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German Pages 272 Year 2014
Susanne B. Schmitt Ein Wissenschaftsmuseum geht unter die Haut
KörperKulturen
Susanne B. Schmitt (Dr. phil.), Ethnologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie/Gender Studies der Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Ethnologie des Körpers und der Sinne, sensorische Ethnographie, Gender Studies, Wissenschaftskommunikation und Design Anthropology.
Susanne B. Schmitt
Ein Wissenschaftsmuseum geht unter die Haut Sensorische Ethnographie des Deutschen Hygiene-Museums
Diese Arbeit wurde unter dem Titel »Ein Wissenschaftsmuseum geht unter die Haut. Eine Ethnographie des Deutschen Hygiene-Museums Dresden als durch den Körper erlebter Ort« an der Fakultät für Kulturwissenschaften (Institut für Ethnologie) der Ludwig Maximilians-Universität als Dissertation angenommen. Erstgutachterin war Prof. Dr. Eveline Dürr, Zweitgutachter PD Dr. Thomas Reinhardt. Tag der Disputation war der 13. Juli 2011.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 9 1.
Eine sinnliche Ethnographie der Sinne im Museum | 11
2.
Körper und Sinne. Vom Körper über den Leib zum Sehen in der Ethnologie | 19
2.1 „The Anthropology of …“ – Körper und Sinne im kulturellen Kontext | 21 2.2 Der Körper in der Ethnologie: Forschungsobjekt und Forschungssubjekt | 27 2.3 Embodiment, Leiblichkeit, Einverleibung und Verkörperung | 30 2.4 Probleme erfahrungsnaher Ethnographie und Methodenentwicklung | 41 2.5 Methodische Konsequenzen, Teil 1: Vom Okularzentrismus zum „Sehen lernen“ in jeder Hinsicht | 45 2.6 Methodische Konsequenzen, Teil 2: Dichte Teilnahme und das Beschreiten gemeinsamer Pfade | 50 3.
Museum und Leib. Vom ergriffenen Betrachter zur aktiven Besucherin des Wissenschaftsmuseums | 55 Was ist ein Museum? Begriffsklärungen | 57
3.1 3.2 Der blinde Besucher: sensorische Regimes und visuelle Repräsentation in historischer Perspektive | 60 3.3 Abwesende Körper? Das Museum als Kontaktpunkt | 68 3.4 Stille in der Bibliothek, Laute im Foyer. Ethnographisches Zwischenspiel | 70 Zusammenfassung | 72 4.
Feld und Forschung. Studying treppauf und treppab in einer Organisation des „Eigenen“ | 75
4.1 Feldforschung im Wissenschaftsmuseum: Setting und Auswahl des Forschungsfeldes | 76 4.2 Feldzugang und Verlauf der Feldforschung | 85
Zusammenfassung | 92 5.
Kälte und Eleganz. Soziale Ästhetik und museale Verkörperungen | 93 Am Eingang: Sensorische Konturen des Foyers | 95
5.1 5.2 Soziale Ästhetik als leiblich erfahrbare Dimension von Organisationen | 107 5.3 Ambivalente Erfahrungen im Foyer: Kälte und Eleganz | 113 5.4 „Solche Klamotten hätte ich mir früher nie gekauft!“ Selbstinszenierung der Museumsmitarbeiter zwischen Genuss und Disziplinierung | 127 Zusammenfassung | 136 6.
Navigieren und Vermitteln. Vom Führen und Fühlen | 139
6.1 Museumsführungen als körperliche Praxis: geschulte Blicke und spontane Choreographien | 141 6.2 Karto-Ethnographie einer Führung vom Fahrradständer zu den Schuppen der Haut. Sehen und gesehen werden „from the tour guides point of view“ | 147 6.3 „Learning to be affected“. Vermittlungspraxis als Herstellung somatischer Formen der Aufmerksamkeit | 156 6.4 So klingt die „Gläserne Frau“. Zur kreativen Aneignung und sensorischen Neuinterpretation mimetischer Objekte | 161 Zusammenfassung | 168 7.
Essen und Gestaltung. Der Raum „Essen und Trinken“ wird sinnlicher | 171 Die Neugestaltung und das Drehbuch | 173 Der Duftcomputer und die Besucher | 185
7.1 7.2 7.3 Essen und Kult: Von Mexiko über den Supermarkt in die Vitrine | 203 Zum Ende: „Das Grüne ist so weg und ich habe nur noch das Weiße vor mir.“ | 225 8.
Modelle von und für Wahrnehmung und multisensorisches Alltagsleben. Letzte Anmerkungen aus dem Tasttunnel des Kindermuseums | 227 Treppab hinein ins Kindermuseum | 227
8.1 8.2 Ethnophysiologie, lokale Biologien und lokale Phänomenologie | 229
8.3 „Die Sinne“: erfahrungsnahe Arbeit am Begriff | 233 Literaturverzeichnis | 237
Vorwort
Diese Veröffentlichung basiert auf meiner am Institut für Ethnologie der Universität München entstandenen Doktorarbeit. Ich habe sie für die Veröffentlichung lediglich leicht angepasst und gekürzt. Den Menschen, die mich bei dieser Arbeit begleiteten und inspirierten, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Mein unmittelbarer Dank gebührt meinen Freundinnen und Kolleginnen. Ich habe das Glück, mit klugen und kreativen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern befreundet zu sein. Deshalb danke ich insbesondere Marcus Andreas, Sophie Elixhauser PhD, Janika Gassner, Katrin Vogel, Vanessa Marlog, Dr. Ursula Münster und Verena Zimmermann für unsere zahlreichen Gespräche und für ihre vielfältige Unterstützung. Das Hygiene-Museum in Dresden, der Ort meiner Feldforschung, ist auch mir, der Ethnographin, unter die Haut gegangen. Den Menschen in Dresden, in- und außerhalb des Museums, die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben, verdanke ich ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Museum. Das Teilen dieser Perspektiven hat uns allen, so hoffe ich, auch zu einem besseren Verständnis des Arbeitens in unseren jeweiligen Institutionen verholfen. Dem Vorstand des Museums danke ich ganz besonders herzlich für die Erlaubnis, an dieser bekannten und sichtbaren Institution forschen zu dürfen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hygiene-Museums ist diese Arbeit gewidmet. Prof. Dr. Matthias Laubscher hat mich zu dieser Dissertation ermutigt und die ersten Schritte möglich gemacht. Für das Leben nach der Emeritierung wünsche ich ihm alles Gute. Prof. Dr. Eveline Dürr war eine tatkräftige und unterstützende Doktormutter, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Danke. Den TeilnehmerInnen des Küchenkolloquiums danke ich für aktives Zuhören, konstruktive Kritik und sachdienliche Hinweise.
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Prof. Dr. Irene Götz vom Institut für Europäische Ethnologie war mir als Mentorin und Wissenschaftlerin stets ein Vorbild. Das Mentoringprogramm von LMUexzellenz hat mich sowohl ideell als auch finanziell unterstützt und mir nicht nur zahlreiche Konferenzteilnahmen ermöglicht, sondern auch die Publikation dieses Bandes großzügig gefördert. Eine großartige und unkomplizierte ideelle und finanzielle Unterstützung habe ich auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes zu verdanken, die mir ein Promotionsstipendium zur Verfügung stellte. Zwei weiteren Wissenschaftlerinnen sei an dieser Stelle gedankt: Prof. Deborah Heath vom Lewis & Clark College in Portland, Oregon, hat mich vor vielen Jahren während meines Auslandsstudiums durch ihren unkonventionellen und anregenden Unterricht von der Möglichkeit einer zeitgemäßen Ethnologie überzeugt – und von „anthropology as a lifestyle“. Bei Prof. Sarah Pink durfte ich einige Sommermonate als Gastwissenschaftlerin verbringen. Die inhaltlichen Diskussionen in Loughborough gehörten zu den produktivsten während meiner Arbeit an diesem Buch. Meinen Eltern danke ich nicht nur für die finanzielle Unterstützung, sondern vor Allem dafür, dass sie nicht eine Sekunde daran glauben würden, dass es etwas gibt, das ich nicht erreichen kann. Ethnologie betreiben bedeutet zu verstehen, was es in einem bestimmten Kontext bedeutet, Mensch zu sein. Dafür, dass sie mein Verständnis davon erweitert haben, danke ich den Genannten von Herzen.
1. Eine sinnliche Ethnographie der Sinne im Museum
Als erste ethnologische und ethnographische Studie erforscht diese Untersuchung ein Wissenschaftsmuseum als einen Ort, der durch den Körper und mit allen Sinnen erlebt und erfahren wird. Eine solche Studie ist überfällig. Die Sinne haben Konjunktur – eine Feststellung, die für sich gestellt schon für ethnographische Aufmerksamkeit sorgen muss. Innerhalb der Ethnologie wurde jüngst die sensorische Revolution, etwas bescheidener zumindest aber doch ein „sensory turn“ ausgerufen. Dieser fordert eine verstärkte Hinwendung des Faches zu kulturellen Wahrnehmungsweisen und neuen, experimentellen Formen ethnographischen Forschens und Repräsentierens. Gleichzeitig fragt die Ethnologie der Sinne aber auch danach, welche Klassifikation, Trennung, Auflösung und Hierarchisierung der Sinne in bestimmten kulturellen Kontexten vorherrscht und herausgefordert wird. Beides, die Suche nach der lokalen Artikulation von Klassifikationen „der Sinne“ in einem bekannten Wissenschaftsmuseum, das auf sinnliche Vermittlung setzt, als auch eine experimentelle Ethnographie, die sinnliche Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellt, sind die zentralen Achsen dieses Buches, anhand derer sich Geschichten um Düfte in der Ausstellungsgestaltung, um Stille in der Bibliothek und Geräusche im Treppenhaus, Gänsehaut und Schweißausbrüche entspinnen. Erlebnis, Sinnlichkeit, „Selbermachen“ und Interaktivität sind zu wichtigen, durchaus auch kritisch hinterfragten Diskursen in Museumslandschaft und Kulturindustrie geworden. Jährlich wird im deutschsprachigen Raum mehr als 100 Millionen Mal ein Museum oder eine Ausstellung besucht, und die Zahl der Museen steigt ebenso wie die Zahl ihrer Besucherinnen und Besucher.1 Museen 1
Das Institut für Museumsforschung in Berlin nennt in seinem Kurzbericht für das Jahr 2009 eine Zahl von 106.820.203 Museums- und Ausstellungsbesuchen (vgl. http://
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sind und bleiben damit wirkmächtige Institutionen, die Wissen und Weltsichten vermitteln und dabei innerhalb des touristischen und kulturellen Angebots ihrer Standorte anziehend sein wollen. Sie alle stehen in Wechselwirkung mit den Körpern ihrer Mitarbeiterinnen und Besucher.2 Nicht nur die einzelnen Objekte bleiben in Erinnerung, wenn der Museumsbesuch vorüber ist, sondern auch die feuchte Kälte der Rüstkammer, der Geruch alter Bücher oder der Geschmack der Pommes frites im Bistro neben dem Museumsladen. Auch der Arbeitsalltag im Museum besteht nicht nur im Beantworten von Emails von Leihgebern anderer Museen, im Verkaufen von Eintrittskarten und in Diskussionen über die richtige Formulierung eines Ausstellungstextes. Er besteht auch in nervös verschwitzten Händen vor dem Beginn einer Führung mit pubertierenden Jugendlichen; er geht mit Bauchweh einher angesichts von Konflikten am Arbeitsplatz und mit der Freude daran, an den geschwungenen Kanten eines Porzellangeschirrs aus der Barockzeit entlangfahren zu können, das danach für lange Zeit nur mehr in einer Vitrine zu betrachten sein wird. Für manche Mitarbeiter des Museums waren es gerade die unmittelbar leiblichen Erfahrungen mit dem Museum, die in ihnen den Wunsch weckten, dort zu arbeiten: „Also ich fand es schön und bin als Kind ganz oft hier gewesen im Hygienemuseum. Da gab es eine Abteilung, den Sinnenraum. Und ich erinnere mich noch ganz deutlich an ein paar Sachen, was mir da gut gefallen hat. Einmal konnte man nachvollziehen, wie es ist, wenn man nichts sieht, also mit den Augen verbinden, das gab es schon damals, das war schon in Mode, und es hat mich sehr beeindruckt als Kind. Wie man angewiesen ist und trotzdem funktioniert das irgendwie, und man kommt noch durch die Räume und findet sich irgendwie zurecht. Dann gab es noch einen Rollstuhl, das fand ich auch sehr interessant wie man mitbekommt, wie das ist, wenn man nicht laufen kann. Es ist kein Sinn, aber es ist eine meiner stärksten Erinnerungen. Und die dritte Sache, die gibt es auch heute noch, es gibt so eine Bank mit solchen Löchern, wo man so durchfühlt und verschiedene Sachen ertasten muss. Das gab es damals auch, nur man konnte es nicht sehen, es war so eine Art Schrank aber … so eine Bürste oder so. Und manches fühlt sich auch sehr schön an, gerade für ein Kind. Da habe ich dran gedacht, als ich mich hier beworben habe. Und ich habe dann einmal einen Gang durch das Kindermuseum gemacht und habe gedacht, ach ja, alles was damals schön war ist heute wieder so, es ist noch etwas bunter und www.smb.museum/ifm/index.php, letzter Zugriff am 26.1.2011, Zahlen für 2010 lagen noch nicht vor). Im Gegensatz zu einem Museum besitzt eine Ausstellung keine eigene Sammlung. 2
Um den Text nicht unnötig durch Doppelungen und Bindestrich-Schreibweisen zu belasten, werden teils männliche und teils weibliche Schreibweisen verwandt, womit immer auch andere Gender eingeschlossen sind.
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größer. Es war nicht der Hauptgrund, warum es mich hierhergezogen hat. Ich war begeistert, dass es so was gibt und habe gedacht, naja, schauen wir mal wo es hinführt.“
Diese Zeilen stammen von Matthias, einem Pädagogikstudenten und freiberuflichem Mitarbeiter im Kindermuseum des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. Wie viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums, mit denen ich gemeinsam über ein Jahr lang am Museum forschte, erlebte und erlebt er das Museum durch den Körper und durch Praktiken der Ausstellungsgestaltung und Vermittlungsarbeit, die auf alle Sinne ausgerichtet sind. Der zitierte kurze Gesprächsausschnitt zeigt bereits auf, was das Thema dieser Arbeit ist: ein Wissenschaftsmuseum als Ort, der durch den Körper und „mit allen Sinnen“ erlebt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht die Besucherinnen des Museums, sondern die Menschen, die dort arbeiten. Ihre Perspektiven auf das Museum sind diejenigen von „Bewohnern“ des Museums und weniger diejenigen kurzfristiger Besucher, obwohl auch diese Perspektiven sich überschneiden können: auch die Mitarbeiterinnen betrachten neue Ausstellungen mit einem touristischen Blick, der sich mit dem kuratorischen oder dem Blick des Sicherheitspersonals situationsbedingt überschneidet. Über der Gänze dieser Arbeit steht folglich die Frage nach den „Sinnen“ als Konfiguration, die in verschiedenen Kontexten innerhalb des Museums und aus unterschiedlichen Perspektiven herauseine tragende Bedeutung hat: die alltäglichen Erfahrungen und Praktiken der im Museum tätigen Menschen beruhen in wesentlichen Teilen auf sensorischem Wissen. Die Bewertung bestimmter sensorischer Qualitäten von Räumen, Dingen und Ereignissen wiederum bildet eine entscheidende Grundlage dafür, welche Erfahrungen, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie für Besucherinnen und Besucher, ein zeitgenössisches Wissenschaftsmuseum überhaupt ermöglicht. Weil es als Institution für sich in Anspruch nimmt, „sinnliche Vermittlungsarbeit“ zu leisten, habe ich das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden als Ort meiner Forschung ausgewählt. Das Deutsche Hygiene-Museum ist aus einem spezifischen Grund ein Museum, das als durch den Körper erlebbarer und erlebter Ort erforscht werden muss. Das hat mit seinem Thema zu tun – einer inhaltlichen Ausrichtung, die es gleichzeitig weltweit einzigartig macht: der Mensch, der Körper, die Gesundheit. Seit 1930 ist das Museumsgebäude am Rande des Großen Gartens in Dresden zu besuchen. Sein heute ungewöhnlich erscheinender Name stammt aus einer Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als unter dem Begriff „Hygiene“ eine große Idee verstanden wurde: die Subjektivierung von Körper und Gesundheit und die Vermittlung von umfangreichem Wissen der entsprechenden Techniken der Selbstführung an alle Bevölkerungsschichten. Die
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1. Internationale Hygieneausstellung des Jahres 1911 in Dresden, auf die die Museumsgründung ursprünglich zurückging, zog Millionen von Besuchern an – mehr als das 1910 stattfindende hundertjährige Jubiläum des Oktoberfestes und die gleichzeitig gezeigte Schau „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ in München3 zusammen. Auch heute noch zählt das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden über eine halbe Million Besucher im Jahr. Sein Selbstbild freilich hat sich gewandelt. Die Institution, die sich sowohl während der Zeit des Nationalsozialismus als auch in der DDR zu ideologienahen biopolitischen Zwecken instrumentalisiert sieht, versteht sich nun als ein Museum an der Schnittstelle der Natur- und Kulturwissenschaften. Eine große Dauerausstellung zum Thema „Der Mensch“, ein den fünf Sinnen gewidmetes Kindermuseum und zahlreiche Sonderausstellungen zu Themen wie „Was ist schön?“ oder „Kraftwerk Religion“ bilden das Spektrum des Museums ab. Im untersten Stockwerk des Hygiene-Museums ist das Dresdner Kindermuseum untergebracht, in dem erklärt wird, was die „fünf Sinne“ sind. Die Wand mit den Löchern, durch die man Gegenstände ertasten kann, gibt es dort ebenso wie ein verspiegeltes Labyrinth und riesige Modelle der Sinnesorgane. Diese Artikulation eines Sinnesmodells ist aus der Perspektive der Ethnologie der Sinne, der diese Arbeit zu großen Teilen verpflichtet ist, höchst spannend: Eines ihrer wesentlichen Interessen liegt in der Dekonstruktion eines „westlichen“ Alltags- oder Wissenschaftsverständnisses der Sinne als universell in ihrer Fünfzahl gegeben. Die Frage, wie ein kulturelles Modell oder folk model von Wahrnehmung aussehen könnte, ließe sich, diese Hoffnung stand am Beginn meiner Forschungstätigkeit, anhand des dem Thema „Unsere fünf Sinne“ gewidmeten Kindermuseum recht gut beantworten. Aber im Verlauf der Forschung zeigte sich, dass meine Forschungspartnerinnen und Forschungspartner dieses Modell ungern erklärten. Statt weiter zu fragen, was „die Sinne“ eigentlich sind, lenkten meine Forschungspartnerinnen meine Aufmerksamkeit auf andere Themen: welches ist die richtige Kleidung innerhalb einer prestigeträchtigen Kulturinstitution? Wie repräsentiert man einen Festschmaus für die tote Verwandtschaft an einem Ort, an dem Essen streng verboten ist und Lebensmittel als raffiniert gemachte Gips- und Kunststoffmodelle zu sehen, manchmal auch zu berühren und zu hören, aber eben nicht zu schmecken sind? Und wie baue ich in der Vermittlungsarbeit eine „sinnliche Brücke“ zu meinen Besuchern?
3
Vgl. Raumtext der Ausstellung Zukunft der Tradition – Tradition der Zukunft. 100 Jahre nach der Ausstellung „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ in München im Haus der Kunst München, September 2010 bis Januar 2011.
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Statt also mein ursprüngliches Forschungsinteresse fortzusetzen, erweiterte ich im Laufe der Feldforschung meine Perspektive. Diese beruht auf einer sensorisch und phänomenologisch ausgerichteten Ethnologie, die nicht beantworten kann, was „die Sinne“ eigentlich sind. Den „fünf Sinnen“ des Kindermuseums ist am Ende diesen Bandes, in der Rückschau, ein kurzer Abschnitt gewidmet, der sie als Ethnophysiologie und lokale Phänomenologie, eine von vielen Arten, Erleben und Erfahrung zu ordnen, kurz vorstellt. Die Auswahl des Feldforschungsortes hat Auswirkungen auf die Geschichten, die in dieser Arbeit erzählt werden können. Aufgrund der Einzigartigkeit bestimmter Objekte und des einzigartigen Selbstverständnisses des Hauses ist es unmöglich, Ort und Protagonisten in einer Form zu anonymisieren, die sie vollständig unkenntlich machen würde. Das Organigramm des Museums ist auf der Internetseite ohne weiteres einsehbar, und Rückschlüsse auf die befragten Personen sind somit leicht zu ziehen. Ein Museum ist ein öffentlicher Ort, zumindest in Teilen und nach Entrichten des Eintrittspreises. Die Menschen, die darin arbeiten, sind jedoch keine Personen des öffentlichen Lebens. Aus diesem Grund müssen einige der spannendsten Geschichten unerzählt bleiben. Dass die Innensichten der freien Mitarbeiterinnen so zentral zu dem Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, lässt sich auch darauf zurückführen, dass diese im Museum beschäftigten Menschen nicht nur hervorragende Experten für die Ausstellungen sind, sondern aufgrund ihrer schieren Anzahl auch besser anonymisierbar sind als die Funktionsträger der Institution. Intimität, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit – die unterschiedlichen Verknüpfungen dieser Aspekte treten im Laufe dieser Arbeit immer wieder hervor. Dies gilt auch für die Ethnographin selbst. Eine Besonderheit dieser Arbeit liegt nämlich nicht nur in ihrem organisationsethnographischen Fokus bei den Mitarbeitern des Museums und in ihrer phänomenologisch-sensorisch ausgerichteten Stoßrichtung, sondern auch in der Nähe und teilweisen Überschneidung der beiden Felder Universität und Museum. Museologische und kulturwissenschaftliche Analysen von Museen, Sammlungen und Ausstellungen existieren in großem Umfang; und zu unterscheiden, ob es sich bei diesen nun um Primär- oder um Sekundärquellen handelt, um eine emische oder um eine etische Perspektive, war nicht immer einfach. Getreu dem Primat der multi-sited ethnography, dem Thema und Konzept zu folgen, wandte ich mich vor allem dann an museologische Quellen, wenn mein Gegenüber darauf rekurrierte und mir die Handlungen und die Vorstellungswelt der betreffenden Person dadurch verständlicher wurde. Begriffe wie Objekt, Ding oder Exponat verwende ich in dieser Arbeit folglich wie Alltagsbegriffe, obwohl sich über diese Begriffe und die damit verbundenen Ideen sehr
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viel schreiben ließe.4 Der Grund liegt darin, dass diese Begriffe in meinem Kontext Alltagsbegriffe waren. In vielen Fällen arbeitete ich mit Menschen zusammen, die Fächer wie Biologie, Medizin, Pädagogik oder Geschichte studierten und nun Museumsführungen anboten. Da die semiotische Ausstellungsanalyse nicht zu ihrer zentralen Perspektive auf das Museum gehörte, gehört sie auch nicht zu meiner. Da zu fast jedem Museumsbesuch das Aushändigen einer Karte des Gebäudes und des Weges durch die Ausstellung erfolgt, wird auch hier ein solcher Überblick gegeben. Die Arbeit bewegt sich, nach dieser Einleitung, durch sieben weitere Kapitel: Im ersten Kapitel wird die theoretische Grundlage gelegt, indem die „Ethnologie der Sinne“, die sich in jüngster Zeit hin zu einer „sensorischen Ethnologie“ bewegt hat, als theoretische Ausrichtung und kritisches Projekt innerhalb des Faches vorgestellt wird. Gemeinsam mit ausgewählten Theorien aus dem Gebäude der Ethnologie des Körpers dient sie der Sensibilisierung für die Kulturalität des Sensorischen sowie der Methodenentwicklung im letzten Teil des Kapitels. Besondere Beachtung erfährt dabei die Frage der experimentellen Methodenentwicklung, die dem Primat einer sinnlichen Ethnographie gerecht werden soll. Historische und aktuelle Diskurse um die Verortung des Körpers der Besucher von Wissenschaftsmuseen und Science-Centers stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Welche institutionellen Vorstellungen von der Leiblichkeit des Museumsbesuchers können wir nachzeichnen, und wie stellen diese Diskurse Menschen im Museum als Subjekte des Wissens und der Entscheidungsträgerschaft her? Im dritten Kapitel, das diesen Fragen nachgeht, wird aufgezeigt, wie das Museum als Institution historisch entstand, wobei der Schwerpunkt auf den Museumstypen Wissenschaftsmuseum und Science Center liegt, die dem Hygiene-Museum, das in seiner Form einzigartig ist, besonders ähnlich sind. Dabei frage ich besonders danach, welche Bedeutung dem Körper des Besuchers (und darum geht es in diesem Abschnitt der Arbeit, denn über die Situierung des Körpers der Mitarbeiterinnen war leider kein Material zu finden) innerhalb der Entwicklung des Museums als Institution des europäischen Bürgertums zugeschrieben wird. Dabei wird gezeigt, welche besondere Stellung insbesondere dem Blick im musealen Kontext zukommt und wieso von dem sensorischen Regime des Museums als einem visuellen gesprochen werden kann, gegen das sich in jüngerer Zeit ein Diskurs des Erlebens und Ergreifens artikuliert. Nachdem die sensopolitischen Konturen der Institution auf diese Art kursorisch nachgezeichnet wurden, nimmt das Kapitel vier das Nachdenken über 4
Siehe hierzu etwa te Heesen, Lutz (Hg.) 2005.
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Macht und Situierung weiter auf. Hier erfolgt die Darstellung und kritische Reflexion des Feldforschungsprozesses als ein Prozess des studying up, down und sideways in einer bürokratischen Organisation des Eigenen. Aus einer organisationsästhetischen Perspektive nähert sich Kapitel fünf dieser Organisation. Basierend auf Spaziergängen durch das Museum und auf Interviews lernen wir die atmosphärischen Konturen des Museums kennen. Dort werden wesentliche Diskurse über die soziale Ästhetik des nunmehr als Organisation mit eigenen Regeln der Inszenierung gedachten Museums festgemacht. Das sechste Kapitel führt in der Begleitung von Führungskräften5 des Museums, die sich im Foyer vorgestellt haben, in den Ausstellungsbetrieb hinein. Die Entwicklung der Fertigkeiten des Führens als Arbeit am eigenen Körper und am Körper des Besuchers wird hier ebenso thematisiert wie die kreative Aneignung altbekannter Objekte durch das Erfinden neuer sensorischer Zugänge. Kapitel sieben widmet sich der Gestaltung eines Teiles der Dauerausstellung – dem Erschaffen der Umwelt also, in der die Führungskräfte dann später eigene, kreative Strategien sinnlicher Vermittlung entwickeln werden. Die Neugestaltung des Raumes „Essen und Trinken“ zeichnet aus der Perspektive von Kuratoren und Besucherinnen das Experimentieren mit Gerüchen in der Ausstellung nach und widmet sich der Frage sinnlicher Authentizität im Museumskontext. Das achte und abschließende Kapitel führt schließlich in das Kindermuseum. In diesen Räumen des Museums wird nicht nur Kindern und Jugendlichen vom Standpunkt der Museumspädagogik ganz explizit vermittelt und veranschaulicht, was die Sinne sind und wie sie funktionieren. Dabei handelt es sich um ein Alltagsmodell der Sinne, das, wenn auch stark vereinfacht, an einer naturwissenschaftlichen Explikation der Sinne aufsitzt und für weite Teile der Museumsbesucher als verbindlich gelten kann. Umgeben von dem durch überlebensgroße, bunte „Sinnesorgane“ lokalisierbaren Modelles werden die Sinne als lokales Modell abschließend diskutiert und auf die (Un-)Möglichkeit sinnlicher Ethnographie einer Anthropologie der Sinne kritisch eingegangen.
5
So werden im Hygiene-Museum und auch in anderen Museen die meist freiberuflichen Mitarbeiterinnen bezeichnet, die im Auftrag des Museums unterschiedliche „Vermitttlungsangebote“ anbieten. Diese Angebote werden von der Abteilung für Museumspädagogik stets auf neue Themen und Sonderausstellungen hin abgestimmt und weiterentwickelt.
2. Körper und Sinne Vom Körper über den Leib zum Sehen in der Ethnologie
„The basic senses are our windows on the world“. Das behauptet zum Beispiel der Ethnologe Jack Goody (2002: 17). Dieses organologische Konzept der Sinne als Fenster oder Tore zur Welt, als Vermittler zwischen Innen- und Außenwelt ist nicht allein ein „europäisches“ Konzept, es tritt beispielsweise auch in der klassischen chinesischen Medizin hervor (Hsu 2007: 434). Die Vorstellung, dass der Mensch fünf Sinne besitzt, die jeweils durch ein bestimmtes Sinnesorgan vertreten werden, scheint selbstverständlich und universell zu sein. In den frühen 1990er Jahren begann die sich formierende „Ethnologie der Sinne“ jedoch, diese Konzeption von Wahrnehmung in Frage zu stellen. Die zunächst als anthropology of the senses bezeichnete Ergänzung des bestehenden Themenkanons der Ethnologie fragte anfangs nach der symbolischen und kosmologischen Bedeutung der Wege „in which meanings are, in fact, invested in and conveyed through each of the senses“ (Classen 1997: 405) und bediente sich dabei insbesondere der Methode des Kulturvergleiches. Diese Hinwendung zu den menschlichen Sinnen wird auch gerne mit dem Begriff „sensorische Revolution“ oder „sensual turn“ belegt (vgl. Bull, Gilroy, Howes et al. 2006, Aichinger, Eder, Leitner 2003: 21): diese Neuorientierung stellt die zeitund kulturunabhängige Invarianz menschlicher Wahrnehmung in Frage. Dabei verfährt sie jedoch anders als bereits etablierte Ansätze der kognitiven Ethnologie oder Ethnoscience. Anders noch als die reine Kognitionswissenschaft1 geht
1
Auch die Kognitionsethnologie befasst sich, wie die Ethnologie der Sinne, mit der Kulturalität von Wahrnehmung, „Prozesse(n), mit denen Menschen Informationen mental verarbeiten“ (Bender und Beller 2010: 187). Sie tut dies jedoch unter anderen Vorzeichen und vor Allem mit anderen Methoden wie Sampling und Piling, die dem
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sie dabei davon aus, dass die biologisch gleiche „Hardware“ des Menschen nicht nur in Raum und Zeit ganz unterschiedliche Ausprägungen erfährt, sondern dass diese Gestalt immer auch kulturelle und kosmologische Bedeutungen transportiert. In der engeren ethnologischen Auseinandersetzung mit menschlicher Sinneswahrnehmung hat sich seitdem eine Hauptrichtung manifestiert, die sich mit den Stichworten „Kritik am Paradigma der Kultur als Text“ und „Verkörperung“ sinnvoll umreißen lässt. Die sensory ethnography der neunziger Jahre, um den von Paul Stoller (1989) geprägten Begriff zu gebrauchen, ist als eine Reaktion auf den textual turn (Howes 2006: 29) der interpretativen Ethnologie der siebziger und achtziger Jahre zu verstehen, die die diskursiven Praktiken des ethnographischen Schreibprozesses eingehend diskutierte und Kultur im Sinne von Clifford Geertz als symbolhaften codierten und durch Verstehen dechiffrierbaren Text begriff. Die in der Folge ausgerufene „Krise der ethnographischen Repräsentation“2 (Clifford 2005) erscheint im Lichte der Ethnologie der Sinne dann auch weniger als Repräsentations- denn als Wahrnehmungskrise (siehe Howes 2003: 27). In den letzten Jahren ist dieser Ruf nach einer sensory anthropology immer hörbarer geworden, die an eine frühe Aufforderung nach sinnlicher Ethnographie (Stoller 1989) anknüpft, die interdisziplinär ausgerichtet ist, mit innovativen Darstellungsweisen wie multimedialen Repräsentationen und Performances experimentiert und methodische Anregungen an vielfältige ethnologische FragesErkennen von lokalen Taxonomien und Verhaltensskripten dienen. Fragen nach der Universalität oder Relativität bestimmter mentaler Operationen, Kategorien und Klassifikationen sind dabei wesentlicher Teil des Forschungsinteresses, wohingegen die sensorische Ethnologie eine stark diachrone Perspektive einnimmt und die Trennung von Kognition, Emotion etc., auf der die Kognitionsethnologie fußt, als ethnozentisch ablehnt und nicht unterstützt. Der Begriff der Kognition wird innerhalb der sensorisch ausgerichteten Ethnologie von Tim Ingold verwendet, der sich sprachlich daran anlehnt, indem er sinnliche Wahrnehmung als Datenverarbeitung beschreibt, die jedoch dynamisch, positionsabhängig und damit im Fluss ist, sodass sich die Frage nach Differenzierung sich nicht erst im Kulturvergleich stellt (z.B. zuletzt Ingold 2010). 2
James Clifford erwähnt in seiner Einführung zu dem Band Writing Culture. The poetics and politics of ethnography, der einen vorläufigen Höhepunkt der Diskussion um narrative Technologien, ethnographische Repräsentation und kulturelle Konstruktion des Fremden markiert, dezidiert visozentrische Darstellungstraditionen in der Ethnologie, die durch Schlüsselbegriffe wie „teilnehmende Beobachtung“, „Beschreibung“ markiert werden. Diese suggerieren nicht nur die Existenz eines privilegierten Standpunktes, sondern schließen auch andere sensorische Zugänge aus. So fragt Clifford etwa explizit nach dem Ohr der Ethnographin (2005: 11 f.).
K ÖRPER
UND
S INNE
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tellungen gibt (vgl. Pink 2010b: 333 ff.). Die Frage nach den Sinnesmodellen anderer Gemeinschaften (Beer 2000b, Egli 2010) ist dabei zugunsten einer weniger essentialisierenden Beachtung des Sensorischen in den Hintergrund getreten. Die vorliegende Arbeit ist, bei unterschiedlicher Gewichtung, beiden Ansätzen verpflichtet. Mit ihrem Fokus auf Leiblichkeit, Praxis und Handlungsvollzug ist sie von einer erfahrungsnahen, sinnlichen Ethnographie informiert, die versucht, lokalen Priorisierungen sinnlichen Erlebens zu folgen. Da im Laufe der Forschung sowohl Visualität, das Zeigen, Sichtbarmachen, Sehen lernen und Gesehen werden, als auch das Bewegen, Erwandern und Choreographieren des Museums als wesentliche Bestandteile der Alltagserfahrungen in Dresden hervorgetreten sind, folgt die weiter unten im Detail dargestellte Auswahl von Theorie und Methoden diesen lokal besonders bedeutsamen Formen des Körpererlebens. Da das Museum sich jedoch in Teilen seiner Ausstellungen ganz explizit einem bestimmten kulturellen Modell der Sinne widmet, soll auch dieser Aspekt der frühen Ethnologie der Sinne zunächst einmal ausführlicher betrachtet werden. Das letzte Kapitel dieser Arbeit wird zeigen, wie eine Synthese beider Erkenntnisinteressen ein wesentliches ethnographisches Unterfangen erleichtert: die „Arbeit am Begriff“ (Schiffauer 1991).
2.1 „T HE ANTHROPOLOGY OF …“ – K ÖRPER S INNE IM KULTURELLEN K ONTEXT
UND
Wie kaum ein anderes Feld ist die Anthropologie der Sinne interdisziplinär angelegt. Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt darin, dass rein ethnographische Daten lange nur selten unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Variationen und Bedeutungsinhalte der Sinne erhoben wurden. Die entscheidenden Impulse entstammen vielmehr den angrenzenden philosophischen Kulturwissenschaften, insbesondere den Geschichtswissenschaften. Einen guten Einblick bietet hier etwa der von Wolfram Aichinger, Franz X. Eder und Claudia Leitner editierte Sammelband (2003), wobei sich die kulturhistorische Forschung momentan vor allem mit dem Seh-, Geruchs- und Gehörsinn auseinandersetzt (Jütte 2000: 22).3 Explizit von einer
3
Einen fundierten Überblick über Entstehung und Wandel des Modells der fünf Sinne in der „westlichen Hemisphäre“ gibt etwa Jens Loenhoff (2001), als Standardwerk kann man Robert Jüttes Geschichte der Sinne (2000) bezeichnen. Als bekannter Beitrag zur Geschichte der Visualität sei Martin Jays Downcast Eyes. The Denigration of
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„anthropology of the senses, which can be defined as the interpretative study of the cultural construction and social dimensions of human perception and senate experiences in senate societies“ (Desjarlais 2003: 3, Herv. der Autorin)
wird seit etwa zehn Jahren gesprochen. Häufig werden die Forschungen des kanadischen Concordia Sensoria Research Team (CONSERT) um David Howes und Constance Classen als Ursprung der zeitgenössischen ethnologischen Sinnesforschung wahrgenommen. Die Forschungen und Veröffentlichungen insbesondere David Howes und Constance Classens, die seit 1988 über die „cultural construction of the senses“4 arbeiten, stellen in der Tat einen neuralgischen Punkt für die Hinwendung der Ethnologie zum menschlichen Sensorium dar, die auch in die Nachbarfächer abgestrahlt haben. Der Begriff anthropology of the senses wurde explizit erstmals von Roy Porter im Vorwort der englischen Edition von Alain Corbins Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs (dt. 1996, zuerst frz. 1982) verwendet (Classen (1997: 406). Die Wurzeln dieser theoretischen Ausrichtung reichen freilich viel tiefer. Dies gilt für die ethnologische Forschung und erst recht für die breitere philosophische Tradition, in die sie eingebettet ist: oft wird vergessen, dass eine der Urquellen der heutigen Ethnologie, die physische Anthropologie des neunzehnten Jahrhunderts, eindeutig bezogen auf den physisch messbaren Körper arbeitete und bereits anthropometrische und psychophysikalische Daten erhob, die auch die Sinnesmodalitäten mit einbezogen. Die Sinnlichkeit des „Anderen“ war dabei implizit immer schon ein Thema der Ethnologie. Dies äußert sich auch in den entsprechenden Darstellungsstrategien, die die vermeintliche Körperhaftigkeit und unreflektierte Sinnlichkeit der und des „Fremden“ im Vergleich mit dem europäischen rationalen Erkenntnis- und Augenmenschen evolutionärrassistisch niedrig einordnete (Howes 2003). W. H. R. Rivers etwa, der als der erste explizit zu Fragen der Varianz menschlicher Sinneswahrnehmung arbeitende Ethnologe gelten mag, bediente im Rahmen seiner Forschungen mit der Torres Strait Expedition ein zweifaches Erkenntnisinteresse: das nach der Variationsbreite der Menschheit und der expliziten Andersartigkeit der Bewohner anderer Breiten und deren Feststellung und Objektivierung durch Methoden der Vision in Twentieth-century French Thought. (1994), zur Auralität sicherlich Alain Corbins (s. u.)The Foul and the Fragrant: Odor and the French Social Imagination (engl. 1986, zuerst frz. 1982) genannt. Diane Ackermanns A Natural History of the Senses (1991), ein eher kursorischer, populärwissenschaftlicher Überblick über „die fünf Sinne“ (inkl. Synästhesie) ist in der früheren Diskussion der Sinne in der Ethnologie häufiger zitiert worden und soll daher hier kurz erwähnt werden. 4
Vgl. http://alcor.concordia.ca/~senses/ (letzter Zugriff am 3.11.2010).
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physischen Anthropologie. Die Suche nach einer spezifischen Sinnlichkeit der Wilden war nicht nur orientalistisch motiviert, indem sie den europäischen Augen- und Verstandesmenschen dieser Konzeption von Menschensein gegenüberstellte; sie machte die Körperlichkeit des Anderen auch zu einem primären Untersuchungsziel (Howes 2003: 4). Frühe Theoretikerinnen der Ethnologie des Körpers und der Medizinethnologie bezogen sich nach der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges erfolgten vollständigen Trennung zwischen physischer Anthropologie und Ethnologie zunächst aus einer kulturrelativistischen Perspektive auf die menschlichen Wahrnehmungsmodalitäten. Margaret Mead und Rhoda Bubendey Métraux, Vertreterinnen der psychologisch ausgerichteten nordamerikanischen Kulturanthropologie, verdankt die Ethnologie dabei Überlegungen über kinästhetisch ausgerichtetes Lernen auf Bali (Bateson, Mead 1985, zuerst 1942) oder über die Bedeutung von Berührung, Geruch und Klang in Russland und damit einer holistisch-sensorisch ausgerichteten Betrachtung von Kultur im Allgemeinen (Mead, Métraux 2000, zuerst 1953: 174 ff.). Diese Betrachtungen sind so wichtig, weil sie zu einer Zeit, in der sich die Ethnologie gerade von einer Museums- hin zu einer „Lebens“-Wissenschaft zu entwickeln begann, Grundsteine zu einer Ethnologie des Körpers und damit der Sinne legten. Weder die vorangegangene (und natürlich durch Feldforscher wie Malionowski oder Boas bereicherte) Lehnstuhlanthropologie noch der folgende Strukturalismus setzten sich wie Mead mit der Verkörperung von Kultur auseinander – einer Grundidee der Ethnologie des Körpers und der Sinne, die sowohl Subjektivität als auch Symbolhaftigkeit sinnlicher Erfahrungen und deren Darstellungen untersucht. Die sechziger und siebziger Jahre zeichnen sich neben dem Einfluss der später stark rezipierten Medientheoretiker für die Ethnologie der Sinne vor allem durch eine strukturalistische Kulturanalyse aus. Claude Lévi-Strauss Das Rohe und das Gekochte (1976) etwa bezieht durchaus sensorische Aspekte bei der Analyse von Mythen ein; das Werk an sich ist im Grunde multisensorisch angelegt, da es in seinem Aufbau unzweideutig Bezug auf musikalische Traditionen Europas nimmt. Der Einfluss des Medientheoretikers Marshall McLuhan mit The Gutenberg Galaxy (2002, zuerst 1962) machte sich ab den sechziger Jahren bemerkbar und findet insofern Eingang in die Ethnologie der Sinne, als dass er einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmungs- und Vermittlungsarten, der Organisation von Wissen und letztlich sozialer Organisation herstellt und den Einfluss der Medien auf die Sinne unterstreicht. McLuhan zufolge verändert sich die Elaboration der Sinne unter dem Einfluss der jeweils aktuellen Technologie. Die 1962
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bereits verbreitete Fernsehtechnologie ist seiner Auffassung nach nicht nur eine Erweiterung unserer Seh- und Hörfähigkeit, sondern ihr wohnen auch taktile Effekte inne. Die Monographie The Hidden Dimension (1966) des Ethnologen Edward T. Hall widmet sich der Frage der räumlichen Organisation von Menschen und Tieren und basiert auf kulturvergleichenden Studien. Hall bezieht dabei nicht nur den sichtbaren Raum in seine Überlegungen ein, sondern spricht auch von akustischen, taktilen, thermalen und olfaktorischen sozial legitimierten Idealabständen zwischen Personen. Obwohl die in ihrer Zeit stark rezipierte Studie aus heutiger Sicht stark positvistisch und essentialisierend anmutet, betont Hall doch unenwegt „the structure of experience as it is molded by culture“ (1966: X). In seinen Ausführungen berücksichtigt er so etwa lokale ästhetische Konzepte und räumliche Strukturierung jenseits des Visuellen (z. B. 1966: 152 ff.).Die Bedeutung vielfältiger Sinneseindrücke für die soziale Interaktion wurde bereits 1907 von dem deutschen Soziologen Georg Simmel untersucht. So schreibt er: „Das wir uns übrhaupt in Wechselwirkungen verweben, hängt zunächst davon ab, daß wir sinnlich aufeinander einwirken. […] [J]eder Sinn liefert nach seiner Eigenart charakteristische Beiträge für den Aufbau der vergesellschafteten Existenz […]“ (2008: 116). Besonders geht er dabei auf die Bedeutung von Auge und Ohr ein. Die Arbeiten aus Paul Stollers Feldforschung bei den Songhay in Westafrika (1989) resultierten in einer Ethnographie, in der er beschreibt, wie der Geschmack von Saucen ein Spiegel sozialer und familiärer Spannungen sein kann und dass die Fähigkeit, Hexen zu sehen, Resultat eines umfassenden Lern- und Initiationsprozesses ist. Stollers Werk ist von einer Kritik am Paradigma textueller und visozentrischer Repräsentation durchzogen, die weitere Autoren zunehmend aufgriffen.1993 veröffentlichte Anthony Synnott The Body Social: Symbolism, Self and Society. Damit legte er eine sehr umfassende und verständliche Darstellung zahlreicher Aspekte des menschlichen Körpers aus ethnologischer Perspektive vor. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei seine Betrachtung der Sinne: Dem Sehen, Riechen und Fühlen widmet er große Teile seiner klassischen Monographie, die auch einen lesenswerten historisch-philosophischen Abriss über die Bewertung von Erkenntnisfähigkeit und moralischen Zuschreibungen der Sinne enthält (129 ff.). Kathryn Linn Geurts (2002a) Ethnographie über die Anlo in Südostghana oder Robert Desjarlais sensorischer Zugang zum Verständnis der Lebenserinnerungen nepalesischer Buddhisten (2003) repräsentieren diese neue Art des ethnographischen Zugangs, der den momentanen Umgang der Ethnologie mit den menschlichen Sinnen widerspiegelt. Geurts Arbeit stellt ein Sinnesmodell vor, das um die Wahrnehmung und Wahrung des Gleichgewichtssinnes zentriert ist
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und somit mit unserem Alltagsmodell stark kontrastiert. Sie beschreibt detailliert, wie Balance sozial bewertet und kinästhetisch erlernt wird. Desjarlais Arbeit verdanken wir Einblicke in die sensorische diversitywithin einer Gemeinschaft, denn die beiden Hauptprotagonisten seiner Monographie, ein buddhistischer Priester und eine ältere Frau, beschreiben ihr Leben aus einer Perspektive, die in einem Falle von Bildern, im anderen Falle jedoch von akustischen Eindrücken und Metaphern durchzogen ist. David Howes im selben Jahr (2003) erschienener Band Sensual Relations stellt auf mehreren Ebenen eine Revision bestehender Daten und Theorien dar: er reinterpretiert Malinowskis Beschreibung des Kulatauschringes, indem er unterschiedlichen Phasen des Ritualgeschehens spezifische sensorische Attribute zuteilt und daraus ein Sinnesmodell der Massim ableitet. Diese Arbeiten sind noch stark von einem Gewahrwerden der Konstruktion sinnlicher Wahrnehmung durch die europäische Geistesgeschichte beeinflusst, die die aristotelische Einteilung in fünf Sinne festgeschrieben und eine Unterteilung derselben in Nah- und Fernsinne vorgenommen hat:5 „Tasten und Schmecken erfordern Nähe, Sehen und Hören kann man auch auf Distanz. Dem Geruchssinn wurde häufig eine Zwischenposition zwischen Nah- und Fernsinn zugeschrieben.“ (Beer 2000b: 7, siehe z. B. auch Jütte 2000)
Nach David Howes besteht das Anliegen einer „Anthropologie der Sinne“ in einem dreistufigen Weg der Forschung und Interpretation: Zunächst sollen die sensorischen Charakteristika einer Kultur beobachtet, daraufhin in ihrem eigenen kulturellen Kontext verstanden und letztlich in eine breitere, eventuell interkulturell vergleichende Perspektive gesetzt werden (Howes 2008: 445 f.). Dieser Ansatz wurde insbesondere von Tim Ingold stark kritisiert: Er wirft Howes vor, kulturelle Modelle von Wahrnehmung in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen und dabei individuelle Perspektiven, also die Subjektivität der Wahrnehmung, zu vernachlässigen. Damit werden Menschen zu bloßen Vehikeln eines semantisch verstandenen Sinnesmodells (2000: 156)6, statt situiertes Wissen und körperliche, sensorische Praktiken zu untersuchen.
5
Diese Darstellung ist natürlich stark vereinfacht. Gerade die Frage nach der Hierarchisierung und Vorrangstellung der Sinne ist ebenso wie die nach ihrer Anzahl starken historischen Schwankungen unterworfen (vgl. Jütte 2000: 29 ff.).
6
Howes wiederum kritsiert, Ingold vertrete eine europäische Tradition der Phänomenologie, die bestimmte Sinnesleistungen wie das Riechen und Schmecken ignoriere, und stelle sich nicht der offensichtlichen Kulturalität von Wahrnehmung (2010: 335).
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Diese Arbeiten werden aktuell um zahlreiche in Sammelbänden und Zeitschriften wie The Senses and Society erscheinende Untersuchungen ergänzt; und auch Michael Herzfelds Einführungs- und Grundlagenwerk Anthropology: Theoretical Practice in Culture and Society (2001) widmet dem Themenbereich ein eigenes Kapitel. In der Zwischenzeit ist die einstige Ethnologie der Sinne intersektionaler geworden und viele der von ihr bearbeiteten Themen sindnäher an „zu Hause“ angesiedelt. „Die Sinne“ als Thema sind zugunsten eines umfassenderen Verständnisses des Sensorischen zurückgetreten, das die Grenzen zwischen Emotion und Sensation, Erfahrung, Erinnerung und Imagination und vermeintlich vereinzelten Sinneskanälen nicht mehr strikt trennt. Zum Spektrum gehören dabei „Frische“ als Qualitätsmerkmal von Wäsche, das von den Identitätsprojekten ihrer Wäsche waschenden Träger nicht zu trennen ist (Pink 2005b), über die Welt des Profitanzens, in der Temperatur und Kinästethik eine große Rolle spielen (Potter 2008) oder die olfaktorischen Mikropolitiken japanischer Parfumkonsumentinnen (Moeran 2007). Bevor jedoch geeignete Beispiele aus diesem Kanon meine eigene Ethnographie kontrastieren, erhellen oder ergänzen können, sind noch zwei vorbereitende Schritte notwendig. Deshalb werde ich nun einige körperethnologische Überlegungen darstellen, die die eröffnete Richtung ethnologischer Kritik und ethnologischen Denkens sinnvoll ergänzen. Perspektiven auf den erlebenden und handelnden Körper und seine Beziehung zu Raum und Ort stehen dabei im Mittelpunkt und leiten zu der Diskussion und Darstellung methodischer Anpassungen im nächsten Teilkapitel über. In meiner Magisterarbeit7 hatte ich bereits darüber nachgedacht, welche theoretischen Aspekte der Ethnologie des Körpers auf Forschungen im Internet übertragbar sein könnten und dabei auf drei bedeutende Dimensionen des Körpers verwiesen, die die Grundlage der zeitgenössischen Diskussion über die Ethnologie des Körpers bilden: den individuellen er- und gelebten Leib, den Körper als Metapher und Symbolbegriff sozialer Beziehungen und kultureller Grammatiken sowie die politische Dimension des Körpers, die insbesondere durch Michel Foucault und Pierre Bourdieu vertreten wird.8 Im nun folgenden Teil der Arbeit werden diese Aspekte näher erläutert.
7
Vgl. Schmitt, Susanne (2006): Körperlichkeit im Internet. Überlegungen zu einer Ethnologie des Körpers im Netz. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Institut für Ethnologie und Afrikanistik, Ludwig-Maximilians-Universität München.
8
Diese analytische Unterscheidung basiert auf dem Aufsatz The Mindful Body: A Prolegomenon to Future Work in Medical Anthropology vonNancy Scheper-Hughes und Margaret Lock (1987).
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2.2 D ER K ÖRPER IN DER E THNOLOGIE : F ORSCHUNGSOBJEKT UND F ORSCHUNGSSUBJEKT Der Körper ist nicht nur Forschungsobjekt, sondern auch Forschungssubjekt der Ethnologie und der qualitativ forschenden Sozialwissenschaften. Dies anzuerkennen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Ethnologie, die auf leibliche Vorgänge sensibel reagiert, sie auf allen Ebenen reflektiert, methodisch experimentell arbeitet und gleichzeitig die Grenzen des Teilens des leiblichen In-derWelt-Seins des ethnographischen Gegenübers akzeptiert. Jeder Forschungsprozess ist zugleich ein leiblicher – andere menschliche Erkenntnisprozesse gibt es nicht. Dies beginnt bereits beim Lesen wissenschaftlicher Literatur: „Jeder kennt die Erfahrung, dass manche Texte leicht, andere hingegen sehr mühsam zu lesen sind – beides sind spürbare Erfahrungen: die Leichtigkeit des Textes macht spürbar leicht, während die Anstrengung sich eher schwer, belastend oder beengend anfühlt. Manche Autoren oder Theorien wiederum sind äußerst anregend und vielleicht sogar euphorisierend, andere dagegen langweilen oder lösen einen inneren Widerstand aus, der es unmöglich macht, den Text zu Ende zu lesen.“ (Gugutzer 2004: 15, Herv. i. O.)
Mittlerweile ist „der Körper“ in seiner kulturellen Konstruiertheit ein selbstverständliches und viel bearbeitetes Themaund die Reflexion von Affekten, Erinnerungen und körperlicher Erfahrung zu einer möglichen Erkenntnisart der Ethnologie geworden (vgl. z. B. Nadig 1998). Einen guten Überblick über die ethnologische Diskussion des Körpers bieten z.B. Csordas 2003, Blackmann 2008, Lock 1993 und 2007, Nettleton und Watson 1998 und Synnott (1993). Zur Soziologie des Körpers siehe Gugutzer 2004. Terence Turner deutet die neue Aufmerksamkeit, die der Körper in der rezenten Theoriebildung und empirischen Arbeit erfährt, als Resultat der Aufmerksamkeit, der dem nunmehr als körperhaft verstandenen Subjekt im Spätkapitalismus ohnehin zuteil wird-als: „[…] the object of seduction by advertising, interpellation by semiotically loaded commodities, torture by a broad spectrum of political regimes, bitter conflict over rights and health care, struggles for the revaluation of alternate sexual identities, threats from new epidemic diseases, and the object of new technologies permitting the alteration of physical attributes hitherto accepted as naturally detemined.“ (Turner 2003: 27)
Klassische Texte wie Norbert Elias’ zivilisationstheoretische Überlegungen über die zunehmende Disziplinierung des Körpers im „Zivilisationsprozess“ (vgl.
