Umsetzung und Wahrung (menschen-)rechtlicher Verpflichtungen gelegt. Diese orientierte sich vorweg an zwei zentralen Normen: zum einen an den grundrechtlichen Vorgaben des Art. 41 der EU-Grundrechtecharta, wie insbesondere das Recht auf eine unparteiische und gerechte Behandlung, die Wahrung einer angemessenen Frist, das Recht jeder Person, gehört zu werden oder etwa die Verpflichtung der Behörde ihre Entscheidungen zu begründen (Europäische Union 2012: Artikel 41)5. Zum anderen orientierte sich die Beobachtung an einfachgesetzlichen Verpflichtungen im Sinne des Salzburger Mindestsicherungsgesetzes. Eine zentrale Rolle spielte dessen § 23, der konkrete Informationspflichten der Behörde festlegt, wie etwa die Pflicht, die Antragsteller_innen entsprechend zu informieren, zu beraten und anzuleiten sowie

5 Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: „Recht auf eine gute Verwaltung“ (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. (2) Dieses Recht umfasst insbesondere a) das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, b) das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses, c) die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. (3) Jede Person hat Anspruch darauf, dass die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. (4) Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten.“ (Europäische Union 2012)

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eine umfassende Überprüfung der Anspruchsberechtigung durchzuführen (Land Salzburg 2010: § 23)6. Da sich ‚menschenrechtskonforme Arbeitsweisen‘ nicht bloß auf die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen reduzieren lassen, wurde zudem besonderes Augenmerk auf die Interaktion zwischen Behörde und Klient_innen gelegt. Auf Behördenseite wurde u.a. die spezifische Vorbereitung der einzelnen Mitarbeiter_innen sowie deren Kooperationsbereitschaft, der Umgang mit Klient_innen hinsichtlich Sprachgebrauch, Umgangston, Freundlichkeit, Offenheit, Respekt und Unvoreingenommenheit, der Umgang mit Sprachbarrieren oder mit Kritik und Beschwerden sowie das praktizierte Konfliktmanagement in den Fokus genommen. Desgleichen wurde beobachtet, ob Informationen verständlich, einfach, transparent und nachvollziehbar erteilt wurden. Auf Empfängerseite wurde in anschließenden Interviews eruiert, ob der Informationsbedarf der Klient_innen tatsächlich gedeckt wurde, die Sprache bzw. die erteilten Informationen verstanden wurden und ob mit den Mitarbeiter_innen des Sozialamts kooperiert wurde und die Klient_innen mitgewirkt haben. Letztendlich spielte auch das Umfeld eine gewichtige Rolle, wobei auf die örtlichen Rahmenbedingungen geachtet wurde. Dazu zählten insbesondere die vorhandene Privatsphäre bei den Gesprächen sowie die Störung oder Unterbrechung durch äußere Faktoren. Ebenso wurde Augenmerk auf das Arbeitsumfeld der Mitarbeiter_innen hinsichtlich Lärm, Hitze, Luft, Licht, etc. gelegt. Neben den Gesprächsbeobachtungen wurden weitere Daten durch Interviews mit Klient_innen und Mitarbeiter_innen gesammelt. Als Grundlage dafür dienten, mit dem Magistrat Salzburg abgestimmte, standardisierte Fragenkataloge. Jener für die Klient_innen sollte vor allem Aufschlüsse darüber geben, ob die Behörde ihren (menschen-)rechtlichen Verpflichtungen ausrei6 § 23 Gesetz vom 7. Juli 2010 über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im Bundesland Salzburg (Salzburger Mindestsicherungsgesetz – MSG): „Informations- und Mitwirkungspflicht, Bedingungen“ (1) Die Behörde hat die Hilfe suchende Person sowie die sonstigen zur Antragstellung berechtigten Personen der jeweils festgestellten Sachlage entsprechend zu informieren, zu beraten und anzuleiten, soweit dies zur Erreichung der Ziele und nach den Grundsätzen dieses Gesetzes notwendig ist. (2) Die Hilfe suchenden Personen sowie deren zur Vertretung berechtigten Personen sind verpflichtet, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Rahmen der behördlichen Aufträge mitzuwirken. Insbesondere sind die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen sowie die dafür erforderlichen Urkunden und Unterlagen beizubringen. Die Hilfe suchende Person hat sich auch den für die Entscheidungsfindung unerlässlichen Untersuchungen zu unterziehen. (3) Kommen Personen gemäß Abs. 2 ihrer Mitwirkungspflicht ohne triftigen Grund nicht nach, kann die Behörde der Entscheidung über den Leistungsanspruch jenen Sachverhalt zugrunde legen, der bisher festgestellt worden ist, wenn auf die Folgen einer unterlassenen Mitwirkung hingewiesen worden ist. (4) Die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz kann auch von Bedingungen und Befristungen abhängig gemacht werden, die Hilfe suchende Personen sowie deren Vertreter und Sachwalter zu erfüllen haben.“ (Land Salzburg 2010)

