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German Pages 424 Year 2015
Frank Wittmann Medienkultur und Ethnographie
CULTURAL STUDIES • HERAUSGEGEBEN VON RAINER WINTER • BAND 29
Frank Wittmann (Dr. rer. soc.) war Diplomassistent an der Universität Fribourg (Schweiz) und Lehrbeauftragter an der Universität Klagenfurt (Österreich). Von 2005 bis 2007 arbeitete er als Kommunikationsbeauftragter bei der UNO in Haiti. Heute ist er Leiter der Stabsstelle Internationales der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Frank Wittmann
Medienkultur und Ethnographie Ein transdisziplinärer Ansatz. Mit einer Fallstudie zu Senegal
CULTURAL STUDIES
Der Autor dankt der Forschungskommission der Universität Bern und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für das großzügige Stipendium für angehende Forschende, der die Feldforschung in Senegal von November 2002 bis August 2003 ermöglicht hat. Ferner dankt der Autor dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für den gewährten Publikationsbeitrag.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Martin Taureg Lektorat & Satz: Frank Wittmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-747-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT Danksagung
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1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einleitung Aktualität der Medienkultur Afrika im Wandel Forschungsziel Gliederung
TEIL I
EINFÜHRUNG IN DEN THEORETISCHEN KONTEXT
2
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2.1 2.2 2.3 2.4
Grundlagen, Gegenstand und Geschichte der Medienkulturwissenschaft Überblick Begriffliche Grundlagen der Medienkulturwissenschaft Gegenstand der Medienkulturwissenschaft Geschichte der Medienkulturwissenschaft
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Neuere Ansätze der Medienkulturwissenschaft Überblick Soziokultureller Konstruktivismus Mediendispositivforschung Theatralitätsansatz Medienethnologie Cultural Studies Vergleich
71
TEIL II
VOM MODELL ZUM ANSATZ
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Der Circuit of Culture und seine Genese Überblick Wissenschafts- und modelltheoretische Grundlagen Kontextualisierung des Circuit of Culture Circuit of Culture
11 12 14 19 20
31 32 40 43
71 72 78 82 89 97 115
121 121 122 128 152
5 5.1 5.2 5.3 5.4
Der Circuit of Culture als Baustein des ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft Überblick Programmatisch-theoretische Komponente Empirische Komponente Methodologische Komponente
171 171 173 183 186
TEIL III
FALLSTUDIEN ZUR SENEGALESISCHEN PRESSEKULTUR
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10
Forschungsdesign Überblick Begründung des Forschungsraumes Forschungsstand Hypothesen Feldzugang Datenerhebung Dialogische Komponenten Projektablauf und Feedback Datenauswertung Diskussion der Gütekriterien
197
7
Konfliktkonfigurationen: Die senegalesische Presse im Spannungsfeld von Politik, Religion und Medienethik Überblick Geschichte der senegalesischen Presse Konflikte zwischen journalistischen und politischen Akteuren Konflikte zwischen journalistischen und religiösen Akteuren Konflikte um Professionalität, Medienethik und Identität Fazit
231
Formelle und informelle Konfliktlösungsstrategien von senegalesischen Akteuren der Pressekultur Überblick Autoregulation und Zivilgesellschaft als formelle Konfliktlösungsstrategien Medienökonomische Krise
287
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 8 8.1 8.2 8.3
197 198 202 204 208 211 218 222 226 229
231 232 257 272 277 284
287 288 291
8.4 8.5 8.6 8.7 8.8
Informelle Konfliktlösungsstrategien Praktiken des Betrugs Korruption Gewalt Fazit Bildanhang
309
329
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
Plurimedialität: Aneignung und Repräsentation von senegalesischen Printmedien im Kontext Überblick Publikumsbild der Journalisten Medienaneignung Funktionen und Images der Medien Lektürepraktiken Fazit
10 10.1 10.2 10.3 10.4
Zusammenfassung Presskultur in Senegal Muster, Rituale und Werte Aktualität der Medienkulturwissenschaft Ausblick
375
11
Literaturverzeichnis
387
9
311 313 317 321 324
329 330 332 361 365 372
376 380 381 383
DANKSAGUNG Wie konnte es nur zu der Behauptung kommen, wissenschaftliches Arbeiten ginge im Elfenbeinturm vor sich? Die Erfahrungen dieses Buchs sprechen eher für die Annahme, dass Forschung einer Teamarbeit gleicht. Ich bin vielen Kollegen und Freunden in mehreren Ländern Afrikas, Europas und der Karibik sehr dankbar, dass sie mich über Jahre unterstützt und dazu beigetragen haben, dass die verschiedenen Gedankenstränge zu Medienkultur und Ethnographie zusammengeführt werden konnten. Prof. Dr. Louis Bosshart (Universität Fribourg) ist Doktorvater dieser Dissertation und hat mir während vier Jahren vorbildliche Arbeitsbedingungen an seinem Institut zu Verfügung gestellt. Darüber hinaus hat er in schwierigen Zeiten schützend die Hand über mich gehalten. Anlässlich der Disputation standen ihm zwei Kollegen als Gutachter zur Seite, die die gesamte Arbeit mitbetreut haben: Prof. Dr. Rainer Winter (Universität Klagenfurt) hat mir die Cultural Studies nähergebracht und mich mit seinem Besuch in Dakar zu eigensinnigen Wegen ermutigt. Prof. Dr. Till Förster (Universität Basel) hat mich in genuin ethnologischen Fragestellungen beraten und mich darin bestärkt, transdisziplinäre Fragestellungen zu entwickeln. Georg Müller (Universität Fribourg) ist mir mit Tat und Rat in methodologischen Fragen beigestanden und Monia Aebersold (Gesellschaft für Sozialforschung Bern) hat mir mit unglaublichem Enthusiasmus geholfen, die statistischen Hürden zu meistern. Gratian Burri hat nicht nur mehrmals das Manuskript lektoriert sondern sich genauso wie Udo Göttlich (Universiät Duisburg-Essen) immer Zeit für konzeptionelle Erörterungen genommen. Ohne die Hilfe dieser vier Personen hätte die Dissertation nicht die vorliegende Form angenommen. Gedankt sei auch Marie-Soleil Frère (Université Libre de Bruxelles) und Vincent Foucher (Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales Bordeaux) für ihre spezifischen Inputs zum Kapitel über Informalität
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
sowie Bernhard Rieder (Université Paris VIII) für seine Hinweise zum Schlusskapitel. Dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Forschungskommission der Universität Bern und ist das großzügige Stipendium für angehende Forscher zu verdanken, das die extensive Feldforschung in Senegal ermöglicht hat. Vor Ort hat mir mich niemals nachlassender Motivation ein aus Mass NތDiaye, Ousmane Sy und Brice Lezin Mbemba Mbemba bestehendes Forschungsteam unterstützt. Gedankt sei aber auch Soulaiman Adebowale (CODESRIA), Gora Diouf und Raphaël NތDiaye (Enda Tiers Monde), Tidiane Kassé (Institut Panos), Hendrik Kloninger (Goethe Institut Dakar), der gesamten Familie NތDiaye, Abdou Ndao (Unesco), Moussa Samb (UCAD), Awa und Binta Sow, Moustapha Tamba (UCAD), Rémi Touzeau (ADP) sowie den Dakarer Journalisten Abdoulaye Cissé, Abdou Latif Coulibaly, Edouard Diatta, Ismaïla Dieng, Sidy Diop, Mame Olla Faye, Goudiaby, Alassane Gueye, Ousseynou Gueye, Saphie K. Ly, Mamadou Kassé, Seydou Nuur NތDiaye, Mousa Paye, Alpha Sall, Papa Daouda Sow, Mamadou ‚Albert‘ Sy, Baba Thiam und Ibrahima Wane. Die vielfältige Zusammenarbeit mit dem in Dakar ansässigen Anthropologen und Fotografen Martin Taureg sei besonders herausgehoben: er hat nicht nur die Feldforschung mit praktischen Ratschlägen begleitet, sondern auch Fotos zur senegalesischen Pressekultur gemacht. Sie stellen die Basis für die Foto-Interviews dar. Auf der anderen Seite des Atlantiks gilt es einige Mitarbeiter der Mission der Vereinten Nationen zur Stabilisierung Haitis (Minustah) zu erwähnen: Berta Panes, Dolores Edwards, Violet Baffour, Stefano Romano, Mamady Sidikiba Camara und Gregory Gard haben mich großzügig und geduldig bei der Fertigstellung der Doktorarbeit in der Karibik unterstützt. Gedankt sei auch meiner Familie, Christian Liengme (nicht nur für seinen administrativen Support), Anne-Marie Carrel, Juliane Sauer und dem gesamten Department für Gesellschaftswissenschaften der Universität Fribourg, Heike Drotbohm, Eva Olid Gonzalez, Patrick Mbonyinshuti, Heinz Nigg, Patricia Regis, Dieudonne Saincy, Adolphe Sanon, Blandine Umurerwa, Barbara Weger, Remo Wiegand und Alfred Zitzenbacher. Ein besonders großer Dank geht an Delphine Gendre und Jürg Schneider für ihre Begleitung während der gesamten Forschung.
1 EINLEITUNG „Abgründigkeit des Sinns – das wäre also nicht zu verstehen im Sinne einer neuerlichen Irrationalität, sondern als Einschränkung und Konkretisierung der Rationalität. Gefordert ist damit ein Aushalten von Differenzen, eine Toleranz für Ambiguitäten und gleichzeitig ein Widerstand gegen Einheitszwänge. Eine unfertige Welt wie die unsrige lässt anderes schwerlich zu.“ (Waldenfels 1985: 32)
Die Sozial- und Kulturwissenschaften haben in den letzten Jahren eine Reihe von wichtigen Transformationen durchlaufen. Dazu gehören auch zwei Prozesse, die sich mit den Stichworten Transnationalisierung und Transdisziplinarität benennen lassen. Mit Transnationalisierung ist dabei die Tatsache angesprochen, dass Forschung heute in Netzwerken geleistet wird, die über nationale Grenzen hinausgehen. Diese Wissenschaftspraxis manifestiert sich in transnationalen Forschungskooperationen, Vortragstätigkeiten im Ausland und einer Universalisierung von Forschungsfeldern. So reicht es heute nicht mehr aus, den Forschungsoutput allein von deutschen, französischen oder angloamerikanischen Universitäten zu rezipieren, um den aktuellen Forschungsstand zu eruieren. Unterdessen beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, dass auch in Asien, Australien und Lateinamerika sowie in Afrika und an den europäischen Randzonen innovative wissenschaftliche Beiträge geleistet werden. Immer häufiger gelingt es ihnen, Eingang in den Diskurs zu finden. „Yet, the universe is changing in a way that makes this narrowness transparently absurd. Globalization, the end of the Cold war, the rise of the Asian economy, the emergence of alternative centers of media production to
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Hollywood, and the world-wide growth of media studies are just some of the things that seem to invite a different approach.“ (Curran/Park 2000: 3)
Mit der Transnationalisierung hängt auch die Transdisziplinarität zusammen, denn es kann vorkommen, dass die disziplinären Grenzen an unterschiedlichen Orten unterschiedlich gezogen werden. Damit ist bereits angedeutet, dass sich Transdisziplinarität nicht gegen die in einem bestimmten Land herkömmliche Ziehung von disziplinären Grenzen wendet.1 Unter Transdisziplinarität wird vielmehr das Überschreiten von disziplinären Grenzen bei der Wissensproduktion verstanden (Küffer 2001). Es handelt sich also keineswegs um ein neues Phänomen, sondern um ein seit jeher übliches Forschungsprinzip. Bei der Untersuchung von Forschungsgegenständen, die sich dem Zugriff einer einzigen Disziplin entziehen, kann sinnvollerweise auf Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen zurückgegriffen werden. „Wenn uns die Probleme nicht den Gefallen tun, sich selbst disziplinär oder gar fachlich zu definieren, dann bedarf es eben besonderer Anstrengungen, die in der Regel aus den Fächern oder Disziplinen herausführen.“ (Mittelstraß 2003: 9) Transdisziplinäre Forschung findet also dann statt, wenn sich ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin mehrerer Ansätze bedient bzw. die Forschungsergebnisse der verschiedenen Disziplinen in seinen oder ihren Diskurs integriert.2
1.1 AKTUALITÄT
DER
MEDIENKULTUR
Ein solches Forschungsfeld, zu dem es wichtige Beiträge aus verschiedenen Ländern und Disziplinen gibt, ist die Medienkulturwissenschaft. Sie beschäftigt sich mit dem Phänomen der Medienkultur. Darunter wird jener Komplex von Sinnsystemen verstanden, mit denen sich gesellschaftliche Akteure beim Handeln mit Medien ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken. Der Medienkulturwissenschaft geht es also darum „to understand and take charge of that crucial point of intersection between communication technologies and the meanings we make from them“ (Real 1996: XIII). Nach zeitweiliger Abstinenz gegenüber einer Auseinandersetzung mit medienkulturellen Phänomenen ist in den letzen Jahren dieses For1
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Allerdings hat der Schweizer Psychologe Piaget, der den Begriff auf einer OECD-Konferenz in Nizza 1970 in den Diskurs eingebracht hat, unter Transdisziplinarität ein Wissenschaftssystem verstanden, das im Inneren keine stabilen Grenzen zwischen den Disziplinen aufweist. Aus Gründen der Kürze und der besseren Lesbarkeit wird im weiteren Text darauf verzichtet, jeweils die maskuline und feminine Form zu verwenden.
EINLEITUNG
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schungsfeld wieder zunehmend in das Interesse der Medien- und Kommunikationsforschung gerückt (Hepp 2004: 27). Diese Entwicklung kann in einem größeren Kontext situiert werden. Zwar ist die unabhängige Variable Kultur nicht der einzige zu berücksichtigende Faktor bei der Erklärung von Handeln, aber sie ist so zentral, dass Politologen,3 Soziologen,4 und die bereits erwähnten Medien- und Kommunikationswissenschaftler5 inzwischen mit derselben Selbstverständlichkeit von ‚culture matters‘ sprechen wie es die Vertreter der Cultural Studies seit jeher tun.6 Begründet wird dies mit dem Argument, dass Kultur eine Grundbedingung für soziales Leben sei bzw. dass sich Gesellschaft und Kultur wechselseitig durchdringen. Ohne eine Fokussierung der kulturellen Dimension würden die Sozial- und Kulturwissenschaftler non-valide und verzerrte Forschungsergebnisse in Kauf nehmen. Ein weiterer Grund für den Bedeutungsaufschwung der Medienkulturwissenschaft liegt in der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, die dem Globalisierungsdiskurs zu Teil wird. Denn die Transnationalität von Lebensformen als das zentrale Merkmal der Globalisierung ist auf das Engste mit den modernen Kommunikationstechnologien und Massenmedien verbunden. Einerseits fußt die Globalisierung auf den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, andererseits führt sie selbst zu neuen ökonomischen und sozialen Organisationsformen, die wiederum die Medienkultur betreffen. Obwohl die Medienkultur immer lokal verortet ist, weist sie in den Dimensionen Produktion, Regulation und Aneignung Interdependenzen zu anderen Räumen auf. Die transnationalen Kommunikationsprozesse haben sich in den letzten Jahrzehnten in erheblicher Weise intensiviert. Hierbei spielen insbesondere die über verschiedenste Territorien hinweg agierende Medienkonzerne wie AOL Time Warner, Bertelsmann oder News Corporation eine wichtige Rolle.7 Sie bilden komplexe Netzwerke von Tochterunternehmen und gemeinsamen Joint Ventures, die nicht an den Grenzen von Nationalstaaten halt machen. Sie vertreiben beispielsweise in Brasilien, Frankreich, Indien, Japan, Senegal oder den USA produzierte Unterhaltungsformate aus Bereichen wie Fernsehen, Kino und Musik, die von einem weltweiten Publikum rezipiert werden. Mit Blick auf den Export brasilianischer Telenovelas nach Portugal oder die Mexikanisierung Südkaliforniens sprechen Sinclair et al. (1996) von einer Multidirektionalität der Globalisierung und Giddens spricht sogar von einer „reverse colonization“ (1999). Global 3 4 5 6 7
Siehe: Chabal/Daloz (2005) und Harrison/Huntington (2002). Siehe: Etounga-Manguelle (1985) und Reckwitz (2000). Siehe: Krotz (2003) und McQuail (2000). Siehe: Hall (2002), Lull (2002) und R. Winter (2001). Friedman (2006). Im Folgenden werden die Namen von Medienunternehmen und -produkten kursiv geschrieben.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
organisierte und transnational agierende Medienunternehmen verfolgen nicht bloß ausgeklügelte Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsstrategien, sondern sie achten bei der Produktion und Distribution von Fernsehsendungen und Kinofilmen auch auf Merchandising, Product Placement, Sponsoring und Werbung. Diese neuen Managementformen stellen auch nationale, regionale oder lokale Medienunternehmen vor große Herausforderungen, weil die Regeln des Werbemarktes auf den Rezipientenmarkt mit seinem publizistischen Wettbewerb übertragen werden. Neben den Medienkonzernen spielen vermehrt auch Akteure wie die internationalen Institutionen (UNO, Weltbank), die Nichtregierungsorganisationen (Fondation Hirondelle, Institut Panos, Medienhilfe, Reporters sans frontières) und die sozialen Bewegungen (Attac, Weltsozialforum) eine Rolle in der globalen Medienkultur. Sie setzen sich unter anderem dafür ein, den digitalen Graben zu reduzieren.
1.2 AFRIKA
IM
WANDEL
Diese staatlichen und privaten Akteure sind auch auf dem afrikanischen Kontinent aktiv, wo sie sich beispielsweise im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit, Forschungskooperation, humanitärer Hilfe und Friedensmissionen engagieren. Die meisten afrikanischen Staaten haben sich zwar seit der Unabhängigkeit ökonomisch, politisch und sozial nicht wie gehofft entwickelt, aber die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Regionen sind zu groß, um generalisierende Aussagen für alle 53 Staaten treffen zu können: „Vielmehr drängt sich heute nach mehr als vier Jahrzehnten postkolonialer Geschichte der Eindruck auf, dass wir es hier mit einem vielfach fragmentierten Gegenstand mit fließenden unklaren Grenzen zu tun haben.“ (Tetzlaff 2004a: 33) Klar ist jedoch, dass die durch die Globalisierung hervorgerufenen politischen, sozialen und medienkulturellen Transformationen in Afrika bisher weitgehend unbemerkt geblieben sind. Die Forschungsgemeinschaft scheint implizit davon auszugehen, dass die politische und ökonomische Marginalität des afrikanischen Kontinents seine geringe wissenschaftliche Repräsentation rechtfertige. Dabei wird aber übersehen, dass Afrika trotz seiner gravierenden Krisen auf neue Weise in das globale Weltsystem integriert ist und vielfältige Beziehungen zu anderen Räumen unterhält (Amin 2004). Hinsichtlich dieser Transformationen sind in den African Studies zwei gegensätzliche Lesarten auszumachen. Auf der einen Seite betonen die ‚Afropessimisten‘ die hoffnungslose Situation Afrikas: Mit elf Kriegen und fünf weiteren bewaffneten Konflikten war Afrika im Jahr 2003 ein bevorzugter Schauplatz von Gewalt. Unter Missachtung der
EINLEITUNG
15
Grundsätze von guter Regierungsführung haben sich die politischen Krisen markant erhöht, so dass heute die politischen Systeme von nur elf Ländern als frei gelten (Freedom House 2005a). Zwar haben sich seit den 1990er Jahren viele Staaten eine demokratische Verfassung gegeben, aber in der Mehrheit der Fälle handelt es sich um Fassadendemokratien8 oder um zerfallene Staaten (failed states).9 Darüber hinaus haben sich demokratische Werte und Institutionen nicht gesellschaftlich verwurzeln können. Nur sechs Länder weisen auf einer Skala von eins (sehr hoch) bis zehn (sehr niedrig) einen Korruptionskoeffizienten von mehr als 4,0 auf (TI 2004). Korruption ist an der Tagesordnung und der Neo-Patrimonialismus hat sich als Herrschaftsmodell durchgesetzt. Die Erlöse aus der auf die Produktion und den Export von Rohstoffen festgelegten Wirtschaften werden mehrheitlich nicht reinvestiert, sondern von einem klientelistisch organisierten System aufgesogen. Bei einem Anteil von 11% an der Weltbevölkerung stellt der Kontinent nur rund 1% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 1,4% des Welthandelsanteils und 1% der Auslandsinvestitionen (Weltbank 2004). Der Mangel an Kompetitivität, Produktivität und Standortqualität hat dazu geführt, dass Afrika zu den Globalisierungsverlierern gehört. Unterdessen befinden sich 34 der weltweit 48 ärmsten Länder in Afrika. In 47 Ländern ist die Armut in den letzten 40 Jahren gestiegen und die Anzahl von Menschen, die in größter Armut leben, hat sich verdoppelt. Die geographisch-klimatischen Bedingungen erleichtern die Verbreitung von Krankheiten. Malaria und HIV/ Aids tragen dazu bei, dass die durchschnittliche Lebenserwartung auf unter 46 Jahre sinkt (in Sambia sogar auf 36 Jahre). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei unter 500 US$. Vor dem Hintergrund der politischen Konflikte ist es in vielen afrikanischen Ländern zu einer Kriminalisierung der Ökonomie gekommen, in deren Zuge der Kontinent zu einer Plattform für Diamanten- und Drogenhandel, Geldwäscherei, Schmuggel, Menschenschlepperei und Finanzbetrug verkommen ist (Bayart 1989; 1999). Was die Medien sowie die Informations- und Kommunikationstechnologien angeht, stehen die Rahmenbedingungen mit der politischen Situation in einem engen Zusammenhang. Nur 17% der Länder weisen ein freies, 33% ein teilweise freies und 50% ein nicht freies Mediensystem auf. Bedrohungen, Übergriffe und Ermordungen von Journalisten sind keine Seltenheit (Freedom House 2005b). So wie die 8 9
Beispiele für Fassadendemokratien sind Äquatorialguinea, Kamerun, Mauretanien oder Zimbabwe. Zu den failed states zählen kollabierte Staaten wie Somalia und von der Implosion institutioneller Strukturen betroffene Staaten wie Angola, Côte d’Ivoire, Guinea-Conakry Kongo-Kinshasa, Liberia, Sierra Leone, Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Sie müssen als unregierbar eingestuft werden.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
seit 1989 in den Demokratieprozess gesetzten Hoffnungen enttäuscht wurden, ist auch die Pressefreiheit und die journalistische Qualität unter ihren Erwartungen geblieben. In vielen Fällen haben die Massenmedien sogar eine aktive Rolle in den Konflikten übernommen: die privaten mauretanischen und senegalesischen Zeitungen haben sich im Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern 1989 als Propagandaorgane erwiesen, das ruandische Radio Mille Collines hat 1994 zum Genozid an den Tutsi aufgerufen und seit 2002 lancieren ivorischen Zeitungen und Radios regelmäßig Hetzkampagnen gegen französische Staatsbürger, UNO-Blauhelme, muslimische Gastarbeiter aus den westafrikanischen Nachbarländern oder gegen Anhänger von Oppositionspolitikern. Die Macht der ausländischen Medien ist nach wie vor stark.10 Der Zugang zu und die Nutzung von moderner Telekommunikation ist schwach ausgebildet. Insgesamt besitzen nur 6,2% der subsaharischen Bevölkerung ein Mobiltelefon und 3% einen Fixnetzanschluss, 1,2% besitzen einen Computer und 0,9% sind Internetuser (Brüne 2005; Perret 2005; Wittmann 2004a). Auf der anderen Seite führen die ‚Afrooptimisten‘ Argumente für die Irreversibilität des seit Beginn der 1990er Jahre eingesetzten Demokratisierungsprozesses an. Dass in Benin, Kongo-Brazzaville, Mali und Sambia Nationalkonferenzen stattgefunden, dass sich mit Ausnahme der Islamischen Republik Sudan seither sämtliche Staaten eine demokratische Verfassung gegeben, dass in mehr als 30 Ländern freie und faire Wahlen stattgefunden haben und dass es in Ghana, Kenia, Nigeria und Senegal zu unblutigen Machtwechseln gekommen ist – diese Tatsachen werden als Indikator dafür genommen, dass die Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent Fuß gefasst hat. Dieser Prozess ist nicht allein auf exogene Faktoren wie das Ende des OstWest-Konflikts oder die Verminderung der Entwicklungshilfezahlungen als politische Treuerenten an zuverlässige Verbündete im Kalten Krieg zurückzuführen, sondern auch auf endogene Faktoren. Dazu zählen auch der Aufschwung der Zivilgesellschaft sowie demokratiekompatible und konsensualistische Elemente der afrikanischen Tradition (Tetzlaff 2004b: 172; Wiredu 1997). Der Demokratisierungspro10
Dies gilt insbesondere für die internationalen Nachrichtenagenturen Associated Press (AP), Agence France Press (AFP) oder Reuters. Sie haben Ihre Basis mehrheitlich in Johannesburg, Kairo und Nairobi, von wo aus ihre Korrespondenten Informationen aus den 53 Ländern des afrikanischen Kontinents sammeln, filtern und weiterleiten. Diese Struktur ist auch für die afrikanischen Massenmedien bedeutsam. Aufgrund ihrer ökonomischen Schwäche können sie sich kaum Korrespondenten in Nachbarländern (geschweige denn in Übersee) leisten und sind von den Informationen der globalen Nachrichtenagenturen abhängig. Dies bringt es mit sich, dass die Süd-Süd-Informationsströme schwach sind und meist einen Umweg über Europa nehmen.
EINLEITUNG
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zess in Afrika ist umso höher zu bewerten als er unter massenhaften Armutsbedingungen stattfindet. Auch ist der postkoloniale Staat mit der schwerwiegenden Hypothek belastet, einen Prozess der Nationenbildung in Gang setzen zu müssen. Angesichts der ethnischen Vielfalt ist dieser Prozess langwierig und in den meisten Ländern noch nicht abgeschlossen.11 Die Beispiele Ghana, Sambia und Tansania zeigen aber, dass der afrikanische Staat diesen Herausforderungen gewachsen sein kann. Aufgrund der historischen Entwicklung und den strukturellen Defiziten muss den afrikanischen Staaten genügend Zeit bei ihrer nachhaltigen politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung eingeräumt werden. Afrikanische Initiativen wie New Partnership for Africa’s Development (NEPAD) werden nicht nur als Ausdruck eines Willens zu guter Regierungsführung interpretiert, sondern auch zur Bereitschaft, politische, ökonomische und soziale Krisen selbst zu lösen. Südafrika kommt dabei eine kontinentale Leaderfunktion zu. Gemäß den Afrooptimisten drückt sich der Aufschwung auch in positiven Wirtschaftsindikatoren aus: Südafrika und Nigeria verfügen über große Nationalwirtschaften, 15 Länder weisen seit rund zehn Jahren ein Wachstum des BIP von mehr als 6% auf und einige Länder konnten ihre Exporte gar um mehr als 8% steigern. Die von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds verordneten Strukturanpassungsprogramme haben zumindest in einzelnen Sektoren zu positiven Ergebnissen geführt. Gabun, Mauritius, die Seychellen und Südafrika weisen ein ansehnliches Pro-Kopf-Einkommen von über 3000 US$ auf. Auch hinsichtlich der Massenmedien sind große Veränderungen eingetreten. „Der Einfluss der Globalisierung auf Entwicklungsländer ist auf entscheidende Art und Weise mit der Privatisierung und der Expansion von Telekommunikationstechnologien verbunden.“ (Mohammadi 2002: 175) Für die Richtigkeit dieser Feststellung in Afrika lässt sich anführen, dass viele nationale Fernsehsender besonders für die Unterhaltungssparte internationale Filme (Hollywood, Bollywood) und Serien (lateinamerikanische Telenovelas, deutsche Kriminalserien) einkaufen. Das pluralistische Angebot wird durch ausländische Fernsehsender wie Canal France International (CFI), TV5 oder Canal Horizons ergänzt. Im boomenden Radiobereich gibt es nicht nur kommerzielle, kommunale und am Service public ausgerichtete nationale Sender, sondern auch ausländische Kanäle wie BBC, Radio France International (RFI) und Voice of America (VOA) oder panafrikanische Projekte wie Africa No 1. Die Cybercafés sind zu einem integralen Bestandteil des Stadtbildes von afrikanischen Metropolen geworden. Multinationale Konsumgüterunternehmen haben auf den Werbeplatt11
In sieben Ländern Afrikas leben jeweils mehr als 100 Ethnien auf dem Staatsterritorium zusammen.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
formen Fernsehen und Plakat zu einer Vervielfachung des Werbevolumens beigetragen. Telekommunikationsunternehmen wie Vodafone, Celtel, France Télécom, MCI oder Orange sind in Afrika als dem am schnellsten wachsenden Mobilfunkmarkt der Welt präsent. Dass diese transnationalen Phänomene nicht einfach unter dem Stichwort kultureller Imperialismus abgetan werden können, zeigt die Expansion eines nigerianischen Verlages an, der im Jahr 2002 die südafrikanische Tageszeitung This Day gegründet hat. Aber unabhängig davon, ob man eher eine afrooptimistische oder afropessimistische Position einnimmt, ist von der scientific community bisher weitgehend ignoriert worden, dass sich in vielen afrikanischen Ländern seit Beginn der 1990er Jahre infolge der Einführung des Mehrparteiensystems, der Ausweitung der Meinungsäußerungsfreiheit, der ökonomische Liberalisierung, der technologische Innovation und der internationalen Verflechtung veritable Medienmärkte ausgebildet haben, die lokale Charakteristika und Traditionen aufweisen. „This makes the African mediascape a rich and fascinating blend of traditions, influences and technologies.“ (Nyamnjoh 2005: 4) Die privaten Medien sind zu zentralen Vektoren des öffentlichen Raums geworden und haben die Staatsmedien an den Rand gedrängt.12 Mit anderen Worten, die Kommunikationsordnung und -politik hat sich grundlegend gewandelt und die Massenmedien spielen im Demokratisierungsprozess unterdessen eine Schlüsselrolle. Ihnen obliegt die Öffentlichkeitsherstellung zur politischen Legitimation und Willensbildung. Gerade in den afrikanischen Präsidialdemokratien, in der die häufig charismatischen Präsidenten eine starke Position einnehmen, sind Präsentationselemente wie Ästhetisierung, Dramatisierung, Emotionalisierung, Personalisierung oder Skandalisierung der politischen Kommunikation keine Seltenheit. Angesichts von klientelistischen Strukturen fällt den Medien aber auch die Aufgabe zu, die Meinungen und Positionen aller politischen Akteuren transparent zu machen. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren müssen die privaten Medien gerade in neo-patrimonial organisierten politischen Systemen eine Kritik- und Kontrollfunktion wahrnehmen und auf diese Weise zu einer effizienten Gewaltenteilung beitragen. Denn „only when they empower individuals and communities to scrutinize publicly and contest decisions made in their name by the most powerful members and institutions of society can the media promote democratization“ (ebd.: 2). Darüber hinaus kommen den Medien schließlich auch soziale Funktionen zu. Dazu zählt im afrikanischen Kontext mit seiner ethnischen, kulturellen und religiösen Heterogenität besonders die soziale Integration, die als eine Basisvoraussetzung für Entwicklung angese12
Siehe dazu: Brüne (2000), Frère (2005), Hyden et al. (2002), M’Bayo et al. (2000) und Tozzo (2005).
EINLEITUNG
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hen werden kann. In diesem Sinne gibt es ganz praktische Gründe, der Medienkultur in Afrika nachzugehen und dabei den Zusammenhang zwischen demokratischen, medialen und ökonomischen Transformationen und kulturellen Mustern, Ritualen und Werten im Auge zu behalten.
1.3 FORSCHUNGSZIEL In der vorliegenden Arbeit werden diese verschiedenen theoretischen und empirischen Reflexionsstränge zur Aktualität der Medienkultur und zu Afrika im Wandel so zusammengeführt, dass ein eigener medienkulturwissenschaftlichen Ansatz entwickelt und in Fallstudien zur Medienkultur des westafrikanischen Landes Senegal angewendet wird. Da Forschung im internationalen und insbesondere im fremdkulturellen Kontext ein spezifisches Instrumentarium benötigt, ist der Ansatz ethnographisch ausgerichtet. Die Forschungsarbeit begnügt sich also nicht mit der theoretischen Entwicklung eines medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes, sondern wendet ihn auch in empirischer Feldforschung an. Damit reagiert sie auf die Tatsache, dass die theoretischen Überlegungen aufgrund der rezenten Etablierung der Medienkulturwissenschaft noch nicht ausreichend empirisch fundiert sind. Diese Vorgehensweise mag auf den ersten Blick erstaunen, da sich in den zeitgenössischen Sozial- und Kulturwissenschaften eher eine Trennung zwischen Theorie und Empirie durchgesetzt hat. So kritisieren Joas und Knöbl die Arbeitsteilung „zwischen denjenigen, die sich als Theoretiker begreifen, und denjenigen, die sich als Empiriker“ (2004: 16) verstehen. Dagegen sprechen sie sich dafür aus, dass theoretische Überlegungen ein integraler Bestandteil jeder sinnvollen empirischen Arbeit sind. Die Integration von Theorie und Empirie lässt sich mit dem Argument stützen, dass es unmöglich ist, scharf zwischen Theorie einerseits und Empirie andererseits zu trennen. Denn die Welt, in der wir leben, wird von uns selbst erzeugt. Putnam drückt das so aus, „dass unsere Beschreibungen der Welt durch unsere eigene Begriffswahl vorgeformt“ (1995: 38), also bereits theoriegeleitet sind. Diese Einsicht hat sich denn auch bei der praktischen Entstehung dieser Arbeit bestätigt. Denn der theoretische und empirische Teil sind nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern in ständiger wechselseitiger Bezugnahme. In der ersten Forschungsphase ging es darum, einen theoretischen Rahmen zu etablieren, um die Feldforschung vorbereiten zu können. Während der zweiten Forschungsphase im Feld hat es sich dann gezeigt, dass die ethnographischen Methoden zu besonders interessanten Ergebnissen führten. Dies legte es nach Ab-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
schluss der Feldforschung bzw. nach Auswertung der empirischen Ergebnisse dann nahe, in der dritten Forschungsphase danach zu fragen, inwieweit die Empirie auch zur Elaboration des theoretischen Diskurses herangezogen werden kann. Entsprechend wurde der medienkulturwissenschaftliche Ansatz erst im letzten Drittel des Forschungsprozesses konzipiert. Allerdings zieht die Integration von Theorie und Empirie den unvermeidbaren Nachteil der Uneinheitlichkeit nach sich. Denn während theoretische Aussagen auf einem relativ abstrakten Niveau des Kontinuums wissenschaftlicher Aussagen angesiedelt sind und einen verallgemeinerbaren Gültigkeitsanspruch haben, sind empirische Untersuchungen per definitionem auf einem basalen Niveau angesiedelt. Sie weisen einen exemplarischen Charakter auf (Alexander 1982). Zu einer Theorie lässt sich in aller Regel eine Vielzahl von Fallstudien durchführen. Aufgrund von forschungspraktischen Restriktionen muss aber aus der Vielzahl von möglichen Fallstudien eine bestimmte Auswahl getroffen werden. Auch wenn die Wahl des afrikanischen Landes Senegal in der vorliegenden Arbeit gut begründet wird, wären für die Untersuchung der Medienkultur auch viele andere Untersuchungsräume denkbar. Mit anderen Worten, die Lektüre der vorliegenden Forschungsarbeit erfordert es, sich das jeweilige Abstraktionsniveau der unterschiedlichen wissenschaftlicher Aussagen zu vergegenwärtigen und den Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie nicht aus den Augen zu verlieren.
1.4 GLIEDERUNG 1.4.1
Einführung in den theoretischen Kontext
Die Forschungsarbeit gliedert sich insgesamt in drei Teile, wobei dem ersten Teil die Aufgabe zukommt, in den theoretischen Kontext einzuführen. Im zweiten Kapitel geht es um die Konzeption des transdisziplinären Forschungsfeldes der Medienkulturwissenschaft. Dazu ist es zunächst nötig, den Begriff der Medienkultur zu definieren. Der Begriff wird als ein Kompositum der beiden Begriffe Medien und Kultur aufgefasst und handlungstheoretisch ausgerichtet. Auf dieser Grundlage gelingt es, Medienkultur gegenüber verschiedenen alternativen Verwendungsweisen argumentativ abzugrenzen. Die Medienkulturwissenschaft setzt sich zum Ziel, das mediale Handeln zu beschreiben und zu erklären. Nach einer Beschreibung der Praktiken von gesellschaftlichen Akteuren mit (Massen-)Medien erfolgt die Erklärung dieses Handeln durch eine Zurückführung auf kulturell verankerte Muster, Rituale und Werte. Die Medienkulturwissenschaft leistet
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damit einen Beitrag an die Frage, was diese Handlungen und Praktiken über die Kultur einer Gemeinschaft aussagen. Im Anschluss an die Gegenstandsbestimmung und die begrifflichen Grundlagen wird dann die Entstehungsgeschichte des transdisziplinären Forschungsfeldes skizziert. Zwar lässt sich von der Medienkulturwissenschaft handlungstheoretischen Zuschnitts erst seit dem Ende der 1980er Jahre sprechen, aber historisch gesehen geht sie auf den Diskurs über die Interdependenz von Kultur und Medien zurück. Dieser Diskurs lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückdatieren. Angesichts dieser handlungstheoretischen Konzeption werden im dritten Kapitel fünf verschiedene neue Ansätze identifiziert, die das transdisziplinäre Forschungsfeld der Medienkulturwissenschaft bilden. Es handelt sich dabei um den soziokulturellen Konstruktivismus, die Mediendispositivforschung, den Theatralitätsansatz, die Medienethnologie und die sich mit Medienkultur beschäftigenden Ansätze der Cultural Studies. Da sie sich aber hinsichtlich ihrer wissenschaftshistorischen Wurzeln, methodologischen Grundlagen, disziplinären Verortungen und wissenschaftlichen Vokabularien unterscheiden, werden sie gemeinhin nicht in einem Zusammenhang gesehen. Während der soziokulturelle Konstruktivismus des Forschungsteams um Schmidt dem Schnittfeld von Germanistik, Systemtheorie und Kognitionspsychologie entstammt, nimmt die Mediendispositivforschung von Hickethier und Paech Anleihen bei der deutschen Literatur- und Filmwissenschaft sowie dem französischen Poststrukturalismus. Dagegen geht der soziologisch ausgerichtete Theatralitätsansatz auf das DFGSchwerpunktprogramm Theatralität zurück. Es ist vor allem Willems, der die Rezeption der Soziologen Bourdieu und Goffman für die Analyse von Medienkultur fruchtbar zu machen versucht. Dagegen wendet die Medienethnologie die ethnographischen Prinzipien und Feldforschungsinstrumente für die Analyse von Medienpraktiken an. Stellvertretend seien Forscher wie Abu-Lughold, Askew oder Peterson erwähnt, die sich wiederum teilweise auf Cultural Studies Vertreter wie Ang, Fiske, Kellner und Lull beziehen. Die Arbeiten dieser Forscher charakterisieren sich durch die Anwendung eines radikalen Kontextualismus: Es geht ihnen nicht um Kultur an sich, sondern um eine Analyse des Kontexts von kulturellen Formationen. Denn kulturelle Praktiken bilden ein Beziehungsgeflecht, bei dem Differenz schaffende Kriterien wie Ethnie, Beruf, Besitz, Bildung, Geschlecht, Gesundheit, Klasse, Nationalität, politische Einstellung, Rasse, Religion oder Sexualität intervenieren. Die Cultural Studies fragen also danach, wie die Menschen „ihre kulturellen Praxen nutzen, um ihre Lebenswirklichkeit mitzugestalten und zu verändern“ (Bührmann 2004: 132), wobei sie davon ausgehen, dass bedeutsame Praktiken als durch Konflikt, Widersprüche und Widerstand gekennzeichnete Prozesse nur in
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einer kontextuellen Einbettung und historischen Rekonstruktion verständlich werden. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die fünf Ansätze hinsichtlich ihrer theoretischen Implikationen und empirischen Forschungsagenda zu beschreiben und kritisch zu evaluieren. In einem Vergleich können abschließend die Gemeinsamkeiten und Differenzen der Ansätze herausgearbeitet werden. Dabei stellt sich heraus, dass die Cultural Studies den elaboriertesten medienkulturwissenschaftlichen Ansatz darstellen. Der weltweite Erfolg der Cultural Studies liegt in ihrer modernen Themenagenda, ihrem radikalen Kontextualismus, ihrem Credo der Selbstreflexivität und ihrer Sensibilität gegenüber der kulturellen Vielfalt begründet (Mattelart/Neveu 2003). Sie finden auch in marginalisierten Weltregionen Anklang, wo Wissenschaftler wie Chen (1992; Taiwan), Tomaselli (1998; Südafrika) oder Wright (2004; Sierra Leone) wirken, deren Forschungsanstöße auch in Nordamerika und Europa rezipiert werden. Allerdings lassen sich in konstruktiver Absicht auch drei Kritikpunkte gegenüber den Cultural Studies formulieren: Sie weisen erstens ein Theoriedefizit auf und wenden zweitens mehrheitlich hermeneutisch-textualistische Methoden an. Trotz ihrer Sensibilität gegenüber der kulturellen Vielfalt und der Tatsache, dass Forscher aus marginalisierten Wissenschaftsorten an ihrem Diskurs partizipieren, muss drittens festgestellt, dass die Forschung überwiegend in westlichen Ländern geleistet wird. An diese Kritikpunkte arbeitet sich die Untersuchung in den folgenden Kapiteln auf konstruktive Weise ab.
1.4.2
Vom Modell zum Ansatz
Um sich an den drei genannten Kritikpunkten abarbeiten zu können, ist es allerdings notwendig, ein konkretes Forschungsprojekt der Cultural Studies auszuwählen. Die Wahl fällt dabei auf ein im Rahmen des Überblicks zu den Cultural Studies vorgestelltes Modell: den Cicuit of Culture (du Gay et al. 1997). Die Wahl lässt sich mit dem unausgeschöpften Potenzial des Modells begründen. Um dieses Potenzial einzulösen, verfolgt der zweite Teil der Forschungsarbeit das Ziel, den Circuit of Culture zu einem ethnographischen Ansatz der Medienkulturwissenschaft auszubauen. Im vierten Kapitel werden zunächst die wissenschafts- und modelltheoretischen Grundlagen der Cultural Studies erörtert. Sie werden vom Pragmatismus bereitgestellt. Die Beschäftigung mit der pragmatischen Modelltheorie führt zu dem Ergebnis, dass sich Modelle mit den Kriterien der Abstraktion bzw. Selektion sowie der Nützlichkeit evaluieren lassen. Anhand dieser Kriterien geht es anschließend darum, diejenigen kommunikationswissenschaftlichen Prozess-, Mediensys-
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tem-, Vermittlungs- und Kreislaufmodelle zu beschreiben, die zur Genese des Circuit of Culture beigetragen haben. Der Circuit of Culture macht für die Konstitution von Kultur fünf wechselseitig aufeinander bezogene Faktoren aus: Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation. Mit seinem Grundgedanken, dass kulturelle Prozesse ein Ergebnis der Interdependenz dieser fünf Faktoren sind, nimmt es auf den Globalisierungsdiskurs Bezug. Tomlinsons (1999: 2) Begriff der komplexen Konnektivität spielt gerade darauf an, dass das zentrale Merkmal der Globalisierung das sich verdichtende Netzwerk von wechselseitigen Interdependenzen und Interaktionen sei. Der Circuit of Culture erhebt zwar den Anspruch, sämtliche kulturelle Phänomene zu erfassen, aber seine Stärken liegen eindeutig im Bereich der Medienkultur. Dies ist wenig verwunderlich, steht der Circuit doch in der Traditionslinie von kommunikativen Kreislaufmodellen wie von Schramm (1965) oder Johnson (1999 [1986]) bzw. weist es doch auf Halls Encoding-Decoding-Modell (1999a [1980]) und dessen Artikulationstheorie zurück. Der Circuit of Culture spitzt den Gedanken zu, dass es kein Ursprungsmoment in der Kommunikation gibt, da Kommunikatoren und Rezipienten wechselseitig auf Kommunikationsinhalte Bezug nehmen, um Bedeutung erzeugen zu können. Auf der Basis einer ausführlichen Kritik des Circuit of Culture geht es im fünften Kapitel darum, dieses Modell soweit zu konkretisieren und anwendungsorientiert zu gestalten, damit es sich für die Forschungspraxis eignet. Mit anderen Worten, um eine empirische Fundierung der theoretischen Überlegungen zur Medienkulturwissenschaft zu ermöglichen, wird auf der Grundlage des Kreislaufmodells ein Ansatz für die ethnographische Analyse von transnationalen Medienkulturen entwickelt. Der Circuit of Culture wird also konkretisiert, indem er in eine Ansatzform überführt wird. Diese Anwendungsorientierung wird durch eine Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes auf Medienkultur sowie durch eine handlungstheoretische Dynamisierung erreicht. Sie schlägt sich in einer Transformation der fünf Faktoren zu Akteuren nieder. Der ethnographische Ansatz der Medienkulturwissenschaft (EAM) konzipiert Medienkultur als einen Kontext, der sich aus den Praktiken von Kommunikatoren, Rezipienten, Regulationsakteuren sowie den ihnen inhärenten Identitäten und Repräsentationen konstituiert. Der Komplexität von Medienkulturen wird dadurch Rechnung getragen, dass möglichst viele Relationen zwischen den Akteuren berücksichtigt werden. Die medienkulturwissenschaftlichen Hauptfragestellungen lauten: Durch welche Praktiken von sozialen Akteuren konstituiert sich eine Medienkultur? Was sagen diese Praktiken über die Kultur einer Gemeinschaft aus? Vor dem Hintergrund des Circuit of Culture im Allgemeinen und dieser Hauptfragestellungen im Besonderen werden konkrete Forschungsfragen zu Konflikt, Konfliktregulation und Plurimedialität gestellt. Sie werden
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
im Modell nicht explizit gemacht, sind dort jedoch bereits angelegt. Durch die Angabe der Forschungsfragen, die Erläuterung des ethnographischen Forschungsdesigns und das Skizzieren von empirischen Anwendungsfeldern erreicht der Ansatz eine Systematik, die seine größte Errungenschaft darstellt. Durch diese Modifikationen leistet der medienkulturwissenschaftliche Ansatz nicht nur einen Beitrag an die Einlösung der in Kapitel 3 formulierten Kritik an den Cultural Studies im Allgemeinen, sondern setzt auch die in Kapitel 4 formulierte Kritik am Circuit of Culture im Besonderen konstruktiv um. Das Forschungsdesign erklärt sich dadurch, dass eine ethnographische Perspektive insbesondere dann sinnvoll ist, wenn weitgehend unbekannte und unerforschte Medienkulturen in ihrem Gesamtzusammenhang von Produktion, Aneignung und Regulation untersucht werden sollen. Denn je geringer das Vorwissen, desto wichtiger ist es, offen und unvoreingenommen an den Untersuchungsgegenstand heranzugehen. Im Vergleich zu Mediensystemklassifikationen, die traditionellerweise ‚top down‘ angelegt sind,13 können transnationale Medienkulturen mit einem akteurszentrierten und handlungstheoretischen ‚bottom up‘ und ‚from within‘ Ansatz wesentlich genauer erforscht werden. Zur Anwendung gelangt dabei das methodologische Prinzip der Triangulation (Flick 2004).
1.4.3
Fallstudien
Der dritte Teil der Forschungsarbeit stellt an den Beispielen des Konflikts, der Konfliktlösung und der Plurimedialität dar, wie der ethnographische Ansatz der Medienkulturwissenschaft für die Analyse einer westafrikanischen Medienkultur angewendet werden kann. Kapitel 6 stellt das Forschungsdesign vor. Zunächst ist der Forschungsraum zu begründen. Die Wahl ist dabei auf die Presse in Senegal gefallen. Zwar wird in diesem Fall der mediale Kulturraum auf das Gebiet eines Nationalstaates beschränkt, aber dies bedeutet nicht, dass die senegalesische Pressekultur national oder ethnisch fundiert sei. Es lassen sich vier Gründe für die Wahl des Forschungsraums angeben: Erstens ist es ein Land, das seit jeher zutiefst von transnationalen Austauschbeziehungen geprägt ist. Zweitens gilt der Senegal als einer der wenigen demokratischen Modellfälle Afrikas. Drittens weist das Land einen erstaunlichen Medienpluralismus und eine extensive Anwendung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien auf, die sich aber viertens nicht in einem prosperierenden Forschungsstand niederschlagen. Denn während es seit jeher eine detaillierte und di13
Siehe: Altschull (1990), Blum (2005), Martin/Chaudhary (1983), Mc Quail (1987) und Wiio (1983).
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versifizierte ethnologische, soziologische, politologische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu dem Land gibt, ist der Forschungsstand der senegalesischen Medien- und Kommunikationsforschung als ungenügend zu bezeichnen. Anschließend werden die Forschungsfragen auf den senegalesischen Kontext angewendet und zu forschungsleitenden Hypothesen transformiert. Im Hinblick auf die Prämisse, dass mehrere Akteursgruppen wie Journalisten, Regulationsakteure und Rezipienten am Kreislauf des ‚media making‘ beteiligt sind, besagt die erste Hypothese, dass sich die senegalesische Pressekultur konflikthaft konstituiert. In erster Linie ist an Konflikte wie der Kampf um die Pressefreiheit, die Informationsfreiheit in Zeiten militärischer Auseinandersetzung, die Berichterstattung über die einflussreichen muslimischen Bruderschaften sowie an medienethische Konflikte zu denken. An diesen Themenkomplex schließt sich die Frage an, wie diese Konflikte gelöst werden. Im Hinblick auf Faktoren wie die Schwäche der Regierung, die weit verbreitete Korruption der Staatsverwaltung, den informellen Wirtschaftssektor und die senegalesische Kultur der Teranga, besagt die zweite Hypothese, dass diese Konflikte sowohl durch formelle als auch durch informelle Strategien gelöst werden. Gemäß der Forschungsfrage zur Plurimedialität geht der ethnographische Ansatz der Medienkulturwissenschaft der Frage nach, auf welche Weise die interpersonale Kommunikation von der Medienaneignung kontextulisiert wird und diese zugleich kontextualisiert. Im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich um ein westafrikanisches Land handelt, ist bei der Medienaneignung nicht nur an das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, sondern auch von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu denken. Denn angesichts des oben erwähnten Medienpluralismus und einer Alphabetismusrate von knapp 40% der Erwachsenen (UNDP 2005: 221) lässt sich beim Senegal nicht von einer Gesellschaft mit ausgeprägter Schriftkultur sprechen. Vielmehr ist die senegalesische Gesellschaft nur oberflächlich literalisiert. Diese Überlegungen führen zur Formulierung der dritten Hypothese: Der senegalesischen Presse kommt für die soziale Kommunikation nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die Feldforschung umfasste einen zehnmonatigen Zeitraum von Anfang November 2002 bis Ende August 2003. Für den Zugang zum Feld war es von Bedeutung, dass durch zwei frühere Aufenthalte 1999 und 2001 bereits viele freundschaftliche wie wissenschaftliche Kontakte bestanden und seither gepflegt wurden.14 Auf diese Weise konn14
Im Rahmen eines Auslandssemesters hat der Verfasser 1999 zum ersten Mal in Dakar geforscht. Eine mehrheitlich deskriptive Studie hat die Ergebnisse dieses Aufenthaltes zusammengefasst (Wittmann 2001).
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te auf ein bestehendes Netzwerk zurückgegriffen und sukzessive ausgebaut werden. Dies betrifft auch die Zusammenarbeit mit drei lokalen Studenten, die den Verfasser bei der Datenerhebung unterstützt haben. Für die Überprüfung der Hypothesen des Konflikts, der Informalität und der Plurimedialität wurden insgesamt zehn verschiedene Erhebungsprojekte durchgeführt: Leitfadeninterviews, informelle Gespräche und Gruppendiskussion mit Kommunikatoren; Befragungen von Kiosk- und Straßenverkäufern; standardisierte und offene Befragungen sowie Fotointerviews mit Rezipienten sowie Beobachtungsprojekte. Bei der Auswertung und Interpretation wurden die Datensätze in einigen Fällen miteinander trianguliert. Im siebten Kapitel wird überprüft, inwieweit die Konstitution der senegalesischen Medienkultur konflikthaft erfolgt. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen dabei Konflikte zwischen den prinzipiellen Akteursgruppen des öffentlichen Raums: auf der einen Seite die politischen, religiösen und Regulationsakteure und auf der anderen Seite die Presseakteure. Aufgrund der ethnographischen Perspektive gelingt es, die Verletzungen der Pressefreiheit als Ritual und die Reaktion der Presse auf die Einflussnahme religiöser Akteure als konformistische Taktiken zu beschreiben. Auch die dysfunktionale Gewaltentrennung und die Verletzungen der medienethischen Vorschriften schlagen sich in kulturellen Praktiken nieder. Es wird sich zeigen, dass die Themen Pressefreiheit, Medienethik und Mangel an Professionalität insofern zusammenhängen als die medienethischen Verletzungen die Glaubwürdigkeit der Presse unterlaufen und sie beim Kampf um die Pressefreiheit in einem schlechten Licht stehen lassen. Auch tragen die verschiedenen Konflikte zu einer Identitätskrise unter den senegalesischen Journalisten bei. Im achten Kapitel geht es um die Hypothese, dass die bestehenden Konflikte sowohl durch formelle als auch durch informelle Strategien gelöst werden. Die Untersuchungen werden zeigen, dass die Journalisten in der Auseinandersetzung mit politischen und religiösen Akteuren auf die Autoregulation und auf zivilgesellschaftliche Aktionen rekurrieren. Dagegen sind der Mangel an Professionalität und die finanzielle Abhängigkeit der Zeitungsverlage Ergebnis der ökonomischen Prekarität. Eine geringe, unregelmäßige und zahlungsschwache Leserschaft, ein marginaler Werbemarkt, ein niedriges Lohnniveau, hohe Produktionskosten und ein schlechtes Vertriebsnetz führen zu einer hohen Fluktuation von Journalisten und zu einer gefährlichen Instabilität des Markes. Während jedes Jahr eine ansehnliche Anzahl von Zeitungen eingeht, werden kurze Zeit später neue Titel mit fast derselben Redaktion gegründet. Diese Kontextbedingungen treiben viele Redaktionen in die Arme des informellen Sektors. Mit ihrem alternativen Finanzsystem verfügt dieser Sektor über eine unsichtbare Machtposition im Pressemarkt und entscheidet über die Existenz so mancher
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Zeitung. Die Informalität als Konfliktlösungsstrategie ermöglicht ihrerseits wiederum Praktiken des Betrugs, der Korruption und der Gewalt. Diese illiziten Praktiken beruhen auf kulturellen Handlungsmustern wie Anerkennung klientelistischer Beziehungen, Respekt gegenüber der interpersonalen Vereinbarung und Ehre. Das neunte Kapitel untersucht die Hypothese, ob der Presse für die soziale Kommunikation nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Um dies adäquat beurteilen zu können, ist die Aneignung der Printmedien im Kontext der gesamten Medienaneignung zu untersuchen. Dabei ist auch die interpersonale Kommunikation zu berücksichtigen, da anzunehmen ist, dass sie in einem Land mit oraler Tradition eine große Rolle spielt. Gemäß dem Prinzip des Ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft, die Beziehungen der verschiedenen Akteure aufeinander zu beziehen, werden im ersten Abschnitt die Vorstellungen der Journalisten über ihr Publikum zusammengetragen. Diese Vorstellungen werden dann mit den Ergebnissen aus einer standardisierten Befragung zur Aneignung von Massenmedien in der Hauptstadt Dakar, in einer Provinzstadt im Landesinnern sowie in Dörfern einer Randregion verglichen. Die Befragung gibt nicht bloß genaue Daten zur Medienaneignung im Allgemeinen, sondern weist auch die relative Bedeutung der Presse nach. Einerseits werden Printmedien im urbanen Raum weit mehr gelesen als dies gemeinhin erwartet wird. Andererseits ist die Alphabetisierung beileibe keine Voraussetzung für die Lektüre, denn die Presseschauen der staatlichen wie privaten Radiostationen erfreuen sich großer Beliebtheit. Daneben spielt aber auch eine Rolle, was man mit Hinweis auf Goody (1986) als alternative Schriftlichkeit bezeichnen könnte: Manche Analphabeten lassen sich die Artikel auch von Schriftkundigen vorlesen oder sehen sich bloß die Fotos an. Darüber hinaus gibt es noch andere verschlungene Wege: Altpapierzeitungen werden als Verpackungsmaterial von den kleinen Haushaltsmittelläden verwendet, um Waren wie Brot oder Zucker einzupacken. Auf diese Weise bleiben sie in der Küche oder auf dem Esstisch der senegalesischen Haushalte liegen und finden Zugang zu vielen Familienmitgliedern. So ziehen attraktive und provokative Fotos auch Tage, Wochen oder Monate nach ihrer eigentlichen Publikation die Aufmerksamkeit auf sich. Manche Diskussion über gesellschaftliche oder politische Entwicklungen hat sich schon an einem solchen Papierfetzen entfacht.
T EIL 1 E INFÜHRUNG IN DEN THEORETISCHEN K ONTEXT
2 GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND G E S C H I C H T E D E R MEDIENKULTURWISSENSCHAFT 2.1 ÜBERBLICK Die Kommunikationswissenschaft versteht sich heute als eine integrative Sozial- und Kulturwissenschaft (Bonfadelli/Jarren 2001:10; Löffelholz/Quant 2003: 27). Der dynamischen Entwicklung ihrer Forschungsgegenstände – genannt sei hier nur die Mediengesellschaft mit ihren neuen Kommunikationsformen, ihrer Omnipräsenz von Werbung und ihrem Trend zur Mediokratie – begegnete das Fach mit einer Ausdifferenzierung ihrer Teildisziplinen. Im Zuge dieser Arbeitsteilung hat die Kommunikationswissenschaft in den letzten 25 Jahren auch eine Reihe von Ansätzen entweder selbst entwickelt oder die von Nachbardisziplinen zu spezifischen Aspekten der Medien- und Kommunikationsforschung entwickelten Ansätze zur Kenntnis genommen, die auf die soziokulturelle Kontextualisierung ihrer Forschungsergebnisse Wert legen oder sogar ihr Erkenntnisinteresse auf die kulturellen Aspekte von Kommunikation und Medien richten. Begründet wird dieser cultural turn mit dem Argument, dass Medienkommunikation nicht angemessen unter Ausblendung von kulturellen Faktoren verstehbar sei: „Alles Kulturelle ist durch Kommunikation vermittelt und wird erst durch diese Vermittlung zu einem sozialen Artefakt und zu Kultur im eigentlichen Sinn. Zugleich wird Kommunikation durch Kultur vermittelt. Sie ist der Modus, in dem Kultur verbreitet und produziert wird. Ohne Kommunikation gibt es keine Kultur und umgekehrt.“ (Kellner 1999: 351)
Aus historischer Sicht meint der cultural turn keinen kompletten Bruch, sondern eine Wiederaufnahme von verschüttet gegangenen ethnographischen, kulturalistischen oder qualitativ-sozialwissenschaftlichen Forschungsstrategien. Unter diesen Vorzeichen sind For-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
schungsfelder wie die Medienästhetik (Schnell 2000), die Mediensoziologie (Jäckel 2005; Maigret 2003), die Medienökologie (Postman 1985; Giesecke 2002), die Mediatisierungsforschung (Krotz 2001 und 2006; Raible 2006) oder die Theorie der interkulturellen Kommunikation (Lüsebrink 2005; Maletzke 1996) entstanden. Sie setzen auf eine interpretative und prozessorientierte Wissenschaftspraxis. Zu erwähnen ist auch die Anwendung ethnographischer Forschungsstrategien in der Kommunikationswissenschaft. 15 In diesem Umfeld ist auch die Medienkulturwissenschaft zu situieren. Sie ist ein transdisziplinäres Forschungsfeld, das sich unter anderem aus medienethnologischen, mediensoziologischen und Cultural Studies Ansätzen zusammensetzt. Sie ist transdisziplinär, weil die Beschäftigung mit dem komplexen Gegenstand der Medienkultur einen multiperspektivischen Ansatz erfordert. Transdisziplinarität hebt „innerhalb eines historischen Konstitutionszusammenhanges der Fächer und Disziplinen Engführungen auf, wo diese ihre historische Erinnerung verloren und ihre problemlösende Kraft über allzu großer Spezialisierung eingebüßt haben, aber sie führt nicht in einen neuen fachlichen oder disziplinären Zusammenhang.“ (Mittelstraß 2003: 10)
Wie ein Blick in die Verzeichnisse wissenschaftlicher Verlage zeigt, verzeichnet der Begriff der Medienkultur seit einigen Jahren einen regelrechten Boom – davon zeugen allein die Publikationen von Bignell (2000), Blum (2005), Dietz/Skrandies (2006), Faulstich (1998a; 2000), Flusser (1997), Göttlich (1997), Gripsrud (2002), F. Hartmann (2006), Hepp (2004), Jacke (2004), Knoblauch (1995, 1996), Krotz (2003), Kellner (1995; 2005), Liebrand et al. (2005), Lull (20000; 2002), Marchart (2004), Marshall (2004), Morris (2006), Murphy/ Kraidy (2003), Real (2003), Schmidt (2003; 2004), Spound/Wunderlich (2002), Stevenson (2002), Wende (2004) und R. Winter (2001; 2005b).
2.2 BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT Der Boom des Begriffs Medienkultur darf allerdings nicht über seine Bedeutungsvielfalt hinwegtäuschen. In den folgenden Abschnitten wird erstens dafür argumentiert, den Begriff Medienkultur auf systematische Weise als Kompositum der Begriffe Kultur und Medien auf-
15
Siehe: Bachmann/Wittel (2006), Krotz (2005), Machin (2002) und R. Winter (2005a).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
33
zufassen, und zweitens handlungstheoretisch einzuschränken. 16 Im Anschluss an diese Begriffs- und Gegenstandsklärungen wird die historische Entstehung der Medienkulturwissenschaft rekonstruiert.
2.2.1
Kulturbegriff
Wie andere sozial- und kulturwissenschaftliche Schlüsselbegriffe – man denke an Gesellschaft oder Öffentlichkeit – demonstriert der Begriff Kultur, dass etwas bisher als selbstverständlich Vorausgesetztes problematisch geworden ist. Der Ethnologe Hansen (2000: 11) verdeutlicht die Bedeutungsvielfalt des Kulturbegriffs in vier umgangssprachlichen Beispielsätzen: • Der Meier macht irre in Kultur; dauernd rennt er in die Oper oder ins Theater; den Kulturteil der Frankfurter lernt er auswendig! • Die Müllers haben keine Kultur, keine Lebensart! Sie besitzen zwar alle Errungenschaften der Zivilisation, sind aber kulturlos. Auf Reisen nehmen sie nicht einmal einen Kulturbeutel mit! Frau Schulz reist viel, denn sie interessiert sich für fremde Kultu• ren. Sie findet es auch spannend, die Subkulturen des eigenen Landes zu erkunden. • Der starke Regen vernichtete die meisten der angepflanzten Kulturen. Bereits diese umgangssprachlichen Verwendungsweisen zeigen, dass Kultur sowohl das Individuelle als auch das Soziale betrifft. Angesichts einer über 2000-jährigen Begriffsgeschichte haben die Sozialund Kulturwissenschaften eine Typologie des Kulturbegriffs unternommen. Aus ihrer Sicht lassen sich vier miteinander konkurrierende Begriffsdefinitionen ausmachen (Reckwitz 2000: 64-90). Erstens ein normativer Kulturbegriff, der auf den lateinischen Terminus ‚cultura‘ zurückgeht. Während sich dieser Begriff in der Antike zunächst auf die Pflege und die Kultivierung bzw. Bebauung von Ackerland bezieht, referiert er in der Frühaufklärung auf den ausgezeichneten Zustand einer sozialen Gemeinschaft. In der Hochaufklärung (Kant), der englischen Literaturkritik des 19. Jahrhunderts (Arnold) und der deutschen Kultursoziologie des frühen 20. Jahrhunderts (Simmel, Weber) wird dann die sich in Kunst, Recht, Religion, Sitte, Technik und Wissenschaft manifestierende Kultur gegen die als dekadent konnotierte Zivilisation abgegrenzt. Gegen den normativen Kul16
Eine Begriffsklärung ist umso notwendiger als sich eine Reihe von Autoren nicht die Mühe macht, den Begriff Medienkultur zu definieren, und seine Bedeutung stillschweigend voraussetzt (Hartmann 2006; Marchart 2004).
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
turbegriff lässt sich einwenden, dass er auf einer subjektivistischen und wertenden Grundlage steht und kein heuristisches Potenzial für eine sozial- und kulturwissenschaftliche Analyse bereitstellt. Zweitens ein holistischer Kulturbegriff, der unter Kultur eine spezifische Lebensform einer Gemeinschaft in einer historischen Epoche versteht. Denn bei Herder verliert ‚Kultur‘ seine wertende Bedeutung bereits wieder und wird als ein wertneutraler Begriff konzipiert. „Herders historisch-holistischer Kulturbegriff wird innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der neuartigen Richtung der Kulturgeschichte, wie sie von Burckhardt, Klemm, Lamprecht und anderen vertreten wird, aufgenommen und verbreitet. Die deutsche Kulturgeschichte bleibt freilich eine Episode. Die eigentliche Verankerung des holistischen Kulturbegriffs und damit der empirischen Kulturanalyse findet in einer anderen humanwissenschaftlichen Disziplin statt“ (ebd.: 73f.),
nämlich in der angloamerikanischen Anthropologie (Tylor, Boas). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird der holistische Kulturbegriff insbesondere von den frühen Cultural Studies weiter entwickelt. Sie definieren ‚culture‘ als „gesamte Lebensweise“ (Williams 1999: 58) und richten ihr Augenmerk auf die Differenzen zwischen verschiedenen Lebensweisen.17 Die Vorteile des Holismus liegen darin, den Kulturbegriff entsubjektiviert und politisiert sowie eine Analyse des Alltags eingefordert zu haben. Aber diese Stärke ist zugleich seine größte Schwäche:
17
Anhand des normativen Kulturbegriffs einerseits und der holistischen Konnotation von ‚culture ދandererseits lassen sich auch die Unterschiede zwischen der deutschsprachigen Kulturwissenschaft und den angloamerikanischen Cultural Studies ablesen. Zwar reagieren die unter ökonomischen und kulturpolitischen Druck geratenen Geisteswissenschaften seit Ende der 1980er Jahre mit einer Modernisierungsstrategie und beginnen, sich als Kulturwissenschaften zu konzipieren, aber diese Strategie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letztlich „um eine Rückkehr zur Universität des 19. Jahrhunderts geht, um eine Neulegitimation der klassischen Bildungsidee“ (Marchart 2004: 10) geht. Dagegen beschäftigen sich die frühen Cultural Studies mit unterschiedlichen Lebensweisen, in denen Identitäten und Ungleichheiten sichtbar werden. Letztendlich verfolgen sie ein politisches Ziel: „Es soll jenen, die aufgrund ihrer sozial untergeordneten Position nicht damit ausgestattet sind, Mittel zum Verständnis der machtbasierten Konstruiertheit der jeweils eigenen Identitäten [...] an die Hand gegeben werden. Es geht um die Bereitstellung von Mitteln zur Selbstermächtigung mit dem langfristigen Zweck sozialer und politischer Veränderung.“ (ebd.: 23) Ausführlich siehe Kapitel 3.6.
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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„Er subsumiert sämtliche menschliche Hervorbringungen und soziale Strukturen unter das Konzept ‚Kultur‘, so dass am Ende konsequenterweise Kultur als Nicht-Natur definiert werden muss. Dieser Kulturbegriff führt aber letztlich zu einem Modell der sozialen Welt, das gegenüber dem Begriffsinstrumentarium bereits der klassischen Sozialtheorien, vor allem der utilitaristischen und normativistischen Handlungstheorien deutlich unterkomplex bleibt, da er kein systematisches Vokabular zur Handlungserklärung bietet.“ (Reckwitz 2000: 78)
Der dritte Kulturbegriff setzt sich sowohl von der normativen als auch von der holistischen Konnotation ab. Seine differenztheoretisch argumentierenden Vertreter gestehen dem holistischen Kulturbegriff zwar zu, für ethnologische Studien, aber nicht für die Analyse von ausdifferenzierten modernen Gesellschaften geeignet zu sein. Entsprechend grenzen sie den Kulturbegriff wieder ein (Parsons 1961; Tenbruck 1989). In der Nachfolge Nietzsches wird Kultur nur auf jene intellektuellen und künstlerischen Aktivitäten bezogen, die einer normativen Ausdeutung noch würdig erscheinen. Allerdings gilt es, die letzten normativen Elemente zu tilgen. „Was bleibt, ist eine wertfreie Identifikation von Kultur mit jenem gesellschaftlichen Handlungsfeld, in dem die Produktion, Distribution und Verwaltung von Weltdeutungen intellektueller, künstlerischer, religiöser oder massenmedialer Art stattfindet.“ (Reckwitz 2000: 79) Auf diese Weise wird Kultur innerhalb der Gesamtgesellschaft zum sozialen Teilsystem, das sich in institutionalisierter Form auf den Umgang mit Weltdeutungen spezialisiert. Viertens lässt sich als aktueller Forschungsstand ein bedeutungsorientierter Kulturbegriff ausmachen, der unter ‚Kultur‘ jenen Komplex von symbolischen Ordnungen versteht, „mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken“ (ebd.: 84). Dieser übersubjektivistische Kulturbegriff wurde bei Cassirer vorbereitet, um sich in den Sozial- und Kulturwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auszubilden und durchzusetzen. Die Linguistin Spencer-Oatey (2000: 4-5) hat eine zwiebelähnliche Visualisierung dieses Kulturbegriffs vorgeschlagen. Sie identifiziert mehrere Schichten. Die äußerste Schicht des Kulturmodells besteht aus den materiellen Anzeichen einer Kultur wie Artefakten und Verhaltensweisen. Die darunter liegende Schicht bilden die Systeme und Institutionen einer Gesellschaft. Darunter sind sowohl gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Systeme als auch die Institutionen einer Kultur zu verstehen. Diese Schicht bedingt und beeinflusst die äußere Schicht: zum Beispiel ist es in Deutschland gesetzlich verboten, bei Rot über die Straße zu gehen, was wiederum das
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Verhalten vieler Deutscher erklärt, die geduldig an einer roten Ampel warten bis es grün wird. In England, den Niederlanden, Spanien oder anderen Ländern, wo dieses Gesetz nicht besteht, ist dieses Verhalten natürlich merkwürdig. Es ist allerdings nur ein Verhalten, welches auf dem legislativen System Deutschlands beruht. Die nächste Schicht wird von den Grundsätzen und Normen gebildet. Wie auch bei den anderen Fällen, ist diese Schicht mit der darüber- und der darunter liegenden Schicht verbunden. In den Normen und Attitüden schlagen sich also die (Grund-)Werte und fundamentalen Annahmen als Kern einer Kultur nieder. Die Beispiele zu Verhaltensweisen in verschiedenen europäischen Ländern dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kultur zwischen dem Lokalen und Globalen vermittelt: „Heute verschmelzen die Menschen mechanisch das Nahe mit dem Fernen, das Traditionelle mit dem Neuen und das relativ Unmediatisierte mit dem Multimediatisierten, um umfangreiches Material und diskursive Welten zu schaffen, die die Lebenserfahrung transformieren und die Bedeutung des kulturellen Raums radikal rekonfigurieren.“ (Lull 2002: 751)
Von diesem bedeutungsorientierten Kulturbegriff gibt es zwei Sonderfälle. Zunächst ein systemtheoretischer Sonderfall, bei dem Kultur als Legitimationssystem angesehen wird, das die Rechte und Pflichten der Gemeinschaftsmitglieder begründet. „Kultur strukturiert jedenfalls die Wertbindungen und schafft sinnhafte Orientierungen für Handeln jeglicher Art. Allgemeine Normen und Wertehierarchien fungieren als Kulturmuster, die inhaltlich nicht unabänderlich festgelegt sind. Vielmehr sind sie funktional differenziert.“ (Faulstich 1998a: 45)
Beim zweiten Sonderfall handelt es sich um den konstruktivistischen Kulturbegriff von Schmidt, der auf der Systemtheorie aufbaut und sie um die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie erweitert. Auf diesen Kulturbegriff wird in Kapitel 3.2 zurückgekommen. Gegen den bedeutungsorientierten Kulturbegriff lässt sich einwenden, dass er allzu unspezifisch alles einem anthropologischen ‚Symbolwillen‘ subsumiert und dabei vergisst, dass dem Menschen je nach Situation, in der er handelt, eine Bedeutung gar nicht zur Hand zu sein braucht und ihm womöglich gar nicht an einer solchen gelegen ist. Liegen in einem solchen Fall dennoch Handlungsmuster vorliegen, die dann jedoch jenseits von Kultur zu verorten wären? Ferner kann daran gezweifelt werden, dass kulturelle Deutungsmuster immer symbolisch sind. Eine solche Zuweisung kann dazu führen, dass das derart angelegte Konzept von Kultur auf sprachliche Deutungsmuster verkürzt
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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wird. Deutungsmuster sind aber keineswegs nur sprachlich-prädikativer Art sondern in einem hohem Maße nichtsprachlicher Art. In diesem Sinn stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von sprachlichen und nicht sprachlichen Deutungsmustern (Förster 2007).
2.2.2
Autologie, Operationalisierung und Extension
Kulturstudien (und damit auch medienkulturwissenschaftliche Studien) sind mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Zunächst müssen sie mit dem Autologieproblem umgehen. Damit ist gemeint, dass jede Analyse und Beschreibung von Kultur wiederum selbst Kultur ist: „Kultur ist also sich selbst organisierend und reflexiv, was die Schwierigkeit bei Versuchen fester Beschreibungen ebenso vermeintlich fixer Kulturen erklären hilft.“ (Jacke 2004: 234)18 Eine weitere Herausforderung besteht in der Operationalisierung von Kultur. Denn sobald über das Abfragen von soziodemographischen Variablen hinausgegangen wird, wird die Operationalisierung von Kultur als symbolische Ordnungen aufgrund ihrer Komplexität schwierig. Schließlich ist die Abgrenzung des Kulturbegriffs, das heißt die Angabe seiner Extension, als dritte Herausforderung zu nennen. Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, besteht in den heutigen Sozial- und Kulturwissenschaften hinsichtlich des symbolorientierten Kulturbegriffs weitgehend Einigkeit. Die häufig beklagte Unübersichtlichkeit von kulturalistischen Studien rührt denn auch nicht etwa von unterschiedlichen Definitionen von Kultur her, sondern von der unterschiedlichen Extension ihres Gegenstandsbereichs. Unter dem linguistischen Begriff Extension versteht man die Klasse von Elementen, auf die sich ein Begriff bezieht. In den verschiedenen Feldern der Medien- und Kommunikationsforschung wird das Augenmerk je nachdem auf die Medienkultur, die interkulturelle Kommunikation, das kommunikative Gedächtnis oder auf die soziokulturellen Einflussvariabeln gerichtet. In aller Regel zeigt sich in der gewählten Extension von Kultur ein bestimmter Forschungsansatz. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: Die Theorie der interkulturellen Kommunikation (Lüsebrink 2005; Maletzke 1996) richtet ihr Augenmerk auf die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Mitgliedern verschiedener Kulturgruppen. Ihre meist komparativen Analysen zielen darauf ab, misslungene oder 18
Dies gilt auch für Kommunikation, die nur durch weitere Kommunikation analysierbar, beobachtbar und beschreibbar ist. Mit anderen Worten, Kommunikationswissenschaftler setzen voraus, was sie untersuchen wollen. „Das führt dazu, dass in der Kommunikationstheorie vieles als bekannt vorausgesetzt wird, was sich bei näherem Hinsehen keineswegs als bekannt herausstellt.“ (Schmidt/Zurstiege 2000: 28f.)
38
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
erschwerte Verständigungen zu erklären, und schlussendlich Möglichkeiten zur Lösung oder Vermeidung des Nichtverstehens aufzuzeigen. Im Unterschied dazu geht es der Theorie des kommunikativen Gedächtnisses (Assmann et al. 1998; Welzer 2002) darum, „die kulturelle Ausprägung der Gesellschaft als Ort der sozialen Identifizierung erkennbar und erlebbar zu machen. Mediengebundene Massenkommunikation wäre demzufolge der Umschlagplatz, wo flüchtige Alltagskommunikation sich objektiviert und historisiert“ (Haller 2004: 43f.). Ausgehend von ein- und derselben Definition ordnen also die beiden Forschungsansätze dem Kulturbegriff unterschiedliche Extensionen zu.
2.2.3
Medienbegriff
Die vorliegende Studie grenzt das weite Feld der Kultur auf die Extension von Medienkultur ein. Während oben bereits Kultur als symbolische Ordnungen definiert wurde, steht die Definition von Medien hier noch aus. Etymologisch gesehen, wurde das Wort ‚Medium‘ im 17. Jahrhundert aus dem Lateinischen übernommen und in seiner Bedeutung als räumliche Mitte, Mittelpunkt oder Mittel vor allem in Fach- und Wissenschaftssprachen verwendet (Schulte-Sasse 2002: 1ff.). Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzte sich dann die breiter gefasste Bedeutung von Medium als vermittelndes Element durch. Während der Begriff im 19. Jahrhundert in der Akustik, der Optik und des Spiritualismus eine spezifische Ausprägung erhielt, wurde der Plural ‚Medien‘ erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet. Synchron zur Etablierung des Fernsehens oder zur Erfindung des Tonbands fand das Kompositum ‚Massenmedium‘ Eingang in den alltäglichen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch und begann seine Begriffskarriere (Bohnenkamp/Schneider 2005: 35). Um Ordnung in die terminologische Unübersichtlichkeit zu bringen, schlug Pross (1970) die Unterscheidung zwischen primären, sekundären und tertiären Medien vor. Als primäre Medien bezeichnet er menschliche Körperorgane, die auf visuelle, auditive, taktile, gustatorische und olfaktorische Weise am Kommunikationsprozess beteiligt sind. Dazu gehören die menschliche Stimme, die Gestik und die Mimik. Kommunikation findet ohne technische Hilfsmittel statt. Dagegen benötigen sekundäre Medien wie die Schrift zumindest auf Komunikatorseite eine technische Ausrüstung. Als tertiäre Medien werden schließlich jene Medien wie Telefon, Radio und Fernsehen bezeichnet, bei denen sowohl der Kommunikator als auch der Rezipient eine technische Apparatur einsetzen. Die bisherigen Ausführungen werden von Posner (1986: 225ff.) zusammengeführt. Er unterscheidet einen biologischen, physikali-
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
39
schen, technologischen, soziologischen, funktionalen und einen codebezogenen Medienbegriff. Der biologische Medienbegriff deckt sich dabei mit dem, was Pross als primäre Medien bezeichnet. Dagegen ist der physikalische Medienbegriff bezogen „sowohl auf die physikalischen Bedingungen (Kontaktmaterien) wie auf die chemischen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine Verbindung zwischen den Informationen und dem Empfänger“ (Wende 2004: 99) herzustellen. Der technologische Medienbegriff verweist auf die technischen Mittel, die im Kommunikationsprozess verwendet werden (zum Beispiel Kugelschreiber, Papier, Kamera, Fernseher, Computer etc.). Der soziologische Medienbegriff ist abgeleitet von den an den Kommunikationsprozessen beteiligten sozialen Institutionen (Verlage, Kinos, Museen, Theater). Der funktionale Medienbegriff erfasst den Kommunikationsprozess nach seinem Zweck. Unabhängig davon, durch welche biologischen, physikalischen, technologischen und sozialen Einzelbestandteile ein Kommunikationsprozess organisiert ist, kann ein Medieninhalt (Roman, Reportage, Comic, Spielfilm) nach seinem Produktions- und Rezeptionszweck (Information, Unterhaltung, Eskapismus) befragt werden. Der codebezogene Medienbegriff beruht schließlich „auf den Regeln, die Kommunikationspartner anwenden, um mit ihrer Hilfe eine Botschaft zu codieren bzw. zu decodieren“ (ebd.: 100f.). Zwar hat die Kommunikationswissenschaft die rudimentäre Klassifikation von Pross und die semiotische Klassifikation von Posner rezipiert, allerdings hat sich schließlich die Mediendefinition von Saxer durchgesetzt. Sie ist sozialwissenschaftlich orientiert und mit systemtheoretischen Anleihen versehen: „Medien sind komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen.“ (1998b: 54) Diese Definition charakterisiert Medien zunächst als technische Kommunikationskanäle, die visuelle, auditive, audiovisuelle Zeichensysteme transportieren. Zugleich sind sie aber auch kommerzielle und kulturelle Organisationen, „also konkrete Sozialgebilde, die auf je spezifische, arbeitsteilige Leistungen in Hinsicht auf ein Organisationsziel erbringen“ (K. Beck 2003: 74). Die Krux der Definition von Saxer besteht in der Unterscheidung zwischen Organisation und Institution. Denn Massenmedien sind „soziale Regelwerke für Problemlösungen im alltäglichen Handeln“ (ebd.: 75). Das heißt, sie leisten über die demokratietheoretischen Ansprüche hinaus auch Ordnungs-, Orientierungs- und Sinnstiftungsfunktionen für Individuen und Kollektive.
40
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
2.3 GEGENSTAND DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT 2.3.1
Begriff Medienkultur
Es ist von der Forschung bemerkt worden, dass die für die Gegenwart typische „Medienhype Hand in Hand mit einem seit mehr als einem Jahrzehnt zu beobachtenden Boom des Kulturbegriffs“ (Marchart 2004: 7) einhergeht. Dieser Zusammenhang kulminiert in dem aus den soeben definierten Begriffen Kultur und Medien zusammengesetzten Kompositum Medienkultur. Darunter ist jener Komplex von symbolischen Ordnungen zu verstehen, mit denen sich gesellschaftliche Akteure beim Handeln mit Medien (Zeichensystemen, Organisationen und Institutionen) ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken. Im Unterschied zu Verhalten und Reagieren ist Handeln eine intentionale und sinnorientierte Tätigkeit. Die Medienkulturwissenschaft setzt sich also zum Ziel, das kommunikative und mediale Handeln zu beschreiben sowie zu verstehen bzw. zu erklären.19 Im Anschluss an eine Beschreibung der Praktiken von gesellschaftlichen Akteuren mit (Massen-)Medien erfolgt die Erklärung dieses Handelns durch eine Zurückführung auf kulturell verankerte Muster, Rituale und Werte. Sie geht also von der Prämisse aus, dass menschliches Handeln im Allgemeinen und mediales Handeln im Besonderen nicht arbiträr, sondern nach bestimmten Mustern geregelt und „in Bezug auf einen bestimmten Handlungssinn“ (Schmidt/Zurstiege 2000: 146) erfolgt. Die Medienkulturwissenschaft leistet damit einen Beitrag an die Frage, was diese Handlungen und Praktiken über die Kultur einer Gemeinschaft aussagen. In den Worten Faulstichs: Medienkultur geht es um „die exakte Spezifizierung und Proportionierung der Funktionen von Kommunikationsmedien in Gesellschaft“ (1998a: 48). Als Akteure sind Intermediäre wie Journalisten, Politiker, Werbe- und PRAgenten, Nichtregierungsorganisationen etc., Mitglieder des Regulations- und Vertriebssystems, und die Rezipienten zu nennen. Die Medienkulturwissenschaft ist handlungstheoretisch konzipiert, indem sie das Handeln von gesellschaftlichen Akteuren beschreibt und sinnadäquat (nicht etwa kausaladäquat) erklärt. Eine kulturtheoretische Handlungserklärung rekonstruiert die symbolische Organisation der Wirklichkeit durch Akteure. Sie muss 19
Ausdrücklich wird hier also kein Gegensatz zwischen Erklären und Verstehen behauptet. Im Gegenteil, „ein plausibel erscheinendes ‚Erklären ދvon Handeln – dies ist der heute von kaum einem Sozialtheoretiker bestrittene Stand der Debatte – [ist] nur über ein ‚Verstehen ދdes Sinnzusammenhanges möglich, in den es eingebettet wird“ (Reckwitz 2000: 106).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
41
„einen Hintergrund handlungsanleitender kultureller Schemata herausarbeiten, die die Akteure zwar fortlaufend einsetzen, auf die diese in ihren alltagsweltlichen, eigenen Handlungserklärungen jedoch in der Regel keinen Bezug nehmen, da ihnen ihre Wissensordnungen [...] normalerweise implizit bleiben.“ (Reckwitz 2000: 131)
Mediales Handeln wird über die Rekonstruktion von kognitiv-symbolischen Regeln, also über eine empirische Analyse der Sinnmuster von kollektiven Wissensordnungen erklärt.
2.3.2
Handlungstheoretische Abgrenzung
Die hier vertretene Konzeption von Medienkultur – und damit implizit von Medienkulturwissenschaft – unterscheidet sich grundlegend von einigen anderen Verwendungsweisen. Erstens geht sie weit über die medial vermittelte Kultur hinaus, wie dies Hügel (2003) und Hepp (2005) simplifizierend annehmen: „Als Medienkultur erscheinen die gegenwärtigen kulturellen Verdichtungen deshalb, weil Kulturen mit der fortschreitenden Mediatisierung des Alltags – d.h. durch die zunehmende Durchdringung der verschiedenen Sinnbereiche des Alltags mit Medien(kommunikation) – in zunehmenden Maße medienvermittelt sind.“ (ebd.: 138)
Eine solche Konzeption läuft allerdings Gefahr, ‚Kultur‘ implizit auf kulturelle Artefakte die sich qua Massenmedien vermitteln lassen, zu reduzieren. Zweitens lehnt die handlungstheoretische Konzeption die technikzentrierten Konzeptionen von Medienkultur ab. Flusser (1997), F. Hartmann (2006), Innis (1997 [1949]), Karpenstein-Essbach (2004), Kittler (2001) und McLuhan (1962) vertreten mediendeterministische Positionen, indem sie die technischen Leistungsvermögen von Medien in den Vordergrund ihrer Darstellungen rücken. Mediendeterminismus bedeutet, dass den Medien die Macht zugesprochen wird, kulturelle und soziale Veränderungen kausal zu verursachen.20 Gegen diese Auf-
20
Zumindest F. Hartmann ist sich der Gefahr des Mediendeterminismus bewusst. Seine Publikation beabsichtigt keinen Kurzschluss von Technik und ihren Effekten im Sinne jener Kausalität, die „kulturelle Veränderungen als direkte Wirkung technischer Erfindungen aussehen lässt. Das wäre technikdeterministisch gedacht. Der Technik liegt besonders in Gestalt von Medientechnologien eine Verflechtung von Apparaten und Performanzen zugrunde, welche die menschlichen Kollektive durchdringt und für ihre Kultur formgebend wirkt“ (2006:
42
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
fassung kann allerdings eingewendet werden, dass sie Gesellschaft und Kultur genauso zu einem Oberflächen- und Überbauphänomen reduziert, wie das bereits der marxistische Ökonomismus getan hat: „I don’t think that either society or technology operates in such a way. Technology itself is a discursive ensemble that depends on particular social and historical conditions for its development. There are conditions of possibility of technology itself.“ (Laclau 1988: 540) Dagegen schlägt Laclau vor, Medien als Institutionen, das heißt als gesellschaftlich institutionelle Knotenpunkte (nodal points) zu verstehen, die diskursive Gestalt haben.21 Drittens wird auch die inhalts- und textzentrierten Konzeptionen von Medienkultur beispielsweise von Faulstich (2000), Liebrand et al. (2005), Schönert (1996) und Wende (2004) abgelehnt. Denn diese Autoren begnügen sich mit diskursiven oder hermeneutisch-textualistischen Medienanalysen, wie sie so typisch für Studien anthropologischer und literaturwissenschaftlicher Provenienz sind. Die Mehrheit dieser Studien macht sich dabei das Prinzip ‚Kultur als Text‘ (Geertz 1987: 10ff.) zu eigen. Dieses Prinzip beruht auf der Annahme, dass es sich bei Kultur nicht nur um einen symbolischen, sondern genauer um einen textuellen Zusammenhang handelt, der den Methoden der Textanalyse zugänglich ist (vgl. Kapitel 3.6.7). Auch die von Saxer und Märki-Koepp vorgeschlagene systemtheoretische Version von Medienkultur ist inhaltszentriert. Sie verstehen darunter „die Leistung von Medienunternehmen“ (1992: 40) bzw. „das gesamte Kommunikationsangebot aller Medien“ (ebd.: 243). Dagegen favorisiert die hier vertretene Konzeption der Medienkulturwissenschaft qualitativ-sozialwissenschaftliche Methoden, um das Medienhandeln von sozialen Akteuren analysieren zu können. Eigens Erwähnung soll hier auch Faulstichs Projekt einer Medienkulturgeschichte finden. Sein Fokus richtet sich dabei auf die historische Betrachtung des Beitrags, „eines jeden einzelnen Mediums zum Aufbau, Erhalt oder zur Veränderung eines bestimmten Zustandes nicht nur des Teilsystems Kultur, sondern des Gesamtsystems Gesellschaft“ (1998b: 101). Schließlich wird durch die handlungstheoretische Konzeption auch jene Verwendungsweise von Medienkultur ausgeschlossen, bei der der kulturelle Teil des Kompositums eine normative Konnotation zugesprochen erhält: So behauptet Kübler mit Verweis auf die kritische Theorie, dass beim Begriff Medienkultur die unversöhnlichen Gegensätze von Kultur/Kunst einerseits und Medien andererseits „wieder – unbedacht oder absichtlich – zusammengefügt werden, mithin die Medien dadurch aufgewertet oder sogar von ihren potenziellen
21
17). Trotzdem strukturiert der Autor seine Geschichte der Medienkultur anhand von Evolutionsschritten der Medientechnik. Siehe dazu: Laclau/Mouffe (1991) und Marchart (2004: 38-45).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
43
dekultivierenden Wirkungen exkulpiert werden“ (2005: 188). Im Angesicht einer handlungstheoretischen Ausrichtung kann dieses Verständnis von Medienkultur jedoch nur anachronistisch anmuten.
2.4 GESCHICHTE
DER
MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
Bevor verschiedene Ansätze der Medienkulturwissenschaft vorgestellt werden, gilt es, die Geschichte dieses transdisziplinären Forschungsfeldes nachzuzeichnen. Genau genommen lassen sich von der Medienkulturwissenschaft handlungstheoretischen Zuschnitts erst seit dem Ende der 1980er Jahre sprechen. Um ihre Entstehung nachzuvollziehen, gilt es, den Diskurs über die Interdependenz von Kultur und Medien zu rekonstruieren. Die folgende Darstellung erhebt nicht den Anspruch, diesen Diskurs lückenlos und vollständig aufzuarbeiten. Aber sie versucht, die wichtigsten Entwicklungstendenzen und exemplarischen Leitlinien herauszuarbeiten.
2.4.1
Theorie der medialen Exteriorisierung
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung reflektierten die Wissenschaften die neue technische Wirklichkeit der Medienkultur, die sich durch die Entwicklung des Telegraphen, die schrittweise Verkabelung der Welt und die Ökonomisierung des Nachrichtenverkehrs grundlegend gewandelt hatte.22 Die historische Spurensuche zum Diskurs über das Telegraphensystem führt zur Technikphilosophie, die nach dem Verhältnis von Technik und Kultur fragt. Herauszuheben ist insbesondere Kapp. In Übertragung des Gedankens von Alexander von Humboldt, dass sämtliche technische Werkzeuge als exteriorisierte menschliche Organe aufgefasst werden können, führte Kapp den Begriff der Organprojektion ein. Entsprechend argumentierte er, dass auch Medien (im Sinne von Mitteln) als funktionale Auslagerungen des menschlichen Organismus zu begreifen seien. Diese Einsicht findet sich in der Feststel22
Diese Sichtweise blendet aus, dass eine Rekonstruktion des Diskurses von Kultur und Medien bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts möglich sein könnte. Als Forschungsdesiderat bleibt die Frage bestehen, ob man die Kulturwissenschaften, und selbst jenen Teil, der sich mit Medien beschäftigt, nicht bis zu Vicos Scienza Nueva zurück verfolgen kann. Sein Versuch, die Phronesis als Alternative zur cartesianischen Methode der Observation bzw. Verifikation zu etablieren, kann als der erste umfassende Versuch angesehen werden, eine Forschungsperspektive zu konstruieren, die einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Studium des ‚datum( ދder Natur) und des ‚factum( ދder Kultur) macht.
44
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
lung, dass die Telegraphenkabel die Nerven der Menschheit seien (1877: 141), zusammengefasst. „Dass der Mensch seine organische Anlage technisch reproduziert und mittels Technik auch potenziert, dieser Topos der Theorie sollte im 20. Jahrhundert eine recht prominente Neuauflage erhalten: als extensions of man, die Ausweitungen des Menschen, wie Marshall McLuhan die neuen elektronischen Medien zu fassen suchte.“ (F. Hartmann 2006: 83)
Der Unterschied zwischen Kapp und McLuhan liegt nun aber darin, dass jener das Menschliche von seiner technischen Exteriorisierung her begreifen wollte. Zu diesem Zweck begriff Kapp den Werkzeugund Technikgebrauch als eine Geste, wobei das Werkzeug ein bestimmtes Anwendungswissen übertragbar macht.23 Damit wird deutlich, dass es sich bei der Organprojektion nicht um eine Analogisierung von Organ und Werkzeug handelt, sondern um ein Abstimmungsverhältnis, von dessen Gelingen der kulturelle Vorteil abhängt. „Nicht nur der Werkzeuggebrauch, sondern auch die medialen Technologien des Speichern, Übertragens und Verarbeitens von Daten und Informationen können in dieser Linie als fortgesetzte Befreiungsgesten gesehen werden. Technik entsteht aus der Evolution ausgelagerter Operationsketten, die von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation und von Kultur zu Kultur übertragen werden.“ (ebd.: 88)24
Auf die Theoriebildung des 19. Jahrhunderts übertragen bedeutet dies, dass die Telegraphie also viel mehr als bloß eine Nachrichtentechnik symbolisierte: Durch den Beginn der Synchronität von Ereignis und Übertragung wurden nicht nur Orte verbunden, sondern auch Medienorte geschaffen, nicht nur Botschaften übertragen, sondern auch Teilhabe erzeugt. In diesem Sinne stand der zeitgenössische Begriff der ‚Weltcommunication‘ auch für die Idee eines Brückenschlags zwischen den Kulturen.
2.4.2
Chicago School of Sociology
Jenseits des Technischen wurden zwar bereits im 19. Jahrhundert die mit dem Begriff der Kommunikation zusammenhängende Konzepte
23 24
Eine ähnliche Argumentation hat auch Leroi-Gourhan (1995 [1964/ 1965]) vertreten. Siehe dazu auch: Serres (2003).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
45
des Austauschprozesses,25 der Güterzirkulation,26 des Netzwerks27, der öffentlichen Meinung28 oder des Publikums29 von Disziplinen wie der Politischen Ökonomie, der Psychologie, der Rechtslehre, der Staatstheorie und der sich gerade erst ausbildenden Soziologie diskutiert. Aber es dauerte doch bis Anfang des 20. Jahrhunderts, bis auch die gesellschaftlichen Implikationen der neuen Medienkultur erkannt wurden: „The changes that have taken place since the beginning of the nineteenth century are such as to constitute a new epoch in communication, and in the whole system of society. They deserve, therefore, careful consideration, not so much in their mechanical aspect, which is familiar to every one, as in their operation upon the larger mind.“ (Cooley 1962 [1909]: 80)
Bereits einige Jahre vor diesem Aufruf des amerikanischen Soziologen Cooley haben dessen Kollegen Small und Vincent begonnen, die Bedeutung der Medien in ihren Gesellschaftsanalysen zu berücksichtigen: „A communicating system penetrates the whole social organism [...] ramifying throughout society to its minutest subdivisions, and, as a whole bringing into more or less complete psychical contact all these parts of the organism.“ (Small/Vincent 1894: III/4) Den Medien wurde die Funktion zugedacht, alle Teile der Gesellschaft zu verbinden und Ordnung herzustellen. „In ihrer Analyse bilden die Medien das Rückgrat der sozialen Kommunikation. Sie werden als ‚social nervous system‘ zusammengefasst und als essenzieller Bestandteil des regulierenden Systems umschrieben.“ (Jäckel/Grund 2005: 18) Medienkommunikation verläuft also nicht zufällig, sondern gemäß bestimmten Strukturen. Diese Strukturen wurden am Beispiel der Presse 25
26
27
28
29
Die Idee des zunächst ökonomisch gefassten Austauschprozesses wird zum ersten Mal von Smith formuliert und später auf Kommunikationsprozesse übertragen. Siehe: Mattelart/Mattelart (1995: 5f.). Das Konzept der Güterzirkulation findet sich bei Mill und später wiederum bei Marx. In dieser Form werden es die Cultural Studies für ihre Ansätze fruchtbar machen. Siehe: Mattelart (1999: 47ff.) und Winter (2003a: 191ff.). Die bei Kapp formulierte Analogie von Technik und Organismus wird zuerst von de Saint-Simon und Spencer dahingehend modifiziert, dass Gesellschaft als ein Organismus bzw. als ein Netzwerk aufgefasst wird. Verschiedene Spielarten der Systemtheorie (Deutsch, Easton, Parsons) werden diese Anregungen im 20. Jahrhunderts aufnehmen. Siehe: Mattelart/Mattelart (1995: 5-9; 33-36). Frühe Konzepte der öffentlichen Meinung und der Meinungsführerschaft finden sich insbesondere bei Tarde und Spencer. Siehe: Jäckel/Grund (2005: 26ff.) und Noelle-Neumann (1996). Die Massenpsychologie von Autoren wie Le Bon oder Sighele prägt für lange Zeit den Publikumsbegriff. Siehe Mattelart/Mattelart (1995: 11ff.).
46
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
veranschaulicht. Dabei zeigten Small und Vincent, dass im Zentrum der neuen Pressekultur die internationalen Nachrichtenagenturen stehen, die Nachrichten an große Zeitungen weiterleiten, die wiederum von kleineren Blättern zitiert werden. Am von Small gegründeten Department für Soziologie der University of Chicago sollten noch eine Reihe weiterer Wissenschaftler lehren, die sich im Rahmen ihrer urbanen Gesellschaftsanalysen auch mit Medienkultur beschäftigten. Dazu zählen auch Dewey, Park und Burgess, die zur Gründung der berühmten Chicago School of Sociology beitrugen. Dewey ging in seinen soziologischen Arbeiten über Smalls Gedanken, dass Kommunikation wichtig für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft sei, hinaus. In pragmatischer Perspektive behauptete er, dass sich Gesellschaft erst in der Kommunikation manifestiert (Dewey 1980 [1916]), und dass Kommunikation eine notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie sei (Dewey 1925).30 An diese Gedanken schloss Burgess an: „If, as John Dewey states, society may fairly be said to exist in communication, any changes in the means of communication should have tremendous effects upon the social order.“ (1928: 128) Letztlich ging es Burgess allerdings um Erklärungen für den kulturellen und sozialen Wandel. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Schnelligkeit, mit der sich die amerikanische Gesellschaft veränderte, auf den Gebrauch der neuen Kommunikations- und Transportmittel zurückzuführen sei. Im Vergleich zu Deweys philosophischen und Burgess soziologischen Arbeiten charakterisierten sich die Studien ihres Kollegen Parks durch einen ethnographischen Impetus. Dabei gelangte er zu dem Resultat, dass die Ausbreitung der Zeitung und die Erfindung neuer Medien wie Radio und Telefon die Beziehungen zwischen den Menschen verändern: „[When] new forms of communication have brought about more intimate associations among individuals or peoples who have been culturally isolated, the first consequence may be to intensify competition.“ (Park 1938: 195) Am Beispiel der amerikanischen Mobilisierung für den Ersten Weltkrieg und der sozialen Gleichschaltung in Deutschland durch den Nationalsozialismus arbeitete Park die wichtige Rolle der neuen Kommunikationsmittel in Konkurrenz- und Konfliktsituationen heraus. Allerdings entging es ihm nicht, dass die Medien auch Anpassung und Integration leisten. Am Beispiel der Immigranten in amerikanischen Großstädten machte Park deutlich, dass die Zeitung ein Fenster bildet, das „hinausführt zur großen Welt außerhalb des engen Kreises der Einwanderergemeinschaft“ (Park 2001a [1923]: 281). Dadurch wird die Zeitung zum Spiegel von Erfahrun-
30
Siehe dazu: Schultz (2002).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
47
gen, die mit der eigenen Herkunft nicht in Zusammenhang stehen und die das Entstehen einer neuen Kultur ermöglichen.31
2.4.3
Kultursoziologische Wurzeln der Zeitungswissenschaft
Der soziologische Diskurs in Amerika, der hier durch die Arbeiten zur Pressekultur von Cooley, Small/Vincent und Park repräsentiert wird, hat auch im deutschsprachigen Raum seinen Niederschlag gefunden. Denn so sehr die Entstehung der Kommunikationswissenschaft auch an die industriegesellschaftliche Moderne und die Erfindung des Telegraphen, des Telefons, des Kinos und des Radios sowie das Aufkommen der Kulturindustrie gebunden war, ging das Fach in dem Sinne einen Sonderweg, als es sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zunächst als sogenannte Zeitungswissenschaft etablierte. Unter anderem charakterisierte sie sich dadurch, dass sie „die in den Geisteswissenschaften der Jahrhundertwende allgemein vorherrschende Konjunktur des Kulturthemas“ (Hepp 2004: 30) reflektierte. So legte bereits 1903 Löbl das Buch „Kultur und Presse“ vor. Bevor es 1916 mit der Gründung des Instituts für Zeitungskunde in Leipzig durch den Nationalökonomen Bücher zur ersten manifesten Institutionalisierung kam, gab es bereits eine ganze Reihe von Veranstaltungen an verschiedenen Universitäten. Dabei ging ein wichtiger Impuls von Weber aus. Seine auf dem ersten Deutschen Soziologentag 1910 in Frankfurt skizzierte Soziologie des Zeitungswesens charakterisiert sich insbesondere dadurch, dass sowohl der Einfluss der Presse auf die Kultur als auch umgekehrt der Kultur auf die Presse betrachtet werden müsse. Entsprechend forderte er die Journalisten auf, auf „die großen Kulturprobleme der Gegenwart“ (Weber 2001 [1909]: 316) ausgerichtet zu sein. Allerdings war er sich darüber im Klaren, dass der Journalismus eine Arena der Konfliktaustragung war. Gemäß Weber müsse die Zeitungswissenschaft insbesondere zwei Aspekte untersuchen. Erstens die Wirkungsmacht der Presse auf das einzelne Individuum, und zweitens die Wirkungen der Presse auf die öffentliche Meinung bzw. auf die Kultur als Ganzes. Zu diesem Zweck formulierte Weber „unter anderem ein Kommunikatorprojekt, das Erkenntnisse über die Materialbeschaffung der Medien und die Merkmale der Journalisten zusammentragen sollte. Er schlug eine Medienanalyse zur Untersuchung von Ökonomie und Organisation der Presse vor. Er gab Anregungen für eine Inhaltsanalyse zur Untersuchung von Selektion, Präsentation und Berichterstattungsmustern im Journalismus. Und schließlich formulierte er letzte Fragen 31
Siehe auch: Jäckel/Grund (2005: 23ff.) und Park (2001b [1904]).
48
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
für eine Wirkungsanalyse. Ermittelt werden sollten dadurch Erkenntnisse zu den Folgen der Berichterstattung.“ (Weischenberg 1992: 55)
Durch diese kultursoziologischen Impulse gelang es der Zeitungswissenschaft im Laufe der folgenden 20 Jahre, sich zu institutionalisieren. Als Exponenten des Fachs können exemplarisch d’Ester, Groth, Heide, Jaeger oder Dovifat genannt werden. Sie setzten sich sowohl für eine Ausweitung des wissenschaftlichen Materialobjektes über die Zeitung hinaus als auch für die Ausbildung von verschiedenen Formalobjekten ein (Glotz 1990: 250-254). Dovifat war gemeinsam mit Münster auf dem siebten Deutschen Soziologentag 1930 in Berlin in einen Disput mit Tönnies verwickelt. Dabei sprach sich Tönnies, der bereits einige Jahre zuvor die „Kritik der öffentlichen Meinung“ (1922) publiziert hatte, implizit für die bereits bei Weber, Münzner sowie E. und K. Mannheim angelegte interdisziplinäre, kultursoziologische und sozialpsychologische und gegen eine normative, subjektivistische und wertende Ausrichtung des Fachs aus.32 Wissenschaftsgeschichtlich setzte sich jedoch das normative Paradigma durch. Es war nicht zuletzt diese normative Positionierung, die die Zeitungswissenschaft nach 1933 für eine Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus anfällig machte. In dieser Zeit wurde das Fach „institutionell sogar ausgebaut und gestärkt (teilweise mit Geldmitteln des Reichspropagandaministeriums)“ (Averbeck 2001: 2).
2.4.4
Kritische Theorie I: Kulturindustriethese
Der Nationalsozialismus hatte auch für die Kritische Theorie schwerwiegende Konsequenzen. Ihre Vertreter hatten entweder nach Amerika zu emigrieren (Adorno, Brecht, Fromm, Horkheimer, Kracauer, Löwenthal, Marcuse) oder wurden in Europa zu Tode gehetzt (Benjamin). Die sogenannte Frankfurter Schule beschäftigte sich im Rahmen ihrer These der Kulturindustrie mit dem Manipulationspotenzial von populären Unterhaltungsformaten der Massenmedien. Dabei hat die Schule „mit Arbeiten Kracauers zum Kino in der Frankfurter Zeitung oder Adornos zur Musik sowie Benjamins Rundfunkbeiträge das gesamte Spektrum der damaligen Medien mit einbezogen und auch kri-
32
Diese subjektivistische Zeitungswissenschaft betrachtete beispielsweise den Journalismus „als das Werk individueller Persönlichkeiten. Organisatorische Bezüge, etwa die redaktionelle Arbeitsteilung, werden zwar von manchen erkannt [...], aber letztlich doch auf das Tun einzelner Personen zurückgeführt“ (Löffelholz/Quandt 2003: 24).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
49
tisch reflektierend mit abgedeckt“ (Göttlich 2005: 168).33 Drei Beispiele sollen das verdeutlichen. Zunächst ist auf Benjamin einzugehen, der die zeitgenössische Medienkultur durch den Zusammenhang zwischen der Ersetzung eines Originals durch eine massenhafte Kopie charakterisierte: Die Reproduktionstechnik „löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte.“ (2002 [1936]: 335)
Mit dieser Aktualisierung sind aber auch die Möglichkeiten gegeben, die Massenkultur zu politisieren. Dies machte sich der Nationalsozialismus zu Nutze und verkehrte die in den Medien enthaltenen Demokratisierungspotenziale in ihr Gegenteil (M. Hartmann 2006). Diese Überlegung fand sich bereits in Brechts emanzipatorischem Radiodiskurs vorgedacht. Er wies darauf hin, dass das Massenmedium auf seine Distributionsfunktion reduziert werde: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens [...], wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.“ (1999 [1932]:258)
Die hier an die Massenmedien geknüpfte demokratische Kommunikations- und Öffentlichkeitshoffnung konzipiert den Rezipienten nicht als passiven Empfänger, sondern als aktiven Teilhaber eines medialen Austauschprozesses. Brecht ging es dabei um eine Enthierarchisierung der Medienkommunikation, die er für pädagogische Zwecke öffnen wollte. Die prägnanteste Kritik der zeitgenössischen Medienkultur fand sich bei Horkheimer und Adorno. Im Gegensatz zu Benjamin und Brecht argumentierten sie dafür, dass politische Demokratisierung und soziale Emanzipation nicht der verborgene Kern der modernen Massenmedien, sondern bloß ein äußerer Schein seien. Die beiden Autoren schränkten die Medienkultur auf die Manipulation des Bürgers durch die sich immer mehr global vernetzende Kulturindustrie ein. Die Kritik, das demokratische Potenzial der Massenmedien nicht ein33
Aus den unzähligen Studien zur Kritischen Theorie sei hier der ausführliche Überblick von Wiggershaus (1986) herausgehoben.
50
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
zulösen, kapitalistischen Interessen zu opfern sowie einer kulturellen Regression der Bürger Vorschub zu leisten, wurde scharf formuliert: „Der Schritt vom Telephon zum Radio hat die Rollen klar geschieden. Liberal liess jenes den Teilnehmer noch die des Subjekts spielen. Demokratisch macht sich dieses alle gleichermaßen zu Hörern, um sie autoritär den unter sich gleichen Programmen der Stationen auszuliefern. Keine Apparatur der Replik hat sich entfaltet, und die privaten Sendungen werden zur Unfreiheit verhalten.“ (1947: 129)
Horkheimer und Adorno begründeten ihre Kritik mit dem Hinweis, dass die ästhetischen Produkte der Kulturindustrie zwar durch technische Vervielfältigung und kommerzielle Vermarktung allgemein zugänglich gemacht werden, aber durch ihren Warencharakter instrumentalisiert und damit entwertet würden. Diese radikale Position wurde allerdings von anderen Vertretern der Kritischen Theorie wie beispielsweise von Leo Löwenthal differenziert und relativiert (Göttlich 2006).
2.4.5
Kommunikation ohne Kultur: Die sozialempirische Orientierung der Kommunikationswissenschaft
Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik und des Manipulationspotenzials von neuen Massenmedien (Film, Radio) ging es ab 1945 zunächst darum, die Zeitungswissenschaft in Form einer Publizistikwissenschaft durch unbelastete Wissenschaftler wieder zu beleben. Neben d’Ester, von Eckart, Meyer und Hagemann spielte dabei auch Dovifat eine zentrale Rolle. Allerdings fiel „seine normative, subjektivistische und praktizistische Gesinnungspublizistik hinter die Vorschläge von Weber und anderen Pionieren einer soziologisch ausgerichteten Kommunikationswissenschaft weit zurück“ (Löffelholz/Quandt 2003: 24). Die normativ-wertende Publizistik wurde in den 1960er Jahren überwunden. Zu diesem Zeitpunkt vollzog das Fach schließlich die bereits lange erwartete Soziologisierung. Allerdings schloss es nicht an ihr interdisziplinäres und kultursoziologisches Erbe an, sondern an die sozialempirische communication research aus Amerika. Dort hatten Gallups und Lazarsfelds Umfrageforschung, Hovlands Experimentalpsychologie, Lasswells Inhaltsanalysen und Propagandaforschung sowie Lewins Kleingruppenforschung eine innovative empirische Kommunikationswissenschaft begründet. Eine besonders prominente Rolle spielten Fragen der Medienwirkung in Form von Übezeugungs-, Einstellungs- und Verhaltenswandel. Das Ziel von deutschsprachigen Forschern wie Eberhard, Maletzke, Noelle-Neumann oder Prakke war
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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eine analytische, empirische, quantifizierende und erklärende Forschung zu Massenkommunikation und Öffentlichkeitsherstellung. Das Formalobjekt wurde auf die durch Massenmedien vermittelte öffentliche Kommunikation und Informationsübertragung beschränkt (Maletzke 1963:32; Noelle-Neumann 1975: 744). Ihre Identität bezog sie aus einem an den Naturwissenschaften orientierten Paradigma, das quantitative Methoden wie Inhaltsanalyse, Befragung, Beobachtung oder Experiment bevorzugte. Allerdings gingen die Leistungen der Kommunikationswissenschaft zu Lasten einer theoretischen, thematischen und methodologischen Ausgewogenheit und Offenheit. Die einseitige Positionierung zog eine Reihe von schwerwiegenden Defiziten nach sich. Zunächst einmal deutete der Eifer, mit dem sich die Kommunikationswissenschaft in die Arme der amerikanischen communication research warf, auf eine Verleugnung ihrer historischen Wurzeln hin. Denn diese Wurzeln waren multidisziplinärer und insbesondere, wenn man an die von Weber oder Tönnies ausgegangenen Impulse denkt, kultursoziologischer Art. Mit der historisch-philologischen Verkürzung ging auch eine Verabsolutierung des quantitativen Paradigmas einher, „als ob historische oder andere verstehende Verfahren nicht wenigstens ebenso ‚empirisch‘ wären“ (Wagner 1993: 493).34 Der von Langenbucher konstatierte wissenschaftshistorische „Gedächtnisverlust“ (zit.n. Wagner 1993: 491) der Nachkriegsgeneration wog umso schwerer als die neopositivistische Wissenschaftstheorie bereits ihren Zenit überschritten hatte. Anstatt daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und das gesamte Methodenspektrum von der Ethnographie über die Statistik bis zur Textanalyse zu nutzen, wurde auf dogmatische Weise ein inadäquater und langfristig unhaltbarer Gegensatz zwischen einerseits quantitativen und anderseits qualitativen und textualistischen Methoden eingeführt: „Wir glaubten allzu blindlings an sie [die sozial-statistischen Methoden] und schlugen uns im Namen des Positivismus oder des kritischen Rationalismus mit den Marxisten. Dass eine ernstzunehmende Kommunikationswissenschaft durchaus sowohl empirisch-analytisch wie auch historischhermeneutisch zu guten und wichtigen Ergebnissen gelangen kann, mach-
34
Während die Mehrheit der Kommunikationswissenschaft die sozialempirische Wende vollzog, gab es auch einige Fachvertreter, die sich aus historischen Gründen gegen eine methodische Verengung der Disziplin aussprachen. Dazu zählt insbesondere die sogenannte Münchener Schule der Zeitungswissenschaft, die „terminologisch auf den bis ins späte 18. Jahrhundert hinein gebräuchlichen Zeitungsbegriff (im Sinne von Mitteilung zur Zeit) zurückgeht“ (Glotz 1990: 252) und historischen Fragestellungen sowie hermeneutischen Methoden zugänglich blieb.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
ten wir uns vielleicht theoretisch klar, im praktischen Handeln aber entschieden wir uns entweder für das eine oder für das andere. Dieser Methoden-Monismus war ein großer Fehler.“ (Glotz 1990: 253)
Die weit verbreitete Geringschätzung von hermeneutisch-textualistischen und sozialwissenschaftlich-qualitativen Methoden zog jedoch eine Vernachlässigung von Fragen nach sich, die nicht ohne weiteres deduktiv anzugehen waren. So legte sie den Schwerpunkt innerhalb der Wirkungsforschung „auf beobachtbare, mess- und quantifizierbare, meist einstellungsfokussierte Kurzzeiteffekte und übersehe damit eine Reihe kognitiver, affektiver und Langzeiteffekte“ (Jäckel/ Peter 1997: 62). Auf diese Weise gelangte die Kommunikationswissenschaft aber zu einer restriktiven und unzeitgemäßen Agenda, die aus dem immensen Reservoir an Fragestellungen zu Kommunikation, Massenmedien und Öffentlichkeit mehr Fragen aus- als einschloss. Ein weiteres Defizit war die mangelnde Integration der Forschungsergebnisse. Historisch betrachtet, hat die Kommunikationswissenschaft eine Art Arbeitsteilung vorgenommen, um mit der Komplexität ihres Untersuchungsgegenstandes zu recht zu kommen. Ihrem analytischen Anspruch folgend, hat sie sich meistens auf einen Aspekt des Massenkommunikationsprozesses konzentriert. Die Anzahl der Studien, die entweder dem Kommunikator, der Aussage, dem Medium, dem Rezipienten bzw. der Wirkung Priorität einräumten, überstieg um ein Vielfaches diejenigen Studien, die sämtliche oder zumindest mehrere Aspekte berücksichtigten. Zu diesem Integrationsdefizit gesellte sich schließlich auch die mangelnde Einbettung der kommunikationswissenschaftlichen Ergebnisse in den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext. Indem sie die Tatsache ignorierten, dass Massenkommunikation „a societal and a cultural phenomenon“ (McQuail 2000: 61) sei, nahmen viele Studien non-valide und verzerrte Forschungsergebnisse in Kauf. Die gegenseitige Durchdringung von Kommunikation/Medien und Gesellschaft/ Kultur äußert sich aber gerade darin, dass Massenmedien ihre wichtigste, zugleich aber auch beobachtungsresistenteste Wirkung dadurch entfalten, „dass sie die Kommunikations-, Vergesellschaftungs- und Beobachtungsverhältnisse in Gesellschaften verändern und dadurch […] das individuelle wie das gesellschaftliche Handeln auf ganz bestimmte Optionen und Inszenierungsstile festlegen“ (Schmidt 2002: 58). Daher wird eine auf die Messung von Einschaltquoten und Reichweiten ausgerichtete Kommunikationswissenschaft der Rezeption von Medieninhalten nicht gerecht.35 Aufgrund dieser Serie von Problemen kommt Krotz zu seinem Urteil, dass die Kommunikationswissenschaft 35
Selbstverständlich gab es auch eine Reihe von Kommunikationswissenschaftlern, die sich bereits in einem frühen Stadium mit Medien-
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„eine Art um etwas Marktforschung und um experimentalpsychologisch gewonnene Erkenntnisse erweiterte Zeitungswissenschaft [war], wenn man es bissig formulieren will. Sie hat sich ihre theoretischen Grundlagen von anderen Wissenschaften geborgt, ihre Themen wurden ihr einerseits von einer gegenüber den Medien immer besorgten Öffentlichkeit, andererseits von Anwendern wie Rundfunkveranstaltern oder Regulierungsinstanzen mit spezifischen Interessen aufgegeben, und auch ihre methodische Orientierung war und ist insgesamt viel zu eng.“ (2003: 22)
So sinnvoll eine solche Schlussfolgerung heute erscheint, so ablehnend stand die Mehrheit der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaftler in den 1970er Jahren der allfälligen Öffnung ihres Faches gegenüber. Während Ronneberger davor warnte, „ihren Gegenstandsbereich über das zu bewältigende Maß hinaus“ (1978: 15) auszudehnen, sagte Saxer für diesen Fall „Glaubwürdigkeitsdefizite [...] mit entsprechenden negativen Sanktionen“ (1980: 529) voraus.
2.4.6
Technische Innovation, sozialer Wandel und Populäre Kultur seit der Nachkriegszeit
Dass es schließlich doch noch zu einer Öffnung der Kommunikationswissenschaft und zur Ausbildung der Medienkulturwissenschaft kam, war eine indirekte Folge der technischen Innovation sowie des kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wandels seit der Nachkriegszeit. Die für die Infrastruktur der Mediengesellschaft maßgeblichen Innovationsschübe sind die kostengünstige Produktion von Fernsehgeräten und -programmen im Laufe der 1950er Jahre, die Herstellung von UKW-Transistorradios ab 1960, die Erfindung des Satellitenfernsehens und des Mikroprozessors 1971, die Ausbreitung der Fernbedienung und des Videorekorders im Laufe der 1980er Jahre, der Beginn der kommerziellen Nutzung des Internets 1991 und die massenhafte Verbreitung des Mobilfunks seit Mitte der 1990er Jahre.36 Wie die Abbildung unten zeigt, nahm die Geschwindigkeit, mit der neue Medien entwickelt wurden, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts exponentiell zu. Oder anders ausgedrückt: Die Abstände zwischen der Erfindung neuer Medien nahm mit fortlaufender Zeit ab. Dies kann dadurch erklärt werden, dass jedes neue Medium die Kommunikation auszudifferenzieren erlaubt und dadurch die Entwick-
36
kultur beschäftigt haben. Zu nennen sind beispielsweise Silbermann (1966) und Kepplinger (1975). Genau genommen sind alle Erfindungen des Medienzeitalters erfolgreiche Anwendungen von physikalischen Erkenntnissen. Siehe: Brinkman/Lang (1999). Zur Geschichte der Medientechnik siehe: Aschoff (1989); Hartmann (2006).
54
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Abbildung 1: Die Evolution der Medien (Schmidt 2000: 176)
lung neuer Medien fördert.37 Für den hiesigen Zusammenhang ist allerdings die Feststellung wichtiger, dass die Erfindung neuer Medien zu einer Multiplizität von neuen kulturellen Praktiken führt, die mit diesen Medien verbunden sind. Diese Ausdifferenzierung wird auch zu einem zentralen Merkmal für die gesellschaftlichen Veränderungen seit der Nachkriegszeit. Denn während die Industriegesellschaft in der ersten Hälfte desselben Jahrhunderts durch Basisinstitutionen wie „Erwerbsgesellschaft, Nationalstaat, Kleinfamilie, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, fordistische Produktion, wissenschaftliche Kontrollrationalität“ (U. Beck et al. 2004: 22) geprägt war, begannen sich die Basisinstitutionen der fordistischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte desselben Jahrhun37
In diesem Kontext ist der Hinweis auf das sogenannte Riepl’sche Gesetz wichtig, das besagt, dass ältere Kommunikationsmittel nicht durch die Einführung von neuen verdrängt werden, sondern diese ergänzen. Allerdings muss angemerkt werden, dass die vom Journalisten Riepl in seiner mediengeschichtlichen Studie „Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer“ (1913) eingeführte Unterscheidung nicht ohne weiteres auf moderne Mediensysteme übertragen werden kann. Darüber hinaus ist die Dichotomie zwischen alten, bereits etablierten und neuen, noch nicht etablierten Medientechnologien in einer prozessorientierten Perspektive inadäquat. „Bis heute hat sich die Kommunikationswissenschaft von der technizistischen Verortung der ‚neuen Medien ދnicht wirklich gelöst. Zwar wird der Terminus schon lange als unpräzise kritisiert. Das ändert jedoch nichts an seiner unreflektierten Verwendung. Welche Entwicklungen darunter subsumiert werden und was eine gemeinsame begriffliche Beschreibung legitimiert, wird genauso wenig problematisiert wie die Frage, wann ein ‚neues ދMedium als ‚altes ދanzusehen ist und was die Kriterien dafür sind.“ (Löffelholz/Schlüter 2003: 93) Vorschläge für eine New Media Theory finden sich bei McQuail (2000: 124-129).