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Duerr 2003) ließen sich dabei ebenso unter dem Etikett einer eng gefassten Ethnologie der Sinne abhandeln. Nicht nur ein derartiges eher evolutionistisch orientiertes Denken, sondern auch die Existenz der physischen Anthropologie verhinderte damit gleichzeitig aber auch eine vollständige Verdrängung des Körpers aus der ethnologischen Debatte, die sich ansonsten vor allem der Gestaltung der Körperoberfläche sowie die Inszenierung des Körpers im Ritualgeschehen zum Gegenstand gemacht hatte (vgl. Csordas 2003): „Because human evolution and variation among human populations have always been part of the anthropological bailiwick, anthropologists have proved a good deal more alert to the theoretical challenge posed by the body than have other social scientists.“ (Lock 1993: 136)
Aufgrund des Selbstverständnisses der Ethnologie als Beobachtungswissenschaft wurde die Kulturalität des sichtbaren Körpers wesentlich früher mitgedacht als diejenige der Sinne. Zu den Klassikern der Körperethnologie gehört zuvorderst Marcel Mauss, der erkannte, dass das Schwimmen ebensowenig wie das Spucken eine natürliche Fähigkeit des Körpers ist, sondern vielmehr eine Körpertechnik, eine bald präreflexiv verlaufende kontinuierliche Aneignung des eigenen Köreprs nach den impliziten Regeln der umgebenden Gemeinschaft. Neben Marcel Mauss zählt vor Allem Mary Douglas zu den frühen Vertretern der Ethnologie des Körpers. Sie nimmt in Natural Symbols (dt. 1998 [1986]: Ritual, Tabu und Körpersymbolik)eine Unterscheidung zwischen natürlichem und symbolischem Körper vor und betont die Interdependenz zwischen beiden Aspekten der Körperlichkeit, allerdings ohne die in späteren Ansätzen betonte phänomenale Erlebensdimension und aktive Rolle des Körpers als Agens auszuarbeiten: „Der Körper als soziales Gebilde steuert die Art und Weise, wie der Körper als physisches Gebilde wahrgenommen wird, und andererseits wird in der (durch soziale Kategorien modifizierten) physischen Wahrnehmung des Körpers eine bestimmte Gesellschaftsauffassung manifest.“ (Douglas 1998 [1970]: 99)
Körper und Gesellschaft werden analog gedacht, so dass aus den Kontrollmechanismen, denen der Körper unterliegt, Rückschlüsse auf die soziale und religiöse Verfasstheit einer Gemeinschaft gezogen werden können. Der Gedanke, dass der Körper als kulturelles Produkt erkannt werden muss, durchzieht die ethnologische Auseinandersetzung mit dem Körper von Beginn an. Dieser Zugang zum Körper verzeichnet den Beginn einer Ethnologie des Körpers im engeren Sinne,
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indem die kulturelle Geformtheit desselben thematisiert wurde (Csordas 2003). Verstanden wurde der Körper dabei im Sinne von Douglas als zeichen- und symbolhaft, so dass er im Rahmen der interpretativen Wende und der WritingCulture-Debatte ohne weiteres einverleibt werden konnte: Metaphern wie „the inscription of culture on the body“ veranschaulichen dies (Csordas 2003: 182). Zu den besonders frühen und prominenten Kritikern eines ausschließlich semiotischen Körperverständnisses zählt Michael Jackson (1983). Mit Rückgriff auf Bourdieus Habitusbegriff und Merleau-Pontys Postulat des wahrnehmenden Körpers, der immer Subjekt und damit Voraussetzung für die Wahrnehmung von Objekten ist, kritisiert er semiotische Modelle als zu abstrakt. Sein Anliegen ist es, den Körper in die Materialität zurückzuführen, ohne ihm dabei die Kulturalität abzusprechen (1983: 328). Körperliche Praktiken verweisen, so Jackson, nicht notwendiger Weise stets auf ein „Außerhalb“ des Körpers und konstruieren diesen damit als passiv und zeichenhaft (329). Dabei argumentiert er vor allem für eine Analyse nicht-sprachlicher Ausdrucksformen wie Gesten und Körpersprache, die er als vorsprachlich und phylo- und ontogenetisch älter bezeichnet (328). Jackson zeigt anhand seiner Reanalyse eigener Daten über Initiationsriten von Mädchen in Sierra Leone einen damals gängigen semiotischen Deutungsansatz auf, indem er diese als Habitusdisruption neu fasst. Die alternativen Deutungen Jacksons (etwa der Wiegebewegungen während des Rituals als Reflexe aus uteriner Vergangenheit, 335) sind durchaus nicht unproblematisch. Sie stellen jedoch zumindest neue Beobachtungseinheiten in den Mittelpunkt. Damit nimmt Jackson Csordas Zeitstrahl der Kulturalität des Leibes voraus: „in Kuranko initiation, what is done with the body is the ground of what is thought and said. From an existential point of view we could say that the bodily practices mediate a personal realisation of social values, an immediate grasp of general precepts as sensible truths.“ (1983: 337)
Autoren wie Michael Jackson (1983) und Thomas Csordas (2002, 2003) ist es also zu verdanken, dass sich die Fachgemeinschaft unter dem Einfluss des paradigmatischen Begriffes der „Verkörperung“ mittlerweile der körperlich-sinnlich erlebten und geformten Dimension von Kultur zuwendet und die Reintegration des Leibes in den Körper, die die analytische Trennung von Subjekt und Objekt überwindet und die Körperhaftigkeit allen Erlebens als Urgrund der Kultur postuliert, verstärkt fokussiert (Csordas 2002: 58 f.).
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2.3 E MBODIMENT , L EIBLICHKEIT , E INVERLEIBUNG UND V ERKÖRPERUNG Die wesentliche Verschiebung in der Theoriedebatte und der entsprechenden Ethnographien ist also eine Verschiebung von der Betrachtung des Körpers als Zeichen und Symbol hin zu Erfahrungsnähe und Subjektivität. Diese Dimensionen sind es, die sie in eine starke inhaltliche Nähe zur Ethnologie der Sinne oder vielmehr einer sensory ethnography rücken (vgl. Pink 2009, 2010b). Natürlich bedeutet dies nicht, dass Präsentation und Repräsentation des Körpers von nun unwesentlich geworden wäre. Im Gegenteil: in der vorliegenden Arbeit spielen diese Aspekte eine herausragende Rolle. Wesentlich ist dabei jedoch das Verhältnis dieser Außenwirkungen zu subjektiven Erfahrungen auf leiblicher Ebene und der damit verbundenen Reproduktion oder Widerständigkeit gegen bestimmte Ansprüche an den Körper. Die Begriffe Embodiment, Leiblichkeit, Einverleibung und Verkörperung werden in der Literatur häufig synonym gebraucht, betonen jedoch die Eigenständigkeit des Leibes, wie Kimayer betont: „The essential insight of embodiment is that the body has a life of its own and that social worlds become inscribed on, or sedimented in, bodily physiology, habitus, and experience. Through its sensory apparatus, mobility, and affective responses, the body represents the natural metaphoricity of symbolic stimuli.“ (Kimayer 2003: 289)
Eines der grundlegenden analytischen Werkzeuge der Ethnologie des Körpers ist die Unterscheidung von „Körper“ und „Leib“, „sowohl als Materialität als auch als Erfahrung“ (Gugutzer 2004: 146), dem gelebten und erlebten Leib und dem objektivierbaren Körper. Die Wendung „Körper haben und Leib sein“ geht auf Helmut Plessner (1975) zurück und verweist auf seine Konzeption der Zweiheit des Körpers als untrennbar miteinander verbundene Aspekte der Körperlichkeit. Nach Plessner können Menschen, anders als Tiere, eine exzentrische Positionalität einnehmen, denn obwohl sie wie diese an Raum und Zeit gebunden sind, ist ihnen ein distanzierter Blick auf das Körperhaben möglich. Plessner rückt Körper und Leib dichotomisch in die Nähe von Kultur (= Körper) und Natur (= Leib), eine Perspektive, die, wie eben gezeigt, die heutige Ethnologie nicht mehr vertreten würde. Innerhalb der ethnologischen Diskussion des Körpers findet dabei der in der Tradition Husserls und seiner Idee der „Lebenswelt“ stehende Maurice MerleauPonty besondere Beachtung. In seiner Phänomenologie der Wahrnehmung (1966) macht Merleau-Ponty den Leib zum „Gesichtspunkt für die Welt“ (1966:
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95). Er bildet den Ausgangspunkt aller Wahrnehmung. Die cartesianische Trennung von Körper und Seele hat damit für Merleau-Ponty keinen Bestand, denn: „Der Leib ist […] kein Gegenstand. […] Handle es sich um den Leib des Anderen oder um meinen eigenen Leib, zur Kenntnis des menschlichen Leibes führt kein anderer Weg als der, ihn zu er-leben, d. h. das Drama, das durch ihn hindurch sich abspielt, auf sich zu nehmen und in ihm selber aufzugehen. So bin ich selbst mein Leib, zumindest in dem Maße, in dem ich einen Erwerb mein Eigen nenne, und umgekehrt ist mein Leib wie ein natürliches Subjekt, wie ein vorläufiger Entwurf meines Seins im ganzen.“ (1966: 234)
Der Leib, wie er von Merleau-Ponty verstanden wird, ist ein sowohl wahrnemender als auch wahrgenommener und die Welt eine Fortschreibung des Körpers (vgl. Ots 1990). Gerade der Bezug von Körper und Raum, auf den weiter unten eingegangen wird, zeichnen Merleau-Pontys Werk aus. Der Körper ist für ihn nicht nur ein weiterer Punkt im Raum, sondern Bezugspunkt aller Wahrnehmung (1966: 123). Als originär ethnologischer Klassiker unter den phänomenologisch orientierten Ansätzen, die den Körper, die Subjektivität, den Affekt und das Erleben betonen und insbesondere auf Merleau-Pontzy rekurrieren, hat Thomas Csordas mit seinem Konzept der somatischen Formen der Aufmerksamkeit zu gelten. Wie im Verlauf der Arbeit noch deutlich werden wird, kann diese Perspektive zum Beispiel veranschaulichen, wie bestimmte museumspädagogische Formate funktionieren, deren Zielsetzung darin besteht, die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher auf bestimmte Körperregionen und viszerale Vorgänge zu lenken (vgl. Kapitel 6 und 8). Csordas forschte mit Anhängern der evangelikalen Pfingstbewegung in den USA und konzentrierte sich dabei auf das charismatische Heilen etwa durch Handauflegen. Dabei konnte er zeigen, wie Leiblichkeit sozial erzeugt und intersubjektiv hergestellt und geteilt werden kann: „Because we are not isolated subjectivities trapped within our bodies, but share an intersubjective milieu with others, we must also specify that a somatic mode of attention means not only attention to and with one’s own body, but includes attention to the bodies of others. Our concern is the cultural elaboration of sensory engagement, not preoccupation with one’s own body as an isolated phenomenon.“ (Csordas 1993:139)
Bestimmte Wahrnehmungen, die viszeral ohnehin vorhanden sind, können dann bewusst wahrgenommen werden, wenn die Aufmerksamkeit bewusst dorthin gelenkt wird, wie beispielsweise durch einen charismatischen Heiler. Kausalität
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im Sinne des entsprechenden Weltbildes wird dann hergestellt, indem einem positiven Effekt – nämlich der Wahrnehmung innerkörperlicher Prozesse – eine Einwirkung etwa durch den Heiligen Geist zugesprochen werden kann (Csordas 1993). Die Begriffe Embodiment, Leiblichkeit9, Einverleibung und Verkörperung10 werden an zentralen Stellen der Arbeit immer wieder hervortreten. Sie werden umgangssprachlich und teilweise auch in der ethnologischen Literatur synonym verwendet, haben jedoch teilweise unterschiedliche Bedeutungsnuancen, auch wenn eine scharfe Trennung nicht immer möglich ist. Csordas sieht für eine embodiment-betonte Ethnographie keine spezifische Notwendigkeit methodischer Anpassung. Seiner Auffassung, dass leiblicher Erfahrung auch durch eine sprach- und textbasierte Erhebung und Repräsentation nahegekommen werden kann (Csordas 1997: 282), ist sicher zuzustimmen. Es ist sogar ganz entscheidend für sein Konzept des Embodiment, dass er gelungene Ethnographie weniger in der Repräsentation, sondern in der Evokation von Anwesenheit durch narrative Strategien verortet sieht (ibid.). Wie später im Methodenkapitel besprochen werden wird, bieten sich dennoch einige sinnvolle Erweiterungen zur bestehenden Methodologie an, die auch bei der Datenerhebung beispielsweise darauf abzielen, das Gerichtetsein der Forschungsteilnehmer im Raum besser zu verstehen. Eine aktuelle Perspektive, die den eher statischen Begriff von Verkörperung und Embodiment durch die Perspektive des Embodying, des Leibes in Bewegung, ergänzt, schlagen Sigrid Schmitz und Nina Degele vor: „Denkt man Körper in Dimensionen der agency, Gestaltbarkeit und Gestaltungsmacht weiter, findet eine Akzentverschiebung statt […]: Nicht der Körper ist konstitutiv für Soziales, sondern Verkörperung. Im Vordergrund stehen damit nicht Entitäten, Strukturen oder starre Zustandsformen der Körpermaterie, sondern Prozesse. […] Verkörperung und Embodiment sind statische Begriffe, die Zustände oder Ergebnisse von Verkörperungspro9
In englischsprachigen Texten wird häufig auf die deutschsprachige Unterscheidung von Körper und Leib rekurriert.
10 Der im Deutschen verbreitete Begriff der Verkörperung seelischer Zustände fußt auf einem eher dualistischen Verständnis der Somatisierung affektiver Zustände. Der Begriff meint hier den körperlichen Ausdruck affektiver und innerpsychischer Zustände. Neben dem Begriff der Verkörperung existiert auch der Begriff der Einverleibung im Sinne von Marcel Mauss („Techniken des Körpers“), und Pierre Boudieu („Habitus“) bedient diese pathologisierende Dimension des Körpererlebens nicht, sondern sieht den Körper als Ausdrucksmedium des Sozialen (vgl. Hsu 2003).
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zessen beschreiben. Körper sind aber permanent in Bewegung – in Motio.n“(2010: 19, Herv. i. O.)
Schmitz und Degele verstehen den (erlebten) Körper als ständig in Prozessen der Zurichtung, Gestaltung und fortdauernden Konstruktion begriffen11 (ibid.). Eine solche, für die vorliegende Arbeit sehr fruchtbare Perspektive, muss den zuvor ausgearbeiteten Leibbegriff um die im weitesten Sinne politische Dimension ergänzen, die den Körper diskursiv überhaupt erst herstellt und ihn gleichzeitig in seiner Handlungsfähigkeit in den Blick nimmt. 2.3.1 Der gestaltende und gestaltete Leib Gerade mit der Ankunft des Körpers in der ethnographischen Reflexion westlicher Körperkonstrukte rückt die Perspektive der Körperpolitik in den Vordergrund: Zeitgenössische Ethnographien widmen sich den flexiblen Körperkonzepten des Spätkapitalismus (vgl. Beck/Knecht 2003) und den globalen Streifzügen bestimmter Körperkonzepte innerhalb spezifischer medicoscapes: „weltweit verstreute Landschaften von Personen und Organisationen im heilkundlichen Bereich, welche sich lokal verdichtet an einem Ort darstellen können, aber zugleich räum-
11 Die Autorinnen sprechen ausdrücklich auch von einem physiologischen Korrelat von Embodying, etwa im Sinne der Neuroplastizität und Multimodalität von Erfahrung. Siehe zum Forschungsstand hierzu auch Downey (2007). Ein Beispiel für die Integration eines phänomenologischen und eines poststrukturalistischen Ansatzes, der Wissen und Erfahrung als notwendig miteinander verbundene Kategorien miteinander verknüpft und um die Dimension des Biologischen erweitert, stellt Margaret Locks Ethnographie von Erfahrungen der lokalen Biologie der Menopause in Japan und den Vereinigten Staaten dar. Diese erscheint im Lichte kulturvergleichender Forschung als historische Neuerung und Symptomkonstellation, welche im „Westen“ bis vor Kurzem eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben wurde und zudem in Japan, Canada und den USA jeweils unterschiedliche Beschwerden hervorruft und einen unterschiedlichen Stellenwert in Diskursen über das Altern einnimmt (Lock 1995, Lock, Kaufert 2001). Die Besonderheit des Lock’schen Konzepts der lokalen Biologien besteht darin, dass sie eine durch bestimmte Ernährungsweisen und Lebensstile herbeigeführte Synthese von „Biologie“ und „Kultur“ als Erklärung für diese Unterschiede anführt: „in a continuous feedback relationship of ongoing exchange, in which both are subject to variation“ (Lock, Kaufert 2001: 503, Herv. i. O.).
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lich weit entfernte Orte, Personen und Institutionen miteinander verbinden.“ (Wolf/Hörbst 2003a: 4)12
Wie der Körper überhaupt Gegenstand institutionellen Zugriffs werden konnte, hierfür bieten die Arbeiten Michel Foucaults eine Vielzahl von Ansatzpunkten. Die Kontrolle der Bevölkerung als Ganzes, der Geburtenrate und Lebenserwartung in den Städten Westeuropas gehört dabei ebenso in den Bereich der körperbezogenen Machtpolitik wie die auf das Individuum bezogenen Diskurse und Praktiken, die die Disziplinierung des Körpers in unterschiedlichen Facetten betreffen. Die Biopolitik oder Biomacht genannte Machtform entsteht und verfestigt sich seit dem achtzehnten Jahrhundert und will die Kräfte des Körpers dem ökonomischen System zuführen. Schon immer diszipliniert, gerät der Körper nunmehr aus dem Zugriff des absolutistischen Herrschers in den Zugriff von Wissenschaft und Verwaltung. Konsequent stehen deshalb die auf den Körper bezogenen Fremd- und später auch die Selbsttechnologien im Mittelpunkt von Foucaults Betrachtung. Er zeigt auf, wie Institutionen, die sich professionalisierende Medizin (2005) oder das Gefängniswesen (1977) nicht zuletzt durch ihre sensorischen Strategien, nämlich den Zugriff durch den Blick, den Panoptismus der Autoritäten, Macht auf den Körper und damit das Individuum ausüben. Während die Macht bisheriger Herrschaftsformen darauf basierte, Leben beenden zu können, verfügt sie nun über den Körper, indem sie seine Verfügbarkeit, Normierung, wissenschaftliche Objektivierung und Zurichtung kontrolliert. So schreibt Foucault in Überwachen und Strafen über die Macht der Norm: „Sagen wir vorsichtiger, daß seit dem 18. Jahrhundert die Macht der Norm zu anderen Mächten hinzutritt und neue Grenzziehungen erzwingt: zur Macht des Gesetzes, zur Macht des Wortes und des Textes, zur Macht der Tradition. Das Normale etabliert sich als Zwangsprinzip im Unterricht […]; es etabliert sich in dem Bemühen, ein einheitliches Korpus der Medizin und eine durchgängige Spitalversorgung der Nation zu schaffen, womit allgemeine Gesundheitsnormen durchgesetzt werden sollen; es etabliert sich in der Regulierung und Reglementierung der industriellen Verfahren und Diskurse.“ (1977: 237)
In Der Wille zum Wissen (1983) stellt Foucault dar, wie die Diskursivierung einer zentralen menschlichen Erfahrung, nämlich der Sexualität, zu einer Verwissenschaftlichung führen, die die nicht unmittelbar auf Reproduktion gerichteten Aspekte von Sexualität beherrschen und verdrängen sollen. „Widernatürliches“ wird definiert und damit zugleich der Grundstein für sexuelle Heterogeni12 Angelika Wolf und Viola Hörbst (2003) entwickelten diesen Begriff in Anlehnung an Appadurais „-scapes“ Begriff.
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tät gelegt (41 ff.). Diskurse, Praktiken, Wissen(schaft) und Macht fallen hier in Stratgien der Körperbeherrschung zusammen. Im Rahmen dieser Arbeit ist das genealogische Werk Foucaults wichtig, weil es darauf verweist, wie ein zentraler Diskurs wie „Hygiene“ oder eine Institution wie das Museum mit seinen Repräsentations- und Vermittlungspraktiken zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts so ungemein populär und wirkmächtig werden konnte (vgl. Kapitel 3 und 5.1). Auch die in seinem Spätwerk entwickelten Gedanken zum Subjektbegriff und seinem Konzept der „Ästhetik der Existenz“ werden an späterer Stelle wieder aufgegriffen werden. Die Verkörperung von struktureller Macht im Körper und die Handlungsfähigkeit des individuellen Körpers ist aus einer handlungstheoretischen Perspektive das Thema Pierre Bourdieus. Der Modus der Präsentation des Körpers im Raum ist für Pierre Bourdieu die Folge der Verkörperung einer bestimmten sozialen Schicht: Kultur wird damit zur vermeintlichen Natur (2008: 90). Sein oft zitiertes Konzept des Habitus lässt sich damit als nach Außen sichtbare Verinnerlichung einer bestimmten Zugehörigkeit beschreiben. Auch von diesen Konzepten wird an geeigneter Stelle der Ethnographie noch detaillierter die Rede sein. Ihnen ist gemeinsam, dass sie den Blick weg von der vermeintlich poetischen Unschuld einer phänomenologisch ausgerichteten Ethnologie hin zu den Kräfteverhältnissen lenken, die als konstituierende Kraft auf Körper und damit Leib wirken und Widerstände hervorrufen (Roseman 2002: 111 f.). Diese Gedanken kommen vor allem dann zum Tragen, wenn danach gefragt wird, welche historisch gewachsenen Bedingungen bestimmte Sinneseindrücke und damit spezifische Formen des leiblichen Erlebens überhaupt ermöglichen und welche Technologien der Selbstführung auch sensorische Aspekte aufweisen. 2.3.2 Die vierte Dimension: Körper, Erfahrung, Raum und Umwelt Die drei Ebenen der Körperbetrachtung, die Triade wahrgenommener, symbolhaft-sozialer und politischer Körper nach Scheper-Hughes und Lock, viel zitiert und mittlerweile zum Klassiker avanciert, werden für diese Arbeit um eine weitere Dimension ergänzt, die an einer phänomenologischen Erlebens- und praxeologischen Akteursperspektive anknüpfen. Die eben beschriebenen Ebenen des sozialen, individuellen und politischen Körpers werden um eine Dimension der Raumerfahrung und -herstellung durch körperliche Praktiken ergänzt, die zu dem theoretischen Rüstzeug einer Ethnographie, die aufs Engste mit den Räumen und der Materialität eines Museums verbunden ist, dringlich dazugehört.
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Hierzu müssen zum besseren Verständnis die Begriffe Raum und Ort, die in der vorliegenden Arbeit durchgehende Verwendung finden, kurz erläutert werden. Raum und Ort: Zu den Begriffen und ihrer Verwendung Elisabeth Hsu hat in ihrer Rezeption und Erweiterung des Lock und ScheperHughes’schen Modells und basierend auf ihren ethnographischen Erkundungen der chinesischen Medizin das Konzept des body ecologic entwickelt,welches aus einer genealogischen Perspektive die Wechselwirkungen zwischen Körper und Umwelt thematisiert und aktuelle Körperkonzepte aus historischen Umwelterfahrungen herleitet: „[…] The ‚body ecologic‘ is, like the body politic, intricately intertwined with its environment, so body and environment cannot be dealt with as separate entities. This contrasts with the notion of the individual and social body, which refer to a clearly bounded ‚classical‘ body.“ (Hsu 1999: 83)
Als Beispiel ihres Konzeptes der Körper-Ökologie beziehungsweise des ökologischen Körpers nennt sie die Genealogie des Ayurveda in Indien mit den historisch einordenbaren Bewertungen der Umweltqualitäten „nass“ und „trocken“. Hsus Ansatz geht in der Tradition Foucaults stehend, diskursanalytisch vor (siehe auch Hsu 2007). Das Konzept der Körper-Ökologie verweist jedoch ebenso wie Edward T. Halls Forschungen zur Proxemik auf eine Dimension des Nach-außen-Bezogenseins des Leibes, das im Folgenden im Sinne eines Überblicks mit den Begriffen Ort, Raum und Landschaft in Bezug gesetzt werden soll. Die Bedeutung des Ortes in der Ethnologie ist eine immense, ist doch die Feldforschung notwendig situiert, findet an einem oder vielen Orten statt und verfolgt Dynamiken zwischen diesen (vgl. Hörbst 2008: 55, Kokot 2007: 10, Gupta, Ferguson 1997, Geertz 1997, Pink 2009: 23 ff.). Die Unterscheidung von space und place, von Raum und Ort, ist für eine sensorisch ausgerichtete Ethnologie besonders zentral. Nach dem Stadtsoziologen Detlev Ipsen schließen sich euklidischer Raum und gelebter Ort nicht notwendig gegenseitig aus. Konstituieren sich Räume nach Ibsen um Systeme „funktionaler Beziehungen“, treten Orte im Gegensatz dazu durch Sinngebung und sinnliche Wahrnehmung hervor (2006: 64): „Trotz aller Mischformen und Verflechtungen ist es sinnvoll Orte als Kristallisationspunkte der unmittelbaren Wahrnehmung, der kulturellen Deutung und Bedeutung sowie des sozialen Handels aufzufassen. Der Raum hingegen wird als eine Struktur funktionaler Bezüge und als ein Netz von Fließgrößen begriffen.“ (ibid.)
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Die kommunikative Bedeutung von Orten, die diese von identitätslosen NichtOrten abgrenzt, hebt auch Marc Augé im Sinne eines definitorischen Merkmales anthropologischer Orte hervor (1994). Diese Unterscheidung von Orten und Nicht-Orten funktioniert analog zu einer Differenzierung von Raum und Ort. Eine Synthese dieser Begriffe schlägt etwa Michel de Certau (1984) vor, indem er die Praxis der Aneignung von Räumen beispielsweise durch Fußgänger betont. Räume sind damit stets auch potentielle (und multiple) Orte. Casey betont sowohl die Bedeutung des Empfindens und Erfahrens von Orten durch leibliche Präsenz – „there is no knowing or sensing a place except by being in that place“ (Casey 2000: 18). Orte sind somit auch als „cultural and social structures that sediment themselves into the deepest level of perception“ beschreib- und fassbar (Casey 2000: 18). Um place und space voneinander zu unterscheiden, rekurriert Casey auf die deutschen Begriffe Erlebnis und Erfahrung: „The coherence of perception at the primary level is supplied by the depth and horizons of the very place we occupy as sentient subjects. […] Such genuinely local knowledge is itself experiential in the manner of Erlebnis ‚lived experience‘ rather than Erfahrung.“ (2000: 18)
Die Kulturalität von Orten wird dabei überhaupt erst durch ihr Erlebtwerden, durch den Leib denkbar und „Ort“ zum „field of localization“ (1996: 22 f., 34). Ansätze, die „Ort“ als erlebt theoretisieren und erzählen, setzen sich genau so wie der von Casey von einer ausschließlich sozialkonstruktivistischen Perspektive auf Raum und Ort ab (Cresswell 2009: 29 ff.). Dieser Ansatz leugnet nicht, dass Orte Resultate gesellschaftlicher und kultureller Konstruktion und Aushandlung sind, erweitern sie jedoch um die Perspektive des In-der-Welt-Seins, um mit Jeff Malpas zu sprechen: „Place is instead that within and with respect to which subjectivity is established – place is not founded on subjecitivity, but it is rather that on which subjectivity is founded.“ (1999: 35, Herv. i. O.)
Gegen den Begriff des Raumes als ethnographischen Ansatzpunkt überhaupt wendet sich Tim Ingold, der den Begriff des environments, der UmWeltbevorzugt und die Verbundenheit von Orten durch Wandern und Navigieren im Sinne leiblicher Erfahrung betont: „My contention is that lives are led not inside places but through, around, to and from them, from and to places elsewhere“ (Ingold 2000: 229). Die Bewegung zwischen diesen Orten betrachtet
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Ingold als Wanderschaft, als Spazieren, Navigieren und Streunen und somit als leibliche Erfahrung:13 „I shall use the term wayfaring to describe the embodied experience of this perambulatory movement. It is as wayfarers, then, that human beings inhabit the earth.“ (2009: 33)
Hier schließt sich der Kreis zu den körperethnologischen Ansätzen von MerleauPonty, Csordas und Langer, die weiter oben bereits angeführt wurden und mit Ansätzen der sensory anthropology gut integrierbar sind. Erste Ansätze hierzu kamen insbesondere aus der Kultur- und Sozialgeographie (vgl. Pink2009: 16 ff.). Paul Rodaway stellt in seinem Buch Sensuous Geographies: Body, Sense and Place (1994) haptische, olfaktorische, auditorische und visuelle Geographien als Erfahrungs- und Darstellungsschichten vor, wobei er stets das Verbundensein unterschiedlicher Facetten sinnlicher Wahrnehmung betont: Kognition und Sensation bilden in seinem Wahrnehmungsmodell eine Einheit, wobei er besonders die Interaktion zwischen einzelnen Sinnen betont und traditionelle Unterscheidungen zwischen Nah- und Fernsinnen kritisch hinterfragt (1994: 11 f., 26). Die Körperlichkeit und Kulturalität (im Sinne des Erlernens spezifischer Wahrnehmungsprozesse) stehen für ihn ebenso wie die Materialität und Fluktuation der Umgebung im Mittelpunkt seiner Theorie: „Therefore, perception involves the sense organs (including the body) and the mind, but is also situated and mediated by a geographical and cultural environment.“ (1994: 13)
Dabei setzt er an einem ökologischen, die Mensch-Umwelt-Interaktion betonenden Zugang an, den er bei dem Psychologen James J. Gibson entlehnt und, im Unterschied zu Gibson, auch auf nicht-visuelle Wahrnehmung anwendet (1994: ix): „Sensuous experience is […] often a complex of senses working offering a range of ‚clues‘ about the environment through which the body is passing.“ (1994: 25)
Auf den Humangeographen Douglas Porteous geht der Begriff der sensescape zurück, ein Begriff, der in dieser Arbeit häufig gebraucht werden wird. In seinem Buch Landscapes of the Mind: Worlds of Sense and Metaphor lenkt er die Auf13 Allerdings betrachtet Ingold nicht jede Art der Fortbewegung als „wayfaring“, zum Beispiel dann, wenn sie mit dem Auto erfolgt. Dieser Haltung kann ich mich nicht anschließen, da auch das Autofahren sowohl einen Umweltbezug als auch eine leibliche Erfahrung ermöglicht.
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merksamkeit zunächst auf nicht-visuelle Modi der Wahrnehmung von Landschaft und entwickelt die Begriffe von smellscape und soundscape (1990: 5/23). Ebenso wie Landschaften, die, so Porteous, in den Kulturwissenschaften bislang vorwiegend als visuell wahrgenommen beschrieben worden sind, sind Klänge und Gerüche auf bestimmte Orte bezogen, sind, zeitlich fluktuierend und begrenzt und stehen mit weiteren Sinneswahrnehmungen in Verbindung: „In combination with vision and tactility, smell and the other apparently „non-spatial“ senses provide considerable enrichment of our sense of space and the character of place.“ (2006: 91)
Auch innerhalb der Erforschung von smell-, sound- oder tastescapes richtet sich die Kritik der Autoren nicht gegen das Sehen an sich, sondern vielmehr gegen eine bestimmte Form der Visualität, die als charakteristisch für die Spätmoderne wahrgenommen wird. Die Aspekte von performativer Herstellung und Erfahrung von Räumen, von der Bedeutung des Raumerlebens und von Multisensorialität finden sich auch in der Unterscheidung zwischen gestimmtem Raum und Aktionsraum wieder, die freilich miteinander verknüpft sind, jedoch unterschiedliche Analyseebenen zur Verfügung stellen (s. a. Paetzold 1990: 29 ff.). Der Begriff des „gestimmten Raumes“ wird in dieser Arbeit noch häufiger verwendet werden, beispielsweise, um die Kriterien für die Neugestaltung eines Ausstellungsraumes zu beschreiben oder die Inszenierung eines mexikanischen Totengedenkfestes. So bezeichnet der Philosoph Gernot Böhme das Erzeugen von Raumstimmungen, die er „Atmosphären“ nennt, als Grundwerkzeuge der Architektur: „Entscheidend für den Architekten ist nun, dass Atmosphären erzeugt werden können und zwar durch Setzen durchaus objektiver Mittel. Dazu gehören außer den klassischen wie Geometrie, Gestalt, Proportion, Abmessung, noch Licht, Farbe und Ton. Auch das sind Erzeugende von Atmosphären.“ (Böhme 2006: 18)
„Ergreifende Gefühlsmächte“ sind für Gernot Böhme mit Rückgriff auf den Phänomenologen Hermann Schmitz (2009) die Atmosphären. Atmosphären definiert er gleichfalls als „gestimmte Räume“, und diese damit als „leiblich gespürte(n) Räume der Anwesenheit (Böhme 2006: 123). Ähnlich wie Ingold und Casey meint auch Böhme, dass sich Raumwahrnehmung primär durch eigene Anwesenheit und Bewegung im Raum nahekommen lässt:
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„Raum wird genuin erfahren dadurch, dass man im Raum ist. Durch leibliche Anwesenheit. Die einfachste und überzeugendste Art sich der Anwesenheit im Raum zu versichern ist Bewegung. Deshalb sind auch im Sehen diejenigen Elemente, die Bewegung enthalten, nämlich wechselnde Perspektive und wechselnde Fixierung am besten geeignet, uns den Eindruck von Räumlichkeiten zu vermitteln.“ (110)
Die Betonung synästhetischer Erfahrungen (124, siehe auch Merleau-Ponty 1966: 364 ff.) und Ansprüche auf ihre Beschreibung decken sich mit denjenigen Vertretern der sensory ethnography, die die Multimodalität jeglicher Sinneserfahrung betonen. Die Herausstreichung des leiblichen Empfindens von Anwesenheit im Raum soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Orte nicht nur Produkte von individueller Performanz und subjektiver Wahrnehmung, sondern auch Effekte von Machttechnologien sind, die bestimmten Menschen bestimmte Erfahrungen ermöglichen oder verweigern. Räumliche Praktiken wie Parzellierung, Segregation und die Ranganordnung sind wesentliche Aspekte von Körperpolitik und Gouvernementalität, die auf Strategien der Sichtbarmachung und räumlichen Verdrängung beruhen (Foucault 1977). Für eine sensorisch informierte Ethnologie ist es nun entscheidend zu entschlüsseln, wie sich Machtrelationen in sensorischen Politiken und als leibliche Erfahrung niederschlagen.Als problematisch erweist sich dabei insbesondere die Entwicklung einer geeigneten Methodologie, die nicht auf das Versprachlichen von Erfahrungen verzichtet, diese aber bereits bei der Datenerhebung und -auswertung an die Erfahrunsgnähe ihres Entstehungskontextes zurückbindet. Die Auswahl der in diesem Abschnitt aufgezeigten analytischen Zugriffe auf den Leib hat eine solche Methodenentwicklung vorbereitet, indem die ortsbezogenheit leiblicher Erfahrung betont wurde, die für die vorliegende Arbeit besonders relevant ist, da hier danach gefragt wird, welche Einflüsse Gestaltung und Atmosphären eines Ortes auf den Leib der Anwesend hat und wie diese wiederum durch ihre Handlungen Orte aneignen und konstituieren. Im nun folgenden Abschnitt werden diese Überlegungen auf Möglichkeiten und Grenzen einer sensory ethnography hin durchdacht.
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2.4 P ROBLEME ERFAHRUNGSNAHER E THNOGRAPHIE UND M ETHODENENTWICKLUNG „Had Descartes proclaimed ‚Sentio ergo sum‘ (I sense, therefore I am), the history of Western philosophy would never have been quite the same.“ (SHEPARD JR. 2004: 252)
Mit der Erfahrung des eigenen Leibes im Raum und die performative Herstellung desselben durch Atmosphäre und seiner akustischen, olfaktorischen und anderen erfahrbaren Schichtungen sind wir nun bei der Thematik der sinnlichen Wahrnehmung angelangt, die in der Ethnologie lange dem different zu stellenden Anderen zugeschrieben wurde (Duerr 1985: 86 ff.), bevor sie als wesentlicher Bestandteil von Alltagspraxis und Alltagserfahrung begriffen werden konnte. Ziel dieses Kapitels ist es, anknüpfend an die vorangegangenen Überlegungen den Begriff der Erfahrung und des Erlebens genauer zu untersuchen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die methodischen Konsequenzen für meine eigene Arbeit, die am Ende des Kapitels vorgestellt werden. 2.4.1 Körperethnologische Ansätze sinnesorientiert denken und anwenden Mark Nichter (2008: 164) schlägt vor, sechs der Medizinethnologie entlehnte Konzepte auf eine Betrachtung der sensorischen Aspekte von Körpererfahrung und populärer Gesundheitskulturen anzuwenden. „Leiblichkeit“, „Embodiment“ und der „aufmerksame (mindful) Körper“ als Nexus aus sozialem, politischem und erlebtem Körper (vgl. Nichter 2008: 164) wurden bereits dargestellt. Sie beziehen sich auf Arbeiten, die phänomenologische Arbeiten von semiotischen Ansätzen abgrenzen und methodisch den auf sprachlichen Repräsentationen einen dialektischen Partner zugesellen wollen, der die „perceptual experience and mode of presence and engagement in the world“ (Csordas 2003: 12) betont. Indem er Leiblichkeit als kulturelles und dynamisches Phänomen beschreibt, verweist er unmittelbar auf das Konzept der lokalen Phänomenologie, wie es von Halliburton (2002) konzeptualisiert wird. Der Vorteil dieses Konzeptes liegt darin, dass es ermöglicht, das westliche Konzept „die Sinne“ etwas weiter zu fassen und auch andere Formen von Erfahrung und Erleben einzubeziehen, der
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man sich mithilfe einer möglichst erfahrungsnahen Ethnographie zuwenden kann. 2.4.2 Erfahrungsnähe und lokale Phänomenologie Indem Leiblichkeit zwar zumeist präreflexiv, aber eben nicht präkulturell ist (vgl. Csordas 1990), ist die eigentlich interessante Frage die nach der durch die Betonung einzelner Aspekte von Wahrnehmung, etwa von Visualität oder „physiologischen“ Modellen vermittelte Erfahrung. Clifford Geertz hat, mit zustimmendem Rückgriff auf den Psychoanalytiker Richard Kohut, die Kategorien der „erfahrungsnahen“ und der „erfahrungsfernen“ Konzepte vorgeschlagen, die sich zum Beispiel in dem Begriff „Angst“, welcher seiner Auffassung nach ein erfahrungsnäherer Begriff ist als der Begriff „Phobie“, äußert: „An experience-near concept is, roughly, one which an individual – a patient, a subject, in our case an informant – might himself naturally and effortlessly use to define what he and his fellows see, feel, think, imagine, and so on, and which he would readily understand when similarly applied by others. An experience-distant concept is one which various types of specialist – an analyst, an experimenter, an ethnographer, even a priest or an ideologist – employ to forward their scientific, philosophical or practical aims. ‚Love‘ is an experience-near concept; ‚object-cathesis‘ is an experience-distant one.“ (1984 [1976]: 227)
Doch was wäre, wenn der Begriff Phobie für das ethnographische Gegenüber das eigene Empfinden wesentlich adäquater beschreibt, mit stimmigeren Ideen und Bildern verbunden ist, als der Begriff der Angst? Erfahrungsnähe und Erfahrungsferne sind daher keine Frage des Begriffes, sondern eine Frage der Positionierung der Akteure um diesen Begriff, die Art und Weise wie sie ihn entstehen lassen und sich aneignen, weil er bestimmte Erfahrungen zu deuten hilft und verstehbar macht. Der Begriff der Ethnophysiologie der Sinne, den ich an späterer Stelle im Hinblick auf bestimmte Räume und communities of practice des Museums wieder aufgreifen werde, ist daher nicht als mentalistischer Ethnoscience-Begriff zu verstehen, sondern als Mittler einer lokalen Phänomenologie, ohne die er nicht sinn-haft ist, weil er nicht erlebt werden kann und der bestimmte somatische Formen der Aufmerksamkeit voraussetzt und hervorbringt (Csordas 1993). In dem Begriff der lokalen Phänomenologie, „constituted by both local analytic theories of experience and lived experience itself“, die aufeinander einwirken (Halliburton 2002: 1126) kommt diese Anschauung zu Ausdruck.
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Der Begriff der lokalen Phänomenologie, also spezifischer Deutungen und spezifischen Erlebens körperlicher Erfahrungen, Taxonomien und Erklärungsansätze dafür, wie Menschen sich und die Welt erleben, geht über die von Csordas formulierte Embodimentperspektive hinaus, welche die Vorstellung, das Menschen die Welt durch ihren Körper erleben und die Suche nach mentalistischen Repräsentationen für das ethnologische Unterfangen wenig fruchtbar ist, entscheidend mit in das Fach hineingetragen hat, und die im Wesentlichen einen cartesianischen Körper-Seele Dualismus in Richtung Seele hin auflösen möchte. Halliburton schlägt vor „that there are multiple phenomenologies and (…, I) understand that phenomenologies are historically and culturally constructed.“ (2002: 1126, Herv. i. O.)
Lokale theoretische Erklärungen für Erfahrung und durch diese Diskurse genährte Alltagstheorien konstituieren lokale Phänomenologie wie beispielsweise „die“ Phänomenologie Keralas in Südindien: Anhand einer Ethnographie mit und über Menschen, die von psychischen Krankheiten betroffen sind, zeigt er eine Vielzahl innerer Zustände auf, für die sich keine anderssprachlichen Korrelate finden lassen und auf eine Unterscheidung der Erfahrungskategorien „body, mind, consciousness(es), and Ɨtman“ in diesem speziellen Zusammenhang hinweisen (2002: 1130). Was dieses Beispiel augenscheinlich macht, ist zum Einen die Begrenztheit eines allzu eng verstandenen phänomenologischen Zugangs, der schon voraussetzt zu wissen in welchen Kategorien sich Erfahrungen konstituieren. Zudem warnt Halliburton zu Recht vor einem falsch verstandenen Holismus, der nicht-westliche Körpervorstellungen als besonders „ganzheitlich“ transzendiert wissen möchte. Er schlägt vor „that we be alert to particular local ways of dividing up how one feels, experiences, and perceives – remembering that such ways of experiencing are shaped by elite and popular, local and larger, forces and discourses.“ (2002: 1123)
Ein weiteres Beispiel einer lokalen Phänomenologie, die auf die Kulturalität von wahrgenommener Erfahrung verweist, bietet Thomas Ots mit einer Beschreibung der Beschwerden von Patienten eines Krankenhauses für Traditionelle Chinesische Medizin an. Indem er explizit auf Merleau-Ponty und Csordas rekurriert, die die Wahrnehmung im Leib begründen und in Objekten endend konzeptualisieren, untersucht er die „Somatisierung“ kulturspezifischer Krankheitssymptome. Dabei zeigt sich, dass das Krankheitserleben und die Krankheitsbilder durch die Einkörperung sozial unerwünschter, sprich exzessiver
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emotionaler Zustände bestimmt wird – eine Ätiologie, die im Lichte des Harmonie betonenden sozialen Gefüges der chinesischen Gesellschaft verständlich wird und bei der die im Westen gängige Dichotomie von psyche und soma nicht zur adäquaten Erklärung von Erkrankungen verwendet werden kann. Stattdessen kommt, entsprechend der lokalen Phänomenologie, das Konzept der qi qing zhi bing, der sieben Krankheit verursachenden Emotionen (Ots 1990: 29) zur Anwendung: „On a phenomenological level this means that somatic changes are not differentiated from the concomitant emotional changes and repressed as is the case in cultures with a psychologizing view. Somatization and psychologization appear as two sides of the same psychobiological entity. The difference is a difference in focus. In respect to the phenomenology of bodily perceptions it is the Chinese who have a less restricted bodily perception and thus might serve us as an example of a different bodily awareness. Chinese are culturally trained to ‚listen‘ within their body.“ (1990: 6)
Auch in Ots persönlicher Erfahrung manifestieren sich die Wahrnehmungsunterschiede bei vergleichbaren physiologischen Vorgängen. So reagiert er auf eine plötzliche Übelkeit nach dem Genuss zu vieler Knabbereien während einer Zugfahrt, indem er eine Hand auf den Magen drückt. Sein chinesischer Begleiter hingegen klagt über Schwindel: „Assuming that in both of us the identical pathophysiological process took place, we differed in our perception due to different contexts of cultural interpretation. I had immediately tried to localize the cause for the nausea in the stomach; it was in the stomach where the disorder took ‚place‘.“
Der Gebrauch des Begriffes der lokalen Phänomenologie bietet den Vorteil, nicht von vorneherein zu einschränkend auf ethnozentrischen Kategorienbildungen aufbauen zu müssen, um Erfahrungen zu beschreiben – und damit auch nach ihnen fragen und über sie sprechen zu können, eine wichtige Vorraussetzung für das Führen ethnographischer Interviews. Das Problem der Inkommensurabilität und eingeschränkten Kommunizierbarkeit von Erfahrung löst er jedoch nicht auf. Vielmehr führt er gerade die Komplexität dieser intersubjektiven und inter- bzw. transkulturellen Übersetzungsversuche besonders deutlich vor und verweist auf weitere Stolpersteine der Explizierung von Erfahrung, die für das Vefassen von Ethnographien unabänderlich notwendig ist. Welche methodischen Konsequenzen entstehen nun aus diesen Überlegungen? Wie im Folgenden dargestellt gezeigt wird, zunächst in einer Hinwendung
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zu den Tätigkeiten der Gemeinschaft, von der man aufgenommen worden ist, einer Neubewertung des Ortes der Feldforschung und der Frage danach, was die Einnahme eines native’s point of view aus der Perspektive der Ethnologie der Sinne bedeuten kann.
2.5 M ETHODISCHE K ONSEQUENZEN , T EIL 1: V OM O KULARZENTRISMUS ZUM „S EHEN LERNEN “ IN JEDER H INSICHT Die Produktion ethnologischen Wissens ist nach Auffassung zahlreicher Theoretiker vor allem an das Sehen geknüpft. Praktiken der Beobachtung, des Kartographierens und Katalogisierens und des visuellen Speicherns und diagrammatischen und filmisch-photographischen Repräsentierens, die einem paradigmatischen „scopic regime of modernity“ (Jay 1994: 589), einer vor allem räumlichvisuellen Wirklichkeitsaneignung, entspringen, bilden den Kern ethnologischer Methodik und Darstellungsarbeit. Dieser Okularzentrismus der Ethnologie ist an besonders prominenter Stelle von Johannes Fabian und James Clifford thematisiert worden. Fabian unterstellt der Disziplin ein positives – und positivistisches – Vorurteil gegenüber dem Sehsinn, das er einer naturalistischen Tradition der Beobachtung entlehnt sieht. Es handelt sich dabei um Techniken der „Einschreibung“ und „Mediation“ – um die Begrifflichkeiten Bruno Latours zu bemühen (Latour, Woolgar 1986): „To ‚visualize‘ a society or a culture almost becomes synonymous for understanding it“ (Fabian 2002: 106). Diesen ethnologischen Erkenntnisanspruch belegt Fabian mit dem Begriff des „Visualismus“; einem Erkenntniszugang, der den „vormodernen“ Wilden mit dem modernen Ethnographen und den Angehörigen seiner Kultur kontrastiert und sich vor allem den oben genannten Methoden der Visualisierung bedient, um Deutbarkeit möglich zu machen. Das Unbehagen, das Kritiker wie Fabian angesichts eines bedenklichen Visozentrismus verspüren, bezieht sich freilich nicht nur auf die eigene Fachgeschichte. Es handelt sich um Technologien der Beschreibung und Einschreibung, deren Ursprung im Wandel der medialen Technologien und in den jüngeren Traditionen der Medizin und der Naturwissenschaften liegt. Doch auch die Wunderkammern der Renaissance, die Vorfahren des zeitgenössischen Museums, verdanken ihren Ursprung einer Neubewertung des Visuellen, die die immense Bedeutung des Sehens und Sichtbarmachens für das zeitgenössische Museum erklären (Hooper-Greenhill 1992: 40 ff.).
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In ähnlicher Weise wie Johannes Fabian theoretisiert auch James Clifford das Sehen im Hinblick auf den kühlen, distanzierten und panoptischen Blick im Sinne Foucaults (siehe hierzu auch Okely 2001: 101 ff.). In seiner Interpretation der Feldforschungen Marcel Griaules weist er darauf hin, dass der stets mit modernster audiovisueller Technik ausgerüstete Ethnograph der Dogon, der auch gerne Luftaufnahmen des subsaharanischen Afrika vornahm, die visuellen Aufzeichnungen der unsicheren verbalen Weitergabe von Daten bei Weitem vorzog (Clifford 1988). C. Nadia Seremetakis betont, dass diese spatial-visuellen Ansätze ethnographischen Arbeitens in homogenisierenden Repräsentationsstrategien mündeten: „[they] were reinforced by parlor-like sensory orientations and homogenizing representational strategies that privileged consumption of ethnographic experience, the reductive mapping of cultural traits, and the narrative genre of a static ethnographic present.“ (1996: 225)
Solche distanzierenden Blicke als letztlich kulturelle und zeitgebundene Formen des Wahrnehmens zu enthüllen ist mit Sicherheit angemessen und die Aufarbeitung der entsprechenden Gedankengänge innerhalb der Ethnologie der Sinne ist folgerichtig. Es bleibt jedoch zu fragen, ob das Sehen tatsächlich ein derartig problematischer Zugang zum Verständnis eigener und fremder Welten ist, oder ob man nicht vielmehr mit einer Abqualifizierung visueller Zugänge den Grundgedanken einer sensorischen Ethnologie, die sinnlichen Priorisierungen von Gemeinschaften ernst zu nehmen, ad absurdum führen würde (vgl. Willerslev 2007: 24 f.). Oder, um es mit den Worten Judith Okelys auszudrücken: „To downplay the visual is short-sighted just when the visual has acquired such power in local and global contexts“ (2001: 113). Natürlich wird das Sehen unter dem Einfluss Foucaults und von Gendertheoretikerinnen zu Recht als disziplinierende, Distanz schaffende, Macht ausübende Praxis verstanden. Interessant ist dabei jedoch, dass es sich in der Tat um Praktiken des Sehens handelt und nicht um eine homogen ausgeübte Modalität per se. Und die Frage, was denn Sehen überhaupt ist und sein könnte, muss ebenfalls zur Diskussion gestellt werden. Der „case against vision“ (Willerslev 2007: 24) wird folglich in jüngster Zeit wieder neu verhandelt. So hat Christina Grasseni Überlegungen zu einer Situierung und Verleiblichung des Sehens ausgeführt, die sie unter dem Begriff „skilled visions“ zusammenfasst und die für die Ethnographie des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden von großer Relevanz sind. Unter dem Begriff des geschulten Sehens versteht sie eine Neuausrichtung des Begriffs des Sehens im Sinne einer multisensorischen Praxis, die stets situiert ist
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und mit „skilled movement, with rapidly changing points of view, or with other senses, such as touch“ verknüpft sind (2007a: 4). Tim Ingold (2000) und Anna Grimshaw (2001), Sarah Pink, Steven Feld und Keith Basso (2006) haben ethnographische Arbeiten vorgelegt, die dieser Rekonzeptionalisierung des Sehens Rechnung tragen. Der kulturell eingebettete Vorgang des Sehens, die Differenzierung zwischen Arten des Sehens und Gesehen Werdens, die ganz unterschiedliche Verhältnisse von Nähe und Distanz hervorbringen können, zerfallen damit schließlich in ein Spektrum leiblicher Praktiken, die ein Metamodell visuell dominanter Moderne alleine nicht mehr zu umfassen vermag: „With performativity comes the recognition of multiplicity; there are many scopic regimes in many modernities“ (Turnbull 2007: 126). Die vier Aspekte einer ethnologischen Auseinandersetzung mit dem Körper, die hier vertiefend dargestellt wurden, werden im Laufe dieser Arbeit auf unterschiedliche Weise wieder aufgegriffen werden: Der individuelle Körper, die ethnologische Reflexion des phänomenologischen Konzeptes des erfahrenen und gelebten Leibes, in dem der Ethnologe Thomas J. Csordas den Brenn- und Ausgangspunkt von Kultur verortet, scheint eine naheliegende Analyseebene einer ethnologischen Betrachtung der Sinne zu sein. Individuelle Erkenntnispfade und sensorische Geographien innerhalb einer institutionell bereitgestellten Landschaft zu „kartographieren“ ist ein zentrales Anliegen dieser Arbeit. Im Sinne der Annahme, dass Wahrnehmung und damit auch Narration eine Frage des Standpunktes sind, ist dieses Kartographieren metaphorisch (aber eben nicht bildhaft!) zu verstehen. Positionierungen zu einem Modell der Sinne als kultureller Körperkategorie und lokalem Modell, dass mit den wiederum lokalen, wenn auch weit gewanderten und internationalisierten Kategorien von Emotion und Kognition in der Praxis nicht immer in Einklang steht, bewegen sich an der Schnittstelle von sozialem und politischem Körper. Die Institution Museum als alleinige Bereitstellerin eines solchen Modells zu fixieren wäre allerdings verfehlt. Wie wir noch sehen werden, sind es gerade die Ansprüche der Schulpädagogik und ihrer Lehrpläne, die einen maßgeblichen Anteil an der Museumsgestaltung haben. Eine Darstellung der Sinne, die diese im Sinne einer Mechanik der Darstellung vermittelt, ist nicht zuletzt das Ergebnis einer Lehrplangestaltung, die das „Thema“ dem Biologieunterricht zuordnet. Ein wesentlicher Teil der ethnographischen Arbeit besteht darin, gemeinsame Sehgewohnheiten innerhalb einer Landschaft von Aufgaben, innerhalb einer Gemeinschaft geteilter Praktiken am eigenen Leibe nachzuempfinden. Das, was James Clifford als Heteroglossie bezeichnet, als Vielstimmigkeit, lässt sich dabei ebenso wie ein hegemonial gedachter, panoptischer Sehstil mit ethnologischen Methoden, die sehr der Sprachlichkeit verhaftet sind, nur schwer nach-
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vollziehen. Im ero-epischen Gespräch, im Interview, lässt sich nur bedingt formulieren, wie ein Mensch sieht; und auch die teilnehmende Beobachtung, die dichte Teilnahme macht es nur bedingt möglich, den letztlich leiblichen Standpunkt eines Anderen einzunehmen, obwohl sie durch ihre Möglichkeit des Nachvollziehens kinästhetischen Erlebens zumindest einen besseren Zugang ermöglicht. Das Potential visueller Methoden jedoch bietet sich für Forschungszusammenhänge wie die in dieser Ethnographie porträtierten geradezu an. In der Forschungspraxis hat sich das Anfertigen von Fotographien und von Videoaufnahmen von Spaziergängen durch das Museum als sehr produktiv erwiesen. Ein solches methodisches Vorgehen macht es auch möglich, die Vorstellung vom hegemonialen, panoptischen Sehen als dem einzig Möglichen zu unterlaufen. Dann wird deutlich, das Sehen nicht nur Distanz bedeuten, sondern auch empathisch sein kann; eine Form der Resonanz sein kann, die die Grundlage von Verstehen bildet (Wikan 1990, 1992). Dies gilt allerdings nur dann, wenn man die Bilder als Stimuli, Impressionen und Illustrationen tiefergehender Erzählungen begreift. Das Anfertigen und Aushändigen einer sensory map (in Anlehnung an mental map) allein erzeugt weder Intersubjektivität noch Empathie. Vielmehr handelt es sich hier um Ergänzungen im Methodenkanon, die eine zusätzliche Annäherung an das leibliche und kinästhetische, in Bewegung begriffene Empfinden des Gegenübers ermöglichen können: „The concept of kinesthesia refers to a body which is sentient and which moves and emerges with the world through a form of corporeal consciousness. In other words, perception (of the world) is not cognitive, whereby thinking is separated from the body and located within the mind, but rather occurs through a ‚thinking body‘, which is seen to have particular kinds of intelligences and competences.“ (Blackmann 2008: 83)
Die sinnlichen Geographien des Museum schreiben sich in den Körper, den Kleidungsstil und die Blickgewohnheiten der dicht teilnehmenden Ethnologin ein, und sie werden durch die Explizierung auch den Museumsmitarbeitern bewusster – oder vielleicht auch erst geschaffen. Für eine gewisse Zeit nämlich ist es möglich, sich diejenigen sinnlichen Qualitäten, die gerade beschreib- und vermittelbar waren, einzuverleiben. „Seeing, as opposed to looking, embraces the whole body, neither vision alone nor disparate senses“, schreibt Judith Okely (2001: 104). Somit ist das (in Grenzen) geteilte „Sehen“ eine Form der Resonanz und Distanzüberwindung, die mit der Konstruktion des panoptischen Blicks nichts mehr gemein hat. Es kann und soll in dieser Arbeit auch eine Metapher für geteilte multisensorische Annäherung an Erfahrungs- und Bedeutungszusammenhänge sein.