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chend nachgekommen ist. Desgleichen sollten die Bedürfnisse der Klient_innen an die Behörde eruiert und der von ihnen empfundene atmosphärische Gesamteindruck hinsichtlich des Behördenhandelns rückgemeldet werden. Der Fragebogen für die Mitarbeiter_innen nahm Bezug auf das stattgefundene Klient_innengespräch, spezifische Arbeitserschwernisse bzw. Problemfelder ihres Arbeitsalltags und gab Raum, eigene Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge in den Gesamtprozess einzubringen. Innerhalb eines halben Jahres wurden insgesamt 41 Gesprächsbegleitungen, 37 Interviews mit Klient_innen sowie 22 Interviews mit Mitarbeiter_innen durchgeführt. Sämtliche gesammelten Aufzeichnungen, Beobachtungen und Eindrücke hinsichtlich der Gesprächsbeobachtungen und -begleitungen sowie der Interviews mit Mitarbeiter_innen und Klient_innen wurden in der Folge zusammengefasst, transkribiert und statistisch ausgewertet.

2.6 Zentrale Erkenntnisse Die Erkenntnisse des Projekts wurden in einen abschließenden Ergebnisbericht zusammengefasst und den Führungskräften und Mitarbeiter_innen des Magistrats der Stadt Salzburg präsentiert und übermittelt. Viele dieser Erkenntnisse unterliegen der Verschwiegenheitspflicht, jedoch kann so viel gesagt werden: den Mitarbeiter_innen wurde ein gutes Zeugnis ausgestellt. Vor allem wurde ihr korrekter Umgang mit den Klient_innen gelobt und als fair, freundlich, respektvoll, sehr professionell und hilfreich bezeichnet. Nichtsdestotrotz wurde an vereinzelten Mitarbeiter_innen auch Kritik geübt und bestimmte Spannungsfelder aufgezeigt, die den Beteiligten auch rückgemeldet wurden. Dabei wurden auch etliche Herausforderungen erkannt, dazu zählten der teils differierende Qualitätsstandard im Verfahrensablauf, die spannungsgeladene Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen (insbesondere jener zwischen Referent_innen und Sozialarbeiter_innen) oder stark herausfordernde räumliche Rahmenbedingungen, die sich mitunter auf die Klient_innengespräche auswirkten. Der Magistrat der Stadt Salzburg nahm die Ergebnisse zum Anlass und ermöglichte den Mitarbeiter_innen einen begleiteten Coachingprozess, in dem die vom ÖIM benannten Problemfelder analysiert und aufgearbeitet wurden. In weiterer Folge wurden zusätzliche Maßnahmen ergriffen und es konnten sehr praktische Auswirkungen wahrgenommen werden. Dazu zählten u.a. der Abbau sprachlicher Barrieren durch Sensibilisierung der Mitarbeiter_innen und Neugestaltung diverser Schriftstücke, inhaltliche Schulungen zur Vereinheitlichung und Standardisierung des Ermittlungsverfahrens mit dem Ziel der Gleichbehandlung aller Antragsteller_innen, Verminderung von Zeitdruck durch Erhöhung der Personalressourcen, individuelle und fachspezifische

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Fortbildungen, Abbau von störenden Einflüssen auf die Behördengespräche und vieles dergleichen mehr. Alles in allem brachte das Projekt eine wesentliche Verbesserung sowohl für die Klient_innen als auch für die Mitarbeiter_innen des Sozialamts. Aus Sicht des ÖIM war dieses Projekt äußerst bemerkenswert und innovativ zugleich. Es war alles andere als selbstverständlich, dass eine Behörde eine universitäre Einrichtung einlädt, um die Arbeitsweise und Methoden ihres Verwaltungshandelns zu durchleuchten. Für eine derartige Initiative brauchte es Mut, Entschlossenheit, Selbstreflexion und Willen zur Weiterentwicklung sowie entsprechende Offenheit und Vertrauen, da man als Außenstehender doch stark in ein berufliches Umfeld eindringt.