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derts aufzulösen. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass die sozialen Unterschiede nicht länger entlang der traditionellen Klassengrenzen verliefen, sondern sich in einer Vielzahl von Faktoren wie Bildung, Geschlecht, Gesundheit, Religion oder Sexualität äußerten. Mit anderen Worten, die Gesellschaft zeichnet sich nun durch die Pluralität von Arbeits-, Familien-, Lebens-, Souveränitäts- und Bürgerrechtsformen aus. Einen wichtigen Anteil an der Pluralisierung der Lebensstile, der zunehmenden Individualisierung und der gesellschaftliche Öffnung hatten die Frauen- und Umweltbewegung, die Gastarbeitermigration, die Studentenrevolte, die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt und die durch die Massenmedien vermittelte populäre Kultur.38 Bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren Kulturindustrien entstanden, die mit massenhaft verbreiteten Unterhaltungsinhalten zuerst in den Bereichen Buch, Zeitung/Illustrierte, Schallplatte und Film, dann auch zunehmend im Radiobereich neue Maßstäbe setzten. In der Nachkriegszeit waren es dann besonders England und Amerika, die die elektronischen Massenmedien in technischer und programmlicher Hinsicht kontinuierlich weiterentwickelten. Als wichtigstes Medium ist das Fernsehen anzuführen: Bereits in den 1930er Jahren erfunden, aber in seiner Entwicklung durch den Zweiten Weltkrieg zurückgeworfen, wurde in Deutschland und in der Schweiz im Laufe der 1950er Jahre öffentlich-rechtliches Fernsehen gesendet. Das Fernsehen begann nicht nur den Alltag der Menschen zu strukturieren, was Gerbner (2000) bereits im Laufe der 1960er Jahre zur Formulierung seiner berühmten Kultivierungshypothese veranlasste, sondern auch die Fernsehdauer nahm sprunghaft zu. Der damals ausgelöste Trend konnte sich aber auch langfristig bestätigen, da die Reichweite des Fernsehens im Zeitraum von 1970 bis 2000 von 72% auf 85% zugelegt hat. Das Fernsehen hat sich von 100 Minuten pro Tag im Jahr 1970 zu 160 Minuten im Jahr 2000 als das mit Abstand wichtigste Freizeitmedium etabliert. Es lassen sich verschiedene Gründe für die Zunahme des Fernsehkonsums angeben.
38
Mit Hügel wird populäre Kultur als unterhaltende Kultur gefasst. Dies erlaubt es, sie „als eigenständiges System und trotzdem im Zusammenhang mit der Gesamtkultur zu begreifen, wenn Unterhaltung nicht jede Art von Amüsement ist, sondern als Teilhabe an sowohl ästhetischen zweideutig rezipierten, medial vermittelten [...] Ereignissen und Artefakte aufgefasst wird“ (2003: 17). Als Ort des Politischen ist sie an Kriterien wie die Vermittlung durch Massenmedien, an soziale Mobilität und bürgerliche Freiheiten gebunden. In dieser Perspektive ist das Entstehen der populären Kultur auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zu datieren.
56
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„Neben der Verkürzung der Arbeitszeiten und damit ein Mehr an Freizeit für den Einzelnen sowie den bevölkerungsstatistischen Entwicklungen, wie dem höheren Anteil von besonders nutzungsintensiven (meist älteren) Zuschauerschichten, ist eine zentrale Ursache in der Ausweitung des Fernsehprogrammangebots zu sehen.“ (Ridder et al. 2002: 38)
Der Quantensprung in der Fernsehnutzung hat im Anschluss an die Liberalisierung des Fernsehmarktes und die Einführung von Privatfernsehen 1984 eingesetzt. Trotz ihres starken Anstiegs hat die Fernsehund Radionutzung lange nicht mit der Vervielfachung des Programmangebotes um das Fünf- bis Zehnfache mitgehalten. Folglich kann man von einer Schere zwischen Angebot und Nachfrage bzw. einem erhöhten Konkurrenzkampf zwischen den Sendern sprechen. Der wichtigere Aspekt ist allerdings, dass sich das Fernsehen bereits zu Beginn der hier in Betracht kommenden Zeitspanne, stärker dann noch mit der Privatisierung, immer mehr vom Informations- zum Unterhaltungsmedium wandelte: „In der ersten Hälfte der 90er Jahre setzten die Privatsender sehr stark auf unterhaltungs- und fictionorientierte Formate, um das avisierte Publikum, primär die 14- bis 49-Jährigen, optimal anzusprechen. Dies entsprach offenbar den Präferenzen der Zuschauer, denn während die Nutzung informationsorientierter Angebote weitgehend konstant blieb [...], stieg die unterhaltungsorientierte Nutzung beträchtlich.“ (ebd.: 39)39
Die genrespezifischen Nutzungsmotive sind jedoch nicht auf das Fernsehen beschränkt, sondern treffen auf sämtliche Massenmedien zu. Während die Printmedien in erster Linie zur Information genutzt werden, erfolgt die Nutzung von Radio und Internet hochgradig selektiv nach Ort und Zeit. Zeitgleich zum Aufstieg des Fernsehens erfolgte gemäß dem von McLuhan (1962) ausgerufenen Ende der GutenbergGalaxis auch der Niedergang der Tageszeitung, deren Reichweite ist Zeitraum 1970 bis 2000 von 70% auf 54% gesunken ist. Mit dem Bedeutungsgewinn des Fernsehens und der von ihr geprägten populären Kultur vollzog sich auch der Wandel zur Mediengesellschaft: „Der Tatbestand, dass Medien in den Vermittlungsprozessen moderner Gesellschaften inzwischen eine Schlüsselrolle einnehmen, rechtfertigt es, von einer ‚Mediengesellschaft‘ zu sprechen.“ (Sarcinelli 1998: 11)40 In dieser Mediengesellschaft ist auch die Poli39
40
Die Transformation von einem Informations- in ein Unterhaltungsmedium teilt das Fernsehen auch mit dem Telefon und dem Radio, das das erste Medium des häuslichen Medienkonsums jenseits der Schriftkultur ist. Siehe dazu auch: Imhof (2006).
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57
tik in ihren drei Dimensionen von polity, policy und politics einem grundlegenden Wandel unterworfen. Denn politische Inhalte werden heute praktisch ausschließlich über die Medien vermittelt. Dies führt dazu, dass die politischen Akteure die Selektions-, Inszenierungs- und Präsentationsformen der Massenmedien übernehmen, um sich öffentliche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Aus den Unterhaltungsformaten bekannte Präsentationsformen wie Ästhetisierung, Dramatisierung, Emotionalisierung, Konflikthaftigkeit, Personalisierung, Privatisierung, Skandalisierung, Theatralität und Visualität greifen zunehmend auch auf die Logik von Politik über (Baum/Schmidt 2002).41 Tabelle 1: Reichweite in % nach Ridder et al. (2002: 31-44) 1970
1974
Buch Tageszeitung
70
73
Zeitschrift
1990
1995
2000
22
21
20
21
18
76
73
71
65
54
22
20
19
22
16
Hörfunk
67
70
69
76
79
75
85
Fernsehen
72
78
77
72
81
83
85
18
16
15
16
21
3
4
4
CD/LP/K7 Video
Internet
2.4.7
1980 1985
5
10
Cultural turn
Da sich im Zuge der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen sowie der technischen Errungenschaften auch die 41
Das Problematische an dieser Entwicklung liegt in der Tatsache begründet, dass die Dramatisierungstechniken, das Einschaltquotenprinzip, die Inszenierung von Scheinereignissen, die Kommerzialisierung und die Unterhaltungsorientierung der Massenmedien teilweise in Widerspruch zu demokratischen Legitimationsansprüchen der Demokratie stehen. Ferner tragen diese Widersprüche letzen Endes zur verminderten Glaubwürdigkeit der Politiker und zur Politikverdrossenheit der Bürger bei. „Sobald sich Politik nämlich aus Erklärungszwang dann doch einmal als das zu erkennen gibt, was sie tatsächlich ist, nämlich ein komplexer, widerspruchsvoller, ungewisser und offener Prozess, an dem stets viele Akteure teilhaben, erscheint sie in der von ihr selbst mitproduzierten Inszenierungsoptik als eine fehlgeleitete Abweichung von sich selbst. Sie muss also alles daransetzen, die dabei unvermeidlich entstehende Enttäuschung durch mediale Darstellungen zu kompensieren. Da sich aber nun einmal der politische Prozess nicht gänzlich in die Regeln seiner Darstellungen auflösen lässt, ist die häufige Wiederkehr von Widersprüchen zwischen beiden auch in der Öffentlichkeit vorprogrammiert. Dies ist eine der Ursachen zunehmender Politikverdrossenheit.“ (Meyer 2001: 88)
58
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Frage nach dem Umgang mit diesen Veränderungen stellte, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch der Kulturdiskurs beflügelt worden. Insbesondere die Sozial- und Kulturwissenschaften reagierten auf die gegenseitige Durchdringung von Gesellschaft, Kultur, Medien, Ökonomie und Technologie mit einer Rückbesinnung auf ihre kulturalistischen Wurzeln (Bachmann-Medick 2006). Wie bereits weiter oben gesagt, formierte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine Kultursoziologie, die dem menschlichen Handeln zu Grunde liegende Ideen, Weltbilder und Weltanschauungen untersuchte. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Simmel und Weber, aber auch die Kulturphilosophie von Cassirer, die Stadtsoziologie der Chicago School of Sociology in Amerika und die Wissenssoziologie von Durkheim in Frankreich zu nennen. Auch wenn sich schließlich nicht nur in der Kommunikationswissenschaft eine quantitativ ausgerichtete Forschung durchsetzen sollte, hat eine kulturalistisch orientierte Sozialwissenschaft immer fortbestanden: „Es hat immer Traditionen gegeben, selbst in der Mainstream-Soziologie der 1950er und 1960er Jahre, die Bedeutungsfragen privilegiert haben.“ (Hall 2002: 109) Zu nennen sind beispielsweise die British Cultural Studies, die Schule von Palo Alto, der Strukturalismus oder der symbolischer Interaktionismus. In diesem Sinne liegt dem sich im letzten Drittel des Jahrhunderts abzeichnenden cultural turn kein Bruch in der Entwicklungsgeschichte der Sozial- und Kulturwissenschaften zu Grunde, sondern eine Transformation: Unter Rückgriff auf die marginalisierte Kultursoziologie der Jahrhundertwende und die peripheren qualitativen Sozialforschungen hat sich ungefähr seit Ende der 1960er Jahre „zunächst vor allem auf sozialtheoretischer Ebene, seit den achtziger Jahren zunehmend auch auf der Ebene der empirischen Forschungsfelder von Soziologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft, eine konzeptuelle Verschiebung zugunsten kulturwissenschaftlicher Fragestellungen und kulturtheoretischer Argumentationen ereignet, die gegenwärtig weiterhin im Gange ist und deren Konsequenzen damit bei weitem noch nicht vollständig überblickt werden können.“ (Reckwitz 2000: 16)
Der cultural turn lässt sich also als ein Paradigmenwechsel im Sinne jener Komponenten in den verschiedenen Wissenschaftsdiskursen, die für die Wahl spezifischer Fragestellungen und Problemlösungsstrategien bestimmend sind, begreifen. Der cultural turn lässt sich auf fünf verschiedenen Ebenen festmachen. Erstens hat sich auf wissenschaftstheoretischer Ebene die Einsicht durchgesetzt, dass Realität, Wahrheit oder Wirklichkeit nur mittels zeichenhafter Vermittlung erfassbar sind. Da der Mensch nicht in
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der Lage ist, aus der Sprache herauszutreten, hat auch die Wissenschaft keinen direkten Zugriff auf eine äußere Wirklichkeit. Diese Einsicht wurde bei Peirce vorbereitet und im Spätwerk von Wittgenstein sowie in der Kritik am Logischen Empirismus von Seiten Hempels, Quines und Poppers vollzogen. Um eine Tatsachenaussage zu prüfen, muss man zuerst fähig sein, die Aussage „zu verstehen, das heißt, den entsprechenden sprachlichen Ausdruck zu interpretieren“ (Putnam 1995: 69). Die Absage an die Abbild- oder Korrespondenztheorie der Wahrheit wird mit dem Argument begründet, dass sich Tatsachen und Interpretation durchdringen. Dies bedeutet, dass die Sprache einen unhintergehbaren Standpunkt bei der Art und Weise, was und wie etwas erkannt wird, darstellt. Die Dinge bestehen nicht von sich selbst aus, sondern sie sind eine soziale Konstruktion. „Damit verschiebt sich das epistemologische Interesse von der Relation zwischen ‚Theorien‘ und ‚Welt‘ regelmäßig zu der Frage, wie (sozial-) wissenschaftliche Theorien dazu kommen, bestimmte begriffliche Unterscheidungen zu treffen und somit Zusammenhänge für wirklich zu halten: Wissenschaftliche Theorien erscheinen zunehmend als symbolische Ordnungen, die in sozialen Prozessen produziert werden.“ (Reckwitz 2000: 23f.)
Zweitens hat der cultural turn in Erinnerung gerufen, dass sich Gesellschaft/Kultur einerseits und Kommunikation/Medien andererseits gegenseitig durchdringen und miteinander verbunden sind. Während (Massen-)Kommunikation stets „mit Sinn und Bedeutung verbunden ist“ (Krotz 2003: 29) und sich kultureller Institutionen wie (Massen-) Medien bedient, beruht Kultur wiederum auf Kommunikation. Denn nur über Kommunikation und die Verwendung von Medien „können Phänomene aus dem Bereich der Kultur als notwendigerweise kollektive und von vielen geteilte Phänomene hergestellt, angewandt, entwickelt und tradiert werden“ (ebd.). Drittens schlägt sich der cultural turn auch in methodologischer Hinsicht nieder. Die Kultursoziologie kritisiert die an den Naturwissenschaften orientierten quantitativen und standardisierten Methoden als inadäquat für die Untersuchung jener symbolischen Ordnungen. Bei der Entwicklung und Anwendung von diskursanalytischen, ethnographischen, hermeneutischen und weiteren qualitativen Methoden sowie ihrer Triangulation geht es um eine möglichst fruchtbare und dem Gegenstand adäquate Interpretation der Sinnmuster, in denen sich die soziale Welt reproduziert. Viertens hat sich der cultural turn auch auf der Ebene der Fragestellungen niedergeschlagen. In den Vordergrund gerückt wurde eine transdisziplinäre Agenda. Viele Untersuchungen sind auf die gesellschaftlich aktuellen Probleme wie die digitalen Wissensklüfte ausgerichtet und fokussieren spezifische Milieus und Lebenswelten. Schließlich hat der cultural
60
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
turn auch zu einer Dynamisierung der kulturtheoretischen Diskurse geführt. Die so unterschiedlichen Kulturtheorien beispielsweise von Barthes, Bauman, Bourdieu, Foucault, Hall, Geertz, Latour, LéviStrauss oder Taylor teilen bei aller Unterschiedlichkeit die Grundüberzeugung, dass „die Welt für den Menschen nur insofern existiert, als ihr auf der Grundlage von symbolischen Ordnungen Bedeutungen zugeschrieben und sie damit gewissermaßen erst sinnhaft produziert wird“ (Reckwitz 2000: 33).
2.4.8
Kommunikative Lebenswelt
Diese grundlegende Einsicht ist bereits von Schütz in seinem Frühwerk „Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“ (1974 [1932]) vorbereitet worden. Allerdings hat die Schützsche Soziologie erst seit den späten 1960er Jahren ihre volle Wirkungskraft entfaltet. Dafür ist in erster Linie Garfinkels (1967) Ethnomethodologie verantwortlich, der es gelang, die Sozialtheorie von Schütz auch für empirische Forschung fruchtbar zu machen. Ausgehend von dem Versuch, die Kultursoziologie Webers neu zu begründen, entwickelte Schütz, gestützt auf die Philosophie Bergsons und Husserls, eine Theorie der Lebenswelt. Sie beeinflusste sowohl das methodologische als auch das theoretische Verständnis der qualitativen Sozialforschung.42 Für Husserl stellt Lebenswelt „den Boden aller Lebenspraxis, sie umschreibt den Bereich dessen, was subjektiv erfahrbar wird. Die alltägliche Lebenswelt bildet für ihn den Bereich, den der Mensch an jedem Punkt seines Lebens als unmittelbar und fraglos ansieht“ (Knoblauch 1996: 10).43 Besonders in einigen posthum herausgegebenen Aufsätzen wird deutlich, dass Schütz (2003) 42
43
Schütz gilt gemeinhin als soziologischer Vermittler der Phänomenologie Husserls. Demgegenüber ist allerdings anzufügen, dass die zeitgenössische Philosophie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass „Husserls Phänomenologie für Schütz nichts anderes ist als Mittel zum Zweck – und der unterhöhlt in seinem Fall den Prinzipat des Geistes der phänomenologischen Philosophie“ (Welz 1996: 205). Wie bereits die analytische und die pragmatische Philosophie, kommt auch die zeitgenössische Phänomenologie zu dem Ergebnis, dass es keine letzte Grundlage für die Erkenntnis und das Handeln geben kann: „Husserls Versuch einer Grundlegung scheitert daran, dass das angebliche Fundament, nämlich die Lebenswelt als Wahrnehmungswelt bzw. die lebensweltliche Erfahrung als Wahrnehmung, inadäquat bestimmt wird [...]. Abgründigkeit des Sinns, das soll besagen, dass der Prozess der Sinnbildung gar nicht auf einen letzten Grund gestellt werden kann, weil von vornherein kontingente Voraussetzungen in ihn einfliessen.“ (Waldenfels 1985: 15) Diese Absage betrifft allerdings nicht die historische Wirkungsmächtigkeit des Konzepts der Lebenswelt.
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die Lebenswelt als eine kommunikative Lebenswelt konzipiert. Denn die Alltagslebenswelt ist nicht nur eine Welt, in der Menschen handeln, sondern in der sie durch das wechselseitige Handeln und Verstehen eine gemeinsame kommunikative Umwelt schaffen: „Nur in der Lebenswelt kann sich eine gemeinsame kommunikative Umwelt konstituieren.“ (Schütz/Luckmann 1979: 25) Dabei ist es charakteristisch für die Moderne, dass neue Lebens- und Medienwelten durch eine dichte Binnenkommunikation entstehen. „In dem Maße wie die moderne Gesellschaft komplexer und unüberschaubarer wird, scheinen sich diese kleinen Lebenswelten zu vervielfältigen und lassen den Alltag zu einem regelrechten Labyrinth werden.“ (Knoblauch 1996: 14f.)
2.4.9
Noosphäre, Global Village, Infosphäre
Auch zwei Zeitgenossen von Schütz setzten ihre Überlegungen bei den Transformationen der Moderne an. Allerdings geht es ihnen weniger um die Lebenswelt als vielmehr um die Beschäftigung mit den globalen Interkonnektivitäten der Medienkultur. Beide griffen dabei auf Gedanken von Kapp aus dem späten 19. Jahrhunderts zurück. Im Mittelpunkt stand dabei dessen Theorie der medialen Exteriorisierung. Beim ersten Autor handelt es sich um Teilhard de Chardin: „Die Eisenbahn [...], das Automobil, das Flugzeug ermöglichen es heute, den physischen Einfluss des Menschen, der einst auf einige Kilometer beschränkt war, auf Hunderte von Meilen auszudehnen. Ja noch mehr: dank dem wunderbaren biologischen Ereignis der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen findet sich von nun an jedes Individuum (aktiv und passiv) auf allen Meeren und Kontinenten gleichzeitig gegenwärtig und verfügt über dieselbe Ausdehnung wie die Erde.“ (1959: 246)
Teilhards spirituell aufgeladene Idee einer Planetarisierung des Menschen ist im Kontext seiner Theorie der Noosphäre zu situieren. Ausgehend vom medientechnischen Fortschritt behauptete er einen metaphysischen Evolutionsprozess des Menschen, an dessen Ende ein reflexives Bewusstsein (lies: global brain) steht, das eine Sphäre des Geistes über die ganze Erdkugel zieht.44 44
Dass die Ideen Teilhard de Chardins recht verführerisch sind, bewiesen beispielsweise das von McLuhan (1964) hinsichtlich des Fernsehzeitalters postuliertes ‚Pfingstwunder weltweiter Verständigungދ, das von Gore (1992) behauptete panreligiöse Informationszeitalter, in dem Politik, Technik und Ökologie in ein Gleichgewicht gebracht würden, oder der technolibertinäre Diskurs der 1990er Jahre, der sich um das spirituelle Potenzial des Internets drehte (vgl. Hartmann 2006: 158ff.).
62
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Mit dem zweiten Autor ist McLuhan angesprochen, der die Medien als zentralen Motor für gesellschaftliche Entwicklung sah. Evolutionsgeschichtlich postulierte er, dass nach der oralen Stammeskultur, der literalen Manuskriptkultur, der typographischen Gutenberg-Galaxis nun das elektronische Zeitalter begonnen habe. Die Entwicklung mündet „in einen gesellschaftlich ganzheitlichen und für die Menschen harmonischen Zustand“ (Krotz 2000: 65). In medientheoretischer Hinsicht stellt McLuhan die These auf, dass Medien die menschliche Wahrnehmung bedingen und damit das Denken und Handeln der Gesellschaftsmitglieder prägen. Darüber hinaus hat er die spezifische Übersetzungsleistung erkannt, die in den Medien des elektronischen Zeitalters steckt. „Er beschrieb in den 1960er Jahren die Veränderung der menschlichen Sinnesorganisation und Weltwahrnehmung durch Tele-Medien und ihre historische Grundfunktion, den Globus als inklusiven Raum und die auf ihm lebenden Menschen als einheitliches Bewusstsein zu integrieren.“ (F. Hartmann 2006: 12)
Auf der Grundlage der Analogie, Medien als Extension des menschlichen Nervensystems zu sehen, wird das Global Village mit kognitiven Eigenschaften ausgestattet. Unter der Voraussetzung der Existenz von Elektrizität ist es nach McLuhan dem Menschen nicht mehr gegeben, nicht in die Medienkultur involviert zu sein, da Informationsverarbeitung und Medientechniken zur zentralen gesellschaftlichen Produktivkraft geworden sind. Auch wenn sich McLuhan sowohl anthropomorphe als auch mediendeterministische Positionen zu Schulden kommen liess, hat er doch wie kein zweiter Medientheoretiker die Konzepte der globalen Infosphäre (Mattelart 2003: 65f.), der Netzkultur (Castells 2001) und der Diskursarchitektur (Sack 2005: 242ff.) antizipiert.
2.4.10 Krise der Literaturwissenschaft
Der cultural turn als wissenschaftshistorische Transformation hat zu einer seit mehr als drei Dezennien anhaltenden Legitimationskrise der Literaturwissenschaft beigetragen (Wende 2004). Denn der oben erörterte Aufstieg der Populär- und Unterhaltungskultur führte zur Unhaltbarkeit des elitären Kulturbegriffs. Die aus der Weimarer Klassik tradierte Bedeutung von Kunst als das Wahre, Schöne und Gute und die damit einher gegangene Dichotomie zwischen Hoch- und Niederkultur (high and low culture) konnte selbst durch die schrecklichen Erfahrungen mit Unterhaltungsmedien als Propagandainstrument während des Zweiten Weltkriegs nicht aufrecht gehalten werden.
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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Die mit dem sozialen Wandel in Zusammenhang stehende Säkularisierung des Kulturbegriffs spielte auch eine Rolle bei der Kritik, die die Germanistik von beiden der im so genannten Positivismusstreit involvierten Parteien über sich ergehen lassen musste (Dahms 1994). Während ihr die Vertreter der Kritischen Theorie mangelnde gesellschaftliche Relevanz vorwarfen, hinterfragten die Vertreter des Kritischen Rationalismus ihre theoretischen und methodologischen Basisprämissen. Entscheidend für die Zukunft der Literaturwissenschaft war aber der Umgang mit dieser Kritik: „In beiden Gruppen begannen, über die bloße Kritik hinaus, eine Reihe von Wissenschaftlern damit, diese Defizite produktiv zu bearbeiten.“ (Viehoff 2002: 16) Auf diese Weise kam es zur Ausbildung einer handlungstheoretisch fundierten empirischen Literaturwissenschaft. In ihrem Rahmen sind nicht nur die Abkehr von werkzentrierten Studien zu Gunsten der Rezeptionsästhetik (Iser 1976; Jauss 1970; Weinrich 1971) und des New Historicism von Greenblatt (Baßler 1995) zu sehen, sondern auch diejenigen Kreise, die die Literaturwissenschaft zu einer Medienkulturwissenschaft ausbauen wollten.45 Zu nennen sind insbesondere Kolbe (1969) und Kreuzer (1975; 1977), die sich bei diesem Vorhaben vor allem mit der Film-, Kommunikations-, Kunst-, Musik- und Theaterwissenschaft auseinandersetzten. In der Folge verhandelte die Literaturwissenschaft die Frage, wie ihr Gegenstand nicht nur adäquat zu erweitern sei, sondern auch wie die anstehenden kulturellen und medialen Entwicklungen als ein Thema und Problem fassen könne. „Hier wurden in jenen Jahren Medien als ein wichtiger Faktor der kulturellen Kommunikation problematisiert und erste medienkulturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsaufgaben in Angriff genommen, die allerdings noch nicht unter dem Namen ‚Medienkulturwissenschaft‘ betrieben wurden.“ (Bohnenkamp/Schneider 2005: 40)
Dabei spielten transdisziplinäre Zugangsweisen eine große Rolle. Auf diese Weise haben Teildisziplinen wie die Ethnologie, die Gender Studies, die historische Anthropologie, die Konversationsanalyse, die
45
Die Unterschiede zwischen Rezeptionsästhetik und New Historicism werden von Wende wie folgt zusammengefasst: „Richtet Greenblatt sein Augenmerk auf die Austauschprozesse zwischen einem Werk und den alltagspraktischen Diskursen, wobei er die alltagspraktischen Diskurse sowohl als Matrix für den ästhetischen Prozess wie auch als Matrix für die Verstehbarkeit eines Werke interpretiert, so fragt Hans Robert Jauss nach der Spezifik des dialogischen Verhältnisses zwischen Textaussagen und den ästhetischen und interpretativen Kategorien des Publikums, während Wolfgang Iser die dynamischen Interaktion zwischen dem Text und seinem Leser aus einer mehr phänomenologischen Perspektive heraus betrachtet.“ (2004: 55)
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Mentalitätsgeschichte und die Semiotik Eingang in den literaturwissenschaftlichen Diskurs gefunden.
2.4.11 Kritische Theorie II: Theorie des kommunikativen Handelns
Im Rahmen dieses historischen Überblicks zur Entstehung der Medienkulturwissenschaft soll auch kurz die neuere Kritische Theorie erwähnt werden. Autoren wie Behrens (2004), Hesmondhalgh (2002), Kausch (1998), Negt/Kluge (1972) und Prokop (2005) knüpfen an die Theorie der Kulturindustrie an. Es geht ihnen dabei um eine differenzierte Aktualisierung der Überlegungen zum Manipulationspotenzial von Massenmedien wie sie von der älteren Generation der Kritischen Theoretiker angestellt worden ist. „Einerseits scheint vieles von dem, was Adorno und Horkheimer für die dreißiger und vierziger Jahre für den Unterhaltungsbetrieb konstatierten, erst heute vollständig verwirklicht zu sein und demnach noch rücksichtsloser das Leben der Menschen zu bestimmen, als es vor einem halben Jahrhundert absehbar war. Andererseits hat sich scheinbar gerade die Kulturindustrie mitnichten als verwalteter Massenbetrug herausgestellt, sondern im Gegenteil als plurales Kräftefeld von Selbstbestimmungs- und Ermächtigungsstrategien, die den Einzelnen, ebenso scheinbar, zum mündigen Subjekt in der demokratischen Freizeitgesellschaft machen.“ (Behrens 2004: 7)
Im Rahmen dieser Auseinandersetzung gelingt es der jüngeren Generation, Argumente dafür zu liefern, warum es nach wie vor angebracht ist, Vorbehalte gegenüber der Kulturindustrie zu formulieren ohne dabei ihre kreativen Aspekte zu verneinen. Dazu gehören die Kommerzialisierung der Lebenswelt genauso wie der Hinweis auf ihre Unfähigkeit, Lösungsansätze für die gravierenden Probleme der modernen Gesellschaft zu entwickeln. Allerdings bleibt auch die Kritik an der zeitgenössischen Medienkultur meist Stückwerk. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass den neueren Vertretern der Kritischen Theorie genauso wenig wie ihren Vorläufern an einer Konzeptualisierung von Medienkultur oder an einer Ausarbeitung der Medienkulturwissenschaft gelegen ist.46 Im Rahmen dieses Überblicks darf auch Habermas nicht fehlen, dem es in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) um eine Kritik der Kolonisierung der Lebenswelt durch bürokratische und ökonomische Systemrationalität geht. Habermas setzt bei der Beob46
Zu neueren Kritischen Theorie ausführlich siehe: Jacke (2004).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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achtung an, dass die Mitglieder der modernen Gesellschaft in vielen Lebenswelten leben. Diese Pluralisierung der Lebenswelt führt zu einem zunehmenden Kommunikationsbedarf: „Wenn nämlich Handelnde, die verschiedenen Lebenswelten mit ihren je eigenen Typisierungen, Sinn- und Bedeutungsstrukturen angehören, aufeinander treffen, dann gelingt dies nur kraft des kommunikativen Handelns, das diese Unterschiedlichkeiten gewissermaßen überbrückt.“ (Knoblauch 1996: 17)
Ausgehend von der zunehmenden Bedeutung der Kommunikation arbeitet Habermas vier normative Geltungsansprüche des kommunikativen Handelns heraus. Die Geltungsansprüche der Verständlichkeit, der Wahrheit, der Richtigkeit und der Aufrichtigkeit sollen sicherstellen, dass Menschen besser miteinander kommunizieren und vernünftiger miteinander leben können. Zwar geht es in Beispielanalysen um die Partizipations- und Protestmöglichkeiten für unterschiedliche Gruppen der segmentierten Gesellschaft, dies verhindert jedoch nicht, dass Habermas’ Theorie und Rationalitätskonzept eine unüberbrückbare Distanz zur sozialen Realität aufbaut.
2.4.12 Kommunikation und Kultur: Die Öffnung der Kommunikationswissenschaft
Ein zentrales Charakteristikum des politischen, sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Wandels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Zentralität, die die Medien im Alltag der Menschen einnehmen. Wie der cultural turn, die Krise der Literaturwissenschaft und die medienkulturwissenschaftlichen Bezüge der neueren Kritischen Theorie zeigen, hat sich die Erfahrung der Interdependenz von Medien und Kultur auch auf der Ebene der Wissenschaften niedergeschlagen. Davon ist auch die Kommunikationswissenschaft nicht ausgenommen, die sich in den letzten 25 Jahren thematisch, theoretisch und methodologisch geöffnet und ihr kulturalistisches Defizit abzubauen begonnen hat. Der Import von neuen Ansätzen, Konzepten, Methoden und Theorien geschah vornehmlich über den Umweg der internationalen Sozial- und Kulturwissenschaften. Wie sich an den mit jeder Auflage zunehmenden kulturalistischen Spuren in einem Klassiker wie „McQuails Mass Communication Theory“ (2000) ablesen lässt, taten sich insbesondere die anglophonen Kommunikationswissenschaftler wesentlich leichter mit der Rezeption von ethnomethodologischen, feministischen, kulturanthropologischen, mediensoziologischen oder semiotischen Ansätzen. Unterdessen hat es sich durchgesetzt, die Kommunikationswissenschaft als eine „Sozial- und Kultur-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
wissenschaft“ (Bonfadelli/Jarren 2001: 10) oder als eine „Integrationswissenschaft“ (Löffelholz/Quant 2003: 27) zu bezeichnen. Ihr Gegenstand wird nicht mehr in restriktiver Weise auf die öffentliche Kommunikation eingeschränkt, sondern zunehmend auf die Untersuchung der Bedingungen, Formen und Funktionen von Kommunikation und Medien in gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Prozessen ausgedehnt. Durch eine solche Konzeption des Formalobjektes werden sowohl die Produktions-, Verarbeitungs- und Rezeptionsprozesse von Medienkommunikation erfasst wie auch ihre gesellschaftliche und kulturelle Rolle eingeschlossen.47 Dies schlägt sich auch bei der Definition von Kommunikation nieder, die nicht mehr als linearer, sondern als zirkulärer „Prozess zweier in ihrem wechselseitigen kommunikativen Prozess gleichberechtigter Kommunikanten“ (Sievert 1999: 308) gefasst wird. Eine wichtige Rolle bei der Reduktion des kulturalistischen Defizits der Kommunikationswissenschaft spielte die Frage der Integration: Wie lässt sich die Einheit des Massenkommunikationsprozesses trotz seiner Komplexität adäquat in einem Modell beschreiben? Wie ist die Gesamtheit der Massenkommunikationsfaktoren in einer singulären Analyse befriedigend zu berücksichtigen? Einen wichtigen Schritt dazu stellte der von Früh und Schönbach (1982) entwickelte dynamisch-transaktionale Ansatz dar (siehe Kapitel 4.3.3.1). Dieser eingeschlagene Weg ist weiter verfolgt worden, so dass Schenk sagen kann, dass sich die Wirkungsforschung inzwischen „der Interaktion zwischen den Medien(‚-texten‘) einerseits und deren Verarbeitung bzw. Decodierung durch die Rezipienten“ (2002: 696) andererseits zuwendet. Mehrere elaborierte empirische Studien beispielsweise von Früh (2001) über Gewaltpotenziale des Fernsehangebots oder von Früh und Stiehler (2002) über Fernsehen in Ostdeutschland haben den neuen Ansatz umgesetzt. Auf diese Weise ist die Wirkungsforschung zu genuin kulturalistischen Aussagen gelangt wie, dass „die Gewalt im Medienangebot […] erst durch die Interpretation der Rezipienten“ (Früh 2001: 213) entstehe. Bei der Erörterung integrativer Kommunikationswissenschaft ist auch die Framingtheorie zu erwähnen (Scheufele 2003). Terminologisch setzt diese Theorie bei den Begriffen Schema, Skript und Frame an. Schemata erlauben dem Menschen eine effiziente Informationsverarbeitung. Neue Ereignisse werden in bestehende Handlungsschemata integriert oder als dissonant ausgeschieden. Vorstellungen davon, wie bestimmte Ereignisse normalerweise ablaufen (Skripts) oder was deren Ursachen und Folgen sind, bilden einen Erwartungsrahmen (Frame), der zusammen mit anderen Faktoren das eigene Handeln beeinflusst. Empirisch geht die Framingtheorie für gewöhnlich so vor, 47
Siehe beispielsweise: Bosshart/Hoffmann-Riem (1994).
GRUNDLAGEN, GEGENSTAND UND GESCHICHTE
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dass zu bestimmten Berichterstattungsthemen wie zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit, Gesundheit oder Ökologie und zu bestimmten Gestaltungsmitteln wie zum Beispiel Infotainment Inhaltsanalysen durchgeführt werden. Die erfassten Elemente werden dann zu Frames gruppiert. Letztlich sind sie kulturell verankert. Anschließend wird die Gruppe von identifizierten Frames mit der Produktion und Rezeption der Medieninhalte in Bezug gesetzt. So richtet Dahinden (2006) bei der Analyse von Organisationskommunikation sein Augenmerk auf den Zusammenhang von PR-Organisationen, Journalismus, Medieninhalten und Rezeption. Von der Integration der Massenkommunikationsfaktoren ist es nur ein kleiner Schritt zur Berücksichtigung des gesellschaftlichen und kulturellen Kontextes. Seit Ende der 1970er Jahre ist ein Trend zur Anerkennung der gegenseitigen Durchdringung von Gesellschaft/ Kultur einerseits und Kommunikation/Medien festzustellen. Klaus Beck drückt dies folgendermaßen aus: „Menschliche Verständigung ist ohne Zeichen nicht denkbar, denn sie beruht als symbolische Interaktion auf intentionalem – genauer: kommunikativem – Handeln. Erst Symbole vermitteln Sinn und gestatten die wechselseitige Konstruktion von Information (Verstehenshandlungen). Die Bedeutung von Symbolen, ihr Code, beruht auf sozialer Konvention und im Falle technisch basierter Zeichensysteme auf medienästhetischen Normen und technischen Standards, die wiederum das Resultat sozialer Aushandlungsprozesse darstellen.“ (2003: 74)
Zu dieser Feststellung passt auch die verstärkte Einbettung der kommunikationswissenschaftlichen Ergebnisse in den soziokulturellen Kontext durch die neuere Forschung. Exemplarisch sei auf Rösers Hypothese zur Mediengewaltforschung hingewiesen werden, dass nämlich „die Rezeption und Wirkung von Mediengewalt wesentlich geprägt wird durch soziale Positionierungen in gesellschaftlichen Kontexten“ (2000: 12).
2.4.13 Die Institutionalisierung der Medienkulturwissenschaft
Unter dem Eindruck von neuen Medien, Kommunikationsformen und Gesellschaftsverhältnissen hat sich die Kommunikationswissenschaft in den letzten 25 Jahren dynamisch entwickelt. Davon zeugen die Ausdifferenzierung und Segmentierung ihrer Teildisziplinen. Im Zuge dieser Arbeitsteilung hat sie auch eine Reihe von Ansätzen entweder selbst entwickelt oder die von anderen Disziplinen zu spezifischen Aspekten der Medien- und Kommunikationsforschung entwickelten
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Ansätze rezipiert, die auf die soziokulturelle Kontextualisierung ihrer Forschungsergebnisse der Wert legen oder sogar ihr Erkenntnisinteresse auf die kulturellen Aspekte von Kommunikation und Medien richten. Auf diese Weise konnte das Kulturdefizit reduziert werden, das auf die einseitige Orientierung der Sozialwissenschaften auf ein empiristisches und quantitatives Profil in der Nachkriegszeit zurückging. Unter dem Eindruck des cultural turns wird seit den 1980er Jahren auch in einigen kommunikationswissenschaftlichen Teildisziplinen wieder verstärkt an diese Traditionen angeknüpft. Begründet wird diese Reorientierung mit dem Argument, dass Massenmedien und Massenkommunikationsprozesse nicht angemessen unter Ausblendung von kulturellen Faktoren verstehbar seien. Denn so wie Kultur durch Kommunikation vermittelt wird, unterliegt auch Kommunikation kulturellen Mustern. In diesem Kontext haben sich nicht nur Teildisziplinen wie die Medienästhetik, die Mediensoziologie, die Medienökologie, die Mediatisierungsforschung oder die Theorie der interkulturellen Kommunikation, sondern auch die Medienkulturwissenschaft entwickelt. Seit Ende der 1980er Jahren haben die Diskussionen um die Konzeption der Medienkulturwissenschaft im deutschsprachigen Raum zugenommen. Als Protagonisten dieser frühen Phase lassen sich Faulstich, Hickethier, Schmidt, Schönert und Viehoff nennen. Ihnen gelang es, einige medienkulturwissenschaftliche Forschungszentren und Studiengänge in Deutschland etablieren – so zum Beispiel in Erfurt, Halle, Hamburg, Köln, Lüneburg, Münster oder Weimar. Mit ihren unterschiedlichen Akzentuierungen zeugen diese Zentren von einer großen Heterogenität der transdisziplinären Medienkulturwissenschaft: „So kontrovers die öffentliche Debatte darüber geführt wird, in welcher Art von Kultur wir leben, so intensiv wird auch in vielen Wissenschaften darüber gestritten, wie die unterstellte Medienkulturgesellschaft in wissenschaftlichen Beschreibungen und Erklärungen eingeholt werden kann.“ (Schmidt 2000: 9)
Die zunehmende Institutionalisierung schlägt sich auch auf publizistischer Ebene nieder: Angefangen mit dem Sonderheft des Fachorgans „Publizistik“ zur Medien-Kulturkommunikation (Saxer 1998a) und dem „Kursbuch Medienkultur“ (Pias 1999) haben sich in den letzten Jahren die Publikationen zu Medienkultur und Medienkulturwissenschaft exponentiell erhöht. Neben den bereits in Kapitel 2.1 genannten theoretisch orientierten Arbeiten sind auch Publikationen, die ein Revival ethnographischer Forschungsstrategien in der Kommunikati-
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onswissenschaft belegen,48 und eine Vielzahl von empirischen Einzelstudien, die sich exemplarisch mit der Kultur des Fernsehens (Thumim 2004), des Internetchats (Heine 2001) oder der Mobiltelefonie (Glotz et al. 2006) beschäftigen, erschienen. Abgerundet werden diese Publikationen durch eine Reihe von einführenden Sammelbänden, von denen hier Campbell (2005) oder Hepp/Krotz/C. Winter (2005) herausgehoben seien. In diesem Zusammenhang stellt Real fest: „Research on media culture has shifted away from a focus on one obvious mass medium, television, coming from out there to affect us, toward examing a range of media that we enter into in our daily life, a shift from sociological mass communication to personal [… and] commonly shared experiences of media culture.“ (1996: XIIIf.)
Was hier im Folgenden interessiert, ist ein Überblick zu den medienkulturwissenschaftlichen Ansätzen, die theoretisch darlegen, wie Medienkultur analysiert werden kann. Um den aktuellen Forschungsstand zusammenzufassen und um einen Beitrag an die Strukturierung und Systematisierung der Debatte zu leisten, werden im folgenden Kapitel fünf neuere Ansätze der Medienkulturwissenschaft vorgestellt. Wie bereits in Kapitel 2.2 ausgeführt, werden dabei aber nur diejenigen Ansätze berücksichtigt, die handlungstheoretisch konzipiert sind und ihren Untersuchungsgegenstand auf das mediale Handeln als kulturelle Praktik einschränken. Eine Reihe von Ansätzen erfüllt dieses Kriterium nicht, obwohl sie sich selbst als medienkulturwissenschaftlich bezeichnen oder zumindest mit dem Begriff Medienkultur operieren (vgl. Kapitel 2.3). Der Sinn dieser handlungstheoretetischen Einschränkung liegt darin, zu verhindern, dass die Medienkulturwissenschaft zu einer „Mega-Wissenschaft“ (Schönert 1996: 195) oder zu einer „Superdisziplin“ (Jacke 2004: 223) wird. Eine solche Konzeption würde unweigerlich zur Beliebigkeit und Konturlosigkeit der Medienkulturwissenschaft führen. Aber obwohl hier für eine enge Konzeption argumentiert wird, ist es zum gegenwärtig frühen Zeitpunkt wenig verwunderlich, dass die Medienkulturwissenschaft noch kein handbuchmäßig bestimmbares Themen- und Methodendesign ausweist. Im Gegenteil, die verschiedenen Ansätze können „davon profitieren, sich als eigene Forschungsrichtung im Rahmen ganz unterschiedlicher disziplinärer Verortung zu entwickeln“ (Schmidt 2003: 368).
48
Siehe: Bachmass/Wittel (2006), Krotz (2005), Machin (2002) und R. Winter (2005a).
3 NEUERE ANSÄTZE DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT 3.1 ÜBERBLICK Die Medienkulturwissenschaft ist ein transdisziplinäres Forschungsfeld, das das Handeln mit Medien unter einem kulturalistischen Gesichtspunkt untersucht. Nebst den im vorigen Kapitel erörterten historischen Diskursen, die zur Institutionalisierung der Medienkulturwissenschaft geführt haben, lassen sich fünf zeitgenössische medienkulturwissenschaftliche Ansätze ausmachen: der soziokulturelle Konstruktivismus, die Mediendispositivforschung, der Theatralitätsansatz, die Medienethnologie und die Cultural Studies. Ihre Gemeinsamkeit liegt darin, Medienkultur als mediales Handeln zu konzipieren. Da sie sich aber hinsichtlich ihrer wissenschaftshistorischen Wurzeln, methodologischen Grundlagen, disziplinären Verortungen und wissenschaftlichen Vokabularien unterscheiden, werden sie gemeinhin nicht in einem Zusammenhang gesehen. Während der soziokulturelle Konstruktivismus des Forschungsteams um Schmidt dem Schnittfeld von Germanistik, Systemtheorie und Kognitionspsychologie entstammt, nimmt die Mediendispositivforschung von Hickethier und Paech Anleihen bei der deutschen Literatur- und Filmwissenschaft sowie dem französischen Poststrukturalismus (insbesondere Foucault). Dagegen inspiriert sich der soziologisch ausgerichtete Theatralitätsansatz bei Bourdieu und Goffman. Im deutschsprachigen Raum werden ihre Konzepte von Pietraß und Willems für die Analyse von Medienhandeln nutzbar gemacht. Was die Medienethnologie angeht, gibt es zwar wichtige deutschsprachige Beiträge, aber das Zentrum der Forschungsaktivitäten befindet sich eindeutig im anglophonen Forschungsraum. Hier haben Forscher wie Abu-Lughold, Askew oder Peterson die Medien als reichhaltiges Forschungsterrain entdeckt und ziehen ethnologische Forschungsstrategien für die Analyse von Medienpraktiken heran. Als transdisziplinäres Projekt sind schließlich die Cultural Studies zu bezeichnen, die ursprünglich aus England stam-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
men und sich auf Gründungsväter wie Hoggart, Williams, Thompson und Hall berufen. In den letzten 20 Jahren haben sich die Cultural Studies zuerst in den USA, dann auch in Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Das Ziel dieses Kapitels ist es, die fünf Ansätze zu beschreiben und in einem abschließenden Vergleich ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen herauszuarbeiten. Auf der Grundlage dieses Vergleichs kann dann einer der medienkulturwissenschaftlichen Ansätze ausgewählt und in den darauf folgenden Teilen dieser Studie vorangetrieben werden.
3.2 SOZIOKULTURELLER KONSTRUKTIVISMUS Der soziokulturelle Konstruktivismus von Siegfried J. Schmidt charakterisiert sich durch seine kognitionspsychologischen und systemtheoretischen Grundlagen. Schmidts medienkulturwissenschaftlicher Ansatz ist Teil eines umfassenderen Theorieentwurfs zur Wirklichkeitskonstruktion, der begriffliche und konzeptuelle Konsequenzen nach sich zieht. Die Wirklichkeitskonstruktion wird dabei als ein Prozess modelliert, in dem vier Komponenten im Modus der Selbstorganisation zusammenwirken: Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur.
3.2.1
Kultur als Programm
Schmidts Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei der Handlungstheorie. Jede konkrete Handlung wird als eine Setzung aufgefasst, die sich in eindeutiger Weise von anderen Setzungen unterscheidet. Jeder Setzung sind bereits andere Setzungen vorausgegangen, auf die sie sich teilweise bezieht. Gemeinsam bilden sie einen Zusammenhang, über den ein Mensch in Form von Erinnerungen und Lebenserfahrung verfügt. Jede Setzung macht mindestens eine Voraussetzung, da es keine voraussetzungslosen Setzungen gibt (so bezieht sich der Umgang mit Massenmedien, Unterhaltung oder Werbung auf erlernte Voraussetzungen). Mit ihren gemachten bzw. eben nicht gemachten Setzungen nehmen Akteure (Schmidt spricht von Aktanten) ständig Unterscheidungen vor. Mit diesen Unterscheidungen beziehen sie sich auf Kategorien als „gesellschaftlich relevante Sinndimensionen wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Macht, Besitz, Verwandtschaft, Nahrung oder Kleidung“ (2003: 21). Jede Kategorie (man nehme beispielsweise das Alter) ist durch mehrere Variablen (jung/alt) semantisch differenziert. Die Kategorien und semantischen Differenzierungen werden als zeit-übergreifend und aktantenunabhängig konzipiert, weil nur unter dieser Bedingung die Aktanten als eigenständige, Un-
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terscheidungen treffende Systeme handeln können. Schließlich nimmt jeder an, dass alle anderen sich auf dieselben Voraussetzungen in einer identischen oder doch zumindest hinreichend vergleichbaren Weise beziehen. „Das System der Sinnorientierungsoptionen einer Gesellschaft, das aus Kategorien und semantischen Differenzierungen gebildet wird, wird hier bestimmt als das aus Handeln hervorgegangene und durch Handlungserfahrungen systematisierte und bestätigte kollektive Wissen der Mitglieder einer Gesellschaft über ‚ihre Welt‘.“ (ebd.: 22f.)
Die Aktanten sind also in ein Spannungsfeld zwischen kognitiver Autonomie und sozialer Orientierung eingebunden. Das Wissen ist deshalb so wirksam, weil alle Mitglieder einer Gesellschaft davon ausgehen, dass die anderen über dasselbe Wissen verfügen und dieselben oder ähnliche Intentionen, Motive und Werturteile unterstellen. Reflexiv entstandenes und selektiv wirkendes kollektives Wissen wird von den Aktanten im Zuge ihrer Bewusstseinstätigkeit laufend neu gebildet. Ein Wirklichkeitsmodell ist also ein sämtliche Unterscheidungen umfassendes Netzwerk. Funktional ausgedrückt, leistet es für alle Aktanten den systematischen Umgang mit allen für lebenspraktisch wichtig gehaltenen Handlungs- bzw. Bezugnahmebereiche in gesellschaftlichen Interaktionen. Damit ein Wirklichkeitsmodell aber handlungswirksam werden kann, ist ein Programm vonnöten, das „die möglichen Formen von Bezugnahmen auf Kategorien und semantische Differenzierungen in einer gesellschaftlich verbindlichen Weise in konkrete Unterscheidungssetzungen zu überführen erlaubt“ (ebd.: 25). Dieses Programm nennt Schmidt Kultur. Kultur ist ein generatives Problemlösungsprogramm einer Gesellschaft, das die Aufgabe übernimmt, Aktanten in die Lage zu versetzen, Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen als sinnvoll zu erleben. Im Gegensatz zu den tendenziell lernresistenten Kategorien und Differenzierungen ist dieses Programm lernfähig, da ansonsten kein kultureller Wandel möglich wäre. Mit dieser Erklärung sind nun alle Faktoren beisammen, um den konstruktivistischen Kulturbegriff als Sonderfall des oben erörterten bedeutungsorientierten Kulturbegriffs herauszustellen. Denn bei Schmidt wird Kultur nicht über Phänomene und Werte bestimmt, sondern als ein generatives „Programm modelliert, dessen gesellschaftlich geregelte Anwendung diejenigen Phänomene im weiteren Sinn hervorbringt, die Mitglieder einer Kulturgesellschaft dann im Lichte der Regeln dieses Erzeugungsprozesses als kulturelle Phänomene interpretieren“ (ebd.: 12). Gemäß diesem Theorieentwurf lassen sich Gesellschaft und Kultur nicht unabhängig voneinander konzipieren. Beide
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
konstituieren sich erst durch die kulturprogrammatischen Anwendungen der kognitiv und kommunikativ aktiven Aktanten.
3.2.2
Medien, Wissenschaft, Medienkulturwissenschaft
Das Konzept von Kultur als Programm ist ein zentrales Element innerhalb von Schmidts Theorie der Wirklichkeitskonstruktion. Nur vor dem Hintergrund einer Darstellung dieser theoretischen Grundlagen werden die nun folgenden Ausführungen verständlich. Ein bei Schmidt wichtiges Anwendungsfeld ist die Medienkultur. Sie hat sich deshalb zu einem zentralen Thema entwickelt, da Kultur und Medien in einem unauflösbaren Verhältnis miteinander verbunden sind: „Zum einen beruht jede Herstellung und Nutzung von Medienangeboten, sei es in natürlicher Sprache oder unter Zuhilfenahme von Medientechnologien, auf dem kollektiven Wissen, was jedem Gesellschaftsmitglied im Wirklichkeitsmodell und im Kulturprogramm seiner Gesellschaft zur Verfügung steht. Zum anderen werden durch eben diese Inanspruchnahme bei der Kommunikation mit Hilfe von Medienangeboten Wirklichkeitsmodelle und Kulturprogramme zugleich vorausgesetzt, in Anspruch genommen und bestätigt.“ (2003: 34)
Aus diesem Grund ist Kultur also das Ergebnis von Medienleistungen, die von handelnden Aktanten in den Bereichen Produktion, Distribution und Aneignung erbracht werden. Schmidts medienkulturwissenschaftlicher Ansatz charakterisiert sich durch begriffliche Trennschärfe, Systematik und Vollständigkeit. Dies wird auch bei der Definition der beiden Begriffe Medien und Wissenschaft deutlich. Schmidt definiert Medien als das sich selbst organisierende Zusammenwirken eines semiotischen Kommunikationsinstruments mit einer Medientechnologie, einer sozialsystemischen Institutionalisierung und einem Medienangebot. Unter einem Kommunikationsinstrument werden „alle materialen Gegebenheiten, die semiosefähig sind und zur gesellschaftlich geregelten, dauerhaften, wiederholbaren und gesellschaftlich relevanten strukturellen Kopplung von Systemen im Sinne je systemspezifischer Sinnproduktion genutzt werden können“ (2002: 56.) entstanden. Die natürliche Sprache ist der Prototyp eines Kommunikationsinstruments. Sie wird an eine Medientechnologie gebunden, die die Nutzung von Medienangeboten (Buch, Zeitung, Werbeclip) nachhaltig beeinflusst. Schließlich sind die drei bisher erörterten Komponenten gebunden
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„an die Herausbildung der sie tragenden Einrichtungen (Organisationen wie Verlage und Fernsehanstalten aber auch zum Beispiel Institutionen wie Schulen), deren Stellung in der Gesellschaft wiederum die Lösung ökonomischer, rechtlicher, politischer und sozialer Probleme erforderlich macht.“ (ebd.: 57)49
Mit der Lösung solcher Probleme durch explizite methodisch regelgeleitete und damit intersubjektiv überprüfbare Verfahren beschäftigt sich die Wissenschaft. „Durch methodische Explizitheit und innerdisziplinär verbindliche Terminologie(n) werden der Erwerb und die Kommunikation gewonnenen Wissens von der Bindung an Einzelpersonen gelöst und die kommunikative Herstellung von Intersubjektivität ermöglicht.“ (Schmidt 2003: 365) Dazu zählt auch, dass sich Wissenschaftler dazu bekennen, dass ihre Beobachtungen auf Voraussetzungen beruhen, auf eine zu Grunde liegende Beschreibungskultur Abbildung 2: Der zirkuläre Prozess der Wirklichkeitskonstruktion (Schmidt 2000: 98)
49
Ein Vergleich der beiden Mediendefinitionen von Saxer (vgl. Kapitel 2.2.3) und Schmidt zeigt, dass trotz ihres unterschiedlichen epistemologischen Hintergrundes nicht weit auseinander liegen. Beide Autoren fassen Medien als einen Kompaktbegriff aus mehreren Komponenten auf. Hinsichtlich Zeichensystem, Medientechnologie, Organisation und Sozialfunktion lässt sich eine weitgehende Übereinstimmung feststellen. Die Unterschiede betreffen insbesondere zwei Aspekte: Während Saxer auf die wichtige Unterscheidung von Organisation und Institution Wert legt, gelingt es Schmidt, den Medienbegriff in seine umfassende Theorie des soziokulturellen Konstruktivismus einzubetten und das Autologieproblem zu berücksichtigen.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
verweisen und systemrelativ sind. Die Originalität des konstruktivistischen Ansatzes erweist sich aber auch darin, dass sich wissenschaftliches Handeln in diesen Kriterien vom nicht-wissenschaftlichen Handeln unterscheidet, aber die fundamental menschliche Bearbeitung von Kontingenz mit dem nichtwissenschaftlichen Handeln teilt. Nachdem nun die Begriffe Kultur, Medien und Wissenschaft geklärt worden sind, liegen sämtliche Voraussetzungen vor, um den medienkulturwissenschaftlichen Ansatz des soziokulturellen Konstruktivismus abschließend zu beschreiben. Denn der Zusammenhang zwischen diesen drei Begriffen ergibt sich daraus, dass sich die (Sozial-) Wissenschaft nach explizit angegebenen Regeln mit den gesellschaftlichen Problemen beschäftigt. Dazu muss sie auf das Kulturprogramm zurückgreifen, das unlösbar mit Medien und Kommunikation verbunden ist: „Medienkulturwissenschaft ist nicht fixiert auf einzelne Medienangebote oder bestimmte kulturelle Phänomene, sondern versucht, die Mechanismen zu ergründen, die unseren Umgang mit solchen Phänomenen bestimmen, die wir aus guten Gründen für kulturelle Phänomene halten, und dabei möglichst genau die Rolle der Medien zu explizieren.“ (ebd.: 353)
3.2.3
Themenagenda
Der soziokulturelle Konstruktivismus hat sich in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Themen der Medienkultur beschäftigt. Das Spektrum reicht von der Mediengeschichte, über die Organisationskommunikation und Werbung bis hin zur Populärkultur. Vorzugsweise werden jene traditionell sozialwissenschaftlichen Themen behandelt, die mit Ideologien oder Normen behaftet sind. Aufgrund des Bewusstseins für seinen autologischen und selbstreferentiellen Charakter stellt der soziokulturelle Konstruktivismus die den Ideologien und Normen zu Grunde liegende dualistische Ordnung (zum Beispiel richtig – falsch) in Frage. Im folgenden Abschnitt werden zwei solche Anwendungen vorgestellt: die Werbung und die Populärkultur. Wie die Medienökonomie geht auch der soziokulturelle Konstruktivismus davon aus, dass die Werbung mit Hilfe von Medienangeboten das Ziel verfolgt, die Aufmerksamkeit für Dienstleistungen, Informationen, Personen und Produkten bei Zielgruppen zu erreichen und entsprechende Kaufhandlungen nach sich zu ziehen. Im Gegensatz zur Medienökonomie richtet der soziokulturelle Konstruktivismus aber sein Augenmerk nicht auf die kommerziellen Aspekte. Er betrachtet die Werbung als Projektionsfläche von kollektiven Mentalitäten:
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„Um Aufmerksamkeit erzeugen zu können, müssen Werbetreibende versuchen, Werbebotschaften mit solchen Ideen, Überzeugungen, Werten und kulturellen Mustern (kurz: Mentalitäten) bzw. mit solchen soziokulturellen Entwicklungstendenzen zu koppeln, von denen sie annehmen, dass sie von Auftraggebern wie von Zielpublika akzeptiert oder gar gewünscht und auf jeden Fall emotional positiv konnotiert werden.“ (Schmidt 2004: 95)
Im Gegensatz zum häufig erhobenen und ideologisch behafteten Manipulationsvorwurf gegenüber der Werbung betont der soziokulturelle Konstruktivismus, dass das Publikum gar nicht davon ausgeht, dass die Werbeversprechen wahr seien. Werbung wird vor allem wegen ihres Unterhaltungswertes gesehen. Zurstiege (2005) hat in seiner empirischen Studie über deutsche Schüler herausgefunden, dass es zum guten Ton gehört, deutsche Werbung insgesamt langweilig und schlecht zu finden. Insgesamt stehen die Schüler der Werbung kritisch gegenüber, wobei einzelne Spots aber originell und positiv wahrgenommen werden. Zurstieges Studie bindet in seiner Analyse aber auch die Werbeagenturen ein. Indem sie Abhilfe verheißen, nutzen sie das schlechte Image der deutschen Werbung für ihre Eigenwerbung. Das zweite Beispiel stammt aus der Populärkultur. Gemäß dem Konzept der Wirklichkeitskonstruktion handelt es sich bei der Unterhaltung um einen Modus der gesellschaftlichen Kontingenzbearbeitung (Woody Allens Tragikomödien sind dafür ein prototypisches Beispiel). Unter Missachtung der jahrzehntelangen Erforschung dieses Gegenstandes durch die Cultural Studies, handelt es sich in den Augen des soziokulturellen Konstruktivismus um ein wissenschaftlich stiefmütterlich behandeltes Gebiet. Zur Reduktion dieses Defizits beschäftigt sich Jacke in seinen Fallanalysen mit der Mediatisierung und Vermarktung von Stars. Gesellschaftlich relevant sind diese Aktanten als Repräsentanten für Stile, Szenen und Trends. Denn die Stars dienen den Fans als Idole und Vorbilder. Sie stiften damit Identifikation und Orientierung. Zwar stehen Stars und Fans in einem dichotomischen Verhältnis zueinander, aber dieses Verhältnis ist durch die Rolle der Massenmedien auch interaktiv. „Die Fans konstruieren sich personale Mythen, ergo Stars, um letztlich mit dem Star interagieren und sich mit seinem Kult identifizieren zu können.“ (Jacke 2004: 278) Der Starkult hat in den letzten Jahren eine solche Wichtigkeit erhalten, dass insbesondere das Fernsehen dazu übergegangen ist, in CastingShows und Reality TV Sendungen aus bloßen Zuschauern Stars zu machen: „Im Sinne einer self-fulfilling prophecy werden diese anschließend vereinzelt sehr wohl zu erfolgreichen, echten Stars.“ (ebd.: 274)
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3.2.4
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Kritik
Zweifellos kann die konzeptuelle Konsistenz als der herausragendste Vorzug des soziokulturellen Konstruktivismus angeführt werden. Wie beispielsweise die Studie von Zurstiege (2005) oder der von Moser herausgegebene Sammelband „Konstruktivistisch Forschen“ (2004) zeigen, ist dieser medienkulturwissenschaftliche Ansatz zwar sozialempirisch überprüfbar, aber insgesamt überwiegen textualistische Zugänge. Damit hängt auch eine gewisse Monotonie zusammen, die den deduktiven Argumentationen geschuldet ist. Auf den ersten Blick scheint der soziokulturelle Konstruktivismus sämtliche gesellschaftliche und kulturelle Phänomene elegant beschreiben zu können. Ein gewisses Unbehagen kann aber damit begründet werden, dass Kultur – konzeptualisiert als Programm bzw. als Steuerungsmedium eigendynamischer Systeme – ihre inhaltlichen Qualitäten verliert. So innovativ dieser Ansatz auch sein mag, bleibt er in diesem Punkt gegenüber anderen medienkulturwissenschaftlichen Ansätzen unterkomplex.
3.3 MEDIENDISPOSITIVFORSCHUNG Beim zweiten medienkulturwissenschaftlichen Ansatz handelt es sich um die Mediendispositivforschung.50 Ihre prominentesten Vertreter sind die Filmwissenschaftler Knut Hickethier und Joachim Paech. Die Mediendispositivforschung geht von zwei Grundsätzen aus: erstens von der wachsenden Bedeutung der technisch-apparativen Medien (Film, Fernsehen, Radio, Internet, CD, DVD etc.) und zweitens von der Modellierung des Menschen als kulturelles Wesen durch diese Medien. Ihre Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei der Verschränktheit von Kultur und Medienkommunikation: „Kultur ist öffentlich und determiniert in ihrem öffentlichen Charakter auch die Bedingungen des Privaten, indem sie die dort geltenden Spielregeln festlegt [...]. Kultur stützt sich deshalb auf Kommunikation, weil sie diese Regeln des Zusammenlebens durch Diskurse festlegt und das Verhalten der Menschen durch Diskurse steuert.“ (Hickethier 2003: 222)
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Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Begriff Mediendispositivforschung bisher nicht üblich ist. Ihre Vertreter bezeichnen sich in der Regel als Medienwissenschaftler, wobei dieser Begriff nicht den Spezifika ihrer wissenschaftlichen Praxis gerecht wird.
NEUERE ANSÄTZE DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
3.3.1
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Kulturelle Handlungen als Text
Die Mediendispositivforschung ist in dem Sinne handlungstheoretisch fundiert als sie kulturelle Handlungen als Text liest und den Aspekt der Performanz herausarbeitet. Zwar steht die als Dispositiv bezeichnete Beziehung zwischen dem Medienprodukt und dem Mediennutzer im Mittelpunkt der Betrachtung, aber auch die übrigen Aspekte der Medienkommunikation werden nicht gänzlich ausgeblendet. Die Mediendispositivforschung kritisiert die herkömmlichen, auf Informationsübertragung und kognitive Prozesse ausgerichteten Modelle der Kommunikationswissenschaft als unzureichend. Um auch Funktionen wie emotionale Steuerung oder Zeitnormierung adäquat zu erfassen, entwirft sie ein zirkuläres Mediensystemmodell der Medienkommunikation, das die verschiedenen Faktoren miteinander in Beziehung setzt. Dieses auf einer Makro-Ebene angesiedelte Modell berücksichtigt sowohl das politische und ökonomische Umfeld, die Medienunternehmen, die Medienprodukte als auch das private und soziale Umfeld des Mediennutzers. „So wie die Situation der Kommunikationspartner in der Medienkommunikation nicht mehr dem natürlichen Sprecher-Hörer-Verhalten vergleichbar ist, ist auch nicht mehr von einem einfachen Austausch zu sprechen, sondern von einer kulturindustriellen Zirkulation, bei der innerhalb der Medienproduktion unterschiedliche Abstimmungen, Planungen, Verständigungen stattfinden, die in die Realisation der Medienprodukte mit den in ihnen enthaltenen dargestellten und inszenierten Kommunikationsvorgängen münden. Diese wiederum lösen bei den Rezipienten Kommunikationsvorgänge unterschiedlicher Art aus, die einerseits Selbstverständnis, Weltwissen und Alltagsverhalten beeinflussen und andererseits damit auf die Medien zurückwirken.“ (Hickethier 2003: 56f.)
Die Integration von Medienprodukt und -nutzung geschieht im Rahmen des Dispositivs.
3.3.2
Poststrukturalistisches Gedankengut
Das Konzept des Dispositivs stammt aus der poststrukturalistischen Theorie von Foucault. Es ist an die Stelle der Episteme, des Wissens und der diskursiven Formationen getreten, die in früheren Phasen der Foucaultschen Theorie im Mittelpunkt standen. Das Dispositiv ist ein Netz von Diskursen, Institutionen, Gesetzen, Statuten und Wahrnehmungsregeln mit strategischer Funktion: Es ist
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„also immer in ein Spiel der Macht eingeschrieben, immer aber auch an eine Begrenzung oder besser gesagt: an Grenzen des Wissens gebunden, die daraus hervorgehen, es gleichwohl aber auch bedingen. Eben das ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden.“ (Foucault 1978: 123)
Während Foucault in zahlreichen Studien diesem Kerngedanken in Beispielanalysen zu Gewalt, Krankheit und Sexualität nachging und an Institutionen wie dem Hópital Général im 17. Jahrhundert, der Klinik im 18. Jahrhundert und dem Gefängnis im 19. Jahrhundert festmachte, wurde der Begriff von französischen Poststrukturalisten wie Baudry und Gardies auf das Kino übertragen. Hier nimmt das Dispositiv eher eine materielle Bedeutung an, indem es die Anordnungen und Vorrichtungen meint, die eine strategische Operation durchzuführen erlauben. An dieser Stelle setzt die deutschsprachige Rezeption ein. Während Paech das Dispositiv als topische Ordnung definiert, in der Diskurse ihren Effekt erzielen (1997: 410), erweitert Hickethier den Fokus. Danach sind Mediendispositive Anordnungen, die „aus der Technik, den kulturellen und sozialen Institutionen sowie den gesellschaftlichen Diskursen bestehen. In ihrem Brennpunkt steht das Subjekt“ (Hickethier 2003: 234). Es sind also drei Ebenen eines Mediendispositivs zu unterscheiden: die technische Ebene (Gerät, Vertrieb etc.), die Ebene der institutionellen Anordnung und die Ebene der durch diese Produkte gebildete mentale Verfasstheit des Publikums. Diese Differenzierung unterstreicht, dass die deutsche Medien- und Kommunikationsforschung ihre verkürzte Foucaultrezeption endgültig überwunden hat. Denn lange Zeit wurde der Begriff des Dispositivs auf seine technisch-apparative Dimension reduziert. Verloren gingen dabei die kulturelle und soziale Disposition des Publikums. „Eine diskurs- oder theoriegeschichtliche Annäherung an das Dispositiv als mediale Topik kann also nicht bei einem ihrer Momente, dem Apparativen, stehen bleiben. Sie muss vielmehr an der Wahrnehmung des Bruchs medialen Gelingens ansetzen.“ (Paech 1997: 411) Darüber hinaus ignorierte die Medien- und Kommunikationsforschung lange „den zentralen Gedanken des Strukturalismus, dass die Elemente durch ihre Relation zu anderen Elementen definiert werden sowie die Konsequenz dieser Annahme: Dass die Positionierung der Mediennutzer im Mediendispositiv mit einer Subjektkonstitution verbunden sei“ (Barth 2005: 8f.).
3.3.3 Themenagenda
Bei der Analyse des Verhältnisses zwischen Medien und Subjekt geht die Mediendispositivforschung nicht von einem restriktiven Medien-
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begriff aus. Obwohl prinzipiell sämtliche technisch-apparativen Medien in Betracht kommen, stellt das Kino das prototypische Thema dar. Denn es handelt sich um eine Anordnung, die die „netzartige Umstellung des Subjekts geradezu sinnfällig macht. Sie weist Korrespondenzen zu zahlreichen anderen Aspekten der medialen Organisation auf und erzeugt schließlich einen Effekt, der offensichtlich wenig mit den Inhalten, sondern mehr mit der medialen Wahrnehmungskonstruktion zu tun hat.“ (Hickethier 2003: 187)
Der prototypische Charakter des Kinos hängt mit seiner Technik, seinen Institutionen und seinen Diskursen (Filmkritik, Kampagnen, Werbung) zusammen. Die technische Anordnung der Filmvorführung, zu der die große Leinwand, die Beschallung und die genormten Kameraperspektiven gehören, prägt die Wahrnehmung genauso wie der institutionalisierte Raum. Denn die Projektion eines Films geschieht in einem Saal, der nach bestimmten innenarchitektonischen Regeln gestaltet ist. Bereits der Zutritt vom Saal durch den obligaten Kauf des Billetts am Schalter und die Respektierung der Altersgrenze (FSKBewertung) ist reglementiert. Die Platzsuche und die Filmvorführung folgen tradierten Regeln und Ritualen. So sind die Menschen durch das Gebot der gemeinschaftlichen Rücksichtnahme in ihren verbalen Äußerungen genauso eingeschränkt wie in ihrer physischen Bewegung. Die Stillstellung des Zuschauers und die Abdunkelung des Kinoraums sind während der vorgeschalteten Werbung und des Filmabspanns sowie in der Pause zwar nicht gänzlich aufgehoben, aber doch reduziert. Die Diskurse des Publikums beziehen sich während dieser Sekundärvorführungen meist auf den Film. Aber auch der Film selbst kann auf das Kino Bezug nehmen. So ist das Kino nicht nur häufiger Ort der Handlung, sondern es existiert auch eine lange Tradition der Interaktion zwischen Leinwand und Zuschauerraum (Paech/Paech 2000: 202-220). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Dispositiv als eine Form der Machtausübung „nicht nur zu einer Disziplinierung der Körper [führt], wie es Foucault für das 18. und 19. Jahrhundert beschrieben hat, sondern über die Medien und die Apparate des Sehens auch zur Disziplinierung der Wahrnehmung“ (Hickethier 2003: 320). Entsprechend richtet die Mediendispositivforschung ihre Aufmerksamkeit auf die medialen Effekte – die Kommunikationswissenschaft spricht traditionellerweise von Funktionen –, die durch die Disziplinierung der Wahrnehmung entstehen. Dazu zählen die Normierung der Zeit bzw. des Zeitgefühls (unter anderem durch Programmstrukturen), die Aufmerksamkeitssteuerung, die Formierung der Emotionalität, die Diskursordnung (Agenda-Setting in Massenmedien und in
82
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
der interpersonalen Kommunikation) und Sozialisations- und Verhaltensanweisungen.
3.3.4
Kritik
Die Mediendispositivforschung ist ein medienkulturwissenschaftlicher Ansatz, der an eine ganze Reihe von anderen Ansätzen der Medienund Kommunikationsforschung anschlussfähig ist. Dazu zählen insbesondere die Agenturtheorie der Medien (Schanze 1994), die Cultural Studies, die Mediengeschichte und die postmoderne Medientheorie.51 Zwar ist es Hickethier und Paech in den letzten Jahren gelungen, eine Reihe von rezeptionsgeschichtlichen Defiziten wettzumachen, aber auch in der vorliegenden Form scheinen die Potenziale dieses medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes insgesamt beschränkt zu sein. Das hängt insbesondere mit der Betonung der technischen Aspekten von Massenmedien, der Fixiertheit auf die Film- und Kinoforschung und der Anwendung von textualistischen Methoden zusammen. Eine stärkere empirische und handlungstheoretische Ausrichtung der Mediendispositivforschung könnte zu einer Ausweitung ihrer Forschungsfelder und zu einer Dynamisierung ihrer Forschungsaktivitäten beitragen. Das dürfte ganz im Sinn von Deleuze sein, der von einer Dispositivforschung die Zurückweisung der Universalien und ein Änderung der Orientierung fordert (1991: 157-159).
3.4 THEATRALITÄTSANSATZ Beim dritten zeitgenössischen Ansatz der Medienkulturwissenschaft handelt es sich um den Theatralitätsansatz. Dieser aus dem DFGSchwerpunktprogramm Theatralität hervorgegangene Ansatz macht Überlegungen der Soziologen Bourdieu und Goffman für die Analyse von Medienkultur fruchtbar. Ziel der Forschungen ist es, die Inszenierungen von Medienakteuren auf der ‚Bühne‘ der Massenmedien zu betrachten. Je nach Terminologie wird dazu der Nachvollzug von medialen Interpretationshinweisen durch das Publikum (Pietraß 2002; Willems 1997: 142ff.) oder das dialektische Verhältnis zwischen Medienfeld und Publikumskultur analysiert (Willems 2005).
51
Zu denken ist insbesondere an Debray (2003).
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3.4.1
83
Theatralität, Feld und Habitus
Ausgangspunkt des Ansatzes ist ein Theatralitätsbegriff, der sich in vier Aspekte zerlegen lässt: „Erstens den der Performanz, die als Vorgang einer Darstellung durch Körper und Stimme vor körperlich anwesenden Zuschauern gefasst wird [...]; zweitens den der Inszenierung, der als spezifischer Modus der Zeichenverwendung in der Produktion zu beschreiben ist; drittens den der Korporalität, der sich aus dem Faktor der Darstellung bzw. des Materials ergibt; und viertens den der Wahrnehmung, der sich auf den Zuschauer, seine Beobachterfunktion und -perspektive bezieht.“ (Fischer-Lichte 1998: 86)
Dieses Verständnis von Theatralität verweist auf die Kunstform des Theaters. Es liegt nahe, den Theatralitätsbegriff über unmittelbare Interaktionen hinaus auch auf den Bereich der Massenmedien und insbesondere des Fernsehens zu übertragen.52 Um aber diese Übertragung zu leisten, ist der Theatralitätsbegriff zu ergänzen. Dazu eignet sich Bourdieus Begriff des Feldes. Der Begriff bezieht sich auf die Tatsache, dass es in modernen Gesellschaften ausdifferenzierte und relativ autonome Handlungsbereiche mit jeweils eigenen Handlungsbedingungen und Funktionen gibt. Ein Feld ist ein „structured space of positions in which the positions and their interrelations are determined by kinds of resources or capital“ (Thompson 1991: 14). Die Wirtschaft, die Politik, die Medien, die Wissenschaft und die Religion sind Beispiele für solche Felder. Da die in einem Feld agierenden Akteure über verschiedene Kapitalsorten verfügen, ist das Feld durch spezifische Strukturbedingungen von Macht und Ungleichheit geprägt.53 In den Worten Bourdieus ist das Feld „eine Arena, in der um Veränderung oder Erhaltung“ (1998: 57) gekämpft wird. Die Felder lassen sich wiederum in Subfelder unterteilen. So konstituieren sich Medienfelder wie Journalismus, Unterhaltung oder Werbung aus der Gesamtheit von Akteuren und den Bedingungen, unter denen sie Handlungen ausführen und Rollen annehmen können. Beispielsweise charakterisiert sich das Journalismusfeld als „ein unter spezifischen Marktbedingungen stattfindendes und zunehmend Marktzwängen unterworfe52
53
Bereits Newcomb und Hirsch haben in den 1980er Jahren die Verwandtschaft von Theater und Massenmedien festgestellt. Anstelle des Theaterbegriffs haben sie den Begriff des „kulturellen Forums“ (1986: 177) verwendet. Bourdieu unterscheidet vier Kategorien von Kapital: das ökonomische Kapital (Geld, Grundbesitz etc.), das soziale Kapital (Familienzugehörigkeit, soziales Beziehungsnetz), das kulturelle Kapital (Schulabschlüsse, Bildung, Titel, Sprachkompetenz) und das symbolische Kapital (Kleidung, Gestik, Manieren).
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
nes Kommunikationsspiel um die Aufmerksamkeit, das Interesse, die Anerkennung und das Handeln bestimmter Publika“ (Willems 2005: 111f.). Entsprechend sind die Handlungen der Medienakteure sowohl auf die konkurrenzierenden Akteure als auch auf das Publikum hin bezogen. In diesem Kontext führt Bourdieu den Begriff des Habitus ein (1987 [1980]). Darunter versteht er eine Matrix von feldspezifischen Wahrnehmungs-, Denk-, Gefühls- und Handlungslogiken, die die Handlungen der Akteure leiten. Sie kann als eine generative Grammatik des Sozialen bezeichnet werden. Empirisch zugängliche soziale Praktiken sind nach Bourdieu immer das Produkt aus Habitus und den Strukturbedingungen des jeweiligen Feldes. Auf das Feld der Medien bezogen eröffnet der Habitusbegriff „einen Zugang zu den Eigenlogiken der Wahrnehmungs-, Denk-, Empfindung- und Handlungsweisen der Medienproduzenten und der Medienrezipienten. Ebenso erschließt er die kulturelle Alltagspraxis als ein Fungieren von Sinnstrukturen, die in den medialen Produktionen aufgegriffen und in Texten verarbeitet werden.“ (Willems/Kaut 2003: 8)
Der feldspezifische Habitus ermöglicht und begrenzt also die Handlungen der Medienakteure gleichermaßen. Die Medienfelder und -gattungen sind keine bloßen Freiräume, in denen die Akteure beliebig mit Symbolen und Bedeutungen spielen könnten. Zwar muss mit ihnen auch gespielt werden, um das Publikum zu vergnügen, aber dieser Spielraum ist eben auch immer begrenzt.
3.4.2
Spiel und Rahmen
Die Rede vom ‚Spiel‘ verweist auf einen weiteren Soziologen, der wichtige Impulse für den medienkulturwissenschaftlichen Theatralitätsansatz geliefert hat. Es handelt sich um Goffman (1969; 1973), dessen Überlegungen auf Forschungen Batesons zurückgehen. Beim Beobachten von spielenden Tieren im Zoo stieß Bateson (1981 [1972]) auf die Frage, wie die Tiere ihre spielerischen Bisse und Angriffe von echten Feindseligkeiten unterscheiden konnten. Dabei kam er kam zu dem Schluss, dass hier metakommunikative Hinweise vorliegen müssen, die den Interaktionspartner veranlassen, das scheinbar aggressive Verhalten als Spiel zu interpretieren, es als Spiel zu rahmen. Dieses Konzept des Rahmens überträgt Goffman auf das menschliche Alltagshandeln. Unter Rahmen (frame) versteht er Organisationsformen von alltäglicher Erfahrung. Sie ermöglichen zu erkennen, was sozial vorgeht. Sie stellen Anweisungen dar, an die sich alle an einer Interaktion beteiligten Personen halten müssen, um in
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85
einem gemeinsamen Verstehenszusammenhang zu kommunizieren.54 Goffman unterscheidet dabei zwischen primären Rahmen und Transformationen von primären Rahmen, die als Module bezeichnet werden. Während primäre Rahmen das sind, was Menschen wirklich erfahren, sind Module Nachbildungen von primären Rahmen, die von den Interaktionspartnern als etwas anderes interpretiert werden. Eine Rahmenanalyse (frame analysis) ist zunächst nichts anderes als eine Interaktions- und Praxisanalyse (Goffman 1977).55 Sie eignet sich auch für die Analyse von Medienkultur. Der Theatralitätsansatz fasst Medienkultur als Inszenierungen auf, die an ein Publikum adressiert sind und von einem Publikum decodiert werden. Das Publikum folgt den rahmenverschachtelten Inszenierungen anhand entsprechender Interpretationshinweisen, die dem Medienprodukt eingeschrieben sind. „Damit der Rezipient erkennen kann, ob und welche Rahmen und Module jeweils vorliegen, müssen ihm entsprechende Hinweise vermittelt werden. Rahmungshinweise werden durch die jeweils eingesetzten Gestaltungsmittel gegeben. In der praktischen Medienkommunikation haben sich Gestaltungsstile etabliert, anhand deren Typik die jeweils gültigen Rahmen für den Zuschauer erkennbar werden. Genres als Träger spezifischer Gestaltungsstile markieren einerseits Grenzen, wie etwas durch die Medien vermittelt ist, und andererseits stellen sie als Rahmen Orientierungsmuster dar, die dem Verstehen von Medieninformationen und ihre Bewertung dienen.“ (Pietraß 2002: 500)
Zugleich sind Genre-Rahmen Grenzen der Interpretationsfreiheit der Zuschauer bei ihrem Handeln mit Medienprodukten.
3.4.3
Themenagenda
Typischerweise beschäftigen sich die Studien des Theatralitätsansatzes mit dem Fernsehen und der (Fernseh-) Werbung. Denn im Massenmedium des Fernsehens sieht Bourdieu eine Bildungsinstanz ersten Ranges für die Massen, denn es „hat eine Art faktisches Monopol bei der Bildung der Hirne eines Großteils der Menschen“ (1998: 23). Sein polemischer Essay erinnert an Brechts Radiodiskurs und hat in Frankreich eine öffentliche Kontroverse ausgelöst. Bourdieu kritisiert das 54
55
Hinsichtlich der Begriffe Rahmen und Habitus ist anzumerken, dass der Rahmenbegriff den Habitusbegriff spezifiziert, mit „dem sich umgekehrt Rahmenkompetenzen und Rahmenstile erschließen lassen“ (Willems/Kaut 2003: 14). Neben dem Theatralitätsansatz geht auch die Framingtheorie auf die Arbeiten von Goffman zurück (vgl. Kapitel 2.4.11).
86
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Fernsehen dafür, die Chance vergeben zu haben, als ein Instrument der direkten Demokratie zu fungieren. Stattdessen wirkt es als ein Instrument zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und zur symbolischen Unterdrückung. Dies geschieht mittels der Dominanz von Popularisierungsstrategien im Nachrichtensektor (Dramatisierung, Personalisierung, Klatsch) und von Unterhaltungsprogrammen (Talkshows, Reality TV, Sport). „Wenn wertvolle Minuten verschleudert werden, um derart Unwichtiges zu sagen, so deswegen, weil diese unwichtigen Dinge in Wirklichkeit sehr wichtig sind [...]. Legt das Fernsehen den Akzent auf die Vermischten Meldungen, so füllt es die Zeit mit Leere, mit nichts oder fast nichts, und klammert relevante Informationen aus, über die der Staatsbürger zur Wahrnehmung seiner demokratischen Recht verfügen sollte.“ (ebd.: 23)
Was auf die Agenda des Fernsehens gelangt, hängt dabei nicht nur vom Publikumsgeschmack und den Nachrichtenwertfaktoren, sondern auch von der Agenda der konkurrenzierenden Akteure im Feld des Fernsehjournalismus ab. Zusammengenommen führen diese Faktoren zu einer Nivellierung und Uniformisierung der Programme. Das nach Bourdieu höchst undemokratische Erfolgskriterium dieser Programme ist dabei die Einschaltquote. „Man kann und muss im Namen der Demokratie gegen die Einschaltquote kämpfen. Das scheint sehr paradox, denn die Parteigänger der Einschaltquote behaupten, dass es nichts Demokratischeres gebe“ (ebd.: 95) als die Mehrheitsmeinung und die freie Wahl des Zuschauers. Dagegen wendet Bourdieu ein, dass die Einschaltquote ein Kriterium aus dem externen Feld der Wirtschaft bzw. der Werbung sei. Aus dieser Feststellung werden zwei Kritikpunkte abgeleitet: Erstens wirft Bourdieu den Journalisten vor, keine eigenen feldspezifischen Kriterien anzuwenden, und zweitens wirft er den Akteuren aus Feldern wie Politik und Kultur vor, sich den Selektions-, Darstellungs- und Präsentationsformen des Fernsehens zu unterwerfen. Über Bourdieus polemische Schriften hinaus ist der Theatralitätsansatz auch in einer Reihe von empirischen Studien angewandt worden. Sie orientieren sich mehrheitlich an der Goffmanschen Rahmenanalyse. Stellvertretend sollen hier zwei Studien vorgestellt werden. Zunächst sei auf eine rahmenanalytische Betrachtung des Infotainment von Pietraß verwiesen. Die Autorin fragt danach, wie deutsche Zuschauer mit neuen Programmformaten umgehen, die sowohl informierende als auch unterhaltende, sowohl faktische wie auch fiktionalisierende Gestaltungsmittel einsetzen. In ihrer Sekundäranalyse kommt sie zu einem dreifachen Ergebnis. Erstens zeichnet sich das Genre Infotainment durch spezifische Gestaltungsstile aus, anhand deren Typik
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es dem Publikum möglich ist, generelle Bewertungen vorzunehmen. Zum Beispiel erscheint bestimmten Probanden Reality TV grundsätzlich als weniger glaubwürdig als die Nachrichten der öffentlichrechtlichen Anbieter. „Nicht die Unterhaltsamkeit aufgrund der Wirkung emotional-affektorientierter Gestaltungsmittel würde danach eine mindere Glaubwürdigkeit bedingen, sondern die emotional-affektoriertierten Gestaltungsmittel würden als Hinweise auf eine weniger seriös erscheinende Berichterstattung gedeutet werden.“ (Pietraß 2002: 507)
Hinsichtlich der Einordnung von Medienbotschaften als faktisch oder fiktional ist zweitens der Rahmenrand verantwortlich. Für Mischformen lässt sich daraus ableiten, dass redaktionelle Angaben über den faktischen oder fiktionalen Charakter der Inhalte unerlässlich sind. Das dritte Ergebnis besteht darin, dass die Bewertung von Inhalten aufgrund der formalen Gestaltungsmittel auch von der Seriosität der Rahmenangaben abhängig ist. „Täuschungen allerdings kann der Zuschauer nicht innerhalb des Rahmens, sondern durch Einbezug außerhalb des Rahmens liegender Informationen aufdecken.“ (ebd.: 508) Die zweite hier vorzustellende Studie beschäftigt sich mit Werbung. Bereits Goffman (1981) setzte sich intensiv mit Werbung auseinander, mit deren Hilfe er Rückschlüsse auf die Verfassung der Gesellschaft zu ziehen hoffte. Dabei setzte er auf das Argument, dass die Werbung in aller Regel mit offenen Karten spielt und sich als Rahmen zu erkennen gibt. Willems und Kaut (2003) übernehmen in ihrer umfassenden Analyse von visueller Werbung dieses Argument. Ihre Studie setzt sich zum Ziel, die visuellen und textuellen Elemente von 15.710 Werbeanzeigen und 1689 Fernsehwerbespots auf die Repräsentation von sozialer Identität zu untersuchen. Dafür etablieren die Autoren ein Klassifikationsverfahren, bei dem auf der Basis eines Arrangierens von Daten nach dem Prinzip ‚trial and error‘ Typen gebildet und als Grundlage weitere Datensubsumtion verwendet werden. Wie Goffman stellen sie zu einem jeweils fokussierten Thema verschiedene Bilder experimentell in ein und denselben Rahmen, der dann als Sinngestalt aus den differenziellen Kontexten der Daten hervortritt.56 Die Werbung ist thematisch nach Kindheit, Jugendlichkeit, Alter, Geschlecht, Erotik und Status geordnet. Stellvertretend sei hier auf die Analyse von Werbung für Luxusautos, -kleider, -uhren etc. verwiesen. Willems und Kaut gelangen hinsichtlich des Themas Status zu dem Ergebnis, dass
56
Dieses Vorgehen erinnert an den von Glaser und Strauss (1979) geprägten Begriff des stillschweigenden Codierens.
88
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„die Werbung den für die Gesellschaft diagnostizierten strukturellen Wandel sozialer Ungleichheit nur eingeschränkt und bedingt nachzeichnet. Während Lebensstile in der heutigen Gesellschaft als relativ eigenständige Distinktionsmechanismen fungieren, die [...] Personen und Gruppen in einem sozialen (Ungleichheits-)Gefüge identifizieren und positionieren, orientiert sich die Werbung neben und mit ihren diversen Lifestyle-Inszenierungen stark an einem hierarchischen Gesellschaftsmodell.“ (ebd.: 523)
3.4.4
Kritik
Zweifellos liegt das Verdienst des Theatralitätsansatzes darin, die Arbeiten von zwei herausragenden Soziologen des 20. Jahrhunderts – Bourdieu und Goffman – für die Analyse von Medienkultur fruchtbar gemacht zu haben. Trotzdem kommt man nicht umhin festzustellen, dass es diesem medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes bisher kaum gelungen ist, über den Kontext des DFG-Schwerpunktprogramms Theatralität hinauszugelangen. Dafür sind zwei Gründe verantwortlich zu machen. Erstens erlauben sich die Autoren regelmäßig begriffliche Unschärfen, die auf die mangelnde Stringenz des Ansatzes verweisen. Ein Beispiel: „Das als Habitusensemble spezifisch gebildete Publikum ist also eine Tiefenrealität, die die aktuelle Realität der Massenmedien spezifisch bedingt und moduliert.“ (Willems 2005: 109f.) In diesem Satz kommt stellvertretend zum Ausdruck, dass Willems verschiedene Konzepte (hier: Feldtheorie und Konstruktivismus) aneinander anschließt ohne dabei über einen kohärenten Rahmen zu verfügen. Zweitens stößt dieser teilweise bemühende und ermüdende Eklektizismus an seine Grenzen, wo es um die empirische Anwendbarkeit geht. Insgesamt scheint das empirische Potenzial des Theatralitätsansatzes limitiert zu sein. Willems und Kaut folgen im empirischen Teil ihrer großen Werbestudie denn auch weniger Bourdieu oder Goffman, sondern vielmehr methodologischen Vorgehensweisen von Denzin (1998). Allerdings kann dieser Kritikpunkt dahingehend relativiert werden, dass die Anwendbarkeit von Goffmans Rahmenanalyse grundsätzlich einträglicher zu sein scheint als von Bourdieus Feldtheorie. Dies hängt weniger mit dem generalisierenden und polemischen Duktus von Bourdieus Schriften zusammen, der durch die detaillierten Studien seiner Mitarbeiter kompensiert wird. Diese Einschätzung hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass Bourdieu die Produktion von kommerzieller Populär- und Medienkultur systematisch ausblendet, obwohl es sich um kulturell zentrale Phänomene zeitgenössischer Gesellschaften handelt:
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89
„What – many of us wanted to ask – about the rest of television, outside journalism, across its many genres, including documentary, drama, comedy, light entertainment, reality television? What about its contradictions and hybrid forms, its extraordinary strangeness?“ (Hesmondhalgh 2006: 221)
3.5 MEDIENETHNOLOGIE Die Medienethnologie ist der vierte medienkulturwissenschaftliche Ansatz. Sie blickt auf eine ansehnliche Forschungstradition zurück, die bis in die 1920er Jahre reicht und zu Beginn der 1940er Jahren mit der Studie „Balinese Character“ (1942) von Bateson und Mead einen ersten Höhepunkt erreicht hat. In der Nachkriegszeit sind ethnologische Medienanalysen aber stark vernachlässigt worden. Seit 20 Jahren wird dieses Defizit wieder abgebaut. Seither haben Ethnologen die Medien als reichhaltiges Forschungsterrain wieder erkannt, da sie Arenen für die Gestaltung sozialer Beziehungen und subjektiver Identität darstellen. Des Weiteren hat die steigende Zugänglichkeit von Medien, sogar im ruralen Raum von Entwicklungsländern, eine Verschiebung der ethnologischen Perspektive mit sich gebracht. In der Folge hat die Medienethnologie ihre Aufmerksamkeit von der Schnittstelle zwischen Medienproduktion, -distribution und -aneignung zu den interpretativen Praktiken der aktiven und heterogenen Publika verlagert.57 Der Begriff Medienethnologie wird hier als Synonym zur angloamerikanischen media anthropology verwendet. Diese Bemerkung ist deshalb wichtig, weil die angloamerikanische Kulturanthropologie und die deutschsprachige Ethnologie weitgehend handlungstheoretisch ausgerichtet sind. Ausgeklammert bleiben hier entsprechend sowohl die technizistische Medienanthropologie als auch die Forschungen zum ethnographischen Film.
3.5.1
Leben in Medienwelten
Die Medienethnologie charakterisiert sich durch zwei Grundmerkmale. Erstens sieht sie den Umgang mit Medien in modernen und prämodernen Gesellschaften als ritualisierte Handlung an. Sie ist eine „typische, kulturell fundierte, die Gesellschaft reproduzierende und an ihre partizipierende Tätigkeit, wie es in Bali der Besuch von Hahnenkämpfen, im elisabethanischen England der Besuch des Theaters oder in norddeutsch-
57
Für den westafrikanischen Kontext siehe: Förster (2001 und 2002).
90
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
en Dörfern die Teilnahme an dem lokalen Schützenfest ist.“ (Krotz 2003: 32f.)
Entsprechend beschäftigt sich die Medienethnologie mit dem medialen Handeln als alltäglich gelebte Kultur: „Anthropologists categorically reject the common tendency to treat media as separate from social life and in ethnographic case after case highlight the interconnections between media practices and cultural frames of reference.“ (Askew 2002: 10) Die Medienethnologie untersucht also, wie der Mensch sinnvoll mit Medien umgeht und wie dieser Umgang in das gesamte Alltagsleben eingebettet ist. Zweitens untersucht sie ihrer internationalen Ausrichtung gemäß die Medienkultur sowohl von westlichen als auch von nicht-westlichen Ländern: „In den letzten Jahren werden die Bewohner ‚westlich‘ orientierter Medienwelten zunehmend mit Medienerzeugnissen aus anderen Kulturen konfrontiert. Der Sender Al Dschasira aus Katar bringt uns andere Ansichten über die Welt nahe, als wir es zu sehen und zu hören gewohnt sind.“ (Dracklé 2005: 187)
Die zunehmende Popularität von Action-Thrillern aus Hongkong, Griot-Epen aus Westafrika, Mangas aus Japan oder Telenovelas aus Lateinamerika unterstreichen, dass sich der Westen genauso fremden Medienwelten ausgesetzt ist wie andere Weltregionen. Die Medienethnologie richtet ihr Augenmerk also besonders auf die kulturelle Differenz zwischen Medienproduktion und -rezeption. Dabei werden – sofern der Fall – die postkolonialen Rahmenbedingungen der Medienaneignung beispielsweise in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern berücksichtigt.
3.5.2
Ethnographische Feldforschung
Die Forschung im fremdkulturellen Kontext kann jedoch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten mit sich bringen: Die sozialen Regeln innerhalb des Untersuchungsraumes sind häufig weniger bekannt, das Vorwissen über den Untersuchungsgegenstand unsicherer, die Sprachkenntnisse eingeschränkter, das persönliche Kontaktnetz geringer und die nötige Forschungslogistik teilweise nicht vorhanden. Um mit diesen und anderen Schwierigkeiten zurande zu kommen, hat die Ethnologie ein Verfahren entwickelt, das sie als ethnographische Feldforschung bezeichnet. Der Begriff Feld meint dabei den eingegrenzten und definierten Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsraum. Bei der ethnographischen Feldforschung handelt es sich um ein Verfahren, in dessen Mittelpunkt die teilnehmende Beobachtung steht.
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91
Denn die Ethnologie geht davon aus, dass fremde Untersuchungsgegenstände nur dann adäquat erfasst werden können, wenn der Forscher während eines längeren Zeitraums an der Alltagspraxis und Lebenswelt der Probanden teilnimmt. Erst auf diese Weise kann er quasi aus einer Innenperspektive direkt beobachten (Lüders 2000; Peterson 2003). Die teilnehmende Beobachtung weist eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber nicht teilnehmenden Methoden auf. Sie registriert nicht nur von außen Handlungsweisen und Reaktionen, Routinen, Rituale, Interaktionen etc., sondern sie bringt auch die Sinnzuschreibungen der Handelnden zu ihrem Handeln gewissermaßen durch Mitvollzug in Erfahrung. Hinzu kommt, dass bei direkten Methoden wie Befragung oder Interview mit verzerrenden Effekten wie der sozialen Wünschbarkeit zu rechnen ist (Machin 2002). Allerdings bietet es sich an, die teilnehmende Beobachtung mit anderen Methoden wie Diskurs- oder Inhaltsanalyse, Befragung, Interview oder Gruppendiskussion zu kombinieren. Auf diese Weise wird Ethnographie zu einer „family of methods involving direct and sustained social contact with agents, and of richly writing up the encounter, respecting, recording, representing at least partly in its own terms, the irreducibility of human experience“ (Willis/Trondman 2000: 1).
3.5.3
Komparative Perspektive
Mit ihrem geographisch weiten Spektrum und ihrer ethnographischen Methode hat die Medienethnologie eine kaum zu überblickende Anzahl empirischer Studien zu Medienkulturen in aller Welt hervorgebracht. Dazu zählt die Nutzung von indigenen interpersonalen Medien wie beispielsweise von figurativen Topfdeckeln in der angolanischen Region Cabinda (R.M. Beck 2004) genauso wie die Aneignung des Fernsehens in Ägypten (Abu-Lughod 2005) oder des Internets in Trinidad (siehe unten). Die Vielfalt und Heterogenität dieses Wissens ist für die Skepsis gegenüber universalistischen und verallgemeinernden Aussagen zum medialen Handeln verantwortlich.58 Dagegen kann die Medienethnologie ihre Daten für interkulturelle Vergleiche nutzen. Darüber hinaus ist noch ein anderer Aspekt von Wichtigkeit: Durch die Aneignung von Medienangeboten wie Fernsehen oder Musikhören erschaffen sich Menschen eine Identität, die sich im gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wertesystem niederschlägt. Mit der Konstruktion der eigenen Identität (Selbstzuschreibung) hängt aber auch die Fremdzuschreibung zusammen. Gerade wenn man an fiktive Film- und Fernsehformate oder an Fotografien 58
Von dieser Vielfalt zeugen die Publikationen von Ginsburg et al. (2002), Murphy/Kraidy (2003) und Peterson (2003).
92
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
denkt, vollzieht sich die Selbstzuschreibung häufig in dialektischer Abgrenzung von Fremdzuschreibungen. Das gilt für deutsche Krimis genauso wie für lateinamerikanische Telenovelas genauso wie für indische Liebesfilme. Die Medienethnologie beschränkt sich allerdings nicht auf die Themen der alltäglichen Medienpraktiken und der Fremdrepräsentation. Ein weiterer Schwerpunkt dieses medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes ist die Untersuchung von sozialen Interaktionsformen, die Menschen beim oder durch den Einsatz von Medien eingehen. Gerade in Gesellschaften mit ausgeprägter oraler Kultur kann die Einführung von neuen Medien zu innovativen Aneignungen führen, die zur Veränderung der interpersonalen und kollektiven Kommunikation beitragen.
3.5.4
Themenagenda
Im Folgenden wird jeweils eine empirische Studie zu drei der zentralen medienanthropologischen Themengebieten vorgestellt. Im Einzelnen handelt es sich um alltägliche Lektürepraktiken in Spanien, neue Interaktionsformen durch das Internet in Trinidad, und um exotische Fremdzuschreibungen durch die englische Zeitschrift „National Geographic“. In allen drei Studien werden mehrere qualitative Methoden miteinander kombiniert. a) Alltägliche Lektürepraktiken in Spanien
Die Reichweite von Zeitungen in Spanien ist so niedrig wie in wenigen anderen europäischen Ländern. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Printmedien ihren Hauptakzent auf politische Informationen legen. Aber unter bestimmten Voraussetzungen wird das neutrale Berichterstattungsmuster zu Gunsten einer Boulevardisierung aufgegeben: „One thing that stood out during my period of research was the way that people responded to a particular news spectacle. This was fascinating.“ (Machin 2002: 131) Um diesen Transformationsprozess zu verstehen, hat Machin eine ethnographische Feldforschung in der spanischen Stadt Valencia durchgeführt. Sie umfasste nicht nur Interviews mit Journalisten und Textanalysen, sondern auch teilnehmende Beobachtung und informelle Gespräche mit Rezipienten. Um den Umgang der lokalen Bevölkerung mit Zeitungen zu untersuchen und mit ihnen in Kontakt zu kommen, hat Machin während 18 Monaten in einer Bar und einer Fabrik gearbeitet. In dieser Zeitspanne ereignete sich unter anderem ein Fall aus dem Bereich des Sex and Crime. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Berichterstattung, wurde der konkrete Mordfall mit den Elementen des Boulevards präsentiert. Die
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Berichterstattung und die Alltagsgespräche der Menschen über den Mordfall verliefen nicht linear, sondern erfolgten in mehreren Abschnitten. Indem Machin diesen verschiedenen Etappen nachging, fand er heraus, dass „the relationship between journalists and their readers is as a conversation. They have a powerful sense of each other as interlocutors either through immediate presence or through imagination. This community should [be thought as] a community of improvisers“ (2002: 140). Nebst einer Analyse des konkreten Falls zeigte diese Studie, dass die aus der Interaktivität zwischen Zeitung und Leserschaft resultierende Improvisation stärker war als gewisse standardisierte Redaktionsleitlinien. b) Neue Interaktionsformen durch das Internet in Trinidad
Die beiden Medienanthropologen Miller und Slater (2000) haben eine ethnographische Studie zum Internetgebrauch in Trinidad durchgeführt. Diese Studie war Teil eines elfjährigen Forschungsprojektes zur trinidadischen Kultur. In der Internetstudie ging es darum, welche Rolle das neue Medium im Alltagsleben der Menschen spielt. Eingesetzt wurden die Methoden der teilnehmenden Beobachtung, der Befragung und des Tiefeninterviews. Seitdem sich der karibische Staat 1995 ans Netz anschloss, hat sich das Internet rapide verbreitet. Die Netzkommunikation ahmt dabei den direkten Kontakt vor Ort nach. „Ihre Unmittelbarkeit passt offen-sichtlich gut in die spezifische Kommunikationssituation überwiegend oral geprägter Gesellschaften.“ (Schröder/Voell 2002: 11) Anschlüsse finden sich nicht nur in den privilegierten Haushalten der Ober- und Mittelklasse in der Hauptstadt Port of Spain, sondern auch in ärmeren Wohngebieten und Slumsiedlungen. Überraschenderweise besitzen selbst viele bescheidene Haushalte PCs und Modems. Das hängt mit der trinidadischen Konzeption des Familienlebens zusammen. Wie viele andere karibische Staaten, ist auch Trinidad von einer hohen Emigration betroffen.59 Vor allem junge Leute gehen für die Arbeit oder die Ausbildung ins Ausland. Vor dem Internetzeitalter verlief die Kommunikation zwischen den Migranten und ihrer Heimat schleppend. Trinidader behaupten von sich, dass sie nicht gerne Briefe schreiben. Daher wurde der Kontakt über das vergleichsweise teure Telefon aufrecht erhalten. Vor diesem Hintergrund ist es einsichtig, dass E-Mail schnell als effektive und kostengünstige Kommunikationsform angenommen wurde, da sich auf diese Weise die Familienbeziehungen auch über große geographische Distanz aufrecht erhalten liess. Trinidader nutzen sie für den regelmäßigen Austausch von all59
Aus diesem Grund haben Miller und Slater auch Exil-Trinidader in London und New York in die Untersuchung miteinbezogen.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
täglichen Informationen und für den Plausch. Auf diese Weise stellen sie die Intimität her, die sie von einem normalen Familienleben erwarten. Die Online-Kommunikation wird aber auch für Freundschaften und Liebesbeziehungen genutzt: „Serious relationships and indeed marriage developed from online meetings.“ (Miller/Slater 2000: 68) Diejenigen Trinidader, die über keinen privaten Anschluss verfügen, nutzen öffentliche Zugänge am Arbeitsplatz, in Geschäften und Cybercafés. Gerade in wirtschaftlich schwachen Regionen, in denen sich nur wenige Haushalte einen PC leisten können, werden Computer gemeinschaftlich genutzt. Aus diesem Grund ist der Kreis derer, die die neuen Kommunikationstechnologien benutzen, weitaus größer als Statistiken zu Netzanschlüssen erahnen lassen. Nach Miller und Slater sind rund 20% der Gesamtbevölkerung Trinidads online und in 30% aller Haushalte surft mindestens eine Person. Die Cybercafés selbst sind wiederum ein Ort für Interaktion und Gemeinschaft geworden. Ein Café hatte beispielsweise „a strong emphasis on an informal and convivial ambience. There was always music, loud conversation, bustling activity. It was also literally a cybercafé, in that it served food and drink […]. It was a very public space and a friendly liming spot“ (ebd.: 72). Eine solche Atmosphäre erleichtert neue Kontakte, die sich typischerweise durch Kommunikation über das Internet ergeben. c) Exotische Fremdzuschreibungen durch eine englische Zeitschrift
Wie bereits oben beschrieben, bieten Massenmedien ihrem Publikum ein vielfältiges Identifikationspotenzial an. Bei vielen Inhalten werden aber nicht nur Selbstzuschreibungen, sondern auch Fremdzuschreibungen vorgenommen. Die beiden Medienanthropologinnen Lutz und Collins (1993) stellen am Beispiel der Zeitschrift „National Geographic“ eine Analyse vor, die Interviews mit Herausgebern, Journalisten und Fotografen, statistisches Material sowie eine Bild- und Textanalyse umfasst. Insbesondere die Ergebnisse des analysierten Fotomaterials, für das die Zeitschrift so berühmt ist, haben es in sich. Denn die Autorinnen kommen zu dem Schluss: „National Geographic is the product of a society deeply permeated with racism as a social practice and with racial understandings as ways of viewing the world“ (Lutz/Collins 1993: 156f.). Die Strategie der Exotisierung der häufig aus der Dritten Welt stammenden portraitierten Menschen lässt sich beispielhaft an Fotografien von Frauen nachvollziehen. Sie werden „one of the primary devices by which the magazine depicts ‚universal human values‘, and these include the values of family love and the appreciation of female beauty itself“ (ebd.: 167). Mit Blick auf die mehrheitlich männliche und weiße Leserschaft ist insbesondere bei der visuellen Repräsentation von häufig (halb-)nackten afrikanischen
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Frauen von einer Fortschreibung von Mythen und Stereotypen durch die Zeitschrift zu sprechen. Sie betreffen die Feminität und Sexualität der afrikanischen Frau, die je nach Kontext und Zeitpunkt als animalisch, fruchtbar, gefährlich, verführerisch oder wild dargestellt wird.
3.5.5
Kritik
Die Medienethnologie ist ein medienkulturwissenschaftlicher Ansatz, der sich im Spannungsfeld von Ethnologie und Kommunikationswissenschaft situiert. Während sie aus der Ethnologie die ethnographische Feldforschungsstrategie anwendet, entspricht sie mit ihrer internationalen Ausrichtung den Anforderungen, die an die Medien- und Kommunikationsforschung in Zeiten der Globalisierung gestellt werden. Allerdings lassen sich gegen ihre Konzeption auch einige Kritikpunkte vorbringen. Zunächst einmal ist an ethnographische Forschung die Forderung zu richten, den Prozess der teilnehmenden Beobachtung im konkreten Kontext zu beschreiben und zu reflektieren. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, da sich Rollenkonflikte und Parteinahmen in der Forschungspraxis nicht immer umgehen lassen. Der zweite Einwand betrifft die Repräsentativität der Ergebnisse. Auf der Ebene der Forschungspraxis ist zu erinnern, dass dieselbe Beobachtung wenn irgendwie möglich mehrmals von unterschiedlichen Beobachtern durchgeführt werden sollte. Auf der Ebene der Präsentation der Forschungsergebnisse ist anzumerken, dass sich medienanthropologische Forschung meistens auf einen Einzelfall bezieht und keine umfassenden Verallgemeinerungen erlaubt. Schließlich ist an die Kritik zu erinnern, die unter dem Label Writing Culture Debatte bekannt wurde. Ausgangspunkt der in Clifford/ Marcus (1986) und in Berg/Fuchs (1999) dokumentierten Debatte ist die Hinterfragung der Autorität des Ethnographen. „Die philosophische Kritik an wissenschaftlichen Repräsentationsformen richtet sich vor allem auf die Annahme der Existenz einer beschreibungsunabhängigen Wirklichkeit und die Idee der Repräsentation als innerer Spiegelung und Visualisierung eines äußeren Objekts; verstärkt betont werden die gegenstandskonstitutive Seite und die historische Kontingenz der Interpretation. Zugleich rücken die Machtaspekte des Wissens und der Wissensproduktion stärker ins Bewusstsein, die über die kulturelle Hegemonie bestimmter Diskurse und Sprachen hinaus das Erkenntnisprivileg, die Interpretationsmacht, die sich ihrem Gegenstand aufprägt, und allgemein die herausgehobene Stellung der Wissenschaften betreffen.“ (Fuchs/ Berg 1999: 72)
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Die Betonung der sozialen Mediatisierung und Diskursivität von Erkenntnisprozessen und die Infragestellung unausgewiesener Prämissen sind im Rahmen der wachsenden Skepsis gegenüber der Möglichkeit und Berechtigung von Metadiskursen und universalistischen Fundierungsansprüchen zu sehen.60 Nach Clifford erbringen die Beiträge aus der Writing Culture Debatte den Nachweis, dass mit der wissenschaftlichen Praxis Elemente der Poetisierung und der Politisierung einhergehen. Sie gehen davon aus, dass „the poetic and the political are inseperable, that science is in, not above, historical and linguistic process“ (1986: 2). Mit anderen Worten, Ethnographie besteht nicht nur in Feldforschungspraktiken (Beobachtung, Interviewen, etc.), sondern auch in der Transformation der Daten in einen Text. In diesem Sinne entwirft oder konstruiert der Ethnograph sein Untersuchungsobjekt im Schreibprozess. Diese Überlegungen der Ethnologen haben zu der Einsicht geführt, dass ethnographische Forschungen diskursive Konstruktionen darstellen, die vom objektivierenden und keineswegs neutralen Blick des Forschers geprägt sind. Nach wie vor besteht keine Einigkeit darüber, welche Schlussfolgerungen aus dieser Kritik an der Ethnographie zu ziehen sind. Während Bourdieu (1999) sich für eine sozialwissenschaftliche Reflexivität ausspricht, die ethnographische Projektion vermeidet, sprechen sich Vertreter wie Crapanzano, Dwyer oder Tedlock für den dialogischen Ansatz bzw. den polyfonen Diskurs aus. Dieser Ansatz geht auf das Konzept des Dialogs von Bakhtin (1981) zurück. Auf der Grundlage der Auffassung, dass Zeichen ambig und bi-direktional seien, behauptet Bakhtin, dass Bedeutung immer nur dialogisch entstehe. Für die Ethnographie bedeutet dies: Wenn Wahrheiten partiell und standpunktbezogen sind, dürfen die Perspektive des Ethnographen und sein objektivierender Blick auf den Anderen nicht mehr privilegiert werden. Ein Ergebnis der Writing Culture Debatte besteht entsprechend darin, neue Interaktionsformen zwischen dem Ethnographen und den Probanden auszuloten sowie die untersuchten Menschen dialogisch in die Forschungspraxis und in den Schreibprozess einzubinden. Angestrebt wird gleichsam eine Transformation vom Informanten zum Ko-Autor (Clifford 1986: 17). In diesem Zusammenhang sind auch Marcus’ Forderungen an eine Reorientierung der Ethnographie im Zeitalter der Globalisierung zu sehen. Dabei bezeichnet er den Forscher einer kontextspezifischen und mehrseitigen Ethnographie als „circumstantial activist“ (1995: 95). Dabei prägt Marcus die Schlagworte ‚follow the people‘, ‚follow the thing‘ und ‚follow the conflict‘. 60
Konsequenterweise beinhaltet die Writing Culture Debatte auch Implikationen für die übrigen sozialwissenschaftlichen Fächer. Denn genau genommen geht es auch über die Ethnologie hinaus um Fremdbeschreibung.
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3.6 CULTURAL STUDIES Im Rahmen dieses Überblicks zu den Ansätzen der Medienkulturwissenschaft dürfen auch die Cultural Studies nicht fehlen. Sie gehen allerdings weit über den eigentlichen Bereich der Medienkultur hinaus. Fast 50 Jahre nach ihrer Entstehung im Kontext der Erwachsenenbildung und 40 Jahre nach ihrer akademischen Institutionalisierung am Center for Contemporary Cultural Studies der Birmingham University sind die Cultural Studies so vielseitig, dass eine einheitliche Deskription unmöglich geworden ist. Wie Lindner treffend bemerkt, sind sie aus einem Modernisierungsprozess der Nachkriegszeit hervorgegangen, der sich auf kultureller Ebene als Übergang von der Hoch- zur Populärkultur bzw. auf gesellschaftlicher Ebene als Übergang von der Klassen- zur Erlebnisgesellschaft äußert. „Cultural Studies analysieren diese Entwicklung und sind doch zugleich deren Teil.“ (2000: 13)61
3.6.1
Bedeutsame Praktiken
Bei den Cultural Studies handelt es sich um ein transdisziplinäres Projekt, das die herkömmlichen Grenzziehungen der Geistes- und Sozialwissenschaften unterläuft und den Konnex von Kultur und Macht in den thematischen Mittelpunkt rückt. Dabei wenden sie einen radikalen Kontextualismus an: Es geht ihnen nicht um Kultur an sich, sondern um eine Analyse des Kontexts von kulturellen Praktiken. Denn kulturelle Praktiken bilden ein Beziehungsgeflecht, bei dem Differenz schaffende Kriterien wie Ethnie, Beruf, Besitzstand, Bildung, Geschlecht, Gesundheit, Klasse, Nationalität, politische Einstellung, Rasse, Religion oder Sexualität intervenieren. Die Cultural Studies fragen also danach, wie die Menschen „ihre kulturellen Praxen nutzen, um ihre Lebenswirklichkeit mitzugestalten und zu verändern“ (Bührmann 2004: 132). Dabei gehen sie davon aus, dass bedeutsame Praktiken als durch Konflikt, Widersprüche und Widerstand gekennzeichnete Prozesse nur in einer kontextuellen Einbettung und historischen Rekonstruktion verständlich werden.
61
Die Rezeption der Cultural Studies verlief in Deutschland in zwei Etappen. Bereits in den 1970er Jahren wurden sie „zur Kenntnis genommen und haben vor allem die neueren Ansätze der Volkskunde/ Europäische Ethnologie, der Kultursoziologie und der entstehenden Medienwissenschaft beeinflusst“ (Hickethier 2003: 226). Der eigentliche Durchbruch gelang den Cultural Studies in Deutschland allerdings erst ab Mitte der 1990er Jahre, als ihre Rezeption „vor allem in den Sozialwissenschaften von einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern neu eingefordert“ (ebd.) wurde.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Thematisch haben sich die Cultural Studies in eine Vielzahl von Untersuchungsgegenständen ausdifferenziert. Zu nennen sind vor allem Alltags- und Populärkultur, Bildung und Pädagogik, Gender, Sexualität und Krankheit, Globalisierung und politische Ökonomie sowie Kommunikation und Massemedien. Diese Untersuchungen zielen häufig auf das Spannungsfeld von „Strategien und Taktiken“ (de Certeau 1988: 85) ab, in dem sich Fan- und Subkulturen bewegen und in denen Identität ausgehandelt wird. Methodologisch kommt ein theoretisch herleitbarer Methodenpluralismus zum Zuge, der sich durch die Spannung zwischen ethnographischen und textualistischen Ansätze charakterisiert.
3.6.2
Interventionismus
Die Kulturanalysen sind darauf angelegt, soziale Ungleichheit zu reduzieren und politische Veränderung hervorzurufen. Daher zielen sie nicht bloß auf den akademischen Diskurs ab, sondern auch auf Anwendungsbereiche wie Kulturpolitik, Kunst, Wissensvermittlung und Zivilgesellschaft. Die Cultural Studies sind in dem Sinne interventionistisch, als sie versuchen, zu einem besseren Verständnis der Machtbeziehungen zu gelangen: „Cultural studies is a project not only to construct a political history of the present, but to do so in a particular way, a radically contextualist way, in order to avoid reproducing the very sorts of universalisms and essentialisms that all too often characterize the dominant practices of knowledge production, and that have contributed to making the very relations of domination, inequality and suffering that cultural studies desires to change.“ (Grossberg 2006: 2)
In ihrem Selbstverständnis begreifen sich die Studies also als interessengebundene Forschung und als politisches Projekt. Die Anwendungsorientierung, das emanzipatorische Engagement und der Interventionismus der Cultural Studies rühren daher, dass sie aus der Erwachsenenbildung hervorgegangen sind: „But we are beginning I am afraid, to see encyclopedia articles dating the birth of Cultural Studies from this or that book in the late fifties. Don’t believe a word of it. That shift of perspective about the teaching of arts and literature and their relation to history and contemporary society begin in Adult Education, it didn’t happen elsewhere.“ (Williams 1989: 162)
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3.6.3
99
Zwischen Kulturalismus und Strukturalismus
Die Erfahrungen aus der Workers Educational Association (WEA) wurden schließlich vom englischen Kulturalismus in eine wissenschaftliche Form überführt. Hier ist zunächst Hoggarts „The Uses of Literacy“ (1957) zu nennen, dem es in seiner Untersuchung um den Einfluss der Unterhaltungsmedien auf den Wandel der englischen Arbeiterkultur ging. Im Anschluss an eine Rekonstruktion ihrer Praktiken, Rituale und Werte zeigt Hoggart, wie Massenmedien wie Film, Boulevardzeitungen, Groschenromane und Unterhaltungsmusik und die mit ihnen „verbundene Werbung die Kultur der Arbeiter bedrohen, unterhöhlen und korrumpieren“ (R. Winter 2001: 36). Der Modernisierungsprozess hat nach Hoggart zu einer Schwächung der Solidarität sowie des Familien- und Gemeinschaftssinns geführt und eine Identitätskrise hervorgerufen. Hoggart verwendete damit implizit einen alltagspraktischen Kulturbegriff, den Williams wenig später elaborieren sollte. In „Culture and Society“ (1958) unternimmt es Williams, die Begriffsgeschichte des Wortes Kultur für den Zeitraum von 1780 bis 1950 zu schreiben. Dabei geht es ihm um die Herausbildung der Moderne: „Die Rekonstruktion der Entwicklung der Kulturidee im englischen Geistesleben, die immer eine Kritik der Gesellschaft impliziert, diente Williams dazu, die gegenwärtige menschliche Krise deutlich zu machen und zu ihrer Lösung beizutragen, indem neue Weisen des Handelns und des empowerment eröffnet werden.“ (R. Winter 2001: 57)
Der englische Kulturalismus präsentiert sich also auf der Grundlage des nicht elitären Kulturbegriffs der gesamten Lebensweise und der Idee einer demokratisch partizipativen Kommunikationsgemeinschaft als eine „form of historical cultural materialism that traces the unfolding of meaning over time. Here culture is to be explored within the context of its material conditions of production and reception. There is an explicit partisanship in exploring the class basis of culture that aims to give voice to a subordinated.“ (Barker 2003a: 15)
Spätestens mit Thompsons Sozialgeschichte „The Making of the English Working Class“ (1963) wurde dann klar, dass sich die Cultural Studies nicht auf eine genuin literaturkritische Agenda zu beschränken, sondern eine alternative Sozialwissenschaft zu betreiben gedachten. Die hier zum Ausdruck kommende Transdisziplinarität ist das wesentlichste Charakteristikum der Cultural Studies bis heute geblieben.
100
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Sie halten sich nicht an disziplinäre Fragestellungen, sondern werfen stattdessen Forschungsprobleme in einer neuen Perspektive auf. Die Geburt der British Cultural Studies aus dem Geiste der Arbeiterkultur, der Erwachsenenbildung und des englischen Kulturalismus weist auf die politische Nähe der Cultural Studies zur New Left Bewegung hin: Institutionell betrachtet, war sie eine „relativ locker organisierte Form der intellektuellen Opposition [...]. Verschiedene Strömungen marxistischen Denkens flossen in ihr zusammen und wurden zu einer neuen einheitlichen intellektuellen Formation synthetisiert“ (R. Winter 2001: 24). Durch die New Left gelangen die zentralen Kategorien des Historischen Materialismus und Marxismus, nämlich Macht und Marginalisierung, in die Cultural Studies: „There is little doubt that we live in social formations organized along capitalist lines that manifest deep class divisions in work, wages, housing, education and health.“ (Barker 2003a: 13) Ihr eigenständiges Profil gewinnen die Cultural Studies aber dadurch, dass sie das Basis-Überbau-Modells ablehnen. Während Marx die Kultur dem Überbau zugeordnete, sehen die Kulturalisten die Kultur in Auseinandersetzung mit Gramsci als zentralen Ort hegemonialer Auseinandersetzungen. Dies impliziert, dass sie Formationen der Macht nicht im rein Ökonomischen suchen, sondern im Bereich der Erfahrung und der Lebensform. Sie sind in ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht deshalb so wichtig, weil auf ihrem Feld Identitäten ausgehandelt werden, die für das Handeln der individuellen und kollektiven Akteure einer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Um also jegliches Missverständnis zu vermeiden: Obwohl die Cultural Studies den Marxismus und die Kulturindustriestudien der Frankfurter Schule selektiv rezipiert haben und den Interventionsanspruch mit ihnen teilen, unterscheiden sie sich mit ihrem spezifischen Konnex von Kultur und Macht von ihnen. Sie lehnen das Basis-Überbau-Modell, den ökonomischen Determinismus und die historische Teleologie von Marx genauso ab wie den medienkulturellen Pessimismus der Frankfurter Schule.62 Diese Differenzen schlagen sich auch forschungspraktisch nieder: „Im Unterschied zu den Massenkultur-Untersuchungen, die ‚top down‘ angelegt sind, verfahren die Cultural Studies ‚bottom up‘ und ‚from within‘.“ (Linder 2000: 61) Nach dem Kulturalismus stellt der Strukturalismus die zweite historische Quelle bei der Konstitution der British Cultural Studies dar. Dieses auf den Semiotiker de Saussure zurückgehende Paradigma wurde von Lévi-Strauss für die Sozial- und Kulturwissenschaften 62
Besonders eng fällt die Rezeption bei Kellner aus. Sein Anliegen besteht darin, eine Verbindung der Kritischen Theorie mit „Motiven der Cultural Studies zu realisieren, wozu er mit dem Begriff des multiperspektivischen Verfahrens für die Verbindung zweier kritischer Traditionen optiert“ (Göttlich 2005: 172). Siehe auch: Kapitel 3.6.