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Der Einsatz visueller Methoden brachte in der Anfangsphase der Feldforschung einen interessanten Statusgewinn mit sich: In der einem Abbildungstabu unterworfenen Dauerausstellung benötigt man einen deutlich sichtbaren Presseausweis, der mir von der Presseabteilung des Hauses auch prompt und zuvorkommend ausgestellt wurde. Für viele freie Mitarbeiter jedoch kam der Gedanke daran, die Objekte der Dauerausstellungfotografieren zu dürfen einem Akt der Grenzüberschreitung gleich, der mit Genugtuung, Erstaunen, aber auch Nervosität durchgeführt wurde.Gewisser Regulation unterliegt das Fotografieren beziehungsweise Filmen auch dann, wenn man im Besitz einer offiziellen Genehmigung ist: Besucher dürfen nicht abgebildet werden oder müssten um Ihre Zustimmung gebeten werden, worauf verzichtet wurde, um den Museumsgenuss der zahlenden Besucher nicht zu stören. Im Kindermuseum hingegen ist das Fotografieren gestattet. Die dort vorhandenen Objekte und Einrichtungselemente haben, anders als die Objekte in den übrigen Ausstellungsbereichen, keine Biographien hinter sich, die das Abbilden aus juristischen Gründen geboten erscheinen lassen. Zudem gibt der Kontext des Kindermuseums, das sich an Familien mit Kindern richtet, das Fotographieren des Anlasses geradezu vor, werden den Besuchern doch Tun und Erleben und nicht seltene und schätzenswerte Museumsdinge angeboten. Für das Abbildungsverbot in der Dauerausstellung wurden von verschiedenen Akteuren unterschiedliche Interpretationen und Erklärungsansätze angeboten, wobei man sich zumeist darauf einigte, dass der Leihgabenstatus vieler Objekte bei einer Abbildung rechtliche Probleme mit sich bringen würde. Andere Deutungen jedoch verwiesen auf die in den Ausstellungen gezeigten menschlichen Überreste, die ein Abbidlungstabu mit sich brächten.
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2.6 M ETHODISCHE K ONSEQUENZEN , T EIL 2: D ICHTE T EILNAHME UND DAS B ESCHREITEN GEMEINSAMER P FADE „Es soll […] gezeigt werden, wie der Boxsport ‚Sinn machen‘ kann, wenn man sich der Mühe unterzieht, sich ihm soweit zu nähern, dass man ihn, wie in einer experimentellen Situation, am eigenen Leibe erfahren kann.“ (WACQUANT 2003: 12)
So erklärt Loïc Wacquant das ethnographische Programm seines Klassikers Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto. Erst dann wird der „native’s point of view“ zum Handlungsvollzug und damit verständlich: „The ethnographer, as a positioned subject, grasps certain human phenomena better than others. He or she occupies a position or structural location and observes with a particular angle of vision. In the case at hand, nothing in my own experience equipped me even to imagine the anger possible in bereavement until after Michelle Rosaldo’s death in 1981. Only then was I in a position to grasp the force of what Ilongots had repeatedly told me about grief, rage, and headhunting.“ (Rosaldo 1989:19)
Das Einlassen auf die Blickschule der Forschungspartner ist ebenso wie das Laufen als Feldforschungspraktik in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Einerseits sind beides Tätigkeiten einer erfahrungsnahen Ethnographie und dichten Teilnahme, andererseits Zugang zu situiertem Wissen, das nicht expliziert werden kann (siehe auch Böhle, Porschen 2011). Gerd Spittler fasst unter den Begriff der dichten Teilnahme eine ethnologische Herangehensweise, die das bekannteste Oxymoron des Faches (vgl. Stoller 1989: 155), die teilnehmende Beobachtung, sozusagen vom Kopf auf die Füße stellen soll. „… to participate bodily in everyday practical tasks was a creative technique which often helped me grasp the sense of an activity by using my body as others did. This technique also helped me break my habit of seeking truth at the level of disembodied concepts and decontextualised sayings. To recognise the embodiedness of our Being-in-the-world is to discover a common ground where self and other are one. For by using one’s body in the same way as others in the same environment, one finds oneself informed by an understanding which may then be interpreted according to one’s own custom or bent, yet
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which remains grounded in a field of practical activity and thereby remains consonant with the experience of those among whom one has lived. While words and concepts distinguish and divide, bodiliness unites and forms the grounds of an empathic, even a universal, understanding.“ (Jackson 1983: 341)
Formen des Sich-Bewegens wie das Spazieren durch eine Ausstellung oder das Durchführen und Teilnehmen bei einer Vermittlungsarbeit im Museum, bei der man sich durch verschiedene Räume bewegt und bestimmte Exponate herausgreift, sind dynamisch verkörperte Handlungen, die Bedeutung generieren und vermitteln und dabei eine nicht nur subjektive sondern auch intersubjektive Dimension besitzen (vgl. Farnell 1999: 343 f., Kusenbach 2003: 463). Dieses Verständnis von Laufen als Feldforschungsmethode ist dem Prinzip des eingeübten Sehens nahe verwandt. Beide Ideen verbindet der Gedanke, das Ethnographie gelebte Erfahrung ausdrückt und die Positionalität des Ethnologen und seiner Forschungspartner nicht nur Positionen innerhalb eines Textes sind, der mit literaturkritischen Methoden gelesen werden kann, sondern auch Standorte im phänomenologischen Sinne sind. Doch wohin folgen wir? Das Mitgehen mit Akteuren – Latour nennt dieses Prinzip in seinem Klassiker Science in Action (2003)schlicht „following“. Im Mittelpunkt steht hierbei nicht die leibliche Kopräsenz oder Resonanz14 des Ethnologen im Feld. Nach Latour kann Wissenschaft – denn auf Wissenschaftler und Ingenieure bezieht sich Latour zunächst – nur durch ihre Praktiken, in Aktion, verstanden werden. Natürlich ist hiermit nicht explizit das Laufen als eine spatiale Praxis angesprochen – auch wenn Latour ethnographisch arbeitet und sich dabei auch durch die unterschiedlichen Orte und Gruppierungen bewegt, die Wissen machen: „Most of the difficulties we have in understanding science and technology proceeds from our belief that space and time exist independently as an unshakable frame of reference inside which events and place would occur. This belief makes it impossible to understand how different spaces and different times may be produced inside the networks built to mobilize, cumulate and recombine the world.“ (2003: 228)
14 Der Begriff der Resonanz, wie ihn Unni Wikan (1992) verwendet, bezeichnet ebenfalls eine Form der Empathie, die keinem logozentrischen, Text- oder Diskurs bezogenen Ideal verpflichtet ist, sondern von ihr vielmehr auf eine lokale Phänomenologie Balis zurückgeführt wird, in der „Denken“ und „Fühlen“ nicht separaten Kategorien zugeordnet werden.
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Das Verfolgen von Ideen, Menschen und Gegenständen innerhalb eines globalen ökonomischen Weltsystems, in dem Orte territorial entgrenzt und auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind, bezeichnet George E. Marcus unter methodischen Gesichtspunkten als multi-sited ethnography: „Multi-sited research is designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some sort of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of ethnography.“ (Marcus 1995: 105)
Folge den Menschen, folge dem Ding, folge der Metapher, folge dem Plot, der Erzählung oder der Allegorie, folge dem Leben oder der Biographie, folge dem Konflikt – diese möglichen Arbeitsaufträge erteilt Marcus seinen Lesern (1995: 106–110). Die multi-sited ethnography muss, und das ist für das Verständnis dieser Arbeit von großer Bedeutung, nicht zwangsläufig das „globale Dazwischen“ (Welz 1998: 184) nachzeichnen. Vielmehr zeigt sie, in Anlehnung an Latour, die Komplexität und Vernetzung selbst vermeintlich festgefügter Orte, indem sie es ermöglicht, einzelnen Bedeutungs- und Handlungssträngen nachzugehen und wird damit zur Leitidee differenzierter lebensweltlicher Beschreibung, innerhalb derer ein Ort viele Orte sein kann: „multi-fielded sitework“ (Alneng 2002: 138). Die Arbeiten Emily Martins über US-amerikanische Konzeptionen des Immunsystems, Annemarie Mols (2007) Forschungen über die multiplen Ontologien der Arteriosklerose in einem niederländischen Forschungskrankenhaus sind Beispiele für Ethnographien, die in geographisch vergleichsweise engen Kontexten eine Vielzahl an Deutungen eines vermeintlich einheitlichen Konzeptes und daraus resultierende Praktiken zulassen.15 Das Bewusstsein der Existenz und die Bezogenheit auf andere Orte, die den Subjekten präsent ist, macht auch eine lokal fixierte Feldforschung zu einer multi-sited ethnography, die nicht zuletzt nach dem Ikonischen des vermeintlich so lokalen Wissens fragt:
15 Emily Martin legte in ihrem 1996 erschienenen Buch Flexible Bodies: Tracking Immunity in American Culture from the Days of Polio to the Age of AIDS die Ethnographie eines kulturellen Konzeptes – des „Immunsystems“ – vor, in der sie unterschiedliche Domänen eines vermeintlich einheitlichen Begriffes untersucht, von Laborsettings zu Aidsaktivisten bis hin zu Trainingskursen für Führungskräfte und unter anderem auch schildert, wie die Idee des flexiblen Immunsystems im Rahmen einer individualistischen neoliberalen Wirtschaftsordnung entstehen und auch metaphorisch wirksam werden konnte.
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„What among locally probed subjects is iconic with or parallel to the identifiably similar or same phenomenon within the idioms or terms of another ‚worlds apart‘ site?“ (Marcus 1995: 111)
Nach dem Spezifischen des Lokalen jedoch muss gefragt werden. Aus diesem Grunde ist auch das nun folgende erste empirische Kapitel ein historisches, das sich der Frage widmet, warum und in welcher Weise in einem Museum überhaupt etwas über „die Sinne“ zu lernen ist. Denn der Unterschied zwischen einer zufälligen Anwesenheit bei einem Ereignis und einer ethnographisch motivierten dichten Teilnahme besteht nicht nur in der Methodik, sondern ganz entscheidend auch darin, dass die Ethnologie die Bedingungen dafür, dass eine bestimmte Erfahrung überhaupt gemacht werden kann, naturalisiert wird und bedeutsam wird, hinterfragt (vgl. Hastrup 1995, 106). Das nun folgende Kapitel widmet sich daher der Frage nach den sensorischen Regimes der Institution Museum (vgl. z. B. Classen, Howes 2006, Feldman, Classen 2007) – also der Bedingung dafür, dass bestimmte Erfahrungen gemacht werden können oder besonders wirkmächtig hervortreten. Daran anknüpfend werden Expertenstimmen gehört, die die steigende Bedeutung und den „Regimewechsel“ sogenannter experimenteller, „Hands-On“-Museen erfahrungsnaher Wissenschaftsmuseen erläutern.
3. Museum und Leib Vom ergriffenen Betrachter zur aktiven Besucherin des Wissenschaftsmuseums
„Museum exhibition is a kind of trick or magic, a means that museums have devised for taming the objects that would otherwise remain resistant to easy consumption.“ (KAHN 1995: 325) „Museums perhaps make me sad because of what they reveal about representation; sadness savors of resignation to the museum-likeness (perhaps even museuminess) of what the museum would on first thought appear to be a museum of.“ (BOON 1999: 126) „Anyone who sets out to talk about museums is instantly found with the task of trying to figure out just what sort of creature this is. It is a nearly unique peculiarity. A hospital is a hospital. A library is a library. A rose is a rose. But a museum is Colonial Williamsburg, Mrs. Wilkerson’s Figure Bottle museum, the Museum of Modern Art, the Sea Lion Caves, the American Museum of Natural History, the Boston Museum of Whiskey History, the Cloisters and Noell’s Ark Chimpanzee Farm an Gorilla Show.“ (HUDSON, NICHOLS 1975: VII)
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Wenn „Indien“ in der ethnologischen Wahrnehmung der Inbegriff der hierarchischen Gesellschaft, „Papua Neuguinea“ der prototypische Ausdruck des Tauschwesens ist, wie es Arjun Appadurai in seinem Essay Place and Voice in Anthropological Theory (1988) skizziert, ist dann nicht auch das Museum als ein solcher Ort denkbar, der metonymisch für etwas Konzeptionelles steht, das eher historisch-zufällig an bestimmten geographischen Grenzen verdinglicht wird? Museen sind in der ethnologischen Forschung unweigerlich mit Auseinandersetzung mit materiellen Artefakten und Objekten verknüpft, mit Fragen der Repräsentation und der Aushandlung von Identitätsbildung (Kollewe 2007). Für die Ethnologin oder den Ethnologen sind Museen ein besonders faszinierender Ort, an dem materielle Artefakte aufgrund einer spezifischen Realitätsdeutung präsentiert, repräsentiert, gedeutet, umgedeutet, immer neu kontextualisiert und verhandelt werden. Die Materialität von Artefakten und Orten und ihre vielfältigen Bedeutungen berühren einander: „Museums afford anthropologists the opportunity to enter both realms by considering material culture and artefacts […] while simultaneously addressing crises of representation, cultural interpretation, and issues of conflicting epistemologies […]“ (González, Nader, Ou 2001: 107)
Erstaunlich ist die im Vergleich dazu eher geringe Zahl von Studien, die sich originär ethnographischer Methoden bedient, um Studien über Museen zu produzieren (siehe Bouquet 2001, Ames 1992). Hier sind insbesondere die Arbeiten von Sharon Macdonald über das Science Museum in London (2002) und Alexa Färbers Ethnographie über die Expo 2000 in Hannover (2006) hervorzuheben. Das Museum ist auch aus einem weiteren Grund ein ganz besonderer Ort ethnologischer Forschung. Als eine der wenigen Institutionen und Felder ist es nämlich ein Ort, an dem Ethnologen nicht nur Theoretiker und Interpreten, sondern seit den Anfängen des Faches auch Praktiker sind. Die Frage nach dem Umgang mit den Sinnen im Museum ist deshalb in doppelter Hinsicht eine spannende Frage nach Repräsentation und Erfahrbarkeit, denn sie liegt wesentlichen ethnologischen Praktiken des Zeigens zugrunde: dem Schreiben und Filmen und eben auch dem Ausstellen. Orte des Wissens – Museen, Labore, botanische Gärten oder Krankenhäuser – bringen bestimmte räumliche und sensorische Anordnungen hervor, die dem jeweiligen Erkenntnis- und Darstellungsinteresse entsprechen (Livingstone 2003: 18 ff.). „To what extent are sensory models of society determined by its technologies of communication?“ – so wirft Constance Classen eine Frage auf, die schon Kommunikationsforscher wie Walter Ong oder Marshall McLuhan be-
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schäftigte (2002: 245). Im Hinblick auf das Museum scheint die Frage einfach zu beantworten: In ein Museum geht man, um sich etwas anzuschauen. Es ist eine Institution des Sehens, die Grammatiken des Visuellen erstellt und vermittelt, so lautet eine gängige Kritik an der Institution Museum (Bennett 2008). Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit liegt jedoch weniger in der Kritik bestimmter Erkenntniszugänge, sondern darin, ein Verständnis dafür zu erlangen, wie und warum bestimmte Formen der sinnlichen Erkenntnis und von Wissenszugängen priorisiert werden. Auch aus diesem Grunde ist es wesentlich, zunächst einige grundsätzliche Gedanken zu der Wissens- und Repräsentationsform Museum anzuführen.
3.1 W AS
IST EIN
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Historisch betrachtet sind die Orte und Institutionen, die wir unter dem Begriff „Museum“ (von altgriechisch ȝȠȣıİȓȠȞ, musío – das Heiligtum der Musen, Meyers Enzyklopädisches Lexikon 1980) kennen, aus den Wunderkammern der späten Renaissancezeit entstanden, die ein spezifisches Ordnungs- und damit Wahrnehmungsschema verkörperten.1 Karl-Heinz Kohl schreibt hierzu: „In den Kuriositätenkabinetten konnte man […] die Ordnung, Vielfalt und Harmonie der göttlichen Schöpfung bestaunen, und zwar nicht zuletzt an den lusus naturae, jenen Anomalien, die sich die Natur bisweilen erlaubte. Zu ihnen zählten tierische und menschliche Missgeburten, anatomische Präparate von am Bauch zusammengewachsenen Schweineföten und oder Skelette von Hydrocephalen. An diesen Launen der Natur ließ sich erst ermessen, wie wohlgeordnet die Schöpfung ansonsten war. Auch bei der Zusammenstellung der Artificalia liebte man solche Kontrastierungen. So wurden etwa neben antiken Skulpturen die grotesk wirkenden Götterstatuen der Azteken aufgestellt. In der Gegenüberstellung zeigte sich die Vollkommenheit der klassischen Kunst.“ (2003: 237, Herv. i. O.)
Dieser spezifischen Anordnung liegt das Epistem der Renaissancezeit2 zugrunde, eine Wissensform, welche Beziehungen zwischen den vielfältigen Dingen und Erzählformen herstellte und einer Klassifikation und Kategorisierung von Wis-
1
Der Fachbegriff „Wunderkammer“ beziehungsweise „Kunst- und Wunderkammer“ geht auf Julius von Schlossers Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance (Leipzig 1908) zurück.
2
Hier bezieht sich Hooper-Greenhill auf Foucault.
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sen vorausging, die in einen „kuratorischen Blick“ resultieren sollte, der mit dem hegemonialen „ärztlichen Blick“ vergleichbar ist, dem die neuere, partizipatorisch ausgerichtete Museumstheorie entgegentritt (Hooper-Greenhill 1992: 13 f., 167 f.). Gerade Michel Foucaults Charakterisierung des Museums als Heterotopie ist in Arbeiten verschiedener Disziplinen stark berücksichtigt worden (vgl. Lord 2006: 3). In seiner Arbeit Of Other Spaces (1986) beschreibt Foucault Museen – ebenso wie Friedhöfe, Schiffe oder Kolonien – als räumlich und zeitlich besondere Orte, die auf alle anderen Orte in einem Netzwerk von Orten Bezug nehmende und ihnen entgegengestellte Orte der Differenz und Repräsentation sind (siehe auch Lord 2006). Im Museum werden Dinge aus unterschiedlichen temporären und zeitlichen Zusammenhängen herausgelöst und in einer einzigen Lokalität zusammengetragen und geordnet (ibid.). Foucaults Definition des Museums als Heterotopie ist für diese Arbeit deshalb besonders fruchtbar, weil sie zeigt, dass ein Museum mehr ist, als die Summe seiner Objekte. Dinge, die ursprünglich nebeneinander existierten, werden im Museum nach den Regeln der wissenschaftlichen Praxen ihrer Zeit zusammengestellt und das Museum somit Darstellungs- und Durchsetzungsinstrument von klassifikatorischen und taxonomischen Weltbildern (Lord 2006). Aufgrund des Auswahl- und Darstellungsprozesses, der einer musealen Repräsentation zugrunde liegt, sind Museen sowohl machtvolle Institutionen als auch Arenen, in denen Identitätskämpfe ausgetragen werden: Die Wissensordnungen des Museums bestehen in Taxonomien und Klassifikationen, die historisch und geographisch variable und sozial hergestellte Ordnungsmuster sind. Darin bestand vor der postmodernen Wende in der Museologie, in deren Rahmen die Vielstimmigkeit, Partizipation und Demokratisierung der Institution Museum gefordert wurden, ihre Macht (Hooper-Greenhill 1992: 5). Traditionen des Sammelns und Ausstellens freilich gab es an anderen Orten und zu anderen Zeiten ebenso, und nicht nur im Westeuropa des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, von dem Michel Foucault schreibt. Sidney Mead etwa betrachtet die Versammlungshäuser der Maori als Museumsversion, da sie, ebenso wie die von ihm erwähnten „custom houses“ der östlichen Solomonen nicht nur Treffpunkt, sondern auch Aufbewahrungs- und Vermittlungsort kunsthandwerklicher Traditionen darstellen (1983: 98 f.). Die umfangreichen Sammlungen chinesischer Schmuckgefäße, die von den Dayak in Indonesien angelegt wurden, oder die Aneignung europäischer Objekte durch die hawaiianische Bevölkerung demonstrieren das wohl universelle Interesse an den materiellen Zeugnissen der „Anderen“ (Kreps 2008: 463 f.). Dennoch ist es für das Verständnis der Institution Museum wichtig nachzuvoll-
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ziehen, dass der Museumsgedanke im engeren Sinne ein spezifisch europäischer ist, der einige Besonderheiten verkörpert, die nicht zuletzt dem Erbe der Aufklärung und ihrem Glaube an enzyklopädisches Wissen3 entspringen. Zudem entspringt der große Museumsboom des neunzehnten Jahrhunderts dem Ringen um die Etablierung nationaler Identitäten – ein identitätspolitischer Aspekt, unter dem auch aktuelle „indigene“ Museen diskutiert werden müssen (Kaplan 2008, Kollewe 2007). Ob im Bezug auf klassische ethnologische Museen oder Museen mit anderen Schwerpunkten – Museumsarbeit wird zunehmend als bewusste Repräsentationsarbeit mit Hinblick auf ein breites Publikum mit unterschiedlichen Hintergründen und Motivationen gesehen (Karp, Kratz, Szwaja u. a. 2006: 464). Die Grundaufgaben des Museums liegen nach einem Definitionsversuch des Deutschen Museumsbundes in der Sammlung, Erforschung und Ausstellung materieller Zeugnisse. Ein Museum ist demnach „eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“ (Deutscher Museumsbund 20014)
Seit dem Museumsboom5, der in den achtziger Jahren begann, und der den Museen mittlerweile jährlich höhere Besucherzahlen beschert als allen Sportveranstaltungen zusammengenommen (Noschka-Roos, Teichmann 2006: 87, siehe auch Korff 2007: xii), sind zu den musealen Kernaufgaben „Sammeln – Erforschen – Vermitteln“ Nuancen der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit hinzugekommen, die auch die Arbeit mit dem Besucherkörper – und damit auch mit der Auseinandersetzung von Museumsmitarbeiterinnen und Museumsmitar-
3
Dieser Gedanke ist mittlerweile auch durch postmoderne Strömungen innerhalb der Museumsszene kritisch hinterfragt worden, vgl. z.B. Mason 2008.
4
http://www.museumsbund.de/de/das_museum/geschichte_definition/definition_muse
5
Dieser zeigt sich einerseits in der steigenden Zahl von Museumsneugründungen, ande-
um/, zuletzt besucht am 16.03.2011 rerseits aber auch in der gestiegenen Sichtbarkeit und Popularität der Einrichtungen. Diese ist auf eine Professionalisierung der Öffentlichkeits- und Medienarbeit der Museen und der Betonung von Ausstellung und Vermittlung neben der klassischen Museumsfunktion des Sammelns zurückzuführen. Es kann somit von einem Feedbackprozess des gesteigerten gegenseitigen Interesses von Museen und Öffentlichkeit gesprochen werden (Kirchberg 2005: 28 ff).
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beitern unterschiedlicher Funktionen mit dem Thema Körper – in ein neues Licht rücken. Diese Veränderungen bestehen in einer Hinwendung zum Museum als dialogischem Forum, in dem hochaktuelle Themen verhandelt werden und das Verhältnis von Museum , Öffentlichkeit und Wissenschaft neu definiert wurde: neben einer sammelnden und forschenden Institution steht der am mündigen Besucher orientierte Vermittlungsgedanke zunehmend im Mittelpunkt (Korff 2007: xi ff.). Damit verbunden ist eine Neubeurteilung der „ästhetischen Dimension des Museums als Ausstellungsmedium, Ästhetik verstanden als aisthesis, als Form der sinnlichen Erkenntnis“ (Korff 2007: xii, Herv. i. O.). Eine Neubewertung architektonischer und szenographischer Raumstrategien, die die Erlebensdimension der Museumsarchitektur als Ort der Sensation betonen, und die Betonung multisensorischer Ausstellungsgestaltung und Vermittlungspraktiken sind die Folgen dieser Neubewertung der auch wirtschaftlich bedeutsamen Besuchererfahrung imanhaltenden Museumsboom (vgl. Korff 2007 xii ff.).
3.2 D ER
BLINDE B ESUCHER : SENSORISCHE UND VISUELLE R EPRÄSENTATION IN HISTORISCHER P ERSPEKTIVE
R EGIMES
„Und was auch noch interessant ist, ist dass das Museum nach wie vor trotzdem noch sehr viel über das Sehen funktioniert. Wenn ich mit Kindern da durchgehe erkläre ich denen immer, dass das ein blindengerechtes Museum ist anhand der Fußbodenbearbeitung. Und ich versuche mir immer vorzustellen, was die überhaupt mitbekommen können. Es ist trotzdem noch viel, viel weniger als sehende Menschen so mitbekommen. Also die anderen Sinne werden noch relativ wenig angesprochen.“ (INTERVIEW MIT EINER FÜHRUNGSKRAFT)
Museen sind bislang im Hinblick auf ihren Umgang mit Körper aus ethnologischer Perspektive kaum diskutiert worden. Vor einem breiteren kulturwissenschaftlichen Horizont liegen Diskussionen anatomischer beziehungsweise medizinhistorischer Museen (z. B. Hallam 2011) und Beiträge aus feministischer und queerer Perspektive (z. B. Levin 2010) vor.
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Eine Besonderheit der im westlichen Kontext entstandenen Museumsform ist sicher die besondere Sehweise, die sie hervorbringt, eine „discipline of looking“, die vor allem für klassische Museen gilt (Bolton 2003: 43, siehe auch Kreps 2008) und sich von anderen spezifischen Sehweisen unterscheidet, die für dortige Sammlungs- und Repräsentationstraditionen gilt: „The discipline of looking is a particular cultural practice, one that has crossed many national boundaries but which belongs to a specific Euro-American tradition. Its distinctive character is that it depends on the disconnection of objects from the context in which they were made and used.“ (ibid.)
Diese Macht drückt sich auch in dem sensorischen Regime aus, welches von Museen verkörpert wird. Sowohl die Anordnung der Exponate selbst als auch die räumlich-visuellen Praktiken der Museumsgestaltung finden hierin ihren Ausdruck (Bennett 2008: 263) – und sie spiegeln die Bedeutung sowohl der Institution Museum per se als auch des Museumsbesuchs als bürgerlicher Institution und als bürgerliches Ritual. Für das Museum des neunzehnten Jahrhunderts, welches die Wunderkammern der Renaissancezeit hinter sich gelassen hat und der Versicherung nationaler und bürgerlicher Identität dient, stellt Tony Bennett den Besitz ergreifenden Blick als charakteristisch dar:6 „The penetrative look into natural history displays in order to perceive the rational order that lies behind the visible differences that marks nature’s surface appearances also inscribed a division in the visiting public between those trained in the techniques of penetrative seeing and those weekend and holiday visitors who, seeing little distinction between the Muséum and the managerie, which was also located in the Jardin des Plantes, related to both as assemblages of the curious, the marvelous, and the exotic.“ (Bennett 2008: 270)
6
Einen anschaulichen Überblick über den historischen Wandel der Blickweisen auf museale Schausammlungen (also den Dauerausstellungen), gerade im Bezug auf Naturkundemuseen, gibt Andera Plamper in ihrer Diskussion der visuellen Konstruktion von Natur in Museen. Dabei unterscheidet sie den „kuriosen Blick“ des 14. bis 16. Jahrhunderts, den „spiegelnden Blick“ (17./18. Jh.), den „Panorama-Blick“ (19. Jh.) und schließlich den zeitgenössischen „bildungsorientierten Blick“ (1998: 85 ff.). Siehe auch Bergermann (2004) zur Wissensvermittlung durch das Panorama, das an den panoptischen Blick anschließt, den Besucher aber gleichzietig als Vorläufer des Science Centers Wissen am eigenen Leib erleben lässt.
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Ein panoptischer Apparat also, der beispielsweise den Tast- und Geschmackssinn auf die hinteren Plätze verweist (Bennett 2008, Losche 2006, Classen, Howes 2006, Classen 2007). Gleichzeitig dient die räumliche Anordnung der Museumsarchitektur auch dem gegenseitigen In-den-Blick-Nehmen der Besucher, die sich dadurch als Beweis und Garanten einer bestimmten Systematik erleben konnten (Bennett 1995: 52). Die historisch spezifische Visualität der musealen Repräsentation steht nun, wie Diane Losche (2006) vorschlägt, in vermeintlicher Opposition zu einem Diskurs musealer Repräsentation, der die sinnliche Diskussion des „Exotischen“ betont. Susan Stewart erinnert uns daran, dass Museen „[are] so obviously – so, one might say, naturally, empires of sight that it barely occurs to us to imagine them as being organized around any other sense or senses“ (Stewart 1999: 28). Von einer Kolonisierung der im Museum versammelten Objekte durch eine allumfassende visuelle Aneignung, die andere Sinnesmodalitäten in die Belanglosigkeit abdrängt, spricht denn auch Constance Classen (Classen, Howes 2006: 200). Die Visualität gerade des Wissenschaftsmuseums (und um ein Wissenschaftsmuseum im weitesten Sinne handelt es sich in dieser Arbeit) ist auch auf ein Verständnis des Verhältnisses von Museum und Öffentlichkeit zurückzuführen, das die Figur des Museumsbesuchers in der Rolle des „anspruchslosen Zeugen“ (Bellanger 2001, in Anlehnung an Donna Haraway) versetzt, welche/r als bedürfnisloses Subjekt die so präsentierte Ordnung der Dinge so hinnahm wie sie (re)präsentiert wurde: „Mit dem Eintritt in das Museum lassen die BesucherInnen Kontext und Körperlichkeit hinter sich, qualifizieren sich als der Erkenntnis fähige Subjekte und erhalten die Möglichkeit, die Welt zu sehen. Damit bestätigen sie die Umsetzbarkeit der modernen Wissensproduktion und ratifizieren den Vertrag der Moderne. Jede Besucherin ist eine Stimme für die Verfassung der Moderne und ein Garant für deren Effektivität.“ (Bellanger 2001: 217)
Die Erkenntnisfähigkeit des Besuchers wird also durch die visuelle Anordnung der Exponate garantiert und das durch die visuelle Erkenntnis erlangte Verständnis von Wissenschaft wiederum dient dieser zur Legitimation. Die Figur des blinden Museumsbesuchers verdeutlicht als ambivalente Form der Präsenz die Priorisierungen der visuellen Repräsentationsform der Institution Museum. Möglichkeiten des ganz konkreten Zuganges zu dem Gebäude und seinen Ausstellungen werden in Zeiten gesteigerter und (auch finanziell) geförderter Aufmerksamkeit für die Belange von Menschen mit abweichenden körperlichen Bedürfnissen zu einem doppelseitigen Unterfangen (Hetherington 2000), denn
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der blinde Museumsbesucher konsumiert nicht nur und interagiert im vorgesehenen Rahmen, er oder sie hinterlässt Spuren, Spuren in Form von anhaftenden Berührungen, einem langsamen Gang und einer spezifischen Ära innerhalb der sozialen Räume des Museums: „The presence of such bodily substances haunts. It is an unfinished disposal of the body, a trace that introduces the fingerprint of ruin onto the object. Such a sticky trace challenges the purified scopic and conservational space of the museum there to hold the possibility of the ruin of an object at bay for as long as possible.“ (Hetherington 2000: 445)
In diesem Sinne wird der blinde Museumsbesucher gar zur Tricksterfigur, denn er irritiert innerhalb des visuellen Regimes und verweist es in seinem Universalitätsanspruch in seine Grenzen als Ort des Sehens mit Besuchern als blickenden Subjekten (vgl. Hooper-Greenhill 1992, Schleper 2007). Doch auch der imaginierten oder konkreten blinden Museumsbesucherin, dem blinden Museumsbesucher werden in der letzten Dekade Möglichkeiten des Zuganges geboten die sich von der seit dem neunzehnten Jahrhundert dominanten Form des Erkenntniszugangs abgrenzen. Im Deutschen Hygiene-Museum übrigens, wo ich auch Führungen begleitete an denen Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen teilnahmen, ist eine spezifische taktile Geographie eingerichtet. In den Ausstellungsräumen sowie in den für Besucherinnen und Besucher zugänglichen Teilen des Gebäudes sind innerhalb des Steinbodens spezielle Metallbänder eingelassen, die leicht erhaben sind und einen Pfad durch das Museum vorgeben. Auch die Objekte sind entsprechend mit Braille-Schrift gekennzeichnet. Bestimmte Objekte dürfen im Kontext einer solchen Führung auch berührt und betastet werden, obwohl dies üblicherweise untersagt ist. Dass diese Objekte dann im Sinne eines demokratischen sinnlichen Zuganges auch sehenden Besuchern zum Berühren zur Verfügung gestellt wurden, habe ich ebenfalls erlebt. Dass das Museum auch ein Ort sein kann, der andere sensorische Zugänge als den rein visuellen privilegiert, zeigt auch ein Ausflug in das „sinnliche Leben des frühen Museums“, bei dem Constance Classen der Frage nachgeht, wie eine zeitgenössische sensorische Anordnung und Zugänglichkeit von Exponaten, bei der „(a)rtefacts for the most part are only to be seen, not felt, smelt, sounded and certainly not tasted“, mit einer anders gefassten Auffassung des sinnlichen Ortes Museum und damit von der Erkenntnisfähigkeit des Besuchers kontrastiert (2007: 895). Am Beispiel des Ashmolean Museum in Oxford zeigt Classen, das das Berühren von Ausstellungsgegenständen (und auch Bildern) bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hinein zu den Elementen eines gelungenen und lehr-
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reichen Ausstellungsbesuches gehörte. So berichtete Celia Fiennes, die das Ashmolean Museum 1694 besuchte: „[T]here is a picture of a Gentleman that was a great benefactor to it being a cavalier, the frame of his picture is all wood carved very finely with all sorts of figures leaves birds beasts and flowers, be gave them a fine gold Meddals or silver gilt, with two fine great Chaines of the same, one was all curious hollow worke whichwere given to him by some prince beyond sea; there is a Cane which looks like a solid heavy thing but if you take it in your hands its as light as a feather, there is a dwarfe shoe and boote, there are several Loadstones and it is pretty to see how the steele clings or follows it, hold it on top at some distance the needles stands quite upright hold it on either side it moves towards it as it rises and falls.“ (nach Classen 2007: 896)
Allerdings gab diese britische Haltung zumindest einem deutschen Besucher Anlass zu Kritik, wie auf der offiziellen Homepage des Museums nachzulesen ist, wonach „one German visitor in 1710 expressed his displeasure at the presence of ‚ordinary folk‘ in the Museum and surprise that the collection survived their attentions, ‚… since the people impetuously handle everything in the usual English fashion and … even the women are allowed up here for sixpence; they run here and there, grabbing at everything and taking no rebuff from the sub-custos‘.“7
Ein neuer Trend in der Museumslandschaft setzt genau an dem Punkt an, an dem der Besucher des Jahres 1710 Unbehagen zu spüren begann: an der Ausrichtung des Museums an anderen Sinnen als dem rein visuellen. Das Prinzip „Wissenschaft zum Anfassen“ hat wieder Konjunktur und knüpft am Ertastbaren, dem Antagonisten des Visuellen (s. a. Schleper 2007: 91), an. 3.2.1 Eine Formation hat (wieder) Konjunktur: multisensorische Erfahrung und Erkenntnis in Science-Center und Ausstellungen „Wissenschaft zum Anfassen“ – unter diesem Schlagwort werden Gegenstand und Auftrag sogenannter Science-Center oft zusammengefasst (Zetzsche, Weingart 2004: 29). Wesentliche Unterschiede, die die Science-Center von „klassischen“ Museen unterscheiden, liegen in ihrer technisch-naturwissenschaftlichen Inhaltsorientierung, einem experiementellen und haptischen Zugang 7
http://www.ashmolean.org/about/historyandfuture/, zuletzt geprüft am 13.3.2008.
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zu den Exponaten und einem Verständnis des Museums als Lern- und nicht bloßem Anschauungsort (Noschka-Roos, Teichmann 2006). Die Entwicklung der Science-Center ist dabei vor dem Hintergrund einer Neuorientierung innerhalb der Pädagogik, aber auch der wachsenden Bedeutung betriebswirtschaftlicher Effizienz für Kulturinstitutionen zu verstehen. Der Besucher soll im Mittelpunkt stehen, die Öffentlichkeit als Teilhaber wissenschaftlicher Entwicklungen konstituiert und der Museumsbesuch zum ganzheitlichen Erlebnis werden (ibid.). Als fragwürdiges „Märchen über die wiedergefundene Unschuld“ der Vermittelbarkeit von Wissenschaft durch experimentelle und körpernahe Zugänge lässt sich dann auch die Trendwende hin zu den Science-Centern der Gegenwart lesen (Bellanger 2001: 221): als Illlusion einer Trennung; als künstliche Dichotomie von Wissenschaft und Gesellschaft (Bellanger 2001, Bergermann 2004: 94, Latour 2009). Gerade die Science-Center jedoch versprechen eine Überwindung dieses Bruches durch die Würdigung unterschiedlichster menschlicher und nichtmenschlicher Akteure (Latour 2009), die im Kollektiv gemeinsam neue Bedingungen für Wissensgewinn, Erfahrung und Evidenz anbieten. 3.2.2 Science-Center – Wissenschaft zum Anfassen Als erstes Science-Center gilt das Exploratorium in San Francisco, das 1969 von dem Physiker Jan Oppenheimer eröffnet wurde, dem Bruder Robert Oppenheimers, der unter Anderem am Manhattan Project mitgewirkt und durch Europabesuche zu der Gründung eines eigenen Wissenschaftsmuseums angeregt worden war. Zu den von Oppenheimer in Europa besuchten Institutionen gehörte der Pariser Palais de la Découverte, der durch Modelle grundlegende wissenschaftliche Prinzipien vermittelte (Bird/Sherwin 2006: 589). Die 1888 gegründete Berliner Urania, ein Wissenschaftsmuseum mit der weltweit ersten Volkssternwarte, dessen Gründungsideale sich zu den auch an Laien ausgerichteten Kosmos-Vorlesungen Alexander von Humboldts zurückverfolgen lassen, gilt nicht nur als das erste deutsche „Wissenschaftsmuseum“, sondern als das erste Museum überhaupt, das vollständig auf naturwissenschaftliche Themen ausgerichtet war und dem Institutionen wie das Deutsche Museum in München, das 1903 von dem Ingenieur Oskar von Miller gegründet wurde, folgen sollten (vgl. Zetzsche, Weingart 2004: 29 f.). Gerade das Deutsche Museum verkörpert mit der Betonung haptischer Zugänge zur Wissensvermittlung von Beginn an Kernelemente zeitgenössischer Wissenschaftsmuseen und Science-Center (Noschka-Roos, Teichmann 2006).
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Mittelpunkt der Urania war „das naturwissenschaftliche Theater“, welches einem fachfremden Publikum „im Sinne einer tieferen seelischen Anregung zum Bewusstsein zu bringen und so die Freude an der Naturerkenntnis in die breitesten Schichten des Volkes […] tragen“ sollte.8 Leibniz’ Idee des „theatrum naturae et artis“, die den Gedanken des Wissenschaftsmuseums vorformulierte, aber nicht zur Umsetzung kam, sowie die öffentlichen Vorlesungen Michael Faradays zu Themen aus Physik und Chemie gelten als Frühformen einer Popularisierung von Wissenschaft, die in den Wissenschaftsmuseen und ScienceCenter ihren Ort eingenommen hat. Aus zwei Gründen, die historisch bedingt in den Gegenstand der Ethnographie hineinwirken, ist es wesentlich, auf Entstehung und Auftrag der Science-Center kurz hinzuweisen: Sie thematisieren die menschliche – und oft, im orientierenden Vergleich, die tierische – Wahrnehmung oftmals explizit, indem sie die Psychophysik und Mechanik der Sinne im Hinblick auf die menschliche wissenschaftliche Erkenntnisfähigkeit hin thematisieren: es werden Ethnophysiologien vermittelt, die den Besucher als erkenntnisfähiges Subjekt verorten sollen. Dass auch das Motiv der Täuschung sich als Erschütterung ebenfalls in solchen Ausstellungen findet, überrascht daher nicht. Neben dem Motiv der Erkenntnis findet sich ebenso das Motiv der Erfahrung – der Begriff des hands-on zieht sich wie ein roter Faden durch die Kommentare nicht nur zum Phänomen Science-Center, sondern auch zu dem in Bezug auf die Konstituierung der Leiblichkeit der Besucher eng verwandten Phänomen Kindermuseum, das seinen Ursprung wiederum in den USA, diesmal in Boston, hat. Das Boston Children’s Museum, das nach mehreren Umzügen in einem historischen Storehouse in der Hafengegend untergebracht ist, gilt als Zündfunke der Bewegung „Kindermuseum“. Die ersten europäischen Kindermuseen entstanden in den siebziger Jahren; das Junior-Museum im Berliner Museum für Völkerkunde (eröffnet 1970) und das Kindermuseum des Historischen Museums in Frankfurt am Main (eröffnet 1972) zählen zu den frühesten Manifestationen dieses neuen Museumstyps. Die pädagogischen Grundlagen, aus denen heraus Lernkonzepte für Kindermuseen entwickelt wurden, zielten auf eine sinnlich erfahrbare Form der Vermittlung ab, wie sie beispielsweise von dem amerikanischen Reformpädagogen John Dewey formuliert wurde (Schreiber 1998: 42 ff.). Eine Formation hat Konjunktur: seit mehreren Jahren entstehen im deutschsprachigen Raum Institutionen, die die Sinne thematisieren und sich dabei auf museale Traditionen beziehen, denen sie das Prinzip der Erfahrung im Sinne der 8
Anonymous (1913): Denkschrift zum 25 jährigen Bestehen der Gesellschaft Urania in Berlin (1888–1913). Berlin, S. 7–8.
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aesthesis explizit entgegensetzten. Diese Museen thematisieren programmatisch „die fünf Sinne“ im Sinne eines explizierten Körperwissens und eines hands-onZugangs. Exemplarisch sei hier der Turm der Sinne erwähnt, der im Nürnberger Mohrenturm sein Zuhause gefunden hat: „Neuer Geist in alten Mauern: Der turmdersinne ist ein interaktives Hands-on-Museum in einem historischen Nürnberger Stadtmauerturm mit einem innovativen naturwissenschaftlich orientierten Konzept rund um das Thema Wahrnehmung. Das Museum turmdersinne versteht sich ausdrücklich als Erlebnisausstellung und Museum zum Anfassen, das nicht abgehobenes Faktenwissen im Frontalunterrichtsstil präsentiert, sondern durch die Initiative und Aktivitäten seiner Besucher Lernen durch Erfahrung ermöglichen will. Zu diesem Zweck greift das Konzept des turmdersinne auf aktuelle Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften zurück und stellt Exponate bereit, die zwar gelegentlich die Sinne verwirren, dadurch aber besonders zum Nachdenken anregen. (Natur-)Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Wahrnehmungsforschung, Psychologie und Hirnforschung für die Besucherinnen und Besucher be-greifbar gemacht. Die ‚Wahrnehmung am eigenen Leib‘ ist dabei sowohl Inhalt als auch Methode. Als ‚Take-HomeMessage‘ scheint bei vielen Exponaten ein Grundprinzip der Wahrnehmungsforschung durch: Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess. Menschen haben Erlebnisse, machen Erfahrungen und ziehen daraus Schlüsse – die meisten sogar unbewusst. Viele dieser Schlüsse sind verlässlich, andere falsch. Aus diesen Schlüssen – wahr oder falsch – formen wir unser Weltbild, also das, was wir für wahr halten. All dies führt zu dem Grundgedanken des turmdersinne: Durch die Erfahrung der eigenen Täuschbarkeit in wissenschaftlich fundierten Wahrnehmungsexperimenten wird das kritische Denken im Alltag geschult und befördert. Oder ganz konkret: Wer lernt, dass die eigene Wahrnehmung differenziert und zu betrachten ist (sic!), erhält so die Gelegenheit, Erfahrungen im täglich erlebten Alltag kritisch zu betrachten und neu einzuordnen. Motto: ‚Eine der bedeutendsten Erfahrungen im Leben eines Menschen ist das Erlebnis, dass wir uns täuschen können.‘“9
In der Selbstbeschreibung des Turms der Sinne werden zentrale Elemente des oben geschilderten Ideals der „Wissenschaft zum Anfassen“ aufgenommen: die Besucherin oder der Besucher werden als aktive Teilnehmer und Experimentatorinnen konstruiert. Die eigene Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit wird thematisiert und ein Transfer des Gelernten in den Alltag der Besucherinnen und Besucher angeregt. 9
http://www.turmdersinne.de (zuletzt besucht am 17. Februar 2009, Herv. i. O.).
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Auch das Science-Center Phaeno in Bremen wirkt mit der aktiven und partizipativen Position der Besucherinnen und Besucher für einen Besuch: „Kommen Sie ins phaeno und wir zeigen Ihnen wie Tornados, Geysire, Antischwerkräfte und leuchtende Gase Ihre Begeisterung für naturwissenschaftliche und technische Themen wecken. Im phaneo gibt es für jeden – egal welchen Alters, ob Spezialist oder Laie – etwas zu entdecken. Und das Beste: Sie selbst sind gefragt das ganze Geschehen mitzubestimmen und zu beeinflussen. Sie sind dazu aufgefordert, die über 350 Experimentierstationen aktiv auszuprobieren, zu testen, zu enträtseln oder sich einfach auf faszinierende Kunstwerke einzulassen, um letztlich den Phänomenen der Welt auf sie Schliche zu kommen.“10
Diese Selbstbeschreibung entspricht einer direkten Aufforderung zur aktiven Teilhabe, die nicht ohne affektive und kognitive Folgen für die Akteurin oder den Akteur blieben wird. Der Wandel von der visuellen Darstellung des Dioramas, das im Sinne bürgerlicher Selbstvergewisserung betrachtet werden konnte, vollzieht sich durch eine Repositionierung des Besucherkörpers. Die Arbeit durch den eigenen Körper ist für den erfolgreichen Besuch der Ausstellung von zentraler Bedeutung. Die interaktive Darstellung muss durch ihren Gebrauch überhaupt erst belebt und in Funktion gesetzt werden, wie es Silke Bellanger in ihrer Arbeit über Science-Center zeigt: „Es öffnete sich ihnen kein Fenster zur Welt, wie es den BetrachterInnen des Dioramas im New Yorker naturhistorischen Museum noch geschah. Einen Zugang zu den Phänomenen der Welt zu schaffen, wird zur persönlichen und individuellen Aufgabe und Leistung, die besonders eine Arbeit an sich selbst erfordert.“ (Bellanger 2001: 221)
3.3 ABWESENDE K ÖRPER ? D AS M USEUM ALS K ONTAKTPUNKT Während den frühen musealen Sammlungen, den Wunderkammern und ihren Nachfolgern, eine Form der sinnlichen Greifbarkeit anhaftete, die den Vorwurf des musealen Okularzentrismus niemals hätten provozieren können, lassen besucherorientierte Ansätze der Museumsgestaltung eine Trendwende erkennen, die an die Ursprünge der Institution erinnert. Kindermuseen und Science-Center gelten als Wegbereiter experimenteller und multisensorischer Zugänge in der
10 http://www.phaeno.de/phaeno.html (letzter Zugriff am 18.11.2010).
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Museumswelt und sie haben sich daher teilweise entsprechend deutlich von ihrer Geburtsinstitution abgesetzt. Diese Herleitungen helfen zu verstehen, warum ein Museum wie das Hygiene-Museum in Dresden so gestaltet wurde, wie es geschehen ist, und welche Ideale die Konzeption von dort verwendeten Vermittlungsansätzen beeinflussen. Wie später noch gezeigt werden wird, charakterisieren die im Museum beschäftigten Menschen dieses nicht notwendig als Science-Center oder als klassisches Wissenschaftsmuseum. Die definitorischen Zuschreibungen an den eigenen Arbeitsort sind durchaus vielfältig, und auch in der Selbstbeschreibung des Hauses als „Museum vom Menschen“ zwischen Disziplinen und Museumstypen entzieht sich das Museum einer strengen Einordnung in bestehende Formate. Die vermeintliche Transparenz der Genealogie eines Ausstellungsmodus bedeutet zudem nicht zwangsläufig, dass auch alle Akteure und Akteursgruppen eines Museums über dieses Hintergrundwissen verfügen. Die Selbststilisierung vieler Museen zu Erfahrungsräumen und die große Menge an leicht verfügbarer Literatur zu Aspekten des Public Understanding of Science11 soll nicht verdecken, dass jedes Museum, um mit James Clifford zu sprechen, zunächst einmal eines mit Sicherheit ist – eine Kontaktzone: „When museums are seen as contact zones, their organizing structure as a collection becomes an ongoing historical, political, moral relationship – a power-charged set of exchanges, of push and pull. The organizing structure of the museum-as-collection functions like Pratt’s frontier12. A center and periphery are assumed: the center a point of gathering, the periphery an area of discovery. The museum, usually located in a metropolitan city, is the historical destination for the cultural productions it lovingly and authoritatively salvages, cares for, and interprets.“ (Clifford 1997: 192 f.)
Ursprünglich in der postkolonialen Debatte verankert, spricht Clifford von Begegnungen zwischen Erinnerungen, der sozialen und kulturellen Bedeutung von Objekten, Narrativen und Gegennarrativen, nicht aber von körperlichem Kontakt (Feldman 2006: 254). Tatsächlich jedoch bietet eine Lesart des Museums als 11 Unter den Schlagworten Public Understanding of Science (PUS) beziehungsweise dem stärker an der Vermittlung von Forschungsprozessen orientierten KonzeptPublic Understanding of Research (PUR) lassen sich Konzepte der Wissenschaftsvermittlung fassen, deren Instrumenten neben Fernseh- und Hörfunksendungen, Publikationen etc. eben auch Museen sind (vgl. Zetzsche, Weingart 2004). 12 Mary Louise Pratt beschreibt den Begriff der Kontaktzone in ihrem 1992 erschienenen Buch Imperial Eyes: Travel and Transculturation als Ort intersubjektiver kolonialer Begegnungen.
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physische Kontaktzone, als Kontaktpunkt (Feldman 2006: 255), als leibliche Begegnung und nicht nur dem Widerstreit entkörperter Diskurse: „Expanding the idea of contact to reclaim the senses is possible if the museum is conceived as a social world shaped by the experience of the body“ (ibid.). Während Feldmann zu Recht einzelne Museumsobjekte mit ihren multisensorischen, oft eben nicht in erster Linie visuellen Qualitäten und Biographien reflektiert, kann die körperliche Erfahrung im und mit dem Museum durchaus von einer Zone, einem umgrenzten Bereich, einem Raum oder Ort und weniger von einem einzelnen Gegenstand ausgehen. Körper und Ort konstituieren sich dabei gegenseitig (vgl. Rabelo, Mota, Almeida 2009: 3), indem sie jeweils Agenten und Empfänger einer bestimmten sozialen Ästhetik sind. Eine Besinnung auf eine Ästhetik des Alltagslebens, die insbesondere durch das Medium des ethnographischen Films und andere visuelle Repräsentationsformen eine leibliche Resonanz, ein Nachvollziehen der Verortung des Anderen beim Betrachter ermöglicht (siehe auch Marks 2000), schlägt David MacDougall vor. Unter dem paradigmatischen Begriff der social aesthetics, den er im Kontext einer leibnahen, sensorischen Ethnographie und Anthropologie sieht, begreift er die Hinwendung zur sensorischen Gestaltung von Orten und Institutionen, denen eine „particular structure of sense impressions, social relations and way of behaving physically“ innewohnt (2000: 10.). Entsprechend wird in dieser Arbeit das Museum nicht nur mit all seinen Ausstellungsräumen, sondern auch mit den Werkstätten, Büros, dem Depot etc. als Institution thematisiert, in der bestimmte körperliche und sinnliche Erfahrungen erwünscht sind, andere hingegen vermieden werden sollen. Um dies zu verdeutlichen, folgt nun ein ethnographisches Zwischenspiel, an das sich im darauf folgenden Kapitel die Feldforschungsreflexion anschließen wird.
