193 94 8MB
German Pages 139 [164] Year 1960
SAMMLUNG
GÖSCHEN
BAND
1190
MELANCHTHON von
D. D R . R O B E R T
STUPPER1CH
o. Prof. an der Universität Münster (Westf.)
WALTER DE GRUYTER & CO. Tormals G J. Göscben'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagabuchhandlung • Georg Heimer • Karl J . T r ü b n e r * Veit & Comp.
BERLIN
1960
© Copyright 1960 by W a l t e r de Gruyter & C o . , Berlin W 35. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen,
von
der Verlagshandlung vorbehalten. — A r c h i v - N r . 1 1 1 1 9 0 . — S a t z und Druck: Saladruck, Berlin N 65. — Printed in G e r m a n y .
Inhalt Seite
Zur Einführung: Geistiges und geistliches Leben vor der Reformation I. Der Werdegang des Humanisten 1. Heimat, Elternhaus und Schule 2. Studiengang in Heidelberg und Tübingen II. Der 3. 4. 5.
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. . .
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Weg in die Theologie Die Anfänge in Wittenberg Die Leipziger Disputation und ihre Folgen . . . Der Verteidiger Luthers
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III. Auseinandersetzung mit den Zeitkräften 6. Ertrag theologischer Arbeit 7. Gegenüber Schwärmern und Täufern
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IV. Arbeit für Kirche und Schule 8. Übergang zu neuen Aufgaben 9. Förderung der Studien und Visitation der Kirchen
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V. Auf 10. 11. 12.
der politisdien Bühne Speyer und Marburg 1529 Bekenntnis von Augsburg und Selbstbehauptung Eigene Wege und Versuche
VI. Einigungsbestrebungen 13. Ausgleichsversuche und Kontakte 14. Konzil und Religionsgespräche 15. Krieg, Interim und Religionsfriede VII. Die 16. 17. 18.
letzten K ä m p f e Streit im eigenen Lager Konvent und Synode Lebensbekenntnis und Ende
61 67 76 83 89 103 112 119 123
Zur Melanchthon-Forschung Quellen und Literatur
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Register
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Zur Einführung: Geistiges und geistliches Leben vor der Reformation Die Jahre, in denen sich die Grundansichten des jungen Melandhthon bildeten, sind erfüllt von den nebeneinander verlaufenden und sich vielfältig berührenden Strömungen des abendländischen Geisteslebens, die den Ausgang des Spätmittelalters kennzeichnen. Es sind dies die Nachwirkungen der großen scholastischen Systeme, der verschiedenen mystisch-asketischen Richtungen und des mit diesen sich berührenden deutschen Humanismus. Die Zeit, in der das Denken mit kühnem Schwung an die Kirchenlehre heranging und sie vor dem Forum der Vernunft zu begründen suchte, war längst dahin. Nun suchte man nicht mehr Beweise für ihre Wahrheit und Richtigkeit. Es stand fest, daß Glaube und Erkennen nicht auf der gleichen Ebene liegen. Die Leistungen der mittelalterlichen Dialektik hatten über dieses anfängliche Stadium längst hinausgeführt. Die Scholastik hatte auch den Zweifel gefördert und andere Lösungen hervorgebracht, als sie die Kirchenlehre verlangte. Wohl suchten die Nachfolger des Thomas von Aquin sein weltweites System zu behaupten, aber sie begnügten sich meist mit einem kleineren Thema. Die von ihnen versuchte Vereinheitlichung zwischen der Kirchenlehre und der aristotelischen Philosophie hielt der Nachprüfung eines Duns Scotus nicht stand. Der scharfsinnige Engländer hatte das Vertrauen zur kirchlichen Wissenschaft und ihren Ergebnissen erschüttert. Die Kirche hatte es nicht verhindern können, daß sich an den Universitäten neben den Thomisten die Scotisten einstellten, und mußte ihnen Gleichberechtigung zugestehen. Wollte Thomas alles vom Denken ableiten, so stellte Scotus dagegen den göttlichen Willen als den Ursprung hin, von dem alles ausging. Waltende Gesetzmäßigkeiten erkannte er in der Welt nicht mehr an. Auch der Wille Gottes ist nur zu erkennen, wo
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er erkannt sein will. Der Gleichklang von Denken und Sein ist aufgehoben. In den Bahnen des Scotus fortschreitend hatte sein Landsmann und Ordensgenosse Wilhelm von Occam den Realismus noch weiter erschüttert und den Zeitgenossen deutlich gemacht, daß die Kirchenlehre mit Vernunftgründen nicht zu beweisen, sondern nur zu glauben sei. Die Scholastik hatte nicht nur die Theologie, sondern das ganze geistige Leben bestimmt. Ihre Methoden, ihre dialektische Kunst waren auf allen Gebieten in Universitäten und Schulen maßgebend. Die Unterwerfung unter die Kirchenlehre war für jede Wissenschaft geboten. Das wissenschaftliche Streben durfte sich nicht in Widerspruch zu ihr setzen, sondern mußte nach einer Übereinstimmung suchen. Hatte die Scholastik der Kirche auf der einen Seite das Bewußtsein der beherrschenden Macht gegeben, so sollte sie auf der anderen Seite diese Grundlage selbst untergraben. Niemand wagte, auf die Kirchenlehre zu verzichten, auch wenn mancher sie als Fessel des Geistes empfand. Daher sehen wir die Scholastik des ausgehenden Mittelalters sich dem menschlichen Vermögen anpassen und ihre früheren Positionen selbst einschränken. Mochte man um die Jahrhundertwende in Köln und in Heidelberg sich für die Wiederbelebung der großen Traditionen einsetzen und den Thomismus als herrschende Richtung zu erweisen trachten, der „alte Weg" konnte sich gegenüber dem moderneren erkenntniskritischen Nominalismus nicht mehr durchsetzen. Wohl suchten die aus dem Dominikanerorden stammenden Kölner Theologen, vertreten durch Konrad Köllin, die Lehre ihres Ordensmeisters allein zu pflegen und nahmen auch andere Universitäten, wie die jüngst entstandene Universität Frankfurt an der Oder, diese Bestrebungen durch Konrad Wimpina auf; die meisten deutschen Hochschulen ließen gegenüber dieser Restaurationsbewegung weiterhin beide überlieferten Richtungen nebeneinander gelten. Der neu erweckte Thomismus hatte kein neues Leben hervorbringen können. Nur die Gegensätze waren bisweilen verschärft worden. Daher
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wurden an einigen Universitäten die Anhänger jeder Richtung in einer besonderen Burse untergebracht, um den Streit der Meinungen unter den Studierenden zu unterbinden. Trotzdem gehört der Gegensatz philosophischer Ansichten zum Bilde der deutschen Universität des ausgehenden Mittelalters, wie sie vor allem Wimpheling und andere H u m a nisten zu zeichnen pflegen. In Tübingen, wo Melandithon theologische Vorlesungen besuchte, ist er von Seiten des Occamismus angeregt worden. Diese Anregungen aber beschränkten sich in der Hauptsache auf die Psychologie. Der Hauptvertreter dieser Richtung Jakob Lemp vermochte den Studierenden f ü r ihr Leben nichts mitzugeben und wurde von ihnen mit leisem Mitleid betrachtet. Seine dogmatischen Deduktionen muteten einen Melandithon wie Spielereien an. Das einzige, was er aus dem Hörsaal Lemps in Erinnerung behalten und seinen Studenten später erzählt hatte, war die Tatsache, daß dieser seinen Hörern die Wandlungslehre der römischen Kirche an der Wandtafel verständlich zu machen suchte. Diese Erinnerung gibt er mit ironischen Bemerkungen weiter. Dem Praeceptor Germaniae verkörperte Lemp die scholastische Wissenschaft: alt, verkümmert, in dürrer Formelhaftigkeit erstorben. Dem Leben der neuen Zeit erschien sie nicht mehr gewachsen, so daß man sich von ihr abwandte und statt dessen denen nacheiferte, die lebenswerte Ziele zu zeigen vermochten. Von seinem Elternhause her war Melanchthon in streng kirchlichem Sinne erzogen. Die Gedanken eines Geiler von Kaisersberg, des gepriesenen Straßburger Münsterpredigers, hatten sich in seiner Familie ausgewirkt. Seine Predigten wurden gelesen und beeinflußten stark das Verhalten der Familienglieder. Geiler kannte trotz scholastischer Schulung die Welt und hatte Sinn f ü r jene Frömmigkeit, die sich mit der devotio moderna berührte. Seine Predigten regten Kopf und H e r z an. Die Zeitgenossen, die nach Echtem und Wahrem trachteten, waren f ü r sie aufgeschlossen. Diese fromme Gesinnung verband sich mit natürlicher Betrachtung und suchte einen sicheren Weg durchs Leben. Geiler
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hatte sich auch f ü r kirchliche Reformen eingesetzt und übte ebenso wie sein Freund, der Stadtschreiber Sebastian Brant, an den kirchlichen Zuständen scharfe Kritik. Wie sehr Melanchthon in seinen jungen Jahren ihm zugetan war, geht daraus hervor, daß er 1510 ein lateinisches Gedicht auf den Tod des berühmten Predigers verfaßte, das nicht nur f ü r den jugendlichen Studenten kennzeichnend ist, sondern auch f ü r die geistige Welt, in der er aufwuchs. An der Universität lernte Melanchthon die kirchliche Wissenschaft nicht mehr in ihrer Blüte kennen. Diese hatte schon längst ihren H ö h e p u n k t überschritten und zeigte nur hier und da eine bescheidene Nachblüte. Bedeutende Vertreter der kirchlichen Lehre gab es kaum noch. Wohl hatte der junge Melanchthon in Heidelberg Gelegenheit, in seinem Hausherrn Pallas Spangel einen liebenswürdigen Vertreter der Scholastik kennenzulernen, und in Tübingen ging er auf den Spuren des „letzten Scholastikers" Gabriel Biel. Seine Theologie trug eine milde, versöhnliche Note, vermochte aber keine neuen Wege und Ziele zu weisen. An den bestehenden Formen wurde nicht gerüttelt; man suchte ihnen einen Sinngehalt abzugewinnen und tiefere Deutung zu geben. Es blieb bei den Versuchen, die Uberlieferung zu wahren, den frommen Geist zu pflegen und nach dem Ursprünglichen zu trachten. Zu den mystischen Richtungen, die Theologie und kirchliches Leben an vielen Orten zu vertiefen suchten, hat Melanchthon offensichtlich keine Beziehungen gehabt. Während Gabriel Biel am Ende seines Lebens sich den Brüdern vom gemeinsamen Leben anschloß und ihre Lebensart in Württemberg heimisch zu machen suchte, waren ähnliche Bestrebungen in der P f a l z nicht bekannt geworden. Es sieht auch nicht danach aus, daß der junge Magister Philippus in Tübingen auf diese Wege geführt worden wäre. Auch sein älterer Freund Ambrosius Blarer hat sich damals nicht den Fraterherren, sondern den Benediktinern in Alpirsbach angeschlossen. Die devotio moderna mit ihrem niederrheinischen Einschlag war ohnehin in Oberdeutschland nicht sehr beliebt. Die einst einflußreichen
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mystischen Kreise des Oberlandes hatten keinen Einfluß mehr. Die „Gottesfreunde" lebten in stiller Innerlichkeit dahin, ohne die großen Gedanken ihrer Urheber weiter nachzudenken. Meist genügten ihnen strenge Mahnungen in der Art der „Nachfolge Christi", die ihnen Halt und Trost zu geben vermochte. Diese Stimmung erfüllte wohl Einzelne, löste aber keine großen Bewegungen mehr aus. Bedeutende Gestalten sind in ihrer Mitte auch nicht mehr aufgestanden. Nur in abgeschwächter Weise erhielt sich die mystische Stimmung in breiten Schichten des Volkes, in Beginenhäusern, Bruderschaften und Klöstern. Hier trachtete man noch nach gefühlswarmer Innigkeit. Während aber Luther später durch die Predigten Taulers und durch die Schrift des Frankfurters, die er „Ein theologia deutsch" nannte, tief bewegt wurde, hören wir von Melanchthon ähnliches nicht. Mit dieser Welt der Vergeistigung und Verinnerlichung ist er auf dem Wege, den er gegangen ist, nicht in Berührung gekommen. Statt dessen hatte ihn sein Großonkel, der berühmte Humanist Johann Reuchlin, auf andere Geister hingewiesen. Offenbar kannte Reuchlin die inneren Fragen seines Großneffen. Er wies ihn auf Wessel Gansfort hin, den er selbst einst in Paris und Basel gekannt hatte. Dieser stand der Kirche kritisch gegenüber, bereit, den Laien ebenso zu achten wie den Priester und allein das Wort der Schrift gelten zu lassen. Dieser kritische Geist, der sein unruhiges Wanderleben bei den „Brüdern" in Deventer beschloß, hatte einst auf Reuchlin stark eingewirkt, der ebenso auch Nikolaus Cusanus aus seinen Schriften kannte und der mit Gabriel Biel zusammen in Italien gewesen war. Die freie Haltung Wessel Gansforts und des ihm ebenso befreundeten Rudolf Agricola hatte sich Reuchlin mitgeteilt. 'Ihre Frömmigkeit war ihm durchaus gemäß. In Oberdeutschland hatten außer ihm auch andere diese Art angenommen. Nun wies Reuchlin seinen Musterschüler Melanchthon auf diese Frömmigkeit hin. Wenn er ihn auch nur Wessels Schriften lesen ließ, so hat der ältere religiöse Humanismus hier seine Frucht getragen.
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In den Jahren, in denen Melanchthon in die Bildungswelt eintrat, spielte sich gerade der Streit Reuchlins mit den Kölner "Theologen ab. Während der bekehrte Jude Johann Pfefferkorn von den Rabbinen die Auslieferung der hebräischen Schriften spez. des Talmuds verlangte, hatte sich Reuchlin in einem Gutachten dagegen ausgesprochen. Der Streit zog sich über Jahre hin, zumal beide Parteien ihre Bundesgenossen fanden. Es folgten ein Prozeß in Mainz und Speyer vor dem geistlichen Gericht und die Veröffentlichung der Akten und Gutachten. Den Gipfelpunkt dieses Streites bildeten die 1515 erschienenen „Dunkelmännerbriefe", in denen die Kölner Gegner Reuchlins in karrikiertem Mönchslatein lächerlich gemacht wurden. Die ganze gebildete Welt jener Tage brach in ein Gelächter über den Kölner Obskurantismus aus. Reuchlin war der gefeierte Mann. Erklärlicherweise stand Melanchthon auf seiner Seite. Er verdankt es weithin Reuchlin, daß ihm die Welt des Humanismus sich erschloß. Er hielt sich zwar nicht an die Wege Reuchlins. Erasmus bedeutete ihm mehr. Zu ihm hat sich der junge Humanist in seinem ganzen Leben dankbar bekannt. Er empfand es als Befreiung, von Erasmus zu einer Haltung geführt zu werden, der er froh werden konnte. Der erasmische Humanismus erbaute sich auf der Grundlage der Bergpredigt. In seinem „Handbuch eines christlichen Streiters" (1501) hatte der Fürst der Humanisten seine Auffassung niedergelegt und begründet. Nicht mehr eingeengt durch das scholastische Schema konnte er seine Gedanken frei entfalten. Die älteren deutschen Humanisten hatten zwar auch dazu beigetragen, neue Bahnen zu erschließen, aber aufgestoßen hat das Tor für alle erst Erasmus. Durch ihn sind der Wissenschaft neue Gebiete erschlossen worden. Mit ihm kehrte man nicht nur zum Alten, sondern zum Einfachen und Natürlichen zurück. Im Zusammenhang mit der Bildung trat die Erziehung stark in den Vordergrund. Erasmus hatte die junge Generation für ein neues Bildungsideal gewinnen
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können. Sie verschlang seine Schriften und ließ sich von ihm dazu anleiten, nicht nur die Alten in schöner Form nachzuahmen, sondern neue Inhalte zu gewinnen." Nunmehr konnte der deutsche Humanist sich mit dem italienischen messen. Nun hatte er etwas Eigenes zu bieten, nachdem Alexander Hegius, Rudolf Agricola und schließlich auch Reuchlin sich in dieser Richtung hervorgetan hatten. Der deutsche Humanist ist nicht ohne seinen Einfluß in besonderem Maße religiös bestimmt, obwohl sich dieser Zug auch in Italien und England um diese Zeit bemerkbar macht. Es ist nicht zu übersehen, daß der deutsche Humanismus in seiner Anfangszeit sich stark mit der ernsten Lebensart der Brüder vom gemeinsamen Leben berührte. Unter dem Einfluß dieses Geistes sind einige der deutschen Universitäten begründet und geordnet worden; manche seiner Forderungen haben strebsame Geister durchsetzen können. Die „Poeten" haben zwar jahrzehntelang mit den „Barbaren und Sophisten" kämpfen müssen, ehe sie sich endgültig behaupten konnten. Die meisten von ihnen wirkten in starkem Maße erzieherisch und betonten die Kenntnis der Bibel und das sittliche Leben. Treffend hatte es schon Agricola auszuführen vermocht: „Lediglich die Heiligen Schriften können uns einen sicheren, zuverlässigen, richtigen Weg führen. Sie vertreiben jeglichen Nebel und lassen keinen, der ihren Weisungen folgt, getäuscht werden oder zu Grunde gehen." Erst recht hatte Erasmus sich durch sein Wort weiteste Geltung verschafft. Vielfach wurde er um R a t gefragt und konnte auf die politische und kirchliche Lage Einfluß nehmen. Aber nicht nur direkt, auch durch seine zahlreichen Schüler und Anhänger übte er in ganz Europa seine Macht aus. Diese Wirksamkeit stand ganz im Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung. Der kleine, ängstliche, um seine Gesundheit besorgte Mann wußte sich überall durchzusetzen. Er galt geradezu als Sprecher seines Zeitalters, er erahnte die geheimen Gedanken der Zeitgenossen, förderte ihre Wünsche und kleidete ihre Bestrebungen in die richtige
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Form. W a r er auf der einen Seite ein frommer Mensch, so ließ er auf der anderen der Vernunft weitesten Raum. Seine Zeitgenossen rief er von allem Verstiegenen und Überspannten zur Klarheit zurück. Sein glänzender Stil war ein Mittel, wichtige Gedanken durchzusetzen, die Erziehung und das Leben zu fördern. Es entging nichts seiner scharfen Beobachtung. Wie auch andere Humanisten wies er häufig auf die Mißstände der Kirche hin. Er bespöttelte die Werkheiligen als das „neue Gesdilecht von J u d a " und bemühte sich, sein neues Menschenideal dagegen aufzurichten. Das reine Christentum, die Philosophie Christi, richtete sich nach der Bergpredigt. Der Ballast der Überlieferung sollte fallen, damit die ursprüngliche Lehre Christi und der Apostel hervorleuchte. Erasmus wies immer wieder auf die Schrift hin, f ü r deren wissenschaftliche Bearbeitung er die Grundlage schuf und deren Deutung er in seinen Paraphrasen bestimmte. Freilich kam er darin o f t über blasse Allgemeinheiten nicht hinaus, so daß manche ihn f ü r einen Schönredner hielten, der keine eigene Überzeugung hätte. Den meisten aber wußte er es einzuhämmern: höchstes Glück der Erdenkinder ist Bildung und das daraus folgende sittliche Handeln. Erasmus w a r der Bildungsaristokrat, der die Wenigen anzuregen und zur Wahrheit zu führen sich berufen wußte. Melanchthon fühlte sich in seiner Tübinger Zeit glücklich, bei ihm persönliche Anerkennung zu finden. Wie jeder seiner Altersgenossen ist er anfänglich Erasmianer. In seiner kirchlichen H a l t u n g spricht zwar die hergebrachte häusliche Erziehung mit, aber in zunehmendem Maße wird die religiöse Auffassung, die Erasmus vertritt, auch die seine. Auch Luther sieht er, wie die meisten seiner Generation, in einer Linie mit Erasmus. Wir wissen nicht, wie er Luthers 95 Thesen aufnahm, ob er Luthers Traktate mit gleicher Spannung wie Martin Bucer und Johann Brenz las, wir hören auch nicht, warum er nicht zur Heidelberger Disputation eilte. Anscheinend war der Abstand zwischen Luther und ihm noch groß und konnte erst schrittweise überwunden werden.
12 I. Der Werdegang des Humanisten 1. Heimat, Elternhaus und Schule Joachim Camerarius, Melanchthons nächster Freund und erster Biograph, der mit ihm 1524, als der junge Professor nach 6 Jahren vom Kurfürsten den ersten Heimaturlaub erhielt, die Reise von Wittenberg nach Bretten machte, beschreibt ausführlich, wie dieses damals kurpfälzische Städtchen aussah. Er hebt die schöne Lage und die herrliche Landschaft hervor und rühmt besonders die auffallend guten Bauten und Befestigungen. Bretten zählte im Anfang des 16. Jahrhunderts nidit mehr als 300 angesessene Familien, d. h. annähernd 2000 Einwohner, und gehörte somit zu den bedeutenderen Städten des Landes. Die Stadt war nicht sonderlich reich. Die Bürger lebten zum größten Teil von Landwirtschaft. Außerdem gab es aber ein angesehenes Handwerk, vor allem Weberei und Gerberei, und dementsprechend auch einen beachtlichen Handel, zumal die Stadt verkehrsmäßig günstig lag. Camerarius, der selbst aus Bamberg stammte, rühmt die Lebensart der Brettener Bürger und hebt besonders ihre Gesittung und die geistige Beweglichkeit hervor. Melanchthon selbst liebte seine Heimat von ganzem Herzen. Zeitlebens fühlte er sich seinem Heimatlande aufs engste verbunden. In einem Brief vom 20. 8. 1545 schreibt er: „Die Frucht unseres Lebens verdanken wir vor allem denen, von denen wir es empfangen haben, Eltern und Vaterland. Unter Vaterland soll dabei nicht nur der Erdboden verstanden werden, der uns aufnimmt bei unserer Geburt, oder die Hütte, in der wir unter großem Sdimerz der Mutter schreiend zur Welt kommen, sondern wir umfassen damit zugleich Heiligtümer, Gesetze, gute Einriditungen und Schulen. Denn diesen verdanken wir Erziehung, Lehre, Verständnis für sittliche Haltung und Gotteserkenntnis. Diese Güter sind aber mehr wert als das Leben und müssen nicht nur um unseretwillen, sondern um unserer Nachkommen willen bewahrt werden. Daher ist es
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leicht einzusehen, daß das gut eingerichtete Vaterland verteidigt werden und mit aller Schuldigkeit gehegt und gepflegt werden muß wie eine Mutter." Seinem Vaterlande fühlte sich Melanchthon aufs tiefste verpflichtet. Erreichten ihn Bitten und Anfragen aus der Heimat, so hat er sie stets gleich erfüllt, mochte es in den Tagen des Bauernkrieges sein, als ihn die Bauern und der Landesherr zugleich als Schiedsmann nannten und er sein Gutachten schrieb, mochte es später in den theologischen Kämpfen sein, die er zu klären und zu beendigen bestrebt war. „Seufzend", so schrieb er noch in seinem letzten Lebensjahr, „betrachte ich oft die Berge und Burgen, die sich auf den Höhen am Ufer des Neckars erheben". Die Sehnsucht nach der Heimat wurde nicht schwächer, sondern nahm in seinem Alter immer zu. Dasselbe gilt von seinem Familiensinn. Melandithons Vater Georg Schwartzert war kurfürstlicher Rüstmeister. Eine Zeitlang hatte er in Diensten Kaiser Maximilians- gestanden, war dann aber in die Heimat zurückgekehrt. Der Kaiser hatte ihm ein Wappen verliehen, das in seiner Familie gebraucht wurde, während sich der Praeceptor später ein nach Joh. 3, 14 gestaltetes eigenes Wappen wählte, wie es einem Theologen gemäß war. Da Georg Schwartzert mit seinem Landesherrn viel unterwegs war, hatte er nicht daran denken können, früh einen eigenen Hausstand zu gründen. Der Kurfürst selbst soll für seinen schon 35jährigen Rüstmeister als Brautwerber aufgetreten sein und seine Ehe mit der erst 16jährigen Tochter des Brettener Schultheißen Johann Reuter, Barbara, vermittelt haben. Die Hochzeit hat 1492 oder 1493 in Speyer stattgefunden. Da der Rüstmeister auch weiterhin oft in der Ferne weilte, war es erklärlich, daß seine Frau im großen elterlichen Hause in Bretten blieb. Dort ist am 16. Februar 1497 ihr ältester Sohn zur Welt gekommen. Dem Kurfürsten zu Ehren erhielt er den Namen Philipp. Ihm folgten der Bruder Georg und drei Schwestern. Der Sitte der Zeit entsprechend ließ der Vater für seinen ältesten Sohn von dem ihm befreundeten Mathematiker
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und Astrologen Johann Vierdung aus Haßfurt das Horoskop stellen. Melanchthon, der viel auf die Konstellation der Sterne gab, hat seine „Nativität" zeitlebens ernst genommen. „Ich fürchte", sagte er, „die Geschicke (fata), auch wenn ich kein Stoiker bin". Da Vierdung gemeint hatte, die Wege nach Norden würden ihm einst Gefahren bringen und er werde in der Ostsee Schiffbruch leiden, hat er immer die Reise nach Dänemark gemieden. Diese Neigung als besonderen Aberglauben zu deuten, liegt kein Anlaß vor. Das ist eine Zeiterscheinung. An jedem Fürstenhofe gab es damals einen Astrologen, und selbst die gebildetsten Menschen teilten die Anschauungen, die ihnen die Antike übermittelte. Melanchthon hat, wie wir sehen, diesen Glauben schon aus seinem Elternhause mitgebracht, das für das geistige Leben aufgeschlossen war. Sein Großvater Johann Reuter, Schwager des berühmten Humanisten Reuchlin, hatte als angesehener und weitgereister Kaufmann Sinn für Kultur und geistiges Leben und nahm an der Bildung seiner Zeit Anteil, soviel er konnte. Auch sein Vater, der „Schmied von Heidelberg", wie er in Bretten genannt wurde, war kein durchschnittlicher Handwerker. Büchsenmacher standen in hoher Geltung und hatten Zugang zu Fürstenhöfen und zum hohen Adel. Melanchthon verlor seinen Vater, als er erst 11 Jahre alt war. Nach langem Siechtum war der Vater, erst 49 Jahre alt, am 27. Oktober 1508 gestorben. In treuer Pietät gedachte sein berühmter Sohn noch im hohen Alter immer des Todestages seines Vaters. Die Zeitgenossen nahmen an, daß die unheilbare Krankheit, an der Georg Schwartzert starb, die Folge einer Vergiftung war. Im bayrisch-pfälzischen Erbfolgekrieg 1504 soll der Rüstmeister bei Mannheim aus einem vergifteten Brunnen getrunken haben. Melanchthon erinnert sich des Vaters als eines verschlossenen, schweigsamen und treuen Mannes. So hat er Camerarius seinen Vater beschrieben. Das schwere Leiden hatte Georg Schwartzert geprägt und geläutert. Er hielt sich streng an die kirchliche Sitte. Selbst des Nachts stand er auf um zu beten. Wenige Tage vor seinem Tode noch
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gab er seinem Ältesten Mahnungen fürs Leben; an diese Stunden erinnerte sich Melanchthon stets mit tiefer Bewegung. Die fromme und friedliche Haltung des Vaters machte auf ihn tiefen Eindruck. N i e hat sein Vater mit einem Menschen Streit gehabt, nie ist er vor Gericht gegangen. Die schweren Eindrücke vom Sterben des Vaters sollten dem über sein Alter hinaus reifen Melanchthon erspart werden. Daher wurde er nach Speyer zu Verwandten geschickt. Audi seiner Mutter erinnert sich Melanchthon nicht selten. Camerarius, der sie in Bretten kennenlernte, nennt sie eine fromme und kluge Frau. Es war f ü r sie nicht leicht, als sie mit 5 Kindern zurückblieb, zumal auch ihr Vater 10 Tage vor ihrem Gatten gestorben war. U n d wenn sie auch in gesicherten Verhältnissen lebte, war doch manche Sorge ihr nunmehr zugefallen. Des öfteren nennt Melanchthon Kinderverse, die er von seiner Mutter gelernt hat. Er muß an seiner Mutter sehr gehangen haben, obwohl er seine Gefühle nicht gezeigt hat. Ein Briefwechsel mit der Mutter, die 1529 starb, ist nicht erhalten; mit seinem Bruder stand Melanchthon in brieflichem Verkehr und schrieb ihm wohl zweimal im Jahr, aber auch von diesem Briefwechsel sind nur geringe Reste erhalten. Bei dem Aufenthalt zu Hause 1524, schreibt Camerarius, fiel der Abschied Mutter und Sohn schwer. Vom Reichstag in Speyer war noch ein Besuch in Bretten möglich; da hat Melanchthon seine Mutter noch einmal vor ihrem Tode gesehen. Bei dieser Gelegenheit soll die Frage der kirchlichen Zugehörigkeit von ihnen erörtert worden sein. Frau Barbara lebte in der Frömmigkeit spätmittelalterlicher Prägung. Gebet und Almosengeben spielten dabei die größte Rolle. Der Sohn riet ihr, in derselben Weise wie bisher ihren frommen Sinn zu üben. Von seiner Kindheit und seinem Elternhause spricht der (künftige) „Lehrer Deutschlands" nicht oft. Er hat nicht lange das Glück genossen, in einem geschlossenen Familienkreise zu leben. Die lange Krankheit des Vaters legte sich wie ein Schatten auf das häusliche Leben. Es war wohl ein
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geordnetes und wohlhabendes Haus, in dem er aufwuchs. Äußere Sorge hat er dort nicht kennengelernt. Aber die sonnige Kinderzeit war doch nur eine blasse Erinnerung. Der Erziehung der Kinder konnte sich der kranke Vater nidit widmen, das mußte der Großvater übernehmen. In seinem Hause kam der junge Melandithon mit der Bildung und Gelehrsamkeit seiner Zeit zuerst in Berührung, das war die Welt, die ihn ansprach und der er sich für immer verschrieb. Camerarius berichtet, — und wer konnte es besser wissen als er, — daß Melandithon einen schweren Charakter hatte. Die Nachricht klingt unwahrscheinlich, und doch wird an ihr bei der intimen Kenntnis Melanchthons von seiten des Camerarius nicht zu zweifeln sein. Melandithon sei zum Jähzorn allzu geneigt gewesen. Aber er hätte sich stets zusammengenommen und nie im Affekt gehandelt. Das wird eine schwere Schule für ihn gewesen sein, denn in späteren Jahren sehen wir in ihm nur den milden, allzu milden Vermittler, nie aber den heftigen und zornigen Mann. D a Melandithon sich in seinen Briefen bisweilen sehr diplomatisch ausdrückt, ist es schwer, seine Äußerungen gegeneinander abzustimmen. Es ergeben sich dabei zuweilen Widersprüche, die nicht aufzulösen sind. Ellinger ist soweit gegangen, daß er auf Grund solcher Aussagen Melandithon für unaufrichtig erklärte und ihm auch andere diarakterliche Mängel nachsagte. Das wird wohl kaum zutreffend sein. Fraglos ist Melandithon ein komplizierter Mensch, der das Herz nicht auf der Zunge trägt; bei aller Vorsicht und Anpassungsfähigkeit wird seine Aufrichtigkeit nicht in Frage zu stellen sein. Man wird ihn von vielen Fehlern nicht freisprechen können, aber seine ehrliche Gesinnung wird nicht in Zweifel zu ziehen sein. Mag er jähzornig, eigensinnig, ja sogar hart gewesen sein, diese Eigenschaften kamen nur zum Vorschein, wenn er das Ziel, zu dem er hinstrebte, gefährdet sah. Die Nachrichten über Melanchthons Schulunterricht sind nicht ohne Widerspruch. Die Überlieferung, von seinen
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Kollegen 1560 in einem „Kurtzen Bericht" festgehalten, erzählt, daß er die Brettener Elementarschule besuchte, dann aber, als die Franzosenkrankheit, durch Söldner eingeschleppt, sich ausbreitete, zu Hause Privatunterricht erhalten habe. Dieser Bericht beruht auf einer Legende. Vermutlich ist er von Anfang an in einer Privatschule durch den von Reuchlin empfohlenen Lehrer Johann Unger unterrichtet worden zusammen mit seinem jüngeren Bruder Georg und anderen Kindern. Hier lernte er nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch schon die lateinische Sprache. Unger muß ein strenger aber geschickter Pädagoge gewesen sein; er brachte seinen Zöglingen die lateinische Grammatik an Hand der Gedichte des neulateinischen Dichters Baptista Mantuanus bei. Die Rute durfte im Unterricht auch nicht fehlen. Trotzdem bewahrte Melanchthon diesem Lehrer, dem er später in Pforzheim wieder begegnete, stets ein dankbares Andenken. Bei Unger spürte er trotz seiner Strenge die geradezu väterliche Liebe des Erziehers, und er wußte, was er ihm zu danken hatte. Unger verlangte viel und erließ ihm nichts. Daher hat er bei ihm auch so viel gelernt. Wie er später selbst sagte, hat dieser Mann ihn zum Philologen gemacht. Keines seiner Lehrer hat er darum später in so warmen Worten gedacht wie Ungers. An einem Pfeiler in seinem Zimmer hatte er den Namen Ungarns angebracht, um sich immer wieder dieses alten Lehrers und Freundes seiner Familie zu erinnern. Da Melanchthons Großmutter Elisabeth Reuter nach dem Tode ihres Mannes von Bretten in ihre Heimatstadt Pforzheim gezogen war, das neben Schlettstadt die beste Lateinschule besaß, wurden die beiden Brüder Schwartzert zur weiteren Ausbildung, vermutlich auf den Rat Reuchlins hin, dorthin geschickt. Da Philipp Schwartzert in Bretten ausgezeichnet vorbereitet war, brauchte er in Pforzheim nur ein Jahr zu bleiben. Sein Lehrer war hier Georg Simler, ein Schüler Reuchlins, den er bald in Tübingen als Professor wieder traf. Simler wußte seinen besten Schülern auch schon die Anfangsgründe des Griechischen beizubrin2
Stupperich,
Melandithon
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gen, so daß Melanchthon in jeder Beziehung für das Studium vorzüglich vorbereitet war. Der „Kurtze Bericht" teilt mit, daß Reuchlin in Pforzheim des öfteren seinen Großneffen prüfte, ihm bestimmte Aufgaben stellte und mit seinen Fortschritten außerordentlich zufrieden war. In Pforzheim soll er auch seinen Namen Schwartzert nach Humanistenart gräcisiert und dem hoffnungsvollen jungen Anfänger in der humanistischen Welt den Namen Melanchthon gegeben haben. Auch sonst suchte Reuchlin ihn zu fördern, indem er ihm Bücher schenkte und dadurch zum weiteren Studieren anregte. Mit vielen seiner Mitschüler hat Melanchthon noch nach Jahren Verbindung gehalten. Es ist auffallend, wieviele bekannte Männer aus der Pforzheimer Lateinschule hervorgegangen sind: SimonGrynaeus, später Professor in Heidelberg, Nicolaus Gerbel, Luthers Gevatter in Straßburg, und viele andere. 2. Studiengang in Heidelberg und Tübingen Am 14. Oktober 1509 wurde Melanchthon in Heidelberg immatrikuliert. Der Zwölfjährige wurde nicht als Wunderkind betrachtet, sondern hat als Gleicher unter Gleichen studiert, zumal es außer ihm noch viele junge Studenten gab. Wie auf der Schule muß er auch hier sich weiter in der Kunst des Versemachens geübt haben, denn 1510 anläßlich des Todes des berühmten elsässischen Predigers Geiler von Kaisersberg erschien ein Epicedion von ihm. Melanchthon lebte in Heidelberg im Hause des Theologen Pallas Spangel. Daß er in diesen Jahren theologische Anregungen bereits empfangen hätte, ist kaum anzunehmen. In späteren Jahren spricht er davon nicht, wohl aber erwähnt er die großen Humanisten, die vor seiner Zeit in Heidelberg gewirkt hatten, vor allem Rudolf Agricola. Von seinem Geist hat er freilich jetzt nichts mehr verspürt, es sei denn, daß er von Pallas Spangel, der mit ihm befreundet war, von diesem hörte. Das Leben ging in Heidelberg still dahin. N u r ein Ereignis hat ihn in dieser Zeit sehr bewegt. Er erzählt, im Jahre 1511 in Heidelberg die glänz-
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volle Hochzeit des Herzogs Georg von Pommern mit der pfälzischen Prinzessin Amalie miterlebt zu haben, die mit großen Ritterturnieren und Festlichkeiten gefeiert wurde. Damals habe er als Page die bei Professor Spangel wohnenden pommerschen Ritter als Mundschenk bedient. In der vorgeschriebenen Zeit von zwei Jahren hatte Melanchthon den Grad des Baccalaureus der freien Künste erworben. Als er aber mit 14 Jahren sich um den Magistergrad bewarb, wurde er mit Rücksicht auf seine Jugend und sein jugendliches Aussehen zurückgestellt. Nun entschloß sich der junge Student zum Universitätswechsel. Viele Gründe mögen zusammengewirkt haben, daß Melanchthon 1512 nach Tübingen ging: Der Tod Pallas Spangels, seine eigene Krankheit, günstigere Möglichkeiten für sein Studium. Hier fand er seine alten Lehrer Hildebrandt und Simler, hier lehrte noch Heinrich Bebel, ein Humanist von Rang, Stadianus, der Philosoph, und Stöifler, der Astronom. Tübingen bot ihm mehr als Heidelberg. Es herrschte ein regeres wissenschaftliches Leben. Hier gab es Anregungen für ernst forschende Geister. In Tübingen gewann Melanchthon auch zwei Freunde, beide älter als er, die mit ihm gleichgerichtet waren, Johann Husgen aus Weinsberg (Oekolampad) und Ambrosius Blarer aus Konstanz, Mönch in Alpirsbach. In diesem Freundeskreis wurde Erasmus gelesen. Melanchthon richtete an den bewunderten Abgott aller Humanisten ein lateinisches Gedicht, und der Humanistenfürst würdigte ihn einer schönen, sogar warm zu nennenden Anerkennung. Allerdings sieht es so aus, als bewundert man in Erasmus den großen Philosophen und Stilisten. Seine philosophia christiana wird nicht erwähnt, und seiner reformerischen Tendenzen wird nicht gedacht. Und doch gingen Melanchthon in dieser Zeit die Bestrebungen weltanschaulicher Art nicht ab. Es lag im Zuge seiner bisherigen Entwicklung, daß er, nachdem er im Januar 1514 den Magistergrad erlangt hatte, sich auch theologischen Studien neben manchen anderen widmete. Bereits in dieser Zeit tritt bei Melanchthon das Bestreben nach umfassenden 2*
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I. Der Werdegang des Humanisten
Kenntnissen zutage. Ihn interessiert alles; er treibt auch mathematische, juristische und selbst medizinische Studien. Aber er betreibt diese Wissenschaften doch mehr lesender als hörender Weise. Reuchlin hatte ihm empfohlen, die Schriften Gersons zu lesen, und besonders hatte er ihn auf Wessel Gansfort von Groningen hingewiesen, den er selbst in jungen Jahren in Basel kennen und schätzen gelernt hatte. In dieser Zeit hatte Melandithon auch von Reudilin eine lateinische Bibel als Geschenk erhalten, die er eifrig las, sogar in der Kirche während der Messe. Als junger Magister hielt Melanchthon Vorlesungen über klassische Schriftsteller in seiner Burse: Terenz, Vergil, Cicero und Livius. Mit Terenz beschäftigte er sich so eingehend, daß er 1516 eine neue Terenz-Ausgabe vorlegen konnte. Nach Bebels Tode erhielt er auch den Lehrauftrag, den dieser vor ihm gehabt hatte: Eloquenz zu lesen. Hier hatte er bereits vor, seinen eigenen Weg zu gehen: ihm war es aufgegangen, daß es nicht allein an der schönen Form der Rede, sondern am Inhalt liegt. Wie er die sachliche Interpretation bei den Klassikern betrieb, so wollte er auch in der Eloquenz aus der Geschichte nicht nur gelegentliche Beispiele heranziehen, sondern verselbständigte diese Disziplin immer mehr und suchte bereits eine Geschichtstheologie zu entwerfen und auszubauen. In diesen Jahren arbeitete Melandithon als Korrektor in der Anshelmschen Druckerei. Ihm fiel die Aufgabe zu, das krause Manuskript des N a u clerus in Ordnung zu bringen, zumal das Interesse an diesem Werke des ersten Tübinger Rektors trotz seiner starken Mängel groß war. Als er bei irgendeiner Gelegenheit eine Rede über die 7 freien Künste (1517) zu halten hatte, benutzte er die Gelegenheit, um neben der Dichtung die Bedeutung der Geschichte herauszustreichen. Aber auch mit der Philosophie befaßte sich Melanchthon. Als er beim Vergleich zwischen dem griechischen Text des Aristoteles und der lateinischen Übersetzung die Feststellung machte, daß man im Mittelalter den Stagiriten mißverstand, faßte er mit Stadianus zusammen den Plan, eine neue Aristoteles-Ausgabe zu veranstalten. Beteiligen soll-
2. S t u d i e n g a n g in H e i d e l b e r g u n d T ü b i n g e n
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ten sich an der Ausgabe noch Reuchlin, Simler, Capito und Oekolampad. Hier zeigt sich schon der wissenschaftliche Geist, der nicht bei seinem Ergebnis stehen bleibt, sondern der die genaue Ermittlung braucht, alle Möglichkeiten erwägt und neue Wege sieht. Als Melanchthon 1541 die Vorrede zur ersten Ausgabe seiner gesammelten Schriften schrieb, versuchte er selbst seinen äußeren und inneren Werdegang zu schildern. Er erzählt, daß er in Tübingen Dichter und Historiker zu lesen begonnen hätte. Weil er dort nichts mehr lernen konnte, hätte er angefangen selbständig zu forschen. Insbesondere kam ihm ein Geschenk zustatten, das ihm Oekolampad machte: die damals neu erschienene Dialektik des Rudolf Agricola. Dieses Buch hätte ihm tiefgreifende Anregungen gegeben zu wissenschaftlichen Arbeiten. Agricolas Methode leuchtete ihm ein, erst die Grundbegriffe (loci) festzustellen und dann die Hauptgesichtspunkte aus ihnen abzuleiten, wie der Zusammenhang zu bestimmen und in welcher Ordnung der Gegenstand zu behandeln sei. Mit den Theologen lebte Melanchthon in Frieden. Die Tatsache, daß er zu den Anhängern Reuchlins zählte, daß er zu den Verfassern der „Dunkelmännerbriefe" Beziehungen hatte, änderte jedoch die Lage. Die ganze gebildete Welt sah sich durch die Kölner Inquisitoren bedroht. Melanchthon merkte, wie wirklichkeitsfremd die damaligen Theologen waren, wie sehr sie in Illusionen lebten. Wie falsch waren die Grundlagen der alten Dialektik, die in den Schulen traktiert wurde. Im Grunde führte sie ins Labyrinth und bewegte sich in Unwissenheit. In kurzer Zeit hatte sich die Lage des jungen Gelehrten in Tübingen verändert. Er erfuhr anscheinend Zurücksetzung und Feindschaft. Im Mai 1518 äußerte er im Vorwort zu seiner Griechischen Grammatik in bitterer Weise seine Ansicht über die geistige Lage, wie sie ihm begegnete. „Die Studien, die Verstand und Sitten bilden sollen, sind vernachlässigt, von umfassendem Wissen ist nichts vorhanden, was man Philosophie nennt, ist leerer, unfruchtbarer Trug, der nur Zank gebiert. Die wahre Weisheit, die
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I. D e r W e r d e g a n g des H u m a n i s t e n
vom Himmel kam, um der Menschen Sinne zu lenken, ist verbannt." Bald wurde Melanchthon beargwöhnt. Die geistige Welt Tübingens wurde ihm zu eng und die tägliche Arbeit in der Burse drückend wie in einem Arbeitshause. Er meinte, sie nicht länger ertragen zu können. Auch Anshelms Druckerei, in der er als Korrektor wirkte, brachte ihm keine Anregung, sondern nur Last. Im Rückblick sah das alles in späteren Jahren wieder rosiger aus: die nahe Heimat, die schönen Stunden mit humanistischen Freunden, auch die ersten Früchte seines geistigen Schaffens. Damals aber sehnte er sich nach einer anderen Wirkungsstätte. Der alternde Reuchlin, der den reichbegabten Großneffen von Stuttgart her, wo er am Hofgericht tätig war, beobachtete, erkannte wohl das Sehnen seines geliebten Schülers. „Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland", schrieb er ihm. Als er um diese Zeit gerade eine Anfrage des ihm persönlich bekannten Kurfürsten Friedrich des Weisen erhielt, ob er nicht einen Lehrer des Griechischen für seine Universität Wittenberg wüßte, empfahl Reuchlin kurzerhand seinen Philippus und schrieb dem Kurfürsten: „Ich weiß unter den Teutsdien keinen, der über ihm sei, ausgenommen Herrn Erasmus." Der Kurfürst aber hielt sich für verpflichtet, den Empfohlenen zu berufen. Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Melanchthon wurde einem Peter Mosellanus vorgezogen und nadi Wittenberg berufen. Melanchthon ist es nicht leicht geworden, die Heimat zu verlassen. Und Reuchlin empfand selbst die Schwere der Trennung. Der berühmte Humanist mag es geahnt haben, was die Ferne für den jungen Tübinger Magister bedeuten sollte, als er ihm den Segen Abrahams aus l . M o s . 12 als Geleitwort auf den Weg mitgab. Nachdem er von den Seinen in Bretten Abschied genommen hatte, ritt er nach Augsburg, wo er sich dem Kurfürsten Friedrich vorstellen ließ. Über Nürnberg und Leipzig, wo der junge aufgehende Stern von den Fachgenossen und Freunden glänzend gefeiert wurde, so daß man an-
3. Die A n f ä n g e in W i t t e n b e r g
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nahm, er sollte gar nicht nach Wittenberg kommen, setzte er seine Reise fort und kam am 25. August 1518 in der Elbestadt an.