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101
nutzbar gemacht. Der Strukturalismus konzipiert Kultur als einen Ausdruck von Strukturen, die das Handeln von Akteuren leiten. Unter der Federführung Halls beschäftigten sich die Cultural Studies seit Anfang der 1970er Jahre mit diesem Gedankengut, dynamisierten den Kulturbegriff und begannen, die Strukturen von kulturellen und sozialen Praktiken zu untersuchen. Das heißt, die Cultural Studies konzentrierten sich auf die strukturale Kausalität, „um sich mit den internen Beziehungen innerhalb bedeutender Praktiken zu beschäftigen, mittels deren die Kategorien der Bedeutung geschaffen werden“ (Hall 1999b: 29). Die strukturalistisch orientierten Cultural Studies haben für den Kulturalismus so wichtige Begriffe wie die Erfahrung und die Lebensform dezentriert. In Auseinandersetzung mit Althussers Theorie der Ideologie ist es ihnen gelungen, ihr Verständnis von (Populär-)Kultur als ein Feld der Auseinandersetzung und des Kampfes wesentlich elaborierter zu fassen. Seit Ende der 1970er Jahre sind auch die poststrukturalistischen bzw. postmodernistischen Autoren wie Barthes, Deleuze, Derrida, Foucault, Lacan oder Lyotard vor allem in Amerika eingehend rezipiert worden. Dadurch wurde das Projekt „um die Begriffe ‚Diskurs‘ und ‚Subjekt‘“ (ebd.: 37) formiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die British Cultural Studies durch eine Spannung zwischen dem Kulturalismus und dem Strukturalismus charakterisieren, zwischen denen es zu vermitteln gilt: „Ich habe hoffentlich ausreichend deutlich gemacht, dass aus meiner Sicht diejenige Richtung der Cultural Studies, die versucht hat, ausgehend von den besten Elementen des strukturalistischen und des kulturalistischen Unternehmens sowie mit Hilfe einiger Begriffe Gramscis, voranzudenken, den Erfordernissen des Untersuchungsbereiches am nächsten kommt.“ (ebd.: 40)
Eine Schlüsselrolle sollte bei diesem Unterfangen Laclau (1981) einnehmen. Indem er Gramsci, Foucault und Derrida miteinander verknüpfte, rückten die Pluralität und Geschichtlichkeit von Ideologien, ihre Manifestation in kulturellen Texten ins Zentrum der Studies. Dies führte zu einer Neuausrichtung ihrer Analysen: „Nicht mehr der Bezug von Kultur und Klassenzugehörigkeit wird nun als vorrangig behandelt (wie in den Jugendstudien oder im Encoding-Decoding-Modell). Vielmehr werden jetzt Gender, die ethnische Zugehörigkeit, die Subkulturen sowohl in Bezug auf die Kategorie Klasse als auch in ihren differenten Artikulationsbedingungen miteinander untersucht, ohne dass eine der Kategorien privilegiert würde.“ (R. Winter 2001: 161)
102
3.6.4
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Radikaler Kontextualismus
Die Ausrichtung auf den Diskurs und die damit einhergehenden Pluralisierung der Themenagenda fällt mit der Transnationalisierung der Cultural Studies zusammen, die seit den 1980er Jahren immer stärker auch in Afrika, Asien, Australien sowie Nord- und Lateinamerika rezipiert werden. Ihre Neuausrichtung schlägt sich in der kontextualistischen Analyse von Diskursen und Praktiken nieder. Den Cultural Studies geht es nicht um Kultur an sich, sondern um die Kontextualisierung von Diskursen und Praktiken. Dabei ist der Kontext nicht „ein bloßer Hintergrund, sondern die Bedingung dafür, dass etwas möglich wird. Er kann nicht nur als eine Reihe von Fußnoten oder Hintergedanken bzw. im ersten oder letzten Kapitel abgetan werden. Er ist genau das, was man zu analysieren versucht, und stellt die am schwierigsten zu konstruierende Sache dar“ (Grossberg 1999: 59). Die spezifische Art der Kulturanalyse der Cultural Studies besteht also darin, dass sie den Kontext von kulturellen Praktiken nicht als einen Rahmen auffassen, innerhalb dessen Praktiken ablaufen, sondern dass die Praktiken erst den Kontext konstituieren. Deshalb wird der Kontext zum Untersuchungsgegenstand: „Cultural Studies befassen sich mit der Rolle kultureller Praktiken bei der Konstruktion der Kontexte menschlichen Lebens als Machtmilieu.“ (ebd.: 62) Anders ausgedrückt, der Kontext ist das durch kulturelle Praktiken konstituierte Beziehungsgeflecht, das rekonstruiert werden muss, um verstanden und später allenfalls verändert zu werden. Als Beispiel für diesen Prozess lässt sich die amerikanische Bürgerrechtsbewegung (Malcolm X, Martin Luther King) anführen. Nach der Rekonstruktion der historischen Beziehungen und Faktoren, die zur Marginalisierung der afroamerikanischen Bevölkerung führte, kämpfte die Bewegung dafür, die Zuschreibung ‚black is evil‘ durch ‚black is beautiful‘ zu ersetzen. Diese und weitere Engagements trugen zur Kontextveränderung und zur Entmarginalisierung bei.
3.6.5
„Wider den Methodenzwang“
Historisch gesehen ist der einst provokative Slogan von Feyerabend (1976) in einer sich besonders auf die Naturwissenschaften beziehenden Debatte der Wissenschaftstheorie entstanden. Eingelöst wurde er aber nachträglich vornehmlich von der qualitativen Sozialforschung. So ist auch den Cultural Studies ein unorthodoxer Methodenpluralismus zu eigen. Ihre Methodologie wird am treffendsten durch die Spannung zwischen Ethnographie und Textualismus beschrieben. Sie reproduziert die Spannung zwischen Kulturalismus und Strukturalismus auf methodologischer Ebene. Denn während die strukturalistisch
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und postmodern orientierten Studies textualistische Methoden wie hermeneutische und Diskursanalysen bevorzugen, wendet der stärker kulturalistische Zweig eher ethnographische Methoden an, die besonders bei der Subkultur- und Zuschauerforschung zur Anwendung gelangen. Die Cultural Studies haben sich für ihre methodologische Position vom Pragmatismus inspirieren lassen. Er hat den Cultural Studies insbesondere die Position des Antiessenzialismus, aber auch des Kontextualismus, der Interessengebundenheit von Wissenschaft und des Pluralismus vermittelt (vgl. Kapitel 4.2.1). Der Antiessenzialismus stützt sich auf das Argument, dass es keine universalistischen Wahrheiten jenseits der Sprache gibt. Aussagen sind also kontextabhängige kulturelle Konstruktionen. Historisch gesehen, geht der methodologische Pluralismus auf die Sozialforschung und Stadtethnographie der Chicago School of Sociology zurück (vgl. Kapitel 2.4.2). Sie lässt sich als die Umsetzung der pragmatischen Philosophie auf die Sozialforschung verstehen. So wie der englische Kulturalismus an die Transformation der Arbeiterklasse durch die Massenkultur, ist die Chicagoer Schule an Immigration, Industrialisierung und Urbanisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebunden. Empirische Studien wie Andersons „The Hobo“ (1923) zu einem Landstreicher, Johnsons „The Negro in Chicago“ (1922) zu den Problemen der afroamerikanischen Bevölkerung, Thomas’ und Znanieckis „The Polish Peasant in Europe and America“ (1926) zur Integration polnischer Einwanderer, Trashers „The Gang“ (1927) zu kriminellen Jugendbanden und mit einigem zeitlichen Abstand Whytes „Street Corner Society. The Social Study of an Italian Slum“ (1943) zu den italienischen Gangs in den Slums von Chicago fußten allesamt auf einem unorthodoxen Methodenmix. Dabei wurden unter anderem historische Archivarbeit, teilnehmende Beobachtung, autobiographische Brieftextanalysen, informelle Gespräche und Leitfadeninterviews eingesetzt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten liegen zwischen der Ethnographie bzw. der qualitative Sozialforschung der Chicagoer Schule und dem aktuellen Stand der Cultural Studies nicht nur rund 80 Jahre, sondern auch die durch die postmoderne Kritik ausgelöste Writing Culture Debatte (vgl. Kapitel 3.5.4). Die Auseinandersetzung mit dieser Debatte ist von ethnologischen Kreisen in enger Auseinandersetzung mit den Cultural Studies geführt worden. Dies wird nicht nur in den vielfältigen Bezugnahmen auf Willis (1981) deutlich, sondern auch in der Aussage, dass die Beiträge zur sogenannten Writing Culture Debatte „while focusing on textual practices, reach beyond texts to contexts of power, resistance, institutional constraint, and innovation“ (Clifford 1986: 2). In diesem Satz sind ganz zentrale Elemente der spezifischen Kulturanalyse der Cultural Studies angesprochen. Als Zwischenresultat lässt sich festhalten:
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„Während die kulturalistischen Ansätze also die Erfahrungskategorien und die materiellen kulturellen Praxen in den Vordergrund stellen, stehen in der strukturalistischen Perspektive ideologische, semiotische oder linguistische, d.h. überwiegend textanalytisch zu erschließende Gegenstände im Vordergrund.“ (Göttlich 2001: 30)
Ethnographie und Textualismus stehen sich allerdings nicht konträr gegenüber, sondern die Cultural Studies bedienen sich sowohl aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der qualitativen Sozialforschung als auch aus dem Textualismus, indem sie verschiedene Methoden auf pragmatische und strategische Weise miteinander kombinieren, wie es dem Untersuchungsobjekt, der Fragestellung, dem Forschungsinteresse und den Begleitumständen am angemessensten erscheint. Das methodologische Prinzip der – ursprünglich im Rahmen von Lévi-Strauss’ strukturalistischen Ethnologie entwickelten – Bricolage ist somit nicht nur ein „Eklektizismus, der eine komplexe theoriegeschichtliche Wurzel hat“ (Göttlich 2001: 31), sondern auch der Nachweis, in dem sich die Vermittlung von Kulturalismus und (Post-) Strukturalismus methodologisch niederschlägt. Damit sollten auch die Unterschiede zwischen den Cultural Studies und der im deutschsprachigen Raum so wichtigen Kulturwissenschaft in aller Deutlichkeit hervorgetreten sein: Denn die Kulturwissenschaft als eine Modernisierung der (germanistischen) Literaturwissenschaft kennt weder die Spannung zwischen Ethnographie und Textualismus, noch teilt sie den Kulturgriff und politischen Anspruch der Cultural Studies. Dieser politische Impetus markiert auch die Differenz zur Kultursoziologie, deren Gründerväter die Position der Wertfreiheit vertraten.
3.6.6
Themenagenda
Die Cultural Studies haben in ihrer fast 50-jährigen Forschungsgeschichte an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eine Vielzahl von Themenschwerpunkten herausgebildet. Im Folgenden wird nicht nur schwerpunktmäßig die Medienkultur, sondern auch die mit ihr zusammenhängende Populärkultur und Globalisierungstheorie vorgestellt. a) Politik der Populärkultur
Eine der Hauptanliegen der Cultural Studies ist die Konzeption einer Politik der Populärkultur. Warum ist sie so wichtig für die Cultural Studies? Ein berühmtes Zitat von Hall ist hier aufschlussreich: Populärkultur
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„is one of the sites where this struggle for and against a culture of the powerful is engaged… It is the arena of consent and resistance. It is partly where hegemony arises, and where it is secured… That is why popular culture matters. Otherwise, to tell you the truth, I don’t give a damn about it.“ (1981: 239)
Populärkultur ist also ein Ort, an dem individuelle Identität und soziale Regulation ausgehandelt werden, an dem Strategie und Taktik, Macht und Subversion aufeinander treffen. Aus diesem Grund ist den Cultural Studies die Populärkultur als ein Ort des Konflikts genauso wichtig wie die Öffentlichkeit als ein Ort der politischen Auseinandersetzung und Legitimation. Für die Cultural Studies steht also nicht das Vergnügen von unterhaltsamen amerikanischen Actionfilmen oder von japanischen Spielkonsolen im Vordergrund, sondern die politische und soziale Bedeutsamkeit des Umgangs mit kulturindustriellen Produkten. Denn die eigensinnige Kunst der Populärkultur besteht darin, die Produkte der Kulturindustrie für die eigenen Zwecke zu gebrauchen. Wie gerade das Konzept der affektiven Ermächtigung zeigt, stellen die Cultural Studies eine Kritik der Machtpraktiken dar. Aus diesem Grund trifft auch der vieldiskutierte Populismusvorwurf (Morley 2003: 122ff.; R. Winter 2001: 327ff.) nicht auf sie zu, da es ihnen nicht um das Feiern des kommerziellen Konsums geht, sondern um eine Analyse der Zirkulation von Populärkultur. Durch die Populärkultur wird ein Raum geschaffen, der selbst marginalisierten oder subversiven Jugendkulturen die Möglichkeit der Ermächtigung bietet. „Affective empowerment enables one to go on, to continue to struggle to make a difference.“ (Grossberg 1992: 85) Sie erlaubt es ihnen, sich mächtig zu fühlen (und es in ihrer Gruppe unter Umständen auch zu sein), eine Identität auszubilden, Kritik zu üben oder Selbstbewusstsein zu entwickeln. Mit dieser Argumentation haben die Cultural Studies die Dichotomie zwischen Hoch- und Niederkultur (high and low culture) einer fundamentalen Kritik unterzogen und die Populärkultur als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand etabliert. Dadurch haben sie mit dazu beigetragen, dass – nimmt man beispielsweise die Programme öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten, das Spektrum von Zeitungsfeuilletons oder Theaterspielplänen zum Maßstab – heute ernsthafter Weise heute kaum mehr von einer Diskriminierung der Populärkultur in Europa gesprochen werden kann. b) Medienkultur
Diese Beispiele deuten bereits an, dass die Beschäftigung mit Medienkultur seit jeher zu den Hauptbeschäftigungsfeldern der Cultural Studies gehört. Ausgehend von Etzionis Monographie „The Active Society“ (1968), Bauers Aufsatz „The Obstinate Audience“ (1969)
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und Halls Encoding-Decoding-Modell (1999a [1980]) formulierte de Certeau (1988 [1980]) die Theorie des aktiven Publikums. Der französische Historiker, Kulturtheoretiker und Jesuit beschrieb die alltäglichen Praktiken von Konsumenten als Taktiken: „Wohnen, Umhergehen, Sprechen, Lesen, Einkaufen oder Kochen – all diese Aktivitäten scheinen den Merkmalen der Finten und taktischen Überraschungen zu entsprechen. Gelungene Tricks des ‚Schwachen‘ in der vom ‚Starken‘ etablierten Ordnung“ (1988: 93f.). Daran schließt Fiske (2001) an, indem er den Konsum von kulturellen Produkten im Allgemeinen und von Massenmedien im Besonderen nicht als eine passive Rezeption, sondern als eine aktive Aneignung auffasst. Kulturprodukte sind zwar von Seiten der Produzenten mit Bedeutungen und Mitteilungen aufgeladen, aber die Interpretation dieser Inhalte durch das Publikum ist niemals vorhersehbar. Die empirischen Aneignungsstudien beispielsweise von Morley (1980) zum englischen Fernsehmagazins Nationwide oder von Ang (1986) zur amerikanischen SoapOpera Dallas untermauern die Polysemie von Texten und die Pluralisierung der Aneignungsweisen: Der Text wird „als Bedeutungspotenzial betrachtet, das sehr unterschiedlich aktiviert werden kann“ (Fiske 2001: 42). Während Ang die Globalisierung von Medien und Kommunikation ethnographisch erforschte, gelang es Morley, eine enorme Vielfalt von Publikumsreaktionen auf eine einzige Fernsehsendung nachzuweisen. Er legte dar, dass das Vermögen des Publikums, Bedeutungen zu schaffen, die ihrer sozialen Position entsprechen, viel größer ist als jene Macht, die ihm von Halls Theorie eingeräumt wird. In weiteren Studien bestätigte sich nicht nur die Unvorhersagbarkeit von Publikumsreaktionen, sondern auch von der Beziehung zwischen textueller und sozialer Struktur. Die Cultural Studies verstehen Medienkommunikation „als Bezugnahme auf und Einordnung in die strukturellen gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen [...]. Sie gehen davon aus, dass Kommunikation die Konstruktion von Bedeutung ist, die die Menschen in ihren Worten und ihrem Handeln zum Ausdruck bringen, und es geht den Cultural Studies folglich darum festzustellen, wie diese im Leben, im Alltag, in ihrer Erfahrung, aber auch in der Gesellschaft verankert sind.“ (Krotz 2003: 38)
Aus diesem Grund ist es wichtig, den Aneignungskontext und die Lebenswelt der Rezipienten zu berücksichtigen. Die Theorie des aktiven Publikums hat zu einer Überbetonung der Aneignung und einer Vernachlässigung der an Medienkultur beteiligten übrigen Faktoren geführt. Aus diesem Grund hat Kellner ein multiperspektivisches Analyseinstrumentarium entwickelt. Es beruht auf der Einsicht, dass „the more interpretive perspectives one can bring to a cultural artifact, the
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more comprehensive and stronger one’s reading may be“ (1995: 98). Dieser Analyserahmen berücksichtigt die drei zentralen Dimensionen der Medienkulturforschung, wie sie sich bereits in Johnsons (1999) Kreislaufmodell finden: Produktion, Text und Aneignung. Die Medienkultur – in Anlehnung an Debord (1996 [1967]) spricht Kellner in neueren Publikationen vermehrt auch von Medienspektakeln – ist deshalb so wichtig, weil sie die treibende Kraft der Sozialisierung ist. „The term ‚media culture‘ has the advantage of signifying both the nature and form of the artifacts of the culture industries (i.e. culture) and their mode of production and distribution (i.e. media technologies and Industries). It avoids ideological terms like ‚mass cultureǥ and ‚popular cultureǥ and calls attention to the circuit of production, distribution, and reception through which media culture is produced, distributed, and consumed. […] The term ‚media cultureǥ also has the advantage of signifying that our culture is a media culture, that the media have colonized culture, that they are the primary vehicle for the distribution and dissemination of culture, that the mass media of communications have supplanted previous modes of culture like the book of spoken word, that we live in a world in which media dominate leisure and culture. Media culture is thus the dominant form and site of culture in contemporary societies.“ (1995: 34f.)
Unter Beibehaltung eines kritischen und pädagogischen Impetus operationalisiert Kellner sein integratives Konzept und wendet es in einer Vielzahl von exemplarischen Analysen zu Kriegskommunikation, Mode, Populärmusik, Starkult, Werbung an. In der Analyse der Militärkommunikation des ersten Golfkriegs 1991 gelingt es ihm, Nachrichtenproduktion (Armee, Bush Administration, Nachrichtenagenturen), den Informationsgehalt und ihre Aneignung in einen Zusammenhang zu bringen.63 Dieselbe Stoßrichtung verfolgt auch der Circuit of Culture (du Gay et al. 1997). Dieses Kreislaufmodell macht für die Konstitution von Kultur fünf wechselseitig aufeinander bezogene Faktoren aus: Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation. Die fünf Faktoren haben zwar eine relative Autonomie und lassen sich zu heuristischen Zwecken trennen, aber die Krux des Modells ist es, dass keinem von ihnen eine Priorität eingeräumt wird. Mit anderen Worten, beim medialen Handeln bzw. beim „‚media making‘ sind alle Sphären gleichermaßen beteiligt“ (Hepp 1999: 160). In der sechsbändigen Reihe „Culture, Media and Identities“ hat das Autorenkollektiv um du Gay und Hall das Modell in all seinen Aspekten erörtert. Die 63
Wie Göttlich (1997) allerdings kritisch bemerkt, berücksichtigt auch Kellner zu wenig das Wechselverhältnis zwischen kultureller Formiertheit der Medien und deren Rolle in der sozialen Kommunikation.
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Abbildung 3: Circuit of Culture (du Gay et al. 1997)
Beiträge beschäftigen sich mit einem weiten Spektrum an Medienkulturen, das vom Sony-Walkman über das Radiopublikum und die Diasporaidentitäten bis hin zu Genderfragen reicht. Im späteren Verlauf dieser Forschungsarbeit wird der Circuit of Culture noch in aller Ausführlichkeit behandelt werden. c) Theorie der Globalisierung
Bei der Aneignung von globalen und populären Medieninhalten treten häufig Brüche und Widersprüche auf. Es ist deshalb naheliegend, dass die Cultural Studies ihren Diskurs der Medienkultur auf den Kontext der Globalisierung angewendet haben. Gegenüber den entsprechenden Theorien der Politischen Ökonomie und der Volkswirtschaftslehre beharren die Cultural Studies in kritischer Weise auf der Zentralität der Kultur im Prozess der Globalisierung. Denn nach ihnen unterscheidet sich die aktuelle Globalisierungswelle gegenüber vorhergehenden Wellen durch den hohen Grad an transnationaler Vernetzung auf der Grundlage von Informationstechnologien und Kommunikationsinfrastrukturen. „Durch die neuen Medien und die Informationsrevolution kann Kultur zunehmend produziert, verbreitet und ausgetauscht werden.“ (Hall 2002: 95) Grundsätzlich wird unter Globalisierung ein transnationaler Interdependenzprozess verstanden, der die Produktion, Zirkulation und Nutzung von Dienstleistungen, Informationen, Kulturprodukten, Lebensstilen, Regierungsformen und Wirtschaftsgütern betrifft. Aus historischer Sicht lassen sich die Anfänge dieser komplexen Konnektivitäten auf die frühe Neuzeit mit ihren Entdeckungsfahrten und dem Güter- und Sklavenhandel datieren.
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Doch seit der Öl- und Wirtschaftskrise 1974/75 und dem Ende des Kalten Krieges 1989 hat sich der demokratische Liberalismus quasi als unipolare Weltordnung durchzusetzen begonnen und damit zu einer Intensivierung der Globalisierung geführt.64 Es lassen sich fünf Merkmale benennen, die die Globalisierungstheorie der Cultural Studies charakterisieren. Das erste Merkmal besteht in der Zentralität der Ökonomie, die sich durch Deregulierung, Flexibilisierung, Produktivitätssteigerung, Dezentralisierung sowie durch die Integration der Finanzmärkte und der Kapitalströme zum Ziele der Profitmaximierung reorganisiert hat (Friedman 2006). Indem die transnational agierenden Unternehmen die Grundlagen der Nationalökonomie untergraben, entziehen sie auch den nationalstaatlichen Institutionen ihre Souveränität. In der Folge musste der überschuldete Wohlfahrtsstaat seine Leistungen abbauen. Von diesem Transformationsprozess zeugt die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, die sich sowohl zwischen den Kontinenten als auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften auftut.65 Wie auch die Wissensklufthypothese und der Digital Divide zeigen, werden viele Akteure von der Globalisierung ausgeschlossen (Arnhold 2003, Dany 2003; Ndao 2003). Mit anderen Worten, die hier beschriebenen Interdependenzprozesse sind weniger umfassend global als vielmehr transnational (Schultz/Weßler 64
65
Osterhammel und Peterson argumentieren: „Wenn es einen Einschnitt gibt, von dem an Globalisierung zumindest ein zentrales Thema von Geschichte und Erfahrung wird, dann ist dies das frühneuzeitliche Zeitalter von Entdeckungen, Sklavenhandel und ökologischem Imperialismus, nicht das später 20. Jahrhundert. Ein weiterer Schub lässt sich in Folge der Industrialisierung von Verkehr und Kommunikation ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ausmachen.“ (2003: 108f.) So haben bereits Marx und Engels in „Das kommunistische Manifest“ (1986 [1848]) auf die Zusammenhänge eines weltweiten Absatzmarktes aufmerksam gemacht. Als ein Indikator für die Schere zwischen Arm und Reich lässt sich die langfristige Entwicklung des Lebensstandards, der im Human Development Index als Produkt von Lebenserwartung, Alphabetisierung, Pro-Kopf-Einkommen und Energieverbrauch aufgefasst wird, heranziehen (HDR 2004). Dabei ist der Abstand zwischen den Ländern der OECD und den übrigen Weltregionen signifikant gewachsen. Ein Beispiel: Während die Lebenserwartung und die Alphabetisierung in den OECD-Ländern um rund 60% höher als im subsaharischen Afrika sind, übersteigt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in der OECD dasjenige in Schwarzafrika gar um das 14-fache. Die zunehmende Desintegration und Exklusion ganzer Weltregionen ist aber nur ein Aspekt der Globalisierung, denn bei genauer Betrachtung zeigt es sich, dass Wissensklüfte auch innerhalb sogenannter Wohlstandsgesellschaften bestehen: „Die ausgeschlossenen Gebiete sind kulturell und räumlich ohne Zusammenhang: Sie liegen in den USamerikanischen Innenstädten oder in den französischen banlieus ebenso wie in den shanty towns von Afrika oder in den unterentwickelten ländlichen Gebieten Chinas und Indiens.“ (Castells 2001: 36)
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2005: 348). Zweitens beruht das globale kapitalistische System auf der Grundlage der Informationstechnologie. „Das Charakteristische der gegenwärtigen technologischen Revolution ist nicht die zentrale Bedeutung von Wissen und Information, sondern die Anwendung dieses Wissens und dieser Information zur Erzeugung neuen Wissens und zur Entwicklung von Geräten zur Informationsverarbeitung und zur Kommunikation, wobei es zu einer kumulativen Rückkopplungsspirale zwischen der Innovation und ihrem Einsatz kommt.“ (Castells 2001: 34)
Damit hängt drittens zusammen, dass die Globalisierung zu einer Veränderung der Raum- und Zeit-Kategorien führt, die auf die Echtzeit von Informationsübertragung und Kapitaltransfer zurückgeht.66 Wie Castells (2001) betont, führt diese durch die Computertechnik und den informationellen Kapitalismus ermöglichte Echtzeit zur Ersetzung der hierarchischen, bürokratisierten Großorganisation durch ein vermehrt horizontal organisiertes Netzwerk. Hinsichtlich des vierten Merkmals lässt sich sagen, dass die Echtzeit zwar zu einem neuen Bewusstsein von Zeit und Raum, mitnichten aber zu einer universalistischen Vereinheitlichung von Lebensformen führt. Im Gegenteil, sie unterstützt die Pluralisierung der Lebensformen und Identitäten. Die Pluralisierungsthese wird mit dem Argument begründet, dass sich die Globalisierung lokal abspielt. Sie verändert den Ort von innen und ermöglicht im Sinne der Hybridität eine Vielfalt von Kombinationen von Lebensformen und Identitäten. Damit reicht sie weit in das private Alltagsleben der Menschen hinein. Essen und Trinken, Fernsehen oder Kleidertragen sind in aller Regel Handlungen, die auf globale Verflechtungen Bezug nehmen. Zwar hat die Globalisierung zu Destabilisierung der Lebensverhältnisse und zu einer Entterritorialisierung geführt (García Canclini 1995), aber darunter darf nicht etwa eine Auflösung des Ortes verstanden werden. Was sich verändert hat, ist die Konzeption des Raums, der in antiessenzialistischer Weise nur noch transnational gedacht werden kann. Denn in einem globalen Kontext erhöht sich der Austausch von kulturellen Formationen über nationale Grenzen hinweg. Die Globalisierung führt zur Herauslösung von kulturellen Artefakten und diskursiven Praktiken aus ihrem ursprünglichen und zu ihrer Transformation in einen neuen Kontext: „This process is generating novel modes of societal organization, forms of culture and everyday life, conflicts, and modes 66
Dazu merkt F. Hartmann an: „Echtzeit ist ein technischer Begriff und bedeutet nicht, dass die Zeit außer Kraft gesetzt wäre, sondern meint die Zeit, die technische Abläufe in der wirklichen Welt brauchen.“ (2006: 42)
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of struggle.“ (Kellner 2002: 6) Mit Blick auf die weltweite Zirkulation von lateinamerikanischen Telenovelas oder von indischen Spielfilmen begreifen die Cultural Studies die Globalisierung nicht als einen homogenisierenden und standardisierenden Prozess, sondern sie richten ihr Augenmerk auf die lokale Aneignung, durch die neue Bedeutungen und hybride Identitäten geschaffen werden: „Every local context involves its own appropriation and reworking of global products and signifiers, thus proliferating difference, otherness, diversity, and variety.“ (ebd.: 9) Das Hauptargument der Cultural Studies ist dabei, dass nicht vorschnell von einer Analyse der Produkte auf die Rezeption dieser Produkte geschlossen werden darf. Wenn man aber stattdessen untersucht, wie eine Gemeinschaft ein Produkt aus der globalen Medienkultur in Beziehung zu ihrem Alltagsleben setzt, dann umgeht man eine vereinfachende Betrachtungsweise. Es sind die Möglichkeiten der Kreativität und des Neuen, die die Cultural Studies zu einer konstruktiven Auseinandersetzung führen. Obwohl sie politisch in der Nähe der altermondialistischen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen stehen, teilen die Cultural Studies nicht deren grundsätzlich ablehnende und skeptische Sichtweise. Trotzdem verschließen sie die Augen nicht vor der mit der Globalisierung in Zusammenhang stehenden Zunahme an Konflikten, die als das fünfte Merkmal gelten können. Sie ist auch den vermehrten Zusammenprall von verschiedenen politischen, ökonomischen und soziokulturellen Formen zurückzuführen und weist geopolitische oder regionale Implikationen auf. Als Beispiele für diese Konflikte lassen sich Kriege, Terrorismus, ethnische Integrismen und religiöse Fundamentalismen nennen. Man denke nur an die Krise im Nahen Osten, den alKaida Terrorismus, den Atomstreit mit Iran, den religiösen Fundamentalismus in den USA oder die weit verbreitete immigrationsfeindliche Haltung in Europa.67 Aber selbst Bürgerkriege wie in Côte d’Ivoire, Kongo und Sudan oder politische Krisen wie in Haiti oder Kolumbien weisen durch Interventionen der Staatengemeinschaft, durch wirtschaftliche Verflechtungen und durch Migrationsströme transnationale Implikationen auf. Die Cultural Studies argumentieren, dass diese Konflikte auch über die physische Form hinaus vor allem diskursiv und symbolisch ausgetragen werden. In diesem Sinne sprechen sie von einer Politisierung kultureller Differenzen.
67
Kellner (2005: 327-351) hat sich insbesondere mit dem Zusammenhang zwischen Globalisierung und den Ereignissen des 11. Septembers 2001 auseinandergesetzt.
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3.6.7
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Kritik
Zwar haben die Cultural Studies in den letzten 15 Jahren weltweit einen enormen Aufschwung erlebt, aber auch Kritik ist ihnen nicht erspart geblieben. Viele Debatten sind dabei innerhalb der Studies selbst geführt worden. Man denke nur an die Kritik von Morris (2003: 67ff.) an die Adresse von Fiske (1993) hinsichtlich dessen Dualismus zwischen den Hegemoniestrategien der herrschenden Klasse (power block) und den Widerstandspraktiken der Leute (the people). Anzuführen ist auch an die Forderung Grossbergs, sich in Zeiten von Demokratiekrise, Globalisierung und Kulturkonflikt vermehrt mit den geopolitisch und ökonomisch relevanten Themen auseinander zu setzen: Cultural Studies „has had surprisingly little to contribute to the analysis of the very significant struggles and changes taking place within many national formations as well on a transnational scale“ (2006: 8).68 Von sozialwissenschaftlicher Seite ist teils konstruktive Kritik an einigen Argumentationen oder Positionen der Cultural Studies geübt worden (vgl. Mattelart 1999; Stäheli 2004), teils sind sie jedoch auch Zielscheibe von unzutreffender Kritik und übertriebener Polemik geworden. Hier sind insbesondere die Vorwürfe der Aneignungsorientierung (Ferguson/Golding 1997), des Populismus (McGuigan 1992), des metaphorischen Sprachgebrauchs (Ferguson/Golding 1997) oder der mangelnden Themenrelevanz (Hage 1998) zu nennen.69 Eine solch polemische Auseinandersetzung ist allerdings wis68
69
Dieser Vorstoß von Grossberg macht die Kritik von Imhof (2003a) obsolet. Dessen Kritik am apolitischen Charakter der Studies zeugt von einem zu engen Politikbegriff, da Imhof das Politische der Populärkultur übersieht: Die Cultural Studies konzentrieren sich nicht aus Spaß auf das Populäre und die Unterhaltung, sondern weil dieses Feld die Möglichkeit bietet, jenseits der classe politique mit der Aushandlung politischer Bedeutungen in Kontakt zu gelangen. Der Vorwurf der Aneignungsorientierung illustriert diese unberechtigte Polemik auf exemplarische Weise: In der Folge von Halls EncodingDecoding-Modell ist es in den Cultural Studies tatsächlich zu einer unüberschaubaren Flut von Aneignungsstudien mit redundanten Ergebnisse gekommen. Die von Ferguson und Golding gestellte Frage – „where do clains of inclusivity stand when issues of changing media technology, ownership, regulation, production and distribution are shrugged off and only those of consumption are adressed“ (1997: xiv) – ist aber selbst bereits von einer ganzen Reihe von Vertretern der Cultural Studies gestellt worden. Davon zeugt beispielsweise Johnsons Forderung, die Kultur- und Massenkommunikationstheorie „wieder in größere soziale Zusammenhänge einzubetten“ (1998; zit.n. Morley 2003: 136). Darin geht es gerade darum, die verschiedenen Faktoren von Massenkommunikation aufeinander zu beziehen. Die historische Inadäquatheit des Kritikpunkts zeigt sich auch in der Unkenntnis dessen, dass die Aneignungsstudien ein wichtiger Schritt bei der Durchsetzung kulturalistischer Fragestellungen auf der sozialwis-
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senschaftlich sowohl unfruchtbar als auch unangemessen. Die geäußerte Kritik trifft nicht per se auf die Cultural Studies zu, sondern nur auf einzelne Autoren und Werke. Auch sind einige Kritikpunkte unhaltbar, da sie sich auf veraltete Forschungsstände beziehen, auf falschen Vorannahmen beruhen oder sich Unterstellungen zuschulden kommen lassen. Insgesamt haben sich unterdessen jedoch die Wogen nach den ersten Aufregungen, die die Herausforderung der Cultural Studies auslöste, geglättet. Lässt man die unergiebige Polemik bei Seite und argumentiert auf eine konstruktive Weise, dann weist das Forschungsprojekt der Cultural Studies gemäß dem obigen Überblick folgende drei Schwächen auf: An erster Stelle ist ein Theoriedefizit zu nennen: „Cultural Studies […] is against ‚grand theory‘.“ (Barker 2003a:427; vgl. Marchart 2004: 33) Zwar haben die Cultural Studies dafür argumentiert, dass Theorien nicht kontextfrei zu sehen sind, und auf dieser Grundlage selbst eine ganze Reihe von wichtigen Theorien formuliert – dazu gehört die Theorie des aktiven Publikums, die Politik der Populärkultur oder die Theorie der Globalisierung. Aber die überwältigende Mehrheit der Beiträge macht jedoch einen Bogen um die theoretische Synthetisierung ihrer empirischen Ergebnisse.70 Dies gilt insbesondere für den Bereich der (Medien-)Kultur: „Die eigentliche Kulturtheorie innerhalb der Cultural Studies erweist sich [...] als zu wenig ausgebildet.“ (Lindner 2000: 76) Als Gründe für dieses Theoriedefizit lassen sich ihre Entwicklungsgeschichte, ihre wissenschaftspolitische Ausrichtung, ihr interventionistischer Anspruch sowie die Nähe zum Pragmatismus anführen. Denn dem Pragmatismus ist durch seine Konzentration auf die praktische Handlung implizit eine Skepsis gegenüber der Abstraktheit von Theorien zu eigen. Der zweite Kritikpunkt betrifft ein methodologisches Diskursdefizit: „There is nothing like the elaborated discourse on method that exists in the social sciences.“ (Johnson et al. 2004: 3) Die Cultural Studies sind dem Vorbild der Chicago School in der Originalität und der Vielfalt der sozialwissenschaftlichen Praxis genauso gefolgt wie im methodologischen Diskursdefizit. Zwar beginnen eine Reihe von Neuerscheinungen diese Lücke zu schließen,71 aber insgesamt widmen die Cultural Studies der methodologischen Diskussion zu wenig Aufmerksamkeit. Dies führt zum Problem des Textualismus über. Die
70 71
senschaftlichen Agenda waren. Der oben referierte Vorwurf der Anwendungsorientierung wurde andernorts auch als common sense Vorwurf formuliert. Er zielt deshalb ins Leere, weil die Cultural Studies die Aneignung erst zum common sense gemacht haben (vgl. Morley 2003: 112). Von dieser Kritik sind Forscher wie Grossberg, Hall, Kellner, Lull oder R. Winter ausdrücklich ausgenommen. Siehe: Gray (2003) und Saukko (2003).
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Textanalyse erscheint nämlich „als der charakteristische modus operandi der Cultural Studies“ (Lindner 2000: 77). Die Mehrheit der Untersuchungen arbeitet mit hermeneutischen oder Diskursanalysen und macht sich das Prinzip ‚Kultur als Text‘ (Geertz 1987: 10ff.) zu eigen. Dieses Prinzip beruht auf der Annahme, dass es sich bei Kultur nicht nur um einen symbolischen, sondern genauer um einen textuellen Zusammenhang handelt, der mit den Methoden der Textanalyse zugänglich ist. In einer Reihe von Fällen werden diese Textanalysen mit qualitativen Interviews oder Gruppendiskussionen kombiniert. Mit Ausnahme von Forschern wie Willis stützt sich jedoch nur eine Minderheit von Cultural Studies Autoren auf etwas „was man im weitesten Sinne als Feldforschung bezeichnen könnte“ (Lindner 2000: 76).72 Denn allzu häufig beschränkt sich die Dauer ihrer Feldforschung auf wenige Wochen oder Monate und sind die Fremdsprachenkenntnisse beschränkt. Das Ergebnis der Feldforschung ist schlussendlich keine Ethnographie im Sinne von ethnographischer Monographie, sondern eher eine Fallstudie oder ein Essay. Mit anderen Worten, die Cultural Studies reklamieren die ethnographische Methodik für sich, „ohne sie mit derselben Intensität zu betreiben und ohne sich selbst allzu fernen Milieus auszusetzen“ (Fuchs 2001: 39). Als Beispiel für die hier kritisierte Kursorik lässt sich Angs Studie zur Aneignung der Fernsehserie Dallas (1986) anführen. Denn obwohl Ang eine international beachtete Studie gelungen ist, kann nicht darüber hinweggesehen werden, dass sie sich ihr Forschungsdesign auf die Auswertung und Interpretation von 42 Briefen beschränkte. Dieses Beispiel macht deutlich, dass der springende Punkt bei der Auseinandersetzung zwischen Cultural Studies und Ethnologie eine unterschiedliche Konnotation des Begriffs und der Forschungspraxis Ethnographie ist. Den Cultural Studies geht es überhaupt nicht um Ethnographie im traditionellen Sinn, sondern sie verfolgen interventionistisch und pädagogisch orientierte Ziele. Dafür besitzen lange Feldforschungsaufenthalte und extensive Fremdsprachenkenntnisse nur eine untergeordnete Bedeutung. Das Problem des textualistischen Schwerpunktes zieht auch eine geographische Einseitigkeit nach sich. Zwar trifft es zu, dass die Cultural Studies einen Begriffsapparat zu entwickeln suchen, der sich nicht nur aus dem okzidentalen Reservoir speist. „Hierdurch sind sie hochgradig offen für verschiedene Wissenschaftstraditionen, die auch außerhalb des Westens entwickelt wurden“ (Hepp 2004: 20) und die maßgeblich zu den globalen Konnektivitäten beigetragen haben. Gleichwohl sind die Cultural Studies in dem Sinne eurozentristisch, als sie einen „Mangel an einem wirklichen, sich in Forschungsprojekten artikulierenden Interesse an anderen Kulturen“ (Lindner 2000: 78) aufweisen. Wright formuliert dies folgendermaßen: „Despite its em72
Siehe: Willis (1981) und Willis/Trondman (2000).
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powering, expansive, and progressive politics, Cultural Studies was for the most part characterized as much as English Studies is by an equally pervasive, taken-for-granted Eurocentrism.“ (2004: 13) Um alle Missverständnisse zu vermeiden: Das etwas harsch geratene Wort Eurozentrismus bezieht sich hier auf das Untersuchungsobjekt, das allzu häufig in der amerikanischen Soap, der deutschen Talkshow, dem englischen Krimi etc. besteht. Obwohl die Cultural Studies mit ihrem Kontextualismus, ihrem Credo der Selbstreflexivität und ihrer Sensibilität gegenüber der kulturellen Vielfalt geradezu prädestiniert sind, Forschung in fremden Kulturen zu betreiben, haben sie ihr eigenes Potenzial in diesem Bereich bisher nicht voll ausgeschöpft.
3.7 VERGLEICH Das vorangegangene Kapitel hat einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand der transdisziplinären Medienkulturwissenschaft gegeben. Es ist deutlich geworden, dass die fünf medienkulturwissenschaftlichen Ansätze aus unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen stammen, unterschiedliche Wissenschaftskulturen ausgeprägt haben, unterschiedliche methodologische Grundlagen aufweisen, unterschiedliche Vokabularien benutzen und disziplinär unterschiedlich verortet sind. Während der soziokulturelle Konstruktivismus aus dem Schnittfeld von Germanistik, Systemtheorie und Kognitionspsychologie stammt, nimmt die Mediendispositivforschung Anleihen bei der deutschen Literatur- und Filmwissenschaft sowie beim französischen Poststrukturalismus. Dagegen begreifen sich der Theatralitätsansatz und die Medienethnologie als soziologische bzw. ethnologische Teildisziplinen. Noch einmal anders liegt der Fall bei den Cultural Studies, die sich als ein interventionistisches Projekt konzipieren. Mit anderen Worten, die Schwierigkeit, das Profil der Medienkulturwissenschaft zu erfassen, hängt nicht zuletzt mit der Transnationalität und Transdisziplinarität der Forschungsfelder zusammen. Der nun folgende Vergleich möchte einen Beitrag zu einer stärkeren Vernetzung der Ansätze leisten, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit aufzeigen und sie für zukünftige Forschungen fruchtbar machen. Denn aller Diversität zum Trotz hat der Überblick gezeigt, dass die unterschiedlich beheimateten Forscher dasselbe Ziel verfolgen: eine handlungstheoretische Analyse medienkultureller Praktiken. Um die Verwandtschaft der fünf Ansätze herauszuarbeiten, bedarf es nur eines Rückgriffs auf Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit (1984: 278):73 Denn der soziokulturelle Konstruktivismus referiert ebenso auf 73
Wittgensteins semantische Kategorienlehre fußt auf der Einsicht, dass die Teile einer Kategorie nicht durch Gemeinsamkeiten, sondern
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den Begriff des Dispositivs wie die Mediendispositivforschung, die wiederum in ihrer Foucault-Rezeption Verbindungen zum Theatralitätsansatz Prägung aufweist. Der Theatralitätsansatz ist sowohl Bourdieu’scher Prägung durch den Machtaspekt als auch Goffman’scher Prägung durch den Zusammenhang von Medientext und Aneignung mit den Cultural Studies verbunden. Die Cultural Studies selbst wenden – wenn auch mitunter etwas verkürzt – ethnographische Forschungsstrategien an, die schon vor langem von der Medienethnologie entwickelt wurden. Über diese Familienähnlichkeiten hinaus bestehen eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Sämtliche Ansätze gehen von einem bedeutungsorientierten Kulturbegriff aus. Allerdings stellt der soziokulturelle Konstruktivismus insofern einen Sonderfall dar als er Kultur als generatives Programm modelliert. Dagegen verfolgen die Mediendispositivforschung, der Theatralitätsansatz, die Medienethnologie und die Cultural Studies das Prinzip Kultur als Praxis. Insbesondere zwischen dem soziokulturellen Konstruktivismus und den Cultural Studies bestehen einige Verbindungen. Beispielsweise teilen sie die Prämisse, dass die Wissenschaft keine neutrale, vom Beobachter unabhängige Praxis darstellt. Während allerdings der Konstruktivismus diese Prämisse deduktiv aus seiner Theorie ableitet und darauf hinaus will, gesellschaftliche Prozesse in einer neuen, nicht dualistischen Perspektive zu sehen, liegt diese Prämisse bei den Cultural Studies in ihrem inteventionistischen Anspruch begründet. Unabhängig von dieser Debatte, ist die konstruktivistische Variante der Medienkulturwissenschaft den übrigen Ansätzen hinsichtlich der theoretischen Elaboriertheit und der begrifflichen Konsistenz überlegen. Hinter sein Potenzial für empirische Studien ist allerdings ein großes Fragezeichen zu machen. Die Fallstudien von Schmidt (2004) zu Humor, Komik, Unterhaltung oder Unternehmenskommunikation und von Jacke (2004) zur Mediatisierung und Vermarktung von Stars sind hochgradig textualistisch ausgerichtet. Auch Zurstieges (2005) Werbestudie hat das empirische Defizit des soziokulturellen Konstruktivismus nicht gänzlich wettmachen können. Obwohl die übrigen medienkulturwissenschaftlichen Ansätze an ein vergleichbares Kulturkonzept anschließen, sind die Unterschiede zwischen ihnen augenfällig. Die Mediendispositivforschung stellt eine erfolgreiche Nutzbarmachung poststrukturalistischen Ideenguts für die durch Familienähnlichkeit miteinander verbunden sind. Die Familienähnlichkeit wird dabei als „Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“ (1984: 278) definiert. Zur Illustration erinnert Wittgenstein daran, dass wir „beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser drehen. Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern einander übergreifen“ (ebd.: 278).
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deutschsprachige Medien- und Kommunikationsforschung dar. Allerdings wird der bei Foucault im Mittelpunkt stehende Machtaspekt zurückgedrängt, weshalb auch die Verbindungen zu den Cultural Studies eher schwach ausgeprägt sind. Entscheidender bei der Bewertung der Mediendispositivforschung ist allerdings, dass dieser Ansatz nur teilweise handlungstheoretisch fundiert ist und einen ausgeprägten Hang zu textualistischen Einzelfallstudien aufweist. Der von Willems herausgegebene Sammelband „Die Gesellschaft der Werbung“ (2002) zeugt davon, dass der Theatralitätsansatz auch von Seiten einiger Vertreter des soziokulturellen Konstruktivismus und der Cultural Studies Anerkennung erhält. Die Ansätze teilen gewisse Positionen hinsichtlich der Performanz von Werbung. Darüber hinaus rührt die Anerkennung auch daher, dass es dem Theatralitätsansatz gelungen ist, zwei der wichtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts – Bourdieu und Goffman – für die Analyse von Medienkultur fruchtbar zu machen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die empirische Anwendbarkeit des Ansatzes ebenfalls beschränkt ist. Dies ist denn auch der Grund dafür, weshalb es dem Ansatz bisher nicht gelungen ist, über den Entstehungskontext des DFG-Schwerpunktprogramms hinauszugelangen. Dagegen können die Medienethnologie und die medienkulturwissenschaftliche Variante der Cultural Studies auf eine Vielzahl von empirischen Studien verweisen. Aufgrund des gemeinsamen ethnographischen Forschungsdesigns besteht eine starke Konvergenz zwischen den beiden Ansätzen, die sich auch in der zunehmenden gegenseitigen Anerkennung von Kultur- und Sozialanthropologie einerseits und Cultural Studies andererseits niederschlägt (Nugent/Shore 1997; McEachern 1998; Niekisch 2002). Dabei sollte nicht übersehen werden, dass sich die beiden medienkulturwissenschaftlichen Ansätze jedoch auch in mehreren Punkten unterscheiden. Zunächst ist die unterschiedliche wissenschaftliche Genese anzuführen: Während sich die Medienethnologie disziplinär fest verortet ist, handelt es sich bei den Cultural Studies um ein transdisziplinäres Projekt, das vor knapp 50 Jahren aus der Erwachsenenbildung hervorgegangen ist. Darüber hinaus liegt ihr Hauptunterschied jedoch im methodischen Bereich: Die Medienethnologie wendet eine elaborierte Form der ethnographischen Feldforschung an, wogegen die Cultural Studies demgegenüber ein verkürztes Ethnographiekonzept vertreten, in dem allerdings die Einlösung eines interventionistischen Anspruchs Platz findet. Obwohl sich sämtliche medienkulturwissenschaftliche Ansätze für die Initiation von weiteren Forschungsarbeiten anbieten, schließt die vorliegende Studie an den Ansatz der Cultural Studies an. Ihr radikaler Kontextualismus macht sie zum einzigen Ansatz, der nicht einfach den kulturellen und sozialen Kontext bei der Analyse von Massenmedien berücksichtigt, sondern weit darüber hinausgehend diesen Kon-
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text selbst als Kultur und damit als Untersuchungsgegenstand fasst. Die Vielfalt und die Vielzahl an empirischen Studien, an methodologischen Positionen und theoretischen Debatten machen sie zum derzeit elaboriertesten Ansatz der Medienkultur. Ein weiterer wichtiger Grund für die Adoption der Cultural Studies liegt darin, dass die drei referierten Kritikpunkte – das Theoriedefizit, die methodologische Textzentriertheit und der Eurozentrismus – einen interessanten Ansatzpunkt bieten, diesen medienkulturwissenschaftlichen Ansatz in konstruktiver Weise voranzutreiben und sein Potenzial weiter auszuschöpfen.
T EIL II V OM M ODELL ZUM A NSATZ
4 DER CIRCUIT OF CULTURE UND SEINE G E N E S E 4.1 ÜBERBLICK Im ersten Teil dieser Arbeit wurde die Medienkulturwissenschaft als transdisziplinäres Forschungsfeld konzipiert. Der Vergleich der verschiedenen medienkulturwissenschaftlichen Ansätze hat zu dem Zwischenergebnis geführt, dass die Cultural Studies den herausfordernsten Ansatz darstellen. Aufgrund ihres weiten Spektrums ist aus der Vielzahl ihrer Forschungsarbeiten auszuwählen. Zu nennen sind beispielsweise die Ansätze von Kellner (1995) und Johnson et al. (2004). Die vorliegende Untersuchung schließt dagegen an das „so elegant dargestellte Modell des kulturellen Kreislaufs“ (Morley 2003: 132) an. Die ausschlaggebende Gründe für die Wahl des Modells des Autorenkollektivs um du Gay und Hall (1997) liegen allerdings nicht etwa in seiner Eleganz, sondern in seinem unausgeschöpften Potenzial. Wie eine Analyse der Rezeption des Circuit of Culture zeigen wird, ist die Beschäftigung mit dem Modell als gering zu bezeichnen. Eine in theoretischer und forschungspraktischer Hinsicht einigermaßen erschöpfende Auseinandersetzung mit dem Modell und dem in der sechsbändigen Buchreihe „Culture, Media and Identities“ dokumentierten Programm steht nach wie vor aus. Denn obwohl das Modell eine ganze Reihe von Problemen aufweist, die in prototypischer Weise mit drei Defiziten der Cultural Studies zusammenhängen, ist der Forschungsanstoß bisher nicht vorangetrieben worden. Zugespitzt formuliert scheint es, als hätten die Cultural Studies nicht das Potenzial des Circuit of Culture erkannt. Aus diesen Gründen verfolgt der zweite Teil dieser Arbeit das Ziel, das Modell des Circuit of Culture zu einem eigenen medienkulturwissenschaftlichen Ansatz auszubauen. Darüber
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hinaus wird die Integration von Theorie und Empirie vorbereitet, denn der hier zu entwickelnde medienkulturwissenschaftliche Ansatz wird seine Anwendbarkeit für praktische Forschung in drei Fallstudien nachzuweisen haben. Bevor diese Vorhaben in Angriff genommen werden können, sind zunächst die wissenschafts- und modelltheoretischen Grundlagen der Cultural Studies zu explizieren. Sie werden vom Pragmatismus geliefert. Erst auf dieser Grundlage wird die Beschäftigung mit dem Modell des Circuit of Culture sinnvoll, der sich im Rahmen von Prozess-, Mediensystem-, Vermittlungs- und Kreislaufmodellen kontextualisiert.
4.2 WISSENSCHAFTS-
UND
MODELLTHEORETISCHE
GRUNDLAGEN
Der Modellbegriff spielt in Wissenschaftsdisziplinen wie Informatik, Mathematik, Physik oder Soziologie eine große Rolle. Der Begriff wird in vielfältigster Weise verwendet, auch im alltäglichen Sprachgebrauch. Die kaum überschaubare Anzahl an Verwendungsweisen wird durch verwandte Begriffe wie Abbild, Analogie oder Repräsentation noch erhöht.74 Die Grundlagen der Modelltheorie werden von der Mathematik geliefert, die beansprucht, sämtliche Modellbegriffe subsumieren zu können.75 Der sozialwissenschaftliche Modelldiskurs befindet sich derzeit in einer ambivalenten Situation. Einerseits erfreut sich die Verwendung von Modellen einer großen Beliebtheit. Kaum eine Einführung in die Fachbereiche kommt ohne die Behandlung von Modellen aus.76 Diese rege Aktivität kontrastiert andererseits mit einem Mangel an Reflexion über die wissenschaftstheoretischen Hintergründe von Modellen. Dies ist schon allein deshalb bedauerlich, da die Qualität wissenschaftlicher Arbeit durch mangelnde Selbstreflexion verringert wird. Auch ist zu befürchten, dass das heuristische und kreative Potenzial von Modellen nicht ausgeschöpft werden kann, wenn ihre wissenschaftstheoretischen Implikationen nicht ausreichend geklärt worden sind. Diese Gründe haben dazu geführt, dass der modelltheoretische Diskurs unterdessen teilweise in die Informatik abgewandert ist. Damit einher geht auch eine Verlagerung
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Ein ausführlicher Überblick zur Geschichte des Modellbegriffs findet sich bei Müller (1983). Siehe: Giere (1988) und Van Fraasen (1980). Als Beispiele lassen sich aus dem Bereich der Migrationsforschung Haags/Grützmanns Modell der Wanderungsdynamik (2000) oder Hans’ Push- und Pull-Faktoren-Modell (2000), sowie aus dem Bereich der Medien- und Kommunikationsforschung die in McQuail/ Windahl (1993) referierten Modelle nennen.
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der Begrifflichkeiten von Modelltheorie zu Modellierung und Simulation.77
4.2.1
Pragmatismus als wissenschaftstheoretische Grundlage der Cultural Studies
Diese modelltheoretische Verlagerung ist für die Cultural Studies allerdings nicht praktikabel. Sie rekurrieren dagegen auf einen Modellbegriff, der mit ihren wissenschaftstheoretischen Grundlagen übereinstimmt. Welches sind aber diese Grundlagen? Zur Beantwortung dieser Frage gibt Rorty einen Fingerzeig: Er mutmaßt nämlich, dass der amerikanische Pragmatist Dewey Thompsons Buch „The Making of the English Working Class“ (1963), das zu den Gründungswerken der Cultural Studies gehört, „mit Begeisterung und Freude gelesen hätte“ (Rorty 1994: 21). Diese beiläufige Bemerkung ist dahingehend aufschlussreich als dass sie die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Pragmatismus und Cultural Studies richtet. Das Bindeglied in diesem Verhältnis ist die Chicago School of Sociology, die neben dem englischen Kulturalismus, dem kontinentalen (Neo-)Marxismus und dem französischen (Post-)Strukturalismus die wichtigste Quelle für die Entstehung der Cultural Studies darstellt. Dies zeigt, dass sich die Cultural Studies bei ganz unterschiedlichen Bewegungen inspiriert haben. 77
Hier ist besonders das Forschungsfeld Sozionik herauszuheben. Dabei geht es um die Frage, wie es möglich ist, Vorbilder aus der sozialen Welt aufzugreifen, um daraus intelligente Computertechnologien zu entwickeln. Die Sozionik geht also davon aus, dass moderne Gesellschaften ein Reservoir an Vorbildern für die Modellierung von virtuellen Individuen bzw. Multiagentensystemen bereitstellen. Auf der Basis der Programmierung von solchen Software-Agenten, die zu formal ableitbaren Entscheidungen gelangen und zunehmend eigenständig agieren, können die Sozial- und Kulturwissenschaften von der Informatik profitieren, indem sie die Multiagententechnik als Simulationswerkzeug zur Überprüfung und Ausarbeitung ihrer eigenen Begriffe, Modelle und Theorien nutzen. Ein Beispiel: „Wenn solche technischen Agenten einmal eine Aufgabe erhalten haben, werden sie von sich aus aktiv, begeben sich ins Internet, suchen passende Datenbanken auf, kopieren gesuchte Listen, buchen die günstigsten Reisen und begleichen Rechnungen – natürlich alle Aktionen im Rahmen des vorgegebenen Auftrags, aber nicht unter detaillierter Determination der Aktionsschritte.“ (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002: 15) Indem die Künstliche Intelligenz ihre Agenten experimentell solche Programme durchlaufen lässt, zielt sie auf Voraussagen über menschliches Verhalten ab. Darüber hinaus geht es der Sozionik auch um zukünftige Anwendungen von hybriden Gemeinschaften, die aus künstlichen Agenten und menschlichen Nutzern bestehen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie die Hybridgemeinschaften unseren zukünftigen Umgang mit Technik (und mit unseren Mitmenschen) verändern werden (Schmitt 2004).
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Wie bereits in Kapitel 3.6.5 ausgeführt, hat der Pragmatismus ihnen dabei die Positionen des Antiessenzialismus, des Kontextualismus und der Interessengebundenheit von Wissenschaft vermittelt. Darüber hinaus teilen sie ein Pluralismuskonzept, eine Wertschätzung der Populärkultur, einen interventionistischen Anspruch (demokratische Partizipation, pädagogisches Engagement, Sozialreform) sowie Vorbehalte gegenüber theoretischen Diskursen (Barker 2003a: 427). Beim Pragmatismus handelt es sich um eine Handlungsphilosophie, die auf die „Überwindung der cartesianischen Dualismen“ (Joas 1992: 28) abzielt. Der Pragmatismus ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika entstanden und vor allem an die Namen von Dewey, James, Mead und Peirce geknüpft. 100 Jahre später kommt dem um die Einsichten der postanalytischen Philosophie aktualisierten Neopragmatismus und seinen Vertretern wie Davidson, Putnam, Rescher oder Rorty eine große Bedeutung zu. Da es an dieser Stelle um die groben Leitlinien geht, sollen hier die Unterschiede zwischen den einzelnen Vertreter genauso wenig ausgeführt werden wie die Differenzen zwischen dem klassischen und dem Neo-Pragmatismus.78 Der Pragmatismus nimmt seinen Ausgang bei der Einsicht, dass Wirklichkeit nur mittels zeichenhafter Vermittlung erfassbar sind.79 Um eine Tatsachenaussage zu prüfen, muss man also zuerst fähig sein, die Aussage „zu verstehen, das heißt, den entsprechenden sprachlichen Ausdruck zu interpretieren“ (Putnam 1995: 69). Die Absage an die Abbild- oder Korrespondenztheorie der Wahrheit wird mit dem Hinweis begründet, dass sich Tatsachen und Theorien durchdringen. Dies bedeutet, dass die Sprache einen unhintergehbaren Standpunkt bei der Art und Weise, was und wie etwas erkannt wird, darstellt. Die Dinge bestehen nicht an sich, sondern sie sind eine soziale Konstruktion, das heißt „das intentionale Objekt einer bestimmten Menge von Sätzen“ (Rorty 1994: 85). Welche Sätze aber verwendet werden, hängt von den Bedürfnisse und Zielsetzungen einer Gemeinschaft ab. Der Geltungsanspruch von Aussagen beschränkt sich also auf intersubjektive Übereinstimmung innerhalb der Gemeinschaft. Im Unterschied zum kritischen Rationalismus behauptet der Pragmatismus, dass es von den Interessen und Zielsetzungen einer Gemeinschaft, mithin vom Kontext abhängt, welche Aussagen, Positionen, Überzeugungen oder 78
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Allerdings sei auf die Forderung Osbornes hingewiesen, dass Cultural Studies „need a more differentiated sense of the variety of philosophical forms of pragmatism, if it is to make coherent theoretical and political sense of its own desire for relevance“ (2006: 35). Diese Einsicht stellt einen Bruch mit dem common sense dar und ist dafür verantwortlich, dass die moderne Philosophie kaum noch breiteren Gesellschaftskreisen vermittelbar ist. Auch der Pragmatismus mit seiner demokratischen und handlungspraktischen Orientierung kann diesen Bruch nicht kitten.
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Werte vertreten werden. Eine Letztbegründung gibt es für sie nicht. Den Dualismus von wahr und falsch überwindet der Pragmatismus daher mit dem Kriterium der Nützlichkeit: „Bediene ich mich hier der bestmöglichen Beschreibung der Situation, in der ich mich befinde, oder kann ich eine bessere zusammenschustern?“ (Rorty 2000: 84) Rorty zu Folge gibt es also keine wahren, sondern nur nützliche und weniger nützliche Beschreibungen der Welt. An dieser Stelle ist auf drei Einwände einzugehen, die gegen den Pragmatismus formuliert werden. Erstens wird das Kriterium der Nützlichkeit allzu häufig als utilitaristischen Alltagsnutzen oder cash value missverstanden. Dieser Vorwurf lässt sich mit dem Hinweis entkräften, dass die Nützlichkeit als Sammelbegriff für die Werte und Ziele einer Gemeinschaft fungiert. Dem Pragmatismus geht es bei Nützlichkeit vor allem um eine Nutzbarmachung der durch den Antiessenzialismus gewonnenen Freiheit und Kreativität in Bezug auf „die Erfindung neuer Handlungsmöglichkeiten“ (Joas 1992: 32). Zweitens ist auf die Kritik an Kriterien wie Kreativität und Nützlichkeit einzugehen. Obwohl der Pragmatismus die Existenz von Letztbegründungen leugnet, begründet er seine Kriterien. Ausgehend von James’ (2001 [1907]) Pluralismuskonzept verfolgt der Pragmatismus einen Fallibilismus und Ameliorismus. Das heißt, die innerhalb einer Gemeinschaft gültigen Begriffe und Urteile stehen einer Prüfung aus und können sich bewähren oder scheitern.80 Aufgrund dieser Verknüpfung von Erkenntnis und kulturell variabler Lebensform setzt sich der Pragmatismus aber drittens dem Relativismusvorwurf aus. Dieser Vorwurf wird durch das Argument entkräftet, dass der Pragmatist nicht die Auffassung teile, dass „jede Überzeugung so gut sei wie eine andere“ (Graeser 2002: 204). Allerdings muss er den Vorwurf des Ethnozentrismus akzeptieren, da jede Gemeinschaft die ihr gemäße Perspektive vertritt. Der Pragmatismus vertritt also ein pluralistisches Weltbild, in dessen Zentrum das experimentelle und kreative Handeln steht. Er ist der politischen Überzeugung, dass die Demokratie mit ihren Grundrechten (unter anderem Gedanken-, Rede- und Versammlungsfreiheit) und ihrem Partizipationsprinzip die besten Rahmenbedingungen für das Handeln schafft. Gerade weil es sich bei der Demokratie jeweils um einen unvollendeten Prozess handelt, sind die Bürger zum pädagogischen und politischen Engagement aufgefordert. Die Möglichkeit zum Engagement bereitet die Grundlage für die berechtigte Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Denn der Pragmatismus glaubt daran, dass die 80
Im Punkt des Fallibilismus oder Falsifikationismus stimmen Kritischer Rationalismus und Pragmatismus überein. Ansonsten bestehen zwischen diesen beiden philosophischen bzw. wissenschaftstheoretischen Strömungen große Differenzen. Siehe: Gadenne (1998).
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Kreativität und die Fantasie die kulturelle Evolution vorantreiben: „Sie ist die Kraft, die unter Voraussetzung von Frieden und Wohlstand ständig dahingehend wirkt, dass sich die Zukunft des Menschen reichhaltiger gestaltet als seine Vergangenheit.“ (Rorty 1994: 88)
4.2.2
Kriterien eines pragmatischen Modellbegriffs
Bei der Suche nach einer pragmatischen Modelldefinition dienen die Überlegungen Stachowiaks als Ausgangspunkt: „X ist ein Modell des Originals Y für den Verwender v in der Zeitspanne t bezüglich der Intention Z.“ (1983: 118) Im Zentrum der Definition steht eine Relation zwischen einem Original, das von einem Modell ab- oder nachgebildet wird. Der entscheidende Punkt ist, dass Modelle im Allgemeinen nicht alle Originalattribute, sondern stets nur solche, die für den Modellbildner relevant sind, erfassen. Die modellierten Attribute sind also in Relation zur Intention zu sehen. Die pragmatische Redeweise von der Intention und der Relevanz deuten an, dass bei der Verwendung eines Modells die Nützlichkeit entscheidend ist. Was als nützlich angesehen wird, hängt vom Handlungskontext, das heißt von der Prävalenz eines in Raum und Zeit gebundenen Forschers ab. Der Einsatz eines bestimmten Modells ist nützlich, wenn es gewisse Vorteile gegenüber dem Original aufweist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Modell aus der ungeheuren Komplexität eines bestimmten Phänomens gewisse Faktoren selektiert und abstrahiert, um zu einem besseren Verständnis des Untersuchungsgegenstandes beizutragen. Ziel dieser Prozesse ist eine strukturale Komplexitätsreduktion. Welche Aspekte aber selektiert werden sollen, das hängt von der Intention einer bestimmten Gemeinschaft ab. Der Geltungsanspruch von kontingenten Aussagen beschränkt sich auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit innerhalb der Gemeinschaft: Der Pragmatismus zielt nicht auf Wahrheit ab, sondern zeichnet sich durch den „Wunsch nach möglichst weitgehender intersubjektiver Übereinstimmung“ (Rorty 1995: 15) aus. Durch den Selektions- und Abstraktionsprozess erlangt das Modell Anschaulichkeit der Struktur und Flexibilität bei der Behandlung des zu verstehenden Problems. Letztendlich geht es darum, Rückschlüsse auf das zu Grunde liegende Original zu ziehen. Damit handelt man sich bei der Modellbildung allerdings ein Dilemma ein: Je mehr ein Modell „die konkrete Komplexität des betreffenden Erkenntnisgegenstands analytisch reduziert, desto weniger adäquat ist es dem realen Geschehen […]. Umgekehrt: Je geringer das Reduktionsniveau eines Modells, desto höher
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seine Adäquanz, und desto geringer seine Generalisierbarkeit.“ (Schimank 2002: 154)
Dieses Dilemma kann auch anhand einer weiteren wichtigen Eigenschaft von Modellen diskutiert werden: Abundanz meint, dass Modelle Attribute aufweisen können, die das Original nicht besitzt: „Die nachträgliche empirische Analyse faktischer Modellbildungen ergibt des weiteren, das der Nach- oder Bildbereich der Original-ModellAbbildung, also das Modell als solches, oft strukturelle oder/und materiale Attribute aufweist, denen keine originalseitigen Attribute, das heißt keine Elemente des Vorbereichs der Abbildung, entsprechen.“ (Stachowiak 1973: 156)
Mit anderen Worten, ein Modell kann nicht nur strukturale Komplexität reduzieren, sondern auch in ausgewählten Aspekten die funktionale Komplexität erhöhen. Als Zwischenresultat kann also festgehalten werden, dass sich die Modellbildung durch eine Spannung zwischen einer strukturalen Komplexitätsreduktion und einer funktionalen Komplexitätssteigerung auszeichnet. Die Nützlichkeit von Modellen liegt aber auch in ihrem forschungsinitiierenden und kreativen Potenzial: Die Nichteinlösbarkeit des traditionellen absoluten Begründungskonzepts und Objektivitätsbegriffs führt zur Thematisierung der zielgebundenen Eigenschaften von Modellen. Diese Eigenschaften unterstreichen „den Interpretantenbezug und somit auch die sozial normierte Einbettung von Erkenntnisgebilden“ (Wernecke 1994: 429) sowie die operationale Beweglichkeit. Denn aus pragmatischer Sicht geht es immer auch darum, was mit Modellen gemacht werden kann. Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit gezeigt werden soll, führt die Flexibilität in der Modellbildung „zu einer ungemeinen Belebung der Forschungstätigkeit“ (Stachowiak 1983: 129). Abseits eines reinen Forschungskontextes können die Kreativität und die Anschaulichkeit von Modellen auch für didaktische Zwecke eingesetzt werden. Ein Beispiel aus der Welt des Sportfernsehens kann dies veranschaulichen: In deutschen Talkshows wie Doppelpass auf dem Sender DSF diskutieren Fußballjournalisten, -manager und -trainer wie Jörg Wontorra, Rudi Assauer oder Udo Lattek über ausgewählte Spiele. Dabei begeben sie sich auch an eigens von diversen Brauereiunternehmen gesponserten sogenannten Taktiktisch, wo sie mit Hilfe von Stift und verschiebbaren Platzhaltern reale oder imaginäre Spielsituationen nachzeichnen. Dadurch gelingt es ihnen, das taktische Konzept der Mannschaften zu erläutern. Das Modell des Taktiktischs abstrahiert also unter anderem die reale Zeit, den realen Spielverlauf, die
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Spieler als physikalische Körper, den Ball, die Größe, Beschaffenheit und geographische Lage des Fußballplatzes etc. Durch die Weglassung dieser Eigenschaften wird das Modell strukturell einfacher als das reale Fußballspiel. Im Gegensatz zu einer einmaligen Spielszene in einer bestimmten Minute der ersten Halbzeit zwischen Club A und Club B gewinnt das Modell dafür aber an Anschaulichkeit: Durch die Flexibilität beim Umgang mit dem Modell, das heißt durch das Durchspielen von verschiedenen taktischen Spielzügen und das Herausarbeiten von Positionsbezügen, wird das Echtzeit-Fußballspiel in einen komplexen Zusammenhang der allgemeinen Fußballtheorie eingebunden. Das Modell erlaubt damit Rückschlüsse auf die soziale Realität und ist als Lehr-, Planungs- und Trainingsinstrument einsetzbar. Hinsichtlich der Funktionalität wird die Komplexität also gesteigert. Abschließend ist noch zu unterstreichen, dass aus pragmatischer Sicht Modelle nicht nur selektive und damit abstrakte Nachbildungen einer sozial konstruierten Realität sind, sondern auch auf diese zurückwirken. Am Beispiel von Kommunikationsmodellen drückt dies Carey folgendermaßen aus: „Models of communication are, then, not merely representations of communication but representations for communication: templates that guide, unavailing or not, concrete processes of human interactions, mass and interpersonal.“ (1989: 32) Sofern Alltagserfahrung explizierbar ist und zu einem Modell systematisiert werden kann, leiten sie wiederum die Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit bis zu dem Moment, da neue Alltagserfahrungen nicht mehr mit dem Modell beschreibbar sind.
4.3 KONTEXTUALISIERUNG DES CIRCUIT OF CU L T U R E Bevor das Ziel dieser Arbeit in Angriff genommen werden kann, das Modell des Circuit of Culture zu einem medienkulturwissenschaftlichen Ansatz auszubauen, sind zwei Bedingungen zu erfüllen. Erstens sind die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Cultural Studies zu klären. Dies ist im vorigen Kapitel bereits geschehen. Es hat sich dabei gezeigt, dass diese Grundlagen vom Pragmatismus bereit gestellt werden. In Auseinandersetzung mit der pragmatischen Wissenschafts- und Modelltheorie konnten die Kriterien der Abstraktion bzw. Selektion und der Nützlichkeit herausgearbeitet werden. Sie stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Im nun folgenden Kapitel ist die zweite Bedingung zu erfüllen. Sie besteht darin, die gewonnenen Kriterien für die Analyse derjenigen kommunikationswissenschaftlichen Modelle anzuwenden, die zur Genese des Circuit of Cul-
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ture beigetragen haben.81 Sie lassen sich in geringfügiger Modifikation von Bonfadellis (2001) Kategorisierung in Prozess-, Mediensystem-, Vermittlungs- und Kreislaufmodelle unterteilen. Im Rahmen der Analyse sollen auch die gesellschaftsphilosophischen, kulturtheoretischen und technologiehistorischen Implikationen der Modelle Berücksichtigung finden.
4.3.1
Prozessmodelle
Der Behaviourismus und die empiristische Wirkungsforschung in Amerika bzw. ihr starker Einfluss auf die deutsche Kommunikationswissenschaft der Nachkriegszeit schlugen sich in einer Reihe von Prozessmodellen der Massenkommunikation nieder. Vor allem von Mitte der 1920er bis in die 1970er Jahre hinein wurden Prozess- bzw. Transmissionsmodelle der Massenkommunikation entworfen, die auf eine einseitige Definition von Kommunikation zurückgehen. Kommunikation wurde als ein linearer „Transport von Mitteilungen“ (Maser 1971: 10) zwischen einem Sender und einem Empfänger aufgefasst. Dies war der Fall bei verschiedenen Stimulus-Response-Modellen, zu denen auch die Lasswellformel „Who says what in which channel to whom with what effects“ (1971: 84 [1948]) gehörte. Die Wirkungsmächtigkeit dieses klassifikatorischen Wortmodells zerlegte den Kommunikationsprozess in die an fünf Fingern abzählbaren Aspekte Kommunikator, Aussage, Medium, Publikum und Wirkung.82 Das Modell machte dabei mehrere Grundannahmen: „It more or less takes for granted that the communicator has some intention of influencing the receiver and, hence, that communication should be treated mainly as a persuasive process. It is also assumed that messages always have effects.“ (McQuail/Windahl 1993: 14)83 Aber auch das prototypischste 81
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Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eine unermessliche Anzahl von kommunikationswissenschaftlichen Modellen entworfen worden. Zwar liegt eine ganze Reihe von unvollständigen Übersichten zur kommunikationswissenschaftlichen Modellbildung vor (Kunczik 1984, McQuail/Windahl 1993, Burkart 1995), eine allgemein anerkannte Kategorisierung der Modelle steht aber nach wie vor aus. Noch heute ist der Studienplan der Kommunikationswissenschaft an vielen deutschsprachigen Universitäten in einen Vorlesungszyklus gliedert, der die Aspekte der Lasswellformel abbildet. In den letzten Jahren ist in der Kommunikationswissenschaft eine Debatte über die Stimulus-Response-Modelle geführt worden. Bussemer (2003) stimmt zwar den Anregungen von Brosius/Esser (1998) zu, die Modelle der kommunikationswissenschaftlichen Gründerzeit ein Stück weit zu rehabilitieren. In seinen Quellenforschungen gelingt ihm der Nachweis, dass die Arbeiten von Doobs und Tschachotins differenziert seien. Forscher wie Lazarsfeld und Katz hätten diese Grundlagenarbeiten zum Reiz-Reaktions-Schema verworfen bzw. ge-
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Prozessmodell, das Shannon-Weaver-Modell, hat insbesondere von Vertretern der Cultural Studies herbe Kritik geerntet. In produktiver Auseinandersetzung mit diesem Modell hat Hall schließlich sein Encoding-Decoding-Modell entwickelt. Es stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Entwicklung des Circuit of Culture dar. a) Das Shannon-Weaver-Modell
Das informationstheoretische Modell von Shannon (1963 [1948]) beschreibt, wie die Nachricht eines Absenders – unabhängig von ihrem Inhalt – den jeweiligen Adressaten in möglichst unverfälschter Form, das heißt ohne Informationsverlust, erreicht. Es beansprucht noch heute Gültigkeit im Bereich der Informationswissenschaft.84 Das Modell geht aus technologiehistorischer Sicht auf die Entwicklung neuer Medien wie Kinofilm, Radio, insbesondere aber auf die Entwicklung des Telefons in Bell Telephone Laboratories zurück. In ihm finden sich aber auch Spuren der kryptographischen Forschung, die Shannon während des Zweiten Weltkrieges betrieb. Der Erfolg des Modells ist seinem enormen Abstraktionsgrad geschuldet. Es reduziert das komplexe Phänomen der Kommunikation auf einen einfachen linearen Prozess. Dadurch gelingt es ihm, die idealtypische Form von Kommunikation darzustellen und zu identifizieren, an welcher Stele die Störfaktoren in den Kommunikationsprozess eingreifen. Im Gegensatz zu Shannon glaubte Weaver an die Übertragbarkeit der Informationstheorie auf die menschliche Kommunikation. In behavoristischer SichtweiAbbildung 4: Shannons informationstheoretisches Modell (1963)
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flissentlich übersehen, um ihre eigenen Ansätze hervorheben zu können. Aber es sei unhaltbar, „die mit dem Reiz-Reaktions-Schema verbundenen Verkürzungen und Unzulänglichkeiten nachträglich in übermäßig produktive oder gar nicht-deterministische Ansätze umzudeuten“ (Bussemer 2003: 187f.). Wie bereits in Kapitel 2.4.3 ausgeführt, gab es in der Zwischenkriegszeit auch eine interdisziplinäre, kultursoziologische und prozessorientierte Zeitungswissenschaft, die keine Reiz-Reaktions-Vorstellungen pflegte (Averbeck 2001: 8). Siehe Kittlers Aussage: „Seit Shannons Arbeit ist das bit das universale Maß für Wahlfreiheit und Information, das Maß der Kommunikation, nach dem sich heute alle Kämpfe um Bandbreiten und bits per second rechnen.“ (1999: 332)
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se definiert er Kommunikation als „procedures by which one mind may affect another“ (1963: 3). Weaver betrachtet den Kommunikationsprozess als kausal-linearen, schematisch-reduktionistischen Vorgang ohne Feedbackoption. Zwar unterscheidet er zwischen technischen, semantischen und Effektivitätsproblemen von Kommunikation, aber Weaver arbeitet nicht die Unterschiede zwischen technischer und menschlicher Kommunikation heraus. Vor dem Hintergrund der Stimulus-Reaktions-Psychologie hat dieses Modell die Kommunikationswissenschaft mit ihrer einseitig-kausalen, linearen und statischen Perspektive nachhaltig geprägt. Die Kritik an der Inadäquatheit des Modells hat zu einer beachtlichen Produktivität bei der Entwicklung modelltheoretischer Ansätze geführt, die „eine kulturwissenschaftliche Umformung, Erweiterung und Überpflanzung einer zuerst mathematischen und dann ingenieurswissenschaftlichen Theorie leisten konnten, sich aber zu keiner radikalen Neuformulierung der formalen kommunikativen Grundanordnung wie sie Shannon eben definiert hatte, veranlasst sahen.“ (Rieder 2004: 38)
Zu diesen ausdifferenzierteren Ansätzen und der Komplexität des Kommunikationsprozesses adäquateren Modellen zählen die Modelle von Westley/MacLean (1957), Riley/Riley (1959), Berlo (1960), Maletzke (1963) oder Reimann (1968). Zwar sind diese und weitere Modelle im Laufe der Jahrzehnte komplexer geworden und haben Rückkopplungsprozesse sowie kulturelle bzw. soziale Implikationen mehr und mehr berücksichtigt, dennoch sind sie dem Grundgedanken der Linearität des Kommunikationsflusses und einer Übertragungsmetapher verhaftet geblieben. Wie bereits erwähnt, wurde die Linearität, die einer Übertragung einer Botschaft von einem Sender zu einem Empfänger eingeschrieben ist, nachdrücklich kritisiert. Luhmann bezeichnet die Übertragungsmetapher als unbrauchbar, „weil sie zu viel Ontologie impliziert. Sie suggeriert, dass der Absender etwas übergibt, was der Empfänger erhält. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil der Absender nichts weggibt in dem Sine, dass er selbst es verliert. Die gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens, die gesamte Dingmetaphorik ist ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation.“ (1984: 193)
Damit ist der Einwand vorweggenommen, dass die Prozessmodelle die Vorstellung nahe legen, dass man von der Quelle bzw. dem Inhalt einer Botschaft auf die Wirkung beim Empfänger schließen könne.
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Mit anderen Worten, dieser Modelltyp suggeriert falsche Annahmen über potenzielle Medienwirkungen. Auch die Cultural Studies haben die Transmissionsmodelle kritisiert. Nebst einer Auseinandersetzung mit der Determiniertheit bzw. Linearität von Kommunikation zeigen sie, dass die Transmissionsmodelle die Position des Senders privilegieren, der als legitime Quelle und Generator von Bedeutung und Handlung gilt. Er ist das Zentrum, aus dem die räumliche und soziokulturelle Integration und Kontrolle entspringt (Ang 2003: 87). Damit sind die gesellschafts- bzw. kulturtheoretischen Implikationen der linearen Prozessmodelle angesprochen. Den Prozessmodellen ist in ihrer Privilegierung des Senders, der bestimmte Wirkungen durchsetzen will, nämlich ein imperialistisches Moment inhärent. „The center of this idea of communication is the transmission of signals or messages over distance for the purpose of control.“ (Carey 1989: 15) Historisch gesehen sind diese Modelle einem Weltbild verpflichtet, das auf den Beginn des Massenkommunikationszeitalters im späten 19. Jahrhundert zurückgeht. Die imperialistische als Raum übergreifende Kultur zeichnet sich durch ihr Interesse an „real estate, voyage, discovery, movement, expansion, empire, control“ (ebd.: 160) aus. Die Voraussetzungen für die Ausübung dieser Hegemonie sind aber erst durch die neuen Kommunikations- und Transporttechnologien geschaffen worden. Ferner kritisieren die Cultural Studies die implizite Vorstellung der Transmissionsmodelle, dass der Kommunikationsinhalt eine vorgeformte und feststehende Bedeutung hätte. Schließlich sprechen sie ihnen ab, eine Reihe von kulturtheoretischen Implikationen zu berücksichtigen, wie dass Menschen und Medien über Kommunikation verbunden sind: „Erlauben diese Modelle ein Verständnis der Bedeutung kultureller Differenzen für Kommunikation? Erlauben sie weiter eine Berücksichtigung und angemessene Differenzierung der ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Motivationen der im Kontext von Kommunikation im Umgang mit Medien beteiligten Akteure?“ (C. Winter 2003b: 316)
b) Halls Encoding-Decoding-Modell
Um diese Fragen zu beantworten bzw. um diesen Einwänden zu entgehen haben verschiedene Autoren kulturalistische Modelle entwickelt. Im Hinblick auf die Entstehung des Circuit of Culture ist insbesondere Halls Encoding-Decoding-Modell (1999a [1980]) zu erwähnen, das den Empfänger privilegiert und die ideologische Dimension von Kommunikation unterstreicht.85 85
Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch Careys Modell der rituellen Kommunikation (1989). Siehe: Marchart (2004: 53-96).
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Abbildung 5: Halls Encoding-Decoding-Modell (1999a)
Halls Modell fasst Massenkommunikation immer noch als einen linearen Prozess auf, wenn auch als einen asymmetrischen und nicht-äquivalenten. In Auseinandersetzung mit dem Güterkreislauf von Marx (1953 [Original 1857]), dem Strukturalismus (Althusser/Balibar 1972), der Theorie des aktiven Publikums (Bauer 1969; Etzioni 1968) und dem Funktionalismus (Liebes/Katz 1990; Katz/Foulkes 1962)86 erarbeitete Hall ein Modell, das die Medienaneignungsstudien der Cultural Studies konzeptuell begründet hat.87 Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Einsicht, dass es sinnvoll ist, den Kommunikationsprozess „als eine Struktur aufzufassen, die durch die Artikulation miteinander verbundener, aber eigenständiger Momente produziert und aufrechterhalten wird: Produktion, Zirkulation, Distribution/Konsum, Reproduktion“ (Hall 1999a: 92f.). Obwohl Hall in der Folge nur 86
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Zwar steht Halls Modell in engem Bezug zum funktionalistischen Nutzen- und Belohnungsansatz, aber es gibt dennoch grundlegende Unterschiede: Zum einen atomisieren die Cultural Studies nicht die einzelnen Funktionen, da es ihnen um das soziokulturelle Zusammenspiel von Funktionen geht. Zum anderen beruht der Nutzen- und Belohnungsansatz auf einer zirkulären Argumentation, da sich Bedürfnis und Verhalten der Rezipienten gegenseitig voraussetzen. Ursprünglich bestand am Center for Contemporary Cultural Studies in Birmingham das Vorhaben, Morley das Encoding-Decoding-Modell empirisch überprüfen zu lassen. Im Laufe der Forschungsarbeit hat sich Morley (1980) aber von Halls Modell entfernt, um seine eigene Praxis besser reflektieren zu können. Im Kontext des Encoding-Decoding-Modells haben Ang (1986), Gillespie (1995) oder Lull (1990) weitere Aneignungsstudien durchgeführt.
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die Faktoren der Produktion (Codieren) und der Konsumtion (Decodieren) fokussiert, weist die Benennung der vier Kommunikationsfaktoren darauf hin, dass es ihm nicht in erster Linie um einen möglichst hohen Abstraktionsgrad geht. Im Gegenteil, es geht um das Argument, dass die technische Infrastruktur, die Produktionsverhältnisse (Arbeitsroutinen, professionelle Ideologien, institutionelle Strukturen) und die Einschätzung des Publikums auf das Codieren einer Nachricht und ihre Transformation in einen sinntragenden Diskurs einwirken. Der entscheidende Punkt in dem Modell ist nun, dass Codieren und Decodieren als Aktivitäten konzipiert werden, die keine unmittelbare Identität bilden.88 In Anbetracht der Polysemie von konnotativen Zeichen und der Feststellung, dass Kommunikation genauso häufig gelingt wie misslingt, bestimmt Hall drei idealtypische Dekodierungsbzw. Lesarten: Erstens eine bevorzugte oder dominante Lesart, die einer Übernahme der vom Nachrichtenproduzenten beabsichtigten Bedeutung entspricht. In diesem Fall von transparenter Kommunikation ist die Identität von Codieren und Decodieren gegeben und der Rezipient übernimmt den ideologischen Gehalt der Aussage: „Communicators choose to encode messages for ideological purposes and manipulate language and media for those ends (media messages are given a ‚preferred reading‘, or what is now called ‚spin‘.“ (McQuail/Windahl 1993: 146) Allerdings bleibt unklar, ob die Zuschauer die ideologische Botschaft durchschauen und sie trotzdem akzeptieren, oder ob sie sie unreflektiert hinnehmen. Da Hall hier Althusser folgt, kann man davon ausgehen, dass die ideologische Beeinflussung eher unbewusst erfolgt (R. Winter 2001: 136). Zweitens eine ausgehandelte Lesart, bei der grundlegende Bedeutungen übernommen und andere abgelehnt werden. Im Verlauf einer Interaktion der Kommunikationspartner wird die Menge der übereinstimmenden und nicht-übereinstimmenden Elemente ausgehandelt. Dieser Lesart kann als der Normalfall bezeichnet werden, wobei die Spannbreite ausgehandelter Lesarten sehr groß ist. Drittens gibt es die oppositionelle oder widerständige Lesart. Dabei ist es einem Rezipienten „durchaus möglich, sowohl die von einem Diskurs vorgegebene wörtliche als auch konnotative Flexion zu verstehen, die Nachricht aber dennoch in einer von Grund auf völlig gegensätzlichen Weise zu decodieren“ (Hall 1999a: 109). Bei dieser dritten Lesart handelt es sich also nicht um ein Missverständnis, sondern um ein subversives Decodieren, wenn sich Rezipienten in Opposition zu einem Kommunikator befinden.
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Dies ist auch als ein Seitenhieb Halls gegen die literaturwissenschaftliche Rezeptionsästhetik zu verstehen, da einige ihrer Vertreter behaupten, dass die Rezeption vollkommen offen sei und willkürliche Bedeutungszuschreibung zulasse.
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Diese drei Lesarten sollen nun veranschaulicht werden. Dazu kann auf Beispiele von Fiske zurückgegriffen werden, der sich im Rahmen seiner Überlegungen zu Ideologie, Maskulinität und Rasse auf amerikanischen Fernsehserien bezieht: „In Magnum stand beispielsweise T.C., der Fahrer/Pilot und Techniker, für Männlichkeit als körperliche Kraft [...]. Körperkraft mag ja die Basis von Männlichkeit sein, da sie aber beherrscht und gesellschaftlich kontrolliert werden muss, um akzeptabel zu sein, nimmt sie in der Hierarchie der männlichen Eigenschaften nur einen niedrigen Rang ein. Es ist bemerkenswert, dass in einem Heldenteam häufig ein Nicht-Weißer in einer untergeordneten Rolle zu finden ist – von Ahab und Queequeb in Moby Dick über den Lone Ranger und Tonto bis hin zu den Fernseh-Heldenteams in Der Chef, Das A-Team und Magnum. In Starsky & Hutch war Starsky, der dunkelhaarige Jude, der Fahrer; Hutch hingegen, der blonde Arier mit der höheren Bildung, der Anführer. Auch wenn es sich vielleicht bei ihrem vorgesetzten Offizier um einen Schwarzen handelte, war doch, wie so häufig, die Rolle des Vorgesetzten narrativ dem Heldenteam untergeordnet. In Miami Vice war Crockett blond und weiß, während sein Partner Tubbs in seiner Mischung nicht-weißer ‚Rassen‘ einem Schwarzen glich.“ (2001: 32)
Eine bevorzugte Lesart läge bei diesem Beispiel dann vor, wenn Leser die soziale Hierarchie aufgrund rassischer Kriterien in ihr Wertesystem übernähmen bzw. ihr Wertesystem bestätigt sähen. Eine ausgehandelte Lesart besteht dann, wenn die bevorzugte Lesart durch das Publikum transformiert wird: „Wir wissen, dass B.A., der muskulöse schwarze Fahrer und Mechaniker in Das A-Team, bei weißen Jugendlichen besonders populär war. Wahrscheinlich haben sie seine Körperkraft, seine technischen Fertigkeiten und seinen niedrigen Rang im Heldenteam mehr geschätzt als seine ‚Rasse‘ und somit seine untergeordnete Position als Möglichkeit verstanden, um ihre eigene Unterordnung in der Gesellschaft zu artikulieren, nicht aber die Machtlosigkeit von Schwarzen in einer weißen Hegemonie. Schwarze Jugendliche hätten jedoch wahrscheinlich B.A.s Schwarzsein (blackness) wie auch seine Körperkraft und die Goldketten, die er stets trug (in denen Mr. T. Symbole der Versklavung seines Volkes sah), zur Erklärung ihres ständigen Kampfes um die Behauptung und Erweiterung ihrer eigenen Position in der Gesellschaft genutzt.“ (ebd.: 33)
Eine oppositionelle Lesart besteht dagegen dann, wenn sich die Lesarten gegen den Text richten, um die dominante Ideologie zu dekonstruieren. „Genauso gut könnte ein schwarzer Aktivist die untergeordneten Positionen, die T.C., B.A. und Tubbs in der Heldenformation in-
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nehaben, als perfektes Beispiel für eine funktionierende weiße Hegemonie und als Ansporn für weitere oppositionelle Praxis betrachten.“ (ebd.: 34f.) Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass Hall zur Entwicklung des Encoding-Decoding-Modells eine Relektüre von Marx Güterkreislauf (1953 [Original 1857]: 1-31) vornimmt. Er arbeitet dabei heraus, dass nach Marx die Produktion genauso die Konsumtion bestimme wie umgekehrt die Konsumtion die Produktion. Entsprechend wendet sich Hall mit seinem Modell gegen die deterministische Vorstellung, dass der Kommunikationsprozess linear von einem Sender zu einem Rezipienten verlaufe und einen mit einer vorgeformten und feststehenden Bedeutung versehenen Inhalt transportiere. Dagegen konzipiert Hall ein die Aktivität der kommunizierenden Akteure betonendes Modell. Es gesteht dem Kodierer zunächst eine relative Position der Stärke zu, da dieser die Kommunikation lenken und eine Bedeutung der massenmedialen Inhalte vorschlagen kann. Die Nützlichkeit des Modells liegt aber im Fokus auf den Rezipienten und seiner aktiven und unvorhersehbaren Aneignung. Wie die Beispiele von Fiske zeigen, ist die Aneignung ein Produkt aus dem Medieninhalt als offener Text, aus der individuellen Disposition und der sozialen Lage des Rezipienten sowie aus dem Aneignungskontext. Diese Einsichten sind in die Formulierung der Theorie des aktiven Publikums eingeflossen. Obwohl Halls Modell als ein historischer Meilenstein der modelltheoretischen Massenkommunikationsgeschichte gilt, sind verschiedene Aspekte nachhaltig kritisiert worden. Der Autor weist selbst darauf hin, dass das Modell im Hinblick auf ein Symposium am Centre for Mass Communications Research der Universität Leicester entworfen wurden. Entsprechend beansprucht es nicht die theoretische Strenge, innere Logik und konzeptuelle Konsistenz, die für eine tiefgreifende Auseinandersetzung nötig wäre. Trotzdem kann das Modell in einigen Aspekten kritisiert werden. Die Kritikpunkte betreffen die überdeterminierte Totalität des Kommunikationsprozesses und die Überschätzung der Klassenzugehörigkeit bei der Aneignung. Ferner sind auch die Idealtypik, empirische Inadäquatheit, Statik und Willkürlichkeit der Lesartentheorie zu erwähnen, die der Ungewissheit von Kommunikation widersprechen, um eine Redeweise Angs aufzugreifen.89 Schließlich hält Hall inkonsequenterweise auch an der Linearität des Kommunikationsprozesses fest. Zwar privilegiert er das Decodieren der Rezipienten, aber dabei vernachlässigt er, dass auch
89
An dieser Stelle sei nur kurz auf die Ähnlichkeit zwischen Angs Konzept der ‚Ungewissheit ދund den verwandten Konzepten der ‚Unsicherheit ދoder der ‚Unübersichtlichkeit ދbei U. Beck et al. (2004), bei Habermas (1985) oder bei Parsons (1980) verwiesen.
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137
das Codieren der Kommunikatoren eine umkämpfte und variable Aktivität ist.
4.3.2
Mediensystemmodelle
Diese Kritik führt zu einem zweiten Modelltyp über, den Mediensystemmodellen. Dieser Modelltyp berücksichtigt die Kritik an der Linearität des Kommunikationsprozesses, was sowohl Luhmann als auch Ang in ihrer oben referierten Pauschalkritik geflissentlich außer acht gelassen haben (vgl. Kapitel 4.3.1). Die Mediensystemmodelle selektieren die politischen Rahmenbedingungen und ökonomischen Zwänge, unter denen sich Massenkommunikation vollzieht, um die komplexen Prozesse der Produktion, Distribution und Konsumtion von Massenkommunikation herausarbeiten zu können (Pürer 2003: 86f). Eines der bekanntesten und einflussreichsten Modelle dieses Typs stammt von DeFleur.90 In Anlehnung an die Systemtheorie Parsons bettet er im Rahmen seines struktur-funktionalistischen Ansatzes das soziale Subsystem der Massenmedien in die externen sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen der – in seinem Fall amerikanischen – Gesellschaft ein. Seine Ausführungen zeigen „that mass communication and the several media currently operating in the United States constitute a deeply institutionalized system that is tightly integrated with the American society as a whole“ (DeFleur/Ball-Rokeach 1989: xif.). Dabei wird die Perspektive von den Mikroprozessen der massenmedial vermittelten Kommunikation auf eine Makroperspektive des Umfel-des, in dem Massenkommunikation stattfindet, verschoben. De Fleur arbeitet eine ganze Reihe von Subsystemen wie Produktion, Distribution, Regulation (Gesetzgebung, Institutionen), Marketing (Finanzierung, Marktforschung, Werbeagenturen), Konsumtion (Aufmerksam-keit, Entscheidung, Geschmack) und soziokulturelle Rahmenbedingungen heraus, die wechselseitig miteinander verbunden sind. Massenkommunikation wird als Subsystem der Gesamtgesellschaft aufgefasst, wobei der Erhalt dieses Subsystems von den Werbeeinnahmen der Massenmedien abhängt. Die Werbeeinnahmen sind wiederum von den Zuschauerzahlen und die Zuschauerzahlen von den massenmedialen Inhalten abhängig. Wie auch für andere Mediensystemmodelle wie zum Beispiel dasjenige von Hund (1976), gilt dabei in auffälliger Nä-
90
Nachgedruckt in DeFleur/Ball-Rokeach (1989: 134 [1966]).
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Abbildung 6: DeFleur/Ball-Rokeachs Mediensystemmodell (1989)
he zur Gesellschaftstheorie der Frankfurter Schule: je anspruchsloser der Inhalt (Unterhaltungsserien etc.), desto höher die Zuschauerzahlen. Dieses Publikum wird kollektivistisch konzipiert, das heißt das Modell bildet die individuelle Rezeption massenkommunikativer Inhalte aus. Dabei führt die Profitmaximierung kultureller Güter zum Verfall des inhaltlichen Niveaus. Mit anderen Worten, DeFleur schließt an die Position der Kritischen Theorie an, die Marx’ Produktions- und Webers Rationalisierungstheorie miteinander verschmelzen. Auf diese Weise wird die Kulturindustrie als Komplenym der Deliberation in den Mittelpunkt des Modells gestellt. Der Hauptzweck der Massenmedien ist die Profitmaximierung, die durch Werbung erzielt wird. „Entscheidende Vermittlungsinstanz ist die zur ‚Kulturindustrie‘ mutierte Öffentlichkeit.“ (Imhof 2003a: 41) Die Werbung ist aber nicht nur für das Funktionieren der Wirtschaft bzw. die Absatzförderung entscheidend, sondern wirkt auch auf die Massenmedien dahingehend ein, dass sie keine „die Systemstabilität gefährdenden Inhalte“ (Kunczik 1984: 45) transportieren. Fernsehsendungen können nur dann optimal ausgeschöpft werden, wenn die Programminhalte mit den Werbebotschaften verträglich sind. Aus diesem Grund unterstellt DeFleur implizit dem Publikum, eskapistischen Mediengebrauch zu betreiben. Damit degradiert er aber den Rezipienten zu einem idealtypisch eindimensionalen und konformistischen Menschen, der das Opfer der übermächtigen Kulturindustrien ist. Zwar geht DeFleur auf Rückkoppelungen ein und macht „auf die
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mögliche Diskrepanz von gesendeter Botschaft/Information und erhaltener Information/Bedeutung“ (Schenk 2002: 14) aufmerksam, aber sein Modell sieht keinen sozialen Wandel vor. Darüber hinaus unterstellt es in seiner Fixierung auf die These der Kulturindustrie, dass die (journalistischen) Rolleninhaber im Subsystem Produktion vor allem von finanziellen Motiven angetrieben werden. Das „bedeutet einen Rückfall in den Taylorismus“ (Kunczik 1984: 49) und widerspricht der organisationssoziologischen Forschung.
4.3.3
Vermittlungsmodelle
Im Gegensatz zu den Mediensystemmodellen kehrt der dritte und für die zeitgenössische Kommunikationswissenschaft im deutschsprachigen Raum wichtigste Modelltyp wieder zu einer Mikroperspektive und einem höheren Abstraktionsgrad zurück. Im Unterschied zu den linearen Modellen verschieben die hier zur Erörterung anstehenden Vermittlungsmodelle jedoch die Perspektive von der Massenkommunikation als einseitigen auf diejenige als vermittelten Prozess. Kommunikation wird als ein Vorgang der Verständigung und der Bedeutungsvermittlung zwischen Individuen bzw. Massenkommunikation als ein Vermittlungsprozess durch Massenmedien gefasst, um „in komplexen Gesellschaften eine umfassende soziale Kommunikation zu gewährleisten, trotz räumlicher und zeitlicher Distanz der Kommunikationsteilnehmer“ (Schönhagen 2000: 557). Die Vermittlungsmodelle reagieren auf die in Kapitel 2.4.2 formulierte kulturalistische Kritik und lassen den Integrationsgedanken zum Tragen kommen. Die am Massenkommunikationsprozess beteiligten Faktoren werden nicht mehr isoliert, sondern – zumindest teilweise – in einem Zusammenhang gesehen. In diesem Sinne können McQuails Mediationsmodell (1987: 54), Fentons Mediationskonzept (1998) und Wagners Vermittlungsverfassung (1978: 86) als Schritte auf dem Weg zum Circuit of Culture gelten. Noch stärker ist dieser Zusammenhang beim dynamisch-transaktionalen und beim Öffentlichkeitsmodell, die in den folgenden Abschnitten ausführlicher erörtert werden. a) Dynamisch-transaktionale Modell
1982 haben Früh und Schönbach mit dem dynamisch-transaktionalen Ansatz ein elaboriertes Modell entwickelt, das den Massenkommunikationsprozess als Transaktion zwischen den Kommunikationspartnern beschreibt. Massenmediale Wirkungen werden dabei als Folge von Wechselbeziehungen zwischen Medienbotschaften und Rezipientenerwartungen aufgefasst. Das Modell überwindet sowohl die in traditionellen Stimulus-and-Response-Modellen angelegte Kommunika-
140
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
torperspektive als auch die in Aneignungsstudien und im Uses-andGratification-Approach angelegte Rezipientenperspektive. Der dynamisch-transaktionale Ansatz weist darauf hin, dass stets beide Variablen – das Aussageangebot und die Motive der Rezipienten bzw. der Nutzen, den sie aus der Medienzuwendung davontragen – entscheidende Faktoren sind, die den Wirkungsprozess steuern. Der Begriff Transaktion meint dabei ausdrücklich kein einseitig ausgerichtetes Transportieren. Denn gemäß den Autoren sind „Ursache und Wirkung, abhängige und unabhängige Variable in einem oszillatorischen Wechselspiel miteinander verwoben“ (Früh/Schönbach 1982: 78). Dieser genuin kulturalistische Gedanke der Wechselseitigkeit drückt sich auch in der ursprünglichen, später dann aber verworfenen Überlegung aus, an Stelle von Transaktion den Begriff symbolische Interaktion zu wählen. Ausgangspunkt ist die plausible Annahme, dass Kommunikator und Rezipient sowohl als passive wie auch als aktive Teilnehmer gesehen werden müssen. Die aktive Komponente beim Kommunikator besteht darin, dass er die Informationen auswählt und entsprechend den Vorstellungen, die er von seinem Publikum hat, gestaltet. Zugleich ist er aber auch passiv, weil sein Handeln stets von bestimmten medialen, ökonomischen, redaktionellen und sozialen Bedingungen beeinflusst wird. Auch der Rezipient ist insofern passiv als er nur aus den jeweils angebotenen Informationen auswählen kann. Eine weitere Facette seiner Passivität besteht in der Habitualisierung seines Medienverhaltens. Die aktiven Komponenten bestehen vor allem in den Selektionsstrategien und Interpretationsprozessen, die dazu führen, dass der Rezipient verschiedene Informationen zu einem subjektiv sinnvollen Ganzen zusammenführt. Die Krux des Modells besteht darin, dass es nicht bloß zwischen Kommunikator, Medienbotschaften und Rezipienten dynamische (Inter-)Transaktionen gibt, sondern auch innerhalb des Rezipienten. Denn die Aufnahme von Information „ist mit einer gleichzeitigen Erhöhung des Aktivationsniveaus verbunden, die sich insbesondere in einem vermehrten Interesse an dem Thema niederschlägt“ (Früh/ Schönbach 1982: 78). Solche (Intra-)Transaktionen sind kognitive Wechselwirkungen innerhalb eines Rezipienten, die sich zwischen Motiven und Reaktionen abspielen. Diese doppelte Transaktion wird als kontinuierlicher Prozess dargestellt, in dessen Verlauf sich das Wissen und die Aktivation, aber auch die Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten laufend verändern. Beim dynamisch-transaktionalen Ansatz geht es darum, die Dynamik und den zeitlichen Ablauf des Kommunikationsprozesses sowie das Konzept der Aktivität herauszuarbeiten. Der Ansatz ist seit Beginn der 1980er Jahre sukzessive weiter entwickelt worden und hat sich auch in empirischer Hinsicht als sehr produktiv erwiesen. Neuere Stu-
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dien von Früh (2001) über Gewaltpotenziale des Fernsehangebots oder von Früh und Stiehler (2002) über Fernsehen in Ostdeutschland haben das Potenzial des Ansatzes gezeigt. b) Öffentlichkeitsmodelle
Auch Öffentlichkeitsmodelle sind zum Typ der Vermittlungsmodelle zu zählen, auch wenn sie als Sonderfall gelten können. Ihnen liegt ein demokratietheoretisches Konzept zu Grunde. In demokratischen Gesellschaften mit ihren politischen Entscheidungsträgern als idealtypische Repräsentanten der Bevölkerung bildet Öffentlichkeit eine entscheidende Instanz, aus der sich politische Legitimität schöpft. Dementsprechend richtet sich das Augenmerk der politischen Kommunikationswissenschaft auf die (massen-)kommunikativen Herstellungsmechanismen von Öffentlichkeit. Öffentlichkeit kann demnach als ein spezifisches Kommunikationssystem verstanden werden, dessen Funktion „in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht.“ (Gerhards/Neidhardt 1990: 54).
Bei der Öffentlichkeit handelt es sich also um einen Kommunikationsbereich, der allen Bürgern zugänglich ist und in der öffentliche Belange mit Argumenten diskutiert werden. Das Resultat ist eine veröffentlichte Meinung als Grundlage für politische Entscheidungen. Mehrere Forscher haben ihre Überlegungen in einem Modell visualisiert. „Es lassen sich sieben Entwicklungslinien differenzieren, die sich in den aktuellen Theorien der öffentlichen Meinung sowie in system- und/oder diskurstheoretisch konzipierten Öffentlichkeitsmodellen spiegeln.“ (Imhof 2003a: 32) Besonders prominent unter diesen Arbeiten sind Habermas’ Diskursmodell (1981) oder das systemtheoretische Spiegelmodell (Luhmann 1990; Marcinkowski 1993). Dabei ist Öffentlichkeit ein Selbstbeobachtungssystem der Gesellschaft, das auch als intermediäres System zwischen sozialen Systemen fungiert und Transparenz herstellt. In den folgenden Abschnitten beschränkt sich die Forschungsarbeit auf das Pyramidenmodell von Donges und Imhof (2001). Es geht auf das normative Arena-Modell von Gerhards und Neidhardt (1990) zurück und stellt eine gelungene Synthese der bisherigen Überlegungen dar. Das Pyramidenmodell selektiert drei Öffentlichkeitsebenen, die gegeneinander beschränkt durchlässig sind. Aufgrund der Quantität der in einer Ebene stattfindenden Kommunikation ergeben die drei Ebenen die Form einer Pyramide. Die erste
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Abbildung 7: Öffentlichkeitsmodell von Donges und Imhof (2001)
Ebene, die Encounter-Ebene, reicht von spontaner Kommunikation auf der Straße oder am Stammtisch bis zu Kommunikation im Quartier oder am Arbeitsplatz.91 Es handelt sich um die unendliche Zahl von Gesprächen, die tagtäglich rund um die Uhr, überall, spontan, willkürlich und zufällig stattfinden. „Auf dieser Ebene ist Öffentlichkeit ein einfaches Interaktionssystem ohne eine Differenzierung in Leitungs- oder Publikumsrolle, das heißt jeder Teilnehmer einer solchen Form von Öffentlichkeit kann zugleich als Sprecher oder als Publikum auftreten. Die Rolle des Vermittlers ist auf dieser Ebene nicht vorhanden.“ (Donges/Imhof 2001: 106)
Dies ist auch der Grund, weshalb der Kommunikationsfluss fragmentiert ist und keine synergetischen „Effekte der Meinungsbildung auslösen“ (Gerhards/Neidhardt 1990: 64) kann: es fehlt an einer Organisation und Vernetzung der Alltagsgespräche. Ein kleiner Teil der auf der Encounter-Ebene interpersonal verhandelten Themen gelangt auf die zweite Ebene der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit. Hier schließen sich etablierte (Behörden, Parteien, Regierung, Verbände) und nicht-etablierte Akteuren (Nichtregierungsorganisationen, Protestgruppen, soziale Bewegungen, Zivilgesellschaft) zur Auseinandersetzung oder Diskussion zusammen. Als Selektionsmechanismen greifen Meinungsführerschaft oder Öffentlichkeitsarbeit. Die Kommunikation auf Podien oder Demonstrationen 91
Der Begriff encounter geht in der hier verwendeten Konnotation auf Goffman (1973) zurück. Luhmann (1986) spricht auch von Kommunikation au trottoir.
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tendiert häufig zu einer Elite- und Expertenkommunikation, das heißt „Sprecher, Vermittler und Publikum wechseln seltener die Rollen“ (Donges/Imhof 2001: 107). Wiederum nur ein kleiner Teil der hier verhandelten Themen gelangt auf die dritte Ebene der Medienöffentlichkeit. Die Selektion wird von Gatekeepern übernommen, die nach professionellen Kriterien wie den Nachrichtenfaktoren auswählen. Aufgrund ihrer Wirkungsmächtigkeit versuchen die Massenmedien, bei einem dispersen wie dauerhaft vorhandenen Publikum die verschiedenen etablierten und nicht-etablierten Akteure mittels Agenda-Setting oder PR auf die Bereitstellung und Herstellung von Themen durch das journalistische Subsystem einzuwirken. Obwohl ihre Partizipationschancen insgesamt beschränkt sind, kommt den zivilgesellschaftlichen Kreisen unterdessen eine erhöhte Definitionsmacht zu.92 Das Pyramidenmodell fasst Öffentlichkeit als Aggregatsprodukt. Die Stärken dieser Konzeption liegen in der funktionalen Differenzierung von Öffentlichkeit in demokratischen Gesellschaften. Es verdeutlicht den Zusammenhang von interpersonaler, Versammlungs- und medienvermittelter Kommunikation und unterscheidet zwischen Akteuren und Rollen. Die Öffentlichkeitsakteure nehmen verschiedene Rollen an: Sie können als Sprecher auftreten, als vermittelnde Journalisten wirken oder auch als Publikumsmitglieder zu den Zuhörern zählen. „Das Publikum hingegen bleibt immer Publikum, da es als Kollektiv nicht strategisch handlungsfähig ist. Öffentlichkeit erweist sich dann als ein sozialer Raum, in dem sich Akteure in spezifischen Rollen bewegen können.“ (Donges/Imhof 2001: 108f.) Weitere Vorteile dieses Modells bestehen darin, dass sich darin eine Vielzahl von kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen integrieren lassen (Agenda-Setting, PR-Theorien etc.) und dass sich das Modell in der Anwendung bewährt hat. Als Beispiele lassen sich empirische Studien zum öffentlichen Diskurs des Schwangerschaftsabbruchs anführen.93
92
93
Davon zeugt der Weltgipfel über die Informationsgesellschaft vom 10. bis 12. Dezember 2003. Die Grundsatzerklärung und die Absichtserklärung wurden nicht wie bisher bei UNO-Gipfeln üblich bloß von Vertretern aus Staat, internationalen Organisationen und Wirtschaft verabschiedet, sondern mit zivilgesellschaftlichen Vertretern ausgehandelt. Trotzdem blieb auch in Genf der Grundsatz bestehen, dass die nicht-etablierten Akteure nicht „an den Verfahren der Machtallokation innerhalb des politischen Systems“ (Imhof 2003a: 51) beteiligt waren, da es sich um eine juristisch unverbindliche Grundsatzerklärung handelte. Siehe: Franz (2000) und Gerhards et al. (1998).
144
4.3.4
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Kreislaufmodelle
Dass es von den Vermittlungs- zu den Kreislaufmodellen nur ein kleiner Schritt ist, verdeutlicht das soeben erörterte Pyramidenmodell. Da seine drei Ebenen gegenseitig durchlässig sind, entstehen öffentliche Meinungen „im Kreislauf über alle Ebenen hinweg“ (Gerhards/Neidhard 1990: 66). Historisch gesehen, handelt es sich bei den ersten Kreislaufmodellen um pragmatische Modelle zur interpersonalen Kommunikation (Funktionskreis, Interaktionsmodell der Schule von Palo Alto). Der Grundgedanke, Kommunikation als Kreislauf zu konzipieren, ist in der Folge auch auf Massenkommunikationsmodelle übertragen worden.94 a) Der pragmatische Funktionskreis
Nicht nur die pragmatische Mediensoziologie (vgl. Kapitel 2.4.1), sondern auch der philosophische Pragmatismus ist für gewisse Fragen der Kommunikation von Wichtigkeit. Insbesondere James und Dewey haben einige Aspekte vorgedacht, die für den Circuit of Culture von entscheidender Bedeutung werden sollten. So schreibt James, dass die Dinge „miteinander in vielen Weisen verknüpft“ (1994 [1909]: 208) seien. Auf diesen Interrelationismus kommt Dewey (1954) im Rahmen seiner Kritik an den Stimulus-Response-Theorien des Behaviorismus zurück. Denn für ihn handelt es sich bei psychologischen Prozessen nicht um linear-kausale Abläufe, sondern um Funktionskreise oder circuits: „Reize und Reaktionen sind, so Dewey, in einem wechselseitigen Resituierungs-, Durchdringungs- und Interpretationsprozess funktionell-pragmatisch (Peirce würde sagen: semiotisch) miteinander verknüpft“ (Nagl 1998: 118). b) Das zirkuläre Interaktionsmodell der Schule von Palo Alto
Dieses im Pragmatismus vorgedachte holistische Denken in Kreisen wird schließlich von der Schule von Palo Alto vorangetrieben. Bei dieser Schule handelt es sich um eine Gruppe von Forschern, deren theoretischer Kopf der Kulturanthropologe Bateson war. Im Anschluss an seine Feldforschung in Neuguinea publizierte er das Buch „Naven“ (1936): „Trotz des wirtschaftlichen Misserfolges der ersten Auflage war Naven ein Ereignis, ein Umbruch in den Sozialwissenschaften. Als guter Ethnologe
94
Ausgespart bleiben hier die Kreislaufmodelle von Dance (1967) und Rogers/Kincaid (1981), deren Erörterung nicht für das Verständnis des Circuit of Culture nötig sind.
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analysiert Bateson zwar das alltägliche Leben der untersuchten Stämme, aber damit endet auch schon die Ähnlichkeit des Buches mit den traditionellen Werken angelsächsischer Anthropologen. Jenseits der erforschten Kultur interessiert sich der Autor für eine schlüssige transkulturelle Theorie, deren Begriffe auch auf andere Gesellschaften anwendbar sein sollen. analysiert ‚Naven‘ also die Beziehungen zwischen den Einzelnen und der Gesellschaft. Dabei entschied sich Bateson für interdisziplinäre Forschung, stützte seine Studie nicht nur auf Resultate der Anthropologie, sondern bezog Sozialpsychologie, Psychiatrie und Politikwissenschaft mit ein.“ (Marc/Picard 1991: 12)
Die Interessenverschiebung von der Kulturanthropologie zur Kommunikationswissenschaft bzw. die Entwicklung einer eigenen Spielart der Kybernetik setzte ab 1945 durch die Auseinandersetzung mit dem Regelkreismodell des Shannon-Lehrers Norbert Wiener ein. Denn Bateson erkannte, dass man Wieners Kybernetik und vor allem den Begriff des Feedbacks „auf die Sozialwissenschaften und besonders auf die Erforschung der (menschlichen und tierischen) Kommunikation“ (ebd.: 14) übertragen kann. Ab Anfang der 1950er Jahre arbeitete Bateson gemeinsam mit Wissenschaftlern wie Haley oder Jackson in Palo Alto an diesem Programm. Sie wurde durch eine parallele Gruppe ergänzt, die sich ab 1958 auf die praktische Anwendung der kybernetischen Einsichten auf die psychiatrische Therapie konzentrierte und bei der auch Watzlawick mitarbeitete. Wie weiter oben Dewey oder Hall wendet sich Bateson gegen eine lineare Prozesshaftigkeit des Handelns, sondern tritt für eine zirkuläre Auffassung ein, „bei der alle Verhaltensweisen in ein komplexes Spiel von Implikationen, Wirkungen und Rückkopplungen eingebunden sind“ (ebd.: 36). Hinsichtlich der interpersonalen Kommunikation sind also nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen zu analysieren, sondern auch der Kommunikationskontext zu berücksichtigen. Denn der Sinn von Mitteilungen ergibt sich nur aus dem Kontext, der hierarchisch abgestuft ist (Bateson 1981: 321-332). Entsprechend besitzt nach der Schule von Palo Alto jedes bewusste und unbewusste Verhalten einen Kommunikationswert, der auf andere Botschaften reagiert und wieder neue Botschaften auslöst. Eine Mitteilung enthält also nicht nur eine Information über etwas, sondern sie sagt auch etwas über die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern aus. Die Beziehung ist jeweils durch die Identität und Perspektive der Beteiligten geprägt, die zu Konflikten oder Missverständnissen führen können. Während es der Gruppe um Watzlawick vor allem um eine Pathologie bzw. eine „Pragmatik der menschlichen Kommunikation“ (Watzlawick et al. 1974: 13) ging, arbeitete Bateson
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in späteren Jahren an einer kybernetischen Anthropologie, die der in Kapitel 3.5 erwähnten Framingtheorie wichtige Anstöße verlieh.95 c) Massenkommunikationsmodelle
Flusser führt im Rahmen seiner Typologie der Kommunikation Kreisdialoge mit der „Struktur der runden Tische“ (1998: 29) auf. Analog der Schule von Palo Alto treffen sie aber nur auf interpersonale bzw. kollektive Kommunikation zu. Die Tatsache, dass Flusser Massenkommunikation als Theater- und Amphitheaterdiskurs erfasst, scheint die Auffassung zu stützen, dass die Konzeption von Massenkommunikation als Kreislauf dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Schließlich ist es den Kommunikatoren wie Journalisten vorbehalten, Aussagen mit ihrem Massenmedium zu verbreiten und Bedeutungen vorzuschlagen. Nichtsdestotrotz gibt es gute Gründe dafür, den common sense in Frage zu stellen und auch Massenkommunikation als Kreislauf zu betrachten. So weisen die Autoren des Pyramidenmodells darauf hin, dass öffentliche Meinungen im Kreislauf über alle Ebenen hinweg entstehen. Dem Kreislaufaspekt ist in der Rezeption des Öffentlichkeitsmodells bisher kaum Aufmerksamkeit zugekommen. Zwar gesteht das Modell in Anlehnung an die Prozessmodelle den Akteuren eine höhere Flexibilität und Macht zu als dem statischen Publikum, aber die Zirkulation von Kommunikationsinhalten wird doch nicht einseitig aufgefasst. Die öffentlichen Meinungen werden auf allen drei Ebenen gebildet und wirken auf die Meinungsbildung der anderen Ebenen zurück.96 Als Beispiel kann eine von einer Gewerkschaft organisierte Demonstration gelten, von der am Abend in den Nachrichtensendungen des Fernsehens berichtet wird. Dies wiederum veranlasst einige Zuschauer, im Familienkreis über die von den Gewerkschaftsführern aufgestellten Forderungen zu diskutieren. Die Idee eines kreislaufartigen Verlaufes von Massenkommunikation ist nicht neu. Bereits Braddock bemerkte bei der Beschäftigung
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In dessen Zentrum steht ein Holismus, der ansatzweise esoterische Züge aufweist. So schreibt seine Tochter in der Einleitung eines posthum erschienenen Werkes: „Er war sich allmählich darüber klar geworden, dass die Einheit der Natur […] wohl nur durch Metaphern, wie sie uns aus der Religion bekannt sind, zu begreifen wäre, ja, dass er sich auf jene integrative Erfahrungsdimension zubewegte, die er das Heilige nannte.“ (Bateson/Bateson 1993: 12) Auch der Systemtheoretiker Görke konzipiert sein Funktionssystem Öffentlichkeit mit mehreren Kreisläufen, da die funktionale Differenzierung Interdependenzen und damit die Integration des Gesamtsystems steigert (2005: 58ff.).
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Abbildung 8: DeFleurs Kreislaufvariante des Shannon-Modells (1966)
mit der Lasswellformel, dass die Aspekte des Kommunikationsprozess „are to a large extent interrelated“ (1958: 88). Es ist De Fleur, dem 1966 das Kunststück gelingt, die Mutter aller Transmissionsmodelle, das Shannon-Weaver-Modell, in eine Kreislaufform zu überführen.97 Dazu verdoppelt er den Kommunikationsprozess, verbindet die verschiedenen Aspekte über den Störeffekt untereinander und ergänzt sie um den Faktor Feedback. Gegenüber dem Original büßt die Kreislaufversion an Abstraktion ein, aber dadurch gelingt De Fleur der Nachweis, dass Kommunikation nicht bloß das En- und Decodieren einer Botschaft meint, sondern auch Feedback und einen möglichen Rollentausch der Kommunikationspartner miteinschliesst. Auch Schramm kritisiert die Prozessmodelle und legt eine zirkuläre Form des Kommunikationsaustausches nahe: „In fact, it is misleading to think of the communication process as starting somewhere and ending somewhere. It is really endless. We are little switchboard centers handling and rerouting the great endless current of communication. We can accurately think of communication as passing through us – changed, to be sure, by our interpretations, our habits, our abilities and capabilities, but the input still being reflected in the output.“ (1965: 8)
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In späteren Auflagen von DeFleurs Werk ”Theories of Mass Communication“ (1989) ist dieses Modell nicht mehr aufgeführt.