3.4 S TILLE IN DER B IBLIOTHEK , L AUTE IM F OYER . E THNOGRAPHISCHES Z WISCHENSPIEL An einem Vormittag im Herbst sitze ich in der Bibliothek des HygieneMuseums. Sie ist in warmen Holztönen gehalten und in der aufwändig restaurierten, ursprünglichen Form mit allem Inventar erhalten. Handapparate zu den Teilbereichen der Dauerausstellung und den Sonderausstellungen sind in Holzregalen aufgestellt, die bis zur Decke reichen. Aktuelle Zeitschriften der Museologie und der Natur- und Kulturwissenschaften liegen auf Augenhöhe aus. Der Raum ist hell, aber nur die Baumwipfel sind durch die Fenster zu sehen. Die Fenster sind im Stil der Neuen Sachlichkeit oben unter der Decke angebracht, so
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dass mehr zugängliche Stellfläche für Bücher entsteht. Durch die Tür dringen heute besonders auffällige Geräusche. Kinderstimmen sind zu hören und man hört die Türen der im Vorraum der Bibliothek neu installierten Schließfächer lautstark zufallen. Außer mir ist nur die Bibliothekarin im Raum. Ab und zu kommen Mitarbeiter der Museumspädagogik, aus dem Ausstellungs- oder dem Veranstaltungsbereich vorbei, um Literatur zu entleihen oder zurückzubringen. Doch auch wenn sie wieder gegangen sind und die Gespräche zwischen Bibliothekarin und Mitarbeitern verstummt sind, ist es nicht ruhig. Es entsteht ein Gespräch zwischen der Bibliothekarin und mir. Unser Thema: Der Lärm, der von Draußen in das Innere der Bibliothek dringt. Bibliothekarin: „Jetzt mit der Ausstellung13 und den Schulferien ist es ganz heftig geworden. Vor allem seit die Garderoben da draußen sind. Da knallen die Türen den ganzen Tag und die Leute bumsen mit den Füßen da unten gegen die Garderobentür und die Kinder vor allem. Und die Eltern stehen in aller Seelenruhe daneben und warten dass sie fertig sind. Das kann ich nicht verstehen. Da ist die Hölle los. Mein Chef hat schon gesagt. ‚da gehen sie einfach mal raus mit dem Feuerlöscher und sprühen drauflos. Der steht ja direkt neben der Tür. Dann haben Sie erstmal Ruhe.“ Susanne: „Ich sitze ja immer in der SLUB14 und da war ich neulich im Lesesaal und musste rausgehen weil mein Magen geknurrt hat und alle sich nach mir umgedreht haben, so leise ist es da. Da hört man eine Stecknadel fallen. Ein Bekannter kam da raus und fragte ob ich mir jetzt ein Brötchen hole.“ Bibliothekarin (lacht): „Das ist ja ein Ding. Ja genau, ich habe ja in Leipzig studiert, Bibliothekswissenschaften, und da bin ich dann abends immer in die Deutsche Bibliothek und ich habe das geliebt, diese Atmosphäre dort. Wenn man bei jeder einzelnen Seite hört wie sie umgeblättert wird. Ich hätte auch gerne, dass das hier eine Bibliothek bleibt, das mit der Garderobe hätte ich nicht gemacht. Aber es fragt mich ja keiner. Und auch dass hier ständig Veranstaltungen sind obwohl das doch die Bibliothek ist.“
13 Gemeint ist die Ausstellung „Kopfüber – Herzwärts“ des Grazer Kindermuseums FRida und freD, welche im Herbst 2009 am Museum gastierte und gerade in den Ferienwochen im Oktober äußerst gut besucht war. Eigene Plakate vor den Ausstellungsräumen verwiesen eigens auf mögliche Wartezeiten, und das Ende der häufig anzutreffenden Schlangen erstreckte sich teilweise bis in den Vorraum der Bibliothek, in dem sich auch Schließfächer für Kleidung und persönliche Gegenstände der Besucher (und Ethnologen) befinden. 14 Akronym für die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden.
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Für die Besucher des Museums sind das Foyer, die Treppenstiegen und die Vorräume der Ausstellungsräume öffentliche Räume. Die Gegenwart des Museumsshops, der mit den zu verkaufenden ausgestellten Zeitschriften und Zeitungen in das Foyer hineinragt, die Menütafeln des Restaurants „Lingner“ mit dem aktuellen Tagesangebot und das Gestattet sein des Fotografierens, das innerhalb der Ausstellungen untersagt ist, tragen zu einer Atmosphäre bei, die Unterhaltungen in „normaler“ Lautstärke angemessen erscheinen lässt. Eine „Bastelstrecke“ für Kinder, die im Eingangsbereich des Museums aufgebaut ist, verstärkt diesen Eindruck noch. Auch das Museum kennt seine Jahreszeiten und seine saisonalen Zyklen: die Schulferien gehören zu den Höhepunkten des Besucherandranges und bringen eine Soundscape mit sich, die sich von „ruhigen“ Tagen mit geringerem Besucherandrang deutlich unterscheidet. Die Entscheidung für die Garderobenschränke jedoch, die zu als störend empfundenem Lärm „von Außen“ innerhalb der Bibliothek führen, verweist auch auf die Unvereinbarkeit einzelner sensorischer Realitäten einzelner Expertengruppen innerhalb des Museums. Dieser Ausflug in die Bibliothek des Museums verdeutlicht bereits, dass die konkrete Alltagserfahrung der Museumsmitarbeiter und Nutzer auch von sinnlichen Erfahrungen jenseits der visuellen maßgeblich bestimmt wird, und auch Orte jenseits der Ausstellungsräume hierfür mehr als relevant sind. Zudem blickt die Bibliothek als Institution ebenso wie das Museum auf eine eigene Historizität sensorischer Anordnungen zurück: Der Blick nach Innen, der für das Lesen, Denken, Lernen und Schreiben wesentlich ist, verträgt keine Ablenkung durch akustische Reize, ebenso wie das Museum besonderes Augenmerk auf die visuelle Kraft der repräsentierten Objekte legen muss, von der aus allenfalls das multisensorische Imaginäre möglich ist.
Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel wird eine historische und definitorische Herleitung der Institution „Museum“ im Sinne eines ersten Überblicks gegeben. Dabei wird erkennbar, dass das Museum als spezifisch europäische Institution verstanden werden kann, der sowohl historisch wie auch aktuell durch spezifische Auswahl- und Repräsentationsprozesse eine bedeutende Funktion in der Wissensproduktion und in der Vermittlung von Weltsichten zukommt. Die Positionierung des Körpers, vorrangig des Besuchers, im Bezug auf die im Wandel begriffene Institution wurde im zweiten Teil des Kapitels thematisiert.
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Dabei wird deutlich, dass das Museum eine historische Wandlung durchlaufen hat, bei der unterschiedliche sinnliche Zugänge der Darstellung und Vermittlung bevorzugt wurden. Insbesondere relevant ist die Bedeutung der visuellen Anordnung von Schausammlungen, die vom achtzehnten Jahrhundert an vorherrscht, und von Zugängen abgelöst wird, die die Haptik und Textualität von Objekten betont. Erstere besitzt auch eine ausgeprägte politische Dimension in Bezug auf nationalstaatliche Identitätsbildung und die Selbstvergewisserung des neu entstehenden bürgerlichen Subjekts, dem durch den Akt des Museumsbesuches die Welt ersichtlich wird und zu Füßen liegt. Durch den Wandel des Museums- und Ausstellungsnarrativs im Rahmen der new museology seit den achtziger Jahren haben auch die Bedingungen für sinnliche Erkenntnis und die Konstruktion des Besucherinnenkörpers gewandelt. Dieser wird nun als aktiver Mitkonstituent eines ganzheitlichen Museumserlebnisses verstanden. Besonders hervorzuheben für das Verhältnis von Körper und Museum ist die Entstehung der zeitgenössischen Wissenschaftsmuseen und Science-Center, die sich dieses Ansatzes besonders explizit bedienen. Da sich das Hygiene–Museum in einigen Aspekten an Elemente des Science-Centers anlehnt und sich selbst, wenn auch durchaus mit kritischer Distanz, als Wissenschaftsmuseum beschreibt, sind Genealogie und Körperverständnis der ScienceCenter für diese Arbeit von großem Interesse. Deutlich wird in diesem Kapitel auch, dass jedes Museum, unabhängig von Selbstbild und expliziertem Vermittlungsansatz, als Kontaktzone zwischen Körper und Objekten, Körper und Raum und Körper und Mitmenschen verstanden werden kann. Dieser Ansatz bezieht neben dem eigentlichen Ausstellungsbereich auch Bereiche des Museums ein, die als Arbeitsorte wahrgenommen werden oder Teil der Architektur und sind dabei ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Die Uneinheitlichkeit sensorischer Regimes innerhalb ein und desselben Gebäudes und die damit verbundenen Konflikte wurden in dem ethnographischen Ausklang des Kapitels als Beispiel hierfür beschrieben. Der ethnographischen Teil der Arbeit beginnt nun mit einer Reflexion der Auswahl des Forschungssettings sowie der Entwicklung des Forschungsdesigns. Eine Reflexion der Rollenzuschreibungen und Machtverhältnisse im Feld steht dabei im Vordergrund. Im folgenden Kapitel wird daher der körperethnologische Ansatz zugunsten eines analytischen Zugriffs zurückgestellt, der von organisationsethnologischen Überlegungen, einer Reflexion der Machtstrukturen und Rollenzuschreibungen während des Forschungsprozesses und der Debatte um die Möglichkeiten einer anthropology at home bestimmt wird.
4. Feld und Forschung Studying treppauf und treppab in einer Organisation des „Eigenen“
Dieser Abschnitt der Arbeit zeichnet die zeitliche und inhaltliche Gestaltung der Feldforschung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden nach und zielt auf eine kritische Reflexion der dabei aufgetretenen Besonderheiten ab. Diese werden unter dem Aspekt einer ethnographischen Forschung in einer prestigeträchtigen Institution des „Eigenen“ thematisiert. Als Ethnographie eines Museums ist diese Arbeit in wesentlichen Aspekten als Ethnographie eines Arbeitsplatzes aus der Perspektive einer sensorisch informierten Ethnologie zu verstehen. Sie lässt sich damit nicht nur in die im vorangegangenen Kapitel besprochenen Studien über Museen und Ausstellungen einreihen, sondern auch in die „ethnographies of the workplace“, also der Ethnographie der Arbeit und der Ethnologie der Organisationen (zur Forschungsübersicht vgl. Cefkin 2010, Gellner, Hirsch 2001). Obwohl die vorliegende Ethnographie nicht im Schwerpunkt aus organisationsethnologischer Perspektive angelegt worden ist, sind forschungspraktische Entscheidungen, Bedingungen und Ergebnisse der Forschung besonders präzise nachzuvollziehen, wenn man das Museum auch als Organisation versteht, in der Probleme der Zugänglichkeit, der spezifischen Arbeitsstile und zeitlichen Strukturierung von Arbeit sowie bürokratische Machtstrukturen eine Rolle spielen. Für die Auswahl dieses Aspekts für die Feldforschungsreflexion sind insbesondere die aufgetretenen Schwierigkeiten der Anonymisierung, des erwarteten Anwendungsbezuges und der institutionellen Machtverhältnisse im Kontext eines research bzw. studying up (siehe z. B. Nader 1974, Hannerz 2004) zu veranschlagen. Die Rollenzuschreibungen im Verlauf der Feldforschung und die Bedeutung der Konventionen von „öffentlichen“ und „privaten“ Rollenaspekten im Verlauf der Forschung sind ebenfalls Bestandteil dieses Kapitels.
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4.1 F ELDFORSCHUNG IM W ISSENSCHAFTSMUSEUM : S ETTING UND AUSWAHL DES F ORSCHUNGSFELDES Mein ursprüngliches Forschungsinteresse war ein aus der Theorie und der Lektüre von Ethnographien abgeleitetes: vor dem Hintergrund der Herausbildung der Ethnologie der Sinne1 interessierte ich mich für Darstellung, Kritik und Diskursivierung des Fünf-Sinne-Modells an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ich war also an einer lokalen Artikulation eines bestimmten Phänomens interessiert, das bislang noch nicht aus einer Perspektive untersucht worden war, bei der „lokal“ auch „zu Hause“ bedeutete. Nachdem mein Erkenntnisinteresse sich zu Beginn meiner Forschung auf das Nachspüren eines folk models richtete, welches zwar nicht präkulturell ist, jedoch als kultureller common sense zumeist präreflexiv artikuliert wird, war ich auf der Suche nach einem Kontext, in dem die Sinne explizit gemacht wurden, an dem Aussagen über sie getroffen und Praktiken mit diesen Konzeptionen verbunden waren: „We are trained to seek a fruitful fit between our theoretical concerns and a place that will illuminate them“ (Des Chene 1997: 70). Ein strategisch gut geeigneter Ort oder Zusammenhang, in dem das Thema „die fünf Sinne“ situierbar war und verhandelt wurde, musste gefunden werden. Nachdem ich verschiedene naturwissenschaftliche beziehungsweise medizinhistorische Museen und Science-Center, Interviewreihen mit Wissenschaftsjournalisten und Marketingagenturen in Betracht gezogen hatte, nahm ich mit dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden Kontakt auf. Dabei entschied ich mich gegen die beiden anderen ins Auge gefassten Möglichkeiten, da mir eine rein auf Interviews basierende Forschung mit Wissenschaftsjournalisten als zu ethnographisch „dünn“ erschien, und da ich nur in geringem Ausmaß, wenn überhaupt, auf eine Datenerhebung durch teilnehmende Beobachtung und den Methodenmix, der rückblickend im Kapitel zwei dargestellt wurde, zurückgreifen konnte. Im kommerziellen Kontext wiederum fürchteten die beiden von mir angeschriebenen Marketingagenturen, die „5Sinne-Marketing“ beziehungsweise sensory branding anboten, Nachteile durch eine Veröffentlichung ihrer Marktforschungs- und Vermarktungsstrategien. Sie lehnten nicht nur eine Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung ab, sondern auch eine Zitation derjenigen internen Materialien, die sie mir hatten zukommen lassen.
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Zu Beginn meiner Forschungen im Herbst 2007 zeichnete sich der Übergang von einer anthropology of the senses zu sensory anthropology gerade erst ab (vgl. Pink 2009, 2010).
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Das Hygiene-Museum war mir bereits aus einem studienbegleitenden Praktikum in Dresden bekannt und ich wusste, dass es sowohl eine Dauerausstellung zum Thema „Der Mensch“ beinhaltete, in der verschiedene Aspekte beleuchtet wurden, die mit der Thematik „Sinne und Wahrnehmung“ in Verbindung standen, als auch ein Kindermuseum, dass sich explizit dem Thema „Unsere fünf Sinne“ widmete, jedoch bei Weitem nicht nur von Kindern genutzt wurde. Ich konnte mich noch gut an die starken Eindrücke erinnern, die meine Museumsbesuche bei mir selbst hervorgerufen hatten und die einerseits der atmosphärischen Gestaltung der Ausstellungsräume zuzuschreiben waren, andererseits aber mit einzelnen Exponaten verbunden sind: An einem Video mit Live-Geburt etwa, dass in dem Ausstellungsraum „Leben und Sterben“ zu sehen ist, kann ich beispielsweise heute noch nicht länger verweilen – der Anblick ist zu schmerzhaft; eine Wahrnehmung, die ich mit vielen Museumsmitarbeitern teile. Diese dichte sinnlich-materielle Umwelt schien mir eine ethnographische Beschreibung zu ermöglichen, die nicht nur eine Analyse der Konzeption der „Sinne“, sondern auch eine sinnliche Ethnographie ermöglichte. Das Museum bot, so erhoffte ich mir, die Gelegenheit, auch das zu beobachten, was nicht in Worte zu fassen war, und ermöglichte durch seine explizite Thematisierung der Sinne einen Anknüpfungspunkt für Interviews mit unterschiedlichen Akteuren innerhalb der Organisation. Dass ich in einer Organisation forschen würde, wurde deutlich, als eine Forschungserlaubnis sowie der Zugang zu den unterschiedlichen Segmenten des Feldes, wie es sich mir zu diesem Zeitpunkt erschloss, ausgehandelt werden mussten. 4.1.1 Organisationsethnologische Vorüberlegungen In der Organisationsethnologie ist eine Organisation insbesondere durch ihr Eingebettet sein in bürokratische Strukturen innerhalb einer Marktgesellschaft definiert (Hirsch, Gellner 2001: 1 ff.). Eine kommerzielle Ausrichtung der Institution muss dabei nicht gegeben sein; gerade Schulen, Kirchen und Krankenhäuser gehören zu den frühen Forschungsgegenständen der Organisationsethnologie (ibid.). Ähnlich wie das Science Museum in London, das von Sharon Macdonald auch unter organisationsethnologischen Gesichtspunkten beleuchtet wird, stellt auch das Deutsche Hygiene-Museum eine spezifische Institution dar, die Parallelen zu vielfältigen Formen von Organisationen aufweist: „In its creation of exhibitions, it is part of the culture industry – those institutions involved in creating cultural products (including film, television, newspapers, advertisements). It is also part of the leisure and tourist industry; it has a research and educational function; and
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it establishes links with universities, schools, and scientific and industrial establishments. […] Moreover, as a large public institution, it is also subject to many of the same managerial structures, difficulties and fashions as are other (especially large and public) organizations. And, like many organizations, it has well-educated staff, many of whom are actively engaged in reflecting upon the organization in which they work and who are well able to give accounts of it.“ (Macdonald 2001: 77)
Eine Beschreibung des Zuganges zu meiner Forschungsmöglichkeit im Museum ist deshalb notwendig, weil das Verhalten von Organisationen in der Kontaktund Zugangssituation einen wichtigen Einblick in die Aushandlung ihrer Grenzen, Ressourcen und Identitäten ermöglicht (Hirsch, Gellner 2001: 3). Die bürokratischen Strukturen, die eine Organisation von einem vermeintlich offeneren und zugänglicheren Feld wie etwa einer Dorfgemeinschaft unterscheiden, bestimmten die Auswahl meiner Zugangsstrategien und die zeitlichen Strukturen, in denen ich arbeiten konnte. Bevor ich auf diese im Detail eingehe, möchte ich jedoch einige grundsätzliche Überlegungen über das Forschen „zu Hause“ und das Forschen in bürokratischen Machtstrukturen anführen. 4.1.2 Vermeintliche Paradoxie: Feldforschung ohne Exotik? „Is growing up in a ‚culture‘ a heterodox form of ‚fieldwork‘?“ (AKHIL GUPTA UND JAMES FERGUSON 1997: 31)
Noch bis vor kurzem haftete der Vorstellung einer anthropology at home der Zug des Paradoxen an (Peirano 1998: 105) – nicht zuletzt in Deutschland, wo man seit der Etablierung der Fächer die beiden erst langsam zueinander findenden Disziplinen der Ethnologie und der Europäischen Ethnologie, der Völkerund der Volkskunde, kennt. In einem Interview aus dem Jahre 1988 bekannte der Ethnologe Maurice Bloch seine Irritation angesichts des zunehmenden Interesses britischer Ethnologen an der sozialanthropologischen Erforschung Europas: „If the study of Europe or of North America gets a toehold in Anthropology departments it tends to rapidly push out studies on other societies because, frankly, such studies appear easier to research students.“ (Bloch in Houtman 1998: 20)
Nicht nur erscheinen Bloch solche Studien einfacher – und damit ehrenrühriger – als die Auseinandersetzung mit klassischen ethnologischen Lokalitäten. Er befürchtete geradezu eine Vernachlässigung der traditionellen „association of
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anthropology with the exotic“ (ibid.) – die Erforschung und Dokumentation der Vielfalt menschlicher Lebensformen und Wirklichkeitsinterpretationen – das also, was Clifford Geertz als vorrangige Aufgabe der Ethnologie benannte, die „Erweiterung des menschlichen Diskursuniversums“ (Geertz 2007: 20), verortet Bloch in außereuropäischen Zusammenhängen. Diese Haltung drückt aber die Annahme aus, Ethnologie repräsentiere bestimmte Orte und Regionen eher als spezifisch ethnologische Konzepte und theoretische Ansätze und birgt zugleich die Gefahr einer Homogenisierung des Westens. „Worlding“, „Welt-Machen“ nennt Gayatri Chakravorty Spivak diesen Vorgang der Schaffung eines homogenen Gegenstandes anderswo durch Text und Sprache, die neben den visuellen Repräsentationen das Hauptwerkzeug der Ethnologie sind: „If these ‚facts‘ were remembered, not only in the study of British literature but in the study of the literatures of the European colonizing cultures of the great age of imperialism, we would produce a narrative in literary history, of the ‚worlding‘ of what is now called ‚the Third World‘. To consider the Third World as distant cultures, exploited but with rich intact literary heritages waiting to be recovered, interpreted, and curricularized in English translation fosters the emergence of 'the Third World' as a signifier that allows us to forget that ‚worlding‘, even as it expands the empire of the literary discipline.“ (1999: 269)
Diese Form des „Welt-Machens“ schlägt sich letztlich in Dichotomien nieder, die als geographisch manifest und dabei auch als völlig andersartig wahrgenommen werden:2 „designating in one’s mind a familiar space which is ‚ours‘ and an unfamiliar space beyond ‚ours‘ which is ‚theirs‘ [as] a way of making geographical distinctions that can be entirely arbitrary.“ (Said 2003: 54)
Die Funktion der Ethnologie besteht bei einer solchen Wahrnehmung der Welt dann nur ganz wesentlich in der Bedienung des savage slot für die Vorstellungswelt des Westens (Trouillot 1991). Eine differenzierte Betrachtung des Eigenen muss bei einer solchen Konzeption auf der Strecke bleiben:
2
An dieser Stelle sei stellvertretend auch Lila Abu-Lughod zitiert: „Culture is the essential tool for making others. As a professional discourse that elaborates on the meaning of culture in order to account for, explain, and understand cultural difference, anthropology also helps construct, produce, and maintain it.“ (1995: 143).
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„The differences found within Europe or in the West in general serve as a warning to anthropologists of the far away. […] They are making a banal occidentalism of themselves.“ (Okely 1996: 5)
Diese Gefahr des Okzidentalismus spiegelt wider, dass ethnographische Feldforschung historisch als eine räumliche Praxis verstanden wurde, der in der institutionalisierten Ethnologie initiatorische Bedeutung zukommt: „[T]he single most significant factor determining whether a piece of research will be accepted as (that magical world) ‚anthropological‘ is the extent to which it depends on experience ‚in the field.‘“ (Gupta, Ferguson 1997: 1)
Gleichzeitig gilt der Abstand zwischen Forscherin und Forschungsteilnehmerin als Garantie für professionelle Distanz. Gupta und Ferguson beschreiben in ihrem bekannten Aufsatz über das Feld als Ort und Methode in der Ethnologie eine „Hierarchie der Reinheit“ von Feldern, derzufolge ethnographische Forschung zwar stets in einem Feld stattfindet, einige Felder aber angemessener und „reiner“ sind als andere. Der Grad der Reinheit wächst dabei proportional zu der Distanz zwischen „field“ und „home“ (1997: 13). Neuere Ansätze verstehen „das Feld“ selbst als Konstrukt, das durch die akademische Theoretisierung geschaffen wird und Produkt von Zugangsmöglichkeiten und einer gemeinschaftlichen Performance von Forschern und ihrem Gegenüber im Feld ist (vgl. Halstead, Hirsch, Okely 2008). Die mittlerweile selbstverständliche Etablierung von Aspekten wie Mobilität, Globalisierung und die Nachverfolgung von Menschen und kulturellen Phänomenen mithilfe von multi-sited ethnographies zeigt auf, wie sehr sich das mit dem Begriff „Feld“ verbundene Konzept verändert hat (Coleman, Collins 2006). Es wird durch akademische Praxis performativ hergestellt (ibid.). Mögen die Auseinandersetzung mit „imaginierten“ ethnischen Räumen und multilokale Forschungen auch mittlerweile auch zum Alltag ethnologischen Arbeitens gehören – die Frage „Wie anders muss der Andere sein um zum legitimen Forschungsgegenstand zu werden“ scheint erst seit Mitte der sechziger Jahre diskutabel zu werden (Hannerz 1980). Eine gewisse Irritation bleibt zudem im deutschsprachigen Kontext, der eine traditionelle Aufteilung der Welt in die Hoheitsgebiete von Ethnologie und Volkskunde kennt, bestehen. Eine zeitgenössisch verstandene Ethnologie hingegen nimmt zur Kenntnis, das der Ethnologe an sich nie zuhause ist: außer, wie Marilyn Strathern ausführt, unter seinesgleichen: Ethnologie in den eigenen Gefilden zu betreiben – Marilyn Strathern bezeichnete diesen „Problemzusammenhang“ als „auto-ethnography“
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(Strathern 1987). Die Problematik des Verstehens ist hierbei eine der vermeintlich geteilten Konzeptionen, die durch die routinierte Reflexivität der Feldforschung im „fremdkulturellen“ Kontext normalerweise erkannt werden. 4.1.3 „Dummheit als Methode“ und systematische Entfremdung Was folglich bleibt, auch innerhalb einer post-exotischen Ethnologie, sind neben einem Bewusstsein für die Konstruiertheit eines jeden Feldes (z. B. Des Chene 1997: 69, Amit 2000) die methodologische Frage nach Othering und Irritation als methodische und dialektische Notwendigkeit (vgl. Peirano 1998). Der ethnologische Blick fungiert hierbei als Mittel der systematischen Entfremdung des Eigenen, indem er nichts als selbstverständlich hinnimmt: „Diese ‚repatriierte Ethnologie‘ oder ‚Ethnologie zu Hause‘ macht Vertrautes unvertraut, enttarnt Gewohntes, benutzt das Fremde, um im Eigenen subversiv zu wirken und verunsichert das bisher fraglose Verstehen der eigenen Kultur.“ (Stellrecht 1993: 57)
Um dorthin zu gelangen, ist es aber notwendig, das Triviale zu thematisieren, wie ich es etwa bei meiner ständig wiederkehrenden Frage „Was sind denn die Sinne?“ tat. „Dummheit als Methode“ nennt Roland Hitzler dieses Vorgehen (1991), dem alles fremd und eine naive Haltung, selbst dem vermeintlich längst Bekannten gegenüber, zu Eigen ist. Wie schwer diese Haltung fallen kann, berichtet Emily Martin im Rückblick auf ihre Studie weiblicher Körperkonzepte: „Wieder und wieder erschien das von den Frauen Gesagte als eine nicht anzuzweifelnde Selbstverständlichkeit und Ausdruck des ‚gesunden Menschenverstands‘. […] Viele Wochen lang empfand ich lähmende Enttäuschung, weil all die Befragungen Vorstellungen vom Körper zutage gebracht hatten, die nicht mehr enthielten als die dem Stande der medizinischen Forschung entsprechenden Feststellungen. Die Einsicht, daß der Befund, Gebärmutterkontraktionen seien unwillkürliche Bewegungen, keine eindeutige und endgültige Feststellung, sondern eine kulturbedingte Deutung von Erfahrung ist, veränderte meine Perspektive sehr plötzlich und weitreichend. Auf einmal erkannte ich, daß derartige ‚Tatsachenfeststellungen‘ ebenso eingehend interpretiert werden müßten, wie ich die Behauptungen von chinesischen Dorfbewohnern über körperliche Zustände für interpretationsbedürftig gehalten hatte.“ (Martin 1989: 25 f.)
Meine besonders trivialen Fragen, das strategische Einnehmen einer bewusst naiven Position, fanden nun im Kontext einer prestigeträchtigen Institution statt, in der die Machtpositionen mit Wissensarbeitern besetzt sind. Die ethnologische
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Herangehensweise musste ich damit auch gegen ein Wissenschaftsverständnis verteidigen, dem qualitative Sozialforschung durchaus vertraut war, dieses jedoch mit Fragebögen und Interviewtranskripten gleichsetzte (vgl. 4.2). 4.1.4 Das neue Feldforschungsnarrativ: studying up, down und sideways in Institutionen des Eigenen Eine Forschung im Museum kommt trotz der ethnologischen Zeitgeistigkeit ihrer Fragestellung einer klassischen Vorstellung von „Kultur“, aber auch von Feldforschungspraxis entgegen: der Vorstellung nämlich, „Raum“ und „Kultur“ seien einander gleichzusetzen und etwa eine als vollkommen homogen gedachte Ethnie an einer bestimmten Lokalität dingfest zu machen. Die Praxis der Feldforschung orientierte sich lange daran: „When one speaks of working in the field, or going into the field, one draws on mental images of a distinct place with an inside and outside, reached by practices of physical movement.“ (Clifford 1997: 187)
Abbildung 1: Straßenbahnhaltestelle des Deutschen Hygiene-Museums: „You can’t take the subway to the field?“ (vgl. Pasaro 1997).
Quelle: Susanne Schmitt
In Anbetracht postmoderner Verwirrung erscheint es erstaunlich, dass sich die Feldforschung im Hygiene-Museum zumindest auf den ersten Blick wenigstens einem Diktat der klassischen, prä-multi-sited Ethnographie vollkommen zu unterwerfen scheint: dem der Lokalität. Das Museum verkörpert geradezu den um-
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grenzten Raum par excellence: Um zu den streng eingehaltenen Öffnungszeiten Einlass zu erlangen, muss Eintrittsgeld entrichtet werden, das ein Überschreiten der Schwelle erlaubt. Das Deutsche Hygiene-Museum findet sich nicht nur in jedem Dresdner Stadtplan verzeichnet; es ziert sogar Postkartenansichten der Stadt und besitzt eine eigene Straßenbahnhaltestelle. Gleichzeitig ist das Museum eine einzigartige Einrichtung, die es so an keinem anderen Ort geben wird: „The field carries with it an idea of unadulterated reality, just now come upon. Certain field-sites become unique windows on the universe, revealing only at this place something that cannot be moved or replicated in the laboratory. In such instances, ‚being there‘ becomes an essential part of claiming authority for an observation or discovery. In the field, an inevitable lack of control becomes its own virtue.“ (Gieryn 2006: 6)
Der besondere Reiz des Museums als Feldforschungslokalität besteht auch darin, dass es auf den ersten Blick den Malinowski’schen Trobriandinseln mit ritualisierten Besuchsbewegungen zu gleichen scheint, andererseits aber zu völlig heterogenen Interpretationen von Innen Anlass gibt und zu allem Überfluss auch noch einigen Kriterien eines postmodernen Transitortes oder „Nicht-Ortes“ entspricht, einem Knotenpunkt eines touristischen Netzwerkes, das vom Besucher erst zum anthropologischen Ort gemacht werden muss (vgl. Augé 1994). Einer klassischen „Dorfepistemologie“ (Passaro 1997) eines eng umgrenzten Ortes, der möglichst weit entfernt und nur unter erschwerten Bedingungen zu erforschen ist, entspricht es folglich nicht. Zuallererst ist ein Museum eine Organisation, die der Institution Universität, und gerade einem Universitätsinstitut für Ethnologie inhaltlich und strukturell nahe verwandt ist. So „zu Hause“ wie im Museum ist ein Ethnologe selten, oder, um mit den Wissenschaftssoziologen Diane Forsythe und David Hess zu sprechen, „where home and field are continguous, there is no ‚elsewhere‘ for the fieldworker to return to“ (2001: 123).3 Museen haben nicht nur ebenso wie die Ethnologie mit Fragen der Repräsentation, Autorität und Marginalisierung zu kämpfen, sie sind auch wie die Ethnologie institutionalisiert und von öffentlichen Geldgebern abhängig (vgl. Macdonald 2002: 161, siehe auch Kapitel 3). Während meiner Feldforschung geschah es gleich zweimal, dass ich Kulturwissenschaftler, die mir von Konferenzen her bekannt waren, plötzlich im Museum wiedertraf: einmal als freie 3
Der von David Hess posthum für Diana Forsythe herausgegebene Band Studying Those Who Study Us: An Anthropologist in the World of Artificial Intelligence (2001) thematisiert in mehreren Essays Fragen rund um Mensch-Maschinen-Interaktion im Kontext einer „Forschung nach oben“ in IT-Firmen.
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Mitarbeiterin und einmal als Bewerberin um eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin – auch dies zeigt die Nähe der beiden Bereiche deutlich auf (siehe auch Macdonald 2002: 11). Diese Aspekte bilden einen Teil eines „neuen Feldforschungsnarrativs“, der sich nicht nur durch die Erforschung des Eigenen auszeichnet, sondern auch dadurch, dass die Macht der Repräsentation, die bisher unzweifelhaft in der Hand des Ethnologen lag, sich verschoben hat: im Kontext der ethnologischen Unternehmens- und Institutionenforschung und der Science and Technology Studies überschneiden sich die sozialen Welten von Forschern und Erforschten auch auf der Ebene der Machtbeziehungen und der gegenseitigen Verwundbarkeit (vgl. Forsythe, Hess 2001: 122 f.). Die durchaus freundlich und interessiert gemeinte Frage „Wem sind Sie denn unterstellt?“ wurde mir im Verlauf der Forschungsaufenthalte häufiger gestellt. Diese Frage verweist auf die im Museum wirksamen Grundsätze bürokratischer und hierarchisch gegliederter Organisation, bei der jeder Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter einer bestimmten Abteilung mit eigener Leitungsebene zugeordnet ist. Laura Nader (1974) gilt als eine der frühen Vertreterinnen des „Forschens nach oben“ entlang hierarchischer Machtstrukturen. Ihre Forderung, statt des etablierten ethnologischen Subjekts des „Subalternen“ auch machtvolle Institutionen des „Eigenen“ kritisch zu untersuchen, ist mittlerweile vielfach umgesetzt worden. Basierend auf seiner Ethnographie europäischer und US-amerikanischer Auslandskorrespondentinnen und Auslandskorrespondenten schlägt Ulf Hannerz einen Weg des studying sideways vor, das den vielfältigen Parallelen zwischen akademisch-ethnologischer und journalistischer Praxis trotz der größeren Öffentlichkeit der von ihm beforschten Medienakteure seiner Auffassung nach eher entspricht als ein studying up (2004). Hannerz rechtfertigt seine Perspektive, indem er die strukturellen Ähnlichkeiten beider Professionen betont, die im Arbeiten in einer „transnationalen Kontaktzone“, der Repräsentationsarbeit und der Bedeutungsübersetzung bestehen. Museumsmitarbeiter gerade des wissenschaftlichen und kuratorischen Bereiches sind ebenso wie Ethnologen Wissensarbeiter mit durchaus vergleichbaren Anliegen. Wie beispielsweise LoïcWacquant in seiner berühmten Ethnographie des Boxsportes fordert, kann das Teilhaben an bestimmten Wissensbeständen den Zugang zum Feld überhaupt erst ermöglichen. Die Naivität des Feldforschenden ist für ihn nicht Voraussetzung für eine erfolgreich verlaufenden Forschung. Er votiert vielmehr für die Entwicklung von Profiwissen (2003: 494).
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Die Komplexität der Organisation Museum und der ethnographische Zugang mit allen durch die Institution auferlegten Beschränkungen, unterscheidet sich jedoch von Hannerz vornehmlich auf Interviews basierter Studie. Wie auf den folgenden Seiten noch gezeigt werden wird, beinhaltete und rechtfertigt meine eigene Feldforschungspraxis eine Auf- und Abbewegung entlang diverser Machthierarchien im Museum und entspricht damit einem studying up, down, and sideways situierter Forschung (Bowman 2009; siehe auch Gusterson 1997), das der Komplexität der Machtstrukturen innerhalb der Organisation gerecht wird. Die Bedingungen meiner Forschung wurden jedoch in nicht unwesentlichem Maße von der Institution bestimmt, deren Vertreter sich dabei auf rechtliche und bürokratische Strukturen berufen konnten.
4.2 F ELDZUGANG
UND
V ERLAUF
DER
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Meine Zugangsstrategie zum Museum bestand in der Nutzung von vorhandenem sozialen Kapital, das ich mir während meines vorangegangenen Praktikums erworben hatte. Dabei machte ich mir „Insider-Strategien“ zu Nutze, die etwa in der Identifikation geeigneter Ansprechpartnerinnen im Museum bestand (vgl. Wulff 2000). Gleichzeitig war ich während meiner Forschung ständig bemüht, auch als Ethnologin erkennbar zu sein, um nicht versehentlich dem Vorwurf der Spionage ausgesetzt zu sein (vgl. Dyck 2000: 43 ff.). Als junge Akademikerin Mitte zwanzig war ich während meiner Feldforschung zwischen Praktikantinnen, Hospitantinnen, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und externen Projektmitarbeiterinnen schlichtweg äußerlich nicht als „Außenseiterin“ erkennbar. Gerade das Hospitieren bei Führungen, das ich anfangs unternahm, gehörte zudem zum Inventar der Ausbildungsstrategien der Abteilung Bildung, der ich formal zugeordnet war. Hier wird eine grundsätzliche Schwierigkeit organisationsethnologischer Forschung erkennbar, nämlich die Dichotomie zwischen lokalen Konventionen von „Insider“ und „Outsider“ (vgl. Amit 2000: 3). Im konkreten Feldforschungskontext hingegen zeigt sich, dass eine scharfe Trennung kaum möglich ist, sondern im Laufe des Forschungsprozesses unterschiedliche Aspekte von Innen- und Außenseiterpositionierungen zum Tragen kommen. So wurde ich beispielsweise während meiner Forschung sowohl als Ethnologin mit „fremdem Blick“ als auch als Kennerin museumsinterner Prozesse verortet: „Accordingly, it would seem appropriate not only to leave open for examination the nature of the relationship between anthropology and home in any ethnographic project, but also
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to take note of the particular ways in which an individual ethnographer may incorporate different aspects of home and anthropology in his or her performance as a positioned subject.“ (Dyck 2000: 36)
Kirsten Hastrup betont, dass „zu Hause“ für die Feldforscherin ein Konstrukt mit dynamischen Referenzen darstellt. Der Begriff der native anthropology ist für sie ein Widerspruch, denn nicht die Herkunft oder das aktuelle nichtakademische Identitätsprojekt sind für die ethnologische Perspektive ausschlaggebend. Ethnologie ist vielmehr eine Frage des Wissensprojektes (1995: 151 ff.). Wie Martin Sökefeld zutreffend schreibt, lässt eine Feldforschung im „Eigenen“ besonders deutlich Folgendes hervortreten: „Forscher und Erforschte sind Akteure im gemeinsamen politischen und gesellschaftlichen Umfeld, auch wenn sie darin unterschiedliche Positionen einnehmen.“ (2002: 91) 4.2.1 Zugangsstrategien und Selbst- und Fremdpositionierung im Feld Auf Anraten einiger Museumsmitarbeiterinnen, zu denen ich aus der Zeit meines Praktikums noch den Kontakt gehalten hatte, wandte ich mich mit meinem Forschungsvorhaben an die Kuratorin der Dauerausstellung, die damit zu einer meiner wichtigsten Torhüterinnen (s. u.) wurde. Als ich das Museum nach unserem Telefonat zum ersten Mal betrat, um mit ihr über meine geplante Forschungsarbeit zu sprechen, führte uns unser erster gemeinsamer Weg in den Saal der Dauerausstellung, der sich mit dem Thema „Denken, Lernen, Erinnern“ befasste. Hierhin wurde ich geführt, um das geplante Promotionsprojekt zum Thema Sinne zu diskutieren – denn schließlich ging es nach Auffassung der Kuratorin hier um die Sinne – denn dieser Raum handelt vom Gehirn, „dem Sinnesorgan überhaupt“. Als Biologin verortete sie das geplante Thema meiner Arbeit – ebenso wie ich anfänglich – noch auf der Ebene eines Körperkonzeptes. Ich schrieb auf ihren Vorschlag hin den Vorstand des Museums im Frühjahr 2008 an und legte eine Zusammenfassung des geplanten Projektes bei, in der ich auch die zu verwendenden ethnographischen Methoden schilderte. Für Interviews mit freien Mitarbeitern, so erfuhr ich, benötigte ich eine gesonderte Genehmigung, da diese nicht im Rahmen ihres Dienstverhältnisses für wissenschaftlichen Austausch zur Verfügung standen. In dem Gespräch mit dem Leiter der Abteilung Bildung, der als Vertreter der Institution fungierte, wurde geklärt, welche Aspekte der Forschung aus Sicht des Museums möglich waren und welche nicht. Ich wurde ermutigt, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Experten des Museums zu interviewen. Gleichzeitig
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zeigte man sich um mögliche Störungen für die Besucher und die freien Mitarbeiter besorgt. Als besonders schwierig zeichnete sich in diesem Zusammenhang eine Forschung mit Kindern ab. Es wäre aus einer holistischen Perspektive heraus wünschenswert gewesen, gerade im Kontext meiner Teilforschung im Kindermuseum des Hauses die Artikulationen von Kindern als wichtigen Akteuren stärker zu berücksichtigen, wie dies etwa von der anthropology of childhood gefordert wird (siehe z. B. auch Dyck 2000). Gerade im Kindermuseum jedoch prallen mindestens zwei Institutionen aufeinander, die um die Nichtbeeinträchtigung der Besucher besorgt waren. Teilnehmende Beobachtung, Fokusgruppendiskussionen und für die Arbeit verwertbare Gespräche mit Kindern hätten einer Einverständniserklärung der Eltern jedes einzelnen teilnehmenden Kindes bedurft; ein organisatorischer Aufwand, der von den Museumsmitarbeitern nicht unterstützt wurde und auch nur dann gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die kindlichen Perspektiven auf das Museum tatsächlich im Mittelpunkt der Arbeit gestanden hätten. Mein gewünschter Fokus auf teilnehmende Beobachtung in der konzeptionellen Ebene des Museums war also nicht einfach umzusetzen; gerade in Bezug auf das Kindermuseum gelang es überhaupt nicht. Die dafür genannten Gründe lagen auch in der Schwierigkeit der Anonymisierung, die bei einer sehr bekannten Institution mit ganz eigenem Profil sehr konkret waren. Die interne Deutung vieler Museumsmitarbeiter für die Ablehnung von teilnehmender Beobachtung machte zudem eine grundsätzliche „Angst vor der Aufdeckung von internen Schwierigkeiten“ für die Ablehnung einer dichten ethnographischen Teilhabe auf der konzeptionellen Ebene verantwortlich: „participant observation is a research technique that does not travel well up the social structure“ (Gusterson 1997: 116). Im Laufe der Forschung konnte ich dennoch teilnehmend beobachten und damit auch die Fragen meiner Gespräche und Interviews auf einer genaueren Kenntnis des Museumsalltags aufbauen. In Gesprächen mit dem Leiter der Abteilung Bildung wurde deutlich, dass das Durchführen von Interviews als Einstieg in die Forschung auch das Interesse des Museums an näheren Informationen über das Befinden der freien Mitarbeiter bezüglich ihrer Arbeitsstelle spiegelt.4 Gleichzeitig entsprach diese Methode auch einem Wissenschaftsverständnis, das in offiziös durchgeführten und transkribierten Interviews eine am naturwissenschaftlichen Modell orientierte seriöse und „harte Wissenschaft“ erkennt:
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Mir wurde zur Bedingung gemacht, die Ergebnisse meiner Forschung für die Organisationsentwicklung zur Verfügung zu stellen. Diese flossen unter anderem in die Konzeption der ersten Weiterbildungsmaßnahme für die freien Mitarbeiter ein.
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„The request for an interview, the consent form by which they relinquish their rights to data, and the payment of an ‚incentive‘, these are often taken as signs that the research is serious, and that consequently the researcher has their heart in the right place. When data is commoditized in the U.K., it is clear to informants that it is going to progress beyond the researcher, and thus have a wider impact. This is what makes it significant and valuable research in informants’ eyes.“ (Drazin 2005: 105)
Das Gewähren einer Interviewerlaubnis bedeutete damit aber auch eine Akzeptanz meiner Person als Wissenschaftlerin, während die teilnehmende Beobachtung mir später in einigen Kontexten zwar gewährt wurde, allerdings bevorzugt dann, wenn davon ausgegangen wurde, dass ich dabei als Expertin für bestimmte Probleme zur Problemlösung beitragen konnte (vgl. Kapitel 7). Hierin zeigte sich auch ein Prozess des zunehmenden Vertrauens gegenüber der Forscherin, das aufgrund der formalen Machtposition der Institution auch auf Gegenseitigkeit beruhen musste (vgl. Marvin 2005: 199 f.). Torhüterinnen „Professional stranger handlers“ (Agar 1996) sind Mitglieder einer Gemeinschaft, die dort eine deviante Position besetzten oder aber aufgrund von Status und Erfahrung routiniert mit Fremden umzugehen wissen (Agar 1996: 135, siehe auch Götz 1997: 63). Gerade im letztgenannten Falle besteht ihre Aufgabe auch darin, die Ethnologin oder den Ethnologen mit befriedigenden Informationen und Antworten auszustatten, ohne aber allzu intime oder gar gefährliche Einblicke in die Gemeinschaft zuzulassen (ibid.). Im Verlaufe meiner Forschungen begegneten mir mehrere solcher Torhüter oder vielmehr Torhüterinnen, wobei diese in zwei Fällen zu Schlüsselinformantinnen wurden, die sich besonders für einen erfolgreichen Verlauf meiner Arbeit engagierten. Ganz zu Beginn meiner Arbeit wurde ich, bei einem offiziellen Gespräch mit dem Leiter der Museumspädagogik zu Fragen der organisatorischen Gestaltung der Forschung, der Leiterin des Besucherdienstes vorgestellt, die für mich Hospitationen bei den Führungskräften des Museums, also den in der Vermittlungstätigkeit tätigen zumeist freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern organisieren sollte. In unseren Gesprächen war sie darauf bedacht, mir ein positives Bild des Museums zu vermitteln (vgl. ibid.). Eine weitere Torhüterin war die Kuratorin der Dauerausstellung, an die ich mich ganz zu Beginn meiner Feldforschung gewandt hatte. Sie ermöglichte mir schließlich den Zugang zu der konzeptionellen Ebene des Ausstellungsmachens, so dass ich neben Fragen der Vermittlung und der Aneignung der Ausstellung durch die freien Mitarbeiter auch die Produktion einer Ausstellung in Hinblick auf Autorenschaft und Authentizität nachzeichnen
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konnte (vgl. Macdonald 2001: 82). Der Begriff der complicity, der Komplizenschaft und Kollaboration in der dialogischen Feldforschung, den George E. Marcus als Ersatz für den eher romantisch konnotierten Begriff des Rapports vorschlägt (1997), beschreibt dabei das Interesse aller Beteiligter an Wissenszuwachs, Reflexion und ausstellbaren wie veröffentlichbaren Ergebnissen anschaulich. Der Forschungsprozess kann damit auch als ein Prozess des Austausches von Wissen verstanden werden. Begegnungen im Rahmen der Feldforschungen sind zweiseitige oder multilaterale Prozesse, für die auch entscheidend ist, wie die Forschungspartnerinnen und Forschungspartner die Ethnologin sehen (Halstead, Hirsch, Okely 2008). Die Aneignung und auch Manipulation von Absichten und des Projekts der Ethnologin durch die „Beforschten“ ist somit auch ein wesentlicher Aspekt des „being there“ (2008: 93). 4.2.2 Zeitliche Gestaltung: Feldforschung als Designprozess Die Forschung im Deutschen Hygiene-Museum war in mehrere mehrmonatige Feldphasen unterteilt. Während dieser Zeit entstanden neben Notizen zu den Führungen, die ich begleitete, auch drei Feldtagebücher, etwa 200 Fotografien, die zum Großteil von den Führungskräften angefertigt wurden, knapp dreißig transkribierte Interviews sowie mehrere Stunden Filmmaterial. Der Forschungsprozess glich dabei einer gestalterischen Arbeit, die von dem in den Gesprächen mit den Museumsmitarbeitern erörterten Modell insofern abwich, als er der Dialektik hermeneutischer Forschung entsprach, und mit den beteiligten Akteurinnen und Akteuren kontinuierlich neu überdacht und angepasst wurde: „I am not thinking of the idea of formal research design, which is a standard category in the implementation of social science methods, but design as it is defined in studio fields like art, design itself, and architecture […]” (Marcus 2009:26 f.)
Ein Vor- wie auch Nachteil der Feldforschung in geographisch gut zu erreichenden Regionen ist zudem die zeitliche Offenheit, mit der sie gestaltet werden kann: ohne ein bereits auf das Ticket gedrucktes Rückflugdatum fällt es nur allzu leicht, die Forschung endlos auszudehnen: Neue interessante Fragestellungen entstehen, spannende Interviewpartner tauchen auf, und im Archiv des Museums ließen sich auch über die bereits geleistete Arbeit hinaus beispielsweise interessante Objektbiographien und weitere Details sozialhistorischer Dimensionen des Museums recherchieren (vgl. Sökefeld 2002: 89). Darum hielt ich mich (neben der Beschränkung durch mein auf drei Jahre begrenztes Stipendium) an die zeitlichen Praktiken, die die Akteure im Feld selbst verwendeten, um ihren Ar-
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beitsalltag zu strukturieren. Diese waren durchaus unterschiedlich; die Gründe hierfür lagen in den unterschiedlichen Arbeitsanforderungen der untersuchten Akteursgruppen. Angenommener Verlauf und Strukturierung von Zeit sind stets kulturelle Konstrukte und Phänomene (Gell 2001, siehe auch Lammer 2007: 94). Eine genauere Beschreibung der zeitlichen Muster, die ich im Laufe der Forschung mit den Akteurinnen teilte, ergibt sich dabei auch aus unterschiedlichen Selbst- und Fremdpositionierungen während des Feldforschungsprozesses in einer Kulturinstitution. Die Feldforschung selbst fand über mehrere Phasen verteilt statt, die sich über insgesamt anderthalb Jahre, von April 2008 bis Dezember 2009 erstreckte.5 In kommerziell ausgerichteten ethnographischen Studien über Organisationen sind die Forschungszeiträume häufig kurz und teilweise auch in einzelne Erhebungsphasen gegliedert. Teilweise geschieht dies nicht nur aus ökonomischen Erwägungen, sondern auch, um bestimmte zeitgebundene Phänomene wie eine Fusion zu begleiten (siehe hierzu Neyland 2008: 23, 153 ff.). In einer ersten Feldphase von Mai bis Juli 2008 hospitierte ich bei unterschiedlichen museumspädagogischen Angeboten und Führungen. Die dabei entstehenden Kontakte nutzte ich in einer zweiten Feldphase von Oktober 2008 bis Februar 2009 für weitere Interviews. Im Herbst 2009 begleitete ich vor allem die Neugestaltung eines Teils der Dauerausstellung zum Thema „Ernährung. Essen und Trinken“. Zwischen den einzelnen Phasen wertete ich die nunmehr vorhandenen Daten aus. Sowohl die Positionen „öffentlich“ und „privat“ als auch die zeitgenössischen und teilweise prekären Arbeitsverhältnisse der Museumsmitarbeiter bestimmten dabei die Formen von Zeitlichkeit, die ich mit meinen Forschungspartnerinnen im Museum teilte. Hier lassen sich projektgebundene Linearität und Wiederholung von kulturellen Performances analytisch voneinander trennen, obwohl sie teilweise ineinander übergehen oder aufeinander aufbauen. 5
Die Verteilung der Forschungstätigkeit über mehrere Feldphasen mit dazwischen liegender Auswertung hat sich für meine Forschung als sinnvoll erwiesen, unter anderem da die Auswertung der Notizen in der Zeit zwischen den Phasen dabei half, präzisere Forschungsfragen zu entwickeln (siehe hierzu Götz 1997). Die Pausen zwischen den Erhebungsphasen waren aber auch auf Machtkonstellationen und interne Zwänge im Feld zurückzuführen, in denen beispielsweise die für mich zentrale Funktion der Leitung der Abteilung Bildung nicht besetzt war, und meine E-Mails an andere Funktionsträger innerhalb dieses Bereiches über Wochen und Monate hinweg nicht beantwortet wurden. Die Deutung dieser Vorgänge durch andere Akteurinnen und Akteure ist sicherlich ein interessantes Forschungsthema, das unter anderem deshalb nicht verfolgt werden kann, weil zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Arbeit arbeitsrechtliche Verfahren ehemaliger Mitarbeiter anhängig sind.
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Zeitformen: „deep hanging out“und Arbeitsalltag im Museum Mit „deep hanging out“ meint Ronato Rosaldo (zit. nach Clifford 1997: 56) ein wesentliches Merkmal ethnographischer Forschung: die möglichst umfassende Immersion in einen anderskulturellen Kontext. Zwei Zeitformate ließen sich im Verlaufe der Forschung deutlich voneinander unterscheiden: Die Vermittlungsangebote, die ich begleitete, konnten bei dem Besucherservice von Besuchergruppen wie etwa Schulen, Kinderkrippen oder Konferenzveranstaltern gebucht werden. Die freien Mitarbeiter, die ich in der ersten Hälfte der Forschung begleitete, kamen häufig erst kurz vor der Führung im Haus an und verließen dieses auch unmittelbar danach wieder. Während ich sie begleitete, standen Einzelperspektiven auf ihr Erleben des Museums als aneigenbare Objektwelt, Wissensform und ästhetische Organisation im Vordergrund. Zwischen Organisation und Individuum oszillierend stand folglich das „(t)elling stories about particular individuals“ (Abu Lughod 1995: 153) und das Herausarbeiten und Darstellen von Subjektivitäten (vgl. Keane 2003) im Vordergrund. Die freiberuflichen Führungskräfte übten diese Tätigkeit häufig neben dem Studium aus oder hatten ihr Studium gerade abgeschlossen und befanden sich nun in einer Phase der beruflichen Orientierung. Andere wiederum hatten das Anbieten touristischer Dienstleistungen im Rahmen einer Selbstständigkeit etabliert, so dass die Kulturvermittlung im direkten Kontakt mit den Besucherinnen und Besuchern ihre Haupteinnahmequelle darstellte (vgl. Kapitel 5). Damit zeichnete sich nicht nur eine weitere Parallele zu der mit Lehraufträgen und befristeten Verträgen operierenden Institution Universität ab; die Arbeitsverhältnisse der freiberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ließen ein „deep hanging out“ im Sinne Rosaldos überhaupt nicht zu. Dies änderte sich mit der Dauer meines Aufenthaltes in Dresden, als die Konstrukte „privat“ und „öffentlich“ sich aufgrund der offensichtlichen Ähnlichkeiten unserer Positionen als kaum voneinander unterscheidbar erwiesen, so dass ethnographische und private Gespräche ineinander übergingen. Dieser Aspekt der Forschung kann also durchaus unter dem Aspekt des studying sideways gefasst werden. Eine ganz andere Form der zeitlichen Strukturierung stellte die Neugestaltung des Raumes „Essen und Trinken“ der Dauerausstellung dar (vgl. Kapitel 7). Das Projekt trat hier als zeitliche Praxisform (Färber 2006: 72 f.) an die Stelle der täglichen (außer montags) Wiederaufführung der kulturellen Performance „Museumsführung“. Die Neugestaltung wurde als „Projekt“ verstanden, und die tägliche Arbeit auf mehrere Personen verteilt, die an unterschiedlichen Orten tätig waren und über einen klar strukturierten Zeitraum auf ein eindeutig definiertes Ziel hin tätig waren. Die verschiedenen zeitlichen Strukturierungen der Arbeit im Museum entsprechen unterschiedlichen Logiken der Wissensarbeit
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und der Repräsentation im Museum und markieren unterschiedliche Stadien der Feldforschung und Rollenaspekte im Forschungsprozess: von der „Besucherin“ zur „Expertin“.