3. Fazit Zur nachhaltigen Realisierung von Menschenrechten in der Sozialen Arbeit bedarf es des Zusammenwirkens unterschiedlichster Akteur_innen. Ein wesentlicher Garant hierfür kann im Monitoring erblickt werden. Ein unabhängiges Menschenrechts-Monitoring ist imstande, gute Arbeitsweisen zu erfassen, Best Practice Modelle aufzuzeigen, Schwachstellen zu erkennen und Veränderungsbedarf zu benennen. Dadurch kann ein wertvoller Beitrag zu einer menschenrechtskonformen Interaktion in der Sozialen Arbeit geleistet werden. Zugleich hat ein entsprechendes Menschenrechts-Monitoring das Potential, sich positiv auf die Arbeitsrahmenbedingungen und die Zufriedenheit von Mitarbeiter_innen auszuwirken. Letztendlich jedoch kann eine menschenrechtskonforme Soziale Arbeit nicht bloß verordnet oder diktiert werden, diese muss praktisch gelebt werden.

Literatur Europäische Kommission (2017): Proposal for an Interinstitutional Proclamation on the European Pillar of Social Rights. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM:2017:251: FIN [Zugriff: 09.12.2017]. Europäische Union (2012): Charta der Grundrechte der Europäischen Union. http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf [Zugriff: 09.12.2017]. Generalversammlung der Vereinten Nationen (2002): Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/20008215/%c3%9cbereinkomm en%20gegen%20Folter%20und%20andere%20grausame%2c%20unmenschliche%20Behand

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lung%20-%20Fakultativprotokoll%2c%20Fassung%20vom%2013.12.2017.pdf [Zugriff: 13. 12.2017]. IASSW/IFSW (2004): Global Standards for the Education and Training of the Social Work Profession. http://cdn.ifsw.org/assets/ifsw_65044-3.pdf [Zugriff: 09.12.2017]. IFSW (2016): Constitution of the International Federation of Social Workers. http://cdn.ifsw.org/ assets/ifsw_84608-2.pdf [Zugriff: 09.12.2017]. Land Salzburg (2010): Salzburger Mindestsicherungsgesetz. Stammfassung Landesgesetzblatt Nr. 63/2010 in der Fassung Nr. 100/2016. https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/LrSbg/ 20000685/MSG%2c%20Fassung%20vom%2013.12.2017.pdf [Zugriff: 13.12.2017]. Ministerkomitee (2001): Empfehlung R (2001) 1 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Sozialarbeiter. https://www.jura.uni-tuebingen.de/einrichtungen/ifk/homepages/ehemalige/czerner/Europarat/R%282001%291%20.doc/at_download/file [Zugriff: 09.12.2017]. Nationale Stelle zur Verhütung von Folter (2016): Jahresbericht 2016. http://www.nationalestelle.de/fileadmin/dateiablage/Dokumente/Berichte/Jahresberichte/Jahresbericht_2016_Nationale_Stelle.pdf [Zugriff: 09.12.2017]. Stadt Salzburg (2008): Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt. https://www.stadt-salzburg.at/pdf/mit_der__europaeischen_charta_fuer_den_schutz_der_.pdf [Zugriff 09.12.2017]. Staub-Bernasconi, Silvia (2017): Soziale Arbeit und Menschenrechte. Vom beruflichen Doppelmandat zum professionellen Tripelmandat. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich. UN – United Nations (1966): Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966. https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10000627/Internationaler%20Pakt%20%c3%bcber%20b%c3%bcrgerliche%20und%20politische%20Rechte%2c%20Fassung%20vom%2013.12.2017.pdf [Zugriff: 13.12.2017]. UN – United Nations (1994): Human Rights and Social Work. http://cdn.ifsw.org/assets/ ifsw_24626-7.pdf [Zugriff: 09.12.2017]. Volksanwaltschaft (2016): Bericht der Volksanwaltschaft an den Nationalrat und an den Bundesrat 2016. Band: Präventive Menschenrechtskontrolle. https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/9l6jq/PB40pr%C3%A4ventiv.pdf [Zugriff 09.12.2017].