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Abbildung 9: Schramms Kreislaufmodell (1965)
Die Gesprächspartner wechseln also nicht nur ständig die Rollen, sondern auch was und wie etwas gesagt wird, hängt unmittelbar vom Gegenüber ab. Von dieser Einsicht ausgehend elaboriert Schramm das Kommunikations- zu einem Massenkommunikationsmodell. Er legt Wert darauf, dass der Prozess der Massenkommunikation gleich abläuft wie derjenige von interpersonaler Kommunikation, obwohl die Elemente verschieden sind. An die Stelle eines individuellen Kommunikators tritt nun „a commu-nication organization or an institutinalized person. […]. It operates as decoder, interpreter, and encoder“ (ebd.: 18). Dieser vermittelt seine Inhalte über Massenmedien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen. Der Rezipient entschlüsselt die Aussagen und gibt sein Feedback in Form von Gesten, Reaktionen auf Interaktionsangebote, Gesprächen mit Ko-Rezipienten und in seltenen Fällen von Leserbriefen etc. Das Massenkommunikationspublikum wird dabei als heterogen aufgefasst. Schramm weist auf Halls Encoding-DecodingModell voraus, indem er die Medienaneignung oder Massenpublika als vielfältig und vorab unbestimmbar auffasst: „We can’t predict the effect on the mass audience. The first thing which becomes obvious, therefore, is that in-asmuch as there are many different combinations of personality, situation, and group in any mass audience, there are likely to be many different kinds of effects.“ (ebd.: 21) Das Publikum erscheint nicht als bloße Masse, sondern ist vor allem aus Individuen zusammensetzt, die wiederum mit Gruppen verbunden sind.98 Gegen diese zirkuläre Konzeption lässt sich allerdings einwenden, dass sie in dem Sinne irreführend ist als dass die Massenkommunikation nicht 98
„Angedeutet ist so auch das 2-Stufen-Fluß-Modell der Massenkommunikation.“ (Bonfadelli 2001: 36).
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genau zu demjenigen Punkt zurückkehrt, von woher sie ursprünglich ihren Ausgang genommen hatte. Ein weiteres zirkuläres Modell stammt vom französischen Mediensoziologen Rieffel. Er sieht sein Modell als eine abstrakte Synthese, die sich aus den aktuellen Entwicklungen der Massenmedien ergeben: „Les études récentes sur la réception des feuilletons télévisés ou des reality-shows [...] démontrent toutes qu’il y a bien une interaction constante entre le texte (un article de journal, une émission de télévision ou de radio)qui est encodé d’une certaine manière et le lecteur (lecteur d’un journal, au-diteur, téléspectateur) qui le décode selon des modalités qui varient en fon-ction de la culture, des valeurs et de la situation de chacun.“ (1995: 20)
Rieffel visualisiert den Prozess der Massenkommunikation als einen abstrakten Kreislauf zwischen einem Sender und einem Empfänger, wobei der Empfänger selbst wiederum zum Sender wird. Allerdings benützt er für sein Feedback nicht unbedingt denselben Kanal. Im Gegensatz zum Modell von Schramm stellt Rieffel also Massenmedien und Publikum graphisch auf eine Stufe. Die ständigen Rollenwechsel zeugen davon „que la communication est toujours un processus de construction, d’invention ou d’auto-organisation [...] qui s’insère dans un contexte culturel donné“ (ebd.). Um diesen kulturellen Kontext geht es auch Moles, der ein aus kybernetischen und strukturalistischen Elementen bestehendes Mediensystemmodell entworfen hat. Der französische Forscher interessiert sich für die Dynamik, mit der sich Gesellschaft konstituiert, und für die Rolle, welche die Medien in diesem Prozess spielen. Dieser Kreislauf besteht aus verschiedenen Elementen, die an der soziokulturellen Bedeutungsproduktion und -zirkulation beteiligt sind. Er nimmt seinen Ausgang bei als créateurs bezeichneten Herstellern (Journalisten, PR-Agenten, Künstler, Wissenschaftler), die neue Ideen, Inhalte, Erfindungen etc. in die Gesellschaft einbringen. Diese Inputs werden zunächst von einer Gruppe von Meinungsführern evaluiert und allenfalls an die Massenmedien weitergeleitet. Diese selektionieren aus dem Informationsangebot und präsentieren die getroffene Auswahl nach ihren Nachrichtenwerten: „Les mass médias sont le fondement d’une culture ‚mosaïque‘ constituée d’un flux granulaire plus ou moins aggloméré et aléatoire. Ils régissent notre culture en filtrant et en prélevant certains de ces éléments pour leur donner de l’importance. Ainsi, certaines idées sont valorisée alors que d’autres sont par le fait même dévaluées; dès lors, le champ culturel est polarisé. Le choix des mass médias est fait par des practiciens et des spé-
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cialistes selon les tables de valeurs qui leur sont propres. Globalement, ces practiciens et spécialistes des mass media jouent un rôle réduit quant à l’intelligibilité, l’intêret et la valeur prospective des éléments et des idées qu’ils font circuler.“ (Willet 1992: 373)
Auf diese Weise gelangen die Inhalte zu dem als Makromilieu bezeichneten Publikum, das durch sein Feedback und sein Handeln wieder auf den gesamten Prozess zurückwirkt. Das Modell von Moles zeigt, dass der Mensch in einen intellektuellen Kontext eingebettet ist, an dem mehrere Gruppen und Institutionen beteiligt sind. Allerdings ist ihm ein weitgehend mechanistische Konzeption zu eigen, da das Gesellschaftssystem als geschlossen präsentiert wird. Außerdem bleiben verschiedene Rollen schwer operationalisierbar. Obwohl kein manifester Zusammenhang zwischen Moles und Johnsons Kreislaufmodellen vorliegen, sind gewisse Ähnlichkeiten augenfällig. Auch Johnson geht es um den Konnex von Kultur und Medien. Unter Bezugnahme auf Ricoeurs hermeneutisches Mimesismodell (1988: 87-135) lässt es sich als eine Synthese aus Kreislaufund Mediensystemmodell auffassen. Wie später zu zeigen sein wird, unterscheidet es sich zwar in einigen Punkten vom Circuit of Culture, doch ist ihnen die Makroperspektive auf kulturelle Prozesse gemeinsam. Im Anschluss an Thompson begreift Johnson Kultur als „Beziehungen zwischen einzelnen Elementen innerhalb einer gesamten Konfliktart“ (1999: 91). Dieser holistische Kulturbegriff erfasst somit Abbildung 10: Johnsons kultureller Kreislauf (1999: 148)
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unterschiedliche Handlungstypen wie ökonomische oder kommunikative als Alltagspraktiken. Im Mittelpunkt des Modells steht ein Kreislauf aus vier Elementen. Sie müssen von einer umfassenden Kultur- bzw. Kommunikationsanalyse einbezogen werden. Johnson unterscheidet Produktion (produktionstheoretische Forschung), Texte (texttheoretische Analyse), Interpretation und kulturelle Lebensweisen (ethnographische Forschung). Dieses vierte Element meint die gesellschaftlichen Bedingungen, von denen die Konsumtion abhängt. „Dazu gehört eine asymmetrische Verteilung von Macht und Ressourcen auf materieller wie kultureller Ebene ebenso wie die schon existierenden Ensembles von Kulturelementen, die innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Milieus“ (1999 [1986]: 149) aktiv sind. Das Modell berücksichtigt also die Einsicht, dass sich von der Produktion nicht auf den Inhalt und vom Inhalt nicht auf die Rezeption schließen lässt. Die Linearität ist durch den Kreislauf aufgehoben, da die „Diskurs- und Bedeutungsreservoirs ihrerseits das Rohmaterial für die neue kulturelle Produktion“ (ebd.) bilden. Damit gelingt es dem Modell, die verschiedenen Elemente zu vereinen und in ihrer Gegenläufigkeit in einem Kreislaufprozess aufzuheben. Trotzdem kommt dem Produktionsfaktor eine privilegierte Stellung zu, da der Kreislauf an dieser Stelle zu beginnen scheint. Dies wird durch die Ziffer eins repräsentiert. Das Modell wird durch die spezifisch kulturellen Produktions- und Konsumtionsbedingungen ergänzt, die an den entsprechenden Stellen des Kreislaufs greifen. Hierbei handelt es sich um die Formen von Öffentlichkeit/Privatheit sowie Abstraktheit/Konkretheit, die in unterschiedlichen Konstellationen und Spielarten auftreten. Erst in der Veröffentlichung eines Kulturproduktes (zum Beispiel einer Fernsehserie) wird es öffentlich diskursfähig. Gleichzeitig wird es im privaten Rahmen interpretierbar, was unabhängig von den konkreten Produktionsbedingungen geschieht. Der Zugang zur Öffentlichkeit ist für verschiedene Akteure unterschiedlich. Viele im Privaten oder in Teilöffentlichkeiten verhandelte Themen gelangen nicht an die Öffentlichkeit, sondern bleiben auf der Encounter-Ebene. Dabei kann es vorkommen, dass diese Diskurse „aktiv in dieser Sphäre festgehalten“ (ebd.: 157) werden, da sie für manche nicht-etablierte Akteure auf diese Weise wirkungsmächtiger sind. Wie Hall orientiert sich Johnson an Marx’ Güterkreislauf. Im Unterschied dazu geht es allerdings nicht um die kollektiven, sondern um die subjektiven Formen, „mittels derer die Menschen leben, Bewusstsein erlangen, ihr Leben im subjektiven Sinne meistern“ (1999: 146). Johnson hatte sein Modell ausdrücklich als vorläufig und unvollständig betitelt. Fast 20 Jahre später kommt der Autor gemeinsam mit einigen Koautoren auf den kulturellen Kreislauf zurück. Diesmal geht es ihm allerdings um die Erweiterung des Kulturmodells zu einem
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Forschungsmodell. Die kulturellen Prozesse werden disziplinär verortet: „We believe that cultural processes exert pressures on the ways in which they can be represented or researched, so that the diversity of methods is also produced by the forms and complexity of cultural circuits.“ (Johnson et al. 2004: 40) Um diesen Gedanken, ein Medienkulturmodell zu einem operationalisierbaren Ansatz auszubauen, wird es in Kapitel 5 wieder gehen.
4.4 CIRCUIT
OF
CULTURE
Das Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine umfassende Geschichte der modelltheoretischen Ansätze zu Massenkommunikation und Öffentlichkeit zu schreiben. Die Auswahl an Modelltypen und Modellen wurde danach getroffen, ob sie einen Beitrag an das Verständnis des Circuit of Culture leisten.
4.4.1
Entstehungsgeschichte
Das vorhergehende Kapitel hat argumentiert, dass sich Modelle mittels der Kriterien der Abstraktion und der Funktionalität analysieren lassen. Unter Anwendung dieser Kriterien hat der Überblick gezeigt, dass die Idee eines kommunikativen Kreislaufs bis in die 1940er Jahre und diejenige eines massenkommunikativen Kreislaufs bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Die Kritik an der Linearität von Prozessmodellen wurde dabei nicht bloß von kulturalistischer Seite formuliert, sondern auch Kommunikationswissenschaftler wie DeFleur oder Schramm haben Kreislaufmodelle vorgeschlagen. Das bereits von ihnen erkannte Problem ist allerdings bestehen geblieben: Wie lässt sich die Einheit der Medienkommunikation angesichts ihrer Komplexität in Zeiten der Globalisierung adäquat in einem Modell beschreiben? Zur Beantwortung dieser Frage bietet der Circuit of Culture eine interessante Option. Diese Option ist bereits in Halls Encoding-DecodingModell implizit enthalten. Aus Marx’ Aussage, dass die Produktion genauso die Konsumtion bestimme wie umgekehrt die Konsumption die Produktion, schließt Hall, dass Kommunikation kein Ursprungsmoment habe. Dieser implizit vorhandene Gedanken, wird von einem Autorenkollektiv um Hall knapp 20 Jahre später herausgegriffen. Es wird postuliert, dass Kommunikatoren und Rezipienten wechselseitig auf Kommunikationsinhalte Bezug nehmen, um Bedeutung erzeugen zu können. Da jede Äußerung bereits auf vorhergehende Bedeutungen Bezug nimmt, kann man schlechterdings nicht von einem eigentlich Beginn der Kommunikation sprechen. Entsprechend wird das Modell nicht als Halbkreis, sondern als ein geschlossener Kreis gezeichnet.
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Diese Form wird auch der Tatsache gerecht, dass das Codieren bzw. die Produktion von Medienkommunikation umkämpft und variabel ist. Allerdings beschränkt sich der Gegenstand des neuen Modells nicht mehr auf Medienkommunikation allein, sondern wird auf Kultur im Allgemeinen ausgeweitet. Um dies zu erreichen, weist das Modell einen sehr hohen Abstraktionsgrad auf.
4.4.2
Grundgedanken und Grundbegriffe
Beim Circuit of Culture handelt es sich um ein holistisches Modell, das im Mittelpunkt einer Buchreihe steht, die auf einen Kurs der Open University zurückgeht. Das Modell besteht aus fünf wechselseitig miteinander verbundenen Faktoren: Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation. Die fünf Faktoren haben zwar eine relative Autonomie und lassen sich zu heuristischen Zwecken trennen, aber der entscheidende Punkt bei dem Modell ist es, dass keinem von ihnen eine Priorität eingeräumt wird. Der Kreislauf hat keinen eigentlichen Anfang und kein eigentliches Ende, sondern die Faktoren sind unauflösbar miteinander vernetzt. Diese Faktoren „continually overlap and intertwine in complex and contingent ways“ (du Gay et al. 1997: 4). Damit wird Kultur als temporal und prozessual konzipiert. Ein wichtiger Punkt des Modells ist sein Anspruch, sämtliche kulturelle Artefakte und Diskurse zu erfassen. Architektur, Charakter- und Verhaltenszuschreibungen von sozialen Randgruppen, Fotografie, Geschichtsschreibung, Gottesdienst, interpersonale und massenmedial Abbildung 11: Der Circuit of Culture (du Gay et al. 1997)
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vermittelte Kommunikation, Kreolisierung, Mode, Museen, Musik, Städtebau oder Wahlkampf werden als jeweils spezifische Konfiguration der fünf Faktoren gefasst: „By the term ‚articulation‘ we are referring to the process of connecting disparate elements together to form a temporary unity.“ (ebd.: 3) Für den Zusammenhang dieser Arbeit ist es wichtig, dass Kommunikation und Medien gleichberechtigt wie andere kulturelle Phänomene behandelt werden. Bevor die theoretischen Implikationen des Modells weiter diskutiert werden, sollen die einzelnen Faktoren zunächst einzeln erörtert und anhand eines Anwendungsbeispiels veranschaulicht werden. a) Produktion
Unter Produktion werden ökonomische Prozesse und Praktiken „in all their plurality, whether we refer to management techniques for reorganizing the conduct of business, contemporary strategies for advertising goods and services, or everyday interactions between service employees and their customers“ (du Gay 1997: 4) verstanden. Sie entstehen unter bestimmten Bedingungen und werden mit bestimmten Wirkungsabsichten entwickelt. „Meaning is produced at economic sites (at work, in shops) and circulated through economic processes and practices (through economists’ models of how economies or organizations work, through adverts, marketing materials and the very design of products).“ (ebd.) Die postfordistische Kulturindustrie spielt dabei nicht nur für die Gesamtwirtschaft eine wichtige Rolle (man denke beispielsweise an die Anzahl der Arbeitsplätze in den multinationalen Unternehmen der Massenmedien), sondern auch für die Ästhetisierung, die den Kulturprodukten eingeschrieben ist. Die an der Produktion beteiligten Menschen (Ingenieure, Journalisten, Unternehmer, Techniker etc.) können ihre Produkte mit bestimmten Bedeutungen aufladen und bestimmte Verwendungsweisen vorschlagen. Um aber zahlungskräftige Kunden ansprechen zu können, müssen die Produkte ein vermittelbares Identitätspotenzial aufweisen. Mit dieser weiten Definition deuten die Cultural Studies Vertreter an, dass sie die Behandlung von ökonomischen Fragestellungen nicht von Seiten einer marxistischen Kritik der Klassengesellschaft aus angehen, sondern von Seiten der kulturellen Folgen: „Das heißt, ökonomische Prozesse wurden und werden als kulturelle Phänomene mit gesellschaftlichen und institutionellen bzw. Macht betreffenden Konsequenzen angesehen und vorwiegend von textueller Seite aus erschlossen und behandelt.“ (Göttlich 2003: 48)
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b) Repräsentation
Dies kann nur mittels einer bestimmten Repräsentation geschehen. Es handelt sich um Zeichensysteme (Gesten, Ikonen, Kleidung, Mimik, Noten, Sprache, Werbung), die den Mitgliedern einer Gemeinschaft erlauben, sich zu verständigen: „They are vehicles or media which carry meaning because they operate as symbols, which stand for or represent (i.e. symbolize) the meanings we wish to communicate.“ (Hall 1997a: 5) Im Sinne des oben angesprochenen Konstruktivismus sind es die Zeichenbenutzer, die gewissen Zeichen eine Bedeutung verleihen und auf diese Weise kommunizieren. Repräsentation ist die Bedeutungsproduktion durch Zeichenverwendung. Da Repräsentationen nicht als Statthalter für ein Objekt der ‚realen‘ Welt, sondern als kulturelle und soziale Konstruktion konzipiert werden, sind sie auf intrinsische Weise mit Fragen der Macht verbunden. Die Macht der Repräsentation liegt darin, bestimmte Lesarten zu erlauben und andere auszuschließen. Diese Politik der Repräsentation hat weitreichende Konsequenzen für das soziale Verhalten von Menschen. c) Identität
Im Rahmen des antiessenzialistischen Kulturkonzeptes ist der Repräsentation immer ein Identitätsmoment inhärent. „Social and symbolic systems reduce classificatory structures which impose meaning and order on social life and enfold the fundamental distinctions.“ (Woodward 1997: 47) Zu diesen Unterscheidungen gehören unter anderem Ethnie, Geschlecht, Nationalität, Religion, soziale Schicht, Sexualität, wobei die Identitätskonstruktion über die diskursive oder performative Markierung von Differenz bzw. über Positionierung geschieht: „Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung.“ (Hall 1994: 30) Identitäten stehen nicht von vorneherein fest, sondern sie werden ausgehandelt und können sich auf flexible Weise ändern. Sie sind bestimmten Alltagspraktiken eingeschrieben bzw. zeigen sich in ihnen. Man denke an manche Leser der Financial Times, deren öffentlich zur Schau gestellte Zeitung ihre Identität als Geschäftsleute untermauert und andere Statussymbole begleitet (Anzug, Laptop etc.). d) Konsumtion
Zu den Praktiken gehört auch die Konsumtion. Wie die Produktion verläuft auch sie nicht kontextunabhängig, sondern ist mit den übrigen Faktoren vernetzt. Die Konsumtion wird gemäß der Theorie des aktiven Publikums als eine kreative Tätigkeit aufgefasst, die pluralistisch,
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
das heißt bei verschiedenen Menschen höchst uneinheitlich verlaufen kann: „Consumption (and its focus, the home) is seen increasingly as an activity with its own practices, tempo, significance and determination.“ (Mackay 1997: 3f) Ohne a priori einen kritischen, lustvollen oder subversiven Gebrauch von Kulturprodukten machen zu müssen, handelt es sich bei Aneignungs- und Verwendungsprozessen um eine Art Bricolage. Die Rezipienten „appropriated, reaccented, rearticulated or transcoded the material of mass culture to their own ends“ (ebd.: 6). Den Produkten ist ein Bedeutungsangebot eingeschrieben, das die Konsumenten annehmen können, aber nicht müssen. So ist die Rezeption von vielen Aussagen oder der Umgang mit vielen Produkten nicht von Seiten der Produzenten steuer- oder vorhersehbar. Derweil kann die Rezeption sowohl mental als auch affektiv, emotional und physiologisch wirken und zu bestimmten Handlungen führen (zum Beispiel den Beginn einer Diskussion). Die Art der Wirkungen ist allerdings immer vom Aneignungskontext abhängig (am Arbeitsplatz, zu Hause, in der Öffentlichkeit). So werden die physiologischen Reaktionen unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob Mel Gibsons Spielfilm „The Passion of The Christ“ im Kino oder auf DVD zu Hause gesehen wird. Und das Urteil über den Film wird wiederum von der eigenen religiösen Identität und der Einstellung gegenüber Gewalt abhängen. e) Regulation
Die Konsumtion ist dabei nicht zuletzt von einer Reihe von Regulationsmechanismen abhängig. Das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass jede Gesellschaft soziale Normen und Werte besitzt, die zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Sie sind teilweise historisch überliefert und passen sich den zeitgenössischen Entwicklungen an. Diese Regeln können moralischer Natur sein, teilweise werden sie aber auch im Gesetz festgeschrieben und ihre Einhaltung von bestimmten Behörden überwacht. Dies gilt insbesondere auch für demokratische, multikulturelle und pluralistische Gesellschaften, in denen die Deliberation und die Deregulation eine wichtige Rolle spielen. Den juristischen und sozialen Vorschriften kommt es also zu, Verhaltenspraktiken zu organisieren und zu regulieren. „They help to set the rules, norms and conventions by which social life is ordered and governed.“ (Thompson 1997: 1) In diesem Sinne können sie kulturellen und sozialen Wandel ansatzweise kanalisieren. Das gilt für die zeitliche Programmation von Spielfilmen pornographischen Inhalts, für die Entscheidung, welche privaten Lokalradiostationen aus dem öffentlichen Gebührentopf erhalten, bis zur Frage, ob ein Ehepartner während des gemeinsamen Frühstücks die Sonntagszeitung lesen darf. Die Regulationsmechanismen sind einem ständigen Wandel unterworfen und
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werden laufend ausgehandelt. Dies ist auch der Grund, weshalb sich Komitees, Nichtregierungsorganisationen, Pressure Groups oder Vereine bilden und Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben versuchen. Eine Möglichkeit, mit solchen Konflikten umzugehen, besteht in der Autoregulation. Gerade im Bereich der Massenmedien hat die Deregulation der 1990er Jahre zu einem erhöhten Bedarf von Autoregulation geführt. f) Anwendungsbeispiel: Der Sony-Walkman
In einer exemplarischen Studie über den Sony-Walkman wenden die Autoren des Circuit of Culture ihr Modell an. Du Gay et al. (1997) zeigen, dass der Erfolg dieses Produkts nur als komplexe Verknüpfung der Faktoren der Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation erklärbar wird. Zwar gehen sie zu Beginn ihrer Studie auf die differenzierte und komplexe Produktionskultur des Sony-Konzerns und seine Produktionsbedingungen ein, aber das Schwergewicht der Argumentation liegt auf der Behauptung, dass die Bedeutung des Walkmans nicht direkt vom technischen Gerät herstammt, sondern erst durch die Praktiken der Repräsentation und der Nutzung entsteht. Die Praktiken beziehen sich allerdings auf das Corporate Identity des Konzerns sowie das Design und die Werbung des Walkmans. Sie sind zielgruppenspezifisch darauf ausgerichtet, eine Identifikation der Kunden mit dem Produkt zu erreichen. Nach einer Anlaufzeit hat sich der Sony-Walkman sowohl auf dem japanischen Heimmarkt als auch auf dem globalen Markt durchgesetzt. Mehrheitlich wird er zum Musikhören eingesetzt, aber dank Audiobooks sind auch Belletristik sowie Fach- und Sachbücher hörbar. Der Walkman wird vor allem außerhalb des eigenen Hauses zur Aktivation, zum Lernen, Entspannen oder Zeitvertreib genutzt. Diese vielfältigen Verwendungsweisen erklären, weshalb das Gerät beim Sport, im Verkehr und manchmal selbst bei der Arbeit verwendet wird. Zwar können die Kopfhörer auch von zwei Personen genutzt werden, aber der Walkman hat genau deshalb den Nerv der Zeit getroffen, weil er einem Individualisierungsbedürfnis entspricht. Zum einen ist das individuelle Musikhören mit dem Walkman nicht länger auf den privaten Raum beschränkt, zum anderen können sich die Menschen mit dem Gerät mental aus der Öffentlichkeit ausklinken. Diese Anwendung lässt sich auch mit Williams Begriff der mobilen Privatisierung beschreiben (1984). Allerdings bringt das veränderte Verhalten in der Öffentlichkeit auch mancherorts ein Bedürfnis nach sozialer Regulation mit sich. Von der (über-)lauten Nutzung des Geräts fühlen sich gerade im öffentlichen Verkehr andere Personen gestört.
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4.4.3
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Vom holistischen zum bedeutungsorientierten Kulturbegriff
Nachdem die Grundgedanken des Circuit of Culture erklärt und seine Grundbegriffe erläutert sind, geht es in den folgenden Abschnitten darum, tiefer gehende theoretische Implikationen des Modells herauszuarbeiten. Auf den ersten Blick scheint das Kreislaufmodell mit seinen wechselseitig aufeinander bezogenen Elementen auf den holistischen Kulturbegriff von Williams zu referieren. Dieser definiert Kultur als die „gesamte Lebensweise“ (1999: 58) und schreibt damit eine totalitätsorientierte Begriffstradition fort, die bei Herder seinen Ausgang genommen hat. Für Herder ist Kultur „keine ausgezeichnete Lebensform mehr, sondern die spezifische Lebensform eines Kollektivs in einer historischen Epoche. Diese Vergeschichtlichung bringt konsequenterweise eine Kontextualisierung von ‚Kultur‘ mit sich“ (Reckwitz 2000: 74). Dieser holistisch-kontextualistische Kulturbegriff wurde insbesondere in der anglophonen Ethnologie bei Taylor und Boas wirksam, wobei die historische zu Gunsten einer sozialen Konnotation aufgegeben wurde. Formal gesehen zeichnet sich eine holistische Position dadurch aus, dass „die Dinge, die Teil eines Ganzen sind, die für sie charakteristischen Eigenschaften nur im Ganzen haben“ (Esfeld 2003: 10). Während intrinsische Eigenschaften atomistisch sind, sind holistische Eigenschaften relational. Die Vorteile dieses holistischen Kulturbegriffs liegen auf der Hand: Jenseits von kultur- und zivilisationskritischen Ambitionen fordert er eine Analyse der Lebensformen, Lebensstile, der Lebensführung und des Alltags“ (Reckwitz 2000: 78) ein. Da es den Cultural Studies im Anschluss an Williams allerdings nicht um Gesamtheit umfassende Kulturstudien, sondern um das Studium der Differenzen zwischen unterschiedlichen Lebensformen geht, bringt sie der holistische Kulturbegriff in Schwierigkeiten. Wie weiter oben bereits erörtert, subsumiert er sämtliche menschliche Hervorbringungen und soziale Strukturen unter das Konzept Kultur, so dass am Ende konsequenterweise ‚Kultur‘ als NichtNatur definiert werden muss. Dieser Kulturbegriff kann aber nur als unterkomplex bezeichnet werden, da er kein systematisches Vokabular zur Handlungserklärung bietet.99 Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, überführen die Autoren des Circuit of Culture den holistischen in einen symbolorientierten Kulturbegriff. Wie in Kapitel 2.2.1 gezeigt, erscheint Kultur hier als jener Komplex von „symbolischen Ordnungen, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in 99
Darüber hinaus geht beim Holismus von Wissenschaftlern wie Bateson oder Heske häufig ein esoterisch-irrationalistisches Moment einher, das auf die Ganzheitlichkeit zurückgeht.
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Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken“ (ebd.: 84). Entsprechend definiert Hall Kultur als „variable systems of meanings which human beings deploy to define what things mean and to code, organize and regulate their conduct towards one another“ (1997b: 208). Mittels der Artikulation der fünf Faktoren geben die Mitglieder einer Gemeinschaft ihren Handlungen Sinn und ermöglichen den anderen Mitgliedern, interpretiert und verstanden zu werden.100
4.4.4
Globalisierung, Transnationalisierung und Hybridität
Um den Circuit of Culture zu verstehen, bedarf es nicht nur einer kulturtheoretischen, sondern auch einer zeitgeschichtlichen Verankerung des Modells. Im Zeitalter der Globalisierung wird davon ausgegangen, dass sämtliche Kulturprozesse miteinander vernetzt sind. So wie den Prozessmodellen eine Übertragungsmetapher inhärent ist, so verwendet der Circuit of Culture eine Netzmetapher. Das Modell nimmt implizit auf Tomlinsons (1999: 2) Begriff der komplexen Konnektivität Bezug, der darauf anspielt, dass das sich verdichtende Netzwerk von wechselseitigen Interdependenzen und Interaktionen das zentrale Merkmal der Globalisierung sei. Wie bereits in Kapitel 3.6 ausführlich dargelegt, verstehen die Cultural Studies unter Globalisierung einen transnationalen Interdependenzprozess, der die Produktion, Zirkulation und Nutzung von Dienstleistungen, Informationen, Kulturprodukten, Lebensstilen, Regierungsformen und Wirtschaftsgütern betrifft. Im Zusammenhang mit dem Circuit of Culture ist insbesondere die Transnationalisierung bedeutsam.101 Denn in einem globalen Kontext erhöht sich der Austausch von kulturellen Formationen über nationale Grenzen hinweg. Im Sinne der Hybridität führt die Globalisierung zur Herauslösung von kulturellen Artefakten und diskursiven Praktiken aus ihrem ursprünglichen und zu ihrer Transformation in einen neuen Kontext: „This process is generating novel modes of societal organization, forms of culture and everyday life, conflicts, and modes of struggle.“ (Kellner 2002: 6) Mit anderen Worten, Transnationalität bedeutet, dass Lebensformen entstehen, deren „innere Logik sich aus 100 Auch der symbolorientierte Kulturbegriff steht in Zusammenhang mit dem Pragmatismus. Er baut nämlich „direkt oder indirekt auf den Ergebnissen jener Transformation in der Philosophiegeschichte auf, die Rorty und andere als eine Wende von der Ontologie und klassischen Erkenntnisphilosophie […] zu Philosophien der symbolisch-kulturellen Produktion von Welt und Wirklichkeit beschrieben haben“ (Reckwitz 2000: 86). 101 Die Transnationalisierung geht über den klassischen Begriff des Internationalen hinaus, der „die Beziehungen zwischen Nationalstaaten in den Mittelpunkt stellt“ (Schultz/Weßler 2005: 348).
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
dem Erfindungsreichtum erklärt, mit denen Menschen entfernungslose soziale Lebenswelten und Handlungszusammenhänge errichten und aufrechterhalten“ (U. Beck 1997: 64).102 Das Konzept der Transnationalität wendet sich implizit gegen das, was Lepsius die „Kulturnation“ (1990: 238) genannt hat. Dabei definiert und identifiziert sich eine Nation über ihre homogene Kultur, religiöse Praxis und Sprache etc. Das Konzept der Transnationalität hält dem entgegen, dass Kultur als Prozess nicht vor den Landesgrenzen halt mache, sondern durch diese hindurchgehe und immer ein Produkt von Austauschprozessen zwischen Ländern sei.
4.4.5
Artikulationstheorie
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass der Holismus des Circuit of Culture das Produkt eines antiessenzialistischen Kulturbegriffs und eines Transnationalismuskonzeptes ist. Die Entstehung, die Verbreitung und der Konsum von Kultur sind an die Bedingung des globalen Austausches und der transnationalen Vernetzung gebunden. Eine weitere Implikation des Circuit of Culture ist die Artikulationstheorie. Dabei nimmt das Wort ‚Artikulation‘ hier nicht die Bedeutung von ‚etwas aussprechen‘, sondern von ‚etwas verbinden‘ an: „An articulation is thus the form of the connection that can make a unity of two or more different or distinct elements.“ (du Gay et al. 1997: 3)103 In ihr finden die in den vorhergehenden Abschnitten erläuterten Konzepte des Holismus und der Hybridität zusammen, wobei Hall die Ansätze von Laclau (1981) ausarbeitet. Mit Artikulation ist das Gliederungsoder Kombinationsprinzip zwischen verschiedenen diskursiven Elementen gemeint, die zu einer komplexen Einheit verbunden werden. „Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist. Man muss sich fragen, unter welchen Bedingungen kann eine Verbindung hergestellt oder geschmiedet werden?“ (Hall 2000: 65) Wie die pragmatische Konnotation dieser Formulierung andeutet, zeigt die Artikulationstheorie, dass Kultur und Kulturwandel nur als komplexe Prozesse verständlich werden. Die Artikulationstheorie erlaubt es, die an der Konstitution von Kultur und Kommunikation beteiligten Faktoren nicht mehr abgegrenzt und örtlich zu konzeptualisieren, sondern ihrer Unsicherheit und Unterschiedlichkeit gerecht zu werden. Die Artikulation beschreibt das Zusam102 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Hybridität leistet Ha (2005). 103 Wie Slack zeigt, geht die Konnotation von ‚aussprechen ދoder ‚einen Laut bilden ދauf die Verbindungskonnotation zurück: „Even the articulation of sounds or utterances suggests the ‚clinging together of notes‘.“ (1996: 115).
DER CIRCUIT OF CULTURE
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menspiel von verschiedenen konflikthaften Faktoren, die sie zu einer temporären Einheit zusammenfasst, ohne allerdings Differenz zu negieren.
4.4.6
Rezeption des Circuit of Culture
Die Rezeption des Circuit of Culture ist bis dato uneinheitlich verlaufen. Während das Kreislaufmodell von Seiten der traditionellen Kommunikationswissenschaft schlichtweg ignoriert wurde, ist es im heimischen Kreis der Cultural Studies begrüßt worden. Unzählig sind in den entsprechenden Publikationen Erwähnungen oder kurze Paraphrasierungen. Allein aus der in dieser Arbeit bereits zitierten Sekundärliteratur beziehen sich Barker (2003a), Deacon (2003), Hepp (1999, 2004), Morley (2003), C. Winter (2003a) und R. Winter (2001, 2003b) auf das Modell bzw. die Buchreihe „Culture, Media and Identities“. Zu den Autoren, die sich eingehender mit dem Circuit of Culture beschäftigen, gehört Göttlich. Er sieht das Modell als Vermittlungsinstanz in der Debatte zwischen Cultural Studies und Politischer Ökonomie bzw. zwischen den Aneignungspraktiken von Konsumenten und den Produktionsbedingungen der Kulturindustrie. Allerdings geht es beim Circuit of Culture nicht nur um das Wechselspiel von Produktion und Rezeption, sondern auch um „die Repräsentation sozialer Ordnung und individueller Identität als ein Schlüsselprozess im Kreislauf der Kultur“ (2003: 61). Am Beispiel des Unterhaltungsformats Big Brother lotet Göttlich die „Reichweite des Kreislaufmodells für die Analyse medienökonomischer Fragen“ (ebd.: 63) aus. Dabei gelingt es ihm, die selbstreferenzielle Strategie des Fernsehkanals RTL, die sich in der Produktion und Sendung von parallelen Formaten wie Der Talk oder Big Brother – Die Reportage ausdrückt, genauso in den Blick zu bekommen wie das Kultmarketing und die „Bindungswirkung der sich in ihrem Umfeld ausbildenden Eventgemeinschaften“ (ebd.: 70). Im Rahmen der Rezeption ist auch an eine Reihe von Beiträgen im Sonderheft der Zeitschrift Cultural Studies zu kulturellen Vermittlern wie Beratern, Journalisten, Marketing- und Werbeagenten, Pressesprecher oder Sozialarbeiter zu erinnern. Diese zuerst bei Bourdieu (1982 [1979]) behandelten Akteure geraten im Rahmen des kulturellen Kreislaufs in den Fokus der Aufmerksamkeit: „The central strength of the notion of cultural intermediaries is that it places an emphasis on those workers who come in-between creative artists and consumers.“ (Negus 2002: 503) In ihrer Eigenschaft als Gastautoren und Talkshowteilnehmer fungieren sie als Scharnier zwischen kultureller Produktion und Konsumtion. Negus weist allerdings mit Recht darauf hin, dass das Konzept der symbolischen Vermittlung die Di-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
chotomie von Produktion und Konsumtion eher reproduziert statt überwindet: „Cultural intermediaries are frequently offered to us as workers who are filling this gap and making the connection. But, like much of the imagery, words and symbols they are engaged in constructing and circulating, they offer the illusion of such a link rather than its material manifestation.“ (2002: 508f.)104 Ferner sind drei Modelle zu erwähnen, die sich auf den Circuit of Culture beziehen. Beim ersten Modell handelt es sich um C. Winters Medien-Kulturen-Konnektivitäts-Modell. Das Modell schließt an die Artikulationstheorie und den Circuit of Culture an, allerdings schränkt es den Gegenstandsbereich auf Kommunikation ein. Es „stellt sowohl die Verbundenheit wie die Differenzen und Unsicherheiten, als auch die relative Unabhängigkeit der Artikulationen unter deren je spezifischen kontextuellen kulturellen Bedingungen und Voraussetzungen heraus, ohne Kommunikation als komplexen Zusammenhang aus dem Blick zu verlieren.“ (C. Winter 2003b: 334)
Auch werden die medialen Artikulationen der Kommunikationsproduktion, -allokation, -rezeption und -distribution nicht kreisförmig angeordnet, um die Kontingenz des Kommunikationsprozesses zu reduzieren. Damit wird deutlich, dass Winters Interesse dem Medienmanagement und den medialen Wertschöpfungsketten gilt. Abbildung 12: Das Medien-Kulturen-Konnektivitäts-Modell (C. Winter 2003b: 334)
104 Wie Hesmondhalgh klarstellt, liegt dieser Diskussion allerdings ein Missverständnis zu Grunde. Denn Negus verwendet den Begriff des kulturellen Vermittlers im Anschluss an Featherstone. „But Mike Featherstone seems to have misunderstood the term. In the context of an interesting discussion of the new petite bourgeoisie as generators of a new consumer culture, one based on a general interest in style, he says that ‚Bourdieu analyses the new petite bourgeoisie, the cultural intermediaries, who provide symbolic goods and services( ދ1991: 89). So Featherstone equates the new petite bourgeoisie with a small subset of that social class, the (new) cultural intermediaries.“ (Hesmondhalgh 2006: 226)
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Das zweite hier zu erörternde Modell stammt von Klaus und Lünenborg. Sie konzipieren den Medienprozess als Kreislauf kultureller Bedeutungsverhandlung und -zuweisung. „Danach entsteht die gesellschaftliche Bedeutung faktischer wie fiktionaler Medientexte im Kreislauf aus Medienproduktion, dem Text selbst und der Rezeption und Bedeutungszuweisung durch das Publikum.“ (Klaus/Lünenborg 2004: 103) In diesem Kontext rezipieren sie den Kreislauf von du Gay et al. (1997) und von Johnson (1999) gleichermaßen. Wie im Laufe dieser Arbeit bereits mehrfach erörtert, entstehen Bedeutung und soziale Identität nicht nur durch Kommunikatoren, sondern auch durch die individuellen und kollektiven Interpretationshandlungen des Publikums. Klaus und Lünenborg schränken den Gegenstandsbereich ihres Modells ein: „Produktion, Medientext und Rezeption sind eingebettet in cultural citizenship. Hier begegnen sich private und öffentliche Diskurse, hier werden die kulturell geprägten Kontexte der Produzierenden ebenso wie der Rezipierenden wirksam [...]. In den Medien, mit den Medien und mittels Medien wird die gesellschaftliche Bedeutung jedweder gesellschaftlicher Ereignisse und kultureller Prozesse verhandelt.“ (ebd.: 103f.)
Das theoretische Konzept der cultural citizenship beschreibt jene Formen der Teilhabe an Gesellschaft und Gemeinschaft, die medial geprägt sind. Es stellt eine Erweiterung und Ausdifferenzierung des traditionellen Staatsbürgerkonzeptes dar, das die kulturellen Praktiken, die sich vor dem Hintergrund ungleicher Machtverhältnisse in der mo dernen Mediengesellschaft entfalten, zu wenig beachtet. So gewendet Abbildung 13: Medienkreislauf und cultural citizenship (Klaus/Lünenborg 2004: 104)
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ergeben sich auch Anknüpfungspunkte für eine kritische Journalismusforschung.105 Beim dritten Modell handelt es sich um Hepps Kreislauf der Medienkultur (2005). Hepp kritisiert am Circuit of Culture, dass verschiedene „Artikulationsebenen parallelisiert und nicht in ihrer Differenz – und damit auch in ihrer Beziehung und in ihren Unschärfen zueinander – theoretisiert werden.“ (ebd.: 186) Da die an der Medienkultur beteiligten Akteure unterschiedliche Identifikationspotenziale einlösen und unterschiedliche Regulationsmechanismen wirksam werden können, schlägt er ein modifiziertes Modell vor. Hepp reduziert den Circuit of Culture auf die drei Artikulationsebenen Produktion, Repräsentation und Aneignung und kontextualisiert die Faktoren der Identifikation und der Regulation außerhalb des eigentlichen Kreislaufes. Hepp geht es allerdings um eine spezifische Variante der Medienkultur, nämlich um die globale Medienkultur: „All diese Zusammenhänge des Kreislaufs der Medienkultur erscheinen mit der Globalisierung der Medienkommunikation durch eine zunehmende kommunikative Deterritorialisierung geprägt. Versteht man unter der Globalisierung der Medienkommunikation so viel wie die weltweite Zunahme kommunikativer Konnektivitäten, so ist mit diesem Prozess eine zunehmende Aufweichung der Relation von kommunikativen Prozessen und bestimmten geographischen und sozialen Territorien auszumachen.“ (Hepp 2005: 139)
In seinen Publikationen bereitet Hepp entsprechend viel empirisches Material auf. Allerdings bedauert der Autor selbst, keine eigene und kohärente empirische Studie vorgelegt zu haben: „Es wäre in gewissem Sinn schön, wenn dieses Buch eine solche Studie hätte sein können. Dies wäre nämlich dann der Fall gewesen, wenn sich die vielfach widersprüchlichen und komplexen Zusammenhänge, die insgesamt mit dem Ausdruck Globalisierung der Medienkommunikation bzw. der Metapher Netzwerke der Medien gefasst werden, auf wenige Variablen reduziert werden könnten, die sich dann empirisch operationalisieren ließen.“ (Hepp 2004: 21)
105 Siehe: Lünenborg (2005).
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Abbildung 14: Kreislauf der Medienkultur (Hepp 2004: 187)
4.4.7
Kontextualisierung und Errungenschaften des Circuit of Culture
Das vorliegende Kapitel hat gezeigt, dass sich der Circuit of Culture in eine lange Linie von Prozess-, Mediensystem-, Vermittlungs- und Kreislaufmodellen einordnen lässt. Trotz Unterschieden hinsichtlich der Wissenschaftsparadigmen, des Abstraktionsgrads, der Funktionalität sowie der Makro- und Mikroebenen weist der Circuit of Culture vielfältige wechselseitige Bezüge zu anderen Modellen auf. Im Rahmen dieses Vergleichs sind auch seine Errungenschaften benennbar. Gegenüber den linearen Transmissionsmodellen erfasst der Circuit of Culture den Massenkommunikationsprozess als ganzheitlich und interrelational. Die Einfachheit der Prozessmodelle wird zu Gunsten der Berücksichtigung einer Vielzahl von miteinander verbundenen Faktoren und Relationen aufgegeben. Der kritische Grundgedanke des Circuit of Culture ist allerdings bereits in den Überlegungen zum Encoding-Decoding-Modell vorweggenommen. Während Halls Modell zwar den Primat des Senders in Richtung des Empfängers verlagert, wird die Linearität nun vollständig aufgegeben. Dies spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung mit dem Güterkreislauf von Marx wieder. Das Encoding-Decoding-Modell ging zwar selektiv mit Marx um, indem es sich auf zwei der Kreislauffaktoren konzentrierte, nämlich die Produktion und die Konsumtion. Das Modell blieb allerdings der historisch-materialistischen Logik des Güterkreislaufmodells verhaftet. Im Gegensatz zu Marx, bei dem die Produktion „Konsumtion, Distribution, Austausch und bestimmte Verhältnisse dieser verschiedenen Momente zueinander“ (1953: 20) determiniert, kommt bei Halls Modell der Rezeption ein Primat zu. Gegenüber diesem Stadium denkt der Circuit of Culture die Auffassung, dass sich die für die Konstitution von Kultur verbindlichen Prozesse zwar zu analytischen Zwe-
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cken trennen lassen, aber in der sozialen Praxis miteinander verbunden sind, radikal zu Ende. Der Circuit of Culture teilt mit den Vermittlungsmodellen den Gedanken der Integration von mehreren Massenkommunikationsfaktoren. Hier besteht eine starke Konvergenz zwischen den unterschiedlichen Wissenschaftsparadigmen. Allerdings darf auch nicht über die Unterschiede hinweg gesehen werden. Im Gegensatz zum Circuit of Culture integrieren die Vermittlungskonzepte nicht sämtliche Massenkommunikationsfaktoren (beispielsweise setzt das dynamisch-transaktionale Modell vor allem Medieninhalte und ihre Rezeption in Bezug). Daher fällt ihnen auch die Operationalisierung wesentlich leichter, was sich in der Vielzahl von vornehmlich quantitativen Studien niederschlägt. Auch im Vergleich mit den am Beispiel des Öffentlichkeitsmodells diskutierten Vermittlungsmodellen kommt eine unterschiedliche Perspektive zum Ausdruck. Während der Circuit of Culture das Phänomen Massenkommunikation unter kulturalistischen Gesichtspunkten analysiert, fokussiert das Öffentlichkeitsmodell die politischen Faktoren. So kritisiert Imhof teilweise zu Recht, dass die Cultural Studies das „identitätskonstituierende und -stabilisierende Verschränkungsverhältnis von politischer Öffentlichkeit und politischem Geltungsbereich nicht oder nur peripher thematisieren“ (2003b: 86). Diese Kritik ist selbst innerhalb der Cultural Studies geäußert worden (Barker 2003b; Deacon 2003). Das Problem dieses Einwandes liegt nun aber darin, dass Imhof die Cultural Studies einseitig kritisiert und es unterlässt, den Umkehrschluss auf die politische Kommunikation zu ziehen. Denn dieses Forschungsgebiet im Allgemeinen und das Öffentlichkeitsmodell im Besonderen zeichnen sich gerade durch eine Vernachlässigung der kulturellen Faktoren von Massenkommunikation aus. Denn der Diversität von etablierten und nicht-etablierten Akteuren, ihren unterschiedlichen Motiven und Strategien bei der Herstellung von Öffentlichkeit wird dieses Modell kaum gerecht. Im Kontext der Massenkommunikationsmodelle lässt sich der Circuit of Culture als eine Kombination aus Mediensystem- und Kreislaufmodell auffassen, das sich insbesondere durch seinen hohen Abstraktionsgrad auszeichnet. In der Tradition der Mediensystemmodelle übernimmt es die Berücksichtigung der für Massenkommunikation konstitutiven juristischen, ökonomischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Diese Faktoren werden in eine Kreislaufstruktur überführt, um ihre wechselseitigen Relationen zu verdeutlichen. Gegenüber den anderen Kreislaufmodellen hebt sich der Circuit of Culture in verschiedenen Punkten ab: Während er nicht die idealistische Sichtweise des Modells von Schramm teilt, unterscheidet er sich von Johnsons Modell durch eine postfordistische Verankerung, die Integration der externen Bedingungen in den Kreislauf, die Reduktion des
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Eigenlebens der Kreislaufelemente und schließlich durch die enge Verknüpfung mit der Artikulationstheorie. Denn der Circuit of Culture ist nur in der bedingungslosen Interaktion der fünf Faktoren verstehbar.
4.4.8
Kritik
Trotz der Rezeption des Circuit of Culture insbesondere bei Göttlich und Negus und der produktiven Auseinandersetzung mit seinem Gedankengut bei C. Winter, Klaus/Lünenborg und Hepp ist die Rezeption des Kreislaufmodells insgesamt als bescheiden und punktuell zu bezeichnen. Sie fällt ungleich geringer aus als bei Halls EncodingDecoding-Modell, das nicht nur eine Serie von kulturalistischen Aneignungsstudien initiiert, sondern auch in der gesamten Kommunikationswissenschaft ein großes Echo hervorgerufen hat. Insgesamt ist der Circuit of Culture bzw. der damit verbundene Forschungsanstoß kaum vorangetrieben worden. Eine in theoretischer und forschungspraktischer Hinsicht einigermaßen erschöpfenden Auseinandersetzung steht nach wie vor aus. Dieser Sachverhalt ist umso bedauerlicher als das Modell durchaus einige ungelöste Probleme aufweist. Zunächst ist der Rechtfertigungszusammenhang nicht ausreichend geklärt, um auf einen vom Wissenschaftstheoretiker Reichenbach (1977: 260) eingeführten Begriff zu rekurrieren. Es ist nämlich unklar, nach welchem Kriterium gerade genau die fünf Faktoren Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation konstitutiv für kulturelle Phänomene sind. Warum gerade fünf und nicht vier oder sieben Faktoren? Warum wird die Distribution nicht als eigenständiger Prozess berücksichtigt? An dieser Stelle weist die Konzeption des Circuit of Culture eine gewisse Willkürlichkeit auf. Zweitens ist zu bemängeln, dass sich die Autoren nicht die Mühe machen, das Modell in ausführlicher Weise zu erläutern. Die kursorische Einführung von du Gay et al. (1997) geht beispielsweise mit keinem Wort darauf ein, dass die Pfeile den äußeren Kreislaufs dicker sind als die Pfeile im Innern des Kreislaufs. Ist dies nur Gründen der Übersichtlichkeit geschuldet? Falls nicht würde dies heißen, dass der Kreislauf durch den spezifischen Platz, den die Faktoren zugewiesen erhalten, doch eine festgelegte Grundstruktur hätte. Diese Interpretation würde allerdings den Beteuerungen seiner Autoren widersprechen. Drittens stimmen der zu Grunde gelegte symbolorientierte Kulturbegriff und der holistische Kreislauf nicht überein. Wie in Kapitel 4.4.4 gezeigt, haben die Autoren des Circuit of Culture den holistischen Kulturbegriff von Williams aufgrund seiner Schwierigkeiten in einen bedeutungsorientierten Kulturbegriff überführt. Diese Transformation wird auf der Modellebene aber nicht repliziert. Dies ist inso-
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fern bedeutsam, als der Holismus des Kreislaufes die unüberwindbare Schwierigkeit mit sich bringt, dass eine kulturelle Praxis niemals vollständig in all ihren Facetten analysierbar und beschreibbar ist. Einheit oder Ganzheitlichkeit sind idealisierte Konstrukte, die in keiner wissenschaftlichen Studie vollständig umgesetzt werden können. „Ein Diskurs als geschlossene Totalität ist unmöglich, weil diese ein System von Differenzen bedeuten würde, in dem jede Identität auf alle übrigen Identitäten verweist. Um nun aber überhaupt ein System bilden zu können, muss er sich über die Grenze zu einem Außen definieren, die aber nicht einfach eine weitere Differenz sein darf, denn damit würde diese wieder zum Bestandteil des Diskurses selbst werden und hätte ihren Charakter als Grenze verloren.“ (Auer 2005: 250)
Auf empirischer Ebene gehen die Autoren des Circuit of Culture diesem Problem aus dem Wege, indem ihre Fallstudien – vom SonyWalkman, über das Radiopublikum bis hin zu Genderidentitäten – schwerpunktmäßig jeweils einen der fünf am Kreislauf beteiligten Faktoren fokussieren und damit wieder ein Stück weit das zirkuläre Prinzip des Circuit of Culture unterlaufen. Dies führt zu dem über, was man das strukturalistische Problem des Circuit of Culture nennen könnte. Es besteht darin, dass das Verhältnis zwischen den von den fünf Faktoren gebildeten zirkulären Komplex von Sinnsystemen und den konkreten kulturellen Praktiken nicht geregelt ist. Welchen Regeln unterliegt die Artikulation oder Konfiguration der fünf Kulturfaktoren? Wie bedienen sich die Akteure bei den variablen Bedeutungssystemen und Wissensordnungen in ihren Handlungen? Viertens fällt das Modell ein Stück weit wieder hinter den kulturtheoretischen Diskurs der Cultural Studies zurück. Obwohl die Artikulationstheorie dagegen argumentiert, die Struktur von komplexen Kulturkonfigurationen formal vorzugeben, legt sich das Modell auf eine bestimmte Kreislaufstruktur fest. Fünftens ist es hinterfragbar, ob der hohe Abstraktionsgrad des Kreislaufmodells sinnvoll ist. Der Circuit of Culture erfüllt seinen Anspruch, auf sämtliche kulturelle Formationen anwendbar zu sein. Jedoch lässt sich kritisch einwenden, ob eine solche Vollständigkeit angesichts der Vielfalt von Kultur überhaupt wünschbar sei. Denn die Vollständigkeit bezahlt als Modell mit der Unfähigkeit, auf die Spezifika von kulturellen Formationen einzugehen. Wie die Buchreihe „Culture, Media and Identities“ zeigt, werden so unterschiedliche Untersuchungsgegenstände wie Ausstellungstechniken, Ernährungsgewohnheiten, Fotografie, Genderfragen, Identität von Diasporaangehörigen oder Regulation von Massenmedien mit demselben Analyseinstrumentarium untersucht. Aufgrund der unermesslichen Fülle des
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kulturellen Reservoirs von modernen Gesellschaften könnte diese Liste endlos verlängert werden. Das Autorenkollektiv zeigt bloß – dies ist aber nicht gering zu schätzen – dass sich das Kreislaufmodell als unverbindlicher Analyserahmen für kulturelle Phänomene außerhalb des massenmedialen Bereichs verwenden lässt und zu interessanten Ergebnissen führt. Demgegenüber ist in Anschlag zu bringen, dass unterschiedliche Kulturbereiche wie zum Beispiel Architektur, Medien oder Mode ihre eigenen Charakteristika haben. Sechstens ist das ungelöste Problem des kulturellen Wandels zu nennen. Der Circuit of Culture erklärt nicht, wie kultureller Wandel entsteht bzw. kulturtheoretisch erfassbar wäre, und er erklärt nicht wie verschiedene Akteurskollektive (zum Beispiel religiöse Gruppierungen) sich unterschiedlicher Sinnsysteme bedienen, um ihren Handlungen Bedeutung zu geben. Gerade aber für die Cultural Studies, die der kulturellen Differenz und Vielfalt soviel Augenmerk widmen, wäre eine solche Berücksichtigung wünschenswert. Als letzter Kritikpunkt ist der Einwand zu erwähnen, dass dem Circuit of Culture – wie auch allen übrigen referierten Kommunikationsmodelle – ein veralterter Kommunikationsbegriff zu Grund liegt, der nicht mit dem medientechnischen Fortschritt Schritt hält. Dagegen gilt es im Blick zu behalten, dass es das Kommunikationsprotokoll im Internet ermöglicht, dass „Datenpakete im Netzwerk sich ihren Weg selbst suchen können. Einerseits wird dabei die zu übertragende Datenmenge in mehreren Teilen verschickt. Andererseits nehmen sie den Weg nicht immer über die räumlich kürzeste Verbindung, sondern diese wird aufgrund einer immanenten technischen Logik ausgewählt.“ (F. Hartmann 2006: 176)
Allerdings ist gegen diesen Einwand einzuwenden, dass die ‚alten‘ Medien weiterhin existieren und wichtige soziale Funktionen erfüllen. Dementsprechend haben auch die ‚alten‘ Kommunikationsmodelle nicht ihre Berechtigung verloren.
5 DER CIRCUIT OF CULTURE ALS BAUSTEIN DES ETHNOGRAPHISCHEN ANSATZES DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT 5.1 ÜBERBLICK Die vorliegende Forschungsarbeit formuliert einen dreifachen Integrationsanspruch: Erstens konzipiert sie die Medienkulturwissenschaft als ein transdisziplinäres Forschungsfeld, in dem verschiedene Ansätze, die sich mit Medienkultur beschäftigen, zusammengeführt werden. Zweitens tritt sie für die Integration von Theorie und Empirie ein, indem ein eigener Ansatz zur Erforschung von transnationalen Medienkulturen entwickelt und in Fallstudien angewendet wird. Drittens weist dieser Ansatz auf methodologischer Ebene ein Triangulationsprinzip auf, das sich auch als Methodenintegration bezeichnen lässt. Sämtliche Fäden dieses Integrationsanspruchs laufen in dem vorliegenden Kapitel zusammen. Als bisheriges Zwischenresultat kann festgehalten werden, dass sich der Circuit of Culture in die Traditionslinie von kommunikationswissenschaftlichen Kreislauf- und Mediensystemmodellen einfügt. Es handelt sich um ein holistisches Modell, das Kultur als Prozess der fünf interrelational verbundenen Faktoren Produktion, Repräsentation, Identität, Konsumtion und Regulation konzipiert. Wie die im Umkreis des Circuit of Culture durchgeführten Studien zeigen, fällt aber eine kohärente und systematische Anwendung des Modells aufgrund seines hohen Abstraktionsgrades schwer. Aus diesem Grund schlägt das folgende Kapitel eine alternative Vorgehensweise vor: Um eine empirische Fundierung der theoretischen Überlegungen zu ermöglichen, entwickelt es auf der Grundlage des Kreislaufmodells einen Ansatz für die ethnographische Analyse von transnationalen Medienkulturen. Mit anderen Worten, der Circuit of Culture wird konkretisiert, indem er in eine Ansatzform überführt wird. Das Ziel einer Anwendungsorientierung wird durch eine handlungstheoretische Dynamisierung
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erreicht. Sie schlägt sich in einer Transformation der Faktoren zu Akteuren nieder. Darüber hinaus wird der Ansatz gegenüber dem Modell durch die Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes auf Medienkultur, das Skizzieren von empirischen Anwendungsfeldern sowie die Erläuterung des ethnographischen Forschungsdesigns spezifiziert. Ferner werden vor dem Hintergrund des Circuit of Culture Forschungsfragen zu Konflikt, Konfliktregulation und Plurimedialität gestellt, die im Modell nicht explizit gemacht werden, dort jedoch bereits angelegt sind. Durch diese Modifikationen leistet der medienkulturwissenschaftliche Ansatz nicht nur einen Beitrag an die Einlösung der in Kapitel 3 formulierten Kritik an den Cultural Studies im Allgemeinen, sondern setzt auch die in Kapitel 4 formulierte Kritik am Circuit of Culture im Besonderen konstruktiv um. Die Beziehung zwischen dem Modell Circuit of Culture und dem als ethnographischer Ansatz der Medienkulturwissenschaft bezeichneten und mit den Siglen EAM abgekürzten Ansatz lässt sich also wie folgt zusammenfassen: In einer Auseinandersetzung mit der am Circuit of Culture geäußerten Kritik stellt der EAM eine auf die Forschungspraxis ausgerichtete Konkretisierung dar. Für die Anwendung dieses medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes können gute Gründe angegeben werden, wenn es um ein Verständnis der Sinnsysteme geht, mit denen sich gesellschaftliche Akteure beim Handeln mit Medien ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken: „Die Berücksichtigung der kulturellen – und damit zentral der medialen – Dimension der gesellschaftlichen Entwicklung [...] erscheint unverzichtbar zur adäquaten Beschreibung der Mediengesellschaft.“ (Klaus/Lünenborg 2004: 111) Der EAM leistet nicht nur eine Beschreibung der Praktiken von gesellschaftlichen Akteuren mit (Massen-)Medien, sondern liefert auch eine Erklärung dieses Handelns durch eine Zurückführung auf kulturell verankerte Muster, Rituale und Werte. Damit gibt er Antworten auf die Frage, was diese Praktiken über die Kultur der Gesellschaft aussagen. Ein ethnographischer Fokus ist insbesondere dann sinnvoll, wenn weitgehend unbekannte und unerforschte Medienkulturen in ihrem transnationalen Gesamtzusammenhang von Produktion, Regulation und Aneignung untersucht werden sollen. Denn je geringer das Vorwissen, desto wichtiger ist es, offen und unvoreingenommen an den Untersuchungsgegenstand heranzugehen. Im Vergleich zu Mediensystemklassifikationen können internationale Medienkulturen mit einem akteurszentrierten und handlungstheoretischen Ansatz wesentlich genauer erforscht werden.106 Dies ist so, da sie die Medienkulturen nicht 106 Siehe: Altschull (1990), Blum (2005), Martin/Chaudhary (1983), Mc Quail (1987: 84-98) , Norris (2000) und Wiio (1983). McQuails soge-
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auf normative Weise an das politische System koppeln, sondern auf empirische Weise zu Ergebnissen zu gelangen suchen. Der EAM ist als eklektisch zu bezeichnen. Zwar beruht er auf den Prämissen der ethnographisch ausgerichteten Cultural Studies, aber er bedient sich selektiv auch bei der Kommunikationswissenschaft, der Medienethnologie und der qualitativ sozialwissenschaftlichen Methodologie.
5.2 PROGRAMMATISCH-THEORETISCHE KOMPONENTE In Anlehnung an die Ausführungen des Wissenschaftstheoretikers Schurz (1998: 10f.) zum Paradigma, wird im Folgenden unter einem Ansatz ein Diskurssystem verstanden, das eine programmatisch-theoretische (Begrifflichkeiten, Fragestellungen, Hypothesen, Konzeptualisierungen), eine empirische (Anwendungsfelder) und eine methodologische Komponente (Set von Methoden und Regeln) enthält.107
5.2.1
Von Kultur zu Medienkultur
Hinsichtlich der programmatisch-theoretischen Komponente des EAM ist der Circuit of Culture zunächst auf den Gegenstandsbereich der Medienkultur zu reduzieren. Aufgrund seines Abstraktionsniveaus formuliert dieses Modell den Anspruch, auf sämtliche kulturelle Formationen anwendbar zu sein. Diese Vollständigkeit bezahlt der Circuit allerdings mit der Unfähigkeit, auf die Spezifika von kulturellen Praktiken und Genres einzugehen. Mit andern Worten, während der Circuit of Culture so unterschiedliche Untersuchungsgegenstände wie Ausstellungstechniken, Ernährungsgewohnheiten, Fotografie oder Idennannter normativer Divergenzansatzes geht auf das Modell „Four theories of the press“ von Siebert, Peterson und Schramm (1956) zurück. Sie haben vier Mediensysteme unterschieden, nämlich autoritative, liberale, sozialverantwortliche und kommunistische Mediensysteme. „The most striking feature about this book, in retrospect, is how little its talented authors felt they needed to know. They display some knowledge of the American and Russian media, and of the American Colonial and early English press, but little about any other media system. They got round their evident lack of comparative expertise by advancing a convenient, idealist argument. Media systems, they claimed, reflect the prevailing philosophy and political system of the society in which they operate.“ (Curran/Park 2000: 4). Die Mediensystemklassifikation von Hallin/Mancini (2004) kommt zwar das Verdienst zu, empirisch vorzugehen, aber sie blendet nicht-westliche Mediensysteme aus. 107 Aufgrund seiner Anwendungsorientierung ist der EAM auf einem basaleren Niveau angesiedelt als beispielsweise die in Kapitel 3 referierten Ansätze.
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tität von Diasporaangehörigen mit demselben Analyseinstrumentarium untersucht, soll der EAM auf die Charakteristika von Medienkultur abgestimmt und ausgerichtet werden. Diese Reduktion wird durch den argumentativen Hinweis auf Kapitel 4 begründet, dass der Circuit of Culture dem Modelldiskurs der Kommunikations- und Medienforschung entstammt. Das Modell hebt sich von den Prozessmodellen ab, indem es Kommunikation nicht als lineare Informationsübertragung, sondern als kollektive und zirkuläre Bedeutungsproduktion fasst. In einigen Prozessmodellen wird die Privilegierung des Senders zwar relativiert, aber aufgehoben wird sie erst in den Kreislaufmodellen. Während Vermittlungsmodelle einige der am Massenkommunikationsprozess beteiligten Faktoren integrieren, geht der EAM radikaler vor und setzt sämtliche Faktoren in einen Zusammenhang. Es handelt sich um einen Ansatz, der auf die Mikro- (Individuen) und Mesoebene (Gruppen, Organisationen) angewendet werden kann. Gemäß dem Prinzip der Inter-Penetration der sozialen Ebenen (Anhut 2005) sind diese Ebenen aber auch mit der Makroebene verbunden, so dass sich ausgehend von individuellen und kollektiven Praktiken auch Aussagen über die Medienkultur einer Gesellschaft machen lassen.
5.2.2
Von Faktoren zu kollektiven Akteuren
Durch die Reduktion des Gegenstandsbereiches von Kultur im Allgemeinen auf Medienkultur im Besonderen ist auch das in Kapitel 4 erörterte Problem des mangelhaften Rechtfertigungszusammenhangs gelöst. Denn im Gegensatz zum Circuit of Culture erklärt der EAM die an kommunikativen und medialen Praktiken beteiligten fünf Faktoren mit Verweis auf den Diskurs der Kommunikations- und Medienforschung. Um den Ansatz handlungstheoretisch auszurichten, werden drei Faktoren des Circuit of Culture als Akteure konzipiert. So wird aus dem Faktor Produktion der kollektive Akteur Kommunikator und aus dem Faktor Konsumtion der kollektive Akteur Rezipient. Die einzelnen Akteursgruppen können selbst wiederum ausdifferenziert und heterogen sein. Kommunikatoren und Rezipienten sind wechselseitig miteinander verbunden, weil sie ihre auf Zeichensysteme beruhenden Aussagen (Repräsentation) immer in Hinblick auf den anderen formulieren und distribuieren. Ihre Persönlichkeiten, mentalen Dispositionen, Kompetenzen, Selbstbilder und Erwartungshaltungen prägen die Interaktionsprozesse. Sie werden durch Eingriffe von Regulationsakteuren ermöglicht und begrenzt. Auf diese Weise greifen institutionelle Verortung, organisatorische Struktur, Stellung im Arbeitsteam, juristische Gesetze, soziale Regeln, ökonomische Imperative und politische Einflussnahmen in ihre gegenseitigen Beziehungen ein. In jeder
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Interaktion werden Identitäten ausgehandelt, die bis zu einem gewissen Grade im Bedeutungspotenzial der Kommunikations- und Medieninhalte manifest werden. Mit dem Argument, dass eine Analyse des kommunikativen und medialen Handels zu verkürzten und verzerrten Aussagen gelangt, wenn die Akteure isoliert und einzeln für sich betrachtet werden, setzt sie der EAM wechselseitig in Beziehung. Am ‚media making( ދGrossberg et al. 2006) sind sämtliche Relationen beteiligt. Der Ansatz geht integrativ vor, weil er das Ziel verfolgt, Medienkulturen im soziokulturellen Gesamtzusammenhang zu analysieren. Auch wenn die soziale Realität unendlich komplex sein mag, ist es für die wissenschaftliche Praxis nicht anders möglich als dass ein Ansatz in einer empirischen Analyse aus den unzähligen Interkonnektivitäten selektiert und seinen Fokus auf einige Relationen richtet. Der EAM kann dem Totalitätsanspruch des Circuit of Culture unmöglich gerecht werden. Aber er kann den Anspruch als Ideal nehmen und damit so pragmatisch als möglich umgehen. Darüber hinaus kann der dem EAM zu Grunde liegende Holismus durch zwei Argumente entschärft werden. Erstens werden Kontexte nie vollständig repräsentiert, sondern nur unter verschiedenen Perspektiven rekonstruiert: „In Wirklichkeit wird jedoch nicht postuliert, dass ‚alles Kultur ist‘, sondern dass jede soziale Praktik sich auf Bedeutung bezieht, dass Kultur folglich eine Existenzgrundlage dieser Praktik ist und dass somit jede soziale Praktik eine kulturelle Dimension hat. Nicht dass es nichts als den Diskurs gibt, sondern dass jede soziale Praktik einen diskursiven Charakter hat.“ (Hall 2002: 113)
Der potenzielle Holismus-Vorwurf stellt sich also bei näherem Hinsehen als verfehlt heraus, da Kultur nicht alles ist, sondern alle Praktiken auf der Grundlage eines kulturellen Musters ablaufen. Damit erscheint es auch nicht länger als Widerspruch, den ganzheitlich-holistischen zu Gunsten des bedeutungsorientierten Kulturbegriffs aufzugeben. Zweitens bedeutet das Holismuskonzept nicht, dass die verschiedenen Faktoren auf harmonische und stabile Weise miteinander verbunden wird. „A conjuncture is a description of a social formation as fractured and conflictual, along multiple axes, planes and scales, constantly in search of temporary balances or structural stabilities through a variety of practices and processes of struggle and negotiation.“ (Grossberg 2006: 4) Dieses Zitat weist darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den Akteuren und Faktoren des EAM nicht notwendigerweise als idealiter geschlossen totalitär konzipiert werden müssen, sondern als instabil gedacht werden können.
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5.2.3
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Forschungsfragen
Der EAM ist ein Ansatz, der die durch die Praktiken von gesellschaftlichen Akteuren entstehende Medienkultur als einen aus den Faktoren Kommunikator, Rezipient, Regulationsakteur, Identität und Repräsentation bestehenden Kontext konzipiert und ein heuristisches Raster zur Analyse bereitstellt. Die medienkulturwissenschaftlichen Hauptfragestellungen lauten: Durch welche Praktiken von sozialen Akteuren konstituiert sich eine Medienkultur? Was sagen diese Praktiken über die Kultur einer Gemeinschaft aus? Diese Hauptfragestellungen lassen sich in drei forschungsleitenden Fragestellungen – im Folgenden als F1, F2 und F3 bezeichnet – spezifizieren:108 F1: Welche Konflikte ergeben sich zwischen den an der Medienkultur beteiligten Akteuren?
Durch die Prämisse, dass mehrere Akteursgruppen und Faktoren am Kreislauf des ‚media making‘ beteiligt sind, ergibt sich die Konsequenz, dass Medienkultur nicht etwa konsensuell und reibungslos, sondern im Gegenteil konflikthaft verläuft. Aus der Vielfalt von unterschiedlichen Konfliktdefinitionen und -theorien wird hier die Desintegrationstheorie (Anhut 2005) ausgewählt.109 Sie versteht unter einem Konflikt eine soziale Beziehung, die durch einen Interessengegensatz zwischen verschiedenen Akteuren charakterisiert wird. Dieser Interessengegensatz wird als Gegnerschaft zwischen Individuen, Indi-
108 Aus Gründen der Forschungsökonomik sind aus dem EAM nur drei Forschungsfragen abgeleitet worden. Es wäre allerdings denkbar, das Set an forschungsleitenden Fragestellungen durch die Thematisierung von weiteren Interdependenzen (zum Beispiel zu Repräsentation und Produktion oder zur individuellen Identität und sozialen Regulation) zu erweitern. 109 Zur Übersicht und Renaissance sozialwissenschaftlicher Konflikttheorien siehe: Bonacker (2005a). Bucher und Duckwitz stellen in Bezug auf die Erforschung von Konflikten fest, dass mit der Etablierung der Medien- und Kommunikationsforschung eine Situation entstanden ist, die „man als doppelte Kontingenz bezeichnen könnte: Theorien und Befunde der massenmedialen Konfliktforschung werden von der Soziologie nur am Rande wahrgenommen, während die Kommunikations- und Medienwissenschaft zwar vielfältige Forschung über publizistische Konflikte vorweisen kann, selbst aber Konflikttheorien zur Einordnung der eigenen Befunde nur peripher berücksichtigt“ (2005: 180).
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viduen und Gruppen oder Gruppen und Gruppen, Verbänden und anderen sozialen Assoziationen ausgetragen.110 Allerdings ist es notwendig, den Konflikt von anderen Formen der Interessenauseinandersetzung abzugrenzen. „Als erstes Abgrenzungskriterium wird hierbei der Einsatz von Macht- und Herrschaftsmitteln herangezogen, mittels dessen sich soziale Konflikte von alltäglichen Konkurrenzsituationen (Spiel, Streit, Wettstreit) abheben.“ (Anhut 2005: 389) Da aber Machtund Herrschaftsmittel auch in anderen konflikthaften Situationen vorkommen (zum Beispiel der Kampf konkurrierender Medienunternehmen um Marktanteile), ohne dass es einsichtig wäre, diese Situationen ebenfalls als Konflikt zu fassen, ist noch ein zweites Abgrenzungskriterium nötig: die Inter-Penetration der sozialen Ebenen. Hierunter wird die Tendenz bestimmter gruppenförmiger Auseinandersetzungen verstanden, sich „nach oben (gesellschaftliche Makroebene) wie nach unten (soziale Mikroebene) auszudehnen. Auch interpersonale Konflikte, in denen einzelne Personen stellvertretend für ihre Kollektive agieren oder intrapersonale Konflikte, in denen sich Individuen zwischen konfligierenden Normenanforderungen oder Rollenerwartungen“ (ebd.: 389)
entscheiden müssen, lassen sich damit einem spezifischen Konflikt zuordnen. Grundsätzlich hat die Forschung festgestellt, dass mit der Ausdehnung der Medienkommunikation die Konfliktlatenz der Gesellschaft zugenommen hat. Konflikte machen einen Hauptbestandteil der Medieninhalte aus und sind eines der wichtigsten Selektionskriterien für die Steuerung der publizistischen Aufmerksamkeit. Über Konflikte wird nicht bloß berichtet, sondern sie werden von den Massenmedien inszeniert.111 Welche medienkulturellen Konfliktformen gibt es? Im Folgenden geht es nicht eigentlich um den Konflikt als Medienthema, sondern um die Medien als Konfliktakteur und -gegenstand. Allerdings ist zu beachten, dass die Massenmedien und ihr Publikum zu einem Konfliktakteur werden, indem sie einen Konflikt in der Berichterstattung oder in dialogischen Foren wie Talkshows, Onlineforen etc. öffentlich identifizierbar machen, publizistisch aufbereiten und austragen. Als Medienereignisse sind Konflikte dann „den spezifischen Bedingungen der Medienkommunikation unterworfen“ (Bucher/Duckwitz 2005: 189). Das bedeutet, dass die Medialisie110 Obwohl für Medienkultur interpersonale und Intergruppenkonflikte im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, weist Anhut (2005) zu recht darauf hin, dass sich diese Konflikte auf der intrapersonalen Ebene niederschlagen können. Eine umfassende Definition und differenzierte Systematik hat entsprechend zwischen intrapersonalen, interpersonalen, Intergruppen- und Interstaatenkonflikten zu unterscheiden. 111 Siehe dazu: Hug (1997), Kepplinger (1994) und Sarcinelli (1997).
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rungsstrategien zur Ungewissheit führen, welche Polarisierungen entstehen und welche Vermittlungsmöglichkeiten ins Spiel kommen. Die Konflikte können sowohl innerhalb der verschiedenen kollektiven Akteursgruppen (Kommunikatoren, Rezipienten, Regulationsakteure) als auch zwischen ebendiesen Gruppen entstehen. Sie weisen jeweils Bezüge zu den Faktoren der Repräsentation und der Identität auf, denn Konflikte steigen und eskalieren besonders dann, „wenn die Identitäten bedroht sind“ (Zick 2005: 412). Während innerhalb der Kommunikatorgruppe an redaktionelle Konflikte und an Konflikte zwischen Journalisten und Verlagsleitung zu denken ist, können beispielsweise bei der Bewertung von skandalöser Berichterstattung auch Konflikte zwischen verschiedenen Publikumsgruppen auftreten. Bei Konflikten zwischen den verschiedenen kollektiven Akteursgruppen sind Konflikte zwischen Kommunikatoren und Regulationsakteuren (Kommunikationsministerien, Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden, Presseräte, Ombudsstellen Lobby- und Pressure Gruppen, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen), zwischen Kommunikatoren und Rezipienten (die sich in Leserbriefen oder Blogs manifestieren können) und schließlich zwischen Rezipienten und Regulationsakteuren, zu unterscheiden. In der Prominenz des Konfliktaspekts zeigt sich, wie sehr der EAM den Cultural Studies verbunden ist. Denn die Cultural Studies sind ein transdisziplinäres Projekt, das sich durch die Analyse von soziokulturellen Macht- und Ungleichheitsstrukturen charakterisiert und daher die gesellschaftlichen Konflikte als einen Schwerpunkt ihrer Forschung begreift. Davon zeugt allein Thompsons berühmte Definition von Kultur als Summe der Beziehungen zwischen einzelnen Elementen innerhalb einer Konfliktart (1999: 91). Wie die oben angeführten Beispiele der medienkulturellen Konfliktformen zeigen, ist der hier vertretene Konfliktbegriff entpolitisiert und entdinglicht. Die Konfliktanalyse des EAM konzentriert sich darauf, die „Kontextbedingungen angeben zu wollen, die latente Konflikte manifest werden lassen“ (Bonacker 2005b: 13). Es geht also nicht um ein kausales, sondern um ein prozesshaftes Konfliktverständnis. Darüber hinaus lassen sich gemäß dem Prinzip der Inter-Penetration der sozialen Ebenen viele Konflikte in den Kontext internationaler Konfliktformationen einordnen, da sie transnationale Bezüge aufweisen. An die Beschreibung von medienkulturellen Konflikten schließt sich die Frage an, wie mit solchen Konflikten umgegangen wird: F2: Welche Strategien wählen die verschiedenen Akteure, um bestehende Konflikte der Medienkultur zu lösen? Der EAM geht davon aus, dass Konflikte und die insbesondere die Suche nach einer Konfliktregulation ein Motor für medienkulturellen
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Wandel sind. So können öffentliche Diskussionen über Medienethik produktive Impulse für die Auseinandersetzung, welche journalistischen Praktiken gesellschaftlich akzeptabel sind und welche nicht, bereitstellen. In der Schweiz wäre beispielweise an die wochenlange Diskussionen über die Adäquatheit der Berichterstattung der Boulevardmedien in der Affäre um den ehemaligen Botschafter Borer zu erwähnen. Während die Massenmedien zuerst einen privaten Konflikt publizistisch aufbereitet haben, ist ihr Tun dabei selbst zu einem Konfliktgegenstand und damit die Medien zu einem Konfliktakteur geworden. Obwohl die Nichtlösung von Konflikten zur Desintegration führen kann, sind die Austragung von Konflikten und die Suche nach Regulations- und allenfalls Lösungsstrategien als gesellschaftlich funktional zu bezeichnen. Denn die Moderne zeichnet sich „dadurch aus, dass sie zwar Konfliktpotenzial steigert, aber in gesellschaftliche Formen presst“ (Stark 2005: 93). Die Aushandlungs- und Konfliktlösungmechanismen der verschiedenen Medienakteure können dabei sowohl auf formelle als auch auf informelle Weise vor sich gehen. Informell werden dabei jene Beziehungen und Aktivitäten genannt, die jenseits der staatlich regulierten sozialen Umwelt, stattfinden.112 Während beispielsweise juristische oder medienethnische Verurteilungen durch Strafgerichte oder Presseräte als formelle Konfliktregulierungen zu bezeichnen sind, sind Absprachen zwischen Medienakteuren, die ‚hinter verschlossenen Türen‘ stattfinden, als informell zu bezeichnen. Unabhängig von der Konfliktregulationsform führen Konflikte „zur Anpassung bzw. Neuschaffung sozialer Normen und Regeln, dadurch entstehen neue soziale Strukturen, und im Konfliktgeschehen werden sich die Beteiligten dieser Regeln bewusst“ (Koenig 2005: 78). Die neuen Strukturen können institutioneller Art sein, wenn es zum Beispiel in der Nachfolge eines Konflikts zur Schaffung neuer Institutionen kommt. In jüngster Zeit sind dies im Bereich der Massenmedien häufig Ombudsstellen, Organisationen oder (Internet-)Foren. Der Grundgedanke des EAM besteht darin, Medienkultur als das Ergebnis von interdependenten und konflikthaften Handlungen von Medienakteuren zu konzipieren. Für die Medienaneignung folgt daraus spezifischerweise, dass sie als ein Identität generierender Aushandlungsprozess zwischen den Rezipienten einerseits und den Produktions- und Regulationsakteuren andererseits gefasst wird. Für die praktische Forschung ergeben sich aus diesem Interdependenzprinzip neben Fragen nach den gegenseitigen Erwartungshaltungen der Akteure sowie den eingelösten medialen Identifikationspotenzialen auch 112 Dieses Verständnis von Informalität wird zwar von einer großen Anzahl von Ökonomen, Politologen und Soziologen vertreten, aber ist es ebenso Gegenstand von großen Kontroversen. Siehe: Misztal (2000) und Portes (1994).
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lebensweltliche Fragen nach den strukturierenden Ritualen und Routinen der Medienaneignung. Dazu gehört auch, den Ort der Medienpraktiken zu lokalisieren (Stevenson 2002). Er kann sich sowohl im Privaten als auch im Öffentlichen befinden. Insbesondere die Mediennutzung im öffentlichen Raum ist in der Forschung marginalisiert worden, obwohl die Frage, „ob und wie sich das Medium bzw. dessen Nutzung in die Kommunikationsordnung des öffentlichen Raums und seiner Regeln einfügt – oder Widerstände erzeugt“ (Höflich 2005: 81), höchst relevant ist. Für eine ethnographische Perspektive ist aber nicht nur die Thematisierung des Orts der Medienaneignung, sondern auch die damit zusammenhängende Frage nach dem Verhältnis von Medienaneignung und interpersonaler Kommunikation von Interesse. Denn: Individual- und Gruppenkommunikation stellen „unterschiedliche Kontexte der Mediennutzung dar (Beispiel: Gespräche während der Mediennutzung im privaten Umfeld versus Mediennutzung im öffentlichen Raum) und Mediennutzung wiederum ist mit Blick auf die interpersonale Kommunikation als Kontext je unterschiedlich von Belang (Gespräche über die Mediennutzung in verschiedenen sozialen Zusammenhängen, Formen mediatisierter interpersonaler Kommunikation.“ (ebd.: 71)
Während die Mehrheit von herkömmlichen Kommunikationsansätzen die interpersonale Kommunikation höchstens als eine den privaten Raum betreffende Residualkategorie ansieht, setzt sich der EAM zum Ziel, die Bedeutung der interpersonalen Kommunikation im Prozess massenmedialer Kommunikation herauszuarbeiten (Knoblauch 1996; Maletzke 1998). Die Publikumsaktivität kann dabei in eine prämediale, eine mediale und eine postmediale Phase unterteilt werden. Während die prämediale Phase all jene Kommunikationen umfasst, bei denen die interpersonale Kommunikation zur Mediennutzung hinführt und diese im weitesten Sinn kontextualisiert, bezeichnet die mediale Phase die Situation, in der die Mediennutzung stattfindet. Dazu zählt nicht nur die Situation, in der sich der Rezipient gegebenenfalls zusammen mit Familiemitgliedern, Freunden oder Arbeitsplatzkollegen etc. befindet, sondern auch „die Situation im Medium“ (Höflich 2005: 77). Damit sind jene parasozialen Interaktionen gemeint, bei denen der Rezipient eine persönliche Interaktion mit dem Kommunikator imaginiert. Die postmediale Phase rekurriert auf die Tatsache, dass Aneignungsprozesse wie Informationsverarbeitung, Urteilsbildung und Verständigung häufig in Kollektiven erfolgen. Darüber hinaus sind Medien „Lieferanten von Themen und sorgen damit dafür, dass eine Kommunikation mit Anderen in Gang gebracht oder im Laufen gehalten wird. Doch
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überdies haben Gespräche über Medien und Medieninhalte eine wesentliche Bedeutung, was deren Aneignung anbelangt, und sie wirken dergestalt wieder in einem rekursiven Sinn auf die Medien zurück.“ (ebd.: 79)
Diese Ausführungen lassen sich in folgender Forschungsfrage zusammenfassen: F3: Auf welche Weise wird die interpersonale Kommunikation von der Medienaneignung kontextualisiert und kontextualisiert diese zugleich? Im Kontext der Fremdkulturalität – zum Beispiel bei Medienkulturen in Entwicklungsländern, die eine tiefe Alphabetisierungsrate aufweisen – ist im Rahmen der interpersonalen Interaktion, des Ortes der Medienaneignung und der Plurimedialität auch auf die Debatte zur modernen Oralität einzugehen. Denn das Nebeneinander von Fernsehen, Radio, Fix- und Mobiltelefonie, computervermittelter und interpersonaler Kommunikation „rückt die Kommunikation wieder näher an das gesprochene Wort heran, sie wird unmittelbarer und expressiver im Vergleich zur eher erklärenden und distanzierten schriftlichen Kommunikation“ (Schröder/Voell 2002: 14). Mit dem Begriff der modernen Oralität ist darauf hingewiesen, dass strukturelle Ähnlichkeiten zwischen der präliteralen Oralität und zeitgenössischen Kommunikationsformen in Bezug auf eine gleichrangige Koexistenz kulturell verfügbarer und gesellschaftlich akzeptierter Kommunikationskanäle bestehen. „Dieser Umstand kommt den tradierten kulturellen Ausdrucksformen von nur oberflächlich literalisierten Gesellschaften entgegen, deren alltagsweltliche kommunikative Praxis bis heute maßgeblich von Formen ursprünglicher Oralität geprägt ist. Damit eröffnet sich ihnen die Möglichkeit zur Teilhabe an der globalen Kommunikation.“ (ebd.: 12)
5.2.4
Von Forschungsfragen zu Hypothesen
Um das Forschungsdesign einer empirischen Untersuchung zu straffen und die Ziele einer Studie prägnanter darzustellen, bevorzugt der EAM ein hypothesenartiges Vorgehen. Die drei forschungsleitenden Fragestellungen sind entsprechend je nach Forschungsstand und Vorwissen zu einer bestimmten Medienkultur in Hypothesen zu transformieren. Die Hypothesen sollen wiederum in Fallstudien überprüft werden. Das heißt, die Medienkulturen werden nicht umfassend beschrieben und monographisch präsentiert, sondern in den Gegenstand
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
einschränkenden und strukturierenden Fallstudien analysiert. Die Fallstudien „zielen auf die genaue Beschreibung oder Rekonstruktion eines Falls ab. Das Fallverständnis ist dabei eher weit gefasst“ (Flick 2000: 253). Auf den ersten Blick scheint diese Hypothesengeleitetheit den von der qualitativen Sozialforschung im Allgemeinen und den Cultural Studies im Besonderen formulierten Prämissen der Offenheit und Reflexivität des Forschungsprozesses zu widersprechen. Denn lange Zeit wurden in der qualitativen Sozialforschung die Formulierung von sogenannten Ex-ante-Hypothesen abgelehnt. Im Hinblick auf Strauss’ Grounded Theory schreibt beispielsweise der Soziologe Meinefeld: Die Aufgabe empirischer Forschung sei es nicht, aus großen „Theorien systematisch abgeleitete Hypothesen einer empirischen Überprüfung zu unterziehen [...]; empirisch fundierte allgemeine Theorien seien vielmehr nur zu erwarten, wenn der Forscher seine Kategorien aus den Daten selbst gewinne. Die Formulierung einer soziologischen Theorie solle also nicht am Beginn, sondern am Ende des Forschungsprozesses stehen.“ (2000: 268)
Gegen diese Position wird im aktuellen sozialwissenschaftlichen Methodologiediskurs eingewendet, dass qualitative Forschungsdesigns die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen keineswegs ausschließen. Denn Forschung ist ohne Vorwissen nicht möglich, wie bereits ein Hinweis auf den Entdeckungszusammenhang lehrt (Reichenbach 1977: 260). Das Reflektieren dieses Vorwissens und die Formulierung von Hypothesen (wie im Fall des EAM) muss aber keineswegs bedeuten, für neue Beobachtungen nicht mehr offen zu sein. „Wenn wir lernen, zwischen der prinzipiellen methodischen Offenheit und der Expliziertheit, mit der das Vorwissen reflektiert und ausformuliert wird, zu unterscheiden, wird es möglich, die Formulierung von Hypothesen mit dem Rekonstruieren gegenstandsspezifischer Bedeutungsgehalte zu vereinbaren. Die Offenheit für das Neue hängt gerade nicht davon ab, dass wir auf der inhaltlichen Ebene das Alte und Bekannte nicht bewusst gemacht haben, sondern davon, in welcher Weise wir die Suche nach dem Neuen methodisch gestalten. Logisch sind diese beiden Ebenen unabhängig voneinander – die Frage der Konkretisierung des Vorwissens und der Wahl der anzuwendenden Methode für die Gewinnung neuen Wissens hängen nur insofern [...] zusammen, als zum Beispiel ein standardisierter Fragebogen keine Informationen beschaffen kann, die außerhalb der vom Forscher für wichtig erachteten Dimensionen angesiedelt sind, da im gewählten Instrument für sie kein Platz ist. Dies bedeutet zum einen jedoch nicht, dass damit das Ergebnis schon vorab entschieden wäre, wie gelegentlich kritisiert
DER ETHNOGRAPHISCHE ANSATZ DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
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wird: Nur das Gerüst der in die Untersuchung einbezogenen Dimensionen ist damit festgelegt, nicht aber deren konkrete inhaltliche Ausprägung; es können also sehr wohl inhaltlich überraschende Ergebnisse auf diesem Wege gewonnen werden.“ (Meinefeld 2000: 272)
In diesem Sinne macht der EAM durch die Formulierung von Hypothesen seinen Fokus und sein Vorwissen explizit, ohne dabei jedoch sämtliche Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand und der Methodik aufzugeben.
5.3 EMPIRISCHE KOMPONENTE 5.3.1
Transnationale Anwendungsfelder
Der EAM ist auf die fallweise Analyse von meist fremdkulturellen, in jedem Falle aber transnationalen Medienkulturen ausgerichtet. Mit seinem akteurszentrierten und handlungstheoretischen Fokus stellt er Ergebnisse über den Gesamtzusammenhang von Produktion, Aneignung und Regulation in Aussicht. Dabei bleibt er nahe an den Lebenswelten der untersuchten Akteure. Die ethnographische Orientierung rührt daher, dass es gerade bei der Untersuchung von wenig bekannten oder sogar unbekannten Medienkulturen wichtig ist, offen und unvoreingenommen an den Untersuchungsgegenstand heranzugehen. Zwar richtet sich der EAM in erster Linie an Forschung in fremdkulturellen Kontexten, aber wie die zeitgenössische Ethnographie nachdrücklich zeigt, kann es Sinn machen, auch die eigene Kultur ethnographisch zu erforschen. Allerdings muss sich der Ethnograph dazu der Fremdheit des allseits Bekannten und Vertrauten durch eine Einstellungsänderung erst wieder bewusst werden. „Er muss in nächster Nähe jene Fremde überhaupt entdecken, die der ethnologische Ethnograph gemeinhin fast zwangsläufig existenziell erfährt.“ (Honer 2000: 196) Mit dem Stichwort Transnationalisierung ist eine weitere Verbindung zwischen dem Circuit of Culture und dem EAM angesprochen (vgl. Kapitel 4.4.4). Transnationalität geht davon aus, dass Medienkulturen nicht geographisch abgeschlossene Räume, sondern ein Produkt von Austauschprozessen zwischen Ländern sind. „Wird Medienkultur unproblematisiert als national bezogene Integrationsinstanz konzeptionalisiert, so werden medienkulturelle Zusammenhänge schwer greifbar, die gerade quer zu den Gesellschaften und Staaten als impliziten, containerhaften Referenzpunkten liegen.“ (Hepp 2004: 96)
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Der Prozess der Transnationalisierung hat in den letzten beiden Jahrzehnten in vielen Ländern der Welt zu grundlegenden Veränderungen der lokalen Medienkulturen beigetragen. Dies gilt insbesondere auch für die oben erwähnten oral geprägten Kulturen: „Ihre Kommunikationskanäle werden nicht mehr nur aus lokalen Erfahrungen und lokalem kulturellem Wissen gespeist, sondern ebenso aus Bildern, Texten und Ideen, die dem Repertoire nicht-lokalisierter, global verfügbarer Kultur entstammen. Und die Kommunikation der modernen Oralität wirkt immer auch in diesen diffusen Raum globaler Öffentlichkeit hinein, sei es intentional oder nicht.“ (Schröder/Voell 2002: 15)
Diese Transformationen der Lebenswelten rufen nach adäquaten Forschungsstrategien, die auch folgende drei Dimensionen der medienkulturellen Transnationalität berücksichtigen. Erstens in transnationalen Gegenständen von Medienkommunikation. Hierfür können die Auslandsberichterstattung, der Bezug auf internationale oder supranationale Institutionen sowie die internationalen Medienereignisse als Beispiele genannt werden. Zweitens die transnationale Zirkulation von Mediengenres, -produkten und -inhalten, die im Programmexport, im Formathandel, in der Direktausstrahlung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen über Ländergrenzen hinweg sowie in der Diffusion von Diskursgehalten und Ideen manifest werden: „Ideen, die in öffentlichen Diskursen eines Landes artikuliert werden (in Massenmedien, Versammlungsöffentlichkeiten etc.), können von Diskursteilnehmern eines anderen Landes individuell rezipiert werden – durch Lektüre, Teilnahme an öffentlichen Diskussionen, informelle Kontakte und Gespräche – und dann in der eigenen Öffentlichkeit in Umlauf gebracht werden. Hierfür können soziale Infrastrukturen verschiedener Art eine Rolle spielen: Institutionen, die kulturellen Austausch organisieren, internationale kulturelle oder intellektuelle Assoziationen, Auslandskorrespondenten.“ (Schultz/Weßler 2005: 360)
Schließlich sind als dritte Dimension auch transnationale Identifikationsangebote zu erwähnen, die Kommunikatoren ihren Medienprodukten einschreiben.
5.3.2
Feldzugang
Die transnationale Perspektive des EAM bedeutet forschungspraktisch, den Fokus auf die kulturellen Handlungen von Medienakteuren an einem bestimmten Ort zu richten und dabei die transnationalen Be-
DER ETHNOGRAPHISCHE ANSATZ DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
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züge herauszuarbeiten. Der Beginn von ethnographischer Forschung an einem bestimmten Ort kann mitunter Schwierigkeiten bereiten. Zunächst einmal muss es für den Ethnographen darum gehen, „den Erwerb von Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit in einer ihm fremden Kultur“ (Krotz 2005: 258) zu bewerkstelligen. Bereits bei der Forschungsvorbereitung und im Forschungsdesign sollte dieser Aspekt in die Überlegungen miteinbezogen werden. Dies führt zum Thema des Feldzugang über, also zu der Frage, „wie es einem gelungen ist, Zugang zu dem jeweiligen Feld zu bekommen, welche Hürden dabei bewältigt werden mussten, wie Vertrauen aufgebaut werden konnte und welche Gatekeeper von besonderer Bedeutung waren“ (Lüders 2000: 392). In einem ersten Schritt ist es sinnvoll, Kontakt zu den lokalen Universitäten, Forschungszentren und Marktforschungsinstituten herzustellen. Hier können Basisinformationen über das Feld gesammelt und das Forschungsdesign mit lokal ansässigen Experten besprochen werden. Durch solche Institutionen lassen sich auch Forschungsmitarbeiter finden. Dies ist insbesondere für die Durchführung der Forschungsprojekte in der Muttersprache der Probanden wichtig, denn bei Befragungen oder Interviews in Fremdsprachen ist die Gefahr der systematischen Verzerrung groß. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine solche Vorgehensweise beträchtliche finanzielle und zeitliche Ressourcen bedarf. In einem zweiten Schritt können solche Experten oder Mitarbeiter als Gatekeeper helfen, Zugang zum Feld zu finden. „Der gekonnte Umgang mit solchen Türstehern gewinnt damit strategische Bedeutung innerhalb der Zugangsarbeit.“ (Wolff 2000: 342) Es ist daher in jedem Fall hilfreich, wenn bereits Kontakte zu solchen zentralen Personen im Feld bestehen oder mittels anderer Personen, die man kennt, hergestellt werden können. Grundsätzlich gilt, dass es „keine Patentrezepte [gibt], wie der Weg ins Feld gesucht und gefunden werden sollte“ (ebd.: 336). In Kapitel 3.5 wurden bereits Studien vorgestellt, die als Forschungsfelder zum Beispiel ein Cybercafé zur Beobachtung der Internetnutzung oder eine Fabrik und eine Bar zur Untersuchung der Zeitungsnutzung sowie daran anschließender Kommunikation im Alltag wählten. Genau besehen, ist die Rede vom Feldzugang allerdings simplifizierend. Denn um Medienkultur als Kontext analysieren zu können, wie es der EAM vorsieht, sind die Praktiken von mehreren Akteuren zu analysieren. Es reicht also nicht, das Augenmerk nur auf die Journalisten, die Regulationsbehörden oder das Publikum zu richten, sondern es sind die verschiedenen Akteuren im Zusammenhang zu untersuchen. In diesem Sinne handelt es sich nicht um einen einzelnen, sondern um mehrere zu bewerkstelligende Feldzugänge.
186
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
5.4 METHODOLOGISCHE KOMPONENTE 5.4.1
Ethnographie
Der EAM als ein akteurszentrierter und handlungstheoretischer Ansatz zur Untersuchung von transnationalen Medienkulturen wendet ein ethnographisches Forschungsdesign an. Er schließt an jene „flexible, methodenplurale kontextbezogene Strategie“ (Lüders 2000: 389) an, die auf die Kultursoziologie des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts zurückgeht. Gemeint ist damit, dass eine Methode je nach Forschungsfrage, -intention und -situation mit komplementären Methoden (zum Beispiel Beobachtung, Befragung, Interview, Diskurs-, Dokumenten- oder Inhaltsanalysen) kombiniert wird. Eine besondere Aufmerksamkeit kommt visuellen Datenquellen113 und nicht-reaktiven Erhebungsmethoden zu.114 Durch diesen Methodenpluralismus wird Ethnographie zu einer „family of methods involving direct and sustained social contact with agents, and of richly writing up the encounter, respecting, recording, representing at least partly in its own terms, the irreducibility of human experience“ (Willis/Trondman 2000: 1).115 Gemäß dem zeitgenössischen methodischen Diskurs (Flick 2004: 51) sieht der EAM sämtliche sozialwissenschaftliche Methoden als gleichberechtigt an. Grundsätzlich sollen Methoden gewählt werden, die geeignet sind, die Relevanz von medienkulturellen Handlungen zu rekonstruieren. Eine untergeordnete Rolle spielen allerdings hermeneutisch-textualistische Methoden, da sie nur in geringem Maße zur akteurszentrierten und handlungstheoretischen Konzeption passen. Der hier beschriebene medienkulturwissenschaftliche Ansatz übernimmt von der Medienethnologie die Annahme, dass fremde Untersuchungsgegenstände nur dann adäquat erfasst werden können, wenn der Forscher während eines längeren Zeitraums an der Alltagspraxis und der Lebenswelt der Probanden teilnimmt. Dabei muss der Ethno113 In den letzten Jahren erleben auch visuelle Medien wie Fotos und Film eine Renaissance in der ethnographischen Forschung. Bekannt wurde der Einsatz von Fotos in der Studie „Balinese Character“ (1942) von Bateson und Mead. Einführungen zum Thema finden sich bei Flick (2002: 221-228) und Harper (2000). Beiden Autoren weisen darauf hin, dass Fotos einen Ikonizitätsgrad haben, „der dazu beitragen kann, die Erinnerungen von Menschen zu aktivieren oder sie zu stimulieren bzw. zu ermutigen, Aussagen über komplexe Prozesse und Situationen zu treffen“ (Flick 2002: 225). 114 Als nicht-reaktive Methoden bezeichnet man Methoden, die das Verhalten der Probanden nicht beeinflussen wie zum Beispiel passive Beobachtung, Inhaltsanalysen oder die Analyse von Verhaltensspuren (Diekmann 1999: 517-544). 115 Im Gegensatz zu dieser Konzeption von Ethnographie als ein Verfahren, das Beschreibungen liefert, fasst Krotz die Ethnographie als ein Verfahren zum Generieren von Theorien (2005: 250-259).
DER ETHNOGRAPHISCHE ANSATZ DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
187
graph in die Lage sein, sein eigenes (Hintergrund-)Wissen zu explizieren und „gegebenenfalls zu klären, woher dieses Wissen stammt, in welchen typischen Situationen es erworben wurde, um es dann aus methodischen Gründen zu modifizieren oder zu suspendieren. Es geht also nicht darum, sein eigenes Wissen zu vergessen, sondern darum, dessen Relativität zu erkennen und interpretativ zu berücksichtigen.“ (Honer 2000: 196)
Auf dieser Grundlage kann der Forscher dann die Praktiken der Probanden in ihrem kulturellen Setting direkt beobachten, seine Beobachtungen durch informelle Gespräche und formelle Interviews vertiefen und so zu einem Verständnis der untersuchten Medienkultur gelangen (Krotz 2005:268; Lüders 2000; Peterson 2003). Aufgrund des Ziels, Praktiken nicht bloß zu beschreiben, sondern auch die Sinnzuschreibungen der Handelnden zu ihrem Handeln durch Mitvollzug in Erfahrung zu bringen, spielt die Methode der Beobachtung eine wichtige Rolle.
5.4.2
Triangulation
Der EAM wendet das Prinzip der Triangulation (lat. tres = drei, angulus = Winkel) an. Wie bereits in Kapitel 3.6.5 gezeigt, gelingt es den Cultural Studies, dieses Prinzip theoretisch herzuleiten. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Geodäsie und bezeichnet dort das Überziehen der Erdoberfläche mit einem Netz von Punkten (sogenannte trigonometrische Punkte), zwischen denen Dreiecke gebildet, ausgemessen und berechnet werden. Sie dienen zur Bestimmung der Form und Größe der Erde und bilden die Grundlage für die Vermessung und Kartierung eines Landes. Gemäß der Vorgehensweise im Vermessungswesen, einen Dreieckspunkt von den beiden Nachbarpunkten aus zu bestimmen, meint die Triangulation im methodologischen Diskurs der Sozial- und Kulturwissenschaften: ein Untersuchungsgegenstand wird von mindestens zwei Punkten aus bzw. unter mindestens zwei Perspektiven analysiert wird, um eine Erweiterung und Vertiefung der Forschungsresultate (dem Dritten) zu erhalten. Dabei können die Perspektiven „in unterschiedlichen Methoden, die angewandt werden, und/oder unterschiedlichen gewählten theoretischen Zugängen konkretisiert werden [...]. Weiterhin bezieht sie sich auf die Kombination unterschiedlicher Datensorten jeweils vor dem Hintergrund der auf die Daten jeweils eingenommenen theoretischen Perspektiven.“ (Flick 2004: 12)
188
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Der Vorteil der Triangulation liegt „weniger in der wechselseitigen Überprüfung von Ergebnissen (wie ursprünglich von Denzin vorgeschlagen und von den meisten Kritikern des Ansatzes heute noch als Zielsetzung unterstellt), sondern in Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten durch die Erweiterung von Perspektiven auf den untersuchten Gegenstand“ (ebd.: 102). Norman Denzins (1970) frühere Position, die Triangulation zur Validierung von Ergebnissen und zur Steigerung der Reliabilität von Vorgehensweisen einzusetzen, ist deshalb unhaltbar, weil ein Untersuchungsgegenstand durch die gewählte Methode geprägt wird. In diesem Sinne führt Triangulation nicht dazu, dass sich – metaphorisch gesprochen – die Erkenntnis über einen Gegenstand durch den Einsatz von verschiedenen Methoden einem Puzzle gleich zusammensetzt, sondern dass verschiedene Datensätze zu einer Erweiterung und Vertiefung des Wissens über verschiedene Aspekte eines Gegenstandes beitragen. Bei der Triangulation handelt es sich um einen Oberbegriff, der sich in vier Unterkategorien unterteilen lässt: Daten-, Investigator-, Theorien- und Methoden-Triangulation (Flick 2004: 13-15). Genau genommen lassen sich diese Unterkategorien aber nicht scharf trennen. Denn unterschiedliche Methoden (zum Beispiel die Beobachtung der Medienaneignung einer Gruppe oder die Befragung von Individuen zu ihrer Mediennutzung) führen zu unterschiedlichen Daten bzw. implizieren eine unterschiedliche Perspektive auf den übergeordneten Gegenstand der Medienkultur. Ein Set von mehreren Methoden ist bereits dadurch sinnvoll als dass in einem unbekannten Feld nicht von vorne herein absehbar ist, welche Methoden praktikabel bzw. erfolgreich sind und welche nicht. Bei genügendem Ressourcenbudget können Vorstudien über die Effektivität von Methoden Aufschluss geben, wobei in der Hauptstudie dann die erfolgreichste Methode angewendet wird. Der EAM wendet das Triangulationsprinzip systematisch an, das heißt es sind „verschiedene Datenerhebungs- und Auswertungsmethoden, Datenarten und Theorien je nach Forschungsfrage und Objektbereich so methodisch kontrolliert zu kombinieren, dass ein Forschungsdesign entstehe, das es erlaubt, glaubhaftes und zuverlässiges Wissen über den Menschen in seinem soziokulturellen Kontext bereitzustellen.“ (Marotzki 1998: 52)
Der EAM teilt die Grundannahmen qualitativer Forschung (Flick et al. 2000: 20ff.; Krotz 2005; Lamnek 1995) und die mit diesem Ansatz zusammen hängenden Studien sind insgesamt als qualitativ zu bezeichnen. Aber das Triangulationskonzept ermöglicht auch die Verbindung von qualitativen und quantitativen Methoden. Sie lassen sich grundsätzlich nicht trennscharf von einander unterscheiden, sondern bilden ein Kontinuum (Newman/Benz 1998). Der EAM setzt es sich
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zum Ziel, dieses Kontinuum zu nutzen und denselben Gegenstand mit verschiedenen Methoden zu untersuchen. Dabei können sowohl qualitative auf quantitative als auch quantitative auf qualitative Methoden folgen (Tashakkori/Teddlie 1998). Die von einigen Sozialforschern vertretene Position, dass qualitative Methoden der Hypothesengenerierung, quantitative Methoden jedoch der Hypothesenprüfung dienen sollen, wird ausdrücklich als unbegründet abgelehnt. Die Anwendung von qualitativen Methoden geht weit über die Exploration hinaus, wobei die EAM Studien den Anspruch erheben, an weitere qualitative und quantitative Studien anschlussfähig zu sein.
5.4.3
Dialog und Interpretation
Wenn man „die soziale Wirklichkeit verstehen will, muss man am gemeinten Sinn sozialen Handelns ansetzen. Sinn definiert aber nicht der Forscher mit seinen Instrumenten, sondern der Befragte oder Beobachtete, als die Person, um deren Wirklichkeit es geht und auf deren Wirklichkeit sich Forscherin oder Forscher einlassen müssen.“ (Krotz 2005: 13)
Ein Verstehen der Probanden ist nur in kommunikativer Auseinandersetzung möglich. Aus diesem Grund – und dies verweist auf die sogenannte Writing Culture Debatte (siehe Kapitel 3.5.4 und 3.6.5) – bindet der EAM die Probanden in den Forschungs- und Schreibprozess ein. Diese Einbindung beinhaltet, dass der Untersuchungsplan und die gewählten Methoden mit lokalen Experten besprochen und gegebenenfalls angepasst werden. Auch für die Durchführung des Forschungsprojektes selbst können lokale Hilfskräfte hinzugezogen werden. Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn die Probanden einer anderen Kultur als der Projektleiter zugehören. Der Feldzugang ist beispielsweise in manchen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Regionen nur durch die Vermittlung von Ortskundigen zu bewerkstelligen. Nicht zu vergessen ist ein Bewusstsein dafür, dass die Kenntnis der lokalen Sprache und der Interaktionsrituale eine Voraussetzung für den Erfolg von empirischer Sozialforschung sind. Besonders bei direkten Erhebungsmethoden wie Befragung und Interview können Sprachbarrieren, interkulturelle Missverständnisse oder Misstrauen zu verzerrten Ergebnissen führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Erhebung sowohl nachträglich zu reflektieren als auch lokale Wissenschaftler in den Analyse- und Interpretationsprozess einzubeziehen. Die Interpretation des Datenmaterials als interkulturellen Aushandlungsprozess zu begreifen, bringt allerdings eine große
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Herausforderung mit sich. Denn jeder Beteiligte muss sich in die Lage versetzen, sein „eigenes, fragloses (Hintergrund-)Wissen darüber zu explizieren und gegebenenfalls zu klären, woher dieses Wissen stammt, in welchen typischen Situationen es erworben wurde, um es dann aus methodischen Gründen zu modifizieren oder zu suspendieren. Es geht also nicht eigens darum, sein eigenes Wissen zu vergessen, sondern darum, dessen Relativität zu erkennen und interpretativ zu berücksichtigen.“ (Honer 2000: 197)
Eine solche Vorgehensweise bietet auch Chancen, den interventionistischen Ansatz der Cultural Studies einzubringen. Der Forscher sollte immer seine Position im Feld und die Auswirkungen seines Tuns reflektieren. Diese Selbstreflexivität bedeutet nicht nur zu überlegen, wie der Zugang zum Feld bewerkstelligt werden, sondern auch, welchen Nutzen das Feld aus der Anwesenheit des Forschers ziehen kann. (Feld-)Forschung sollte immer ein wechselseitiges Geben und Nehmen und nicht bloß ein einseitiges Nehmen sein. Entsprechend sind die Themen des EAM auf die gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich relevanten Probleme der Zeit auszurichten. Darüber hinaus sollten die Forschungsergebnisse immer Überlegungen in Gang setzen, ob und wie sie in den öffentlichen Diskurs eingespeist oder allenfalls sogar zur Reduktion von sozialer Ungleichheit herangezogen werden können.
5.4.4
Gütekriterien
Die Sozialforschung wendet sogenannte Gütekriterien an, um die Qualität ihrer Forschung (Prozess, Ergebnisse etc.) zu bewerten. Die quantitative Forschung hat dabei das bewährte Kriterienterzett Objektivität, Reliabilität116 und Validität117 entwickelt. So sinnvoll diese Kriterien für quantitative Forschung sein mögen, so inadäquat sind sie für qualitative Forschungsdesigns: „Sie wurden für ganz andere Methoden (zum Beispiel Tests, Experimente) entwickelt, die wiederum auf entsprechenden Methodologien, Wissen116 Unter Reliabilität versteht man die Zuverlässigkeit und Genauigkeit sowie „die Reproduzierbarkeit von Messergebnissen“ (Diekmann 1999: 217). Gelangen verschiedene Forscher mit denselben Methoden am gleichen Material zu identischen Ergebnissen? 117 Mit dem Begriff der Validität wird in der Wissenschaft die Gültigkeit eines Messinstruments bezeichnet (Diekmann 1999: 223ff.): Misst bzw. erfasst es tatsächlich das, was es zu erfassen bzw. messen vorgibt?
DER ETHNOGRAPHISCHE ANSATZ DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
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schafts- und Erkenntnistheorien basieren. Da deren Grundannahmen kaum mit qualitativer Forschung vereinbar sind, ist es nicht gerechtfertigt, von ihr zu erwarten, dass sie den Kriterien quantitativer Forschung entsprechen kann oder soll. Quantitative Kriterien können insbesondere aufgrund der vergleichsweise geringen Formalisierbarkeit und Standardisierbarkeit qualitativer Forschung nicht unmittelbar auf diese übertragen werden.“ (Steinke 2000: 322)
Die qualitative Sozialforschung hat diese Einsicht zum Anlass genommen, Gütekriterien zu entwickeln, die an ihr eigenes Profil und ihre eigenen Ziele angepasst sind sowie mit ihren methodologischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen übereinstimmen. Je nach Position der Wissenschaftler lehnen sich die qualitativen Gütekriterien mehr (Mayring 2003) oder weniger (Denzin/Lincoln 1994; Krotz 2005: 286-294; Steinke 2000) an die quantitativen Kriterien an. Der EAM schließt hier an die zweite Position an und übernimmt die Gütekriterien der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, der Indikation des Forschungsprozesses, der empirischen Verankerung, der Limitation, der Kohärenz, der Relevanz und der reflektierten Subjektivität (Steinke 2000: 323-331).
5.4.5
Zwischenergebnis
Im bisherigen Verlauf des Kapitels ging es um die Entwicklung und Herleitung des Ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft. Abschließend soll nun danach gefragt werden, was man vom EAM erwarten kann und was nicht, welche Vor- und Nachteile er mit sich bringt. Denn die Sozial- und Kulturwissenschaften zeichnen sich durch eine solche Vielfalt an unterschiedlichen paradigmatischen Positionen aus, dass es unerlässlich ist, einen Ansatz deutlich zu positionieren. Zusammengefasst liegt die Errungenschaft dieses Ansatzes in der Systematik, mit welcher Medienkulturen erforscht werden. Der Komplexität von Medienkulturen wird dadurch Rechnung getragen, dass möglichst viele Relationen zwischen den medienkulturellen Akteuren und Faktoren berücksichtigt werden. Weitere zentrale Charakteristika sind die handlungstheoretische Ausrichtung, der dreifache Integrationsanspruch und der erfolgreiche Anschluss an den zeitgenössischen Stand der qualitativen Sozial- und Kulturwissenschaften. Die bisherigen Ausführungen gehen von der Prämisse aus, dass die Erforschung von Medienkulturen bereits für sich genommen ein wichtiges Thema ist. Es liegt nahe, sie für interkulturelle Vergleiche heranzuziehen. Aber die Anwendung des EAM ist auch dann sinnvoll, wenn Ergebnisse aus Einzelstudien der Massenkommunikation- und Öffentlichkeitsforschung im soziokulturellen Gesamtzusammenhang
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
kontextualisiert werden sollen. Schließlich eignet sich der EAM auch für angewandte Forschung in den Bereichen Demokratisierung, Globalisierung, interkulturelle Kommunikation und Entwicklungszusammenarbeit. Das Konzept einer ethnographischen Erforschung von transnationalen und meist fremden Medienkulturen ist aber auch kritisch zu hinterfragen und zu problematisieren. So ‚bezahlt‘ der EAM die handlungstheoretische Ausrichtung, den Eklektizismus und die Berücksichtigung des soziokulturellen Gesamtzusammenhanges damit, dass er nicht mit derselben Spezifik auf ein begrenztes Thema eingeht, wie dies für viele sozialempirische Ansätze charakteristisch ist. Ethnographische Ansätze im Allgemeinen und medienkulturwissenschaftliche Ansätze im Besonderen stehen also vor einem Dilemma. Während sie den Vertretern der Sozialempirie als zu impressionistisch erscheinen, sind „sie anderen wieder zu wissenschaftlich; sie ziehen die Reportage oder die Dokumentation vor. Freilich muss man gestehen, dass die Ethnographie keine ‚harte‘ Wissenschaft ist; doch kann auch gefragt werden, ob die angebliche Härte etwa quantifizierender Verfahren nicht über das, was in Zahlen ausgedrückt wird, hinwegtäuscht. Freilich steht die Ethnographie durch die Arbeit des Beobachtens, des Beschreibens und der schriftlichen Darstellung des Beobachteten in der Nähe literarischer Gattungen, und so verwundert es auch nicht, dass die Ethnographie von der Reportage abstammt. Sie unterscheidet sich davon aber zum einen dadurch, dass sie versucht, auch im schwierigsten Feld ein methodisches Vorgehen einzuhalten. Zudem zielt sie nicht, wie etwa die Reportage, auf den Einzelfall, sondern auf typische Fälle.“ (Knoblauch 1996: 16)
An dieser Stelle sind auch einige Risiken zu erörtern, die medienkulturwissenschaftliche Forschung mit sich bringt. Denn Forschung im fremdkulturellen Kontext kann fehlschlagen. Sei es, dass der Forscher im Feld nicht zurechtkommt, sei es dass sich Probanden und Experten als unkooperativ zeigen oder dass sich die Fragstellungen im Feld als irrelevant herausstellen: vom Feldforscher ist daher ein außerordentliches Maß an Flexibilität und interkultureller Reflexivität gefordert. Über die grundsätzliche Problematik unterschiedlicher paradigmatischer Positionen und die spezifischen Risiken ethnographischer Forschung hinaus sieht sich der EAM mit verschiedenen Einwänden konfrontiert. So kann er den zu Grunde gelegten Holismus nicht vollständig umsetzen, sondern nur als ein Ideal formulieren. Genau genommen wird das aus forschungspraktischer Ökonomik begrenzte Set an ausgewählten Fragestellungen der Vielfalt von möglichen Beziehungen zwischen den an der Konstitution von Medienkultur beteiligten
DER ETHNOGRAPHISCHE ANSATZ DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT
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Akteuren und Faktoren nur teilweise gerecht. Darüber hinaus ist auf die berechtigte Befürchtung hinzuweisen, dass der Fokus auf Konflikt, Informalität und Oralität blinde Flecken zeitigt. Das heißt es ist zu befürchten, dass gewisse Fragestellungen, die jenseits dieses Fokus stehen, systematisch ausgeschlossen werden. Zwar betrifft das Problem des blinden Flecks einen jeden Ansatz unabhängig von seiner paradigmatischen Provenienz, aber die Ethnographie muss am Anspruch festhalten, diesem Problem in der Forschungspraxis eine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
T EIL III F ALLSTUDIEN ZUR SENEGALESISCHEN P RESSEKULTUR
6 FORSCHUNGSDESIGN 6.1 ÜBERBLICK Nach der Situierung der Medienkulturwissenschaft im ersten und der Konzeption des Ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft im zweiten Teil, geht es im dritten Teil dieser Arbeit darum, den EAM in der Forschungspraxis umzusetzen. Denn die Entwicklung eines Ansatzes mag zwar aus theoretischer Sicht interessant sein, aber letztlich zeigt sich die Qualität eines Ansatzes erst in den erzielten empirischen Ergebnissen. Das folgende Kapitel erläutert das Forschungsdesign. Damit wird die Grundlage gelegt, um im weiteren Verlauf der Arbeit an den Beispielen Konflikt, Informalität und Plurimedialität darzustellen, wie der ethnographische Ansatz für die Analyse einer afrikanischen Medienkultur angewendet werden kann. Dazu gehört die Begründung des Untersuchungsraums des westafrikanischen Landes Senegal. Im Anschluss an die Begründung des Untersuchungsraums wird der Forschungsstand referiert, die Fokussierung auf die Printmedien erklärt und der Feldzugang beschrieben. Im Mittelpunkt der Studie steht die Forschungsfrage: Durch welche Praktiken von sozialen Akteuren konstituiert sich die senegalesische Pressekultur? Diese forschungsleitende Hauptfragestellung wird in drei Hypothesen spezifiziert. Die Hypothesen des Konflikts, der Informalität und der Plurimedialität sind im EAM angelegt, der auf den Circuit of Culture zurückgeht. Zur Überprüfung dieser Hypothesen werden drei ethnographische Fallstudien durchgeführt, in denen die Interdependenzen zwischen Kommunikatoren, Rezipienten, Regulationsakeuren sowie deren Identitäten und Repräsentationen untersucht werden. Das Ziel der Untersuchung besteht in der Beschreibung des medialen Handelns von senegalesischen Akteuren. Ihre Praktiken werden auf kulturell verankerte Muster, Rituale und Werte zurückgeführt. Auf diese Weise soll erklärt werden, was diese Praktiken über die Kultur der senegalesischen Gesellschaft aussagen. Für die Datenerhebung werden die Methoden der standardisierten und offenen Befragung, der
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Leitfaden- und Fotointerviews, der Gruppendiskussion, der informellen Konversationen sowie der Beobachtung angewandt. Für die Auswertung und Interpretation der dabei gewonnenen Datensätze gelangt das Triangulationsprinzip zur Anwendung. Im Anschluss an die Beschreibung der Datenerhebung und der Fallauswahl werden die Gütekriterien diskutiert.
6.2 BEGRÜNDUNG
DES
FORSCHUNGSRAUMES
Die Stärken des EAM zeigen sich insbesondere dann, wenn angesichts eines fremden Forschungskontextes, vergleichsweise geringer Vorkenntnisse und einer schmalen Literaturbasis Aspekte wie die Offenheit des Forschers gegenüber dem Forschungsgegenstand, die Nähe zu den Untersuchungspersonen, die Reflexivität und die methodische Flexibilität in größerem Maße wichtig werden wie bei bereits gut erforschten Themen aus vertrauten Forschungsräumen (vgl. Lamnek 1995: 29f.). Aufgrund dieser Konstellation wird hier eine in Afrika angesiedelte Forschung vorgestellt. Mit Verweis auf seine politische und ökonomische Marginalisierung vernachlässigt die Medien- und Kommunikationsforschung den afrikanischen Kontinent. Dies gilt auch für die komparative Medienforschung und die politische Kommunikation. Sie beschäftigen sich mit der internationalen Medien- und Kommunikationspolitik, der globalen Kommunikationsordnung, den globalen Informationsflüssen und der weltumspannenden Netzwerkgesellschaft. Trotzdem leisten sie sich de facto den Ausschluss eines ganzen Kontinents. Auch wenn Afrika politisch und ökonomisch an der Peripherie des Weltsystems steht, hat es hier seinen Platz und erfüllt eine ganze Reihe von Funktionen. Allerdings handelt es sich bei diesen Funktionen meist um die Schattenseite der Globalisierung: Denn Afrika ist mit seiner Informalität und Kriminalität zu einer Plattform von Diamanten- und Drogenhandel, Finanzbetrug, Geldwäscherei, Korruption, Menschenschlepperei, Sextourismus, Terrorismus und Waffenschmuggel verkommen.118 Umso dringlicher wäre eine Fortsetzung der Mitte der 1980er Jahre am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich geleisteten Forschung.119 Sie könnte dabei an die in der Einleitung erwähnte internationale Forschungen anschließen.120 Im Kontext von Medien und Globalisierung in Afrika ist auch auf den UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) in Genf 118 Siehe: Bayart (1989 und 1999), Castells (2002), Chabal/Daloz (1999) und Smith (2003). 119 Siehe: Grossenbacher (1988), Meier (1984) und Saxer (1987). 120 Siehe Fussnote 12.