Z USAMMENFASSUNG Dieses Kapitel thematisierte den Gegenstand aus einer organisationsethnologischen Perspektive. Diese lässt erkennen, dass die Forschung trotz aller Parallelen zwischen Museum und Universität aufgrund der Zugangsbarrieren und hierarchischen Strukturierung des Feldes unter dem Begriff des studying beziehungsweise research up gefasst werden kann. Nichtsdestotrotz lässt die Komplexität der Organisation auch ein studying sideways zu, nämlich dann, wenn situativ andere Rollenaspekte der Forscherin als Komplizin, Kollaborateurin oder gar Freundin in vergleichbarer beruflicher Situation wahrgenommen werden. Letztlich sind diese Erkenntnisse unterschiedlichen Formen der Soziabilität geschuldet, die den Arbeitsalltag im Museum bestimmen und sich auch in unterschiedlichen zeitlichen Praxisformen der Museumsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter widerspiegeln. Eine gemeinsame „Klammer“ für die Erfahrung des Arbeitens im Museum sind die raumsemantischen Strukturierungen des Museumsgebäudes, einem Bau der Neuen Sachlichkeit des Architekten Wilhelm Kreis, das im Jahre 1930 bezogen wurde, und die körperliche Erfahrbarkeit der Architektur. Das folgende Kapitel widmet sich daher dem Museum als durch den Körper erlebten Ort und bedient sich unter anderem der in der Organisationsforschung entwickelten Perspektive auf Organisationsästhetik (Strati 1999) und soziale Ästhetik (MacDougall 2006, 2007).
5. Kälte und Eleganz Soziale Ästhetik und museale Verkörperungen
Der Inhalt und die Aufgabe dieses Kapitels bestehen darin, das Museum als durch den Körper erlebten Ort aus einigen ausgewählten Perspektiven verschiedener Mitarbeiter vorzustellen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich die Institution und das Gebäude in die Körper der Mitarbeiter einschreiben und welche gemeinschaftlichen und individuellen Wahrnehmungen der sinnlichmateriellen Umwelt des Museums sich aufzeigen lassen. Dies geschieht durch das Herausarbeiten einiger Aspekte der sozialen Ästhetik des Ortes; ein zentraler Begriff, der im Folgenden daher detaillierter dargestellt und diskutiert wird. Die atmosphärische Signatur des Foyers, eines zentralen Kontenpunktes innerhalb des Gebäudes und ihre individuellen Deutungen sollen dabei herausgearbeitet und in ihrer Wechselwirkung mit Körperinszenierung und Körpererleben der im Museum Beschäftigten dargestellt werden. Dieser Diskussion vorangestellt ist eine kurze Vorstellung des Museums, die trotz der umfangreichen und gut erhältlichen Literatur zum Thema aus zwei Gründen geboten ist: die historische Bedeutung des namensgebenden Begriffs der „Hygiene“ und des Ausstellungsmodus „Hygieneausstellung“ können nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Gleichzeitig sind die in Thema und architektonischer Gestaltung angelegten geschichtlichen Trajektorien für das Verständnis des heutigen Selbstverständnisses des Hauses und die körperliche Begegnung mit demselben wesentlich.
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Abbildung 2: Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden im Mai 2009.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 3: Das „Virtuelle Minenfeld“ des Künstlers Peter Zizka war während der Sonderausstellung „Krieg und Medizin“ 2009 im Eingangsbereich des Museums angebracht worden.
Quelle: Susannne Schmit
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5.1 AM E INGANG : S ENSORISCHE K ONTUREN F OYERS
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DES
Hat man einmal die niedrigen Treppenstufen in das weiße Gebäude des Museums erklommen und die leise summenden automatischen Türen durchquert, so stößt man im Sommer 2009 unvermittelt auf einen auffälligen Bodenbelag. „Vermutlich UFOs oder Raumschiffe“, so glaubt eine Mitarbeiterin an der Kasse. Ein Mitglied des Sicherheitsdienstes denkt eher an „so eine Tüte voller Süßigkeiten, so schön bunt und glitzerig“. Auch die Museumsbesucher haben Schwierigkeiten, das zu deuten, was sich schließlich als „Virtuelles Minenfeld“1 herausstellt, eine Installation des Medienkünstlers Peter Zizka. Detailgetreue Fotographien von Landminen in originalgetreuem Maßstab bedecken den Boden. Sie sind erst auf den zweiten Blick als Tötungsinstrumente zu erkennen: die Farbigkeit und bunte Formenvielfalt lässt den tödlichen Auftrag der Landminen häufig erst dann in das Bewusstsein treten, wenn man bereits mitten auf ihnen steht. Das Kunstwerk, das für die von Blindgängern und Landminen auch noch weit nach Kriegsende ausgehende Bedrohung sensibilisieren soll, ist Bestandteil der aktuellen Sonderausstellung „Krieg und Medizin“. Bei dem virtuellen Minenfeld handelt es sich um eine Installation, die die Art und Weise, in der manche Museumsmitarbeiter, ehrenamtliche Mitarbeiter und Besucher sich das Museum bezüglich ihrer individuellen Museumsgeographien aneignen, verändert: genau wie ich weigern sie sich, den robusten Linoleumbelag zu betreten oder umrunden zumindest die abgebildeten Minen vorsichtig. Auf manche der im Museum tätigen Menschen hat das Kunstwerk folglich einen verstörenden Effekt, der ihren „sense of place“ (vgl. Feld 2006) durch eine mit Schmerz assoziierte Barriere erschüttert. Auch diejenigen, die ihren Arbeitsplatz üblicherweise mit entschlossenen Schritten ansteuern, verlangsamen ihre Geschwindigkeit zumindest in den ersten Tagen nach der Ausstellungseröffnung. Das „virtuelle Minenfeld“ ist nicht das einzige Exponat, das eine starke leibliche Regung bei den Beschäftigten hervorruft. Auch die Ausstellung „Six feet
1
Eine Beschreibung der Installation ist online unter http://www.medico-international .de/kampagne/minen/rdm/katalog.asp einsehbar (letzter Zugriff 25.10.2010). Im Rahmen einer Spendenaktion des Vereins medico international können einzelne Segmente der insgesamt 600 Platten gegen eine Spende „geräumt“ werden. Der Erlös soll Minenopfern zur Verfügung gestellt werden, um eine Versorgung mit Prothesen zu gewährleisten.
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under. Autopsie unseres Umganges mit Toten“2 hat Spuren im Gedächtnis mancher Museumsmitarbeiter hinterlassen, wie Sabine, eine Studentin und freiberufliche Museumsführerin, sich erinnert: „Bei ‚Six feet under‘ gab es noch einen ziemlichen Einschnitt zum Thema Riechen. Da hatte ich einen Ausstellungsrundgang mit einer Kuratorin oder einer Kunstfrau hier aus dem Museum. Und die hat zu verschiedenen Sachen was erzählt und da gab es ein Kunstwerk, das waren Decken, in denen Menschen ermordet wurden, und sagte dann zu uns die Leute in Bern hätten ein großes Geruchsproblem gehabt, das wäre hier jetzt nicht, weil die Decken lange irgendwie schon ausgehangen waren dort in der anderen Ausstellung und wir sollten doch aber mal rangehen und riechen, ob es noch so riecht. Und ab dem Moment konnte ich durch die Ausstellung nicht mehr gehen, an diesen Decken vorbei, das war wie so eine unsichtbare Schranke für mich.“
Indem ich das Beispiel des virtuellen Minenfeldes und der Ausstellung „Six feet under. Autopsie unseres Umganges mit Toten“ als Ausgangspunkt nehme, werde ich in diesem Kapitel illustrieren, inwiefern das Dresdner Hygiene-Museum – und damit auch vergleichbare Institutionen – ein Ort ist, der durch und mit dem Körper gelebt wird. Die Ethnologie der Sinne (siehe z. B. Stoller 1989, Howes 2003, Seremetakis 1996) ist in letzter Zeit sowohl auf die Erforschung musealer Sammlungen als auch auf die historisch kontingenten sensorischen Regimes der musealen Reprä2
Die Sonderausstellung „Six feet under. Autopsie unseres Umganges mit Toten“ wurde vom 22. September 2007 bis 30. März 2008 gezeigt. Sie war aus dem Kunstmuseum Bern übernommen worden. Auf der Webseite des Museums ist eine Exponatbeschreibung abrufbar (letzter Zugriff 2.11.2010): „Teresa Margolles (*1963, MEX) Encobijados (Nr. 1–7), 2006. Courtesy of the Artist and Galerie Peter Kilchmann, Zürich. Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles war bis zum Ende der 1980er Jahre als gerichtsmedizinische Assistentin tätig und wandte sich danach der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Thema zu. Die Bilder von Gewalt und Tod, die ihr im Leichenschauhaus von Mexico City begegnen – der letzten Station der Ärmsten der Armen und der Rechtlosesten – sind Motor für ihre Kunst, die obsessiv und radikal mit allen Tabus bricht. Encobijados werden bei Gewaltverbrechen verwendet: Die Mordopfer werden in die Decken gewickelt und eingeschnürt. Diese Art von Tortur führt schließlich zum Tod. Sonido de la morgue (Nr. 2), 2006. Sound Installation. Courtesy of the Artist and Galerie Peter Kilchmann, Zürich.“ Obwohl es sich um eine Klanginstallation handelt, bei der die entweichenden Leichengase sowie die bei der Obduktion entstehenden Geräusche thematisiert wurden, erinnern sich neben Sabine noch einige andere Mitarbeiterinnen weniger an die Geräusch- als an die Duftkulisse.
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sentation angewandt worden (vgl. Kapitel 3.2). Dieses Kapitel ist jedoch dem Ziel gewidmet, den Fokus einer Auseinandersetzung mit den Sinnen in einem musealen Kontext zunächst einmal weg von der Begegnung von Besuchern mit Objekten oder den sensorischen Biographien von Sammlungsgegenständen hin zu den leiblichen Erfahrungen von Menschen, die im Museum arbeiten, zu lenken. Indem ich dies tue, beziehe ich mich auf eine phänomenologische Perspektive in der Ethnologie, die den lebendigen, fühlenden und wahrnehmenden Leib als Lokus des Menschseins und damit als Ausgangspunkt jeder ethnologischen Forschung in den Mittelpunkt rückt (vgl. Kapitel 2.3.2 und 2.4.4 oder auch z. B. Csordas 1990). Dabei handelt dieses Kapitel vorrangig von Menschen, die einer der communities of practice (vgl. Kapitel 2.5; Wenger 1998) des Museums angehören, Menschen, die sich ständig wandelnde Praktiken und Identitäten innerhalb der Domäne Museum miteinander teilen. Die Perspektiven, die wir dabei auf das Museum als Umwelt, oder als zu bewohnenden Ort, kennenlernen, stammen von Museumspädagogen, Führungspersonal und Kuratoren. „(Em-) placement“, folgt man der phänomenologischen Argumentation, „must be an experience common to any experience of inhabiting, not to one particular space where certain cultural or class-specific aesthetic conditions obtain“ (Grasseni 2009: 9). Dabei interessiert mich folglich besonders, wie eine spezifische Erfahrung von In-der-Welt-Sein auf eine bestimmte materielle Umwelt bezogen ist, die als Verkörperung einer bestimmten Hierarchie der Sinne und einer bestimmten ästhetischen Stoßrichtung gedacht werden kann. Von solch einer experientiellen Perspektive aus „there is no knowing or sensing a place except by being in that place“ (Casey 2000: 18). Entsprechend liegt diesem Kapitel reichhaltiges ethnographisches Material zugrunde, um individuelle sensorische Erfahrungen mit einer sozialen Ästhetik des Museums in Beziehung zu setzen, die durch synästhetische Metaphern, aktuelle Erfahrungen von „Kälte“ oder „Kühle“, Erfahrungen von „Eleganz“ und Praktiken und eleganter Selbstinszenierung ihren Ausdruck findet. Zunächst jedoch will ich kurz – denn Darstellungen der Museumsgeschichte finden sich an anderer Stelle bereits in aller Ausführlichkeit3 – auf die offiziell nach Außen gegebene Antwort auf die Frage eingehen, wovon das Museum eigentlich handelt. Die ebenso kurze wie komplexe Antwort darauf lautet „Der Mensch“.
3
Siehe z.B. Vogel, Klaus (2003): Das Deutsche Hygienemuseum Dresden. 1911 bis 1990. – Vogel, Klaus (Hg.) (2005): Deutsches Hygiene-Museum Dresden.
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5.1.1 „Flippern bis zur Erkenntnis“ – Das Deutsche Hygiene-Museum als Reiseziel und Touristenattraktion „Seit über neunzig Jahren beschäftigt sich das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden mit einem unerschöpflichen Thema: dem Menschen. Gegründet wurde es 1911 auf Initiative des Odol-Fabrikanten Karl August Lingner als ein Museum der Gesundheitsaufklärung. Heute versteht es sich als ein modernes Wissenschaftsmuseum, das sich den biologischen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen des Menschen widmet.“ (VOGEL 2005: RÜCKSEITE DES UMSCHLAGS)
Wer im Museumsshop des Hygiene-Museums den Museumsführer aus dem Regal nimmt, kann diese Information bereits der Rückseite des Umschlags entnehmen. Der aktuellen Darstellung für die Öffentlichkeit zufolge präsentiert sich das Museum als Universalmuseum vom Menschen, dem menschlichen Körper und der Gesundheit. In Pressemitteilungen und öffentlichen Ansprachen des Museumsdirektors anlässlich von Ausstellungseröffnungen wird deutlich, dass die Institution sich als diskursives Museum verstehen möchte, dass Ausstellungen an der Schnittstelle von Kultur- und Naturwissenschaften anbietet. In einem internen Leitfaden für neu eingestellte Museumsmitarbeiter wird „zum Profil des Deutschen Hygiene-Museums“ Folgendes geschrieben: „Das Deutsche Hygiene-Museum ist heute ein modernes Wissenschaftsmuseum. Es begreift sich als ein Forum für aktuelle Fragen aus der Welt von Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft und es reflektiert dabei auch deren ethische Implikationen. […] Es geht also um die Frage „Wie wollen wir leben?“ (aus: Führungen durch die Dauerausstellung. Ein Leitfaden, 2009: 6)
In dem Museumsführer heißt es hierzu: „Das ‚Museum vom Menschen‘ sieht sich in der humanistischen Tradition verankert. Unser europäisch-christliches Menschenbild wird seit zweihundert Jahren wesentlich von den modernen Wissenschaften vom Menschen geformt – heute gilt es, in ethischer Verantwortung auch Grenzen des wissenschaftlich Machbaren zu erkennen. […] Das Deutsche
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Hygiene-Museum ist ein populärwissenschaftliches Forum; das reine Schauen als Form der Aneignung von Wissen kommt daher nie zu kurz.“ (Vogel 2005: 5 f.)
In Stadt- und Reiseführern finden sich Darstellungen des Museums, die mithilfe besonders „spektakulärer“ Artefakte potentiellen Besuchern einen ersten Eindruck der Kulturinstitution vermitteln wollen. Dazu zählen insbesondere Abbildungen der berühmten „Gläsernen Frau“, die als Leitobjekt der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden eine Schlüsselrolle für die Herstellung von Körperwissen durch Visualisierung spielte (vgl. Kapitel 6). Auf die Selbstverortung des Museums als Diskurs- und Lernort wird dabei ebenso häufig Bezug genommen wie eine mögliche Charakterisierung des Museums als Erlebnismuseum. Die thematische Zuordnung des Hygienemuseums als Erlebnismuseum von Seiten der cultural broker(Welz 1996)4wird beispielsweise durch die Anführung des Hauses5 in dem Museumsführer Erlebnis Wissen (Neubauer 2006) deutlich, wo es unter der Überschrift „Flippern bis zur Erkenntnis“ auf sieben Seiten einem an „Erlebnismuseen“ interessierten Publikum vorgestellt wird. Eine Fruchtfliege im überlebensgroßen Maßstab, die üblicherweise in der Dauerausstellung die Anatomie und Bedeutung der Art Drosophila und ihre Relevanz für die genetische Forschung vorführen soll, wurde in der gedruckten Abbildung hier vor ein Fenster des Treppenhauses montiert. Der Wunsch, sich von einem als unzeitgemäß empfundenen Hygiene-Narrativ abzusetzen, ist in vielen Gesprächen spürbar geworden. Dennoch bliebt zumindest der Name des Museums erhalten, wenn er auch mit dem Untertitel „Abenteuer Mensch“ versehen worden ist, der ebenfalls Einzug in die Reiseführer und Organe der Tourismusindustrie gefunden hat. So lobt der Reiseführer Dresden und Sächsische Schweiz des ADAC: „Seit bald 100 Jahren beschäftigt sich das Deutsche Hygiene-Museum mit dem Menschen. So ehrgeizig dieser Anspruch auch ist – in seiner Dauerausstellung aus sieben Themen4
Welz verwendet den Begriff zunächst in Bezug auf die seit den achtziger Jahren in den USA verbreiteteVermittlungspraxis der Public Folklorists, die im Rahmen von Diversityprogrammen "Minderheiten" besonders im Hinblick auf deren Kunstformen repräsentieren. Dass die cultural broker einem akademischen Milieu der Mehrheitsgesellschaft enstammen und die "traditional folk artists" als der Hilfe zur Artikulation bedürftig konstruiert werden, schildert Welz dabei kritisch. Entscheidend für diese Arbeit ist, dass den cultural brokern die Definitionsmacht darüber obliegt, was authentisch ist und was nicht (1996: 231 ff.)
5
Intern wird das Museum häufig als „das Haus“ bezeichnet, eine innerhalb der Museumsszene häufig anzutreffende Bezeichnung für die jeweilige Institution.
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bereichen werden die Ausstellungsmacher ihm mehr als gerecht.“ (Wurlitzer, Sucher 2008: 60)
Der Baedeker-Führer Dresden widmet dem Gründer des Museums Karl August Lingner, dem Erfinder des Odol-Mundwassers, gar einen eigenen Artikel und schildert den Auftrag des Museums wie folgt: „Das Hygiene-Museum versteht sich heute als Einrichtung, die über die Gesundheitaufklärung hinaus den Menschen als biologisch, psychisch, sozial und kulturell vernetztes Wesen zeigen will.“ (Bauer 2009: 159)
Die Beschreibungen des Museums werden häufig in Abstimmung mit Mitarbeitern der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit erstellt, die auch Pressematerial zur Verfügung stellen. Gerade die Erklärung der Museumsgeschichte nimmt dabei einen umfänglichen Raum ein, der mit der Missverständlichkeit des Hygienebegriffs und der Besonderheit des historischen Repräsentationsmodus „Welt“- beziehungsweise „Hygieneausstellung“ erklärt wird. Offizielle Darstellungen des Museums schildern meist dessen Entstehungsgeschichte und stellen dieser eine aktuelle Geschichtsinterpretation und gegenwärtige Nutzung des Museums gegenüber.6 Dabei werden insbesondere die historische Bedeutung des Begriffes der Hygiene sowie die Person Karl August Lingners, des Stifters und Finanziers des Museums, erörtert. 5.1.2 Zum Hygienebegriff zur Entstehungszeit des Deutschen Hygiene-Museums Der Hygienebegriff des frühen zwanzigsten Jahrhunderts war im Spannungsfeld von Gesundheitsfürsorge, staatlichen Kontroll- und Schutzmaßnahmen und einer zunehmend als bildungsbedürftig und -fähig konstruierten Öffentlichkeit angesiedelt (Münch, Lazardzig 2002). Als „Lehre von der Gesundheitspflege“, als Ensemble von „Wissen, Praktiken und Technologien“ (Sarasin 2001: 17) bildete sie eine medizinische Teildisziplin, die auf den diätetischen Vorschriften und Techniken gesunder Lebensführung der Vergangenheit aufbaute, von den Reformbewegungen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts gespeist und nun von einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin vereinnahmt wurde. Als
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Presseinformation des Deutschen Hygiene-Museums, http://www.dhmd.de, (letzter Zugriff 11.6.2009).
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wissenschaftliche Disziplin erhob sie dabei normative, gesellschaftspolitische Forderungen (Schrön 2003: 311). Philipp Sarasin (2001) zufolge kann „Hygiene“ als Zentralbegriff der Moderne gelesen werden, der, wie er in seiner an Foucault orientierten Analyse zeigt, humoralpathologische Annahmen mit wissenschaflich legitimierten Leitlinien der gesunden Lebensführung verquickt und die Techniken der Körperpflege und -ertüchtigung, der Kontrolle von Sexualität und Genussmitteln sowie die Orientierung an medizinisch-epidemiologischem Wissen zur individuellen Kernaufgabe erhebt. „Hygiene“ kann damit also sowohl als eine neue Form der biopolitischen Gouvernmentalität als auch als eine neue Möglichkeit der Sorge um das eigene Selbst und der Subjektivierung bestimmter Vorstellungen von Körperlichkeit durch eine bewusste Lebensführung verstanden werden (Sarasin 2001: 452 ff.). Dabei nimmt der Hygienediskurs durch das Medium des Körpers auf alle Lebensbereiche Einfluss (Schrön 2003: 310) und wird damit zu einem der „Zauberworte der Moderne“ (Sarasin 2001: 17). 5.1.3 Popularisierung, Visualisierung und Subjektivierung von Körperkonzepten: Hygieneausstellungen und die Enstehung des Deutschen Hygiene-Museums Ausstellungen, insbesondere solche, die sich medizinischen Themen widmeten, stellten das „populärste Massenmedium“ (Osten 2005: 3085) des frühen zwanzigsten Jahrhunderts dar. Das Deutsche Hygiene-Museum, wie es heute in Dresden besucht werden kann, ist das Produkt der Repräsentationsform Weltausstellung, genauer der 1. Internationalen Hygieneausstellung, die am 6. Mai 1911 in Dresden eröffnet wurde (Schrön 2003: 309). Ein historischer Abriss über die Entwicklung von Körperpflege und Gesundheitsmaßnahmen seit der Antike wurde dort ebenso geboten wie eine Ausstellung zur wissenschaftlichen Hygieneforschung. Abteilungen über „populäre Hygiene“ sowie eine „industrielle Abteilung“ wurden unter Anderem von einer „Völkerstraße“ ergänzt, in der zwölf Nationen in eigenen Länderpavillons das jeweilige nationale Gesundheitswesen darstellten (ibid.). Die 1. Internationale Hygiene-Ausstellung war ein großer Publikumserfolg; im Laufe der sechsmonatigen Öffnungszeit zog sie 5,5 Millionen Besucher an (ibid.) – ein Resultat, das schließlich 1913 zur Eröffnung des National-Hygiene-Museums führte, welches später in Deutsches Hygiene-Museum umbenannt wurde (Schrön 2003: 321). Die für die Entstehung des späteren Museums maßgebliche Figur war der Großindustrielle Karl August Lingner, der als Vermarkter des „Odol“-Mundwassers zu erheblichem Wohlstand gekommen war (Hofmann 2006: 129,
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Kutschera, Ehlers, Möge 2006: 154 f., Reichardt 2008: 106 ff.). Lingner ging davon aus, dass Grundsätze der Hygiene und Gesundheitsführung mit denselben Methoden zu vermarkten waren wie ein Mundwasser: mit der entscheidenden Rolle, die er als Organisator der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung einnahm, übertrug er nicht nur Techniken der Vermarktung in den Ausstellungskontext, sondern es gelang ihm auch erstmals, eine Marke und ein Produkt mit abstrakten Ideen und Werten wie Hygiene und Gesundheitsaufklärung wirksam zu identifizieren (Osten 2005: 3085). Anlässlich der ebenfalls von ihm finanzierten Ausstellung „Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung“ erschienenen Publikation Einige Leitgedanken zu der Sonderausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung aus dem Jahre 1903 legte Lingner bereits sein Interesse an der Gestaltung und finanziellen Förderung publikumswirksamer Ausstellungen im Bereich der Gesundheitsbildung dar: „Mich selbst hat ein Zufall auf das Gebiet der Sozialhygiene geführt. Meine geschäftlichen Unternehmungen machten es vor mehreren Jahren notwendig, mich eingehend mit dem in voller Entwicklung befindlichen Desinfektionswesen zu beschäftigen, und so kam ich zu dem Studium der sozialhygienischen Literatur. Das Gebiet hat mich dermaßen begeistert, dass ich zu dem Entschluss gelangt bin, mich in jeder nur möglichen Weise auf demselben zu betätigen und andere Bestrebungen, die dieser herrlichen Idee zweckmäßig dienen, fördern zu helfen.“ (Lingner 1904: 4)
In seiner Denkschrift zur Errichtung eines National-Hygiene Museums in Dresden, die im Jahr nach der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung erschien, legte Lingner die Grundzüge der Wissensvermittlung in dem geplanten HygieneMuseum dar: „Bei dem geplanten Hygiene-Museum in Dresden wird der ursprüngliche Museumsgedanke wieder in den Vordergrund gestellt werden. Wir wollen nicht Kuriositäten zeigen, die lediglich für einzelne Spezialisten interessant, für die Allgemeinheit aber bedeutungslos sind, sondern wir wollen nur Dinge ausstellen, die sich dem unmittelbaren Verständnis des Besuchers nahebringen lassen, und eine Nutzanwendung ermöglichen.“ (1912: 5)
Die „Allgemeinheit“ sollte durch eine Veranschaulichung der Funktionsweise des Körpers zu einem sorgsamen Umgang mit demselben angeregt werden: „Wir beginnen damit, dem Besucher zunächst einmal eine klare Vorstellung darüber beizubringen, wie der menschliche Körper in seinen Teilen beschaffen ist, und wie die einzelnen Organe funktionieren. […] Wir führen ihm den ganzen menschlichen Körper als
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Kunstwerk vor und suchen sein Interesse für die wunderbare Einrichtung dieses Kunstwerkes zu erwecken. Wir suchen ihm eine Liebe für dieses Kunstwerk als Gegenstand beizubringen, in der pädagogischen Erwägung, daß der Mensch die Gegenstände, die er lieb hat, auch mit Liebe zu behandeln versucht. Das ist ein weiterer Grundzug unserer Belehrungsmethode, von der wir uns durchschlagenden Erfolg erhoffen.“ (Lingner 1912: 16)
Das Museumsgebäude, das das Hygiene-Museum heute beherbergt, ging aus einem Entwurf von Wilhelm Kreis hervor, der 1930 realisiert und unter anderem aus den Gewinnen der ersten Dresdner Hygieneausstellung und den Erzeugnissen der seit 1911 bestehenden Lehrmittelwerkstätten finanziert wurde. Sowohl unter dem NS-Regime als auch während der Deutschen Demokratischen Republik diente das Museum den entsprechenden biopolitischen Intentionen; wobei die eugenischen Tendenzen, die dem Hygienediskurs ohnehin innewohnten, ab 1933 verstärkt in den Vordergrund gestellt wurden. Für die Zeit der DDR kann das Hygiene-Museum als strukturelles Äquivalent der Bundeszentrale für politische Aufklärung in der BRD betrachtet werden (vgl. Vogel 2005: 9 f.). Nach 1990 erfolgte eine Neuausrichtung des Museums unter dem oben angesprochenen zeitgenössischen Selbstbild, bei der der historische Name „Hygiene-Museum“ beibehalten und durch den Untertitel „Museum vom Menschen“ ergänzt wurde. Das Museum, dessen Entstehungskontext hier kurz angerissen wurde, scheint auf den ersten Blick sinnvoll in die Geschichte des anatomischen Museums einordenbar. Sowohl die Hygiene-Ausstellungen als auch die anatomischen Museen widmen sich der Ausstellung des menschlichen Körpers; wobei die anatomischen Museen in der Tradition der anatomischen Dissektionen stehen: „This history includes the exhibition of dead bodies […], the public dissection of cadavers in anatomy lessons, the vivisection of torture victims using such anatomical techniques as flaying, public executions by guillotine or gibbet, heads of criminals impaled on stakes, public extractions of teeth, and displays of body parts and fetuses in anatomical and other museums, whether in flesh, in wax, or in plaster cast.“ (Kirshenblatt-Gimblett 1998: 35)
Die Intention der Hygieneausstellung ebenso wie des späteren Museums lag jedoch weniger in der Sammlung und enzyklopädischen Repräsentation, sondern in der Popularisierung von Wissen und der gesundheitlichen Aufklärung: „Die um die Jahrhundertwende entstehenden ‚neuen‘ Museumstypen, zu denen etwa die Arbeiterschutz-, Sozial- und Hygienemuseen zählen, knüpfen an das Ziel malerischer Präsentation an und weiten es zur Inszenierung aus. Diesen Museen ist gemeinsam, dass sie
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keine im eigentlichen Sinne musealen Zwecke verfolgen und nicht das kulturelle Erbe der Vergangenheit bewahrend ausstellen, sondern versuchen, für aktuelle gesellschaftliche Probleme Aufmerksamkeit zu erzeugen und vielleicht sogar Lösungsmöglichkeiten darzustellen.“ (Lepenies 2003: 126)
Die Hygiene- und Arbeitsschutzausstellungen bildeten einen eigenen Darstellungsmodus, der in Reaktion auf die mit der Industrialisierung im neunzehnten Jahrhundert drängend gewordenen sozialen Frage entstanden war (Poser 1998: 12). Sie dienten vorrangig dazu, die arbeitende Bevölkerung über Arbeitsschutzund präventive Gesundheitsmaßnahmen aufzuklären und thematisierten im Einklang mit dem griechischen Begriff hygieia (Gesundheit) vielfältige Aspekte des gesunden Lebens (Poser 1998: 13). Der Höhepunkt dieser Ausstellungs- und Museumsform lag in der Zeit von der Jahrhundertwende bis in die 1930er Jahre. Sie verfolgte eine eindeutige pädagogische Absicht der Volksbelehrung und Gesundheitsaufklärung, die aus der als wissenschaftlicher Disziplin erstarkten naturwissenschaftlich-experimentellen Hygieneforschung abgeleitet war (Schrön 2003: 311). Im Unterschied etwa zu anatomischen Lehr- und Schausammlungen, die an ein spezialisiertes Publikum gerichtet waren, zielten die Hygieneausstellungen auf ein breites Publikum mit unterschiedlichen Hintergründen. Die Visualisierung und Materialisierung des abstrakten Konzeptes der Hygiene und weniger die auratischen Qualitäten der Objekte standen dabei im Vordergrund und dienten explizit aufklärerischen Zielen im Sinne einer biopolitischen gouvernance des Körpers (Münch, Lazardzig 2002: 78 f., Osten 2005: 3085). Eigens hergestellte Exponate wie Wachsmoulagen unterschiedlicher Krankheitsbilder und erläuternde Texttafeln zielten dabei auf individuelle Verhaltensänderungen der Besucher ab und etablierten das Konzept der Hygiene als Selbsttechnologie: „Die Hygiene-Ausstellungen trugen dazu bei, einen naturwissenschaftlich verengten Hygiene-Begriff zu etablieren und gegebenenfalls in die Lebenswelt der Besucher zu integrieren. Dem Medium Ausstellung war mithin die Chance gegeben, ein Informiert-Sein über Hygiene als qualitatives Element eines Gesundheitsbewusstseins zu konstituieren. Mit der – 1911 implizit, 1930 explizit – thematisierten Eigenverantwortlichkeit für Gesundheit erhielt Prävention einen gesellschaftlichen Stellenwert.“ (Münch, Lazardzig 2002: 80)
Der „spezifische Anweisungscharakter“ der Ausstellung (Schrön 2003: 319), die im Falle der Dresdner Hygieneausstellungen ganz gezielt Informationen über Anatomie und Physiologie, Infektionskrankheiten, Körperpflege, Körperertüch-
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tigung und Sport, Medizintechnik und Arbeitssicherheit für unterschiedliche Besuchergruppen aufbereitete und wissenschaftliche Erkenntnisse in einer für Laien zugänglichen Übersetzung darbot, gab somit einen spezifischen Zugang zum Besucherkörper vor. Gerade durch Strategien der Visualisierung (vgl. Kapitel 6.3) wurde dabei somatische Aufmerksamkeit erzeugt und eine affektive Dimension des Ausstellungsbesuches als Reise zum eigenen Körper erzeugt. Die Odolflasche. Ethnographisches Zwischenspiel Die während der Weltausstellung 1911 in Dresden erzeugten visuellen Artefakte und Objekte haben ihren Weg bis in die Gegenwart gefunden. Zu den im Museumsshop erhältlichen Artefakten der Weltausstellung zählt neben den Postkarten und Reproduktionen des Werbeplakates für die 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung auch die berühmte Flasche mit Mundwasser der Marke Odol. Gerade bei Bildungsangeboten für Kinder wird dieser Alltagsgegenstand, der im Museumskontext zum mit Staunen betrachteten Objekt avanciert, zum Aufhänger für eine Reise in die Geschichte des Museums. Das Artefakt bietet, zusammen mit der Frage „Wisst ihr denn, was das ist?“ eine von vielen Möglichkeiten, Kinder an die Geschichte des Museums heranzuführen. Der Alltagsgegenstand „Mundwasser“ dient als Anker in die Vergangenheit, der durch das Zeigen eines Schwarzweißporträts Karl August Lingners einen Bogen zu der im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts umfassenden Idee der Hygiene7 als Assemblage von Selbsttechnologien schlagen lässt, die, aufsitzend auf den Diskursen der Lebensreformbewegung und der empirisch orientierten Medizin, helfen sollten, den Körper als „ganzheitliche Maschine“ zu realisieren (Sarasin 2001: 20).
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Einen sehr empfehlenswerten Abriss zur Idee der Sozialhygiene aus unterschiedlichen Gesundheitsbestrebungen in Verbindung mit der berufspolitischen Entwicklung der Gesundheitswissenschaften bietet Wilfried Heinzelmann in seinem Band Sozialhygiene als Gesundheitswissenschaft: Die deutsch/deutsch-jüdische Avantgarde 1897– 1933. Eine Geschichte in sieben Profilen. (2009).
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Abbildung 4: Odol- und Ligner-Souvenirs im Shop des Museums.
Quelle: Susanne Schmitt
Mittlerweile wird allerdings in den Schulungen, die das Museum seinen Mitarbeitern anbietet, von dem Verwenden dieses Gegenstandes abgeraten. So berichtet eine freiberufliche Führungskraft von der Bevorzugung einer Identitätspolitik durch die Museumsleitung, die von der traditionellen Assoziation mit Hygiene und hygienischen Produkten Abstand gewonnen hat: „Die stellvertretende Direktorin möchte [Odol] nicht erwähnt haben, weil es sich um ein modernes Wissenschaftsmuseum handelt und dort nicht Mundwasser verkauft wird. Von dem Hygiene-Gesundheitsaufklärerischen möchte man sich distanzieren. Die meisten Kinder wissen ja gar nicht, was Mundwasser ist, man kann ihnen dann erklären, dass dieses Mundwasser in den zwanziger Jahren schon in 29 Ländern verkauft wurde.“
Dass das Odol-Mundwasser als ein erstes konkretes Objekt gelten darf, mit dem insbesondere den jugendlichen Besuchern zumindest bis vor Kurzem die Verknüpfung von eigenen Alltagspraktiken und der historischen Dimension hygienischer Selbsttechnologien nahegebracht werden sollte, ist dennoch ein interessanter Zufall. Die kleine, hellblau und weiß gehaltene Flasche mit dem Mundwasser verkörpert nämlich beispielhaft das „museologische Paradox“, das in
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dieser Arbeit noch häufiger hervorscheinen wird (siehe insbes. Kapitel 7), indem es gleichzeitig sowohl auf ganz spezifische als auch auf breit generalisierbare Kontexte verweist (Strathern 2004: 1 ff.): „There is more to such a summoning than metonymy, the convention of parts standing for wholes. An item can remain particular and be animated as a whole entity larger than it appears. […] The museological outcome is that specific items on display do not have to be crowded around with other objects or other media to make the point about context. The skill is for themselves to point to the concept of wholeness. Not all subjects or themes would be amenable to this approach; well-being8happens to be one that does.“(Strathern 2004: 7)
Wie Marilyn Strathern (s. o.) ausführt, ist das zeitgenössische Thema des „wellbeing“, das dem historischen Hygienediskurs in seiner umfassenden Bezugnahme auf die Optimierung von Körper und Leib nahesteht, besonders gut durch einzelne Objekte evozierbar. Ein einzelnes Objekt verweist auf historische Zusammenhänge und Diskurshorizonte ebenso wie auf alltägliche Handlungen der Körperpflege. Gleichzeitig ist es jedoch auch ein Artefakt innerhalb einer Organisation, das bei vielen Mitgliedern derselben an spezfische Wissensbestände rührt und an Identitätskonstrukte geknüpft ist.
5.2 S OZIALE ÄSTHETIK ALS LEIBLICH ERFAHRBARE D IMENSION VON O RGANISATIONEN Wie de Certeau über Fußgänger in der Stadt berichtet, überlappt sich die Stadt der Stadtplaner mit den Städten derjenigen, die sie sich laufend und intuitiv aneignen: „(t)hese practitioners make use of spaces that cannot be seen; their knowledge of them is as blind as that of lovers in each other’s arms. […] A migrational, or metaphorical, city thus slips into the clear text of the planned and readable city.“ (1984: 92)
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Marilyn Strathern stellte ihre Überlegungen, zunächst unter dem Titel „Medicines and Medicines: the Whole Person and Its Artefacts“ 2003 anlässlich der Eröffnung Wellcome Trust Gallery des British Museum vor. Der Wellcome Trust, zu dem auch die Wellcome Collection gehört, umfasst eine umfangreiche medizinhistorische Sammlung, die in einer Dauerausstellung zum Thema „well-being“ gezeigt wird.
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Auf diese Art lässt sich auch die räumliche Aneignung des Museums durch die dort tätigen Menschen verstehen. Viele der Museumsmitarbeiter beziehen sich auf die gerade beschriebenen, Identität stiftenden Deutungen des Museums, die sie während ihrer Arbeit kennenlernen. Dennoch erfahren sie das Museum individuell in einer Form, die selten verbal expliziert wird, auch wenn sie sich, etwa durch die Wahl der Kleidung, in den Habitus der dort Beschäftigten einschreibt. Dieses am Individuum anknüpfende Erleben wird erst in jüngster Zeit als Aspekt der der Ethnologie der Sinne theoretisiert (Pink 2004: 61). Während meiner Feldforschung in Dresden begleitete ich die Museumsmitarbeiter auf zahlreichen go-alongs (Kusenbach 2003, Pink 2008), bei denen meine Forschungspartnerinnen ihre Eindrücke „ihres“ Museums schilderten, ihre Lieblingsorte und zentrale Achsen ihrer Arbeitsroutinen zeigten. Diese manchmal von dem Aufnahmegerät, von der Videokamera oder dem Fotoapparat begleiteten Spaziergänge unterscheiden sich häufig von den Führungen, die dem allgemeinen Publikum angeboten wurden, und zwar hauptsächlich deshalb, weil ich meine Begleiterinnen und Begleiter bat, mir „ihr“ Museum zu zeigen, mit Orten und Objekten, die für sie von besonderer Bedeutung waren. Dabei überschnitten sich vermeintlich berufliche und vermeintlich private Wahrnehmungen des Museums. Zudem zeigte sich, dass die „Landschaft“ Museum, obgleich individuellen Aneignungsprozessen unterworfen, eine gemeinsame soziale Ästhetik zu transportieren schien (MacDougall 2006, 2007), die sich auch in Kleidung, Stimme und Haltung, kurz, im Habitus der im Museum tätigen Menschen artikulierte und dadurch reproduziert werden konnte. Diese Erfahrungen verdichteten sich in den Begriffen von Kälte und Kühle sowie Eleganz. Diese Empfindungen sollen nun im Hinblick auf die „soziale Ästhetik“, die sich durch sie ausdrückt, dargestellt und diskutiert werden.
5.2.1 Sensorisch-materielle Interdependenzen. Zum Begriff der Ästhetik in der ethnologischen Forschung Statt die Institution Museum kategeorisch mit dem Vorwurf des Okularzentrismus zu belegen (vgl. Kapitel 3), ist es vielmehr angebracht zu untersuchen, wie Körper und Ort innerhalb des Museums aufeinander abgestimmt sind und welche sinnlichen Qualitäten dabei zum Tragen kommen (Rabelo, Mota, Almeida 2009: 3). Das Museum wird somit als „Kontaktzone“ verstanden (Feldman 2006; vgl. Kapitel 3), und dieser Kontakt kann durch alle Formen leiblichen Erlebens zustande kommen. Die Grundlage eines solchen Ansatzes bildet in meiner Arbeit die Idee der sozialen Ästhetik – „settings of human life as
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they exist in experiential terms“ einschließlich der „expressive possibility of the human body that is being attuned to a certain social and sensorial landscape“ (MacDougall 2006: 95). Innerhalb der Sozial- und Kulturanthropologie ist der Begriff „Ästhetik“ konventionell mit Referenz auf („nicht-westliche“) künstlerische Traditionen verwendet worden (Coote, Shelton 1996, van Damme 1996) oder zumindest mit dem vermeintlich „Schönen“, als ideal imaginierten, wie es beispielsweise durch Ideale von Soziabilität und zwischenmenschlichen Beziehungen seinen Ausdruck finden soll (Overing, Passes 2000, Herzfeld 2005). Ein wachsender Literaturkorpus innerhalb der Organisationsforschung, der stark auf ethnographische Studien rekurriert, beschäftigt sich mit den „knowledge-creating faculties of all senses“ (Strati 1999: 13, siehe auch Warren 2002, 2008) und folgt damit einem Ästhetikbegriff, den ich im Folgenden verwende. Dieser stellt die Erfahrungsdimension über einseitig aufgeladene Begriffe wie „Schönheit“, das „Poetische“ oder das „Irrationale“ (Seremetakis 1996: 4; für eine detaillierte Diskussion des Begriffes im Hinblick für seine Nutzbarmachung für die ethnologische Forschung siehe auch Münster 2001). Ich schlage vor, David MacDougalls Konzept sozialer Ästhetik (2006, 2007) als nützliches Werkzeug zum Verständnis der gegenseitigen Abhängigkeit von Museum als Ort und materieller Umwelt, individueller körperlicher Erfahrung und dem Management der Sinne – dem „sensory regime“ (vgl. Hooper-Greenhill 2000) heranzuziehen. David MacDougall interessierte sich zuerst für die „aesthetics of social life“ als er eine Reihe ethnographischer Filme über die Doon School, einem Jungeninternat in Nordindien, zu drehen begann (2000: 2). Er schlägt ein Verständnis von Ästhetik vor, dass den Begriff mit sinnlicher Erfahrung ohne Bewertung derselben gleichsetzt. Damit versteht er soziale Relationen und bestimmte sensorische Strukturierungen als Wahrnehmungsangebote, die besonders in von ihm als „hyperästhetisch“ bezeichneten, gestalterisch stark kontrollierten Gemeinschaften wie Schulen spürbar werden können (2007: 6). Die historisch signifikante Farbgebung der Kleidung der Schuljungen, der ritualisierte Kleiderwechsel, das Tischgeschirr und die Anordnung der Gebäude oder auch die zeitlich präzise ausgestaltete und kontrollierte Organisation des Schulalltages bilden eine „aesthetic(s) of power“ aus und erschaffen einen Sinn für Zugehörigkeit, der durch die Einkörperung dieser materiellen und sozialen Welt entsteht (2007: 109). Die soziale Umwelt der Doon School, die er in mehreren Filmprojekten begleitet hat, betrachtet er als „landscape“, die aus einer multiplen und geteilten Autorenschaft heraus über die Zeit hinweg entstanden ist und einzigartige materielle Artefakte, etwa das Blechgeschirr der Jungen, das ganz eigene sinnliche
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Eindrücke und Erinnerungen hervorruft, oder die Farbgebung der Schuluniformen beinhaltet (MacDougall 2006: 95 ff., 2007). Dieses Verständnis sozialer Ästhetik begreift diese Eindrücke als sinnliche Erkenntnis. Diese „has less to do with artistic expression and the exercise of taste than with the more mundane and pervasive forms of sensory patterning to be found in society, and the ways in which human beings experience and respond to them. It may even denote a particular set of attitudes toward how to live one’s life – in Foucault’s phrase, ‚aesthetics of existence‘.“ (MacDougall 2007: 6)
Der Organisatiossoziologe Antonio Strati legt in seinem Buch Organizations and Aesthetics (1999) ein ähnliches Verständnis des Begriffes vor. Im Unterschied zu MacDougall benennt er Gerüche, Geräusche und andere Eindrücke in Anlehnung an Latour explizit als nichtmenschliche Akteure innerhalb einer Organisation. Die Bewertung dieser Eindrücke sieht er dabei durchaus auch in ihrer Bedeutung als Auslöser von Konflikten, die Einblicke in Organisationsstrukturen bieten und auf unterschiedliche Wissensformen verweisen. Anders als MacDougall jedoch löst er sich nicht vollständig von einer Identifizierung des Ästhetischen mit „Schönheit“. So fragt er etwa auch danach, welche Managementpraktiken als stilistisch „schön“ wahrgenommen werden. Diese Vorstellung von Ästhetik, wie sie im Folgenden auch auf das Museum angewandt werden wird, oszilliert zwischen den beiden Enden eines Kontinuums. Zum einen gibt die Institution Museum eine bestimmte Ästhetik, und zwar durchaus auch im Sinne einer Idee des „Schönen“, bereits vor. Auf der anderen Seite ist das Museum ein Ort, der gelebt werden muss und dessen sensorisches Regime weniger verbindlich ist, als es der vorangegangene Abschnitt über die historische Wandlung der Zurichtung des Besucherkörpers im Museums vermuten lässt – wenn die Erfahrung des Museums als sozialer Landschaft, als Praxis des placemakings und der subjektiven Körpererfahrung aller dort anwesenden Menschen verstanden wird. Diesem Verständnis liegt wiederum eine Vorstellung vom Bewohnen eines Ortes, von emplacement zugrunde, wie sie von Tim Ingold als „dwelling perspective“ (2007b: 173) bezeichnet wird. „Landscapes are created out of people’s understanding and engagement with the world around them. They are always in process of being shaped and reshaped. Being of the moment and in process, they are always temporal. They are not a record but a recording, and this recording is much more than a reflection of human agency and action; it is creative of them.“(Bender 2002: 103, Herv. i. O.)
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Der methodologische Zugang zu den Empfindungen und Praktiken des placemaking liegt dabei konsequenterweise neben den bereits dargestellten visuellen und akustischen Prothesen im gemeinsamen Erlaufen eines Ortes, bei dem diese Hilfsmittel eingesetzt werden (siehe z. B. Ingold, Vergunst 2008, Pink 2007, 2008). Das Wissen um Räume, Orte und Pfade zwischen diesen Orten ist dabei notwendigerweise lokales Wissen, das aus Praktiken an und mit einem Ort entsteht, ausgeführt von spezifischen Menschen, die sich jedoch, gemeinsam mit ihren auf ihre Umwelt ausgerichteten Wissensbeständen unablässig bewegen: „One can no more know in places than travel in them. Rather, knowledge is regional: it is to be cultivated by moving along paths that lead around, towards or away from places, from or to places elsewhere.“ (Ingold 2000: 228 f.)
Das Museum, so meine ich, kann in vergleichbarer Weise als hyperästhetische Umwelt(en) verstanden werden. Besucher und Mitarbeiter sollen zur Gestaltung dieser Umwelt beitragen, indem sie bei der Schaffung der jeweils gewünschten sensescape helfen, wobei eine Nichtbeteiligung an unterschiedlichen Orten innerhalb des Museums unterschiedliche (oder auch gar keine) Formen der Ermächtigung und Disziplinierung mit sich bringt. Werden die Kinder im Kindermuseum beispielsweise sonntags von eigens abgestellten freiberuflichen Mitarbeitern oder entsprechend instruiertem Aufsichtspersonal aufgefordert, sich an den dort vorhandenen Experimentiermöglichkeiten durch Anfassen, Riechen oder Schmecken zu beteiligen, so zieht ein solches Verhalten in der Dauer- oder Sonderausstellung den sprichwörtlichen erhobenen Zeigefinger des Aufsichtspersonals nach sich. Individuelle sinnliche Erfahrungen (vgl. Pink 2004, 2005b, Desjarlais 2003) des Museums, zu denen ich während meiner Interviews und Spaziergänge durch das Museum Zugang erlangen wollte, führten mich dabei unausweichlich immer wieder an einen Kreuzungspunkt, den ich so nicht erwartet hatte: in die Eingangshalle, das Foyer. 5.2.2 Laufen als Wissens- und Erkenntnisform. Spaziergänge im Museum Das Material, auf das ich mich in diesem Kapitel maßgeblich beziehe, geht auf Spaziergänge durch das Museum und seine Umgebung zurück, bei denen ich das Gelände gemeinsam mit Mitarbeitern des Museums, die zumeist als Führungskräfte für die Abteilung Museumspädagogik tätig waren, erwanderte. Ich begleitete diese mit der Videokamera oder einem Tonaufnahmegerät und einem Fotoapparat. Noch häufiger brachten meine Forschungspartner ihre eigene
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Kamera mit. Dabei folgte ich der Feststellung von Ingold und Vergunst, dass Laufen eine Form des Wissens über Orte sein kann – „walking is a way of knowing“ (2008: 5) – und dass gemeinsames Laufen ein fruchtbarerer ethnographischer Ansatz sein kann, durch den die Situiertheit von Wissen und Erfahrung von Orten kommunizierbar wird (Pink 2007a, 2007b, 2008a, 2008b)9. Durch die gemeinsame Bewegung konnte ich auf das kinästhetische Empfinden und Aneignen des Raumes zurückgreifen, das auch die Mitarbeiter bei ihrem Heimischwerden an diesem Ort durchlaufen hatten: „Because motion can draw upon the kinesthetic (sic!) interplay of tactile, sonic, and visual senses, emplacement always implicates the intertwined nature of sensual bodily presence and perceptual engagement.“ (Feld 2006: 181)
Das Erlernen der riesenhaften Museumsgeographie durch Erlaufen war damit auch Teil meines Ankommens in der Institution. Das Herstellen der Fotografien während dieser Wanderungen beruhte auf der in der Erforschung von Organisationsästhetiken zunehmend umgesetzten Idee, dass visuelle Repräsentationen, die von den in einem bestimmten Arbeitsumfeld Tätigen angefertigt werden, hilfreich sind, die „largely ineffable aesthetic experience that resulted from the relationships they had with their physical surroundings“ auszudrücken (Warren 2002: 2). Nicht alle der zahlreichen Wanderungen durch das Museum – ich begleitete beinahe achtzig mehrstündige Führungen und Vermittlungsangebote und viele informelle Spaziergänge – wurden durch visuelle Repräsentationen begleitet. Der Grund hierfür lag darin, dass für einige Museumsmitarbeiter der Ort Aspekte verkörperte, die nur beschrieben, nicht aber abgebildet werden konnten und häufig imaginiert und dann erzählt wurden, ohne dass sie ein physisches Korrelat besaßen. Unsere gemeinsamen „outings“ führten uns dabei teilweise tief in das Museumsinnere, einmal sogar bis auf das Dach des Museums, das üblicherweise nicht betreten werden darf. Während der gemeinsamen Spaziergänge im Feld war es auch meine Absicht, innerhalb der museumscape in einer Weise navigieren zu lernen, die für die community of practice der Führungskräfte bedeutungsvoll war. Diese folgt ganz spezifischen Pfaden von Wissen und sinnlicher Auseinandersetzung durch das Gebäude, wenn sie in dem Museum Führungen abhielten oder sich als Besucher darin aufhielten. Darüber hinaus halfen mir diese Touren, zumindest ansatzweise bestimmte Wahrnehmungen und Erfahrungen des Ortes zu teilen und die sich teilweise überlappenden sensorischen Geographien kennenzulernen (Law 2006). Die Pfade zu 9
Eine ausführlichere Diskussion des Laufens als Feldforschungsmethode ist dem 2. Kapitel zu entnehmen.
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den persönlich bedeutungsvollen Orten innerhalb des Museums (Feld, Basso 2000, Feld 2006) entrollten sich dabei, während sie von den Forschungspartnern und mir gemeinsam hergestellt wurden, während wir uns entlang des physischen Ortes bewegten oder das imaginäre Museum betraten, während wir saßen und erzählten (Pink 2005b: 277).