Die Herausgeber_innen und Autor_innen Die Herausgeberin und der Herausgeber Spatscheck, Christian, Prof. Dr. phil., Dipl.-Päd., Dipl.-Soz.-Arb., Professor für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Fakultät Gesellschaftswissenschaften der Hochschule Bremen, Visiting Scholar an der Universität Lund, Visiting Professor an der Universität Pisa. Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA); Arbeitsschwerpunkte: Theorien und Methoden Sozialer Arbeit, insbes. sozialraumbezogene Arbeitsansätze, systemisches Denken und Handeln, Sozialpädagogik, Kinder- und Jugendhilfe, insbes. Jugendarbeit, sowie Internationale Soziale Arbeit. Kontakt: [email protected] Steckelberg, Claudia, Prof. Dr. phil., Dipl. Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, Professorin für Sozialarbeitswissenschaft am Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung der Hochschule Neubrandenburg. Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA); Arbeitsschwerpunkte: Wohnungslosenhilfe, Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit, insb. methodisches Handeln, Gemeinwesenarbeit und Bürger_innenbeteiligung, genderbezogene und queere Ansätze, Prozesse von Marginalisierung und Anerkennung in der Sozialen Arbeit, rekonstruktive Sozialforschung. Kontakt: [email protected]

Die Autorinnen und Autoren Bliemetsrieder, Sandro, Prof. Dr. phil., Dipl.-Soz.-Päd. (FH), Professur für Erziehungswissenschaft/ Sozialpädagogik an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege der Hochschule Esslingen; Arbeitsschwerpunkte: Erziehung und Bildung, Professionalisierung, normative Orientierungen, rekonstruktive Bildungsforschung. Kontakt: [email protected] Bochert, Nadine, M.A. Dipl. Sozialpädagogin, seit 2008 im Praxisfeld der queeren Jugendhilfe tätig (sozialpädagogische Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Qualitätsentwicklung). Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Mitarbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, u.a. im Rahmen des partizipativen Praxisprojekts „Inter*-Trans*-Jugendliche-Online – das Portal www.meingeschlecht.de."; Arbeitsschwerpunkte: Gender und Queer in der

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Die Herausgeber_innen und Autor_innen

Praxis der Sozialen Arbeit, insbesondere im Kontext hilfeplananalog gesteuerter Hilfen zur Erziehung. Kontakt: [email protected] Brantl, Isabelle, M.Sc. Transnational Crime, Justice and Security, Mitglied der European Society of Criminology; Arbeitsschwerpunkte: Gender-based Violence, Menschenhandel, Früh- und Zwangsehen, Transnationale Kriminalität. Sie promoviert mit einem Schwerpunkt auf Genderperspektiven in der Kriminologie. Kontakt: [email protected] Eberlei, Walter, Prof. Dr., Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule Düsseldorf (HSD); Arbeitsschwerpunkte: Zivilgesellschaftliches bzw. bürgerschaftliches Engagement, Empowerment, Menschenrechte. Kontakt: [email protected] Focks, Petra, Prof. Dr. phil., Diplom-Pädagogin, Professorin für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB). Mitentwicklung des Studiengangs Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession (MRMA); Arbeitsschwerpunkte in Lehre und Forschung: Soziale Arbeit und Menschenrechte, Bildung, Kinder- und Jugendarbeit, Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen aus intersektionaler Perspektive, Menschrechte, Gender und Queer, geschlechterbewusste und inklusive Pädagogik im Kindesalter. Kontakt: www.petra-focks.de; [email protected] Geisler, Alexandra, Dr. phil., M.A. Soziale Arbeit und Menschenreche, Dipl. Sozialpädagogin und Mediatorin, Referentin Jugendhilfe im Paul Gerhardt Werk Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Privilegierung und Marginalisierung, gesellschaftliche Machtverhältnisse und Intersektionalität, Ethnie im Kontext sozialer Ungleichheitslagen und Migration, Diskriminierungserfahrung, AntiBias / Vorurteilsbewusste Bildung, Menschenhandel, Prävention sexualisierter Gewalt, Jugendhilfe, parteiliche Mädchenarbeit. Kontakt: www.alexandra-geisler.de; [email protected] Hahn, Kathrin, Prof. Dr. phil., Dipl. Soz.-Arb./Soz.-Päd., Professorin für die Wissenschaft Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg, Prorektorin; Arbeitsschwerpunkte: Differenzsensibilität in der Sozialen Arbeit, Migration, Alter, Sozialraumorientierung, Gemeinwesenarbeit, Qualitative Sozialforschung. Kontakt: [email protected] Heming, Ann-Christin, Alternde Gesellschaften M.A., Soz. Arb. B.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund; Arbeits-