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2003 und Tunis 2005 zu verweisen, der sich als eine Strategie zur Reduktion des digitalen Grabens zwischen Postindustrie- und Entwicklungsländern auffassen.121 Alleine in der Schweiz investieren Regierungs- (EDA, DEZA) und Nichtregierungsorganisationen (Cimera, Fondation Hirondelle, Intermedia Consultants oder Medienhilfe) jährlich mehrere Millionen Franken in den Bereichen Massenmedien und Informations- und Kommunikationstechnologien für Entwicklung (ICT4D). ICT4D liegt die Annahme zu Grunde, dass Medienpluralismus und moderne Telekommunikationsinfrastruktur zur Armutsbekämpfung und Demokratisierung beitragen. Quasi als Gegenleistung sollen die entwicklungspolitischen Investitionen zu einer Reduktion des Migrationsstromes und zu einer Reintegration von Flüchtlingen beitragen. Denn die Migrationsströme nicht zuletzt aus Westafrika stellen die Schweiz vor eine ganze Reihe von Problemen: Kostenspirale im Asylwesen, Integrationshindernisse, Kokainhandel oder die Abnahme der öffentlichen Sicherheit sind nur einige Stichworte, die auch auf den Titelseiten der Schweizer Presse figurieren. „In diesem Sinne vermag es nicht zu erstaunen, dass die Asylpolitik auf dem Sorgenbarometer der Schweizerinnen und Schweizer (Studie des GfSForschungsinstituts, Abteilung Politik und Staat, Bern) seit Mitte der 90er Jahre einen Spitzenrang einnimmt.“ (Aebersold 2004: 1) Allerdings charakterisieren sich eine Vielzahl von entwicklungspolitischen Projekten im Bereich ICT4D und Massenmedien durch Ineffizienz oder sogar durch politische Fragwürdigkeit. Als Beispiele lassen sich Star Radio in Liberia oder Radio Blue Sky bzw. RTK im Kosovo anführen, an denen beide die von der DEZA unterstützte Fondation Hirondelle maßgeblich beteiligt ist. Die Ineffizienz ist nicht zuletzt auf die mangelnde Einbeziehung von Medien- und Kommunikationsforschung in Afrika zurückzuführen. Die Möglichkeit, sich Kenntnisse über die politische, ökonomische und soziale Situation in den Herkunftsländern bereitstellen zu lassen, wird viel zu selten als Entscheidungsgrundlage für oder wider ein Projekt genutzt. Derselbe Vorwurf ist auch in Sachen externe Projektevaluation zu erheben, die nur selten an wissenschaftlich ausgerichtete Institutionen in Auftrag gegeben wird. Auch für die spezifische Wahl des Forschungsraums Senegal lassen sich eine Reihe von spezifischen Gründen angeben. Erstens drängt sich der Senegal als Forschungsort auf, da dieses Land dem Gedanken der Transnationalität des EAM entspricht. Denn der Senegal ist seit jeher zutiefst von transnationalen Austauschbeziehungen geprägt.122 Sie gehen bis in 8. Jahrhundert zurück, als arabische Händler Teil Westafrikas islamisierten. Nach Jahrhunderten von 121 Siehe: Arnhold (2003), Dany (2003) und Ndao (2003). 122 Als Überblick für das subsaharische Afrika eignet sich der Beitrag von Bayart (2000).
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Abbildung 15: Senegal und Nachbarländer
Legende Pfeile: Untersuchungsgebiete
transregionalen Integrationsprozessen erlebte der Senegal dann mit Beginn des Imperialismus ab Mitte des 15. Jahrhunderts einen Höhepunkt des Transnationalismus. Durch den Kontakt mit Portugiesen, Holländern, Engländern und Franzosen wurde der Senegal in das als „black Atlantic“ (Gilroy 1993) benannte transatlantische Netz zwischen Europa, Afrika und Amerika eingebunden. Der Senegal unterscheidet sich von anderen westafrikanischen Ländern durch die Dauer und die Intensivität des Kulturkontakts, der bis zur Gegenwart anhält. Wie sich später zeigen wird, prägen die transnationalen Austauschbeziehungen nicht nur die senegalesische Wirtschaft (Daffé 2002; Diallo 2004), sondern auch die Medienkultur. Obwohl im Folgenden die zu untersuchende Medienkultur territorial auf das Gebiet des senegalesischen Nationalstaates eingeschränkt wird, ist darauf hinzuweisen, dass dies mitnichten bedeutet, dass die senegalesische Medienkultur natio-
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nal oder ethnisch fundiert sei. Denn die Cultural Studies mit ihrer antiessenzialistischen Perspektive konzipieren Kultur als das Produkt von Austauschprozessen und nicht als „absolute ethnic property“ (Gilroy 1993: 15). Das Konzept der Transnationalität wendet sich implizit gegen das Konzept der Kulturnation (vgl. Kapitel 4.4.5). Dem wird entgegen gehalten, dass Medienkulturen geographisch nicht abgeschlossen seien, weil die Austauschprozesse zwischen dem Lokalen und dem Globalen nicht vor den Landesgrenzen halt machen. Das Konzept der Transnationalität weist entsprechend darauf hin, „dass wir uns heute jenseits der klassischen Kulturverfassung befinden; und dass die neuen Kultur- bzw. Lebensformen durch diese alten Formationen wie selbstverständlich hindurchgehen“ (Welsch 1992: 5). Zweitens sind die engen Austauschbeziehungen insbesondere zur französischen Kolonialmacht auch für die demokratische Tradition Senegals mitverantwortlich. Das Land erlangte 1960 seine Unabhängigkeit ohne Blutvergießen und auch in der bisherigen Geschichte ist es niemals zu einem Putsch gekommen. Die Hypothese vom demokratischen Modellfall oder von der senegalesischen Erfolgsgeschichte wurde bereits unter den ersten beiden Präsidenten und jeweiligen Vorsitzenden der Parti Socialiste (PS), Léopold Sédar Senghor (19601980) und Abdou Diouf (1981-2000), propagiert. Sie wurde durch den demokratischen Regierungswechsel durch die Parti Démocratique Sénégalais (PDS) unter ihrem charismatischen Führer Abdoulaye Wade im Jahr 2000 bestätigt. Dies ist überraschend, da die gemeinhin gültigen Vorbedingungen für eine Demokratie in Senegal nicht gegeben sind: „Most political scientists would agree that a fairly high level of economic development, a strong middle class, a tradition of tolerance and respect for the individual, the presence of independent social groups and institutions, and a market oriented economy, are necessary for democracy.“ (Vanhanen 1990: 47)
Zum Teil mag dies auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass sich in internationalen Kreisen unterdessen die Meinung durchgesetzt hat, dass good governance nicht allein für Entwicklungsbarrieren verantwortlich sind. Stellvertretend ein Berater von UNO-Generalsekretär Kofi Annan: „Yet the more I saw, the more I realized that although predatory governance can soundly trounce economic development, good governance and market reforms are not sufficient to guarantee growth if the country is in a poverty trap. I visited and worked in many places with good governments that were struggling mightily against the odds. Botswana, Ethiopia, Ghana,
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Malawi, Mozambique, Nigeria, Senegal, Tanzania, Uganda, to name just a few, all have better governance than might have been expected.“ (Sachs 2005: 195)
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die den demokratischen Modellfall hinterfragen.123 Drittens nutzt die senegalesische Regierung den bestehenden Medienpluralismus und die Ansätze zu einer modernen Informationsgesellschaft, um ihre Demokratiereife nach außen zu demonstrieren. Während sich der weitgehend liberalisierte Medienmarkt durch Print-, Radio und Fernsehprodukten von nationalen und internationalen öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren ausdifferenziert hat, haben die Informations- und Kommunikationstechnologien die lokale Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -verbreitung grundlegend verändert. Projekte wie die African Virtual University oder das in Dakar ansässige West African Museum Project versuchen nicht nur Wissen zu archivieren, aufzubereiten, zu standardisieren und den Zugang zu pluralisieren, sondern auch lokale Wissensformen einzubringen. Während der Informatikbereich Wachstumsraten von bis zu 20% jährlich aufweist, wächst der Telekommunikationsmarkt jährlich um knapp 13%. „Das Land verfügt dabei über modernste Telekommunikationstechnik: ein zu 100% digitalisiertes Telefonnetz und ein Internet Protocole (IP)-Network.“ (Wolf 2004: 159) Damit hat der Senegal nach Südafrika und Marokko über die drittschnellste InternetInfrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent. Viertens ist auch der Forschungsstand als Grund für die Wahl des Senegal anzuführen. Denn während es seit jeher eine detaillierte und diversifizierte ethnologische, soziologische, politologische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu dem Sahelland gibt,124 ist der Forschungsstand der senegalesischen Medien- und Kommunikationsforschung als ungenügend zu bezeichnen.
6.3 FORSCHUNGSSTAND Die weit verbreitete Indifferenz gegenüber der Bedeutung von Massenmedien schlägt sich beispielsweise darin nieder, dass Cruise O’Brien et al. (2002) die Massenmedien in ihrem Grundlagenwerk zur se123 Siehe dazu Coulibaly (2003), Ottaway (2003) und die Beiträge im Sonderheft der Zeitschrift „Politique Africaine“ (2004). 124 Stellvertretend seien hier die Beiträge in Diop (2002a und 2002b) sowie die Publikationen von Blundo/Olivier de Sardan (2001), Coulon (1981), Cruise O’Brien (1975 und 2002), M. L. Diallo (2004), Fatton (1987), Gellar (2005), Ghalen/Diese (1999), NތDiaye (1988), Tine (1997) und Wolf (2004) genannt.
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negalesischen Staatsbildung mit keinem Wort erwähnen. Weder der Medienpluralismus noch die vergleichsweise moderne Informatikund Telekommunikationsinfrastruktur findet einen Niederschlag in den lokalen Forschungsinstitutionen Centre d’Etudes sur les Technologies de l’Information (CESTI) der Université Cheikh Anta Diop (UCAD) und Council of Development of Social Research in Africa (CODESRIA) oder an der privaten Journalistenschule Institut Supérieur des Sciences de l’Information et de la Communication (ISSIC).125 Ja nicht einmal glaubwürdiges statistisches Material zu Auflagenhöhe, Reichweiten oder Nutzungsdauer der verschiedenen Massenmedien sind erhältlich. Soweit sie nicht in entwicklungspolitischen Broschüren,126 Jahresberichten zur Pressefreiheit,127 Newsletter von Nichtregierungsorganisationen128 und lokalen Zeitungen statt findet, beschäftigt sich die senegalesische Medien- und Kommunikationsforschung schwerpunktmäßig mit dem Radio129 und den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.130 Dagegen gehen die Publikationen von Ben Arrous (2001a und b), Bop/Kassé (2000), Institut Panos (1996) und Koudawo (2001) über Medien und militärische Konflikte, Coulibaly (2003), Gueye (2006) und Loum (2003) über das Verhältnis von Medien und Staat, Havard (2004) über die Pressefreiheit, Lemieux (2004) über ökonomische Herausforderungen, Institut Panos (2001) über den Beitrag der Massenmedien an die demokratische Präsidentschaftswahl 2000, Sy (2003) über den nach wie vor nicht liberalisierten Fernsehsektor sowie Talla (2004) über die massenmediale Berichterstattung des Joola Unglücks auf spezifische Aspekte der senegalesischen Medien ein. In Perrets (2005) Überblickswerk zur westafrikanischen Presse finden sich einige Abschnitte zu Senegal. Zu erwähnen sind außerdem die Beiträge des Verfassers zu den Folgen der Globalisierung für das senegalesische Mediensystem (Wittmann 2001), zum Medienpluralismus (2004a), zur Boulevardpresse (2003; 125 Der CESTI wurde 1967, das ISSIC 1996 gegründet. 126 UNO-Agenturen sowie einige in Dakar ansässige Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen wie Friedrich Ebert Stiftung, Intermedia Consultants, Konrad Adenauer Stiftung oder Goethe Institut publizieren gelegentlich Broschüren zur Medienkommunikation. 127 Siehe beispielsweise der Jahresbericht von Reporters sans frontières (2006). 128 Das in Dakar ansässige Institut Panos verschickt regelmäßig den Newsletter „MédiActu“, der über Entwicklungen der Presse in Westafrika im Allgemeinen und in Senegal im Besonderen informiert. Siehe: http://www.panos.sn. (17.7. 2006). 129 Siehe: Paye (2002) und Tudesq (1998, 1999, 2002). 130 Siehe: Afemann (2004), Dieye (2003), Ndao (2003) sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Chéneau-Loquay (2000, 2004), Diop (2002) und Institut Panos (2004).
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2004b), zur politischen Werbung (Wittmann/Thiam 2006) sowie die von ihm mitherausgegebenen Sammelbände (Beck/Wittmann 2004; Taureg/Wittmann 2005). Darüber hinaus runden essayistische Veröffentlichungen von E. H. Kassé (2002) und Niasse (2003) die insgesamt dürftige Literaturbasis ab. Um den insgesamt vernachlässigten Forschungsbereich der Printmedien, der mit der Entstehung der Boulevardpresse seit Ende der 1990er Jahre einen enormen Einfluss auf den sozialen Wandel hatte, zu stärken, wird in der folgenden Untersuchung dieses Feld beispielhaft ausgewählt. Die hier erwähnte Forschungsliteratur wird dabei – sofern sinnvoll – für die Interpretation der eigenen Forschungsergebnisse herangezogen.
6.4 HYPOTHESEN Bereits dieser kurze Forschungsüberblick zeigt, dass die Basis an wissenschaftlicher Literatur zu den senegalesischen Massenmedien im Allgemeinen und zu den senegalesischen Printmedien im Besonderen dünn ist. Ethnographische Studien spielen in diesem Themenbereich bisher überhaupt keine Rolle. Aus diesem Grund sind interessante und neue Einsichten zu erwarten, wenn man den EAM und seinen Grundgedanken, Medienkultur als einen durch die Interdependenzen zwischen den fünf Faktoren Kommunikator, Rezipient, Regulationsakteur, Identität und Repräsentation bestehenden Kontext zu konzipieren, auf die senegalesische Presse anwendet. Die Hauptfragestellungen zielen auf die Praktiken der an der Konstitution von Medienkultur beteiligten Akteure sowie auf den Aussagegehalt dieser Praktiken über die Kultur der senegalesischen Gesellschaft, ab. Diese beiden Hauptfragestellungen und die im vorigen Kapitel erörterten und die aus ihnen abgeleiteten forschungsleitenden Fragestellungen stehen am Beginn der Feldforschung. Um das Forschungsdesign zu straffen, werden die Fallstudien hypothesenartig durchgeführt. Als Ausgangspunkt werden dafür die drei Fragestellungen des EAM im Kontext des Forschungsstands der afrikawissenschaftlichen Medienforschung diskutiert und anschließend als Hypothesen formuliert. Mit anderen Worten, in die Formulierung der Hypothesen fließt jeweils ein Vorwissen ein, das auf den Forschungsstand sowie die Erfahrungen des Verfassers bei seinen vorigen Aufenthalten in Senegal zurückgeht. In dem Sinne ist das Vorgehen nicht als rein deduktiv zu bezeichnen. Auf der Grundlage der Prämisse, dass mehrere Akteursgruppen wie Journalisten, Regulationsakteuren und Publikum am Kreislauf des ‚media making‘ beteiligt sind, zielt die erste Frage des EAM auf die Konflikte zwischen den an der Medienkultur beteiligten Akteuren. Angesichts der Abhängigkeit des senegalesischen Staatsbudgets von internationaler Finanzhilfe und angesichts einer internationalen Ent-
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wicklungspolitik, die good governance belohnt, nutzt die Regierung den Medienpluralismus und die vorgebliche Pressefreiheit, um ihre Demokratiereife nach außen zu demonstrieren. Wie weiter oben bereits angeklungen, ist der angebliche Modellcharakter der senegalesischen Demokratie aber kritisch zu sehen. Insbesondere Coulibaly (2003), Gueye (2006), Havard (2004) und Loum (2003) beschäftigen sich mit Interessengegensätzen, die zwischen der Regierung und den Massenmedien bestehen.131 Denn um ihr Ansehen und ihre Legitimation nach innen und außen sicher zu stellen, sieht sich die Regierung von Abdoulaye Wade gezwungen, die Pressefreiheit einzuschränken. Eine zweite zu untersuchende Konfliktform ist die Rolle der Medien in militärischen Konflikten. Denn: „L’emergence ou la résurgence de conflit intra- et/ou interétatiques en Afrique, au cours des années 90, et le rôle des médias ont très souvent joué dans l’exacerbation de ces crises, est venu tempérer l’optimisme que les promoteurs de la démocratie avaient placé dans le Quatrième pouvoir.“ (Kaboré 2004: 109)
Diese Aussage trifft auch auf den Senegal zu, der in den letzten Jahren in verschiedene militärische Konflikte verwickelt war. Zu nennen ist der Kampf gegen das separatistische Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFCD) im Süden des Landes seit 1982/ 1989, die Armeeinvasion im südlichen Nachbarland Guinea-Bissau 1998 sowie die Krise mit dem nördlichen Nachbarland Mauretanien 1989. Die senegalesischen Medien waren auf zweifache Weise in diese Konflikte involviert. Zum einen haben sie über die Konflikte und die militärischen Kampfhandlungen berichtet. Wie die bestehende Forschung resümierend feststellt, ist es den senegalesischen Medien nicht gelungen, unparteiisch zu bleiben. „Ils sont captifs des réseaux et de jeux d’intérêt politiques, ethniques, religieux, ou encore, ils subissent des pressions politiques, économiques, financières qui ne leur permettent pas de rester au-dessus des partis et des camps.“ (Senghor 2004: 12) Zum anderen ist festgestellt worden, dass einige Medienorgane soziale Konflikte selbst angeheizt haben. Drittens kann hier auch auf Konflikte hingewiesen werden, die im senegalesischen Kontext unter dem Begriffspaar ‚éthique et déontologie‘ (dt. Medienethik und Professionalität) diskutiert werden. Dazu zählen unter anderem Kriterien wie die objektive und ausgewogene 131 Es ist wohl nicht ganz unnütz, eigens darauf hinzuweisen, dass der dieser Studie zu Grunde gelegte Konfliktbegriff auch von der senegalesischen Forschung geteilt wird. So schreibt Agboton-Johnson: „Tout conflit, quelle que soit sa dimension, nationale, internationale, ou même très localisée, met en antagonisme des intérêts portés par des individus.“ (2004: 91)
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Berichterstattung sowie der Respekt gegenüber der Privatsphäre, der religiösen Gefühle, der kulturellen Diversität und den guten Sitten. Insbesondere mit der Etablierung der senegalesischen Boulevardpresse sind hier mannigfaltige Konflikte aufgetreten. Diese Beispiele leiten über zu der Hypothese: Hypothese des Konflikts: Die Konstitution der senegalesischen Pressekultur erfolgt konflikthaft. Zweitens fragt der EAM, welche Strategien die verschiedenen Akteure wählen, um bestehende Konflikte der Medienkultur zu regulieren. An der Regulation und allfälligen Lösung der multiplen Konfliktformen in Senegal sind verschiedene Akteure beteiligt. Zum einen hat der Staat eine ganze Reihe von juristischen Gesetzen erlassen, die für die journalistische Praxis relevant sind. Die Informations-, Innen- und Justizministerien wachen über die Einhaltung der Gesetzgebung und können bei ihrer Durchsetzung auf die Staatsanwaltschaft und Polizei zurückgreifen. Nebst den Regulationsbehörden gibt es auch Organe der Autoregulation wie den Presserat CRED. Ein weiterer Akteur, der bei der Konfliktregulation auftritt, ist die Zivilgesellschaft. So versuchen Assoziationen und Gewerkschaften, mit zivilgesellschaftlichen Aktionen wie offenen Briefen, Protestmärschen, Organisation von runden Tischen oder Weiterbildungsseminaren zur Lösung von bestehenden Medienkonflikten beizutragen. Neben solchen formellen Regulationsmechanismen ist in Senegal auch mit informellen Strategien bei der Konfliktlösung zu rechnen. Denn Faktoren wie die Schwäche der Regierung, die weit verbreitete Korruption der Staatsverwaltung, der informelle Wirtschaftssektor und die Kultur der Teranga, tragen zu Rahmenbedingungen bei, die vermuten lassen, dass den Akteuren auch informelle Strategien vertraut sind: Hypothese der Informalität: Die medienkulturellen Konflikte werden partiell durch informelle Strategien gelöst. Wie bereits oben definiert, werden hier jene Beziehungen und Aktivitäten als informell bezeichnet, die jenseits der staatlich regulierten sozialen Umwelt stattfinden.132 Zum ersten Mal wurde der Begriff Informalität in einer Studie von Wai (1957) verwendet. 1972 begann ein Forschungsteam des Bureau International du Travail (BIT), den Begriff im Rahmen einer Studie zum Arbeitsmarkt in Kenia zu verwenden. Je nach theoretischem Ansatz und empirischem Kontext gibt es heute eine Vielzahl von konkurrierenden Definitionen. Aufgrund ihres 132 Siehe: Misztal (2000) und Portes (1994).
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großen heuristischen Werts beansprucht die hier vorgeschlagene Verwendungsweise eine weitreichende Anerkennung in Kreisen der African Studies.133 Im Bereich der Anstellungsverträge für Journalisten bedeutet die Konzeption von Informalität ein ungeregeltes Handeln: die Abwesenheit eines Vertrags, einer Krankenkasse, einer Altersvorsorge, einer Gewerbeaufsicht oder eines gewerkschaftlichen Schutzes. Hinsichtlich der Lösungsstrategien ersetzt informelles Handeln offiziell Geregeltes durch eine interpersonale Übereinkunft, die auf einer Vertrauensbasis der Partner beruht. Im senegalesischen Alltagsleben spielen solch klientelistische Beziehungen traditionellerweise eine große Rolle (L. Beck 2002). Drittens geht der EAM der Frage nach, auf welche Weise die interpersonale Kommunikation von der Medienaneignung kontextualisiert wird und diese zugleich kontextualisiert. Im Kontext eines westafrikanischen Landes ist bei der Medienaneignung nicht nur an das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, sondern auch von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu denken. Denn angesichts des oben erwähnten Medienpluralismus und einer Alphabetismusrate von knapp 40% der Erwachsenen (UNDP 2005: 221) lässt sich beim Senegal nicht von einer oralen Gesellschaft in einem präliteralen Sinn sprechen. Vielmehr ist die senegalesische Gesellschaft oberflächlich literalisiert. Das heißt, die Schrift ist nicht unbekannt und eine signifikante Anzahl ihrer Mitglieder – insbesondere die Elite – ist ihrer mächtig. „Die Schrift hat hier jedoch nicht dieselbe beherrschende Position erobert wie in den Zentren der euro-amerikanisch dominierten literalen Welt, insbesondere deshalb, weil diese Gesellschaften durch koloniale Umstände, oft kombiniert mit ihrer geographisch peripheren Lage, an der Herausbildung einer mit den Zentren vergleichbaren Kompetenz schriftlicher Kommunikation gehindert worden sind.“ (Schröder/Voell 2002: 13)
Hypothese der Plurimedialität: Der Presse kommt für die soziale Kommunikation nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Obwohl die Presse auf die Elite des Landes beschränkt ist, durch die elektronische Revolution zurückgedrängt wurde und keine gesamtgesellschaftliche Bedeutung beanspruchen kann, ist ihre Bedeutung nur im Zusammenhang der gesamten Medienaneignung angemessen erfassbar.134 Auf diese Weise kann auch verhindert werden, dass Oralität 133 Siehe dazu: De Soto (1989) und Hart (1994). 134 Der senegalesische Journalist und Schriftsteller N’Diaye (1999) behauptet, dass die elektronische Revolution die orale Tradition seines Landes aufgewertet hat. Er bezieht sich dabei auf Radio, Fernsehen, Mobiltelefonie und diejenige computervermittelte Kommunikation wie Chat, die mündliche Kommunikation nachahmt.
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und Schriftlichkeit als fundamentale Dichotomie konzipiert werden.135 Gemäß dem EAM ist die Eingebettetheit der Presse in die Plurimedilität zu untersuchen. Dazu gehören die diskursiven Aushandlungsprozesse zwischen den Rezipienten einerseits sowie zwischen den Rezipienten und den Produktions- und Regulationsakteuren andererseits. Auf diese Weise kommt auch die Frage nach dem Verhältnis von Medienaneignung und interpersonaler Kommunikation sowie nach den Orten der Medienaneignung ins Spiel.
6.5 FELDZUGANG Die Feldforschung umfasste einen zehnmonatigen Zeitraum von Anfang November 2002 bis Ende August 2003. Soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt, beziehen sich die in den Fallstudien gemachten Aussagen auf diesen Zeitraum. Für den Zugang zum Feld war es von Bedeutung, dass durch zwei frühere Aufenthalte 1999 und 2001 bereits viele freundschaftliche wie wissenschaftliche Kontakte bestanden und seither gepflegt wurden. Auf diese Weise konnte auf ein bestehendes Netzwerk zurückgegriffen und sukzessive ausgebaut werden. Der wichtigste Punkt war, dass der Verfasser bei den früheren Aufenthalten sowie während der ersten Hälfte der Feldforschung bei einer senegalesischen Mittelstandsfamilie im Dakarer Stadtteil Patte d’Oie, und während der zweiten Hälfte in der Cité Universitaire im Stadtteil Fenêtre Mermoz sowie in der Médina gewohnt hat. Auf diese Weise war er ansatzweise in die Gesellschaft integriert und konnte vor allem gegenüber Drittpersonen auf diese soziale Verankerung hinweisen. Durch das Leben mit einer muslimischen Familie und dem Kontakt mit vielen senegalesischen Freunden und Bekannten unterschiedlichster Herkunft erhielt er Einblick in das Alltagsleben und Wertesystem der Menschen. Für den Respekt von senegalesischen Gesprächspartnern gegenüber einem Ausländer ist es ausschlaggebend, dass der Fremde das Land und seine Eigenheiten zumindest ansatzweise kennt. Wer nicht gewisse Kommunikations-, Mentalitäts- und Verhaltensrituale beherrscht, sich nicht frei in Dakar bewegen oder beispielsweise nicht bei der Teezeremonie Ataya über Inlandspolitik mitdiskutieren kann, findet kaum Zugang zur Bevölkerung. Auch kann man sich kein rechtes Bild von gewissen Schwierigkeiten beispielsweise der jungen Reporter machen, wenn man nicht das Lohn- und Lebenskostenniveau sowie die Probleme der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Infrastruktur kennt. Die senegalesische Gesellschaft ist eine hierarchisch organisierte Gesellschaft, bei der die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Kaste, Fami135 So bei Goody (1986), Innis (1997), McLuhan (1962) und Ong (1999).
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lie, Bruderschaft, Alters- und Geschlechterklasse weitgehende Folgen für das soziale Ansehen und das Kontaktnetz haben.136 Kontakte ergeben sich nicht zufällig, sondern werden häufig vermittelt. In diesem Rahmen spielen auch die bereits oben erwähnten klientelistische Beziehungen eine Rolle. Die soziale Verbundenheit aller Gesellschaftsmitglieder ist Teil der Teranga. Damit wird ein soziokulturelles Identitäts- und Wertesystem bezeichnet, das das Verhältnis des Individuums zu anderen Individuen und zur Gemeinschaft organisiert und eine ganze Reihe von Werten wie Gastfreundschaft, Kommunikationsfreudigkeit, Respekt und Solidarität umfasst. Gerade für einen Ausländer ist es aufgrund dieser gesellschaftlichen Konventionen für die Kontaktnahme mit Probanden wie Journalisten unabdingbar, von einer dritten Person vorgestellt bzw. empfohlen zu werden. So stellte Prof. Moustapha Tamba vom Département de Sociologie der UCAD dem Verfasser seinen Kollege Mamadou Dansokho vor. Dieser wiederum nahm ihn in den Jazzclub Just 4 U mit, der als Treffpunkt von Journalisten, Intellektuellen und Künstlern diente. Hier wurde ihm Prof. Moussa Samb vorgestellt, der den Verfasser mit dem Journalisten Mamadou Sy (Taxi le Journal) bekannt machte und einige Tage später ein Treffen mit Tidiane Kassé vom Institut Panos arrangierte. Diese Kette von vermittelten Kontakten ließen sich weiterspannen, denn Sy und Kassé haben dem Verfasser weitere Personen aus dem Medienbereich vorgestellt. Aufgrund der Vermitteltheit von Gatekeepern und Kontaktpersonen ist die Auswahl der interviewten Journalisten allerdings in dem Sinne als willkürlich zu bezeichnen, als dass sie nicht ganz vom Verfasser steuerbar war. Allerdings – und dies macht die Willkürlichkeit mehr als wett – hat die Vermitteltheit von Kontakten in hohem Maße zu der Bereitschaft der senegalesischen Kommunikatoren beigetragen, den Ablauf des Interviews zur Zufriedenheit des Verfassers zu gewährleisten. In einzelnen Fällen ist es nicht auszuschließen, dass diese Motivation nicht seiner Person oder dem Thema, sondern einer unausgesprochenen Verpflichtung dem Vermittler gegenüber zu verdanken war. So ist es als unwahrscheinlich zu bezeichnen, dass sich der Starjournalist Abdou Latif Coulibaly (Sud Communication) soviel Zeit und Geduld für den Verfasser genommen hätte, wenn der Kontakt nicht durch seinem Kollegen Ousseynou Gueye 136 Die senegalesische Gesellschaft weist ein stratifiziertes Kastenwesen auf. Dieses System besteht aus den Adeligen, den Freien (géer), den Abkömmlingen von Sklaven (jaam) sowie den Handwerkern und Hofangestellten (ñeeño). Diese letzte Gruppe unterteilt sich wiederum in die Unterkasten Schmied (tëgg), Gerber (uude), Holzfäller (seeñ), Weber (ràbb), Hofnarr (ñoole) und Griot (géwël). Heiraten über Kastengrenzen hinweg waren ursprünglich nicht üblich, im Zuge der sozialen Säkularisierung spielen die Kasten heute aber eine immer geringere Rolle. Siehe dazu: Mbow (2000).
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(Com 7) hergestellt worden wäre. Die Gültigkeit der Grundregel der Kontaktvermittlung hat sich auch dabei bewiesen, dass eine versuchte direkte Kontaktnahme mit dem Chefredaktor von Wal Fadjri misslungen ist. Anstatt ungeduldig Energie auf das Arrangement dieses Treffens zu verwenden, wäre es effizienter gewesen, eine Drittperson um Vermittlung zu bitten. Nebst diesen Kontaktvermittlungen ist der Feldeinstieg auch über das Goethe Institut Dakar gelungen, bei dem der Verfasser als freier Mitarbeiter beschäftigt war. Im Mittelpunkt dieser Tätigkeit stand die Organisation und Durchführung einer Reihe von Seminaren zu Themen wie Öffentlichkeit, Boulevardpresse, Lokalradio und Informalität. Im Rahmen dieser Tätigkeit konnte auf das Beziehungs- und Mitarbeiternetz des Goethe Instituts zurückgegriffen und für die wissenschaftliche Forschung genutzt werden. Ein Beispiel: Zu einem der Seminare wurde der Journalist Alassane Gueye (Journal de l’Economie) als Referent eingeladen. Er hat dem Verfasser schließlich nicht nur einen Interviewtermin beim Chefredaktor seiner Special Interest Zeitung verschafft, sondern ihn auch als einer der ersten auf die Bedeutung der Informalität der senegalesischen Medienkultur aufmerksam gemacht. Angesichts der Ambivalenz wissenschaftlicher Feldforschung im Allgemeinen und der senegalesischen Teranga im Besonderen sollte ein Forscher nicht nur überlegen, wie er Zugang zum Feld erhalten kann, sondern auch, welchen Nutzen das Feld aus der Anwesenheit des Forschers ziehen kann. In der Lesart des Verfassers sollte Feldforschung immer ein wechselseitiges Geben und Nehmen und nicht bloß ein einseitiges Nehmen sein. Dazu können kleine Geschenke oder Freundschaftsdienste beitragen. Als Anreiz für die Beteiligung an der standardisierten Umfrage wurde den Probanden beispielsweise ein kleines Geschenk im Wert von 100 francs CFA (0,25 CHF) angeboten. In der Regel handelte es sich dabei um eine Portion Tee oder Kaffee oder ein paar Zigaretten. Darüber hinaus wurde bei der Befragung – aber auch bei anderen Erhebungen – darauf geachtet, die Vorteile für das Feld bzw. einzelne Mitglieder desselben für die Unterstützung argumentativ einzusetzen. Auf diese Weise konnte eine die relativ hohe Rate an Zusagen erzielt werden (rund 70% in Dakar und 100% in Diourbel und Sédhiou). Die Kontakte wurden während der verbleibenden Feldforschung durch Telefonanrufe und Treffen gepflegt. Bei diesen Gelegenheiten wurden die Probanden über den Fortgang der Forschung unterrichtet und provisorische Ergebnisse mit ihnen diskutiert. Auch konnten Fragen, die sich aus dem Feldforschungsmaterial ergaben, besprochen werden. Diese Interaktionen haben in einzelnen Fällen weitere (Teil-) Untersuchungen initiiert. Das Netz an Informanten war zwar nicht
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übermäßig groß, aber die Beziehungen können als insgesamt eng und vertrauensvoll bezeichnet werden. Für den Feldzugang und die erfolgreiche Feldforschung können eine ganze Reihe von Gründen und Faktoren angeführt werden. Dabei sind die Gastfreundschaft der senegalesischen Familie, der großen Arbeitseinsatz des Forschungsteams, die Aufgeschlossenheit der Probanden gegenüber dem Projekt, die Kontaktpflege sowie das Wohlbefinden des Verfassers vor Ort herauszuheben. Selbstverständlich war die Feldforschung nur bei einem kontinuierlich hohen Arbeitsaufwand zu meistern. Schwierigkeiten wie geplatzte Interviewtermine, ein missratenes Interview, Missverständnisse in Gesprächen, Unaufmerksamkeit beim Pretest oder zu spätes Einschalten des Minidiscrekorders konnten behoben oder kompensiert werden.
6.6 DATENERHEBUNG Für die Überprüfung der Hypothesen des Konflikts, der Informalität und der Plurimedialität wurden insgesamt zehn Projekte durchgeführt: zwölf Leitfadeninterviews, unzählige informelle Gespräche sowie eine Gruppendiskussion mit Kommunikatoren; 20 Befragungen von Kioskund Straßenverkäufern; 500 standardisierte und 70 offene Befragungen sowie 13 Fotointerviews mit Rezipienten sowie drei Beobachtungen. Die nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht zu den einzelnen Projekten, die in den folgenden Kapiteln ausgewertet und interpretiert werden. Das Kürzel dient dazu, später auf einfache Weise angeben zu können, welche Ergebnisse auf welche Erhebungen zurückgehen. Tabelle 2: Übersicht zu den methodischen Projekten Erhebungsebene
Projekt
Kürzel
Produktion
Interviews mit
Int 1
Kommunikatoren
Konsumtion
Distribution
Informelle Konversationen
Konv
Gruppendiskussion
Disk
Standardisierte Befragung
Befr 1
Offene Befragung
Befr 2
Fotointerviews
Int 2
Beobachtungsrundgang
Beob 1
Beobachtung des öffentlichen Kaufverhaltens
Beob 2
Beobachtung des öffentlichen Lektüreverhaltens
Beob 3
Befragung von Kiosk- und Straßenverkäufern
Befr 3
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Bei der Auswertung und Interpretation wurden die Datensätze in einigen Fällen miteinander trianguliert. Ein Beispiel: Eine Interviewaussage eines Journalisten zum Kauf- und Lektüreverhalten von Lesern wurde in einer standardisierten Beobachtungsstudie überprüft und dieses Ergebnis wurde wiederum in Fotointerviews mit Lesern vertieft.
6.6.1
Leitfadeninterviews mit Kommunikatoren (Int 1)
In zwei Serien im Dezember 2002 und im April 2003 wurden insgesamt zwölf Leitfadeninterviews mit Kommunikatoren durchgeführt. Gegenstand der Interviews war die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der senegalesischen Medienkultur. Bei den Probanden handelt sich um eine Stichprobe von elf Zeitungsjournalisten und einem Radiojournalisten, der eine Presseschau moderiert. Die Interviews dauerten durchschnittlich etwa eine Stunde und wurden in Französisch geführt. Die Transkription der Interviews wurde den Probanden vorgelegt und von ihnen autorisiert. In einigen Fällen gab es eine ganze Reihe von Vorgesprächen bis die Kommunikatoren bereit waren, das Interview durchzuführen (Coulibaly, Dieng oder Sow). In anderen Fällen ergab sich durch das Interview auch ein intensiver Nachkontakt, so dass die im Interview angesprochenen Themen in mehreren informellen Gesprächen vertieft werden konnten. Dies gilt insbesondere für Pape Daouda Sow (Gründer und Chefredaktor der Skandalzeitung Mœurs) und Mamadou Sy (Taxi Le Journal). In vertraulichen Gesprächen konnten dann auch heikle Aspekte wie Praktiken der Informalität und die mit ihnen zusammen hängende Gewalt, Korruption und Kriminalität angesprochen werden, auf die der Verfasser erst gegen Ende des Feldforschungsaufenthaltes im Mai und Juni 2003 gestoßen ist. Es wurde darauf geachtet, Journalisten unterschiedlicher Sparten (von der Monatszeitschrift bis zur Tageszeitung), Funktionen (vom Reporter bis zum Chefredaktor), Ressorts (von der Kultur bis zum Fotojournalisten) und unterschiedlichen Alters (von jungen bis erfahrenen Journalisten) zu interviewen. Die Leitfadenkonstruktion ergab sich durch eine einer Operationalisierung vergleichbaren Umsetzung der Forschungsfragen sowie aus einer Integration von Themen, die im Laufe des Interviews zur Sprache gekommen sind. Wie bei Leidfadeninterviews üblich, war die vorgegebene Struktur nicht zwingend. Bei Bedarf wurden einige Fragen vor- oder nachgezogen. Die Interviews wurden auf Minidisc aufgenommen und anschließend transkribiert (zur Auswertung siehe unten).
FORSCHUNGSDESIGN
6.6.2
213
Informelle Konversationen (Konv)
Feldforschung zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass nicht alle Feldzugänge, Kontakte und Gesprächsverlaufe planbar sind oder sich wie gewünscht realisieren lassen. Während der zehnmonatigen Feldforschungszeit bot sich aber mannigfache Gelegenheit, wichtige Aspekte der Pressekultur in informellen Gesprächen zu erörtern. Im Kontext der Triangulation zielen diese informellen Konversationen – wie auch die Gruppendiskussion – auf denselben Datentyp ab wie die Leitfadeninterviews. Gesprächspartner bei dieser Methode waren unter anderem die Journalisten Alymana Bathily (Institut Panos), Gora Diouf (Enda Tiers Monde), Yacine Diouf (Le Matin), Alassane Gueye (Journal de l’Economie), Samba Sy (informeller Zeitungsvertrieb), Mamadou Sylla (Fahrer der ADP), Martin Taureg (Goethe Institut Dakar), Rémi Touzeau (Direktor der ADP), Monsieur Bocoum (Apotheker in Sédhiou) sowie Simon Ngom, der den Fanclub von Mœurs gegründet hat. Von all diesen Gesprächen wurden im Nachhinein Notizen angefertigt, um die Informationen zu memorisieren.
6.6.3
Gruppendiskussion (Disk)
Einige dieser auf informellem Weg erhaltenen Informationen konnten im Rahmen einer Gruppendiskussion wieder aufgenommen und vertieft werden. Dies betrifft insbesondere sensible Themen wie die journalistische Korruption. Um die Gruppendiskussion mit erfahrenen und renommierten Kommunikatoren durchführen zu können, wurde sie im Rahmen des Seminar über „L’espace médiatique au Sénégal“ abgehalten. Dieses Seminar wurde am 16. und 17. Juni 2003 vom Verfasser für das Goethe Institut Dakar organisiert. Teilnehmer waren unter anderem Alpha Sall von der Gewerkschaft Synpics und Moussa Paye von Sud Communication.
6.6.4
Befragung
a) Standardisierte Befragung zur Mediennutzung (Befr 1)
Ausgangspunkt der Befragung war die telefonische Mediennutzungsstudie Baromedia, die jährlich vom Marktforschungsinstitut ERASM konzipiert und für das Schweizer Medienunternehmen Ringier durchgeführt wird. Dieser Fragebogen wurde mehrfach modifiziert. Bei der standardisierten Befragung ging es um die Aneignung und Nutzung von Massenmedien im Allgemeinen und der Printmedien im Besonderen. Befragt wurden aber nicht nur Medienkonsum und Lektüreprakti-
214
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
ken, sondern auch Einstellungen wie Prestige, Image, Vertrauen gegenüber den verschiedenen Medientypen. Die Ergebnisse der Befragung wurden unter anderem dazu verwendet, Typen von Medienkonsumenten zu definieren und damit die Segmentierung des Publikums zu erfassen. Für die Untersuchung waren also auch die Einstellungen von Nichtlesern gegenüber der Presse relevant. Es wurde sowohl die alphabetisierte wie auch die analphabetisierte Bevölkerung miteinbezogen. Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgt computergestützt mit SPSS, wobei die nach den drei Wohnorten gesonderten Stichproben nicht vermischt wurden. Als Vorgehensweise wurde ein mit Randomwalk kombiniertes Cluster-Sample gewählt. Die nicht-repräsentative Stichprobe umfasste insgesamt 500 Probanden (ab 20 Jahre). 300 Befragungen wur-den in der Hauptstadt Dakar, 100 in der Provinzstadt Diourbel und je 20 Befragungen in den Dörfern Bakoum, Bousoura, Kounayan, Badiandian und Sandiniery durchgeführt, die sich in der Umgebung der Provinzstadt Sédhiou befinden. Sie liegt in der Region Casamance im Süden des Landes unweit der Grenze zu den Nachbarstaaten Guinea-Bissau und Guinea-Conakry (siehe Abbildung 15). Der aus 17 Fragen bestehende erste Fragebogen war standardisiert, das heißt die Antworten wurden vorgegeben. Die Antworten wurden dabei in einem sechswöchigen Pretest ermittelt, indem die Fragen zuerst offen gestellt wurden. Aus diesen Angaben konnte schließlich der Antwortkatalog konstruiert werden. Bei einigen Fragen konnten mehrere Antworten angekreuzt werden und häufig blieb eine Ausprägung für Präzisierungen der Probanden offen. Um ‚eurozentristische‘ Verzerrung so weit wie möglich zu reduzieren, wurden prinzipiell sämtliche Fragen des Fragebogens mit dem Forschungsteam und externen Experten besprochen und während des Pretests laufend angepasst. Für das Cluster-Sample wurden in Dakar und Diourbel jeweils Stadtquartiere ausgewählt, die ein möglichst unterschiedliches Gesellschaftsschichtprofil aufweisen. Nebst dem Zentrum Dakars, wo Menschen aller Schichten zusammenkommen, wurden die Quartiere Almadies, Liberté 6 und Guédiawaye als wohlhabender, mittelständischer und armer Stadtteil ausgesucht. Innerhalb dieser Quartiere wurde eine alphabetische Liste mit öffentlichen Treffpunkten erstellt. Aus dieser Liste wurde jeder vierte Platz für die Befragung ausgewählt. Jedem Platz wurde entsprechend seiner Frequentiertheit eine standardisierte Größe zugeordnet, die einer Anzahl von Interviews entsprach. An großen Plätzen wurden 35, an mittleren 15 und an kleinen Plätzen fünf Probanden befragt. Einige Mitglieder der Gesellschaft sind in der Öffentlichkeit unterproportional anzutreffen. Das gilt insbesondere für Frauen und für alte Menschen, die weitaus häufiger im Haus bleiben. Um diese Verzerrung zu korrigieren, wurden auch sogenannte Randomwalks durchge-
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215
führt. Das heißt, in Umgebung der öffentlichen Plätze wurden jeweils 15% der Befragten am Wohnort (aus demselben Haushalt dürfen maximal zwei Mitglieder befragt werden) und am Arbeitsplatz befragt. Trotzdem konnte nicht vermieden werden, dass die weibliche Bevölkerungsschicht in der Umfrage unterrepräsentiert ist (31,4%). Hinsichtlich der Gründe für die Schwierigkeit, Frauen zu interviewen, in erster Linie die patriarchalischen Gesellschaftsmentalität zu nennen. Männer sind im öffentlichen Leben wesentlich präsenter als Frauen. Auch treten viele Frauen in der Öffentlichkeit scheu und weniger selbstbewusst auf. Ferner hat auch die Umfragetechnik eine Rolle gespielt, da manche junge Frau ein Misstrauen gegenüber den männlichen Interviewern hegte und Angst vor einer Anmache hatte. Vermutlich hätte die Quote durch das Hinzuziehen einer weiblichen Interviewerin erhöht werden können. Zum Zeitpunkt dieser Einsicht war es allerdings bereits zu spät, um eine Studentin ausfindig zu machen und für die Befragung zu instruieren. Aller Voraussicht nach wäre aber eine egalitäre Repräsentation von Frauen und Männern in der Umfrage aber auch auf diese Weise nicht zu erreichen gewesen. b) Offene Befragung von Zeitungslesern (Befr 2)
Diejenigen der 500 Probanden, die angegeben haben, Printmedien zu lesen, wurden gebeten, eine zweite Befragung mitzumachen. Dazu waren insgesamt 59 von 283 Lesern bereit (20,8%). Diese zweite Befragung wurde auf der Basis einer offerierten Zeitung durchgeführt. Das heißt, die Leser durften sich eine Zeitung ihrer Wahl aussuchen und es wurde ein Termin für die zweite Umfrage vereinbart, meistens einige Stunden oder am Tag nach der ersten Befragung. Die zweite Befragung ist als offen zu charakterisieren, allerdings weist sie auch einige standardisierte Teile auf. Sie konzentriert sich ausschließlich auf die Presse und deren Aneignung. c) Befragung von Straßen- und Kioskverkäufern (Befr 3)
Wie bereits weiter oben erwähnt, wurde ein Teil der Resultate aus Leitfadeninterviews und Befragungen mit anderen Methoden verknüpft. Diese Vorgehensweise hat auch dazu geführt, jeweils zehn Straßen- und Kioskverkäufer zur Distribution von Presseprodukten zu befragen. In einem ersten Schritt wurden die Verkäufer nach der durchschnittlichen Anzahl der verkauften Zeitungen befragt. In einem zweiten Schritt ging es dann um ihre Interpretation, nach welchen ausschlaggebenden Gründen die Zeitungskäufer eine bestimmte Zeitung auswählen.
216
6.6.5
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Beobachtungsrundgang und Fotointerviews
Das Triangulationsprinzip betrifft auch die Methode der Fotointerviews, die mit einem Fotoalbum zur senegalesischen Pressekultur als Stimulus durchgeführt worden sind. Dieses Teilprojekt setzt also visuelle Daten als methodologisches Instrument ein, um die Interviewpartner „zu Erzählungen oder Antworten zu stimulieren – zunächst über das Foto und davon ausgehend über ihren Alltag“ (Flick 2002: 224). Diese visuelle Methode behauptet also „that the process of eliciting the voice of the participants may be better facilitated when there is a collaborative bond between the researcher and the participants. In order to facilitate this process, Gergen et al. (1999) suggested that researches could conduct the research in the participant’s own setting and use interviewing methods that reduce power differentials. Qualitative research methodologies that blur the boundaries between researchers and participants can move researchers from strangers to collaborative associates, and photo-interviewing has been recognized for its effectiveness in this regard.“ (Packard et al. 2004: 3)
Es geht in den Fotointerviews also darum, die Dominanz des Interviewers zu reduzieren. a) Beobachtungsrundgang (Beob 1)
Die Fotointerviews sind folgendermaßen entstanden: Zunächst wurde bei Beobachtungsrundgängen in der Öffentlichkeit, in Teilöffentlichkeiten (Büros etc.) und in Privathaushalten festgestellt, wo und in welchen Situationen Printmedien erscheinen. Bei den beiden ausgewählten Stadtvierteln handelt es sich um die Innenstadt und um die Médina. Um die Systematik der beobachteten Daten zu garantieren, wurden diese Rundgänge jeweils an drei Tagen gemacht und zwischen 9 und 19h alle zwei Stunden wiederholt. b) Fotointerviews mit Rezipienten (Int 2)
Die typischsten Situationen wurden anschließend vom in Dakar ansässigen deutschen Anthropologen und Fotografen Martin Taureg ins Bild gerückt. Ein Teil des 13 Fotos umfassenden Albums geht auf spontane, ein anderer Teil auf gestellte Fotos zurück. Anschließend wurde das Fotoalbum 13 Probanden mit der Bitte um eine Kommentierung vorgelegt. Was sehen Sie in den Fotos? Was fällt Ihnen dazu ein? Was lösen sie in Ihnen aus? Ziel war es also, das routinierte Frage-Antwort-Schema zwischen Interviewer und Proband bei qualitativen Interviews in der Hoffnung zu vermeiden, dass die Fotos einen
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217
Reflexion und Wissensbestände der Interviewpartner auslösen würden. Deshalb wurde versucht, möglichst wenig in den Verlauf der Interviews einzugreifen, das heißt die Interviewpartner haben selbst entschieden, welche Fotos sie kommentieren und welche sie überspringen. Nur bei Missverständnissen, Unverständnis etc. wurde zusätzliche Erklärungen gegeben oder Fragen gestellt. Die Interviews wurden im Schneeballsystem und in den Dakarer Stadtteilen Pikine und Pikine Sotiba durchgeführt. Die Fotos sind am Ende von Kapitel 8 abgedruckt.
6.6.6
Beobachtung
a) Beobachtung des öffentlichen Kaufverhaltens (Beob 2)
Zur Beobachtung des Kaufverhaltens ist vorab zu sagen, dass es sich beim stationären Verkauf von Zeitungen an Kiosken und in Télécentres gemeinsam mit dem ambulanten Straßenverkauf um die wichtigsten Vertriebskanäle handelt. Das Abonnementsystem spielt in Senegal eine vollkommen untergeordnete Rolle. Ausgehend von der in einem Leitfadeninterview geäußerten Hypothese Coulibalys (Sud Quotidien) wurde an einem Kiosk in der Dakarer Innenstadt sowie an einem Kiosk in unmittelbarer Umgebung des Krankenhauses Fann beobachtet, ob die Leute tatsächlich mehrheitlich die Schlagzeilen der ausgehängten Zeitungen lesen und sich erst aufgrund der interessantesten Schlagzeile für den Kauf einer bestimmten Zeitung entscheiden. An beiden Kiosken wurde fünfmal während 90 Minuten beobachtet. Auf diese Weise wurde das Kauferhalten von 312 potenziellen Käufern beobachtet. Sobald sie ihre Kauf- oder Nichtkaufentscheidung getroffen hatten, wurden sie angesprochen und zu ihrem Verhalten befragt. Das Ergebnis wurde anschließend mit 20 Straßen- und Kioskverkäufern diskutiert. b) Beobachtung des öffentlichen Lektüreverhaltens (Beob 3)
Ein weiteres Teilprojekt beschäftigte sich mit dem Lektüreverhalten in einer Bar, einer Cafeteria und einer Imbissstube in verschiedenen Stadtteilen Dakars. An jedem Ort wurde dreimal während zwei Stunden beobachtet. Auf diese Weise wurden insgesamt 1064 Personen beobachtet, davon waren 157 Leser (14,7%). Ausgehend von verschiedenen Zwischenbefunden wurde den Fragen nachgegangen, ob in der Öffentlichkeit gelesen wird, ob dies ungestört vonstatten geht, ob es zwischen den Gästen des teuren Cafés in der Innenstadt und der verruchten Bar im Stadtteil Médina Unterschiede im öffentlichen Medienkonsum gibt, ob es beim Lesen zu Interaktionen kommt (Diskus-
218
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
sionen, gemeinsame Lektüre, Vorlesen) und ob die Zeitungen zwischen den an Ort anwesenden Personen zirkulieren. Die Beobachtungsverfahren wurden bewusst als Alternative zu den reaktiven und Wort lastigen Befragungen und Interviews eingesetzt. Es ging darum, Medienhandeln und Lektüreroutinen zu untersuchen, deren Gründe den Probanden gerade aufgrund der Alltäglichkeit ihres Tuns unter Umständen nicht bewusst sind. Außerdem können Phänomene wie mangelnde Sprachkompetenz oder soziale Erwünschtheit die verbalen Äußerungen verzerren, so dass die Beobachtung in einigen Bereichen eine höhere Validität der Ergebnisse in Aussicht stellt.137
6.7 DIALOGISCHE KOMPONENTEN Ethnographische Forschung ist seit jeher mit dem Problem des Ethnozentrismus konfrontiert. Im Allgemeinen wird unter diesem Begriff verstanden, dass andere Kulturen vom Standpunkt der eigenen Kultur beschrieben und bewertet werden. Problematisch ist der Ethnozentrismus insbesondere dann, wenn die eigene Kultur unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens gestellt und eine Überlegenheit postuliert wird. Insbesondere Said (1981) hat die westliche Orientalistik als ethnozentrisch gebrandmarkt, da sie die arabische Welt als ‚fremd‘ und als ‚das Andere‘ sowohl rassistisch herabgesetzt als auch romantisierend verklärt hat. Dagegen basiert die Writing Culture Debatte (vgl. Kapitel 3.5.4 und 3.6.5) auf der wissenschaftsphilosophischen Einsicht, dass es keine beschreibungs- und sprachunabhängige Wirklichkeit gibt und dass Interpretationen immer historisch kontingent sind. Insbesondere Rorty (1994) weist darauf hin, dass aufgrund der Eingebundenheit des Menschen in seine eigene soziokulturelle Lebenswelt jede Beschreibung notwendigerweise ethnozentrisch sei. Um diesem Problemkomplex angemessen zu begegnen und eine ethnozentrisch verzerrte Forschung zu vermeiden, wurden verschiedene senegalesische Akteure bei der Planung und Durchführung der Forschung eingebunden. Zwar kann man nicht so weit gehen, beim Forschungsprojekt von einer Umsetzung des polyfonen Diskurses (Clifford 1986; Berg/ Fuchs 1999) zu sprechen. Aber hinsichtlich dem Einbezug von senegalesischen Experten sowie der Mitarbeiter- und Sprachenwahl lässt sich zumindest von dialogischen Komponenten sprechen.
137 Unter dem Effekt sozialer Erwünschtheit versteht man eine systematische Verzerrung bei allen Arten von Befragungen, bei denen die Probanden eine unwahre Antwort geben, um der gesellschaftlichen Norm besser zu entsprechen als dies in Wirklichkeit der Fall ist (Diekmann 1999: 382ff).
FORSCHUNGSDESIGN
6.7.1
219
Einbezug von Experten
Bereits in einer ersten Planungsphase der Forschungsarbeit in der Schweiz von April bis Oktober 2002 wurde das Forschungsdesign sowohl mit senegalesischen als auch mit europäischen Wissenschaftlern besprochen. Die Diskussionen drehten sich vor allem um die Fragestellung, den aktuellen Forschungsstand, das Untersuchungsziel, den theoretischen Rahmen und die Teilprojekte. In einer zweiten Planungsphase der Feldforschung in Senegal ab November 2002 ging es dann darum, die konkrete Durchführung der gewählten Teilprojekte zu konzipieren. Die Gespräche mit senegalesischen Experten kreisten vor allem um die Frage, wie die Teilprojekte umgesetzt bzw. welche Methoden dabei zum Einsatz gelangen sollten. Im Mittelpunkt stand die Adäquatheit und Praktikabilität der Methoden. Im Januar 2003 wurde ein Treffen in der Medien-NGO Institut Panos veranstaltet, an dem unter anderem die Mitarbeiter Tidiane Kassé, Anoumou Amekudji und Johan Deflander teilgenommen haben. Bei dieser Gelegenheit hat der Verfasser dem Fachgremium zunächst das gesamte Forschungsprojekt vorgestellt. Anschließend haben die Teilnehmer der Gesprächsrunde Fragen gestellt, Kritik geübt und Vorschläge unterbreitet. Insbesondere Fragebögen für die qualitativen Interviews mit senegalesischen Journalisten und für die standardisierten Interviews mit der senegalesischen Bevölkerung konnte auf diese Weise modifiziert werden. Für weitere Teilprojekte und sich im Forschungsprozess ergebende Probleme wurden folgende Experten hinzugezogen: Mit Moustapha Tamba (Professor für Soziologie an der UCAD), Moussa Samb (International Development Research Centre) und Abdou Ndao (UNESCO) wurde über das Forschungsdesign gesprochen, mit Raphaël NތDiaye (Enda Tiers Monde) über das Verhältnis von politischem und medialem System, mit Alain Agboton (Professor am Journalistik-Institut CESTI sowie Kommunikationsberater am Ministerium für wissenschaftliche Forschung) über medienethische Probleme des Boulevardjournalismus sowie mit Sulaiman Adebowale (CODESRIA) und Baba Thiam (Enda Cyberpop) über Internet und Presse. Auch mit in Dakar ansässigen europäischen Experten wurde ein Austausch gepflegt. Mit Marie-Soleil Frère (Université Libre de Bruxelles) wurde über Fragen der Informalität, Korruption und Gewalt im Mediensektor diskutiert, mit Henrik Kloninger (Direktor des Goethe Institut Dakar von 1999 bis 2004) über die Bedeutung der interpersonalen Kommunikation und oralen Tradition sowie mit Martin Taureg (seit 1997 in Dakar ansässiger Ethnologe und Fotograf, ehemaliger Mitarbeiter beim West African Museums Project) über Fragen der Medienkultur und Informationsgesellschaft.
220
6.7.2
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Mitarbeiter- und Sprachenwahl
Nebst dem kontinuierlichen Dialog mit Experten wurden für die Durchführung des Forschungsprojektes drei Studenten von der Universität Dakar engagiert: Mass NތDiaye, Ousmane Sy und Brice Lezin Mbemba-Mbemba.138 Ihnen wurden jeweils spezifische Aufgaben zugeordnet. Mit der Durchführung der standardisierten Befragung wurden NތDiaye und Sy beauftragt. Für ihren Einsatz sprachen drei Gründe. Erstens konnte durch die Arbeitsteilung eine höhere Stichprobe genommen werden, da zwei Personen mehr Probanden befragen können als eine einzige Person. Das Delegieren von Aufgaben führte auch zum Nebeneffekt, dass der Verfasser Kapazitäten für andere Teilprojekte frei hatte. Zweitens konnte die Umfrage durch die Beteiligung von lokalen Mitarbeitern in den Muttersprachen der Probanden durchgeführt werden. Denn um Mitglieder sämtlicher Gesellschaftsschichten befragen zu können und die Künstlichkeit der Befragungssituation zu reduzieren, war es unabdingbar, die Befragungen in den senegalesischen Nationalsprachen Wolof und Mandingo durchzuführen. Das heißt, während in Dakar und Diourbel die Probanden praktisch immer in Wolof befragt wurden, wählten die Bewohner in den Casamance Dörfern mehrheitlich Mandingo als Umfragesprache. Einige wenige afrikanischen, europäischen und libanesischen Ausländer absolvierten die Befragung auch in französischer Sprache. Die Übersetzung des ursprünglich französischen Fragebogens auf Mandingo und Wolof war nicht einfach, da auch 40 Jahre nach der Unabhängigkeit alles Schriftliche in der Amtssprache Französisch abläuft. Nur so ist es verständlich, dass in einigen wenigen Fällen das Wolof durch Französisch erklärt oder die Erklärungen zu einer Frage auf Französisch wiederholt werden mussten. Der Befund schlägt sich auch darin nieder, dass die beiden Studenten zuerst davon überzeugt werden mussten, die Befragung in den senegalesischen Lokalsprachen durchzuführen. Die mehrheitlich positiven Reaktionen der Probanden beim Pretest überzeugte sie aber rasch von der Richtigkeit dieser Entscheidung. Durch das Delegieren der Befragung an die senegalesischen Studenten konnten drittens interkulturelle Konflikte und Missverständnisse umgangen werden. Sie hätten sich aufgrund des historisch belasteten Verhältnisses zwischen der westafrikanischen Bevölkerung und europäischen Ausländern notwendigerweise ergeben, wenn der Verfasser selbst als Interviewer aufgetreten wäre. Dagegen liegen die Vorteile der Befra-
138 Der Verfasser kennt Mass N’Diaye bereits seit 1999. Dagegen wurde ihm Ousmane Sy vom Soziologen Moustapha Tamba und Brice-Lezin Mbemba-Mbemba von einem in der Schweiz lebenden Landsmann empfohlen.
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221
gung durch lokale Mitarbeiter auf der Hand: durch die natürlichere Kontaktnahme und Befragungsform konnten die auf interkulturelles Misstrauen basierende Verzerrung ausgeschaltet werden. In diesem Kontext ist auch die Beherrschung der Kommunikationsrituale zu erwähnen. Für die senegalesische Gesellschaft ist beispielsweise die Begrüßung eine so wichtige wie komplexe Angelegenheit, die zwar vom Ausländer nachgeahmt, aber kaum beherrscht werden kann. Voraussetzung für den Einsatz der Mitarbeiter war die Durchführung einer intensiven und langwierigen Schulung. Es musste sicher gestellt sein, dass die beiden Mitarbeiter mit dem Forschungsvorhaben und dessen Zielen gut vertraut waren. Das Einüben der Befragungsund Beobachtungstechniken nahm gemeinsam mit dem Pretest Wochen in Anspruch und stellte alle Beteiligten vor eine Geduldsprobe. Während der Pretests war der Verfasser jeweils anwesend oder beobachtend zugegen und zog sich erst bei Projektbeginn zurück. Schließlich war es dem Verfasser auch wichtig, dass sich die Interviewer gut in der Öffentlichkeit präsentierten. Umgangsformen und Kleidung (Bou-Bou oder eine klassisch europäisch mit Buntfaltenhose und Hemd) wurden gemeinsam festgelegt. Nach Abschluss der Umfrage hat der Verfasser NތDiaye und Sy über ihre persönlichen Erfahrungen interviewt. In positiver Hinsicht waren die wertvollsten Momente die gegenseitige Sympathie mit den Probanden. So gab es viele Interviewte, die solidarischerweise Glück für das Gelingen der Umfrage wünschten, für die Interviewer beteten und sie manchmal aufforderten, einmal zu Besuch zu kommen. Auch drückten einige Probanden ihre Zufriedenheit darüber aus, den Interviewer zur zweiten Umfrage wiederzusehen. In einigen Fällen tauschten Probanden und Interviewer sogar die Telefonnummern aus, um in Zukunft in Kontakt bleiben zu können. Nebst diesen persönlichen Aspekten, gaben NތDiaye und Sy auch an, viel durch die Umfrage gelernt zu haben. Dem Verfasser verhehlten sie aber auch nicht die negativen Seiten. In allererster Linie gehörte dazu die Dauer der Umfrage, die sich samt Pretest über Monate hinzog. Von der ersten Besprechung Anfang Januar 2003 bis zum Abschluss der Datenaufbereitung Ende Juni 2003 war so mancher Schweißtropfen auf den Straßen Dakars, Diourbels und Sédhious zu vergießen. Schließlich ärgerten sie sich auch lange Zeit später noch darüber, dass drei Probanden das Interview abgebrochen hatten und dass es eine Handvoll Probanden gab, die zum verabredeten Zeitpunkt für das zweite Interview nicht verabredungsgemäß anwesend waren, die Zeitung nicht gelesen oder nicht mitgebracht hatten. Die Transkription der Leitfadeninterviews wurde von dem in Dakar ansässigen Kongolesen Brice Lezin Mbemba-Mbemba erledigt. Die Durchführung dieser Aufgabe war verhältnismäßig einfach, da die Transkriptionsregeln rasch erklärt waren. Die interviewten Journalis-
222
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
ten haben die verschriftlichten Interviews zur Durchsicht und Korrektur zurückerhalten.
6.7.3
Problematisierung
Die Einbindung von lokalen Experten und Mitarbeitern in die Planung und Durchführung der Forschung hat dazu geführt, die Gefahr eines kruden Ethnozentrismus zu mindern. Das Forschungsprojekt war durch die dialogische Komponente offen für die Anliegen und Erfahrungen von Menschen aus dem Feld. Dies hatte einen positiven Einfluss auf die Anlage des Forschungsdesigns und die Relevanz des Themas. Aus psychologischer Sicht trug die dialogische Komponente auch dazu bei, dass sich der Verfasser mit einer größeren Sicherheit im Feld bewegen konnte. Der Einbezug von Experten und Mitarbeitern bringt aber auch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten mit sich. Zunächst einmal müssen die Mitarbeiter finanziell entschädigt werden. Darüber hinaus führt die Arbeitsteilung auch zu forschungsethischen Problemen. So stellten sich die Mitarbeiter als Studenten vor, die die Umfrage im Rahmen ihrer Diplomarbeit durchführten. Mit anderen Worten, die Probanden wurden über die Hintergründe und den Urheber der Studie im Unklaren gelassen. Auch der Einbezug von lokalen Experten ist in der Praxis nicht immer einfach zu handhaben. Einerseits muss man selbst immer offen für die Hinweise, Kritik und Ratschläge bleiben, andererseits ist es durchaus vorgekommen, dass verschiedene Expertenmeinungen widersprüchlich waren. Das vorliegende Forschungsprojekt hat die dialogische Komponente nur während der Feldforschung anwenden können. Es bleibt das Desiderat, den Austausch auch während des Schreibprozesses weiterzuführen oder zumindest die Ergebnisse und Interpretationen zur Diskussion zu stellen. Aus finanziellen Gründen war dies nicht möglich.
6.8 PROJEKTABLAUF 6.8.1
UND
FEEDBACK
Reaktionen von urbanen Probanden
Als Grundregel galt, dass die standardisierten Befragung nur mit denjenigen Probanden gemacht wurde, die mitmachen wollten. Nie wurde versucht, jemanden zum Mitmachen zu zwingen oder in irgendeiner Weise Druck auszuüben. Gab es bei der Anfrage Widerstand, haben die beiden Studenten versucht, die potenziellen Probanden zu überzeugen oder mit einem Witz zu animieren. War dies nicht möglich, wurden andere Menschen angesprochen. Generell waren die Leute konzentriert und der Ablauf einfach. Manchmal harzte der Anfang.
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Sobald die Probanden aber verstanden hatten, um was es ging oder ihr Misstrauen ausgeräumt war, liefen die durchschnittlich zwölfminütigen Interviews gut ab. Als Problem erwies es sich, dass einige Probanden ihre persönlichen Probleme im Fragebogen thematisiert sehen wollten. In einigen Fällen kamen während des Interviews auch andere Personen beispielsweise aus Neugier dazu und haben die Befragung möglicherweise beeinflusst. Hinsichtlich der Befragung von Analphabeten ist zu sagen, dass auch hier ein guter Ablauf durchaus möglich war. Voraussetzung dafür waren ausführliche Erklärungen, eine langsame Befragungsart sowie das Zeigen der Illustrationen. Prinzipiell wurden zur Unterstützung der Befragung wichtige Aspekte des Fragebogens visualisiert und auf einem Schaublatt gezeigt (zum Beispiel Symbole für die einzelnen Massenmedien). Auf diese Weise konnten die Probanden anstelle einer mündlichen Antwort auch wahlweise nur auf die Illustrationen zeigen. Die Reaktion der für die Leitfadeninterviews, die Umfrage sowie das Kioskprojekt kontaktierten Probanden war mehrheitlich positiv. Bei der umfangreichen Umfrage schlug sich das bereits darin nieder, dass nur einer von fünf männlichen Probanden und eine von drei weiblichen Probanden dem Interviewwunsch nicht entsprochen haben. Die Probanden reagierten in aller Regel freundlich und aufgeschlossen gegenüber der Umfrage. Ihre Zufriedenheit ist besonders auf das kleine Geschenk und – falls sie auch die zweite Befragung mitmachten – die geschenkte Zeitung zurückzuführen. Als Feedback auf den Fragebogen wurde spontan mitgeteilt, dass er interessant sei und erlaube, Neues zu entdecken. Positiv wurde vermerkt, dass die Befragung offen gegenüber der Meinung der Probanden sei und die Fragen ihnen erlaubt hätten, selber nachzudenken und dazu zu lernen. In einigen Fällen wurde dagegen bemängelt, dass die Befragung zu kompliziert oder zu lang sei. Als Gründe für die Ablehnung wurden Zeitdruck, der zu lange Fragebogen, ein Unverständnis gegenüber der Umfrage, keine Vertrautheit mit Umfragen oder die fehlende Erlaubnis des Chefs, Ehemannes oder Vaters angeführt. Daneben gab es auch einige Menschen, die empört aussagten, dass es zu viele Umfragen gäbe, es sich aber nie etwas ändern würde. Ein Kutscher sagte einmal, dass der Interviewer nichts von seinem Leben begriffen hätte, weil er sonst nicht solche Fragen stellen würde. Bei 500 Befragungen haben insgesamt drei Probanden das Interview in der Mitte abgebrochen. Ab und an hegten die Probanden auch ein Misstrauen gegenüber der Umfrage, weil sie befürchteten, es handle sich um eine Umfrage von Journalisten. Entsprechend lehnten sie zunächst die Umfrage mit Aussagen wie ‚Ihr Journalisten stellt zu viele Fragen‘ oder ‚Wir sagen der Presse nichts‘ ab. Da sich bereits hier antönte, dass Journalisten ein schlechtes Image haben (Lügner, Voyeure etc.), war es wichtig, die Probanden über den akademischen Hintergrund der Interviewer aufzuklären.
224
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
In der Regel zeigten die beiden Interviewer unaufgefordert ihren Studentenausweis vor.
6.8.2
Reaktionen von ruralen Probanden
Die Durchführung der Umfrage in der Provinzstadt Diourbel und in den Dörfern rund um Sédhiou war einfacher als in der Hauptstadt Dakar. Überraschenderweise war die Bevölkerung hier offener als in Dakar und es waren noch weniger Widerstände anzutreffen. Eventuell lag dies auch daran, dass das Leben auf dem Land weniger abwechslungsreich ist als in der Stadt und die Menschen über weniger Zeitdruck verfügen. In Diourbel sagte ein Mann zu Sy, dass er für ihn und das Gelingen der Umfrage beten werde und ein alter Mann bekräftigte, dass die Umfrage gut sei, weil sie den Menschen die Möglichkeit gäbe, ihre eigene Meinung auszudrücken. In den Dörfern um Sédhiou musste der Feldzugang und der Ablauf der Befragung aufgrund der lokalen Bedingungen etwas modifiziert werden. Sy besuchte zuerst den Chef des jeweiligen Dorfes, richtete ihm Grüße aus der Stadt aus und überbrachte ihm Kolanüsse oder 2000 francs CFA für 20 Interviews als Geschenk. Dann wurde das erste Interview mit ihm durchgeführt, so dass sich das Dorfoberhaupt ein eigenes Urteil über die Umfrage bilden konnte. Anschließend wurde um die Erlaubnis gebeten, 19 weitere Interviews im Dorf durchführen zu dürfen. Auf diese Weise haben alle fünf Dorfchefs ihre Erlaubnis gegeben und vor Beginn der Umfrage für das Gelingen der Studie gebetet. Aufgrund der Autorität des Dorfchefs und der Organisation des Dorflebens haben sich sämtliche 100 angefragten Probanden an der Umfrage beteiligt. Dementsprechend waren die Frauen in diesem Teil der Umfrage mit 54% auch nicht unterrepräsentiert. Die Gründe für das Wohlwollen der Dorfchefs lagen in der privaten Basis der Umfrage. Das Misstrauen gegenüber der Regierung und den Nichtregierungsorganisationen war weit verbreitet. Die Politiker würden regelmäßig Versprechen machen und Umfragen durchführen, ohne dass sich aber die Lebensumstände im Dorf verbessert hätten. Auch war das Misstrauen gegenüber Journalisten groß. Die Leute wollten nicht, dass Interna des Dorflebens nach außen dringen, da die Informationen verfälscht, das Image schädigen, das Zusammenleben erschweren und eine einvernehmliche Lösung verunmöglichen würden. Weitere Gründe waren darin zu suchen, dass der Interviewer ein Student war und aus der Region stammte. Sein Vater, Birame Sy, ist in den Dörfern bekannt und angesehen. Auch bestand bei den Dorfchefs die Hoffnung, dass der Interviewer nach Abschluss seines Studiums etwas für das Dorf tun werde. Wie auch in Dakar und Diourbel spielte
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die garantierte Anonymität der Befragten eine Rolle sowie die Durchführung der Umfrage in der Lokalsprache Mandingo. In den kleinen Dörfern Sédhious wurde aus nahe liegenden Gründen kein Cluster-Sample durchgeführt, sondern ausschließlich ein Randomwalk-Verfahren. Ausgehend vom Haus des Dorfchefs wurden in jedem zweiten Gehöft zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Generation befragt. Bei denjenigen Dörfern, die aus weniger als zehn Gehöften bestanden, wurden drei Personen pro Gehöft befragt. Aufgrund der Landflucht lebten überdurchschnittlich viele Frauen in den Dörfern. Die Männer waren häufig in die Stadt gezogen, um Arbeit zu finden. Manche Frauen haben die Umfrageanfrage zuerst abgelehnt, weil das Familienoberhaupt für Volkszählungen etc. verantwortlich sei. Nach der Erklärung, dass es sich nicht um eine offizielle Zählung handle, haben sie dem Interview aber immer zugestimmt. Ein Problem beim Interviewablauf war, dass es nur selten möglich war, das Interview ohne zahlreiche Zuschauer durchzuführen. Die Reaktionen der Probanden waren überwiegend durch Offenheit und Freundlichkeit geprägt und Ousmane wurde häufig zu einem Getränk oder zum Mittagessen eingeladen. Einige Probanden fanden den Fragebogen allerdings zu lang.
6.8.3
Verweigerungen
Wie bereits oben erwähnt, haben 79,2% nicht den zweiten Teil der Umfrage mitgemacht. Die Gründe für die Ablehnung liegen in einem begrenzten Zeitbudget oder dem Problem, einen geeigneten Treffpunkt zu finden. Manche in Dakar und Diourbel interviewten Leute waren beispielsweise nur auf der Durchreise und wohnten an allzu entfernten Orten. Einige Probanden waren nach der ersten Umfrage auch mit ihrer Geduld am Ende und sagten kurz und bündig ‚Es reicht‘. In einigen Fällen gab auch der Ehemann oder Freund der Probandin keine Erlaubnis. So berichtete NތDiaye, dass eine junge Frau nach dem ersten Fragebogen drauf und dran war, einen Termin für die zweite Befragung abzumachen, aber auf ein so diskretes wie eindeutig verächtliches Schnalzen ihres männlichen Begleiters dann doch ablehnte und sich zurückzog. In Diourbel waren die Probanden des zweiten Umfrageteils in der Zeitungswahl weniger frei gewesen, da die Zeitungsverkaufsorte hier etwas entfernt von den Erhebungsorten lagen und es aus organisatorischen Gründen vorgezogen wurde, zwei bis drei Zeitungen am Morgen zu kaufen und an die Befragung mitzunehmen. Auch trafen in Diourbel nicht alle Zeitungen am Morgen ein, sondern wurden schubweise geliefert. In Sédhiou haben bloß 5% der Probanden angegeben, Zeitung zu lesen oder gelesen zu haben, wobei keine einzige Person der Bitte für ein zweites Interview entsprochen
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
hat. Die Gründe für die Ablehnung liegen in der Mobilität der Probanden (Reise nach Gambia oder Wohnort in einem anderen Dorf) oder in der Bequemlichkeit. In mindestens einem Fall hat der Interviewer auch ungeschickt gefragt. Es ist auch nicht ganz auszuschließen, dass es sich bei der Angabe der Lektürefähigkeit um eine halbwahre Antwort handelte und die Probanden Angst hatten, dass beim zweiten Interview ihre wahre Kapazität entdeckt würde.
6.9 DATENAUSWERTUNG 6.9.1
Qualitative Verfahren
Die Experten- und Fotointerviews wurden mit dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Analysiert wurde die autorisierte schriftliche Version der Interviews. Das Ziel der Inhaltsanalyse bestand in einer derartigen Reduktion des Materials, dass „die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch deren Abstraktion einen überschaubaren Korpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring 2003: 58). Auf diese Weise wurden die Perspektiven der verschiedenen Akteure vergleichbar. Da das Material durch den Leitfaden bereits klar strukturiert war, wurde das Verfahren der zusammenfassenden Inhaltsanalyse gewählt. Als Codiereinheit (kleinster Materialbestandteil) wurde jeweils die Aussage festgelegt, die durch die Fragen des Interviewers vorgegeben wurde. Als Kontexteinheit fungierte jeweils das gesamte Interview. In der vorliegenden Untersuchung wurde die induktive mit der deduktiven Kategorienbildung verbunden. Grundsätzlich erfolgte die Kategorienbildung induktiv am Material, wobei das Textmaterial ein Stück weit durch die im Leitfaden vorgegebenen Fragen bedingt war. Grundsätzlich gilt, dass es bei den induktiv aus dem Text gebildeten Kategorien darum geht, in einem Verallgemeinerungsprozess Kategorien direkt aus dem Datenmaterial zu entwickeln. Deshalb ist eine induktive Kategorienbildung vor allem dann sinnvoll, wenn zu den interessierenden Inhalten kein oder wenig theoretisches oder empirisches Wissen besteht. Damit ist sie gegenstandsnahe und weniger verzerrt durch theoretische Vorannahmen. Denn bei einem rein deduktiven Vorgehen besteht die Gefahr, dass das Gesichtsfeld des Forschers auf die vorgegebenen theoretischen Konzepte eingeengt ist und dass alternative Ergebnisse nicht wahrgenommen werden. Bei rein induktivem Arbeiten fehlen hingegen die Theoriegeleitetheit und die Möglichkeit der Integration der Ergebnisse in einen theoretischen Zusammenhang (ebd.: 74ff.). Das Kategoriensystem wurde im Laufe der Probecodierung ständig modifiziert und nach der endgültigen Fassung des Codierschemas
FORSCHUNGSDESIGN
227
eine definitive Codierung durchgeführt. Dabei wurden die bei Mayring (ebd.: 59ff.) beschriebenen Reduktionsschritte wie Auslassung, Generalisation, Konstruktion, Integration, Selektion oder Bündelung in einem Schritt zusammengefasst. Um den Überblick über das umfangreiche Datenmaterial und die Kontrolle über den Codierungsprozess (Kontrolle der Konsistenz der Zuordnung der Textstellen zu den Kategorien und Kontrolle der Beachtung der Codierregeln) zu bewahren, wurden die Zuordnung der Textstellen computergestützt unter Zuhilfenahme des Softwareprogramms Atlas/ti durchgeführt. Das Kategoriensystem, das sich in Kapitel 12.1 im Anhang abgedruckt findet, dient der systematischen Analyse der Interviews. Es legt diejenigen Aspekte fest, welche zur Interpretation des Materials herausgefiltert werden sollen. Das Kategoriensystem enthält elf Oberkategorien mit insgesamt 60 Ausprägungen. Sie werden hier kurz erläutert: • Die Oberkategorie Geschichte [10] fasst sämtliche Aussagen zusammen, die sich auf historische Aspekte der senegalesischen Presse beziehen. Die Aussagen werden danach geordnet, ob sie sich auf die kolonialistische Periode oder auf die Amtszeiten der Präsidenten Senghor und Diouf beziehen. • Die aktuellen Merkmale [20] beziehen sich auf Trends, die seit dem Amtsantritt von Präsident Wade abzeichnen. Hierbei sind insbesondere der Pluralismus und der Konkurrenzdruck herauszuheben. • Die senegalesische Presse weist drei wichtige Zeitungstypen [30] auf, nämlich die Qualitäts- und die Boulevardzeitungen sowie die Special Interest Blätter. Ein vielfach erörterter Aspekt sind die Konvergenzprozesse dieser Typen. • In den Interviews haben sich sieben verschiedene journalistische Funktionen [40] herauskristallisiert, wobei Information die wichtigste Funktion ist. In der Fallstudie in Kapitel 7 wird erklärt, warum dies so ist und inwieweit die Informationsfunktion lokale Spezifika aufweist. • Die journalistischen Akteure bewerten die senegalesische Presse mit drei Qualitätskriterien [50]: Sachgerechtigkeit, Ausgewogenheit und lokale Charakteristika. • Die Inhalte werden in verschiedenen Textsorten [60] präsentiert, die vom Abdruck von Artikeln aus Nachrichtenagenturen über redaktionelle Beiträge bis hin zum Abdruck von Leserbriefen reichen. Eine gewichtige Rolle spielen die Fotos und die Präsenz auf dem Internet. • Einen Sonderfall stellen dabei die Presseschauen [70] der Radiostationen dar, die sich in dem hochgradig vom Analphabetismus betroffenen Land eine wichtige Vermittlungsfunktion übernehmen.
228
• •
• •
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Unter Unternehmensorganisation [80] werden die medienökonomischen Aspekte wie Besitzverhältnis, Geschäftsführung, Finanzierung und Marketingstrategie der Zeitungsverlage verstanden. In der Oberkategorie Leserschaft [90] sind alle Aussagen von Journalisten über ihr Publikum zusammengefasst. Neben soziodemographischen Merkmalen spielen auch Einschätzungen zu Lektürepraktiken und Kundenbindung eine Rolle Die Probleme [100] der senegalesischen Presse sind die umfangreichste Kategorie. Sie enthält insgesamt 16 Ausprägungen In der letzten Oberkategorie wird erhoben, welche Lösungsstrategien [120] die Journalisten zur Bewältigung der identifizierten Probleme vorschlagen.
6.9.2
Standardisierte Verfahren
Während die Fotointerviews und die Gruppendiskussion nach dem Prinzip der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring und mit demselben Kategoriensystem wie die Leitfadeninterviews analysiert wurden, wurden die standardisierten Datenerhebungen mit dem Statistikprogramm SPSS ausgewertet (vgl. Kühnel/Krebs 2000). Es wurde darauf geachtet, die qualitativen Aspekte des Datenmaterials gesondert aufzubereiten, zu analysieren und in die Interpretation miteinzubeziehen. Grundsätzlich wurden die aus der Rezipientenbefragung gewonnenen Datensätze aus Dakar, Diourbel und Sédhiou getrennt, das heißt ungewichtet, analysiert. Um einen ungefähren Überblick über die Medienaneignung in Senegal zu geben, wurden die drei Datensätze allerdings im Datensatz ‚Senegal‘ zusammengefasst. Dieser Datensatz wurde gemäß der geographisch differenzierten Bevölkerungsverteilung in Senegal gewichtet: Danach leben 25% in der Hauptstadt, 16 % in den Provinzstädten und 59% auf dem Lande. Tabelle 3: Gewichtete und ungewichtete Ortsverteilung Ungewichteter
Gewichteter
Datensatz
Datensatz
Häufigkeit
in %
Häufigkeit
in %
Dakar
300
60
125
25
Diourbel
100
20
80
16
Dörfer in der Region Sédhiou
100
20
295
59
Senegal
500
100
500
100
Auf diese Weise lassen sich ungefähre Angaben zur Mediennutzung im ganzen Land machen. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont,
FORSCHUNGSDESIGN
229
dass es sich dabei um eine statistisch unzulässige Gewichtung und Zusammenziehung von Daten handelt.
6.10 DISKUSSION
DER
GÜTEKRITERIEN
Der EAM schließt an ein Set von Gütekriterien der qualitativen Sozialforschung an. Im Einzelnen handelt es sich um die Kriterien der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, der Indikation des Forschungsprozesses, der empirischen Verankerung, der Limitation, der Kohärenz, der Relevanz und der reflektierten Subjektivität (Steinke 2000: 323331).139 Im Folgenden werden diese Kriterien erläutert und ihre Anwendung diskutiert. Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit schlägt sich in der Begründung und der Dokumentation sämtlicher Schritte des Forschungsprozesses nieder. „Damit wird einem externen Publikum die Möglichkeit gegeben, die Untersuchung Schritt für Schritt zu verfolgen und den Forschungsprozess und die daraus gegangenen Ergebnisse zu bewerten. Mit diesem Kriterium kann der für jede Studie einmaligen Dynamik zwischen Gegenstand, Fragestellung und methodischem Konzept Rechnung getragen werden.“ (ebd.: 324)
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden der Feldzugang und die Datenerhebung in diesem Kapitel ausführlich beschrieben. Sämtliche methodische Teilprojekte werden systematisch und regelgeleitet durchgeführt. Bei der Indikation des Forschungsprozesses geht es um die Umsetzung des EAM und die Gegenstandsangemessenheit der Methoden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden das Triangulationsprinzip und die einzelnen Erhebungsverfahren begründet. Dieses Kriterium führt zu den dialogischen Komponenten oder der kommunikativen Validierung über: „Daten oder Ergebnisse der Forschung werden den Untersuchten mit dem Ziel vorgelegt, dass sie von ihnen hinsichtlich ihrer Gültigkeit bewertet werden.“ (ebd.: 320) Im vorliegenden Fall wurde der gesamte Forschungsprozess von senegalesischen Experten begleitet. Einzelne Teilprojekte wurden auch mit dem Forschungsteam und mit einigen Probanden besprochen. Die kommunikative Validierung gehört zum übergeordneten Kriterium der empirischen Verankerung. Damit ist gemeint, dass die Hypothesen an den empirischen Fällen überprüft werden (Kapitel 7 bis 9). Das Kriterium der Limitation 139 Allerdings wurde bei den Pretests für die standardisierte Befragung sowie die Kiosk- und Restaurantbeobachtung durch den Einsatz von jeweils zwei Forschern das ‚quantitative ދKriterium der (Intercoder-) Reliabilität adoptiert, um die Güte der Ergebnisse zu gewährleisten.
230
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„dient dazu, im Sinne eines ‚testing the limits‘ die Grenzen des Geltungsbereichs, d.h. der Verallgemeinerbarkeit einer im Forschungsprozess entwickelten Theorie, herauszufinden und zu prüfen. Dazu sollte analysiert werden, auf welche weiteren Bedingungen (Kontexte, Fälle, Untersuchungsgruppen, Phänomene, Situationen etc.) die Forschungsergebnisse, die unter spezifischen Untersuchungsbedingungen entwickelt wurden, zutreffen.“ (ebd.: 329)
Dieses Kriterium wird durch die Beschränkung des EAM auf transnationale Medienkulturen und die Anwendung dieses Ansatzes in drei Fallstudien beachtet. Auf das Kriterium der Limitation ist im Schlussteil der Arbeit genauso zurückzukommen wie auf die Kohärenz. Dabei geht es um die Frage, ob der EAM auch nach seiner empirischen Überprüfung kohärent ist oder ob Widersprüche in den Daten und Interpretationen gelöst werden konnten. Aus theoretischer Sicht ist bereits auf die Relevanz des EAM hingewiesen worden. Der Ansatz leistet einen Beitrag an die Einlösung der in Kapitel 3 formulierten Kritik an den Cultural Studies im Allgemeinen und setzt die in Kapitel 4 formulierte Kritik am Circuit of Culture im Besonderen konstruktiv um. Was die empirische Relevanz der Ergebnisse zur senegalesischen Pressekultur angeht, so kann dieses Kriterium erst nach der Präsentation der Ergebnisse der drei Fallstudien bewertet werden. Angesichts der unzureichenden Quantität und Qualität der Medienforschung in Senegal sowie dem zusätzlichen Bedarf an angewandter Forschung in den Bereichen Digital Divide und ICT4D beziehen die vorliegenden Untersuchungen mindestens daher Relevanz als dass sie dazu beitragen, dass eine bestehende Forschungslücke bearbeitet wird. Als letztes Gütekriterium ist auf die reflektierte Subjektivität einzugehen. „Dieses Kriterium prüft, inwiefern die konstituierende Rolle des Forschers als Subjekt (mit seinen Forschungsinteressen, Vorannahmen, Kommunikationsstilen, biographischem Hintergrund etc.) und als Teil der sozialen Welt, die er erforscht, möglichst weitgehend methodisch reflektiert in die Theoriebildung einbezogen wird.“ (ebd.: 330f.)
Auch diesem Kriterium wurde mit den ausführlichen Abschnitten zum Feldzugang, zur Datenerhebung und zum Forschungsteam entsprochen. Außerdem gibt es bei der Darstellung der Forschungsergebnisse in den folgenden Kapiteln immer wieder Stellen, die gewisse Ergebnisse problematisieren und gewählte Interpretationen relativieren.
7 KONFLIKTKONFIGURATIONEN: DIE SENEGALESISCHE PRESSE IM SPANNUNGSFELD VON POLITIK, RELIGION UND MEDIENETHIK 7.1 ÜBERBLICK Die erste Hypothese behauptet, dass sich die senegalesische Pressekultur konflikthaft konstituiert. Sie wird in der ersten Fallstudie mittels einer Analyse der Konflikte zwischen der Presse einerseits sowie Politik, Religion und medienethischen Ansprüchen andererseits überprüft. Die Grundlage für diese Analyse wird in einer Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der senegalesischen Presse gelegt. Denn ohne ein Verständnis der Rollen der verschiedenen politischen, juristischen, religiösen, sozialen und medialen Akteure in der Vergangenheit sind auch die zeitgenössischen Konflikte nicht verständlich.140 Der historische Überblick wird zeigen, dass der Pluralismus der Printmedien in Senegal seit Ende der 1970er Jahre stetig zugenommen hat. Diese langfristige Entwicklung wird allerdings in jüngster Zeit durch Einschränkungen der Pressefreiheit, Restriktionen beim Informationszugang und Einflussnahmen der religiösen Leader konterkariert. Die senegalesische Medienkultur erlebt keinen kontinuierlichen, sondern einen wechselvollen Transformationsprozess. „Competing for the attention of the media are liberal democracy and popular ideas of democracy informed by African notions of personhood and agency“ (Nyamnjoh 2005: 20). 141
140 Zur Geschichte Senegals siehe: Diouf (2001). 141 Die hier präsentierten Ergebnisse beruhen vornehmlich auf Leitfadeninterviews (Int 1), informellen Konversationen (Konv) und einer Gruppendiskussion mit Journalisten (Disk) sowie auf Fotointerviews mit Rezipienten (Int 2). Um die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen, sind diese französischen Zitate ins Deutsche übersetzt.
232
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
7.2 GESCHICHTE 7.2.1
DER SENEGALESISCHEN
PRESSE
Griot und Buch
Der afrikanische Kontinent blickt auf eine Jahrtausende alte Geschichte zurück (Unesco 1981). Das heute den Senegal umfassende Gebiet gehörte bis ins 15. Jahrhundert zu verschiedenen Königreichen Westafrikas. Diese Reiche waren politisch komplex organisiert und wirtschaftlich transregional vernetzt. Die vorkolonialen Gesellschaften bedienten sich interpersonaler und kollektiver Medien sowie Intermediäre. Dazu zählen insbesondere die Griots, die als Sänger, Genealogen und Geschichtenerzähler an den Königshöfen angestellt waren (Bornand 2004). Dagegen nahm das Buch bereits während der Blütezeit des Songay Reiches am Ende des 15. Jahrhunderts eine wichtige Rolle ein. Das Bildungszentrum dieses Reiches, das sich über Teile des Gebiets der heutigen Staaten Mali, Mauretanien, Niger und Senegal erstreckte, war die Universität von Timbuktu. An seinem Königshof lebte eine gemischte Gesellschaft mit animistischen und islamischen Mitgliedern. Im Laufe des 16. Jahrhunderts zerfiel das Reich allerdings durch marokkanische Invasionen. Bereits etwas früher wurde das Wolof-Köningsreich in der Senegalfluss-Region gegründet. Es dehnte sich zunächst nach Südosten aus, wobei es im 16. Jahrhundert an Macht verlor. Mehrere Regionen begannen sich von der Zentralmacht zu lösen und das Wolof-Volk geriet schließlich vermehrt unter den Einfluss der muslimischen Toucouleurs. Sie waren durch arabische Händler bereits während einer ersten Islamisierungswelle zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert bekehrt worden. Eine breiter angelegt zweite Islamisierungswelle erging über die Wolof ab dem 17. Jahrhundert als die religiösen Führer (Marabuts genannt) begannen, den Jihad auszurufen und den Hofislam zu bekämpfen. Zeitgleich schwangen sich im Süden die Mandingo Dynastien im Gebiet der heutigen Casamance, Gambia, Guinea und Guinea-Bissau auf. Sie konnte ihren Einfluss bis ins 19. Jahrhundert bewahren. Weiter oben wurde dafür argumentiert, dass die Globalisierung als das Prinzip einer irreversiblen weltweiten Vernetzung mit dem militarisierten Kronkapitalismus der portugiesischen Handelsschifffahrt begann. Auch Westafrika wurde in dieses transkontinentale Netz zwischen Europa, Afrika, Asien und Amerika eingebunden. Nachdem sich bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Portugiesen, und Anfang des 17. Jahrhunderts die Holländer an der senegambischen Küste niedergelassen hatten, wurde in der Mitte desselben Jahrhunderts der englische und französische Einfluss immer größer. Diese frühe impe-
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
233
rialistische Phase stand ganz im Zeichen des Sklavenhandels:142 „Through slave trade, large parts of Africa South of the Sahara were integrated into the global system in its most destructive way.“ (Amin 2004) Zwischen 1450 und 1870 trafen mehr als 10 Millionen Westafrikaner auf der anderen Seite des Atlantiks ein, wo sie auf den Zuckerrohr- und Tabakplantagen in Brasilien, in der Karibik und im Südwestern Nordamerikas verdingt wurden (Klein 1999: 211). Ein Teil von ihnen war über die Dakar vorgelagerte Insel Gorée, eine wichtige Drehscheibe des internationalen Sklavenhandels, verschifft worden. Vom Sklavenhandel profitierten allerdings nicht nur die europäischen Handelsgesellschaften, sondern auch die den Handel organsierende lokale Aristokratie. Während sich die Chefs der Wolof- und Serer Ethnien durch ihre Kollaboration mit den europäischen Handelsgesellschaften in der Bevölkerung diskreditiert hatten, drangen die muslimischen Marabuts in die politische Sphäre ein, indem sie der Bevölkerung Schutz boten und gegen den Sklavenhandel opponierten.
7.2.2
Die Anfänge der Presse
Kraft seiner militärischen Stärke weitete Frankreich seine Kolonialherrschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins senegalesische Hinterland aus. Nun begann die vollständige Integration Westafrikas in das kapitalistische System. Frankreich machte den Senegal zum politischen Zentrum seines Kolonialgebietes Afrique Occidentale Française (Becker et al. 1997). Die Kolonialverwaltung war strikt hierarchisch geordnet, mit Generalgouverneur Faidherbe an der Spitze. Er führte auch das französische Schul- und Bildungssystem für die militärisch besiegte aristokratische Elite ein. Sie wurde entmachtet und musste dem Kolonialregime als Partner dienen. Nach der Abschaffung des Sklavenhandels lag der Wert der Kolonie in ihrer Landwirtschaftsproduktion. Die senegalesischen Bauern kultivierten Erdnüsse, die von französischen Händlern aufgekauft und nach Europa transportiert wurden. Die Wolof-Aristokratie war für die Aufsicht der landwirtschaftlichen Produktion, das Eintreiben von Steuern, die Beschaffung von Arbeitskräften und die Rekrutierung von Soldaten verantwortlich. Ihr soziopolitischer Machtverlust schlug sich auch darin nieder, dass sich die von ihnen ausgebeuteten Bauern in einem Klassenkampf gegen die 142 In der Sahel-Region existierte im 14. Jahrhundert eine Sklavenökonomie, die sich im 15. Jahrhundert bis in das Gebiet des heutigen Senegal und Guinea ausdehnte. Die Einbindung dieses regional begrenzten Sklavenhandels in das globale Wirtschaftssystem geschah dadurch, dass es den Portugiesen gelang, sich in bereits bestehende Handelsmuster einzuklinken.
234
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
eigene Aristokratie auflehnten. Dabei suchten die Bauern die Unterstützung der Marabuts. Sie traten fortan als Anwälte der Bauern auf und konkurrenzierten die lokale Aristokratie. Unter diesen Voraussetzungen gelang den Marabuts durch eine dritte Islamisierungswelle zwischen 1880 und 1920 die Massenbekehrung der Wolof. Die Bevölkerung wurde zum Sufismus, einem mystischen Volksislam, bekehrt. Diese Form ist in Bruderschaften organisiert und hat wenig mit radikalen Islamformen wie beispielsweise dem Wahhabismus in Saudi-Arabien zu tun. Aufgrund ihres inoffiziellen politischen Mandats als Vertreter der Landbevölkerung, gewannen die Marabuts auf politischer Ebene die Anerkennung des Kolonialregimes und wurden von ihm als Intermediäre eingesetzt. „Les fonctions positives du gouvernement – distribution de la terre, arbitrage légal, sécurité social – furent ainsi prises en charge, sur une base plus ou moins informelle, par les dirigeants musulmans. Les dons et les services en travail que les dirigeants religieux attendaient des leurs disciples étaient bien récompensés, en termes matériels aussi bien que spiruituel.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 24)
Durch ihre Akzeptanz bei den Franzosen und ihre Popularität in der Landbevölkerung kumulierten die Marabuts ökonomisches, politisches und soziales Kapital. Auch symbolisch wurde diesen neuen Ver.hältnissen Rechnung getragen, indem die Bruderschaften zu den Paraden der Kolonialherren und umgekehrt auch die Franzosen zu den religiösen Feiern eingeladen wurden. Obwohl die Kolonialmacht vielfältige Beziehungen zu den Marabuts unterhielt, war ihnen zweierlei suspekt. Zum einen der Marabut Cheikh Amadou Bamba, der mit seiner Glaubenslehre und seinen Postulaten der Arbeitsethik, der Askese und des Gehorsams großen Zulauf hatte. Er wurde zum Gründer der Bruderschaft der Mouriden, die in der heiligen Stadt Touba domiziliert sind. Von 1895 bis 1902 sowie von 1905 bis 1907 wurde er nach Gabun bzw. Mauretanien ins Exil verbannt. Nachher gelang es den Franzosen allerdings, ihn in ihr Kolonialsystem zu integrieren (C. Gueye 2002). Zum anderen fürchteten sich die Franzosen vor einer panislamistischen Bewegung, die die senegalesischen Marabuts gegen die Kolonialherren hätte aufbringen können. Aus diesem Grund verfolgte die französische Administration die Strategie, die senegalesischen Gläubigen von der muslimischen Umma zu trennen. Dies geschah unter anderem durch Vorkehrungen, „de limiter et de surveiller toutes les relations (journaux, correspondances, voyages, pèleringages) pouvant s’établir entre musulmans noirs et musulmans arabes“ (Coulon 1981: 152).
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
235
Die regionale Vormachtstellung Senegals drückt sich nicht nur in der Tatsache aus, dass es Zentrum von Afrique Occidentale Française war, sondern auch darin, dass die senegalesische Presse die älteste im frankophonen Westafrika ist.143 Am Ort des Regierungssitzes St. Louis, der 1907 nach Dakar verlegt wurde, wurden Zeitungen wie Le Reveil du Sénégal oder Le Petit Sénégalais herausgegeben. Sie gehörten Druckereien. In dem letztgenannten Blatt schrieb der Journalist Daramy „à des sujets aussi tabous à l’époque que les scandales administratifs ou la vie privée des gouverneurs coloniaux“ (Gueye 2006: 51). Die Grundlage lieferte dafür das französische Gesetz über die Pressefreiheit von 1881. So heißt es in Artikel 5: „Tout journal écrit périodique peut être publié sans autorisation préalable et sans dépot de cautionnement.“ 1914 wurden die senegalesischen Bürger der von den Franzosen gegründeten Kommunen Dakar, Gorée, Rufisque und St. Louis offiziell zu gleichberechtigten französischen Bürgern. Aus ihren Gemeinderäten entsandten die vier Kommunen einen Abgeordneten in die französische Nationalversammlung. Als erster schwarzer Abgeordnete wurde Blaise Diagne gewählt. Inspiriert durch die kolonialen Zeitungen, entdeckte er gemeinsam mit anderen senegalesischen Politikern die Wichtigkeit des Massenmediums. So verfügte Diagne über die Unterstützung von La Démocratie du Sénégal.144 Dieses Blatt wurde 1926 in L’Ouest Africain Français umbenannt als der Abgeordnete das politische Lager wechselte, um sich der Kolonialverwaltung zu nähern. 1928 gründete Diagne dann seine eigene Wochenzeitung, La France Colonial, die er 1934 in Franco-Sénégalais Indépendant umbenannte. Zwar gab es eine Reihe von Zeitungen, aber sie wandten sich in erster Linie an die Oberschicht, die aus weißen Kolonialherren, mulattischen Händlern und schwarzer Elite bestand. Ihr öffentlicher Einfluss war marginal. „Ceci aide à comprendre quel peut être l’étonnement d’un jeune administrateur débarqué à Dakar pour une mission de prospection minière, quand il constate l’absence dans ce décor du moindre journal digne de ce nom. Il y a certes des périodiques officiels, des bulletins économiques, à côté desquels vivote une presse d’opinion souvent éphémère, surgie notamment à l’occasion d’élections […]. Pour le reste, la clientèle, surtout française, se rabat sur les journaux venus de la métropole.“ (Perret 2005: 58)
143 Im anglophonen Afrika tauchten die ersten Zeitungen bereits fast 100 Jahre früher auf: 1800 in Südafrika, 1801 in Sierra Leone und 1826 in Liberia. Bei den Journalisten der beiden letztgenannten Länder handelte es sich um Afroamerikaner: „Les journaux de cette presse noire, qui militent pour l’abolition de l’esclavage, entrent fréquemment en conflit avec l’administration.“ (Perret 2005: 19) 144 Siehe: Tudesq (1999: 102).
236
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
In der Folge gründete der Verwaltungsbeamte de Breteuil nicht nur die Tageszeitung Paris-Dakar (1933) und das Magazin Bingo (1955) in Senegal heraus, sondern auch Tageszeitungen in der Côte d’Ivoire, in Kamerun, im Kongo und auf Madagaskar.145 Darüber hinaus gab es in Senegal auch aus Kreisen der katholischen Mission stammende Blätter wie Afrique Nouvelle (1947-1987) oder Echos d’Afrique Noire (1948-1960).146 Maurice Voisin, genannt Petit Jules, schrieb für die Echos d’Afrique Noire und „jouait un grand rôle pour l’ancrage de la démocratie ainsi que pour l’affirmation du principe de la liberté d’expression. Le journaliste écrivait même sur la vie privée des dirigeants temporels et spirituels“ (Gueye 2006: 53). Diese Leistung ist in einer Zeit, in der das ganz der Ideologie des Kolonialismus verschriebene Radio Sénégal das Monopol des Radiosektors innehatte, nicht hoch genug einzuschätzen.147 Als nach dem Zweiten Weltkrieg die französische Vormacht zu bröckeln begann und die Kolonialherren allen Senegalesen das französische Bürgerrecht zusprach, wurde die politische Szene von zwei Akteursgruppen geprägt. Auf der einen Seite hatten die religiösen Führer ihre Macht konsolidiert: „Leur position incontournable d’entrepreneurs politiques dans la dernière décennie de la colonisation allait conforter leur position dans les dispositifs politiques, économiques et sociaux postcoloniaux.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 54) Auf der anderen Seite begann die senegalesische Elite, für die politische Unabhängigkeit zu kämpfen und die Machtübernahme vorzubereiten. „Le sucès nationaliste favorise le décollage d’une presse d’opinion.“ (Perret 2005: 21) Im Unabhängigkeitskampf standen sich zunächst Lamine Gueye von der Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO) 145 Perret beschreibt den Inhalt von Paris-Dakar wie folgt: „Les pages sont denses, aérées par quelques photos ou caricatures et de nombreux encarts publicitaires. La Une, très animée, avec de nombreuses photos, est essentiellement consacrée à l’actualité politique ou économique française et aux nouvelles internationales : grâce à des articles courts, rédigés sur un ton neutre, et de nombreuses brèves traitées en quelques lignes, le lecteur a un condensé de ce qui se passe dans le monde. Même chose dans les pages intérieures : échos de la colonie et faits divers, nouvelles économiques, cours de produits, annonces légales, trafic aéroportuaire ou maritime.“ (2005: 60) 146 Die Mission konnte allerdings nur in Dakar sowie in der Regionen Sine Saloum und Casamance einige bescheidene Erfolge vorweisen. Mit einer Mehrheit von rund 95% blieb die Bevölkerung muslimisch. Allerdings hatten die katholischen Blätter einen großen Anteil an der Emanzipation der senegalesischen Elite. Auch waren es die Missionskreise, die zuerst Publikationen in afrikanischen Sprachen herausgegeben haben. 147 Insgesamt wurden zwischen 1945 und 1960 rund 170 Pressetitel in Senegal herausgegeben (Perret 2005: 21).
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
237
und Léopold Sédar Senghor vom Bloc Démocratique Sénégalais (BDS) gegenüber. Beide Lager setzten dabei auch die Presse ein. So gründete Senghor 1948 die Zeitung La Condition Humaine, die 1957 den symbolischen Titel L’Unité erhielt. Diesem Motto gemäß fusionierten die beiden Parteien ein Jahr später zur Union Progressiste Sénégalaise (UPS).
7.2.3
Unabhängigkeit und Modernisierung
1960 wurde der Senegal unabhängig. Gemäß Verfassung war das Land eine Republik. Innenpolitisch wurde ein Einparteiensystem mit der UPS als alleiniger Partei eingesetzt. Senghor (1961-1981) übernahm das Präsidentenamt, Mamadou Dia wurde Premierminister und Lamine Gueye Parlamentspräsident. Senghor verschrieb sich einer sozialistischen Politik und war in den Wahlen von 1968 und 1973 jeweils der einzige Präsidentschaftskandidat. Während in den ersten zwei Jahren das Klima einigermaßen liberal war – so kam es zur Gründung der panafrikanischen Zeitung Le Messager – wurden ab 1962 Oppositionsgruppierungen wurden in den Untergrund verbannt und ihre Mitglieder verhaftet, wenn sie sich einer Kollaboration verweigerten.148 Die eingesetzte Verfassung rekurrierte weitgehend auf die französische Version. Aufgrund der historischen und soziokulturellen Bedingungen konnten die Verfassung und die Bürokratieordnung jedoch nicht wie in Europa umgesetzt werden. Stattdessen spielten in der Regierungs- und Verwaltungspraxis klientelistische Beziehungen zwischen den verschiedenen politischen, ökonomischen und sozialen Akteuren eine primordiale Rolle. Diese Beziehungen gingen teilweise auf ethnische, Familien-, Bruderschafts- oder Kastenzugehörigkeit zurück. Wie in vielen anderen subsaharischen Ländern war das Ergebnis ein so komplexer wie intransparenter neo-patrimonialer Staat. Der Senegal war aber insofern ein Sonderfall als es der politischen Elite innenpolitisch an Legitimität zur Volksvertretung fehlte und sie daher einen Gesellschaftsvertrag mit den Marabuts der vier sunnitischen Bruderschaften Tijaniyya, Mouriden, Qadiriyya und Layen schloss. Den Bruderschaften war es zwar nicht gelungen, einen theokratischen Staat wie im Nachbarland Mauretanien einzuführen, aber sie verfügten über das Vertrauen des Volkes. Das Verhältnis zwischen Marabuts und ihren Gefolgsmännern, im Volksmund taalibé genannt, 148 Bereits 1962 liess Senghor seinen Ministerpräsidenten Dia verhaften, den er einer Verschwörung verdächtigte. „Ohne dass das Putschgerücht geklärt oder Anklage erhoben wurde, blieb Dia bis 1974 in Haft.“ (Wolf 2004: 19) Dia (2005a und b) hat in jüngster Zeit mit neuen politischen Publikationen auf sich aufmerksam gemacht.
238
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
umfasste religiöse, politische und materielle Belange. Die Marabuts kümmerten sich um die politischen Belange der Bürger und schützten sie dadurch vor der Willkür der Politiker. Darüber hinaus organisierten sie das religiöse Leben, spendeten Identität und kümmerten sich in manchen Fällen auch um die Alltagssorgen ihrer taalibé. Dazu gehörten die Lösung von Familienkonflikten, die Unterstützung bei der Arbeitsplatz- oder Stipendiensuche sowie der Zugang zu amtlichen Dokumenten. Im Gegenzug ließen sich die Marabuts für diese Dienste bezahlen. Diesem als ‚ndigël‘ bezeichneten Vertrag lag das Vertrauen des taalibé in seinen spirituellen Führer zu Grunde. „Le taalibé fait beaucoup plus confiance au marabout qu’au gouvernement et il est prêt à abandonner aux hommes de religion le soin de s’occuper des relations avec le gouvernement. En contrepartie, les marabouts font bénéficier le gouvernement de la loyauté de leurs disciples, ils lui promettent un minimum d’obéissance, le paiement de quelques impôts, quelques prestations en travail ainsi que […] leurs bulletins de votes aux élections nationales. Le gouvernement récompense alors les marabouts sous diverses formes de parrainage officiel, y compris en leur octroyant des ressources matérielles, dont une partie est répartie parmi les – ou quelques – disciples.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 83f.)
Die Politik Senghors verschrieb sich ganz diesem klientelistischen Modell, in dessen Mittelpunkt Werte wie Loyalität, Solidarität und Treue standen. In gewisser Weise hatte bereits die französische Kolonialmacht dieses Modell adoptiert. Durch die hohen Weltmarktpreise für Erdnüsse gelang es der neuen Regierung, sowohl die Kosten für dieses aufwendige Modell wie auch die Importe von Wirtschaftsgütern zu finanzieren. Das oberste Staatsziel war die nationale Einheit. Aus diesem Grund wurden weder eine politische Opposition noch unabhängige Massenmedien zugelassen. Wie in den meisten anderen Ländern Afrikas – unter anderem mit Ausnahme von Nigeria, Madagaskar oder Mauritius – gab es vor allem Staatsmedien, die im Dienst der Einheitspartei standen. Nach der Unabhängigkeit wurde Paris-Dakar (1933-1961) zunächst in Dakar Matin (1961-1970) und dann in Le Soleil umgetauft. Der Name Le Soleil (franz. die Sonne) wurde eigens von Senghor gewählt, um den Postulaten der Négritude Bewegung – Aufklärung, Panafrikanismus und Unabhängigkeit – symbolisch Ausdruck zu verleihen.149 Die Redaktion wurde mit senegalesischen Journalisten ausgestattet und in den Dienst der Regierungsziele gestellt. Der Dichter-Präsident Senghor hing an seiner Tageszeitung und wachte paternalistisch über die Inhalte und die Qualität der Regierungszei149 Zur Übersicht über die Négritude Bewegung siehe: Lewis (2006).
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
239
tung. Dies ging so weit, dass er zweimal im Monat die Journalisten in den Präsidentenpalast zitierte und ihnen Nachhilfestunden in Sachen Grammatik und Stil erteilte: „Er war ein Grammatiklehrer und akzeptierte keine Fehler in der Zeitung. Er empfing die Redaktion und zitierte diejenigen, die Fehler begangen hatten. [...] Er ging an die Tafel und sagte: diese Person hat in der Ausgabe dieses Datums, in diesem Artikel, in dieser Zeile folgenden Fehler begangen. Das schreibt sich eher so“ (Int 1),
wie sich Diatta (Le Soleil) erinnert. Auf den ersten Blick scheint ein Widerspruch in Senghors Position zu bestehen, der sich für die politische Unabhängigkeit und eine afrozentrische Identität Afrikas einsetzt, aber an der französischen Amtssprache festhält. Diesen Widerspruch hebt Senghor mit dem Argument auf, dass das Französische eine universelle Kultursprache sei: „Ist es möglich, dem Wesen schwarzer Menschen, ihrer Négritude, mit den Worten der Weißen angemessen Ausdruck zu verleihen? Senghors Antwort lautete stets ‚Ja‘.“ (Naguschewski 2003: 97) Da er in nationalsprachlichen Zeitungsorganen keine politische Gefahr sah, liess er trotz einer restriktiven Medienpolitik die Zeitung Kàddu (Wolof: die Rede) zu. Sie war der erste Versuch, ein Printmedium in einer der Nationalsprachen zu verfassen. Allerdings sah sich Senghor durch die geringe Publikumsakzeptanz der Publikation in seiner Skepsis gegenüber dem Wolof als Mediensprache bestätigt.150
7.2.4
Etappen der Liberalisierung
a) Einführung des Mehrparteiensystems
Zu Beginn der 1970er Jahre wurde auch der Senegal von der schweren Weltwirtschaftskrise erfasst, die sich in Westafrika im Einbruch der landwirtschaftlichen Produktion manifestierte. Sie ging auf den Verfall der Erdnuss- und Phosphatpreise, den Anstieg der Erdölpreise und auf eine lokale Dürreperiode zurück. Senghor reagierte auf die prekäre Situation mit einer politischen, medialen und wirtschaftlichen Liberalisierung. Senghor änderte mehrfach die Verfassung, um zwischen 1974 und 1978 schrittweise ein kontrolliertes Mehrparteiensystem einzuführen. Neben seiner eigenen, nun zur Parti Socialiste (PS) unbenannten Regierungspartei wurde auch die liberale Parti Démocratique Sénégalaise (PDS) von Abdoulaye Wade, die kommunistische Parti Africain de l’Indépendence und das konservative Mouvement 150 Neuere Publikationen zu Senghor: Riesz (2006) und Wittmann (2008).
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Républicain Sénégalais zugelassen. „Through much careful manipulation of the constitution and institutions, Senghor thus succeeded in crafting a political system that satisfied some basic democratic criteria without allowing his power to be challenged.“ (Ottaway 2003: 95)151 Die politische Öffnung wurde von einer vorsichtigen medialen Liberalisierung begleitet. Klandestine Zeitungen wie L’Écho du Sénégal (1964) oder Xarebi (1969), die sich nicht haben unterdrücken lassen, wurden offiziell relanciert, andere wurden neu gegründet. Dazu zählen auch politische Meinungs- und Propagandablätter wie Sopi (1974), Le Démocrate (1974) und Siggi (1976) oder satirische Wochenzeitungen wie Promotion (1972) und Le Politicien (1976). Zwar gelang es insbesonders der vom Journalisten und Schriftsteller Boubacar Boris Diop gegründeten Promotion die politischen Machtzirkel zu kritisieren und zu provozieren, aber aufgrund ihres tendenziösen oder satirischen Inhalts sowie ihrer unregelmäßigen Erscheinungsweise gelang es diesem und anderen Blättern nicht, das Informationsbedürfnis der Bevölkerung zu stillen und als übergeordnete soziale Diskussionsplattform zu dienen. Auf ökonomischer Ebene entschloss sich der Präsident zunächst für die Einführung der von den internationalen Institutionen konzipierten Strukturanpassungsprogramme, um Ende 1980 seinem Premierminister Abdou Diouf (1981-2000) die Macht zu überlassen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit entschloss sich der neue Präsident zu einem Schritt, der seine demokratische Glaubwürdigkeit unterstreichen und gleichwohl die Langlebigkeit seines Regimes garantieren sollte: Er öffnete das Mehrparteiensystem gänzlich und erlaubte die Gründung von politischen Parteien. Die folgenreiche Konsequenz dieser Reform war, dass die Opposition aufgrund der Vielzahl von Parteigründungen zu fragmentiert war um die regierende PS ernsthaft herauszufordern (Ottaway 2003: 96). In wirtschaftlicher Hinsicht formulierte Diouf eine technokratische Politik und setzte die Strukturanpassungsprogramme der internationalen Organisationen um. Aber auch damit gelang es nicht, die Krise zu überwinden, die immer mehr vom ökonomischen auf den sozialen Bereich übergriff: „Les programmes d’ajustement structurel ont libérer des espaces pour l’illicit, le parallèle et l’informel et les virevoltes de l’opposition ont affaibli les mécanismes de régulation sociale. Les arbitrages, compromis sociaux et idéologiques volent en éclats; la lente agonie de la classe des fonctionnaires et les promesses non tenues d’insertion des porteurs de la modernité (étudiants et élèves) dans la classe dirigeante et la corruption quasi endémique de celle-ci achèvent d’installer le Sénégal dans une situation généralisée de crise.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 60)
151 Ausführlich siehe: Tine (1997).
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Vor allem gelang es Diouf nicht, die klientelistischen Mechanismen des neo-patrimonialen Staatswesens durch seine technokratische Politik zurückzudrängen. Diouf begann eine Gratwanderung, indem er durch die Umsetzung der Strukturanpassungsprogramme vordergründig den Forderungen der internationalen Organisationen entsprach und gleichzeitig am Neo-Patrimonialismus festhielt. Diese Ambivalenz charakterisiert auch Dioufs Medienpolitik. Einerseits wurden die Regierungszeitung sowie das Staatsradio und -fernsehen nach wie vor am Gängelband geführt: „Le Soleil war eine Staatszeitung, die der sozialistischen Regierung gehörte. Der Generaldirektor wurde von der Regierung ernannt und musste aus diesem Grund die Interessen der Regierungspartei vertreten. Die Journalisten waren nicht unbedingt Angehörige der Partei, denn sie kamen vom CESTI mit ihren Diplomen, ihren Kompetenzen und ihrem Wissen und hatten keine Parteikarte. Le Soleil hat diesem Klima gearbeitet und war oft mit Problemen konfrontiert: wenn ein Journalist einen Artikel schrieb und der Generaldirektor ihm sagte, dass sein Text nicht gut war, führte dies zu Frustrationen“ (Int 1),
wie der Chefredaktor von Le Soleil, Mamadou Kassé, berichtet. Andererseits erlaubte Präsident Diouf die Gründung von neuen Wochenzeitungen wie Djamra (1982) und Tacusaan (1983).152 Trotz aller Unterschiede zwischen den verschiedenen Blättern war ihnen doch eine politische Identität gemeinsam: „Die ersten Generationen von Journalisten in Senegal waren gekommen um allgemeine und besonders politische Berichterstattung zu betreiben. Dies war eine sehr politische Generation, die sich ganz an den gesellschaftlichen Debatten, den Regierungswechseln und den Gewerkschaftsrevolten ausrichtete.“ (Int 1)
Im Gegensatz zu Journalist Mamadou Sy sieht Saphie Ly (Sud Quotidien) diese Periode kritischer: „Damals gab es eine intellektualistische, hermetische und esoterische Presse, die nur für sich und ihr begrenztes Publikum schrieb.“ (Int 1)
152 Djamra wurde vom Politiker Abdoul Latif Guèye gegründet, der darin vornehmlich eine sozialpolitische Agenda (Drogen, Jugenddelinquenz und Prostitution) pflegte. Dagegen war Tacusaan nach Sopi und Le Démocrate bereits das dritte Publikationsorgan des damaligen Oppositionspolitikers Abdoulaye Wade.
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b) NWICO und Dependenz Die sukzessive Liberalisierung des Medienmarkts ist auch im Zusammenhang mit dem Diskurs über eine Neue Weltordnung der Information und Kommunikation (NWICO) zu sehen. Dieser Diskurs wurde seit den frühen 1970er Jahren im Rahmen der UNESCO geführt. Ausgangspunkt der Diskussion war erstens die Kritik der sogenannten Zweiten und Dritten Welt am Ungleichgewicht der globalen Informationsströme, das auf das Informationsmonopol der westlichen Industriestaaten und ihrer Nachrichtenagenturen zurückgeführt wurde. Über die Einseitigkeit der Kommunikationsflüsse und die informationelle Marginalisierung der südlichen Welthemisphäre wurde zweitens auch die Informationsqualität kritisiert. Der damalige senegalesische Generaldirektor der UNESCO erinnert sich: „Le contenu de ces dépêches préparées par des spécialistes des mêmes pays, reflétait essentiellement la vision, la sensibilté et les intérêts de cette partie du monde. On renvoyait plus volontiers aux pays en développement une image déformée d’eux-mêmes, qu’on ne leur donnait une relation correcte de leur situation […]. Constatation plus consternante encore, la manipulation de l’information, très fréquente, tendait à accréditer des thèses erronées pour provoquer des crises artificielles susceptibles de mettre en cause ceux qui, dans le Tiers monde, cherchaient à résister aux pressions extérieures.“ (Mbow 2002: 15f.)
Die Kontroverse über eine neue Informationsordnung beruhte auf wissenschaftlicher Seite nicht nur auf Forschungen zur Wissensklufthypothese (Tichenor et al. 1970), sondern führte auch zur Einsetzung einer Kommission unter dem Vorsitz von McBride. Allerdings liess der Kommissionsbericht den Streit zwischen den verschiedenen Fraktionen eskalieren (Unesco 1980).153 Unabhängig von dieser Eskalation konnte die Kritik an den Ursachen für die Dependenz der afrikanischen Länder aber nur dann glaubwürdig aufrecht erhalten werden, wenn der Informations-, Kommunikations- und Mediensektor liberalisiert war und einen Angebotspluralismus aufwies. Diese Implikation unterstützte die sukzessive Liberalisierung des Marktes auch in Senegal.
153 Der McBride Bericht war der offizielle Anlass für den Austritt GroßBritanniens, der USA und eine Reihe weiterer Länder aus der UNESCO. Großbritannien ist 1997 und die USA 2003 wieder in die Organisation eingetreten. Die damalige Kontroverse ist im Kontext des UNO-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft wieder aufgelebt. Siehe: Arnhold (2003), Dany (2003) und Ndao (2003).