II. Der Weg in die Theologie 3. Die Anfänge in Wittenberg Am 29. August 1518 — es war ein Sonntag — hatte sich die Universität Wittenberg zu einem akademischen Akt versammelt. Der vom Kurfürsten auf den Lehrstuhl der griechischen Sprache berufene blutjunge Tübinger Graezist Magister Philippus Melanchthon sollte seine Antrittsvorlesung halten. Unter den erwartungsvoll wartenden Zuhörern befand sich auch Luther. Die Anwesenden waren nicht wenig enttäuscht, als ein kleiner Mann mit etwas hängender Schulter das Katheder bestieg. Die äußere Erscheinung des neuen Professors hatte nichts Imponierendes. Beim Sprechen stieß er mit der Zunge an. Die Rede jedoch über die Studienreform, die der junge Gelehrte mit so viel innerer Anteilnahme hielt und die sein ganzes Programm für Wittenberg bot, zog die Hörer in seinen Bann. Luther schreibt, sie vergaßen darüber sein Aussehen und sahen in ihm nur den David, der gegen den Goliath der Scholastik anzugehen bestimmt war. Es waren klare Forderungen, die Melanchthon tapfer und deutlich aussprach. Sein Amt trat er mit der Absicht an, alte ausgefahrene Geleise zu meiden. Die Anschauungen, die er aus Tübingen mitbrachte, waren durch Aristoteles geprägt. Was er wollte? Für den echten Aristoteles werben, um von hier aus den Kampf gegen die scholastische Wissenschaft und ihre Methode aufzunehmen. Weil man nicht mehr aus den Quellen schöpfe, so führte er aus, hat man sich von der Wahrheit entfernt. Nur so sei es zu erklären, daß statt des Evangeliums Menschensatzungen beherrschend in den Vordergrund getreten wären. Echte Gelehrsamkeit allein vermag Wahres vom Falschen zu unter-
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II. Der Weg in die Theologie
scheiden. D a r u m , so schloß er, zu den Quellen, zur Heiligen Schrift! Mochte Melanchthon von N a t u r z a g h a f t u n d vorsichtig sein, bei seinem ersten A u f t r e t e n in Wittenberg zeigte er einen Mut, der ihm alle H e r z e n gewann. W o sollte der Gegensatz zur Scholastik lebendiger u n d stärker e m p f u n d e n werden als in Wittenberg? In diesem Zeichen h a t t e Luther schon seinen Weg begonnen. U n d hatten die H u m a n i s t e n nicht d a f ü r gesorgt, d a ß diese Stimmung vor allem unter der Jugend nicht nachließ? Aber es gab auch manche K ä m p f e zu bestehen, das m u ß t e der junge P f ä l z e r wissen, denn die Verfechter des alten Weges würden das Feld nicht kampflos räumen. Zwischen dem H o f k a p l a n des K u r f ü r s t e n Friedrich des Weisen Georg Spalatin u n d Luther, die beide zunächst f ü r einen anderen K a n d i d a t e n eingetreten waren, gab es noch einen Briefwechsel über die Frage, ob Melanchthon den Wünschen der Universität entspreche. Die Bedenken wegen seiner J u g e n d u n d seines Auftretens stellte Luther jetzt zurück. E r wußte, d a ß er hier den rechten M a n n v o r sich hatte, den ihm G o t t selbst zur rechten Stunde z u f ü h r t e . Vorbehaltlos sprach er sich f ü r den „kleinen Griechen" aus, da er voraussah, was Melanchthon f ü r Wittenberg bedeuten würde. Er hoffte, mit seiner H i l f e nicht nur die Wissenschaft zur Blüte zu bringen, sondern auch die an der Elbe herrschenden rauhen Sitten unter den Studenten zu überwinden u n d eine neue sittliche H a l t u n g anzubahnen. D e r erste Wunsch sollte in E r f ü l l u n g gehen, an der zweiten A u f g a b e haben beide vergeblich sich abgemüht, so d a ß Luther d a r a n fast verzweifelte. Für Melanchthon w a r es eine neue Welt, die er in dem a u f b l ü h e n d e n Elbestädtchen v o r f a n d . D e r Unterschied zu Tübingen lag auf der H a n d . Die Wittenberger Universität, erst 1502 gegründet, versammelte eine Reihe junger a u f strebender K r ä f t e u n d gelehrter K ö p f e u n d zog, seit Luther den weltbewegenden K a m p f e r ö f f n e t hatte, immer neue Scharen von Studenten an. Mochten die äußeren Verhältnisse auch nicht in jeder Beziehung glänzend sein, — Wit-
3. D i e A n f ä n g e in W i t t e n b e r g
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tenberg nahm sich im Vergleich zu den süddeutschen Städten mit seinen schlichten Häusern wie ein Dorf aus — der sparsame Kurfürst stattete seine Universität, so gut es ging, aus und nahm an ihrem Aufblühen persönlichen Anteil. Hier schlugen die Wellen höher als in Ingolstadt, Leipzig oder Tübingen, weil sich ein überragender Mittelpunkt gefunden hatte, an den sich die Lehrenden und Lernenden willig anschlössen. In Tübingen schon hatte Melanchthon sich als Dialektiker einen Namen gemacht. Nun ging er nach Wittenberg im stolzen Selbstbewußtsein des Humanisten, gegen alles Barbarische zu kämpfen. Er betonte seine Verantwortung als Philosoph, dem es nicht um einen schönen Gegenstand ginge, sondern um die Wahrheit, von der Piaton spricht. Von der Philosophie erhoffte er jede Besserung des Lebens und mit Erasmus sah er die Religion als philosophia christiana an. Freilich haben seine philosophischen Freunde und Reuchlin selbst es nicht geahnt, daß die Kreise, in die Melanchthon in Wittenberg hineingezogen werden sollte, ihn ihren Interessen entfremden würden. Der greise Reuchlin, der selbst keine innere Entscheidung mehr zu vollziehen imstande war und darum im nächsten Jahre nach Ingolstadt ging, wo er in einem Hause mit Johann Eck zusammen lebte, bat ihn, seinem Vorbild zu folgen. Die Berufung nach Ingolstadt blieb nicht aus. Aber Melanchthon hatte sich schon anders entschieden. Eine andere Gabe war ihm größer geworden als die Bibliothek Reuchlins, die er hätte erben können. Die Vorzüge Oberdeutschlands sah er durchaus. „Ich liebe meine Heimat", so lautete seine Antwort an Reuchlin, „muß aber dahin sehen, wohin mich Christus ruft, nicht wohin midi, die eigene Lust ziehen möchte." Er hielt auch mit seinem Bekenntnis nicht zurück, daß er sich nunmehr von Luther nicht mehr trennen könnte. „Sterben will ich lieber, als mich von Luther wegreißen lassen." Darüber mußte es zum Bruch kommen, und Reuchlin hat seine Unzufriedenheit über das Verhalten seines Schützlings deutlich genug geäußert: „Junge Leute", meinte er, „haben keine Besonnenheit." Aus Besorgnis, er könnte
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II. Der Weg in die Theologie
mit dem ketzerischen Wittenberg in Verbindung gebracht werden, ließ er Melanchthon sagen, er möchte ihm nicht mehr schreiben. Es muß für Melanchthon keine geringe Überraschung gewesen sein, in Wittenberg gleich als Freund aufgenommen zu werden. Nicht so sehr die vielen Humanisten als gerade Luther kam ihm mit größter Herzlichkeit und Offenheit entgegen. Das Vertrauen, das ihm der um dreizehn Jahre ältere Mönch entgegenbrachte, verpflichtete ihn offensichtlich. In der fremden Umgebung tat es ihm wohl, solche Aufnahme gefunden zu haben. Ging er gleich mit Eifer im September 1518 an seine Vorlesungen, zu denen sich große Scharen von Studenten einfanden, so war er um so dankbarer, daß ihm Gelegenheit geboten wurde, auch nehmen zu können, statt nur zu geben. Hier sollte Melanchthon die Zeit erleben, in der er sammeln und sich für seine künftigen größeren Aufgaben vorbereiten konnte. Aus nächster Nähe konnte er an den kirchen- und weltgeschichtlichen Ereignissen teilnehmen, die auch für seinen Lebensweg bestimmend werden sollten. Im September zog Luther bereits nach Augsburg zum Verhör vor Kardinal Cajetan, um fast fünf Wochen fortzubleiben. In ernsten Gedanken war er von Wittenberg geschieden. Mochte er von humanistischen Gönnern wie Konrad Peutinger in Augsburg aufs freundlichste aufgenommen werden, seine Briefe spiegeln den Ernst der Lage deutlich wieder. Jetzt richtete er seine Gedanken besonders auf Melanchthon. An ihn wendet er sich, da er in ihm den gegebenen Fortsetzer seines Werkes sieht. Kaum waren aber die aufregenden Ereignisse in Augsburg überstanden, so traten weitere kirchenpolitische Begebenheiten in den Vordergrund, an denen Melanchthon bald unmittelbar beteiligt werden sollte. Die erregenden Vorgänge, die sich in Augsburg im Oktober 1518 abgespielt hatten, verdunkelten Melanchthons Blick nicht. Ihm kam es auf grundsätzliche Fragen an. Die Berührung mit der neuen Wittenberger Theologie ließ ihn dieses Gebiet fester ergreifen als zuvor. Die humanistische
4. Die Leipziger D i s p u t a t i o n und i h r e Folgen
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Losung „zu den Quellen" trieb ihn an, sich noch intensiver mit der Bibel zu befassen. Es ist die These vertreten worden, daß Melanchthon in dieser Zeit nicht nur für sich allein Klarheit darüber gewonnen habe, daß die Schrift die alleinige Norm für die christliche Erkenntnis abgebe, sondern daß er es gewesen sei, der Luther dazu bestimmte, die Konsequenzen zu ziehen, die er auf der Leipziger Disputation gezogen hat: es gibt keine Autorität außer der Heiligen Schrift, weder Päpste noch Konzilien haben gegenüber dem Worte Gottes etwas zu bedeuten. Sie haben nur dann eine Geltung, wenn sie in Übereinstimmung mit diesem stehen. Die Schrift allein, so führte es Melanchthon aus, ist rein und wahrhaftig, vom himmlischen Geiste erfüllt und daher als der einzige Prüfstein anzusehen. Mochte Melanchthon in diesen Gedanken mit Luther übereinstimmen, so gibt es noch andere Gedanken, mit denen er Luther beeinflußt haben kann. Die Wittenberger Theologie erfuhr durch ihn und durch seine umfangreichen geschichtlichen Kenntnisse eine erhebliche Bereicherung. Im Kampf Luthers gegen den Papst brachte er geschichtliche Argumente vor und wies überhaupt auf die Bedeutung der Geschichte für die Theologie hin. Luther ist in zunehmendem Maße darauf eingegangen. Seine geschichtlichen Studien vor der Leipziger Disputation gehen in die Breite. Auch die Kritik des päpstlichen Rechtes w i r d von ihm unter Melanchthons Einfluß geschichtlich begründet. 4. Die Leipziger Disputation und ihre Folgen Für das nahe Verhältnis, in dem er zu Luther stand, w a r es bezeichnend, daß er mit ihm zusammen in einem Wagen im Juni 1519 zur Disputation nach Leipzig fuhr. Er hatte selbst beim Kurfürsten um die Genehmigung nachgesucht, Luther begleiten zu dürfen. So wenig ihm das theologische Disputationswesen Freude machte, in diesem Fall nahm er an der bevorstehenden Auseinandersetzung größten Anteil. Melanchthons Abwendung von Aristoteles f ä l l t in den Sommer 1519. Die philosophische Ethik konnte er als
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II. Der Weg in die Theologie
schlimmsten Feind der Gnade bezeichnen. In Leipzig war er nur als Zuschauer dabei. Er war mitgekommen, weil er überzeugt war, daß hier die Entscheidung zwischen der alten und neuen Theologie fallen mußte. Ihm war es deutlich, auf welche Seite er gehörte. Eck war ärgerlich, daß er den Disputierenden im Flüstertone manchen Hinweis gab. Als Melanchthon in einem Brief an seinen Fieund Oekolampad einen Bericht über die Leipziger Disputation gab, war seine persönliche Stellungnahme darin gegeben. Er hielt mit seinem Urteil nicht zurück und brachte deutlich zum Ausdruck, wie er über die beteiligten Personen und die von ihnen vertretenen Anliegen dachte. Wohl erkannte er Ecks Gaben an; aber seine charakterliche Haltung wirkte auf ihn abstoßend. Wen die Alten einen Sophisten nannten, sah er hier vor sich. Andererseits machte er keinen Hehl daraus, was ihn bei Luther anzog, den er aus näch stem Umgang nun genau kannte; in welchem Maße Luthers Theologie bereits ihm eigen geworden war, konnte er noch nicht sagen. War Melanchthon gegen seinen Willen auf den Kampfplatz gedrängt? Oder hatte er nicht im Bewußtsein seiner Verantwortung dem Freunde Oekolampad .in Augsburg berichten wollen? Daß sein Brief veröffentlicht und solches Aufsehen erregen würde, hatte er freilich nicht vermuten können. Eck ließ, in seinem Ehrgeiz gekränkt, eine Gegenschrift erscheinen; aber er hatte sich verschätzt, als er meinte, Melanchthon als unbedeutenden Grammatiker abtun zu können. Die Antwort des Humanisten war scharf und schneidig. Er hob klar den Grundsatz hervor, daß die Heilige Schrift nur einen Sinn haben könne und durch die Tradition nicht verwischt werden dürfe. Durch Luther angeleitet, beschritt Melanchthon neue Bahnen. Seit der Leipziger Disputation war seine Lust, Theologie zu treiben, gewachsen. Unter Luthers Anleitung erschlossen sich ihm neue Weiten. „Ich bin ganz in theologischen Studien", schrieb er seinem Landsmann Schwebel, „und sie gewähren mir einen wunderbaren Genuß." Nun
4. Die Leipziger Disputation u n d ihre Folgen
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vermochte er seine Aufgaben auch abzustufen. So ist er der erste Philologe geworden, der sich mit ganzem Herzen und in steigendem Maße der Schriftauslegung zugewandt hat. Neben seiner Vorlesung über Homer hat er gleichzeitig über den Titusbrief gelesen. Wenn er auch bei der theologischen Arbeit das Unsicherheitsgefühl nie ganz losgeworden ist, so hatte er doch von vornherein die Absicht, bewußt Theologie zu treiben, und hoffte, wie er an Spalatin schrieb, auf diesem Gebiet auch etwas Tüchtiges zu leisten. Im Sommer 1519 begann er mit der Auslegung des Römerbriefes, den er gleich Luther zeitlebens für den Schlüssel zum Neuen Testament hielt. Hier kam es ihm nicht auf philologische Erklärung an, sondern wie er es an Agrícolas Dialektik und an dem Methodus des Erasmus gelernt hatte, auf das Herausarbeiten der Grundbegriffe und auf das Entwickeln der Hauptgedanken. Wie sehr sich Melanchthon in die paulinische Gedankenwelt eingearbeitet und eingelebt hatte, zeigen nicht nur die Thesen, die er anläßlich seiner Promotion zum baccalaureus biblicus am 9. 9. 1519 verteidigte, und die weithin ein berechtigtes Aufsehen erregten, das zeigte nicht minder seine Rede über die Theologie des Apostels Paulus, die er am jährlichen Festtag der Universität, am 25. 1. 1520, in Gegenwart des kurfürstlichen Hofes und eines gerade in Sachsen weilenden kaiserlichen Gesandten hielt. Die Entscheidung war gefallen. Die Urteile über die Scholastik werden schärfer. Es kann nicht behauptet werden, daß Melanchthon sich nur mit Widerstreben bei der Theologie hat halten lassen. Diese Auffassung entstammt einer überspitzten Ausdeutung seiner späteren Äußerungen. Im Gegenteil, seine Schriften aus diesen ersten Jahren in Wittenberg zeigen, mit welcher inneren Anteilnahme er an die Auslegung der Schrift geht und welche Tiefen der Gotteserkenntnis ihm hier aufgebrochen sind. Gerade angesichts dieser Schriften muß hervorgehoben werden, daß Melanchthon mit größerer Konsequenz als Luther aus der Schrift Folgerungen gezogen hat. Freilich ist es zuviel be-
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II. Der Weg in die Theologie
hauptet, wenn man ihn als den Gebenden, Luther als den Empfangenden bezeichnet (bis 1519). Das Geben und Nehmen besteht in einer Wechselwirkung. Melanchthon war an die alten Ordnungen der Kirche nicht so stark gebunden, so daß er sich von ihnen schneller lösen konnte. Ihm ging es vor allem darum, deutlich den Unterschied herauszustellen zwischen dem, was heilsnotwendig, und dem, was von Menschen ersonnen und darum in der Kirche abzutun war. Zum Letzteren rechnete er auch das Meßopfer mit der Wandlungslehre. Wie Luther an Staupitz schreibt, hielt er die Thesen Melanchthons für gewagt, aber wahr. Der Eindruck von Melanchthons Disputation, bei der er diese Thesen vertrat, war allgemein ein starker. „Es war uns allen wie ein Wunder", schreibt Luther weiter, „er wird dem Teufel und der scholastischen Theologie der mächtigste Feind werden." Auch auf der Gegenseite horchte man auf. Die Disputationsthesen gelangten auch in Ecks Hand, der den kühnen Verfasser daraufhin bei seinem Kurfürsten anzeigte. „Mag Eure Kurfürstliche Gnaden nach solcher Vernunft wohl ermessen, was Irrsal und Ketzerei do entspringen würd, wann man nit anders in die Sach sieht." Daraufhin hat Melanchthon in einem offenen Brief an Johann Heß in Breslau seine Auffassung von der Ablehnung der Wandlungslehre noch einmal dargetan und verteidigt. 5. Der Verteidiger Luthers Melanchthon stand vorbehaltlos zu Luther, der ihm die Welt des Glaubens erschlossen hatte. Er arbeitete rastlos, um alles, was ihm geboten wurde, in sich aufzunehmen. Für ihn war es selbstverständlich, daß er nicht Worte aufnahm, sondern neue Inhalte. Bald zeigten seine Auslegungen, daß er aus eigener Erfahrung redete. Immer stärker zog ihn Luther als seinen Mitarbeiter heran. Er gab ihm sogar Anteil an seinen eigenen literarischen Arbeiten, zumal er in dieser Zeit überlastet war. Er konnte bei Magister Philipp sicher sein, daß der Unterricht an der Universität
5. D e r V e r t e i d i g e r L u t h e r s
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ungestört weiterlief und daß kein Korrekturbogen aus der Druckerei liegen blieb. Melanchthon tat alles: Er gab Luthers Psalmen-Erklärungen heraus, ebenso wie den kleinen Galaterkommentar. In den Vorreden, die er diesen Werken voranschickte, sagte Melandithon, er preise glücklich die Generation, die jetzt studiere und solche Bücher lesen könne, von denen sie so großen inneren Gewinn habe. Bisher habe das Unglück der Christenheit darin bestanden, daß statt der Schriftwahrheit Sophistik gelehrt wurde. Es habe dabei so viel zu lernen gegeben, daß für das Wichtigste, für das Wort Christi, keine Zeit mehr übrig blieb. Nun aber sei die große Wende gekommen. Nun habe man es erfahren. Das Christentum ist nicht Sache des Wissens, sondern des Gewissens, nicht des Verstandes, sondern der inneren Erfahrung. „Was nützt dir der Glaube an Gott, wenn du nicht an Seine Barmherzigkeit glaubst?" An seiner Güte lernt man erst Gott wirklich kennen. Was der Philosophie unerreichbar ist, das vermittelt die Schrift. Darum mahnt Melanchthon die Studenten, sich in die Schrift zu vertiefen, um aus ihr das rechte Verständnis des christlichen Glaubens zu gewinnen. Bei aller Hochschätzung, die Melanchthon noch für die antike Philosophie und Rhetorik hat, ist ihm der Wertunterschied zwischen ihr und dem Wort Christi deutlich geworden. Menschliche Weisheit soll nicht hindern, göttliche Wahrheit zu vernehmen. Es ist zwar gefährlich, wie Luthers Beispiel zeigt, sich vorbehaltlos für die Wahrheit Gottes einzusetzen, aber die Entscheidung für sie ist von der Sadie gefordert. Melanchthon sieht Luthers Aufgabe darin, alle Phantasien über die Schrift wegzutun und sie selbst in ihrer ganzen Tiefe wirksam werden zu lassen. In seinen frühen Schriften sucht er den ihm gemäßen Weg. Inzwischen nahm Luthers Sache ihren weiteren Lauf. Eck war nicht umsonst in Rom tätig gewesen. Die Bannbulle war erschienen. In diesen gefährlichen Zeiten stand Melanchthon treu zu Luther, ohne ihn zurückzuhalten, da er sah, daß die Sache um Gottes willen begonnen war. Zur Verbrennung der Bannbulle vor dem Elstertor am
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II. D e r Weg in die Theologie
10. 12. 1520 hatte er die Studenten mit folgendem Anschlag eingeladen: „Wohlan, fromme studierende Jugend, komm herbei zu diesem frommen Schauspiel. Vielleicht ist jetzt die Zeit, daß der Antichrist offenbar werden muß!" Jetzt bekamen die Wittenberger eine römische Streitschrift zu Gesicht, die an die Fürsten der deutschen Nation gerichtet war und sie mit Mißtrauen gegen Luther erfüllen wollte. Der Verfasser war Thomas Rhadinus aus Piacenza. Melanchthon war gleich entschlossen, die Antwort darauf zu schreiben. Hinter dem Verfasser vermutete er allerdings wie Luther selbst, weil die Schrift in Leipzig nachgedruckt war, Herzog Georgs Sekretär Hieronymus Emser. Wie gefährlich die Lage auch zu werden drohte, Melanchthon hatte mit voller Entschlossenheit die Sache des Evangeliums zu verteidigen unternommen. K. Seil hat daher diese Apologie für Luther „Melanchthons erste reformatorische Schrift" genannt. Die Schrift war in drei Monaten vollendet. Sie erschien unter dem Pseudonym Didvmus Faventinus. Seine Vorarbeiten zu Petrus Lombardus kamen ihm dabei zustatten. „Wir verlangen nicht Mitleid oder Gnade, sondern genaue, strenge Prüfung", so schreibt er und fährt dann fort: „Hört auf nichts, Ihr Fürsten, als auf die Gebote der Schrift, denkt an nichts, als an Eure Würde und an das Wohl des Volkes!" Den Fürsten weiß er eindrücklich zu machen, daß Luther nie daran gedacht habe, den Frieden der Kirche zu stören, die christliche Einheit zu zerreißen oder Empörung im Reiche anzurichten. Zum Nachweis dafür erzählt er vom Ursprung und Fortgang der Reformation. Seine Verteidigung weiß er in scharfsinniger Weise zu einem Angriff gegen die römische Kirdienlehre zu gestalten. Luther verwirft nicht das Alte, sondern nur das, was in der mittelalterlichen Kirche an Neuerungen ersonnen wurde. Er vertritt das lautere Evangelium und geht mit diesem gegen Menschensatzungen an. Melanchthon rechtfertigt nicht nur Luthers Kampf gegen den Ablaß, er geht auf das Grundsätzliche ein. Indem er auf die Schrift allein zurückgeht, läßt er seine Apologie zu einem Vorstoß werden, ähnlich der Schrift Luthers „Von der babyloni-
6. Ertrag theologischer Arbeit
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sehen Gefangenschaft der Kirche". „Wenn ich für Luther rede", sagt er abschließend, „rede ich für mein Heiligstes, für die Lehre Christi." Nicht umsonst hatte Melanchthon sich den paulinischen Anschauungen verschrieben, die er jetzt gegen Aristoteles ins Feld führte. Was dieser über metaphysische und ethische Fragen gelehrt hat, verwirft er ausdrücklich, um nur noch seine naturwissenschaftlichen Werke gelten zu lassen. Bei Aristoteles findet er nur Träume, während die Wahrheit ausschließlich von Paulus vermittelt werde. Damit schloß sich Melanchthon Luther im Kampf gegen Aristoteles an. Die Aufgabe, für die er in Wittenberg hatte wirken wollen, war aufgegeben.
III. Auseinandersetzung mit den Zeitkräften 6. Ertrag theologischer Arbeit Die Widmungen in den ersten Schriften, die Melanchthon in Wittenberg veröffentlichte, zeigen, daß er schnell Beziehungen zu seinen Kollegen gewonnen hatte. Die Rhetorik und die Dialektik, die er wohl in Tübingen auszuarbeiten begonnen hatte und nun in Druck gab, ließen bald die wissenschaftliche Welt aufmerken und ihre Blicke auf den jungen Gelehrten richten. Zuerst veröffentlichte Melanchthon die Rhetorik. E r bezeichnete sie als die Kunst, richtig und schön zu reden. Dieses Vermögen setzt bei ihm bestimmte Kenntnisse voraus. Rhetorik und Dialektik unterscheiden sich nur in der Gestalt. In der Vorrede zur Rhetorik sagte Melanchthon: Von der Dialektik hängt alles ab. Sie lehrt die genaue und kunstreiche Durchforschung eines jeden Gegenstandes und ihre Anwendung bringt überall Licht und Ordnung hinein. Von ihr hängt nicht nur die Übersichtlichkeit eines Werkes ab, sondern sie ermöglicht es, sich seiner erst voll zu bemächtigen. Auf die Logik, die im scholastischen Zeitalter diese Wissenschaft beherrschte, verzichtet er ebenso wie Rudolf Agricola 3
Stupperich,
Melandithon
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III. A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e n Z e i t k r ä f t e n
ganz. Rhetorik und Dialektik berühren sich bei ihm, weil sie beide die praktische Abzweckung haben. Die 1520 erschienene Dialektik brach sich noch schneller Bahn. Wimpheling empfahl, bei der Reorganisation der Universität Heidelberg sie als Lehrbuch einzuführen. Diese beiden Bücher wurden denn auch in Tausenden vor Exemplaren gedruckt und von Alt und Jung mit Eifer studiert. Melanchthon hat in der Dialektik die Findung des Stoffes (inventio) besonders betont. Seine Ansicht f a ß t er im Abschnitt über die Grundbegriffe zusammen (de locis communibus). Ein Grundbegriff ist f ü r ihn nichts anderes als ein allgemeines Kennzeichen, mit dessen Hilfe man feststellen kann, was bei jedem Gegenstand hervorgehoben zu werden verdient. Da Erasmus, wenn auch in anderem Sinne als Melanchthon, in seinem Methodus von loci communes spricht, kann neben Rudolf Agricola auch er ihm nahegelegt haben, dieses Hilfsmittel auf das theologische Gebiet zu übertragen, um auf diese Weise das Wichtigste hervorzuheben und zu erklären. Melanchthon hatte schon in seiner ersten Vorlesung über den Römerbrief dieses Mittel angewandt. Die Nachschrift, die wir von seiner Theologischen Unterweisung (Theologica institutio) besitzen, gibt davon Kunde, wie er dabei verfuhr. Im Sommer 1519, als Melanchthon auf Luthers R a t den Römerbrief auslegte, hatte er sich gleichzeitig mit der Drucklegung von Luthers Galater-Kommentar beschäftigt. In der Vorrede, die sicherlich von ihm stammt, spricht er von diesem Buch als dem Faden des Theseus, der durch das Labyrinth der ganzen Schrift führe. Wenn er weiter davon schreibt, daß dieses Buch vielen, die auf dem Ozean scholastischer Fragestellungen Schiffbruch gelitten haben, Rettung bringe, dann werden darin seine persönlichen Erfahrungen zum Ausdruck kommen. N u n erhielte die Schrift durch Luther ihren Glanz wieder und zeige ihre geistige K r a f t . Christus durchleuchte die biblischen Bücher und gäbe einem jeden den Weg an.