Die Herausgeber_innen und Autor_innen

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schwerpunkte: Partizipation in alternden Gesellschaften, Quartiersentwicklung, Soziale und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter, Soziale Arbeit im Krankenhaus. Kontakt: [email protected] Hundeck, Markus, Prof. Dr., Professor für Ethik und Methoden der Sozialen Arbeit an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Kontakt: [email protected] Ife, Jim, Prof. Dr., Professor of Social Work and Community Welfare an der School of Social Sciences and Psychology der Western Sydney University, Australien. Zuvor Professor of Human Rights Education an der Curtin University in Perth und davor Professor of Social Work and Social Policy an der University of Western Australia und der Curtin University in Perth, ehemaliger Präsident von Amnesty International Australia und ehemaliger Convenor der Human Rights Commission der International Federation of Social Workers; Arbeitsschwerpunkte: Soziale Arbeit, Community Development und Menschenrechte. Kontakt: [email protected] Kittel, Claudia, Dipl.-Päd., Leiterin der Monitoring Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte, Promovendin an der Universität Siegen im Internationalen Promotionsstudiengang Erziehungswissenschaft, ehemals Vorstandsmitglied im Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.; Arbeitsschwerpunkte: Beteiligungsrechte von Kindern, wirksame Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche sowie Rechte von Flüchtlingskindern in Deutschland und Rechte der Kinder von Inhaftierten. Kontakt: [email protected] Krammer, Robert, Dr. iur., Jurist, Mag. iur, Senior Scientist am Österreichischen Institut für Menschenrechte (ÖIM) der Universität Salzburg, stellvertretender Leiter und Mitglied der Expertenkommission 2 der Volksanwaltschaft Österreich nach OPCAT; Arbeitsschwerpunkte: Aus-/Fortbildungs- und Schulungswesen des ÖIM im Bereich Menschenrechte, Menschenrechtstraining, Menschenrechtsmonitoring. Kontakt: [email protected] Maar, Katja, Prof. Dr. phil., Dipl. Päd., Professorin für Wissenschaft der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Theorie und Geschichte an der Technischen Hochschule Köln; Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit, Menschen in existenziellen Notlagen, Wohnungslosenhilfe, sozialpädagogische Nutzer_innenforschung. Kontakt: [email protected]

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Die Herausgeber_innen und Autor_innen

Martin, Edi, MAS Sozialmanagement, Dipl. Sozialarbeiter, Dozent, Beratung und Projektarbeit im Sozialbereich. Gründungs- und Vorstandsmitglied Freies Institut für Theorie und Praxis Sozialer Arbeit e.V. http://www.freies-instituttpsa.com, Gründungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (SGSA-SSTS), Mitglied der Menschenrechtsgruppe Weingarten, des Netzwerks Gemeinwesenarbeit Deutschschweiz und der Sektion GWA der DGSA; Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaft Sozialer Arbeit, Gemeinwesenarbeit, Ethik und Menschenrechte in der Sozialen Arbeit, partizipative Projektarbeit, allgemeine Handlungstheorie. Kontakt: [email protected] May, Michael, Prof. Dr. habil., Dipl.-Päd., Professor für Theorie und Empirie Sozialer Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinwesenarbeit an der Hochschule RheinMain, Sprecher des Hessischen Promotionszentrums Soziale Arbeit; Arbeitsschwerpunkte: Politik und Pädagogik des Sozialen, Professionalität Sozialer Arbeit, Gemeinwesenarbeit, Intersektionalität. Kontakt: [email protected] Mührel, Eric, Prof. Dr. phil., Professor für professionsspezifische und ethische Grundlagen Sozialer Berufe an der Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften; Kontakt: [email protected] Mührel, Linus, Dipl. Jurist, Doktorand an der Freien Universität Berlin und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Dresden am Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht. Kontakt: [email protected] Nachtigall, Andrea, Prof. Dr. phil., Diplom-Pädagogin, Professur für Gender und Diversity in der Sozialen Arbeit an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen; Arbeitsschwerpunkte: Gender/Queer und Diversity in der Sozialen Arbeit insbesondere Jugendarbeit, soziale Ungleichheit, Intersektionalität, Lebenswelten von lsbtiq*Jugendlichen und Unterstützungsbedarfe und -angebote in Thüringen, Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Kontakt: [email protected] Neuhoff, Katja, Dr. phil., Sozialethikerin und Sozialpädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Hochschule Düsseldorf (HSD); Arbeitsschwerpunkte: Fachbereichsmanagement, Menschenrechte, Ethik sozialprofessionellen Handeln, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, Diversität und Antidiskriminierung. Kontakt: [email protected] Prasad, Nivedita, Prof. Dr. phil., Dipl.-Soz.-Päd., Professorin für Handlungsmethoden Sozialer Arbeit und genderspezifische Soziale Arbeit an der Alice