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
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c) Islamisierung
Die Angebotspluralisierung führte aber auch dazu, dass Zeitungen mit einem radikal islamischen Inhalt entstanden und den laikalen Staat herausforderten. Die islamische Revolution in Iran 1979 hatte nämlich auch auf den Senegal große Auswirkungen. Sie inspirierte eine Generation junger Intellektueller, die sich sowohl gegen den sufischen Volksislam der senegalesischen Bruderschaften als auch gegen die europäische Moderne wendeten und für eine Modernisierung und Purifizierung des Islam nach iranischem Vorbild eintraten. Zu dieser Generation gehörten auch die Brüder Ahmed Khalifa und Sidy Lamine Niasse, die aus einer der drei großen Marabut-Familien der Bruderschaft der Tidjaniyaa stammt. Die Familie ist seit jeher in der Departementshauptstadt Kaolack angesiedelt, wo sie ursprünglich durch die Erdnusswirtschaft zu Reichtum gelangt ist. Ahmed Khalifa Niasse wird im Volksmund ‚Ayathollah von Kaolack‘ genannt. Er gehört zu jenen peripheren Marabuts (franz.: marabouts péripheriques), die zwar nicht an der Spitze der Marabut-Familien stehen, aber aufgrund ihrer ökonomischen Macht und ihres politischen Netzwerkes zu Einfluss gekommen sind. „Ils sont généralement des arabisants formés dans des pays islamiques et qui trouvent le terrain sénégalais fertile pour semer un rigorisme islamique.“ (Loum 2003: 174) Nachdem sich Ahmed Khalifa Niasse weder in der PS noch in der PDS durchsetzen konnte, gründete er seine erste eigene Partei, Hazboulahi (arabisch: Partei Gottes). Er unterhielt beste Verbindungen nach Libyen und Saudi-Arabien und verfolgte einen strikt antiwestlichen Diskurs. Für sein Ziel, nach dem Vorbild der iranischen Revolution auch den Senegal in einen Gottesstaat zu verwandeln, gründete er die Zeitschrift Alahou Akbar (arabisch: Gott ist groß).154 Während Ahmed Khalifa in erster Linie politisch aktiv war, fiel sein Bruder Sidy Lamine 1984 als Gründer des islamischen Meinungsblattes und Monatsmagazins Wal Fadjri (arabisch: die Morgenröte) auf. Wal Fadjris redaktionelle Position bestand in einem radikalmodernistischen Diskurs: „On pouvait y lire de longs extraits des ouvrages de Khomeini, une défense de la position iranienne face à l’Irak dans la guerre, des déclarations sur l’unité du chi’isme et du sunnisme et des attaques acerbes contre l’Arabie Saoudite.“ (Kepel 2000: 122) Zur Zeit, als mit Abdou Diouf der erste muslimische Präsident an die Macht gelangt war und sich der religiöse Diskurs durch dieses Ereignis multipliziert hatte, diente es auch als erfolgreiche religionspolitische Plattform. Darin drückte es auch das neue Selbstbewusstsein und 154 Sämtliche seiner Unternehmungen scheiterten jedoch und heute verfolgt Niasse mit seiner jüngsten Partei, Front des Alliances Patriotiques (FAP), einen gemäßigteren Kurs.
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die Ziele der senegalesischen Muslime aus: „Objectfs qui sont de redonner à la religion musulmane, à travers Wal Fadjri, la place et l’importance qui lui reviennent dans une société islamisée depuis des siècles, mais qui a dilapidé son héritage et perdu ses références culturelles.“ (Niasse 2003: 47) Die politischen Kreise stuften Wal Fadjri als integristisch ein und einige Journalisten mussten mit Pseudonymen zeichnen, um ihr Leben zu schützen. Allerdings erging es Niasse wie auch den anderen senegalesischen Anhängen der iranischen Revolution: Da sie letztlich kein überzeugendes alternatives Gesellschaftsmodell und keinen zusätzlichen Ressourcenzugang für die taalibé anbieten konnten, verlor ihre Bewegung an Kraft. Nicht zuletzt auf Druck seiner professionellen Journalisten wie Mame Less Camara und Tidiane Kassé transformierte Sidy Lamine Niasse seine kleine Redaktion in eine kommerzielle Mediengruppe mit liberaler Redaktionslinie. Aufgrund des redaktionellen Freiraums ist Wal Fadjri heute zur kritischsten Tageszeitung in Senegal geworden. d) Françafrique und Zivilgesellschaft
Am Ende der 1980er Jahre konnte festgestellt werden, dass die Entwicklung zu mehr Demokratie, Liberalisierung und Zivilgesellschaft zwar langsam vonstatten ging, aber doch unumkehrbar war. Der Aufschwung der Zivilgesellschaft hing in erster Linie damit zusammen, dass die internationalen Organisationen damit begannen, ihre Entwicklungshilfe nicht mehr nur direkt dem Staat zukommen zu lassen, sondern auch spezialisierten Nichtregierungsorganisationen. Auf diese Weise konnten lokale Projekte direkt unterstützt werden. Diese Entwicklungen trugen zu einem weiteren Anwachsen der Pressefreiheit in Senegal bei. In diesem Klima konnten Zeitungen wie Sud Magazine (1986), Sopi (1987), Le Cafard Libéré (1988), Sud Hebdo (1988) oder Le Témoin (1990) gegründet werden. Insbesondere Le Cafard Libéré erzielte mit seinen satirischen Texten und den provokativen Cartoons einen immensen Erfolg und verdrängte Le Politicien in der Gunst der Leserschaft.155 Dieser neue Pluralismus wirkte sich allerdings noch nicht auf die Präsidentschaftswahlen von 1988 aus, die Diouf mit 73,2% gegen 25,8% für seinen Herausforderer Abdoulaye Wade gewann. Die muslimischen Bruderschaften hatten ihre taalibé nochmals angewiesen für die PS zu stimmen und im Gegenzug beträchtliche Summen für die Modernisierung der heiligen Stadt Touba erhalten. Allerdings brachen nach dem Urnengang Unruhen in der Hauptstadt Dakar aus, die sich gegen sozialistische Politiker und Journalisten der
155 Der Le Cafard Libéré kann als eine senegalesische Adoption des französischen Canard Enchaîné gelten.
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RTS richteten. Um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, wurden Wade und andere Oppositionspolitiker verhaftet. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Ende des Kalten Kriegs sah sich die Mehrheit der afrikanischen Länder mit der Forderung nach Demokratie konfrontiert. „A unique combination of donor pressure, internal opposition and snowballing led regimes to rapidly introduce multiparty politics regardless of whether ruling elites in fact supported democratisation.“ (Kirschke 2000: 383) Mit seiner Rede von La Baule 1999 eröffnete der französische Präsident Mitterrand die Ära Françafrique. Unter diesem Label wird das Verhältnis zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika geregelt und den neuen geopolitischen Gegebenheiten angepasst.156 Konkret bedeutete dies, dass die für die afrikanischen Staatsbudgets überlebenswichtige Entwicklungshilfe von den ehemaligen Kolonialmächten und den internationalen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds in Zukunft an Fortschritte des Demokratisierungsprozesses geknüpft wurde. Die geopolitischen und globalen Transformationen führten zu einer Demokratisierungswelle in Afrika, die sich insbesondere in den Nationalkonferenzen in Benin, KongoBrazzaville oder Sambia niederschlugen. Der Senegal konnte zwar bereits auf eine ansehnliche Demokratietradition verweisen, trotzdem sah sich Präsident Abdou Diouf 1993 genötigt, als ein Versprechen für seine Wiederwahl die Liberalisierung der Wirtschaftsmärkte und der Massenmedien anzukündigen. Dieser neue Wirtschaftsansatz führte zur Ausbildung eines Medienmarktes, der neoliberalistischen und globalisierungstheoretischen Kriterien zu folgen schien. Weil international operierende Medienunternehmen wie Nostalgie oder Canal Horizons mit eigenen Produkten auf den liberalisierten Markt drängten, formierten sich auch die lokalen Redaktionen zu immer mehr diversifizierten Unternehmen. Wal Fadjri kam 1984 zunächst als monatlich erscheinendes Magazin, ab 1987 als Wochenzeitung und 1993 schließlich als Tageszeitung heraus. Das Unternehmen gründete 1997 eine erste Radiostation, die auch auf Worldspace vertrieben wird. Seit 2004 ist Wal Fadjri mit zwei weiteren Spartenkanälen auf dem Äther. Com 7 war mit der Tageszeitung L’Info 7, mit mehreren Special Interest Blättern, einen hauseigenen Druckerei, dem Radiokanal 7 FM sowie einem Musikproduktionsstudio präsent. Ein anderes Beispiel ist die Holding Sud Communication, die ihre Wochenzeitung 1994 in Sud Quotidien umwandelte. Sie wird mittels der hauseigenen Agentur Marketing Press vertrieben. Ferner unterhält sie einen Radiokanal, ein audiovisuelles Produktionszentrum und die Journalismusschule ISSIC. Die Medienunternehmen versuchten Synergien bei der Informationsverbreitung zu nutzen und 156 Kritisch dazu siehe: Mammadou (2001) und Verschave (1998).
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
zu zeigen, dass „la concurrence est devenue une réalité“ (Thiaw 1997: 54). Die Leser wissen diese Entwicklung zu schätzen: „Im Vergleich zur früheren Regierung gibt es heute mehr Zeitungen. Damals war die Information ein wenig kanalisiert. Heute haben wir diesen Pluralismus, der uns erlaubt, uns besser zu informieren und einen Überblick zu gewinnen.“ (Int 2) e) Neo-Patrimonialismus
Die Liberalisierung des Medienmarktes und die Ausweitung der Meinungsäußerungsfreiheit machten sich allen voran Sud und Wal Fadjri zu Nutze. Sie verschrieben sich in den 1990er Jahren einem investigativen Journalismus, der sich auch mit der Regierung von Abdou Diouf kritisch auseinandersetzte. Das erste Mal in der Geschichte des Senegals wurden neo-patrimoniale Praktiken analysiert und in der Öffentlichkeit publik gemacht. Ob beim Skandal des Roten Kreuzes, der UNO, der Lotteriegesellschaft LONASE oder des Elektrizitätswerkes SENELEC – gemäß der „politique du ventre“ (Bayart 1989) ging es immer darum, Gelder der öffentlichen Hand zu entwenden und via klientelistischer Wege der Privatschatulle des Präsidenten, seiner Entourage und seinen Geschäftspartnern zuzuführen. Ein Beispiel: 1970 unterstützte der senegalesische Staat die Gründung des privaten Zuckerunternehmens Compagnie Sucrière Sénégalaise (CSS) mit einem Darlehen von 3 Milliarden francs CFA (33% des Kapitals; 7.500.000 CHF). Zusätzlich erhielt der französische Besitzer der CSS, das Unternehmen Mimran, ein 7300 Hektar großes Gelände und eine Wasserlieferung von 20.000 Kubikmeter pro Jahr und Hektar kostenlos zugeteilt. Zwei Jahre später wurde diese Wassermenge vom damaligen Premierminister Abdou Diouf um 10.000 Kubikmeter vertraglich erhöht. Darüber hinaus beteiligte sich der senegalesische Staat im Laufe der 1980er Jahren mehrmals an den kostspieligen Umstrukturierungen der CSS. Trotzdem gelang es dem Unternehmen nie, das gesetzte Produktionsziel zu erreichen und die vertraglich zugesicherte Infrastruktur zu errichten. Um das Monopol der CSS trotz der Liberalisierung des Zuckermarktes 1995 zu schützen, setzte der Staat einen Richtpreis von 270 francs CFA (0,7 CHF) pro Kilo Kristallzucker fest. Wie Sud Quotidien in einer Artikelserie ab Herbst 1995 aufdeckte, ging es bei dieser protektionistischen Wirtschaftspolitik nur vordergründig darum, die nationale Zuckerproduktion zu Lasten der privaten senegalesischen Importeure zu schützen. Das vornehmliche Ziel bestand darin, der CSS die Möglichkeit zu systematischem Betrug zu bewahren. Der Gewinn aus solchen Machenschaften floss sowohl JeanClaude Mimran als auch dem Diouf-Clan zu, da der Sohn des Präsidenten an der CSS beteiligt war. So importierte das Unternehmen
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
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16.500 Tonnen Rohzucker aus Brasilien, wobei sich herausstellte, dass es sich in Wirklichkeit um raffinierten Zucker handelte. Angesichts der unterschiedlichen Zolltarife ergab sich eine Betrugssumme von 1,7 Milliarden francs CFA (4.250.000 CHF). Die CSS verteidigte sich mit der Aussage, dass es sich um ‚geweißten‘ Rohzucker handle, wie es auch der brasilianische Exporteur offiziell mitteilte. Obwohl das vom senegalesischen Zoll eingeholte französische Gutachten den Betrugsfall bestätigte, hieß das Finanzministerium diese Argumentation von CSS gut. Mimran, der 1993 fast den gesamten Wahlkampf von Präsident Diouf durch Spenden finanziert hatte, verklagte daraufhin Sud auf Rufschädigung und Verbreitung falscher Information. In der Gerichtsverhandlung wurde das den Betrugsfall dokumentierende Gutachten des Zolls als geheimes Verwaltungsdokument von der Verhandlung per Dekret ausgeschlossen. Daraufhin rief Sud zur Verteidigung einen Armeeoberst als Zeugen auf, der die Machenschaften von CSS belegte. Aber dessen Aussagen wurden vom Gericht als verjährt abgewiesen. Am Ende des Prozesses hieß das Gericht die Klage von Mimran gut und verurteilte fünf Journalisten zu jeweils einmonatigen Gefängnisstrafen und die Gruppe Sud Communication zur Zahlung eines Schadenersatzes von 500 Mio. francs CFA (1.250.000 CHF).
7.2.5
Die Rolle der Presse in der Präsidentschaftswahl 2000
Das Regime Diouf unternahm während seiner gesamten Regierungszeit eine Gratwanderung. Einerseits hatte es die Staatsverwaltung modernisiert, die von den internationalen Organisationen verordneten Strukturanpassungsprogramme durch Technokraten umgesetzt, das Mehrparteiensystem vollständig geöffnet (unterdessen gab es rund 60 Parteien), die Zivilgesellschaft gestärkt und den Medienpluralismus erhöht. Andererseits unterwanderte eine Reihe von Faktoren diese demokratischen Errungenschaften und sorgte dafür, dass es nicht gelang, den Senegal aus der Dauerkrise zu befreien: Der Neo-Patrimonialismus, die Rebellion in der Casamance seit 1982/1989, die Unruhen nach den Wahlen 1983, 1988 und 1993, die Konflikt mit Mauretanien 1989, die Devaluation der Währung franc CFA 1994 und die damit einhergehende Verschlechterung der Lebensbedingungen und die Militärintervention in Guinea-Bissau 1998 waren Kennzeichen dafür, dass die seit 40 Jahren regierende PS am Ende war. Trotz dieser Faktoren und einer schwindenden Popularität in der Bevölkerung ging Diouf mit guten Chancen in den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen im Februar 2000. „Many analysts were predicting that Diouf would prevail again, with Wade being confirmed as the eternal front-runner among the challengers. Indeed, there were no major new factors either in the politics of the country or in its
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economy that made Diouf’s defeat inevitable.“ (Ottaway 2003: 101) Gemäß der öffentlichen Auszählung kam er bei einer Wahlbeteiligung von 63% auf 41,7% der Stimmen, wobei auch die Kandidaten Abdoulaye Wade (31%), Moustapha Niasse (17%) und Djibo Kâ (7%) die absolute Mehrheit verfehlten. Alle übrigen Kandidaten erreichten nicht die Hürde von mindestens 1,5% der Stimmen. Dieses Zwischenresultat zeigte, dass Diouf ohne seine ehemaligen Koalitionspartner Niasse von der AFP und Kâ von der URD keine Mehrheit auf sich vereinigen konnte. Zwar entschloss sich Kâ in der Stichwahl zwischen Diouf und Wade für den amtierenden Präsidenten, aber auch dieses Manöver konnte nicht verhindern, dass das Tandem Wade/Niasse die Wahl mit 58,7% gegen 41,3% gewann. Auf diese Weise wurde Wade zum neuen Präsidenten gewählt. Als Gegenleistung bot er Moustapha Niasse das Amt des Ministerpräsidenten an. Tabelle 4: Wahlergebnisse in Senegal (Vengroff/Magala 2001: 131) Jahr
Wahl
Stimmen
Stimmen
Wahl-
für PS in %
für PDS in %
beteiligung
1993
Präsidentschaftswahlen
58,4
32,0
51,5
1993
Parlamentswahlen
56,6
30,2
41,0
1996
Lokalwahlen
66,3
22,6
43,0
1998
Parlamentswahlen
50,4
19,2
45,0
2000
Präsidentschaftswahlen
41,7
31,0
63,0
41,3
58,7
61,0
(1. Runde) 2000
Präsidentschaftswahlen (2. Runde)
Während Westafrika langsam im Chaos zu versinken schien – in der Côte d’Ivoire wurde Ende 1999 zum ersten Mal geputscht, die Staatsstrukturen von Guinea-Bissau, Liberia und Sierra Leone zerfielen in Bürgerkriegen, soziale Unruhen in Guinea-Conakry und Togo wurden von den Diktatoren unterdrückt und in Nigeria kam es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen – gelang in Senegal ein demokratischer Machtwechsel. „The most important inference from this case is that democratic transition is a function not of one factor alone, or even one dominant factor, but of a combination of dynamic changes.“ (Vengroff/Magala 2001: 130) Es lassen sich fünf Hauptgründe für den demokratischen und gewaltlosen Wechsel angeben. Erstens gelang es der Opposition, eine Reform des Wahlprozedur durchzusetzen. Durch die Gründung des Observatoire Nation Chargé des Elections (ONEL) 1997 wurde die Grundlage für eine höhere Glaubwürdigkeit und Transparenz von zukünftigen Wahlen gelegt.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
249
Aufgrund dieser institutionellen Reform gelang es, eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Insbesondere die urbane Jugend und die Bauern auf dem Land haben sich mehr als bisher an den Urnengängen beteiligt. Der zweite Grund lag darin, dass sich wichtige Politiker wie Kâ bereits 1997 und zwei Jahre später dann Niasse von der PS abgespalten und eigene Parteien gegründet hatten. Auf diese Weise begann, die Macht der sozialistischen Regierungspartei zu bröckeln. Der dritte Grund ist in der Auflösung des traditionellen Wahlvertrags ‚ndigël electoral‘ zu sehen, der der PS jeweils den Gewinn der Wahlen gesichert hatte. Mit Beginn des Kalifats der Mouridenführer Serigne Saliou Mbacké (seit 1990) begann eine neue Ära des Beziehungsnetzes von Politik, Religion und Gesellschaft. Auch den Marabuts blieb der Unmut der Jugend nicht verborgen. Die politische und gesellschaftliche Modernisierung förderte nämlich auch die religiöse Emanzipierung. Immer mehr taalibé machten von ihrem Recht Gebrauch, ihren Marabut selbst auszusuchen. Zu dieser Gruppe zählte insbesondere die urbane Jugend, die häufiger die Nähe der sogenannten mondänen Marabuts (franz.: marabouts mondains) suchte. Dieser neue Leadertyp räumte der Politik und dem Kommerz eine höhere Priorität ein als der Spiritualität und den gesamtgesellschaftlichen Fragen wie dies bei der älteren Marabut-Generation der Fall gewesen war. Damit hängt viertens das Wachsen einer zivilgesellschaftlichen Bewusstseins der Bürger zusammen. Es drückt sich nicht nur in einem gestiegenen Interesse insbesondere der Jugend und der Frauen an politischen Fragen aus, sondern auch in ihrer religiösen Emanzipation. Immer häufiger kam es vor, dass sich die taalibé nicht an die Wahlempfehlung ihrer Marabuts hielten.157 So berichtet Audrain (2004: 100) davon, dass der mondäne Marabut Cheikh Modou Kara im Dezember 1999 seine Anhänger in einem Dakarer Stadion versammelt hatte, um sich für die Wiederwahl Dioufs auszusprechen. Er und PSGeneralsekretär Dieng wurden auf der Bühne ausgepfiffen. Die langfristige Gefahr für die Bruderschaft erkennend, hat Serigne Mbacké eine Entpolitisierung der Mouriden angestrebt, indem er seit 1993 eine Wahlempfehlung explizit verweigert: „Vous voterez comme vous voulez, ne venez pas demander mon ndigël.“ (zit. n. Cruise O’Brien et al. 2002: 92)158 157 Das zivilgesellschaftliche Bewusstsein und der Mut zur freien Meinungsäußerung lassen sich prototypisch in den Texten des senegalesischen Hip-Hops ablesen, der im Radio sowie auf Tonträgern massenhaft verbreitet wird. Siehe: Havard (2001 und 2004) und Wittmann (2004c). 158 Allerdings gewährte Touba einigen Marabuts, direkt mit der PS oder der PDS über ihre politische Unterstützung zu verhandeln. Da Abdoulaye Wade ein dem Kalif ergebener taalibé ist, konnte es ihn in die-
250
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Fünftens spielten die privaten Medien eine entscheidende Rolle bei der Wahl. „Alors que la RTS et le quotidien Le Soleil étaient entièrement mobilisés en faveur du candidat sortant, les médias privés ont largement ouvert leurs colonnes et leurs antennes aux candidats de l’opposition.“ (Havard 2004: 28) Während des Wahlkampfs deckten die privaten Medien Wahlbetrugsversuche der alten Regierung auf – wie zum Beispiel die Fälschung von Wahlkarten in Israel – und trugen als Verstärker des oppositionellen Diskurses dazu bei, dass sich der Wunsch nach einem politischen Wechsel in der Bevölkerung verstärkte. Am Wahltag garantierten die Redaktionen die Transparenz der Wahl, indem sie eine Vielzahl Journalisten zu den Wahlbüros schickten, um den Ablauf der Wahlen zu kontrollieren und erste Tendenzen und Ergebnisse zu verbreiten (Institut Panos 2001). Unter diesen Umständen sah die Regierung keine Möglichkeit, das Wahlresultat nachträglich zu beeinflussen. Um einen ehrenhaften Abschied aus der Politik sicherzustellen, stand Diouf seine Niederlage öffentlich ein und gratulierte seinem Herausforderer zum Sieg. Die Bevölkerung und die internationalen Wahlbeobachter reagierten erleichtert, da sie eine Blockierung des Wahlprozesses und den Ausbruch von Unruhen befürchtet hatten.
7.2.6
Pluralisierung und Boulevardisierung
Nach 40-jähriger Herrschaft der PS hatte es erstmals eine oppositionelle Koalition unter der Führung von Abdoulaye Wade von der Demokratischen Partei Senegals PDS die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Während der historische Sieg der sogenannten Alternance Bewegung von fast der gesamten Bevölkerung gefeiert wurde, feierten die Massenmedien sich selbst und ihren politischen Einfluss. Im Rückblick kann man schließen, dass Diouf das Opfer seiner eigenen Medienpolitik wurde. Der Pluralismus des Zeitungsmarktes war nach den weiteren Liberalisierungsschritten in den 1990er Jahren auf einem vorläufigen Höhepunkt angelangt: „Es ist eine diversifizierte Presse, die sich im Aufschwung befindet und sich von Tag zu Tag wandelt. Die Diversität lässt sich an der Anzahl der Titel ablesen, die seit rund zehn Jahren steigt. Jedes Jahr gibt es neue Titel.“ (Int 1) Die Anzahl der Tageszeitungen ist von fünf (1999) auf zwölf (2003) und auf 19 (2006) gestiegen und die Anzahl der Wochen- und Montatszeitungen sowie der Zeitschriften umfasst rund 50 Titel. Der Printmedienmarkt zeugt jesem Kontext gelingen, die Unterstützung von vielen Marabuts aus der Bruderschaft der Mouriden zu gewinnen und sich auf diese Weise insbesondere die Unterstützung der Jugend zu sichern.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
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doch nicht nur von einem bemerkenswerten Pluralismus, sondern auch von einer ansatzweisen Institutionalisierung. Das Angebot lässt sich in vier Kategorien fassen. Die erste Kategorie besteht aus der regierungsnahen Presse. In der Berichterstattung sind die Tageszeitung Le Soleil und die Zeitschrift Zénith als genauso auf Regierungskurs wie die privaten Tageszeitungen Le Messager und Il est Midi. Die zweite Kategorie umfasst die Qualitätspresse mit Titeln wie Le Témoin, Nouvel Horizon, Sud Quotidien und Wal Fadjri. Für gewöhnlich haben es diese Zeitungen geschafft, ein ‚Label‘ zu kreieren und sie werden von einem relativ professionellen Verlag herausgegeben.159 Die dritte Kategorie besteht aus Special Interest Zeitungen. Als Beispiele können ein politisches Magazin wie Nouvel Horizon, eine Wirtschaftswochenzeitung wie Le Journal de l’Économie, ein religiöses Blatt wie Khassaïdes, eine in Nationalsprachen verfasste Monatszeitung wie Lasli/Njëlbéen oder eine Sporttageszeitung wie Stades genannt werden. Diese Printmedien versuchen jeweils, einen Nischenmarkt zu besetzen. Die vierte Kategorie umfasst sämtliche populäre Titel, die sich an der Unterhaltung, den Scoops und den Gerüchten orientieren. Der sensationelle Erfolg der Boulevardzeitung Le Populaire führte unter Journalisten wie Geschäftsleuten zu einer Goldgräberstimmung und die Presselandschaft sah sich in Kürze um neue Skandalblätter bereichert: Tract im Jahr 2000, Frasques, Mœurs, Scoop und Volcan in 2001, Révélations und La Source in 2002. Darin lenkten sie die Aufmerksamkeit des Publikums vernehmlich auf die „choux gras des faits divers, du sensationnel, mais surtout de la dénonciation constante des frasques des hommes publics“ (Agboton 2002: 65). Ein Beispiel: Die ‚Off‘ (wie ‚off the record‘ oder offiziös) betitelte Rubrik von Le Populaire speist sich ausschließlich aus den Gerüchten über das private Leben von senegalesischen VIPs. Bisher waren Zeitungen vor allem Träger von Informationen gewesen und hatten den Freizeit- und Unterhaltungswert der Lektüre vernachlässigt. Direktor von Mœurs, Papa Daouda Sow, erklärt dieses Phänomen:
159 Der Zeitungsumfang beträgt jeweils zwölf Seiten. Die Artikel aus dem Ressort Auslandspolitik stammen ausschließlich von den nationalen und den internationalen Auslandsagenturen Agence de Presse Sénégalaise (APS), Agence Panafricaine d’Information (Pana), Agence France Press (AFP) und Reuters, da sich die Verlage keine Auslandskorrespondenten leisten können. Selbst in den nahe gelegenen Nachbarländern wie Gambia, Guinea-Conakry, Guinea-Bissau, Mali und Mauretanien sind keine Korrespondenten stationiert. In dien übrigen Ressorts ist der Anteil der redaktionellen Eigenleistung jedoch relativ hoch. Neben den Reportern in der Hauptstadt arbeiten die Redaktionen mit einem Netz an regionalen Korrespondenten und Mitarbeitern zusammen.
252
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
„Dies erklärt sich durch die Tatsache, dass die Leute ermüdet waren von einer Presse, die immer dieselben Informationen wiederholte. Ich habe beobachtet, dass der Senegalese, wenn er eine Zeitung aufschlägt, nur die Rubriken Vermischte Meldungen, Gesellschaft, Sport und selten Kultur liest. Der Rest interessiert ihn nicht. Die Qualitätszeitungen arbeiten immer noch mit denselben Methoden, obwohl sich die Mentalität der Bevölkerung gewandelt hat. Die Leute lieben das Sensationelle.“ (Int 1)
Die Dakarer Boulevardpresse weist fünf Traditionslinien auf. Erstens finden sich in den vornehmlich satirischen Wochenzeitungen wie Echos d’Afrique Noire, Promotion, Politicien, Sopi, Le Cafard Libéré und Le Témoin Rubriken mit vermischten Meldungen, unerhörten Begebenheiten oder Gerüchten (B. Diop 2002). In diesem Zusammenhang ist beispielsweise an eine Episode der Zeitung Taxiville aus dem Jahr 1988 zu erinnern: „Photocopié et distribué à des centaines d’exemplaires, cet article mettait en cause des membres de la famille du président Diouf qui seraient impliqués, selon la revue, dans des scandales financiers. Ces informations étaient faciles à répandre, car s’inscrivant bien dans une tradition sénégalaise de rumeurs relatives à la moralité des hommes politiques.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 107)
Zweitens verweist die senegalesische Boulevardpresse weniger auf die britische penny press, sondern bezieht sich eher auf die Regenbogenpresse der Elfenbeinküste. Ivorische Blätter wie Soir Info, Douze oder Topvisages haben gezeigt, wie erfolgreich eine afrikanische Boulevardpresse sein kann. Drittens setzte 1997 der kurzlebige Dakar Soir auf eine Aufwertung des Fotojournalismus, die sich in einigen Blättern niederschlug. Viertens hat der Erfolg der lateinamerikanischen Fernsehserien dazu beigetragen, dass dem Klatsch und den Skandalen mehr Bedeutung zugemessen wird. Denn die Telenovelas würden „façonner l’imaginaire des populations“ (Mor Mbaye zit n. APS 2005a), wie ein senegalesischer Psychologe analysiert. Schließlich bereitete der Erfolg des Privatradios mit seinen an den breiten Publikumsbedürfnissen ausgerichteten Inhalten und seinen interaktiven Sendungen das Terrain für die Boulevardpresse mit ihrem Schwerpunkt auf Softnews und Fast-food-Information vor. Dies schlägt sich beispielsweise in Sendungen wie Faits divers auf Sud FM nieder, die mit der Boulevardzeitung Scoop ko-produziert wurde. Während bei vielen Journalisten die Ablehnung der so provokativen wie erfolgreichen Boulevardpresse auch darin liegen mag, dass sie sich durch die neue Konkurrenz in Frage gestellt sehen, nimmt Coulibaly (Sud) Abstand von derartigen Diskussionen:
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
253
„Es wird viel Lärm um die Boulevardpresse in Senegal gemacht. Aber ich glaube nicht, dass sie radikal die Physiognomie der senegalesischen Presse geändert hat. Diese Presse ist populär hinsichtlich ihres Preises und den Vermischten Meldungen und nicht hinsichtlich ihres redaktionellen Stils. In der Ausübung des Metiers hat diese Presse in vielen Fällen zu einem eher negativen Wandel beigetragen. Ihr Einfluss ist marginal. Sicher, gewisse Zeitungen dieser populären Presse positionieren sich und entwickeln eine Originalität in der Art und Weise ihrer Berichterstattung, aber das sind nur zwei oder drei. Es ist eine gerade erst entstehende Presse, die weit davon entfernt ist, solide und strukturiert zu sein.“ (Int 1)
7.2.7
Popularisierungsstrategien und ihre Grenzen
Allerdings ist die Debatte über die Gegensätzlichkeit von Qualitätsund Boulevardpresse durch zwei Gründe weitgehend obsolet geworden. Erstens existiert die Boulevardpresse der ersten Stunde aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht mehr (siehe Kapitel 8). Zweitens sind insbesondere seit dem Jahr 2003 neue Tageszeitungen wie L’Actuel, L’Observateur, L’Office, Le Courrier du Jour oder Taxi Le Journal auf den Markt gekommen, die informative Elemente aus der traditionellen Qualitätspresse und unterhaltsame Elemente aus der Populärpresse vereinen. Sy erklärt das Konzept für Taxi le Journal: „Es handelt sich um eine Zeitung mit doppelter Identität, das heißt wir möchten die politische Klasse auf allgemeine Weise für die gesellschaftspolitischen Projekte interessieren, aber auch dem Arbeiter, dem Studenten und der Hausangestellten auf unsere Weise Vermischte Meldungen anbieten, diese Meldungen analysieren um sie besser zu verstehen.“ (Int 1)
Diese populären Zeitungen warten mit einer bürgernahen Agenda, Unterhaltungsangeboten und populären Präsentationstechniken auf, um für ein möglichst großes Publikum attraktiv zu sein. Dies hat auch dazu geführt, den visuellen Elementen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. So gelangen unterdessen Karikaturen und Cartoons nicht bloß in den satirischen, sondern auch in fast allen anderen Zeitungen zum Einsatz. Auch das Foto hat einen Bedeutungszuwachs erlebt. Der Chef des Fotoressorts von Le Soleil, Edouard Diatta, berichtet: „Manchmal ziehen die Leute es vor, das Foto anzusehen statt den Artikel zu lesen. Das Foto spricht. Gegenwärtig verwenden wir viele Fotos. Die neue Tendenz ist es, kurze Artikel zu schreiben und das Maximum an Fotos zu publizieren, da das Foto wichtiger ist als der Artikel. Eine Zeitung ohne Fotos verkauft sich nicht.“ (Int 1)
254
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Die Richtigkeit dieser Aussage scheint sich auch in der offenen Umfrage zur Mediennutzung bestätigen: Für 37,3% der in Dakar befragten Leser ist das Foto ein wichtiger Bestandteil ihrer Zeitung. Bei den weiblichen Probanden steigt diese Ziffer sogar auf 61,5% (Befr 2). Zu den Popularisierungsstrategien zählt auch der Abdruck von Leserbriefen, die zum interaktiven Charakter der Printmedien beitragen und den öffentlichen Diskurs animieren. Die soziale Herkunft der argumentativ und rhetorisch häufig brillanten Autoren ist ziemlich homogen, auch wenn ihr berufliches und geographisches Spektrum breit ist. „Für gewöhnlich machen die Leute, die sich mit der Zeitung identifizieren, Vorschläge für Texte. Aber es kommt vor, dass die Redaktion bei einem bestimmten Thema, eine spezialisierte Person um einen Beitrag bittet. Wir von Nouvel Horizon machen dies auch. Es ist eine Weise, die Debatte zu animieren. Bei freiwilligen Beiträgen von Lesern beurteilen wir die Relevanz des Textes bevor wir ihn publizieren.“ (Int).160
Den hier und oben erörterten Popularisierungsstrategien sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Denn die traditionelle senegalesische Gesellschaftsmentalität schützt die Integrität der Persönlichkeit, den privaten Raum der Menschen und tabuisiert gewisse Themen wie Alter und Geld. Aus diesem Grund sehen sich die Journalisten, die in die Privat- und Intimsphäre der öffentlichen Akteure eindringen möchten, gewissen Vorbehalten gegenübergestellt. Diese Vorbehalte werden bereits von Geschäftsleuten geäußert, über die ein Wirtschaftsjournalist gerne eine Erfolgs- oder eine Homestory schreiben möchte. Begründet werden sie mit einem weit verbreiteten Aberglauben. „Es gibt in Wolof das Sprichwort ‚Khaliss bougoul thiow‘ (Geld liebt keinen Lärm). Die Leute glauben, dass, wenn man von ihnen und ihrem Erfolg spricht, dies Unglück bringt.“ (Int 1) Als Beispiel führt Dieng den senegalesischen Industriellen Cheikh Tall Dioum an, der ein großes Getränkeunternehmen gegründet hat. Aufgrund seines mediatisierten und öffentlichkeitswirksamen Lebensstils wird Dioum auch ‚Goldenboy‘ genannt. Nach verschiedenen Skandalen und Betrugsfällen landete der Geschäftsmann schließlich im Gefängnis, so dass die Leute bestätigt gesehen hätten, dass es Unglück bringt, wenn man Geschäfte mache und viel darüber spreche.
160 Ein besonderes Charakteristikum der senegalesischen Leserbriefkultur ist die Tatsache, dass die Beiträge sehr lang sind. Texte mit bis zu 10.000 Zeichen sind keine Seltenheit.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
7.2.8
255
Exkurs: Der Radiomarkt
Da zwischen dem Presse- und dem Radiosektor Interaktionen bestehen, sei hier kurz der Radiomarkt beschrieben. Das Radio ist in Senegal das mit Abstand wichtigste Massenmedium. Auf dem Markt treten 63 Sender auf: drei öffentlich-rechtliche, vier internationale, zwölf kommerzielle und 44 kommunale. Der nationale Sender RTS erfüllt einen Service-public-Auftrag. Angesichts seiner geringen Akzeptanz bei der Bevölkerung kann der Sender seinen Beitrag zur nationalen Einheit durch die teilweise tendenziöse Informations-, Kultur-, Bildungs- und Unterhaltungssendungen nicht erfüllen. Dagegen besitzen die internationalen Sender Africa No.1 und Radio France International (RFI) bei der senegalesischen Bevölkerung eine hohe Glaubwürdigkeit und werden vor allem selektiv für ihre politischen Informationssendungen eingeschaltet.161 Bei den kommerziellen Kanälen sind Allroundsender wie Dunyaa FM, Soxna FM, Sud FM, Teranga FM oder Marktführer Walf FM von Spartenkanälen wie Environnement FM (Umwelt), Faggarou FM (Zielpublikum Kinder) Manooré FM (Zielpublikum Frauen) zu unterscheiden. Die in der Folge des Dezentralisierungsgesetzes von 1996 entstandenen Kommunalradios stellen sich ganz ins Zeichen der lokalen Agenda: Gaynaako im ländlichen Ferlo, Jida FM in der Grenzregion zu Mali und Mauretanien und Oxy Jeunes richtet sich an die Jugend der Dakarer Vorstädte. Es gibt verschiedene Gründe für die Popularität des Radios: Es modernisiert die orale Tradition, passt sich der senegalesischen Kultur an (unter anderem durch das Spielen von lokaler Musik), stiftet Identität, wirkt integrativ, setzt keine Alphabetisierung voraus, elaboriert die Lokalsprachen und ist selbst in ländlichen Regionen günstig empfangbar. Auch setzt es kein Distributionsnetz wie zum Beispiel die Presse voraus, was angesichts der schlechten Infrastruktur des Landes ein wichtiges Kriterium ist. Der durchschlagende Erfolg des kommerziellen Privatradios und des am Gemeinwohl orientierten Kommunalradios wird aber erst verständlich, wenn die originellen Programmkonzepte, die innovativen Moderationstechniken und die konsequente Anpassung an lokale Publikumsbedürfnisse beachtet werden. Hierzu zählt in besonderem Maße die Interaktivität, die sich in Werbeslogans wie „7 FM – La radio qui vous écoute“ manifestiert.162
161 Zwei Jahre vor Sud FM erhielt RFI als erste nicht-staatliche Radiostation eine Frequenz (Perret 2005: 50). 162 Ausführlich siehe: Paye (2002) und Tudesq (2002).
256
7.2.9
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Konkurrenz
Im Zuge der Ausdifferenzierung des Pressemarktes ist zwischen den Verlagshäusern ein heftiger Wettbewerb ausgebrochen. „Die Vervielfachung von Titeln entspricht einem Bedarf nach Diversifizierung und Positionierung sowie einem Durst nach Meinungsäußerung. Es ist richtig, dass der Zeitungsboom nicht die Absorbationkapazität des Marktes widerspiegelt. Auf diesem Niveau operiert das Gesetz der ökonomischen Selektion.“ (Int 1)
Wie in Kapitel 8 ausführlich erörtert werden wird, fehlt es dem Markt deshalb an Stabilität. Viele Zeitungen erscheinen während einer kurzen Periode und verschwinden dann wieder von der Bildfläche, andere erscheinen nur unregelmäßig. Während einige Redaktionen versuchen, das erfolgreiche Konzept eines anderen Blattes zu kopieren, gehen andere ihren individuellen Weg konsequent weiter. Der Wal FaldjriJournalist Diatta erklärt: „Wir achten nicht auf die Konkurrenz, weil wir unseren eigenen Weg gehen. Im Grunde genommen macht dies den Charme der diversifizierten senegalesischen Presse aus. Wenn man die Zeitungen vergleicht, bemerkt man oft, dass wenn Sud Quotidien eine Schlagzeile zu den diplomatischen Pässen bringt, Wal Fadjri nicht unbedingt am nächsten Morgen dieselbe Geschichte bringen muss. Wal Fadjri kann ein anderes Thema verfolgen. Das ist manchmal das Drama der afrikanischen Medien: Wenn der Konkurrent ein Thema von größerem Interesse findet, versuchen viele Redaktionen mit demselben Thema aufzuwarten obwohl sie über eine andere Leserschaft verfügen. Aber bei Wal Fadjri versuchen wir unseren eigenen Weg zu gehen. Deshalb verschreiben wir uns nicht dieser Logik der Konkurrenz. Man ergänzt sich, dies ist unsere Vision.“ (Int 1)
Die harte Konkurrenz auf dem Dakarer Markt wirkt sich auch negativ auf die Qualität aus. Häufig wird der Informationsgehalt als ziemlich dünn eingestuft: „Es gibt viele Zeitungen. Le Soleil, L’Original und viele andere, deren Namen man nicht einmal kennt. Aber es wäre besser, vier an Information reichhaltige Zeitungen herauszugeben als viele kleine Zeitungen. Heute gibt es zu viele Zeitungen und du findest nichts darin. In den Zeitungen zu 100 francs CFA kannst du nicht einmal zwei Seiten lesen. Es gibt nichts Interessantes. Es ist nur eine Papierverschwendung. Sie werden 1000 Exemplare drucken, aber nur 20 verkaufen.“ (Int 2)
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
257
Diese Aussage einer Leserin weist auf inhaltliche Defizite hin, die durch effizientere Profilierungen der Zeitungen behoben werden könnten. Tatsächlich kann die publizistische Vielfalt nicht mit der Titelanzahl mithalten: „Immer mehr wird man sich bewusst, dass die Multiplikation an Titeln insbesondere der Tagespresse nicht unbedingt zu einer Vielfalt der redaktionellen Linie und des redaktionellen Stils führt.“ (Int 1) Dieng spricht sogar davon, dass die Zeitungen teilweise inhaltlich austauschbar seien.
7.3 KONFLIKTE
ZWISCHEN JOURNALISTISCHEN UND
POLITISCHEN
AKTEUREN
Der Überblick über die historische Entwicklung der senegalesischen Presse hat gezeigt, dass die Journalisten eine wichtige Rolle im Demokratisierungsprozess gespielt haben. Mit Blick auf neopatrimoniale Praktiken der senegalesischen Regierung ist dieser Prozess aber keineswegs so kontinuierlich verlaufen wie es viele journalistische und politische Akteure gerne öffentlich darzustellen belieben. Die folgenden Abschnitte zeigen nun auch für die gegenwärtige Alternance Regierung, dass die Medienakteure in einem konflikthaften Umfeld täglich um ihre Rolle kämpfen müssen. Zwar waren die Erwartungen in den demokratischen Fortschritt sehr hoch nachdem Wade die 40jährige Herrschaft der PS beendet hatte (Mbodji 2002). Aber obwohl der neue Präsident bei jeder Gelegenheit die Wichtigkeit von freien Massenmedien für eine Demokratie unterstreicht und darauf verweist, dass er in seiner Rolle als Oppositionspolitiker selbst mehrere Zeitungen gegründet hat, informierte er nur einige Tage nach seiner Wahl die Öffentlichkeit über seine Absicht, die ehemaligen Regierungszeitung Le Soleil zu schließen.163 163 Nach Protesten des gesamten Mediensektors konnte Wade davon überzeugt werden, die Tageszeitung in eine offene Forumszeitung umzuwandeln. Obwohl sich der Stil und die Inhalte von Le Soleil seither verändert haben, ist sie ein regierungsnahes Medium geblieben. Heute folgt sie der Politik des Informationsministeriums und ist gemeinsam mit der nationalen Nachrichtenagentur APS und den Radiound Fernsehsendern RTS für den Service public zuständig (siehe auch Tozzo 2005). Chefredaktor Kassé gibt denn auch zu Protokoll: „Die Presse ist ein integraler Bestandteil der Demokratie, weil man ohne Presse nicht von Demokratie sprechen kann. Es war also wichtig, dass sich die Journalisten auf dem Feld der Demokratie und der Freiheit positionieren konnten: die Gedankenfreiheit, die Handlungsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Pressefreiheit in Senegal heute soweit fortgeschritten ist, dass man nicht mehr zurückgehen kann.“ (Int 1) Die privaten Journalisten sehen die staatlichen Medien wesentlich kritischer. Stellvertretend Cissé von Sud FM: „Ihr Drama ist, dass sie wissen, was
258
7.3.1
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Regulationsdefizite
a) Medienrecht
Die Informations-, Medien- und Meinungsäußerungsfreiheit ist in Senegal in Artikel 10 der Verfassung festgeschrieben: „Chacun a le droit d’exprimer et de diffuser librement ses opinions par la parole, la plume, l’image, la marche pacifique, pourvu que l’exercice de ces droits ne porte atteinte ni à l’honneur et à la considération d’autrui, ni à l’ordre public.“ Diesen Rechten stehen verschiedene Pflichten gegenüber, die der Journalist bei der Ausübung seines Berufes beachten muss. Sie werden im Gesetz über Medienorgane und Berufsjournalisten festgehalten. Dazu gehört die Einhaltung ethischer Normen wie Gewissenhaftigkeit, Verantwortung, Recht zur Gegendarstellung sowie der Kampf gegen die publizistische Konzentration. Die Nationale Kommission für die Bewilligung der Presselizenz wacht über die Einhaltung des Gesetzes und ist bei Verstößen befugt, die Lizenzkarte des widerrechtlich handelnden Journalisten einzuziehen. Bei dieser Lizenzkarte handelt es sich um einen Ausweis, der die offiziell anerkannte Ausbildung der Journalisten bestätigt und sie auf die Einhaltung der oben beschriebenen medienethischen Normen verpflichtet. Von zentraler Bedeutung ist das Strafgesetzbuch, in dem Vergehen, Verleumdungen und Beleidigungen insbesondere von staatlichen Institutionen seitens der Presse geregelt werden. Berüchtigt ist insbesondere Artikel 80, der Gefängnisstrafen von drei bis fünf Jahren für Handlungen gegen die öffentliche Sicherheit und für Diskreditierung der staatlichen Institutionen vorsieht. Das Gesetz ist „peu précis et peut être aisément invoqué contre tout journaliste critique à l’égard du gouvernement“ (Gueye 2006: 29). Auch für Beleidigungen des Präsidenten sind Gefängnisstrafen vorgesehen. „Il faut ajouter à ce dispositif, la possibilité de confiscation, de suppression des organes condamnés ou la saisie judiciaire de tous les exemplaires de journaux poursuivis.“ (Loum 2003: 111) Nicht zu vergessen ist auch eine Reihe von Artikel, die bei Bedrohung der nationalen Sicherheit, bei Verbreitung von Falschmeldungen und bei Verletzung der guten Sitten angewandt werden können. Diese Regeln schützen private und öffentliche Personen vor Übergriffen insbesondere der Boulevardpresse. Weitere Gesetze wie das Arbeitsgesetz oder das Gesetz über die soziale Sicherheit werden durch die Kollektive Konvention der Journalisten und Kommunikationstechniker ergänzt. Diese Konvention wurde durch
die Öffentlichkeit interessiert, aber sie nicht entsprechend handeln. Das was sie interessiert, ist was ihr Chef sagt. Das ist allen Staatsmedien eigen.“ (Int 1)
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
259
die 1984 gegründete Mediengesellschaft SYNPICS unter Vorsitz von Generalsekretär Alpha Sall ausgehandelt.164 Damit wird deutlich, dass das senegalesische Medienrecht widersprüchlich ist. Einerseits ist die Pressefreiheit aus normativ juristischer Sicht garantiert und durch verschiedene Institutionen geschützt. Andererseits gibt es in verschiedenen Gesetzen Vorkehrungen, die journalistische Freiheit zu beschneiden und zu lenken. Wie weiter unten die Analysen zur Verletzung der Pressefreiheit zeigen werden, schwebt die widersprüchliche Gesetzgebung und ihre so regelmäßige wie willkürliche Anwendung durch die Behörden, wie ein Damoklesschwert über den Journalisten. „Toutes ces dispositions restrictives auraient pu ne pas être très choquantes si elles n’avaient pas connu une utilisation régulière par les autorités politiques.“ (Loum 2003: 113) b) Regulationsakteure
Die hier angesprochene Willkür bei der Gesetzesanwendung wird dadurch unterstrichen, dass im Bereich Massenmedien und Telekommunikation gleich mehrere Ministerien und Behörden tätig sind, deren Aufgabenteilung und Zuständigkeiten nicht klar geregelt sind. Aus diesem Grund herrscht hinsichtlich der juristischen Rahmenbedingungen regelmäßig Konfusion unter den Journalisten. Zum einen ist für die Presse das Informationsministerium von Belang, dessen Vorsteher Bacar Dia auch als Pressesprecher der Regierung fungiert. Diese Doppelfunktion hat bereits zu Konflikten mit den Medienakteuren geführt, denn in ihrer Wahrnehmung wird der Vorsteher der Regulationsbehörde zu einem Verlautbarungsorgan der Regierung.165 Entsprechend kommt T. Kassé zu seinem Urteil, dass „quant aux instances de régulation, leur arrimage parfois trop prononcé au pouvoir en place, nuit à leur légitimité et à leur efficacité“ (2004: 21). Zum anderen sind auch die Beziehungen zu den Untersuchungs- und Strafrichtern Richtern belastet. Dies ist auf den Mangel an Unabhängigkeit der Richter zurückzuführen, die eine „art de faire mal au journaliste“ (Gueye 2006: 164 Der langjährige Generalsekretär Sall ist 2006 von Diatou Cissé Badiane an der Spitze der Gewerkschaft SYNPICS abgelöst worden. 165 Dass es für das Funktionieren der institutionellen Strukturen starke und unabhängige Persönlichkeiten bedarf, zeigte Aminata Cissé Niang. Die Präsidentin des im Dezember 2005 in den Conseil National de Régulation de l’Audiovisuel (CNRA) umgewandelten Haut Conseil de l’Audiovisuel (HCA) scheute sich bei ihren Interventionen nicht, tendenziöse Berichterstattungen des staatlichen Fernsehens zu kritisieren und dabei auch die Regierung in die Verantwortung zu nehmen: „La RTS n’a pas exécuté convenablement le service public qui lui est confié dans le respect des exigences du pluralisme, par la difusion et la large vouverture des manifestations du courant d’expression favorable à la majorité actuelle.“ (zit.n. APS 2005b)
260
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
17) praktizieren. Angesichts der Machtballung im Präsidentenamt kann es nicht verwundern, dass es ein vornehmlich um Eigeninteressen bekümmerter Wade in den ersten sechs Jahren seiner Amtszeit versäumt hat, eine kontinuierliche und strategisch angelegte Medienpolitik zu etablieren. Stattdessen rechtfertigt er regelmäßig persönlich die Handlungen der Polizei oder der Justiz, und kündigt Initiativen des Informationsministeriums an. So ist die Behörde derzeit mehr mit der Gründung eines Pressehauses und eines journalistischen Ausbildungsinstituts als mit der Marktregulation beschäftigt. c) Folgen für die journalistische Praxis
Die Probleme der senegalesischen Medienkultur bestehen nicht nur in den institutionellen Strukturen, sondern auch in der Anwendung der Gesetze und Verordnungen. Sie wirkt sich auf die journalistische Praxis aus. Grundsätzlich verfolgt die senegalesische Qualitätspresse das Berichterstattungsmuster des Informationsjournalismus. „Eine Zeitung ist dazu da, Informationen zu geben, damit sich die Leser eine Meinung bilden können.“ (Int 1) Stellvertretend für die gesamte Kategorie von Zeitungen führt Coulibaly (Sud) weiter aus: „Wir versuchen unserem Ausgangsziel treu zu bleiben: eine Zeitung anzubieten, die eine Plattform für demokratische Debatten, glaubwürdige Informationen und erklärende Analysen zu den Problemen dieses Landes ist.“ (Int 1) Die Journalisten setzen sich also auch zum Ziel, zur politischen Debatte und Meinungsbildung beizutragen. Zwar scheuen Zeitungen wie Le Quotidien, Sud, Taxi le Journal oder Wal Fadjri nicht die Auseinandersetzung mit politischen Akteuren und zwar gelingt es ihnen immer wieder, Betrugs- und Korruptionsfälle oder politische Versäumnisse aufzudecken, dennoch können sie ihrer Funktion der Kritik und Kontrolle nur in sehr bedingtem Maße nachkommen. Daher ist das Berichterstattungsmuster des investigativen Journalismus grundsätzlich als marginal zu bezeichnen. Nach Perret (2005) hat diese Journalismusform seit den 1980er und 1990er Jahren sogar kontinuierlich abgenommen. Dies hängt zumindest teilweise mit der willkürlichen Anwendung des Medienrechts zusammen: „Die Disposition des Gesetzes über Verleumdung hindert die Journalisten daran, Investigationen und Nachforschungen zu betreiben um über das Faktische hinauszugehen.“ (Int 1) Die Willkürlichkeit der Gesetzesanwendung schlägt sich auch im von der Regierung 1996 gegründeten Fonds d’aide à la presse nieder. Er hat die Aufgabe, die Zeitungsverlage finanziell zu unterstützen. Von 100 Mio. francs CFA im Jahr 2000 ist er auf 150 Mio. im Jahr 2001, auf 300 Mio. francs CFA in den Jahren 2002 bis 2005 und seit 2006 auf 400 Mio. francs CFA (1 Mio. CHF) gestiegen. Nicht nur das Finanzvolumen, sondern auch die Anzahl der Empfänger hat sich er-
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
261
höht. Während der Betrag im Jahr 2000 unter 20 und im Jahr 2003 unter 40 Presseorganen aufgeteilt wurde, sind 2004 bereits 51 Empfänger in den Genuss des Zuschusses gekommen. Der Erhalt von Unterstützungsbeiträgen aus diesem Fonds ist an eine Reihe von formalen Kriterien geknüpft. Dazu zählt eine regelmäßige Erscheinungsweise des Organs, eine Auflage von mindestens 3000 Exemplaren und die Anstellung von mehreren lizenzierten Journalisten. Das Informationsministerium setzt eine Kommission ein, die diese Kriterien überprüft und die Verteilung übernimmt. Um die Transparenz zu garantieren, veröffentlicht das Ministerium anschließend die Liste mit den Verlagen, die in den Genuss der öffentlichen Unterstützung gekommen sind. Sämtliche der interviewten Journalisten kritisieren aber, dass die Verteilung intransparent, klientelistisch und willkürlich erfolge. Die Regeln würden nicht befolgt und konsequent angewendet. So kommt es vor, dass Redaktionen, die die Kriterien erwiesenermaßen nicht erfüllen, Beiträge erhalten, während manche Redaktionen, die die Kriterien erfüllen, vom Fonds nicht berücksichtigt werden. Obwohl es offiziell gar keine inhaltlichen Kriterien gibt, erfahren insbesondere die bei der Regierung unbeliebten Boulevardzeitungen keine Berücksichtigung. Denn in ihrer Praxis macht die Kommission einen Unterschied zwischen „tout organe digne de ce mot“ (Ahouansou 2002: 5) und jenen Zeitungen, die aufgrund ihrer Qualität und ihres Managements keine Unterstützung verdient hätten und deren Journalisten regelmäßig vor das Untersuchungsgericht Division des Investigations Criminelles (DIC) zitiert würden. So beklagt sich Sow: „Seit seiner Gründung hat Mœurs keine Unterstützung aus dem Fonds d’aide à la presse bezogen, und ich frage mich warum? Es gibt Kriterien, die man aufgestellt hat, und ich glaube, dass ich sie erfülle. Ich stelle Journalisten ein, habe eine Administration, verfüge über Informatiktechnologien und drucke eine Auflage von mehr als 3000 Exemplaren. Aber ich sehe, dass man Zeitungen unterstützt, die keine Redaktionen haben und in einer Schulmappe hergestellt werden. Der Verlagsleiter hat nicht mal ein Büro und niemand weiß, wo er erreichbar ist. Dabei gibt man ihm sechs Mio. francs CFA. Ich kenne mindestens zwei Verlagsleiter dieser Sorte. Es ist nicht seriös, ihnen eine Subvention zukommen zu lassen während wir in der Misere stecken.“ (Int 1)
7.3.2
Exkurs: Fernsehmonopol
Bis heute ist der Fernsehsektor von der Liberalisierung der Medien weitgehend ausgeschlossen. Nachdem die Gruppe Sud ihren von Frankreich per Satellit einstrahlenden Kanal La Chaîne Africaine
262
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
(LCA) nach einigen Monaten im Jahr 2000 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wieder einstellen musste, ruhten alle Hoffnungen auf dem Sender von Wal Fadjri, TV Aurore. Das Informationsministerium hat jedoch die beantragte Konzession verweigert. Dies geschah mit dem Argument, dass „la télévision est un instrument trop dangereux pour être laissé entre les mains de n’importe qui“ (Wade zit.n. Sy 2003: 17). So besteht der Fernsehmarkt lediglich aus dem öffentlichrechtlichen Monopolist RTS, dessen innenpolitische Berichterstattung sich jedoch vornehmlich auf die Regierungsaktivitäten beschränkt. Diese Programmpolitik spiegelt sich denn auch in der traditionell hohen Fluktuation der RTS Direktoren wieder. So wurde Mactar Silla im August 2002 Opfer seiner politischen Fehler und der Intoleranz des Staatschefs bzw. seiner unmittelbaren Umgebung. Er wurde durch ein aktives Mitglied der PDS ersetzt. Auf der Grundlage einer empirischen Programmanalyse kommt Sy zum Ergebnis, dass die RTS sich der Mission verschrieben habe, „de glorifier l’image et l’action du chef de son parti“ (Sy 2003: 16). Im öffentlichen Fernsehen gäbe es „trop de propagande politique, trop de la famille biologique et politique du Chef de l’Etat, trop de parti-pris pour une confrérie religieuse au détriment d’autres communautés confessionnelles“ (ebd.: 27). Dem sukzessive wachsenden öffentlichen Druck nach einer Liberalisierung des audiovisuellen Sektors versuchten die Behörden 2003 mit der Gründung eines zweiten Kanals zu begegnen. Allerdings scheiterte dieses aus einem Joint Venture zwischen der RTS und dem Musikproduzenten El Hadji NތDiaye hervorgegangene Projekt eines Kulturund Unterhaltungskanals. Als Nachfolgekanal ist seit 2005 2STV als erstes senegalesisches Privatfernsehen auf Sendung. Über dieses magere Angebot hinaus gibt es mit der Filiale des französischen Spartensenders Canal Horizons zwar einen lizenzierten privaten Fernsehsender, doch beschränkt sich dieser ausschließlich auf Unterhaltung und ist als Pay-TV für die Bevölkerungsmehrheit genauso wenig erschwinglich wie acht weitere Kanäle, die von dem Satellitenfernsehunternehmen MMDS angeboten werden. Frei empfangbar sind dagegen Canal France International (CFI), Saudi TV und TV5.
7.3.3
Rituelle Verletzungen der Pressefreiheit
Als Zwischenresultat kann festgehalten werden, dass die Wiedersprüchlichkeit der medienrechtlichen Gesetzgebung, die ineffizienten und unübersichtlichen Strukturen der medienpolitischen Regulation sowie die klientelistischen und willkürlichen Distribution von staatlicher Subvention dem Pressesektor einen ungenügenden und inadäquaten Rahmen setzen. Darüber hinaus vergrößert die Unsicherheit und Willkür das Konfliktpotenzial zwischen den Zeitungsverlagen. Die
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
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ambivalente Medienregulation leistet einer restriktiven, undemokratischen und willkürlichen Gesetzesanwendung Vorschub. In den sechs Jahren der Regierung Wade sind mehr Journalisten verklagt, in Untersuchungshaft gesetzt oder physisch angegriffen worden als während der 20-jährigen Regierungszeit von Diouf. Aus diesem Grund hat die Pressefreiheit in Senegal unter der Regierung von Wade abgenommen. Die NGO Reporters sans frontières hält in ihrem Jahresbericht fest: „Ce pays, habituellement cité en exemple en matière de respect du droit à la liberté d’expression, a connu, en 2003, une dérive inquiétante. Plusieurs journalistes ont été agressés, d’autres ont été menacés et une correspondante étrangère a été expulsée du pays.“ (RSF 2004) Zwar ist die Liste mit Verhaftungen von Journalisten lang – zu nennen sind beispielsweise Pape Samba Kane und Baba Thiam von Info 7, Baba Tandian, Mame Less Camara und Alioune Fall von Le Matin oder Mamadou Thierno Balla von Le Populaire. Das jüngste Opfer ist Moustapha Sow von L’Office, der wegen Verleumdung Ende Juni 2006 während zwei Wochen in Untersuchungshaft gesetzt wurde. Im Folgenden seien drei Fälle von Verletzungen der Pressefreiheit erörtert. Es wird sich zeigen, dass die Fälle einem rituellen Schema folgen: unliebsame Journalisten werden in Untersuchungshaft gesetzt und die Zeitungsausgaben beschlagnahmt. Im Anschluss an Proteste von Medien- und zivilgesellschaftlichen Akteuren wird der Journalist in der Regel vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt. Da die Regierung auf eine Einschüchterung und verstärkte Autoregulation der Journalisten abzielt, verjährt der Fall schließlich. Erster Fall: Madiambal Diagne, Chefredaktor von Le Quotidien, wurde am 9. Juli 2004 verhaftet und bis zum 26. Juli 2004 in Untersuchungshaft gesetzt. Ihm wurde vorgeworfen, vertrauliche Gerichtsdokumente publiziert und mit der Verbreitung falscher Informationen gegen die öffentliche Sicherheit gewirkt zu haben. In den Dokumenten ging es um einen laufenden Korruptionsskandal der senegalesischen Zollbehörden, in den hohe Funktionäre verwickelt waren. In einer Artikelserie hatte Diagne zuerst einen vertraulichen Brief des Finanzministers an Präsident Wade und dann ein Dokument eines Magistraten veröffentlicht. Diagne wurden Verstöße gegen die Artikel 80, 255, 267 und 363 des Strafgesetzbuchs sowie gegen Artikel 139 des Strafprozessbuchs vorgeworfen. Auf die Verhaftung ihres Kollegen haben die Chefredaktoren aller privaten Tageszeitungen mit einem am 10. Juli 2004 veröffentlichten gemeinsamen Editorial reagiert. Darin kritisieren sie: „Nous sommes unis face au Monstre dont l’alternance a accouché, face a l’injustice et à la vaine tentative de musellement de la presse.“ (Le Quotidien 2004: 1) Ihrer Stellungnahme haben die Journalisten auch Taten folgen lassen, indem sie am 12. Juli 2005 einen Tag ohne Zeitung durchgeführt haben, um die Regierungsaktivitäten zu boykottieren und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu gewin-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
nen. Darüber hinaus hat die Verhaftung von Diagne auch zu verbalen Protesten der Zivilgesellschaft geführt. Sie hat beispielsweise am 23. Juli 2004 eine Demonstration in Dakar organisiert, an der rund 2000 Personen teilgenommen haben. Schlussendlich schuldete Diagne seine Befreiung aber der Intervention des französischen Präsidenten Chirac. Er zitierte seinen senegalesischen Amtskollegen am 23. Juli 2004 nach Paris, um ihn an die Respektierung der Menschenrechte im Allgemeinen und der Meinungsäußerungsfreiheit im Besonderen zu erinnern. Obwohl es sich um eine innere Angelegenheit Senegals handelte, hat Chirac seine Verstimmung gegenüber der Verhaftung von Diagne unverhüllt ausgedrückt und die Anwendung von Artikel 80 des Strafgesetzbuchs kritisiert. Angesichts des inneren und äußeren Drucks blieb Präsident Wade nichts anderes übrig als die Behörden anzuweisen, den Journalisten auf freien Fuß zu setzen. Zweiter Fall: Am 1. August 2001 veröffentlichte die Boulevardzeitung Tract unter der Schlagzeile „Die Premierministerin enthüllt sich“ eine Fotomontage von Mame Madior Boye. Darin wurde der verschleierte Kopf der muslimischen Politikerin mit dem Körper eines nur in Unterwäsche gekleideten Models gezeigt. Die Fotomontage wurde von einem kecken Artikel begleitet, der politische Themen mit Anspielungen auf das private Leben von Madior Boye vermischte. Die Legende gab an, dass es sich um eine Fotomontage handelte. Die fragliche Zeitungsausgabe wurde von der Polizei beschlagnahmt, drei Journalisten vom DIC verhört und kurzzeitig verhaftet und ein Computer auf der Redaktion beschlagnahmt. Die Premierministerin reichte Klage gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre ein. Da es sich zwar um eine moralisch fragwürdige Fotomontage, nicht jedoch um eine Verletzung der medienrechtlichen Bestimmungen handelte, intervenierten sowohl die Gewerkschaft SYNPICS als auch die Reporters sans frontières bei der Regierung. Nach mehr als einem Jahr wurde die Klage von Madior Boye schließlich zurückgezogen und der konfiszierte Computer wieder der Redaktion zurück erstattet. Dritter Fall: Papa Daouda Sow, der Direktor des Boulevardblattes Mœurs wurde 2002 wegen Verleumdung und Verletzung der Privatsphäre eines senegalesischen Politikers zu einer halbjährigen Haftstrafe im Dakarer Gefängnis Rebeuss verurteilt. Der Betroffene meint dazu: „Nur weil man mich ins Gefängnis gesteckt hat, ist die Ehre der Personen, die ich geschädigt habe, nicht gewaschen. Die Richter müssen zuerst die Taten dieser Personen beurteilen, von denen wir meinen, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums verdienen. Ich bin nicht dagegen, dass man mich ins Gefängnis steckt, aber man sollte nicht glauben, dass ich mich
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
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eines Tages erwache und schreibe, jene Person hat dies oder das getan. Es gibt also ein Problem auf der Ebene der Justiz.“ (Int 1)
Angesichts des Bagatellfalls über Ehebruch ging es der Justiz darum, einen Präzedenzfall zu statuieren und der Boulevardpresse deutlich zu machen, dass ihre provokative und radikale Berichterstattung nicht hingenommen würde. Mœurs ist denn auch 2002 und 2004 mit mehrmonatigen Publikationsverboten und Strafgeldern belegt worden. In der Zwischenzeit hatten Mittelmänner der Regierung im Jahr 2003 versucht, Sow durch eine Kooperation bei der Publikation der neu gegründeten regierungsnahen Wochenzeitung Xibaar einzuspannen. Diese Zusammenarbeit war zwar zum Scheitern verurteilt, trotzdem ist es unterdessen gelungen, den rebellischen Journalisten in der Zwischenzeit in die Knie zu zwingen.
7.3.4
Dysfunktionale Gewaltentrennung
Bei diesen drei Fällen handelt es sich nur um die gröbsten Verletzungen der Pressefreiheit. Darüber hinaus ließen sich jährlich noch weiterer Fälle schildern, zu denen Morddrohungen oder gewalttätige Übergriffe gegen Journalisten gehören.166 Es sollte klar geworden sein, dass der Alltagsjournalismus in Senegal weitgehend unproblematisch verläuft. Sobald jedoch die Macht der Regierung von politischer Berichterstattung oder Investigation betroffen oder in Frage gestellt ist, interveniert die Alternance Regierung rigoros. „Les convocations à la DIC se multiplient pour des raisons futiles, n’ayant jamais permis la constitution d’éléments suffisamment probants pour pouvoir mettre la machine judiciaire en branle contre des journalistes.“ (Niasse 2003: 96) Besorgniserregend ist vor allem, dass die widersprüchliche Gesetzgebung den politischen Kreisen jederzeit Möglichkeiten bietet, gegen unliebsame Journalisten vorzugehen. Aus diesem Grund fordern die Journalisten bereits seit langem eine Revision der medienrechtlichen Gesetzgebung und insbesondere die Streichung von Artikel 80 des Strafgesetzbuchs.167 Die im vorigen Abschnitt referierten Beispiele zeigen, dass die Justiz jederzeit zu politischen Urteilen Hand bietet. Zwar wird die Gewaltentrennung in der Verfassung offiziell gewährleistet, aber in der Praxis häufig unterlaufen. „L’appareil judiciaire n’a pas échappé à la désorganisation administrative et à la corruption.“
166 Vgl. Kapitel 8.7. 167 Seit Präsident Wade im Jahr 2004 einer Reform des Medienrechts zugestimmt hat, arbeiten die Behörden gemeinsam mit der Mediengewerkschaft SYNPICS an den neuen Gesetzestexten. Im Dezember 2005 und März 2006 wurden dazu jeweils Workshops organisiert.
266
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
(Cruise O’Brien et al. 2002: 71) Aus diesem Grund verfügt die Justiz über keine Glaubwürdigkeit in der Zivilgesellschaft. Nebst der unangemessenen Verurteilung von Sow ist es bisher zu keinen mehrmonatigen Gefängnisstrafen von Journalisten gekommen. Rituellerweise werden die Journalisten nach relativ kurzer Zeit wieder aus der Untersuchungshaft entlassen, die Klagen werden zurückgezogen oder verlaufen im Sande. Dieses Vorgehen dient der Strategie der Regierung, der redaktionellen Autoregulation und Selbstzensur Vorschub zu leisten. In wieweit diese Regierungsstrategie von Erfolg gekrönt ist, wird weiter unten behandelt. Immerhin bestätigen mehrere Journalisten die Existenz von Autoregulation und Selbstzensur (siehe Kapitel 8.2).
7.3.5
Restringierter Informationszugang
Die regelmäßigen Verletzungen der Pressefreiheit sind für das gespannte Verhältnis zwischen den privaten Journalisten und der Regierung Wade verantwortlich. Darüber hinaus hängt es auch mit der restriktiven Informationspolitik der öffentlichen Behörden zusammen. Nach einhelliger Meinung von Coulibaly (Sud) und Sy (Taxi le Journal) ist der Informationszugang nur beschränkt möglich und die Behörden versuchen, journalistische Nachforschungen zu unterbinden. Auch die Fotojournalisten werden bei ihrer Arbeit regelmäßig mit Schwierigkeiten konfrontiert: „Wir brauchen eine demokratische Kultur um den Journalisten zu ermöglichen, ihre Arbeit an öffentlichen Orten zu verrichten. Aber manchmal stößt man auf Leute, die nichts davon wissen wollen, die dich angreifen indem sie dir deinen Fotoapparat entreißen und dich daran hindern, den Ort zu betreten.“ (Int 1)
Diatta (Le Soleil) macht in seiner Aussage auf die vielfachen Hindernisse aufmerksam, mit denen Fotojournalismus konfrontiert sind. Die restriktive Informationspolitik und die unnachgiebige Haltung der Behörden bekam am 7. Oktober 2003 auch Sophie Malibeaux, Auslandskorrespondentin von RFI zu spüren. Sie hielt sich für Recherchen in der südlichen Landesregion Casamance auf, in der ein seit 20 Jahre dauernder Autonomiekonflikt herrscht. Im Anschluss an ein Interview mit Alexandre Djiba, der Verantwortliche einer Fraktion, die für die Fortführung des bewaffneten Aufstandes eintritt, wurde sie von den Brigades Mobiles de Sureté in Ziguinchor verhaftet und in die Hauptstadt Dakar eskortiert. Hier wurde sie im Innenministerium verhört und schließlich außer Landes verwiesen. Mit Verweis auf eine Verletzung der öffentlichen Ordnung, haben die Behörden der Auslandskor-
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
267
respondentin vorgeworfen, „d’avoir traité de façon tendencieuse la question délicate de la rébellion casamançaise et, ce faisant, d’ingérence grave dans les affaires intérieures du Sénégal et de tentative de sabotage contre le processus de paix“ (Havard 2004: 30). Nach der Ausweisung seiner Korrespondentin hat RFI erst im August des folgenden Jahres sein Dakarer Büro wiedereröffnet.
7.3.6
Medialer Patriotismus bei militärischen Konflikten
Der Malibeaux-Fall zeigt, dass die Regierung bei der Berichterstattung über den Bürgerkrieg in der Casamance keine kritischen oder unabhängigen Positionen duldet. Dies gilt auch für die militärische Intervention in Guinea-Bissau und den politischen Konflikt mit Mauretanien. Bei diesen heiklen Themen ist der journalistische Spielraum eingeengt. Die senegalesischen Medien lassen sich entweder im nationalen Interesse gleichschalten oder heizen die militärischen Konflikte sogar aktiv an. a) Rebellion in der Casamance
Die Gründe für den Casamance Konflikt liegen in den 1970er Jahren als sich Teile der Dioula-Ethnie von der Zentralregierung politisch bevormundet und wirtschaftlich benachteiligt fühlten. Als ihre Interessenvertretung gründeten sich das Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFCD). „Die Bewegung strebte einen größeren Finanzfluss vom Zentralstaat in die Casamance, die regionale Förderung von Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur sowie die politische Autonomie an. Die zunehmende Unterdrückung dieser Autonomiebewegung steigerte ihren separatistischen Charakter.“ (Wolf 2004: 44)
Zwar begann bereits im Jahr 1982 ein lokaler Aufstand, aber erst mit der Unabhängigkeitserklärung des MFCD 1989 eskalierte der Konflikt.168 Er führte zu rund 3000 Todesopfern. Die Autonomiebestrebungen wurden mit dem historischen Argument begründet, dass die Casamance nie von den Franzosen als Teil Frankreichs kolonialisiert worden und daher nicht als ein Teil des Nationalstaates Senegal anzusehen sei. Seither sind nicht nur bei Kämpfen Rebellen und Regierungssoldaten, sondern auch bei Anschlägen Zivilisten umgekommen. Amnesty International klagte die Regierung Diouf in den Punkten Ge168 Siehe auch: Cruise O’Brien et al. (2002), Diop (2002a, 200b) und Salomon (2005).
268
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
fangennahme von politisch gewaltlosen Menschen, Inhaftierung von Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren, willkürliche Hinrichtungen, Folter und Verschwindenlassen von Zivilisten an (AI 1998). Diese Anklagen wurden weder von der RTS noch von den privaten Medien kommentiert. Im Gegenteil, nach schweren Verlusten der senegalesischen Armee, kam es im August 1997 sogar dazu, dass die Dakarer Presse Forderungen nach einer noch härteren und konsequenteren militärischen Vorgehensweise in der Casamance verbreitete (Cruise O’Brien et al. 2002: 220f.). Wie ein ehemaliger Mitarbeiter des Institut Panos, Alymana Bathily, in einer informellen Konversation erklärt, ist die patriotische Berichterstattung als Beitrag an die nationale Einheit zu verstehen, auch wenn dabei die journalistische Ethik verletzt wird. Immerhin ist es in jüngster Zeit aufgrund der Öffnung des öffentlichen Diskursraums dazu gekommen, dass die Printmedien „n’hesitent plus à se saisir du dossier casamançais, sur lequel la raison d’Etat avait longtemps maintenu la presse sur une ligne prudente“ (Dahou/Foucher 2004: 14). Allerdings bleibt der Spielraum beschränkt wie der Fall Sud zeigt. Am 17. Oktober 2005 haben Sud Quotidien und Sud FM ein Interview mit dem Anführer des bewaffneten Arms des MFCD, Salif Sadio, mit dem Titel „Ich kehre erst nach Hause zurück, wenn ich die Senegalesen aus der Casamane gejagt habe“ verbreitet. Der Redaktion war insofern ein Scoop gelungen, als Sadio und seine Kämpfer im Busch leben und es ihnen selten gelingt, Kontakt zur Öffentlichkeit herzustellen. Aus diesem Grund ranken sich viele Gerüchte um die Person Sadios. Auf die Veröffentlichung des Standpunktes der bewaffneten Rebellen reagierte die Regierung mit harter Hand. Ohne Untersuchungsbefehl wurde die Zeitungsausgabe sowie Computer, CDs und Kassetten der Redaktion beschlagnahmt, die Radiostation geschlossen sowie 20 Journalisten und Angestellte in Untersuchungshaft gesetzt. Der Fall Sud sowie der Angriff der Armee Guinea-Bissaus auf Rückzugsbasen der MFCD Rebellen im Grenzgebiet zwischen der Süd-Casamance und Guinea-Bissau im März 2006, der eine Migration der Rebellen ins Grenzgebiet zwischen der Nord-Casamance und Gambia ausgelöst hat (siehe Abbildung 15), macht deutlich, dass der Friedensprozess noch nicht abgeschlossen ist. Zwar ist es der Regierung Wade mit dem Abkommen vom 30. Dezember 2004 in Ziguinchor und vom 1. Februar 2005 in Foundiougne gelungen, große Fortschritte zu erzielen, allerdings fühlen sich Rebellen wie Sadio nicht an die Verhandlungen des politischen Chefs des MFCD, Abbé Diamacoune Senghor, gebunden.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
269
b) Militärische Intervention in Guinea-Bissau
Hinsichtlich einer Analyse der Rolle der Printmedien anlässlich der militärischen Intervention Senegals im südlichen Nachbarland Guinea-Bissau sind drei Phasen zu unterscheiden. Der Konflikt begann damit, dass sich im Juni 1998 eine seit mehreren Jahren schwelende Krise in Guinea-Bissau, in der sich die Regierung von Präsident Nino Vieira und General Ansumane Mané gegenüberstanden, zuspitzte. Aus Anlass eines Berichts einer Untersuchungskommission, der ihm eine Implikation in den Waffenhandel mit Rebellen in der Casamance vorwarf, wurde Mané seines Amtes enthoben. Mit dem Argument, dass die Rebellen des MFDC das Grenzgebiet unsicher machten, über Rückzugsbasen in Bissau verfügten und eine Vereinigung mit bissauguineischen Rebellen anstreben könnten, rückten die Armeen von Senegal und Guinea-Conakry am 7. Juni 1998 in Guinea-Bissau ein. Die senegalesischen Printmedien unterdrückten dabei die Feststellung, dass sich erst durch diese Intervention die Krise zu einem Krieg transformierte. „C’est avec l’entrée en scène des troupes sénégalaises et guinéennes que la crise dégénère en guerre. La justification officielle de l’intervention […] viendra a posteriori: le président Vieira aurait été menacé d’un coup d’Etat.“ (Ben Arrous 2001a: 24) In diesem Krieg standen sich die von einigen loyalen Soldaten unterstützte Regierung Vieira sowie die Truppen aus Guinea-Conakry und Senegal auf der einen Seite, und die von General Mané angeführte Mehrheit der Armee Bissau-Guineas auf der anderen Seite gegenüber. Aufgrund der Misswirtschaft der Regierung Vieira konnte Mané auf eine weitgehende Unterstützung der Zivilbevölkerung zählen. Der vom senegalesischen Oberst Fall geleiteten Opération Gabou mit 2300 Soldaten gelang es zunächst, die Regierung Vieira zu stützen und eine zeitweilige militärische Pattsituation herbeizuführen. Die erste Phase zeichnete sich dadurch aus, dass die senegalesische Presse die Zuspitzung der internen Krise Guina-Bissaus und ihre Ausweitung zu einer internationalen Militäroperation auf den Blickwinkel der nationalen Interessen Senegals einengte. „Cette posture est symptomatique d’une approche commune à la presse écrite sénégalaise, analysant la crise bissau-guinéenne à travers ses excroissances sénégalaises. Il en résulte que la mutinierie proprement dite, ses causes profondes et toutes ses dimensions internes ont été escamotées au profit de la guerre menée par le Sénégal.“ (Koudawo 2001: 122)
Die zweite Phase betrifft die Berichterstattung des Kriegs in GuineaBissau. Die senegalesische Presse stellte die Intervention als einen gerechten und notwendigen Krieg dar. Sie folgte der Pressemitteilungen der Direction de l’Information et des Relations Publiques des Ar-
270
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
mées (DIRPA), überging kritische Depeschen von AFP, PANA und Reuters und sprach sich sogar für eine Einschränkung der allgemeinen Bürgerrechte aus, um die übergeordneten nationalen Interessen besser schützen zu können. Offizielle Informationen „ne font pas l’objet d’un questionnement, ni d’une présentation au conditionnel qui indiquerait que les journaux restent conscients qu’en temps de guerre, l’information est une arme capitale, et qu’à ce titre, la désinformation lui est consubstantielle“ (ebd.: 126). So wird die Überlegenheit der senegalesischen Truppen vorausgesetzt, kritische Fragen zur Operation ausgeschlossen und Gerüchte verbreitet. Auch sind die senegalesischen Leser nie über die strategischen Fehler der Armeeführung und die hohen Verluste unter den senegalesischen Truppen aufgeklärt worden (Konv). Einzig die Zeitungen Le Matin, Le Phare, Sud Quotidien und Wal Fadjri publizierten zumindest einige kritische Artikel. Die dritte Phase setzte mit dem Ende der Kampfhandlungen Anfang Oktober 1998 ein. Der militärischen Pattsituation folgte ein Waffenstillstand. Schließlich wurden die senegalesischen Truppen durch die westafrikanische Friedenstruppe Ecomog ersetzt. In den Dakarer Zeitungen wurde das vorläufige Ende des Konflikts auf patriotische Weise als Erfolg für das senegalesische Militär dargestellt. Eine Aufarbeitung der wenig erfolgreichen Militärintervention und eine Aufklärung über die von der senegalesischen Armee in Guinea-Bissau begangenen Gräuel haben niemals stattgefunden. So hat sich der Verfasser im März 2003 in der Hauptstadt Bissau mit Augenzeugen besprochen und das ehemalige Hauptquartier der senegalesischen Truppen besichtigt. Es war im Nationalarchiv und Forschungszentrum INEP untergebracht, wo die Truppen große Bestände an historischen Dokumenten und Büchern zerstört haben. Unter anderem wurden sie als Feuermaterial zum Teekochen verwendet.169 c) Rassistischer Konflikt mit Mauretanien
Das dritte Beispiel für die Analyse der Rolle der senegalesischen Printmedien in militärischen Konflikten betrifft die Auseinandersetzung zwischen Senegal und Mauretanien. Beide Länder werden durch eine natürliche Grenze, den Senegalfluss, getrennt. Dieser Fluss wird von der Organisation de Mise en Valeur du Fleuve Sénégal (OMVS), die sich aus den Staaten Mali, Mauretanien und Senegal konstituiert,
169 Der Misserfolg der senegalesischen Intervention zeigte sich auch daran, dass General Mané 1999 erneut geputscht hat, Präsident Vieira ins portugiesische Exil vertrieb und Wahlen ansetzte. Sie wurden von Kumba Yala für sich entschieden. 2003 wurde Yala seinerseits vom Militär abgesetzt. Die Präsidentschaftswahlen 2005 konnte der aus dem Exil heimgekehrte Nino Vieira für sich entscheiden.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
271
als Fluss internationalen Rechts deklariert.170 Für das Verständnis des Konflikts sind zwei Prämissen zu erläutern. Erstens ist der Kampf um die Kontrolle und Verwaltung von Naturressourcen im Sahel gestiegen. Die Lebensbedingung in dieser wasser- und vegetationsarmen Region, die sich vom Senegal im Westen bis in den Tschad im Osten zieht, nehmen seit Jahren aufgrund von Klimaverschlechterung und Bevölkerungswachstum ab. Zweitens herrscht in Mauretanien bereits seit langem ein interner Konflikt zwischen arabischen Nationalisten (Baathisten, Nasseristen) und Minderheitsgruppen mit schwarzafrikanischen Wurzeln. Unter diesen Vorzeichen weitete sich im April 1989 ein Streit zwischen mauretanischen Peul-Hirten und senegalesischen Ackerbauern der Ethnie Soninké, bei der auf kleinen Insel DoundéKhoré im Senegalfluß zwei Menschen umkamen, zu einem Konflikt um Boden- und Wasserrechte zwischen zwei Staaten aus. Dieser Vorfall löste in Senegal eine bisher nicht gekannte Welle der Gewalt und des Rassismus aus. Nachdem im Senegal Lebensmittelgeschäfte von arabischen Mauretaniern geplündert worden waren, kam es in Mauretanier zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Senegalesen und schwarze Mauretanier. Insgesamt hat der Konflikt „entraîné la mort de plusieurs milliers de personnes et endeuillé de nombreuses familles. Plusieurs centaines de milliers de Mauritaniens et de Sénégalais ont été rapatrié, tandis que des dizaines de milliers de Mauretanies étaient déportés par leur propre gouvernement.“ (Institut Panos 1996: 112)
Wiederholt haben beiden Staaten offen mit Krieg gedroht. Eine Lösung der Krise wurde durch den Abbruch diplomatischer Beziehungen und die versuchte Diskreditierung Senegals in der arabischen Welt durch die mauretanische Regierung erschwert. Für die Eskalation des Konflikts ist die Lobby der senegalesischen Opposition (die sich eine Schwächung der Regierung Diouf erhoffte), von nationalistischen Gruppen wie der Front de Libération Africaine de Mauretanie (FLAM) und das Comité de Suivi auf senegalesischer Seite sowie das Militär und die nationalistischen Kreise in der Staatsverwaltung auf mauretanischer Seite verantwortlich zu machen. Mit Ausnahme von Sud Hebdo ist es dieser Lobby gelungen, die senegalesische und mauretanische Presse für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Dazu war es nötig, eine Strategie der Desinformation zu betreiben: „L’incident de Doundé Khouré n’a pas opposé des Maures de Mauretanie à des Noirs sénégalais, mais des éleveurs peulhs mauritaniens à des agri170 Der Fluss selbst entspringt in den Bergen Guinea Conakrys.
272
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
culteurs soninkés du Sénégal, c’est à dire des membres de deux communautés négro-africaines. Pourtant, ce sont des Maures et des Négro-Africaines qui s’affrontèrent de façon meutrière par la suite.“ (Institut Panos 1996: 36)
Die patriotische und sensationalistische Berichterstattung sowie die rassistischen Hetzkampagnen der nationalen Presse sind durch die Parteilichkeit der Berichterstattung von RFI verstärkt worden. Damit hat das französische Radio eine Konfliktlösung erschwert. Nachdem sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern durch eine diplomatische Übereinkunft 1991 normalisiert hatten, brach der Konflikt im Juni 2000 an der gemeinsamen Grenze erneut aus. Diesmal führte die Beschuldigung Mauretaniens, die neue Regierung des Senegal würde sich nicht an alte Abkommen bezüglich der Wassernutzung halten, zur Repatriierung der jeweils im Nachbarland lebenden Ausländer. Unter Vermittlung von Mali und Marokko konnte die Krise aber wieder beigelegt und die Evakuation gestoppt werden. Aber trotz des glimpflichen Endes hat die Presse wiederum aus einer nationalistischen Warte berichtet und nicht dazu beigetragen, das Verhalten des Konfliktpartners transparent zu machen. Damit zeigte sie, dass sie nicht die Lehren aus den Vorfällen von 1989 gezogen hatte. 171
7.4
KONFLIKTE RELIGIÖSEN
7.4.1
ZWISCHEN JOURNALISTISCHEN UND
AKTEUREN
Transformation der öffentlichen Arena
Als Zwischenergebnis dieser Fallstudie kann festgehalten werden, dass der Medienpluralismus und die Bedeutung der privaten Massenmedien für die öffentliche Meinung seit Ende der 1970er Jahre gewachsen sind und sich seit Anfang der 1990er Jahre intensiviert haben. Das Hauptproblem für die privaten Massenmedien besteht allerdings nach wie vor darin, dass die politische Kultur von klientelistischen und neo-patrimonialen Praktiken geprägt wird. Allerdings sind die Rollen der verschiedenen Akteure teilweise intransparent. Dies 171 Während sich in der Zwischenzeit die Beziehungen zwischen Präsident Wade und seinem mauretanischen Amtskollegen Ould Taya merklich verbessert haben, hat das mauretanische Militär unter Oberst Ely Ould Mohamed Vall am 3. August 2005 geputscht und Taya abgesetzt. Die internationale Staatengemeinschaft hat den Putsch offiziell verurteilt, ist aber nicht dagegen eingeschritten. Präsident Wade hat sich bereits kurz nach dem Putsch für gute Beziehungen zwischen den Nachbarländern ausgesprochen.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
273
hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Sphären von Politik, Justiz, Wirtschaft, Religion und Medien nicht strikt getrennt sind, sondern sich überlappen. Einerseits besteht zwischen allen Akteuren eine Konkurrenzsituation, andererseits sind sie auch gegenseitig voneinander abhängig. Die Politiker benötigen die Unterstützung der Marabuts, um sich genügend Stimmen in der Bevölkerung zu sichern, während umgekehrt die Marabuts an Geld, politischen Einfluss und guten Beziehungen in die Staatsverwaltung interessiert sind. Zwar wird durch dieses Beziehungsnetz das staatsrechtliche Modell einer Trennung von staatlicher und religiöser Ordnung unterlaufen, aber diese Gesellschaftskonzeption ermöglicht dem westafrikanischen Land eine gewisse Stabilität. Die senegalesische Bevölkerung ist sich der Interpenetration der verschiedenen öffentlichen Sphären bewusst. 58,8% der Befragten geben an, davon überzeugt zu sein, dass es keine Trennung zwischen der politischen und der religiösen Sphäre gibt (Gercop 1999). Im folgenden Abschnitt geht es nun darum, die Beziehungen zwischen Medien, Politik und Religion vertiefend zu behandeln. Gemäß Verfassung ist der Senegal ein laikaler Staat, doch aufgrund der historischen Macht der muslimischen Bruderschaften und ihrer gesellschaftlichen Vermittlungsfunktion kann in der Praxis von einer Gewaltentrennung zwischen Staat und Religion keine Rede sein. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Parteien die Kritik der Bruderschaften mehr fürchten als die Kritik der politischen Opposition. Zwar hat der Generalkalif der Mouriden den traditionellen Wahlvertrag ‚ndigël electoral‘ 1993 aufgekündigt und der direkten politischen Intervention abgesagt. Indem er den Wahlvertrag in eine modifizierte Version überführt hat, wurde der Kalif aber nur den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht. Entsprechend geben bei der oben erwähnten Studie auch 55% der Probanden an, nicht auf die Wahlempfehlung der Marabuts zu achten. Mit Blick darauf, dass 45,7% der Probanden der Ansicht sind, dass eine Einmischung der religiösen Akteure in die Politik gerechtfertigt ist, kann geschlossen werden, dass die Bürger nicht so sehr gegen eine Interpenetration der verschiedenen öffentlichen Sphären sind. Aber sie misstrauen der traditionellen politischen Elite und sie sind dagegen, „de n’être que des marionnettes manipulées de ce mécanisme de gestion du pouvoir bien spécifique au Sénégal. Ils veulent eux-même être responsable et partie prenante de cet enchevêtrement“ (Audrain 2004: 108). Im Zuge des gestiegenen politischen Bewusstseins einer segmentierten Bevölkerung und des Erstarken der Zivilgesellschaft ist es daher zu Transformationen der Machtdisposition der Marabuts gekommen. Entweder verhandeln sie nun direkt mit den einzelnen politischen Akteuren über ihre Unterstützung oder sie steigen selbst in die politische Arena ein. So steht der Marabut Mamoune Niasse aus der Bruderschaft der Tijaniyya genauso der eigenen Partei Rassemble-
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
ment du Peuple (RP) vor wie der Mouride Cheikh Modou Kara, der 2004 die Parti de la Vérité pour le Dévelopment (PVD) oder Hizbul Hakh gegründet hat. Dabei nutzt er sein Ansehen bei den taalibé genauso wie das Misstrauen gegenüber den diskreditierten Politikern. Dank einer erfolgreichen Public Relations Strategie gelingt es Kara, sich als Meinungsführer jenseits der Politiker- und Marabutimages zu positionieren. „Plus il s’investit dans les débats concernant la chose publique, plus il devient aux yeux de ses disciples une alternative crédible aux politiciens et récupère même sous sa coupe les jeunes déçus du sopi.“ (ebd.: 109) Die Aufkündigung des ‚ndigël‘ hat also nicht zu einer Entpolitisierung der religiösen Akteure, sondern im Gegenteil zu einer Aktivierung ihres politischen Handelns geführt. „Une recomposition politique est difficilement envisageable en dehors du religieux ou des valeurs morales qu’il veut promouvoir.“ (C. Guèye 2002: 283) Dies ist der Fall, weil es den Bruderschaften unterdessen gelungen ist, ihre Macht insbesondere in den Städten zu erhöhen: „Alors que pendant très longtemps les confréries étaient restées circonscrites aux zones rurales qui abritaient leur dynamisme, elles sont devenues aujourd’hui un phénomène urbain offrant une parfaite visibilité.“ (Loum 2003: 166) Sichtbar werden die Bruderschaften vor allem in den als Dahiras bezeichneten Vereinen bzw. Versammlungsorten sowie in den Koranschulen.
7.4.2
Konformistische Taktiken
Die öffentliche Arena unterliegt grundlegenden Transformationsprozessen. Nicht nur die Interaktionen zwischen politischen und medialen Akteuren, sondern auch zwischen politischen und religiösen Akteuren sind dabei, sich neu zu definieren. Dieser Logik entsprechend verändern sich auch die Beziehungen zwischen religiösen und medialen Akteuren, denn die Leader der Bruderschaften sind vermehrt auch im Mediensektor aktiv. „Quand alors des groupes multimédias privés acquièrent un pouvoir de domination dans le champ médiatique au point de vouloir nourrir des appétits de domination dans le champ socio-politique plus généralement, il faut dire que les freins à leur expansion ne se situent plus dans les résistances du pouvoir politique, mais dans celles de ce pouvoir maraboutique qui stabilise à son profit les rapports de forces déjà établis.“ (ebd.: 179)
Der Einfluss der Marabut-Familien auf den privaten Mediensektor manifestiert sich auf verschiedene Arten. Zunächst sind sie direkt an Medienunternehmen beteiligt (Wal Fadjri) und treten publizistisch in Erscheinung (Khassaïdes, Radio Touba International, Touba FM).
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
275
Darüber hinaus versuchen manche Marabuts, die publizistischen Inhalte der privaten Medien qua klientelistischer Beziehungen direkt zu lenken: „Wenn ein religiöser Leader einem Verlagsleiter sagt, du bist mein Gefolgsmann, schick mir einen Journalisten, und leiste auf diese Weise Berichterstattung“ (Disk), befinden sich die Redaktionen in einer Zwickmühle, wie Sy (Taxi Le Journal) erläutert. Auf der einen Seite ist der Journalist an die Redaktionsleitlinien und das journalistische Berufsethos gebunden, auf der anderen Seite gehören die Journalisten auch einer Bruderschaft an und unterliegen den Anweisungen ihres Marabuts. Wie schwerwiegend solche Einflussnahmen sein können, zeigt das Beispiel der religiösen Berichterstattung des staatlichen Fernsehens RTS. Gemäß einer Rüge des HCA im Juli 2003 bevorteilt der Sender die Mouriden systematisch bei der Vergabe von Sendezeit und verletzt damit den Auftrag zur ausgewogenen Information. Schließlich erwartet die Mehrheit der Marabuts, dass sich die Kritikund Kontrollfunktion des Journalismus nicht auf sie und ihre politischen, ökonomischen und sozialen Aktivitäten selbst richtet. Die Journalisten reagieren auf die religiösen Erwartungen und Einflussnahmen mehrheitlich mit konformistischen Taktiken indem sie stillschweigend am Kodex des sozialen Konformismus (franz.: code tacite du confomisme social) festhalten.172 Entsprechend sind die wenigsten Redaktionen bereit, die Bruderschaften öffentlich zu kritisieren oder über ihre Aktivitäten zu informieren. Dies betrifft insbesondere die klassischen Qualitätszeitungen. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Wenn Zeitungen den Verhaltenskodex einmal nicht respektieren, dann handelt es sich meistens um das satirische Blatt Le Cafard Libéré oder die investigative Wochenzeitung Le Témoin. Allerdings zögern die Marabuts in aller Regel nicht, die in ihren Augen fehlbaren Journalisten zur Rechenschaft zu ziehen. „Un article du journal Le Témoin publié dans une édition de janvier 1994 donnait une information relative au caractère particulier de certaines inter172 Das Selbstverständnis einiger Marabuts geht so weit, dass sie glauben, quasi außerhalb der Gesellschaft zu stehen und sich entsprechend auch nicht an die juristischen Gesetze halten zu müssen. Ein Beispiel: Im Mai 2003 ist der wegen Wirtschaftsdelikte in einem Dakarer Gefängnis inhaftierte Marabut Serigne Khadim Bousso aus der Haftanstalt entflohen. Ein mouridischer Gefängniswärter hatte ihm zu der Flucht verholfen. Der Marabut zog sich in seine Haus in der heiligen Stadt Touba zurück. Hier empfing er Journalisten und warnte die staatliche Polizei in Interviews davor, in sein Privatwesen einzudringen. Nach Verhandlungen zwischen der Polizei und dem Generalkalifen der Mouriden stürmte die Polizei schließlich das Haus von Bousso, der Selbstmord beging bevor er gefangen genommen werden konnte.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
dictions dans un village du Sénégal, Camberène, qui abrite le siège de la confrérie Layenne. Interdiction appliquée sur l’ordre effectif ou implicite du Khalife général de cette confrérie ou qui aurait en tout cas reçu la bénédiction de ce dernier.“ (Loum 2003: 190f.)
Der Journalist wurde schließlich vor den Chef der Layen zitiert, wo er beschuldigt wurde, die Autorität des Kalifen in Frage gestellt und die Bruderschaft beleidigt zu haben. Darüber hinaus wurde er gewalttätigen Repressionen bedroht für den Fall, dass sich ein solches Verhalten wiederholen sollte. Dieser Fall wurde von den übrigen Zeitungen wenn überhaupt dann mit derselben äußersten Zurückhaltung aufgenommen wie im Fall eines Artikels in Le Matin im Jahr 1999. In dem besagten Artikel war der Name eines mondänen Marabuts gefallen, worauf die Anhänger dieses Marabuts den Journalisten angriffen. Sie hatten „mis à sac la chambre du journaliste fautif avant de réduire en cendres le contenu de la pièce. Et comme si cela ne suffisait pas, ils jugèrent nécessaire de se saisir du frère du journaliste impénitent en guise d’otage“ (ebd.: 193). Dieses Beispiel weist bereits auf die Gewalt hin, die den senegalesischen Mediensektor charakterisiert. Allerdings gibt es durchaus Grenzen des islamischen Machteinflusses: In einer außerordentlich mediatisierten Debatte hat sich Präsident Wade im Frühjahr 2003 gegen das Islamische Komitee für die Reform des Familienrechts (CIRCOF) gestellt. Ihrem Vorstoß, das seit 1972 bestehende laikale Familienrecht mit den Inhalten des islamischen Rechts, der Scharia, in Übereinstimmung zu bringen, erteilte der Präsident eine unmissverständliche Absage.173 173 In seinem Vorstoß argumentierte das CIRCOF, dass die große Mehrheit der Senegalesen in familienrechtlichen Fragen wie Erbschaft, Heirat oder Scheidung nach islamischem Recht lebe, ohne dem offiziellen Familienrecht auch nur Beachtung zu schenken. Um die Kluft zwischen den Gesetzestexten und der sozialen Realität zu verringern, die Staatsgewalt zu stärken und der Gefahr der Anarchie vorzubeugen, sei eine Reform des bestehenden Familienrechts opportun. Die Vertreter des CIRCOF wie der Rechtsanwalt Babacar Niang waren der Meinung, dass die angestrebte Reform keine Gefahr für die staatliche Laizität, den ethnischen und religiösen Pluralismus und die nationale Einheit darstelle. Da sie aber nicht auf einen breiten Dialog in den Moscheen abgezielt hatten, sah sich die Mehrheit der senegalesischen Muslime von dem Vorstoß des CIRCOF ausgeschlossen. Entsprechend ist es dessen politischen und zivilgesellschaftlichen Widersachern leicht gefallen, auf die islamistische Initiative zu reagieren. So wies Mbow auf die Unverträglichkeit des Gesetzesentwurfs mit der senegalesischen Gesellschaftsrealität hin: Der Text werde weder den christlichen und schiitischen Minderheiten noch der sozialen Rolle der senegalesischen Frau gerecht. Dagegen drehte der Soziologe N’Diaye den Spieß um und griff die religiösen Führer an: Die Spielarten des senegalesischen Islam seien aufgrund der Eigensinnigkeit der rivalisierenden Bruderschaften in eine Krise
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
277
7.5 KONFLIKTE UM PROFESSIONALITÄT, MEDIENETHIK UND IDENTITÄT 7.5.1
Mangel an Professionalität
Die Transformation der öffentlichen Arena hat dazu beigetragen, dass der Druck der politischen, religiösen und Regulationsakteure auf die Presse gestiegen ist. Dies drückt sich unter anderem in den rituellen Verletzungen der Pressefreiheit und in den konformistischen Taktiken aus. Allerdings tragen die journalistischen Akteure ihrerseits mit Verletzungen von professionellen und medienethischen Standards zu einem Anstieg der Konflikte bei. Wie Kapitel 8 zeigen wird, sind für diese Verfehlungen zumindest partiell die ökonomischen Herausforderungen verantwortlich zu machen. Denn Coulibaly räumt hinsichtlich eines der am besten etablierten Titel des Marktes, Sud Quotidien, ein, dass „er wie jedes Produkt von Zeitungsverlagen defizitär ist“ (Int 1). Die Finanzschwäche zieht konkrete Konsequenzen wie eine mangelhafte logistische Infrastruktur (Aufnahme- und Fotogeräte, Computer, Autos etc.) und ein niedriges Lohnniveau nach sich. Sie wirken sich auf die alltägliche Praxis der Journalisten aus. Die kollektive Vereinbarung der Journalisten sieht Löhne zwischen 90.000 und 300.000 francs CFA (225 bzw. 750 CHF) pro Monat und je nach Posten und Erfahrung eines Journalisten vor. Für einen diplomierten Reporter ist ein Gehalt zwischen 170.000 und 240.000 francs CFA (425 bzw. 600 CHF) festgeschrieben. Aber für die Mehrheit der jungen Journalisten sind diese Zahlen weit von der Realität entfernt. Mit Ausnahme der Unternehmen Panafrican System Production,174 SSPS,175 Sud und Wal Fadjri zahlen sämtliche Medienunternehmen nur einen Teil der Löhne wie sie in der kollektiven Vereinbarung vorgesehen sind: „Si le secteur parapublic connaît une application plus ou moins satisfaisante, tout comme, dans des proportions moindres, certaines entreprises privées, il reste qu’une partie du patronat de la presse privée se singularise par la non application des dispositions de la convention collective, ainsi que de la réglementation du travail de façon générale […]. Nous parlions il y a quelque temps encore, d’esclavage dans certaines entreprises de presse, ce qui avait beaucoup choqué.“ (Sall 2005: 147)
geraten und müssten ihrerseits reformiert werden. Ausführlich siehe: Brossier (2004). 174 Herausgeber der Wochenzeitung Nouvel Horizon und der Monatszeitschrift Thiof. 175 Herausgeber von Le Soleil und Zenith.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Auch zahlen die Redaktionen nur in den seltensten Fällen Beiträge an das Institut de Prévoyance et de Retraite du Sénégal (IPRES) ein. Die Löhne sind dabei mitverantwortlich für die hohe Fluktuation von Journalisten. Viele gestandene Berufstätige verlassen die Massenmedien, um sich dank ihrem Bekanntheitsgrad von Arbeitgebern anderer Branchen, allen voran von Nichtregierungsorganisationen, Privatschulen und der Staatsverwaltung abwerben zu lassen. Einige Beispiele: Der ehemalige Chefredaktor von Wal Fadjri, Tidiane Kassé, arbeitet nun als Koordinator bei Institut Panos, die ehemalige Exekutivdirektorin von Sud Quotidien, Saphie Ly, hat inzwischen den Posten als Verantwortliche des Medienprogramms der Organisation OSIWA angetreten, der ehemalige Reporter von Info 7, Vieux Thiam, ist Mitarbeiter bei der NGO Enda Cyberpop geworden und der verstorbene Alain Agboton war nach seiner Karriere im Hause Le Soleil Kommunikationsberater beim Wissenschaftsministerium sowie Professor am CESTI. An ihrer Stelle werden junge und häufig schlecht ausgebildete Journalisten oder sogar Volontäre gesetzt, die ihr Handwerk oft nur mangelhaft beherrschen. „Was mich am meisten erstaunt ist der Qualitätsverlust an Humanressourcen. Vor sechs oder sieben Jahren gab es noch gute Journalisten, aber heute gibt es davon immer weniger.“ (Int 1) Aus diesem Grund hat der Berufsstand der Journalisten in den letzten Jahren eine markante Verjüngungskurs erfahren. Bei den jungen Journalisten handelt es sich um Abgänger des CESTI, des ISSIC und einiger weiterer privater Marketingschulen. In der Hoffnung auf eine Karriere in Dakars mondäner Medienwelt sind sie bereit, die schlechten Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Was für das Finanzbudget der Verlagshäuser lukrativ sein mag, belastet aber die Qualität des journalistischen Endprodukts. Denn ein junger Volontär, der im Anschluss an seine Ausbildung eigentlich eine praktische Berufseinführung bräuchte, ist nicht in der Lage, die intellektuelle und stilistische Lücke, die sein erfahrener Vorgänger in die Redaktion gerissen hat, zu schließen. Coulibaly kritisiert diese Entwicklung: „Diese Jungen wurden weder in einer klassischen Schule noch im Redaktionssaal ausgebildet und ihr Niveau ist nicht zufriedenstellend. Man kann nicht einen Beruf ausüben ohne vorher ausgebildet worden zu sein.“ (Int 1) Der Mangel an Aus- und Weiterbildung schlägt sich beispielsweise in der Vermischung von Tatsache und Kommentar nieder. „Es gibt derart viel Kommentar, dass die Journalisten selbst Mühe haben, die Tatsachen zu rekonstruieren. Das ist das Erbe der französischen Tradition. Die Engländer sagen ‚facts only‘, denn die Tatsachen sind heilig und der Kommentar ist frei. Ein anderes Problem ist die Vermischung von mehreren journalistischen Genres, die man in demselben Artikel findet: Kommentar, Zusammenfassung, Analyse. All das vermittelt dem Leser eine
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
279
Gefühl der Verlorenheit, denn er hat die Tendenz, den Kommentar, der den Standpunkt des Journalisten wiedergibt, als eine Tatsachenrealität zu nehmen. Dieser Mangel an Transparenz hinsichtlich der journalistischen Genres verhindert, dass die senegalesische Presse an Statur gewinnt.“ (Int 1)176
Vor dieser Aussage von Diop (Nouvel Horizon) wird auch verständlich, warum die Regierung Wade gefordert hat, dass 10% des Fonds d’aide à la presse ab dem Jahr 2004 in die berufliche Weiterbildungen investiert.
7.5.2
Praktiken der Provokation und Denunziation
Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends findet ein Großteil der jungen, unerfahrenen und schlecht bezahlten Journalisten eine Anstellung in der expandierenden Boulevardpresse. Diese Presse hat die Bedeutung des ehemals dominanten Informations- und Meinungsjournalismus eingeengt. Nach Ly (Sud Quotidien) lässt sich diese Transformation durch soziokulturelle Faktoren begründen. „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir es mit einer Gesellschaft der Verführung (franz. société de séduction) zu tun haben. Dies führt dazu, dass wir Beziehungen der Verführung mit unseren Lesern unterhalten, die sich in der Art und Weise niederschlagen, wie wir Informationen behandeln. Wir bestehen auf Vermischten Meldungen und auf Kommentaren, denn die Leute lieben die persönliche Meinung.“ (Int 1)
Die Boulevardpresse versucht ihre potenzielle Leserschaft mit aggressiven Titeln in fetten Lettern, großen Fotos und Fotomontagen (selbst von halbnackten Frauen), sarkastischen Cartoons in Wolof zu verführen. Sie werden von emotionalisierten Softnews, personalisierten Portraits, Features, Glossen oder Interviews begleitet. Dieser neue Stil will unterhalten und Aufmerksamkeit erregen. Zu diesem Zweck wird eine rohe Sprache verwendet, die Sow (Mœurs) wie folgt charakterisiert: „Es ist nicht jedem gegeben, denselben Stil wie wir zu verwenden. Die Sprache ist Französisch, aber das Französisch der Senegalesen. Wenn Sie auf die Straße gehen, werden Sie sehen, dass der Sprachgebrauch
176 Insbesondere die Redaktion von Le Quotidien geht gegen die Vermischung der Genres vor, indem sie einige Artikel mit einem auch optisch getrennten Kommentar des Journalisten ergänzt.
280
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
variiert. Der ‚coxeur‘177 hat seine eigene Sprache. Wenn ich schreibe, möchte ich, dass er sich in meiner Zeitung wiederfindet. Ich verwende die Sprache von allen Senegalesen.“ (Int 1)
Angesichts von provokativen, quasi-pornographischen Schlagzeilen wie „Séga se fracasse la jambe en torchant la femme de son frère“ (Ba 2002: 1), „Canabèze, l’homme aux 3 testicules secoue Thiès“ (P. Gueye 2002: 1) oder „Abdallah voulait éjaculer dans la bouche d’une fille de 10 ans“ (Dieng 2003: 1) verwundert es kaum, dass es der Boulevardpresse mit diesen provokativen Präsentationstechniken gelungen ist, ein neues Publikum zu finden. Es besteht vor allem aus den Jugendlichen und Frauen der Mittelklasse, die vorher nicht zur Gruppe der Leser gehört haben. Die senegalesische Gesellschaft hat sich schnell an den neuen Journalismus gewöhnt. „Zu Beginn der Boulevardpresse waren wir schockiert, aber später haben wir uns daran gewöhnt. Das passt.“ (Konv) Tabus wie Erotik, Sex, Gewalt und Voyeurismus sind gesellschaftsfähig geworden und widerspiegeln den sozialen Wandel. „La société sénégalaise est aujourd’hui dans une ébullition sexuelle dangereuse. Le sexe se vend bien et les journaux de la place ont compris cela.“ (NތDoye 2003: 147) Die Identifikation mit der neuen Presse geht so weit, dass der enthusiastische Leser Simon Ngom im Jahr 2001 einen Fanclub Mœurs gegründet hat. Er zählt knapp 50 Mitglieder und übernimmt vor allem eine Relaisfunktion zwischen den Lesern und der Zeitung. Viele Leser rufen Ngom und seine Kollegin Mamy NތDiaye an, um Informationen über berichterstattungs-würdige Ereignisse mitzuteilen. Vom Fanclub aus werden diese Informationen dann an Sow telefonisch weitergeleitet.178 In öffentlichen Kreisen hat sich eine Debatte über die Boulevardpresse entfacht. Sowohl in den Interviews mit Medienakteuren als auch in informellen Konversationen mit Taxifahrern, Verkäufern und Studenten wird deutlich, dass die Populärpresse über einen mehrheitlich schlechten Ruf verfügt. Sie drückt sich in Übernamen wie ‚presse de caniveau‘, ‚presse poubelle‘, ‚presse à scandales‘, ‚presse réfoulée‘, ‚presse people‘ oder sogar ‚presse terroriste‘ aus. Der schlechte Ruf wird damit begründet, dass die Boulevardpresse die Medienethik verletzt. Das Comité pour le Respect de l’Ethique et de la Déontologie (CRED) hat die von der UNESCO (1983) festgeschriebenen journalistische Prinzipien wie Wahrhaftigkeit, Objektivität, Verantwortungsbewusstsein, Integrität, Schutz der Privatsphäre, der Menschenwürde, des öffentlichen Interesses und der kulturellen Vielfalt sowie ein Bei177 Junge Männer, die für das Einkassieren der Fahrpreises im öffentlichen Verkehr zuständig sind und auf dem Trittbrett mitfahren. 178 Mit der zeitweiligen Suspendierung von Mœurs 2001 ist jedoch auch der Fanclub praktisch zum Erliegen gekommen.
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
281
trag zur Neue Weltordnung der Information und Kommunikation adoptiert. Sie werden beispielsweise dadurch verletzt, dass sich die senegalesische Boulevardpresse auf Gerüchte verlässt anstatt die Informationen verifiziert, Tabus bricht und „les bas instincts du peuple“ (B. Diop 2002: 7) weckt. Indem sich der Boulevardjournalist mit seiner Rolle des Denunzierens von angeblichen Missständen begnügt, wird er besonders häufig Opfer von Instrumentalisierung. Ferner ignoriert er bei der Suche nach Skandalen und Scoops die auch im Senegal gültigen medienethischen Prinzipien. Entsprechend muss sich der Presserat CRED regelmäßig mit den journalistischen Wildwestmethoden der Dakarer Boulevardpresse auseinandersetzen, wenn einzelne Skandale nicht sogar zu einem gerichtlichem Nachspiel geführt haben.179 Im Folgenden seien zwei Fälle erörtert. Sie beschäftigen sich beide mit Hausmädchen, die ein beliebtes Sujet der senegalesischen Regenbogenpresse sind. Denn die Einstellung eines Hausmädchens (Wolof: mbindaan) ist der Normalfall bei einer urbanen senegalesischen Mittelstandsfamilie. Auf diese Weise kommt es, dass die Hausmädchen noch vor den Staatsangestellten die quantitativ größte senegalesische Arbeitnehmergruppe stellen. Die soziale Akzeptanz und Verbreitung des Hausmädchens ist im Senegal historisch begründet. „C’est un comportement traditionnel dans les familles élargies que de prêter une ou deux jeunes filles à certaines de ses membres qui en ont besoin pour les assister dans leurs tâches ménagères.“ (Diaw et al. 1996: 5) Im Laufe eines saisonalen ‚Leihgeschäftes‘ wurden die jungen Mädchen im Sinne der Erziehung und Sozialisierung auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau vorbereitet. Aus dieser Tradition hat sich mit der Landflucht als Ergebnis der Verschlechterung der ruralen Arbeits- und Lebensbedingungen ein eigener Berufsstand herausgebildet. Die Arbeit in einem fremden Haushalt ist von vielfältigen Konflikten geprägt. Dazu gehören verspätete Lohnzahlungen, Streitereien, Gewalt und sexuelle Belästigungen. Während die Boulevardpresse für die Haumädchen ein Mittel darstellt, sich durch eine Publikation von sexuellen Belästigungen oder gewalttätigen Übergriffen zu Wehr zu setzen, kommen diese Themen der Agenda der Boulevardpresse entgegen. Hinsichtlich der sexuellen Übergriffe lassen sich die Zeitungsartikel in die Kategorien verführende und verführte mbindaan unterteilen. Erster Fall: In dem Mœurs-Artikel „La bonne se faisait torcher par un bébé de sept mois“ wird der Fall eines Hausmädchens aus dem Dakarer Stadtteil Grand-Yoff geschildert, die den Arm eines siebenmonatigen Jungen zur Masturbation einsetzt. Der Autor des Artikels berichtet von dem Fall in einer Weise, wie ob er der unerhörten Be179 Siehe dazu: Kassé (2002) und Wittmann (2003 und 2004b).
282
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
gebenheit täglich beigewohnt hätte. So weist er darauf hin, dass das Baby an das Spiel gewöhnt sei. „Bébé Papi était si habitué à ce jeu qu’il lui arrivé de pleurer à tue tête quand Saly tardait à introduire son bras dans sa matrice“ (Camara 2001: 3). In dem Artikel wird die unerhörte Begebenheit von Saly berichtete, die zu jenem Typ Hausmädchen zählt, die als charmant, initiativ, sittenlos und verführend gilt. Die Existenz dieses Typs wird von vielen mbindaan bestätigt: „Es gibt auch verführende Hausmädchen, die alles dazu tun, um die männlichen Familienmitglieder zu provozieren.“ (Konv) In dem vorliegenden Fall liegt die medienethische Problematik in der Verletzung der journalistischen Recherchepflicht. Obwohl sich der Boulevardjournalist Camara auf einen „indiskreten Beobachter“ als Quelle beruft, hat er nur ein Gerüchte wiedergegeben und ausgemalt. In einer informellen Konversation hat der Direktor von Mœurs denn auch selbst eingestanden, nicht an die Wahrhaftigkeit der Geschichte zu glauben. Zweiter Fall: In einem reißerischen Artikel berichtet ein anderer Mœurs Journalist (Faye 2003: 5) vom Vergewaltigungsvorwurf eines jungen Hausmädchens, die dem Haushalt eines Polizisten vorsteht. Der Artikel zitiert zuerst aus der Anklageschrift, um sich dann gegen Ende des Textes zu einigen schlüpfrigen Kommentaren hinreißen zu lassen. Unter anderem fordert der Journalist den Polizisten auf, die geschwängerte Frau zu heiraten. Dies sei der senegalesische Brauch. In der nächsten Ausgabe sieht sich die Zeitung gezwungen, eine Stellungnahme des rufgeschädigten Polizisten abzudrucken. Erst diese Gegenstellung klärt darüber auf, dass der Polizist Opfer eines Komplotts werden sollte. Er habe seine Angestellte niemals auch nur berührt, sie dafür aber mehrmals in galanter Begleitung gesehen. Es sei wahrscheinlich, dass die Betroffene ihn denunzieren, ihre Entjungferung ihrem Arbeitgeber anhängen und ihn zur Heirat zwingen wolle. Der Fall ist medienethisch problematisch, da sich Mœurs damit begnügt hat, die Geschichte der mbindaan abzudrucken und es unterlassen hat, die Anschuldigungen zu verifizieren. Diese Praxis voraussehend, ist es dem Hausmädchen gelungen, die Boulevardzeitung für eine Denunziation auszunutzen. Anstatt gesellschaftlich integrierend zu wirken, lässt die Klatschpostille diesen Missbrauch gerne mit sich geschehen, da sie aufgrund der Ungewissheit der Geschehnisse, der Mediatisierung eines Tabuthemas und den gegenseitigen Anschuldigungen als einziger Gewinner dieses Falls erscheint. Unabhängig vom juristischen Ausgang des Falls wird das Ansehen des betroffenen Hausmädchens und des Polizisten in Mitleidenschaft gezogen. Dagegen kann Mœurs den Fall breit treten, in die Länge ziehen und in jeder Ausgabe mit neuen Enthüllungen in der nächsten Woche werben. Konfrontiert mit solchen medienethischen Verfehlungen gab Sow denn auch zu, dass seine Recherchier- und Berichterstattungsmethoden verschieden von den herkömmlichen Methoden seien. „Das ist
KONFLIKTKONFIGURATIONEN
283
eine erdnahe Berichterstattung. Das funktioniert, weil die Senegalesen informell sind.“ (Int 1)
7.5.3
Identitätskrise
Die mangelnde Professionalität und die medienethischen Verfehlungen verstärken eine Identitätskrise, die viele senegalesische Journalisten der Qualitätspresse empfinden. „La problématique de l’identité du journaliste doit être sérieusement posée.“ (Gueye 2006: 11) Diese Krise hängt historischerweise mit der Evolution des journalistischen Berichterstattungsmusters zusammen. Wie Diop (Nouvel Horizon) klarstellt, hatte das Berichterstattungsmuster des Informationsjournalismus koloniale Wurzeln. „Die Kolonialverwaltung hat uns die Presse vermacht. Später hat die senegalesische Elite sie übernommen, um den Bedürfnissen der senegalesischen Leser zu entsprechen. Die Presse bedeutet zunächst Nähe, das heißt, wir sprechen vor allem über den Senegal.“ (Int 1) Nach der Unabhängigkeit wurde das Berichterstattungsmuster dann durch die hohe Politisierung der senegalesischen Journalisten immer mehr mit Elementen des Meinungsjournalismus ergänzt. „Das hängt mit der Kultur der ersten Journalisten zusammen, die in einem allzu politischen Kontext aufgewachsen sind.“ (Int 1) Das historisch bedingte Schwergewicht auf politische Berichterstattung hat sich aber nach Ly (Sud Quotidien) in der Zwischenzeit verändert, da die senegalesische Leserschaft in ihrer soziokulturellen Verfasstheit eine persönliche Positionierung des Journalisten erwartet: „Die Menschen haben ein größeres Bedürfnis, unseren Standpunkt zu einem bestimmten Thema zu kennen, als sich zu informieren. Dies führt die Journalisten dazu, der Meinung gegenüber der Information den Vorzug zu geben. Außerdem ist dies ein Merkmal unserer oralen Gesellschaft.“ (Int 1)180
Das Ergebnis dieser Transformationen ist, dass die Trennung von Information und journalistischer Meinung weiter unterwandert wird. Dieser historische Abriss zeigt, dass die Identitätskrise der senegalesischen Journalisten auf eine Spannung zwischen lokaler Tradition und universellen Ansprüchen zurückgeht. In dieses Muster ordnen sich 180 Wie Sylla (Sud Quotidien) betont, gehört auch der Stil zu den lokalen Eigenheiten der senegalesischen Presse: „Es gibt notwendigerweise Unterschiede hinsichtlich des Stils, denn der Kontext und die Sensibilität sind verschieden. Selbst wenn wir dieselben Kanäle der Informationssuche und dieselben redaktionellen Genres nutzen, widerspiegelt unsere Darstellung der Tatsachen unser Milieu und unser Erleben.“ (Int 1)
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
auch die Konflikte mit politischen und religiösen Akteuren ein. Während die Journalistengeneration der 1980er und 1990er Jahre politisiert war und ihre Rolle im System unter Abdou Diouf anerkannt hat, ist diese Rollenverteilung seit dem Gewinn der Präsidentschaftswahl 2000 durch Wade in Frage gestellt worden. Dazu haben eine widersprüchliche Gesetzgebung, ihre willkürliche Anwendung, das mangelnde Vertrauen in die Unabhängigkeit der staatlichen Institutionen, die offenen Konflikte mit der Regierung, den Klientelismus, die medienethischen Verfehlungen sowie die weiter unten zu behandelnden Phänomene wie Informalität, Betrug, Korruption und Gewalt genauso beigetragen wie die Popularisierungstendenzen der Presse und die Verschärfung des ökonomischen Wettbewerbs. In diesem Kontext ignorieren manche Presseorgane ihre öffentlichen Funktionen und verlieren ihre Orientierung. „Seit der Machtübernahme von Präsident Wade kann meine eine Art Malaise feststellen, das heißt die Journalisten kennen nicht mehr ihre Rolle in einem Kontext des Regimewechsels. Soll man fortfahren, eine oppositionelle Presse zu sein? Oder eine linientreue Presse?“ (Int 1) Die religiösen Akteure, die zur Rechtfertigung ihres Tuns so gerne die soziokulturelle Tradition einführen, tragen zur Identitätskrise der Journalisten bei. „Die Journalisten sind verloren und es herrscht Konfusion im Metier. Man findet Marabuts, taalibés und private Akteure.“ (Disk)
7.6 FAZIT In der ersten Fallstudie wurde der ethnographische Ansatz der Medienkulturwissenschaft auf die Beziehungen zwischen der Presse und den politischen, religiösen und Regulationsakteuren in Senegal angewendet. Dabei hat es sich gezeigt, dass sich die senegalesische Pressekultur durch mannigfaltige Konflikte charakterisiert. Aufgrund der ethnographischen Perspektive ist es gelungen, die Verletzungen der Pressefreiheit als Ritual, und die Reaktion der Presse auf die Einflussnahme religiöser Akteure als konformistische Taktiken zu beschreiben. Auch ist es auf den ethnographischen Ansatz zurückzuführen, dass die Praktiken der Provokation und der Denunziation als wesentliches Charakteristikum der senegalesischen Presse identifiziert worden sind. Pressefreiheit und Medienethik hängen insofern zusammen als die medienethischen Verletzungen die Glaubwürdigkeit der Presse unterlaufen und sie beim Kampf um die Pressefreiheit in einem schlechten Licht stehen lassen. Danach lässt sich die Hypothese des Konflikts nicht nur bestätigen, sondern die für die senegalesische Pressekultur konstitutiven Konflikte lassen sich nun wesentlich präziser formulieren. So treten in der öffentlichen Arena in Senegal verschiedene Akteursgruppen auf.