6. E r t r a g theologischer A r b e i t
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Wer nach dem Heil verlange, finde darin die Wahrheit. Aus diesem Grunde seien auch Luthers Schriften wert, von allen, die sich an die Bibel halten, gelesen zu werden. Denn er vermöge auf tiefste Weise das zum Ausdruck zu bringen, wovon der Apostel Paulus spricht. Melanchthon bewunderte Luthers gewaltige Arbeit, der seine K r ä f t e nicht geschont und alles daran gesetzt hat, das göttliche Wort zu erklären. Er betont, daß er Luthers Kommentare mehrfach überlesen und, was er zu ändern f a n d , geändert hätte. Besonders hebt er Luthers Darstellung der paulinischen Rechtfertigungslehre hervor. Der R e f o r m a t o r sei vorurteilslos an die Schrift herangegangen und hätte ihren Reichtum aufgedeckt. In diesen Worten liegt Melanchthons persönliches Bekenntnis, von Luther in die Tiefen der Schrift geführt zu sein und auf diesem Wege Erkenntnis und E r f a h r u n g gesammelt zu haben. Wozu liest man die Bibel, so f r a g t er, wenn nicht dazu, den Sinn der Rechtfertigung zu erfassen! Was nützt es zu wissen, daß Gott barmherzig ist, wenn nicht das eigene H e r z davon berührt wird, „ d a ß er dir barmherzig ist". Diese E r f a h r u n g zu machen bedeutet, „ G o t t w a h r h a f t erkennen". D a ß Melanchthon nicht nur Luther wiederholte, war seinen Hörern und Lesern klar. A u d i Luther wird es gewußt haben. Wie sehr er Melanchthons theologische Erklärungen schätzte, geht aus der T a t sache hervor, daß er gern alle Mönche seines Klosters zu ihm in die Vorlesung geschickt hätte. Er war der festen Überzeugung, daß Melanchthon auch in dieser Hinsicht mehr leisten könne als er selbst, ja als viele seinesgleichen. Diese Erkenntnis hatte er aus dem Römerbrief gewonnen: die wichtigsten Fragen, um die es in der Theologie geht, sind Sünde, Gesetz und Glaube. An ihrer Behandlung wird klar, was Rechtfertigung ist und was sie bedeutet. Was vermögen Menschen gegenüber Gottes Wirken? „ D i e Philosophie ist nicht imstande, den Sinn der Menschen zu ändern und eine innere Erneuerung herbeizuführen." Diese Tatsache hatte der Apostel Paulus schon festgestellt: aus eigener K r a f t kann der Mensch nicht gerecht werden. Gegen das Gesetz lehnt er sich auf, und dieses verleitet ihn 3*
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III. Auseinandersetzung mit den Zeitkrätten
auch nur zur Werkgerechtigkeit. D a greift Gott selbst in seiner Gnade ein und läßt Christus für ihn das Heil erringen. Im Glauben aber an Christus wird der Mensch gerecht, sein Gewissen ist beruhigt, seine inneren Kräfte erneuert. Melanchthon macht abschließend den Unterschied zwischen christlichem und heidnischem Gerechtigkeitsverständnis klar und schließt mit einem Lobpreis des Glaubens. Uber die Grundgedanken der Rechtfertigungslehre war sich der Magister Philippus schon im klaren. Es fehlte noch an der nötigen Verknüpfung. Trotzdem wird man sagen können, daß seine Worte nach eigener Erfahrung klingen: „ O ungeheure Wohltat! So Christus zu erkennen, daß er dir die Last abnimmt, wenn du durch das Gesetz und das Schuldbewußtsein gedrückt wirst, und sie auf seine Schulter lädt, daß er dich stützt, wenn du nach der Gerechtigkeit dürstest, glücklich die, die es erreicht haben, Christus so zu erkennen! O Unvernunft! O Finsternis! Irgendwo anders Trost für das traurige Gewissen zu suchen, anderswoher Gerechtigkeit und Heiligkeit zu erwarten als von Christus!" Für eine große Darstellung reichte aber der Entwurf der „Theologischen Unterweisung" nicht aus. Dazu entwarf Melanchthon einen anderen Plan. Auf dieser Grundlage begann er mit der näheren Ausführung seines Vorhabens. Ihm lag nichts daran, einen Kommentar zum Römerbrief zu schreiben. E r wollte zum Ausdruck bringen, was man beim Lesen der Heiligen Schrift nicht vergessen dürfte. Wie später Luther in den „Schmalkaldischen Artikeln" die „Artikel von göttlicher Majestät" beiseite ließ und gleich mit dem Rechtfertigungsartikel begann, so sagt auch Melanchthon hier, daß über Gott, Trinität, Menschwerdung keine Erörterung möglich sei. Christus ist vielmehr dazu in die Welt gekommen, um die Menschen erst zur Erkenntnis Gottes und ihrer Stellung zu Gott zu führen. „Denn das heißt christliche Erkenntnis, daß man die Forderungen des Gesetzes kennt; wenn man weiß, von wem man Kraft, dem Gesetz genug zu tun, von wem man die Vergebung der Sünden zu erflehen hat, wie man den
6. Ertrag theologischer Arbeit
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wankenden Geist wider Teufel, Fleisch und Welt stärken und das zerschmetterte Gewissen trösten kann . . . Darum wollen auch wir ein System der Grundbegriffe entwerfen, die dir Christus näher bringen, die dein Gewissen stärken, dein Gemüt gegen den Satan aufrichten sollen." Über die Einzelauslegung führt Melanchthon zur zusammenfassenden Darlegung reformatorischer Erkenntnis. Auf ihn wie auf viele seiner Zeitgenossen hatten Luthers Hauptschriften von 1520 den stärksten Eindruck ausgeübt. Unter diesem Eindruck hat er auch an seinen Loci communes geschrieben. Bewußt weicht er von der überkommenen Dogmatik ab, wenn er auch auf sie Bezug nimmt. Er geht vom Menschenbild aus: der natürliche Mensch hat nicht die Kraft zum Guten. Durch den Sündenfall hat er die Liebe zu Gott verloren und läßt sich von der Selbstsucht leiten. Seitdem ist die Wurzel seiner Handlungen die Sünde. Selbst seine Liebe ist von der Selbstsucht vergiftet. Zum Heil gelangt er nicht durch freien Willen, sondern nur nach Gottes Vorherbestimmung. Gott gibt dem Menschen das Gesetz, damit er sich selbst erkenne und der Verkehrtheit seines Herzens bewußt werde. Die Forderungen des Gesetzes kann er nicht erfüllen und muß verzweifeln. In dieser Lage trifft ihn das Evangelium: das Wort der Vergebung und des neuen Lebens. Glaubt der Mensch der göttlichen Verheißung, daß Christus alles für ihn tut, zweifelt er nidit daran, daß Christi Gerechtigkeit seine Gerechtigkeit und Christi Opfertat die Sühne für ihn ist, dann ist er gerechtfertigt. „Christus erkennen heißt, seine Wohltaten erkennen." Auch auf das Wesen des Glaubens geht Melanchthon näher ein. Wie Luther sieht er es im Vertrauen und der Bereitschaft, Gott und dem Nächsten zu dienen. Der Glaube erweist in diesem Dienst seine Echtheit. Wohl schwingen da augustmische Gedanken mit, aber sie sind ursprünglicher gefaßt und umgestaltet. Audi die Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium stammt von Augustin. Melanchthon versucht, diesen Gegensatz noch sdiärfer herauszubringen, als es bei Luther
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III. Auseinandersetzung mit den Z e i t k t ä f t e n
der Fall ist. Schon in diesem Zusammenhang betont er die Bedeutung des Gesetzes und macht geltend, daß das Evangelium nicht ohne Gesetz gepredigt werden kann. Der neue Mensch, der vom Geist Gottes erfüllt ist, braucht freilich das Gesetz nicht mehr. N u r der Glaube rechtfertigt, nicht die Sakramente; diese sind nur Zeichen der Verheißungen und Gaben Gottes, den schwachen Gewissen zu Trost und Stärkung gegeben. Melanchthon spricht in den Loci nur von zwei Sakramenten: Taufe und Abendmahl. Die Taufe führt aus dem Sündenbewußtsein zur Gnadengewißheit. Ein besonderes Sakrament der Buße hielt Melanchthon f ü r unnötig. Das Abendmahl deutet er als Gnadenzeichen zum Trost der Gewissen. Melanchthon schloß sein Buch mit einigen Kapiteln aus der Ethik, in denen er deutlich machte, wie Glaube und Liebe sich in der Welt zu bewähren hätten. Das Werk, das Melanchthon im April 1521 in Druck gegeben hatte, konnte nicht zügig zu Ende gedruckt werden. Die Druckbogen erschienen in großen Abständen und wurden seinen Freunden einzeln zugeschickt. Auch Luther las sie auf der Wartburg. Die Verzögerung wurde nicht nur durch äußere Ereignisse verursacht. Melanchthon war durch Luthers Buch gegen Latomus vor neue Fragen gestellt worden, mit denen er fertig werden mußte. In den in dieser Zeit gewechselten Briefen kommt seine innere Lage deutlich zum Vorschein. Die Lektüre dieses Buches veranlaßte ihn zu manchen Abänderungen und Einfügungen, durch die die Einheitlichkeit der ursprünglichen Konzeption verloren ging. Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, daß Luther ihn von der Wartburg aus dazu mahnte, sein Kreuz geduldig zu tragen. Auch jener berühmte Satz: er soll keine eingebildete, sondern die wahre Gnade verkündigen und soll die Sünde nicht als Gedanken sondern als Wirklichkeit erfassen, wird nicht allein auf die äußeren Vorgänge in Wittenberg, sondern auf seine innere Entwicklung zu beziehen sein. Melanchthon selbst war mit seinem im Dezember 1521 erschienenen Buch noch nicht zufrieden. In manchen
7. Gegenüber Schwärmern und Täufern
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Stücken w a r es ihm zu elementar. D a h e r wollte er auch nicht „ M e i s t e r " genannt werden. Mochte dieser erste V e r such, den christlichen G l a u b e n auf reformatorischer G r u n d lage zu entwickeln noch manche Schwächen u n d M ä n g e l aufweisen, a u f s G a n z e gesehen w a r es ein ausgezeichnetes Buch. D i e Begeisterung der F r e u n d e ebenso wie die A b lehnung der Gegner ist daher wohl zu verstehen. In wenigen K a p i t e l n w a r die L e h r e der R e f o r m a t i o n eindrücklich behandelt w o r d e n . Luthers bewunderndes Urteil, d a ß dieses Büchlein wert sei, als kanonisch zu gelten, schoß über das Ziel hinaus. Es muß aber gesagt werden, d a ß es nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit brachte, sondern die B a h n nach v o r n eröffnete. E s hatte schon eine eigene Linie u n d k a n n keineswegs lediglich als Z u s a m m e n f a s s u n g lutherischer G e d a n k e n angesehen werden. E s enthält auch humanistische Züge, wie denn diese Tatsache f ü r Melanchthon bezeichnend ist, d a ß er zeitlebens bewußt oder unbewußt das E r b e des deutschen H u m a n i s m u s u n d die Einflüsse des E r a s m u s verarbeitet hat. D e n größten Eindruck auf die Zeitgenossen machte aber seine A r t , biblische G e d a n k e n zur D a r s t e l l u n g zu bringen. Seine D a r s t e l l u n g ist immer k l a r u n d die B e g r ü n d u n g überzeugend. D a s Buch ist auch ungemein viel gelesen w o r d e n . In vier J a h r e n sind 18 A u f l a g e n erschienen. 7. G e g e n ü b e r S c h w ä r m e r n u n d T ä u f e r n Wie Luther v o r dem Verhör bei C a j e t a n sich in G e d a n ken den M a g i s t e r P h i l i p p u s als seinen Fortsetzer vorstellte u n d ihm sein W e r k a n b e f a h l , so konnte er auch v o n der W a r t b u r g aus sich keinen anderen unter seinen Wittenberger F r e u n d e n denken, der an seiner S t a t t so w i r k e n konnte wie Melanchthon. „ T r i t t als D i e n e r des Wortes ein, v e r w a h r e die M a u e r n J e r u s a l e m s ! " S o lautet Luthers A u f t r a g an ihn. A b e r g e r a d e die leitende H a n d fehlt M e l a n chthon. In dieser Beziehung hatte ihn Luther überschätzt. In seinen Briefen an S p a l a t i n machte er ihm den Vorschlag, Melanchthon an seiner S t a t t als Prediger einzusetzen. N a c h
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III. Auseinandersetzung m i t den Z e i t k r ä f t e n
seiner Auffassung konnte Spalatin dafür sorgen, daß der R a t der Stadt den Magister Philippus zum Prediger beriefe. Einem solchen R u f könnte Melanchthon sich unmöglich versagen. Aber Melanchthon ging auf diesen Vorschlag nicht ein, sei es, daß er sich für eine derartige Wirksamkeit nicht geschaffen wußte, sei es, daß ihn sein angeborener Sprachfehler daran hinderte. E r wollte das Katheder mit der Kanzel nicht vertausdien. In der Universität war ohnehin der erst 24jährige einer der angesehensten Gelehrten. Man schätzte seine Klugheit und Überlegenheit, seine Gabe, übersichtlich zu ordnen und klar zu formulieren. Die Folgen des Wormser Reichstages hatten Melanchthon in seiner Stellung zu Luther nicht erschüttert. Erstand fester denn je zu ihm, ja er konnte noch anderen Mut zusprechen. Kurz zuvor hatte er seine Entgegnung an die Sorbonne fertiggestellt, die ihr Urteil über Luther endlich herausgegeben hatte und seine Theologie auf alte Ketzereien hatte zurückführen wollen. Es entsprach der Art Melanchthons, sich gleich an die Antwort zu machen. Theologaster nennt er die Mitglieder dieser hochberühmten Körperschaft, die kein eigenes Urteil mehr fällte und sich allein mit der Autorität der Kirchenväter und Konzilien decken wollte. Melanchthon behauptete dagegen, daß Luther nicht nur die Heilige Schrift für sich hätte, sondern daß auch das Urteil der bedeutendsten Kirchenväter wie Augustin, Hilarius, Chrysostomus für ihn sprächen. Wenn manche seiner Aussagen aus den alten Vätern nicht belegt werden könnten, dann hinge es mit der Tatsache zusammen, daß die alte Kirche noch nicht so verderbt war wie die gegenwärtige. Das gleiche gelte von den Konzilien. Während Luther mit den alten Kirchenversammlungen übereinstimme, widerspräche er den späteren, die sidi gegen die Sdririft erklären. Im ganzen stimme seine Lehre mit der christlichen Kirche überein, wende sich aber gegen Aristoteles und alle Schulphilosophie. Die Verdammung Luthers, die die Sorbonne unternommen hätte, erklärte Melanchthon für wertlos, da
7. Gegenüber Schwärmern und Täufern
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sie ihr Urteil nicht begründen könne, zumal sie selbst die Schrift und Augustin nicht kenne. Luther selbst hatte es Melanchthon von der Wartburg aus vorausgesagt, daß die Gegner sich nun auch gegen ihn wenden würden. Diesen Kampf nahm Melanchthon auf. Er schrieb in leidenschaftlichem Ton, denn ihm ging es nicht nur um den gebannten Freund, es ging ihm um die Sache, die auch seine Sache war. Luthers Tat hatte auch für ihn etwas Befreiendes. Das mußte nun zum Ausdruck kommen. Was seit 400 Jahren niemand klar auszusprechen gewagt hatte, das hatte er getan. Melanchthon sah dieses Geschehen in einem großen Rahmen: Gottes Barmherzigkeit war wieder aufgeleuchtet, sein Evangelium seinem Volk enthüllt und das Gewissen derer, die er berufen hatte, aufgerichtet. Melanchthon sagt es in der Schrift an die Sorbonne: wenn du fragst, was Luther der Kirche genützt hat, dann erfahre die Hauptfakten: er hat die wahre Art der Buße gelehrt und den rechten Gebrauch der Sakramente gezeigt, was mir die Gewissen vieler Menschen bezeugen können. Es ist verständlich, daß Luther dieses Bekenntnis zu seiner Theologie in seiner Einsamkeit als eine Erquickung empfand. Daher hat er diese so persönlich geschriebene Schrift Melanchthons auf der Wartburg ins Deutsche übersetzt. Audi andere gemeinsame Fragen waren von ihm berührt worden. Während Luther an der Schrift „Über die Mönchsgelübde" schrieb, wandte sich auch Melanchthon demselben Thema zu. Den Anlaß bot die Verheiratung des Propstes Bernhardi, der dafür unter Anklage gestellt war. Melanchthons Verteidigungsschrift erregte allgemein großes Aufsehen. Rückwirkungen waren auch in Luthers Kloster festzustellen. Und während ein redegewandter Mönch, Gabriel Zwilling, dort eine Erregung hervorrief und durch seine Predigten ö l ins Feuer goß, konnte Melanchthon nichts Beschwichtigendes tun. Vermutlich hat er nicht gleich erkannt, wes Geistes Kind Zwilling war, und seine Ansichten zunächst gebilligt. Aber dann entschloß er sich, durch eine Disputation am 17. Oktober 1521 die Lage zu klären. Er betonte in seinen Thesen die grundlegende Be-
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deutung des Wortes im Sakrament und wiei in Luthers Weise darauf hin, daß das Sakrament die verheißene Gnade dem Einzelnen zueignet. Es sei ein Zeichen, aber kein Werk und kein Opfer. Die bisherige Weise der Messe führe am Entscheidenden vorüber und müsse, wie es in seinen Thesen weiter heißt, geistliche Blindheit mit sich bringen. Im wesentlichen ließ Melanchthon das Vorgehen der Augustinermönche gelten und wandte sich mit dem Wort aus Lukas 9, 62 gegen jede Beschwichtigung. Auf Anordnung des Kurfürsten wurde eine Untersuchung über die Vorgänge im Augustinerkloster angestellt und Melanchthon zum Bericht aufgefordert. Bei dieser Gelegenheit unterstrich er die Notwendigkeit., den Meßgottesdienst durch die ursprüngliche Gestalt des christlichen Abendmahls zu ersetzen. Mit aller Bestimmtheit forderte er den Kurfürsten auf, diese Neuordnung zuzulassen, damit er am jüngsten Tage nicht verworfen würde. Friedrich der Weise entschied aber, daß man sich vor jeder Übereilung hüten solle. Ein derartiger Eingriff in das Gottesdienstwesen könnte unmöglich nur in Wittenberg vorgenommen werden. Indessen ging der Kampf gegen die Messe unter Beteiligung von Professoren und Studenten weiter. Anfang Dezember 1521 erschien Luther heimlich in Wittenberg. Er wohnte bei Melanchthon, mit dem er die Vorgänge und Maßnahmen besprach. Das klingt in seiner Schrift „Ein treue Vermahnung an alle Christen" deutlich nach. Melanchthon war es, der ihn in diesen Tagen bestimmte, auf der Wartburg an die deutsche Bibelübersetzung heranzugehen. Auch den Streit mit d e n Erzbischof Albrecht gedachte Melanchthon in dieser Lage keineswegs abzuschwächen. Im September war Albrechts Kanzler Wolfgang Capito nach Wittenberg gekommen, um einen Ausgleich zu versuchen. Der Erasmianer gedachte dabei, besonders auf Melanchthon einzuwirken. Er beklagte Luthers Heftigkeit und wünschte eine Mäßigung der Sprache. Melanchthon aber erklärte sich ganz f ü r Luther. „Ich weiß", sagte er, „daß einige ihn f ü r einen schlechten, andere für einen törichten
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Menschen halten. Ich aber bin überzeugt, daß er sein Werk nicht bloß mit Klugheit, sondern auch mit dem besten Gewissen führt, zumal er von Gott dazu bestimmt zu sein scheint." Luthers Grundsatz von der alleinigen Autorität der Schrift stand ihm unverrückt fest, und er bestritt Capito gegenüber ihre angebliche Dunkelheit. Audi die übliche scholastische Auffassung vom Menschen beanstandete er. Wenn der freie Wille nicht unterdrückt wird, erklärte er ihm, wird die Gnade verdunkelt. Melanchthon trat in jenen Tagen so tapfer f ü r Luther ein, daß ihm jede Vorsicht als Feigheit erschien. Im Rückblick auf dieses Gespräch mit Capito äußerte er später: „Mir ist eine Art von Menschen höchst zuwider, es sind das weise und fromm erscheinende Menschen, die in Wort und Schrift erfolgreich wirken und sich selbst und andere zu bessern suchen, jedoch allem Ärgernis sorgfältig aus dem Wege gehen. Wenn Paulus nur gelehrt hätte, daß die Menschen ein ehrbares Leben führen sollen, so würden ihn die Fürsten dieser Welt und die falschen Apostel mit offenen Armen aufgenommen haben. Aber da er die Werkgerechtigkeit und die oberflächlichen sittlichen Anschauungen der großen Welt verdammte, sind Pharisäer und Völker gegen ihn aufgestanden. Ganz in gleicher Weise würde Luther f ü r einen der weisesten und heiligsten Menschen gehalten werden, falls er vieles Fromme schriebe, aber das Anstößige über den Papst, die Menschensatzungen, die Messe nicht antastete. Als Luther den Erzbischof Albrecht dringend aufforderte, den Ablaß in Halle abzustellen, fügte auch Melanchthon einen Brief an Capito hinzu. Dieser Brief ist ein erneutes Bekenntnis zu Luther: „Ihr könnt nicht leugnen", betont er, „daß er das Evangelium lehrt; wenn ihr Luther zurückstoßt, stoßt ihr dieses zurück!" Inzwischen sahen Karlstadt und Zwilling ihre Zeit f ü r gekommen an. In lauter Weise wurden Neuerungen durchgeführt, die sie in der Kirche f ü r notwendig hielten. Melanchthon wollte sich von ihnen nicht beeindrucken lassen, aber er unternahm auch nichts gegen sie in der Meinung, daß man nun Gott alles anheimstellen müsse. Am
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27. Dezember 1521 waren aber einige Tuchmacher aus Zwickau in Wittenberg erschienen und vor Melanchthon hingetreten. Ihr Anliegen hieß: Unmittelbare Leitung durch den Heiligen Geist. Wer den Geist besitzt, braucht das biblische Wort nicht mehr. Er steht unter direkter göttlicher Führung. Diesem Enthusiasmus gegenüber war der Magister Philippus wehrlos. Er stellte fest, daß sie vom Geist erfüllt waren, wußte aber nicht, welcher Geist das war. Daher wagt er es auch nicht, ein Urteil abzugeben und eine Entscheidung zu fällen. Sofort nach dieser Begegnung schrieb er an den Kurfürsten und erbat Luthers Rückkehr. Das eine hatte er immerhin schon wahrgenommen, daß der Enthusiasmus der Zwickauer auf Selbsterregung und auf Selbsttäuschung beruhte. Der einstige Student Markus Stübner, der bei ihm im Hause wohnte, ließ ihn zu dieser Feststellung gelangen. Daß die Zwickauer Propheten die Kindertaufe ablehnten und das Schwergewicht vom Glauben auf den Geistbesitz verlegten, ließ ihn ihre Einstellung als wenig haltbar betrachten. Luther nahm die Nachricht vom Auftreten dieser Schwärmer und ihre Kritik an der Kindertaufe schon ernster. Er riet auch Melandithon, die Geister gründlich zu prüfen, ob sie von Gott seien. Gottes Offenbarung geschehe unter Schrecken. Die Erkenntnis himmlischer Wahrheit werde einem Menschen nur in schwerem inneren Ringen zuteil. Diesen Rat scheint Melandithon nicht befolgt zu haben. Während er sich zurückhielt, trat Karlstadt in den Vordergrund. Er näherte sich den Zwickauern und zeigte sich ihren Neigungen gegenüber offen. Ihre aufreizenden Reden führten zum Bildersturm in der Stadtkirche. Auf die Nachricht davon ließ der Kurfürst Melanchthon sagen, er möchte Karlstadt und Zwilling zurückhalten. Aber diese Mahnung nützte nichts mehr. Diesen Eindruck hatte Magister Philippus nun selbst gewonnen: Ein Einzelner konnte die Wasserwogen nicht mehr aufhalten. Mit einigen Veränderungen wie dem Entfernen von Bildern war nichts getan. Alles stand auf Sturm. In dieser Bewegung drohte Göttliches und Menschliches durcheinander geworfen zu werden. Melanchthon
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fürditete schon, „daß das Licht, das der Welt vor kurzem aufgegangen ist, sich bald wieder unseren Augen entziehen wird". Durch einen Boten teilte er Luther mit, wie gespannt die Lage geworden war und wie wenig er dabei ausrichten konnte. Am '3. März 1522 hatte er die Antwort: Luther hatte sich entschlossen, nach Wittenberg zurückzukehren. Die Auseinandersetzung mit den Schwärmern war nun in wenigen Tagen vollzogen und die Bahn für die Neuordnung des Gottesdienstes und für die Regelung praktischer kirchlicher Fragen war wieder frei. Es war klar, daß die Messe nicht mehr in alter Weise gehalten werden konnte. Luther nahm Melanchthons Vorschlag an, das alte Formular außer den Stellen, die sich auf das Opfer beziehn, beizubehalten. An den liturgischen Arbeiten hatte Melanchthon keinen Anteil. Ehe Luther seine auf der Wartburg niedergeschriebene Bibelübersetzung „Das Neue Testament deutsch" in Druck gab, ging er sie mit Melandithon in aller Ruhe am griechischen Text noch einmal durch. So hatte Magister Philippus außer der Anregung zu diesem Werk auch an seiner Gestaltung beträchtlichen Anteil. Jede Einzelheit wurde genau überprüft, mochten es Begriffe oder Sachen sein, und auf diese Weise das Werk vollendet, das als September-Testament 1522 seinen Weg ins Volk nahm. Hatten die Wittenberger Unruhen dem Schul- und Universitätsleben auch viel geschadet, die Arbeit mußte wieder aufgenommen und in geordnete Bahnen geleitet werden. Melanchthon führte noch die theologischen Vorlesungen, die er vertretungsweise für Luther übernommen hatte, weiter. In seiner Abwesenheit hatte er zuerst den Kolosserund den 2. Korintherbrief, dann das Johannes-Evangelium ausgelegt. Daneben hatte er seinen eigenen Lehrauftrag in der artistischen Fakultät zu versehen, so daß seine Arbeitskraft aufs höchste angespannt war. In den äußeren Kämpfen hatte er erfahren, welche inneren Auseinandersetzungen mit ihnen verbunden sind. Konnte Melanchthon schon früher mit Karlstadt nicht einig werden, so betrachtete er sein Wirken nun mit dem
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III. Auseinandersetzung mit den Z e i t k r ä f t e n
größten Mißtrauen. Der schwärmerische Zug war Karlstadt verblieben und drängte ihn im Frühjahr 1523 dazu, den Kampf gegen Luther zu beginnen. Er richtete sich auch gegen jegliche Wissenschaft, so daß sich Melanchthon genötigt sah, die studierende Jugend in seinen akademischen Reden erst recht auf die Notwendigkeit der Studien hinzuweisen. Auch später, als Karlstadt in Oberdeutschland sein Wesen trieb, grenzte er sich aufs schärfste von ihm ab. Für mystische Schwärmereien hatte er keinen Sinn. Dabei traute er Karlstadt nichts Echtes zu, sondern sah vor allem bei ihm unlautere Motive. Ob Melanchthon 1522 auch Thomas Münzer kennenlernte, steht nicht fest. Ehe Münzer sich gegen Luther wandte, schrieb er an Melanchthon. Es waren Klänge, die diesem von den Zwickauern her nicht unbekannt waren. Man sollte nicht auf den äußeren Buchstaben achten, sondern auf das innere Wort hören, das Gott zur lebendigen Seele spricht. „Glaubt mir", so schloß Münzer, „daß Gott viel lieber spricht, als ihr zum Hören bereit seid." In der Ablehnung des schwärmerischen Geistes war Melanchthon mit Luther einig. Er hatte es nicht nur in Wittenberg an den Zwickauern, sondern auch an Karlstadt und Münzer erlebt, wohin der eingebildete Geist treibt. Um dem Volk deutlich zu machen, welche Folgen die Schwärmerei hätte, schrieb Melanchthon später die volkstümliche „Historie von Thomas Münzer". Ohne auf die tieferen Wurzeln in Münzers Anschauungen einzugehen, wollte er in dieser Schrift nur zeigen, wohin Münzer durch seine Schwärmerei gef ü h r t worden ist. Seine eigene Oberzeugung stand ihm dabei fest: Alles was nach Spiritualismus aussah, lehnte er schroff ab. Das Urteil, das er sich an den Zwickauern und Schwärmern gebildet hatte, übertrug er später auf die Täufer. Spätere Auseinandersetzungen bestärkten ihn in der Auffassung, daß es sich bei den Täufern um dieselbe Erscheinung handelte wie bei den Zwickauer Propheten. Melanchthon hat keine Veranlassung gesehen, diese Auffassung zu revidieren, sondern blieb zeitlebens bei dieser
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Überzeugung. Die zahlreichen Gutachten, die er über Spiritualisten und Täufer abgab, gehen alle von dieser Grundlage aus. Ob es sich bei ihnen mehr um rationalistische oder enthusiastische Motive handelte, war ihm gleichgültig. E r sah in ihnen Menschen, die sich über die biblische Offenbarung hinwegsetzten. In seinen Augen streuten sie neue Lehren aus, die die Gottessaat verderben sollten. Nicht nur die verschiedene Schriftauslegung, auch die verschiedene Sakramentsauffassung spielt da hinein. Melanchthon betonte wie Luther: Gott verlangt, daß der Mensch zuerst auf ihn blicke und nicht auf sich selbst. Dazu stattet Gott ihn mit seinen Gaben aus als Waffen gegen Unglauben, Verzweiflung und Tod. Solch eine Gabe ist in besonderem Maße die Taufe, ob für Kinder oder Erwachsene, kein leeres Zeichen, sondern ein Zeichen göttlicher Gnade. Dagegen lehrten nach seiner Auffassung die Täufer nur Ungewisses und vertraten im Grunde eine Werklehre ohne Christus. Die Eindrücke von den Visitationsreisen ließen ihn auch die Aufgabe anpacken, die in den Gemeinden als dringend angesehen wurde, die Auseinandersetzung mit den Wiedertäufern. Melanchthon schrieb über die Tauffrage ein umfangreiches lateinisches Gutachten, das von Justus Jonas ins Deutsche übersetzt und als Traktat verbreitet wurde. Audi bei der Tauflehre spricht Melanchthon von der Buße, die an Christus Gottes Zorn wider die Sünde sehen lehrt. Das Kreuz Christi zeigt die Größe des göttlichen Zorns. Wer darum ohne Gottesfurcht und Buße lebt, der entheiligt die Taufe. Denn in der Taufe empfangen wir einmal unser Urteil, zugleich gewährt sie aber den Aufblick zur verheißenen Gnade Gottes. Wenn also das Gewissen mit der Verzweiflung kämpft, dann gilt es, sich der Taufe als des testimonium promissae gratiae zu erinnern. So ist sie der Weg aus den Anfechtungen zur Freiheit, zum Leben und zur Herrlichkeit. Die geistlichen Fanatiker lassen diese Auffassung freilich nicht gelten — aus Vernunftgründen lehnen sie auch die Kindertaufe ab. Melanchthon bestreitet ihre Anschauungen schon vom Alten Testament
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IV. Arbeit für Kirche und Schule
her und bemüht sich erst recht, vom Neuen Testament den altkirchlichen Brauch der Kindertaufe überzeugend zu machen. Wenn die Schrift nicht ausdrücklich Kinder zu taufen heißt, so verwehrt sie die Kindertaufe audi nicht, so daß der kirchliche Brauch nicht unbegründet erscheint. Melanchthon weiß, daß gegen die Wiedertäufer noch manches Andere einzuwenden ist, daß sie in ihrem Fanatismus audi andere Ordnungen des kirchlichen und weltlichen Lebens übergehen. Die Wurzel ihres Irrtums sieht er darin, daß sie das erste Gebot mißachten und sich von der Selbstliebe leiten lassen. IV. Arbeit für Kirche u n d Schule 8. Übergang zu neuen Aufgaben Die Arbeit, die auf Melanchthon lastete, hatte seine Gesundheit stark angegriffen. Seine Freunde bangten um den Magister, der nur die Arbeit kannte, ohne an sein äußeres Wohl und Ergehen zu denken. Luther schrieb deshalb schon im Sommer 1520 an Spalatin, daß der junge Professor eine Frau brauchte, die f ü r ihn sorgte, und eine Häuslichkeit, in der er sich wohl fühlte. Das Wittenberger Klima und die schwere Kost bekamen ihm ohnehin nicht. Melandithon selbst lehnte zuerst das Ansinnen der Freunde ab, da er fürchtete, seine Studien abkürzen zu müssen, wenn er für seine Frau genug Zeit haben wollte. Die Freunde ließen aber nicht nach. Die Hochzeit fand am 25. November 1520 statt. Melanchthon nahm zur Ehe eine Tochter des Wittenberger Bürgermeisters und Schneiders Hans Krapp, Katharina. Durch diese Heirat wurde er Schwager seiner beiden Kollegen Augustin Scheurl und Sebaldus Münster. Katharina K r a p p war gleichalterig mit ihrem Mann, eine fromme und treue Frau, die Melanchthon nicht genug rühmen kann. Freilich fiel es ihm zuerst schwer, sich in die neue Lage zu schicken. Bald aber sah er es ein, welche Gnade Gott in die Ehe gelegt hat, indem er jedem der
8. Ubergang zu neuen Aufgaben
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Ehegatten die Gelegenheit gibt, sich um den andern zu kümmern. Katharina Melanchthon hatte nur einen Fehler: sie verstand nicht zu wirtschaften. Es war nie Geld im Hause, weil sie ebenso freigebig war wie ihr Mann. Bisweilen würde daher Verwirrung im Hause geherrscht haben, hätte Melanchthon nicht in Johann Koch den tüchtigsten Famulus gehabt, den er sich denken konnte. Dieser unterstützte ihn nicht nur bei gelehrten Arbeiten, sondern ging auch bei häuslicher Beschäftigung zur Hand. Von J a h r zu J a h r wuchs die Familie. Melanchthon hing mit großer Liebe an seinen Kindern. Besucher sahen ihn zuweilen mit einem Buch in der Hand an der Kinderwiege sitzen. Aber auch für seine Schüler und Gäste hatte er immer Zeit. Zwei Eigenschaften des Magisters Philippus müssen besonders hervorgehoben werden: seine Konzentrationsfähigkeit und sein Pflichtbewußtsein. Seine Leistungen erklären sich dadurch, daß er schnell und ohne Unterbrechung zu arbeiten vermochte. Studenten strömten in seine Vorlesungen, die er ohne Grund nie ausfallen ließ. Von seiner Hochzeit erfuhren die Hörer durch folgenden Anschlag: Von den Studien heut macht Ferien gerne Philippus, Lesen wird er euch nicht des Paulus heilige Lehren. Spalatin zählte allein in seinen theologischen Vorlesungen 1520 über 500 Studenten, in allen Vorlesungen zusammen über 1500. Einen derartigen Lehrerfolg hatte in Wittenberg sonst niemand. Melanchthon hatte sich über die Maßen eingesetzt und seine Kräfte nicht geschont. Nun hielt auch Luther es für richtig, daß er sich in der Heimat erholte. Der Kurfürst gewährte ihm dazu einen Urlaub von 5 Wochen. Begleitet von vier Freunden, unter ihnen Camerarius, trat Melanchthon im Sommer 1524 diese Reise zu Pferde an. Über Leipzig, Fulda und Frankfurt ging es dem heimatlichen Bretten zu. Camerarius berichtet, Melanchthon sei angesichts des Städtchens vom Pferde gestiegen, niedergekniet und habe bewegt ausgerufen: „O Heimatland! Wie danke ich Dir, Herr, daß ich es betreten darf!" Während die Freunde nach Basel weiterritten, um Erasmus und Oekolampad zu besuchen, blieb Melanchthon 4
Stupperich,
Melandithon
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IV. Arbeit f ü r Kirche und Schule
bei seiner Mutter. Es lagen doch bestimmte Gründe vor, daß er Erasmus nicht aufsuchte. Der Streit des Erasmus mit Luther über die Willensfreiheit warf seine Schatten voraus, so daß er es vorzog, einen kühlen Empfang in Basel zu vermeiden. Unerwartet wurde ihm in Bretten eine Ehrung der Heidelberger Universität zuteil. Als Abgesandte der artistischen Fakultät überreichten H e r m a n n von dem Busche und Simon Grynaeus dem berühmt gewordenen Kollegen einen silbernen Becher. Man wollte ihn vergessen lassen, daß man ihm einst den Magistergrad versagt hatte. Audi anderen Besuch erhielt er. So erschien aus Stuttgart Friedrich Nausea, der Sekretär des Kardinals Lorenzo Campeggi, der ihm im Auftrage des Legaten Angebote machte, falls er auf die Gegenseite überginge. Melanchthons Antwort war deutlich, so sehr er seine Friedensliebe unterstrich. Er wollte fortfahren, die reine Lehre zu vertreten und wünschte nur, daß alle, denen das Wohl der Kirche am Herzen liege, sich zusammentäten, um die unhaltbaren kirchlichen Zustände zu bessern. Für den Legaten setzte Melanchthon ein kurzes schriftliches Gutachten über Luthers Lehre auf. „Die Welt irrt, wenn sie behauptet, Luther wollte die kirchlichen Bräuche abschaffen. Luther k ä m p f t nicht um äußere Dinge. Ihm geht es um die Gerechtigkeit Gottes. Die Schrift allein, auf die er sich beruft, kann das Gewissen fest machen gegen die Pforten der Hölle. Menschliche Traditionen tragen f ü r die Gerechtigkeit Gottes nichts aus. In der Messe sind so viele Mißbräuche, daß man sie nicht übersehen kann. Ändert man nichts daran, so werden solche, die nichts weniger als Luthers Schüler sind, die Menschen gegen die Kirche erregen." Als die Reisegefährten aus Basel zurückkamen, machte sich Melanchthon mit ihnen auf den Rückweg. Im Odenwald unweit F r a n k f u r t begegneten sie dem jungen Landgrafen Philipp von Hessen. Philipp galt als Gegner der neuen Lehre. Er machte sich ein Vergnügen daraus, den Magister Philippus zu ängstigen. Er nahm ihn gefangen. Danach forderte er ihn auf, mit ihm in seine Herberge zu
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kommen. Eine Nacht unterhielten sie sich über Fragen des Glaubens. A m Morgen entließ ihn der Fürst unter der Bedingung, daß Melanchthon ihm bald eine schriftliche D a r stellung des evangelischen Glaubens schickte. Diesen A u f t r a g nahm Melanchthon sehr ernst. Gleich nach seiner Rückkehr schrieb er für den L a n d g r a f e n einen „Abriß der erneuerten evangelischen Lehre". Darin weist er auf die Tatsache hin, daß sich bei den Zeitgenossen viele Mißverständnisse hinsichtlich der Lehre Luthers finden. Allein am Evangelium läßt sich diese Lehre prüfen, deren Schwerpunkte in der Gerechtigkeit und in den Werken zu finden sind. Des Christen Gerechtigkeit besteht darin, daß sein erschrockenes Gewissen durch den Glauben an Christus Trost bekommt. Dieser Trost der Sündenvergebung wird ihm durch das Evangelium zuteil. D a r u m muß das E v a n gelium gepredigt und nicht unterdrückt werden. Es bleibt eine offene Frage, ob dieser „ A b r i ß " den L a n d g r a f e n Philipp in seiner Entscheidung bestimmt und damit der Reformation in Hessen den Weg bereitet hat, die bald eingeleitet wurde. Die persönlichen Beziehungen des L a n d grafen zu Melanchthon setzten sich von da an durch vier Jahrzehnte fort. Wenn Melanchthon auch die Berufung an die 1527 begründete Universität Marburg ablehnte, so blieb er in vielen Fällen der Berater des Landgrafen. D i e Reise in die H e i m a t hatte Melanchthons Beziehungen zur P f a l z wieder lebendiger werden lassen. Als im Frühjahr 1525 Bauernunruhen das L a n d ergriffen, hatten die Bauern selbst ihn als Schiedsmann zwischen ihnen und den Herren vorgeschlagen. K u r f ü r s t L u d w i g hatte ihnen versprochen, die 12 Artikel prüfen zu lassen, und bat dann Melanchthon um den Dienst, entweder selbst nach Heidelberg zu kommen oder ihm ein schriftliches Gutachten vorzulegen. War Melanchthon auch bereit, einige Forderungen der Bauern als berechtigt anzuerkennen, so unterschied er sich in seinem Urteil nicht wenig von Luther. In mancher Beziehung war er konservativer als Luther. D a die Bauern sich auf das Evangelium beriefen, hielt er ihnen zunächst die rechte Lehre vor. Christlicher Glaube sei etwas anderes 4
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IV. Arbeit f ü r Kirche und Sdiule
als Zwingen und Dringen. Hier gelte der Gehorsam, den man der Obrigkeit schuldig ist. Als Humanist betonte er stark das natürliche Gesetz. Melanchthon vertrat die Meinung, daß die Bauern durdi das Gesetz zu den hergebrachten Lasten verpflichtet seien. Auch die Leibeigenschaft rechnete er dazu. Während er die Bauern zum Gehorsam rief, mahnte er die Herren zur Milde. Mit den kirchlichen Reformen sollte man anfangen, dann würden sich allmählich die sozialen Schwierigkeiten ausgleichen. Aber dieser Ratschlag kam zu spät, das Land war bereits vom Brande des Bauernkrieges erfaßt, die Gewalt mußte- entscheiden. In den erregendsten Tagen des Bauernkrieges, den Luther in eschatologischem Lichte sah, entschloß er sich, ein letztes Bekenntnis vor der Welt abzulegen. Am 13. 6. 1525 verlobte er sich mit Katharina von Bora, einer aus dem Kloster Nimpschen geflüchteten Nonne. Melanchthon, der nichts geahnt hatte, war von der Nachricht schwer betroffen. An der Heirat Luthers hatte er nichts auszusetzen; es erschien ihm nur fraglich, ob der Zeitpunkt richtig gewählt wäre. Er betonte aber, daß sein Verhältnis zu Luthers Lehre davon unberührt bliebe, mochte sich Luther in seinem persönlichen Leben geirrt haben oder nicht. Als Luther nach der Sitte seiner Zeit 14 Tage später die Hochzeitsfeier hielt, war auch Melanchthon unter den Feiernden. Zwischen den Freunden ist durch Luthers Ehe keine Entfremdung eingetreten. Melanchthon ist nach wie vor häufiger Gast in Luthers Hause gewesen, mochten ihre Frauen sich auch nicht so gut verstanden haben. Der Streit zwischen Erasmus und Luther über den freien Willen war nicht ohne Eindruck auf Melanchthon geblieben. Melanchthon, der sich als Erasmus-Schüler wußte, hatte seit seinem Auftreten in Wittenberg dafür zu sorgen versucht, daß kein Gegensatz zwischen Erasmus und den Wittenbergern sich herausbildete. Er hatte auch Luther erneut dazu veranlaßt, an Erasmus zu schreiben und ihn zu bestimmen, einen Streit zu vermeiden. Aber Erasmus hatte sich schon festgelegt. Er konnte nicht mehr zurück. Die
8. Übergang zu neuen Aufgaben
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Schrift „Über den freien Willen" mußte erscheinen. War Melanchthon auch nicht mehr in dem Sinne Erasmianer wie früher, so mußte er sich als Humanist angesprochen fühlen. D a ß die schwebenden Fragen zwischen Humanismus und Reformation einmal in zuständiger Weise erörtert würden, wünschte er selbst. Das hatte er schon im Sommer 1524 ausgesprochen, daß über die Vorherbestimmung des Menschen und über die Frage der eigenen Entscheidungsfreiheit dabei gehandelt werden müßte. Nun hatte Erasmus diese Frage als die wichtigste der schwebenden Fragen erkannt und aufgegriffen. Und Luther bezeugte es ihm in seiner Antwort, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hätte. D a lag tatsächlich die Verschiedenheit der Auffassung begründet. Erasmus hatte Melanchthon über seine Absicht unterrichtet, während Melanchthon in seiner Antwort sich keineswegs von Luther abgrenzte, sondern sich mit ihm einig erklärte und ihm eine ruhige und sachliche Entgegnung Luthers in Aussicht stellte. Dabei ist es später nicht geblieben. Luther wie Erasmus hatten dazu beigetragen, daß der Streit in schärfster Form ausgetragen wurde. Das hat Melanchthon bedauert. Aber er hat trotz des Bruches zwischen Erasmus und Luther seinerseits den brieflichen Verkehr mit dem einst so bewunderten Meister nicht abgebrochen. Bis zum Tode des Erasmus ist er mit ihm in Verbindung geblieben. Ein unbeteiligter Zuschauer ist Melanchthon in diesem Streit nicht geblieben. In seinem Nachruf auf Erasmus hat er es später zum Ausdruck gebracht, daß ihn diese Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther stark mitbestimmt hat. In seiner Auffassung vom Menschen und von der Freiheit des menschlichen Willens hat er sich doch stark von Erasmus beeindrucken lassen. Bei seiner Neigung, klare Linien zu ziehen, und bei seinem Bestreben, pädagogisch zu wirken, wußte er die Lösung eines Erasmus mit der Luthers zu verbinden. Die Prädestinationslehre war zu dunkel und zu sehr vom Geheimnis umgeben, als daß sie der schlichte Mann aus dem Volk verstehen konnte. D a Melanchthon von der Erfahrung ausging, mußte seine
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IV. A r b e i t f ü r Kirche und Schule
Betrachtung, f ü r die er Römer 2, 14 f. zugrundelegte, im Bereich der „bürgerlichen Gerechtigkeit" eine Willensfreiheit zulassen. Im inneren Leben wird freilich auch von ihm alles auf Gottes unmittelbares Wirken zurückgeführt. Auf diese Weise wird manches der humanistischen Betrachtungsweise erhalten und einiges aus Luthers Anschauungen abgeschwächt. In seinem Kolosserbriefkommentar, den Melanchthon 1527 herausgab, ist diese mittlere Linie gezogen worden. Die beiden Gebiete, das bürgerliche und das fromme Dasein, sollen nicht vermengt werden. Das hatten die Schwärmer versucht, und Melanchthon hatte die Auseinandersetzungen mit Thomas Münzer und mit Karlstadt noch in lebendiger Erinnerung, Münzers Brief an Melanchthon Ostern 1524 war deutlich genug gewesen. Über den freien Willen lehrte er fortan ausführlicher und unterstrich, daß wir ihn benutzen sollten in Fragen äußerer Gerechtigkeit. Hier geht er psychologisch an die Frage heran und stellt seine anfängliche theologische Position zurück. Der Mensch hat die Freiheit, Gutes zu tun und Böses zu lassen, doch wird diese Freiheit verhindert durch den Teufel. „Solches ist not zu wissen, daß die Leute lernen, wie ein schwacher elender Mensch der ist, der nicht Hilfe bei Gott sucht." Mit Luther entzweite er sich darüber nicht, doch gab es Schüler Luthers, die ihm vorwarfen, er sei anderer Ansicht als Luther geworden. Die einen vermißten in den Visitationsartikeln die Polemik, die anderen stießen sich an der D a r stellung der Lehre von 4er Buße und der Notwendigkeit der Gesetzespredigt. Agricola in Eisleben betonte demgegenüber, aus dem Evangelium käme die Buße wie der Glaube, das Gesetz sei durch das Evangelium abgetan, dies sei Luthers Lehre. Melanchthons Auffassung dagegen sah er als Abfall von der Rechtfertigungslehre an. Luther mußte schlichten; er sah hier einen Streit um Worte. Im Grunde sei es eine pädagogische Frage, ob der Mensch durch die Furcht vor dem göttlichen Zorn zur Buße geführt wird oder ob sie der Liebe zu Gott und seiner Gerechtigkeit entstammt. Melanchthon war gedeckt, als Luther entschied,
9. F ö r d e r u n g der Studien und V i s i t a t i o n der Kirchen
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der Glaube träfe das Gewissen und müsse in der Buße einbegriffen sein. So stand es auch in seinen Katechismen. Mochte Melanchthon sich selbst für ungeschickt und unpraktisch halten, die Ereignisse der Zeit brachten es mit sich, daß er sich praktischen Aufgaben zuwenden mußte. H a t t e ihn auch in Wittenberg die enthusiastische Bewegung veranlaßt, sich mit Fragen der Kirchenordnung zu befassen, so hatte er später Veranlassung, sich den Fragen der Schule und der christlichen Lebenshaltung zuzuwenden. 9. Förderung der Studien und Visitation der Kirchen Wie Luther als Prediger den Schwärmern entgegentrat, so packte Melanchthon auf pädagogischem Gebiet die akuten Fragen an. Nach seiner Auffassung mußte eine bessere Ausbildung dazu helfen, das im A u f b a u begriffene Kirchenwesen nicht durch Unverantwortliche stören zu lassen. Ihm ging es vor allem um die Schule. Melanchthon hatte schon 1520 bei sich eine Privatschule errichtet. Diese w a r dazu bestimmt, Schüler in besserer Weise für die Universität vorzubereiten, als es die übliche Lateinschule sonst tat. Nebenher sollte sie auch sein anfänglich kärgliches Einkommen verbessern. Hier wurden nicht nur die alten Sprachen gründlich getrieben, sondern auch M a t h e m a t i k , aristotelische Physik und Ethik. Viele seiner besten Schüler sind durch diese Privatschule gegangen, andere betätigten sich dort als Lehrer. In Eisleben, w o H e r m a n n Tulich und Johann Agricola die Lateinschule neu aufbauten, in Magdeburg, wo Nicolaus von Amsdorf wirkte, und besonders in Nürnberg, w a r Melanchthon am A u f b a u des Gymnasiums beteiligt. Überall ist er zur Eröffnung erschienen. Die Nürnberger hätten ihn gern ganz für sich behalten, aber Melanchthon empfahl seinen besten Freund Camerarius. Die Förderung der Studien lag ihm gerade in dieser Zeit besonders am Herzen. Durch die Wittenberger Unruhen hatten die Studien gelitten. Die Studenten w a r e n abgezogen, oder sie hatten sich praktischen Berufen zugewandt. U m Ansehen und
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IV. Arbeit für Kirche und Schule
Bedeutung der Wissenschaft wieder herzustellen, wirkten Luther und Melanchthon Hand in Hand. Während Luther in der Schrift „An die Ratsherrn" für die Schule eintrat, betrieb Melanchthon seit 1523 energisch die Studienreform an der Universität. Die in Verfall geratenen Disputationen wurden erneuert. Neben die Disputation stellte der Reformer die Deklamation, eine rhetorische Leistung, die er ebenso wertete wie die Disputation. Um diese auf der Höhe zu halten, wurden für die besten Thesensteiler und Respondenten Belohnungen ausgesetzt. Um Vorbilder zu schaffen, sollten auch Lehrer solche Vorträge übernehmen. Melanchthon selbst hat sich am häufigsten auf diesem Gebiete betätigt, sei es, daß er selbst auftrat, sei es, daß er seine Ausarbeitungen von anderen vortragen ließ. Diese Übungen sollten dazu dienen, im logischen Denken und in der Schlagfertigkeit zu üben, daneben aber auch den Stil der Rede zu schulen. Melanchthon hoffte auch, die Studenten auf diese Weise stärker an die wissenschaftliche Arbeit heranführen zu können. Während für die Vorlesungen der Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag feststanden, waren der Mittwoch und Sonnabend die für Disputationen und Deklamationen bestimmten Tage. Wie sich Melanchthon den Studiengang der Theologen dachte, ist im Einzelnen seiner „Überlegung über das Studium der Theologie" zu entnehmen. Entsprechend seiner Grundlegung der Wissenschaften arbeitete Melanchthon in den folgenden Jahren Statuten für Universität und Fakultäten aus. Als erfahrener Organisator auf wissenschaftlichem Gebiet machte er sich in Kürze einen Namen und wurde bei der Begründung neuer Universitäten, wie Marburg oder Königsberg, ebenso befragt wie bei der Reorganisation älterer Hochschulen, wie Tübingen, Leipzig oder Heidelberg, zur Mitarbeit herangezogen. Luther erkannte Melanchthons wissenschaftliche Überlegenheit von Anfang an neidlos an. In mancher Beziehung hat er sich von ihm anleiten lassen, so besonders bei seinen sprachlichen Studien, vor allem im Griechischen. Auch die Art, wie Melanchthon an die Auslegung der Bibel heran-
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ging, beeindruckte ihn sehr. Das war mehr, als was Erasmus geboten hatte. Magister Philippus besaß eine besondere Gabe, in Kürze das Entscheidende zu sagen und dabei treffende Formulierungen zu finden. Luther wollte unbedingt diesen Mann für die theologische Fakultät gewinnen. Die geltenden Vorschriften, nämlich der Besitz des Doktorgrades der Theologie als Voraussetzung für den Eintritt in die theologische Fakultät, wurde bei ihm nicht angewandt. Der schlichte Magister, der er war, galt doch, wie Luther sagte, mehr als alle Doktoren. Nach den Universitätsstatuten sollte auch der Rektor ein unverheirateter Mann sein. Melanchthon, der 1524 zu diesem Amte gewählt wurde, war der erste, bei dem von dieser Bestimmung abgesehen wurde. Sein Ansehen in der Universität war unvergleichlich groß. Was den Weitblick und den Umfang seiner Kenntnisse anlangt, kam ihm niemand gleich. Nicht nur, daß er ein Kenner der Antike und der Theologie war, es gab kein Gebiet von der Jurisprudenz über die Mathematik und die Naturwissenschaften bis zur Medizin, auf dem er nicht ausgebreitete Kenntnisse besaß. Melanchthon galt geradezu als Polyhistor. Seine Lehrbücher wurden gern benutzt, von ihm ausgearbeitete Reden gehalten, für den Druck bestimmte Manuskripte anderer Verfasser von ihm überarbeitet. Für alle war er der Praeceptor. Mit diesem Namen brachten viele zum Ausdruck, was sie ihm verdankten. Das große Ansehen und Vertrauen, das Melanchthon in der wissenschaftlichen Welt genoß, spricht sich auch in der Tatsache aus, daß zahlreiche Gelehrte ihn darum baten, ihren Werken eine Vorrede vorauszuschicken. Dies galt als eine besondere Empfehlung. Melanchthon besaß auch die Fähigkeit, auf wenigen Seiten Wesentliches zu sagen. Seine Vorreden sind daher nicht weniger beachtlich als seine Reden und Gutachten. Freilich waren hier Wiederholungen unvermeidlich, wie sie sich dann einstellen, wenn derselbe Verfasser über den gleichen Gegenstand des öfteren zu schreiben genötigt ist.