5.3 AMBIVALENTE E RFAHRUNGEN K ÄLTE UND E LEGANZ
IM
F OYER :
Als ich zu meinem Interview mit Jan komme, einem Doktoranden und freiberuflichen Mitarbeiter im Vermittlungsbereich, ist es ein warmer Maitag. Das Restaurant des Museums, das Besuchern und Einheimischen exklusive Küche serviert, hat auf der Terrasse des Museums weiße Tische aufgestellt. Zu dem Ensemble gehören weiße, dreieckige Sonnenschirme. Ein neu aufgestelltes, kubusförmiges Schild kündigt in hellen Rot- und Blautönen auf weißem Grund die nächsten Sonderausstellungen an. Die für das Museum charakteristische Schrifttype, in der die Ankündigungen gehalten sind, sind auf allen gedruckten Materialien zu finden und zieren selbst die Emailsignaturen der Mitarbeiter. Üblicherweise ist die Schrift in einem klaren Rotton auf weißem Hintergrund gehalten und wird gemeinsam mit einem Logo abgedruckt, das eine zeitgenössische Adaptation des Logos der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung darstellt, von dem später noch die Rede sein wird: ein Auge. Ausschau haltend nach Jan, den ich unserer Vereinbarung gemäß im Foyer treffen will, finde ich ihn schließlich auf einer schlichten Holzbank, wo er sich mit einer Zeitung in der Hand, ermüdet von zwei Führungen, in die Sonne gesetzt hat. Wir kennen uns bereits, denn ich habe bei vielen seiner Führungen hospitiert. Weil er erschöpft ist, ändern wir unsere Pläne. Statt wieder zurück in das Museum zu gehen, lassen wir uns von der leichten Brise des nahegelegenen Großen Gartens anziehen, dem großen öffentlichen Barockpark, der an das Museum angrenzt. Ich überlasse es Jan, zu entscheiden, wo wir uns unterhalten wollen. Er hat keine Lust auf das „leicht offiziöse“ Museumscafé, in dem wir uns ursprünglich unterhalten wollten, und schlägt vor, dass wir uns lediglich einen Kaffee von dort mitnehmen. Kaum sind wir in dem vergleichsweise dunklen und kühlen Inneren des Museums angekommen, wenden wir uns nach rechts und betreten das beinahe leere, von der Klimaanlage gekühlte Restaurant „Lingner“ mit seinen schlichten Lederfreischwingern, hölzernen Tischen und roten Wänden. Als wir uns an den schwarzen Tresen stellen und zweimal einen Kaffee „to go“ bestellen, fühle ich
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mich bei dem Gedanken daran, mit einem Papierbecher und korrespondierendem Plastikdeckel durch das Museum zu laufen unangenehm berührt: dieses triviale temporäre Accessoire scheint mir innerhalb dieser hyperästhetischen Umwelt auffallend fehl am Platze. Ich will die elegante Atmosphäre nicht brechen und das Diktat, in einer Ausstellung nicht essen zu dürfen scheint sich für mich bis in die Vorräume der Ausstellung auszudehnen. Schließlich setzen wir uns auf den Rasen nahe des Museums in den Halbschatten eines Baumes. Von dort aus blicken wir auf den nordöstlichen Teil des Hauses, in dem die meisten der Büroräume untergebracht sind. Wenn ich unser Gespräch nun, in einem vergleichbar heißen Büro in England sitzend, anhöre, versetzen mich die uns umgebenden Geräusche sofort an diesen Flecken Gras zurück, Vögel singen, Autos fahren in der Ferne vorbei und in dem nahe gelegenen Schwimmbad hört man die Angstlustschreie kleiner Kinder. Während wir uns ein Paket Kekse teilen und das Aufnahmegerät läuft, erzählt Jan von seiner „geheimen Obsession“, die seine Beziehung zu dem Museum als eine äußerst visuelle spiegelt, wie er betont. Mit der in seinem Mobiltelefon eingebauten Kamera fotografiert er häufig den Eingang des Museums, durch den er sich „in Perspektive gesetzt“ fühlt. Die Architektur des Gebäudes strahlt für ihn nach wie vor die Atmosphäre eines „Tempels der Gesundheit“ aus, die an die ursprüngliche Zueignung des Museums als Hygieneausstellung während der Weimarer Republik erinnert: „Für mich ist immer wieder der Eindruck, wenn man ins Hauptportal reinkommt, ganz, ganz überwältigend. Das war ja denke ich, seitens der Architekten damals so intendiert, und von daher finde ich diese Opulenz der Größe ganz beeindruckend und ganz prägend. Und das eigentlich prägt auch die Sinnlichkeit am meisten, oder mein sinnliches Empfinden, weil diese Ausstellung, finde ich, oder das Museum generell ganz zuförderst aufs Auge wirkt. Und da kommt auch so ein bisschen vielleicht auch noch so eine Marotte dazu, dass ich, seitdem es Handykameras gibt, selbige sehr liebe, und immer mit Handykameras sehr viel gearbeitet habe. Ich habe auch irgendwann so halb ernst, halb spaßig gesagt, dass die Handykamera für mich so eine Art Werkzeug für Kunst ist, und dass ich das Handyfoto auch mal so als Kunstform begreife. Weil ich finde, man kann damit keine technisch guten Fotos als Kunstwerk machen, aber Augenblicke, Gedankensplitter, Perspektiven festhalten. Und ich habe dann irgendwann mal gemerkt, dass ich immer wieder aus der zwangsläufigen Froschperspektive auch dieses Portal hier, diesen Eingang fotografiere. So wie man ihn eben sieht, wenn man reinkommt. Dann lass ich fast immer – wie man so Marotten hat – ich gehe meistens so halbrechts rein, manchmal sogar fast unbewusst im Goldenen Schnitt, also so die zweite Sprosse da, dass ich diesen Durchlass wähle, und dass ich dann immer noch den Blick immer nach links oben werfe. Vor allem,
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wenn der blaue Himmel sich gegen das weiß so abhebt – und das ist für mich so der unmittelbarste und wuchtigste sinnliche Eindruck auch, den ich habe, würde ich sagen.“
Das monochrome Weiß des Gebäudes, die während der Generalsanierung durch den Architekten Peter Kulka wieder hergestellte Originalfarbe, erscheint Jan „extrem klinisch, obwohl wir ja eigentlich genau das Gegenteil wollen, und keine klinische Atmosphäre. Seltsam dass es dann in so einem klinischen Weiß daherkommt!“
Abbildung 5: Abbildung des Museumseinganges die mit der von Jan eingenommenen Perspektive übereinstimmt.
Quelle: Susanne Schmitt
Jan führt seine Erfahrung mit seinem Arbeitsort auf seine „visuelle Obsession“ zurück, auf die Visualität der musealen Repräsentation und auf eine architektonische Gestaltung der dreißiger Jahre, die darauf abzielte, Besucher zu beeindrucken und in Perspektive zu setzen, sobald sie dem Thema Körper und Gesundheit begegneten. Wie er weiter erklärt, indem er seine Hände benutzt, um gestikulierend das Innere des Gebäudes hervorzurufen, korrespondiert dessen schiere Größe mit seinem Eindruck: „Ich bin immer wieder von der Größe dieses Gebäudes beeindruckt. Also ich finde, die Ausdehnung einfach, die räumliche, die erfährt man ja auch […], wenn man allein aus dem Kindermuseum in den Mitarbeiterraum läuft, da ist man schon eine Weile unterwegs. Und mir wurde das ganz schnell klar, als ich hier anfing zu arbeiten, dass das Gebäude von der Fläche her eine ähnlich große Ausdehnung hat wie der Dresdner Zwinger, beziehungsweise sogar ein bisschen größer ist, und man kann hier richtig Wege zurücklegen, und das merkt man ja auch irgendwo.“
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Indem wir über unterschiedliche Orte innerhalb des Museums sprachen, erwanderten wir gleichzeitig das Imaginäre des Museums (vgl. Pink 2007b: 240): die verborgenen, geheimen und unsichtbaren Plätze, die das Museum, davon war Jan überzeugt, beherbergen musste: „Warum, zum Beispiel, hält der Aufzug immer in der zweiten Etage wenn es doch offensichtlich vier Stockwerke gibt? Das Haus ist definitiv größer!“ Abbildung 6: Die Sitzbänke im Eingangsbereich des Museums, ein beliebter Treffpunkt. Hinter der Glaswand ist der Innenhof zu sehen, der Elisabeth zufolge zu der eleganten Atmosphäre des Gebäudes beiträgt.
Quelle: Susanne Schmitt
Jan setzt sich vor allem mit der Außenseite des Museums auseinander, indem er sie beispielsweise mit seinem Handy fotografiert. Die Größe des Museums, seine Helligkeit und die verborgenen Zonen, die er darin vermutet, verbinden sich zu einer Erfahrung, die Kategorien wie Aussehen, Ausdehnung und Bewegung beinhalten und Eindrücke hervorrufen, die zwar unter dem Überbegriff „sinnliche Erfahrung“ gefasst werden können, sich aber nicht auf einen isolierten Sinneseindruck reduzieren lassen. Den meist als Foyer bezeichneten Eingangsbereich des Museums bezeichnen viele der im Museum Beschäftigten als einen wesentlichen Punkt, in dem sich sowohl Aspekte ihrer täglichen Führungspraxis als auch ihrer leiblichen Erfahrungen der Organisation verdichten. Dem Foyer kommt innerhalb des Hauses eine besondere Bedeutung zu, da es auch ein Kreuzungspunkt unterschiedlicher Pfade von Besucherinnen und Museumsmitarbeitern ist: während sich hier die Besucher treffen und Tickets kaufen oder auf den Beginn der Führungen warten, treffen sich hier die Mitarbeiter des Kinder-
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museums und warten auf Schulklassen. Während sie einen kurzen Schwatz mit den Mitarbeiterinnen an der Kasse halten, bevor sie die Treppe nach unten in das Kindermuseum führt. Diejenigen, die jenseits der für die Besucher zugänglichen Bereiche arbeiten, werfen vielleicht nur einen kurzen Blick in das Foyer, der dennoch selten ausbleibt, „es ist so kalt, aber auch beruhigend, du weißt wirklich, dass du jetzt an einem anderen Ort bist“, wie die freiberufliche Museumsführerin Katja es formuliert. Das Museum kann demzufolge als Netzwerk aus Pfaden und Punkten des Überganges verstanden werden(siehe auch Young 1997: 12). Die Museumsmitarbeiter, die ich begleitet habe, nehmen das Museum als einen Ort wahr, der aus mehr oder weniger zugänglichen Regionen besteht. An dem granitgrauen Kassenbereich des Foyers lehnend, hatte ich schon vor geraumer Zeit von einem Mitarbeiter, der auf eine Gruppe sechsjähriger Geburtstagsgäste wartete, das Folgende erfahren: „Die Leute die hier arbeiten sind wie Kometen im Weltraum. Wir schießen hier nur alle durch. Du weißt nie wirklich was sich hinter den steinernen Löwen eigentlich abspielt. Manche gehen dahin, nur um ihre Rechnungen abzuliefern, aber ich gebe sie lieber nur im Besucherservice ab.“
Die erwähnten steinernen Löwen markieren den Treppenaufgang zum Bürotrakt, in dem Verwaltung, Presseabteilung und die für die Ausstellungsinhalte Verantwortlichen arbeiten. Von diesem Bereich ist die Region „Foyer“ abgegrenzt – und dient doch den diesseits wie jenseits der Löwen Ansässigen als Referenzpunkt für die eigene berufliche Identität: „Es ist so elegant, dass ich einfach stolz bin hier zu arbeiten“, so empfindet es eine der Kuratorinnen. Die Menschen, die ich während meiner Feldforschung begleitet habe, teilten, obgleich ihre individuellen sinnlichen Erfahrungen mit dem Museum sicher ganz unterschiedlich waren, eine Vorstellung einer gemeinsam erlebten Ästhetik, deren Zuspitzung und zuvörderste Repräsentation das Foyer verkörperte – so wie es auch die Beschreibung von Katja, die besonders häufig im Kindermuseum arbeitet, enthüllt. Als wir uns zu einem ausführlicheren Gespräch trafen, wählte sie dafür einen Ort, der den meisten freien Mitarbeitern des Museums gar nicht bekannt war: die Teeküche innerhalb des kürzlich renovierten Büroflügels jenseits der steinernen Löwen. An diesem Samstagmorgen arbeitete dort niemand. Vor dem Betreten des Bürotraktes müssen wir unsere Unterschriften bei einem Mitarbeiter der externen Sicherheitsfirma hinterlassen, bevor wir uns auf den Holzstühlen der kleinen Küche niederlassen können. Dort fasst Katja nochmals ihren Eindruck des Museums zusammen:
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„Kalt. Sehr kalt. Das widerspricht sich sehr. Die Ausstellungen, wenn man erst mal da angekommen ist, sind recht bunt und sehr lebhaft, aber bis dahin ist alles so trist und so – wie so in einem Kühlschrank fühle ich mich hier immer. Es ist wie so ein riesengroßes Regal, wo so kleine, kleine Kästchen drin sind, in denen was Schönes ist. Das ist für mich immer wie ein großer Widerspruch. Eigentlich gefällt es mir ganz gut, weil ich so diese Kontraste auch sehr gerne mag.“
Diese Erfahrung des Gegensatzes von Kühle und Lebendigkeit wird von anderen Museumsmitarbeitern geteilt: „Manchmal stört es mich aber auch. Also wenn ich unten in das kalte Foyer hereinkomme, da denke ich wirklich an Hygiene im Sinne der Sauberkeit und nicht an so was wie Kindermuseum, wo es rot und gelb ist und große Sachen zum Anfassen sind. Den Eindruck vermittelt es mir nicht.“10
Die Historisierung des Gebäudes macht für einen weiteren Mitarbeiter die Wirkung des Gebäudes nachvollziehbar. Dabei bezieht er sich auf den Stil der „Neuen Sachlichkeit“11 der 1920er Jahre, der mit seinen klaren Konturen als Vorläufer der Bauhausarchitektur gilt: „Also wenn ich hier reinkomme, und habe das Museum an sich, habe ich einen Bau der Neuen Sachlichkeit, der klar strukturiert ist und teilweise kalt wirkt, was aber dazu gehört, also ich empfinde das einfach so. Der ist in dieser Epoche entstanden, und deswegen sieht das halt so aus. Und im Kindermuseum habe ich inzwischen das Gefühl, dass alles sehr gelb ist, das ist so mein Eindruck. Das ist alles so – wow – gelb!“
Im Kontrast dazu steht also das Kindermuseum, das ganz in Gelb gehalten ist und eine Reaktion hervorruft, die Matthias mit dem Ausdruck „wow!“ beschreibt. Eine weitere Spielart der Ambivalenz der Empfindung, zwischen „schön“ und „schrecklich“, stellt Sibylle zur Verfügung, indem sie den Begriff „steinig“ bemüht:
10 Zu den populärsten Elementen des Kindermuseums zählen stark vergrößerte Modelle der menschlichen Sinnesorgane, ein ebenfalls stark vergrößertes bespielbares Klavier sowie ein Spiegellabyrinth. 11 Zur Architektur und Baugeschichte des Deutschen Hygiene-Museums siehe Schulte, Sabine (2001): Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden von Wilhelm Kreis. Biographie eines Museums der Weimarer Republik sowie kursorisch auch Kutschera, Ehlers und Möge (2006: 156 f.).
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„Was ich ganz schrecklich finde, ist, dass es so steinig wird. Also das ganze Museum ist ein großer Steinklotz, und vorne der Platz ist jetzt so eine Riesenrampe aus Stein und Beton, das stört mich. Das sieht zwar irgendwie schön aus, sehr, sehr groß und mächtig, aber mir fehlt total das Grün oder die Natur. Und das merke ich dann oft, wenn ich hier herkomme, da fühle ich mich unwohl, so ein bisschen.“
Das Steinige, die Kühle, die Sachlichkeit, die Weite: diese Begriffe ziehen sich motivisch durch die Beschreibungen der Museumsmitarbeiterinnen, wie die folgenden Interviewausschnitte verdeutlichen: „Der Raum und die Weite, und ich glaube, ich habe es auch immer so als kühl empfunden.“ „Ja, wobei ich das jetzt nicht im negativen Sinne sagen würde. So eine sachliche, klare Struktur. Ich mag die Farben. Oben, in dem neuen Essensraum, da gibt es ja auch diesen roten Boden. Dieses Grau, das finde ich kühl, und dann die Farbtupfer, dieses Grün vom Museumsshop und dann die bunten Sitzkissen. Ich mag auch dieses Flächige, dass es nicht so gemustert ist. Und auch die Räume, zu denen habe ich ganz starke Farbassoziationen. Braun der erste Raum, das Holz, dann blau.“
Der Kontrast zwischen Buntheit und Weite, die oft mit Kühle und Sachlichkeit einhergeht, wird auch in der Erzählung einer ehemaligen Mitarbeiterin des Museums deutlich, die sich an ihre Eindrücke erinnert: „Ich mag auch diesen Blick in den Innenhof. Diese Weite. Dass da dieses ganze Museum in seiner Wichtigkeit, nein, eher, Dimension dann erkennbar wird. Dass sozusagen sich der Eindruck von außen innen spiegelt. Da fällt mir auch ein, dass ich den Museumsshop nicht mag, mit dem ganzen Kitsch und Krempel. Wo das Museum an sich doch so klar ist, da ist der Shop einfach total zugestopft.“
Kühle, Weite, Flächigkeit und der Kontrast zu dem bunten Kindermuseum, dem gut besuchten Museumsshop und die pinken Sitzkissen kommen in den Schilderungen häufig vor. Die sinnlich verkörperte Natur der Beziehung der Mitarbeiter zu dem Museum umfassten eine Vielzahl von Positionalitäten, die ein sinnlicher Mix kennzeichnete: das Gefühl „wie in einem Kühlschrank“ war nicht Ausdruck physischer Kälte, sondern das Empfinden von Leblosigkeit und einer Leere, die nicht gefüllt wurde, bis man das Kindermuseum betrat, das mit seiner bunten Architektur dem „hygienischen“ und „sauberen“ Gefühl des Foyers entgegentrat. Die Riesenhaftigkeit des Gebäudes, die Katja mit dem Bild der Kom-
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mode, die in den Schubladen hübsche bunte Dinge enthält, veranschaulicht, ist ein wiederkehrendes Thema in der Auseinandersetzung der Museumsmitarbeiter mit ihrer Umwelt. Die Größe und Flächigkeit des Hauses ist für Elisabeth ein Indikator institutioneller Eleganz und stellt für Jan eine kinetische Erfahrung dar, indem er sich das Haus laufend erschließt, selbst wenn er still sitzend darüber nachdenkt. Katja benutzt das Bild der Kommode hingegen, um der Kühle des Gebäudes eine konzeptionelle Bedeutung zuzuschreiben, die die Widersprüche zwischen Kälte und Buntheit auflöst. Die bunten Objekte des Kindermuseums werden zu verborgenen Schätzen, zu denen der Weg durch das kühle Foyer gefunden werden muss. Die von meinen Forschungspartnerinnen und Forschungspartnern verwendeten Schilderungen und Begriffe entstanden in Rahmen von Spaziergängen und Gesprächen, in denen wir über ihre Eindrücke des Museums sprachen. Obwohl ich dabei auch nach Erfahrungen wie Gerüchen und Klängen fragte, führten die Antworten Erfahrungen an, die synästhetisch verschiedene Sinneseindrücke verbinden und mit Bedeutung belegen (vgl. Pink 2005b, 2009: 92 f. zu der Konzeption von „frischer“ Wäsche im Rahmen sensorisch ausgerichteter Interviews). Diese Erfahrungen konstituieren die atmosphärischen Konturen des Museums, die sich innerhalb des historischen Eingangsbereiches oder auch, wie das mit Jan geführte Interview zeigte, an dem nur von Außen erkennbaren architektonischen Grundgerüst des Museums abzeichnen. Robert Desjarlais beschreibt in seiner Ethnographie einer Unterkunft für Obdachlose und psychisch kranke Männer die subjektiven Welten der dort untergekommenen Männer, die von den „sinnlichen Konturen“ dieses Sozialprojektes bestimmt werden, an deren Erschaffung sie trotz aller Reglementierung selbst teilhaben. Ihr Erleben bewegt sich zwischen Bewegung und Stillstand, zwischen Gefühlen von Lebendigkeit und Betäubtheit (2006: 369, 378). Die Unterkunft ermöglicht ein Empfinden von Routine und Sicherheit, die von den Bedürfnissen nach „feeling alive“ in Frage gestellt und herausgefordert werden (ibid.). In vergleichbarer Weise werden die individuellen Erfahrungen, die die Museumsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben, durch die Vorgaben der materiellen Strukturierung des Gebäudes ebenso wie durch bestimmte Reglementierungen ermöglicht. Diese bestehen beispielsweise in den Leitlinien vorschriftsgemäßer Kleidung, die eine bestimmte Ästhetik der Institution repräsentieren sollen. Doch auch die aus konservatorischen Gründen erforderliche niedrige Temperatur des Gebäudes zählt zu den Aktanten innerhalb des Gebäudes. Im Folgenden wird der Aspekt der „Kälte“ oder „Kühle“, welcher dem Arbeistplatz Hygiene-Museum häufig zugeschrieben wird, gesondert dargestellt und diskutiert werden. Dies geschieht, weil sich anhand dieses durchweg besonders präsenten und beschrie-
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benen sinnlichen Eindruckes gut illustrieren lässt, wie sich leibliche Empfindungen und soziale Zusammenhänge im Körpererleben zusammenfinden: der Körper erscheint dabei nicht nur als Symbol bestimmter sozialer Ordnungsmuster (Douglas 1998), sondern als ein im Prozess ständiger Bewegung erlebter Leib (vgl. Schmitz, Degele 2010). 5.3.1 Kälte als multisensorische Erfahrungskategorie Die Kühle des Museums, die mit der Vista des Museumsgebäudes von Außen und dem Foyer assoziiert wird, dominiert als eine Erfahrung des Museums als Ganzem, ohne notwendigerweise negative Konnotation zu transportieren. Die von meinen Forschungspartnerinnen gebrauchte kulturelle Kategorie „Kälte“ beherbergt eine Vielzahl von Erfahrung und Empfindungen, die von einer erfrischenden Erfahrung räumlicher Weite hin zu der empfundenen Notwendigkeit reichen, sich mit einer gesonderten Schicht warmer Kleidung gegen die niedrige Temperatur zu schützen. So erinnert sich Jan: „Als ich das erste Jahr hier gearbeitet habe, habe ich im Winter schon gesundheitliche Probleme gehabt; in der Form, dass ich auch eine Kehlkopfentzündung mal hatte, dass mir ständig zu kalt war – ich bin da drin wie so ein kleiner Kosmonaut rumgelaufen, mit zwei T-Shirts unter den Hemden und noch einem Pullover darüber und ich weiß nicht, ob es einfach daran lag, dass ich da generell gerade irgendwie ein angegriffenes Immunsystem hatte oder dass der Winter hart war.“
Er führt sein Kälteempfinden auf die Anstrengungen zurück, die die Anpassung und das Heimischwerden in einer neuen Umgebung, einer neuen beruflichen Identität und neuer Routinen des Arbeitslebens für ihn bedeuten. Auch Elisabeth hatte Erfahrungen mit einer kühlen Insel innerhalb des Museums gemacht, die sie als höchst angenehm empfunden hatte. Die Klimaanlage der Dauerausstellung empfand sie als entspannend und beruhigend und ließ sie dem Betreten der Dauerausstellung mit Besuchern während der Führungen freudig entgegensehen: „Also vom Gefühl her, so ne Temperatur, die deine eigene Aufregung so ein bisschen runterreguliert, so speziell in der Dauerausstellung find ich es supertoll.“ Umgeben von einer Gruppe Menschen, die Wärme ausstrahlen, und aufgeregt durch die exponierte Position war die Klimaanlage eine wesentliche, für alle anderen unsichtbare Verbündete bei der Aufrechterhaltung einer professionellen, eleganten Position gegenüber den Besuchern.
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Lediglich von Seiten der Kulturgeographie ist in letzter Zeit der Beeinflussung der Umgebungstemperatur etwas Aufmerksamkeit gewidmet worden. Es wurde reflektiert, dass „the envelopes of ambient air that encase people can have profound effects upon their actions and experiences“ (Hitchins, Lee 2008: 253). Der Wirkweise von Kälte und Temperatur ist nach meinem Wissen innerhalb einer sensorisch ausgerichteten Ethnologie bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Eine Ausnahme, die allerdings vor allem Sekundärquellen bemüht, bildet Constance Classen mit ihrer Schilderung der thermalen Kosmologie der Tzotzil in Mexiko. Sie notiert, wie „colors, food and even speech are classified as hot or cold“, wobei, so Classen, die „social order of the Tzotzil is structured according to the thermal order of the cosmos, with the most important members associated with the hot rising sun, and the least important with the cold setting sun.“ (1993: 124, 125)
Thermaler Symbolismus tritt auch in den frühen Arbeiten Margaret Meads über die Arapesh hervor, wo Frauen als kalt, Männer hingegen als heiß gedacht werden (2002).12 Gegenderte Temperatursymbolsysteme erscheinen auch in europäischem Kontext, wobei „in pre-modernity heat was generally ascribed positive masculine values while cold was ascribed negative feminine values“. Dieses System der Assoziation von Geschlecht mit Hitze oder Kälte war variabel im Zuge europäischer Expansion auf Menschen anderer geographischer Regionen anwendbar, die als das Andere des wohltemperierten Europäers konstruiert wurden: „Beginning in the renaissance, this system of gender classification by temperature was largely discarded and an alternative thermal scheme promoted whereby non-Europeans were negatively typed as hot and Europeans positively typed as temperate or cold.“ (Classen 1998: 166)
In vergleichbarer Weise sind die Kategorien „heiß“ und „kalt“ innerhalb der medical anthropology im Hinblick auf indigene Krankheitsätiologie, Diätetik und Heilungsmethoden diskutiert worden, wobei diese meist auf humoralpa-
12 Das Gegensatzpaar „Hitze“ und „Kälte“ wird auch von Claude Lévi-Strauss im Sinne eines Paares binärer Oppositionen beschrieben. Dies führt er in seinem Band Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte (1976) aus. Beispiele für Mythen, in denen Hitze bzw. Wärme und Kühle relevant sind, werden in den Bänden 1 und 2 der Mythologica IV (1975) vorgehalten (siehe zum Beispiel S. 212 f., 616 ff.).
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thologische Ideen zurückgeführt werden, bei denen ein Gleichgewicht zwischen Hitze und Kälte durch Ernährungspraktiken und gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie das Aufsuchen und Vermeiden bestimmter Umwelteinflüsse und Heilungspraktiken herbeigeführt werden muss (für einen Überblick siehe Chevalier, Bain 2003). Ein Ansatz, der sich weniger an Klassifikation und Zuordnung, sondern an leibliche Erfahrung richtet, liegt beispielsweise für die Erforschung von mit Klimaanlagen temperierten Räumen in Singapur vor (Hitchings, Lee 2008).Die Erfahrungen von Kälte und Kühle im Museum sind weniger als konzeptionellkosmologisch, sondern als Alltagserfahrungen zu deuten, bei denen eine thermale Tendenz individuelle Deutungen erfährt. Sowohl Hitze als auch Kälte sind dabei, so schlage ich vor, als Spiegel von Soziabilität und zwischenmenschlicher Verdichtung zu lesen, wie die Kuratorin einer Sonderausstellung berichtet: „Das Museum ist kalt, auf jeden Fall. Außer in den Ausstellungen, da ist es eher warm, heiß, in der Dauerausstellung vor allem, wenn da so viele Menschen sind. Wenn es so belebt ist, wenn viel los ist und man nahe beieinander ist und sich drängelt.“
Die Kälte des Gebäudes umfasst dabei Aspekte, die sich zwischen Metapher13 und Erfahrung bewegen (Low 2003). Caroline Potter berichtet in ihren ethnographischen Beschreibungen britischer Profitänzer von der Bedeutung von Hitze, die etwa in den Aufwärmübungen bewusst herbeigeführt wird, weil kalte Muskeln als eine der Hauptursachen für Verletzungen betrachtet werden (2008: 454). Die von den anderen Tänzern abgegebene Wärme deutet Potter aber auch als soziale Wärme, die an die von Jan während des Einarbeitungsprozesses empfundene Kühle denken lässt: „Perhaps most importantly, heat in the studio was a means of sensing the life force of others. When students entered a studio for their second class of the day, they were often hit by a palpable, dense heat that indicated the recent occupation of the space by others.“(Potter 2008: 455)14
13 George Lakoff und und Mark Johnson zeigen in ihrem Werk Leben in Metaphern (2003) auf, wie Konzepte, die im Alltag wirksam werden, nach denen wir wahrnehmen und handeln, in Sprachbildern kodiert sind. Ein Beispiel hierfür ist „Argumentieren ist Krieg“ (3), ein Konzept, welches sich in Redewendungen wie „Angreifen von Schwachpunkten“ niederschlägt (ibid.). 14 Geurts beschreibt aus einer sensorisch-interpretativen Perspektive auch „erhitzende“ sowie abkühlende Tänze der Anlo-Ewe (2002a: 156–159). Hierbei widmet sie sich
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In ähnlicher Weise, wie die von Potter begleiteten Ballettstudenten in erster Linie auf kinästhetische Wahrnehmungsformen zurückgriffen, Körperwahrnehmung und Raumerfahrung schulten, um ihre Kunst zu erlernen und in der Gemeinschaft britischer Profitänzer sozialisiert zu werden (2008: 446), befinden sich auch die Mitarbeiter des Hygiene-Museums in einem Lernprozess, der mit Bewegung untrennbar verknüpft ist. Ebenso sind Empfindungen von „Kälte“, die sich in Farbgebung sowie in gefühlter Weite und Assoziationen zu Desinfektionsanstalten der Weimarer Republik äußert, aus kuratorischer Sicht notwendig um Führungskräfte zu beruhigen; sie sind nicht nur Ausdruck ausschließlich individueller sinnlicher Erfahrungen, sondern Spiegel einer bestimmten Interpretation von Soziabilität. Adam Yuet Chau zeigt anhand seiner Ethnographie nordchinesischer Tempelfeste, wie soziale Akteure an der Herstellung einer sinnlich reichhaltigen sozialen Welt beteiligt sind, indem sie honghua, „red-hot sociality“ (2008: 486) erzeugen: „The heat in honghuo (red-fiery) and re’nao (hot-noisy) is thought to reside in the social gathering and is not necessarily a physical/physiological sensation felt by the people in the gathering. What is felt by the people, however, is what I would like to call ‚sociothermic affect‘, a diffuse psychosomatic sense of satisfaction and fulfillment resulting from having partaken in, and co-producing, red-hot sociality.“ (2008: 488)
Chau differenziert hier zwischen einer physiologisch begründeten Wahrnehmung von Temperatur und der Interpretation eines religiösen Ereignisses als „heiß“, zu dem die Akteure selbst beigetragen haben. Die Bedeutung, die er der aktiven Kreation von sinnlicher Umwelt durch die Festbesucher zubilligt, ist dabei fundamental und auch auf die Herstellung einer spezifischen Atmosphäre im Museum durch die Mitarbeiter transferierbar, wie wir gleich sehen werden. Es bleibt jedoch zu hinterfragen, ob eine strikte Differenzierung zwischen Sensation und Affekt in der Deutung dieses Ereignisses notwendig ist, folgt sie doch einer spezifischen Auffassung vom Wesen der Sinne, wie sie für das biomedizinischwestliche Modell typisch ist (vgl. Geurts 2002a). Zwischen der Interpretation der Tempelfeste im nördlichen Shaanxi durch Chau und meiner Interpreation der Kühle und Kälte des Museums, die von den dortigen Akteuren im Foyer verortet wird, lassen sich also einige Parallelen und Unterschiede festmachen:auch wenn die Kontexte höchst unterschiedlich sind, kann die soziale Temperierung eines
allerdings, anders als Potter und Chau, weniger der produktiven Bedeutung der Sinne im Hinblick auf Soziabilität.
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Ortes sowohl als Metapher als auch als leiblich spürbares Phänomen verstanden werden. Zusammenfassung Die sinnliche Erfahrung des Museums wird häufig in Begriffen ausgedrückt, die über das populäre „wissenschaftliche“ Fünf-Sinne-Sensorium hinausgehen (vgl. z. B. Pink 2007a, Potter 2008: 445 f.), indem Kategorien wie Eleganz und Kühle hinzugefügt werden. Empfindungen von Weite, Weiße und Buntheit sowie das Gefühl, ein wenig zu frösteln, bilden eine Kategorie, die heterogen ist und unterschiedlich bewertet wird. Eine simple Analogie etwa zwischen Kühle und sozialer Distanz herzustellen, wie sie die zitierten symboltheoretisch operierenden Ansätze vertreten, ist daher nicht zielführend. Die Charakterisierung des Museums als „kalter Ort“ ist den dort Arbeitenden vertraut und wird mit seiner Vergangenheit in Bezug gesetzt. Diese Deutung bleibt nicht unangegriffen. Genauso, wie die Klimaanlage ein Instrument des Emotionsmanagements für Elisabeth ist, stellt sich Anna gegen diese Deutung: „Es ist gar nicht so kalt, wie die Leute immer sagen. Ich würde eher sagen es ist weit, und offen, und frei.“ Die sensorisch-affektiven Konturen des Ortes ebenso wie die aktive partizipatorische Rolle der Museumsmitarbeiter bei der Institutionalisierung einer bestimmten lokalen Ästhetik werden im Folgenden anhand der Betrachtung einer ausgewählten Strategie der Körperinszenierung dargestellt, nämlich anhand der Praktiken des Sich-Kleidens. 5.3.2 Gänsehaut, soziale Haut und zweite Haut Der vom musealen Raum ausgehenden Kühle und Kälte wird mit der passenden Bekleidung15 begegnet, einer Hülle, die über ihre Funktion als Schutz vor Gänsehaut hinaus weitere Aspekte der Organisationsästhetik (Strati 1999) enthüllt. Die Kleidungsstücke der im Führungsbereich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf die ich mich im Folgenden beziehe, sind Artefakte, die von außen in das Museum hineingebracht werden. Ihre Auswahl ist das Resultat eines indivi-
15 Einen umfassenderen Überblick über die aktuelle ethnologische Diskussion von Kleidung bieten Entwistle (2010: 57 ff.) sowie Hansen (2004). Häufig wird in kulturwissenschaftlichen Analysen auch zwischen fashion im Sinne von Mode und dress im allgemeineren Sinne von Bekleidung differenziert, wobei „Mode“ der westlichen Moderne zugeschrieben wird (vgl. Entwistle 2010: 42 f.). Neuere Beiträge hinterfragen diese Dichotomie jedoch zu Recht kritisch (siehe z. B. Küchler, Miller 2005).
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duellen Aushandlungsprozesses, der zwischen Disziplinierung und Ermächtigung oszilliert, bei dem auf die Ansprüche der Institution Rücksicht genommen wird und Praktiken des „richtigen Sehens“ Praktiken des „richtig Aussehens“ vorangehen. Freilich beziehen sich alle Akteure in ihren Praktiken des Sich-Kleidens und der körperlichen Selbstführung auf ihre jeweiligen Arbeitskontexte. Dabei ist die Art der Kleidung sowohl auf den Ort als auch auf die dort stattfindende eigentliche Aktivität abgestimmt. Während den Mitarbeitern des vom Museum beauftragten externen Sicherheitsdienstes ihre Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt wird, müssen die Angestellten des Museums für ihre Präsentation im beruflichen Feld selbst aufkommen. Für die freien Mitarbeiter gelten hierbei schriftlich festgehaltene Regeln, die vorsehen, dass die Kleidung „seriös“ gehalten sein soll. Frauen sollen die Schultern und Oberarme bedeckt halten. Die Mitarbeiter des Sicherheitsservices hingegen tragen schwarze Kleidung, die Mitarbeiterinnen rote Halstücher und die Mitarbeiter rote Fliegen. Durch Namensschilder sind sie alle als Repräsentanten des Museums sichtbar, wobei die freien Mitarbeiter Namensschilder mit ausgeschriebenem Namen erhalten, die Kräfte des Sicherheitsdienstes sich jedoch auf ihre Nachnamen beschränken müssen. Auch diejenigen Museumsmitarbeiter, die im Berufsalltag nicht regelmäßig Kontakt mit den Besuchern haben, besitzen ein Namensschild, das sie bei Bedarf verwenden. Besonders relevant ist dies für die konzeptionell tätigen Museumspädagoginnen, die häufig zwischen den Sphären der Büros und den Ausstellungsräumen wechseln und auch einige eigene Führungen anbieten. Das Namensschild sowie ein Jackett, das sonst im Büro an einem Kleiderbügel hängt, markieren hier den Unterschied zwischen Innen und Außen. Das Namensschild muss im Museum verbleiben und darf nicht mit nach Hause genommen werden, so dass neben dem Anlegen der richtigen Kleidung für den Arbeitsalltag oder für eine Museumsführung, was in aller Regel zu Hause geschieht, auch das Anstecken des Schildes den Übertritt in den beruflichen Auftritt markiert. Zahlreiche der in den diversen museumspädagogischen Formaten auf freiberuflicher Basis eingesetzten Mitarbeiter sind entweder Studenten oder aber auf selbstständiger Basis neben der Tätigkeit im Hygiene-Museum in anderen Formaten der Kulturvermittlung oder der touristischen Stadtführungen tätig. Die Übergänge sind hierbei fließend und schlagen sich teilweise auch in dem ökonomischen Kapital nieder, das für die Anschaffung der richtigen Museumskleidung aufgewandt werden kann. Gerade anhand derjenigen freien Mitarbeiter aber, die noch dem Studienumfeld verhaftet sind, in dem andere Inszenierungsregeln herrschen als in einer gehobenen Kulturinstitution, wird die Veränderung des Habitus, die sich auch in den dazu erforderlichen Konsumptionspraktiken äußert, besonders deutlich.
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5.4 „S OLCHE K LAMOTTEN HÄTTE ICH MIR FRÜHER GEKAUFT !“ S ELBSTINSZENIERUNG DER M USEUMSMITARBEITER ZWISCHEN G ENUSS UND D ISZIPLINIERUNG
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NIE
Durch die Wahl der „richtigen“ Kleidung tritt ein fundamentaler Aspekt der Museumsästhetik hervor, dem ich mich im Folgenden zunächst mit Hilfe des Begriffes der Eleganz (frz. élégant < lat. elegans: wählerisch, geschmackvoll, Duden 2007) annähern möchte. Das Zitat „Solche Klamotten hätte ich mir früher nie gekauft“, das aus einem Gespräch mit Saskia stammt, verweist dabei auf einen möglichen Prozess der Subjektivierung, der, so betrachteten es viele der Führungskräfte, mit denen ich gesprochen habe, mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses im Museum in Zusammenhang steht und Elemente des Selbstmanagements und der Übung, des „In-die-Lehre-Gehen“ beinhaltet. Gleichzeitig kann die Tätigkeit an einem „eleganten“ Ort aber auch ein Element umfassenderer Projekte der Selbst-Konstituierung sein. Im Gegensatz zu Begriffen wie „Professionalität“, oder „korrektem Auftreten“, mit denen sich die Äußerungen meiner Forschungspartnerinnen über ihren Kleidungsstil ebenfalls paraphrasieren ließen, handelt es sich bei dem Begriff der Eleganz um eine emische Kategorie, die spezifisch auf die ästhetische Dimension des Museums Bezug nimmt. Bei den Praktiken des Sich-Kleidens kommen persönliche Handlungsfähigkeit, aber auch die Verkörperung der als angemessen empfundenen Ästhetik zum Ausdruck. Die Kleidung schützt vor der Kühle des Museums. Gleichzeitig stellt das sich Kleiden eine performative Aktivität im Sinne Goffmans (2010) dar, die gerade im Falle von Führungen durch das Museum einen Teil einer kulturellen Performance mit eigenen Inszenierungsregeln darstellt (vgl. Kapitel 6). Folglich liegt die Auswahl der für die Arbeit im Museum geeigneten Kleidung an der Schnittstelle von leiblicher Erfahrung, der Reaktion auf die als niedrig empfundene Temperatur, und der Erfordernis und dem Vergnügen sich elegant zu kleiden. Sarah Ahmed und Jackie Stacey lokalisieren in der menschlichen Haut „[…] both the locus of thinking – the site from which thinking takes place – and as the object of thought – as being already subject to interpretation and conceptualization.“ (Ahmed, Stacey 2001: 3)
Diese Schnittstelle zwischen Innen und Außen, die vielfältig lesbar ist und sozial (re-)produziert wird, wird zumindest in der Arbeitswelt Westeuropas von Klei-
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dung bedeckt und geschmückt, die die Haut schützt, ihr in ihrer kulturellen Bedeutung bei größerer Flexibilität jedoch gleicht: Ihr kommt sowohl symbolische als auch experientielle und affektive Bedeutung zu (Entwistle 2001: 35, Sweetman 2001: 65 ff.). Die „soziale Haut“ (Turner 1993), wird von Kleidung bedeckt, die ebenfalls sozial ist – sie dient als zweite Haut. Für die materiellen Schichten der Kleidung gilt damit analog die Aussage Hitchings und Lees über den Körper: „rather than investigating the interaction between bodies as though they operated within something of a conceptual vacuum, we could recast them as only two among the many material layers that constantly encase us.“ (2008: 253)
Der Soziologe Paul Sweetman beschreibt die Dimensionen der Kleidung anhand des für ihn eher ungewohnten Tragen eines Anzugs wie folgt: „When I wear a suit, I walk, feel, and act differently, and not simply because of the garment’s cultural connotations, or the fact that – as sociologist – dressing smartly is something of a novelty, but also because of the way the suit is cut, and the way its sheer materiality both enables and constrains, encouraging or demanding a certain gait, posture and demeanor, whilst simultaneously denying me the full range of bodily available were I dressed. And this is - crucially – far from simply a matter of my own individual experience of the body: it is socially significant in a number of ways.“ (Sweetman 2001: 66)
Paul Sweetman zufolge ist also das Tragen des Anzugs als sozialer Signifikationsprozess ebenso wie eine leibliche Auseinandersetzung mit Materialität zu verstehen. Semiotische Ansätze, die Kleidung und Mode als Bedeutungsträger und Zeichensysteme lesen (Barthes, Brühmann 2004), zielen auf die kommunikative Bedeutung von Kleidung ab und untersuchen dabei deren Symbolgehalt. Die hier vertretene Perspektive hingegen interpretiert Kleidung zwar ebenfalls als Zeichen innerhalb eines Aushandlungsprozesses, als „the site where the self is constituted through both its internal and external relationships“ (Woodward 2005: 22). Körper, die Materialität der Kleidung und die Performance der oder des Tragenden kommen jedoch zusätzlich in situierten körperlichen Praktiken zusammen (Woodward 2005, Entwistle 2001, Sweetman 2001, Hansen 2004).
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Abbildung 7: Der schwarze Blazer, den ich während der Feldforschung häufig trug.
Quelle: Susanne Schmitt
5.4.1 Das schwarze Jackett Als ich einen Spaziergang mit Saskia unternahm, über deren sich im Zuge ihrer Tätigkeit am Museum sich ändernden Sinn für Mode wir gleich hören werden, überreichte ich ihr als erstes mein Jackett, denn sie fror. Bei diesem Jackett handelte es sich um einen schmal sitzenden schwarzen Blazer, den ich üblicherweise trug, wenn ich Vorträge hielt. Ich stellte mir vor, dass er meine Inszenierung professioneller wirken ließ. Ich hatte ihn sehr bewusst ausgewählt, denn ich hatte, obwohl ich die thermale Kühle des Museums eher selten wahrnahm, zu Beginn beobachtet, dass die meisten der Führungskräfte eine Jacke trugen, wenn sie ihrem Publikum gegenübertraten. Da sich die Staffagen der akademischen und der musealen „Vorderbühne“ (Goffman 2009: 100) an diesen Brennpunkten der öffentlichen Inszenierung überschnitten, konnte ich auf Requisiten zurückgreifen, die in meinem Kleiderschrank bereits vorhanden waren. Dabei wählte ich häufig nicht nur Kleidungsstücke, die qualitativ besonders hochwertig waren, sondern auch solche, die ebenso ausgefallen – eigenen Geschmack verratend – wie professionell waren. Indem ich versuchte, meinen Kleidungsstil auf den „spirit of the place“ (Yancey Martin 2002: 862) abzustimmen und diesen Prozess
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in meinen Feldnotizen16 festhielt, erarbeitete ich mir einen geschulten Blick für die adäquate Kleidung. Wie ich im Folgenden ausführen werde, beruht die Wahl der richtigen Kleidung auf unterschiedlichen Strategien, die sich mit den Begriffen „Eindrucksmanagement“, wie er von Erwing Goffman (2009) verwendet wird, „skilled vision“ im Sinne Christina Grassenis (2007, 2008) und Bourdieus Feld- und Habitusbegriff erklären lassen. Indem ich mich kleidete, wie ich mich kleidete, antwortete ich auf eine soziale Ästhetik und eine Organisationsästhetik und Definitionsmacht des Feldes, die die Institution Hygiene-Museum inszenierte, reagierte manchmal auf die als niedrig empfundene Temperatur (oder verlieh bei Bedarf mein Jackett) und inszenierte mich als Akademikerin. Gleichzeitig markierten der Griff zu dem schwarzen Blazer, das Bügeln einer passenden Bluse und der prüfende Blick in den Spiegel für mich den Übertritt in das Feld. Im Folgenden wird Jan erklären, welchen Veränderungen sein Kleidungsstil unterworfen war. 5.4.2 Doing bodies: „Elegante“ Selbstinszenierung zwischen Disziplinierung und Ermächtigung Während wir vor dem Museum auf dem Rasen sitzen, beginnt Jan über den Einfluss des Arbeitens im Museum auf seinen Kleidungsstil zu sprechen. Heute trägt er ein sorgfältig gebügeltes hellblaues Hemd, Jeans und weiße Turnschuhe der Marke Adidas. Wie er mir erklärt, ist seine sehr gepflegte Inszenierung eine Erscheinung jüngeren Datums, die er als unmittelbares Ergebnis und Bedingung an diesem „eleganten Ort“ versteht: „Ich habe dieser Tage mit Wehmut zum Beispiel das Hemd entsorgt, mit dem ich hier erstmals beruflich vorstellig wurde. Ja. Es handelte sich um ein blaues, langärmliches Hemd, welches mittlerweile halt einfach zu verschlissen war, nicht. Und da fiel mir auf, schau an, das hast du damals angehabt. Und das habe ich mir aus irgendeinem Grund auch gemerkt. Und das beschreiben auch ganz viele Leute, zum Beispiel meine Partnerin auch,
16 Die mit Feldnotizen gekennzeichneten Einlassungen sind wörtliche Zitate, die aus direkten Beobachtungen stammen und entweder im Museum selbst oder während der Gespräche mit Museumsmitarbeitern an unterschiedlichen Orten Dresdens – Privatwohnungen, Cafés, dem Großen Garten oder dem Zoo – oder im unmittelbaren Anschluss daran niedergeschrieben wurden. Für eine Diskussion des durch die textuelle Repräsentation von fieldnotes in der eigentlichen Monographie hervorgerufenen „ethnographischen Naturalismus“ und den reflexiven Umgang mit Feldnotizen siehe zum Beispiel Sanjek (2000 [1990]) sowie, aus jüngerer Zeit, Kouritzin (2002).
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die ich auch hier kennengelernt habe, dass natürlich man sich äußerlich verändert. Man kann nicht mehr allzu studentisch oder allzu ökomäßig (sic!) herumlaufen; bei mir war am Anfang eher ersteres, bei ihr letzteres der Fall. Und auch sie bemerkte das mit einer gewissen Belustigung an sich selbst.“
Diese Veränderungen des Kleidungsstils sind nur ein „Symptom“ der Aneignung der Position Führungskraft. Auch in der Haltung, der Sprache und der Artikulation schreiben sich die Erfordernisse der Performance „Führungskraft“ in die Hexis, den leiblichen Aspekt des Habitus, ein (Bourdieu 2002 [1977]): Jan: „Oder dass man anfängt, anders zu sprechen. Und natürlich genießt man auch das gesprochene Wort und das Zusammensein mit Menschen wenn man hier anfängt. Weil die Besucher das Recht haben, von einer Person betreut zu werden, die auf sich achtet.“
Folgt man der Bourdieu’schen Verwendung des Begriffs des Habitus als „Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystem (principium divisionis) dieser Formen“ (Bourdieu 2008: 277 f.), so kann in dem Feld des Museums nur erfolgreich agieren, wer die dort vorhandenen Praxisformen bereits verinnerlicht hat oder dies rasch tun kann. Dabei sitzen die Akteure jedoch auf bereits vorhandenem kulturellem Kapital – im Falle der Studenten eben Bildung, aber auch ein selbstbewusstes Auftreten und geschliffene Umgangsformen, das ihnen den Zutritt in dieses Feld überhaupt erst ermöglicht hat. Dazu müssen jedoch konkrete Lernprozesse vor Ort kommen, die teils auf genauer Beobachtung beruhen und teilweise eher in Form von ästhetischer Diffusion erfolgen, wie wir gleich von den freien Mitarbeiterinnen Saskia und Elisabeth erfahren werden. Jans selbstreflexive Beobachtungen wurden von Saskia geteilt, die, genau wie Jan an einigen Stunden pro Woche am Museum tätig, ebenfalls eine Veränderung ihres Kleidungsstils bemerkt hatte, die sich auch außerhalb des verursachenden Ortes fortschrieb. Selbst während eines Einkaufsbummels in der Innenstadt leben die modischen Erfordernisse der Tätigkeit im Museum weiter, wie Saskia während eines Gespräches über ihren veränderten Kleidungsstil seit dem Beginn ihrer Arbeit im Museum erzählt: Saskia: „Ich habe zum Beispiel schon ein bisschen ein anderes Körperempfinden. Ich kleide mich anders!“ Susanne: „Wie denn?“ Saskia: „Ich kleide mich anders. Am Anfang, ganz am Anfang, als ich hier angefangen habe zu arbeiten, mittlerweile ist es auch schon über ein Jahr her, fast anderthalb Jahre …
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[…] … also jedenfalls habe ich am Anfang gedacht, gut, ich passe mich dem an, aber eigentlich ist es mir nicht so wohl dabei. Und interessanterweise ist es so, dass ich mittlerweile mir gerne sogenannte museumstaugliche Kleidungsstücke kaufe. Ich habe mich davor zum Beispiel – ich fahre gerne Fahrrad, ich fahre immer noch sehr gerne Fahrrad – und hatte davor nur – keine Ahnung, windfeste Jacke und wasser- und winddichte Schuhe. Das waren für mich Kriterien, die wichtig waren. Und ich würde nicht behaupten, dass ich mich in der Kleidung heute nicht wohl fühlen würde, aber ich ziehe sie nicht mehr an. Ich habe mir einen Mantel gekauft! Also ich meine, jede Frau hat einen Mantel, aber ich hatte eben keinen. Und ich fühle mich auch wohl darin. Und ich glaube, die Kleidung wiederum, ich meine, es ist nur das Äußere, aber es hat, glaube ich schon, mein Körperempfinden ein bisschen geändert. Aber wie es das gemacht hat, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Susanne: „Das hat es mit mir auch gemacht!“ Saskia: „Ja? Aber das heißt doch nicht, dass man sich unwohl fühlt, oder?! Aber was ist das? Spannend, oder? Oder ich habe mir Stiefel gekauft, ja. Ich meine, ich hätte früher gesagt, mit Stiefeln kann man nicht Fahrrad fahren. Das ist nicht wahr! Aber man kann nicht so gut Fahrrad fahren wie mit Klinkschuhen fürs Fahrrad, die wahrscheinlich vor anderthalb Jahren eher für mich eine Investition wert gewesen wären. Susanne: „Sag mal, ziehst du die Sachen dann nur im Museum an oder auch sonst?“ Saskia: „Nein, auch sonst!“ Susanne: „Wie müssen die sein?“ Saskia: „Die müssen …? Wie muss die Kleidung sein? Sie muss ein kleines bisschen schick sein, wobei das jetzt auch schon fast übertrieben ist, ich ziehe mich nicht wirklich schick an, aber es ist … Ja, du, klar: mein Schrank ist schwarz geworden, komischerweise. Aber ich glaube, das ist gar nicht mal so wichtig fürs Museum, wie ich das vielleicht wahrgenommen habe am Anfang. Und irgendwie so korrekt halt. Korrekt ist vielleicht auch ein bisschen falsch. Also ich ziehe nichts an, was sexy ist. Hätte ich früher sowieso auch nicht gemacht. Aber ich ziehe auch nichts an, was nur sportlich ist. Es ist halt irgendwie – mir fehlt jetzt ein Wort. Ja! Oder dass man beim Einkaufen – also ich kaufe nun nicht so gerne ein, oder ich finde es einfach anstrengend. Ich meine, ich habe natürlich gerne neue Sachen, aber ich finde den Schritt dorthin – mache ich nicht so gerne. So die Altmarktgalerie ist jetzt nicht mein Lieblingsort, riecht nicht gut, ist zu voll. Aber ich habe mir, glaube ich, schon Ewigkeiten nichts mehr gekauft, was ich hier nicht anziehen kann.“
Ebenso wie Jan schreibt sie diese Veränderungen nicht alleine der „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 2008: 168) der Institution, sondern auch dem Kontakt mit den Besuchern zu:
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„Vielleicht möchte man auch – vielleicht hat es auch gar nicht mit dem Haus zu tun, sondern auch damit, dass man den anderen Menschen etwas erzählt, und es hat sicherlich sehr viel unbewusst damit zu tun, wie möchte ich denn den anderen gegenüber auftreten. Und ich möchte den Schülern und den Kindern gegenüber nicht so auftreten, als käme ich gerade vom Joggen. Also irgendwie möchte man einen guten Eindruck machen. Vielleicht auch einen kompetenten, ich weiß es nicht, ja.“
Die Veränderungen ihres Kleidungsstils und damit die Formierung impliziten Wissens fielen zunächst nicht Saskia, sondern ihren Freunden auf. Dies verweist auf die Praktiken des Sich-Kleidens und der damit einhergehenden Konsumption als einen modus operandi im Sinne Pierre Bourdieus.17 Der Wunsch, einen kompetenten Eindruck zu erzielen, die Erwartungen an eine soziale Situation zu definieren und dafür neben einem spezifischen Einsatz von Sprache, Gesten und Körperhaltung auch einen bestimmten Kleidungsstil zu reproduzieren, entspricht der Idee der Eindrucksmanipulation nach Goffman (2009: 6). Gerade die Führungen entsprechen dabei einer theatralischen Inszenierung auf einer der Vorderbühnen des Museums, nämlich dem öffentlich zugänglichen Foyer, in dem Führungen für eigens angemeldete Gruppen begonnen werden, und dem Ausstellungsbereich. Auf der Vorderbühne gelten bestimmte Höflichkeitsregeln und sie ist „bis zu einem gewissen Maß durch Wahrnehmungsschranken begrenzt“ (2009: 100). Die „Vertraulichkeit der Hinterbühne“ (2009: 153) findet hier nicht statt. Solche Hinterbühnen existieren im Museum etwa in dem Raum der freien Mitarbeiter, der aber gerade neuen Mitarbeitern oft gar nicht bekannt und in einem Seitenflügel untergebracht ist, und in einem Raum neben dem Kindermuseum, der der Vor- und Nachbereitung der dortigen Aktivitäten dient: „Sehr häufig ist die Hinterbühne am Ende des Ortes, an dem die Vorstellung gegeben wird und ist durch eine Zwischenwand und einen behüteten Zugang von ihm getrennt. Liegen Vorderbühne und Hinterbühen so nahe zusammen, dann kann der Darsteller auf der Bühne Hilfe von der Hinterbühne bekommen, solange die Vorstellung im Gange ist […]“ (2010: 105).
Vorder- und Hinterbühne zugleich ist der bereits beschriebene Kassenaufbau, an dem die Führungskräfte sich zum informellen Gespräch treffen, während die Be17 Die Praktiken- und Habitusanalyse Pierre Bourdieus bezieht sich primär auf teilnehmende Beobachtung und damit einen Aspekt ethnographischer Praxis, der nicht auf die verbale Explizierung von Wissen abzielt. Bei Interviews steht die Analyse der Sprache als Ausdruck des Habitus im Gegensatz zu einer Analyse des gesprochenen Inhalts im Vordergrund.