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285
Ihre Beziehungen sind nicht zuletzt deshalb konflikthaft, weil ihre Rollen teilweise intransparent sind. Für die Presse hat dies weitreichende Folgen: „Sous prétexte d’exercice du journalisme, des contrebandiers de l’information, des porteurs des causes toutes sortes, des politicards aux abois et de mauvais aloi, se recouvrent derrière les tranchées de la presse pour mener une guerre qui n’est certainement pas celle du journalisme.“ (Gueye 2006: 142)
Die Mannigfaltigkeit der Konflikte zwischen der Presse und den politischen, religiösen und Regulationsakteuren hat in einer journalistischen Identitätskrise gemündet. Diese Krise ist nicht struktureller sondern konjunktureller Natur, wie man es in der Terminologie des Cultural Studies Vertreters Grossberg formulieren könnte. Die Identitätskrise hängt mit der Externalisierungsstrategie der Alternance Regierung zusammen. Gegenüber den internationalen Geldgebern setzt Präsident Wade den Medienpluralismus und das zivilgesellschaftliche Bewusstsein der Bürger als Argument für die Reife der senegalesischen Demokratie ein. Wade verfolgt eine hochgradig symbolische Politik, der es gelingt, bei westlichen Politikern und Medien eine gewisse Beachtung zu erzielen.181 Allerdings ergeben sich aus dieser Externalisierungsstrategie einerseits Abhängigkeiten nach Außen, die beispielsweise in der Affäre Diagne wirksam wurden. Andererseits kann sie nicht über Widersprüche hinwegtäuschen, die insbesondere bei den mannigfachen Verletzungen der Pressefreiheit, der dysfunktonalen Gewaltenteilung sowie dem wachsenden Einfluss der religiösen Akteure manifest werden. So kann in medienkulturwissenschaftlicher Perspektive das Ergebnis der Politologin Ottaway bestätigt werden, dass es sich beim Senegal um ein semiautoritäres Land handelt. Denn „Wade did not see the institutions and the constitution as a given framework within which politicians had to live, but as infinitely pliable devices. And it became clear from his declaration that he saw democracy not as a system of checks and balances that constrained the activity of politicians at all times, but as a system in which the leaders had the power to govern without constant compromise, subject only to the populations right to review
181 Wades erfolgreiche Dramatisierungs- und Personalisierungsstrategien wurden beispielsweise bei der diplomatischen Mediation in den Krisen von Côte d’Ivoire, Madagaskar und Togo, bei der Vorstellung des NEPAD, bei seinen Einladungen zum G8-Gipfeltreffen sowie bei mehreren Stellungnahmen zum internationalen Terrorismus und zur Frage der Entschädigungsleistungen für den Sklavenhandel als Verbrechen an die Menschlichkeit sichtbar.
286
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
their performance periodically and decide whether to renew or to terminate their mandate.“ (2003: 104)
In diesem Sinne führt Wade die Politik seiner Vorgänger Senghor und Diouf fort und hat keine ‚Alternance‘ begründet. Diese Faktoren zeigen, dass der Senegal weit weniger der demokratische Modellfall Afrikas ist wie es die senegalesische Regierung darzustellen beliebt und wie einige internationale Akteure ihr darin bereitwillig folgen. Mit Blick auf seine autoritären und paternalistischen Tendenzen handelt es sich um eine demokratische Fassade, hinter der ein semi-autoritäres Modell zum Vorschein kommt. Es trägt zu mannigfachen Konflikten und Widersprüchen der senegalesischen Pressekultur bei. Denn wenn der politische und juristische Rahmen sowie die kulturellen Praktiken nicht demokratisch sind, bleibt die Effizienz der Medien beschränkt. Dieser Befund betrifft aber nicht nur die senegalesische Medienkultur, sondern weist auch die Inadäquatheit des liberalen Demokratiemodells in Afrika hin: „If African philosophies of personhood and agency stress interdependence between the individual and the community and between communities, and if journalists each identify with any of the many cultural communities seeking recognition and representation at local and national levels, they are bound to be torn between serving their communities and serving the ‚‚imagined rights-bearing, autonomous individual citizen of the liberal democratic model.“ (Nyamnjoh 2005: 28)
8 FORMELLE UND INFORMELLE KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN VON SENEGALESISCHEN AKTEUREN DER PRESSEKULTUR 8.1 ÜBERBLICK Die erste Fallstudie hat gezeigt, dass die senegalesische Pressekultur in den letzten zwei Jahrzehnten infolge des Demokratisierungsprozesses, der Ausweitung der Meinungsäußerungsfreiheit, der Pluralisierung, der in Aussicht gestellten Reform des Medienrechts und der Globalisierung große Transformationen erlebt hat. Der Zeitungsmarkt ist heute hinsichtlich der Anzahl an Blättern und an redaktionellen Inhalten diversifiziert. Die redaktionellen Leitlinien sind teilweise kritisch, die Inhalte manchmal innovativ und der Stil häufig charmant. Die Zeitungen haben sich erstaunlich gut von der Kolonialtradition emanzipiert und lokale Charakteristika ausgebildet. Der soziale Wandel vor allem in den Städten wurde vom Aufkommen der Boulevardpresse begleitet. Allerdings charakterisiert sich die senegalesische Pressekultur durch zahlreiche Konflikte. Nachdem das letzte Kapitel die Konflikte zwischen Presse und politischen, religiösen und Regulationsakteuren unter einer ethnographischen Perspektive behandelt hat, geht es nun um die Frage, wie diese Konflikte gelöst werden. Gemäß der zweiten Hypothese des EAM werden die medienkulturellen Konflikte sowohl durch formelle als auch durch informelle Strategien reguliert. Es wird sich dabei zeigen, dass die Journalisten in der Auseinandersetzung mit politischen und religiösen Akteuren auf die Autorregulation und auf zivilgesellschaftlichen Druck rekurrieren. Dagegen treiben der Mangel an Professionalität und die finanzielle Prekarität viele Redaktionen in die Arme des informellen Sektors. Die Informalität als Konfliktlösungsstrategie ermöglicht ihrerseits jedoch illizite
288
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Praktiken wie Betrug, Korruption und Gewalt. Damit führt sie selbst wiederum zu Konflikten.182
8.2 AUTOREGULATION UND ZIVILGESELLSCHAFT FORMELLE KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
ALS
Beim Diskurs über Autoregulation und Zivilgesellschaft sind die Konflikte um die Pressefreiheit, um die Einflussnahme von religiösen Akteuren und um die Professionalität und die Medienethik zu unterscheiden.
8.2.1
Konflikte mit politischen Akteuren
Mit den ritualisierten Verletzungen der Pressefreiheit zielt die senegalesische Regierung auf eine Verstärkung der Autoregulation oder sogar auf die Selbstzensur der Journalisten. Anlässlich der Verhaftung von Madiambal Diagne heißt es im von sämtlichen Tageszeitungen gemeinsam formulierten und publizierten Editorial: „Le pouvoir a évidemment choisi la stratégie de l’intimidation et l’escalade afin d’installer la panique dans nos rangs. Cette option bien pensée, savamment planifiée et froidement exécutée, a pour objectif clair de semer une honteuse culture d’auto-censure dans les rédactions.“ (Le Quotidien 2004: 1)
Allerdings gelingt es dem Mediensektor und der Zivilgesellschaft mit ihren koordinierten Protestaktionen immer wieder, die Journalisten aus der Untersuchungshaft zu befreien oder die Gerichte zu einer vergleichsweise milden Bestrafung zu bewegen.183 Bei diesen rituellen Auseinandersetzungen handelt es sich aber nur mehr als ein ‚Schattenboxen‘ der verschiedenen Akteure, wie dies Chabal und Daloz (1999: 21f.) annehmen. Denn mit den kontinuierlichen Konflikten trägt die Regierung dazu bei, dass es immer weniger investigativen 182 Die in diesem Kapitel zusammengetragenen Informationen stammen hauptsächlich aus informellen Konversationen und Beobachtungen. Sie werden durch Datenmaterial aus Leitfadeninterviews, Gruppendiskussion und Umfragen ergänzt. 183 Zu Zivilgesellschaft in Afrika siehe: Gosewinkel (2004), Kasfir (1998) und Okigbo (2000). Zu unterstreichen ist Nyamnjohs Hinweis, dass bei der Adaption des Konzeptes der Zivilgesellschaft vermieden werden muss „taking civil society to mean a Eurocentric index of accomplishment to which Africa’s difference becomes a deviation of a deficit to be corrected at all cost“ (2005: 30).
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
289
Journalismus gibt. Außerdem spielt die Regierung „la carte de la décrispation et convie les journalistes au dialogue permanent et au sens des responsabilités“ (Gueye 2006: 36). Um ihre Unabhängigkeit gegenüber der Regierung und der Justiz einigermaßen zu behaupten, hat sich die Tendenz zur Autoregulation verstärkt. Davon zeugt auch die regelmäßige Organisation von mediatisierten Seminaren, Workshops und Gruppendiskussionen, die sich mit den Themen Pressefreiheit und journalistische Verantwortung beschäftigen. Die Journalisten nehmen an ihnen als Referenten, Zuhörer und Berichterstatter teil. Eine weitere Strategie, die unter den Oberbegriff Autoregulation gefasst werden kann, besteht darin, dass die Redaktionen ein politisch heikles Thema einem externen Autor überlassen. Diese Beiträge werden dann in der unverdächtigen Rubrik Leserbriefe abgedruckt. In einigen Fällen schreiben sogar hauseigene Journalisten unter einem Pseudonym einen ‚Leserbrief‘. In diesem Sinne kann man der Feststellung zustimmen, dass es das Verdienst der Leserbriefseiten sei „s’affranchir de certaines limites culturelles qui obstruent la liberté d’expression, c’est surtout d’offrir un espace organisé qui permet au public de se prononcer sur cette question fondamentale dans l’affermissement de l’Etat de droit au Sénégal. Véritable tribune démocratique des citoyens, il s’y exprime tout le ressentiment du peuple révolté par les agissement de certains marabouts qui font un usage excessif de leur pouvoir.“ (Loum 2003: 222)
Ein Beispiel: Um kritisch über die militärische Intervention in GuineaBissau berichten zu können, publizierte die Redaktion von Le Matin „une contribution extérieure sur la nature, les enjeux et les conséquences du conflit bissau-guinéen, qui questionne les justifications et l’opportunité de l’intervention“ (Koudawo 2001: 129).
8.2.2
Konflikte mit religiösen Akteuren
Mit Ausnahme der Wochenzeitungen Le Cafard Libéré und Le Témoin, die mit der Kritik an den Machenschaften von religiösen Akteuren ihr redaktionelles Profil zu stärken suchen, behandeln die Printmedien das Religionsthema mit größter Vorsicht und Zurückhaltung. Die wenigsten Redaktionen sind bereit, die muslimischen Bruderschaften öffentlich zu kritisieren oder über ihre mitunter fragwürdigen Aktivitäten zu berichten. In informellen Konversationen geben die Journalisten an, dass die Respektierung des Kodex des sozialen Konformismus der Selbstzensur gleichkommt. „Au refus responsable de franchir certaines barrières culturelles comme le pouvoir maraboutique qui se dresse quelquefois devant la liberté d’expression.“ (Loum
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
2003: 238) Die Redaktionen halten sich mehrheitlich an die Abmachung, die heiklen religiösen Themen auszusparen oder höchstens im Rahmen der Leserbriefe abzuhandeln. Es lassen sich drei Hauptgründe für diese Verhalten angeben. Erstens sind die Printmedien um die Sicherheit ihrer Journalisten besorgt, denn die Anhänger der religiösen Leader schrecken nicht vor Gewaltausübung zurück (vgl. Kapitel 7.4.2). Zweitens sind sie aus wirtschaftlichen Gründen teilweise auf die finanzielle Unterstützung der Marabuts angewiesen. Drittens unterstützen sowohl ein Teil der Verlagsbesitzer als auch des Publikums den senegalesischen Gesellschaftsvertrag als kulturelles Vermächtnis.
8.2.3
Konflikte um Professionalität und Medienethik
Hinsichtlich des Mangels an Professionalität und Medienethik besteht das Ziel der Autoregulation darin, die Medienakteure für ihre politische und gesellschaftliche Verantwortlichkeit in der täglichen Ausübung ihres Metiers zu sensibilisieren: „Face à la multiplication des dérives et conscients du fait que le manque de professionalisme peut porter préjudice à tous, les éditeurs et les journalistes sont soucieux de responsabiliser l’ensemble du secteur.“ (Duplat 2002: 12) In diesem Kontext spielen sowohl die Redaktionsleitlinien von Zeitungen wie Sud Quotidien als auch die institutionalisierten Autoregulationsbehörden eine große Rolle. Der Presserat CRED wird in seiner Aufgabe von weiteren Behörden oder Vereinigungen wie der Gewerkschaft SYNPICS, der Union des Journalistes de l’Afrique de l’Ouest (UJAO), dem Afrikabüro der Féderation Internationale des Journalistes (FIJ), dem Programm Media for Democracy, der l’Association des Professionnelles Africaines de la Communication (APAC), dem Collectif des Journalistes pour la Défense de la Liberté de Presse (COJODEP) und dem Club de la Presse unterstützt. Dem vom ehemaligen Journalisten Mbaye Sidy Mbaye präsidierten CRED kommt die Aufgabe zu, über die Einhaltung der medienethischen Richtlinien einerseits und den Schutz der Pressefreiheit andererseits zu wachen sowie zwischen Politik, Gesellschaft und Journalismus zu vermitteln. Bei medienethischen Verletzungen spricht der CRED Verwarnungen aus. Über sein moralisches Gewicht hinaus kann er in gewissen Fällen auch die Nationale Kommission für die Bewilligung der Presselizenz informieren, die sich eine Sanktionierung der fehlbaren Journalisten vorbehält. Allerdings ist Effizienz der institutionellen Autoregulationsbehörde als bescheiden zu bezeichnen. „Le poids moral ne suffit pas à faire une police dissuasive.“ (T. Kassé 2004: 21) Das beschränkte Budget, die mangelhafte Ausstattung und die unregelmäßige Fluktuation von Ratsmitgliedern erklären diese Passivität nur teilweise. Eine wichtige Voraussetzung für die Lösung
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
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von medienethischen Konflikten ist das Vorhandensein einer autokritischen Einstellung der Journalisten. Dies ist aber häufig nicht der Fall. Außerdem läuft das Funktionieren einer institutionalisierten Autoregulation der senegalesischen Kultur der Teranga zuwider. Danach gilt es als verpönt, andere Personen direkt zu kritisieren oder anzugreifen. Aus diesem Grund fällt es den ehemaligen Journalisten, die im CRED Einsitz genommen haben, schwer, ihre fehlbaren Kollegen zu mahnen.
8.3 MEDIENÖKONOMISCHE KRISE Bevor über Informalität, Betrug, Korruption und Gewaltausübung als weitere Konfliktlösungsstrategien gesprochen wird, ist ein Zwischenschritt einzulegen. Denn diese Praktiken sind genauso wie der Mangel an Professionalität eine Folge der ökonomischen Krise. Sie hat den Senegal im Allgemeinen und seinen Mediensektor im Besonderen erfasst. Auch die bereits oben angesprochene Externalisierungsstrategie der Alternance Regierung, die versucht, ihr Land als Globalisierungsgewinner, als Partizipant des weltweiten Interaktionsnetzes und als ökonomischer Riese der westafrikanischen Region darzustellen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die senegalesische Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt.184
8.3.1
Nationalökonomische Kontext
Das Bruttoinlandsprodukt Senegals betrug im Jahr 2003 5,6 Mrd. US$ (Weltbank 2005). Ausgelöst durch die Abwertung des franc CFA 1994 betrug das Wachstum seither durchschnittlich 5%, seit 2003 sogar 6,5%. Der Senegal verzeichnet damit ein höheres Wachstum als die regionale Währungsgemeinschaft CEDEAO.185 Allerdings bleibt das BIP zu schwach, um die Armut verringern zu können.186 Das se-
184 Zur Ökonomie Senegals siehe: Daffé (2002) und M. L. Diallo (2004). 185 „Die Gründe für die Verschlechterung des westafrikanischen Wachstums des BIP liegen neben der schlechten klimatischen Bedingungen vor allem an den zivilen und politischen Unruhen in Ländern, wie Guinea, Sierra Leone, Elfenbeinküste und Nigeria. Besonders schwerwiegend wirkt sich dabei der wirtschaftliche Rückzug der Elfenbeinküste aus, das normalerweise 40% des westafrikanischen BIP repräsentiert. Aufgrund ihrer politisch instabilen Situation und der bürgerkriegsartigen Unruhen bevorzugen nun viele ausländische Investoren die senegalesische Republik.“ (Wolf 2004: 95) 186 Das Bevölkerungswachstum liegt bei 2,3% und die Inflation bei 0,9%. Die niedrige Inflationsrate hängt in erster Linie damit zusammen,
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
negalesische Pro-Kopf-Einkommen beträgt 540 US$. Nicht zuletzt aufgrund dieser niedrigen Ziffer hat sich der Senegal Ende 2000 dazu entschieden, der Liste der Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) beizutreten. Weitere Gründe für diese Entscheidung liegen in der ungenügenden menschlichen Entwicklung sowie der hohen wirtschaftlichen Instabilität und Verwundbarkeit.187 Die Motivation, in die HIPC Liste aufgenommen zu werden, kann vor allem durch zwei Aspekte begründet werden: Zum einen erhofft sich der Senegal dadurch einen besseren Marktzugang auf ausländische Märkte (insbesondere der EU) und die Beseitigung tarifärer Handelsbarrieren. Zum anderen hofft das Land auf weitere Entwicklungsgelder, um die Wettbewerbsnachteile wie Infrastruktur und menschliche Entwicklung reduzieren zu können. Die Entwicklungshilfe betrug 2003 450 Mio. US$, wobei allein 40 Mrd. francs CFA (100 Mio. CHF) durch den Beitritt zur PPTE erzielt worden sind (Dahou/Foucher 2004: 11f.). Die senegalesische Nationalökonomie charakterisiert sich durch eine unproduktive Landwirtschaft, einen florierenden Fischfang und einen Dienstleistungssektor, der vor allem vom Tourismus und den Transferleistungen senegalesischer Migranten lebt. Der primäre Sektor ist mit 16,8% der kleinste Wirtschaftszweig. Da aber über 50% der senegalesischen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, sagt diese Ziffer vor allem etwas über die geringe Produktivität der Landwirtschaft aus.188 „Le déclin de l’agriculture se poursuivra aussi longtemps que celle-ci dépendra d’une pluviométrie erratique. Les variations brutales de la production et des revenus ruraux qu’elle engendre empêchent tout investissement important dans l’agriculture.“ (Dansokho 2003: 13) Der Anteil des sekundären Sektors an der Gesamtwirtschaft beträgt 21,2%.189 Die meisten Industriezweige produzieren dabei ausschließlich für den einheimischen Markt und können ihre Produktion nur mit Hilfe von Importen absichern. Der mit 62% größte Wirtschaftszweig ist der Dienstleistungssektor. Zum einen besteht der Sektor aus den formellen Bereichen Tourismus, Bankenwesen, Telekommunikation und Transport. Allein 10% des BIP werden von den Überweisungen der senegalesischen Diaspora geleistet, die zwischen 1,5 und 3 Mio. Menschen beträgt. Sie überweisen zwischen 300 und 500 Mio. Euro pro Jahr in die Heimat. „Le véritable moteur de dass der Franc CFA an den Euro gekoppelt ist, wobei ein fester Wechselkurs die Preisstabilität garantiert. 187 Im Human Development Index nimmt der Senegal mit einer Ziffer von 0,458 nur den 157. von 177 Plätzen ein (UNDP 2005: 221). 188 Angebaut werden vor allem Erdnüsse und in geringerem Maße Baumwolle, Reis, Obst und Gemüse. 189 Die wichtigsten Zweige sind die Lebensmittel- und Textilindustrie, die chemische Industrie, der Hoch- und Tiefbau, die Energiegewinnung und das Handwerk.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
293
l’économie sénégalaise, c’est donc aujourd’hui la rente migratoire.“ (Dahou/Foucher 2004: 8) Zum anderen besteht der Dienstleistungssektor auch aus dem informellen Sektor, in dem mehr als 50% der Bevölkerung tätig sind. Die wichtigsten Berufsgruppen sind die Hausangestellten und die Straßenverkäufer. Angesichts dieses Kontexts ist es nicht verwunderlich, dass die Investitionsrate unter dem Niveau der Schwellenländer liegt. „Um die Rate zu erhöhen, muss vor allem die Mobilisierungsfähigkeit des inländischen und ausländischen Kapitals und der institutionelle Rahmen der Investitionen verbessert werden.“ (Wolf 2004: 98) Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Importen, der geringen Exporten und der schwachen Investitionstätigkeit weist die Zahlungsbilanz 2002 ein Defizit von 411 Mio. US$ auf. Die Verschuldung betrug im Jahr 2004 2,5 Mrd. US$. Trotz einiger positiver Entwicklungstrends muss unter dem Strich festgestellt werden, dass das Land im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Ländern arm an Naturressourcen ist, über eine instabile Agrikultur und einen inkompetitiven Industrie- und Dienstleistungssektor verfügt sowie ein Arbeitslosigkeit von 48% ausweist. Aufgrund der schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen, den hohen Sonderabgaben,190 der schlechten Infrastruktur und den mit der Informalität verbundenen Unsicherheiten bleiben die Investitionen insgesamt gering. Das Land kann höchstens peripher an der Globalisierung teilnehmen.
8.3.2
Sprachkompetenz
Das Hauptproblem für die Rentabilität der Printmedien besteht in der geringen, unregelmäßigen und zahlungsschwachen Leserschaft. Denn obwohl es der Boulevardpresse und den Special Interest Magazinen gelungen ist, ihr Publikum demographisch und sozial auszuweiten, bleibt die Leserschaft bei einer offiziellen Alphabetismusrate von nur 39,3% der Erwachsenen insgesamt beschränkt (UNDP 2005: 221). Die Bevölkerungsmehrheit bringt die Bildungsvoraussetzungen für die Lektüre der größtenteils in Französisch geschriebenen Presse nicht mit. Die senegalesische Sprachlandschaft charakterisiert sich bei einer Bevölkerung von knapp zehn Millionen Menschen durch die Koexistenz einer Vielzahl von Sprachen, die zu einem weitverbreiteten Multilingualismus führt. Neben der Amtssprache Französisch ist Wolof die wichtigste Sprache. Es wird von etwa 80% der Bevölkerung ge-
190 Die Mehrwertsteuer beträgt 18%, die Zölle maximal 20%, außerdem ist mit der Bezahlung von Schmiergeldern zu rechnen.
294
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
sprochen (davon 44% als Muttersprache).191 Die Graphisierung kann in lateinischer und arabischer Transkription erfolgen. Außerdem gibt es mit Pulaar (22%), Serer (13%), Diola (10%), Mandinka (5%) und Soninke (1,4%) fünf weitere offizielle Nationalsprachen, die transnationalen Einflüssen unterstehen und eine Vielzahl von lexikalischen und grammatischen Ähnlichkeiten aufweisen. Daneben bestehen 14 Minderheitensprachen (Pélissier 1983). Im Folgenden soll auf das Spannungsverhältnis zwischen Amtsund Nationalsprache sowie auf einige Aspekte der senegalesischen Sprachpolitik näher eingegangen werden. Sprachpolitisch spielen die Nationalsprachen nach wie vor eine untergeordnete Rolle gegenüber der Amtssprache Französisch, die in vier Funktionen auftritt. Erstens als Hauptsprache der Massenmedien, zweitens als Schriftsprache, drittens als Bildungssprache und viertens als Verkehrssprache unter Politikern, Geschäftsleuten und Touristen. Die Vorherrschaft des Französischen wird mit vier Argumenten gestützt: Es bewahre die nationale Einheit, es sei die einzige Sprache, die es erlaube, auf internationaler Ebene Einfluss auszuüben, es garantiere die Teilnahme am globalen Wissenschafts- und Kulturaustausch und ferner sei keine einzige der Nationalsprachen in der Lage, die Rolle des Französischen zu übernehmen. Über seine Funktionalität hinaus symbolisiert das Französische für die Mehrheit der senegalesischen Sprecher die nationale Identität. Dagegen symbolisieren die nationalen Muttersprachen als Sprachen der Alltags- und Privatkommunikation „die ethnische und/oder afrikanische Identität“ (Gahlen/Geisel 1999: 219). Französisch als öffentliche Amtssprache und Wolof, Pulaar etc. als private Sprachen stehen sich also weitgehend antinomisch gegenüber. Sie erfüllen unterschiedliche Funktionen und ihnen werden unterschiedliche Werte zugemessen. „Dass sich die französische Sprache in absehbarer Zeit auch auf die bisher von den einheimischen Sprachen besetzten Domänen ausdehnen wird, ist aufgrund der aufgezeigten Sprachbewusstseinsinhalte nicht anzunehmen.“ (ebd.: 182) Für die Mehrheit der Senegalesen ist das Französisch also eine fremde Sprache geblieben. Diese Situation zeitigt für das Bildungssystem schwerwiegende Folgen. Das hängt damit zusammen, dass auf Primar- (besucht von 57% der Kinder), Mittel- (21,6%) und Sekundarstufe (10,2%) der Unterricht ausschließlich in Französisch stattfindet. Das bedeutet: das senegalesische Schulkind
191 Damit ist es die Lingua Franca des Senegals, die darüber hinaus auch in Gambia, Guinea-Bissau, Mali und Mauretanien bei insgesamt acht bis zwölf Millionen Westafrikanern Verwendung findet. Es weist hörbar Einflüsse der Sprachen Arabisch, Französisch Portugiesisch und neuerdings auch Englisch auf.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
295
„muss nicht nur lesen, schreiben und rechnen lernen, sondern muss dies noch durch das Medium des Französischen tun. Alle lernpsychologischen Untersuchungen zeigen, dass unter diesen Vorzeichen Lernerfolge sehr viel schwieriger zu erreichen sind, als wenn es in seiner Muttersprache unterrichtet wird." (Gerhardt 1999: 7)
Da diese Faktoren eine nachhaltige Alphabetisierung verhindern, spricht Seydou NތDiaye, Chefredaktor der in Wolof und Pulaar erscheinenden Montatszeitung Lasli/Njelbéen nicht von einer Krise der Zeitung, sondern von einer Krise der französischen Sprache. Sie sei den Westafrikanern von den Kolonialherren aufgezwungen worden und habe sich bis heute nicht in der Bevölkerung durchgesetzt (Int 1). Zwar hält NތDiaye am Konzept seiner nationalsprachlichen Zeitung fest, aber insgesamt stellt dieser Printmedientyp keine valable Alternative dar.192 Mit Bezug auf das in den 1990er Jahren gescheiterte Projekt des Ministeriums für Erziehung, in den Tageszeitungen Le Soleil, Sud Quotidien und Wal Fadjri jeweils zwei Seiten in Wolof zu publizieren, meint Coulibaly: „Dieses Projekt hat nur sechs Monate gedauert. Es war eine kurze Erfahrung. Für Zeitungen wie Lasli/Nëlbéen und Khassaides sehe ich kein nennenswertes Publikum. Die Menschen sind nicht in Wolof alphabetisiert. Sie sprechen Wolof, aber sie lesen es nicht. Für mich ist es weder die Ideologie noch der Militantimsus, die eine Zeitung ausmachen. Eine Zeitung verkauft sich, wenn es eine Leserschaft und einen Markt findet. Also Renaissance des Wolof, ich weiß nicht, auf alle Fälle nicht durch die Zeitungen, sondern eher durch das Radio wo die Nationalsprachen eher valorisiert werden.“ (Int 1)
192 N’Diaye erklärt das Konzept von Lasli/Nëlbéen: „Wir sind eine Qualitätszeitung mit Bildungsanspruch, die als linguistischen Beförderungsmittel zwei unserer Nationalsprachen gewählt hat: Pulaar und Wolof. Wir haben die afrikanischen Sprachen gewählt um unsere Bevölkerung zu informieren, die nicht die Fremdsprachen sprechen. Für uns macht das Recht auf Information nur dann Sinn, wenn es in der Muttersprache besteht. Die Zeitung Lasli/Nëlbéen ist ein glaubwürdiger Bestandteil der senegalesischen Medienlandschaft. Wir haben eine bedeutsame Leserschaft gewinnen können. Heute wird Lasli/ Njëlbéen in allen Dörfern im Fouta (Nordosten des Senegals) und in allen anderen Regionen des Landes gelesen. Es gibt sehr viele Menschen, die in unseren Sprachen alphabetisiert sind, aber die nichts zu lesen haben. Diese Lücke möchten wir ausfüllen. In der Fouta Region sind beispielsweise mehr als 50% der Bevölkerung in Pulaar alphabetisiert.“ (Int 1)
296
8.3.3
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Kauf- und Lektüreverhalten
a) Lektüreverhalten
Die beschränkte Alphabetisierung der Bevölkerung ist für die senegalesischen Zeitungsverlage fatal: „Bei uns ist Französisch eine Fremdsprache. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung spricht nicht Französisch. Die Zeitungen wenden sich an eine Elite, nicht an die Maße. Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, rühren daher, dass die Zeitungen nicht jenen Menschen zugänglich sind, die Französisch lesen und schreiben können“,
wie es die Journalistin Ly (Sud Quotidien) auf den Punkt bringt. Auch wenn die Mediennutzung im Allgemeinen und die Lektürepraktiken im Besonderen erst in Kapitel 9 ausführlich behandelt werden, ist an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die Nutzung der Printmedien angebracht. Hochgerechnet auf ganz Senegal ist es eine Gruppe von 28,6% der Bevölkerung, die Zeitung und/oder Zeitschrift liest.193 Hierbei sind nicht alphabetisierte Probanden eingerechnet, die sich Printmedien vorlesen lassen oder sich nur die Fotos ansehen. Es ist also nur rund ein Viertel aller Senegalesen, die überhaupt Printmedien nutzen. Die Nutzung der Printmedien fällt für die einzelnen Regionen sehr unterschiedlich aus. Während in der Metropole Dakar 69,7% der Bevölkerung Zeitung und/oder Zeitschrift lesen, sinkt diese Rate bereits in der Provinzstadt Diourbel im Landesinnern. Hier sind es noch 48% der befragten Personen, die angeben, Zeitung zu lesen. In den Dörfern rund um die Departementshauptstadt Sédhiou in der Casamance Region sind es sogar nur noch 6% der Probanden, die Printmedien nutzen. Wenn man den Datensatz nun danach filtert, welche Probanden angegeben, Zeitung zu lesen, so kommt man hinsichtlich der Lesehäufigkeit zu folgenden Ergebnissen: Von den 28,6% Lesern in Senegal lesen rund ein Drittel täglich und gelegentlich, 10% mehrmals die Woche und knapp ein Viertel selten. Auch bei der Lesehäufigkeit sind die regionalen Unterschiede groß. Während in Dakar 62,2% mehrmals die Woche zu den Printmedien greifen, macht diese Gruppe in Diourbel nur noch 16,7% und in Sédhiou gibt es überhaupt keine
193 Es sei an dieser Stelle nochmals daran erinnert, dass die Aussagen über die gesamte Bevölkerung Senegals im Gegensatz zu den Aussagen über die Regionen Dakar, Diourbel und die Dörfer um Sédhiou nur eine Schätzung darstellen. Sie wird hier vorgenommen, um einen ungefähren Überblick zu geben. Ausführlich siehe Kapitel 6.9.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
297
regelmäßigen Leser mehr. Hier liest ein Drittel der Probanden gelegentlich und zwei Drittel selten.194 Tabelle 5: Lesehäufigkeit von Zeitungen/Zeitschriften in % (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
(N = 143)195 (N = 209)196 (N = 48)
Sédhiou (N = 6)
Täglich
33,3
49,3
12,5
Regelmäßig
9,0
12,9
4,2
0
Gelegentlich
33,3
32,1
37,5
33,3
Selten
22,9
4,3
43,8
66,7
Keine Antwort
1,4
1,4
0
0
0
b) Auflagenhöhe und -fluktuation
Auch wenn Zeitung und Zeitschrift mehr genutzt werden als von der Forschungsliteratur bisher angenommen, ist ihre Nutzung in Senegal insgesamt als bescheiden zu bezeichnen. Unter anderem beschränkt sie sich weitgehend auf das urbane Gebiet. Diese Situation schlägt sich auch in niedrigen Auflagenhöhen der Zeitungen nieder. Allerdings gehören offizielle Auflagenzahlen zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Verlage. Die Redaktionen geben aus Prestigegründen entweder gar keine oder nur überhöhte Auflagenzahlen bekannt.197 Einzige Ausnahme bildet der wöchentlich erscheinende Gratisanzeiger Tam Tam, der damit wirbt, eine Auflage von 100.000 Exemplaren zu drucken.198 Die Auflagen der Tageszeitungen bewegen sich zwischen 3000 und 20.000 Exemplaren, wobei die Qualitätszeitungen durchschnittlich zwischen 6000 und 8000 Exemplare drucken (mit 15 bis 20% unverkauften Exemplaren). Mit Ausnahme von Le Soleil erzielen die Boulevardzeitungen insgesamt eine höhere Auflagen als die Qualitätspresse. Nach Aussage von Kiosk- und Straßenverkäufern spielt dabei nicht nur der Inhalt, sondern vor allem der Preis eine entscheidende Rolle (Befr 3). Die populären Zeitungen zu 194 Da dieses Ergebnis nur auf sechs Fällen beruht, ist der Erkenntniswert zu relativieren. 195 Dieser Datensatz ist nach Regionen gewichtet. 196 Die Datensätze von Dakar, Diourbel und Sédhiou sind nicht gewichtet. 197 Die einzige Möglichkeit, die exakte Auflagenhöhe in Erfahrung zu bringen, besteht darin, sich informell bei den Druckereien zu informieren. 198 Seit Februar 2006 gibt es die erste Gratiszeitung mit redaktionellen Inhalten. Die Wochenzeitung L’Hebdomaidaire gratuit druckte in den ersten Wochen eine Auflage von 10.000 Exemplaren.
298
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
100 francs CFA (0,25 CHF) würden sich besser verkaufen als die Qualitätszeitungen zu 200 francs CFA.199 In diesem Zusammenhang ist auch die Ansicht von vielen Lesern zu berücksichtigen, dass es keinen Unterschied hinsichtlich des Informationsgehalts zwischen günstigeren und teureren Zeitungen gibt. Wenn allerdings Leser eine Lieblingszeitung zu 200 francs CFA haben, dann weil sie davon überzeugt sind, dass der Inhalt qualitativ höheren Ansprüche erfülle. Insgesamt beträgt die Gesamtauflage der Tageszeitungen rund 100.000 Exemplare und die der Wochen- und Monatszeitungen 70.000 Exemplare. Tabelle 6: Auflagenhöhe (Konv) Zeitung
Zeitungstyp
Tam Tam
Gratisanzeiger
Auflagen 100.000
Le Populaire
Populärzeitung
20.000
Le Soleil
Regierungszeitung
16.000
Frasques
Boulevardzeitung
10.000
Mœurs
Populärzeitung
Walf
Qualitätszeitung
8000
L’Original
Qualitätszeitung
7000
Sud
Qualitätszeitung
7000
Le Matin
Qualitätszeitung
6000
9500
Le Quotidien
Qualitätszeitung
6000
Scoop
Populärzeitung
6000
L’Actuel
Populärzeitung
5000
Taxi
Populärzeitung
4000
Lasli/ Njëlbéen
Special Interest
3500
Info 7
Qualitätszeitung
3000
Le Journal de l’Economie
Special Interest
3000
Ein Charakteristikum der senegalesischen Pressekultur ist die hohe Auflagenfluktuation. Die Auflagenhöhe ist dabei an wichtige öffentliche Ereignisse gebunden.200 Während 20,3% der befragten Leser ihre Zeitung unabhängig von den tagesaktuellen Ereignissen und öffentlichen Debatten kaufen, geben 79,7% der Probanden an, dass wichtige Ereignisse sie zum Kauf von Zeitungen animieren. Am häufigsten ge199 Da die populären Blätter mit 100 Franc CFA nur halb soviel kosten wie die Qualitätszeitungen, hat sich eine Diskussion über die Frage entspannt, ob der Boulevard zu einem kollektiven Selbstmord der Presse beiträgt (Amekudji 2001: 6). Es wird argumentiert, dass sie durch die geringen Verkaufseinnahmen eine vorübergehende Unrentabilität in Kauf nehmen, um das Preisgefüge des Marktes zu zerstören und die seriöse Konkurrenz unter Druck zu setzen. 200 Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die offene Befragung 2 (N = 59).
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
299
lingt es politischen Ereignissen, die Leser zu mobilisieren. 67,8% der befragten Leser geben an, Zeitungen aufgrund von Wahlkampf, Kontroversen und Skandalen zu kaufen. „Ce sont les meilleurs moments de vente, les Sénégalais étant surtout avides d’informations politiques à chaud.“ (Niasse 2003: 76) Als Beispiele lassen sich die Auslieferung französischer Staatsbürger ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Senegal im Frühjahr 2003 oder die Inhaftierung des ehemaligen Premierministers Idrissa Seck im Juli 2005 nennen. Solche Ereignisse können während Tagen oder Wochen die Agenda bestimmen und durch Berichte, Kommentare und Leserbriefe vertieft werden. In solchen Zeiten gelingt es den Zeitungen, eine mitunter vierfache Auflagenhöhe zu erzielen. Auch der Sport mit 57,6% Nennungen gehört zu den Themen, die verkaufsentscheidend sein können. Insbesondere die Sportwettkämpfe am Wochenende bringen den Verlagen höhere Auflagen am folgenden Montag ein. Darüber hinaus machen sich Zeitungen wie Wal Fadjri die Sportbegeisterung der Senegalesen bei Grossanlässen (zum Beispiel die Fußball-Weltmeisterschaft) zu Nutze, um Sonderausgaben zu drucken, die sich sehr gut verkaufen. Der drittwichtigste Ereignistyp, die boulevardesken Vermischten Meldungen, sind für 28,8% der Probanden ein Kaufargument. Hierzu zählen Themen wie Naturkatastrophen (zum Beispiel die Heuschreckenplage 2004), Unglücke (zum Beispiel Untergang des Schiffes Joola 2002 mit mehr als 1800 Todesopfern) oder unerhörte Begebenheiten aus dem Umfeld von Sex and Crime. Gerade bei den Boulevardzeitungen führen reißerische Aufmacher oder skandalöse Bilder zu einer Vervielfachung der Auflage. So hat die Boulevardzeitung Frasques im Juni 2003 mit dem Abdruck des Fotos eines senegalesischen Transvestiten 50.000 Exemplare verkauft.201 Für 20,3% der befragten Leser sind schließlich auch religiöse Ereignisse entscheidend für den Kauf einer Zeitung. Als Beispiele lassen sich religiöse Feiern (Grand Magal, Tabaski, Pilgerreisen), die kontroverse Auseinandersetzung um die Einführung des islamischen Familienrechts oder auch der Skandal um den Kauf einer Luxuslimousine des Marabut Serigne Mansour nennen. c) Ausleihe
Bevor in Kapitel 9 die Mediennutzung im Allgemeinen und die Lektürepraktiken im Besonderen ausführlich beschrieben und diskutiert werden, sollen an dieser Stelle bereits zwei Zwischenergebnisse aus dem hier dargelegten Datenmaterial festgehalten werden. Erstens wird
201 Die Boulevardpresse ist insgesamt stärkeren Schwankungen unterworfen wie die Qualitätspresse. Während Mœurs im Jahr 2001 wöchentlich bis zu 40.000 Exemplare absetzen konnte, pendelte sich die Auflage zwei Jahre später bei knapp 10.000 Exemplaren ein.
300
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
die Zeitung im urbanen Gebiet Senegals (41% der Gesamtbevölkerung) von mehr als der Hälfte der befragten Personen zumindest regelmäßig gelesen. Entsprechend sagt ein Zeitungsverkäufer: „Die Mehrheit der Senegalesen möchte Zeitungen kaufen und man sollte sie dabei finanziell unterstützen.“ (Befr 3) Dagegen nimmt die Häufigkeit auf dem Land (59% der Bevölkerung) rapide ab. Zweitens ist es unleugbar, dass die Rentabilität der Zeitungen durch Faktoren wie Analphabetismus und mangelnde Lesegewohnheit belastet wird. Setzt man allerdings Lesehäufigkeit und Auflagenhöhe in Beziehung, so zeigt es sich, dass der entscheidende Faktor in der defizitären Kaufbereitschaft der Leser gesucht werden muss. Viele Senegalesen lesen zwar gerne, aber sie sind nicht bereit, dafür Geld auszugeben bzw. ihr Budget erlaubt es ihnen nicht, das Geld für Zeitungen auszugeben. Folglich leihen sich die Menschen Zeitungen aus: „Un autre fait social qui vient aggraver celui de l’illettrisme reste le développement des réseaux de solidarité qui, en dépit des aspects positifs sur le plan communautaire, comporte par ailleurs un effet pervers pour l’économie des organes de presse. Car, il arrive le plus souvent qu’un seul exemplaire de journal serve à informer une dizaine de personnes, voire plus.“ (Loum 2003: 132)
Die von einer Person gekauften Zeitungen zirkulieren im Laufe des Tages im Büro, in der Familie oder in der Nachbarschaft. Die in der Öffentlichkeit durchgeführten systematischen Beobachtungsrundgänge haben gezeigt, dass Printmedien an den unterschiedlichsten Orten und Treffpunkten ausliegen und hier auch genutzt werden. Die ist der Fall in Büros, Télécentres, Tanganas (Frühstücksbuden), an den Ständen von Souvenirverkäufern auf dem Marché Sandaga, Fischverkäufern auf dem Marché Kermel, Brotverkäufern auf dem Marché Tilène, von stationären Getränkeverkäufern oder Schuhputzern. Auch die große Berufsgruppe der Wächter lässt die Zeitungen zirkulieren – man sieht sie häufig in Hauseingängen lesen. Außerdem zeigt sich bei der Beobachtung des Lektüreverhaltens in Bars, Cafés und Restaurants, dass viele Leser Zeitungen ausleihen. Beim Laetitia handelt es sich um ein Luxus-Café in unmittelbarer Nähe der Ministerien in der Dakarer Innenstadt. Hier kommen vormittags Staatsangestellte und Geschäftsleute zum Kaffeetrinken. 23,9% von ihnen lesen, wobei sie zu 97,8% ihre Printmedien selbst mitbringen. Sie werden vor dem Café zum Kauf angeboten. Im in der Dakarer Innenstadt gelegenen Restaurant Palmaraie liegen eine Vielzahl von Zeitungen und Zeitschriften zur kostenlosen Lektüre aus. 13,7% der beobachteten Gäste haben hier gelesen, wobei 82,7% der Leser das Angebot der ausliegenden Printmedien nutzen. Bei der Communauté Bar
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
301
handelt es sich um eine Bar im Dakarer Stadtteil Médina. Hier lesen ebenfalls 13% der Gäste. Während 40% ihre Zeitungen selbst mitbringen, nutzen 60% der Leser die von anderen Gästen mitgebrachten Printmedien zur Lektüre. In der Communauté Bar, einem Unterschichtrestaurant, lesen nur 2,1% der Gäste. Die wenigen Leser bringen ihre Zeitungen in der Regel mit. Tabelle 7: Ausleihe (Beob 3) Gäste
Leser
Häufig-
Häufig-
keit
keit
in %
Ausleihe
Eigener Besitz
(in %)
(in %)
Laetitia
377
90
23,9
2,2
97,8
Palmaraie
378
52
13,8
82,7
17,3
Communauté Bar
75
10
13,3
60,0
40,0
Diécko
234
5
2,1
20,0
80,0
d) Abonnement
Die senegalesischen Zeitungen werden über Abonnements sowie über den Kiosk- und Straßenverkauf vertrieben. Zwar bietet die Mehrheit der professionell geführten Verlage der Qualitätszeitungen ein Abonnement an, aber nur Le Soleil kann mit 3000 Exemplaren auf diesem Wege eine ansehnliche Anzahl ihres Produktes absetzen. Abonnenten der Tageszeitung sind in erster Linie die staatliche Behörden, Nichtregierungsorganisationen oder Botschaften. Bei den übrigen Verlagen spielt das Abonnement eine vollkommen untergeordnete Rolle.202 Die geringe Verbreitung von Abonnenten wird auch von der offenen Befragung bestätigt: kein einziger Leser hat eine Zeitung abonniert. Mit Bezug auf die geringen Abonnementszahlen kritisiert Coulibaly die geringe Bindung zwischen den Zeitungen und den Lesern: „Wenn Sie in der Schweiz eine Zeitung kaufen, dann machen Sie das, um Informationen zu erhalten. Aber bei uns kauft man eine Zeitung um zu lesen, was man hören möchte. Normalerweise kann eine Zeitung etwas sagen, was Sie nicht mögen, trotzdem bleibt sie ihre Zeitung. Das ist überall so. Ich habe während sieben Jahren in Kanada gelebt und dort stehen Sie am Morgen auf und nehmen Ihre Zeitung. Sie achten nicht auf die Schlagzeile bevor Sie sie kaufen. Sie kaufen sie, weil es Ihre Zeitung ist und weil Sie wissen, das Sie darin Informationen finden werden.“ (Int 1)
202 So verfügt die Zeitschrift Nouvel Horizon beispielsweise nur über 100 Abonnenten.
302
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
e) Kioskverkauf
Das Zitat des Sud-Journalisten enthält eine wichtige Präzision. Die Abhängigkeit des Zeitungskaufs von wichtigen öffentlichen Ereignissen schlägt sich nach Coulibaly darin nieder, dass die Menschen erst die Schlagzeilen der am Kiosk ausgehängten Zeitungen lesen, bevor sie ihre Kaufentscheidung treffen. Diese Aussage wird durch die Befragung von Kiosk- und Straßenverkäufern genauso wie durch die Beobachtung des Kaufverhaltens am Kiosk bestätigt. Dabei zeigt es sich, dass 64,4% der Probanden die Überschriften auf der Titelseite miteinander vergleichen. Aus diesen Daten kann geschlossen werden, dass die Kundenbindung zu bestimmten Zeitungstiteln nur sehr schwach entwickelt ist. Ein noch größerer Anteil geht über eine solch komparative Entscheidungsfindung hinaus und liest in einer oder mehreren Zeitungen. 85% der Kioskkunden lesen in den Zeitungen, wobei sich mehr als die Hälfte davon Zeit für eine aufmerksame Lektüre nimmt. Nur 36,6% bzw. 8,4% sehen die Zeitungen schnell durch oder konzentrieren sich auf die Fotos. Dieses Verhalten kann mit den finanziellen Engpässe viele Senegalesen erklärt werden. Ein Leser erklärt die typische Situation: „Die Senegalesen haben sehr begrenzte Mittel. Nehmen wir an, dass ich zwei Münzen zu 100 francs CFA habe, in die Stadt und wieder zurück muss. Ich muss also zwischen dem Bus und dem Kauf von Wal Fadjri wählen. Das bedeutete aber zu laufen. Aus diesem Grund werde ich also die Schlagzeilen am Kiosk lesen oder auf jemanden warten, der mir seine bereits gelesene Zeitung leihen kann. Auf diese Weise liest du die Zeitung quer und bist zumindest für den Tag informiert.“ (Int 2)
Da viele potenzielle Leser keine Mittel für den Kauf einer Zeitungen aufbringen können, kommen sie an den Kiosk, um sich zu informieren: „Meistens lesen die Senegalesen die Schlagzeilen, aber sie kaufen nicht.“ (Int 2) Zwar wird das Lesen von Printmedien und das Vergleichen von Schlagzeilen am Kiosk als Werbestrategie und qua Gewohnheitsrecht geduldet, aber es gibt auch Kioskbetreiber, die diese Praxis nicht gutheißen: „Es ist nicht in Ordnung, die Artikel im Innenteil der Zeitung zu lesen, bevor man die Zeitung erworben hat.“ (Befr 3) Denn der Vertrieb verzeichnet genauso wie die Redaktionen Einbußen durch die Tatsache, dass nur ein Drittel der Probanden, die am Kiosk beobachtet wurden, eine Zeitung kaufen. Von den insgesamt beobachteten Probanden haben 36,5% eine Zeitung gekauft.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
303
Tabelle 8: Kaufgründe (Beob 2; N = 312) Kaufgrund
in %
Schlagzeile
62,3
Lieblingszeitung
30,7
Mundpropaganda
2,6
Presseschau
2,6
Verkaufsberatung
0,9
Keine Antwort
0,9
Die Befragung der Käufer ergibt, dass die Schlagzeile auf der Titelseite in 62,3% der Fälle der wichtigste Grund für den Kauf einer bestimmten Zeitung ist. Der Konkurrenzkampf, der zwischen den Zeitungen zu 100 francs CFA besonders hart ist, wird also vornehmlich über die Schlagzeile des Titelblatts ausgetragen. Sie ist am Kiosk für jedermann ersichtlich und entscheidet täglich über den Erfolg oder Misserfolg einer Ausgabe. Dieser Konkurrenzkampf ist aber nicht ganz ungefährlich, denn viele Leser haben die redaktionelle Strategie unterdessen erkannt: „Sie wählen pompöse Schlagzeilen, aber der Inhalt ist leer und dann bist du enttäuscht“ (Int 2), wie ein Leser bekennt. Nebst der Schlagzeile ist auch noch das Titelfoto von großer Bedeutung. Der Fotojournalist Diatta (Le Soleil) erklärt: „Es ist das Foto, das die Leser anzieht, wenn die Zeitungen am Kiosk aushängen. Sie lesen nicht den Text, sondern wenn das Foto schockierend ist, kaufen sie automatisch die Zeitung.“ Nach Aussage der befragten Kiosk- und Straßenverkäufer, treffen viele Leser ihre Kaufentscheidung intuitiv, wenn die Schlagzeile reißerisch oder das Foto skandalös ist. Nebst der Schlagzeile gibt es aber doch auch eine ansehnliche Anzahl von knapp einem Drittel der Käufer, die immer dieselbe Zeitung kaufen würden. Die Presseschau, die Mund-zu-Mund-Propaganda und die Verkaufsberatung des Kioskbesitzers spielen bei der Kaufentscheidung dagegen praktisch keine Rolle. Vorwegnehmend kann also festgestellt werden, dass die Presseschauen am Radio nicht zum Verkauf der Zeitungen beitragen, sondern ein alternatives Medium darstellen. Je nach eingesetzter Methode erwerben 24,6% (Beob 2) oder 52,5% (Befr 2) mehrere Printmedien.203 In der Regel handelt es sich um Leser, die an einem bestimmten Thema (zum Beispiel ein Ringkampf) interessiert sind, zu dem sie sämtliche Informationen zusammentragen möchten. In einigen Fällen geht es ihnen auch darum, die verschiedenen Meinungen und Perspektiven der Journalisten zu einem 203 Die unterschiedlichen Ergebnisse erklären sich dadurch, dass bei der offenen Befragung nur regelmäßige Leser befragt wurden. Es ist wahrscheinlich, dass sie bereit sind, auch mehrere Zeitungen zu kaufen.
304
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
kontrovers diskutierten Themas von öffentlichem Interesse zu erfahren. Die Mehrheit der am Kiosk beobachteten Probanden (63,5%) kauft allerdings keine Zeitung. Tabelle 9: Gründe für den Nicht-Kauf (Beob 2; N = 312) Gründe Keine interessanten Themen
in % 20,2
Information via Schlagzeile
19,2
Kein Geld
15,2
Keine Gewohnheit
12,6
Bereits gekauft
12,1
Kauf zu einem späteren Zeitpunkt
9,6
Lieblingszeitung ausverkauft
7,1
Nicht alphabetisiert
1,0
Keine Antwort
3,0
Die Gründe, die Zeitungen nur zu lesen, aber nicht zu kaufen, sind vielfältig. Nach den Aussagen der Leser ist die Armut (15,2%) dabei allerdings nicht der wichtigste Grund. Häufiger wird genannt, dass sie beim Durchblättern keine interessanten Themen gefunden hätten und deshalb vom Kauf absehen würden (20,2%) oder dass sie sich nur über die Schlagzeile informieren würden (19,2%). Einige Probanden haben vorher schon eine Zeitung gekauft (12,1%) und kommen nochmals zum Kiosk zurück, um andere Blätter durchzusehen. Wiederum andere haben feststellen müssen, dass ihre Lieblingszeitung bereits ausverkauft ist (7,1%). In diesem Fall verzichten sie lieber ganz auf den Zeitungskauf. Schließlich gibt es noch eine Gruppe von Lesern, die aus Gewohnheit nicht kauft (12,6%) oder die eine Zeitung im späteren Verlauf des Tages kaufen möchte (9,6%). Ein interessantes Detail der Beobachtung ist, dass es auch einige Analphabeten gibt, die an den Kiosk kommen, um sich die Fotos anzusehen (1%). In den letzten Jahren sind immer mehr Télécentres dazu übergegangen, auch Zeitungen anzubieten. Da die meisten Haushalte über keinen Telefonanschluß verfügen, gibt es an jeder Straßenecke in den Städten, immer mehr sogar auch in den Provinzen, privat betriebene Telefonkabinen (vgl. Kapitel 9.3.12). Sie sind vom staatlichen Telekommunikationsunternehmen Sonatel lizenziert. Hier können die Menschen für eine Telefoneinheit von zwischen 70 und 100 francs CFA (0,25 CHF) Anrufe tätigen und sich in manchen Fällen sogar zurückrufen lassen. Häufig müssen die Kunden einige Minuten warten, bis eine Telefonkabine frei wird. So sehen sie sich aus Neugierde und zum Zeitvertrieb die Titelseiten der ausliegenden Zeitungen an
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
305
und werden auf diese Weise nicht selten zum Kauf eines Blattes verführt. f) Straßenverkauf
Nebst dem stationären Verkauf werden die Zeitungen in der Hauptstadt Dakar auch durch Straßenverkäufer vertrieben. Die jungen Männer stehen vornehmlich an den Hauptverkehrsstraßen und den großen Kreuzungen, um ihre Produkte den vor der Ampel oder im Stau stehenden Verkehrsteilnehmer anzubieten. Manche Verkäufer laufen aber auch den ganzen Tag lang durch die Stadtviertel oder betreten sogar Ämter, Behörden, Geschäfts- und Wohnhäuser, um die Zeitungen an den Mann zu bringen. „Heutzutage gehen die Zeitungsverkäufer auf die Bevölkerung zu. In allen Bereichen ist der Zugang zu Medien viel einfacher als früher. Die Leute gehen selbst in die Häuser, um Zeitungen zu verkaufen.“ (Int 2) Die Dynamik des Straßenverkaufs ist ein Sekundärphänomen in der Folge der Liberalisierung des Medienmarktes und der Popularisierung der Zeitungen.204 Einen Sonderfall stellt der Vertrieb der Monatszeitung Lasli/ Nëlbéen dar, die nebst den traditionellen Vertriebskanälen auch auf alternative Zwischenhändler zurückgreift. Die Zeitung hat „eine Potenzial an Lesern und an Vertriebsnetzen in den Dörfern, vor allem über die Alphabetisierungs- und Entwicklungsorganisationen, die gut organisiert sind“ (Int 1), wie Wane (Taxi le Journal) betont.
8.3.4
Werbung
Angesichts der geringen Einnahme durch den Auflagenerlös der meist 100 oder 200 francs CFA (0,25 bzw. 0,5 CHF) teuren Zeitungen, kommt den Inseraten eine hohe Bedeutung zu. Vom gesamten senegalesischen Werbeumsatz fließt jedoch nur ein Bruchteil in Zeitungsinserate. Deshalb stellt die Werbung beispielsweise bei Wal Fadjri nur 204 Allerdings darf hier nicht verschwiegen werden, dass der Beruf des Zeitungsverkäufers ein so gefährliches wie wenig einträchtiges Metier ist. „Man sieht, dass sie ihren Beruf im Verkehr mit einer gewissen Gefahr ausüben. Sieh dir die Autobahn von Dakar an. Unglücklicherweise ist diese Arbeit hart und trägt nicht viel Geld ein. Den Betrag, 25 oder 50 francs CFA, den die Zeitungen ihnen geben, reicht nicht zum Leben aus. Andere Berufe sind weniger hart aber einträglicher. Aber das sind Jungen, die ursprünglich nicht aus Dakar kommen, sondern aus dem Norden Senegals. Die meisten sind Toucouleurs [Anm. : eine Ethnie], die hierher zum Arbeiten kommen. Manchmal wissen sie nicht einmal, wo sie die Nacht verbringen können. Manchmal schlafen sie auf dem Bürgersteig oder mieten zu zehnt oder fünfzehnt ein Zimmer.“ (Int 2)
306
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
25% der gesamten Einnahmen dar (Niasse 2006). Dies mag auch damit zusammenhängen, dass eine Werbeseite bis zu 600.000 francs CFA (1500 CHF) kostet und damit vergleichsweise teuer ist. Der größte Anteil entfällt auf die Plakate, das Radio und das Fernsehen. Einen zufriedenstellenden Anteil an Inseraten weisen vor allem die regierungsnahen Printmedien auf, die sich der Solidarität der Staatsverwaltung und -unternehmen sicher sein können. Chefredaktor Kassé erklärt: „Heute kommen viele Inserenten zu Le Soleil und die Zeitung profitiert von ihrer Unterstützung. Sie kommen häufig zu Le Soleil und wenn Sie die Zeitung aufschlagen, finden Sie viel Werbung darin. Dies ist so, weil die Inserenten der Meinung sind, dass wir die beste Leserschaft haben und weiter verbreitet sind als andere Zeitungen.“ (Int 1)
Bei den privaten Zeitungen können sich einzig noch Le Populaire als Marktführer der Boulevardpresse sowie Le Journal de l’Economie einer gewissen Attraktivität bei den Werbekunden sicher sein. Die Wirtschaftszeitung druckt wöchentlich die Mitteilungen von Ämtern und Wirtschaftsorganen ab. Bei allen übrigen Zeitungen sind die Werbeeinnahmen insgesamt marginal. Dies hängt mehr mit der Krise der senegalesischen Ökonomie als mit der geringen Reichweite der Zeitungen zusammen, wie Coulibaly (Sud) erklärt: „Bei uns, selbst wenn wir eine Million Leser hätten, wäre es nicht sicher, dass die Werbung kommen würde, denn die Leute verfügen nicht über ein Werbebudget, das sie der Presse zu Verfügung stellen könnten.“ (Int 1) Immerhin ist den Tageszeitungen eine gewisse Einnahmesumme durch die als ‚Avis et Communiqués‘ bezeichneten privaten Mitteilungen garantiert. Diese kleinen Inserate umfassen bebilderte Geburts- oder Todesanzeigen und erfreuen sich einer großen Beliebtheit. In sämtlichen Regionen würden sich deutlich mehr als die Hälfte der befragten Personen darüber sehr freuen, in den Anzeigen zu erscheinen. Durchschnittlich liegt der Zustimmung bei knapp 70%. Auffällig ist, dass die Zustimmung je nach Urbanisierungsgrad der Region abnimmt, das heißt in den Dörfern der Casamance würden sich 78% über eine Anzeige freuen, während dieser Wert in Diourbel auf 63% und in der Metropole Dakar auf 53% fällt. Die Probandengruppe, die sich überhaupt nicht über eine Avis freuen bzw. eine solche kategorisch ablehnen würde, beträgt in Dakar und Diourbel rund 10%, in Sédhiou sogar nur 1%. Sieht man sich die Zustimmung bei den verschiedenen soziodemographischen Gruppen in Dakar genauer an, zeigt es sich, dass die Verteilungen hinsichtlich Geschlecht, Alter und Beruf konstant sind. Es gibt keine signifikanten Unterschiede. Dies gilt auch für die hier ausgesparten Regionen Diourbel und Sédhiou.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
307
Tabelle 10: Einstellung zu Avis et Communiqués (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 500)
(N = 300)
(N = 100)
(N = 100)
Große Freude
69,4
53,3
63,0
78,0
Freude
12,1
7,7
16,0
13,0
Eher Freude
6,7
10,3
11,0
4,0
Geringe Freude
2,9
4,3
0
3,0
Keine Freude
5,2
12,0
10,0
1,0
Weiß nicht
3,7
12,3
0
1,0
Tabelle 11: Einstellung zu Avis et Communiqués in Dakar (Befr 1; N = 300) Geschlecht
Alter
Beruf
in %
in %
in %
45
ab 46
Andere
31-
In Ausb.
1830
Unabh.
F
Angest.
M
Große Freude
56,3
44,7
53,9 53,5
51,4
52,6
51,8
56,7
55,8
Erfreut
8,0
6,6
10,5
8,0
0
10,4
4,7
3,3
4,7
Eher erfreut
10,3
10,5
10,5
9,6
13,5
7,4
14,1
16,7
9,3
Weniger
2,7
9,2
3,9
4,8
2,7
3,0
5,9
3,3
7,0
10,3
17,1
10,5 12,3
13,5
11,1
14,1
10,0
11,6
12,5
11,8
10,5 11,8
18,9
15,6
9,4
10,0
11,6
erfreut Gar nicht erfreut Weiß nicht
Über die privaten Mitteilungen hinaus werden die Avis auch regelmässig von Marabuts genutzt, die ihre Anhänger über das Datum und den Ort einer religiösen Feier informieren. Gleichzeitig werben sie für ihre Veranstaltung und markieren dadurch öffentliche Präsenz.
8.3.5
Marketing
Die geringen Verkaufserlöse und Werbeeinnahmen schmälern auch das Marketingbudget. Unter den Zeitungsverlagen ist es nicht verbreitet, Werbekampagnen für ihre Printprodukte zu lancieren oder als Sponsor von kulturellen Anlässen aufzutreten. Einige wenige Redaktionen wie L’Actuel und Taxi le Journal verfügen über ein Werbebudget und versuchen mit ihren Radiospots, die Leserschaft zu ver-
308
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
größern. Die Ausnahme von der Regel stellt Le Soleil dar, die im Sponsoringbereich oder als Veranstaltungsorganisator auftreten auf. So organisiert der Verlag die Preisverleihungen Lion d’Or oder den Schönheitswettbewerb Miss Scoop. Insgesamt agiert die Mehrheit der Geschäftsleitungen zurückhaltend. Diese Zurückhaltung wird offiziell mit Zweifeln an der Effizienz von Marketingmaßnahmen begründet. In aller Regel beschränken sich die Journalisten auf die Kontrolle, dass ihre Exemplare am Verkaufskiosk aushängen und dass sich eine attraktive Themenagenda und die journalistische Qualität bei der Leserschaft durchsetzen: „Wenn eine Zeitung gut ist, werden die Leute sie von selbst kaufen und Mund-zu-Mund-Propaganda machen“, wie es Sow (Mœurs) stellvertretend für die Branche sagt.
8.3.6
Spekulationen beim Papierimport
Den bescheidenen Einnahmen stehen hohe Produktionskosten für logistische Infrastruktur (Autos, Aufnahmegeräte, Computer, Fotoapparate, Miete, Telefon etc.), Druckkosten und Anwaltskosten gegenüber. Der größte Kostenpunkt ist allerdings der Papiereinkauf. Seit der Devaluation der Währung franc CFA 1994 sind die Preise stark gestiegen. Darüber hinaus sind die Verlage von den Spekulationen der lokalen Papierhändler und dem Zoll abhängig: „Les importations de papier sont en effet depuis 1996 assujetties au droit de timbre de 5,5%, à une taxe de 0,5% et aux frais de transit et de port qui absorbent 5% environ du prix CAF (Coût, Assurance et Fret). En guise d’exemple, la tonne de papier journal (en provenance de la France) au mois de décembre 1999, coûtait 310.000 francs CFA à l’arrivée au port de Dakar. Au bout de la chaîne de dédouanement et des frais annexes (transit, port, etc.), elle se retrouve au moins à 344.000 francs CFA. Toutefois, les importateurs le revendent aux journaux à 450.000 francs CFA, ce qui fait quand même une marge supérieure à 100.000 francs CFA.“ (Loum 2003: 136)
In der ersten Hälfte 2005 hat sich der Preis pro Tonne nochmals um fast 50% gegenüber dem Vorjahrespreis erhöht. Für diese Erhöhung ist der Anstieg der internationalen Papierpreise verantwortlich, der auf dem Dakarer Markt sogleich vermehrte Spekulation nach sich gezogen hat. Mehrere Zeitungen haben ihre Auflage gedrosselt, ihren Seitenumfang verringert oder die Sonderbeilagen storniert. Das Haus SSPS hat sogar ihre unrentable Boulevardzeitung Scoop geschlossen. Um der Kostenspirale der Papierpreise effizienter zu begegnen, hat auch die Diskussion über die Relancierung der kollektiven Papier-
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
309
einkaufszentrale neuen Auftrieb erhalten. Eine solche Zentrale war 1994 von Le Soleil, Sud und Wal Fadjri gegründet worden. Die kanadische Entwicklungshilfe und der senegalesische Staat hatten maßgeblich zur Finanzierung beigetragen. Nach einem verheißungsvollen Start ist sie allerdings aufgrund der mangelnden Solidarität unter den Zeitungsverlagen gescheitert. Bis heute kümmern sich sämtliche Verlage einzeln um den Import. Das Ziel eines kollektiven Papiereinkaufs bestand darin, aufgrund der größeren Einkaufsmenge den Durchschnittspreis zu senken, als gewichtiger Marktakteur gegen die Spekulationen vorzugehen und mit einem großen Papiervorrat in einer Lagerhalle den kurzfristigen Preisschwankungen vorzubeugen.
8.4 INFORMELLE KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die ökonomische Prekarität der Zeitungsverlage das Resultat von mehreren Faktoren ist. Die Finanzkrise ist für die mangelhafte Stabilität des Pressemarktes mit verantwortlich. Denn im Zuge der Marktöffnung ist zwischen den verschiedenen Verlagshäusern ein heftiger Wettbewerb ausgebrochen. Diesem Konkurrenzkampf sind zwischen 2002 und 2006 eine ganze Reihe von Pressetiteln wie Frasques, L’Evénement du Soir, La Nouvelle, La Pointe, La Source, Le Volcan, Lion, Performance, Révélations, Scoop, Taxi le Journal, Terminal oder Tract zum Opfer gefallen. Ein Schlüsselproblem stellt der Vertrieb der Zeitungen dar, die nicht im ganzen Land erhältlich sind. Einzig in der Metropole Dakar, wo etwa 90% des gesamten Auflagenvolumens abgesetzt werden, sind alle Zeitungen erhältlich. In den Provinzstädten Diourbel, Kaolack, Louga, Mbacké, Mbour, St. Louis, Thiès und Zighenchor treffen die Zeitungen häufig verspätet oder sogar unregelmäßig ein. Je weiter man sich von den Küstenstädten entfernt, desto geringer ist die Chance, eine Zeitung zu erhalten. So sind beispielsweise in der Departementshauptstadt Sédhiou gar keine Zeitungen mehr erhältlich. Bis zum Jahr 2002 hat sich dort ein lokaler Apotheker um den Verkauf von Zeitungen gekümmert, aber den wenig lukrativen Vertrieb unterdessen eingestellt. Was ist geschehen? Warum gelingt es der Presse nicht, ihre Produkte im ganzen Land kundengerecht anzubieten? Den senegalesischen Zeitungsvertriebsmarkt teilen sich formelle Vertriebsunternehmen wie die Agence Distribution Presse (ADP) und Marketing Press einerseits sowie informelle Händler andererseits. Die lukrative Haupttätigkeit der ADP besteht im Import und Vertrieb von 1000 internationalen Printprodukten, die in den großen Städten und den Touristen-
310
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
zentren vertrieben werden.205 Um den senegalesischen Verlagen einen Service public anbieten zu können, hat die ADP ein nationales Vertriebsnetz errichtet. Neben ihren weiß bemalten Verkaufskiosken – 30 in Dakar und über 70 in den Regionen – hat sie Kooperationsabkommen mit regional tätigen Kurieren und Transportunternehmen abgeschlossen. Auf diese Weise wird ihr Angebot auch in Teilen der Casamance und des Senegalflusses vertrieben. Um sich zu finanzieren, arbeitet sie auf Exklusivitätsbasis. Ihr Service public bedeutet, dass sie die gesamte Auflage einer Zeitung übernimmt und mit ihren 30 Kiosken in Dakar 80% der Auflage absetzt. Dieser Gewinn wird in den nationalen Vertrieb reinvestiert, der hochgradig defizitär ist. In Dakar werden die Zeitungen allerdings nicht nur an Kiosken verkauft, sondern auch im Straßenverkauf. Zur Organisation dieses Straßenverkaufs arbeitet die ADP mit Grossisten zusammen, die selbst wiederum mit jungen Zeitungsträgern, sogenannten crieurs, zusammenarbeiten. Die Provision der ADP beträgt 33% des Verkaufspreises für eine Tageszeitung mit Ausnahme von Le Soleil, die nur 32% zu entrichten hat. Diese Marge staffelt sich wie folgt: 20% erhalten die Endverkäufer und 13% (bzw. 12%) behält die ADP für ihren Vertrieb. Die große Mehrheit der Dakarer Journalisten ist mit der ADP sehr unzufrieden. Gemäß Diop (Nouvel Horizon) sei ihre Provision erstens unverhältnismäßig hoch und zweitens seien ihre Absätze in den Regionen zu gering: „In einigen Zonen sind die Zeitungen unauffindbar, weil der Vertrieb der ADP willkürlich ist.“ (Int 1) De facto wird das Vertriebssystem der ADP allerdings vom informellen Sektor konkurrenziert, der für den Zeitungsvertrieb eine geringere Kommission verlangt, obwohl er den Endverkäufern eine Provision von 25% zugesteht. Mit der Begründung, dass die ADP zu teuer sei, arbeitet die Mehrheit der Redaktionen mit informellen Händlern wie Bamba Gueye oder Samba Sy zusammen. Diese Händler sind günstiger, weil sie sich beim Vertrieb auf die gewinnträchtigen Städte Dakar, Mbacké, Mbour und Thiès beschränken. Sie besitzen eigene, grün bemalte Verkaufskioske und verfügen über eine eigene Struktur an Grossisten und Straßenverkäufern. Weil die informellen Händler nur über ein beschränktes Vertriebssystem verfügen, aber die ADP dermaßen konkurrenzieren, dass sie ihren Service public nicht mehr nachkommen kann, sind die Zeitungen nur noch in einigen wenigen urbanen Zentren erhältlich. Durch dieses duale System beraubt sich die Presse aber einer größeren Kundschaft. Außerdem führt die Kon205 Die 1943 von de Breteuil gegründete ADP ist zu 70% in französischem Besitz und eine Filiale der Nouvelles Messageries de la Presse Parisienne (NMPP). Das Unternehmen Hachette hatte 1963 50% der Aktien aufgekauft und sie 1983 an die NMPP veräußert. 1984 hat die NMPP weitere Aktien von privaten Besitzern dazu gekauft und 30% ihrer Beteiligung an die SSPS abgegeben.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
311
kurrenzsituation zu der absurden Situation, dass die regierungsnahe Tageszeitung Le Soleil, die über ihr Verlagshaus an der ADP beteiligt ist, ihre Auflage durch den informellen Sektor vertreiben lässt: „Wir arbeiten mit der ADP zusammen, aber auch mit einem anderen Agenten, der sich um den Vertrieb kümmert. Im Augenblick betrachten wir ihn als einen Abonnenten, obwohl er eine große Anzahl von Zeitungsexemplaren übernimmt.“ (Int 1)206 Über die geringere Provision hinaus ist der für die privaten finanzschwachen Zeitungen Ausschlag gebende Grund für die Zusammenarbeit mit dem informellen Sektor ist die Tatsache, dass diese Händler als informelle Bank fungieren. Gegen die Bezahlung der Druckkosten und/oder der Papierkosten und in einigen Fällen selbst gegen Übernahme der Lohnkosten übernehmen die informellen Händler Teile der Auflage oder sogar die Gesamtauflage. Auf diese Weise konnten bereits mehrere Konkurse verhindert werden (zum Beispiel von Le Témoin). Mit anderen Worten, ein Großteil der senegalesischen Redaktionen verkauft ihr journalistisches Produkt zu einem Fixpreis an einen der großen informellen Händler, die sich anschließend um Druck, Vertrieb und Verkauf der Zeitung kümmern und den erzielten Gewinn einstreichen. Auf diese Weise wird der informelle Sektor zum unsichtbaren Besitzer der Presse.
8.5 PRAKTIKEN
DES
BETRUGS
Weiter oben wurden jene Beziehungen und Aktivitäten als informell bezeichnet, die jenseits der staatlich regulierten sozialen Umwelt stattfinden. Informelle Lösungsstrategien ersetzen also offiziell Geregeltes durch eine interpersonale Übereinkunft, die auf einer Vertrauensbasis der Partner steht (Misztal 2000). Obwohl Formalität und Informalität komplementär zu einander stehen, ist Informalität nicht unbedingt illegal. Aber auf dem Kontinuum der sozialen Handlungsweisen, stellt die Informalität einen Übergang dar, der häufig zu verschiedenen Formen der Illegalität führt. Was nun den Vertrieb der senegalesischen Presse angeht, erleichtert das informelle System illizite Praktiken wie Betrug, Korruption und Gewalt. Indem es den informellen Händlern gelingt, die finanzielle Prekarität der Zeitungsverlage auszunutzen, stellen sie ein Risiko für ihr langfristiges Überleben dar. Der formelle und informelle Sektor unterhalten eine spezifische Beziehung: die informellen Händler sind die Parasiten oder die Trittbrettfahrer des formellen Vertriebssystems. Denn ohne formelle Strukturen, auf deren Kosten es sich leben liesse, könnten die informellen 206 Wie alle anderen Zeitungen gibt auch Le Soleil im Impressum unrichtigerweise an, dass die ADP für den Vertrieb zuständig sei.
312
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Händler nicht ihr System aufziehen. Zunächst einmal gibt es Grossisten, die sowohl mit der ADP als auch mit informellen Händlern zusammenarbeiten. Ihre bekannteste Strategie ist, die unverkäuflichen Exemplare konsequent an die ADP zurückzugeben. Es kommt sogar vor, dass sich diese Grossisten die Probe- und Ausschussdrucke von den Druckereien besorgen und an die ADP zurückzugeben versuchen. Darüber hinaus ist auch die senegalesische Nationalwirtschaft von der Informalität betroffen. Denn der Staat verliert auf diese Weise Mehrwert- und Unternehmenssteuern ohne von den Einnahmen der Altersvorsorge- und Krankenkasse zu sprechen. Die systematischen Betrugsfälle verursachen dem Staat und der ADP schwere Verluste. Aus diesem Grund hat der Generaldirektor der ADP, Rémi Touzeau, „saisi par écrit le chef du gouvernement pour lui demander d'intervenir […] pour mettre de l’ordre dans le secteur de la distribution“ (Tall 2003: 5). Darüber hinaus wirkt sich die Kooperation mit den informellen Händlern langfristig negativ für die Verlage aus. Denn manche informellen Händler missbrauchen die Abhängigkeit der Redaktionen, indem sie zum Beispiel eine tiefere Auflagenhöhe angeben, als sie wirklich drucken lassen. Auf diese Weise entrichten sie einen geringeren Betrag an die Redaktionen. Fataler für die Redaktionen sind allerdings verschiedene Leihmodelle, die an manchen Kiosken des informellen Handels bestehen. Im Rahmen der Fotointerviews sind mehrere Probanden auf diese Modelle zu sprechen gekommen: „Es gibt aber auch gewisse Verkäufer, die dir eine Zeitung ausleihen. Zum Beispiel, ein Exemplar kostet 100 francs CFA, aber du musst nur 50 francs CFA geben und er leiht es dir für eine oder zwei Stunden aus. Anschließend bringst du die Zeitung wieder zurück.“ (Int 2) Ein anderer Proband erzählt, dass man für 25 francs CFA während 15 Minuten in einer Zeitung blättern oder lesen kann. Am Abend werden diese mehrfach ausgeliehenen Zeitungen als unverkäufliche Exemplare an die ADP zurückgegeben. Um diese kriminellen Praktiken zu verhindern, kauft die ADP nur noch ein Minimum an Exemplaren jener Zeitungen ein, für die sie kein exklusives Vertriebsrecht hat.207 Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Strategie der Journalisten, den informellen Händlern gegen Bezahlung der Druckkosten die Auflage zu überlassen, eine kurzfristige Strategie ist. Auf die Dauer führt sie zu einem schlechten Vertrieb der Zeitungen, zu niedrigen Auflagen 207 Auch an den weißen Kiosken leihen sich manche Kunden eine Zeitung aus, um sie während zehn oder 15 Minuten in unmittelbarer Nähe des Kiosks zu lesen. Hier handelt es sich allerdings nicht um einen systematischen Betrug, sondern um eine Strategie der Kundenbindung. Die Käufer erwarten, dass die Leser dann beim nächsten Mal wieder eine Zeitung kaufen würde. Auch kommt es vor, dass sie gut bekannten Kunden, die knapp bei Kasse sind, einen Kredit gewähren.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
313
und zu geringen Einnahmen. Der Journalist Talla von Com 7 erklärt dieses Phänomen: „Depuis deux ans, nous nous sommes attelés à mettre à genoux une mafia qui était dans l’ombre et qui étalait ses tentacules jusque dans la distribution. Il y a une dizaine de jours d’ailleurs que nous avons arrêté la saignée que nous causait Samba Sy auquel nous étions toujours redevables financièrement.“ (zit.n. A.B. Diallo 2003: 4)
Aber auch eine Einflussnahme auf den redaktionellen Inhalt ist nicht auszuschließen, da die meisten informellen Händler ein enges Verhältnis zu Marabuts der Bruderschaft pflegen. Aus diesem Grund sind die Chefredaktoren der Tageszeitungen L’Actuel und Le Populaire im Sommer 2003 wieder auf die ADP zugegangen, um die gefährliche Abhängigkeit vom informellen Markt zu lockern.
8.6 KORRUPTION 8.6.1
Erscheinungsformen und Gründe
Die wissenschaftliche Terminologie zur politischen und ökonomischen Kriminalität ist uneinheitlich. In normativen Diskursen wird zwischen politischer Korruption (Missbrauch eines öffentlichen Amtes zur persönlichen Bereicherung) und Wirtschaftsdelikten (kriminelle Handlungen durch eine private Organisation) unterschieden.208 Allerdings treten beispielsweise Bestechungsgelder sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich auf. Autoren, die die Willkürlichkeit der Unterscheidung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit kritisieren, fassen verschiedene illegale Praktiken wie Bestechung und Bereicherung unter dem Begriff ‚Korruption‘ zusammen.209 Dieser linguistische Gebrauch ist auch bei den senegalesischen Journalisten üblich. Begründet wird dieser Sprachgebrauch damit, dass der Journalismus den Anspruch erhebt, eine öffentliche Informations-, Meinungsbildungsund Vermittlungsfunktion einzunehmen. Voraussetzung dazu ist seine Unabhängigkeit im Sinne einer Unkäuflichkeit. Die Annahme von Bestechungsgeldern und Geschenken sei aus diesem Grund nicht nur unmoralisch, sondern auch illegal. Unabhängig von den terminologischen Schwierigkeiten zeigen neuere Studien, dass den illegalen Praktiken informelle Regeln inhärent sind und dass sie via persönliche Netzwerke funktionieren (Haller/Shore 2005). 208 Siehe: Blundo/Olivier de Sardan (2001), Gray/Kaufman (1998), Khan (1996) und Weltbank (2006). 209 Siehe: Bhargava (2005) und Weltbank (2005).
314
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Alle interviewten Journalisten bestätigen die Existenz der Korruption. Stellvertretend für den Berufsstand sagt Dieng (Journal de l’Economie): „Das ist eine Realität, die man nicht leugnen kann. Sie nimmt immer mehr zu und nimmt beängstigende Proportionen an.“ (Int 1) Nach seiner Kollegin Ly (Sud Quotidien) liegt das Problematische gerade in der Alltäglichkeit der Korruption: „Das Beunruhigenste an der Korruption ist ihre Alltäglichkeit und Subtilität, sie wird nicht einmal mehr als Problem wahrgenommen. Besondern den Reportern ist häufig gar nicht mehr bewusst, dass sie korrupt sind.“ Die Alltäglichkeit und Allgegenwärtigkeit der Korruption wird auch statistisch vom Korruptionsindex von Transparency International bestätigt. Denn das westafrikanische Land liegt mit einem Koeffizienten von 3,2 (auf 10) auf dem 78. Platz (TI 2005). Für die grassierende Korruption wird in erster Linie die Entlöhnung der jungen Journalisten verantwortlich gemacht. Denn häufig werden die bereits geringen Löhne auch noch unregelmäßig ausgezahlt – falls sie überhaupt ausgezahlt werden: „Mal payé, le journaliste se trouve dans une situation délicate qui fait de lui un élément zigzaguant, face à une situation économique et sociale faite de manque et qui l’expose à toutes les tentations.“ (Diouf 2005: 36) Da die Angestellten der öffentlichen Medien vergleichsweise gut entlöhnt werden, wiegt die Annahme von Geschenken und Schmiergeldern in diesem Bereich noch schwerwiegender als im Bereich der kommerziellen Massenmedien.
8.6.2
Beispiele
Beim bekanntesten Fall handelt es sich um Marabut und Politiker Mamoune Niasse, der im November 2002 öffentlich ankündigte, den an seiner Pressekonferenz anwesenden Journalisten den ansehnlichen Betrag von einer Mio. francs CFA (2000 CHF) zu hinterlassen. Während Mamoune Niasse seine Gabe selbst als Geschenk im Fastenmonat Ramadan zu rechtfertigen gesucht hat, kontextualisieren andere Journalisten das Geschenk als Teil der senegalesischen Kultur: „Wir haben die Kultur der Teranga. Wenn du heute gut über mich spricht, bin ich geneigt, dir 10.000 oder 15.000 francs CFA zu geben. Wir sind dazu verpflicht, diese Faktoren zu beachten.“ (Disk) Gegenüber dieser Instrumentalisierung der kulturellen Tradition ist zu sagen, dass angesichts des unverhältnismäßig hohen Geldbetrages und der relativ kurzen Dauer der Pressekonferenz der Fall als ein Korruptionsversuch von Seiten Niasse zu werten ist, der seine Rückkehr auf das politische Parkett vorbereitete. Dieses Beispiel stellt beileibe keinen Einzelfall dar: man kann auch die Geldbeiträge anführen, die die regierende Parti Démocratique Sénégalais (PDS) von Präsident Wade denjenigen Journalisten angeboten hat, die die Kampagne der Legislativwahlen im
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
315
Mai 2002 begleitet haben. Hier wurde jedem Journalisten ein Betrag von 250.000 francs CFA (625 CHF) angeboten. Solche Praktiken wiederholen sich, häufig allerdings mit bescheideneren Beträgen. In Wahlkampfzeiten werden sie zu einem Normalfall, wie die langjährige Erfahrung von Sy (Taxi le Journal) zeigt: „Sämtliche politische Parteien versuchen Mechanismen zu finden, mit denen sie Druck auf die Zeitungen ausüben können. Die Kommunikationsabteilungen erarbeiten Strategien, um die Journalisten zu bedrängen. In diesem Augenblick großer politischer Spannung ist es das Beste, einen Journalisten, einen Fernsehsender oder eine Gruppe von Journalisten zu haben, die sich für den Kandidaten einsetzen.“ (Disk)
8.6.3
Per Diem
In der Debatte über die Korruption bestehen einige Medienakteure darauf, dass es sich in manchen Fällen nicht um Korruptionsversuche, sondern bloß um die Auszahlung eines Per Diem handelt. Damit werden Tagegelder oder Entschädigungsbeiträge bezeichnet, die ein Organisator den Teilnehmern seiner Veranstaltung entrichtet, um eine gute Medienberichterstattung sicherzustellen. Nach der Kollektiven Konvention ist ein Per Diem als Entgelt dafür gedacht, dass ein Journalist während eines Tages von seiner Redaktionsarbeit zurückgehalten wird. Dagegen sieht die Konvention kein Entgelt für den Verkehrstransport vor. Dieses Detail ist deshalb wichtig, weil viele Journalisten ein Per Diem mit der Begründung verlangen, ihre Transportkosten decken zu müssen. „Man muss wissen, dass manche Redaktionen häufig Stagiaire zu den Konferenzen schicken. Manchmal schickt man sie ohne ihnen Mittel zu geben, sich fortzubewegen und sie bleiben bis spät am Abend.“ (Disk) Ohne eine solche Summe ist die Mehrheit der Journalisten jedoch nicht bereit, von Pressekonferenzen oder Tagungen zu berichten, die vom privaten Sektor organisiert werden. Angesichts der teilweise üppigen Per Diems und der großzügigen Verpflegung, haben sich unterdessen manche Journalisten auf die Berichterstattung von solchen Anlässen spezialisiert: „Es gibt Journalisten, die an allen Seminaren teilnehmen, nur um das Per Diem einzustecken. In der Branche nennt man sie die Seminarratten.“ (Int 1) Bei manchen Veranstaltungen ist es so, dass die Journalisten die Zahlung erst dann erhalten, wenn der Zeitungsartikel veröffentlicht ist.
316
8.6.4
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Folgen für die journalistische Qualität
Die entscheidende Frage in dieser Diskussion ist, ob die Arbeit der Journalisten durch die monetäre Abhängigkeit der Korruption und des Per Diems beeinflusst wird. „Die Hand, die gibt, ist immer derjenigen überlegen, die nimmt. Ein Journalist muss sich immer auf derselben Ebene fühlen wie sein Gegenüber und ihm im Namen der Öffentlichkeit Fragen stellen. Ich glaube nicht, dass jemand, der am Ende seiner Arbeit ein Geschenk erwartet, in diesem Zustand ist“ (Disk), wie der Generalsekretär der Gewerkschaft SYNPICS, Alpha Sall, klarstellt. Auch andere Teilnehmer an der Gruppendiskussion sind der Auffassung, dass eine finanzielle Bindung eine Verbindlichkeit des Journalisten nach sich zieht und sich in der Art und Weise der Informationsbehandlung im Artikel niederschlägt. Dies scheint bei vielen Zeitungsartikeln über Politiker, Religionsführer, Unternehmer, Musiker oder Sportler der Fall zu sein, die in einem überaus unkritischen oder lobenden Ton gehalten sind. Diese Akteure versuchen, die Themenagenda oder ihr Image in den Medien zu beeinflussen. Wie bereits Kapitel 7.4.2 gezeigt hat, sind die religiösen Akteure besonders aktiv. Sowohl durch Geld als auch durch moralische Verbindlichkeiten versuchen sie, Druck auf die Journalisten auszuüben. Der Religionsspezialist von Sud Quotidien, Mame Olla Faye, berichtet: „Auf dem Feld kommt es vor, Kollegen anzutreffen, die mir nach der Abdeckung einer Veranstaltung sagen, dass sie vom Marabut nicht entlassen worden sind. Also mich kann man nicht einstellen und deshalb auch nicht entlassen. Das ist eine Form der Korruption, die ebenfalls existiert. Die Marabuts sind große Korrupteure und ich werde ihr Opfer. Von einem Marabut, dessen Namen ich nicht nennen möchte, sagt man: nachts veranstaltet er religiöse Events und um sechs Uhr morgens eine Pressekonferenz. Es gibt Leute, die bereit sind, für Geld dorthin zu gehen. Das ist keine Pressekonferenz, sondern er nutzt das religiöse Feld dazu, die Journalisten zu korrumpieren.“ (Disk)
Auf diese Druckversuche reagieren die senegalesischen Journalisten mit einem variablen Rollenverständnis: Während sich eine erste Gruppe an das klassische Berichterstattungsmuster des Informationsjournalismus klammert, verfolgt eine zweite Gruppe einen anwaltschaftlichen Journalismus. Dieser kann unter lokalen Bedingungen dem Muster des journalistischen Griotismus entsprechen: „Comme le griot, les journaux s’octroient un rôle d’expression des frustrations et des espérances populaires, de dénonciation de certains abus
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
317
commis par les autorités. Mais comme le griot également, les journalistes occupent une place intermédiaire: ils entretiennent avec cette population dont ils se veulent les porte-voix des raports d’égalité ou de supériorité (d’où leur rôle de formateurs). Ils s’affirment comme médiateur entre les autorités et les lecteurs.“ (Frère 2000: 433)
Über diese traditionelle Vermittlungsrolle hinaus verweist der metaphorische Begriff der Griotisierung auf die Überlebenstaktik der senegalesischen Journalisten. Denn die Tage- und Bestechungsgelder führen die Journalisten in Versuchung die journalistischen Qualitätskriterien auszusetzen.
8.7 GEWALT 8.7.1
Gewalt gegen Medienakteure
Informell wurden bisher jene Praktiken genannt, die jenseits der staatlich regulierten sozialen Umwelt stattfinden. Sie lassen sich als Strategie interpretieren, der medienökonomischen Misere zu entkommen. Allerdings leisten sie illiziten Praktiken wie Betrug und Korruption Vorschub. Wie verschiedene Studien zeigen, tragen diese Praktiken zu einer konflikthaften Umgebung bei, die die Anwendung von privatisierter Gewalt fördert.210 Die Gewalt wird dazu eingesetzt, Konflikte außerhalb des Einflussbereichs der Justiz zu regeln. Selbstverständlich ist die Informalität nur einer unter mehreren Faktoren, die die Existenz dieser Gewalt erklärt. In Senegal ist unterdessen von einer Kriminalisierung der demokratischen Debatte zu sprechen. „Par cette expression, nous entendons décrire l’ensemble des processus et techniques d’intimidation visant à combattre et à disqualifier tout usage de la liberté d’expression jugé contraire ou attentatoire aux intérêts, à l’autorité et à la légitimité de l’Etat et de ses représentants.“ (Havard 2004: 36) Die Kriminalisierung widerspiegelt die autoritären Tendenzen der Alternance Regierung, die aufgrund ihres Machtverlusts in der Bevölkerung um ihre Legitimität fürchtet. Darüber hinaus wird die durch die Schwäche der Staatsverwaltung und der Korruption der Justizbehörden erleichtert. Auf diese Weise ist die Gewalt auch zu einem Charakteristikum der senegalesischen Pressekultur geworden. In der Mehrheit der Fälle werden die Journalisten Opfer von Gewalt. Die letzten Jahresberichte von Reporters sans frontières bezeugen die große Anzahl von Journalisten, die tätlich angegriffen oder bedroht wurden. Aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung sind Cheikh Dieng (Wal Fadjri), Moussa Diop (Sud Quotidien) und El Ma210 Siehe: Bhargava (2005), Haller/Shore (2005) und Ruf (2003).
318
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
lick Sy (Deuk bi) Opfer von Angriffen seitens militanter Anhängern der PDS geworden. Andere wie El Hadj Ibrahima Fall (Info 7) und Babacar NތDiaye (APS) haben die Brutalität der Ordnungskräfte oder der Anhänger von gewissen Marabuts (vgl. Kapitel 7.4.2) zu spüren bekommen. Zu erinnern ist auch an den Brandschlag auf den Hauptsitz Wal Fadjri im Oktober 2001 und an die Morddrohungen, die Abdou Latif Coulibaly nach Publikation seines kritischen Buchs über Präsident Wade erhalten hat im Juli 2003 erhalten hat. „Il est certes difficile d’affirmer que ces menaces émanent directement de la présidence. Toutefois, quand un ministre de la République déclare publiquement qu’ ‚il faut briser la plume satanique de Latif Coulibaly‘, il s’agit assurément de propos qui contribuent à encourager un certain sentiment d’impunité et qui fonctionnent comme un signal, un ‚feu vert‘, adressé aus militants les plus zélés.“ (ebd.: 29f.)
Dass diese Anhänger auch vor Mordanschlägen nicht zurückschrecken, zeigt das Beispiel Talla Sylla. Die Popularität des Musikstils Mbalax hat den Oppositionspolitiker und Generalsekretär der Alliance Jëf-Jël auf die Idee gebracht, seine politischen Inhalte in Form dieses Musikstils der Bevölkerung vorzutragen.211 In den Präsidentschaftswahlen 2000 hatte Jëf-Jël zwar die Koalition von Wade unterstützt, es aber als einzige Partei abgelehnt, in die Regierung einzutreten. Seither verfechtet Jëf-Jël einen hartnäckigen Oppositionskurs, wobei Sylla dazu immer wieder die Presse einspannt – beispielsweise durch die Publikation von offenen Briefen. Im Sommer 2003 brachte er eine Kassette mit dem Lied ‚Abal Niou‘ (Wolof: mach dich davon, entferne dich von dort) heraus, die auf den Märkten der Hauptstadt Dakar vertrieben wurde.212 Damit kein Missverständnis über den Adressaten des Liedes aufkommen konnte, war auf dem Cover der Kassette eine Silhouette abgebildet. Zur Umgehung eines Werbeverbotes für Staatspräsidenten, hatte Wades Partei PDS in den Parlamentswahlen 2002 eine Silhouette ihres Parteichefs auf den Werbeplakaten abgebildet. Dieser Zusammenhang machte nun eindeutig erkennbar, wer in dem Lied angesprochen war, ohne dass Sylla seinen politischen Kontrahenten je explizit erwähnt hätte. Kurze Zeit nach Veröffentlichung der skandalösen Kassette, wurde Sylla Opfer eines gewalttätigen Überfalls, bei dem er nur knapp mit dem Leben davonkam. Die Täter 211 Zu Musik und Gewalt im Diskurs der westafrikanischen Weltmusik siehe: Wittmann (2006). 212 Die Kassette macht keine Angaben über das Produktionsstudio, den Vertrieb oder die Musiker. Allerdings ist bekannt geworden, dass Angestellte des staatlichen Théâtre National Daniel Sorano musikalisches und technisches Material an Sylla für die Produktion ausgeliehen haben. Sie wurden umgehend entlassen.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
319
schlugen am 5. Oktober 2003 mit Hämmern auf ihr Opfer ein, das gerade aus dem Restaurant Le Régal im Dakarer Stadtteil Fenêtre Mermoz trat. Schaulustige wurden mit Pistolenschüssen vertrieben. Da die Täter in schwarzen Mercedes-Limousinen geflüchtet sind, wird die Präsidentengarde hinter dem Anschlag vermutet.
8.7.2
Gewalt von Medienakteuren
Es kommt aber auch vor, dass Medienakteure selbst Gewalt ausüben. Der bekannteste Fall für diese Konfliktlösungsstrategie ist der Kampf um das Verlagshaus Com 7. Diese Multimediagruppe gibt nicht nur die auflagenstärkste Boulevardzeitung des Landes, Le Populaire und die Qualitätszeitung Info 7 heraus, sondern sie kann ihr Blätter auch in der hauseigenen Druckerei Roto 7 drucken lassen. Außerdem betreibt sie den Radiokanal 7 FM. Die private Gesellschaft hat drei Aktionäre, Bara Tall, der Industrielle Cheikh Tall Dioum und der Musiker Youssou NތDour. Nach vielen Jahren der guten Zusammenarbeit haben sich ihre persönlichen und finanziellen Beziehungen getrübt. Ursprung des Konflikts war ein Streit über die Besitzverhältnisse. Um den Skandal zu verstehen, muss man auf den Sommer 2002 zurückblicken als Generaldirektorin Jacqueline Bocoum entlassen und Yakham Mbaye zu ihrem interimistischen Nachfolger berufen wurde. Dieser Führungswechsel ist an einer einseitig von Aktionär Bara Tall einberufenen Verwaltungsratssitzung beschlossen worden. Tall berief sich bei seinem Entscheid darauf, dass NތDour seine Aktien an Dioum verkauft und der wiederum seine Anteile an den Geschäftsmann Pierre Aïm verpfändet hätte, um sein Medienunternehmen Presse des Almadies (Predal) zu gründen. Es sei Präsident Wade gewesen, der Aïm vermittelt und dessen Dienstleistungen empfohlen hätte. Folglich seien beide nicht mehr Eigentümer von Com 7. Dagegen beharrten Dioum und NތDour darauf, weiterhin Aktionäre und Administratoren des Medienunternehmens zu sein. Sie bestritten die Legalität des Führungswechsels, legten zum Beweis ein von einem Notar beglaubigtes Zertifikat vor und haben Klage gegen Tall eingereicht. Das Tribunal hors classe de Dakar hat dieser Klage am 4. August 2003 abgewiesen. Bevor es zu diesem juristischen Entscheid kam, haben Dioum und NތDour versucht, die Com 7 zum Einlenken zu zwingen und einen informellen Übernahmekampf geführt: Der auf der Seite ihres Generaldirektors Mbaye stehenden Redaktion wurde der Geldhahn zugedreht. Während Monaten erhielten die Journalisten nicht ihre Löhne in voller Höhe ausgezahlt. Im Frühjahr 2003 stattete auch ein Schlägertrupp der Druckerei Roto 7 einen nächtlichen Besuch ab, beschädigte die Anlage und verletzte einen Mitarbeiter.
320
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Nachdem diese Methoden zu keinem Ergebnis führten, wurde am 16. Mai zum ersten Mal die Tageszeitung Le Populaire Original publiziert. Dieses Produkt wies nicht nur dieselbe Registrierungsnummer ISSN wie Le Populaire auf, sondern stimmte auch in Layout, Rubriken und Stil weitgehend mit dieser überein. Ziel dieser Aktion war es, die Auflagenhöhe von Le Populaire zu mindern und die Redaktion von Com 7 zur Aufgabe zu bewegen. Doch alle Mittel fruchteten nichts. Schließlich gaben die ermüdeten Geschäftspartner die Publikation von Le Populaire Original auf, wobei die von NތDour gegründete Mediengruppe Futurs Médias fortan die Tageszeitung L’Observateur herausgab. Wie sich zeigen sollte, war die Affäre trotzdem mitnichten beigelegt. Am 25. November 2004 haben die beiden Administratoren mit Unterstützung der Dakarer Gendarmerie erneut versucht, die Macht der Com 7 an sich zu reißen, wobei sie wenige Stunden später auf eine Intervention deus ex machina von Präsident Wade zurückgepfiffen wurden. Unabhängig von der Beziehung von Informalität und Gewalt fragt sich derweil die senegalesische Öffentlichkeit, welche Rolle Wade und sein Sohn Karim in der Affäre spielen: „Jamais un chef d’Etat ne s’était immiscé, publiquement, dans une affaire qui relève du domaine privé. Pourquoi, le président Wade s’intéresse-t-il tant à ce dossier?“ (Diouf 2004: 10) Ohne darauf eine genaue Antwort geben zu können, zeigt der Fall, dass Präsident Wade eigene Interessen im Pressesektor verfolgt. „Tout ce que l’on sait, et que l’on tient de sources bien au fait de ce dossier, c’est que le groupe Com 7 avait, à une époque, intéressé le président Wade au même titre que le groupe Sud Communication et la Predal. Et c’est Karim Wade et Pierre Aïm (alors conseiller du président Wade) qui devaient servir de prête nom.“ (ebd.)
Während dieser Aktienaufkauf aber scheinbar geplatzt ist, wollte Wade zumindest die Redaktion von Com 7 gütig stimmen. Diese Vermutung wird durch die Verschleppung des Prozesses gestützt. Denn NތDour hat in der Zwischenzeit erneut eine „procédure pénale de faux et usage de faux contre Bara Tall“ (A.B. Diallo 2004: 5). Solange jedoch das tribunal correctionnel die Behandlung des Falls hinauszögert, bleibt die Gefahr einer weiteren Gewaltanwendung bestehen. Unter dem Strich ist die senegalische Presse in ihrer Gesamtheit die große Verliererin dieses Falls, da ihr Ruf und ihre Glaubwürdigkeit weiter in Mitleidenschaft gezogen werden.
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
321
8.8 FAZIT Im vorangegangenen Kapitel ging es darum, die zweite Hypothese des Ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft zu überprüfen. Sie besagt, dass die Konflikte der senegalesischen Pressekultur sowohl auf formelle als auch auf informelle Weise gelöst werden. Wie die Fallstudie gezeigt hat, werden die Konflikte um Pressefreiheit und Medienethik vor allem auf formelle Weise, nämlich durch Autoregulation und zivilgesellschaftliche Protestaktionen gelöst. Allerdings sind der Wirksamkeit dieser beiden Konfliktlösungsstrategien Grenzen gesetzt. Zum einen gelingt es den journalistischen Regulationsakteuren wie dem Presserat CRED nur in beschränktem Maße, die medienethischen Kodizes umsetzen. „Unglücklicherweise sind wir in der Praxis weit von dem entfernt, was geschrieben steht. Das ist der Fehler der Arbeitgeber genauso wie der Journalisten.“ (Disk) Zum anderen müssen auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie der COJODEP immer wieder einsehen, dass die Möglichkeiten ihrer Einflussnahme beschränkt sind. Dagegen werden die Konflikte um die redaktionellen Einflussnahmen von Seiten politischer und religiöser Akteure erst durch die wirtschaftliche Misere der Zeitungsverlage möglich, da die abhängig und verwundbar sind. Denn die Prekarität treibt die Printmedien in die Arme des informellen Sektors, der für die Presse eine Art kurzfristiger Überlebensstrategie darstellt. Grundsätzlich ist die Informalität in den Bereichen der Arbeit, des Kapitals und der Politik das Ergebnis eines neo-patrimonialen Staates, einer schwachen Staatsverwaltung, einer korrupten Justiz und einer schlecht organisierten und nur gering produktiven Wirtschaft (Chabal/Daloz 1999; Jakobeit 2004). Was für einen Großteil der Bevölkerung gilt, gilt auch für die Pressekultur: „Le secteur informel émerge comme la seule alternative pour les large segments des populations dont il permet de satisfaire les besoins les plus élémentaires. Cependant, il est caractérisé par de bas salaires, de mauvaises conditions de travail, le manque de protection sociale.“ (Cruise O’Brien et al. 2002: 71)
Über die Bestätigung der Hypothese hinaus liegt der Wert der Fallstudie darin, die Erscheinungsformen und Folgen der Informalität herausgearbeitet zu haben. Obwohl sie nicht notwendigerweise zur Illegalität führen muss, ermöglicht die Informalität das Entstehen von illiziten Praktiken wie Betrug, Korruption und Gewalt. Die Informalität als Konfliktlösungsstrategie führt also selbst wieder zu konflikthaften Machenschaften. Aufgrund der ethnographischen Perspektive des EAM konnten die kulturellen Handlungsmuster wie Anerkennung
322
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
klientelistischer Beziehungen, Respekt gegenüber der interpersonalen Vereinbarung und Ehre, die den informellen Praktiken zu Grunde liegen, herausgearbeitet werden. An dieser Stelle ist auch die Frage zu beantworten, warum es die Presse angesichts ihrer notorischen Finanzschwäche überhaupt gibt. Zum einen gibt es eine Reihe von – insbesondere populären – Zeitungen, die schwarze Zahlen schreiben oder die durch die Verkaufserlöse sowie die Unterstützungsbeiträge durch den Fonds d’aide à la presse zumindest eine ausgeglichene Bilanz aufweisen. In der Regel haben diese Zeitungsverlage die Hoffnung auf Gewinne in der Zukunft noch nicht aufgegeben. Zum anderen werden die Zeitungen aus bestimmten politischen, religiösen und sozialen Gründen gehalten. Diese Strategie „correspont tout simplement au seul système en vigueur dans une économie qu’on peut dire, à bien des égards, précapitaliste. Il ne se trouve en effet quasiment aucun organe de presse au Sénégal, de nos jours, qui puisse atteindre l’équilibre financier par le seul recours au marché publicitaire et aux ventes […]. L’intérêt d’investir – ce en quoi le terme de mécénat nous paraît approprié – est constitué plutôt par la perspective d’influer, en détenant une tribune, sur le jeu politique central.“ (Lemieux 2004: 46)
In diesem Sinn erinnern gewisse der hier beschriebenen Praktiken an europäische Pressekulturen im 18. oder 19. Jahrhundert. Hinsichtlich der Informalität im Pressewesen scheint die senegalesische Regierung ein Doppelspiel zu spielen: Einerseits nutzt sie im Rahmen ihrer Externalisierungsstrategie den Medienpluralismus, um den ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen den demokratischen Fortschritt zu demonstrieren. Andererseits aber hat sie verstanden, dass die mit der Informalität in Zusammenhang stehenden Konflikte die Achillesferse der Presse darstellen, und sie versucht, diese Schwäche auszunutzen. Um weiterhin Druck auf die Verlagshäuser ausüben zu können, hat die Regierung überhaupt kein Interesse daran, Ordnung im Pressemarkt herzustellen, wie dies einige Akteure fordern. Im Gegenteil, wie die Konflikte der ADP und der Com 7 zeigen, reichen die Beziehungen des informellen Sektors bis in die hohen Sphären der Regierung. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zu behaupten, dass die senegalesische Regierung eine aktive Rolle dabei spielt, informelle Praktiken in der Presse zu ermöglichen. Ihre obskure Strategie ist auch bei der Distribution des Fond d’aide à la presse deutlich. Auf alle Fälle leidet die Qualität der Printmedien unter der Einmischung der einflussreichen externen Akteure und ihrer Praktiken. Im Sinne eines Ausblicks sollen hier abschließend fünf Elemente erörtert werden, mit denen es gelingen könnte, um den Markt zu stabilisieren und die Unabhängigkeit der Presse zu sichern. Erstens müssen
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
323
die Medienakteure überlegen, wie sie die vorhandene Leserschaft dazu bringen können, die Zeitungen auch zu kaufen. Die weit verbreiteten Praktiken der Ausleihe sind aus medienökonomischer Sicht tödlich für die Verlage. Zweitens gilt es, die Vertriebskanäle zu optimieren und durch die Kooperation mit Transportunternehmen sowie mit kommerziellen und assoziativen Distributionsplattformen neue Absatzmärkte zu erschließen. Drittens ist es unabdingbar, die Unternehmensorganisation zu professionalisieren, die Unternehmensführung zu optimieren, seriöse Beziehungen zu den Geschäftspartnern zu unterhalten und für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dazu gehört auch eine Intensivierung der Werbe- und Marketingaktivitäten. Schließlich müssen die Zeitungsverlage sich mit einer diversifizierten Angebotspalette zu Medienunternehmen ausbilden. Dazu sind Fusionen genauso wenig auszuschließen wie Kooperationen mit Radiosendern, um die nicht alphabetisierte Bevölkerung anzusprechen. Im Falle einer umfassenden Liberalisierung des Fernsehmarktes würden sich auch in diesem Sektor neue Perspektiven eröffnen. So denkt Wal Fadjri über einen afrikanischen Nachrichtensender nach (Niasse 2006). Allerdings suchen die Medienunternehmen vermehrt ihr betriebswirtschaftliches Heil außerhalb der traditionellen Finanzierung: Während Wal Fadjri sein Kapital ausländischen Investoren öffnen möchte, hat Sud einen Kredit aufgenommen, um Bauland zu kaufen, im Immobiliensektor einzusteigen und damit die Medienaktivitäten quer zu finanzieren.
324
BILDANHANG © Martin Taureg
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
KONFLIKTLÖSUNGSSTRATEGIEN
327
9 PLURIMEDIALITÄT: ANEIGNUNG UND REPRÄSENTATION VON SENEGALESISCHEN PRINTMEDIEN IM KONTEXT 9.1 ÜBERBLICK Während es in der ersten Fallstudie um die konfliktreichen Beziehungen zwischen den politischen, religiösen und Regulationsakteuren der senegalesischen Pressekultur und in der zweiten Fallstudie um die formellen und informellen Lösungsstrategien für ebendiese Konflikte ging, soll in der dritten und letzten Fallstudie die Hypothese der Plrimedialität überprüft werden. Sie besagt, dass der Presse für die soziale Kommunikation nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Um dies adäquat beurteilen zu können, ist die Aneignung der Printmedien im Kontext der gesamten Medienaneignung zu untersuchen. Dabei ist auch die interpersonale Kommunikation zu berücksichtigen, da anzunehmen ist, dass sie in einem Land mit oraler Tradition eine große Rolle spielt. Das Kapitel besteht aus vier Abschnitten. Gemäß dem Prinzip des Ethnographischen Ansatzes der Medienkulturwissenschaft, die Beziehungen der verschiedenen Akteure aufeinander zu beziehen, werden im ersten Abschnitt die Vorstellungen der Journalisten über ihr Publikum zusammengetragen. Hierzu wird auf die Leitfadeninterviews und die Gruppendiskussion zurückgegriffen. Im zweiten Abschnitt wird sich dann anhand einer Beschreibung der massenmedialen Aneignung zeigen, wie unpräzise diese Vorstellungen sind. Die Auswertung einer in der Hauptstadt, in einer Provinzstadt im Landesinnern sowie in Dörfern einer senegalesischen Randregion durchgeführten Befragung weist die Bedeutsamkeit der Konvergenzprozesse zwischen Printmedien einerseits und Radio, Internet und interpersonaler Kommunikation andererseits nach. Denn die größte Verbreitung erfährt die Presse über die Nutzung der Presseschauen am Radio. Während es im dritten Abschnitt anhand der Images und Funktionen um die Repräsentationen der verschiedenen Medien beim senegalesischen Publi-
330
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
kum geht, beschäftigt sich der letzte Abschnitt schließlich mit der Praxis der Zeitungslektüre. Er stützt sich in ethnographischer Tradition auf Beobachtungen und qualitative Befragungen.
9.2 PUBLIKUMSBILD
DER
JOURNALISTEN
Die Marktforschung ist in Senegal praktisch inexistent. Sowohl die Marktforschungsstudien des lokalen Privatunternehmens BDA als auch der Journalismusschulen CESTI und ISSIC arbeiten mit wenig elaborierten Befragungen, intransparent Erhebungsmethoden und unausgewogenen Stichproben. So gibt es keine einzige Studie, die Aussagen zur Mediennutzung in ganz Senegal macht. Auch Datenmaterial über Alters-, Geschlechter- oder Ortsverteilungen von Lesern sind nicht verfügbar. Diese Tatsache zieht praktische Konsequenzen nach sich: Zum einen können die senegalesischen Zeitungsverlage die Marktforschungsergebnisse nicht als Werbeanreize nutzen und zum anderen kennen sie ihr Publikum nur ungenau. Dies bringt sie um die Möglichkeit, die Form und Inhalte ihrer Zeitungen an die Publikumsbedürfnisse anzupassen. Wie Kapitel 7 gezeigt hat, sind sich die Printjournalisten bewusst, dass sich der Sektor der Massenmedien in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat. Nicht nur die Quantität an Informationen ist exponentiell gestiegen, sondern im Sinne der Diversität auch die Informationsqualität. Da die Printmedien in Sachen Aktualität und Informationsübertragungsgeschwindigkeit nicht mit Radio, Fernsehen und Internet mithalten können, erwartet das senegalesische Publikum vor allem vertiefte Information: „Wenn sie Zeitung lesen, dann um eine Erklärung zu finden, einen recherchierten Hintergrund.“ (Int 1) Die Qualitätspresse sieht ihre Klientel in der Bildungselite der urbanen Zentren. Als Gruppen werden die insbesondere Politiker, Geschäftsleute, Intellektuelle, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Mitglieder der Zivilgesellschaft identifiziert. Ihnen wird eine Relaisfunktion bei der sozialen Kommunikation zugesprochen. „Die Intellektuellen, die Zeitung lesen, diskutieren mit dem Volk und übermitteln auf diese Weise Informationen zu denjenigen, die keinen Zugang zu Zeitungen haben.“ (Int 1) Damit wird auf die Tatsache angespielt, dass viele Informationen aus der Presse über mediatisierte Debatten in den elektronischen Medien an breitere Bevölkerungskreise weitergegeben werden. Das gebildete Publikum wird von den Journalisten als schwierig empfunden. „C’est une entité versatile, promte à applaudir, plus prompte encore à vous jeter des pierres, à vous huer, improvisant facilement un lynchage en bonne et due forme. Une véritable enclume.“ (Niasse 2003: 35) Coulibaly (Sud Quotidien) präzisiert diese Kritik, indem er behauptet, dass große Teile der Leserschaft nicht Zei-
PLURIMEDIALITÄT
331
tung lesen, um sich zu informieren, sondern um sich in ihren Meinungen bestätigen zu lassen: „Das sind keine Leser, sondern Militante, die in dem bestätigt werden möchten, was sie lieben und was sie nicht lieben und was sie denken. Also für mich ist das eine sehr schwierige Leserschaft, weil sie nicht versteht, was eine Zeitung eigentlich ist. Ich habe den Eindruck, dass der senegalesische Leser Zeitung liest, aber er versteht weder, was eine Zeitung ist noch die Funktionen einer Zeitung.“ (Int 1).
Aus diesem Grund ist das intellektuelle Publikum auch nur sehr schwer zufrieden zu stellen. Mit Bezug auf die verschiedenen Popularisierungsstrategien der neuen Presse weist Sy (Taxi le Journal) darauf hin, dass es gelungen ist, neue soziodemographische Gruppen als Leser zu gewinnen: „Die Menschen beginnen sich für unser Blatt zu interessieren, weil die Behandlung der Vermischten Meldungen nicht dieselbe ist wie bei Le Populaire oder L’Actuel. Es sind wirklich die Vermischten Meldungen entweder über die Staatsverwaltung oder über die Justiz und die Polizei. Wir versuchen also auf diese Weise das schlafende Publikum zu erobern, das beginnt, sich für uns zu interessieren.“ (Int 1)
Noch einen Schritt weiter geht Sow, der zu wagen behaupt: „Alle lesen Mœurs. Mœurs hat selbst neue Leser kreiert. Es gibt Menschen, die uns gesagt haben, dass sie erst mit Mœurs angefangen haben, Zeitungen zu kaufen. Diese Menschen haben vorher noch nie eine Zeitung gekauft. Mœurs wird von Jugendlichen, Schülern, Lehrern, Politikern, Richtern, Rechtsanwälten und den Alten gelesen.“ (Int 1)
Zwar sind sich Sow und seine Kollegen von der Boulevardpresse darin einig, dass ihr Zeitungstyp überdurchschnittlich häufig von urbanen Frauen und von Jugendlichen gelesen wird, die sich insbesondere für Scoops und Klatsch interessieren. Aber auch dieses zumindest ansatzweise differenzierte Urteil kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Publikumsbild der Journalisten insgesamt recht vage bleibt. Die Special Interest Presse hat naturgemäß präzisere Vorstellungen über ihr Zielpublikum. So weiß Ding (Le Journal de l’Economie), dass sein Blatt vor allem von Unternehmensleitern, Managern, höheren Angestellten, Diplomaten, Finanzpolitikern und von Studenten gelesen wird. Und NތDiaye von (Lasli/Njelbéen) behauptet, dass das Publikumsspektrum seiner nationalsprachlichen Zeitung von Dakarer Akademikern bis zu Bauern aus der Fouta Region reicht: „Wir gehen
332
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
so vor, dass sich alle darin wiederfinden. Es gibt keine Sprachbarriere, denn wir verwenden ein einfaches Pulaar und Wolof, das sowohl von den Bauern als auch von den Akademikern verstanden wird.“ (Int 1) Mit Ausnahme der Regionalzeitungen in Städten wie Louga, St. Louis, Thiès und Ziguinchor gehört die nationalsprachliche Zeitung zu den wenigen Printmedien, die in die Lücke der regionalen Berichterstattung vorstoßen. Obwohl die Journalisten wissen, dass die Leser in den Regionen eine eigene Zeitungsseite wünschen, vernachlässigen sie diese Leserschaft. In diesem Sinne hängt die geringe Verbreitung der Printmedien zumindest teilweise mit der Dakar zentrierten Agenda zusammen.
9.3 MEDIENANEIGNUNG Im diesem Abschnitt wird die Auswertung der Umfrage zur Medienaneignung von 500 Senegalesen vorgestellt. Dabei wird nach jedem Medium getrennt vorgegangen.
9.3.1
Buch
Gemäß dem Datensatz ‚Senegal‘ wird das Buch von 64,2% der Bevölkerung gelesen. Dieser Wert steigt in Dakar sogar auf 78%, um in Diourbel auf 61% und in den Dörfern um Sédhiou auf 59% zu sinken. Diese Zahlen müssen aber insofern differenziert werden, als zwischen Büchern in Französisch (Lehrbücher, Romane etc.) und dem Koran als arabischsprachiger Literatur zu unterscheiden ist. Die Erhebung zeigt, dass französischsprachige Bücher wesentlich weniger genutzt werden als der Koran. Hochgerechnet auf die senegalesische Gesamtbevölkerung sind es nur noch 17%, die auf Sach- und Fachbücher oder Belletristik in Französisch zurückgreifen. In der Hauptstadt Dakar beträgt die Nutzung des Buches immerhin noch 40%. Männer lesen hier signifikant mehr als Frauen, jüngere Menschen mehr als Alte und gebildete Menschen (Angestellte213) und Auszubildende214) mehr als durchschnittlich weniger gut gebildete Berufstätige (Unabhängige215 und Andere216). Bereits in der Provinz-
213 Zu dieser Berufsgruppe zählen Kader sowie Angestellte von Privatunternehmen und Staatsverwaltung. 214 Zu dieser Berufsgruppe zählen sowohl Selbstständigerwerbende aus dem formellen und dem informellen Sektor. 215 Zu dieser Berufsgruppe zählen Schüler, Studenten und Lehrlinge. 216 Zu dieser Berufsgruppe zählen Hausfrauen, Arbeitsloser und Rentner.
PLURIMEDIALITÄT
333
stadt Diourbel nimmt die Buchnutzung auf 25% ab, wobei sie auf dem Lande sogar nur 5% erreicht. Tabelle 12: Nutzung Buch in Französisch (Befr 1) Gesamt
Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
17,0
19,9
13,1
22,9 19,1
4,0
33,3
7,9
76,9
5,5
40,3
37,1
50,0
55,3 38,5
18,9
37,8
28,2
86,7 39,5
25,0
28,8
14,8
31,7 22,2
14,3
41,7
3,8
66,7
0
5,0
4,3
5,6
10,8
0
0
2,5
75,0
2,0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou217
2,9
(N = 100)
Tabelle 13: Nutzung Koran (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
57,3
72,9
36,2
49,9 61,7
61,7
67,0
70,2
46,3
40,8
59,0
67,0
35,5
48,7 63,6
56,8
63,7
65,9
40,0
48,8
52,0
54,8
44,4
46,3 48,9
78,6
66,7
50,0
50,0
33,3
58,0
84,8
35,2
51,4 64,7
58,6
80,0
75,0
50,0
40,8
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Gegenüber der bescheidenen Nutzung französischsprachiger Bücher ist das Lesen des Korans wesentlich verbreiteter. Über die verschiedenen Befragungsorte hinweg beträgt sie konstant knapp 60%, wobei Männer das heilige Buch signifikant häufiger konsultieren als Frauen 217 Im Folgenden wird aus Gründen des Layouts der Befragungsort ‚Dörfer in der Region Sédhiou ދmit ‚Sédhiou ދabgekürzt.