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IV. Arbeit für Kirche und Schule
Melanchthons eigene Vorlesungen sind äußerst vielseitig und reichhaltig. Neben seinen pflichtmäßigen philosophischen Vorlesungen und Auslegungen klassischer Texte stehen die Interpretationen biblischer Bücher, unter denen er den Römerbrief, den Kolosserbrief und die Sprüche Salomos bevorzugte. Daneben las er in bestimmten Abständen unter Zugrundelegung seiner Loci über Grundfragen der Theologie. Mitten in den Nöten des Bauernkrieges starb Friedrich der Weise. Bei seinen Lebzeiten hatte er Melanchthon seine Gunst des öfteren gezeigt. Er wußte, was seine Universität an diesem Gelehrten besaß, und hatte ihm sein Vertrauen während der Wittenberger Unruhen und auch später bewiesen. Bei der Beisetzung des Kurfürsten hielt Luther die Predigt, Melanchthon hatte die Gedenkrede zu halten. Im Unterschied zu Luther, der seinen Kurfürsten, der über ihn die schützende Hand gehalten, nie gesprochen hatte, kannte Melanchthon ihn von häufigen Besuchen. Er vermochte daher sein Wesen, seinen Charakter und seine Regierungsweise treffend zu kennzeichnen. Audi die Frömmigkeit und die konservative Art des Kurfürsten wußte er ins rechte Licht zu setzen. In der Gedenkrede erörterte er auch Friedrichs Verhalten Luther und der Reformation gegenüber, rühmte ihn, daß er es gewagt hatte, das Evangelium in Schutz zu nehmen, und betonte, daß ihm diese Tat unvergessen bleiben solle. Dasselbe Vertrauen genoß der junge Gelehrte bei Friedrichs Bruder Johann dem Beständigen. Dieser tat alles, um Melanchthon in Wittenberg zu halten. Äußere Sorgen hatte der Professor nicht mehr. Der Kurfürst zog ihn aber auch stärker zu allgemeinen kirchlichen Aufgaben heran, mochte es sich um Aufstellung allgemeiner Richtlinien oder Entscheidung einzelner praktischer Fälle handeln. Die öffentliche Meinung bedurfte nach dem Bauernkriege der Festigung. Melanchthon vertrat ein obrigkeitliches Denken. Das hing mit seiner theologischen Überzeugung zusammen, daß die Obrigkeit eine Gabe Gottes sei, die der Bewahrung des Lebens diente und der der Christ um Gottes
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Willen gehorsam sein müsse. Er verurteilte jeden A u f r u h r und rechtfertigte das scharfe Durchgreifen der Obrigkeit in solchen Fällen wie im Bauernkrieg. Die Verwirrung im Lande war auf allen Gebieten groß. Unter diesen Umständen war eine gründliche Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse um so dringender geworden. Der Vorschlag der Kirchenvisitation, den Luthers alter Freund Nikolaus Hausmann schon 1524 dem Kurfürsten unterbreitet hatte, war gleich nach der Niederwerfung des Aufstandes in Sachsen von Luther aufgenommen worden. Es galt, in den Gemeinden Ordnung zu schaffen. H a t t e Luther auch f ü r den Gottesdienst die Grundlage gegeben, so fehlte weithin die kirchliche Obrigkeit, die die einheitliche Regelung des Gemeindelebens veranlaßt hätte. Private Meinungen und Willkür bestimmten häufig die Lage. Es bedeutete daher viel, daß der Kurfürst trotz der Nöte der Zeit 1527 eine Kirchen- und Schulvisitation anordnete. Die Visitationskommissionen, die durch die einzelnen Ämter zogen, sollten die Geistlichen prüfen, die Verwaltung des Kirchengutes regeln und Schulen errichten. Die Anweisung f ü r die P r ü f u n g der Pfarrer war von Melanchthon aufgesetzt. Diese lateinische Instruktion ist sein eigenstes Werk. Er war auch an der Visitation in Thüringen beteiligt und konnte selbst im Lande feststellen, wie die kirchlichen Verhältnisse aussahen. Nach den Eindrücken und Erfahrungen der Visitationsreisen stellte nun Melanchthon den „Unterricht der Visitatoren" (1528) zusammen. Die Schrift wurde von Luther und Bugenhagen geprüft, die nur geringe Änderungen an ihr vornahmen, „denn es uns alles fast wohl gefällt, weil es f ü r das Volk aufs einfältigste ist gestellet". Luther versah diese Schrift am 12. 10. 1527 mit einer Vorrede. Nach ihren Anweisungen ist die kursächsische Reformation weiter durchgeführt worden. Von den 18 Artikeln des „Unterrichts der Visitatoren" betreffen 14 die Lehre, die übrigen die kirchliche Ordnung. Den Pfarrern wird auferlegt, das ganze Evangelium zu predigen, nicht allein die Stücke, die dem einzelnen beson-
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ders zusagen. D a Gesetz und Evangelium zusammengehören, sollen auch Buße und Furcht Gottes nicht vergessen werden. Immer soll auf den schlichten Mann gesehen, die Predigt durch Beispiele faßlich gemacht, vor allem aber auf das christliche Leben Wert gelegt werden. Es gelte, die Folgen der schwärmerischen Irrtümer zu überwinden. D a bei hat die Obrigkeit die Pflicht, die Predigt des Evangeliums zu fördern. Täglich soll Gottesdienst gehalten werden. Am Sonntag, Mittwoch und Freitag wird gepredigt, an den anderen Tagen morgens die Lektion aus dem Neuen, abends aus dem Alten Testament gehalten. Am Sonntagnachmittag, wenn das Gesinde und das junge Volk zur Kirche kommen, werden die zehn Gebote, der Glaube und das Vaterunser ausgelegt. Melanchthon hat auch an die Schulmeister gedacht, für die er eine Anweisung zur Kinderunterweisung ausarbeitete. Auf diese Weise hat er wesentliche Bausteine für den Neubau des evangelischen Kirchenwesens geliefert. Die beschwerlichen Visitationsreisen waren für Melanchthon von großer Bedeutung. Nun sah er, wie es wirklich in der Kirche aussah. Die Unwissenheit, der er begegnete, schien maßlos; die Irrtümer, die ihm entgegentraten, mußten aufgewiesen und widerlegt werden. Hier kam es auf positive Belehrung, weniger auf Polemik an. Darum sind die Visitationsartikel auch so einfach und klar gefaßt. Es war Melanchthon deutlich geworden, daß man nicht mit dem Evangelium, mit dem Wort von der Gnade beginnen könnte, wo die Menschen noch nichts im Innersten von Gott erfahren und die Frucht der Buße noch nicht gezeigt hätten. Er mußte sich dem Unverständnis der Leute anpassen, die die Lehre von der Rechtfertigung so oft mißverstanden. Die Buße, so sagt er jetzt, müsse dem Glauben vorausgehen, das Gesetz müsse erst Furcht und Reue im Menschen bewirken. Hatte er früher die allein wirksame Gnade vorangestellt, so merkte er jetzt die Notwendigkeit, auch dem menschlichen Willen einen eigenen Raum zuzugestehen. In den Jahren der Visitation hat sich Melanchthon sehr eingehend auch mit Katechismusproblemen befaßt. Es war
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für ihn kein völlig neues Gebiet. Für seine Privatschüler hatte er 1523/24 schon ein Handbüchlein geschaffen, das außer dem Dekalog, Vater-Unser und Credo auch ein Alphabet, Sprüche der sieben Weisen und zahlreiche Gebete enthielt, die in altkirchlicher Weise stark das Lob Gottes in der Schöpfung hervorheben. Melanciithon widmete sein Interesse aber nicht ausschließlich der Lateinschule, sondern befaßte sich ebenso mit Fragen der Elementarschule und schrieb Lehrbucher für sie. D a Justus Jonas und Joh. Agricola mit dem Katechismus nicht fertig wurden, verfaßte Melanchthon 1527 auf Spalatins Wunsch, noch ehe Luther selbst die Aufgabe aufgriff, eine „kurze Auslegung der 10 Gebote, des Vater-Unsers und des Glaubens". Um dieselbe Zeit stellte er auch „Etliche Spruch" zusammen, die den biblischen Stoff für den Katechismusunterricht enthalten. Später sind diese öfter nachgedruckt worden. Das beweist ihre praktische Verwendbarkeit. Eine größere Wirkung als Spruchbuch hat es aber nidit ausgeübt. Der Grund liegt vielleicht darin, daß Melanchthon vom Text der Luther-Bibel abweicht und stellenweise eigene Übersetzungen bietet. In dem nächsten J a h r hat er auch für seine eigenen Kinder den Katechismusstoff zusammengestellt, um ihn zu Hause zu verwenden. Offenbar war er mit Luthers Kleinem Katednsmus nicht in allem einverstanden.
V. Auf der politischen Bühne 10. Speyer und Marburg 1529 Nicht nur die Neuordnung des Kirchenwesens in Sachsen, auch andere entscheidende Aufgaben sind Melanchthon in dieser Zeit zugewachsen. Bereits vor dem ersten Speyerer Reichstag hatte er dem Kurfürsten kirchenrechtliche Gutachten über die Berechtigung der neuen Lehre erstatten müssen. Das Reformationsrecht der Fürsten stand ihm wie Luther außer Zweifel. D a die politische Lage 1526 für die evangelischen Stände günstig war, erreichten sie einen Ab-
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V . A u f der politischen B ü h n e
schied, der den öffentlichen Frieden sicherte. Binnen Jahresfrist sollte ein K o n z i l auf deutschem Boden tagen. Inzwischen sollte jeder S t a n d „sich so verhalten und regieren, wie er es gegen G o t t und kaiserliche Majestät h o f f e und vertraue zu verantworten". Erst nach zwei Jahren w a r der Kaiser wieder in der Lage, schärfer in den L a u f der Ereignisse einzugreifen. Als ein zweiter Reichstag nach Speyer 1529 ausgeschrieben wurde, ahnte man in Deutschland nichts Gutes. Melanchthon, der viel auf den Stand der Gestirne gab, meinte, sie verkündeten Unheil. Mit dem Kurfürsten mußte er zum Reichstag ziehen. Die Eröffnung der Verhandlungen machte ihn noch ängstlicher. Seinem Freunde Camerarius berichtet er am 15. M ä r z 1529: „ H e u t e wurde das kaiserliche M a n d a t verlesen, es ist durchaus Schrecken erregend . . . ich hoffe jedoch, daß Christus den R a t derer vereiteln wird, die Krieg verlangen." Melanchthon suchte in seiner Weise Einfluß auf den G a n g der Ereignisse zu nehmen. Er widmete dem Erzherzog Ferdinand, der den Reichstag leitete, einen T r a k t a t in Gestalt einer Vorrede zum Daniel-Kommentar. In der Anrede schrieb er, daß kirchlicher Zwiespalt durch Gewalt nicht behoben werden könne. N u r wenn die rechte christliche Lehre verkündigt würde, könne Frieden herrschen. Daher bittet Melanchthon den Bruder des Kaisers, d a f ü r zu sorgen, daß die Streitfragen gründlich erörtert würden. Es sei nur recht, auch die andere Seite zu hören. Wenn eine Synode nicht möglich sei, so sollte ein engerer Kreis redlicher Männer zur Erörterung der schwebenden Fragen zusammengerufen werden. U m der Ehre Gottes willen müßte Ferdinand sich bemühen, die kirchliche Einheit durch Reinigung der Lehre wieder herzustellen. D a s sei eine Aufgabe, eines Königs würdig. Melanchthon fügte ein lateinisches Gedicht bei, in dem Deutschland klagend auftritt und nicht nur um Schutz vor den Türken, sondern auch um kirchlichen Frieden fleht. Inzwischen hatte ein Ausschuß den Reichstagsbeschluß vorbereitet, der jede Neuerung kirchlicher Art bis zum K o n z i l verbieten sollte. N i e m a n d dürfte gehindert werden,
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Messe zu halten; dagegen sollten Lehrmeinungen, die gegen die Messe gerichtet waren, f ü r unzulässig erklärt werden. Dieser letzte Punkt betraf vor allem die Oberdeutschen. Es war offenkundig, daß die evangelischen Stände getrennt werden sollten. Während die Sachsen geneigt waren, die Schweizer preiszugeben, widersetzten sich Landgraf Philipp und die Vertreter der oberdeutschen Städte dieser Haltung aufs heftigste. Als der Reichstag am 19. April die vorgeschlagenen Artikel zum Beschluß erhob, blieb der evangelischen Minderheit nichts anderes übrig, als dagegen zu protestieren. In ihrem berühmt gewordenen Protestschreiben hieß es: „In Sachen Gottes Ehre und unserer Seelen Heil und Seligkeit belangend muß ein jeglicher f ü r sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben." Sie entschlossen sich daher, „mit der Gnad und Hülf Gottes bei dem zu bleiben, daß allein Gottes Wort und das heilige Evangelium rein gepredigt werden und nichts, das dawider ist". Diese Protestation war die erste gemeinsame Tat der evangelischen Stände. Melanchthon hatte an ihrer Abfassung keinen Anteil. Er war tief erschrocken und fragte sich, ob man dem Kaiser nicht mehr nachgeben sollte. Er war so wirklichkeitsfremd, daß er noch immer an den guten Willen des Kaisers glaubte. Die Gefahr, der sie gegenüberstanden, ließ die evangelischen Stände sich zusammenschließen. Sachsen und Hessen traten mit den Reichsstädten Straßburg, Nürnberg und Ulm in ein Bündnis ein. Während der Landgraf auch die Schweizer in dieses Bündnis einbeziehen wollte, stand Melanchthon diesem Plan ablehnend gegenüber. Schon als sein Freund Oekolampad ihm nach Speyer schrieb, er möchte sich dafür einsetzen, daß die Schweizer nicht ungehört als Sakramentierer verurteilt würden, ließ er an ihn einen offenen Brief über das Abendmahl ausgehen. H a t t e er sich in den Jahren zuvor aus dem Streit zwischen Luther und Zwingli herausgehalten, so sprach er sich hier eindeutig f ü r die lutherische Auffassung aus. In Ubereinstimmung mit der Heiligen Schrift will er im Abendmahl die wahre Gegenwart
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V. Auf der politischen Bühne
Christi sehen. Hier gilt es an das Wunder zu glauben, denn „über himmlische Dinge muß man sich sein Urteil nach Gottes Wort und nicht nach der Geometrie bilden". In dieser Auffassung stand er den Zwinglianern schroff ablehnend gegenüber. „Denn ich möchte nicht", so schrieb er weiter, „als Urheber oder Verteidiger eines neuen Dogmas erscheinen". An den Meinungsverschiedenheiten über das Abendmahl hatte er gelitten. Er hatte sich aber nicht nur von der scholastischen Überlieferung, sondern auch von Ansichten seiner Freunde freigemacht. Dabei ist auch an Erasmus zu denken. Diesen Einfluß sah er aber bei Zwingli in aller Deutlichkeit. Melanchthon stützte sich bei seiner Schriftauffassung auch auf die Autorität der Kirchenväter, die für ihn von großem Gewicht geworden waren. Im geheimen hatte er die Hoffnung, daß auf der Grundlage der alten Kirche eine Einigung der verschiedenen Richtungen zustande kommen werde. Seine Schrift an Erzherzog Ferdinand wies darauf hin. Beide Schriften sind am selben Tage datiert. Hatte er auch an Oekolampad geschrieben, ein Gespräch weniger wohlmeinender Männer würde die Einigung weiter fördern, so warnte er doch, sich in Glaubensfragen zu sehr auf die eigene Vernunft zu verlassen. Als dann der Landgraf, ausgehend von der Überzeugung, daß ein politisches Bündnis nur Bestand hätte, wenn es auf den Grundlagen der Übereinstimmung in kirchlichen Fragen beruhte, im Sommer auf diesen konkreten Vorschlag zurückkam und zu einem Religionsgespräch nach Marburg einlud, da hatte Melanchthon doch starke Besorgnis. Mit Oekolampad und anderen wollte er schon über das Sakrament reden; mit Zwingli darüber zu handeln, hielt er für unfruchtbar. Seine Teilnahme für Marburg sagte er trotzdem gemeinsam mit Luther zu. Am 1. Oktober 1529 stand Melanchthon in Marburg Zwingli im Einzelgespräch gegenüber. Konnten sie sich in einigen Vorfragen verständigen, so war ein Verständnis in der Abendmahlsfrage nicht zu erzielen. Zwingli machte unter seinen Augen einige Aufzeichnungen, zu denen bisweilen Melanchthon seine Formulierung
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beisteuerte. Gesprochen wurde zuerst über Wort und Geist, denn Melanchthon vermutete bei Zwingli den Spiritualismus. D a waren sie bald einig, ebenso in der Frage der Erbsünde. Aber als sie zur Abendmahlsfrage kamen, konnte nur in einigen Vorfragen Ubereinstimmung festgestellt werden: daß Essen gleich Glauben sei, d. h. manducatio spiritualis. Während Melanchthon in Luthers Weise vom Wunder beim Abendmahl spricht, lehnt Zwingli dieses Verständnis ab. Das Schriftverständnis ist bei beiden verschieden. In der Deutung von Eph. 4,10 gingen sie auseinander. An vierter Stelle ist über die Christologie gesprochen worden. Melanchthon gab die Autorität Augustins auf und gab zu, daß manche dieser Zeugnisse mehr für die Ansicht Zwingiis sprachen. Aber zu Ende kam man nicht. Mittlerweile war es Abend geworden. Das Vorgespräch hatte nicht viel ergeben, audi das Luthers mit Oekolampad nicht, aber manche Mißverständnisse waren doch beseitigt. Entgegen seiner sonstigen Haltung war Melanchthon keineswegs zum Vermitteln oder zum Entgegenkommen bereit. E r vertrat die Auffassung Luthers und sprach von einer geheimnisvollen Vereinigung mit dem Erlöser im Abendmahl. Seine Selbständigkeit in dieser Auffassung unterstrich er nachdrücklich. So führte das Gespräch, das sechs Stunden gedauert hatte, zu keinem Ergebnis. Melanchthon hat sich in den folgenden Tagen am Gespräch nicht viel beteiligt. Er meinte es erkannt zu haben, daß die Schweizer von philosophischen Voraussetzungen ausgingen, die sie in die Glaubensfragen hineintrugen. Diese aber waren voll Argwohn ihm gegenüber. Sie meinten, er hinderte Luther entgegenzukommen und ließe es zu keiner Verständigung kommen. Hier überließ er es Luther, das Wort zu führen. Luther lehnte es ab, Joh. 6,63 auf das Abendmahl zu beziehen. Es sei eine Gabe, wenn man glauben könne, daß Christus im Brot leiblich gegenwärtig sei. Das Paradox des Deus absconditus ist ihm groß und wichtig. Die patristischen Autoritäten schiebt Luther beiseite. Für ihn ist das Wort entscheidend; er ist vom Wort gefangen. Was Gott gebietet, 5
Stupperich,
Melandithon
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V. Auf der politischen B ü h n e
soll ohne Grübeln getan werden. Das ist der humilis intellectus. Obwohl Luther Melanchthon aufforderte: „Philippus, nun rede auch du, ich bin wahrhaft erschöpft", hat sich der Praeceptor nicht animieren lassen. Er hielt sich völlig zurück. Auch bei der Erörterung der christologischen Fragen disputierte Zwingli nur mit Luther. Erst am Schluß des Gesprächs ist ein Einigungsvorschlag gemacht worden, der vielleicht von Melanchthon stammt. Dieser soll auch Gespräche mitHedio geführt haben, aber schließlich auf Luther im Sinne der Unversöhnlichkeit eingewirkt haben, da er andere kirchenpolitische Absichten hatte. Die 15 Marburger Artikel stellten zwar eine Konkordie, aber nur eine teilweise durchgeführte Konkordie dar. Hedio berichtet freilich, daß Melanchthon versprochen habe, für einen Ausgleich zu wirken. Als er im folgenden Jahre die „Meinungen einiger alter Schriftsteller über das Herrenmahl" veröffentlichte als Antwort auf Oekolampads Gegenschrift, fügte er von sich aus die Erklärung hinzu: „Ich kann nicht anders glauben, als daß Christus im Sakrament wahrhaftig gegenwärtig ist; ich weiß keinen Grund, warum er es nicht sein sollte. Die Sakramente sind als göttliche Mittel eingesetzt, unsern Geist zum Glauben zu erregen, und nicht bloß als Zeichen, um uns Christen von den Heiden zu unterscheiden. Um Streit und Ärgernis zu verhüten, braucht man nur einfach und ohne Grübelei sich an die Worte der Schrift zu halten." Will man dagegen alles begreifen, so macht man aus dem Christentum eine Philosophie. Als die Wolken am politischen Horizont sich immer mehr zusammenzogen, fragte der Kurfürst von Sachsen bei seinen Theologen an, ob es den Christen anstehe, dem Kaiser Widerstand zu leisten. Melanchthon meinte, Widerstand sei wider Gottes Gebot. Der Christ soll sich nicht auflehnen, sondern gehorchen und dulden. Selbst wenn der Kaiser seine Zusagen nicht hielte, hätten die Untertanen kein Recht, ihm entgegenzutreten. Wer wie die oberdeutschen Städte auf Widerstand dringe, nehme das Evan-
11. B e k e n n t n i s v o n A u g s b u r g u n d S e l b s t b e h a u p t u n g
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gelium nicht ernst. Dies war Melanchthons ehrliche Oberzeugung, und er hielt sich für verpflichtet, sich dafür einzusetzen. Noch ehe diese Frage unter den Wittenberger Theologen geklärt war, wurde ihnen vom Kurfürsten mitgeteilt, daß der Kaiser einen neuen Reichstag ausgeschrieben habe. Nunmehr sollten sie ihre Auffassung vorlegen, was über die zwiespältigen Glaubensartikel zu sagen sei und wie weit die evangelischen Stände bei den Verhandlungen darüber gehen könnten. Der Kurfürst machte diesen Auftrag dringlich, die Theologen sollten alle anderen Arbeiten liegen lassen und an die Artikel gehen, die für den Reichstag notwendig seien. Die Vorverhandlungen wurden in der kurfürstlichen Residenz Torgau geführt. Auf Melanchthons Vorschlag wurden zunächst die Artikel zusammengefaßt, in denen nichts nachgegeben werden könnte. Dazu gehörte das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, die Priesterehe, die Ablehnung der Winkelmessen, der Klöster und des dem Bischof zu leistenden Eides. Es wurden noch weitere Artikel zusammengestellt, über die verhandelt werden konnte. Sie waren milde und bestimmt abgefaßt, ohne dem eigenen Prinzip etwas zu vergeben. Dem kaiserlichen Aussdireiben war damit freilich noch nicht Genüge getan. Melanchthon erhielt daher den Auftrag, die Rechenschaft über die Lehre in die richtige Form zu bringen. Damit war er vor eine gewaltige Arbeit gestellt, die einmal von wesentlicher Bedeutung für die gesamte evangelische Christenheit werden sollte. 11. Bekenntnis von Augsburg und Selbstbehauptung D a Luther infolge der Reichsacht nicht in Augsburg auf dem Reichstag erscheinen konnte, fiel dort die entscheidende Rolle Melanchthon zu. Als theologischer Berater des Kurfürsten hatte er sich schon bewährt. Aber es war vorauszusehen, daß nunmehr vor der nahenden Entscheidung ihm eine weit größere und bedeutsamere Arbeit zufallen würde. Mochten die sächsischen Theologen gewisse Vor5 '
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arbeiten zu ihrem Bekenntnis gemacht haben, in Augsburg stand die größte Arbeit noch bevor. Hier wurden Melanchthon Ecks 404 Sätze gegen Luther erst bekannt, die ihn bestimmt haben, die Übereinstimmung der lutherischen Kirche mit der alten Kirche in allen Stücken nachzuweisen. Schon am Schluß der Torgauer Artikel, die vor der Abreise nach Augsburg aufgesetzt wurden, war gesagt, daß man auch Lehrartikel vorlegen könne. Als solche waren die Schwabacher Artikel beigefügt. Melanchthon ging nun daran, die Glaubensartikel in aller Kürze zusammenzufassen, während die Torgauer Artikel über die abgeschafften Mißbräuche an die zweite Stelle rückten. Am 11.5.1530 lag das Bekenntnis fertig vor und konnte Luther zur Begutachtung auf die Coburg geschickt werden. Luthers Urteil, mit dem er Melanchthons Arbeit zurücksandte, ist bekannt. Es sollte inhaltlich keine Kritik bedeuten, wenn er sagte, sie gefielen ihm fast wohl, und er wüßte nichts daran zu bessern oder zu ändern, würde sich auch nicht schicken. Die Begründung dafür folgte in den Worten: „Denn ich so sanft und leise nicht treten kann." Immerhin, Luther hegte den Wunsch: „Christus, unser Herr, helfe, daß sie viele und große Früchte schaffe, wie wir hoffen und bitten. Amen!" In den folgenden sechs Wochen bis zur Überreichung der Confessio Augustana hat Melanchthon unentwegt an ihr gefeilt. Melanchthons Vorrede wurde zurückgezogen und durch eine solche des Kanzlers Gregor Brück ersetzt. In der Kapitelstube der bischöflichen Pfalz wurde die C.A. dann am 25. 6. 1530 in deutscher Sprache vom sächsischen Vizekanzler Dr. Christian Beyer laut und vernehmlich verlesen, so daß die draußenstehenden — es sollen bei 3000 gewesen sein — alles hörten. Die Verlesung dauerte zwei Stunden. Der Kaiser tat gelangweilt oder schlief. Luther war die Größe dieser Stunde ebenso bewußt geworden wie den Augenzeugen. Er drückte seine Freude darüber aus, daß Christus auf dem Reichstag in dem „schönsten Bekenntnis" verherrlicht wurde. Mochte Melanchthon auch später verzagt gewesen sein und mußte er erst
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von Luther aufgerichtet werden durch seine glaubensstarken Briefe, Luther hat ihm keinen Vorwurf gemacht wegen der „Leisetreterin". Er sah im Bekenntnis ein Glaubenszeugnis, aus der Stunde geboren, für das er dankbar war. Obgleich auch andere an der C. A. mitgewirkt haben, ist sie doch Melandithons Werk. Er sah sie auch zeitlebens als sein geistiges Eigentum an und hat sich nicht gescheut, daran sowohl vor dem ersten Druck, als auch bei jeder späteren Ausgabe zu ändern und zu bessern. Obgleich Melanchthon seine besonderen Ansichten hatte einfließen lassen, ist die C.A. doch ein Werk aus einem Guß geworden, das das Gepräge lutherischen Geistes an sich trägt. Ihre Vorzüge liegen auf der Hand: War sie genau im Ausdruck, so war sie zugleich auch leicht verständlich. Darin ist sie Melandithons Meisterwerk geblieben. In aller Ruhe und Nüchternheit werden die einzelnen Glaubensfragen in 28 Artikeln erörtert und von der Rechtfertigungslehre aus beleuchtet. So handeln Artikel 1 bis 6 von Gottes Heilswirken, Artikel 7 bis 17 von der Kirche und den Gnadenmitteln bis zur Wiederkunft Christi. Es folgen 4 zusätzliche Artikel, in denen sich Melanchthon anders ausspricht, als er es früher wohl getan hätte: Vom freien Willen, von der Ursache der Sünde, von den guten Werken und vom Dienst der Heiligen. Dazu kam der zweite Teil mit seinen 7 Artikeln von den Mißbräuchen. Die Lehre soll der alten Kirche gemäß sein, darum braucht sie auch der römischen nicht zuwider zu sein. Wo man aber nicht einig werden könne, soll man wissen, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Melanchthon hielt sich hier nicht genau an die Lehrweise Luthers, mochte es die Lehre von der Rechtfertigung, vom freien Willen, oder erst recht der Artikel vom Abendmahl sein, es waren seine eigenen Formulierungen. Dieses Recht nahm er für sich in Anspruch, und Luther hat ihn darin auch gewähren lassen. Es kann aber auch nicht behauptet werden, daß Melanchthon seine subjektiven Meinungen darin vorgetragen hätte. Es war der gemeinsame Glaube der Reformation in eine bestimmte Form gebracht, die auf
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Jahrhunderte hin die gültige Ausprägung des reformatorischen Glaubens bleiben sollte. Melanchthon war überzeugt, daß die Reformation nichts anderes bedeute als ein neues Erfassen des alten Evangeliums und darum eine Reinigung der Lehre von allen Schlacken, von menschlichen Satzungen und Autoritäten. Luther selbst hatte sich am 20. 6. dagegen verwahrt, als ob seine Ansichten vertreten werden sollten, als ginge es um ihn und als hätte er seine Auffassung den andern auferlegt. Ihm ging es allein um die Wahrheit. Die Wirkung dieses Bekenntnisses war groß bei Freund und Feind. Spalatin schrieb im Bewußtsein der gemachten Erfahrungen: „An diesem Tage ist eins der größten Werke beschlossen, die je auf Erden geschahen." Um so ungehaltener waren viele auf dem Reichstag, als sie sahen, wie verzagt Melanchthon war. Audi Luther blieb es nicht verborgen, so daß er ihm schreiben mußte: „Sind wir im Irrtum, nun so müssen wir widerrufen; streiten wir aber für die Wahrheit, warum sollen wir an den Verheißungen dessen zweifeln, der gesagt hat: ,Wirf deine Sorge auf midi!"' Es war aber ungerecht, wenn er die Ursache dieser Sorge in Melanchthons Ehrgeiz suchte und meinte, „Philipp sollte sich nicht zu Gott machen und so sehr nach seinem Ich fragen." An sich dachte er am allerwenigsten. Aber er hatte sich ein falsches Bild von der Sachlage gemacht. Vor allem hatte Melanchthon ein grenzenloses Vertrauen zum Kaiser, wie es Luther in den Tagen des Wormser Reichstages auch gehabt hatte. Er sah Karl V. im Lichte der Milde und des Friedens. In ihm sah er eine der Idealgestalten, wie sie von den klassischen Schriftstellern gezeichnet werden. Als unpolitischer Mensch war Melanchthon nicht der rechte Mann, um unter Versprechungen und Drohungen, die ihn umgaben, den rechten Weg zu finden. Immer fürchtete er, die evangelischen Stände würden sich umgarnen lassen, und dabei war er selbst am ehesten zum Nachgeben bereit. Luther schrieb ihm: „Du kümmerst Dich nicht um Dein Leben, fürchtest aber die allgemeine S a c h e . . . ich
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schaue voll Vertrauen den Dingen zu und mache mir nichts aus jenen drohenden und wütenden Papisten. Gehen wir unter, so geht auch Christus unter, Er, der Herrscher der Welt. Mag es auch sein, ich will lieber mit Christo fallen als mit dem Kaiser stehen." Bei seiner friedlichen Anlage wollte Melanchthon aber nichts unversucht lassen, um zu einer Einigung mit den Gegnern zu kommen. Er bat den Kurfürsten zunächst, lediglich auf das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Priesterehe zu dringen. In allen anderen Stücken würden sich schon Wege der Einigung finden. Der K u r f ü r s t gab ihm auch die Erlaubnis, mit Vertretern der Gegenseite darüber zu handeln. Die Verhandlungen, zu denen Melanchthon in Augsburg von kaiserlicher und päpstlicher Seite gezogen wurde, sahen einen nachgiebigen Mann, der lediglich auf einem Minimum zu bestehen dachte: Priesterehe und Abschaffung der Messe. Als die Altgläubigen am 3. August ihre Confutatio der C. A. vorgebracht hatten und im Ausschuß über die Vergleichung der Lehre gesprochen wurde, zeigte Melanchthon wieder seine Nachgiebigkeit. Den Altgläubigen gegenüber war er um so nachgiebiger, je schroffer er ein Zusammengehen mit den Schweizern ablehnte. Der Vermittler Melanchthon war bereit, auch die C. A. noch abzuschwächen, aber die Stände ließen es nicht zu. So haben viele der Kirchenfürsten ihn zu weiterem Nachgeben zu bestimmen versucht: Der Kardinal von Salzburg nicht minder als der Bischof von Augsburg und der Legat selbst. Sein Brief an Campeggi ist ihm o f t vorgehalten worden. Darin schrieb Melanchthon: „In der Lehre stimmen wir mit der wahren katholischen Kirche überein. Die Irrlehrer haben wir selbst bek ä m p f t ; wir sind bereit, der römischen Kirche zu gehorchen, sofern sie uns die Abstellung aller Mißbräuche gestattet." Auch später noch beschwor er den Legaten, f ü r den Frieden zu arbeiten. Im Bestreben, mit der allgemeinen Kirche einig zu sein, meinte er, dem eigenen Glauben nichts zu vergeben. Im römischen Wesen sah er Neuerungen, die abgestellt werden müßten, wollte man mit den
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alten Lehrern der Kirche und den alten Konzilien einig sein. Als nach der unerwarteten Abreise des Landgrafen am 6. August die Verständigungsgespräche zu einem Mittel kaiserlicher Politik erhoben wurden, da war Melanchthon ein Mittelpunkt der Verhandlungen. Bei seinen Auseinandersetzungen mit Eck meinte er wirklich, von der Gegenseite würde nur die neue Lehrweise aus formalen Gründen beanstandet. Daher war er auch bereit, auf das Sola fide zu verzichten, wenn ihm zugestanden würde, daß er von der Glaubensgerechtigkeit recht lehrte. Das Herz müsse bei sich schließen, daß Gott ihm die Sünde um Christi willen vergibt, wie das die Kirchenväter und Thomas von Aquin auch gelehrt hätten. Zu Ecks thomistischer Auffassung hatte Melanchthon daher nur hinzuzusetzen, „daß ein erschrocken Herz und Glaube zur Vergebung nötig." Während Melanchthon hier nachzugeben gewillt war, und eine Einigungsformel gefunden wurde: „Wir werden durch die Gnade und den Glauben gerecht", sollte der Gegensatz auf der Linie der kirchenrechtlidien Bestimmungen wieder aufbrechen: Priesterehe, Laienkelch und Einzelmesse. Aber auch in einem kleinen Ausschuß, an dem Melanchthon teilnahm, kam er nicht weiter. Die Verhandlungen scheiterten an der Forderung des Kaisers, daß die Messe bestehen bleiben müßte. Melanchthon war ganz verstört. Er erahnte schon schreckliche Zeiten und sah bereits den Ruin Deutschlands voraus. Hatte Luther recht, wenn er ihm schrieb, er lasse sich zu sehr von seiner Philosophie leiten? Hatte er sich bei den politischen Verhandlungen nicht so sehr vom Glauben als von „realen Tatsachen" bestimmen lassen? Luther hatte gute Nachrichten aus Augsburg und allen Grund zu einem scharfen Urteil. Darum mahnte er ihn auch, nicht sich so zu verhalten, als wenn alles von seiner Einsicht abhinge. Die Gesandten der evangelischen Städte waren schon reichlich gegen ihn aufgebracht. Der Nürnberger Hieronymus Baumgartner beklagte sich bitter über sein Auftreten und sein ständiges Nachgeben.