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sucher ihre Eintrittskarten erwerben. Im Sinne der „skilled vision“, des geschulten Blickes, bezieht sich Elisabeth explizit auf die Leiterin des Kassenbereiches, der sie eine kritische Aufmerksamkeit auf das seriöse Auftreten der freien Mitarbeiter zuschreibt und an deren Kleiderwahl sie sich orientiert. Elisabeth bezieht sich bei ihrer Kleiderwahl grundsätzlich auf diejenigen Richtlinien, die vorschreiben, dass die Schultern bedeckt sein sollen und die Kleidung Seriosität ausstrahlen soll. Sie hat sich daran gehalten und war immer bestrebt, nicht „zu modisch“ zu erscheinen um klar zu machen, dass sie es „mehr hier oben hat“ – dabei deutet sie auf ihre Stirn. Sie führt Kolleginnen als Trägerinnen eines Kleidungsstils an, die die Seriosität und Eleganz verkörpern, an die sie sich mit ihrer eigenen Inszenierung anlehnen möchte. Diese Eleganz sieht sie in der Atmosphäre des Hauses angelegt, die ihrer Auffassung nach bewusst geschaffen wurde, um den Kulturkonsumenten ein unmittelbares Empfinden eines emplacement zu ermöglichen: „Ich glaube, die wollen einen, wenn man hier reinkommt, deswegen ist dieser elegante Duft, die wollen einen, in einem […] man fühlt sich, dieses in der Welt sein, die wollen eine bestimmte Atmosphäre vermitteln, die du mit allen Sinnen vermittelt bekommen sollst, damit du dich als Kulturkonsument in irgendeiner Form gut fühlst. Also die haben ein gehobenes Restaurant, dort geht es für mich akut um Sinne. Und zwar wird dir schon im Preis vermittelt, dass es schon schmecken soll in irgendeiner Form. Da wird versucht ein sehr exklusives Sinnekonzept zu verkaufen. Und ich weiß nicht, ob diese Geruchsempfindung „es riecht elegant“ jeder hat, aber gerade wenn man hier in das Haus kommt, dieses Sehen in den Hof, dieses gigantische Gebäude, dann diese teure Gastronomie, die dir annonciert, hier soll es dir schmecken, um deinen gehobenen Gaumen in irgendeiner Form zu befriedigen, und dann auch dieses so im Foyer, auch wenn dort viele Menschen sind, da soll es trotzdem hallen, um dir die Größe also vom Geräusch – um dir die Größe der Räume und das gigantische Konzept hier zu vermitteln, also finde ich, schon wenn man reinkommt, so um eine Atmosphäre von Sinneseindrücken, die dir vermitteln ‚Hier ist es ein ganz tolles Museum‘.“
Der Eindruck des „ganz tollen Museums“, das den an einem kulturellen Erlebnis der gehobenen Art interessierten Besucher mit allen Sinnen empfängt, ist Resultat einer Inszenierung, an der auch die offiziellen Repräsentanten der Institution teilhaben. Dies erfordert auch die Akzeptanz der Aufmerksamkeit, die man als solche oder solcher erfährt. Miriam, wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Sonderausstellungsprojektes, erinnert sich an ihre Erfahrungen mit dem eleganten Auftritt, den sie insbesondere mit der Hörbarkeit desselben in Verbindung bringt:
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„Das Museum gibt ja auch eine gewisse Eleganz schon vor. Auch wenn man hohe Absätze dort trägt. Das hallt ja dann sehr stark, das muss man wirklich dann auch entscheiden und die Aufmerksamkeit annehmen können.“
Wer hier arbeitet, wird sichtbar und hörbar und trägt dadurch zur Erschaffung eines gestimmten Raumes aktiv bei oder wiedersetzt sich dieser. Die „richtige“ Form der Sichtbarkeit, den richtigen „Look“, muss man sich erarbeiten, indem man sich an Kolleginnen und Kollegen orientiert: „Ich habe mir noch als ich hier angefangen habe geschworen: so ziehst du dich mal nicht an. So im Jackett und im Hemd rennst du da nicht rum. Dem wiedersetzt du dich. Aber nach einem halben Jahr war es dann doch bei mir soweit. Klar, ich hab das am Anfang angezogen was in den Richtlinien steht: also die Schultern bedeckt und so weiter.“
Aus meinen Gesprächen und ethnographischen Notizen wird deutlich, dass die Arbeit im Museum mit der entsprechenden Inszenierung auch ein Ausprobieren von beruflichen Identitäten und ein Spielen mit Formen der Inszenierung bedeuten kann. Die Arbeit im Museum entspricht für einige Mitarbeiterinnen einer Facette eines Selbstentwurfs, der die Aufmerksamkeit und das „Sichtbarsein“ bewusst beinhaltet. Lukas zum Beispiel fällt selbst innerhalb des Museums durch seine sehr hochwertige Kleidung, seinen perfekten Haarschnitt und seine geschliffenen Umgangsformen auf. An der Rückseite des Ledersitzes seines Audis hat er eine Spezialhalterung angebracht, an der mehrere Stücke Herrenoberbekleidung hintereinander angebracht werden können, ohne zu knittern oder zu verschmutzen. Für Lukas ist die Arbeit im Museum eine weitere Facette eines Lebensstils, in dem das Zeigen des eigenen Körpers und das entsprechende Herrichten besonders wichtig ist. Die Arbeit im Museum betrachtet er als eine Möglichkeit, gesehen zu werden. Den Körperpolitiken der Führungskräfte wohnt folglich eine politische Dimension der Distinktion inne, die wiederum mehrseitig gelesen werden kann. Bourdieu schildert Geschmack in seinem Buch Die feinen Unterschiede (2008) als einen Mechanismus der Unterscheidung sozialer Gruppen. Geschmack ist damit auch eine Machtfrage, und die konsumptiven Praktiken, wie zum Beispiel der Erwerb von Stiefeln statt von Klinkschuhen, ermöglichen es, einen Distinktionsgewinn zu erzeugen. Im sozialen Feld des Museums gelten dabei Regeln des Geschmacks, die mit den Körperprojekten der Mitarbeiter in Wechselwirkungen treten. Dieser Vorgang ist jedoch nicht einseitig als Sozialisationsprozess im Sinne Bourdieus zu verstehen, sondern vielmehr als konstanter Prozess der Aushandlung und Übung, bei der die individuelle Aneignung der ästhetischen
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Konturen der Organisation durch den einzelnen Menschen im Mittelpunkt steht. „Elegante“ Kleidung kann damit ein Akt der Selbstermächtigung und des Genusses ebenso sein wie der Normierung (vgl. Menke 2003: 294 ff.). Zu den ästhetischen Konturen des Museums tragen sie damit ebenso bei, wie sie sie sich aneignen. Der spürbare Leib bildete den Ausgangpunkt meiner Überlegungen über die Wahl der für den Arbeitsalltag im Museum passenden Kleidung. Diese steht zwischen der Haut der Mitarbeiterinnen und den Umweltbedingungen des Museums. Sie ist jedoch selbstverständlich ungleich mehr als ein reiner Schutz vor Kühle. Als Teil des Körpers und des Leibes zeigt die Kleidungswahl auf, das der Körper im Kräftespiel des Kulturbetriebes, meinem Feld, sowohl als Kapital im Sinne von Bourdieu als auch als dramaturgischer Körper verstanden werden muss.
Z USAMMENFASSUNG Dieses Kapitel widmete sich aus der Perspektive von im Museum beschäftigten Menschen dem Hygiene-Museum als durch den Körper erlebtem und durch körperliche Praxen hergestelltem Ort.Die Geschichte des Museums sowie der namensgebende Diskurs werden zu Beginn kurz erläutert. Die Gründung des Museums ist auf die höchst erfolgreiche 1. Internationale Hygieneausstellung in Dresden 1911 zurückzuführen. Das damals sehr populäre Massenmedium Weltund Hygieneausstellung vermittelte mithilfe von Visualisierung und neuen Methoden didaktischer Ausstellungsgestaltung hygienisches Wissen mit unmittelbarem Anwendungsbezug. Unter „Hygiene“ ist dabei ein Diskurs der umfassenden Subjektivierung von Gesundheit zu verstehen. Der empirische Hauptteil des Kapitels zeigt grundsätzliche Aspekte der sozialen Ästhetik des gegenwärtigen Museums auf. Basierend auf teilweise von visuellen Repräsentationen begleiteten go-alongs wird vor allem das Foyer als zentraler Kontenpunkt des Museums vorgestellt: es ist sowohl Vorder- wie auch Hinterbühne der Vermittlungsarbeit und seine von den im Museum Tätigen beschriebenen atmosphärischen Konturen verkörpern sowohl die Kühle oder Kälte als auch die Eleganz der Institution. Die Kälte oder Kühle des Museums ist eine häufig geschilderte Kategorie für Erfahrungen, die Sinneserfahrungen, aber auch soziale Bewertungen umfasst. Ihr Inhalt und ihre Bedeutungen variieren. Die Kühle wird sowohl durch die Farbe, als auch durch eine visuell-haptische Kategorie wie „steinig“ oder die Weite des Gebäudes evoziert. Während sich Katrin hier „wie in einem Kühlschrank“ fühlt, genießt Elisabeth den beruhigenden Effekt der Klimaanlage im ersten Raum der
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Dauerausstellung, und die offene Weite des Foyers lässt Saskia sich „frei fühlen“. Diese Erfahrungen sind ganz individuell, überlappen sich jedoch auch und weisen auf eine geteilte Erfahrung sozialer Ästhetik hin, die, durch die historische Architektur und das Selbstverständnis des Musuems bestimmt, in Kleidung und Habitus ihren Ausdruck finden (Bourdieu 2002). Diese „politics of sensory creation and reception“ sind Mikropolitiken des Alltagslebens (Seremetakis 1996: 14). Versuche einer „sensory ethnography“ müssen demzufolge als „cultural and social structures that sediment themselves into the deepest level of perception“ (Casey 2000: 18) interpretiert werden. Elegantes Aussehen wird zum Teil der körperlichen Praxis der Museumsarbeit und zum wichtigen Aspekt von Identität, die zum Habitus wird – „Ich weiss nicht, wie es das gemacht hat, aber es hat es gemacht“, erklärt Saskia. Eleganz als schwer zu greifendes, jedoch einzigartiges Charakteristikum wird durch die schicke Kleidung ausgedrückt und spiegelt die sorgfältig inszenierte Atmosphäre damit ebenso, wie sie sie mit erschafft. Die Eleganz des Museums, die eine Kuratorin „einfach stolz (macht), hier zu arbeiten“, wann immer sie an dem Foyer entlanggeht, ist genauso wie die „klimatische“ Wahrnehmung eine multisensorische Erfahrung. David MacDougall macht den Vorschlag, synästehtische Erfahrung und die Unteilbarkeit der Sinne ernst zu nehmen, wenn wir neue Formen der Ethnographie versuchen: „To describe the role of aesthetics properly (its phenomenological reality) we may need a ‚language‘ closer to the multidimensionality of the subject itself – that is a language operating in visual, aural, verbal, temporal and even (through synaesthetic association) tactile domains.“ (2000: 18, siehe hierzu auch Ingold 2000, Seremetakis 1996)
Diese Sprache zeigt auch, dass visuelle Wahrnehmung alleine nicht abgetan werden muss, nur um einer Kritik des Visozentrismus zuvorzukommen, wie sie durch die sensorisch ausgerichtete Ethnologie teilweise geübt wird (z. B. bei Fabian 2000: 185). Sie ist als Aspekt vielschichtiger Erfahrungen vielmehr Teil der leiblichen Erfahrung des Museums (siehe hierzu Grasseni 2008, 2009, Willerslev 2007, Ingold 2000: 253). Dieser Zugriff auf das Sehen als multisensorischer und mit verschiedenen Wissensformen verknüpfter Erfahrung steht auch im Zentrum des folgenden Abschnittes der Arbeit. Dieser schildert die Tätigkeit des „Führens“ im Museum als Ergebnis eines fortlaufenden Lernprozesses, bei dem der Körper der führenden Person zum entscheidenden kommunikativen Medium wird, welches Raum, Gegenstände und Besucher miteinander verknüpft.
6. Navigieren und Vermitteln Vom Führen und Fühlen
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Museum auf der Welt schwieriger zu führen ist als das hier. Du bist ständig mit dir selbst konfrontiert. Die Ausstellung spricht ja Lebensthemen an und man ist dann ständig mit dem Eigenen konfrontiert. Leben und Sterben etwa. Sonst kann man hier keine Führungen machen.“ (ANNE, FREIE MITARBEITERIN IN DER VERMITTLUNG)
Die Dauerausstellung des Museums ist auf den ersten, ungeschulten Blick unüberschaubar groß. Obwohl mir die Dauerausstellung nach zahlreichen Hospitationen und Spaziergängen und Unterhaltungen mit Mitarbeitern sehr vertraut ist, entdecke ich bei jedem Besuch Objekte darin, die mir bislang völlig unbekannt waren. Verteilt auf sieben Räume enthält die das gesamte erste Stockwerk des riesigen Gebäudes umfassende Ausstellung mehr als 1300 Exponate, hinter denen sich jeweils eigene Geschichten verbergen. Dazu gehören zum Beispiel Medienelemente und Texttafeln, Leseecken mit thematisch abgestimmter Literatur, eine Balancierstange, riesige menschliche Zellen zum Anfassen, Geruchsstationen mit aphrodisierenden Gerüchen, Gewebepräparate des berühmten Anatomen Werner Spalteholz, ein Frisiertisch aus der Jugendstilzeit oder Gedenktafeln, die an den Tod eines geliebten Menschen erinnern sollen. Für die sieben übergeordneten Themen der Dauerausstellung wurde jeweils ein eigener Raum gestaltet: „Der gläserne Mensch – Bilder des Menschen in den modernen Wissenschaften“, „Leben und Sterben“, „Essen und Trinken“ (vgl. Kapitel 7), „Sexualität“,
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„Erinnern – Denken – Lernen“, sowie die beiden letzten Räume „Bewegung“ und „Schönheit, Haut und Haar“. Dieses Kapitel handelt von der Kunst der Navigation und Choreographie beim Abhalten von Führungen, die nicht nur der Vermittlung von Körperwissen dienen, sondern auch durch körperliches Wissen und den Körper als Medium der Kommunikation überhaupt erst möglich werden. Um erfolgreich als Führungskraft arbeiten zu können, bedarf es eines Überblicks über die Inhalte des Museums, der neben dem Erlernen der bereits dargestellten Inszenierungsregeln Teil eines Lernprozesses und eines Prozesses der Verortung ist. Dies geschieht durch apprenticeship, durch ein situiertes „in die Lehre gehen“ (vgl. Ingold 2000), das einen eher informellen und individuellen Prozess darstellt. Ziel dieses kurzen Kapitels ist es, die Arbeit der Museumsführungen als leibliche Arbeit zu fassen, die neben dem Zugriff auf umfangreiches Faktenwissen bestimmte Arten des Sehens, der „Navigation“ und des Umgangs mit Aufzeigen und „Gesehenwerden“ als Form der Berührung und Kommunikation erfordert. Hierbei wird die Arbeit des Führens als Ausüben einer bestimmten Art des Sehens, des „Auges des Museumsführers“1, beschrieben, das Exponate, Raum und Besuchergruppen zugleich in den Blick nimmt. Das Geben von Führungen wird damit als Kunst der Improvisation und der bricolage erkennbar. Es ist sowohl Arbeit mit und durch den eigenen Körper als auch am Körper der Besucherin. Die Führungen beinhalten rituelle Elemente einer kulturellen Performance, der die Führungskräfte als Zeremonienmeister vorstehen. Neben dem geschulten Blick auf die Exponate und dem Abrufen der dazugehörigen Informationen gleicht das Geben einer Führung dabei auch dem Ablauf eines Tanzes, bei dem Bewegungsmotivationen und Blickrichtungen vorgegeben werden und die affektive Tönung, die Aufmerksamkeit und Stimmung der Teilnehmer der jeweils gerade gegebenen Performance berücksichtigt werden müssen. Die dichte Beschreibung einer mit der Videokamera aufgezeichneten Tour durch das Museum, ergänzt durch Daten aus weiteren teilnehmenden Beobachtungen bei Führungen, bilden das Kernstück dieses Kapitels (6.2). Die Analyse des Videomaterials fokussiert dabei besonders auf Fragen des Berührens und Berührt-Werdens, jeweils verstanden als umfassender Begriff jenseits des rein physiologisch Taktilen aus der Perspektive der Führungskraft. Der vorletzte Abschnitt des Kapitels (6.3) greift spezifische Vermittlungssituationen, wiederum aus dem Kontext der Dauerausstellung, heraus, um exemplarisch zu zeigen, wie somatische Formen der Aufmerksamkeit hergestellt werden. Hierbei handelt es sich um ein zentrales Element der Vermittlungs1
In Anlehnung an das von Wacquant beschriebene „Auge des Boxers“ als Resultat eines mimetischen und visuellen Lernprozesses, s. u.
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praxis. Die Inszenierung der Ausstellungsinhalte wird als Drama des Körpererlebens2 gefasst, das multisensorisch ausgerichtet ist und Sensation und Affekt verbindet. Daran anknüpfend, wird im letzten Abschnitt (6.4) die kreative Aneignung von bestehenden Objekten, die solche somatischen Formen der Aufmerksamkeit erzeugen, durch das Anlegen neuer sensorischer Zugänge beschrieben.
6.1 M USEUMSFÜHRUNGEN ALS KÖRPERLICHE P RAXIS : GESCHULTE B LICKE UND SPONTANE C HOREOGRAPHIEN „It is crucial to distinguish looking from seeing.“ (OKELY 2001: 103) „Our sight is […] never just sight – it sees what our hands can touch, our nose can smell, our tongue can taste.“ (WILLERSLEV 2007: 41)
Viele der freien Mitarbeiter kennen das Museum bereits von früheren Besuchen. Sie sind einem der in der Universitätsbibliothek aushängenden oder auf der Internetseite veröffentlichten Bewerbungsaufrufe gefolgt, um nun dort freiberuflich zu arbeiten. Ein fortgeschrittenes oder bereits absolviertes Studium in einem medizinischen, biologischen, geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fach bildet die formale Voraussetzung für ein Engagement. Überzeugt man im persönlichen Gespräch, besteht fortan die Möglichkeit, an einem oder mehreren Tagen in der Woche Ausstellungsführungen oder andere museumspädagogische Angebote zu betreuen. Die Museumspädagogin Ulrike Wuppert beschreibt noch weitere Fähigkeiten, die zukünftige Mitarbeiterinnen aufweisen sollten. Um als Vermittlerin oder als Vermittler im Museum tätig werden zu können, muss man, so Frau Wuppert, ein „Talent“ besitzen, das darin besteht,
2
Der Begriff „Drama des Körpererlebens“ wird auch von P.M. Wiedemann gebraucht (1995), bezieht sich jedoch eher auf biographische Erhebungen im Sinne von Körpererzählungen im psychotherapeutischen beziehungsweise psychosomatischen Kontext.
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„eine sinnliche Brücke zu den Besuchern zu bauen, man muss die berühren können und charismatisch sein und begeistern können, gleich unten (bei der Begrüßung im Foyer, d. A.) in der ersten Viertelstunde oder zehn Minuten, sonst kriegt man sie nicht.“ (Feldnotizen, Gespräch mit einer Museumspädagogin)
Führungen anzubieten ist körperliche Arbeit am eigenen Leib und am Leib der Besucher. Der Mediator zwischen den beiden Subjekten ist das jeweilige Objekt. Diese Objekte muss man sehen lernen – das bedeutet, man muss ihr Potential als Protagonisten einer „guten Story“ und als Aufhänger eines erfolgreichen Brückenschlags zum Besucher einschätzen können. Die Objekte werden von den Vermittlern beschrieben, nicht jedoch interpretiert. Dies ist im Einklang mit dem aktuellen museumspädagogischen Diskurs die Aufgabe der Besucher und entspricht dem Selbstbild des Museums als diskursivem Museum, das Fragen aufwirft, aber keine Antworten vorgibt. Üblicherweise lernen die neu in der Vermittlung tätigen Mitarbeiter die inhaltliche Geographie der Ausstellung mit ihren Themenräumen und Objekten anhand von Leitfäden kennen, die sie selbständig durcharbeiten. So erarbeiten sie sich einen Wissensbestand, der durch das Hospitieren bei anderen Führungen durch implizites Wissen ergänzt wird. Viele freie Mitarbeiterinnen sehen auch in ihrer Freizeit gezielt Fernsehprogramme wie „Quarks und Co.“, das arte-Format X:enius oder die „Sendung mit der Maus“ und lesen Magazine wie „Geo“ oder „Spektrum der Wissenschaft“, also Wissensmedien mit unterschiedlichen Zielgruppen, um ihr formales Wissen zu ergänzen. Dabei sind gezielte „Weiterbildung“ für die Tätigkeit im Museum und persönliches Interesse nicht sinnvoll voneinander zu trennen. Mit Rückgriff auf Lave und Wenger kann man eine solche Form des situierten Lernens auch als „informelle Ausbildungssituation“, als apprenticeship bezeichnen (1991: 59– 89). Der Leitfaden für die Dauerausstellung kann konsultiert werden, um die wichtigsten Vermittlungsziele in den jeweiligen Räumen und Objekten zu erfahren. Eine offizielle Führung am Ende der Hospitationen, bei der unter anderem ein persönliches Lieblingsexponat vorgestellt wird, bildet den Abschluss der Einarbeitungsphase, die sich über mehrere Wochen erstreckt. Außerdem existiert ein Computerprogramm, das es ermöglicht, Hintergrundinformationen zu allen in der Ausstellung präsentierten Objekten, zu den Leitgedanken der jeweiligen Räume und dem Wortlaut des Audioguides abzurufen. Die Navigation des Programmes ermöglicht es, die Räume der Dauerausstellung über einen Raumplan einzeln anzusteuern und in den jeweiligen Grundrisszeichnungen Exponate gezielt anzuklicken. Auf diese Weise ist es möglich, auch zu Hause eine „skilled vision“ (Grasseni 2007, 2009) der Ausstellung zu er-
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werben – einen Blick auf die Ausstellung als Domäne, den so nur die Interpreten der Dauerausstellung haben. Die zweidimensionale Repräsentation am Computerbildschirm zeigt an der linken Seite des Bildes aus der Perspektive einer architektonischen Aufrisszeichnung konstant an, an welchem Punkt der Ausstellung sich das beschriebene Objekt befindet. Neben dieser „Sehschule“, die hilft, Objekte und Raum miteinander zu verknüpfen, findet die eigentliche, für die Führungen nötige Schulung des Blicks in Form der Praktiken und Aktivitäten im dreidimensionalen Raum statt (Turnbull 2007: 135 f.). Das Einnehmen des korrekten Platzes im Raum, so dass die Vitrinen nicht durch den eigenen Körper verdeckt werden, die richtige Lautstärke, die sich der Besuchergruppe anpasst und das Setzen von Bewegungsmotivationen für den Blick oder den ganzen Körper gehören zu diesen Praktiken dazu, denn während der Führungen muss auch der Blick und das umfassende körperliche Erleben der Besucherinnen wie in einer gelungenen Choreographie gelenkt und „im Auge behalten“ werden. In seiner berühmten Ethnographie Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto (2003) beschreibt Loïc Wacquant den Blick des Boxers, den dieser durch eine Mischung aus visuellem und mimetischem Lernen entwickelt (121 ff.). Wacquant beschreibt mit Rückgriff auf Bourdieu die Erziehung des Körpers des Boxers von einem „wilden“ hin zu einem „habitualisierten“ Körper, der bestimmte Dispositionen verinnerlicht hat, die ein tacit knowledge3, ein Wissen und Können ohne Nachzudenken, ermöglichen (63 f.). Das Hospitieren bei Führungen, das die angehenden Führunsgkräfte durchlaufen und an dem ich ebenfalls teilnahm, ist als mimetische Lernsituation konzeptualisierbar, bei der durch Nachahmung gelernt wird: „Mimetische Prozesse sind Prozesse kreativer Nachahmung, die sich auf Modelle und Vorbilder beziehen. In diesem Prozess möchte derjenige, der sich mimetisch verhält, wie sein Vorbild werden. […] Diese Prozesse sind sinnlich; sie sind an den menschlichen Körper gebunden, beziehen sich auf das menschliche Verhalten und vollziehen sich häufig unbewusst.“ (Wulf 2006: 69)
Neben dem inhaltlichen Wissen über die Dinge beruht die Arbeit des Museumsführens folglich auf impliziten Wissensbeständen, die neben Aspekten der kulturellen Performance, die sich in der richtigen Ansprache der Besucherinnen, der richtigen Kleidung und dem Umgang mit Nähe und Distanz im Raum, also der 3
1966 veröffentlichte Michael Polanyi The Tacit Dimension. Seine zentrale These lautet: „We can know more than we can tell“ (4). Er wendet sich darin dem Problem der sprachlichen Explizierbarkeit von Wissen zu. Sein Wissensbegriff ist dabei untrennbar verbunden mit praktischem Können.
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Choreographie, auch in einem geschulten Blick auf die Räume und Dinge äußert. Drei entscheidende Merkmale eines solchen „geschulten Blickes“ hat Christina Grasseni (2007: 7) zusammengestellt. Sie benutzt das von Lave und Wenger entwickelte Konzept der communities of practice, Gemeinschaften informell Lernender (vgl. Wenger 1998). Auch bestimmte Sehstile, wie eben das von Wacquant beschriebene „Auge des Boxers“ oder das „Auge des Museumsführers“4 sind für communities of practice, so Grasseni, als Teil des impliziten Wissens, das sie teilen, wesentlich. Unter einer community of practice ist eine Gruppe von Menschen zu verstehen, die ein gemeinsames Interesse teilen und Praktiken entwickeln, um mit diesem Interesse konstruktiv umzugehen. Den Gegenstand dieses Interesses bezeichnet Wenger als Domäne, um die herum ein Repertoire geteilter Vorgehensweisen, kreativer Innovationen und Erzählungen entsteht. Ob es sich dabei um eine freundschaftlich verbundene Gruppe passionierter Wracktaucher und Unterwasserfotografen handelt oder um fest angestellte Chemielaboranten, ist dabei unerheblich. Blickweisen, so Grasseni weiter, sind darüber hinaus eingebunden in taskscapes, einer berühmten Konzeption Tim Ingolds: „Just as the landscape is an array of related features, so – by analogy – the taskscape is an array of related activities. And as with the landscape, it is qualitative and heterogeneous: we can ask of a taskscape, as of a landscape, what it is like, but not how much of it there is. In short, the taskscape is to labour what the landscape is to land, and indeed what an ensemble of use-values is to value in general.“ (1993: 158)
Die taskscape ist temporärer Natur und existiert nur solange, wie in ihr gearbeitet wird. Sie wird performativ hergestellt. Die Ausstellungen, verstanden als taskscape, sind mehr als ein Rahmen, innerhalb dessen bestimmte Handlungen mechanisch ablaufen. Sie werden bei jeder Führung5 neu gestaltet, denn der gleiche Gegenstand, die gleiche Objektanordnung, die gleiche taskscape ermöglichen unterschiedliche Aneignungen und Reflektionen durch das Sehen, Berühren und andere damit verbundene körperliche Praktiken. Wie wir später sehen werden, ist dies, anders als Grasseni es annimmt, nicht unbedingt ein Widerspruch zu der Existenz verteilter und geteilter Formen des Sehens innerhalb einer 4
Vergleichbar könnte man natürlich auch das Beispiel des „kuratorischen Blickes“ anführen, der Objekte geschult auf ihre Qualität als Exponat hin überprüfen kann. Siehe hierzu auch Kapitel 7.3.2.
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Selbstverständlich gilt dies auch für Einzelbesucher und Mitglieder andere communities of practice wie der Mitarbeiter der Sammlung oder des Aufsichtspersonal, ein Aspekt, den ich hier nicht weiter verfolge.
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community of practice. Obwohl die Führungskräfte im Museum über ein umfangreiches Grundwissen bezüglich seiner Inhalte verfügen und damit innerhalb dieser Domäne professionell agieren können, bewegen sie sich während ihrer Führungen entlang unterschiedlicher Linien (siehe hierzu Ingold 2007a) durch das Museum und stellen somit während der Führungen ganz unterschiedliche Pfade und Vistas her. Diese werden nicht nur durch sogenannte Leitobjekte bestimmt, die als besonders zentral für die Aussage eines Raumes gelten, sondern auch entlang ganz individueller Lieblingsobjekte, auf die von anderen Führungskräften häufig seit ihrer Einarbeitungsphase nicht mehr verwiesen wurde. Das explizierbare Wissen über Gegenstände, das den Teilnehmerinnen an den Führungen dargeboten wird, ist dabei mit den Objekten entlang des beschrittenen Pfades durch die Ausstellung geknüpft: „knowledge is integrated along a path of movement“ (Ingold 2007a: 91, Herv. i. O.). Obwohl sich die Museumsführungen täglich (außer montags) wiederholen und niemals völlig gleich ablaufen, basieren sie auf einem linearen Prinzip, einem geordneten Ablauf, der räumlich im Allgemeinen vom ersten Raum ausgehend bis in einen der hinteren Räume6 führt und sich dabei an eine bestehende inhaltliche Dramaturgie anlehnen kann. Dabei entstehen jeweils neue Choreographien, ein Begriff, der aus der Sprache des Museums selbst stammt (siehe hierzu auch die Kapitel 6.4 und 7.1.2). Eine gute Choreographie zu ermöglichen, ist dabei auch als eine Eigenschaft der Ausstellungsräume zu verstehen (siehe ebenfalls Kapitel 7.1.2). Die Aufgabe der Führungskräfte ist es, durch geeignete Objektwahl dramaturgische Höhepunkte zu setzen und den Erzählfluss aufrecht zu erhalten, dabei aber auch die Gruppengröße zu beachten und auf die aktuelle Dichte an Besuchern Rücksicht zu nehmen. Der Tanz durch das Museum ähnelt also eher der Kontaktimprovisation als einem klassischen Ballettstück. Trotz ihrer kinästhetischen7 Dimension steht die Bewegung während der Führungen im 6
Aufgrund des Umfanges der Dauerausstellung, auf die ich mich hier ausschließlich beziehe, werden gerade die letzten Räume häufig eher kursorisch abgehandelt. Dies wird mit der Müdigkeit der Besucher (und der Führungskraft) sowie der Gestaltung der letzten drei Räume neueren Datums begründet. Diese böten durch ihre zahlreichen „Mitmachelemente“ Informationsmöglichkeiten, die für Einzelbesucher besonders geeignet seien.
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Margaret Mead und Gregory Bateson haben sehr früh Studien zum Tanz und zum Lernen auf Bali vorgelegt, die sie auf kinästhetische Aspekte hin untersuchten. Methodisch arbeiteten sie dabei u. a. mithilfe von visueller Repräsentation (1942). Diese zeigen auf, wie sehr dabei am Körper der Kinder bzw. Tänzer gearbeitet wird, ein Fokus, den das Lernen im Museum nicht mit sich bringt. Die Kinästhetik, oder den Bewegungssinn, beschreibt zum Beispiel Geurts in ihrer Ethnographie der Anlo-Ewe als
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Dienste des Sehens. Bewusst wird auf die leibliche Dimension des Museumsbesuches vermittels von Objekten Bezug genommen, das Bewegen innerhalb der Ausstellung wird, außer im dem Thema „Bewegung“ gewidmeten Raum, nicht eigens thematisiert. In dem nun folgenden Teil der Arbeit wird ein Beispiel dafür dargestellt, wie ein möglicher „Pfad“, eine mögliche Choreographie durch das Museum aussehen kann. Die Darstellung basiert auf einer Videoaufnahme eines Forschungspartners, mit dessen „Führungsstil“ ich aus zahlreichen Hospitationen vor der Aufnahme bereits vertraut war. In der Aufnahme kommentiert er einige der für ihn zentralen Exponate ebenso wie die Technik des Führens und seine Empfindungen beim Geben einer Führung. Damit folge ich einem bereits beschriebenen Verständnis von „Ort als Ereignis“, das von der Ethnographin und dem Gegenüber in der aktuellen Situation performativ hergestellt wird (Pink 2008b: 179). Während unserer Tour schrieb Hendrik der Kamera die Position eines Besuchers zu und achtete darauf, dass ich mich mit ihr so aufstellte, dass der Blick der Kamera dem Blick der Besucherin auf ihn und auf die von ihm gezeigten Objekte entsprach. Sie diente somit nicht nur als Prothese (Lammer 2007: 97), sondern auch als Stellvertreterin für die Besucher, die die Ausstellung erst zu einer taskscape machen. Die Positionen, die Hendrik während unserer Tour einnimmt und die er mir und der Kamera zuweist, sind dabei Teil seines tacit knowledge, seines impliziten und verkörperten Wissens über das Abhalten von Führungen, die er ausnahmsweise expliziert. Die nun folgende Darstellung verfolgt dabei im Schwerpunkt zwei Absichten: Sie vermittelt zunächst einmal einen Eindruck einer ganz spezifischen Aneignung, eines individuellen Pfades durch das Museum. Zum anderen wird dabei das Thema Berührung („Sehen und gesehen werden“), auch zu fassen als Kontakt und Distanz (siehe auch Lammer 2007) zwischen Führungskraft, Objekten und Besucherinnen motivisch hervorgehoben.
zentralen Eckpfeiler des dortigen Sensoriums (2002a, siehe auch Potter 2008). Kinästhetische Erfahrungen und die Schwierigkeit ihrer Übersetzung in Schrift und gesprochene Sprache beschäftigen zunehmend die Sportethnologie sowie die Ethnologie von Performance und Tanz. Diese Studien widmen sich jedoch der Bewegung als Kunstform oder als wesentlich wahrgenommener Praxisform. Im Kontext meiner Forschung ist sie jedoch lediglich eine Dimension des Führungen-Gebens als eben auch körperlicher Praxis.
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6.2 K ARTO -E THNOGRAPHIE EINER F ÜHRUNG VOM F AHRRADSTÄNDER ZU DEN S CHUPPEN DER H AUT . S EHEN UND GESEHEN WERDEN „ FROM THE TOUR GUIDES POINT OF VIEW “ Das Foyer ist an diesem Mittwoch um halb drei Uhr ruhig, aber nicht vollkommen still. Ein Besucher geht leise pfeifend dem Ausgang zu. Ich sitze auf einer lilafarben bezogenen Bank. Neben mir sitzen zwei Chinesisch sprechende Damen und ein kleiner Junge, die in den winterlich grauen Innenhof des Museums blicken. Offensichtlich warten sie auf ein Kind, das an einem Ferienangebot des Museums teilnimmt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofes erhebt sich die weiße Rückwand des Museumsbaus, wo, könnte man hindurchsehen, im ersten Stockwerk der Raum „Sexualität“ der Dauerausstellung untergebracht ist. Darunter befindet sich der Terrassensaal, der für begleitende Angebote zu den jeweiligen Sonderausstellungen genutzt wird. Dorthin blicken die beiden Frauen und unterhalten sich mit weit ausholenden, schnellen Gesten, während sich der kleine Junge in einer ausgefeilten Choreographie in langsamen Drehbewegungen vor der Fensterfront bewegt und seine Arme zu Schwingen ausbreitet. Schneeflocken fallen langsam vom Himmel und die an der Kasse positionierte Mitarbeiterin lacht laut am Telefon. Hinter mir, auf einer der malvenfarbenen Bänke der ersten Reihe, sitzt ein junges Paar mit einem kleinen Jungen, der vom Vater aus einem Gläschen mit Brei gefüttert wird. Plötzlich kommt Bewegung in den Raum: Die Kinder haben den Terrassensaal verlassen und stürmen in das weiße Foyer. Die beiden Frauen und der kleine Junge sind verschwunden, dafür kommt mir jetzt Hendrik entgegen. Er führt mich nach unserer Begrüßung zunächst ins Freie, um mir den eigentlichen Beginn seines Arbeitstages zu zeigen: den Fahrradständer, an dem eine lange Reihe von Rädern abgestellt ist. Er erzählt mir, dass er sein Rad täglich bevorzugt an derselben Stelle anschließt, „weil ich ein regelverhafteter Mensch bin, der sich gerne auch an gewissen Ritualen festhält“. Nun nimmt er die Kamera, die ich bislang halte, in die Hand, um nahe an das Gebäude heranzuzoomen: er möchte, so erklärt er, das Museum aus der Nähe abbilden, da die „Froschperspektive“ seinem Weg zur Arbeit am besten entspricht (Abbildung 8). Langsam schwingt die Glastür mit dem grauen Stahlrahmen vor uns auf. Wir folgen nun weiter dem Weg, den Hendrik stets einschlägt, wenn er zur Arbeit kommt: hin zur Kasse, wo er sich mit den Mitarbeiterinnen kurz unterhält, um dann seinen „Anstecker“ ans Hemd zu heften. Am Rande des großen anthrazitgrauen Kassentresens berührt er ein dort angebrach-
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tes, aus Kunststoff gefertigtes und leicht erhöhtes Modell des Grundrisses (Abbildung 9): „Das mache ich wirklich immer, weil das mit seiner Blindenschrift und seiner Kunststoffgestaltung geradezu dazu verlockt und ich mich bis heute frage, wie alt die Dinger eigentlich sein mögen. […] Das ist auch so eine Frage, die ich gar nicht beantwortet haben möchte. Ich möchte das lieber so als Rätsel mit mir herumtragen. Weil es mir viel Freude macht daran rumzuspielen. Von daher, das ist so eine klassische ‚Ich warte auf meine Gruppe‘-Geste.“
Bisher sind wir den Weg gegangen, so erklärt Hendrik, den er nimmt, wenn er eine Führung gibt. Jetzt jedoch möchte er mir etwas Besonderes demonstrieren – dafür begeben wir uns in das Treppenhaus des Seitenflügels, nur wenige Meter abseits des Besucherstroms und doch, so scheint es, weit weg davon. Was gibt es hier? „Ein sehr, sehr strenger Geruch eigentlich. Erfreulicherweise zeichnete diese Kamera keine Gerüche auf. Denn sonst würden wir mitkriegen, dass hier eine sehr stickige Luft ist, so eine Mischung aus Toilettendesinfektionsmittel und schlecht gelüftet ist, und das ist nicht sehr angenehm.“
Dies ist einer der wenigen Orte, an denen er sich nicht wohlfühlt. Die Dauerausstellung hingegen, zu der wir jetzt gehen, ist ein Ort, auf den er sich sehr freut: „Da bin ich eigentlich immer freudig erregt.“ Wir durchqueren nun wieder das Foyer, wenden uns nach rechts und gehen die breite, helle Treppe hinauf – bis Hendrik sich plötzlich umdreht. Ohne nachzudenken bin ich ihm in genau dem Abstand gefolgt, den ich aus meinen unzähligen Begleitungen von Führungen schon kenne, und habe damit die räumliche Anordnung zwischen der Führungskraft und der Besuchergruppe gespiegelt. „Hier, wenn man die Stufen hochgeht, dann denke ich meistens bewusst oder unbewusst darüber nach, wie ich gerade aussehe, weil man die Gruppe hinter sich hat und die die Augen auf der Höhe vom eigenen Hintern hat und man fühlt sich dann so ein bisschen beobachtet, sag ich mal.“
Wir kommen am Eingang der Dauerausstellung an. Eine eher unauffällige Tür erwartet uns am Ende des marmornen Treppenhauses. Die im Raum tätige Aufsicht erkennt uns bereits durch die Glastür und öffnet sie uns mit einem freundli-
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chen Lächeln. Eintrittskarten müssen wir nicht vorweisen, wir sind bekannt, und mein gut sichtbarer Presseausweis legitimiert die Anwesenheit der Videokamera. Die Kamera, die ich im Foyer wieder an mich genommen hatte, wechselt nun wiederum die Hände. „Wenn ich mit meiner Gruppe mit der Führung anfange – stell dich mal da hin – dann sehe ich ziemlich genau das, was die Kamera jetzt sieht. Also von hier aus stehend, dort neben dem Röntgenapparat, lässt sich die Ausstellung hervorragend aufschließen. Das ist auch spätestens hier der Moment, wo man zur Gruppe auch Kontakt aufnimmt. Das ist keine Floskel, das merkt man fast körperlich eigentlich.“ (Abbildung 9, S. 153)
Wir betrachten kurz den Röntgenapparat sowie die „gläserne Frau“ und ihre historische Vorgängerin (vgl. Kapitel 6.4), bevor wir uns dem nächsten Raum zuwenden. Der Raum 1 ist der „Lieblingsraum“ des Historikers, da er Fragen der europäischen Kulturgeschichte und der Medizingeschichte eröffnet. Auf dem Weg in den nächsten Raum, der dem Thema „Leben und Sterben“ gewidmet ist, folge ich Hendrik wieder ganz automatisch im üblichen Abstand der Besucher. Auch Hendrik fällt das auf, und er kommentiert es wie folgt: „Woran ich mich wahrscheinlich nie so richtig gewöhnen werde, das ist was, was wir gerade naheliegenderweise zu zweit auch haben, ist wenn man der Gruppe so vorneweg läuft. Und wenn man zu zweit unterwegs ist, hat man dann dieses Gefühl potenziert auch.“
Nun führt uns unser Weg direkt auf eine Vitrinenwand zu, in der für die Geburtshilfe eingesetzte Modelle und Geräte zu sehen sind. Wir gehen daran vorbei und um die Ecke. Ich stehe nun vor einem riesenhaften transparenten Zellmodell. Das jedoch soll ich mir gar nicht anschauen, sondern meinen Blick nach rechts, in die Richtung der Wand, wenden. Dabei werde ich von Hendrik mit der Kamera und diese wiederum mit den Besucherinnen gleichgesetzt. Dadurch wird mir gezeigt, welche Blickachse er für seine Gruppe aufschließt. An der Wand sind Schaumstofffiguren aufgehängt die, das weiß ich bereits, Modelle unterschiedlicher im menschlichen Körper vorhandener Zellen darstellen (Abbildung 12): „Hier stehen wir an einem Punkt, an dem ich häufig stehe. Die Kamera guckt mich jetzt quasi so an, wie ein Besucher das häufig auch tut. Weil wir mit diesem Zellmodell einen ganz unmittelbaren Einblick in unseren menschlichen Körper haben und die uns als Bausteine des menschlichen Körpers vorgestellt werden und die Modelle auch zum Anfassen
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einladen. Da darf man dann auch mal an einer Eizelle rumschnuffeln. Ein Vergnügen, das einem ja sonst naheliegenderweise eher verwehrt bleibt.“
Als Geisteswissenschaftler, so betont er, interessieren ihn andere Fragen als Mediziner und Biologen, die sich eher für die gläserne Zelle interessieren, die er fast nie behandelt. „Sein Museum“, „seine persönliche Kopflandkarte“ so betont er, sieht eben anders aus, als die anderer Kollegen. „Wehmütig“, wie er betont, betritt Hendrik den Raum „Essen und Trinken“. Er erwähnt, dass viele Kolleginnen den Raum für schwer zu führen halten, einen Eindruck, den er nicht teilt. Er macht mich auf einen alten Zahnarztbohrer aufmerksam, der mir bei anderen Führungen nie aufgefallen ist. Für ihn ist das Objekt ein lebendiger Verweis auf die Plagen der Vergangenheit. Er ist froh, „dass man so was Gott sei Dank musealisiert nur genießen darf“. Nun müssen wir wieder zurücklaufen, weil wir uns in einer Ecke etwas verfangen haben. An dieser Stelle kommt er doch auf die hier anliegende Frage der „Choreographie“ der Führung zu sprechen: „Man kann eben nicht so einen schönen geschwungenen Weg nachlaufen, sondern läuft immer so hin und zurück. Aber ich finde das eben nicht so schlimm.“ Jetzt kommen wir zu dem Bild „Der Gemüsehändler“, „ein wunderschönes Barockgemälde“ das gleich links am Eingang aufgehängt ist. Hendrik benutzt das Bild gerne, um in den nun folgenden Raum „Sexualität“ überzuleiten, da es „zeigt, das Essen in erster Linie ein sinnliches Vergnügen ist“. Prompt betreten wir besagten Raum, der in Rottönen gehalten ist. Vor einer von hinten beleuchteten Wand mit männlichen Porträtfotografien bleiben wir stehen. Hier wird eine Untersuchung zur Attraktivität von Gesichtern visualisiert (Abbildung 11). „Hoffentlich sehe ich jetzt nicht gerade so aus. Was nicht gerade als Ausweis besonderer Attraktivität gelten würde (deutet auf das Bild eines jungen Mannes). Der wurde mal von einem älteren Herrn als Alkoholiker identifiziert. Der hat gesagt ‚Ich war zwanzig Jahre Personaler, ich erkenne das an den Augen‘. Das war bei einer öffentlichen Führung am Sonntagnachmittag und ich fragte mich, wie mögen meine Augen wohl aussehen.“
Unsere nächste Station ist im Vergleich dazu überaus unauffällig: es handelt sich um drei silberne Container, die an der linken Seitenwand befestigt sind. Hier sind Sexualduftsstoffe tierischen Ursprungs zu entdecken, deren Erlebnisqualität er als „schräg“ bezeichnet. Er zieht den ersten Duftstoff heraus, Ambra, den er angenehm findet. Hendrik setzt die Riechsäulen gezielt als „olfaktorischen Boost“ ein, um Führungen zu beleben. Nun führt uns der Weg weiter in den Raum vier, der sich dem Thema „Gehirn, Erinnern, Lernen“ widmet. „Wenn
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man hier reinkommt, in diesen Raum, ist das immer mit einem Gefühl der Öffnung und Weitung verbunden.“ Hier ist es vor allem ein Objekt, das Hendrik sehr „berührt, wie er eindrücklich schildert. Es handelt sich um einen Gewebeschnitt durch ein menschliches Gehirn (Abbildung 13). Wir durchqueren den Raum, der von den Stimmen von an verschiedenen interaktiven Stationen beschäftigten Besuchern erfüllt ist: „Mich persönlich erschüttert dieses Exponat immer wieder. Das finde ich, schließt schon Fragen nach Körperlichkeit auf. Ich mache jetzt etwas, was man eigentlich in Führungen nicht macht. Ich beschreibe und liefere die Deutung gleich mit. Man sieht hier einen Querschnitt durch ein menschliches Gehirn, das eine Schussverletzung aufweist. Es handelt sich um das Gehirn eines deutschen Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg getötet wurde. Vor über sechzig, mittlerweile siebzig Jahren in einem Krieg, den er sicher so nicht wollte. Wie also hier eine solche Verletzung konserviert ist. Das finde ich ein sehr erschütterndes, anrührendes Exponat.“
Den beiden letzten Räumen möchte Hendrik weniger Aufmerksamkeit widmen – abgesehen von zwei Objekten, mit denen er zwei starke und sehr konträre Emotionen verbindet. Nicht zufällig, so besprechen wir später, erlahmt unser Spaziergang an genau der Stelle, an der auch Führungen häufig an „Schwung“ verlieren. Die Müdigkeit, die nach sechzig Minuten des Gehens und Stehens eintritt, überkommt auch uns. Sie ist ein wichtiger Teil der „kinetischen Melodie“ der Führungen. Den Raum „Bewegung“, einen „luftigen Raum, wie er findet, durchschreiten wir ohne Pause, um direkt den letzten Raum zu betreten. Es ist der Raum „Schönheit“. „In diesem Raum hier ist die Kraft in jeder Hinsicht immer schon ein bisschen raus. Eine Führung hier im Museum dauert sechzig bis neunzig Minuten, wobei neunzig Minuten realistischer ist, weil wir es mit einer gigantischen Fläche zu tun haben. Wir sehen dieses dominierende Pastell, da ist man in jeder Hinsicht schon über den Zenith der Aufmerksamkeit hinaus. Deshalb versuche ich dann immer, noch so ein paar Schlaglichter zu setzen, nicht zuletzt, um mich selbst ein bisschen aufzurichten.“
Als letztes zeigt mir Hendrik die „kleine Horrormaschine“. Die „kleine Horrormaschine“ (Abbildung 14) erweist sich als Videomikroskop, dass die eigene Hautoberfläche in sehr starker Vergrößerung zeigt. Hier hat Hendrik, so berichtet er, etwas Neues über seinen Körper erfahren. Schon schiebt er einen Finger unter das Objektiv, und auf dem Bildschirm erscheint eine rosafarbene zerfurchte Fläche. Eine mikroskopische Aufnahme seiner Haut. Auf dem Bild-
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schirm erscheint seine Fingerkuppe, wo „lauter kleine Geysire“, die Schweißdrüsen, „vor sich hinsprudeln“. Hier empfindet er Ekel und erspart den Besuchern bei Führungen diesen Anblick. Aus Eitelkeit, wie er sagt. Abbildung 8: Auf dem Weg in das Museum.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 9: An der Kasse.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 10: Am Eingang des Raumes „Der gläserne Mensch“ vor dem Röntgenapparat stehend.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 11: Wand mit männlichen Gesichtern im Raum „Sexualität“.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 1 2: Schaumstoffmodelle menschlicher Zellen.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 13: Hirnschnitt eines Soldaten mit Schussverletzung.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 14: Am Videomikroskop.
Quelle: Susanne Schmitt
Berühren und berührt werden Der eben dargestellte Spaziergang durch Teile des Museums zeigt, dass das Führen durch die Ausstellung zum einen natürlich im Zeigen von Dingen und im Aufschließen von mit diesen verknüpften inhaltlichen Fragen und Diskussionen besteht. Der Fokus auf das leibliche Erfahren auf das Geben einer solchen Führung aus der Perspektive von Hendrik zeigt aber auch, dass Fragen des „Gesehenwerdens“ einen ebenso zentralen Aspekt darstellen wie das Zeigen an sich. So wie die Adepten des Kampfsportes Capoeira lernen müssen, ihre Gegner im Blick zu behalten und dabei einen wandernden, leicht verdeckten Sehstil zu kultivieren (Downey 2007: 225 ff), müssen die Führungskräfte lernen, eine Vielzahl von Blickrichtungen herzustellen und zuzulassen. Die Dialektik aus Zeigen und Betrachtet werden, bei dem die Führungskraft selbst wie ein Museumsobjekt erscheint, das ungeniert betrachtet werden darf, kann auch unter dem Begriff „Berührung“ sinnvoll gefasst werden, so dass der Körper in einer weiteren Bedeutung als kommunikatives Medium hervortritt (vgl. Lammer 2007). Berührung ist im modernen Museum mit Ausnahme der Science-Center negativ konnotiert (vgl. Kapitel 3, siehe auch Candlin 2004). Im Hygiene-Museum laden zahlreiche Exponate zum Berühren ein, etwa die von Hendrik hervorgehobenen Zellmodelle. Andere wiederum stehen hinter Glas oder sind mit einem Emblem gekennzeichnet, das eine durchgestrichene Hand zeigt und damit auf eine eindeutige taktile Konvention verweist. Eine durchgehende Politik der Berührung findet sich also nicht. Doch Hendrik spricht auch
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dann von Berührung, wenn von dem Aufeinandertreffen von Tastzellen in der Haut der Fingerspitzen und einer konkreten Materie nicht die Rede ist. Er spürt die Blicke der Besucher auf dem eigenen Körper, dies beschreibt er mehrmals: sowohl beim Gang die Treppe hinauf als auch vor dem Display männlicher Gesichter im Raum „Sexualität“, vor dem Fragen der Attraktivität und Partnerwahl erörtert werden sollen. Die von ihm hervorgehobenen Objekte, der Hirnschnitt eines Opfers des zweiten Weltkrieges und das Videomikroskop, das die Haut in tausendfacher Vergrößerung zeigt, erzielen durch Strategien der Sichtbarmachung leibliche Resonanz, die Hendrik als Berührung beschreibt, die neben dem tatsächlichen Berühren etwa der Eizellenmodelle ein zentraler Aspekt der leiblichen Erfahrung seiner Tätigkeit sind. Dem Sehen und Gesehenwerden wohnt dabei immer ein Moment der Berührung inne: „In haptic visuality, the eyes themselves function as organs of touch“ (Marks 2000: 162). Das aktive Herstellen dieses Berührtwerdens ist ein wesentlicher Teil der Vermittlungsstrategie im Museum, auf die ich im nun folgenden Unterkapitel eingehen werde.
6.3 „L EARNING TO BE AFFECTED “. V ERMITTLUNGSPRAXIS ALS H ERSTELLUNG SOMATISCHER F ORMEN DER AUFMERKSAMKEIT Der dem Thema Schönheit, Haut und Haar – offene Grenzen zwischen Körper und Umwelt gewidmete Raum der Dauerausstellung, in dem Hendrik seine Führungen meistens beendet, bildet für die Pädagogin Sibylle häufig den Beginn ihrer Führungen durch die Dauerausstellung. Sie begleitet Kindergruppen durch das Museum und wendet zahlreiche der im Kindermuseum gängigen Methoden auch in der Arbeit in der Dauerausstellung an. Führungen mit Sibylle beginnen oft vor einem Modell der menschlichen Epidermis, das an der Rückwand des Raumes angebracht ist. Es stammt aus den 1950er Jahren und wurde von der Lehrmittelabteilung des Museums hergestellt.
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Abbildung 15: Der Raum „Schönheit, Haut und Haar“ mit dem Modell der Epidermis an der rückwärtigen Wand.