334
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
und ältere Menschen häufiger als jüngere Generationen. Was die Häufigkeit der Buchlektüre (in französischer und arabischer Schrift) angeht, geben Probanden an, zu rund 50% täglich zu lesen. Auffälligerweise ist die Frequenz der täglichen Lektüre in der Hauptstadt Dakar mit 33,2% deutlich geringer als in Diourbel (52,5%) und Sédhiou (62,7). Dieses Ergebnis legt den Schluss nahe, dass insbesondere die religiöse Lektüre mit dem Urbanisierungsgrad abnimmt. Tabelle 14: Häufigkeit der Buchnutzung (Befr 1)
9.3.2
Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 321)
(N = 235)
(N = 60)
(N = 62)
Täglich
52,1
33,2
52,5
Regelmäßig
4,4
10,2
8,2
0
Gelegentlich
31,4
46,4
23,0
25,4
Selten
6,8
8,9
14,8
3,4
Weiß nicht
5,2
1,3
1,6
8,5
62,7
Zeitung und Zeitschrift
Zunächst soll der bereits in Kapitel 8.3.3 gegebene Überblick zur Printmediennutzung vertieft werden. De facto ist es eine Schicht von etwas über einem Viertel der Bevölkerung Senegals, die Zeitung und/ oder Zeitschrift liest. Hierbei sind auch die nicht alphabetisierten Probanden eingerechnet, die sich Printmedien vorlesen lassen oder sich nur die Fotos ansehen. Tabelle 15: Nutzung Zeitung/Zeitschrift (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
28,6
35,8
19,0
30,3 36,3
11,5
64,9
15,7
70,5
13,1
69,7
69,2
71,1
77,6 70,6
48,6
76,3
52,9
80,0
72,1
48,0
45,2
55,6
58,5 46,7
21,4
55,6
29,9
83,3
41,7
6,0
8,7
3,7
8,1
3,4
40,0
2,5
50,0
2,0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
5,9
PLURIMEDIALITÄT
335
Während das Medium Zeitung in Dakar von 69,7% der Probanden genutzt wird, nimmt die Nutzung rasant ab, sobald man die Hauptstadt verlässt. In Diourbel lesen noch 48% und in den Dörfern um Sédhiou sogar nur noch 6% der Probanden. Die Zeitung ist also ein urbanes Medium. Dieser Befund hängt erstens von der höheren Bildung in den Städten und zweitens vom beschränkten Vertriebsnetz ab, das die Verteilung auf dem Lande nicht sicherstellen kann. Was die Geschlechterverhältnisse angeht, lesen durchschnittlich mehr Männer Zeitung als Frauen. Allerdings ist der Anteil in Dakar mit rund 70% gleich verteilt und in Diourbel lesen Frauen (55%) mehr als Männer (45%). Im ruralen Gebiet gilt aber: Wenn gelesen wird, dann in der Regel von Männern. Hinsichtlich des Alters lässt sich sagen, dass Zeitung und Zeitschrift ein Phänomen der beiden jüngeren Altersgruppen sind. In der Altersgruppe ab 46 Jahre nimmt die Nutzung stark ab. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Alphabetisierung bei älteren Menschen geringen ist als bei jüngeren, die häufig eine Schule oder zumindest einen Alphabetisierungskurs besucht haben. Bei den Berufsgruppen ragen erwartungsgemäß die gut gebildeten Gruppen der Angestellten und der Auszubildenden heraus, während die in der Regel weniger gut gebildeten Unabhängigen und die übrigen Berufsgruppen deutlich weniger lesen. Allerdings ist die Lektürerate insbesondere in Dakar bei sämtlichen Berufsgruppen relativ hoch. Es fällt auf, dass auch die Berufsgruppe der Hausangestellten, Hausfrauen und Rentner mit 72,1% eine hohe Lektürerate aufweist. Dieser erste Überblick kann weiter differenziert und vertieft werden. Dies geschieht, indem die Printmedien getrennt nach den Sprachen Französisch, Wolof und Arabisch analysiert werden. Tabelle 16: Nutzung Zeitung/Zeitschrift in Französisch (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
28,0
34,6
19,0
29,9 35,5
10,7
61,7
15,7
70,5
13,1
69,0
68,3
71,1
77,6 69,5
48,6
74,8
52,9
80,0
72,1
45,0
41,1
55,6
56,1 44,4
14,3
47,2
26,9
83,3
41,7
6,0
8,7
3,7
8,1
3,4
40,0
2,5
50,0
2,0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
5,9
336
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Die Umfrage kommt zum eindeutigen Ergebnis, dass die Zeitung in Senegal ein französischsprachiges Phänomen ist. Die Auswertung des gesamten Zeitungsbereichs deckt sich praktisch vollständig mit derjenigen zum französischsprachigen Zeitungsbereich. Es gibt keinerlei signifikante Unterschiede. Tabelle 17: Nutzung Zeitungen/Zeitschrift in Wolof (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
1,1
1,8
0
0,9
1,3
0,7
2,0
0,7
3,6
0,4
1,7
2,2
0
2,6
1,6
0
0,7
3,5
3,3
0
4,0
5,5
0
2,4
4,4
7,1
5,6
0
8,3
4,2
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Tabelle 18: Nutzung Zeitungen/Zeitschrift in Arabisch (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
1,6
2,5
0,4
1,9
1,9
0,7
4,5
1,2
2,4
0,4
2,0
2,7
0
2,6
2,1
0
2,2
3,5
0
0
7,0
8,2
3,7
7,3
6,7
7,1
11,1
3,8
8,3
4,2
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Dementsprechend kommt die Zeitung in der Nationalsprache Wolof nicht über ein Schattendasein hinaus. Durchschnittlich lesen nur rund 1% der Bevölkerung Zeitung in ihrer Muttersprache. Dieser Anteil entfällt ausschließlich auf männliche Probanden. In Diourbel erhöht
PLURIMEDIALITÄT
337
sich die Rate immerhin auf 4%. Aufgrund der niedrigen Fallzahl lassen sich zwischen den Alters- und Berufsgruppen keine signifikanten Unterschiede ausmachen. Eine minimal höhere Verbreitung erfahren die Zeitungen in Arabisch. Hochgerechnet auf den Senegal sind es etwa 1,6% der Bevölkerung die Printmedien in arabischer Schrift lesen. Diese Lesergruppe macht in Dakar 2% aus. In Diourbel – das zwischen Tivaouane, der heiligen Stadt der Tidjane Bruderschaft, und Touba, der heiligen Stadt der Mouriden, liegt – steigt sie auf immerhin 7%. Wie schon bei Zeitungen in Wolof gibt es dagegen für die arabischen Blätter keine Leser in es in den Dörfern um Sédhiou. Tabelle 19: Häufigkeit der Zeitungsnutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 143)
(N = 209)
(N = 48)
(N = 6)
Täglich
33,3
49,3
12,5
Regelmäßig
9,0
12,9
4,2
0
Gelegentlich
33,7
32,1
37,5
33,3
Selten
22,6
4,3
43,8
66,7
Weiß nicht
1,4
1,4
0
0
0
In Senegal geben 42,3% der Probanden an, mehrmals pro Woche zu lesen, während 57,7% nur gelegentlich oder selten lesen. Dieser Überblick ist für die einzelnen Regionen zu präzisieren. Dabei zeigt es sich, dass die Printmedien und die Frequenz ihrer Nutzung sehr unterschiedlich genutzt werden. In der Metropole Dakar lesen rund zwei Drittel der Bevölkerung Zeitung und/oder Zeitschrift, wobei dies 62,2% mehrmals die Woche tun. In der Provinzstadt Diourbel im Landesinnern sinkt bereits die Lesehäufigkeit. Hier sind es zwar knapp die Hälfte der befragten Personen, die angeben Zeitung zu lesen, jedoch macht die Gruppe der regelmäßigen Lesern nur noch 16,7% aus. In den Dörfern rund um die Stadt Sédhiou in der Casamance Region gibt es bereits überhaupt keine regelmäßigen Leser mehr. Während ein Drittel angibt, gelegentlich zu lesen, sagen zwei Drittel aus, dies nur selten zu tun.
9.3.3 Diskussion der Ergebnisse
Wenn man die Ergebnisse zur Nutzung von Printmedien mit dem in Kapitel 6.3 referierten Forschungsstand und den Aussagen der interviewten Journalisten in Kapitel 9.2 vergleicht, fällt eine große Diskrepanz auf. Gemäß dieser Studie finden Zeitungen, Zeitschriften und mit Abstrichen auch Bücher eine wesentlich größere Verbreitung als gemeinhin angenommen. Insbesondere in der Hauptstadt Dakar erreicht
338
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
die Zeitungslektüre eine fast unglaubwürdige Höhe. Aus diesem Grund ist das Ergebnis hier zu diskutieren. Zunächst ist zu unterstreichen, dass der Datensatz sehr genaue Ergebnisse liefert, die teilweise von externem Datenmaterial gestützt werden. Beispielsweise stimmt die hier erhobene Alphabetisierungsrate in Französisch von 36,5% ziemlich gut mit dem offiziellen Wert von 39,3% (UNDP 2005: 221) überein. Auch passen Auflagenzahl und Lektürerate zusammen, wenn man einen Ausleihekoeffizienten von zwischen zehn und 15 zu Grunde liegt (vgl. Loum 2003). Ferner ist es ein Merkmal der senegalesischen Pressekultur, dass auch Analphabeten und Blinde die Printmedien nutzen. In Dakar geben 46,4% an, dass es vorkäme, dass sie sich nur die Bilder ansehen und 35,7%, dass sie sich aus den Printmedien vorlesen lassen würden. Diese Ziffer deckt sich in mit der Aussage der qualitativ befragten Leser (Befr 2): 57,6% sagen, dass sie Analphabeten schon mal vorgelesen hätten. Allerdings sagt die bisher referierte Aneignung der Presse noch nichts über die Qualität und Intensität der Lektüre aus (vgl. Kapitel 9.5). Die Stichprobe zielt nicht auf Repräsentativität ab. Im Hinblick auf die Lektürepraktiken wurde vor allem an dem Ort befragt, wo zu erwarten war, dass überhaupt gelesen wird. Dennoch ist das methodische Vorgehen im Nachhinein kritisch zu hinterfragen. Denn das Stichprobenverfahren der quantitativen Befragung (Cluster-Sample kombiniert mit Randomwalk) hat dazu geführt, dass mehrheitlich Probanden im öffentlichen Raum befragt wurden. Dadurch ist es aber aller Wahrscheinlichkeit zu drei Verzerrungen gekommen: Erstens ist davon auszugehen, dass Alphabetisierungsgrad und Mediennutzung in einem Zusammenhang stehen. Da aber überdurchschnittlich viele Männer (68,6%) befragt wurden und Frauen unterrepräsentiert (31,4%) waren, und da die offizielle Alphabetisierungsrate von senegalesischen Frauen mit 28% wesentlich geringer ist als diejenige von Männer (47%), ist damit zu rechnen, dass sich die Unausgewogenheit der Stichprobe verzerrend auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Zweitens muss vermutet werden, dass die im öffentlichen Raum befragten Probanden überdurchschnittlich viel lesen. Diese Vermutung rührt daher, dass Gruppen wie Hausangestellte, Arbeitslose, Kranke und Alte, die überdurchschnittlich wenig lesen, wenig in der Öffentlichkeit anzutreffen sind. Drittens wurden Jugendliche unter 18 Jahre aus der Erhebung ausgeschlossen. Angesichts der Tatsache, dass 58% der Bevölkerung weniger als 20 Jahre alt sind, ist rund die Hälfte der Bevölkerung grundsätzlich nicht für die Stichprobe berücksichtigt worden. Es wäre entsprechend angemessen gewesen, die Alterslimite etwas tiefer anzusetzen. Darüber hinaus muss es im Nachhinein als Fehler bezeichnet werden, die Alphabetisierung in den Sprachen Französisch, Wolof und Arabisch abzufragen anstatt durch einen Lektüretest zu überprüfen.
PLURIMEDIALITÄT
9.3.4
339
Radio
Wie bereits in Kapitel 7.2.7 vorweggenommen, ist das Radio das wichtigste Massenmedium in Senegal. Es bietet Information, Unterhaltung und soziale Dienstleistungen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die musikalischen und interaktiven Sendungen. Tabelle 20: Nutzung Radio (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
95,5
97,4
93,1
96,4
96,9
91,7
99,2
96,2
100
93,5
99,3
99,1
100
98,7
100
97,3
98,5
100
100
100
99,0
98,6
100
100
97,8
100
100
96,2
100
100
93,0
95,7
90,7
94,6
94,1
89,7
100
95,0
100
91,8
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Es erreicht in allen Probandengruppen Werte von über 90%. Im Durchschnitt hören 95% der senegalesischen Bevölkerung Radio. Während dieser Wert in den Städten Dakar und Diourbel sogar 99% erreicht, sinkt er in den Dörfern um Sédhiou auf 93%. Aber auch hier ist die Radionutzung als alltägliche Praktik zu bezeichnen. Hier hören Frauen, ältere Menschen sowie die Berufsgruppe der Hausfrauen, Hausangestellten und Rentner auf einem hohen Niveau etwas weniger Radio als Männer, jüngere Menschen und die Berufsgruppen der Angestellten, Unabhängigen und Auszubildenden. Tabelle 21: Häufigkeit der Radionutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 478)
(N = 297)
(N = 99)
(N = 93)
Täglich
91,9
91,6
93,9
91,4
Regelmäßig
2,9
2,7
2,0
3,2
Gelegentlich
3,1
3,7
2,0
3,2
Selten
1,0
1,0
1,0
1,1
Weiß nicht
1,0
1,0
1,0
1,1
340
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Die Omnipräsenz des Radios im senegalesischen Alltag zeigt sich auch dadurch, dass das Massenmedium an allen Erhebungsorten zu über 90% täglich eingeschaltet wird.
9.3.5
Die Presseschau
Im Rahmen der ersten Fallstudie ist bereits auf die Interaktionen zwischen Radio und Printmedien eingegangen worden. Ly (Sud Quotidien) erläutert dieses Phänomen ausführlich: „Die Geschichte der senegalesischen Massenmedien zeigt, dass sich die Information mit dem Radio demokratisiert hat. Trotz ihrer quantitativ beschränkten Leserschaft weisen die Zeitungen häufig einen Inhalt der Analyse, der Information und der Reflexion auf, der es verdient, von einem viel größeren Publikum wahrgenommen zu werden. Es sind die Presseschauen am Radio, die es erlauben, diese Informationen auf Wolof zu verbreiten und auch diejenigen zu erreichen, die nicht lesen können. Die Presseschau ist zu einer Institution geworden ist, vor allem die Sendungen von Abdoulaye Cissé. Sie haben die Leute dazu gebracht, sich dafür zu interessieren, was die Zeitungen schreiben.“ (Int 1)
Alle staatlichen und kommerziellen Kanäle, aber auch ein Teil der Kommunalradios senden mehrmals täglich Presseschauen. Sie dauern in der Regel zwischen fünf und zehn Minuten und werden abwechselnd in Französisch und in Wolof gesendet. Einige Radios wie Oxy Jeunes bieten die Presseschauen auch in den Nationalsprachen Pulaar, Serère, Diola und Mandingo an. Allerdings sind Presseschauen in diesen Minderheitensprachen deutlich unterrepräsentiert. Mit Bezug auf die Printmediennutzung kann geschlossen werden, dass die Zeitungen ihre größte und regelmäßigste Verbreitung durch das Radio erfahren. Hochgerechnet ergibt sich, dass 46,4% der senegalesischen Bevölkerung die Presseschau hören. Besonders die Berufsgruppe der Angestellten hören mit 78,6% wesentlich häufiger diese Art der Informationssendung als Auszubildende (57,2%), unabhängige Berufstätige (44,5%) und die übrigen Berufsgruppen (27,9%). Unterschiede bestehen ferner zwischen den Altersgruppen: Jüngere Bürger hören signifikant häufiger die Presseschau als die älteren Bevölkerungsgruppen. Die größte Verbreitung findet die Presseschau aber im urbanen Gebiet. Sowohl in der Hauptstadt Dakar als auch in der Provinzstadt Diourbel hören weit über 70% der Probanden die Presseschau. Wie die Tabelle zeigt, ist diese Häufigkeit über Geschlecht, Alter und Beruf relativ konstant. Es bestehen hier also keine signifikanten Unterschiede und auch Frauen, ältere Menschen und Bürger mit niedrigerem Bil-
PLURIMEDIALITÄT
341
Tabelle 22: Nutzung Presseschau (Befr 1) Gesamt
Geschlecht Alter
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
46,4
58,7 29,7
46,5
55,3
29,6
78,6
44,5
57,2
27,9
77,7
80,4 69,7
78,9
79,1
67,6
80,0
80,0
86,7
62,8
73,0
75,3 66,7
70,7
75,6
71,4
75,0
80,8
58,3
66,7
26,0
37,0 16,7
29,7
29,4
17,2
80,0
27,5
25,0
18,4
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
dungsniveau schalten die Presseschau ein. Allerdings nimmt die Beliebtheit der Sendung auf dem Land rapide ab. In den Dörfern um die Departementshauptstadt Sédhiou hört nur noch ein Viertel der Bevölkerung die Presseschau. Dies wird dadurch erklärbar, dass in dem Lebensraum der Ethnie Mandingo kaum Presseschauen in der Muttersprache der Bevölkerung gesendet werden und die Hörer auf Presseschauen in den Fremdsprachen Französisch oder Wolof zurückgreifen müssen. In der Region bestehen auch signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Angestellten und NichtAngestellten. Die herausragende Bedeutung der Presseschau zeigt sich in der Häufigkeit, mit der die Sendung gehört wird. Durchschnittlich hören drei Viertel der senegalesischen Probanden die Presseschau täglich. In Dakar erhöht sich dieser Wert sogar auf 83,3%. Die regelmäßigen, gelegentlichen und seltenen Hörer machen je nach Befragungsort maximal 12,3% und minimal 1,7% aus. Aus welchen Gründen schalten die senegalesischen Probanden die Presseschau an? Insgesamt werden fünf verschiedene Gründe für die Popularität der Sendung angegeben. Tabelle 23: Häufigkeit der Nutzung Presseschau (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 232)
(N = 233)
(N = 73)
(N = 26)
Täglich
75,4
83,3
75,3
65,4
Regelmäßig
8,9
6,4
9,6
11,5
Gelegentlich
9,2
8,6
12,3
7,7
Selten
6,5
1,7
2,7
15,4
0
0
0
0
Weiß nicht
342
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Tabelle 24: Nutzungsmotive Presseschau (Befr 1; mehrere Antworten möglich) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 232)
(N = 233)
(N = 73)
(N = 26)
Information
85,7
96,7
75,3
80,8
Allgemeinbildung
15,3
21,5
0
19,2
Hilfe bei
10,7
18,5
6,8
3,8
Unterhaltung
5,6
13,3
0
0
Weiß nicht
2,7
0
0
7,7
Kaufentscheidung
In allen drei Regionen ist der am häufigsten genannte Grund das Wissen. Rund 85% der urbanen und ruralen Bevölkerung hört die Presseschauen, um sich kurz über das Geschehen zu informieren. Die Presseschauen werden in aller Regel nicht gehört, um zu wissen, was die einzelnen Zeitungen berichten oder welche Position die Redaktionen einnehmen, sondern um über die innen- und außenpolitische Aktualität informiert zu sein. In diesem Sinne kann man schließen, dass die Presseschau die Nachrichtensendungen des Radios ergänzt. Darauf deutet nicht nur hin, dass hochgerechnet 15,4% der Probanden die Sendung zur Erweiterung des Allgemeinwissens hören, sondern auch, dass nur 10,7% die Presseschau zur Unterstützung bei ihrer Entscheidung beim Zeitungskauf heranziehen. Zur Unterhaltung wird die Presseschau jedoch kaum eingeschaltet. Nur 13,4% der Dakarer ist der Unterhaltungswert ein Grund für die Popularität des Sendegefäßes. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Presseschau insbesondere bei der urbanen und gut ausgebildeten Bevölkerung ein sehr beliebtes Informationsmedium darstellt. Die Sendungen sprechen aber auch die analphabetisierten Bevölkerungsteile und jene an, die zwar lesen können, aber kein Geld oder keine Zeit für die Zeitung haben: „Ich glaube, dass die Presseschauen helfen die Zeitungen und ihre Inhalte beim großen Publikum bekannter zu machen. Das ist eine willkommene Werbung für die Zeitungen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob sie einen Einfluss auf die Verkaufszahlen haben.“ (Int 1) Auch wenn die Radiojournalisten keine Werbung für einzelne Zeitungstitel machen, ist ihr Ziel allerdings explizit, zum Kauf von Zeitungen beizutragen. „Diese Bedeutung ist so groß, dass mir manche Hörer sagen, dass sie aufgrund der Presseschau keine Zeitungen kaufen, weil es so viele gibt und sie nicht alle kaufen können. Also, dann antworte ich, dass ich meinen Auftrag verfehlt habe“, wie Cissé (Sud FM) berichtet. Cissé gilt als Mister Revue de Presse. Denn mit seiner Intonationsakrobatik, seinen Kommentaren, seinem Witz und seiner Ironie bietet er dem Publikum einen attraktiven und bisher unbekann-
PLURIMEDIALITÄT
343
ten Zugang zu den Zeitungsinformationen. Die in den Fotointerviews befragten Probanden bestätigen die Bedeutung der Presseschau: „Jeden Tag höre ich die Presseschau um mich zu informieren, weil ich keine Zeit zum Lesen habe. So höre ich um 13 Uhr die Presseschau auf Sud FM. Jeden Tag. Abdoulaye Cissé mit seiner Stimme, die mich berührt. Er ist der beste aller Journalisten. Ich höre die beiden Presseschauen auf Sud FM und Walf FM und kenne die ganze senegalesische Aktualität.“ (Int 2)
Eine andere Person ergänzt: „Ja, sie ist wichtig, denn die Menschen, die nicht lesen können, können sich mit der Presseschau auf Wolof informieren. Aber sie ist ohne Details. Manchmal ermuntert sie die Menschen, eine Zeitung zu kaufen, wenn du von einem Titel hörst, der dich interessiert.“ (Int 2) Der Erfolg der Presseschauen bringt aber auch einige Konflikte mit sich. Zum einen verfügen manche Radiosender über eine qualitativ schlechte Informationsabteilung. Um dieses Defizit wett zu machen, werden in manchen Sendungen die Zeitungsartikel integral vorgelesen, so dass sich die Zeitungen nicht mehr verkaufen. In diesem Fall wird die Presseschau zum Konkurrenten des Blattes. Zum anderen kommt es vor, dass einige Radiosender nur bestimmte Blätter zitieren. Sow (Mœurs) kritisiert diese Praktiken: „Manche Journalisten zitieren sich schlecht verkaufende Titel weil der Verleger ihr Freund ist. Sie ignorieren andere Blätter weil sie glauben dass sie Konkurrenten seien. Diese Einstellung ist eines professionellen Journalisten unwürdig.“ (Int 1) Zwar weist Cissé solche Vorwürfe für seine eigene Sendung weit von sich, aber er bestätigt, dass seine Arbeit durch den Erfolg der Presseschau schwierig geworden ist. Insbesondere das Problem des Klientelismus macht ihm zu schaffen: „Es gibt diese Manipulation und ich erlebe sie regelmäßig. Aber ich gebe zu, dass wenn ich nichts Berichtenswertes in einem Artikel finde, ich einen Blackout vortäusche. Ich versuche, eine Entschuldigung zu finden. Es ist nicht böswillig, dass die Leute wollen, dass ich von ihren Artikeln spreche, aber ich muss diese Manipulation vermeiden. Ich finde also Entschuldigungen der Sorte, dass ich die Zeitung verspätet erhalten habe. Man wird sich nicht gegen mich erzürnen und ich möchte auch nicht, dass sich alle gegen mich erzürnen. Denn auch ich kann einmal Bedarf haben, dass man mir einen Gefallen tut.“ (Int 1)
344
9.3.6
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Kassette
Eine ähnlich hohe Verbreitung wie das Radio erfährt der Tonträger Kassette.218 Er kostet im Handel zwischen 1000 und 1500 francs CFA (2,5 – 3,7 CHF).219 Durchschnittlich wird die Kassette von 92,4% der Probanden genutzt. Wie aber schon beim Buch ist die Nutzung von Musikkassetten und von religiösen Kassetten zu unterscheiden. Tabelle 25: Nutzung Musikkassetten (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
60,3
58,2
63,1
78,6
67,2
18,6
62,4
57,3
95,2
55,7
69,0
65,6
78,9
89,5
69,5
24,3
68,9
67,1
93,3
55,8
66,0
60,3
81,5
78,0
68,9
21,4
61,1
53,8
91,7
75,0
55,0
52,2
57,4
75,7
64,7
17,2
40,0
55,0
100
53,1
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Die Kassette mit musikalischen Inhalten wird von rund 60% der senegalesischen Bevölkerung gehört. Die lokale Musikkultur und -industrie gehört zu den kulturellen Aushängeschildern des Senegal. In den Tonstudios von Dakar werden Mbalax, Rap, Reggae, RnB, Salsa und Zouk, aber auch traditionelle Stile hergestellt. Künstler wie Youssou NތDour, Baaba Maal, Coumba Gawlo Seck oder Gruppen wie Da Brains, PBS und Touré Kounda verkaufen sowohl auf dem Heimatmarkt als auch im Ausland ihre Produkte. Die Nutzung von Kassetten ist unter den Geschlechtern relativ konstant, während hinsichtlich des Alters große Unterschiede bestehen: Junge (78%) nutzen den Ton218 Die CD verbreitet sich zwar insgesamt in den Städten rasant, wurde in der Erhebung aber nicht eigens abgefragt. In Senegal gibt es jedoch kaum Probanden, die zwar CDs, nicht aber Kassetten als Tonträger nutzen. 219 Raubkopien von Kassetten und CDs kosten zwischen 50% und 80% weniger als die Originale. Sie werden vornehmlich aus Asien importiert. Um den lokalen Künstlern etwas mehr Schutz zu bieten, hat die Urheberrechtsgesellschaft BSDA ein Markenzeichen eingeführt, das für die Originalität der Produkte bürgt. Neben den Raubkopien drücken aber auch die von DJs und Verkäufern hergestellten Kompilationen auf die Einnahmen der Musiker.
PLURIMEDIALITÄT
345
träger signifikant mehr als ältere (18%). Aus diesem Grund ragt auch die Berufsgruppe der Auszubildenden mit 95% heraus. Die Kassette wird vor allem zu Hause, auf Festen, in den Jugendclubs und in Discos gehört. Unterschiede hinsichtlich der Befragungsorte gibt es in dem Sinn als die Musikkassette in Dakar und Diourbel von rund zwei Drittel der Probanden gehört wird, während dieser Wert in den Dörfern um Sédhiou auf etwas über 50% sinkt. In den Städten fällt ferner auf, dass signifikant mehr Frauen die Musikkassette nutzen als Männer. Tabelle 26: Nutzung religiöse Kassetten (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
86,6
88,6
83,8
85,8
90,3
80,6
83,4
90,7
66,8
88,0
81,7
85,3
71,1
81,6
81,3
83,8
80,0
85,9
70,0
86,0
89,0
87,7
92,6
87,8
91,1
85,7
91,7
88,5
83,3
91,7
88,0
91,3
85,2
86,5
97,1
79,3
80,0
92,5
50,0
87,8
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Insgesamt erreichen die Kassetten mit religiösen Inhalten eine größere Reichweite als die Musikkassetten. Bei den religiösen Kassetten handelt es sich um Reden und (Koran-)Rezitationen von Marabuts. Sie sind ein einträglicher Geschäftszweig der religiösen Führer. An sämtlichen Befragungsorten liegt die Nutzung bei mehr als 80%, wobei sie in Diourbel und Sédhiou höher ist als in der Metropole Dakar. Auch dieses Kriterium deutet wieder auf die hohe Religiosität der senegalesischen Gesellschaft hin. Bei den Geschlechterverteilungen hören mehr Männer die religiösen Kassetten als Frauen. Bei den Berufsgruppen fällt auf, dass insbesondere die Auszubildenden signifikant weniger diesen Tonträger nutzen als die übrigen Berufsgruppen. Dagegen sind die Altersverteilungen ziemlich konstant. Was die Häufigkeit der Kassettennutzung angeht, hören mehr als 50% der Probanden in Dakar und Diourbel täglich den Tonträger, während diese Rate in Sédhiou auf unter 30% sinkt.
346
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Tabelle 27: Häufigkeit der Kassettennutzung (Befr 1)
9.3.7
Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 462)
(N = 279)
(N = 95)
(N = 93)
Täglich
38,3
50,2
56,4
28,3
Regelmäßig
27,6
11,6
26,6
34,8
Gelegentlich
28,1
31,4
10,6
31,5
Selten
3,5
5,4
5,3
2,2
Weiß nicht
2,4
1,4
1,1
3,3
Fernsehen
Nur knapp nach dem Radio ist das Fernsehen das zweitbeliebteste Medium in Senegal. Tabelle 28: Nutzung Fernsehen (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
83,6
86,7
79,2
91,9
88,5
61,2
92,7
78,7
100
79,6
97,0
96,4
98,7
96,1
97,3
97,3
97,0
96,5
100
95,3
83,0
80,8
88,9
87,8
86,7
57,1
80,6
69,2
100
95,8
78,0
82,6
74,1
91,9
82,4
55,2
100
75,0
100
75,5
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Insgesamt sehen 83% der Senegalesen fern. Männer nutzen das audiovisuelle Massenmedium signifikant mehr als Frauen, genauso wie junge Generationen es mehr nutzen als die älteren Menschen. Da der senegalesische Fernsehmarkt weitgehend nicht liberalisiert ist, kommt der öffentlich-rechtliche Sender RTS mit 65% auf den grössten Marktanteil (Wolf 2004: 167). Die internationalen Sender TV5 (18%), Canal Horizons (5%) und Canal France International (5%) folgen mit großem Abstand. Die Nutzung des Fernsehens ist in den verschiedenen Regionen unterschiedlich: In Dakar wird das Fernsehen fast von der gesamten Bevölkerung genutzt. Hier gibt es auch keine signifikanten Unterschiede zwischen Alters-, Geschlechter- und Berufsgruppen. Die Nut-
PLURIMEDIALITÄT
347
zungsraten sind fast genauso hoch wie bei der Radionutzung. Mit anderen Worten, das Fernsehen konkurrenziert zumindest in der Metropole die Vorherrschaft des Radios.220 Während die Nutzung in der Provinzstadt Diourbel etwa dem senegalesischen Durchschnitt entspricht, sinkt die TV-Nutzung auf dem Lande auf immer noch beachtliche 78%. Vor allem die älteren Bevölkerungsgruppen sehen nur noch zu etwas über 50% fern. Aus diesem Grund kann die Befragung das Urteil von Sy relativieren: „La télédiffusion sénégalaise est resté un phénomène urbain et péri-urbain. Dès le départ, les communautés villageoises en sont exclues. Démunies, avec un revenu annuel moyen d’environ 25.000 francs CFA qui ne leur permet pas d’acheter un poste récepteur de télévision équivalant au moins à 10 fois leur revenu annuel, les paysans n’y ont pas accès jusqu'à une date récente […]. En outre, l’accès à l’électricité reste un écueil de taille dans un pays dont les milliers de villages sont en majorité sans électricité.“ (2003: 243)
Sy scheint dabei außer acht zu lassen, dass sich die Bewohner von vielen Dörfern unterdessen am Abend vor dem Schul- und Bibliotheksgebäude treffen können, um öffentlich fernzusehen. Diese Tendenzen bestätigen sich auch bei der Nutzungshäufigkeit. In Dakar wird mit 80% wesentlich häufiger täglich ferngesehen als in Diourbel und in den Dörfern um Sédhiou. Allerdings sind die Nutzungspraktiken sehr unterschiedlich. Während in den Städten vor allem zu Hause ferngesehen wird, herrscht auf dem Lande die öffentliche Fernsehnutzung vor. Tabelle 29: Häufigkeit Fernsehnutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 418)
(N = 291)
(N = 83)
(N = 78)
Täglich
63,3
80,8
68,7
Regelmäßig
9,7
3,1
10,8
12,8
Gelegentlich
18,7
10,0
10,8
25,6
Selten
5,5
4,5
8,4
5,1
Weiß nicht
2,8
1,7
1,2
3,8
52,6
220 Dieser Befund deckt sich auch mit der Côte d’Ivoire. Siehe: Tudesq (2004).
348
9.3.8
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Video
Das Video hat auch in Westafrika seinen Platz als Ergänzungsmedium gefunden.221 In Senegal wird es nicht nur für Spielfilme, sondern vor allem für Musikvideos und für Mitschnitte von privaten Festen wie Hochzeit und Taufe genutzt. Tabelle 30: Nutzung Video (Befr 1) Alter
in %
in %
in %
in %
18-
31-
30
45
ab 46
27,1
30,7
22,3
33,4
28,6
14,6
40,9
22,3
63,5 17,8
47,0
46,0
50,0
57,9
47,1
24,3
45,9
48,2
56,7 41,9
37,0
37,0
37,0
48,8
35,6
7,1
41,7
19,2
58,3 37,5
16,0
17,4
14,8
21,6
11,8
13,8
20,0
15,0
75,0 12,2
Andere
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
In Ausb.
Gesamt Geschlecht
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Tabelle 31: Häufigkeit Videonutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 136)
(N = 141)
(N = 37)
(N = 16)
Mehrmals pro Woche
4,9
3,5
5,4
6,3
Mindestens einmal pro
2,1
2,1
5,4
0
Mindestens einmal pro Monat
39,8
51,8
29,7
31,3
Mindestens einmal pro Jahr
52,9
41,8
59,5
62,5
Weiß nicht
0,4
0,7
0
0
2 Wochen
Das Medium hat sich vor allem in den Städten durchgesetzt. In Dakar sehen knapp 50%, in Diourbel knapp 40% der befragten Probanden Video. Zwar ist die Geschlechterverteilung in etwa gleich, allerdings bestehen hinsichtlich der Altergruppen signifikante Unterschiede. Die jüngste Generation ist mit dem Video am vertrautesten, gefolgt von 221 DVD und VCD verbreiten sich kontinuierlich in den Städten. Da sie allerdings im Jahr 2003 noch keine größere Verbreitung gefunden hatten, wurden sie aus der Erhebung ausgeklammert.
PLURIMEDIALITÄT
349
der mittleren Generation. Hinsichtlich der Berufsgruppen sehen die gut gebildeten Probanden signifikant mehr Video als die weniger gut gebildeten. Video ist aber ein Medium, das wird nur in marginalem Umfang wöchentlich oder monatlich gesehen wird. Meistens wird es einmal im Monat oder sogar nur einmal pro Jahr genutzt. Diese geringe Nutzungshäufigkeit hängt vor allem mit der geringen Verbreitung von Videogeräten zusammen. Meistens sehen die Senegalesen auswärts Video.
9.3.9
Kino
Das westafrikanische Kino blickt auf eine hundertjährige Tradition zurück (Diawara 1992; Gutberlet 2004). Auch das senegalesische Kino selbst international berühmte Filme, Regisseure und Schauspieler hervorgebracht. In den letzten 15 Jahren ist es aber nicht zuletzt durch den Aufstieg des Fernsehens zurückgedrängt worden. Die öffentlichrechtlichen Anstalten sind nur selten zu Koproduktionen bereit und das Publikum zieht das Fernsehen dem vergleichsweise teuren Kinobesuch vor. Aus diesem Grund sind in Dakar sämtliche Kinos eingegangen – mit Ausnahme von Kinos in Kulturzentren und in den Quartieren (asiatische Actionfilme, Bollywood- sowie Sexfilme). Der Bedeutungsverlust des Kinos schlägt sich auch in der Nutzung nieder. Hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerung gehen nur 7,4% überhaupt ins Kino. Während das Kino auf dem Land inexistent ist, steigt die Nutzung in Dakar und Diourbel auf rund 18%. Gut gebildet und jüngere Menschen gehen dabei häufiger ins Kino als weniger gut gebildete. Die ältere Generation geht dagegen praktisch nicht ins Kino. Tabelle 32: Nutzung Kino (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
7,4
9,7
4,2
9,6
9,0
0,7
13,7
3,8
19,2
4,9
18,7
19,6
15,8
25,0
18,7
5,4
21,5
11,8
20,0
18,6
17,0
16,4
18,5
26,8
13,3
0
5,6
11,5
41,7
29,2
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
350
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Die bescheidene Bedeutung wird auch durch die Häufigkeit des Kinobesuchs unterstrichen. In Dakar gehen nicht einmal 10% der Probanden mindestens einmal pro Monat ins Kino. Die große Mehrheit geht entweder nur einmal pro Jahr oder sogar weniger ins Kino. Tabelle 33: Häufigkeit Kinonutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 37)
(N = 56)
(N = 17)
(N = 0)
Mehrmals pro Monat
6,6
3,6
11,8
0
Mindestens einmal pro Monat
7,7
5,4
11,8
0
Mehrmals pro Jahr
32,4
41,1
17,6
0
Weniger als einmal pro Jahr
46,6
42,9
52,9
0
Weiß nicht
6,7
7,1
5,9
0
9.3.10 Internet a) Aneignung durch die Zeitungsredaktionen
Dank einer guten Infrastruktur und eines attraktiven Angebots sind Internet und (Mobil-)Telefonie im afrikanischen Vergleich weit verbreitet. Der senegalesische Telekommunikationsmarkt ist finanzkräftig genug, um für internationale Unternehmen attraktiv zu sein. In den 1990er Jahren wurde er von der Agence de Régulation des Télécommunications (ART) teilweise liberalisiert. Zunächst wurde der frühere Monopolist Sonatel halb privatisiert. An der Aktiengesellschaft ist neben dem senegalesischen Staat ist an der Aktiengesellschaft auch France Télécom beteiligt. Das Monopol des Fixnetzes wurde allerdings nicht aufgehoben. Jedoch trägt das Unternehmen insbesondere durch die Lizenzierung von privaten Télécentres zu einer guten Infrastruktur bei. Was das Internet angeht, so fungieren Sonatel Mulitmédia und elf weitere Unternehmen als Provider. Nach Südafrika und Marokko verfügt der Senegal über die drittschnellste Internetinfrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent.222 Auch die senegalesischen Zeitungen nutzen das Internet. Zum einen setzen sie es für Redaktionsarbeiten wie Recherche und Informationsübermittlung ein. Allerdings beklagen manche Journalisten, dass insbesondere die junge Generation angesichts der Möglichkeiten der Online-Recherche die Investigation vor Ort vernachlässige. Sie sind „de222 Die Übertragungsgeschwindigkeit ist von 90 Kbit/s (1996), auf 2,4 (1998), 42 (2000) und schließlich auf 53 Mbit/s (2002) gestiegen. Insgesamt gibt es 1516 senegalesische Internetseiten (Domainname .sn), wovon 387 in Betrieb sind.
PLURIMEDIALITÄT
351
venus experts dans l’art d’exploiter à satiété des textes piochés sur le Net“ (Thiam 2004: 29). Zum anderen ist eine ansehnliche Anzahl von senegalesischen Zeitungen mit einer eigenen Homepage auf dem Internet präsent. Sie waren „parmis les premiers d’Afrique de l’Ouest francophone à monter sur le Web“ (ebd.: 23), Sud Quotidien beispielsweise seit 1997. Insgesamt verfügen neun von 19 Tageszeitungen über eine eigene Homepage.223 Quantität und Qualität des Onlineangebots haben sich in den letzten Jahren verbessert, wobei sich die Internetausgaben auf die digitale Reproduktion der Printausgabe beschränken. Mit Ausnahme von Le Soleil gibt es keine OnlineRedaktionen und wenn internetspezifische Service vorhanden sind, dann beschränken sie sich auf einfache Umfragen zu aktuellen Themen. Newsticker gibt es bisher keine. Dies ist auf die geringen Werbeeinnahmen der Homepages zurückzuführen. „Aber was würde uns das einbringen? Wir haben einmal eine Rechnung aufgestellt, wie viel uns das kosten würde, aber wir sind uns bewusst geworden, dass uns das gar nichts einbringen würde. Wir würden viel Geld verlieren, obwohl wir doch benötigen. Vielleicht wenn uns jemand subventionieren würde oder in Kollaboration arbeiten würde, aber ganz allein, wird das schwierig sein“ (Int 1),
wie Dieng (Journal de l’Economie) erklärt. Diejenigen Redaktionen, die sich für eine Homepage entschieden haben, sehen drei Funktionen erfüllt: Erstens wird die Homepage als ein Werbeinstrument angesehen, mit dem sich die Zeitung bekannt machen kann. „La plupart des répondants nous ont dit espérer dynamiser l’image de marque de leur journal.“ (Jallon 2004: 18) Zweitens leisten die Online-Ausgaben auch einen Beitrag für die große senegalesische Diaspora in Europa und Nordamerika, denen auf diese Weise aktuelle Informationen zugänglich gemacht werden. So stammen die 3500 bis 4000 Surfer, die durchschnittlich täglich die Homepage von Sud Quotidien besuchen, zur überwiegenden Mehrheit aus Übersee: 45% stammen aus Frankreich, Italien und Spanien, 32% aus den USA, 11% aus England und 3% aus Deutschland.224 Drittens ist es für die mit der Redaktion der Presseschau beauftragten Journalisten ist es eine große Erleichterung, wenn die Zeitungen auf dem Internet zugänglich sind. Insbesondere für die wichtigen Presseschauen am Morgen um 6, 7 und 8 Uhr ist die 223 Dabei handelt es sich um Il est Midi (http://www.ilestmidi.net), Le Messager (http://www.lemessager.sn), Le Quotidien (http://www. lequotidien.sn), Le Soleil (http://www.lesoleil.sn), L’As (http://www.las. sn), L’Observateur (http://www.lobservateur.sn), L’Office (http://www. loffice.sn), Sud Quotidien (http://www.sudonline.sn) und Wal Fadjri (http://www.walf.sn). 224 Siehe: Thiam (2004: 31).
352
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Zugänglichkeit der Zeitungen kompliziert, da die Blätter häufig erst im Laufe des Vormittags in den Verkauf gelangen.225 b) Aneignung durch das Publikum
Gemäß der durchgeführten Befragung wird Internet von insgesamt 6,6% der Probanden genutzt. Während diese Rate in Dakar auf 22% und in Diourbel auf 7% steigt, ist Internet den Dorfbewohnern der Casamance noch gänzlich unbekannt. Weder gibt es hier Internetcafés, noch haben die Dorfbewohner Internet einmal bei ihren Stadtbesuchen ausprobiert. Mit anderen Worten, Internet ist hier ein weitgehend urbanes Phänomen.226 Große Unterschiede bestehen zwischen den Nutzungsorten. Die Internetnutzung im privaten Raum ist im ganzen Land praktisch inexistent. Zwar bieten Sonatel Mulitmédia und zwölf weitere Provider (Arc, Refer, etc.) ein Monatsabonnement zwischen 10.000 und 12.000 francs CFA (25 – 30 CHF) an, aber die wenigsten Senegalesen verfügen über die nötige Logistik (PC, Modem, Fixleitung etc.). Hochgerechnet auf das ganze Land nutzen nur 0,8% der Bevölkerung die neue Technologie zu Hause. Diese Rate beträgt in Diourbel 1% und selbst in der Metropole nur 2,7%. Tabelle 34: Internetnutzung zu Hause (Befr 1) Gesamt Geschlecht
Alter
Beruf
in %
in %
in %
in %
In Ausb.
Andere
18- 31- ab 46 Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
0,8
0,9
0,8
0,9
1,2
0
2,9
0,5
1,2
0
2,7
2,7
2,6
2,6
3,2
0
3,7
2,4
3,3
0
1,0
0
3,7
2,4
0
0
2,8
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
30
45
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Auch die Möglichkeit, das Internet beruflich einzusetzen oder am Arbeitsplatz privat zu nutzen, ist nur marginal verbreitet. 2% der Dakarer und 1% der Diourbeler Probanden gehören zu dieser privilegierten 225 Falls sie nicht online sind, faxen die Journalisten sie ihre Ausgabe den Radioredaktionen zu. 226 In anderen Regionen Senegals gibt es auch auf dem Land Internetcafés. Siehe: Chéneau-Loquay (2004) und Thiam (2005).
PLURIMEDIALITÄT
353
Gruppe. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Angestellte der Staatsverwaltung, der Universität, der Nichtregierungsorganisationen und des formellen Dienstleistungssektor. Diese Zahlen deuten bereits darauf hin, dass die Internetnutzung in Senegal mehrheitlich in öffentlichen Cybercafés stattfindet. Besonders in der Hauptstadt Dakar gehören die Cybercafés längst zum Straßenbild. Offiziell wird die Anzahl von Internetcafés mit 150 angegeben (Osiris 2005), aber diese Zahl ist nachweislich zu gering angesetzt. Unterdessen ist der Markt vor allem in Dakar regelrecht explodiert und es ist mindestens mit der doppelten Anzahl zu rechnen. Die Kosten betragen in Dakar zwischen 200 und 750 francs CFA (0,5 – 1,9 CHF). In der Regel kaufen die Kunden ein Abonnement von 10 Stunden bei ihrem Cybercafé. Tabelle 35: Internetnutzung am Arbeitsplatz (Befr 1) Gesamt
Geschlecht
Alter
in %
in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
0,7
0,9
0,6
0,7
1,0
0
2,9
0
1,2
0
2,0
1,8
2,6
1,3
2,7
0
3,7
0
3,3
0
1,0
0
3,7
2,4
0
0
2,8
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Wie bereits weiter oben erwähnt, nutzen gemäß Umfrage knapp 6% der Bevölkerung die neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Hinsichtlich der Geschlechter nutzen insgesamt mehr Männer als Frauen das Internet. Auch bei den Altersgruppen sind die Verteilungen ungleich: Die größte Verbreitung findet Internet bei der jungen Generation (9%). Während die mittlere Generation die neue Technologie noch in ansehnlichem Maße nutzt (6%), gibt es in der Altersgruppe ab 46 Jahren praktisch keine User mehr. Was die Berufsgruppen angeht, so ragen die Auszubildenden (32%) und die Angestellten (10%) heraus. In Dakar steigt die Internetnutzung auf 19%. Hier nutzen knapp 24% der befragten Frauen das Internet, während bei den Männern nur etwas über 17% offen für die neue Technologie sind. In der Hauptstadt fällt auf, dass sich über 50% der Auszubildenden zu den Internetusern zählen. Dagegen erreicht die Gruppe der Angestellten nur
354
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
eine Nutzungsrate von 17%. Damit unterscheiden sie sich nur unwesentlich von den Unabhängigen (14%) und den anderen Berufsgruppen (11%). In Diourbel kommt es zu einer weiteren Polarisierung der Nutzung. Hier sind es praktisch nur junge Auszubildende, die Internet nutzen. Tabelle 36: Internetnutzung im Cybercafé (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
Ausb.
18-
Unabh.
F
Angest.
M
Beruf
in %
5,9
7,0
4,3
9,0
6,2
0,4
10,4
2,9
32,7
1,1
19,0
17,4 23,7
34,2
16,0
2,7
17,0
14,1
56,7
11,6
7,0
6,8
7,4
14,6
2,2
0
2,8
0
41,7
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Senegal (N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Tabelle 37: Häufigkeit der Internetnutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 33)
(N = 70)
(N = 9)
(N = 0)
Mehrmals pro Woche
10,1
12,1
0
0
Mindestens einmal pro Woche
8,8
10,6
0
0
Mehrmals pro Jahr
51,4
56,1
28,6
0
Weniger als einmal pro Jahr
24,7
15,2
71,4
0
Weiß nicht
5,0
6,1
0
0
Was die Häufigkeit der Nutzung angeht, wird Internet nur in Dakar mehrmals pro Woche genutzt. Allerdings entfällt auch in Dakar der Löwenteil auf die gelegentliche Nutzung, während in Diourbel sogar fast drei Viertel der Probanden das Netz nur selten nutzen. Nach – allerdings unsystematischen – Beobachtungen des Verfassers während der Feldforschungszeit werden die neue Informations- und Kommunikationstechnologien vor allem zum Schreiben und Erhalten von E-Mails genutzt. Was das Surfen auf dem Netz angeht, ragt das Abrufen von Informationen über Politik und Sport sowie die Nutzung von Partnerschaftsseiten heraus. Internationale Sites werden häufiger abge-
PLURIMEDIALITÄT
355
rufen als inländische. Ein bescheidener Anteil entfällt dabei auf die Homepages der senegalesischen Presse.
9.3.11 Interpersonale Kommunikation
Mit dem Begriff interpersonale Kommunikation ist im Folgenden nicht die gesamte direkte verbale oder nonverbale Kommunikation gemeint. Vielmehr wurden die Probanden spezifischerweise danach befragt, ob sie auf interpersonale Weise Informationen erhalten oder weitergeben. Denn Loum stellt in seiner Untersuchung fest, dass die interpersonale und die massenmedial vermittelte Kommunikation in einem Wettbewerbsverhältnis stehen: „Bâtie sur la rumeur qui n’est pas toujours invérifiable parce que souvent nourrie à la source d’une nouvelle préalablement donnée par les médias officiels, cette information s’amplifie pas la suite. En se diffusant par l’effet du bouch à oreille, elle se généralise, pour aboutir à la même conséquence évoquée plus haut: la non nécessité pour les personnes déjà informées d’acheter un journal.“ (2003: 132)
Tabelle 38: Nutzung der interpersonalen Kommunikation (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
91,2
90,2
92,5
88,9
93,0
91,1
89,2
90,0
94,0
92,4
92,3
93,3
89,5
90,8
93,6
89,2
91,9
92,9
90,0
93,0
90,0
87,7
96,3
95,1
88,9
78,6
88,9
84,6
91,7
95,8
91,0
89,1
92,6
86,5
94,1
93,1
80,0
90,0
100,
91,8
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
0
Die Befragung kommt tatsächlich zu dem Ergebnis, dass die interpersonale Kommunikation zwar etwas weniger als das Radio, jedoch häufiger als das Fernsehen und die übrigen Massenmedien zur Informationsvermittlung genutzt wird. Es bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen soziodemographischen Gruppen. Unterschiede bestehen jedoch bei der Nutzungshäufigkeit. Dabei zeigt es sich, dass die interpersonale Kommunikation mit 53,8% häu-
356
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
figer täglich auf dem Lande eingesetzt wird als im urbanen Gebiet (rund 37%). Tabelle 39: Häufigkeit der interpersonalen Kommunikation (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 456)
(N = 279)
(N = 95)
(N = 93)
Täglich
47,2
38,3
36,7
53,8
Regelmäßig
16,5
12,6
26,7
15,4
Gelegentlich
27,8
39,4
26,7
23,1
Selten
8,6
9,7
10,0
7,7
0
0
0
0
Weiß nicht
9.3.12 Telefon
Auch die Telefonie als technisch vermittelte interpersonale Kommunikation reicht beinahe an die Bedeutung der interpersonalen Kommunikation heran. Hochgerechnet auf ganz Senegal wird es von 83,3% der Bevölkerung genutzt. In Dakar beträgt die Nutzung 98,3%, in Diourbel 98% und in den Dörfern um Sédhiou immerhin noch 73%. Allerdings ist auch der Telefonsektor differenziert zu betrachten, da die Nutzung von Fixlinien, Mobiltelefonen und Télécentres zum Teil sehr divergieren. Insgesamt kommt die Erhebung zum Ergebnis, dass das Telefon seine größte Verbreitung durch die Télécentres erfährt. Die Mobiltelefonie hat unterdessen die Fixtelefonie um ein Vielfaches überholt. Tabelle 40: Nutzung Telefon mit Fixleitung (Befr 1)
Senegal
F
in %
18-
31-
30
45
ab 46 Angest.
M
Beruf
in %
Andere
in %
In Ausb.
Geschlecht Alter
in %
Unabh.
Gesamt
31,8
39,3
21,6
33,0
36,0
21,8
62,7
24,3 51,8 18,7
59,3
61,2
53,9
59,2
62,0
45,9
60,0
55,3 70,0 58,1
58,0
60,3
51,9
63,4
55,6
50,0
69,4
38,5 91,7 45,8
13,0
15,2
11,1
16,2
8,8
13,8
60,0
12,2
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
0
10,2
PLURIMEDIALITÄT
357
Nach offiziellen Angaben gibt es in Senegal 280.000 Fixleitungen (Thiam 2004). Gemäß der Umfrage wird das Fixtelefon wird nur von etwa knapp einem Drittel der senegalesischen Bevölkerung genutzt. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass erstens viele Fixleitungen nur für eingehende Anrufe freigeschaltet werden, und dass zweitens die Nutzung eines Telefons nicht unbedingt ein eigenes Telefon meint. Viele Menschen nutzen das Telefon von Familienangehörigen oder Nachbarn. Durchschnittlich nutzen Männer, die beiden jüngeren Generationen und die beiden gut gebildeten Berufsgruppen das Fixtelefon häufiger als die ältere Generation und die weniger gut gebildeten Berufsgruppen. Die Stadt-Land-Schere zeigt sich auch bei der Telefonnutzung in aller Deutlichkeit: Während in Dakar und Diourbel die Nutzung von Fixleitungen mit knapp 60% unter den verschiedenen soziodemographischen Gruppen relativ konstant verbreitet ist, nimmt sie auf dem Lande rapide ab. Hier gibt es selbst keine Telefoninstallationen, aber einige Dorfbewohner nutzen Fixleitungen von Freunden und Verwandten in der nahe gelegenen Stadt Sédhiou. Tabelle 41: Nutzung Télécentre (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
69,4
76,0 60,6 72,2 69,8
64,4
74,9
72,8
76,5
60,6
80,7
79,9 82,9 81,6 81,3
75,7
77,8
81,2
83,3
88,4
83,0
79,5 92,6 87,8 75,6
92,9
66,7
88,5
100
91,7
61,0
71,7 51,9 64,9 58,5
58,6
80,0
67,5
50,0
53,1
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Die größte Verbreitung erfährt das Telefon in Senegal durch Télécentres, privatwirtschaftliche Telefonkabinen (Zongo 2000). Bisher hat der Monopolist Sonatel über 13.000 Télécentres lizenziert. Hier können die Menschen für eine Telefoneinheit von zwischen 70 und 100 francs CFA (0,25 CHF) Anrufe tätigen und sich in manchen Fällen sogar zurückrufen lassen. Hochgerechnet nutzen rund 70% der senegalesischen Bevölkerung solche Télécentres. In Dakar und Diourbel steigt die Nutzungsrate auf über 80%, aber selbst die Bewohner der Dörfer um Sédhiou nutzen die Kabinen noch zu rund 60%. In den Städten werden die Télécentres mehr von Frauen als von Männern
358
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
genutzt, auf dem Lande ist dies umgekehrt. Während zwischen den Altersgruppen keine signifikanten Unterschiede bestehen, ist die Nutzung von Télécentres unter den Berufsgruppen in Diourbel und Sédhiou ziemlich uneinheitlich. Dies mag aber auch auf die geringe Fallzahl zurückzuführen sein. Der afrikanische Mobiltelefonmarkt ist heute der weltweit am schnellsten wachsende Markt (ITU 2004). Zwischen 1998 und 2003 betrug die Wachstumsrate 5000%. Innerhalb von wenigen Jahren haben internationale Telekommunikationsunternehmen lokale Gesellschaften aufgekauft, ein Mobiltelefonnetz aufgebaut und die Grundlagen für den Boom gelegt. Auf dem Mobilfunkmarkt tritt die halbstaatliche Sonatel mit ihrer Mobilfunkmarke Alizé sowie die private Sentel auf. Bei Sentel handelt es sich um ein Tochterunternehmen von Millicom International Cellular (MIC). Der Wettbewerb hat dazu geführt, dass „les tarifs téléphoniques ne cessent de diminuer depuis plusieurs années“ (Thiam 2004: 26). Tabelle 42: Nutzung Mobiltelefon (Befr 1) Gesamt Geschlecht Alter in %
in %
in %
30
45
ab 46 Andere
31-
In Ausb.
18-
Unabh.
Senegal
F
Angest.
M
Beruf
in %
25,5
30,3
19,1
21,3
35,7
12,6
44,1
28,1
34,5
9,4
49,7
47,8
55,3
40,8
55,6
37,8
55,6
45,9
40,0
41,9
23,0
27,4
11,1
19,5
26,7
21,4
44,4
15,4
8,3
4,2
16,0
19,6
13,0
16,2
23,5
6,9
0
25,0
50,0
61,1
(N = 500) Dakar (N = 300) Diourbel (N = 100) Sédhiou (N = 100)
Offiziell verfügen 1,5 Mio. Senegalesen über ein Mobilfunkabonnement (Osiris 2005). Gemäß der Umfrage wird das Handy sogar von einem Viertel der senegalesischen Bevölkerung genutzt. Dabei ist zu bedenken, dass die Mobiltelefone auch von mehreren Menschen gebraucht werden können. Männer nutzen die neue Technologie mehr als Frauen, Junge mehr als Alte, gut Gebildete mehr als weniger gut Gebildete. Die Ergebnisse unterscheiden sich in den verschiedenen Regionen aber beträchtlich: In der Hauptstadt Dakar nutzen 50% der befragten Personen ein Mobiltelefon. In der Gruppe der Frauen nutzen es etwas mehr als die Hälfte, in derjenigen der Männern etwas weniger als die Hälfte der Befragten. In der Kategorie Alter ragt die mitt-
PLURIMEDIALITÄT
359
lere Generation heraus, wobei in der Kategorie Beruf die Ergebnisse ziemlich konstant sind. Die finanzkräftige Gruppe der Angestellten nutzen das Mobiltelefon etwas mehr als die übrigen Gruppen. In der Provinzstadt Diourbel und in den Dörfern um Sédhiou fällt die Nutzung auf einen Wert von nur etwas über bzw. etwas unter 20%. Auch die Nutzungshäufigkeit des Telefons ist für die einzelnen Erhebungsorte sehr unterschiedlich. In Dakar wird das Telefon nicht nur am meisten, sondern auch am häufigsten genutzt. 65% brauchen es für Arbeit oder Freizeit täglich. In Diourbel sinkt die tägliche Nutzungsrate auf etwa ein Drittel. Die anderen beiden Drittel entfallen auf die regelmäßige bzw. gelegentliche Nutzung. In den Dörfern um Sédhiou greifen nur noch 5% der Telefonnutzer täglich zum Gerät. Hier entfällt der Löwenanteil mit 56% auf die gelegentliche Nutzung. Tabelle 43: Häufigkeit Telefonnutzung (Befr 1) Senegal
Dakar
Diourbel
Sédhiou
(N = 417)
(N = 294)
(N = 98)
(N = 73)
Mehrmals pro Woche
28,4
65,8
32,7
5,5
Mindestens einmal pro Woche
18,5
12,2
26,5
19,2
Mehrmals pro Jahr
42,0
20,0
37,8
56,2
Weniger als einmal pro Jahr
7,7
1,4
1,0
13,7
Weiß nicht
3,4
0,7
2,0
5,5
9.3.13 Zwischenergebnis
Die Befragung zu Medienaneignung in Senegal liefert differenzierte Ergebnisse. Sie kann die teilweise vagen Aussagen der Journalisten und der wissenschaftlichen Forschungsliteratur präzisieren. Zusammenfassend kann zunächst aus den erhobenen Daten ein Nutzungsbzw. Popularitätsranking erstellt werden. Der Intermediavergleich legt das Ergebnis nahe, dass es zwei Gruppen von Medien gibt: Zu den weit verbreiteten Massenmedien zählen das Radio, das Fernsehen und die Kassette sowie die die interpersonale Kommunikation. Das Radio ist dabei das wichtigste Medium. Es verdankt seine Bedeutung insbesondere seiner Verbreitung im ruralen Raum. Denn in der Metropole Dakar liegt die Nutzung von Radio, TV und Telefon mit jeweils nur knapp unter 100% praktisch gleichauf. Im städtischen Gebiet muss das Radio seine herausragende Bedeutung mit dem Fernsehen teilen. Die Wichtigkeit der Kassette als musikalisches und religiöses Medium dürfte ebenfalls zu den überraschenden Ergebnissen der Untersuchung gehören. Zu der Gruppe der weniger weit verbreiteten Medien gehören Printmedien, Video, Kino
360
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Abbildung 16: Ranking der Popularität der Medien in % (Befr 1) Radio F-to-F-Kom TV Telefon Kassette Zeitung Video Buch Kino Internet 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
und Internet. Herauszuheben ist, dass Kino und Internet die beiden einzigen Medien sind, die überhaupt nicht auf dem Land genutzt werden. Die Umfrage zeigt, dass der Medienkonsum ein integraler Bestandteil der sozialen Praktiken in Senegal ist. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen soziodemographischen Gruppen erheblich. So fällt der Medienkonsum der urbanen Bevölkerung wesentlich höher und intensiver aus als derjenige von Dorfbewohnern. Insbesondere in der Metropole Dakar sind Radio- und Kassettehören, Fernsehen, Telefonieren sowie Buch- und Zeitungslesen alltägliche Praktiken. Die Nutzung nimmt dagegen auf dem Land rapide ab. Die großen Unterschiede hinsichtlich der Medien Buch, Zeitung, Video, Kino und Internet lassen sich mit Verweis auf die Infrastruktur und die Bildungsvoraussetzungen erklären. Allerdings ist auch die unterschiedliche Strukturierung des sozialen Lebens zu berücksichtigen. Denn im Gegensatz zu den urbanen Zentren spielt die Information keine primordiale Rolle in den ruralen Gebieten. Allerdings weist hier der Medienkonsum beim Radio und bei den religiösen Medien ähnlich hohe Anteile auf wie in den Städten. Setzt man die Erhebungsorte mit dem Geschlecht der Probanden in Verbindung, zeigt sich, dass in Dakar bei der Nutzung von Medien der prozentuale Anteil bei Frauen höher liegt als bei Männern. (Ausnahmen bilden der Koran, die religiöse Kassette und das Kino.) Dagegen kehrt sich diese Situation auf dem Lande um. Bei der jungen Generation ist der Anteil bei der Nutzung von Printmedien, Musikkassetten, Kino und Internet signifikant höher als in den anderen beiden Altersgruppen. Mit Ausnahme des Korans verzeichnen sämtliche Medien bei den Jungen Spitzenanteile. Bei der mittleren Altersgruppe erreichen Printmedien, Musikkassetten, Kino und Internet noch gute Nutzungsanteile. Außerdem ist bei dieser Pro-
PLURIMEDIALITÄT
361
bandengruppe der Anteil an Koranlesern überdurchschnittlich hoch. Dagegen erreicht bei der älteren Generation nur der Koran den höchsten Nutzungsanteil. Der Intermediavergleich führt auch hinsichtlich des Berufsgruppenvergleichs zu heterogenen Ergebnissen. Grundsätzlich gilt, dass die finanzstarken Kader und Angestellten aus Staatsverwaltung, Privatunternehmen und NGOs sowie die Auszubildenden die konstant höchsten Anteile in der Mediennutzung aufweisen. Ausnahmen bilden die religiösen Medien Koran und Kassette. Hier verzeichnen die im formellen und informellen Sektor beschäftigten Unabhängigen und die übrige Berufsgruppe (Hausfrauen, Hausangestellte, Rentner und Arbeitslose) höhere Nutzungsanteile.
9.4 FUNKTIONEN
UND
IMAGES
DER
MEDIEN
Über die eigentliche Medienaneignung wurde in der Befragung auch die Repräsentation, das heißt die Funktionen und Images der verschiedenen Medien beim senegalesischen Publikum, berücksichtigt.
9.4.1
Informationsqualität
Hinsichtlich der Informationsqualität ragt das Radio in sämtlichen Regionen heraus. Zwischen 55% in Dakar und 70% in den Dörfern um Sédhiou geben an, dass sie durch dieses Massenmedium am besten informiert werden. Das Radio ist also nicht nur das meist genutzte Medium, sondern es wird auch als das qualitativ beste Medium angesehen. Mit großem Abstand folgt an zweiter Stelle das Fernsehen, das insbesondere in den urbanen Regionen eine hohe Wertschätzung genießt. Die Presse erfreut sich mit 13,3% nur in Dakar einer einigermaßen großen Wertschätzung. Während Internet und interpersonale Kommunikation nur bei einer verschwindend geringen Anzahl von Probanden als die informativsten Medien angegeben werden, fällt das Buch mit durchschnittlich rund 10% auf.
9.4.2
Glaubwürdigkeit
Bevor auf die Glaubwürdigkeit der einzelnen Massenmedien eingegangen wird, soll ihre Glaubwürdigkeit im Kontext anderer wichtiger senegalesischer Akteure situiert werden. Dabei zeigt es sich, dass die Glaubwürdigkeit der Medien verhältnismäßig gering ist. Sie erhalten nur von 21% der befragten Personen sehr großes Vertrauen, aber immerhin von rund 50% einiges Vertrauen. Eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in der senegalesischen Bevölkerung erreichen die Armee und
362
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
die Bruderschaften mit jeweils knapp 60%. Aber selbst der Präsident, das Justizsystem und die Wirtschaft erreichen eine höhere Glaubwürdigkeit als die Massenmedien. Die Medien können sich nur gegenüber dem schwachen Bildungssystem, der korrupten Staatsverwaltung und den machtgierigen Parteien absetzen. Zu diesem Ergebnis dürften das bereits mehrfach angesprochene variable Rollenverständnis der Journalisten beigetragen haben. „L’ambivalence des représentations de la fonction de journaliste rend floue sa perception aux yeux du public.“ (Gueye 2006: 12) Tabelle 44: Glaubwürdigkeit von senegalesischen Akteuren (Vengroff/Magala 2001: 148) Institution
Großes
Einiges
Wenig
Kein
Vertrauen
Vertrauen
Vertrauen
Vertrauen
Armee
59,3
32,1
7,0
1,6
Bruderschaften
57,5
27,9
9,9
4,6
Präsident
32,6
20,8
21,1
15,5
Justizsystem
24,6
36,9
24,4
14,2
Big Business
25,0
51,4
19,2
4,4
Massenmedien
21,2
49,8
23,6
5,4
Bildungssystem
18,9
37,2
32,0
12,0
Staatsverwaltung
18,2
35,9
31,6
14,3
Politische Parteien
15,7
30,2
33,8
20,3
Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der einzelnen Medien weist das Radio (33%) einen eher geringen Vorsprung vor dem Fernsehen (28%) auf. Dieser Befund ist dahingehend überraschend als der vom regierungsnahen Fernsehkanal RTS dominierte Markt bei vielen Probanden scheinbar durchaus Glaubwürdigkeit beanspruchen kann. Auf die elektronischen Massenmedien folgt das Buch, das auf durchschnittlich 23% kommt. Eine genauere Analyse zeigt, dass die hohen Buchwerte nicht etwa auf die französischsprachigen Fach- und Sachbücher, sondern vor allem auf den Koran zurückgehen. Die Erklärung ist denkbar einfach: Viele senegalesische Muslime sprechen dem Heiligen Buch Aktualität zu. Die interpersonale Kommunikation (11%) spielt vor allem auf dem Lande, die Zeitung (7%) vor allem in der Hauptstadt eine Rolle.
9.4.3
Unterhaltung
Auch bei der Unterhaltung unterstreicht das Radio seine Leaderposition. Allerdings sind die Anteile im Intermediavergleich zwischen den
PLURIMEDIALITÄT
363
verschiedenen Befragungsregionen sehr unterschiedlich. In Dakar und Sédhiou wird das Radio am häufigsten zur Unterhaltung eingeschaltet, wogegen in Diourbel das Fernsehen das beliebteste Freizeitmedium ist. In der Hauptstadt Dakar folgt das Fernsehen erst an zweiter Stelle. An dritter Stelle liegt die Kassette, die auf dem Lande sogar häufiger zur Unterhaltung gewählt wird als das Fernsehen. Die Presse spielt auch hier kaum eine Rolle – einzig in Dakar wird sie von knapp 5% der Probanden als das unterhaltsamste Medium angesehen. Abbildung 17: Unterhaltungswert in % (Befr 1)
Buch Zeitung Radio Senegal
TV
Dakar
Video
Diourbel
Kassette
Sédhiou
F-to-F-Kom Internet Weiss nicht 0
9.4.4
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Zeitvertreib
Aufschlussreich sind auch die Ergebnissen zum medialen Zeitvertreib. Zum einen wurden die Probanden danach gefragt, mit welchem Medium sie zu viel Zeit verbringen. Dabei zeigt sich, dass das Radio dasjenige Massenmedium ist, mit dem – konstant über die verschiedenen Regionen – rund 50% der Probanden zu viel Zeit verbringen. Dieses Ergebnis bestätigt sich in dem Sinn als nur rund 15% mehr Radiohören möchten. Beim Fernsehen ist dieses Resultat in etwa umgekehrt. Nur durchschnittlich 14% (in den Städten 24%) empfinden ihren Fernsehkonsum als zu hoch, während zwischen 30% und 43% je nach Region gerne mehr Zeit für das Fernsehen zu Verfügung hätten. In dieser Kategorie ist herauszuheben, dass die Presse (in Dakar knapp 23%) und die Kassette (durchschnittlich 26%) ebenfalls zu den Medien gehören, für die viele Probanden mehr Zeit aufwenden würden. Ferner empfinden zwischen 10% in Dakar und 30% in Sédhiou, dass sie zu viel Zeit mit Büchern und dem Koran verbringen.
364
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Abbildung 18: Zeitverschwendung in % (Befr 1)
Buch Zeitung Radio Senegal
TV
Dakar
Video
Diourbel Sédhiou
Kassette F-to-F-Kom Internet Weiss nicht 0
10
20
30
40
50
60
Abbildung 19: Zeitmangel in % (Befr 1)
Buch Zeitung Radio Senegal
TV
Dakar
Video
Diourbel Sédhiou
Kassette F-to-F-Kom Internet Weiss nicht 0
9.4.5
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Verhaltensdirektiven
Für viele Probanden ist eine wichtige Funktion der Massenmedien, sie im Alltagsleben zu begleiten und ihnen Hinweise und Direktiven für das richtige Verhalten zu geben. In Anbetracht der Zentralität der Religion in Senegal verwundert es kaum, dass das Buch bzw. das Heilige Buch Koran – hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerung – mit 38% das wichtigste Medium in Sachen Verhaltensanweisungen ist. Allerdings wird das Buch in den urbanen Regionen durch das Radio (rund 40%) abgelöst. In Dakar (13%) und Diourbel (18%) erreicht auch das Fernsehen noch beachtliche Anteile.
PLURIMEDIALITÄT
365
9.5 LEKTÜREPRAKTIKEN Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass das Radio das informativste, glaubwürdigste, unterhaltsamste und in den Städten selbst das moralischste Medium ist. Dagegen sind die Printmedien nur von sekundärer Bedeutung. Im Intermediavergleich kann es sich in keiner einzigen Kategorie an die erste Position setzen. Immerhin gilt es nach Radio und Fernsehen als das drittinformativste Massenmedium. Bedenklich sollte die Presse stimmen, dass sie als wenig glaubwürdig und wenig unterhaltend angesehen wird. Die bisherigen Ergebnisse sollen nun durch qualitative Untersuchungen zu den Praktiken der Zeitungslektüre spezifiziert werden. Zum einen wurden diejenigen Dakarer Probanden, die sich in der standardisierten Umfrage als Leser bezeichnet haben, gebeten, bei einer zweiten Befragung mitzumachen. Zu diesem Zweck wurde den Probanden eine Zeitung ihrer Wahl geschenkt, auf die sich die Fragen und Antworten bezogen.227 Zum anderen wurden Beobachtungsprojekte in der Öffentlichkeit sowie in Gastronomiebetrieben durchgeführt. Es ist eine wichtige soziodemographische Präzisierung, dass diese Beobachtungen zeigen, dass die Leser zu 68,8% senegalesischer und zu 31,1% ausländischer Herkunft sind (Frankreich, Libanon, Mauretanien oder aus dem arabischen Raum).228
9.5.1
Themeninteressen
Hinsichtlich der Themeninteressen wurde abgefragt, zu welchen thematischen Rubriken die mit einem besonderen Interesse gelesenen Artikel gehören. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass alle Probanden auf die Inserate und Avis et Communiqués geachtet haben. Was den eigentlichen redaktionellen Inhalt angeht, liegt die Politik mit fast 80% an erster Stelle. Von mehr als der Hälfte der befragten Leser werden auch die Rubriken Sport (66%), Medien (63%) und Gesellschaft (52%) beachtet. Traditionelle Zeitungsressorts wie Wirtschaft (27%) und Kultur (18%) erfreuen sich nur mäßiger Beliebtheit. Es fällt auf, dass die traditionell zur Boulevardpresse gehörenden Themen wie Gerüchte (32%), Vermischte Meldungen (27%) oder Stars (13%) angeblich keine herausragende Beachtung finden. 227 In Dakar waren 59 Probanden (20,8%) bereit, diese zweite Befragung durchzuführen. In Diourbel waren 11 Probanden (22,9%) bereit, die zweite Befragung mitzumachen. Da aber festgesetzt wurde, dass eine statistische Auswertung erst ab einer Basis von mindestens 50 Probanden sinnvoll ist, wurde der Datensatz nicht ausgewertet. 228 Es wird hier nicht berücksichtigt, dass viele Libanesen auch einen senegalesischen Pass besitzen.
366
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Tabelle 45: Themeninteressen in % (Befr 2)
Werbung (inkl. Avis) Politik Sport Medien Gesellschaft Off Off (Gerüchte) Wirtschaft Vermischte Meldungen Kultur Fernsehprogramm Horoskop Stars Gesundheit Meinungsumfragen Kreuzworträtsel Leserbriefe Anderes
Gesamt Geschlecht M F 100,0 100,0 100,0 79,7 80,4 76,9 66,1 73,9 38,5 63,4 67,2 59,8 52,5 47,8 69,2 32,2 28,3 46,2 27,1 30,4 15,4 27,1 23,9 38,5 18,6 19,6 15,4 16,9 17,4 15,4 15,3 13,0 23,1 13,6 10,9 23,1 11,9 10,9 15,4 11,9 8,7 23,1 5,1 6,5 0 3,4 4,3 0 6,8 6,5 7,7
Alter 18-30 31-45 ab 46 100,0 100,0 100,0 91,7 73,8 100,0 33,3 71,4 100,0 59,2 73,5 55,4 41,7 59,5 20,0 41,7 28,6 40,0 25,0 31,0 0 41,7 21,4 40,0 25,0 16,7 20,0 8,3 21,4 0 16,7 14,3 20,0 16,7 11,9 20,0 16,7 9,5 20,0 25,0 9,5 0 0 4,8 20,0 0 4,8 0 16,6 4,8 0
Was die Geschlechterunterschiede angeht, lesen Frauen diese boulevardesken Themen überproportional. Weitere Themenfavoriten von Frauen sind Gesellschaft, Horoskop, Gesundheit und Meinungsumfragen. Themen, die mehrheitlich von Männern bevorzugt werden, sind dagegen Sport und Wirtschaft. Die Umfrage zeigt ebenfalls, dass sich die Leserbriefe keiner weit verbreiteten Beliebtheit (3,4%) erfreuen. Wenn sie allerdings gelesen werden, dann von Männern. Auch hinsichtlich des Alterskriteriums gibt es signifikante Unterschiede: die junge Generation ist vor allem an Politik, Medien, Meinungsumfragen und Boulevardthemen überdurchschnittlich interessiert. Sport spielt überraschenderweise nur eine untergeordnete Bedeutung. Die mittlere Altersgeneration weist insgesamt die ausgeglichenste Verteilung an Themenpräferenzen auf. Sie liest mit Vorliebe Gesellschaft, Medien und Sport. Auch widmet sie der Durchsicht des Fernsehprogramms eine hohe Bedeutung zu. Die älteste Generation beschäftigt sich mit Vorliebe mit Politik, Sport und Themen des Boulevards. Dagegen spielt das Wirtschaftsressort überhaupt keine Rolle.
PLURIMEDIALITÄT
9.5.2
367
Wirkungsbereiche
Die Probanden wurden auch zu den Wirkungen der Zeitungslektüre befragt. 47,4% der Probanden geben Wirkungen im Bereich von Meinungen und Einstellungen an und rund 33,9% meinen, dass die erhaltenen Informationen einen Einfluss auf ihr Handeln hätten. 8,5% situieren die Wirkungen im Bereich der Emotionen und 6,8% im Bereich des Wissens. Beim Meinungs- und Einstellungsbereich handelt es sich in der Regel um Zustimmung oder Ablehnung von politischen Entscheidungen, sozialen Entwicklungen oder religiösen Phänomenen. So wird die Regierung von Präsident Wade genauso kritisiert wie der Irakkrieg des amerikanischen Präsidenten Bush. Was den religiösen Bereich angeht, kritisiert ein Proband den Kauf eines Cadillacs durch einen Marabut und meint, dass der Leader mit dem Geld lieber die Armen unterstützen sollte. Ein anderer Leser dagegen ruft zum Kampf aller Muslime gegen Amerika auf, um den Frieden auf der Welt bewahren zu können. Hinsichtlich der Wirkungen im Verhaltensbereich geben 33,9% der Probanden an, bereits kurz nach der Lektüre mit Familienangehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen über das Thema eines Zeitungsartikels geredet zu haben. Für Wirkungen im emotionalen Bereich können Gefühle des Stolzes über die senegalesische Fußball-Nationalmannschaft oder Gefühle des Mitleids mit den Bewohnern eines Wohnquartiers, das von den Behörden wegen fehlender Baubewilligung niedergewalzt wurde. Ein Leser redet sich auch anlässlich eines politischen Artikels so in Rage, dass er nur mit Mühe vom Interviewer beruhigt werden konnte. Was abschließend den Wissensbereich angeht, geben einige Probanden an, durch die Zeitungslektüre über gewisse Themen Neues erfahren und dazugelernt zu haben.
9.5.3
Qualitätsfaktoren
Hinsichtlich der Qualität der Zeitungen konnten die Probanden diejenigen Faktoren benennen, die sie als besonders wichtig empfinden. Die wichtigsten Qualitätsfaktoren einer Zeitung sind die Themenagenda (55,9%) und die Glaubwürdigkeit der Information (54,2%). Nebst diesen inhaltlichen Kriterien spielen auch eine Reihe von formalen Kriterien eine Rolle. In allererster Linie schätzen die senegalesischen Leser ein gutes Layout (45,7%), das insbesondere bei den Wochen- und Monatszeitungen zu wünschen übrig lässt. Ferner ist auch die Qualität der Fotos (37,3%) wichtig. Die Probanden meinen damit sowohl formal-technische als auch inhaltliche Qualitätsaspekte. Da viele Zeitungsredaktionen nicht über moderne Kameras verfügen, kei-
368
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Abbildung 20: Qualitätsfaktoren in % (Befr 2) Themenagenda Glaubwürdigkeit der Information Layout Qualität der Fotos Sprache Unterhaltsamkeit Preis Soziale Realität Sonstiges Keine Antwort 0
10
20
30
40
50
60
ne ausgebildeten Fotografen einstellen und häufig nicht zum Text passende (Agentur-)Fotos abdrucken, fallen diejenigen Printmedien, die eine ansprechende Bebilderung der Artikel gewährleisten, positiv auf. Schließlich wissen die Probanden auch einen guten Sprachgebrauch (37,3%) zu schätzen. Hiermit ist gemeint, ob sich die Journalisten adäuat und prägnant ausdrücken und keine zu rohe Sprache verwenden. Hinsichtlich des Unterhaltungswerts geben nur 30% der befragten Personen an, auf dieses Kriterium Wert zu leben. Daraus kann geschlossen werden, dass die Mehrheit der Leser nicht zu Unterhaltungszwecken sondern zur Information zur Zeitung greift. Für Unterhaltungsfunktionen werden eher die elektronischen Massenmedien gewählt.
9.5.4
Soziabilität
Die Printmedien werden erstens durch die Presseschauen am Radio, zweitens über die eigentliche Lektüre, drittens durch das Ansehen von Bildern durch Analphabeten sowie viertens durch das Vorlesen verbreitet. 57,6% der Probanden geben an, Analphabeten und Blinden vorzulesen. Dieser Gemeinschaftssinn wird dadurch unterstrichen, dass 39% der Probanden in Gegenwart von anderen Personen lesen. 3,4% (Befr 2) bzw. 5,7% (Beob 3) lesen sogar gemeinsam mit anderen Menschen, das heißt sie lesen gleichzeitig in derselben Zeitung. Ferner kam es bei den Beobachtungsrundgängen mehrmals vor, gemeinsam lesende Personen gesehen zu haben. So drängen sich in der Gendarmerie mehrere Köpfe über eine Zeitung, vor einer Bäckerei sehen zwei Männer zugleich in ein Blatt und auf offener Straße berichtet ein junger Mann einem Bekannten offensichtlich von einem interessanten Artikel in Frasques und reicht ihm die Zeitung zur Lektüre.
PLURIMEDIALITÄT
9.5.5
369
Private und öffentliche Lektüreorte
Was die Lektüreorte angeht, wird nach Ansicht von Journalisten im privaten oder teilöffentlichen Raum gelesen. Aufgrund der Vielzahl von interpersonalen Interaktionen und des Lärms sei es praktisch unmöglich, auf ruhige, ungestörte und konzentrierte Weise in der Öffentlichkeit zu lesen. In diesem Kontext stellt Ly (Sud Quotidien) einen interessanten interkulturellen Vergleich an: „Ich frage mich eher, ob es in Europa einen eigentlichen öffentlichen Raum gibt? Mein Eindruck ist, dass wenn die Menschen dort mit ihrer Zeitung ausgehen, sie ihre Privatsphäre mitnehmen. Egal wo, die Menschen sind immer alleine und immer in ihrer Privatsphäre eingeschlossen. Hier bei uns, wenn Sie rausgehen, sind Sie für andere verfügbar. In jedem Moment kann man sie ansprechen oder unterbrechen. Sie sind mit den Menschen und offen gegenüber dem, was sie sagen. Sie sind sensibel gegenüber dem Lauf der Dinge.“ (Int 1)
Aufgrund des hohen Rhythmus des öffentlichen Lebens in Dakar sei es daher nur möglich, an Orten wie zu Hause oder am Arbeitsplatz zu lesen. Dies seien auch die Orte, an denen Zeitungen auffindbar seien und zwischen vielen Personen zirkulieren würden. Diese Annahme wird auch von NތDiaye (Lasli/Njelbéen) geteilt: „In unserem afrikanischen Universum repräsentiert das Zimmer die Intimität. Auf Pulaar heißt das Zimmer ‚suudu‘, das Wort stammt vom Verb ‚suurde‘ (intim machen, schützen) ab, das heißt nicht alle haben dort Zugang […]. Die Lektüre geschieht in der Intimität.“ (Int 1) Diese Voraussagen der Journalisten bestätigen sich allerdings nur teilweise. Tabelle 46: Lektüreorte in % (Befr 2)
Zu Hause Bei Freunden Am Arbeitsplatz Im öffentlichen Verkehr Am Verkaufsort In Bildungsinstitutionen In Restaurants Woanders
Privater Raum 79,7 5,1
Teilöffentlichkeit Öffentlichkeit
72,9 40,7 5,1 5,1 1,7 1,7
370
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Zunächst einmal bestätigt es sich, dass das Haus der wichtigste Lektüreort ist (knapp 80%). 5% lesen außerhalb des strikt privaten bzw. intimen Rahmens, nämlich bei Freunden, wo sie sich allenfalls die Zeitungen zur Lektüre vorfinden oder ausleihen können. Gegenüber den Erwartungen der Journalisten muss es als überraschend bezeichnet werden, auch das Lesen im öffentlichen und im teilöffentlichen Raum weit verbreitet ist. So lesen knapp 73% der Probanden am Arbeitsplatz. Gelesen wird sowohl in den Pausen als auch während der Arbeitszeit. Ferner geben über 40% der Probanden an, im öffentlichen Verkehr zu lesen. Gelesen wird in Taxis,229 in Bussen230 oder im Zug. Andere Lektüreorte sind nur marginal vertreten. Diese Ergebnisse können von den Beobachtungsprojekten weiter differenziert werden. So führt die Beobachtung in Gastronomiebetrieben zum Ergebnis, dass 14,7% der Probanden an diesem öffentlichen Ort gelesen haben. Ferner konnten auch während der Rundgänge einige in der Öffentlichkeit lesende Personen beobachtet werden. Gelesen wird mehrheitlich vor und in Geschäften (Büros, Télécentres etc.) sowie an stationären Verkaufsstellen. Dies sind Arbeitsplätze und Treffpunkte, an denen immer mehrere Menschen zusammenkommen. Gelesen wird auch viel vor Häusern oder in Hauseingängen, wo Rezeptionisten oder Wachpersonal liest.
9.5.6
Lektürezeitpunkt, -dauer und -intensität
Was die Lektürezeit angeht, so lesen 55,9% am Morgen und im Laufe des Vormittags. Nur 11,9% der Probanden lesen über Mittag. Im Lauf des Nachmittags steigt diese Rate dann auf 15,3%, um am Abend wieder auf 5,1% zu sinken. Hinsichtlich der Lektüredauer gibt das Beobachtungsprojekt in den Gastronomiebetrieben Auskunft. Hier wurde jeweils die Zeit gemessen, während der die Probanden lesen. Von den beobachteten Probanden lesen 30,6% weniger als fünf Minuten. Da weitere 22,9% weniger als zehn Minuten lesen, kann man schließen, dass mehr als die Hälfte aller Probanden nur eine Kurzlektüre vornehmen. Während 16,6% weniger als 15 Minuten liest, nehmen sich immerhin 29,9% der beobachteten Personen eine Lektüre von mindestens 15 Minuten vor. Im Maximalfall dauerte die Lektüre 40 Minuten.
229 Es ist zwischen Fernfahrttaxis (‚Taxi Brousse)ދ, kommerziellen Stadttaxis und informellen Taxis (‚Clando )ދzu unterscheiden. 230 Im Bussektor konkurrenzieren sich die staatliche Verkehrsbetrieb Dakar Dem Dikk sowie private Firmen (Ndiagan Ndiaye und Car Rapide).
PLURIMEDIALITÄT
371
Abbildung 21: Lektüre in % nach Tageszeit (Befr 2) 60 50
40 30 20
10 0 Morgen
Mittag
Nachmittag
Abend
Was die Lektüreintensität angeht, so lesen nur 23,7% der Probanden die gesamte Zeitung (die ja ohnehin meist nur acht oder zwölf Seiten lang ist). 18,6% orientiert sich für die Lektüreentscheidung an den Ressorts. Sie lesen also nur den politischen oder Sportteil. Die mit 35,6% quantitativ größte Gruppe macht ihre Lektüre von den Schlagzeilen ab. Bei interessant-reißerischen Schlagzeilen ist also die Lektürewahrscheinlichkeit wesentlich höher als bei gewöhnlich-sachlichen Titeln. Schließlich lesen 22% nur die Schlagzeilen. Diese Aussagen werden durch das Beobachtungsprojekt (Beob 3) weitgehend bestätigt. Viele Probanden lesen nur die Schlagzeilen oder überfliegen rasch eine (71,6%) oder mehrere (27,4%) Zeitungen. Viele Probanden lesen die begonnenen Artikel nicht zu Ende und eine Person schlief sogar während der Lektüre ein. Allerdings ist eine ungestörte Lektüre in der Öffentlichkeit tatsächlich nicht gewährleistet: 49,7% der beobachteten Leser gehen während der Lektüre – freiwillig oder unfreiwillig – Interaktionen mit anderen Personen wie Freunden oder Tischnachbarn ein. Zum Teil gehen diese Interaktionen auf die Lektüre zurück.231 Es gibt aber auch eine Reihe von Probanden, die konzentriert lesen. Meist korrelieren dabei Lektüreintensität und Lektüredauer. Aus diesem Überblick kann geschlossen werden, dass die Lektüreintensität insgesamt gering ist. Erstens weisen die Zeitungen bereits einen vergleichsweise bescheidenen Umfang auf und zweitens liest die überwiegende Mehrheit der Leser nicht den gesamte Zeitung, sondern geht höchst selektiv vor. In aller Regel ist die Schlagzeile dabei das wichtigste Kriterium.
231 Hierbei sind Lektüreunterbrechungen aufgrund von Mobiltelefonanrufen eingerechnet.
372
9.5.7
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Die Weiterverwendungsgesellschaft
Im Laufe dieser Untersuchung ist bereits mehrmals die Aussage gefallen, dass Zeitungen ein Luxusprodukt sind. Was aber geschieht mit ihnen nach der Lektüre? Während einige wenige Probanden angeben, die Zeitung wegzuwerfen (3,4%), weiter zu verkaufen (3,4%) oder am Lektüreort für andere Menschen liegen zu lassen (5,1%), bewahren 62,7% der Probanden die gelesene Zeitung auf. Dadurch könnten sie die Zeitung später an weitere Personen ausleihen, die Lektüre ungelesener Texte nachholen oder einige Artikel wieder nachschlagen. 25,4% verschenken die Zeitung an andere Personen. Manche Leser verwenden die gelesene Zeitung als Verpackungspapier (22%) oder als Zündpapier für die tägliche Teezeremonie Ataya (16,9%). Wie Beobachtungen zeigen, wird es vor allem in Boutiquen und in Tanganas (Frühstücksbuden) gebraucht. Ferner wird Altpapier auch auf dem Markt als Unterlage für Fisch, Früchte, Gewürze oder Backwaren verwendet. Manche Verkäuferinnen funktionieren die Zeitungen an heißen Tagen auch zu Luftfächern um.
9.6 FAZIT Die Hypothese der Plurimedialität besagt, dass die Aneignung eines Mediums nur im Kontext der gesamten Medienaneignung adäquat erfassbar ist. Dies betrifft insbesondere auch die interpersonale Kommunikation, die von der Medienaneignung kontextualisiert wird und diese zugleich kontextualisiert. Aus diesem Grund wurden in der dritten Fallstudie nicht nur die Praktiken der Zeitungslektüre, sondern die gesamte Medienaneignung in Senegal untersucht. Auf diese Weise konnte das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit sowie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit erfasst werden. Angesichts der oralen Tradition des westafrikanischen Landes und der angenommenen oberflächlichen Literalisierung ihrer Gesellschaft besagt die Hypothese, dass die Printmedien nur eine untergeordnete Bedeutung für die soziale Kommunikation spielen. Die Ergebnisse der ethnographischen Untersuchung zeigen, dass die Presse gegenüber dem Radio, dem Fernsehen und der Kassette sowie gegenüber der direkten und medienvermittelten interpersonalen Kommunikation tatsächlich nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Allerdings ist dieses Ergebnis in zweierlei Hinsicht zu differenzieren. Zum einen erfährt die Presse ihre größte Verbreitung durch die Presseschau am Radio. Auf diese Weise erreichen die Zeitungen auch ein Publikum, das nicht des Französischen mächtig ist. Ferner werden gewisse Debatten, die von der Bildungselite in den Zeitungen ausgetragen werden, in Radiosendungen größeren Bevölkerungskreisen ver-
PLURIMEDIALITÄT
373
mittelt. Zum anderen ist die Rolle der Presse ungeachtet ihrer Interaktionen mit dem Radio weitaus bedeutsamer als bisher von den senegalesischen Journalisten und von der scientific community angenommen. Insbesondere im urbanen Gebiet sind Zeitungen ein allgegenwärtiges Produkt und die Zeitungslektüre ist mitnichten eine Praktik, die ausschließlich für eine beschränkte Elite charakteristisch wäre. Hier ist der prototypische Zeitungsleser sowohl männlich als auch weiblich und bis zu 45 Jahre alt. Er arbeitet als Angestellter oder befindet sich noch in Ausbildung. Zu zwei Dritteln ist er senegalesischer und zu einem Drittel ausländischer Herkunft. Er ist politisch interessiert und will sich mit den Zeitungen hintergründig informieren bzw. in seiner persönlichen Meinung bestätigt sehen. Schwergewichtig liest er die Ressorts Politik, Sport, Medien und Gesellschaft, häufig aber nur diejenigen Artikel, die mit einer interessanten Schlagzeile aufwarten. Gemessen an europäischen Standards fällt die Lektüre allerdings relativ kurz und wenig intensiv aus. Insbesondere im öffentlichen Raum sind Lektüreunterbrechungen aufgrund sozialer Interaktionen wahrscheinlich. Der prototypische Leser in Senegal legt auf die Themenagenda, die Glaubwürdigkeit der Information sowie die technische Qualität Wert. Er liest regelmäßig bis gelegentlich und mit Vorliebe am Morgen oder Vormittag. Er zieht es vor, die Zeitungen auszuleihen. Dementsprechend liest er dort, wo er gerade auf eine Zeitung stößt, meist am Arbeitsplatz, im Télécentre oder an anderen öffentlichen Orten. Wenn er eine Zeitung kauft, liest er sie meist zu Hause, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Verkehr. Nach der Lektüre bewahrt er das Blatt auf, um sie an weitere Personen ausleihen zu können oder für den Alltagsbedarf weiterzuverwenden. Auch wenn es sich nur um eine Randerscheinung handelt, kommt es vor, dass sich selbst Analphabeten Zeitungen aneignen: sei es dass sie die Fotos ansehen, sei es dass sie sich vorlesen lassen.
10 Z U S A M M E N F A S S U N G Es gehört zu den zentralen Merkmalen moderner Gesellschaften, dass sie sich ausdifferenzieren und durch transnationale Bezüge komplexer werden. Die Sozial- und Kulturwissenschaften folgen diesen Transformationen insofern als sie ihre eigene Ausdifferenzierung vorantreiben. Angesichts des universitäts- und finanzpolitischen Drucks führt dieser Prozess allerdings dazu, dass verschiedene wissenschaftliche Teildisziplinen und Forschungsfelder in einem erhöhten Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen. Die vielfältigen Grabenkämpfe, die unter anderem auch die Medien- und Kommunikationsforschung sowie die African Studies prägen, legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Die vorliegende Forschungsarbeit hat auf diese Ausgangslage mit zwei verschiedenen Postulaten reagiert. Zum einen hat sie dem Prozess der Ausdifferenzierung ein Integrationspostulat entgegengehalten. Denn sie hat die Medienkulturwissenschaft als ein transdisziplinäres Forschungsfeld konzipiert, in dem verschiedene Ansätze, die sich problemorientiert mit Medienkultur beschäftigen, zusammengeführt wurden. Die Gemeinsamkeit der Ansätze besteht darin, eine handlungstheoretische Konzeption von Medienkultur zu vertreten, indem sie das mediale Handeln von Akteuren unter einer kulturalistischen Perspektive analysieren. Unter Kultur wird dabei jenen Komplex von symbolischen Ordnungen verstanden, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken. Das Integrationspostulat wurde auch auf die Integration von Theorie und Empirie übertragen, indem die Forschungsarbeit im ersten Teil einen eigenen ethnographischen Ansatz der Medienkulturwissenschaft (EAM) theoretisch entwickelt und diesen Ansatz im zweiten Teil in Fallstudien empirisch angewendet hat. Zum anderen wurde das Postulat der Transnationalität insoweit umgesetzt als sich diese Fallstudien mit der senegalesischen Pressekultur beschäftigen. Das westafrikanische Land und seine Pressekultur weisen vielfältige transnationale Bezüge auf.
376
10.1 PRESSEKULTUR
MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE IN
SENEGAL
„Africa is and seems to be in the nearer future de-linked from the main economic dynamics.“ (Neuber 2005: 430) Allerdings ist die Folgerung, dass die ökonomische Exklusion Afrikas seine marginale sozial- und kulturwissenschaftliche Repräsentation rechtfertige, nicht haltbar. Mit dieser Annahme bringt man sich nicht nur um die Möglichkeit, neue Phänomene in den Blick zu bekommen, sondern vergibt auch die Chance auf ein vertieftes Verständnis der Transnationalität. Für einen Forscher kann es heute nur bereichernd sein, seine akademische Sozialisation auf dem afrikanischen Kontinent auf die Probe zu stellen und Forschungskooperationen mit lokalen Netzwerken aufzubauen. Dies ist in Senegal deshalb besonders interessant, weil die dortige Gesellschaft in einem so rasanten wie widerspruchsvollen Wandel begriffen ist. Phänomenologisch gesprochen, ist das am geographisch einzigartigen Cap Vert gelegene Dakar eine pulsierende Metropole, die von den mannigfaltigen Lebensstilen seiner Bewohner, den originellen Überlebenstaktiken der Jugend, der grassierende Informalität des öffentlichen und privaten Sektors, den inakzeptablen sozialen Ungleichheiten sowie einer manchmal mit islamistischen Tendenzen versehenen Religiosität geprägt wird. Der Verfasser ist sich bewusst, dass sein Vorgehen in der senegalesischen scientific community auf Ablehnung stoßen könnte. Denn es ist hier bis anhin nicht üblich, den Forschungsgegenstand der Medienkommunikation auf Medienkultur einzuengen und mit einem Ansatz zu analysieren, der auf wissenschaftstheoretische Prämissen und forschungspraktische Strategien der Cultural Studies zurückgeht. Ausserdem führt die ethnographische Vorgehensweise zu dem Ergebnis, dass konflikthafte, informelle, illizite und oberflächliche Lektürepraktiken als zentrale Merkmale der senegalesischen Pressekultur erscheinen. Es wäre verständlich, wenn senegalesische Kreise befürchteten, dass diese Ergebnisse in der Wahrnehmung Außenstehender altbekannte Klischees über die Unterentwicklung und Rückständigkeit Afrikas Vorschub leisten würden. Die hier analysierten Probleme wie Informalität und Betrug sind allerdings keineswegs als ‚typisch afrikanisch‘ zu klassifizieren. Denn insbesondere in postkommunistischen Staaten in Südosteuropa und Zentralasien ist man „confronted with informalisation of economy (informal sector, mafia-type structures), weak and failing states, patron-client-relationships in economy and politics, ethnic movements, the challenge of the monopoly of power by separatist movements, warlordism or organized crime“ (ebd.: 433). Bei einer aufmerksamen Lektüre sollten sich diese Befürchtungen allerdings als unbegründet erwiesen haben. Denn die Forschungsarbeit hat deutlich gemacht, dass die senegalesische Pressekultur seit Beginn Ende der 1970er Jahre einem dynamischen Wandel unterworfen ist,
ZUSAMMENFASSUNG
377
der sich seit Anfang der 1990er Jahre weiter intensiviert hat und dessen Ende auch heute noch nicht absehbar ist. Im Zuge von Prozessen der Liberalisierung, Pluralisierung und Popularisierung hat sich der Markt ausdifferenziert und ansatzweise institutionalisiert, wobei auch die Nutzung von Printmedien gestiegen ist. Damit kann die Annahme Perrets (2005: 12f.), dass die Transformationen der frankophonen Presse Afrikas nach den bewegenden Jahren in der ersten Hälfte der 1990-er Jahre wieder an Kraft eingebüßt haben, zumindest im Hinblick auf den Senegal relativiert werden. Der Forschungsprozess hat über die Evaluation der Hypothesen des Konflikts, der Informalität und der Plurimedialität hinaus differenzierte Ergebnisse gezeitigt. Das Vorwissen, das zur Formulierung dieser Hypothesen geführt hat, konnte präzisiert werden. Es ist deutlich geworden, dass sich die öffentliche Arena Senegals durch die Präsenz von politischen, ökonomischen, religiösen, medialen und Regulationsakteuren konstituiert. Die weit verbreitete Intransparenz von Handlungen in der öffentlichen Arena ist darauf zurückzuführen, dass die Rollen der verschiedenen Akteure nicht eindeutig von einander getrennt sind. Zwar kommt der Presse ein wichtiger Anteil beim Demokratisierungsprozess und bei der Entwicklung des zivilgesellschaftlichen Bewusstseins der Bürger zu, aber paradoxerweise haben diese Transformationen gleichzeitig zu einer Unterwanderung demokratischer Prämissen geführt. Insbesondere die in der Verfassung verankerte Gewaltentrennung zwischen den Sphären der Exekutive und der Judikative sowie der Politik und der Religion ist in der Praxis nicht funktional. So drängen die religiösen Akteure seit der Auflösung des traditionellen senegalesischen Gesellschaftsvertrags vermehrt in die politische und mediale Sphäre ein. Dies schlägt sich im Pressesektor nieder, wo Journalisten, Politiker, Geschäftsleute und Marabuts manchmal miteinander kollaborieren, meistens aber um Einfluss, Kontrolle und Besitzverhältnisse ringen. Sämtliche Akteursgruppen verfügen über Presseorgane und versuchen Einfluss auf die redaktionellen Inhalte derjenigen Printmedien zu nehmen, die sich ihrem Einflussbereich entziehen. Während es politischen Akteuren mehrheitlich um eine positive oder zumindest unkritische Berichterstattung geht, versuchen religiöse Akteure dem journalistischen Konformismus Vorschub zu leisten. Falls Redaktionen den Interessen der Akteure zuwider handeln, wird auch vor der Ausübung von Gewalt nicht zurückgeschreckt. Aus diesem Grund ist auch die Pressefreiheit in Senegal insbesondere dann in Gefahr, wenn die illiziten Machenschaften von politischen und sozialen Akteuren sowie ihr privates Leben auf die Agenda der Printmedien gelangen. Um einen investigativen und kritischen Journalismus so weit wie möglich einzudämmen, nutzen die Regierung und eine ihr hörige Justiz den Spielraum einer inkohärenten Gesetzgebung, um Zeitungsausgaben zu beschlagnahmen und unliebsame Journalisten willkürlich zu inhaftieren
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
oder zu verurteilen. Da diese Handlungen auf eine verstärkte Autoregulation oder sogar Selbstzensur der Journalisten abzielen, lassen sich diese Konflikte im Normalfall nach einem altbewährten Muster lösen: im Anschluss an zivilgesellschaftliche Protestaktionen und informelle Interventionen bei Regierungsvertretern gelingt es, die inhaftierten Journalisten wieder zu befreien. Zu den Formen von rituellen Verletzungen der Pressefreiheit gehört allerdings auch die Ausübung von Gewalt. Sie kann sich in Form von psychologischen Drohungen und von physischen Übergriffen auf Journalisten manifestieren. Zusammen mit der Verschärfung des ökonomischen Wettbewerbs zwischen den Medienunternehmen und den Popularisierungsstrategien der Zeitungsorgane hat dieses konflikthafte Umfeld zu einer tiefgreifenden Identitätskrise der senegalesischen Journalisten geführt. Die senegalesischen Journalisten wissen nicht, wie sie sich in diesem Kontext mit seinen widersprüchlichen Anforderungen verhalten sollen. Diese Orientierungslosigkeit schlägt sich nicht nur in variablen Rollenverständnissen, sondern auch in den Inhalten der Zeitungen nieder. Mit Ausnahme einiger weniger professionell gemachter Zeitungen (Le Quotidien, Sud Quotidien, Wal Fadjri) werden grundlegende Qualitätskriterien verletzt. Ablesbar ist dies in der ideologischen Ausrichtung sowie in der Verletzung der Regeln der Sachgerechtigkeit, der Glaubwürdigkeit der Information und der Ausgewogenheit der Themenagenda. Ferner ist auch ein Mangel an Respekt gegenüber der Privatsphäre und der soziokulturellen Tradition zu nennen. Entgegen der These von der Politik der Zugehörigkeit (Nyamnjoh 2005:231-253) hängt die Identitätskrise jedoch nicht mit der ethnischen Zugehörigkeit der senegalesischen Journalisten zusammen. Obwohl auffällig viele Journalisten der Ethnie der Pulaar entstammen, die eine traditionelle Affinität zum Wissen beanspruchen, sind die Gründe für die Identitätskrise einzig im soziopolitischen Kontext und in den kulturellen Praktiken zu suchen: Besonders die politischen und religiösen Akteursgruppen streben nach öffentlicher Repräsentation und nach Zugang zu Ressourcen. Dabei beschneiden sie den Spielraum von Journalisten und der Zivilgesellschaft. Allerdings sind von der Interpenetration der Akteurssphären und -rollen auch die Journalisten nicht ausgenommen. Ein wesentliches Merkmal der Inhalte von sogenannten Qualitätszeitungen ist die Vermischung von verschiedenen journalistischen Genres wie Bericht, Analyse und Kommentar, die den Leser keine Rahmenhinweise über das Decodieren von Artikeln gibt. Dagegen verletzen die Boulevardzeitungen auf kontinuierliche Weise medienethische Codes. Sie fungieren aber auch als Motor des sozialen Wandels, indem sie ihre Agenda vor allem auf Tabubrüche ausrichten. Themen wie Delinquenz, Gewalt, Kriminalität, Sex und Voyeurismus sowie Denunziationen von öffentlichen und privaten Personen sollen
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die Aufmerksamkeit des Publikums sicherstellen. Auf diese Weise wird die Presse zu einem „parasite social“ (Perret 2005: 13). Auch wenn es einzelnen Titeln der Boulevardpresse gelingt, durch ihre skandalöse Themenagenda und innovativen Präsentationstechniken zumindest zeitweise eine hohe Auflage und Rendite zu erzielen, bestehen die Redaktionen dieser Organe vornehmlich aus jungen, schlecht ausgebildeten und unterbezahlten Journalisten. Die Pluralisierung des Printmedienmarktes wird durch eine abnehmende Qualität der Humanressourcen konterkariert. Ein zentrales Merkmal der senegalesischen Pressekultur ist denn auch die Prekarität. Sie ist sowohl für die hohe Fluktuation von Journalisten als auch von Titeln verantwortlich. Die Prekarität ist auf marginale Werbeeinnahmen sowie die Tatsache zurückzuführen, dass zwar rund ein Viertel der Senegalesen Zeitung liest, aber nicht bereit oder in der Lage ist, dafür Geld auszugeben. Unter der Voraussetzung, dass ein verkauftes Exemplar von zehn und mehr Personen gelesen wird, ist der Journalismus ein defizitäres Geschäft, das auch die öffentliche Subvention nicht wettmachen kann. Aufgrund ihres marginalen Einkommens sind viele Journalisten korrupt, das heißt sie akzeptieren Gelder und Geschenke von politischen und sozialen Akteuren, die eine ihnen genehme Berichterstattung sicherstellen wollen. Um wirtschaftlich zu überleben, arbeiten viele Redaktionen auch mit informellen Händlern zusammen, die sich nicht nur um die Distribution der Zeitungen kümmern, sondern auch die Druck-, Papier- und Lohnkosten übernehmen. Diese Strategie sichert einerseits zwar das kurzfristige Überleben, aber andererseits liefern sich die Journalisten den informellen Händlern aus, die ihre Macht sowohl publizistisch als auch ökonomisch ausnutzen. Der EAM hat hier einen Zugang zu Praktiken erlaubt, die jenseits des Normativen und Legalen liegen. Sie können als Folge der Informalität interpretiert werden. Hinsichtlich der Aneignung hat die Studie gezeigt, dass die Presse ein Medium ist, das die hermetischen Kreise der traditionellen Bildungselite verlassen hat. Heute lesen nicht nur Akademiker, Geschäftsleute und Politiker, sondern auch diejenigen Auszubildenden, Beschäftigten aus dem formellen und informellen Sektor sowie Hausfrauen, Rentner und Arbeitslose, die des Französischen mächtig sind. Darüber hinaus sehen sich einige Analphabeten die Bilder von Zeitungen an oder lassen sich daraus vorlesen. Zwar gibt es einige wenige Zeitungen in den Nationalsprachen Wolof und Pulaar sowie in Arabisch, aber deren soziale und wirtschaftliche Bedeutung ist marginal. Die Zeitungslektüre ist ein vornehmlich urbanes Phänomen, denn bereits in den Provinzstädten und vor allem auf dem Land nimmt die Bedeutung der Zeitung rapide ab. Der kontextualistische Ansatz der Studie (Grossberg 1999) hat zur Erkenntnis beigetragen, dass die Zeitung ihre größte Verbreitung über die Presseschau am Radio findet.
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
Hatte das Radio aus historischer Sicht bereits eine wichtige Rolle bei der Popularisierung der Printmedien gespielt, ist es heute der wichtigste Verbreitungskanal für ihre Inhalte in den Nationalsprachen. Die bescheidenen Zeitungsauflagen sind hohen Fluktuationen unterworfen, weil die Senegalesen vor allem bei Scoops und wichtigen Ereignissen Zeitungen kaufen. Ihre Kaufentscheidung treffen sie in der Regel am Kiosk oder bei den ambulanten Verkäufern, wo sie die Schlagzeilen der verschiedenen Zeitungen vergleichen können. Die Kundenbindung der Zeitungen ist nur schwach ausgebildet. Im Vergleich mit der Aneignung von anderen Massenmedien wie Radio und Fernsehen ist die Zeitungslektüre im Senegal als oberflächlich zu bezeichnen. Die in der Regel ohnehin nur zwölf Seiten umfassenden Zeitungen werden selten integral gelesen. Häufig werden nur die Schlagzeilen gelesen und einige Artikel überflogen. Mehr als 50% der Leser wenden weniger als zehn Minuten für die gesamte Lektüre auf. Die Ressorts Politik, Sport, Medien, Gesellschaft sowie die Werbung erfreuen sich der größten Beliebtheit. Gelesen wird vor allem am Morgen und am Vormittag. Lektüreort sind das private Heim, der Arbeitsplatz sowie der öffentliche Verkehr.
10.2 MUSTER, RITUALE
UND
WERTE
Wie lassen sich diese Praktiken erklären? Was sagen sie über die senegalesische Gesellschaft aus? Die Konflikthaftigkeit der senegalesischen Pressekultur geht auf eine ungenügende Regulation des Sektors bzw. auf einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit (rule of law) zurück. Dieser Mangel an Regulation ist das Ergebnis eines schwachen Staates. Die politischen Akteure haben es in Senegal niemals geschafft, eine umfassende Legitimität und Wirkungsmächtigkeit zu erreichen so wie das beispielsweise für europäische Staaten der Fall ist. In der öffentlichen Arena treffen eine Vielzahl von politischen, ökonomischen, religiösen und Regulationsakteuren aufeinander, die um Macht und Profit konkurrieren. Der Mangel an Regulation verweist auch auf die Demokratiedefizite. Sie sind aufgrund der rituellen Verletzungen der Pressefreiheit sowie der dysfunktionalen Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Judikative einerseits und zwischen Politik und Religion andererseits so eklatant, dass der Senegal als ein semiautoritärer Staat klassifiziert werden muss (Ottaway 2004). Die verschiedenen Akteure der öffentlichen Arena in Senegal machen sich diese Ausgangslage zu Nutze, indem sie staatliche Funktionen wie zum Beispiel das Monopol auf Gewaltausübung ansatzweise privatisieren (Trotha 2000). Trotz dieser Regulationsdefizite würde man der politischen und Medienkultur in Senegal nicht gerecht werden, wenn man nicht erkennt, dass die Akteure diese Defizite durch interpersonale Übereinkünfte innerhalb
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klientelistisch organisierter Netzwerke wettmachen. Sie schreiben sich in die Jahrhunderte alte senegalesische Kultur der Teranga ein, die die Beziehungen der Gesellschaftsmitglieder regelt und für die Funktionalität dieser Übereinkünfte sorgt. Auf diese Weise wird Unsicherheit reduziert und die Grundlage für Informalität gelegt. Sie hat sich als Handlungsmuster fast sämtlicher öffentlicher Akteure erwiesen, auch derjenigen von journalistischen Akteuren. Sie vertreten variable Rollenverständnisse, um sich an die verschiedenen Situationen anpassen zu können. Je nach Kontext vertreten sie journalistische Rollenverständnisse des Berichterstatters, des Wachhundes, des Anwalts oder des Griots, der sich für die Entgegennahme von illiziten Geldern oder Geschenken empfänglich zeigt. Aufgrund der Ambivalenz der verschiedenen Rollen und der geringen Professionalität verfügt der senegalesische Printmedienjournalismus nur über eine geringe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Angesichts des weit verbreiteten Analphabetismus informieren und unterhalten sich zwar die Senegalesen in erstaunlich hohem Maße durch die Presse, aber auch ihr Zugang ist weitgehend informeller Natur: anstatt Zeitungen zu kaufen, greifen sie vornehmlich auf private und parakommerzielle Leihmodelle zurück. Auch hinsichtlich der Zeitungsinhalte ist die Kultur der Teranga konstitutiv: da direkt geäußerte Kritik unüblich ist, leistet sie der Marginalität von journalistischer Investigation Vorschub. Auch die weit verbreitete Vermischung journalistischer Genres und der vorherrschende Meinungsjournalismus lassen sich kulturalistisch erklären. Diese Praktiken erklären sich mit Verweis auf die Gesellschaft mit oraler Tradition und den positiv konnotierten Werten des Charmes und der Verführung. Der Leser möchte stilistisch umworben und thematisch verführt werden. Diese Ansprüche sind aber nicht durch einen trockenen Informationsjournalismus, sondern nur durch einen spielerische Elemente aufweisenden Meinungs- und Essayjournalismus zu leisten. Orale Tradition bedeutet in Zeiten der Plurimedialität nicht die Abwesenheit von Lektürepraktiken, sondern die Integration von oralen Stilelementen in die schriftliche Kommunikation.
10.3 AKTUALITÄT DER MEDIENKULTURWISSENSCHAFT Die hier erzielten empirischen Ergebnisse verweisen auf die Bedeutung und die Notwendigkeit von medienkulturwissenschaftlicher Forschung in Afrika. Denn bis jetzt hat die Medien- und Kommunikationsforschung den afrikanischen Raum vernachlässigt. Darüber hinaus ist es mit den herkömmlichen Forschungsstrategien (zum Beispiel aus der politischen Kommunikation) nicht gelungen, die Eigenheiten der
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
senegalesischen Pressekultur zu erfassen und zu erklären. Dagegen erlaubt der EAM, das intentionale und sinnorientierte Handeln von individuellen und kollektiven Medienakteuren im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang zu sehen und ihre Handlungen auf kulturelle Muster, Rituale und Werte zurückzuführen. Das Prinzip des radikalen Kontextualismus und der antiessenzialistische Kulturbegriff des EAM entkräften auch ein Argument, das gegen kulturalistische Vorgehensweisen angeführt wird: „Culture easily deviates into ideology, with its attendant burden of misconceptions, facile over-interpretations and preconceptions projected unto the research object.“ (Olivier de Sardan 2005: 493) Trotzdem geht es mitnichten darum, sämtliche Medienund Kommunikationsforschung kulturalistisch auszurichten. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass die Medienkulturwissenschaft die bestehenden Ansätze der Medien- und Kommunikationsforschung ergänzen und insbesondere dann forschungspraktische Alternativen aufzeigen kann, wenn es um transnationale und fremdkulturelle Forschungsgegenstände geht. Wie weiter unten ausgeführt wird, ist es durchaus sinnvoll, im Anschluss an diese Studie einzelne Aspekte der senegalesischen Pressekultur vertiefend mit anderen Forschungsstrategien zu untersuchen. Die historischen Wurzeln der Medienkulturwissenschaft liegen im Diskurs über Kultur und Medien. Dieser Diskurs lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Das Forschungsfeld einer handlungstheoretisch konzipierten Medienkulturwissenschaft institutionalisiert sich allerdings erst seit dem Ende der 1980er Jahre. Aufgrund unterschiedlicher wissenschaftshistorischer Wurzeln, methodischer Grundlagen, disziplinärer Verortungen und wissenschaftlichen Vokabularien werden die medienkulturwissenschaftlichen Ansätze gemeinhin nicht in einem Zusammenhang gesehen. Die vorliegende Forschungsarbeit hat jedoch argumentiert, dass der soziokulturelle Konstruktivismus, die Mediendispositivforschung, der Theatralitätsansatz, die Medienethnologie und die Cultural Studies sich mit ein- und demselben Problem beschäftigen: mit einer kulturalistischen Beschreibung medialen Handelns. In Ergänzung soziologischer und ökonomischer Ansätze räumt sie zu Lasten der gesellschaftlichen Strukturen bzw. der wirtschaftlichen Faktoren der Kultur ein Primat ein. Entsprechend wurde dafür argumentiert, die medienkulturwissenschaftlichen Ansätze unter dem Dach des transdisziplinären Forschungsfeldes der Medienkulturwissenschaft zusammenzuführen und forschungspraktische Synergien zu nutzen. Trotz der Vernachlässigung von theoretischen Diskursen, ethnographischen Forschungsstrategien und Forschung in fremdkulturellen Kontexten haben sich die Cultural Studies in einem abschließenden Vergleich als der elaborierteste und herausfordernste Ansatz der Medienkulturwissenschaft herausgestellt. In der Folge wurde das Modell des Circuit of Culture (du Gay et al. 1997) im Kontext von
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kommunikationswissenschaftlichen Prozess-, Mediensystem-, Vermittlungs- und Kreislaufmodellen situiert. Sein hoher Abstraktionsgrad ermöglicht aber nur schwerlich eine Anwendung in der Forschungspraxis. Aus diesem Grund wurde der Circuit of Culture konkretisiert und in die Form eines anwendungsorientierten Ansatzes überführt. Mit dem EAM lassen sich auf systematische Weise zeitgenössische Medienkulturen analysieren, wobei der Ansatz seinen Fokus auf Konflikt, Konfliktregulation und Plurimedialität richtet. Der EAM wurde so konzipiert, dass er die oben referierten Kritikpunkte an den Cultural Studies produktiv umsetzt. Wie bei vermutlich jeder Studie, die theoretische Reflexion und ethnographische Feldforschung integriert, ist der Forschungsprozess im Rückblick nicht als linear zu bezeichnen. Im Vergleich zu der Ausgangslage bei Forschungsbeginn im Winter 2001/2002 hat sich die Anlage der Studie stark gewandelt. Der Verfasser hat sich bemüht, den theoretischen Erkenntnisgewinn und die praktische Feldfoschungserfahrung für die Elaboration der Studie zu nutzen und die thematische Ausrichtung sukzessive anzupassen. Auf der einen Seite wäre eine zielgerichtetere Vorgehensweise wünschbar gewesen, auf der anderen Seite reflektiert der Forschungsverlauf wohl einfach die Realität einer selbstreflexiven sozial- und kulturwissenschaftlichen Praxis. Kritisch beurteilt der Verfasser heute die Vielzahl der eingesetzten Datenerhebungsmethoden. Im Rückblick wäre es effizienter gewesen, sich für einige wenige Projekte zu entscheiden und dafür die Stichproben zu erhöhen. Auch eine geographische Ausweitung der Untersuchungsorte über die Metropole Dakar, die Provinzstadt Diourbel und die Dörfer rund um Sédhiou hinaus sowie eine Integration von transnationalen Forschungsprojekten hätte zu einer Vertiefung und Zentrierung der Studie beitragen können.
10.4 AUSBLICK Diese kritischen Bemerkungen können für zukünftige ethnographische Studien, die sich mit Medienkultur beschäftigen, berücksichtigt werden – unabhängig davon, ob sie an den EAM oder an andere medienkulturwissenschaftliche Ansätze anschließen. Sowohl die Medienkulturen als auch die Medienkulturwissenschaft sind in einem anhaltenden Wandel begriffen, so dass Bedarf an weiterer theoretischer und empirischer Forschung besteht. Genau genommen ist die Medienkulturwissenschaft Teil von Kultur und Gesellschaft und damit ein Vektor von Veränderung. Diese Ausgangslage macht es nicht nur inadäquat, sondern unmöglich, verbindliche Paradigmen in dem Forschungsfeld zu etablieren. Die Multiplizität des transdisziplinären Forschungsfeldes Medienkulturwissenschaft ist gerade seine Stärke und
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MEDIENKULTUR UND ETHNOGRAPHIE
mitnichten eine Schwäche. Denn das Forschungsfeld ist bereit, die Komplexität von modernen Medienkulturen anzuerkennen und sich auf sie einzulassen (Morin 2005). Mit ihrer ethnographischen Forschungsstrategie liefert sie ‚dichte Beschreibungen‘ (Geertz 1987), die die medienkulturellen Facetten und Widersprüche erfassen. Im Sinne eines Ausblicks sei hier abschließend darauf eingegangen, was mit den hier präsentierten Ergebnissen gemacht werden kann. Erstens sollten Einzelaspekte der hiesigen Studie über die senegalesische Pressekultur vertieft werden. Auch wäre es sinnvoll, andere Aspekte der senegalesischen Medienkultur zu untersuchen und im Kontext der vorliegenden Studie zu diskutieren. Zweitens können die Ergebnisse für eine transnationale Komparatistik genutzt werden.232 Denn die Eigenheiten von Medienkulturen treten am besten im Vergleich hervor. Denkbar sind sowohl vergleichende Studien mit anderen afrikanischen als auch mit außerkontinentalen Medienkulturen (aus historischen Gründen zum Beispiel mit der Medienkultur der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich). Drittens können die empirischen Ergebnisse für eine empirische Fundierung von Mediensystemklassifikationen herangezogen werden. Wie Blum (2005) betont, müssen Mediensystemklassifikationen länderspezifische Unterschiede erfassen und die Medienkultur berücksichtigen. Dies ist aber bisher noch nicht geleistet worden. Während die normativen Klassifikationen von Altschull (1990), Martin/Chaudhary (1983), McQuail (1987: 8498), Norris (2000) und Wiio (1983) darunter leiden, empirisch nicht genügend gesättigt zu sein, blenden Hallin/Macini (2004) in ihrer empirischen Klassifikation nicht-westliche Mediensysteme aus. Dies ist umso bedauerlicher als Kleinsteuber (2002) eine Reihe von Differenzfaktoren herausarbeitet, die für die Eigenheiten von Mediensystemen verantwortlich sind. Viertens kann das hier akquirierte Wissen zur senegalesischen Medienkultur für das Forschungsfeld der Entwicklungskommunikation fruchtbar gemacht werden.233 Denn im Verbund mit den Informations- und Telekommunikationstechnologien fungieren auch die Massenmedien als Vehikel für und wider Prozesse der Demokratisierung und der Entwicklung. Schließlich legen die Ergebnisse nahe, die De-Okzentalisierung der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung voranzutreiben. Denn auf empirischer Ebene ist der Forschungsbedarf insbesondere in Entwicklungsländern der südlichen Hemisphäre sowie über transnationale Interaktionen zwischen westlichen und nicht-westlichen Ländern hoch.234 Dies wird bereits mit Blick auf Herausforderungen wie 232 Vgl.: Giesecke (2007) und Gunther/Mugham (2000). 233 Siehe: Ansu-Kyeremeh (2004), Melkote/Steeves (2001) und Mody (2003). 234 Die African Studies und die Ethnologie sind die einzigen Disziplinen, die eine nennenswerte Forschung zu und in Afrika betreiben.
ZUSAMMENFASSUNG
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die Bekämpfung von ökonomischen Ungleichheiten zwischen den Weltregionen sowie auf Themen wie den Terrorismus oder die Migration deutlich, die sich nicht allein auf nationaler Ebene lösen lassen. Auf theoretischer Ebene tendieren dagegen manche Forscher aus dem Westen zur Universalisierung ihrer Theorien, Methoden und empirischen Ergebnisse ohne eine Überprüfung in ihnen fremden Ländern zu berücksichtigen: „It has become routine for universalistic observations about the media to be advanced in English-language books on the basis of evidence derived from a tiny handful of countries.“ (Curran/Park 2000: 3) Wie in Kapitel 3 argumentiert wurde, sind von dieser Kritik auch die Medienkulturwissenschaft bzw. die Cultural Studies nicht ausgenommen. Diesem Defizit ist nur durch vermehrte Forschung in nicht-westlichen Ländern und durch eine Intensivierung von Nord-Süd-Forschungskooperationen beizukommen. In diesem Sinne begreift sich die vorliegende Forschungsarbeit als Cultural Studies in Afrika. Es ist zu hoffen, dass sie zu einer Vitalisierung der ‚African Cultural Studies‘ beitragen wird.235
235 Siehe: Falola/Jennings (2002), Tomaselli (1998) und Wrigth (2004).
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Marian Adolf Die unverstandene Kultur Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft 2006, 290 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-525-3
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