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Melanchthon wußte es, nicht nur beim Landgrafen hatte er verspielt, auch das Volk war ihm nicht mehr gewogen. An Matthäus Alber in Reutlingen schrieb er am 25. 8.: „Ich weiß, daß unsere Mäßigung vom Volk getadelt wird; es ziemt sich uns aber nicht, uns an das Geschrei der Menge zu halten, wir müssen auf den Frieden und die Zukunft sehen. Kann in Deutschland die Eintracht wieder hergestellt werden, so ist es für alle ein großes Glück." Die verschiedenen Verhandlungen in Augsburg hatten es Melanchthon schließlich doch gezeigt, daß an eine Verständigung nicht zu denken sei und die Gegenseite, trotz aller guten Worte, sie auch nicht beabsichtigte. Uber einige äußere Gebräuche hinaus wollte die Gegenseite nichts nachgeben. Die verschiedenen Ausgangspunkte traten immer deutlicher hervor und zeigten, daß in einer Reihe von Grundartikeln eine Einigung unmöglich war. Unter diesen Umständen war es erklärlich, daß Melanchthon noch im September in Augsburg daran ging, die evangelischen Grundartikel, die in der Confutation angegriffen waren, näher zu erläutern und ihre Wahrheit aus der Schrift zu erweisen. Melanchthon handelte nicht aus sich heraus, sondern im Auftrag der Stände. Jetzt dachte er an keinen Ausgleich mehr, sondern legte die Gegensätze mit allem Nachdruck klar. Der Kaiser hatte zwar die Aushändigung der Confutation versagt, aber Camerarius hatte bei ihrer Verlesung doch so viel nachgeschrieben, daß Melanchthon sich darauf beziehen konnte. Als am 22. September der Entwurf des Abschieds mitgeteilt wurde, in dem der Kaiser die Evangelischen für widerlegt erklärte, übergab der sächsische Kanzler Dr. Brück Melanchthons Apologie. Am selben Tage verließ der Kurfürst Augsburg, begleitet von Spalatin und Melanchthon. Selbst unterwegs arbeitete Melanchthon an seiner Apologie weiter. Zu Hause arbeitete er sie in Ruhe um, bereit, sie zusammen mit der C. A. in Drude zu geben. Die Sache zog sich aber unerwartet in die Länge, so daß der Drude erst im April oder Anfang Mai fertig war. Er enthielt nur den lateinischen Text. Die Apologie schließt sich an den
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Gedankengang der C. A. an. Sie enthält eine theologische Begründung der C. A., nur daß sie freier und schärfer gehalten ist als diese. Die deutsche Bearbeitung der Apologie hatte Justus Jonas übernommen. Sie war in mehr erbaulicher Form gehalten. Die Apologie wurde allgemein auf evangelischer Seite günstig aufgenommen. Obgleich Melanchthon sie als Privatschrift bezeichnet, wurde sie neben der C . A . bald zur Bekenntnisschrift der evangelischen Stände, mit der sie 1531 zusammen veröffentlicht wurde. Wie Melanchthon in der C . A . bereits in Luthers Sinne den Rechtfertigungsglauben zum Ausgangspunkt genommen und von dort alle weiteren Glaubensfragen entwickelt hatte, so hat er es in der Apologie in gleicher Weise getan. Der Glaube an Christus, der den Sünder vor Gott rechtfertigt, gibt den inneren Zusammenhang. Er weiß es, alle abstrakten Fragestellungen beiseite zu lassen und lediglich das Wesentliche herauszustellen. In diesem Sinne ist Melanchthon durchaus praktisch: Er betont, wodurch sich das Herz stillen läßt; ihm kommt es darauf an, sicheren Gründ unter den Füßen zu haben und volle Gewißheit zu erlangen. Deshalb hatte er für formalistische Auffassungen nichts übrig. Das ganze ist ruhig und nüchtern geschrieben, und doch merkt der Leser ihr das zitternde Herz des Verfassers an, der selbst erfahren hat, wovon er schreibt und darum mit voller Bestimmtheit und Gewißheit seine Auffassung vertreten kann. Nicht aus Groll darüber, daß seine Vermittlungsversuche abgelehnt wurden, sondern aus der Nötigung, sich verständlicher zu machen, als es bei der kurzen Fassung der C . A . möglich war, hat Melanchthon hier fester den lutherischen Standpunkt vertreten, als er es wohl in Augsburg getan hatte. Über die Confutatoren geht er zur Tagesordnung über, für sie hat er nur Geringschätzung übrig. Melanchthon greift auf die Schrift und Erfahrung zurück. Er stellt das Unvermögen des Menschen dar, sein Widerstreben gegen Gottes Wort und das Vertrauen auf eigene Kraft. Von dieser durch die Erbsünde gegebenen
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Lage des natürlichen Menschen aus kommt er zum „höchsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, der allein den Weg weist zu klarem Verstand der Heiligen Schrift und zur rechten Erkenntnis Christi". So hatte Melanchthon von jeher den Römerbrief als Schlüssel zur Heiligen Schrift verstanden und den reformatorischen Ansatz damit deutlich zum Ausdruck gebracht. Um Gott zu lieben, gilt es, durch die neue Geburt zu gehen und die Wohltaten Christi anzunehmen. Hier kann niemand etwas für den andern tun; jeder muß selbst hören, daß Christus für ihn gestorben ist. Dieser Glaube ist kein Für-Wahr-halten, sondern ein Vertrauen und Sich-Verlassen auf Gottes Barmherzigkeit in Christus. Dieser Glaube allein läßt den Menschen vor Gott gerecht werden. Aus dem Sünder wird ein Gerechter. Das sind keine bloßen Worte oder Formeln. Unerfahrene Leute vermögen darüber nicht zu reden. Wie das Fühlen der Sünden kein „schläfrig Ding" ist, so ist auch die Vergebung kein schwacher Trost. Wollte man der menschlichen Leistung dabei einen Anteil zuschreiben, so hieße das, „Christus wieder ins Grab strecken". Diese Worte sind Paulus nicht in der Eile entfahren. Es ist vielmehr seine Grundhaltung, daß alles, was der Mensch von sich aus tut, vor Gott nur Sünde ist. Nicht um der Werke willen, sondern um Christi willen nimmt Gott den Menschen aus lauter Gnade an. Melanchthon hat es vermieden, in diesem Zusammenhang von der Prädestination zu schreiben. Er hält sich an die Ansicht, die auch Luther später vertreten hat, daß diese Lehre die schlichten Gemüter verwirren kann. In einem Brief an Johann Brenz begründet er sein Verfahren: „Ich lehre, daß die Menschen Gott angenehm werden um Christi willen, d. h. gerecht durch den Glauben. Hinzu tritt dann die Erfüllung des Gesetzes, welcher ihr Lohn verheißen ist. Die Gerechtigkeit hat zugleich das ewige Leben, weshalb der Glaube allein lebendig macht, indem er dem Herzen Frieden gibt. Das ist einfach und leicht verständlich." Von der Kirche wußte Melanchthon zu sagen, daß sie kein platonischer Staat sei. Zur konkreten Kirche gehören
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wenige Kennzeichen: Die rechte Predigt des Wortes, die rechte Verwaltung der Sakramente. Im einzelnen hat Melandithon dieses Lehrstück nicht weiter ausgeführt, weil er den Gegensatz nicht weiter aufreißen wollte. Nach seiner Auffassung könnte man auch die Absolution, die Ordination zum Predigtamt, das Gebet und vieles Andere ein Sakrament heißen. Die Hauptsache ist nicht, wie man es nennt, sondern daß man es recht gebraucht. Nach der Confutation war es notwendig, auch die evangelische Auffassung von den römischen Mißbräudien deutlicher zu formulieren. Wie er in der Vorrede gesagt hat, daß er das heilige Wort des Evangelii nicht verleugnen oder verwerfen könne, mochte er darüber noch größere Gefahr und Widerstand erfahren, so hat er seine Auffassung in der Apologie durchgeführt. Die Sache selbst wollte er Gott befohlen haben. Der Augsburger Reichstag hatte den Teilnehmern in mancher Hinsicht über die Sachlage die Augen geöffnet. Aus der Befürchtung, es möchte zum Kriege kommen, suchte Melanchthon unaufhörlich die Einigkeit zu fördern und dadurch den Frieden zu sichern. Nach der Begründung des Schmalkaldischen Bundes hatte er allerdings die Besorgnis, politische Interessen könnten mit dem innersten Anliegen der Religion vermengt werden und dieses trüben. Hatte er auch in der Frage des Widerstandsrechtes gegen den Kaiser nachgegeben, so wollte er die Religion nicht mit politischen Mitteln geschützt sehen. So sehen wir Melanchthon in den dreißiger Jahren weiterhin für eine Einigung tätig, sowohl auf evangelischer Seite als darüber hinaus durch Verhandlungen mit Katholiken. 12. Eigene Wege und Versuche Melanchthon war als Theologe nicht mit einem Mal fertig. Seine Loci von 1521 waren der Niederschlag der Glaubensgedanken seiner Jugend, wie sie sich ihm bei der Begegnung mit Luther zuerst ergeben hatten. In den folgenden Jahren hatte er eine weitere Entwicklung durchgemacht und Anregungen von verschiedenen Seiten in sich
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aufgenommen und verarbeitet. Die Begegnung mit den Schwärmern, Luthers Streit mit Erasmus, die Visitationen und der Augsburger Reichstag mit den folgenden Unionsverhandlungen, hatten ihn nicht unbeeindruckt gelassen. In seinen Scholien zum Kolosserbrief kam es zutage, daß er nun den anthropologischen Ansatz wählte und auf die Prädestination als Ausgangspunkt in der Theologie verzichten wollte. Audi in seinem Römerbrief-Kommentar von 1532 trat diese Auffassung hervor, die er als die paulinische ansah. Mitten in den zahlreichen Geschäften hatte sich Melandithon an eine Neubearbeitung seiner Loci begeben und diese 1535 herausgebracht. Bis 1541 erlebte sie sechs Auflagen. Wohl ging er auf die Schrift allein zurück, aber er wollte doch auch auf das Urteil der allgemeinen Kirche hören. Bei der Verschiedenheit der bestehenden Auffassungen brauchte die Kirche eine klare Lehre. Diese in aller Reinheit darzulegen, ohne die Polemik hervortreten zu lassen, war sein Bestreben. Jedem Abschnitt seines Lehrbuches gab er zuerst Zeugnisse der Schrift, dann auch solche der Kirchenväter bei. Melanchthon hielt es jetzt für nötig, stärker auf den freien Willen des Menschen hinzuweisen. „Gott zieht den Menschen, aber er zieht nur den Wollenden", dieses Wort des Chrysostomos hatte ihn schon längst beeindruckt und ihn dazu geführt, die menschliche Entscheidung hervorzuheben, die ihm später als Synergismus vorgehalten wurde. Schon im Unterricht der Visitatoren hatte Melandithon zum Ausdruck gebracht, daß es letztlich darauf ankomme, nur Buße und Vergebung zu predigen. Wer dies versäumt und statt dessen unnötigen Fragen nachgeht, wird nach 1. Timotheus 1, 19 am Glauben Schiffbruch leiden. Aus denselben Motiven, meint er, habe Paulus die Prädestinationsfrage zurückgestellt. Nicht an ein verborgenes Dekret Gottes gilt es sich zu halten, sondern an die Erlösung, die durch Christus geschehen ist. Rechtfertigung ist auch nur da, wo der Mensch bewußt das ihm in Christus angebotene Heil ergreift. Darum spricht Melanchthon von der Passivität des Menschen nicht. Der menschliche Wille soll nicht
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müßig sein, sondern der Schwachheit und Sünde widerstehen. Wohl soll man die Gnade Gottes preisen, die er durch seine Barmherzigkeit an Menschen geschehen läßt, und dabei doch die Menschen mahnen, daß sie nicht sicher und lässig werden. Die neubearbeiteten Loci von 1535 stellen noch kein systematisches Werk dar, das die einzelnen Teile einheitlich miteinander verknüpfte. Hier sind die Abschnitte meist nur nebeneinander gestellt. Das liegt nicht nur an Melanchthons Veranlagung, das liegt auch an seiner Absicht, ein Lehrbuch zu schaffen, das möglichst übersichtlich ist. Im Vergleich zu seinen früheren Darstellungen, auf die er sich übrigens nirgends bezieht, erscheint vieles enger, vieles aber auch vertieft. In den Vordergrund stellt er mehr das Objektive des Glaubens und läßt die subjektive Seite stärker zurücktreten. Wie die C. A. sollte auch dieses Buch den Beweis liefern, daß die evangelische Christenheit mit der alten Kirche zusammengehört. Während es Melanchthon 1521 noch für erforderlich hielt, die altkirchlichen Lehren beiseite zu lassen, hatte ihn die Begegnung mit Campanus, das Erscheinen der antitrinitarischen Schrift des Michael Servede und endlich der Kampf mit dem Täufertum vor die Notwendigkeit gestellt, die Lehre von der Dreieinigkeit und die Christologie ausführlich darzulegen. Freilich betont er auch hier, daß die richtige Gotteserkenntnis im Evangelium Christi gegeben sei. Wie schon bei früheren Gelegenheiten widmete er auch hier dem natürlichen und göttlichen Gesetz seine Aufmerksamkeit. Er läßt es anklingen, daß der Mensch auch nach dem Fall das Bewußtsein erhalten habe, göttlichen Ursprungs zu sein. Um auf Gottes Bahn gebracht zu werden, bedarf er freilich der Umkehr. Diese vollzieht an ihm Gottes Wort, der Heilige Geist und der eigene Wille des Menschen, der nicht müßig sein kann. Die Erörterung über den Ursprung der Sünde lehnt Melandithon ab. Sie mit Gottes Vorherwissen in Verbindung zu bringen, erschien ihm lästerlich. Wenn er vom Heil des Menschen handelt, dann geht es ihm um die Vergebung der Sünden um Christi willen. Diese setzt er mit
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der Rechtfertigung gleich. Ist der Mensch der Vergebung gewiß, so ist sein Herz vom Heiligen Geist ergriffen und zum Gehorsam bereit. Insbesondere beschäftigte sich Melanchthon jetzt mit dem Kirchenbegriff. Die Kirche ist nach seiner Anschauung von Anfang an dagewesen, wenn sie auch nur von wenigen Menschen vertreten wurde. Dabei unterscheidet er vier Zeitalter der Kirche: das Zeitalter Christi und der Apostel, das Zeitalter des Origenes, in dem sich Neuplatonismus und Christentum verbinden, das Zeitalter Augustins mit seiner Vertiefung des Glaubens und schließlich das Zeitalter der Verweltlichung im dunklen Mittelalter. In diesem Aufriß der Kirchengeschichte fand auch Luther seinen Platz. Mit aller Eindringlichkeit schildert er das Wirken des Reformators, der das göttliche Licht wieder auf den Leuchter gesetzt hat. In der Kirche kommt es nun auf die reine Lehre an. Diese muß gelehrt und gepredigt werden. Sie ist das eigentliche Erkennungszeichen der Christen. Melanchthon hat keine Bedenken, die Kirche als Lehranstalt oder als Schule zu bezeichnen. Er sieht durch die Kirche eine Traditionskette gehen, die von denjenigen gebildet wird, die das reine Evangelium lehren. Im Vergleich zu Luther ist in Melanchthons Büchern ein intellektualistischer Zug zu bemerken. Manches mutet geradezu scholastisch an. Aber das ist nicht das Wesentliche. Die Grundauffassung ist bei ihm unverändert geblieben, nur sind einzelne Lehrstücke gegenüber älteren Fassungen erweitert und ausgestaltet. Dabei zieht Melanchthon an vielen Stellen Verbindungen zur Tradition. Die bevorstehenden Religionsgespräche nötigten ihn, in der Frage der Tradition Klarheit zu bekommen. Die Kirche steht unter ihrem Haupt Christus und ist in erster Linie an das Wort gebunden. Sie hat aber auch auf das Zeugnis ihrer Glieder zu achten und ist, da sie durch Menschen wirkt, äußeren Einflüssen unterworfen. Trotzdem bleibt sie die Kirche der Wahrheit, wenn sie das Wort für sich hat. Insofern kommt es in ihrer Mitte auf den Konsens mit dem Wort mehr an als auf äußere Autorität.
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Gespräche, die Melanchthon mit englischen Bischöfen in Wittenberg gehabt hatte, waren nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. Sie hatten ihm den relativen Wert der Überlieferung doch eindrücklich werden lassen. In den Wittenberger Artikeln (Artikel 10) hatte er daher schon darauf hingewiesen, daß jeder Christ die Freiheit hat, daß man aber im Blick auf die Überlieferung mit der christlichen Freiheit „mäßig fahren soll". Während die Loci von 1535 sonst mit der Lehre der C. A. und Apologie übereinstimmen, ist in der Abendmahlslehre schon eine Veränderung festzustellen. Melanchthon war immer der Auffassung, daß er auch in dieser Hinsicht die Anschauungen der alten Kirche vertrete. Oekolampad hatte ihn aber davon überzeugt, daß es schon in alter Zeit zwei verschiedene Auffassungen vom Abendmahl gegeben hätte. Seitdem bemühte sich Melanchthon, über das Abendmahl vorsichtiger zu lehren. Seine Besprechungen mit Martin Bucer in Kassel sind für ihn in dieser Beziehung auch nicht unwesentlich geworden. So kam es, daß er in der Abendmahlslehre der Loci nur von der geistigen Gegenwart Christi und der inneren Gemeinschaft mit ihm sprach. Über die Beziehung Christi zu den Elementen ließ er sich nicht näher aus. Disputationen über diese Fragen wollte er nicht heraufbeschwören. Luther hatte wohl gesehen, daß Melandithon eigene Wege ging. Aus Freundschaft hat er geschwiegen. Es ist fast unverständlich, wie Luther das tun konnte. Bei seinem großen Vertrauen zu Melanchthon hat er offenbar diese Abweichungen für nicht so schwerwiegend angesehen. Dafür aber griffen einige seiner Schüler Melanchthon um so heftiger an. Sollte Melanchthon im erasmisdien Sinne auf die Tätigkeit des Menschen Gott gegenüber Wert legen? Sollte durch ihn Luthers Rechtfertigungslehre gefährdet sein? Luther ist auf die Anklagen nicht weiter eingegangen, aber Konrad Cordatus machte ihm weiter den Vorwurf, in der Rechtfertigungslehre sich der katholischen Auffassung genähert zu haben. Zu diesem Mißverständnis hatte Melanchthon selbst Anlaß gegeben, als er die Rechtferti-
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gung schlichten Christen deutlicher erklären wollte und von der Buße als der Vorbedingung der Rechtfertigung sprach. Melanchthon erhielt die Nachricht von diesen Angriffen, als er in Württemberg weilte, um bei der Universitätsreform in Tübingen zu helfen. Er richtete ein Schreiben an die Wittenberger Professoren, in dem er den Sachverhalt darlegte. „Es ist mir bekannt", schrieb Melanchthon, „daß Luther ebenso denkt wie ich; aber einige Ungelehrte halten sich an seine kräftigen Ausdrücke ohne zu fragen, wohin sie gehören. Ich will mit ihnen nicht streiten." Auch Luther wollte, daß jeder Streit vermieden wurde. Aber Cordatus war nicht der einzige Angreifer. Der Freiberger Prediger Jakob Schenk kam hinzu. Vom Kurfürsten kam eine Anfrage; er ließ den Kanzler Brück sich mit Luther und Bugenhagen beraten. Vermutlich hat Luther den Kurfürsten beruhigt und davon abgehalten, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Für Melanchthon aber war es schwer, es erleben zu müssen, daß teilweise seine eigenen Schüler sich gegen ihn wandten und ihn verketzerten. Auch in späteren Jahren hat er es noch oft erfahren müssen, daß undankbare Schüler sich gegen ihn richteten. Seiner Stimmung gab er daher Ausdrude in einer Rede „Über die Undankbarkeit des Kuckucks". In diesen Jahren wurde er einsamer. Das Verhältnis zu Luther war gespannt. Kleine Geister wandten sich aus Neid oder gekränktem Ehrgeiz gegen ihn. Es ist daher verständlich, daß in ihm eine ärgerliche Stimmung aufkam und er von einer Knechtschaft redete, in der er leben müßte. Aber trotz dieser Verstimmung blieb Melanchthon Luther dankbar verbunden. Der persönliche Verkehr wurde nicht unterbrochen. Vielleicht war es der gemeinsame Gegensatz gegen Agricola, der sie wieder stärker zusammenführte. Dieser hatte den Streit über die Gesetzespredigt, den er zehn Jahre zuvor begonnen hatte, erneuert. Er wiederholte seine Lehre, daß das Evangelium allein den Menschen zur Bekehrung führe und daß das Gesetz völlig überflüssig sei. Luther war aufgebracht, erteilte ihm einen starken Verweis und verlangte öffentlichen Widerruf. Agricola tat es, verließ aber heim6
Stupperich,
Melanchthon
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V . Auf der politischen Bühne
lieh Wittenberg und ging nach Berlin. Im Inneren behielt er einen Groll gegen Luther und Melanchthon. In eine ähnliche Spannung geriet Magister Philippus in diesen Jahren auch zu Andreas Osiander. So sehr er mit dem einflußreichen Nürnberger Prediger übereinstimmte, seine Auffassungen von der Rechtfertigung und der Beichte teilte er nicht ganz. D a er sein Vorgehen kritisierte und Osiander zum Frieden mahnte, entstand eine Abneigung zwischen ihnen, die in späteren Jahren in einen heftigen Kampf übergehen sollte. Der theologische Gegensatz zwischen Wittenberg und Oberdeutschland sollte in den vierziger Jahren noch einmal kräftig in Erscheinung treten. Als der Erzbischof von Köln, Hermann von Wied, im Vertrauen auf den Abschied von Regensburg 1541 im Erzstift die Reformation einführen wollte, berief er Bucer und Melanchthon nach Bonn. Zu der „Kölner Reformation", die in der Hauptsache von Bucer stammt, steuerte Melanchthon einige Abschnitte bei. Der Entwurf wurde mit dem Erzbischof durchberaten, ehe er dem Landtag vorgelegt wurde. I n der Abendmahlsfrage hatte Melanchthon eine andere Haltung eingenommen als bisher. In Frankfurt hatte er sich mit Calvin darüber unterhalten. In der neuen Ausgabe der C A von 1540 war der Wortlaut des 10. Art. stark verändert. Der Satz, daß Leib und Blut Christi im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig sei, ist fortgelassen. Statt dessen heißt es nur noch, daß mit dem Brot und Wein im Abendmahl Leib und Blut Christi dargereicht werden. Diese neue Fassung hat große Auseinandersetzungen ausgelöst. Melanchthon sah keine Veranlassung, Bucers Fassung der Abendmahlslehre der „Kölner Reformation" zu beanstanden. Erst als das Buch im Druck erschien, wurde man darauf aufmerksam, daß hier das Sakrament als Werk des Glaubens bezeichnet wurde. Amsdorf berichtete gleich darüber an Luther, der sich über diese Darstellung so unzufrieden zeigte, daß Melanchthon meinte, Wittenberg verlassen zu müssen. Luther witterte schon wieder das Schwärmertum. Sein Urteil über den Abendmahls-
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artikel dieses Buches war daher recht scharf: „ . . . und ist auch alles zu lang und groß Gewäsche, daß ich das Klappermaul, den Butzer, hier wohl spüre." Melanchthon war unglücklich, daß ein neuer Abendmahlsstreit auszubrechen drohte. Die ernste politische Lage ließ ja keine neuen theologischen Kämpfe zu. „Unsere Gegner erheben das Haupt, und wir zerreißen uns selbst", äußerte er in tiefer Bedrückung. Anfang Oktober 1544 erschien indessen Luthers Schrift „Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament wider die Schwärmer". Sie war gemäßigter, als man in Wittenberg befürchtet und erwartet hatte. Bucer und Melanchthon wurden nicht erwähnt. Freilich hatte der Kurfürst selbst Luther bitten lassen, nicht gegen Melanchthon zu schreiben. Im übrigen war Luthers Schrift auch keineswegs sanft. Sie bezeichnete alle, die eine andere Abendmahlsauffassung vertraten, als „eingeteufelt". N u n vermied es Melanchthon erst recht, sich näher über dieses Thema zu äußern, obwohl ihn Calvin bestürmte, jetzt Farbe zu bekennen.
VI. Einigungsbestrebungen 13. Ausgleichs versuche und Kontakte Noch unterwegs nach Augsburg, von Torgau, schrieb Melanchthon an den Bischof Cricius von Plozk, der ihn nach Polen einlud, daß ihn „lästige Geschäfte" nun nötigten, sich mit Fragen zu beschäftigen, die ihm im Grunde nicht lägen. Ungern nur hatte sich Melanchthon dazu bestimmen lassen, in die politische Arena zu treten und seine Tage mit Verhandlungen hinzubringen. Gegen seinen Willen war er zum Sprecher der evangelischen Stände geworden. Die Verantwortung fühlte er wohl; gerade deshalb ist er so vorsichtig geworden und hat durch Verhandlungen den Frieden zu sichern gesucht. In Briefen an denselben Bischof spricht er sich 1532 deutlich über seine Bemühungen aus. Nach seinen eigenen Aussagen hatte es ihm 6*
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allein daran gelegen, die Streitigkeiten zu mildern. Melanchthon führte in diesen Briefen eine Sprache, die wir sonst an ihm kaum kennen. Für die scharfen Kämpfe läge ein wirklicher Grund gar nicht vor. Wie er schon in seinem Ratschlag an der Legaten Campeggi 1524 geschrieben hatte — und dieser Ratschlag war in deutscher Übersetzung weit verbreitet — war er bereit, für die Erhaltung der Kirche und ihrer Bräuche sich einzusetzen, sofern sie nur von der Schrift her zu halten seien. Wenn die Extremisten ausgeschaltet würden, könnte die Ruhe gewahrt werden. Auch anderen Sendboten des Auslandes gegenüber spricht sich Melanchthon in dieser Weise aus. In Augsburg, als die C A überreicht, die Confutatio verlesen war und der Zwiespalt in Ausschüssen überwunden werden sollte, hat sich Melanchthon als ständiges Mitglied solcher Ausschüsse in gleicher Weise verhalten. Sein Bestreben ging dahin, die Verhandlungen mit größter Mäßigung zu führen und dafür zu sorgen, daß auch die Gegenseite sich ebenso verhielte. Diese Aussagen und dieses Verhalten Melanchthons hatten allerdings zur Folge, daß bei den Vertretern des alten Glaubens die Meinung aufkam, daß zwischen Luther und Melanchthon Spannungen beständen, und daß die Möglichkeit durchaus vorliege, beide von einander zu trennen. Melanchthon beklagte sich sehr über seine Augsburger Gegner. Wenn es nach ihm ginge, meinte er, wären die kirchlichen Spannungen behoben oder zum mindesten ermäßigt. Die Bekenntnissituation von Augsburg hatte ihn daher nicht mit der Freude erfüllt wie Luther und andere seiner Freunde; sie hat ihn auch nicht in seiner Glaubenshaltung gestärkt. Ihm ging es um die kirchliche Einheit, die dort zerriß. Noch in späteren Jahren klagte er über diese verlorene Einheit der Kirche und war bereit, alles daranzusetzen, um sie wiederzuerlangen. In einem Brief an denselben Bischof Cricius, der sich weiterhin um ihn bemühte und mit dem ihn humanistische Interessen verbanden, beklagt Melanchthon sein „unglückliches Schicksal", in konfessionellen Kämpfen streiten zu müssen, statt sich seiner Neigung entsprechend allein fried-
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liehen Studien widmen zu können. Vor allem, schreibt er, hätte er in Augsburg gelernt und erkannt, daß zuerst die positiven Lehren des Evangeliums ins helle Licht gesetzt werden müßten, ehe eine Verständigung zwischen den beiden Parteien erzielt werden könnte. Mit der römischen Seite hatte Melanchthon die Einigungsverhandlungen nicht aus dem Auge gelassen. Bereits 1532 entsdiloß er sich, die Neubearbeitung seines Römerbriefkommentars dem Kardinal Albrecht von Mainz zu widmen. Ein längeres Vorwort sollte den Kirchenfürsten anregen, das Friedenswerk zu betreiben. „Du siehst, wie nötig der Frieden ist", schreibt Melanchthon dem Kardinal, „die Zeiten zwingen uns, immer mehr dafür zu sorgen." Mit demselben Anliegen hatte er sich auch an Erasmus und andere Vertreter des alten Glaubens gewandt. Melanchthon betonte, daß es ihm nur an wenigen Hauptfragen liegt. Verständigt man sich in diesen, so werden die übrigen Streitigkeiten von selbst aufhören. Sollten die im Römerbrief enthaltenen Anschauungen sich stärker durchsetzen, so würde auch das Anliegen der Reformation verstanden. In dem Widmungsbrief an den Kardinal Albrecht wie im gleichzeitigen Brief an Cricius ist viel Rhetorik enthalten. Das darf nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Sonst müßte man, wie es G. Kawerau u. a. getan haben, von einer Tragik im Leben des Praeceptors und auch in der Sache der Reformation sprechen, daß Luther keinen zuverlässigeren Mitarbeiter bekommen habe. In anderen Briefen könnte man auch einiges Bedenkliche finden. Aber das muß anders gewertet werden, sonst kommt man aus den Mißverständnissen und Fehlurteilen nicht heraus. Melanchthon ist nicht doppelzüngig gewesen. Er hat immer treu zu Luther gehalten und hat die Zumutungen, ins andere Lager überzugehen, immer von sidi gewiesen. Allerdings hat ihn seine humanistische Gesinnung dazu verleitet, der Illusion zu folgen, als könnte es eine mittlere Linie geben, auf der sich alle Gutgesinnten und Gebildeten (boni ac docti) begegnen könnten. Die Humanisten auf der gegenüberliegenden Seite vernahmen
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und verstanden seine Sprache und waren bereit, mit ihm zus ammenzugehen. Dieselben Gedanken, die Melanchthon in seinen Briefen an Kardinal Albrecht und den Bischof Cricius zum Ausdruck gebracht hatte, finden sich auch in seinem Schreiben an den alten Erasmus (25. 10. 1532). In bitterer Weise spricht er davon, daß die beiden kirchlichen Parteien am Maßhalten keinen Gefallen haben. Daher würden seine Ratschläge abgelehnt. Es sieht so aus, als hätte der H u m a nist Melanchthon in diesen Jahren sich besonders an seine humanistischen Freunde gerichtet und sie aufgefordert, alle ihre K r ä f t e nach Möglichkeit einzusetzen, um Frieden zu schaffen. Der Gedanke der „Einen" Kirche bewegte Melanchthon sehr. In den Zeitgesdiehnissen sah er nur erneute Versuche, die Einheit zu zerreißen. Erasmus las aus seinem Brief heraus, daß Melanchthon an seinen Wittenbergern nur Verdruß habe. Schon früher hatte er sich dahingehend geäußert, daß Melanchthon in Augsburg sich im Sinne des Friedens bemüht hatte und er, falls er gesund gewesen wäre, gern diese Bemühungen mit den seinigen verbunden hätte. D a ß Melanchthon ihn dazu bestimmte, seine letzte, in den Kampf der Geister eingreifende Schrift „De amabili ecclesiae concordia" zu schreiben, ist nicht unwahrscheinlich. Auch Melanchthon selbst bezeugte ihm in einem Brief, daß er in der Beurteilung der Dogmen sich von ihm habe leiten lassen und sich in der Beurteilung der meisten kontroversen Fragen noch immer an ihn anschließe. Die Bemühungen der polnischen Bischöfe um Melanchthon gehen noch jahrelang weiter. Cricius teilte ihm mit, daß er ihn nach wie vor erwarte und ihm eine seinem Rang entsprechende Stellung verschaffen werde. Leider fehlen Melanchthons Antworten. Wir wissen daher nicht, wie er im Einzelnen reagiert hat. Es treten aber von italienischer Seite an ihn ähnliche Anerbieten heran. Kardinal Sadoleto warb um ihn. Melanchthon unterließ es, ihm zu antworten. Die gemeinsame humanistische Basis war auch hier vorhan-
13. Ausgleichsversuche u n d K o n t a k t e
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den. Auch die französische Werbung gehört in diesen Rahmen. Die ausländischen Humanisten sahen allgemein Melanchthon als einen der Ihren an. Sie meinten, mit ihm die gleichen Voraussetzungen und Positionen zu haben und waren daher des sicheren Glaubens, ihn als ausgleichendes Element in ihrem Lande wirken lassen zu können. Melanchthons Ruf war auch nach Frankreich und England gelangt. Humanistische Kreise bestimmten Franz I., Melanchthon nach Paris einzuladen. Sie schrieben an Melanchthon, er möchte diese Einladung in jedem Falle annehmen. Er werde f ü r die Freiheit des Evangeliums und für den Frieden im Lande etwas auswirken können. Der König werde auf seinen R a t hören. In Deutschland zweifelte man an der Aufrichtigkeit des Königs. Melanchthon selbst zauderte, da er Verhandlungen mit den Doktoren der Sorbonne, die er in jungen Jahren so scharf abgefertigt hatte, nicht wünschte. Daraufhin schlug ihm Franz I. geheime Verhandlungen vor, und der Kardinal du Beilay schloß sich diesem Vorschlag an. Als Melanchthon sich nun beim Kurfürsten in Torgau den Urlaub erbat, lehnte dieser sein Gesuch ab. Auch als Luther dieses Gesuch persönlich in Weimar unterstützte, bekam er nur die Absage. Der Kurfürst, der auf dem Wege zu König Ferdinand war, fürchtete, Melanchthons Reise nach Paris würde seinen politischen Verhandlungen schaden. Von seiner Umgebung wurde er in der Meinung bestärkt, Melanchthon würde sich im Auslande zu nachgiebig zeigen. Dieser aber war durch die Absage des Kurfürsten schwer gekränkt. Seinen Freunden gegenüber beklagte er sich über das Verhalten des Kurfürsten. In seiner Antwort an Franz I. schrieb er, er müsse die Reise auf eine günstigere Zeit verschieben, werde aber in seinem Bemühen fortfahren, die Religionsstreitigkeiten auf friedliche Weise zu schlichten. Der König gab seinen Versuch noch nicht auf und versuchte sein Ziel beim Schmalkaldischen Bund zu erreichen. Aber der Bund wollte auf sein Ansinnen nicht eingehen. Wichtiger waren die Verhandlungen, die von England her an Melanchthon herangetragen wurden. Er hatte sich
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VI. Einigungsbestrebungen
schon mit der kirchlichen Lage Englands beschäftigt und den König ermahnt, für die Reformation zu sorgen, als er eine Einladung erhielt. Audi Luther, der früher „Gegen Heinrich, den König von England" geschrieben hatte, befürwortete diese Reise. Der Kurfürst war ablehnend, ließ aber eine Verhandlung mit Gesandten aus England in Wittenberg zu. Aus diesem Anlaß wurden von Melanchthon Artikel verfaßt, die den Namen der „Wittenberger Artikel" von 1536 tragen. Sie sind mit Luther abgestimmt worden. Bei dieser Gelegenheit fand zwischen Luther und Melanchthon in Gegenwart Bugenhagens ein Gespräch über die Rechtfertigungslehre statt. Dem König wurde mitgeteilt, daß seine Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund erst erfolgen könnte, wenn er die Artikel angenommen hätte. Heinrich VIII. lag offenbar nichts daran. Jedenfalls ist er noch einmal nach seiner Auffassung gefragt worden. Bis dahin sollte von evangelischer Seite in der Konzilsfrage nichts unternommen werden. Mochten die politischen Verhältnisse einer Annäherung der evangelischen Stände in kirchlicher Beziehung entgegenstehen, so dachte doch Melanchthon weiter ernsthaft darüber nach. Aus der erkannten Notwendigkeit heraus nahm er Verbindungen mit Martin Bucer in Straßburg auf. „Ich wünsche nichts mehr", schrieb er ihm, „als daß der ungeheure Anstoß dieses Zwiespalts, der den Lauf des Evangeliums so sichtbar hemmt, weggeräumt wird." Da Luther den neuen Verhandlungen mit den Oberdeutschen nicht widersprach, bat Melanchthon den Landgrafen, das Einigungswerk zu fördern. Von einer großen Synode wurde abgesehen. Der Landgraf lud Melanchthon und Bucer nach Kassel ein. In den Weihnachtstagen 1534 trafen sie sich. Für Melanchthon war es nicht leicht, allein den lutherischen Standpunkt in der Abendmahlslehre darzulegen, zumal er selbst eine abweichende Auffassung zu vertreten begann. Wie er später bekannte, war er in Kassel Vertreter einer „fremden Meinung". Bucer hatte hier die Versicherung abgegeben, daß er und die oberdeutschen Prediger mit
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ihm übereinstimmten. N u r wollte man langsam vorgehen und nichts übereilen. Eine Umfrage bei maßgebenden Theologen der lutherischen Richtung ergab, daß Bucer und die Seinen „zu tolerieren" seien. Seit diesem Ergebnis beteiligte sich Melanchthon an den Unionsbestrebungen um so eifriger. Bucer hatte die Schweizer Theologen indessen zu einem Bekenntnis vereinigt, das sich von Melandithons Formel so wenig unterschied, daß die endgültige Einigung nahezurücken schien. Die endgültige Zusammenkunft sollte am 14. 5. 1536 in Eisenach stattfinden. Melanchthon war in großer Besorgnis, wie die Sache ausgehen würde. Da Luther erkrankt war, erboten sich die Oberdeutschen, nach Wittenberg zu kommen. Die Zahl der Anwesenden war gering. Daher sollte nichts Endgültiges entschieden, sondern den Ständen alles vorgelegt werden. Die entscheidenden Unterredungen fanden in Luthers Haus statt. Nachdem Luther und Bucer ihren Standpunkt dargelegt hatten, wurde Melanchthon gebeten, die Einigungsformel aufzusetzen. Diese legte er am 29. 5. vor; sie enthielt drei Feststellungen: Die Gegenwart Christi im Sakrament, die sakramentale Einigung von Christus und den Elementen und das Genießen der Unwürdigen. Diese Erklärung wurde von beiden Seiten unterschrieben. Sie erhielt den Namen der Wittenberger Konkordie. Freilich hat sie keinen langen Bestand gehabt, da die Schweizer sich auf die Erklärungen Bucers nicht einließen und die Konkordie ablehnten. Immerhin behielt sie die Bedeutung eines aufgerichteten Zeichens. 14. Konzil und Religionsgespräche Die im politischen Leben ständig wiederholten Konzilsforderungen konnten nicht mehr überhört werden. Als das Werbungsschreiben des Papstes 1533 nach Sachsen gebracht und Melanchthon um seine Meinung befragt wurde, gab er in seinem Gutachten die Antwort, die Beteiligung der evangelischen Stände sollte nicht abgelehnt werden. Bei einem Konzil würde man die Möglichkeit haben, unter leidlichen Bedingungen mit der Gegenseite zu verhandeln. Käme es
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zu keinem Ergebnis, so wäre man entschuldigt. Damit, daß man die Beteiligung zusagte, übernehme man keine Verpflichtungen. Freilich hielt er es für notwendig, den Kaiser darauf hinzuweisen, daß es ein „freies Konzil" sein müßte. Sie könnten sich nicht als Angeklagte behandeln lassen. Der Magister Philippus ahnte, daß sich schwere Entscheidungen vorbereiteten. Er sah in diesem Falle eine kirchenpolitische Möglichkeit, auf die eingegangen werden sollte. „Große Dinge", schrieb er, „entbehren nicht der Gefahren." Aber mit Vernunft ließe sich doch vieles „lenken und mildern". Im übrigen vertraute er auf die eigene Sache. Die evangelischen Grundartikel seien so klar und einleuchtend, daß niemand sie ablehnen könne. Er verließ sich auf die Schrift und die Kirche als „Säule und Grundfeste der Wahrheit" (1. Tim. 3, 15). Ein anderes Mittel als das Konzil, Kontroversen aus der Welt zu schaffen, sah Melanchthon nicht. Die Heilige Schrift weise selbst darauf hin. Der Kurfürst, beraten von seinen Juristen, nahm eine andere Stellung ein. Sachsen erteilte eine Absage. Man sah keine Gewähr für eine sachliche Behandlung der strittigen Glaubensfragen auf päpstlicher Seite. Als die Frage nach zwei Jahren erneuert wurde, erklärte der Nuntius Vergerio, daß das Konzil ein freies sein würde. Der Konvent von Schmalkalden beanstandete in einem von Melanchthon entworfenen Schreiben, daß sie nicht ausdrücklich zu einem „freien Konzil" geladen würden. Unter „frei" verstand er eine Versammlung, in der unparteiische Männer allein nach dem Worte Gottes die zwiespältigen Fragen erörterten und entschieden. Als im Februar 1537 der Nuntius dem sächsischen Kurfürsten die Konzilsbulle überreichte, erhielt er eine Antwort, die dem Gutachten Melanchthons nicht entsprach. Dieser betonte weiterhin unentwegt die Vorteile der Konzilsannahme. Ein Gegenkonzil, wie es Johann Friedrich erwogen hatte, lehnte er ab. Aber er blieb mit seiner Auffassung, daß man bei der Gegenseite auf Billigkeit rechnen könne, allein. Melanchthon hatte mehrfach den Vorschlag gemacht, bevor der päpstliche Nuntius käme, sollte ein Ausschuß evan-
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gelischer Theologen zusammenkommen, um die Lehre festzulegen, die auf dem Konzil vertreten werden sollte. Melanchthon glaubte noch immer an die Möglichkeit eines Vergleiches. Während die einen seinem Plan zustimmten, meinten die anderen, mit der CA sei alles gesagt. Der Kurfürst Johann Friedrich entschloß sich, auf dem Tage von Schmalkalden 1537 diese Frage zu behandeln und gab zugleich Luther den Auftrag, die Artikel d a f ü r aufzustellen, „auf denen er gedenkt zu beruhen und zu bleiben". Die später sog. „Schmalkaldischen Artikel" unterstrichen den Gegensatz zur römischen Kirche in der Lehre und in den Bräuchen. Unterschrieben wurden sie, ehe Luther sie am 3. 1. 1537 an den Kurfürsten weitergab, von den Wittenberger Theologen, N . v. Amsdorf, Spalatin und Agricola. Melanchthon leistete die Unterschrift mit einem Zusatz, den ihm der Kurfürst sehr verübelte: „Ich halt diese obgestalte Artikel auch f ü r recht und christlich. Vom Papst aber halt ich, so er das Evangelium wollte zulassen, daß ihm um Friedens und gemeiner Einigkeit willen derjenigen Christen, so auch unter ihm sind und künftig sein möchten, seine Superiorität über die Bischöfe, die er hat jure humano (nach menschlichem Recht) auch von uns zuzulassen sei." In Schmalkalden hatte sich eine große Versammlung eingefunden. Landgraf Philipp, von Melanchthon verständigt, legte nicht Luthers Artikel zur Beratung vor, sondern gab den Theologen den Auftrag, „die Augsburgische Konfession zu übersehen, nichts daran zu ändern, allein das Papsttum herauszustreichen". D a Luther erkrankt war, lieferte Melanchthon den Zusatzartikel „Von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes". Der Traktat wurde gemeinsam mit C A und Apologie von den anwesenden Theologen unterschrieben. Er darf daher nicht als Anhang zu den „Schmalkaldischen Artikeln" angesehen werden, die dort nur privat auf Bugenhagens Einladung unterzeichnet wurden, aber kein gemeinsames Bekenntnis der Stände darstellten. Dieser Tatbestand ist Luther nicht genau berichtet worden und wird in seiner Vorrede unrichtig dargestellt. Das neue Bekenntnis brauchte man nicht, da man sich entschieden hatte,
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nicht zum Konzil zu gehen. Das ablehnende Schreiben mußte Melanchthon entwerfen. Die Stände erklärten, daß sie nur ein freies Konzil beschicken würden. Um Melanchthons Meinung kümmerte sich niemand. Er erschrak, als er sah, daß durch dieses Verhalten die Spaltung verewigt wurde. Voller Furcht vor den kommenden Ereignissen, aber erfreut über Luthers Genesung, kehrte er nach Wittenberg zurück. Die kirchenpolitischen Ansichten Melanchthons zeigen, daß er kein real denkender Politiker war und von seiner vorgefaßten Meinung her die wirkliche Lage nicht traf. Noch auf dem Konvent hatte er seinen Traktat als „ein wenig schärfer" bezeichnet, denn er sonst zu reden pflegte. Immerhin hatte er einiges deutlich gesagt. Auch die schlimmen Folgen der Trennung, so führt er trotz seiner irenischen Haltung aus, dürfen um der Wahrheit willen die evangelischen Stände nicht abhalten, dem Papst den Gehorsam zu kündigen. Eine die Meinung der Mehrheit wiedergebenden Äußerung hält er fest: Wer das Papsttum und seine falsche Lehren verteidige, mache sich selbst der Irrlehre schuldig und trete der Ehre Gottes und der Rettung der Kirche hindernd entgegen. Diese Schrift widersprach den bisherigen Äußerungen Melanchthons, und es ist undeutlich, welches Motiv ihn zu dieser völligen Schwenkung veranlaßt hat. Offenbar wollte er dem totkranken Luther entgegenkommen und in seiner Vertretung handeln. Es mögen aber auch andere Gründe ihn bestimmt haben. Jedenfalls hält sich Melanchthon fortan an die dort dargelegte Meinung und ändert sie auch nach Luthers Genesung nicht. Während Luther in der Folgezeit an seinem Buch „Von Conciliis und Kirchen" arbeitete, schrieb Melanchthon seinerseits eine Schrift „Von der Kirche und der Autorität des Wortes Gottes", die seine Position begründete. Luther sprach seinen Widerspruch in der Weise aus, daß er sagte: mit Vätern und Konzilien ließe sich die Kirche nicht reformieren, weil sie selbst untereinander ungleich seien.