Die Herausgeber_innen und Autor_innen

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Salomon Hochschule in Berlin, wo sie u.a. den deutschsprachigen Masterstudiengang Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession leitet; Arbeitsschwerpunkte: Menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit, intersektionale Soziale Arbeit, DiskriminierungEN, Gewalt gegen Frauen und Methoden Sozialer Arbeit, die strukturelle Änderungen ermöglichen. 2012 wurde ihr der erste Anne-KleinPreis der Heinrich Böll-Stiftung für ihr Engagement gegen Menschenrechtsverletzungen an Migrantinnen verliehen. Kontakt: [email protected] Rieger, Günter, Prof. Dr. phil, Dipl. Sozialpädagoge (BA), Politikwissenschaftler (MA), Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart (DHBW Stuttgart), Studiengangsleiter Soziale Dienste in der Justiz; Arbeitsschwerpunkte: Sozialarbeitspolitik, Governance Sozialer Arbeit, Theorien sozialer Gerechtigkeit, Forensische Sozialarbeit. Kontakt: [email protected] Riekenbrauk, Klaus, Prof. Dr. jur., Rechtswissenschaftler, Professor (emer.) für Rechtswissenschaft an der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozialund Kulturwissenschaften, Rechtsanwalt, Vorsitzender der Brücke e.V. Köln (Einrichtung der Jugendstraffälligenhilfe); Arbeitsschwerpunkte: Strafrecht, Jugendstraf- und Jugendhilferecht und Menschenrechte. Kontakt: [email protected] Rosenmüller, Stefanie, Prof. Dr., geb. 1968, Professorin für Philosophie, Ethik und Bildung an der Fachhochschule Dortmund; Arbeitsschwerpunkte: Angewandte Ethik der Sozialen Arbeit, Menschenrechte und Urteilskraft im Anschluss an Hannah Arendt, Vertrauensethik: Begriffe und Bedingungen von Vertrauen in der Sozialen Arbeit, Phänomenologie, Rechtstheorie. Kontakt: [email protected] Sauer, Karin Elinor, Prof. Dr. rer. soc., Dipl.-Päd., Master of Diversity Education, Professorin für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen, Leiterin des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderungen DHBW VS, Wissenschaftliche Leitung des Masterstudiengangs Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft CAS DHBW; Arbeitsschwerpunkte: Cultural Studies, Disability Studies, Diskriminierungssensible Soziale Arbeit, Rassismuskritische Migrationspädagogik. Kontakt: [email protected] Schirilla, Nausikaa, Prof. Dr. phil., habil., Professorin für Soziale Arbeit, Migration und Interkulturelle Kompetenz an der Katholischen Hochschule Freiburg, Redaktionsleitung polylog – Zeitschrift für Interkulturelles Philosophieren; Arbeitsschwerpunkte: Migration, Flucht und Soziale Arbeit; Care und Migration, Genderfragen, Migration und Ethik, postkoloniale Theorien. Kontakt: [email protected]

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Die Herausgeber_innen und Autor_innen