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Melanchthon, der sich berufen wußte, den Studien zu leben und die Jugend zu bilden, war durch das Schicksal dazu bestimmt, in öffentlichen Verhandlungen sich zu behaupten. O f t war er ungehalten, daß die Fürsten sich in diesen Verhandlungen durchsetzten. „Die Meinungen der Ungelehrten sind weit von der Gemäßigten Ratschlägen verschieden, selten können wir sie besänftigen, zumal in der jetzigen Aufregung." N u r kurze Zeit sollte Melanchthon von öffentlichen Verhandlungen verschont bleiben; sobald der Kaiser die Politik der Vermittlung aufnahm, war es Melanchthon bestimmt, von einem Religionsgespräch zum anderen, von einem Reichstag auf den anderen zu ziehen. Im Februar 1539 mußte Melanchthon seinen Kurfürsten zum Frankfurter Konvent begleiten. Hier traf Melanchthon zum ersten Mal mit dem noch jungen Calvin zusammen, der zur Straßburger Gesandtschaft gehörte. Während die amtlichen Verhandlungen sich hinzogen, wurden theologische Gespräche geführt und dadurch manches Mißverständnis weggeräumt. Man begnügte sich in Frankfurt mit einem fünfzehnmonatigen Waffenstillstand, mehr hatten die Vermittler nicht erreicht. Da aber das Konzil wieder in weite Ferne gerückt war, wollte man doch in Deutschland eine kirchliche Verständigung zu erringen suchen. Ein Religionsgesprädi sollte noch im selben Jahr stattfinden. Mochte die Kurie es auch widerraten, der Kaiser mußte der Lage Rechnung tragen. Man versprach sich auf kaiserlicher Seite etwas davon, zumal man auch auf den Leipziger Vorgang aufmerksam gemacht worden war. Wenige Monate zuvor war in Leipzig ein Religionsgesprädi gehalten worden, an dem je zwei Vertreter von Hessen und den beiden Sachsen teilnahmen. Die Dresdner Reformer wollten einen kirchlichen Ausgleich auf der Grundlage der ersten 6 Jahrhunderte treffen. Melanchthon und Bucer, die beide auch beteiligt waren, wiesen die Unmöglichkeit dieses Vorschlages nach, in der apostolischen Lehre ein „Richtscheit" zu sehen. Schied Melanchthon auf Befehl seines Kurfürsten audi aus, so ist doch von Bucer das Gespräch zu Ende geführt worden und ein Entwurf
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der Lehre vom Menschen und seiner Wiederbringung aufgestellt, der nicht ohne Bedeutung bleiben sollte. Nicht nur der Dresdner Kanzler, der ohne Wissen seines Herrn gehandelt hatte, auch einige der Evangelischen hatten aus den Leipziger Erfahrungen die Hoifnung geschöpft, auf dieser Grundlage -weiterkommen zu können. Melanchthon war nicht nur an der Reformation im herzoglichen Sachsen, sondern auch in Brandenburg beteiligt. Er war 1538 bereits nach Berlin berufen worden, um über die vermittelnde Kirchenreform in Brandenburg sein Gutachten abzugeben. Es war auch hier der Versuch gemacht, aus humanistischem Geiste heraus eine Vermittlung zu erreichen. Kurfürst Joachim II. wollte in der Lehre wohl evangelisch sein, aber in den Bräuchen der alten Kirche folgen. Er sah es auch als seine Aufgabe an, auf denselben Grundlage eine kirchliche Einigung zu erstreben. Der „königliche Weg der Mitte" sollte die Politik bestimmen. Melanchthon hatte an der kurfürstlichen Kirchenordnung noch manches ändern können. Im Auftrage Joachims hatte er an den katholischen König Sigismund von Polen, Joachims Schwiegervater, einen erklärenden Bericht zu schreiben: Der Kurfürst verfahre mit größter Mäßigung, lasse das Evangelium frei predigen und schaffe nur die gröbsten Mißbräuche ab. Während der Kaiser die Religionsvergleichung in die Hand nehmen wollte und eine Reichsversammlung bereits ausschrieb, die darüber handeln sollte, versammelten sich die evangelischen Stände im März 1540 noch einmal in Schmalkalden. Melanchthon verfaßte ein Bedenken, wie man verfahren solle. Jede Trennung, so schreibt er, habe ein scheußliches Ansehen. Darum sei zu überlegen, ob die jetzige Trennung eine zwingende Ursache habe. Dann könne man getrost sein und Gott die Fährlichkeit befehlen. Melanchthon sah es, daß viele — wie das Volk Israel in der Wüste — müde wurden, diese Last zu tragen. Jeder Christ ist auf sich selbst gestellt und muß nach Gottes Willen leiden. Bei einer Vergleichung sei nicht nur von der
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Lehre, sondern auch von Bräuchen und Gewohnheit zu handeln. Nehmen die Gegner die Lehre an, so kann man in äußeren Dingen einiges willigen. „Aber in der Lehre", so schließt Melanchthon, „wollen wir durch Gottes Gnade nicht weichen und Gott bitten, daß er seine Kirche erhalte und Fürsten und Ständen seinen heiligen Geist verleihen wolle, daß sie schließen und tun, was recht ist. Er wolle auch alle stärken in Leiden und Gefahr." Melanchthon war diesmal zuversichtlicher als andere. Man nahm Melanchthons Bedenken einmütig an und versah es mit den Unterschriften. Dem Kaiser wurde ebenfalls eine von Melanchthon verfaßte Denkschrift zugestellt, in der betont war, daß man von der CA nicht abgehen würde. Und wenn Melanchthon sich von einer öffentlichen Diskussion der offenen Fragen noch immer etwas versprach, so erkannte er doch immer mehr, daß hier enge Grenzen gezogen waren. Die Lage des Protestantismus und die Situation für die Verhandlungen auf den nun kommenden Konventen von Hagenau und Worms ist freilich durch eine Tatsache sehr belastet worden, die auch Melanchthon schwere Gewissensnot bereitet hat, die Bigamie des Landgrafen. Gerade weil Philipp von Hessen bei ihnen in so hohem Ansehen stand und wegen seiner Tatkraft, Gerechtigkeit und Treue hoch geehrt wurde, gaben ihm die Reformatoren einen heimlichen Beichtrat, der ihnen nachher berechtigte Vorwürfe einbrachte und schwere Folgen hatte. Auf der Reise nach Hagenau erkrankte Melanchthon schwer; es war mehr eine seelische als eine physische Krankheit. Luther hat ihn in Weimar wieder aufgerichtet in seiner Kümmernis und hat den hessischen Wünschen energisch widerstanden, den ganzen Handel zu schützen. Er selbst hat öffentlich widerrufen und erklärt, daß er geirrt hatte. Nach Hagenau brauchte Melanchthon nicht zu fahren. Aber die Teilnahme am Konvent in Worms blieb ihm nicht erspart. Als Melanchthon am 31. 10. 1540 dort ankam, fand er eine große Versammlung vor. Die Eröffnung zog sich hin. Melanchthon schrieb an Camerarius: „Mit Gottes
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Hilfe werde ich midi bemühen, die so wichtigen Lehren, um die wir streiten, deutlich, ohne Sophistik und mit allem Ernst zu erklären. Ith kann es um so eher tun, als ich aufgehört habe, midi um den Willen der Fürsten zu kümmern, und deshalb ruhiger bin als früher." Schon unterwegs hatte er eine Denkschrift ausgearbeitet, in der er die Hoffnung aussprach, daß die öffentliche Erörterung der l e h r e zugestanden und der Kirche dadurch geholfen werde. E r betonte, daß sie die Lehre, in der sie mit der allgemeinen Kirche übereinstimmen, klar vortragen und sich dabei ausschließlich auf die Heilige Schrift berufen werden. Die Autorität des Papstes und eines von ihm berufenen Konzils könnten sie nicht anerkennen, deshalb könnten sie nicht zugeben, daß der päpstliche Legat die Versammlung leitete. Als die Verhandlungen durch den kaiserlichen Kanzler Granvella eröffnet wurden, antwortete der Kölner Kanoniker Gropper für die katholische, Melanchthon für die evangelische Seite. Er beteuerte, daß sie den Zwiespalt bedauerten, daß sie sich nicht ohne Grund vom Papsttum getrennt hätten, im Glauben aber sich an die Grundlage der alten Kirche hielten. D a inzwischen Privatverhandlungen geführt wurden, an denen Melanchthon keinen Anteil hatte, nahm das Gespräch der Konfessionen erst im Januar 1541 seinen Anfang. Von katholischer Seite hätte man es am liebsten ganz unterlassen und die Erörterung der schwebenden Fragen den Ausschüssen überwiesen. Denn die katholische Partei war selbst nicht einig, während die evangelischen Stände sich geschlossener als früher zeigten. Melanchthon reichte dem Kaiser ein Schreiben ein, in dem er im Namen der evangelischen Stände darauf hinwies, daß sie sich nicht von der wahren Kirche Christi trennen wollten. „Wir streiten nicht um Macht, Würde oder weltliches Gut, aber Irrtum und Mißbräuche können wir nicht ruhig ertragen." E r warnte vor zweideutigen Formen und Formeln. Der gerade Weg sei immer der beste. Schwierig würde nur die Erörterung über die Rechtfertigung und die Messe. Melanchthon meint aber, daß auch in diesen Artikeln eine Verständigung möglich wäre, wenn nur der
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Wahrheit die Ehre gegeben würde. „Indem wir mäßig von der Würde der Bischöfe und Verwalter der Kirche reden, machen wir einen Schritt zum Frieden, dagegen sollen die Bischöfe die reine Lehre und die Verbesserung der Bräuche gestatten." So wenig Melanchthon geneigt war, mit fanatischen Gegnern zu verhandeln, blieb es ihm doch nicht erspart, mit Eck die Klingen zu kreuzen. Die Grundlage w a r die CA. Sie haben freilich nur über die Erbsündenlehre disputieren können. Eck wiederholte die römische A u f fassung, die Protestanten übertrieben, wenn sie die natürliche Schwachheit der Menschen schon Sünde nennten, während Melanchthon dabei blieb, daß, wenn die böse Neigung ein Gebrechen sei, diese doch dem Gebot Gottes widerstreite. Bis zur Erörterung der Rechtfertigungslehre kamen sie nicht, da der Kaiser plötzlich das Gespräch in Worms abbrechen ließ und seine Fortsetzung auf den Reichstag in Regensburg verlegte. Das Wormser Gespräch war f ü r Melanchthon nicht recht ermutigend. Seine Auffassung von der Übereinstimmung mit der allgemeinen Kirche konnte sich nicht durchsetzen. Es wurden jetzt andere Vermittlungsvorschläge gemacht, die mehr Aussicht auf Erfolg zu eröffnen schienen. Unter Mithilfe des Landgrafen war in Worms im Geheimgespräch zwischen Gropper und Bucer eine Verhandlungsgrundlage erarbeitet worden, auf die sich der Kaiser jetzt stützen wollte. Melanchthon konnte davon keinen Erfolg erhoffen. Er meinte, es würde dabei zu Scheinerfolgen führen. Warum mußte man von der bisherigen Grundlage, der CA, abgehen? Besonders war Melanchthon jetzt gegen den Landgrafen eingenommen. Als sein Wagen auf der Fahrt nach Regensburg umstürzte, nahm er es als schlimmes Zeichen für den Reichstag. Unter den Parteien hatten sich Gruppen gebildet. Melanchthon hatte noch immer das größte Zutrauen zu Kaiser Karl V. Er glaubte, daß der Kaiser ernstlich nach Frieden strebte. Karl hatte große Sorgen, die ihn wünschen ließen, ein einiges Reich hinter sich zu haben. Er wollte einen Ausschuß bilden, der über die strittigen Lehren verhandeln sollte. Melanchthon war dagegen und betonte, 7
Stupperich,
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daß die Fortsetzung der Wormser Verhandlung wünschenswert sei. Aber der Kaiser blieb bei seiner Auffassung; er wählte je drei Theologen von jeder Seite, denen auf Ansuchen der Protestanten einige Räte beigegeben wurden. Als die Verhandlungen eröffnet wurden, legte der Kanzler Granvella das berühmt gewordene „Regensburger Buch" vor. Diese Unterlage war in Worms im Geheimgespräch zwischen Gropper und Bucer erarbeitet und sollte die Grundlage für die Verständigung abgeben. Melanchthon kam die Grundschrift bekannt vor. Kurfürst Joachim II. hatte sie Johann Friedrich und Luther schon vorher vorgelegt und gemeint, der Kaiser wollte sie wohl annehmen. Joachim war über den Ursprung dieser Schrift informiert; er wußte, daß sie in der Hauptsache von Gelehrten jenes Teils gestellt war. Sollte man über Erbsünde, Rechtfertigung und Sakramente sich verständigen, dann würden alle anderen Abweidlungen ganz von selbst ausgeglichen. Luther hatte dem Kurfürsten Joachim schon damals gesagt: „Diese Leute meinen es gut, aber es sind unmögliche Vorschläge; es ist vergeblich, daß man solche Mittel annimmt." Nun wurde es doch auf kaiserlichen Wunsch zur Grundlage des Gesprächs genommen, ohne über die Urheberschaft etwas verlauten zu lassen. Melanchthon fand das Buch ganz zweideutig. Es sei nützlicher, sagte er, den Dingen ihren rechten Namen zu geben und zu sagen: „ein Schiff ist ein Schiff". Als er mit dem Landgrafen das Buch durchging, hatte dieser es schon durchgearbeitet und die anstößigen Stellen bereits angestrichen. Der Landgraf war fester, als man erwartet hatte. Das Mißtrauen gegen Melanchthon erwies sich auch als unberechtigt, und Luther ermutigte ihn auszuharren. Melanchthon war wieder der Hauptredner gegen Eck. Vor jeder Sitzung wurde von den evangelischen Theologen eine Besprechung abgehalten. Auch Calvin war wieder mit den Straßburgern gekommen und nahm daran teil. Die ersten vier Artikel über den Menschen vor und nach dem Fall nahm man unverändert an.
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Beim Artikel von der Rechtfertigung, der in dieser Fassung „viel fremde Meinung" enthielt, brach der Gegensatz in stärkster Weise auf. Man sah keine Möglichkeit, vom Artikel des Buches weiter auszugehen, sondern ließ ihn liegen und suchte, in freier Diskussion weiterzukommen. Melanchthon zeigte keine Lust fortzufahren, aber die anderen evangelischen Vertreter bedrängten ihn, das Gespräch nicht abzubrechen. Nach mancherlei Versuchen Ecks, Melanchthons und des Kardinals Contarini wurde unter lebhafter Mitwirkung Groppers eine Einigungsformel gefunden, die nach einigen Änderungen angenommen wurde. Das Ungeahnte war eingetreten: Die Einigung in der Rechtfertigung war erreicht. Das war am 2. Mai 1541 geschehen. Melanchthon sah die Hauptpunkte des evangelischen Glaubens darin vertreten, wenn er auch einiges daran vermißte. Auch Luther und sein Kurfürst äußerten sich nicht so günstig wie Calvin, der an Farel schrieb: „Du wirst Dich wundern, wenn Du siehst, was wir von den Gegnern erlangt haben. Die unsrigen haben die Summe der wahren Lehre festgehalten. Es ist nichts in der Formel, was sich nicht in unseren Schriften findet." Dem sächsischen Kurfürsten kam die Formel zu undurchsichtig und gespreizt vor. Und wenn Luther an der verglichenen Formel nichts Gutes fand, so bat er doch den Landesherrn, Melanchthon nicht zu hart anzufahren, damit er sich nicht abermals zu Tode gräme. Die Vertreter der katholischen Seite hielten den verglichenen Artikel für ergänzungsbedürftig. Mochte der Legat Contarini ihm zugestimmt haben und sich in seinem Bericht nach Rom erfreut über das erzielte Ergebnis geäußert haben, in Rom war man anderer Meinung. Das Konsistorium hat trotz Contarinis erklärenden Traktates De justificatione den Rechtfertigungsartikel kassiert und damit die bereits ausgesprochene Einigung in der Lehre zunichte gemacht. Wie wenig man sich wirklich verständigt hatte, zeigte der Umstand, daß man bei den Artikeln von der Kirche und von den Sakramenten wieder heftig aufeinander stieß und Melanchthon aus dem Kolloquium ausscheiden wollte.
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Melanchthon hatte gehofft, des Regensburger Buches ledig zu sein. Offen erklärte Melanchthon, er könnte die Rede des Buches nicht billigen und würde es nicht tun. Er zeigte sich auch weiterhin so unnachgiebig, daß der Kaiser den Landgrafen zu sich kommen ließ und auf Melanchthon einzuwirken bat. Es blieb aber dabei, daß es nun drei Parteien gab. Die meisten aber wollten von „Vergleichung der Religion" nichts mehr hören. Auch das Toleranzprojekt hatte keine Aussicht; der Kaiser mußte seine Unionspolitik als mißlungen ansehen. Im Auftrage der Stände verfaßte Melanchthon einen Bericht über das Religionsgespräch und erklärte im Rückblick, daß es nötig gewesen wäre, das Regensburger Buch zu bestreiten. „Die Herren mögen tun, was sie bedenken, ich aber und meinesgleichen sind schuldig, die christliche Lehre recht und rein zu lehren und Gott zu bitten, seine Kirche zu erhalten und zu schützen, wo ich nicht zweifle, er werde dieses Licht nicht ganz lassen unterdrücken." Auch die abschließenden Erklärungen der evangelischen Stände hatte Melanchthon geschrieben. Es wurde darin festgehalten, daß sie die verglichenen Lehrstücke auch im Sinn der C A und der Apologie annahmen. Nach fünfmonatiger Abwesenheit kehrte Melanchthon nach Wittenberg zurück. Um dem Wunsch des Kaisers zu entsprechen, wollte der Papst ein Konzil in Trient schon jetzt eröffnen. Die päpstliche Bulle wurde auf dem Reichstag zu Nürnberg 1542 verlesen. Melanchthon glaubte nicht, daß das Konzil Zustandekommen würde, solange der Krieg zwischen dem Kaiser und Franz I. noch tobte. Er behielt damit auch recht. Aber die politischen Ereignisse in Deutschland ließen ihn auch nichts Gutes erhoffen. Die Niederwerfung des Herzogs von Cleve warf dunkle Schatten voraus. Als Melanchthon den Auftrag erhielt, sich 1544 zum Reichstag nach Speyer zu rüsten, da wünschte er nur, die evangelischen Fürsten möchten einig sein und bedenken, daß „nun der entscheidende Augenblick gekommen ist, von dem Leben oder Tod abhängen!" Er sah auf evangelischer Seite keine Vorbereitungen und erklärte: „Wenn auf dem Reichs-
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tag von wichtigen Dingen gehandelt wird, so werde ich nur dem H e r r n folgen." Melanchthon sah eine andere Zeit aufsteigen, die Stimmung auf den Reichstagen und Konventen verschärfte sich, man sah den Kampf voraus. Nach Speyer brauchte er nicht zu reisen, denn die kirchlichen Verhandlungen wurden vertagt. Die Gedanken an das künftige Religionsgespräch bereiteten ihm schon N o t und verfolgten ihn bis in seine Träume. Er hatte nicht mehr die Absicht, neue Formulierungen f ü r die evangelische Lehre zu suchen. Er wollte sich darauf zurückziehen, daß sie schon anderswo klar genug dargelegt sei. N u r von den äußeren Dingen, von der Gewalt der Bischöfe und von den geistlichen Gerichten wollte er etwas sagen. Für den Reichstag in Worms 1545 sollte Melanchthon zum letzten Mal eine Denkschrift entwerfen. Im N a m e n der Wittenberger Theologen setzte er die sogenannte „Wittenberger Reformation" auf. „Rechte christliche Kirchenregierung", so schrieb er hier, „besteht vornehmlich in diesen fünf Stücken: Reine Lehre, rechter Gebrauch der Sakramente, Erhaltung des Predigtamtes, rechte Zucht und Schulen." Der Kurfürst w a r mit ihr nicht einverstanden. Er meinte: „Magister Philipp hat nicht genugsam Fleiß darauf verwandt und sie nicht stattlich genug gestellt", aber er genehmigte sie doch. Sie wurde dem Landgrafen und dem Kurfürsten von der Pfalz übersandt, der sie seiner Reformationsordnung zugrunde legte. Johann Friedrich ließ auch eine Supplik an den Kaiser von Melanchthon verfassen, daß die Protestanten sich der Einigung in Glaubensdingen nicht widersetzten, aber das nach Trient berufene Konzil ablehnen müßten. Die Lage im Reicht hatte sich erheblich geändert. Der Kaiser verlangte von den Protestanten, daß sie sich dem Konzil unterwürfen. Diese aber forderten Verlängerung des Friedens. Um Zeit zu gewinnen, vertagte er dann das Kolloquium auf den folgenden Reichstag in Regensburg. Was sollte aber dieses Gespräch, wenn das Konzil in Trient am 13. 12. 1545 zu tagen begann? Es wurde trotzdem eröffnet in der Hoffnung, die Protestanten zum Weichen zu bringen und sie zu veran-
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lassen, das Konzil zu besuchen. Melanchthon war froh, diesmal nicht dabeisein zu müssen. Den Gesprächsteilnehmern war auf ihren "Wunsch ein von Melandithon verfaßtes Bedenken mitgeteilt worden, das die bisherige Position der Wittenberger noch einmal klar festlegte. Während der Regensburger Verhandlungen starb Luther. Sein Tod löste auf evangelischer Seite tiefe Trauer aus. Melanchthon hatte ihn in den letzten Monaten milder gefunden und hatte mit ihm ganz unbefangen umgehen können. Seinen Freunden erzählte er, daß sie im Dezember 1545 ein eingehendes Gespräch über die Abendmahlsfrage gehabt hatten. Der Bericht ist häufig bezweifelt worden, erscheint aber durchaus glaubwürdig. Luther soll ihm dabei gesagt haben: „Ich muß bekennen, der Sache vom Abendmahl ist viel zu viel getan." Eine die bisherige Auffassung abmildernde Erklärung wollte er nicht herausgeben, um die ganze Lehre nicht verdächtig zu madien. Die Sache sollte Gott befohlen sein. Als Luther mit Jonas am 23. 1. 1546 in seine Geburtsstadt Eisleben fuhr, um die Grafen von Mansfeld miteinander zu versöhnen, blieb Melandithon in Wittenberg zurück. Sie haben sich nicht wiedergesehen. In seinen Briefen an Luther bringt der praeceptor noch einmal seine Verehrung und Dankbarkeit zum Ausdruck. Er nennt Luther den Wiederbringer der reinen Lehre und seinen teuersten Vater. Seinen letzten Brief hatte Luther nicht mehr erhalten; er war am 18. 2. gestorben. Diese Nachricht hatte Melandithon schwer getroffen. Nun stand er völlig allein. Die ganze Kirche war des von Gott erweckten Anführers und Lehrers beraubt. Den Studenten in seiner Vorlesung teilte er unter tiefer Bewegung diese Nachricht mit den Worten mit: „Dahingegangen ist Dr. Martin Luther, der in diesen letzten Zeiten der Welt der Leiter der Kirche war." Als am 22. 2. der Trauerzug aus Eisleben in Wittenberg anlangte, hielt Bugenhagen in der Schloßkirche die Predigt, während Melanchthon die lateinische Gedenkrede hielt. Ohne Bedenken stellt er Luther neben Paulus und Augustin und preist ihn als den Helden des Glaubens, der
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mutig jeder Gefahr standgehalten hat. In der Kette der Kirchenlehrer ein bedeutendes Glied, hat er das Wort auf den Leuchter gesetzt, den Gottesdienst gereinigt, die Kirche mit Kelle und Schwert gebaut. In seinem Kampf hat er Glauben gehalten und das gute Gewissen bewahrt. Seine Tat würde daher zu allen Zeiten unvergessen bleiben und seine Frömmigkeit beispielhaft wirken. Um die verlassenen Kinder, die des trefflichsten Vaters beraubt seien, könnte ihm Angst sein. Mit zitternder Stimme hatte Melanchthon diese Rede gehalten, die in ein Dankgebet ausklang. Als der Kurfürst sich aus diesem Anlaß an die Universität wandte und sie aufforderte, Luthers Erbe treu zu hüten, mußte Melanchthon wie immer die Antwort entwerfen. Er tat es in ähnlich starken, seine Überzeugung wiedergebenden Worten. 15. Krieg, Interim und Religionsfriede Der Reichstag von Regensburg 1546 ließ die Pläne des Kaisers offenbar werden. Um dem Reiche Ruhe zu verschaffen, wollte Karl V . den Kurfürsten Johann Friedrich und Philippe von Hessen als „ungehorsame, untreue und widerspenstige Zerstörer des gemeinen Friedens" zur Unterwerfung zwingen. Dann sollten die Protestanten sich dem Konzil beugen. An die Nachbarstaaten richtete er die Aufforderung, mit ihm gemeinsam die Ketzer zu bekämpfen. Melanchthon, der noch immer auf den Kaiser gehofft hatte, gingen endlich die Augen auf. Im Stand der Gestirne meinte er auch schon den Sieg des Kaisers erkennen zu können. Aber zugleich sah er, daß dieser Sieg für alle von schweren Folgen begleitet sein würde. Daher ermahnte er seine Freunde, das Unglück mutig zu tragen, und verfaßte schon im Juli 1546 die Schrift „Ursachen, warum die Kirchen Augsburgischer Konfession ihre Lehre festhalten und die zu Trient versammelten Richter nidit anerkennen können". In dieser Schrift wollte er verständlich machen, aus welchen Motiven die Reformation entstand, um dann das Verhalten der Protestanten in der Gegenwart zu recht-
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fertigen. „Wir haben keine Lust an Entzweiung und kennen unsere Gefahren wohl, aber wir können nicht zugeben, daß man das Licht des Evangeliums wieder auslösche und die der Kirche heilsame Lehre unterdrücke." Um das Volk zu bestärken, gab er auch Luthers Schrift von 1530 „Warnung an seine lieben Deutschen" mit einer aktuellen Vorrede neu heraus. Ihm lag es daran, dem Einzelnen zu sagen, was seine Pflicht in dieser Zeit sei. Er sollte sich nicht durch falsche Vorstellungen zur Untätigkeit verleiten lassen. Gegenwehr sei N o t w e h r und als solche im Falle der Unterdrückung des wahren Glaubens ebenso geboten, wie wenn ein Mörder ins Haus fiele. Es mußte weit kommen, ehe Melanchthon, der Mann des Nachgebens und des Friedens, einen solchen Aufruf hinausgehen ließ. Als der Krieg ausbrach und die Verbündeten trotz einiger Erfolge viel Zeit verstreichen ließen, war Melanchthon darüber sehr bekümmert. Erst recht war er bestürzt, als Herzog Moritz von Sachsen sich bereit fand, ein Bündnis mit dem Kaiser zu schließen und die Reichsacht an seinem Vetter zu vollstrecken. Im November 1546 wurde Wittenberg von spanischen Truppen besetzt. Melanchthon blieb bis zuletzt in der Stadt, dann zog er mit den Seinen und mit Luthers Witwe nach Zerbst. Freunde halfen ihm, daß er nicht zu darben brauchte. Vorläufig wußte er noch nicht, wohin er sich wenden sollte. Sollte er im Lande bleiben oder nach Tübingen gehen, wo ihm der Herzog schon früher eine Wirkungsstätte angeboten hatte? Zu allem Elend und Jammer traf Melanchthon auch häuslicher Kummer. Seine Tochter Anna, die mit Sabinus verheiratet war, war in Königsberg gestorben. In dieser Lage verfaßte Melanchthon eine kleine Trostschrift (Loci consolationis). Der Christ soll sich unter Gottes H a n d beugen. Unglück ist niemals ein Zufall, sondern Gottes Wille. Wird der Mensch vom Unglück betroffen, so will Gott ihn nicht vernichten, sondern zur Buße und zum Glauben rufen. Daher nimmt der Glaube seine Zuflucht zu Gott und spricht mit Hiob: „Selbst wenn er mich tötet, werde ich doch auf ihn hoffen."
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Für Melanchthon hat auch der Gedanke etwas Tröstliches, daß die Kirche Gottes immer bleiben wird. Wenige Monate später war die Entscheidung gefallen. Der Kurfürst Johann Friedrich war auf der Lochauer Heide vom Kaiser geschlagen und gefangengenommen worden. In der Wittenberger Kapitulation war festgelegt, daß er Gefangener des Kaisers blieb, seine Kurwürde an Herzog Moritz verlor und ebenso seine Länder mit Ausnahme einiger thüringischer Ämter. Als der Kaiser in Wittenberg eingezogen war, hielt sich Melanchthon in Zerbst nicht für sicher und zog weiter nach Braunschweig und dann nach Nordhausen. Noch immer hoffte er, nach Wittenberg zurückkehren zu können. Der neue Kurfürst wollte die Universität wiederherstellen. Auf den Landtag, den er in Leipzig hielt, berief er auch Melanchthon und die anderen Wittenberger Professoren und erklärte ihnen, daß er am Religionsstande nichts ändern werde. Obwohl der Wiederaufbau der Universität Melanchthon viel Sorge bereitete, lehnte er doch auswärtige Berufungen ab. Der gefangene alte Kurfürst riet seinen Söhnen, die Universität Wittenberg nach Jena zu verlegen. Sie riefen auch Melanchthon dahin. Aber dieser zog die Verhandlungen hin, da er Wittenberg, die Pflanzenstätte der Reformation, nicht aufgeben wollte. In Weimar sprach man von Undank und Untreue und tadelte ihn, daß er sich auf die Seite des verhaßten „Judas von Meißen" gestellt hatte. Melanchthon hielt sich aber für verpflichtet, der Kirche des sächsischen Landes weiter zu dienen. Der Regierungswechsel änderte nichts daran. Er bat, Verständnis für ihn zu haben, daß er in Wittenberg blieb. Während er dort seine alte Stellung einnahm, schlössen sich die sächsischen Herzöge aus Widerspruch gegen ihn der strengen lutherischen Richtung an. Die Schule in Jena wurde mit extremen Schülern Luthers besetzt. Indessen gedachte der Kaiser, der mit der Konzilspolitik des Papstes nicht einverstanden war, die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland selbst vorzunehmen. Ungeachtet des Konzils, das von Trient nach Bologna verlegt war, hielt er im September 1547 einen
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VI.
Einigungsbestrebungen
Reichstag zu Augsburg, der sich mit der Frage der Religion vornehmlich befassen sollte. Als Kurfürst Moritz in dieser Lage ein Gutachten von den Wittenbergern über die Herstellung des kirchlichen Friedens forderte, mahnte ihn Melanchthon, nichts zu übereilen und nicht die tridentinischen Dekrete anzunehmen, die so viel Unwahres enthielten. Während der Ständeausschuß im unklaren war, wie man verfahren sollte, ließ der Kaiser insgeheim ein Buch ausarbeiten, an dem neben den Bischöfen Pflug und Heiding auch Johann Agricola mitwirkte. Darin war die Rechtfertigungslehre in katholisierender Weise vorgetragen, die Messe als Gedenkopfer gedeutet, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe dem Konzil zur Entscheidung übergeben. In Fragen der Papstgewalt, der Wandlungslehre und der kirchlichen Bräuche wurden den Protestanten keine Zugeständnisse gemacht. Als der Kaiser dieses Buch den Ständen mitteilte, mußte er allerdings erfahren, daß gerade Kurfürst Moritz ihm Widerstand leistete. Der Kaiser beschwerte sich über Melanchthon, er hätte schon Johann Friedrich in seinem Ungehorsam gegen den Kaiser bestärkt und ginge auch jetzt damit um, die Verhandlungen zu stören. Bei der gegen ihn herrschenden Erbitterung brauchte Melanchthon nicht nach Augsburg zu kommen. Von allen Seiten bedrängt, war er trotz seiner Milde jetzt der bestgehaßte Mann. Es schien, daß der Kaiser sich über jeden Widerstand hinwegsetzen und in Glaubensfragen diktieren würde. Melanchthon prüfte genau das „Interim", das ihm eine gewisse Verwandtschaft mit dem Regensburger Buch verriet. So wenig er sein Gewissen belasten wollte, mußte er sich doch auf Befehl des Kurfürsten mit dem Buch beschäftigen. Er schrieb ein erstes Bedenken über die Grundsätze des Buches, ein weiteres, das Rechtfertigung und Messe betraf, und wies nach, daß hier die Rechtfertigung doch dem eigenen Verdienst des Menschen zugeschrieben und auf die Liebe statt auf den Glauben zurückgeführt wurde.