Schmidt, Josephina B.A./M.A., Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Hochschule Esslingen, Doktorandin an der Universität Tübingen; Arbeitsschwerpunkte: Frauen in stationären Wohnheimen der Sozialpsychiatrie, Sozialpsychiatrie, Professionalisierung Sozialer Arbeit, Kritische Soziale Arbeit, Bildung in der Sozialen Arbeit, rekonstruktive Sozialforschung, Digitalisierung der Hochschullehre. Kontakt: [email protected] Schramkowski, Barbara, Prof. Dr. phil., Dipl. Sozialpädagogin, Professorin für Grundlagen und Methoden Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt Erziehung und Bildung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg VillingenSchwenningen; Arbeitsschwerpunkte: Lebenslagen junger Menschen im Kontext rassistischer Machtverhältnisse, Alltagsrassismus, Interkulturelle Öffnung, geschlechtergerechte Personal- und Organisationsentwicklung, diversitätsbewusste Soziale Arbeit. Kontakt: [email protected] Staub-Bernasoni, Silvia, Prof. Dr. Habil. (emer.), Dipl. Sozialarbeiterin, Professorin für Soziale Arbeit in und mit Gemeinwesen, Theorien Sozialer Probleme, Soziale Arbeit als Disziplin und (kritische) Profession an der Schule für Soziale Arbeit Zürich, der Universität Freiburg/CH, der Wirtschaftsuniversität Wien, der Technischen Universität Berlin/Institut für Sozialpädagogik; Gründerin, Leitung und Lehrende des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als (eine) Menschenrechtsprofession“ Berlin; Mitwirkung bei der Planung und Lehre im „International Master of Human Rights as a Human Rights Profession“ an der Alice Salomon-Hochschule Berlin; Mitgründerin des "International Journal of Human Rights and Social Work“ (2016). Arbeitsschwerpunkt der letzten Jahre: Soziale Arbeit, Menschenrechte und Menschenrechtspraxis. Kontakt: [email protected]. Stein, Margit, Prof. Dr. phil. habil., Diplom-Psychologin und Diplom-Pädagogin, Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Fakultät I der Universität Vechta, Direktorin des Zentrums für Lehrerbildung ZfLB an der Universität Vechta; Arbeitsschwerpunkte: Forschung zum Leben in ländlichen Räumen, religiöse und wertebezogene Orientierungen, Erziehungsforschung, Migrationspädagogik, Kinder- und Menschenrechte. Kontakt: [email protected] Stövesand, Sabine, Prof. Dr. phil, Professorin für Soziale Arbeit an der HAW Hamburg, Fakultät Wirtschaft und Soziales, Dept. Soziale Arbeit, Sprecherin der Sektion Gemeinwesenarbeit der DGSA; Arbeitsschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, Gender und Diversity, Theorien Sozialer Arbeit, sozialraumbezogene Konzepte zur Prävention häuslicher Gewalt (SToP – Stadtteile ohne Partnergewalt, www.stop-partnergewalt.org). Kontakt: [email protected]

Die Herausgeber_innen und Autor_innen

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Thiessen, Barbara, Prof. Dr. phil., Dipl. Sozialpädagogin und Supervisorin, Professorin für Gendersensible Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut, Leiterin des Instituts Sozialer Wandel und Kohäsionsforschung (IKON), Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA); Arbeitsschwerpunkte: Genderdynamiken in intersektioneller Perspektive, Gender und Care im Kontext sozialer Ungleichheitslagen und Migration, Familie und Familienpolitik im sozialen Wandel, Professionalisierung in personenbezogenen Dienstleistungen. Kontakt: [email protected] Toens, Katrin, Prof. Dr. phil., Dipl. Politikwissenschaftlerin, Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Hochschule Freiburg, Leiterin des forschungsorientierten Master Soziale Arbeit, Mitglied in der Fachgruppe Politik Sozialer Arbeit der DGSA; Arbeitsschwerpunkte: Verbände- und Interessengruppenforschung, Politikfeldanalyse, international vergleichende Sozialpolitikforschung, politische Theorie. Kontakt: [email protected] Tsirikiotis, Athanasios, Sozialarbeiter und Sozialpädagoge B.A./M.A.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Esslingen; Lehre im Bachelorund Masterstudiengang Soziale Arbeit; Arbeit an der Promotion an der Universität Flensburg am Institut für Erziehungswissenschaft; Leitung eines Sozialhotels der Wohnungsnotfallhilfe des Trägers Ambulante Hilfe e.V. in Stuttgart; Arbeitsschwerpunkte: Rekonstruktive Sozialforschung, transformatorische Bildungstheorien und Soziale Arbeit, Soziale Arbeit in der Wohnungsnotfallhilfe, Digitalisierung der Hochschulbildung. Kontakt: [email protected] Völschow, Yvette, Prof. Dr. rer.pol., Dipl. Sozialwissenschaftlerin, Dipl. Päd., Supervisorin, Professorin für Sozial- und Erziehungswissenschaften an der Universität Vechta, Leiterin der Arbeitsstelle für Reflexive Person- und Organisationsentwicklung der Universität Vechta; Arbeitsschwerpunkte: Beratungswissenschaften und Kriminologie, insb. Gewalt und ihre Prävention in sozialen Nahbeziehungen. Leitung des von der EU geförderten Projekts „EU Roadmap for Re-ferral Pathways on Early/Forced Marriage for Frontline Professionals (EU FEM Roadmap). Kontakt: [email protected] Vukoman, Marina, Soz.-Arb. M.A., Dipl. Sozialarbeiterin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund, Doktorandin an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen; Arbeitsschwerpunkte: Altersdiskurse, Soziale Altenarbeit, Altenhilfe, Pflege im häuslichen Umfeld, Quartiersentwicklung. Kontakt: [email protected]

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Die Herausgeber_innen und Autor_innen

Witte, Susanne, Dr. phil., Diplom-Psychologin, wissenschaftliche Referentin in der Fachgruppe Familienhilfen und Kinderschutz am Deutschen Jugendinstitut, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm; Arbeitsschwerpunkte: Internationaler Vergleich von Kinderschutzsystemen, Geschwister im Kontext von Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung, Weiterbildung und Qualifikation von Fachkräften im Kinderschutz. Kontakt: [email protected] Wurtzbacher, Jens, Prof. Dr. phil., Dipl. Soziologe und Dipl. Sozalarbeiter/Sozialpädagoge (FH), Professor für Sozialpolitik an der Katholischen Hochschule Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Kommunale Sozial- und Präventionspolitik, Kriminalprävention, Stadtentwicklungspolitik. Kontakt: [email protected]

Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit

Band 14

Christian Spatscheck Barbara Thiessen (Hrsg.)

Inklusion und Soziale Arbeit Teilhabe und Vielfalt als gesellschaftliche Gestaltungsfelder 2017. 279 S. Kt. 29,90 € (D), 30,80 € (A) ISBN 978-3-8474-2075-0 Band 13

Band 12

Stefan Borrmann | Christian Spatscheck | Sabine Pankofer | Juliane Sagebiel | Brigitta Michel-Schwartze (Hrsg.)

Stefan Borrmann Barbara Thiessen (Hrsg.)

Die Wissenschaft Soziale Arbeit im Diskurs Auseinandersetzungen mit den theoriebildenden Grundlagen Sozialer Arbeit 2016. 318 S. Kt. 26,00 € (D), 26,80 € (A) ISBN 978-3-8474-0767-6

Wirkungen Sozialer Arbeit Potentiale und Grenzen der Evidenzbasierung für Profession und Disziplin 2016. 423 S. Kt. 38,00 € (D), 39,10 € (A) ISBN 978-3-8474-0768-3

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Sozialraumanalysen Christian Spatscheck Karin Wolf-Ostermann

Sozialraumanalysen Ein Arbeitsbuch für soziale, gesundheits- und bildungsbezogene Dienste utb S 2016. 195 Seiten. Kart. 14,99 € (D),15,50 € (A) ISBN 978-3-8252-4580-1 eISBN 978-3-8385-4580-6

Das Buch fasst übersichtlich und handlungsorientiert das nötige Grundwissen und die leitenden Methoden für Sozialraumanalysen in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung zusammen. Als anwendungsbezogenes Buch versetzt es Studierende und Fachkräfte in die Lage, Sozialraumanalysen eigenständig, verantwortlich und fundiert zu konzipieren, umzusetzen und auszuwerten.

Die AutorInnen haben mit dieser Veröffentlichung ein kompaktes und dennoch differenziertes Kompendium für die praktische Durchführung von Sozialraumanalysen vorgelegt, das anschaulich und praxisorientiert die einzelnen Instrumente und Entwicklungsschritte beschreibt und damit sicherlich Akteure in verschiedenen Arbeitsfeldern zur Umsetzung ermutigt. socialnet, 26.09.2016

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