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Ebensowenig konnte er den Opfercharakter der Messe annehmen. Ehe sie nach Augsburg abreisten, besprach er seine Bedenken mit anderen Theologen. „Die Augsburger Formel", so schrieb er, „ist ein geflickt Ding, sie mengt Gutes und Böses durcheinander und spielt mit Sophisterei." Das war ein klares Wort. Kurfürst Moritz konnte daraus entnehmen, daß man in Sachsen mit dem Interim nichts im Sinn hatte. In Melanchthons Privatbriefen aber lesen wir, wie ihn das Interim beschwerte. Ihm war es klar, daß darin die Wahrheit verfälscht, der alte Aberglaube gefördert und schließlich neue Zwietracht heraufbeschworen wurde. Der Kurfürst war mit seinen Gutachten unzufrieden, da sie in seine Politik nicht hineinpaßten. Deshalb ließ er seinen Berater Christoph von Carlowitz auf Melanchthon einwirken, um ihn für das Interim zu gewinnen. Was Carlowitz ihm geschrieben und wie er ihn bedroht hat, wissen wir nicht. Bekannt ist nur Melandithons Antwortschreiben, das dieser in tiefster Depression an den sächsischen Staatsmann geschrieben haben muß. Melanchthon beteuert darin, nicht aufrührerisch zu sein und alles ertragen zu wollen, was auch der Kurfürst verordnen würde. Unter Luther hätte er in einer Abhängigkeit gestanden, die ihm schwer gewesen sei. E r hätte den Streit nicht erregt, er sei hineingezogen worden und hätte durch seine Mäßigung bei denen Unzufriedenheit und H a ß hervorgerufen, die sich jetzt als Friedensstifter bezeichneten (Agricola). Vieles räume er ein, um das andere leidenschaftlich streiten. E r sei bereit, die bischöfliche Verfassung und das päpstliche Ansehen anzuerkennen, wie es im Interim zum Ausdruck käme. Audi die alten Bräuche wollte er annehmen. Aber in Lehrfragen seien seine Bedenken berechtigt, die Wahrheit müsse selbst dem Leben vorgezogen werden. Als Carlowitz von diesem Brief Gebrauch machte, triumphierten die Gegner und nannten Melanchthon schon einen Abtrünnigen. In der eigenen Mitte wurde Melanchthon aufs heftigste angegriffen und getadelt; im Zusammenhang damit erlebte er viel Kummer. Er war kein Diplomat und verstand auch nicht, die gemeinsame Sache zu leiten. E r ver-
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traute allen und war erstaunt, wenn andere sein Vertrauen mißbrauchten. So ist auch Melanchthons Brief an Carlowitz nur von den Drohungen her zu verstehen, mit denen ihn dieser für seine Ziele zu gewinnen wußte. Während das Augsburger Interim noch im Sinne der Dekrete von Trient verschärft wurde, ließen die Wittenberger freilich nicht nach, in weiteren von Melanchthon verfaßten Bedenken dagegen anzugehen. Sie wiesen darauf hin, daß das Glaubensverständnis darin unzureichend gefaßt, die reine Lehre verdunkelt und vieles falsch gelehrt wurde. Das Übergewicht der katholischen Partei war aber so groß, daß das Interim vom Kaiser unverändert verkündet und zum Reichsgesetz erhoben wurde. In seinen 26 Kapiteln wurde den Protestanten vorgeschrieben, die römische Auffassung von Kirche und Tradition, von Verdienst und Werk, von den sieben Sakramenten und der Heiligenverehrung anzunehmen. Den verheirateten Geistlichen sollte die Ehe bis zum Konzil gestattet sein. Was die Reformation gebracht hatte, schien mit einem Mal vernichtet zu sein. Während das Interim in Süddeutschland mit Gewalt durchgeführt wurde, konnte es sich in Norddeutschland nicht durchsetzen. Als Moritz von Sachsen es in seinem Lande einführen wollte, berief er zuerst Melanchthon nach Leipzig und erbat sich von ihm ein Gutachten. Dieses wurde auch durch den Druck verbreitet und ist der erste öffentliche Protest gegen das kaiserliche Zwangsmandat. Wenn die Kirche im sächsischen Lande das Interim annähme, so schloß Melanchthon, brächte sie damit zum Ausdruck, daß sie vorher falsch gelehrt hätte. Das würde viele Menschen in schwere Anfechtung bringen und wäre auch eine Gotteslästerung. „Wiewohl nun Krieg und Zerstörung gedräuet werden, so sollen wir dennoch Gottes Gebot höher achten, nämlich, daß wir die erkannte Wahrheit des Evangelii nicht verleugnen sollen." Gottes Gebot nötigt zum Bekenntnis. Oder sollten sie unrechte Lehre und Abgötterei wieder einführen? Sollten sie zerstören, was durch Gottes Gnade in ihrem Lande aufgebaut worden war? Sollte der
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reine Gottesdienst vernichtet werden? Die Wittenberger Theologen stellten sich hinter Melanchthon und erklärten, daß sie die rechte Lehre weder ändern wollten noch könnten. Keine Kreatur habe Macht, göttliche Wahrheit zu ändern. Auch soll niemand dazu geführt werden, erkannte Wahrheit zu verleugnen. Kurfürst Moritz war in einer schweren Lage. Einerseits dem Kaiser verpflichtet, andererseits durch die H a l t u n g seines Volkes bedrängt, wagte er noch nicht, dem Kaiser offen entgegenzutreten. Er bemühte sich, auf dem Landtag in Meißen einen Mittelweg zu finden. Melanchthon war beruhigt, als er sah, daß die'Landstände alles Unrechte aus dem Interim streichen wollten. Die Arbeit war in wenigen Tagen getan und von Melanchthon zusammengefaßt worden. Obwohl diese Stellungnahme zum Interim vielen noch nicht scharf genug war, lehnte der K u r f ü r s t sie ab. Die Stände sollten sich zum weiteren Nachgeben entschließen. Schon wieder sah Melanchthon alles grau in grau und meinte, es würde ihnen ebenso ergehen wie den Schwaben, die „die kaiserliche Sphinx" nicht annahmen. Die Besprechungen auf dem Landtag in Torgau führten indessen nicht weiter. Melanchthon mahnte zwar, man sollte lieber weichen und leiden als trotzig erscheinen. Als sein Gutachten aber ohne sein Zutun im Druck erschien, waren die Kaiserlichen erneut aufgebracht und verlangten seine Ausweisung aus Sachsen. Damals hätte er ebenso wie Martin Bucer nach England gehen können, wohin ihn der Erzbischof Cranmer einlud. Aber K u r f ü r s t Moritz war mit seiner Erklärung jetzt zufrieden und nahm ihn in Schutz. Der Handel mit dem Interim war damit in Sachsen noch nicht zu Ende. Im November 1548 mußten in Leipzig neue Verhandlungen geführt werden. Besonders erregte es die Theologen, daß nicht nur Marienfeste, sondern sogar das Fronleichnamsfest begangen werden sollten. Mit innerem Widerstreben stimmten sie diesen Beschlüssen zu. Sie w u ß ten, daß sie sich mit dem Leipziger Interim „ziemlich beladen" hatten und baten, daß diese Beschlüsse nur allmählich durchgeführt werden sollten. Wenn sie auch „aus
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VI. Einigungsbestrebungen
Gehorsam gegen kaiserliche Majestät und Liebe zum Frieden" diese Beschlüsse annahmen, so wollten sie die bischöfliche Jurisdiktion doch keinesfalls anerkennen. Die Verhandlungen über das Interim hatten gezeigt, wie bedenklich sich das landesherrliche Kirchenregiment auswirken konnte. Die Konzessionen, zu denen sich Melanchthon bereiterklärt hatte, betrafen zwar nur Äußerlichkeiten, aber auch diese konnten schwere Folgen haben. Später gestand es Melanchthon, daß er nicht weiter widerstanden hätte, um Aufruhr zu vermeiden. Er würde auch nichts mit seinem Widerstand ausgerichtet haben. Die gute Absicht, zu retten, was noch zu retten War, meinte er, entschuldigte ihn. In späteren Schriften sprach er es aber deutlich aus, daß der Landesherr mit dem Interim zu weit gegangen sei und in Dinge eingegriffen hätte, die ihm nicht zustanden. Es war Melanchthon zu danken, daß in Wittenberg durch das Interim keine Änderungen in der Lehre eingetreten waren. Der Kurfürst selbst nahm keinen Anstoß daran, daß im Wittenberger Gottesdienst der weiße Chorrock fehlte. Melanchthon hatte es vorausgesehen, daß die Änderungen, die das Gesetz vorschrieb, bald doch wieder verschwinden würden. Papst Julius III. hatte das Konzil in Trient am 1. 5. 1551 wieder eröffnet; schon vorher hatte der Kaiser von den Protestanten die Beschickung des Konzils gefordert. In Dresden wurde beraten, welche Haltung einzunehmen sei. Melanchthon meinte, daß es doch besser sei, zum Konzil zu gehen, nur müßte man sich zuvor sichern, daß man nicht in eine falsche Lage geriete. Darüber war man einig, daß man auf der Lehre der CA und des Katechismus bestehen wollte. Im Grunde erwartete Melanchthon nichts vom Konzil. Er wünschte aber umsonst, daß der Kurfürst einen anderen statt seiner hinschickte. Ihm fiel die Aufgabe zu, für das Konzil eine Erklärung der CA zu schreiben, die die Gesandten dort zwar nicht im Namen der Fürsten, aber nur der Theologen vorlegen sollten. Mit Camerarius ging Melanchthon nach Dessau, um ungestört an dieser Schrift arbeiten zu können. So entstand
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1551 „die Repetition der Augsburgisdien Konfession", die später im Druck Confessio saxonica genannt wurde. Ausgehend von der Gegenwartslage bespricht Melanchthon darin den Gang der Reformation und ihre Fortschritte, um dann die römischen Mißbräuche in aller Deutlichkeit aufzuzählen. Wie es von jeher seine Meinung war, betonte er, daß die Kirche der Reformation mit der alten Kirche in der Lehre übereinstimme. Nachdem er die Grundlagen der evangelischen Lehre erörtert hatte, faßte er alle Dogmen zusammen in den beiden Sätzen: „Ich glaube an die Vergebung der Sünden" und „Ich glaube an eine heilige christliche Kirche". Jedem römischen Irrtum stellte er die evangelische Auffassung gegenüber, so daß durch Vergleich sofort deutlich werden konnte, welcher Seite der Vorzug gebührte. Es war kein Bekenntnis der evangelischen Lehre allein, sondern zugleich eine Widerlegung der römischen Kirche, ihrer Theologie und ihres Kultus. Melanchthon wollte nichts Neues sagen, auch keine Diskussion hervorrufen, sondern festhalten, was die Reformation von Anfang an gelehrt hatte. Zugleich brachte dieses wiederholte Bekenntnis zum Ausdruck, daß das Interim nun endgültig abgetan sei. Um der „Repetitio" den Bekenntnischarakter zu geben, wurde sie zuerst von sämtlichen Professoren und Superintendenten der sächsischen Kirche, dann von pommerschen und von zahlreichen anderen auswärtigen Theologen unterschrieben, die die Arbeit Melanchthons dadurch bekräftigten. Die Zustimmung, die er fand, war für Melanchthon eine Genugtuung, zumal die von Brenz für den gleichen Zweck verfaßte Confessio Wirtenbergica inhaltlich mit seiner Schrift übereinstimmte. Als die erste Session des Konzils für den Januar 1552 angekündigt wurde, erhielt Melanchthon die Anordnung, sich zur Reise zu rüsten. In Nürnberg sollte er weitere Weisungen erwarten. Die kurfürstlichen Räte waren bereits in Trient, wo man ihnen in einer Kongregation Gehör gewährt hatte. Für Melanchthon wurde ein Geleitbrief ausgestellt. Indessen wurde der Waffenlärm immer lauter, so daß es eine Torheit gewesen wäre, noch nach Trient zu
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reisen. Melanchthon blieb in Nürnberg, arbeitete dort eifrig theologisch und kehrte dann nach Wittenberg zurück, als der rasche Vorstoß Kurfürst Moritzens auf Innsbruck das Konzil auseinandertrieb. Die Folge aber dieses Zugriffes war eine völlige Veränderung der Lage. Bevor der im Passauer Vertrag zugesagte Reichstag über die Religionsfrage beraten sollte, versammelten die evangelischen Fürsten in Naumburg ihre Theologen, um die Vorfragen zu klären. Die Zahl der Beteiligten war gering; so wurde die von Melanchthon entworfene Grundlage nicht näher erörtert. Die päpstliche Lehre oder das Interim anzunehmen, wollten sie sich unbedingt weigern und sich allein auf die C A berufen. „Es kann nicht einträchtig corpus aus den Verfolgern und unseren Kirchen werden; so hat man befunden mit dem Interim, daß dieses Flickwerk unmöglich ist." Im Februar 1555 wurde dann der Augsburger Reichstag von König Ferdinand eröffnet, der nach monatelangen Verhandlungen dem Landesherrn freie Wahl in der Religion ließ. Er war keine Rede mehr davon, daß sie dem Kaiser oder Papst in Glaubensdingen zu folgen hätten. Melanchthon hatte hier nicht mehr mitgewirkt und die große Bedeutung des Religionsfriedens auch nicht ermessen.
VII. Die letzten Kämpfe 16. Streit im eigenen Lager So sehr Melanchthon sich bemüht hat, im gesamtprotestantischen Interesse in den Notjahren nach dem Schmalkaldischen Kriege zu wirken, seine große Arbeit, die er mit der Confessio saxonica und mit zahlreichen Gutachten auf sich genommen hatte, war nicht allgemein anerkannt worden. Der Wittenberger Praeceptor stand nun einmal im Geruch, nachgiebig zu sein und dem Interim nicht genug widerstanden zu haben. Wie er vor Jahren 1533 in Wittenberg dafür gesorgt hatte, daß Prediger und Promovenden auf die Lehre der Kirche verpflichtet wur-
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den, so hatte er nach der Ordnung, wie sie in Wittenberg gebraucht wurde, zunächst für Mecklenburg Artikel aufgestellt, nach denen die Prediger vor der Ordination geprüft wurden. Dieses Examen ist damals von anderen Kirchen weithin übernommen worden und genoß hohe Schätzung. Aber der Kampf um theologische und kirchliche Fragen im Lager des Protestantismus erschwerte ihm das Leben, und er sehnte sich, von den theologischen Streitigkeiten erlöst zu sein. Besonders mußte es ihm wehe tun, daß einige seiner ehemaligen Schüler, von fanatischer Rechthaberei erfüllt, sich gegen ihn wandten und ihn überall zu verunglimpfen suchten. Der Praeceptor war nicht ganz unschuldig. Er hatte ihnen manchen Anlaß gegeben, mit ihm zu hadern. Nicht nur die Verhandlungen über die Adiaphora hatten ihn schwach erscheinen lassen; er hatte sich nicht genug gegen die Einführung unnötiger und schädlicher Bräuche gewehrt, er hatte es auch selbst eingestanden, daß er sich beim Interim nicht richtig verhalten hätte. Während ihm doch alles an der reinen Verkündigung lag, als deren wichtigste Stücke er die Rechtfertigungslehre und das Kirchenverständnis betonte, hatte er in diesem Falle über ihrer Erhaltung nicht genug gewacht. Melanchthon fühlte sich, zumal als die Last der Verantwortung für die ganze Kirche auf ihm ruhte, müde und alt. Er vermochte die Lage nicht mehr richtig einzuschätzen, ihm fehlte auch die Härte und Beständigkeit, um seinen Standpunkt zu verfechten. E r war ein anderer Charakter als Bucer, der sich durch das Interim aus Straßburg vertreiben ließ, oder Brenz, der im selben J a h r von Schwäbisch-Hall ins Elend ging. Hatten ihm Brenz und später auch Calvin in ernster Weise vorgehalten, daß man das Interim nicht so leicht nehmen und auch in den Bräuchen den Casus confessionis erblicken müsse, heftiger, leidenschaftlicher und eindringlicher als sie alle tat es sein früherer Schüler, der Illyrier Matthias Vlacich (Flacius). Als die Verhandlungen um das Interim in Sachsen einsetzten, schüttelte er den Staub Wittenbergs von seinen Füßen und ging nach Magdeburg, von wo aus er eine jahrelange, uner8
Stupperich,
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VII. Die letzten K ä m p f e
freuliche Fehde mit Melanchthon führte, die viel zur Verwirrung der Lage beitrug. Von Magdeburg aus ließ Flacius zahlreiche Flugschriften ausgehen. In einem Jahr waren es über neunzig Schriften. Schon wurde Magdeburg von seinen Anhängern „Gottes und Christi Kanzlei" genannt. In den Schriften des Flacius standen für Melanchthon bittere Dinge. Erst wollte er sie ignorieren, aber dann sah er doch ein, daß er dem „slawischen Flüchtling" antworten müsse. Seine Antwort, so gemäßigt sie war, regte Flacius zu immer heftigeren Angriffen an. Er bezichtigte Melanchthon der Verfälschung der Wahrheit, da er nicht nur in Fragen der kirchlichen Ordnung, sondern auch in Glaubensfragen abgewichen sei. Adiaphora seien Dinge, die zu halten in die Freiheit des einzelnen gestellt sei, würden sie aber zum Gesetz erhoben, so hörten sie auf das Adiaphora zu gelten. Flacius warf den Wittenberger Theologen vor, sie hätten die Ehre Gottes ihrer Menschenfurcht geopfert. Angeregt durch Flacius haben auch die Hamburger Prediger sich in derselben Frage der Mitteldinge an Melanchthon gewandt. Der Superintendent Johann Aepinus fragte, ob es recht sei, „eine gewisse Knechtschaft in den Adiaphora zu dulden und die Kirche nicht zu verlassen, wenn die weltliche Obrigkeit ihr diese Knechtschaft auferlegt". Beschwörend fügte er hinzu: „Auf Euch sind die Augen vieler gerichtet, an Eurem Urteil hängt ein großer Teil der Christenheit. Ihr dürft diejenigen, die so großes Vertrauen zu Euch haben, nicht in Zweifel und Ungewißheit lassen." Melanchthon war von diesem Schreiben betroffen. Er betonte in seiner Antwort, daß sie in Wittenberg weder Lehre noch Gottesdienst geändert hätten. „Da wir größere Dinge zu verteidigen haben, lassen wir den Streit um die Adiaphora." Wie eine Bitte klingt dann weiter der Satz: „Gutgesinnten kommt es zu, uns nicht voreilig zu verurteilen." Er wenigstens wollte nicht, daß sich in Sachsen das Beispiel Schwabens wiederholte. Aber damit nicht genug. Weitere heftige Kämpfe standen Melanchthon noch bevor. Während er zunächst nur
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Unterschiede im Ausdruck sehen wollte, lagen tatsächliche Differenzen doch vor. Andreas Osiander, einer der einflußreichsten Nürnberger Prediger, vertrat Anschauungen, die an die deutsche Mystik erinnerten. In Augsburg 1530 hatte er sich bei Melanchthon beschwert, daß seine Anschauungen nicht in die CA aufgenommen wurden. Nun, da er, durch das Interim aus seiner Heimat vertrieben, nadi Königsberg als erster theol. Professor an die Universität berufen wurde, brach ein schwerer Streit aus, an dem sich die Theologen aus ganz Deutschland beteiligten. Hier vertrat er nämlich wieder seine eigentümlichen Lehren von der wesenhaften Gerechtigkeit Christi und ihrem Einwohnen im Menschen. Rechtfertigung verstand er im Sinne des Gerechtmachens, nicht des Gerechtsprechens. In seinen Spekulationen über Christus ging er so weit, daß das Menschliche an ihm übersehen wurde und das Werk, das er als Mensch vollbrachte, seine Bedeutung einbüßte. Die geschichtliche Tat des Erlösers rückte für ihn wie für jeden Mystiker in den Hintergrund und die Berührung mit seinem göttlichen Wesen verlieh allein die Gerechtigkeit. Unmittelbar getroffen wurde Melanchthon, als Andreas Osiander in der Rechtfertigungslehre sidi gegen ihn wandte. Wie Melanchthon seinem Freunde Camerarius bekennt, ging ihm dieser Streit weit mehr zu Herzen als der über die Chorröcke. Daß der Streit solche Ausmaße annahm, lag nicht allein an Osiander, sondern gleichzeitig an der heftigen Weise, in der die Schüler Melanchthons auf diese Lehre reagierten. Die echt lutherischen Motive bei Osiander wurden verkannt und seine teilweise mystischen Anschauungen nicht verstanden. Osiander war so sehr von seiner Übereinstimmung mit Luther überzeugt, auf die auch Johann Brenz später hinwies, daß er sich in schärfsten Ausdrücken über die gegenteiligen Anschauungen Melandithons und seiner Schüler äußerte. Melanchthon hatte erkannt, daß sachliche Differenzen zwischen ihnen bestanden und schlug daher eine persönliche Besprechung vor. Da es aber nicht dazu kam und der Streit
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VII. Die letzten K ä m p f e
seinen Fortgang nahm, schrieb Melanchthon seine „Antwort auf das Buch Herrn Andreae Osiandri", in der er seinen Standpunkt noch einmal auseinandersetzte. Der Grund unserer Erlösung, meint er, ist der ganze Christus, und im Glauben an ihn erhält der Mensch Vergebung, nicht allein wegen seiner Erneuerung. Zuerst müsse der Glaube an die Vergebung da sein, dann erst könne Christus in uns wohnen und wirken. Die Niederschrift des zwischen Luther und Melanchthon 1536 geführten Gesprächs über die Rechtfertigung erkannte Osiander nicht an. Dieser Kampf ging Melanchthon zu Herzen, zumal Osiander eine Streitschrift nach der anderen gegen ihn erscheinen ließ und behauptete, daß entweder seine Schüler ihn nicht verständen oder daß er selbst von Luthers Lehre abgefallen sei. Nach seiner Auffassung verstand Melanchthon den Sinn der Rechtfertigung nicht. Herzog Albrecht, der den Streit beilegen wollte und ein Gespräch in Frankfurt vorgeschlagen hatte, konnte nichts erreichen; er übersandte Osianders Schriften an alle evangelischen Stände, beklagte sich über Melanchthon und ersuchte um ein Urteil. Melanchthon hatte die Auffassung Osianders offenbar nicht deutlich genug erfaßt; ihr mystischer Charakter war ihm nicht zugänglich und er brachte sie daher in die Nähe der katholischen Lehre. Der Schwabe Joh. Brenz hatte ein besseres Verständnis und protestierte gegen Melanchthons Kritik. Während es Melanchthon auf das Kreuz als die Grundlage der erworbenen Gerechtigkeit ankam, hat Osiander die Einwohnung Christi, die wesenhafte Gerechtigkeit Christi gelehrt und die imputierte Gerechtigkeit als Schein abgelehnt. D a war soviel Unklares, das Melanchthon ablehneen mußte. Schon das Einwohnen Gottes, von dem er so viel redete, verdunkelte nach seiner Meinung das Werk und Verdienst Christi. Dieses Einwohnen Gottes, das bei Osiander Ursache der Rechtfertigung ist, kann nach Melanchthon höchstens als Folge der Rechtfertigung bezeichnet werden. Durch Melanchthons Bedenken, das im Grunde maßvoll ausfiel, wurde Osiander
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besonders aufgebracht. Er richtete wieder grobe Invektiven gegen ihn. Herzog Albrecht wollte die Lage durch Brenz klären, da dieser Osiander am nächsten stand. Seine Ausgleichsversuche befriedigten jedoch kaum. In diesem Zeitpunkt des Streites starb Osiander. Die Fürsten wünschten, auf einem Konvent möchte der ganze Handel aus der Welt geschafft werden. Es war kein Luther mehr da, der mit innerer Autorität solche Spannungen beilegte. Herzog Albrecht sah in Osiander einen guten und ehrlichen M a n n und versuchte, ihm noch nach seinem Tode zur Ehrenrettung zu verhelfen. Melanchthon sollte die Sache führen. Die Frage hatte ihre Wichtigkeit, da Osiander nicht nur in Preußen, sondern auch in Pommern und in Nürnberg Anhänger besaß. Melanchthon und der Greifswalder Runge mußten sogar nach Nürnberg fahren. Die Folge war, daß Osianders Lehren aus der Kirche verbannt wurden. Wenn sie auch einiges enthielten, was Luthers Lehre ihre Tiefe gab, so waren sie unmöglich durch ihre Übertreibungen und Schärfen. Melanchthon handelte hier nicht in eigener Sache, er führte die Sache des Protestantismus. Im Auftrage der Fürsten schrieb er auf dem Naumburger Konvent 1554 ein Urteil, in dem er zum Ausdruck brachte, daß manches bei Osiander dunkel, manches auch unrecht sei. H ä t t e dieser länger gelebt, würde er wohl selbst die anstößigen Stellen verbessert haben. Aber der Kampf mit den Anhängern Osianders ging in Preußen noch weiter, so daß Herzog Albrecht Melanchthon und Brenz noch 1556 bitten mußte, f ü r den Frieden in der preußischen Kirche zu sorgen. Endlich entsagten die Osiandristen und nahmen die Wittenberger Lehre an. Allmählich war auch Melanchthon in der Beurteilung dieser Richtung milder geworden und gab zu, daß aus Osianders Sätzen anfangs zu viel in bezug auf die Lehre vom Mittleramt Christi und auf die Rechtfertigung gefolgert worden sei. Der Fanatismus, wie ihn Flacius in seinem Kampf gegen Melanchthon entfachte, trat indes immer heftiger hervor. Unter diesen Umständen mußte der Praeceptor sich immer
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VII. Die letzten Kämpfe
weiterer Angriffe erwehren. Neue Anklagen wurden gegen seine Lehre erhoben. Seine Rechtfertigungslehre sollte unrichtig sein, er habe die Zentrallehre des Protestantismus verfälscht. Melanchthon hatte schon früher auf die Betätigung des Glaubens Wert gelegt und bisweilen die Wendung gebraucht, daß vom Glauben nur die Rede sein könnte, wenn er gute Werke hervorbrächte. Schon in den dreißiger Jahren hatte er Einwendungen in dieser Beziehung erfahren. Aber als sein Schüler Georg Major diese These noch weiter zuspitzte und behauptete, daß niemand ohne wahre Buße selig werden könnte, brach der Sturm des Widerspruchs nicht allein gegen Major in Mansfeld, sondern gegen seinen Lehrer Melanchthon los. Flacius und Amsdorf erhoben den Vorwurf, Melanchthon wollte durch diese Auffassung von der Rechtfertigung die römische Lehre annehmen helfen. Sie verdeckten dadurch die Position der Wittenberger und schoben ihnen in die Schuhe, die Werke sollten Ursache der Seligkeit sein. Ganz Norddeutschland stand gegen Major auf, der seiner Superintendentur verlustig ging und nach Wittenberg kam. Indessen richteten die Flacianer ihre Waffen gegen Melanchthon selbst. Sie ließen nicht nach, ihm Vorwürfe zu machen, er schwäche die lutherische Auffassung ab, mische die Praedestination in die Rechtfertigung, verteidige die „stoische Notwendigkeit" und dgl., so daß Melanchthon doch endlich mit scharfen Worten ihren Anwurf abwies. Flacius schlug zwar Melanchthon eine Versöhnung vor. In Koswig, einer zwischen Wittenberg und Magdeburg liegenden Stadt sollte eine Zusammenkunft zwischen ihnen stattfinden. Was er aber vorhatte, war nicht aufrichtig gesagt. Er wollte den Praeceptor demütigen, vor seinem Richterstuhl zu erscheinen, um falsche Lehren abzuschwören. Als Melanchthon von den Artikeln hörte, die er vor Flacius bekennen sollte, lehnte er ab, zu diesem Kolloquium zu erscheinen. Da verlangte dann Flacius von ihm öffentlichen Widerruf.
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Die Wittenberger Hochschule war über die Flacianer erbittert. Es erschienen Spottgedichte, darunter eines über „Die Synode der Vögel", die nach dem Tode des Schwans einen neuen König wählen wollten. Die einen waren für die Nachtigall (philomela), die anderen für den Kuckuck, die Amsel oder den Hahn. Als größter Schreier wäre beinahe der Kuckuck König geworden und verfolgte nun die Nachtigall mit ihren Anhängern. Flacius beschwerte sich in Koswig über diese Wittenberger Spottgedichte. Zum Frieden kam es nicht. Melanchthon erklärte, er unterwerfe sich immer dem Urteil der Kirche, aber nicht dem eines einzelnen. Nun handelte es sich nicht mehr um ein Lehrstück, sondern um das Ganze. Es sollte, so meinten die Abgesandten, die aus Koswig zu ihm kamen, ein Consensus in der Lehre aufgerichtet werden. In höchster Erregung lehnte aber Melanchthon den einseitigen Vorschlag, den diese mitbrachten, ab. Um des Friedens willen äußerte er sich zu den ihm vorgelegten Artikeln doch. Da das Zeitalter zur Sophistik neigte, wollte er doch lieber sagen, was er meinte, statt falsche Deutungen aufkommen zu lassen. Auch von anderer Seite wurden Versuche unternommen, die Spaltung in der Kirche zu vereiteln. Melanchthon gingen diese Angriffe sehr nahe. Er sah, ein Abgrund trennte ihn von Flacius, der nun Professor in Jena wurde. Während sie untereinander stritten, versäumten sie, nach dem Augsburger Religionsfrieden ihren Vorteil zu wahren. 17. Konvent und Synode Nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 sollte noch ein Theologenkonvent stattfinden, um die rechtlichen Fragen wieder aufzunehmen und den Friedensstand im Reich zu befestigen. Ein weiterer Reichstag führte zu nichts und auf den 24. 8. 1557 wurde die Theologenversammlung nach Worms einberufen. Es sollte der letzte Versuch sein, Katholiken und Protestanten sidi aussöhnen zu lassen. Viel Hoffnung auf Erfolg hatte niemand, am allerwenigsten Melanchthon. Aber aus Achtung vor dem neuzuwählenden
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VII. Die letzten K ä m p f e
Kaiser ließen die Stände das Religionsgespräch zu. Die größten Schwierigkeiten bereitete die Uneinigkeit der Protestanten. Die evangelischen Fürsten beriefen im Juni eine Fürstenversammlung nach Frankfurt, an der auch viele Theologen teilnahmen. Hier wurde ein Bedenken im Sinne Melanchthons aufgesetzt. Audi die Schweizer blickten nach Worms. Calvin wünschte, Melanchthon sollte dort ein besonderes Gespräch mit ihm zustande bringen. Inzwischen hielt Kurfürst August von Sachsen Melanchthon zurück, da sein Schwager, der König von Dänemark, ihn gebeten hatte, Melanchthon bei seinem Besuch mitzubringen. Wieder wurde Melanchthon an das Horoskop Haßfurts erinnert. Der Kurfürst schickte ihn nach einigem Zögern doch nach Worms, wo seine Gegenwart wichtiger war als auf einer kleinen dänischen Synode. Die maßgebenden Theologen von beiden Seiten hatten sich dort eingefunden. Aus dem Hintergrund feuerte Flacius diejenigen an, die zu ihm gehörten. Als Melanchthon dort ankam, hielten die meisten zu ihm. Die Jenenser erreichten nichts. Dieses Zerwürfnis wurde von katholischer Seite eifrig beobachtet. Die Jenenser wollten sich nicht beteiligen, ehe nicht Zwinglianer, Osiander, Major und die Adiaphoristen verdammt wären. Dort hielt dann Melanchthon eine große Rede, da er den Angriff auf sich gerichtet sah. Er gab eine Erklärung zu seinen Auffassungen und betonte, daß er es für eine Kinderei halte, über diese Punkte noch zu streiten. Nachdem scharfe Worte gefallen waren, trennte man sich. Die Flacianer wurden Friedensstörer genannt. Das Gespräch wurde mit der Begründung aufgehoben, daß die Protestanten uneins seien. Melanchthon war schon mit schwerem Herzen nach Worms gereist. Das Auftreten der Flacianer bekümmerte ihn sehr. Vor allem hatte ihr Verlangen, Verdammungsurteile zu fällen, ihn tief verletzt. Nicht weniger als durch diese Streitigkeiten wurde Melanchthon durch den neu ausgebrochenen Abendmahlsstreit berührt. Dieser wurde zwischen Hamburg und Genf ausgetragen. Leidenschaftlich wandte sich Joachim Westphal gegen Calvin, der seinerseits Melanchthon dringend
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aufforderte, in diesem Streit das Wort zu ergreifen. Wenn der Magister schwiege, meinte er, würde er den Gegnern nur weiteren Auftrieb geben. Calvin drang in ihn, öffentlich sich über die Abendmahlslehre zu erklären und alle Mißverständnisse zu zerstreuen. Offenbar hatte Calvin es nicht gemerkt, daß Melanchthon trotz seiner freundlichen Gesinnung zu ihm seine Theologie doch nicht teilte. Am allerwenigsten hielt aber Melanchthon von gehässigen Streitschriften. Nun wollten die Flacianer ihn als geheimen Calvinisten brandmarken. Der Streit spielte sich in Bremen ab, wo die holländischen Prediger Tieman und Hardenberg gegeneinander standen, bis Hardenberg das Feld räumen mußte. Gern hätte der Pfalzgraf Ottheinrich Melanchthon für Heidelberg gewonnen. Die Gelegenheit, dem Streit in Sachsen zu entgehen, war für ihn verlockend. Und doch lehnte er den Ruf jetzt ab, wie er kurz vorher es abgelehnt hatte, nach Straßburg überzusiedeln. Er verzichtete, in seine Heimat zurückzukehren. Er folgte zwar von Worms aus einer ehrenden Einladung der Universität Heidelberg. Audi sein Bruder Georg, der Schultheiß von Bretten, war dorthin gekommen, ihn zu besuchen. D a erhielt Melanchthon die Nachricht vom Tode seiner Frau. Camerarius brachte ihm diese Nachricht und berichtet, daß Melanchthon nur leise sagte, den Blick zum Himmel gewandt: „Leb wohl, bald folge ich Dir nach." Die Lage ließ es nicht zu, daß er nach Wittenberg eilte, er mußte zurück nach Worms. Die Vertreter der süddeutschen Kirchen erwarteten von ihm, daß er ein einigendes Bekenntnis für sie aufsetzte, aber Melanchthon lehnte es ab. Die letzte Hoffnung war eine allgemeine Synode, über die zu verhandeln noch zu früh schien. Der Mißverständnisse gab es noch viele. Melanchthon selbst hatte mit den Erklärungen, die er in Worms abgegeben hatte, das freundliche Verhältnis zu den Schweizern wieder in Frage gestellt. Er war auch hier an einem Federkrieg nicht interessiert. Das Wormser Religionsgespräch hatte die Spaltung der evangelischen Richtung allen vor Augen geführt. Unter
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diesen Umständen waren auch die evangelischen Stände an einer Synode interessiert. Daß Melanchthon die Vorschläge dafür zu madien hatte, stand fest. Sein Vorschlag ging dahin, daß zuerst die Fürsten sidi verständigen sollten, worauf sie verbleiben wollten. Anläßlich der Kaiserwahl Ferdinands unterschrieben die Fürsten den Frankfurter Rezeß, indem sie sich in Melanchthonischer Lehre in den Fragen Osianders, der guten Werke, des Abendmahls und der Adiaphora vereinigten. Daß die Flacianer dagegen Stellung nehmen würden, war vorauszusehen. Melanchthon war der Ansicht, mit ihnen sei eine Einigung nicht mehr möglich. Als von ihrer Seite die Weimarer Konfutation herausgegeben wurde, schrieb Melanchthon ein deutliches Gutachten, doch sollte es nicht gedruckt werden, damit der Streit nicht weiterginge. Freilich entsprach die friedliche und maßvolle Art Melanchthons nicht mehr dem Geist der Zeit. Das Streiten und Sidiverdammen war zu tief eingerissen, als daß es wieder aufgehoben werden könnte. Wie oft Melanchthon als Vermittler und Versöhner angerufen wurde, es gelang ihm jetzt nicht, Frieden zu erreichen. Ein Beispiel für viele war der Heidelberger Abendmahlsstreit 1559, in dem Melanchthon sein Gutachten abgeben mußte, wobei er die Zustände in seiner pfälzischen Heimat durchaus berücksichtigte. Dieses Gutachten gab den Flacianern Veranlassung, Melanchthon über das Grab hinaus anzugreifen. Hatte Melanchthon in seinen letzten Lebensjahren genug Anfeindung aus den eigenen Reihen zu erdulden, so blieb es nicht aus, daß er des öfteren vom Ausland und aus dem Reich um Rat und Klärung gebeten wurde. Sein N a m e bedeutete etwas, und er galt vielen als Autorität. Freilich hatte Melanchthon niemals eine derartige Autorität zu sein beansprucht, er wußte wohl, wie sehr auch er irren konnte. Und doch war er audi jetzt der einzige, der mit Gesdiick und K r a f t Erklärungen, Gutachten und Bekenntnisse aufzusetzen in der Lage war. Häufig drängte sich ihm die Frage auf, wer in der evangelischen Christenheit eine autoritative Entscheidung fällen dürfte. Während zu Luthers
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Zeiten die Theologische Fakultät in Wittenberg dieses hohe Ansehen besaß, daß sich jeder ihrem Urteil beugte, hatte sich die Lage seit Luthers Tode doch erheblich gewandelt. Melanchthons Position hatte sie erschwert. Es gab keine Instanz mehr, die mit voller Autorität sprechen konnte. Entscheidungen mußten aber gefällt werden, zumal die Auseinandersetzungen und Streitigkeiten sidi mehrten. Einige der evangelischen Fürsten traten dafür ein, daß theologische Differenzen auf Synoden beigelegt würden. Das ist zuweilen auch getan worden. In seinen letzten Jahren war Melanchthon mit diesem Plan nicht mehr einverstanden. Er meinte, Synoden könnten die Schwierigkeiten noch vermehren. Statt dessen trat er nunmehr für den Gedanken ein, die Synode durch ein Corpus doctrinae zu ersetzen. Melanchthon billigte wohl die Landessynode, wollte aber der Gesamtkirche keine synodale Spitze geben. Die Fürsten waren darin mit ihm nicht einig. Ihnen schwebte eine Generalsynode vor. Als eine allgemeine Synode in Frankfurt in Aussicht genommen wurde, riet Melanchthon den Fürsten, lieber kleine Konvente zu halten. Große Synoden, meinte er, sollten nur ganz selten stattfinden. Diese müßten sehr gründlich vorbereitet werden, damit keine Spaltungen einträten. Je mehr er sich aber in die Bilder der kirchlichen Vergangenheit vertiefte, um so mehr gab er jede Hoffnung auf fruchtbare synodale Arbeit auf. Schließlich wollte er sich lieber an eine ständige Behörde nach Art eines Konsistoriums halten. 18. Lebensbekenntnis und Ende In den letzten Jahren seines Lebens hatte Melanchthon noch öfter Gelegenheit, sich mit der Lehre der römischen Kirche zu befassen. Abgesehen von der schriftlich und mündlich geführten Auseinandersetzung mit den beiden Abtrünnigen, Theobald Thamer, einst Professor in Marburg, und seinem eigenen Schüler, Friedrich Staphylus, Professor in Königsberg, mußte der Praeceptor seine pole-
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mische Feder auch gegen die in Bayern tätigen Jesuiten spitzen. Der Anlaß war ein Fragebogen mit 31 Fragen, den diese an die Evangelischen versandten, um sie zum Abfall von ihrem Glauben zu bewegen. Melanchthon war über die Methode und das Vorgehen der Jesuiten so entrüstet, daß er von sich aus den Fragebogen, den er mit einer kräftigen Einleitung versah, veröffentlichte. Aber er sah ein, daß darüber hinaus eine ausführliche Widerlegung der Gegner notwendig sei. Er schrieb ein ganzes Buch, das er dem Pfalzgrafen Wolfgang widmete, in dem er nicht nur das römische Dogma, sondern nebenher auch Flacianer, Widertäufer und Antitrinitarier angriff. Die „Antwort an die bayrische Inquisition" erschien im August 1559. In dieser Auseinandersetzung geht Melanchthon vom Kirchenbegriff aus. Er k n ü p f t an die CA und Apologie an, aber er f ü h r t seine Gedanken näher aus. Wer das Wort und Sakrament recht gebraucht, der gehört zur Kirche. Wie im Gleichnis von der Saat und vom N e t z (Matth. 13) finden sich da Gute und Böse. In ihrer Mitte wirkt aber Christus selbst durch das Amt, das die Versöhnung predigt. Auf äußere Kennzeichen wie Succession und äußere Autorität kommt es nicht an, wohl aber auf Wort, Sakrament, und Melanchthon nennt hier als drittes den Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Amt. Er geht auch auf die Einwürfe der Gegner ein, die Evangelischen kennten keine sichtbare Kirche, sondern beriefen sich nur auf die Kirche des Glaubens. Die Kirche ist aber keine platonische Idee, sie hat auch eine leibliche Gestalt. Ihre Einheit wird dadurch gesichert, daß sie sich an Christus hält, nicht an kirchliche Bräuche und Gewohnheiten. Melanchthon hat die Gelegenheit der Abgrenzung vom Katholizismus, dem er den Charakter der wahren Kirche nicht zuerkennt, dazu benutzt, zugleich im evangelischen R a u m entstandene Mißverständnisse zu klären. Wenn er auf die Frage des freien Willens eingeht, so betont er, daß seine Auffassung eine grundsätzlich andere sei, als sie in der katholischen Kirche vertreten würde. Er stellt die biblischen Aussagen über das Wirken des Menschen heraus und begründet von dort her
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seine Position. Die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus ist im übrigen eine solche über die Rechtfertigungslehre. Insbesondere liegt es ihm daran nachzuweisen, daß das Tridentinum mit seinem Dekret an der biblisdien Wahrheit vorüberging, als es die Gewißheit des Glaubens verwarf. Wichtig ist ihm der Nachweis, daß die Kirchenväter anders gelehrt hätten. Der Traditionsbeweis bekommt bei ihm ein entsprechendes Gewicht. Daß er bei den Vätern der alten Kirche die Rede vom Glauben allein (sola fides) findet, bestärkt ihn sehr in seiner Auffassung. Daß er bei der Lehre von den guten Werken nicht an die Verdienstlichkeit im katholischen Sinne denkt, sollte selbstverständlich sein. In diesem Bereich rechnet er vielmehr mit den Antinomisten ab. Die „Antwort an die bayerische Inquisition" ist das letzte Bekenntnis Melanchthons. Es enthält seine Absage auch an die katholische Auffassung von der Messe, von der Heiligenverehrung und vom Fegefeuer. Am Ende seines Lebens erklärt er mit aller Schärfe, daß diese Lehren vom Evangelium her nicht tragbar seien. Diese Schrift sollte mehr sein als ein Beispiel aktueller Publizistik. Noch auf seinem Totenbett sagte Melanchthon, daß sie sein letztes Bekenntnis sein sollte. Die „Antwort an die bayrische Inquisition" ist mit Bereitwilligkeit aufgenommen worden und hat weite Verbreitung gefunden. Ebenso wollte Melanchthon vor seinem Abscheiden noch eine Zusammenfassung der evangelischen Lehre geben. Diese konnte man in der Bearbeitung der Loci theologici letzter Hand sehen. Da aber das Leipziger Konsistorium eine Zusammenfassung seiner Schriften wünschte, stellte er seine wichtigsten Schriften zu einem Corpus doctrinae zusammen. Es ist für ihn bezeichnend, welche Schriften er als die wichtigsten ansah und hier aufnahm: Confessio Augustana (variata), Apologie, Confessio Saxonica, die Loci in der ietzten Ausgabe, das Ordinanden-Examen, die Responsio auf die bayrischen Inquisitionsartikel und schließlich die Erklärung über die Lehren des Stancaro. In
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der Vorrede schrieb er: „So viel mir Gott Gnade gegeben hat, hab ich Fleiß getan, die Summe christlicher Lehr ordentlich und klar zu fassen und habe unnötige, verwirrte Disputation übergangen, denn das Disputieren muß auch ein Maß haben." Diese Vorrede schrieb er an seinem 63. Geburtstag. Unentwegt war er tätig, schrieb Briefe, hielt Vorlesungen und Gespräche. Todesgedanken beschäftigten ihn. Auf ein kleines Blatt schrieb er noch, warum er den Tod nicht fürchte. Auf der linken Seite standen die Worte: „ D u wirst von der Sünde erlöst, von den Sorgen und von der Wut der Theologen befreit." Auf der rechten Seite: „Du kommst zum Licht, du wirst Gott schauen und Seinen Sohn, du wirst die wunderbaren Geheimnisse erkennen, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest: warum wir so geschaffen sind und nicht anders und worin die Vereinigung der beiden Naturen in Christo besteht." Melanchthon hatte sich bis in seine letzten Tage hinein im Dienst verzehrt. Anfang April 1560 reiste er noch nach Leipzig, um die Stipendiaten zu prüfen. Auf der Rückreise zog er sich eine schwere Krankheit zu. Das Fieber setzte ihm schwer zu. Bald war er ganz geschwächt. Trotzdem ging er bis Ostern noch zur Universität und hielt seine Vorlesungen. Er arbeitete auch zu Hause wie gewöhnlich und erfüllte seine täglichen Pflichten: besuchte den akademischen Senat, schrieb Briefe und anderes. A m Gründonnerstag ging er zum heiligen Abendmahl. Am Karfreitag hielt er eine Andacht für die ausländischen Studenten über Jesaja 53. Am nächsten Tage fand ihn sein Freund Camerarius, der aus Leipzig herbeigerufen wurde, schon kraftlos vor. Die Andacht, die er am Ostermorgen den ausländischen Studenten halten wollte, konnte er nicht mehr halten. Wohl ließ
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das Fieber bisweilen nach, so daß er wieder einen Brief schreiben konnte. Am 14. April kam ein Bote aus Pommern und brachte ihm Briefe und Jacob Runges Trauerrede auf den verstorbenen Herzog Philipp. Diese Nachricht bewegte den Magister sehr. Er erinnerte sich der pommerschen Herzöge und was er mit ihnen einst in Heidelberg 1511 oder in Torgau 1536 erlebt hatte. Damals ein Glanz hochzeitlicher Feste. Nun war Herzog Philipp gestorben — und er, der andere Philipp mußte ihm folgen. Das ahnte und das wußte er. Die Konstellation der Sterne sagte es ihm ebenso wie dieser Wink aus Pommern. Melanchthon schrieb noch drei Briefe nach Pommern und einen Brief an Herzog Albrecht von Preußen, dem er die Zukunft der evangelischen Kirche ans Herz legte. Warum gerade Herzog Albrecht? Doch nicht nur, weil er gerade Gelegenheit hatte, ihm zu schreiben. Er kannte diesen Fürsten und sah ihn als einen überzeugten Christen an, als einen Herrscher, der zwar außerhalb des Reiches stand und vom Reich in die Acht erklärt war, der aber um so mehr für die Kirche und für das Volk tat. Und hatte Albrech: nicht trotz der Zuneigung zu seinem geistlichen Vater Andreas Osiander gezeigt, daß er beim rechten Evangelium bleiben wollte? Standhaft und treu. Da es ihm am 16. April wieder besser zu gehen schien, reiste Camerarius wieder ab. Dieses seines treuesten Freundes gedachte Melanchthon mit innigsten Gedanken. Mit ihm hatte er gute Gespräche führen und sein Gemüt beruhigen können. Plötzlich kehrte am folgenden Tage das Fieber wieder, so daß er von den Seinen Abschied zu nehmen begann und seinen letzten Willen noch ausdrücken wollte. Aber das gelang ihm nidit mehr. In seinen letzten Gebeten galt seine Sorge der Einigkeit der Kirdie. Für diese Einigkeit hatte er gewirkt, auf diese hin wollte er auch sterben. Joh. 17 „auf daß sie alle eins seien" ging ihm nicht aus dem Sinn. Er nahm noch auf die Nachricht von den Verfolgungen in Frankreich, die ihn sehr bewegte. Er bat Gott, die Kirche, Schule und Obrigkeit in diesen Landen zu erhalten, die durdi seinen
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Geist gereinigt und in wahrer Erkenntnis gefestigt wäre. Als man ihm seine liebsten Sprüche vorsprach, antwortete er ebenso. Auf die Frage, ob er noch etwas wünschte, antwortete er: „Nichts außer dem Himmel." Unter den Gebeten seiner Freunde, während Hunderte von Studenten vor dem Haus standen, gegen 7 Uhr abends entschlief er am 19. April 1560. Friedlich erlosch das Leben des Mannes, den die Zeitgenossen in Dankbarkeit den praeceptor Germaniae nannten. Zur Melanchthon-Forschung Die Tatsache, daß Ph. Melanchthon von seinen Zeitgenossen der Lehrer Deutschlands (praeceptor Germaniae) genannt wurde, spricht allein schon für die große Bedeutung, die ihm im Leben des deutschen Volkes beigemessen wurde. Mit diesem Ehrennamen, den niemand vor oder nach ihm erhalten hat, steht Melanchthon in einzigartiger Höhe da. In der Welt der Bildung unumstritten in seinem Jahrhundert einer der ersten, ein umfassender und universaler Geist, der ebenso in der klassischen Philologie und Philosophie wie in der Theologie zu Hause war und darüber hinaus sich für alle Wissenschaftszweige, mochte es die Mathematik oder die Medizin sein, interessierte, ist er im protestantischen Deutschland der bestimmende Erziehungsfaktor gewesen. Kirche und Schule rechneten es sich zur Ehre an, ihn den Ihren nennen zu dürfen. Als Verfasser der maßgebenden evangelischen Bekenntnisse, der Confessio Augustana und ihrer Apologie, ebenso wie des führenden theologischen Lehrbuches, der Loci praecipui theologici, nahm er in der evangelischen Kirche des Reformationszeitalters einen bestimmten Platz ein und galt als ausschlaggebende Autorität. Stand er auch im Kreise der Wittenberger Fakultät immer an letzter Stelle, weil er aus Bescheidenheit den theologischen Doktorgrad ablehnte, so war es doch allgemein bekannt, daß die Initiative häufig von ihm ausging, daß er die flüssige Feder und das glückliche Geschick guter und geeigneter Formulierung besaß, so daß die wichtigsten Entscheidungen und Beurteilungen
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maßgebend von ihm ausgingen. An dieser Tatsache hat sich auch nach Luthers Tode nichts geändert. Melandithon stand an erster Stelle, mochten ihn einige seiner früheren Schüler auch angreifen, mochte er durch die ungeschickte Art anderer seiner Schüler in Streitigkeiten und Differenzen hineingezogen werden. Melandithon blieb f ü r alle der praeceptor. Diese Beurteilung klingt nicht nur aus den zahlreichen Gutachten und Briefen heraus, sie kommt in den Reden anläßlich seines Todes zum Ausdruck, sie wird schließlich in der umfassenden Biographie laut (De vita Ph. Melanchthonis narratio), die sein intimer Freund Joachim Camerarius 1566 verfaßte (Neuausgabe mit zahlreichen Anmerkungen von G. Th. Strobel, Halle 1777). Diese Lebensbeschreibung hatte das bewundernde Urteil der Nachwelt aufs stärkste bestimmt und seinen Ruhm nicht weniger verbreitet als seine Lehrbücher und Reden. Während das 17. Jahrhundert seine philosophischen Arbeiten schätzte und immer wieder neu bearbeitete (vgl. P. Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Jena 1921) und andererseits auf der Grundlage seiner Loci ihre theologischen Arbeiten immer umfassender betrieb, hat das 18. Jahrhundert wieder dem Erzieher und Humanisten Melanchthon seine Sympathie entgegengebracht. D a n n setzte die historische Betraditung seiner Anschauungen ein; nun kam es zur geschichtlichen Darstellung seiner einzelnen Werke, vor allem der Loci, z. B. der von Balthasar. U m die Mitte des 18. Jahrhunderts steht der bedeutendste Melanchthon-Forsdier auf, ohne dessen Vorarbeiten die große Ausgabe des C R von Bretschneider nicht hätte begonnen werden können. Dieser einzigartige Mann, G. Th. Strobel in Altdorf, hat an der Pflegestätte des melandithonisdien Geistes, in Nürnberg, nicht nur die größte Melandithon-Bibliothek zusammengebracht, sondern in einer Fülle von Einzeluntersuchungen sein Bild vielfach zu klären verstanden. D a ß er das Interesse f ü r Melandithon zu wecken vermocht hatte, geht aus der Tatsache hervor, daß er eine besondere 9
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Schriftenreihe „Neue Beiträge zur Literatur des 16. Jahrhunderts" begründete, die nur mit seinen Untersuchungen über Melanchthon gefüllt wurde. Der einsetzende Neuhumanismus griff auf diese Vorarbeit zurück. Nun sdiien die Zeit gekommen, sich näher mit Melanchthon zu beschäftigen. Es erschien sogar eine deutsche Übersetzung der hauptsächlichsten Schriften Melandithons, herausgegeben von F. A. Korthe 1829 (auf den allgemeinen Gebrauch berechnete Auswahl). In dieser Zeit wendet sich die Forschung sowohl dem Philosophen als erst recht dem Theologen Melanchthon zu, wobei seine Charakteristik und seine Lehre das Interesse besonders anspricht. Karl Matthes schrieb 1841 eine Biographie, während Neander, Schwarz, Galle, Gaß und Heppe ihn vom dogmatischen Standpunkt zu würdigen suchten. Das Gedenkjahr 1860 hat erneut diesem Interesse einen Auftrieb gegeben. Aus der Fülle der Gelegenheitsschriften, wie die von Dorner, Kahnis, Planck, Richard Rothe, ist die von W. Beyschlag die gediegenste; sie ist erneut 1897 in 2., 1917 in 4. Aufl. erschienen. Aus diesem Anlaß erschienen auch die Biographien aus der Feder von Moritz Meurer und Carl Schmidt. Letztere ist bis zur Gegenwart als die gründlichste Lebensbeschreibung Melanchthons zu werten (Elberfeld 1861), obwohl der Humanist in ihr fraglos zu kurz kommt. Das Jahr 1870 brachte in den Jahrbüchern für deutsche Theologie die erste zusammenfassende Arbeit, Studien zur Theologie Melandithons von A. Herrlinger (als Buch erschienen 1879), aber zugleich fiel der Reif auf die ersten Blüten. Es war Albrecht Ritschis vernichtendes Urteil, das der Melandithon-Forschung einen schweren Schlag versetzte, von dem sie sich erst nach vielen Jahrzehnten erholen sollte. Während sich die Ritschl'sche Schule von Melanchthon abwandte und in ihm nur noch den Verderber der Theologie Luthers sah, haben nur wenige, ohne sich um dieses apodiktische Urteil zu kümmern, ihre Arbeit fortgesetzt. W. Dilthey unternahm es vom geistesgeschichtlichen Standpunkt aus, Melanchthons Stellung zu präzisieren. Insbesondere tat sich Karl Hartfelder hervor, der als Schulmann
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dem Humanisten Melanchthon nachging und über Melanchthon als praeceptor Germaniae ein bedeutsames Werk schrieb (1889), dem er eine Bibliographie beigab. Seit den Versuchen von M. Mylius, Chronologia scriptorum Phil. Melanchthonis. Görlitz 1582 und Strobel (1777) war zum ersten Mal eine umfassende moderne Bibliographie versucht worden. Wie wir heute wissen, ist auch diese sehr unvollständig, aber für die Forscher immer noch von unvergleichlichem Wert. Das Melanchthon-Jubiläum von 1897 brachte wieder einige beachtliche Reden, unter denen die von R. Seeberg und P. Tschackert zu nennen sind. Die besten und gründlichsten Arbeiten von Ferdinand Cohrs und Karl Seil erschienen in den „Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte". Keine deutsche Universität hatte es sich damals nehmen lassen, eine Melanchthon-Feier zu veranstalten und auf diese Weise die Bedeutung des Reformators zu unterstreichen. Einen besonderen Ertrag hatte dieses Jubiläumsjahr insofern, als der genannte Verein sich entschloß, an die Ergänzung und Vervollständigung des Corpus Reformatorum zu gehen und die Supplementa Melanchthoniana zu begründen. Hatte Joh. Haußleiter Melanchthons Disputationsthesen und anderes veröffentlicht, so kamen in dieser Zeit auch viele Briefe erstmalig ans Tageslicht. 40 Jahre nach der umfangreichen Biographie Carl Schmidts erschien nun auch als späte Frucht der Gedenkfeier 1902 ein Lebensbild Phil. Melanchthons von Georg Ellinger. Aus der Schule R. Seebergs folgten einige Dissertationen von ungleicher Güte, bis dann O. Ritsehl in seiner Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. I und II 1908/12 sich gründlich mit Melanchthons theologischen Lehren zu befassen begann, während R. Seeberg in seiner Dogmengeschichte Band IV 2 (1920) sich diesem Thema widmete. Das Augustana-Jubiläum von 1930 brachte eine Belebung der Melanchthon-Studien. Nidit nur die historischen Zusammenhänge wurden neu erörtert, auch die staatsrechtlichen und sozialethischen Fragen wurden aufgenommen. Die besten Melanchthon-Kenner, Werner Eiert und Hans 9*'
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Emil Weber leisteten in ihren groß angelegten Werken wichtige Beiträge zur Melandithon-Forschung. Eiert stellte in seiner „Morphologie des Luthertums" (1931) Melanchthon dicht neben Luther und betonte seine Bedeutung für die Gesamtentwicklung der lutherischen Theologie. Seine Melanchthon-Auffassung wirkte anregend und fördernd. Webers Werk „Reformation, Orthodoxie und Rationalismus" (1937/52) ist weniger zum Zuge gekommen, muß aber weiterhin beachtet werden. Die ganze theologische Gedankenwelt des Reformators versuchte Hans Engelland, „Melandithon, Glauben und Handeln", 1931 in einem umfangreichen Werk zu erfassen. Umfassend angelegt, war es eine eindrückliche Leistung. Engellands Arbeit wirkte aber nicht nach; in manchem zu sdiematisch, hat sie vieles in den Anschauungen Melanchthons zu stark ausgeglichen. Die neueste Forschung knüpfte an Arbeiten der dreißiger Jahre an. Georg Hoffmann hatte wesentliche Beobachtungen über die C A und das Verhältnis Luther-Melanchthon gemacht. Diese Linie nahm Wilhelm Maurer wieder auf. In einer Reihe von Abhandlungen behandelte er Einzelfragen melanchthonischer Theologie. Zum 450. Geburtstag gab H . Bornkamm einen. Lebensabriß Melanchthons (1947 2 ) heraus; auf seine und F. K . Schumanns Anregung geht die Studienausgabe der Werke Melanchthons zurück, deren Herausgeber sich mit dem Kirchenverständnis und den Anschauungen vom Kirchenregiment bei Melanchthon befaßte. Aus den letzten Jahren liegen weiterhin einige erfreuliche Arbeiten vor: Wilhelm Neuser nahm Th. Hoppes Anregungen auf und behandelte den theologischen Ansatz bei Melanchthon (1950), Paul Schwarzenau widmete sich der schwierigen Frage nach dem Wandel in seiner theologischen Betrachtung (1956), der Anregung H . Bornkamms folgend bearbeitete H . J . Sick Melanchthons alttestamentlidie Hermeneutik und zuletzt legte Adolf Sperl eine gründliche Arbeit über Melanchthons Stellung zwischen Humanismus und Reformation vor. An ausländischen Forschern, die sich auf diesem Gebiet betätigen, sind
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C. Manschreck (USA) und Peter Fraenkel in Genf zu nennen. Da Melanchthon der grundlegende Theologe in Wittenberg war, wurde bereits 1541 in Basel die erste Sammlung seiner Schriften in vier Bänden herausgegeben. Auf Veranlassung seines Schwiegersohnes Peucer ist in den 50er Jahren eine vervollständigte Sammlung seiner Werke erfolgt. Aber zu einer vollständigen Ausgabe ist es bis zur Gegenwart noch nicht gekommen. C. G. Bretschneider, der 1834 mit der Herausgabe des Corpus Reformatorum begann, hatte zwar die Absicht, Melanchthons opera omnia herauszugeben. Aber infolge seines Todes und der unzureichenden Fortsetzung dieser Ausgabe durch Bindseil ist der Plan unausgeführt geblieben. Die 28bändige Melanchthon-Ausgabe ist ein Torso geblieben. Viele seiner Werke fehlen darin völlig, andere sind nur in der Ausgabe letzter Hand wiedergegeben, während gerade die wichtigen ersten Ausgaben unberücksichtigt geblieben sind. Dazu kommt, daß der Abdruck vielfach unzureichend durchgeführt ist. Es fehlen notwendige Hinweise und Belege. Es wäre schon an der Zeit, ein neues Corpus Melanchtnonis zu schaffen, da die fehlerhafte Ausgabe des CR als Notbehelf angesehen werden muß. H . E. Bindseil hatte 1874 als Nachtrag einen Band mit Briefen und Gutachten herausgegeben. Darin war aber auch nur ein Bruchteil erfaßt. Erst nach dem Melanchthon-Jubiläum von 1897 hatte der Verein für Reformationsgeschichte unter dem Vorsitz von Kawerau, Loofs und später von Hans von Schubert den Beschluß gefaßt, Supplementa Melanchthoniana zu schaffen, die das CR nach allen Seiten hin ergänzen sollten. In dieser Sammlung sind in den Jahren 1910 bis 1926 vier Bände erschienen. Aber als Otto Clemen um des Briefwechsels Luthers willen den Auftrag am Supplementum zurückgab, ist dieses wertvolle Ergänzungswerk versiegt. Es ist kaum daran zu denken, daß es nach einem Menschenalter wieder belebt werden könnte. Was wir heute brauchen, ist kein Notbehelf, sondern eine vollständige große kritische Melanchthon-Ausgabe.
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Gegenwärtig ist nur eine Studienausgabe in sechs Bänden greifbar, die die wichtigsten Melanchthon-Sdiriften in ihren ursprünglichen Fassungen enthält. Sie ist ebenso wie die bekannte Clemen-Ausgabe der Luther-Werke in erster Linie f ü r die H a n d des Studenten bestimmt und daher als Studienausgabe gekennzeichnet. In manchen Stücken f ü h r t sie über das C R hinaus und bietet auch Schriften, die im C R fehlen. Sie bietet einen besseren Text, der nach den ersten Drucken wiedergegeben ist und bei öfter gedruckten Werken auch die verschiedenen Lesarten festhält. Im Erscheinen sind auch die deutschen Wiedergaben seiner Hauptwerke. Im Druck befindet sich die von Georg Spalatin 1522 herausgegebene Übertragung der Loci communes, folgen wird diesem Bande die von Melanchthon selbst herrührende deutsche Übersetzung seiner Loci praecipui theologici, an denen er 1552 gearbeitet hat. Diese Ausgabe wird auf Grund seines eigenen, in Olmütz in Böhmen wiederaufgefundenen Autographen geschaffen. Im Melanchthon-Jahr 1960 wird auch eine neue MelanchthonBibliographie zu erwarten sein. Ohne ein neues Hilfsmittel dieser Art läßt sich der U m f a n g des Schrifttums Melanchthons gar nicht genau feststellen. Wenn auch die beiden großen Melanchthon-Bibliotheken, nämlich die des Melanchthon-Hauses in Bretten, zu der Nikolaus Müller 1903 den Grund gelegt hatte, und der Stadtbibliothek in N ü r n berg, die die Melanchthon-Sammlung G. Th. Strobels beherbergt, die wichtigsten Melanchthon-Drucke enthalten, so gilt es im Auge zu behalten, daß viele dieser Ausgaben und vor allem die Autographen Melanchthons über die ganze Welt verstreut sind. Außer der Vaticana in Rom sind hier vor allem die zahlreichen großen Bibliotheken in den USA zu nennen. Die systematische Bestandsaufnahme aller Autographen und Druckausgaben ist noch nie versucht worden. Sie muß aber unternommen werden, um der künftigen großen Melanchthon-Ausgabe den Weg zu bahnen. Die dringendste Aufgabe der Melanchthon-Forschung ist gegenwärtig die Neubearbeitung des Briefwechsels. Für einen einzelnen Forscher ist das eine Lebensaufgabe. Daher
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ist diese A u f g a b e eher einer Gemeinschaft von Forschern anzuvertrauen. Das Briefcorpus w i r d an U m f a n g den Luther-Briefwechsel bei weitem übertreffen. Die Z a h l der über 7000 Briefe u n d Gutachten, die im C R I — X (1834 bis 1842) veröffentlicht sind, w i r d durch H i n z u n a h m e des weiteren in den letzten 120 J a h r e n veröffentlichten Briefmaterials vermutlich noch um 50 % vermehrt werden. Melanchthon ist in einem brieffreudigen Zeitalter einer der eifrigsten Briefschreiber. Es ist hinlänglich bekannt, in welchem M a ß e er die ihm zu Gebote stehenden Briefboten, mochten es durchreisende Gelehrte, Studenten oder berufsmäßige Briefträger sein, auszunutzen verstand. H a t t e er einen Boten, so schrieb er gleich bis zu zehn Briefen. Deshalb w a r e n die Nachrichten, die er a n seine Freunde weitergab, häufig dieselben. In manchen Briefen stimmt der Teil, der sich mit „neuen Zeitungen" b e f a ß t , wörtlich überein. D a ein Teil der Briefe Melanchthons vor der V e r ö f f e n t lichung noch im 16. J a h r h u n d e r t „bearbeitet", d. h. gekürzt oder sogar im W o r t l a u t verändert w o r d e n ist, müssen sie genau g e p r ü f t u n d auf ihre Überlieferung hin untersucht werden. Viele Briefe laufen in verschiedenen Abschriften um, deren Abweidlungen noch festgestellt werden müssen. Die Angaben Bretschneiders sind leider nicht immer zuverlässig. Die E r f a h r u n g lehrt, d a ß es noch in manchen Bibliotheken u n d Archiven unveröffentlichte Briefe Melanchthons gibt. Einzelne ungedruckte Briefe befinden sich auch noch in Privatbesitz. Deshalb ist eine systematische U m f r a g e im I n - u n d Auslande erforderlich. Erst eine neue Bibliographie w i r d es ermöglichen, eine Übersicht über den zerrissenen u n d zerstreuten, o f t in kaum noch erreichbaren Zeitschriften veröffentlichten Briefwechsel zu erhalten. Diese Briefausgabe ist ein so dringendes Erfordernis f ü r die weitere Forschung, d a ß die internationale reformationsgeschichtliche Forschung a n ihr k a u m länger vorübergehen kann. Diese w i r d das F u n d a m e n t abgeben f ü r die ebenso dringend notwendige große Melanchthon-Biographie.
136 Quellen und Literatur 1. Melandithons Werke Ph. Melanthonis Opera quae supersunt omnia. (Corpus R e f o r m a t o r u m = C R ) edd. Bretsdineider et Bindseil. 28 Bände. H a l l e 1834—1860. Ph. Melanchthonis Ep'tstolae, iudtcia, consilia etc. E d . H . E . Bindseil. H a l l e 1874. Supplementa Melanchthoniana. W e r k e P h . Melandithons, die im C R vermißt werden. 6 Bände. Leipzig 1910—1926. Melandithons Werke in Auswahl (Studienausgabe). Hrsg. R . Stupperich unter Mitwirkung von G . E b e h n g , H . Engelland, R . Nürnberger und H . V o l z . 6 Bände. Gütersloh 1951—1960 Loci communes Ph. Melanchthonis in ihrer Urgestalt. E d . T h . K o l d e . 4. Aufl. Leipzig 1925. Aus der Schule Melanchthons T h e o l . Disputationen und Promotionen zu W i t t e n b e r g . Hrsg. J . H a u ß l e i t e r . Greifswald 1897. Melanchthon-Kompendium Hrsg. J . H a u ß l e i t e r . Greifswald 1902. Bekenntnisschriften der ev -luth. Kirche. 3. Aufl. Göttingen 1956.
2. Melanchthon-Biographien Carl Schmidt: Melanchthons Leben und ausgewählte Schriften. E l b e r f e l d 1861. Karl Hartfelder Melanchthon als praeceptor Germaniae. Berlin 1889. Willibald Beyschlag: Ph. Melanchtnon und sein Anteil an der deutschen Reformation. Freiburg 1897; 4. Aufl. Berlin 1917. Karl Seil• Ph. Mclandothon und die deutsche Reformation bis 1531. ( S V R G 56) Halle 1897 Georg Ellinger: Ph. Melanchthon. E i n Lebensbild. Berlin 1902. C L Manschreck' Melanchthon, the quiet reformer. N e w Y o r k 1958.
3. Gesamtdarstellungen A Herrhnger• Die Theologie Melanchthons. Gotha 1879. Otto Ritsehl: Dogmengeschichte des Protestantismus. I — I I . Leipzig 1908/12. Remhold Seeberg' Lehrbuch der Dogmengeschichte. I V , 2. Leipzig 1920. Hans Engelland: Melanchthon. Glauben und Handeln. München 1931.
4. Einzeluntersuchungen Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bet Joh. Gerhardt und Melanchthon. Göttingen 1891. E F. Fischer• Melandithons Lehre von der Bekehrung. Tübingen 1905. Fr HUbner• Naturliche Theologie und theokratische Schwärmerei bei Melanchthon. Gütersloh 1935 R. Stuppench' Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen. Leipzig 1936 P Schwarzenau• Der Wandel im theol. Ansatz bei Melanchthon. Gütersloh 1956 W Neuser: Der Ansatz der Theologie Melandithons. Neukirchen 1957. H. J Sick' Melanchthon als Ausleger des Alten Testaments. Tübingen 1959. Adolf Sperh Zwischen Humanismus und Reformation. München 1959.
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Namenregister A g r í c o l a , J o h a n n 54 f . , 63, 81, 106 f . Agrícola, R u d o l f 8, 10, 18, 21, 29, 33 f . Alber, Matthäus 73 Albredit von Brandenburg, Erzbischof von Mainz 41 ff., 85 f . Albrecht, Herzog von Preußen 116 f . , 127 Amalie von der P f a l z 19 Amsdorf, Nikolaus von 55, 82, 91, 118 Anshelm, T h o m a s 22 Aristoteles 20, 27, 33, 40 August, Kurfurst von Sachsen 120 Augustin 37, 41, 65, 79, 102 B a p t i s t a Mantuanus 17 Baumgartner, H i e r o n y mus 72 Bebel, Heinridi 19 f . du Beilay, K a r d i n a l 87 Bernhardi, Bartholomaus 41 Beyer, Christian 68 Biel, Gabriel 7, 8 B l a r e r , Ambrosius 7, 19 B o r a , K a t h a r i n a von 52 B r a n t , Sebastian 7 Brenz, J o h a n n 11, 75, 111, 113, 115 ff. Brück, Gregor 68, 73, 81 Bucer, M a r t i n 11, 80, 82, 83, 88 f . , 93, 98, 109, 113 Bugenhagen, J o h a n n 59, 81, 88, 91, 102 Busche, H e r m a n n von dem 50
Camerarius, Joachim 12, 14, 15, 16, 49, 55, 62, 73, 95, 110, 115, 121, 126 f , 129 Campanus, Johannes 78 Campeggi, Lorenzo 50, 71, 84 C a p i t o , W o l f g a n g 21, 42 f. _ C a r l o w i t z , Christoph von 107 f. Christian I I I . , Konig von Dänemark 120 Chrysostomos, Johannes 40, 77 Contarini, Gasparo, K a r d m a l 99 Cordatus, Konrad 80, 81 Cricius, Bischof von P l o z k 83—86 Cusanus, Nikolaus 8
Gerbel, Nicolaus 18 Georg, Herzog von Pommern 19, 32 Gerson, Johannes 20 Granvella, Nicolaus, Kanzler 96, 98 Gropper, Johann 96, 98 f Grynaeus, Simon 18, .">0 Hardenberg, Albert 121 Hausmann, Nikolaus J9 H e d i o , Caspar 66 Hegius, Alexander 10 Heinrich V I I I . , König von England 88 Heiding, Michael, Bischof 106 H e ß , Johannes 30 Hilarius 40 Hildebrandt 19
loadiim I I , Kurfurst Eck, J o h a n n 9—11, 25, von Brandenburg 94, 28, 30, 68, 72, 97—99 98 Elhnger, Georg 16 Johann der Beständige, Emser, Hieronymus 32 Kurfurst von Sachsen 58 Erasmus von Rotterdam J o h a n n Friedrich, 9—11, 19, 22, 25, 29, Kurfurst von Sachsen 34, 49, 52 f . , 56, 64, 77, 87 f , 91, 93, 99, 101 85 103, 105 Jonas, Justus 61, 74, 102 Ferdinand von OsterJulius I I I . , Papst 110 reich, König von Böhmen und Ungarn K a r l V . 62, 93, 95—98, 62, 64, 87, 112 100 f . , 103, 105 f . , 109 Flacius (Vlacich), Karlstadt (Andreas Matthias 113 f , 117 f , Bodenstein) 43—46 120 Kawerau, Gustav 85 F r a n z I . , König von Koch, Johann 49 Frankreich 100 Köllin, Konrad 5 Friedrich der Weise, K r a p p , Hans 48 Kurfürst von Sachsen K r a p p , K a t h a r i n a 48 22, 24 f , 27, 30, 42, 44, 49, 58 Cajetan (Thomas Latomus, J a k o b 38 de V i o ) , K a r d i n a l Lemp, J a k o b 6 Lombardus, Petrus 32 39 G a n s f o r t , Wessel 8, 20 Ludwig, Kurfurst von C a l v i n , Johannes 82, 83, Geiler von Kaisersberg P f a l z 50 93, 113, 120 f. 6 f . , 18
138 L u t h e r , M a r t i n 8, 11, 23—32, 34, 35, 37, 39, 40 f . , 43—45, 47, 49 f . , 52—55, 59, 61, 63—70, 72, 74—76, 79—82, S 4 f , 88, 91 f , 98 f . , 102, 104, 115, 117, 132 M a j o r , G e o r g 118, 120 Maximilian I 13 Melanchthon, A n n a 104 Melanchthon, K a t h a r i n a 121 M o r i t z , K u r f ü r s t von Sachsen 104—110, 112 M o s e l l a n u s (Peter Schade) 22 M u n s t e r , S e b a l d u s 48 M u n z e r , T h o m a s 46, 54
Namenregister Pfefferkorn, Johannes 9 P f l u g , J u l i u s 106 P h i l i p p , H e r z o g von P o m m e r n 127 P h i l i p p , K u r f u r s t von der P f a l z 13 P h i l i p p , L a n d g r a f von H e s s e n 50, 63, 88, 91, 95, 97 f , 100 f .
S p a n g e l , P a l l a s 7, 18 f. Stadianus (Franz K i r c h e r ) 19 f. S t a n c a r o , F i a n z 125 S t a p h y l u s , Friedrich 123 S t a u p i t z , J o h a n n e s von 30 S t ö f f l e r , J o h a n n 19 S t u b n e r , M a r c u s 44
R e u d i l i n , J o h a n n 8—10. 14, 17 f , 20—22, 25 R e u t e r , B a r b a r a 13 R e u t e r , E l i s a b e t h 17 R e u t e r , J o h a n n 13, 14 R h a d i n u s , T h o m a s 32 R u n g e , J a k o b 117, 127
Tauler, Johann 8 T h a m e r , T h e o b a l d 123 T h o m a s v o n A q u i n 4, 72 T i e m a n n , J o h a n n e s 121 Tulich, H e r m a n n 55
S a b i n u s , G e o r g 104 Sadoleto, Jakob, N a u s e a , Friedrich 50 K a r d i n a l 86 Schenk, J a k o b 81 O c c a m , W i l h e l m von 5 Scheurl, A u g u s t i n 48 Schwarzen, Georg Oekolampad (Johann H u s g e n ) 19, 21, 28, ( V a t e r ) 13 f . Schwarzen, Georg (Sohn) 49, 63—66, 80 13, 17, 121 O r i g e n e s 79 Schwebel, J o h a n n 28 O s l a n d e r , A n d r e a s 82, S c o t u s , J o h a n n D u n s 4, 5 115 f . , 120 Ottheinrich, K u r f u r s t v o n S e i l , K a r l 32 S i m m l e r , G e o r g 17, 19, der P f a l z 121 21 P a u l u s 29, 33, 35, 43, 75, S p a l a t i n , G e o r g 24, 29, 77, 102 39, 40, 48 f , 61, 70, Peutinger, K o n r a d 26 73, 91
Unger,
Johann
17
V e r g e n o , Peter P a u l ( N u n t i u s ) 90 Vierdung, Johann (Haßf u r t ) 14, 120 W e s t p h a l , J o a c h i m 120 Wied, Hermann von, K u r f u r s t , Erzbischof v o n K ö l n 82 W i m p h e l i n g , J a k o b 6, 34 Wimpina, Konrad 5 W o l f g a n g , P f a l z g r a f 124 Zwingli, Huldrych 63—66
139
Sachregister S p e y e r , 1529 15, 62 A b e n d m a h l 38, 42, 63 IT., I n t e r i m 106—110, 112 f . , A u g s b u r g , 1530 67, 7 115 67, 69, 71, 80, 82, S4, R e g e n s b u r g , 1541 97 88, 90, 106, 121, 126, N ü r n b e r g , 1542 100 128 K i n d e r t a u f e 44, 47 f . S p e y e r , 1544 100 A d i a p h o r a 113 f . Kirche 50, 75, 77, 79, 84, W o r m s , 1545 101 A u t o r i t ä t 40, 43, 64, 70, 86, 90, 92, 94, 96, R e g e n s b u r g , 1546 79, 117, 122 f. 102 f . , 105, 108, 111, 124 101, 103 Kirchenlehre (s. auch A u g s b u r g , 1555 106 B a u e r n k r i e g 52 Lehre) 4 f . , 7 R e l i g i o n s g e s p r ä d i e : 79, B e k e n n t n i s 25, 41, 48, 70, K i r c h e n o r d n u n g 55, 94 89, 93 , 98, 100 f . , 120 89, 91, 102, 108, 125 K i r d i e n v i s i t a t i o n 59, 77 M a r b u r g , 1529 64 ff. B i b e l ü b e r s e t z u n g 42, 45 K o n z i l 40, 62, 90, 92, L e i p z i g , 1539 93 Brüder vom gemeinsamen 102 f . , 105, 110 H a g e n a u , 1540 95 L e b e n 7 f . , 10 W o r m s , 1540/41 95, 97 Buße 47, 54, 60, 104 L e h r e 59, 91, 96, 99 f , R e g e n s b u r g , 1541 97 ff. 108—112, 118 W o r m s , 1557 120 f. C h n s t o l o g i e 65 L o c i 21, 34, 37 f . , 76, 78, C o n f e s s i o A u g u s t a n a 68, 80, 125 100, 110, 112, 124 f . S a k r a m e n t 38, 42, 66, 76, 98, 124 M e s s e 20, 42 f . , 45, 62 f. D i a l e k t i k 4, 29, 33 Scholastik 4, 5, 24, 29 71, 96, 106 f., 125 S c h r i f t , H e i l i g e 8, 11, E i n i g k e i t 62, 76, 84, 86, 27 ff., 31 f . , 34 f . , 40, O b r i g k e i t 58 ff , 127 91, 127 43, 50, 74 f . E r k e n n t n i s 4, 3 5 f . , 128 S c h w ä r m e r 44, 54 f . , 77 P h i l o s o p h i e 4, 20 f , 35, S y n e r g i s m u s 77 66 F r e i h e i t 53, 80, 87 S y n o d e 121, 123 F r i e d e 71, 73, 83, 85 f f . , P r a e d e s t i n a t i o n 53, 75, 77 91, 97, 104, 106, 110, Priesterehe 67, 71 f . , 106, T a u f e 38, 47 119, 122 Täufer (Wiedertäufer) 108 46 f. G e r e c h t i g k e i t 50, 53 f . , Thomismus 5 R e c h t f e r t i g u n g 35 f . , 54, 75, 95 60, 69, 77, 79 f f . , 96, T r a d i t i o n 79, 108 G e s e t z 35, 37 f . , 52, 54, 98 f , 106, 113, 115 f f . , 59, 75, 78 118 G e w i s s e n 36 f . , 41, 50, W a n d l u n g 6, 30, 106 Reichstage: 54, 103, 106 W e r k e , gute 47, 51, 75, W o r m s , 1521 40 118, 125 S p e y e r , 1526 61 W o r t 46, 64, 90, 124 H u m a n i s m u s 8 f f . , 39, 53
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13 13 12 6 . 1 5 . 7 . 8 . . 14 . 7 5 . . 8 8 . . 18 . 7 . 1 4 5 14 . . 8 . 1 6 . . . 9 14 4 3 3 u . . . 3 9 4 7 8 8 3 9 . 1 5 12 . . 9 18 17 . . 14
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