Quelle: Susanne Schmitt
„Auf den niedrigen schwarzen Hockern, die entlang der Ausstellungsvitrinen verteilt sind, nehmen die Kinder Platz. Aus ihrer schwarzen Tasche mit dem Logo des Museums, dem Auge und dem roten Schriftzug, nimmt Sibylle kleine Säckchen aus Samt, die wir nicht öffnen dürfen. ‚Jetzt fühlt mal, was das ist!‘, lautet die Aufforderung. In den Säckchen sind Würfel, Spielzeugautos, eine Nuss und andere kleine Gegenstände verborgen. Als alle Gegenstände erraten sind, dürfen wir die Säckchen öffnen. Sie erklärt uns, dass unsere Fingerspitzen besonders sensibel auf Druck und Berührungsreize reagieren, weil sie über besonders viele Sinneszellen verfügen, die dicht nebeneinander liegen. Nun entnimmt sie der schwarzen Tasche einen Tastzirkel, ein medizinisches Instrument, das einem Zirkel mit stumpfen Enden ähnelt. Am Rücken einer Mitschülerin probiert ein etwa achtjähriges Mädchen aus, wie weit sie den Zirkel zusammenschieben kann, bis ihre Partnerin nur noch einen einzigen Druckreiz wahrnimmt. Am Rücken, so stellt das Mädchen fest, ist dieser Abstand größer als an den Fingerspitzen. Anhand des Modelles der oberen Hautschicht, das an der Wand befestigt ist, erklärt Sibylle, wie der Aufbau und die Nervenzellen der Haut beschaffen sind. Dass sich am Rücken weniger Punkte befinden, die Druck bemerken können, so erklärt sie, können wir durch das Experiment mit dem Zirkel ‚beweisen‘.“ (Feldnotizen)
Sibylles Führung durch den Raum, der zu ihren Lieblingsräumen zählt, beinhaltet noch viele weitere Exponate: eine Flohfalle aus der Barockzeit etwa oder einen Frisiertisch eines berühmten Herrenfriseursalons aus dem Jugendstil. Sie alle zeigen, so Sibylle, das Bedürfnis aller Menschen, „sich gut zu fühlen“. Für
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Sibylle verkörpert dieser Raum das Anliegen des Museums wesentlich besser als etwa Hendriks Lieblingsraum, der historisch orientierte Raum 1. Das sagt sie über den Raum „Schönheit“: „Es ist nicht nur ein Raum über Sachen, die Frauen interessieren. Es ist wichtig, dass die Besucher hier Sachen anfassen können und sich ihrer Haut bewusst werden, so dass sie einen Bezug zu dem Museum bekommen und verstehen, dass es um sie selber geht und es wichtig ist, dass man sich wohlfühlt.“
Das ihr sehr wichtige Thema der Berührung, das in der Dramaturgie des Raumes angelegt ist, ermöglicht es ihr, Führungen durch das Museum zu gestalten, die ihrem Ideal des Museums entsprechen: man soll es „mit allen Sinnen erfahren können“. Um diesen Zugang zu ermöglichen, stellt sie leibliche Aufmerksamkeit her, indem sie zum Beispiel den Tastzirkel mit sich führt, der im Kindermuseum häufig Verwendung findet. Die sogenannte „Zweipunkt-Unterscheidung“ ist im klinischen Kontext gebräuchlich, um Sensibilitätsstörungen der Haut zu untersuchen. Diese ursprünglich neurologische Untersuchungsmethode dient im Kontext der Museumsführung der Herstellung somatischer Aufmerksamkeit für bestimmte Körperwahrnehmungen, die sonst zumeist nicht in das Bewusstsein treten (vgl. Kapitel 2.4.3). Obwohl die Haut ständig taktilen und haptischen Reizen ausgesetzt ist, treten diese, sofern es sich nicht um außergewöhnlich starke Reize handelt, erst dann wieder in das Bewusstsein, wenn hierfür Aufmerksamkeit geschaffen wird. Durch das Verwenden des Tastzirkels stellt Sibylle nicht nur einen Zugang zu der Funktionsweise der Haut her. Sie demonstriert ihren Besuchern auch, dass sie überhaupt fühlen und mit dieser Eigenschaft von ihr als Besucherinnen und Besucher des Museums wahrgenommen werden. Damit schafft sie eine bestimmte Art der somatischen Aufmerksamkeit und der Subjektivität, die sich wie ein roter Faden durch ihre Führungen zieht. Solche oder ähnliche Handlungen, die in pädagogischer Absicht dazu führen sollen, sinnliche Wahrnehmung zu schulen, belegt Bruno Latour mit dem Begriff „learning to be affected“. Die „malettes à odeurs“, die in der Ausbildung von Parfumeuren zur Anwendung kommen, enthalten Düfte unterschiedlicher Konzentration. Die regelmäßige Übung an diesem Set soll die zukünftigen Parfumeure in die Lage versetzen, Düfte immer genauer zu unterscheiden und auch in niedriger Konzentration noch wahrnehmen zu können. Sie werden dadurch „un nez“, eine „Nase“.8 Obwohl die „malettes à odeurs“ kein Teil des Körpers sind, 8
Bruno Latour übernimmt das Beispiel der „malettes à odeurs“ von Geneviève Teil. Der Duftcomputer, der im Kapitel 7 beschrieben wird, ähnelt dieser pädagogischen Anordnung stark.
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so Latour weiter, werden sie zum Teil dessen, was es in dieser Situation bedeutet, ein Körper zu sein: „Before the session, odours rained on the pupils without making them act, without making them speak, without rendering them attentive, without arousing them in precise ways: any group of odours would have produced the same general undifferentiated effect or affect on the pupil. After the session, it is not in vain that odours are different, and every atomic interpolation generates differences in the pupil who is slowly becoming a ‚nose‘, that is someone for whom odours in the world are not producing contrasts without in some ways affecting her.“ (2004: 207)
Latour beschreibt eine Schulung der Aufmerksamkeit, die die Artikulation von sinnlicher Erfahrung ermöglicht.9 Diese Erfahrung des Körpers lässt eine Trennung des subjektiven Körpers und der objektiven Welt des Raumes „Schönheit, Haut und Haar“ nicht zu. Das Setting, die Dinge, der Leib und die Fähigkeit zur Versprachlichung der Erfahrung sind untrennbare Elemente einer bestimmten Erfahrung. Das dargestellte Beispiel von Sibylle zeigt, wie somatische Formen der Aufmerksamkeit hergestellt und dabei leibliche Erfahrungen erst hervorgerufen und anschließend mit bestimmten Wissensinhalten verknüpft werden. Fast alle Führungskräfte verwenden diese Techniken, zu deren Gebrauch sie von der Abteilung der Museumspädagogik angeregt werden oder die sie selbst entwickeln (vgl. Kapitel 6.4). Thomas Csordas, das wurde bereits gezeigt, entwickelte sein Konzept der somatischen Formen der Aufmerksamkeit anhand seiner Studie über charismatisches Heilen innerhalb der Pfingstbewegung in den Vereinigten Staaten. Auch Führungen im Museum lassen sich sinnvoll als kulturelle Performance mit eigener Dramaturgie und rituellen Aspekten fassen: das Museum ist ein liminaler und stark affektiv geladener Raum, in dem kulturelle Deutungen von Natur dargestellt, herausgefordert und verhandelt werden (Silva 2006: 120, Duncan 1995: 7 ff., siehe auch Macdonald 2006: 209 ff.). Der Museumsbesuch ist eine „säkulare Zeremonie“ (Duncan 1995: 8), indem er einen Rahmen und, durch die thematische Abfolge der Räume, eine Dramaturgie vorgibt, in dem Wissen über die Welt vermittelt wird und eine Haltung hierzu entstehen soll. Die
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Zum „Lernen mit allen Sinnen“ mit ethnographischen Beispielen und einer Darstellung entsprechender pädagogischer Traditionen in Europa siehe auch Classen 1999. Allerdings geht Classen in ihrem Artikel stark dichotomisierend vor, indem sie dem Lernen durch Text und Computer „Körperlosigkeit“ vorwirft und dieses mit sensualistischen „Gegenentwürfen“ kontrastiert.
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Besucherinnen und Besucher sind natürlich handlungsfähig, sich der angebotenen Dramaturgie, insbesondere bei einem individuellen Besuch, zu widersetzen. Trotz der Offenheit der Führungen für Spontaneität, etwa in der Reaktion auf Fragen der Besucher, entsprechen sie Aufführungen mit bekanntem Inhalt und stilistischen Elementen eher als einem Drama mit offenem Ausgang (Moeran 2006: 59 ff.)10. Die Grundelemente der Führungen ähneln sich. Sie beginnen mit einer Einstimmung auf den Ort im Foyer und der persönlichen Vorstellung der Führungskraft, die der temporären Gemeinschaft während der nächsten neunzig Minuten als Zeremonienmeister vorstehen wird. Die Ethnographie der ästhetischen Konturen des Foyers, also des Eingangs des Museums, die im letzten Kapitel vorgenommen wurde, lässt den in der Literatur häufig vorgenommenen Vergleich zwischen Museumsarchitektur und „heiligen“ oder „rituellen“ Orten (Duncan 1995, vgl. den Sammelband von Bouquet, Porto 2006) für das Deutsche Hygiene-Museum statthaft erscheinen. Dass für den Museumsbesuch eigene Regeln gelten, erfahren insbesondere Kinder auf den Sitzbänken des Foyers oder aber vor dem Betreten der Dauerausstellung. Hier verweist ein gut sichtbares Schild vor der Eingangstür darauf, dass nun die sterblichen Überreste von Menschen zu sehen sein werden – ein Verweis auf die anatomischen Präparate, die in den Vitrinen stehen. Um den Kindern die Regeln des Museumsbesuches ins Bewusstsein zu rufen, können die Führungskräfte auf einen Bestand an bekannten Konventionen des Museumsbesuchs zurückgreifen, wie ein Feldforschunsgprotokoll von einer Führung mit der 2. Klasse einer Grundschule aus Dresden zeigt: „Vor dem Eingang zur Dauerausstellung setzen wir uns auf die Sitzbank. Die Führungskraft wendet sich an die Kinder: Freie Mitarbeiterin: „Wie verhält man sich denn, wenn man in ein Museum geht?“ Schüler: „Alles leise!“ Freie Mitarbeiterin: „Genau, leise. Und was noch? Schülerin (laut): „Nichts anfassen!“ Schüler 2: „Nicht rennen!“ Lehrerin: „Ja, wie in der Schule.“ 10 Die in diesem Teilkapitel zitierten Autoren rekurrieren zumeist auf Victor Turner und sein Konzept der Liminalität sowie die von Turner und Arnold van Gennep formulierten Ritualtheorien, ohne diese allerdings im Detail zu analysieren. Brian Moeran deutet in seiner Ethnographie einer japanischen Werbeagentur Verkaufsverhandlungen und Kundenpräsentationen sowohl als soziale Dramen (Turner), die der Konfliktlösung dienen, als auch als Aufführungen und kulturelle Performances, die den status quo nicht verändern (Goffman).
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Freie Mitarbeiterin: „Okay, dann gehen wir jetzt langsam rein.“
Dass hier das Übertreten einer Schwelle vorbereitet wird (vgl. Turner 2000: 94 ff.), hinter der eine andere Form der körperlichen Selbstführung erwartet wird, ist evident. Die Lehrerin, die Führungskraft und das Sicherheitspersonal fungieren hier als Torhüter innerhalb eines schrittweisen Prozesses, der von der Abgabe der Kleidung in der Garderobe bis hin zum Betreten des ersten Raumes führt. Das Betreten dieses segregierten Ortes, das der hier beschriebenen Einweisung und Disziplinierung bedarf, bereitet den Boden für eine dramaturgische Aufführung von und für Körperwissen und Körpererleben, die einander, das habe ich in diesen Abschnitten gezeigt, gegenseitig bedingen. Der letzte Teil des Kapitels verfolgt diesen roten Faden weiter und fragt dabei insbesondere nach der Bedeutung von sensorischer Aneignung und Neuinterpretation von Objekten im Kontext der Vermittlungsarbeit.
6.4 S O KLINGT DIE „G LÄSERNE F RAU “. Z UR KREATIVEN ANEIGNUNG UND SENSORISCHEN N EUINTERPRETATION MIMETISCHER O BJEKTE Fast alle der Führungskräfte im Museum verwenden oder entwickeln selbst Praktiken, die, wie eben beschrieben, die leibliche Aufmerksamkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf bestimmte Regionen des Körpers lenken. Diese Praktiken sind das Resultat einer kreativen Aneignung und Nutzbarmachung der im Museum bereits vorhandenen Objekte. In diesem Unterkapitel werden zwei Beispiele dieser Aneignung dargestellt. Es handelt sich um die Objekte „Der gläserne Mensch“ und „Der virtuelle Mensch“. In dem Raum „Der gläserne Mensch“, dem ersten Raum der Dauerausstellung, finden sich Dinge, die auf die kulturhistorische Entwicklung und Bedeutung von Techniken der Sichtbarmachung des Körperinneren verweisen. Drückt man auf dem Audioguide die Nummer B 10011, die für blinde und sehbehinderte Besucherinnen vorgesehen ist, hört man folgende Beschreibung des Raumes: „Hallo, da bin ich wieder. Sie befinden sich jetzt am Eingang des ersten Ausstellungsraums. Der Tastplan hier ist wie gesagt zweiteilig: Rechts zeigt er die Gesamtanlage der Ausstellung und links den Aufbau dieses ersten Raumes. Der Raum heißt ‚Der Gläserne
11 Der Audioguide enthält sowohl eine „reguläre“ Tonspur als auch eine Tonspur für blinde und sehbehinderte Menschen.
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Mensch‘, denn hier geht es um das weltberühmte Körpermodell, das im Deutschen Hygiene-Museum geschaffen wurde: eine lebensgroße, durchsichtige Figur, die den Blick auf die inneren Organe freigibt. Diese Figur bildet die Mitte des Raumes. Aber sie steht nicht allein: Modelle von Menschen in vielerlei Gestalt sind hier versammelt. Es wimmelt von geöffneten Brustkörben, angeschnittenen Schädeln, zerlegbaren anatomischen Modellen aus Holz, Gips und Papier-Maché.“
Für sehende Menschen öffnet sich ein Blick auf einen in dunklem, rötlichem Nussbaumholz ausgekleideten Raum, der warm wirkt. Im Mittelteil dreht sich auf einem Podest langsam die gläserne Frau um die eigene Achse. Der Raum „Der gläserne Mensch“ ist, hörbar vor allem am frühen Morgen und am späten Nachmittag, wenn keine Schulklassen oder große Besuchergruppen sich dort aufhalten, von den Klängen einer Geige durchzogen. Die Klänge sind ein Effekt einer Medieninstallation, die sich an der Rückwand des Raumes eher unauffällig an der dunklen Nussholzwand befindet. „Der virtuelle Mensch“ zeigt eine animierte Figur, die erstmals anlässlich der EXPO 2000 im Themenpark „Mensch“ gezeigt wurde. Auf dem an der Wand hängenden Monitor ist eine Figur in menschlicher Gestalt zu erkennen. Sie spielt Geige. Während die Bewegungen ausgeführt werden und die Musik erklingt, ist zu beobachten, welche Hirnareale beim Musizieren aktiv werden. In den Hintergrundinformationen heißt es dazu: „Das Projekt, im Auftrag des Freistaates Sachsen für die Abteilung „Mensch“ im „Themenpark“ der EXPO 2000 in Hannover realisiert, verstand sich in der Nachfolge des ‚Gläsernen Menschen‘. Mit den neuen Techniken der Computeranimation ließ sich der transparente Körper nun auch in Bewegung zeigen. Vorbild für die animierte Figur waren Filmaufnahmen, für die Heike Janicke, Konzertmeisterin der Dresdner Philharmoniker, die ersten zwanzig Takte einer Bourrée aus der Partita I, h-Moll von Johann Sebastian Bach einspielte. Die gleichzeitigen Aktivitätsmuster im Gehirn ließen sich mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie aufzeichnen.“
Der „virtuelle Mensch“ stellt zeitlich den Endpunkt der im Raum thematisierten Geschichte der Visualisierung des Körperinneren dar, indem er die zeitgenössischen bildgebenden Verfahren thematisiert. Ausdrücklich knüpft das Objekt dabei an den „gläsernen Menschen“ an. Die Objektbiographie des gläsernen Menschen ist bereits ausführlich dargestellt worden (Beier, Roth 1990). Deshalb will ich mich hier nur in wenigen Sätzen auf ihre Biographie berufen und beziehe vor allem diejenigen Informationen mit ein, die auch während Führungen primär angesprochen werden. 1930 wurde anlässlich der 2. Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden, bei der das Museumsgebäude eingeweiht
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wurde, ein so genannter „gläserner Mensch“ ausgestellt (Roth 1990: 39). Der ehemalige Präparator des Hygiene-Museums, Franz Tschackert, hatte das dreidimensionale und anatomisch korrekte Modell eines Mannes in seiner Freizeit aus Cellon gefertigt und dazu den Dampfkessel einer Dresdner Marmeladenfabrik benutzt (Vogel 2003: 77). Knochen und Gefäße bildete er aus Aluminium und Kupferdraht nach. In einem abgedunkelten Raum wurden die inneren Organe des gläsernen Menschen der Reihe nach einzeln beleuchtet, und von einer Schallplatte waren hierzu Erläuterungen zu hören (Roth 1990: 41). Der „gläserne Mensch“ stellte 1930 eine absolute Neuheit und Sensation dar; die bis 1945 gebauten neun Exemplare erregten auf Welt- und Hygieneausstellungen in allen Erdteilen Aufsehen (ibid.). In der Dauerausstellung ist eine gläserne Frau zu sehen, die in den achtziger Jahren gefertigt wurde. Ihre „Vorgängerin“ aus dem Jahr 1935/36 ist in einer Vitrine am linken Seitenrand des Raumes untergebracht. Sie ist kaum zu erkennen, da die Vitrine nur schwach lichtdurchlässig ist, um das alte Material zu schonen. Erst wenn man sich der Vitrine nähert, wird diese beleuchtet. Für beide Objekte, den gläsernen wie den virtuellen Menschen, gilt, dass sie explizit für einen Kontext der Repräsentation hergestellt wurden. In seinem klassischen Aufsatz über die kulturelle Biographie der Dinge fordert Igor Kopytoff, die Biographie eines Gegenstandes genauso wie diejenige eines Menschen zu verfolgen und zu beschreiben:12 „Biographies of things can make salient what otherwise might remain obscure. […] What is significant of the adoption of alien objects – as of alien ideas – is not the fact that they are adopted, but the way they are culturally redefined and put to use.“ (Kopytoff 2003 [1986]: 67)
Die Objektbiographie beider Ausstellungsstücke verweist sehr direkt auf eine zunächst eindeutig erscheinende sensorische Zuordnung. Sie sind Ausdruck der Strategie der Visualisierung als Wissenstechnik.13 Bereits die 1. Internationale 12 Der Band The Social Life of Things (1986), herausgegeben von Arjun Appadurai, gehört zu den Klassikern der ethnologischen Betrachtung materieller Kultur. Für einen fachhistorischen Überblick siehe Kollewe 2007: 324 ff. Fragen der kulturellen Aneignung sind für die Ethnologie in den letzten Jahren sehr wichtig geworden, wie beispielsweise der Titel der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde 2009 Kulturelle Aneignungen: Anverwandlung – Anpassung aufzeigt. Dabei wird zumeist eine dezidiert globale Perspektive eingenommen, die bei meiner Arbeit fehlen muss. 13 Die Sichtbarmachung des Körperinneren ist ein großes Thema der Medizinethnologie beziehungsweise -soziologie. Siehe hierzu Taylor 2005. Zur Herstellung von wissen-
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Hygieneausstellung des Jahres 1911 hatte im besonderen Maß mit der Vermittlungstechnik der Sichtbarmachung gearbeitet, um den zunächst abstrakten Begriff der Hygiene zu verdinglichen und als Präventionsstrategie etablieren zu können; „prägnante Visualisierung lautete der Kernauftrag bei der Gestaltung.“ (Münch, Lazardzig 2002: 79, 84) Die Sichtbarmachung des Körperinneren, Teil des ärztlichen Blickes, beschreibt Michel Foucault in Die Geburt der Klinik (2005) als wesentlichen Schritt bei der Konstituierung der modernen Medizin und ihrer Vorstellung von Krankheit und Individuum. Krankheit wird nunmehr (ab der französischen Revolution) zunehmend inventarisiert und katalogisiert. Dabei dringt der ärztliche Blick immer tiefer in den menschlichen Körper vor, das Innere wird externalisiert. Mit der Entwicklung von Visualisierungstechniken, über die anatomische Sektion über den Röntgenapparat bis zu den bildgebenden Verfahren der Gegenwart verschieben sich auch die Wahrnehmungscodes der medizinischen Profession (van Dijck 2005: 5 ff.). Die Wissenschaftshistorikerin Martina Heßler schreibt in Bezug auf anthropologische Bilder etwas, was auf die Visualisierung des Körperinneren übertragbar ist: „Der Begriff der Sichtbarmachung bzw. der Visualisierung verweist […] auf die eigenständige Produktivität und Performanz von anthropologischen Bildern, die spezifische Effekte der Evidenz hervorbringen. Es werden also nicht einfach Dinge sichtbar, die bereits existieren, sondern sie werden erst ins Licht und dann in die Sichtbarkeit und in das Sagbare gehoben. Visualisieren heißt, daß (sic!) das Visualisierte im Visualisierungsprozess erst hervorgebracht wird.“ (2006: 45)
Ein dergestalter Prozess der Sichtbarmachung wird in den beiden beschriebenen Objekten erkennbar. Sie sind Repräsentationen des idealisierten Normkörpers und stehen damit in der Historie des Hygiene-Museums als Produzent von Körperwissen14 in Form von Lehrmitteln wie gläsernen Figuren, Wachsmodellen und Schautafeln, die in den bis zu den 1990er Jahren betriebenen Lehrmittelwerkstätten angefertigt und weltweit verkauft wurden (Bethke 2011: 251 ff.). schaftlicher Evidenz durch visuelle Repräsentation siehe auch Burri 2008: 12 ff. sowie 61 ff. 14 Die Bedeutung von visuellen Repräsentationen für Ein- und Umschreibungsprozesse innerhalb von Forschungsprozessen und in der Übersetzungstätigkeit an die Öffentlichkeit ist von Latour und Woolgar (1986) ausführlich analysiert worden. Mit ihrem Begriff der Inskription sprechen sie jedoch vorrangig zweidimensionale Objekte wie Grafiken etc. an, die wissenschaftliche Phänomene sicht- und untersuchbar und von ihren Schaffenskontexten loslösbar machen.
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Techniken der Sichtbarmachung des Körpers wird häufig vorgeworfen, sie dienten einer Fragmentierung und Objektivierung des Körpers, wie beispielsweise Drew Leder betont: „Though I can visually observe my colon, its processes still elude experiences from within. The magical power my body has to absorb water and electrolytes is not perceived as I gaze through the endoscope upon this furrowed, tubular space. The mystery of my body is only heightened by the very strangeness of the organ before me, its phenomenological non-coincidence with my body-as-lived.“ (Leder 2005: 339)
In der Vermittlungspraxis im Museum jedoch bedeutet Visualisierung nicht gleich Distanz. Bereits die historische Erstbegegnung zwischen dem Publikum und dem „gläsernen Menschen“ im Jahre 1911 lässt sich nicht auf die Ebene distanzierender Ausstellungstrategien verorten: „Die Besucher traten durch eine Art von Lichtschleuse in einen halbdunklen Raum. Sie kamen vom Lärm der Straße in die Stille einer kathedralengleichen Halle mit einer aus seitwärts versteckten Lichtquellen angestrahlten mattblauen Decke. […] Wenn dann der Raum vollkommen dunkel wurde, die inneren Organe, angefangen mit dem Herzen, nacheinander aufleuchteten, eine melodische Stimme von einer Grammophonplatte Erklärungen gab, waren die Besucher fasziniert von der ‚einsichtigen‘ Wiedergabe des menschlichen Körpers.“ (Bruno Gebhard, ehemaliger Mitarbeiter des Hygiene-Museums, in Roth 1990: 41)
Bei einer Führung mit Kindern kann man miterleben, wie eine kleine Truppe von Schulkindern um die gläserne Frau Stellung bezieht. Knöpfe werden gedrückt, und die Namen der aufleuchtenden Organe schwirren im Raum umher. Leuchtet das Herz auf, verteilt die anwesende Führungskraft mit Hilfe einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin Stethoskope an die Kinder. Finden sie den Herzschlag ihres Nachbarkindes? Erst wenn das Herz akustisch verortet ist, kommt eine andere Übung an die Reihe. Drückt ein Kind den Knopf, der die Lunge aufleuchten lässt, werden Luftballons aufgeblasen, die den Umfang des Lungenvolumens illustrieren. Praktiken, die auf das Erzeugen somatischer Aufmerksamkeit abzielen, lassen sich auch anhand des „virtuellen Menschen“ durchführen. Lukas beispielsweise, der in Kapitel fünf bereits als Träger besonders stilvoller Kleidung vorgestellt wurde, fordert seine Besuchergruppen vor diesem Objekt gerne zu einer klassischen Übung auf: dem Kreisen mit der rechten Hand, während die Linke rhythmisch auf die Bauchdecke klopft. Gerne wird dazu gepfiffen. Diese Übung,
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so Lukas, diene der Verknüpfung von linker und rechter Gehirnhälfte und mache so verständlich, wie komplex unser Gehirn sei. In solchem Handlungsvollzug zeigt sich, dass die im Objekt vermeintlich angelegte Dominanz des Visuellen unterwandert werden kann. Diese Praktiken setzen an der Idee der Ähnlichkeit, fast schon des Identischsein von der Repräsentation der durchsichtigen Körper und den Körpern der Besucherinnen an. Die mimetische Qualität der Objekte macht sie so geeignet für das Herstellen leiblicher Resonanz. Michael Taussig (1993) geht ausführlich auf die Verbindung von Mimesis und Moderne ein. Sein Begriff von Mimesis meint „the nature that culture uses to create second nature, the faculty to copy, imitate, make models, explore difference, yield into and become Other. The wonder of mimesis lies in the copy drawing on the character and power of the original, to the point whereby the representation may even assume that character and that power.“ (1993: xiii)
Mimetisches Handeln und das Herstellen mimetischer Repräsentationen macht die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden durchlässig. Nachahmung und Abgrenzung sind dabei eng miteinander verknüpft. Dies zeigt Taussig etwa am Beispiel der handwerklichen Kreativität der Cuna-Indianerinnen aus Panamá, die auf ihren molas (Blusen) Motive der westlichen Werbe- und Warenwelt (z. B. den sprechenden Hund der Grammophonwerbung) verarbeiteten, lange bevor dies auf den dort getragenen T-Shirts in Mode kam (226). Hier betrachtet er Nachahmung und Abgrenzung im Hinblick auf die Bewahrung und Dynamik von Identitäten in postkolonialen Beziehungsgeflechten. Als zunächst einmal visuelles Zeichen der kulturellen Identität der Cuna ist, für das westliche Auge, der Anblick der Kleidung mit einem viszeralen Effekt versehen: „It is a visceral effect, to be sure, a ripple of pleasure felt as sheer substance, in which the mimetic machinery of the West is now mimed by the handiwork of tropical women restoring aura to the opening up of the optical unconscious achieved by those machines.“ (Taussig 1993: 131)
Taussig beschreibt Techniken der Bild- und Tonaufzeichnungen als „mimetische Maschinen“, da sie die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem ermöglichen. Das Konzept der „mimetischen Maschine“ ebenso wie die Multisensorialität des Bildes, das gar nicht nur rein visuell sein kann, weil es ganz unterschiedliche und multisensorische Effekte erzielt (1993: 57 f.), lassen sich sinnvoll auf die gerade beschriebenen Objekte beziehen.
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Wie weiter oben gezeigt, lassen sich beide Objekte als Repräsentationen des Körperinneren fassen, denn sie stellen etwas dar, das vorher nicht sichtbar gewesen ist. Die mimetische Begegnung zwischen Objekt, Führungskräften und Besuchern spielt jedoch stets mit der Grenze zwischen Eigen und Selbst (vgl. Wulf 2006: 51 ff.): die Objekte sind Repräsentationen des Körpers und doch der Körper selbst. Der Prozess der Vermittlung ist dabei der einer doppelten oder sogar dreifachen Mimesis: von Innen nach Außen nach Innen. Abbildung 16: Der „virtuelle Mensch“, umgeben von Gussformen zur Herstellung von anatomischen Modellen weiblicher und männlicher Gipstorsi.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 17: Der „gläserne Mensch“, meist als die „Gläserne Frau“ bezeichnet.
Quelle: Susanne Schmitt
Z USAMMENFASSUNG Das zentrale Thema dieses Kapitels ist das „Berühren und Berührtwerden.“ Bei Vermittlungssituationen im Museum wird, das hat dieses Kapitel gezeigt, Wissen über den Körper durch den Körper vermittelt. Dies geschieht, indem somatische Aufmerksamkeit in bestimmte Körperregionen gelenkt wird. Diese am Leib der Besucher ansetzenden Praktiken wurden am Beispiel mehrerer ausgewählter Vermittlungssituationen illustriert. Nicht nur der Leib der Besucher, sondern auch die Arbeit am Körper und durch den Körper als wichtigem Kommunikationsmedium (Lammer 2007: 99) der Führunsgkräfte wurde dabei analytisch bearbeitet. Latour bezieht sich mit seinem Beispiel des Sets für angehende Parfumeure auf einen lange andauernden Lernprozess, der sich auch sinnvoll auf das „learning by doing“ (Wacquant 2003) der Führungskräfte anwenden lässt. Der von Böhle und Porschen vorgeschlagene Ansatz, die Verbindung aus leiblicher Erkenntnis und körperlichem Handlungsvollzug als „subjektivierendes Handeln“ zu fassen, lässt sich, so meine ich, gut auf die Tätigkeit in der Vermittlung anwenden: „Der Ansatz des subjektivierenden Handelns lenkt die Aufmerksamkeit auf den praktischen Vollzug des Handelns […]. Es umschreibt zugleich ein auf leiblicher Erkenntnis beruhendes praktisches Wissen. Auch wenn dieses sich nicht im herkömmlichen Sinne explizieren (verbalisieren) lässt, ist es im Rahmen gemeinsamer Erfahrungs- und Erlebnis-
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räume durchaus austauschbar […]. Allerdings scheint doch die Möglichkeiten, ein solches Wissen zu entwickeln und den Körper in dieser Weise zu ‚gebrauchen‘ im Zuge der Entsinnlichung und Entkörperlichung von Arbeits- und Lebenswelten eher zu- als abzunehmen.“ (2011: 64)
Der Begriff der Mimesis ist dabei nicht nur auf den Prozess des Lernens des Führungen-Gebens (Wulf 2006: 69), sondern auch auf die Eigenschaft von Objekten innerhalb der Ausstellung anwendbar. Diese Eigenschaften von Objekten und interaktiven Medien sind es unter anderem, die im Zentrum des nun folgenden Kapitels stehen, das sich mit der Neugestaltung eines Ausstellungsraumes zum Thema „Essen und Trinken“ auseinandersetzt.
7. Essen und Gestaltung Der Raum „Essen und Trinken“ wird sinnlicher
Nun wißt ihr des Schlaraffenlandes Art und Eigenschaft. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden, aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn der sagt ihm bestimmt keinen falschen Weg. (LUDWIG BECHSTEIN – DAS MÄRCHEN VOM SCHLARAFFENLAND)
Dieses unter der Überschrift „Essen und Gestaltung “stehende Kapitel thematisiert die Neugestaltung des Raumes „Essen und Trinken“ – desjenigen Abschnittes der Dauerausstellung, der die menschliche Ernährung zum Inhalt hat. Vom Sommer des Jahres 2009 an entstand ein neues inhaltliches und gestalterisches Konzept des Raumes, dem eine bauliche Umgestaltung folgen sollte. Über einen Zeitraum von über einem Jahr wurden erste Überlegungen in Drehbuchform gebracht, geeignete Objekte recherchiert und Rechte an Bildern und Exponaten abgeklärt. Diese wurden beschafft, ins Depot eingelagert und in der Datenbank wurde einer kurze Beschreibung der Objekte sowie eine Abbildung hinterlegt. Der Weg dieser Gegenstände und Ideen in das Museum hinein steht im Mittelpunkt der nund folgenden Darstellung. Der Fokus der Ethnographie verschiebt sich somit von den individuellen Pfaden, die Menschen im Museum entlanggehen, und von dem Lernprozess, der dem „Sehenlernen“ bei der Arbeit im Museum zugrunde liegt, hin zu der konzeptionellen Ebene, der Gestaltung eines Stückes Museumslandschaft. Die Gestaltung der sinnlich-materiellen Umwelt innerhalb eines einzelnen Themenraumes und die Bewertung unterschiedlicher sensorischer Zugänge in der Vermittlung von Wissen durch die Ausstellungs-
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macher und Besucher bilden den Kern dieses Teils der Arbeit. Der Titel des Kapitels hätte dabei ebensogut „Duftcomputer und Totentage“ lauten können, denn die Experimente der Ausstellungsmacherinnen mit einem interaktiven Medienelement zum Thema „Aroma“ und die Versuche, das „mexikanische Totenfest“ unter kulinarischen Aspekten in den Museumskontext hinein zu übersetzen, bilden den Ausgangspunkt der ethnographischen Erzählung. Der Kontext meiner Forschung über den Raum „Essen und Trinken“ und seine Umgestaltung unterschied sich deutlich von der teilnehmenden Beobachtung der unterschiedlichen museumspädagogischen Angebote, den Einzelinterviews mit den Museumsmitarbeitern und den mit der Videokamera und dem Fotoapparat begleiteten Spaziergängeund Wanderungen durch das Museum. Zum ersten Mal richtete sich meine Aufmerksamkeit auf die individuellen Besucher des Museums, bei denen es sich häufig um Gruppen von Freunden, Familien und Paare handelte, die Dresden für einige Tage besuchten. Im Gegensatz zu meinen vorherigen Aufenthalten im Museum, die mich häufig im Laufschritt durch die Museumslandschaft geführt hatten, bewegte ich mich bei meinen Forschungen über diesen Abschnitt der Dauerausstellung auch kaum innerhalb des Ortes sondern verblieb meistens, von kurzen Streifzügen innerhalb des Raumes sowie durch die angrenzenden Räume, an einer Stelle oder aber ich bewegte mich vollständig aus dem lokalen Museumskontext heraus. Die Neugestaltung des Raumes führte mich näher an die konzeptionelle Ebene der Ausstellungsgestaltung heran. Als „Ethnologin“ wurde ich als Expertin für die Themen „Essen und Kult“ sowie „Globalisierung“ betrachtet, die in dem neu gestalteten Raum verstärkt Berücksichtigung finden sollten. Daher war ich während der einjährigen Phase der Neukonzeptionierung und Umsetzung bei zahlreichen Diskussionen und Recherchen in einer ethnologischen Doppelrolle anwesend: als teilnehmende Beobachterin und als ethnologische Expertin für den „Rest der Welt“. War ich vorher teilnehmende Beobachterin innerhalb der Welt der cultural broker, der Kulturvermittler und Repräsentationsarbeiter, gewesen, rückte ich nunmehr in die Ränge der „Repräsentationseliten“ (Färber 2006: 16) vor und nahm, zumindest für einen kurzen Zeitraum, eine Doppelrolle ein: Auch ich wurde zur „Cultural-Brokerin“ (Welz 1996), indem ich das Wissen der akademischen Ethnologie in den Museumskontext zurückführte. Mein entsprechendes soziales Kapital, nämlich meine Kontakte innerhalb der Ethnologie, ermöglichten mir einen Blick auf die Praktiken der Repräsentationsarbeit, die die Raum- und Objektwelt und damit die körperlich-sinnlich erlebte Umwelt des Museums entstehen ließen, die dann wiederum von den Besuchern und Führungskräften, mit denen ich zuvor gearbeitet hatte, individuell angeeignet wurde.
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Die konzeptionelle Arbeit, die das Team leistete, nämlich die Entwicklung einer Ausstellung, lässt dabei Einblicke in die Bewertung von Sinneseindrücken zu, die über den musealen Kontext hinausgehen: „(a)usgehend von den Praktiken, die Repräsentation produzieren, können […] Aussagen über die kulturelle Verfasstheit von Gesellschaften gezogen werden“ (Färber 2006: 16).Dies gilt auch für die Priorisierung bestimmter Sinnesmodalitäten und Erkenntniszugänge. Die sensorischen Praktiken der Repräsentationsarbeit im Kontext des Ausstellungsmachens und die Transformation von Alltagsdingen wie Lebensmitteln in Museumsdinge durch ihre Einpassung in unterschiedliche sinnliche Kontexte sind, das zeigt dieses Kapitel deutlich, Ausdruck des spezifischen sensorischen Regimes des Museums, das die Vereinnahmung der Dinge im Museum durch den kolonialisierenden Blick mit sich bringt (Classen, Howes 2006: 200). Anhand der Beispiele des „Duftcomputers“, einem interaktiven olfaktorischen Exponat, und der Darstellung von Speisen und der kulinarisch-religiösen Dimension des mexikanischen Totenfestes wird dies in diesem Kapitel exemplarisch gezeigt.
7.1 D IE N EUGESTALTUNG
UND DAS
D REHBUCH
Die Dauerausstellung des Museums wird konstant auf ihre Aktualität hin überprüft. Eine grundlegende Revision der Ausstellung ist für die kommenden Jahre geplant. Dafür, dass der Raum „Essen und Trinken“ als besonders erneuerungswürdig wahrgenommen wurde, so dass die Neugestaltung der Ausstellung hier begonnen werden sollte, wurden während meiner Feldforschung im Wesentlichen drei Gründe vorgebracht. Aus Perspektive der Kuratoren schien vor allem der Schwerpunkt auf den Themen „Physiologie“ und „Industrialisierung“ verbesserungswürdig. Dieser sollte zwar bestehen bleiben, der Aspekt des Essens als „Kulturtechnik“ jedoch betont werden. Aus der Perspektive von Museumspädagogik und Führungskräften ließ der Raum als Umfeld für die in der Führungspraxis wesentliche Mobilität zu wünschen übrig.Er war eng und bot Gruppen nur unzulängliche Sichtachsen und Sitzmöglichkeiten. Alle schätzten die Atmosphäre des Raumes als ungünstig ein: sie entsprach nach Meinung vieler Mitarbeiter weder dem genussvollen Aspekt des Themas „Essen und Trinken“ noch den Bedürfnissen von Führungskräften und Besuchern, die an diesem Punkt der Ausstellung bereits eine längere Wegstrecke durch das Museum zurückgelegt hatten.
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Abbildung 1 8: Der Raum Essen und Trinken im Oktober 2009 vor der Umgestaltung. Im Vordergrund die Grobbrecherwelle, dahinter die Gläserne Kuh sowie links die Küche.
Quelle: Susanne Schmitt
7.1.1 Der „alte“ „Raum Ernährung“ vor der Neugestaltung Der Ausstellungsteil „Essen und Trinken“, der von den Mitarbeitern des Museums meist kurz „Raum 3“oder „Raum Ernährung“ genannt wird, befindet sich hinter den Räumen „Der gläserne Mensch“, der Bilder des modernen Menschen in der Wissenschaft vorstellt (vgl. Kapitel 6.4) und dem Raum „Leben und Sterben“, in dem Formen des Umgangs mit dem Tod zur Diskussion anregen sollen. In Grüntönen gehalten, wird er von drei Leitobjekten dominiert, die beim Eintreten sofort ins Auge fallen: Die gläserne Kuh Heidi, die einen Blick in ihr Inneres ermöglicht, eine kirschrote vollautomatische Küche aus den siebziger Jahren sowie eine Grobbrecherwelle, die aus Tierresten Futtermehl herstellt, dominieren ein Podest in der Mitte des Raumes. An einer Wand leuchtet ein Schriftzug der Kette „Goldbroiler“ auf, einer beliebten ostdeutschen Kette, die zu DDR-Zeiten gegrilltes Geflügel anbot. Der Raumüberschrift am Eingang ist zu entnehmen, dass hier das Thema „Einverleibung“ dargstellt wird, mit einem Schwerpunkt auf den Verdauungsprozessen, Fragen der gesunden Ernährung und der industriellen Herstellung von Lebensmitteln.
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7.1.2 „Wir laufen hier immer nur im Kreis rum“ – Motive für die Umgestaltung Der Raum „Ernährung“ war der erste Raum von insgesamt sieben Räumen der Dauerausstellung, der neu gestaltet werden sollte. Die Neueröffnung war für den Sommer 2010 geplant. Unter den Museumsmitarbeitern war der Raum aus unterschiedlichen Gründen als defizitär wahrgenommen worden. Die Museumpädagogen und freien Mitarbeiter, die im Führungsbereich arbeiteten, empfanden den Raum als schwierig zu führen, da er in seiner räumlichen Gestaltung für Führungen als wenig geeignet schien. Er wurde als zu wenig geräumig kritisiert und die „automatische“ oder „vorgezeichnete“ Dramaturgie, die in den anderen Räumen durch eindeutig positionierte Leitobjekte angedeutet wurde, verlor sich aus der Perspektive vieler Museumsmitarbeiter in diesem Raum. Dies verdeutlichen Aussagen einer freiberuflichen Mitarbeiterin der Museumspädagogik: „Der Raum ist, und da gebe ich vielen Kollegen recht, einfach schwer zu führen. Hier ist überhaupt keine vernünftige Choreographie drin.“ Und ihre Kollegin ergänzt: „Man läuft da mit den Leuten einfach immer nur im Kreis und gerade mit den Kindern hat man überhaupt keinen Platz um sich hinzusetzten.“ Die Atmosphäre des Raumes wurde mit folgenden Worten beschrieben: „Ich mag den Raum nicht. Ich kann Dir gar nicht sagen warum. Die ganze Atmosphäre mit dieser Insel in der Mitte und den Schweinsköpfen. Obwohl es auch sehr schöne Sachen da gibt, die Äpfel, und auch die tiefgefrorenen Erdbeeren. Aber so inhaltlich, mit diesem Industriethema, das finde ich jetzt auch nicht so spannend.“ (Mitarbeiter der Museumspädagogik)
Dieser inhaltliche Schwerpunkt musste sechs Jahre nach Eröffnung der Dauerausstellung neu überdacht werden, um dem aktuellen, nach Innen und Außen hin propagierten Selbstbild als „modernes Wissenschaftsmuseum“ gerecht zu werden: „Wir wollen das Museum auch nicht als Ernährungsratgeber verstehen, sondern lieber Denkanstöße geben“ (Museumspädagogin). Das Angebot für die Besucher sollte verändert werden und einem Selbstverständnis des Museums entsprechen, das weniger unter dem Stern der Gesundheitsaufklärung stand, die „mit erhobenem Zeigefinger“ als „Ernährungsratgeber“ erfolgte, sondern weniger normativ sein wollte. Damit sollte der neue Raum 3 dem aktuellen Leitbild des Hygiene-Museums als „diskursives Mu-
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seum“ und „Wissenschaftsforum“1 gerecht werden. Die inhaltlichen und gestalterischen Aspekte vermengten sich dabei zu einem neuen Erzählstil, der mit den folgenden Worten charakterisiert wurde: „Essen wird sinnlicher.“ Das für die Neugestaltung verantwortliche Team, bestehend aus einer Kuratorin des Museums und zwei projektbezogen angestellten Mitarbeiterinnen, die ebenfalls konzeptionell arbeiteten, spiegelte die gerade beschriebenen Einschätzungen von Museumspädagoginnen und freien Mitarbeitern: „Der Raum ist für den Einzelbesucher am wenigsten attraktiv, er funktioniert nicht gut. Die Leute laufen da nur einmal drin herum und können nicht wirklich etwas machen. Und mit den dunklen Farben ist er auch nicht richtig einladend und erfrischend. Wenn die Besucher hier ankommen sind sie schon durch den Menschen und durch Leben und Tod durch. Da sind sie schon so ein bisschen erschöpft und brauchen etwas das sie aufweckt, wo sie denken „wow“. Wir wollen auch thematisch mit anderen Aspekten arbeiten, mehr mit Aroma, Genuß (sic!) und Tischkultur.“ (Maja Wegerich, Kuratorin der Dauerausstellung) „Ja, das hat man dem Raum eben angemerkt dass er so ein bisschen fad und unerotisch war, obwohl Essen ja eigentlich so ein lustvolles und sinnliches Thema ist. Und das soll ja jetzt eben bei der Neugestaltung auch stärker berücksichtigt werden, dass mehr mit Aroma und Genuss gearbeitet wird, mit der Lust am Essen eben.“ (Marie Kaschuba, Projektmitarbeiterin)
7.1.3 Sinnlichkeit als Diskurs der Ausstellungsgestaltung Die „Sinnlichkeit“ der neu zu konzipierenden Ausstellung war für die Ausstellungsmacherinnen mit Begriffen wie Aroma, Genuss und Erotik konnotiert. Der Diskurs der „Sinnlichkeit“ und atmosphärischen Auflösung des Betrachters zählt dabei zu den wirkmächtigen Diskursen zeitgenössischer Ausstellungspraxis. Es handelt sich dabei um einen Gegenentwurf zu dem panoptischen Apparat im Foucault’schen Sinne, der ein Leiblichkeitsverständnis transportiert, das Visualität mit Rationalität gleichsetzt: „a discourse in which the viewer is immersed, once again through an apparatus, such as a panopticon, which distances the observer from the observed and reduces sensory input other than the visual to a minimum.“ (Losche 2006: 224)
1
Aus einer Rede des Direktors des Deutschen Hygiene-Museums, Prof. Klaus Vogel, anlässlich eines Treffens der freien Mitarbeiter des Museums, 16.9.2009.
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Dass ein Gegenentwurf „in which the viewer is immersed, once again through an apparatus, for example words or sounds, in a sensescape, a particular imaginary sensorium“ (ibid.) häufig zum Scheitern verurteilt ist, zeigt Diane Losche anschaulich anhand der von Margaret Mead kuratierten Ausstellungshalle „Pacific Peoples“ des American Museum of Natural History in New York. Die Übersetzung von gelebter Erfahrung von einem Ort in eine „Heterotopie“ wie das Museum, so ihr Fazit, ist unmöglich und erzeugt unter Umständen den schalen Beigeschmack der Fälschung. Die in dem bisherigen Raum „Essen und Trinken“ angelegte Beschäftigung mit den Sinnen ergibt sich jedoch aus dem organologischen und physiologieorientierten Zugang dieser Inszenierung. Bereits in dem „Leitfaden für die Dauerausstellung“ des „alten“ Raumes wird die „Sinnlichkeit“ dieses Aspektes des Menschseins mit folgenden Worten hervorgehoben und die vorhandenen Objekte entsprechend beschrieben: „Essen dient der Versorgung des Körpers mit lebensnotwendigen Nährstoffen; es ist aber auch ein sinnliches Erlebnis – zuerst des Sehens und Riechens, dann des Schmeckens, Kauens und Schluckens. Die Ausstellung stellt daher zunächst das sensible Instrumentarium vor, mit dem sich der Körper in der Reizvielfalt des Essens orientiert: An erster Stelle steht das große Modell einer Zunge aus Holz (geschaffen zwischen 1956 und 1961). Ein lackiertes Gipsmodell des aufgeschnittenen Nasen-Rachen-Raums (um 1920) führt in jene Wahrnehmungszone ein, die zum Erkennen und Genießen der Speisen weit mehr beiträgt als die Zunge – den Sitz des Geruchssinns. Der Mensch kann bis zu 10.000 verschiedene Gerüche erkennen, wenn auch nur etwa 100 begrifflich fassen. In welchem Umfang sich aufgrund entsprechender Kennnisse Aromen synthetisch erzeugen lassen, können die Besucher an einer Reihe von Riechkolben erproben, die in ihrer Gesamtheit die Duftimpression eines Frühstücks bei offenem Fenster zu erzeugen versprechen.“ (Presseinformation der Stiftung Deutsches Hygiene Museum, Stand 12. 12. 2009)
In der konkreten Raumgestaltung waren sowohl die menschliche Zunge und der Verdauungsapparat als auch Gewürze in Vitrinen hinter Glas zu sehen. Die meisten Objekte des Raumes „Essen und Trinken“ sind visuelle Artefakte, die aufgrund ihrer sichtbaren Merkmale für die Ausstellung ausgewählt wurden, selbst wenn in ihren ursprünglichen Gebrauchs- und Alltagskontexten ganz andere Merkmale und sinnliche Eigenschaften von Bedeutung waren. So waren etwa Kaffee, Tee sowie eine Nachbildung von Rindfleisch unter Glas zu sehen, nicht jedoch zu befühlen, zu schmecken oder zu riechen. Die sensorischen Ursprungskontexte dieser Lebensmittel, denen durch Nachbildung und Neukontextualierung der Status von Museumsobjekten zugeschrieben worden war, war
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verloren gegangen und ihre sensorische Handlungsfähigkeit transformiert worden. Unter dem Diktat, Schauobjekt sein zu müssen, hatte die Gewürze ein für Museumskontexte typisches Schicksal ereilt: Sie gerieten hinter Glas und wurden zum visuellen Zeichen für Geruch und Geschmack. Die „ways of sensing“ (Classen, Howes 2006: 200), die Objekte verkörpern, bleiben damit variabel und sind Bestandteil ihrer sensorischen Biographien und ihrer Aneignung durch unterschiedliche Praktiken. Eines der Leitobjekte des Raumes etwa, die gläserne Kuh „Heidi“, die in den fünfziger Jahren in den Museumswerkstätten entstand, war auf ihren visuellen Eindruck hin speziell für Ausstellunsgkontexte erschaffen worden. Heidis agency ist eine eindeutig intendierte, die durch ihre Aufstellung im Museumskontext nicht verändert wurde. Sie war als Schauobjekt geplant und gebaut geworden und als Schaustück der handwerklichen Kunst der Museumswerkstätten bis auf Landwirtschaftsausstellungen nach Indien gereist. Den Begriff der agency verstehe ich hierbei mit Alfred Gell als kulturspezifische Vorstellung über die Kausalität von Handlungen, deren Deutung stets in soziale Zusammenhänge eingebunden ist: „The idea of agency is a culturally prescribed framework of thinking about causation, when what happens is (in some vague sense) supposed to be intended in advance by some person-agent or thing-agent. Whenever an event is believed to happen because of an intention lodged in the person or thing which initiates the causal sequence, this is an instance of agency.“ (1998: 17)
Die erhoffte „Frische“ und „Sinnlichkeit“ des Raumes sollte auch über eine farbliche Gestaltung und Architektur vermittelt werden, die als „leicht“ und „lebhaft“ erscheinen sollte. In dem neu gestalteten Raum wurde ein Raum- und Farbkonzept umgesetzt, dass mit dem Begriff der „Transparenz“ belegt wurde. Statt des Podestes in der Mitte des Raumes, welches mit unterschiedlichen Exponaten zur industriellen Fertigung von Nahrung bestückt war, bildeten in den Skizzen der Architekten zwei Tische den neuen Mittelpunkt des Saales. Die Tischplatten ruhen auf transparenten Säulen, die sich zu Vitrinen emporziehen, in denen die Themen Kochkunst, Küchentechnik, Tischkultur und Aroma inszeniert werden. Die gläserne Kuh ist zwischen diesen beiden Tischen aufgestellt, hat in der Neuinszenierung jedoch eine Bedeutungswandlung erfahren.Sie steht weniger für die industrielle Massenproduktion von Lebensmitteln, sondern greift auch das Motive des „gläsernen Menschen“ wieder auf (vgl.Kapitel 6.4) und gibt dem Raum somit einen historischen Bezug. Die Geschichten, die in dem neuen Raum über das Essen und Trinken erzählt werden sollten, wurden dabei immer auch aus der beim Laufen, Durchschreiten
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und Betrachten entstehenden Perspektive des sich im Raum bewegenden Besuchers, dem mögliche Pfade durch das Thema vorgeschlagen werden sollten, erzählt. Dass Laufen eine Wissensform ist (Ingold, Vergunst 2008: 5) und die Dramaturgie einer Ausstellung sich ebenso anhand eines „Raumbildes“ (Interview mit Daniela Kratzsche) wie anhand der aktiv beschrittenen Pfade erschließt, bildet den Grundstock von Wissen und Praxis der Museumsinszenierung. Die folgende Skizze der Kuratorin der Dauerausstellung, die während der Planungen des Raumes entstand, zeigt die imaginierten Pfade der Besucher und Navigationsvorschläge für mögliche zukünftige Führungen auf. Gleichzeitig dienten sie der Orientierung innerhalb des vorgestellten Raumes während des Planungsprozesses. Abbildung 19: Skizze des Raumes mit handschriftlichen Anmerkungen der Ausstellungsmacherinnen.
Quelle: Susanne Schmitt
Für die Frage der räumlichen und atmosphärischen Gestaltung war auch die inhaltliche Ausrichtung maßgeblich. In dem „Drehbuch“ genannten Skript, das das Team der externen und internen Ausstellungsmacherinnen zu Beginn der Planungen entwickelte, wurde die folgende Definition von „Nahrung“ bzw. „Essen und Trinken“ entwickelt, an der man sich im Laufe des Prozesses orientieren wollte: „Die Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Der Körper lässt uns täglich spüren, dass er Nahrung braucht. Welche Kriterien die Ernährung erfüllen muss, teilt
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der Körper aber nicht unmittelbar und eindeutig mit. In einer Situation des Überangebots sind Erfahrungen und Wissen notwendig, um die Bedürfnisse des Körpers zu interpretieren. Heute, nachdem Technisierung, Ökonomisierung und Spezialisierung die Nahrungsmittelversorgung immer sicherer gemacht haben, ist das Wissensbedürfnis zunehmend auf Inhaltsstoffe und Produktionsweisen gerichtet. Im ‚Totalphänomen Essen‘ (Marcel Mauss) fließen Körper und Geist, Kultur und Natur, Tradition und Physiologie, Genusssucht und Gesundheitsbewusstsein zusammen. Mit der Wahl des Nahrungsmittels wird jeweils auch eine Wahl der kulturellen Zugehörigkeit und des Lifestiles (sic!) getroffen. Essen und Trinken sind also mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Sie können Spaß machen und Glücksmomente bringen. Zur Kultur des menschlichen Essens gehören Individualität und Freiheit ebenso wie Verantwortung dem eigenen Körper, den Mitmenschen und dem Planeten gegenüber, der diese Nahrungsmittel hervorbringt.“ (Aus dem „Drehbuch“ für die Neugestaltung des Raumes „Essen und Trinken“)
Diese als holistisch verstandene Interpretation des Themas Ernährung sollte die im Museumskontext als schwierig geltende Präsenz von Gerüchen, Düften und Aromen einbeziehen. 7.1.4 Geschichten über Düfte erzählen Zum Thema „Aroma“ sollten in der Neuinszenierung „Geschichten erzählt werden“, so die Kuratorin Maja Wegerich, die sich mit der Dichotomie von natürlichen und künstlichen Aromastoffen und dem Kochen als Kunstfertigkeit von großer sozialer und kultureller Bedeutung befassen. Das „Drehbuch“ der Neugestaltung gab hierfür folgende Rahmenerzählung vor: „Schmecken ist eine Fähigkeit, die vor allem dazu dient, gute Nahrung von verdorbener zu unterscheiden. Darüber hinaus eröffnet sich beim Schmecken ein Universum unendlichster Geschmackskompositionen – durch die Kochkunst stetig erweitert und verändert. Grundlage des Geschmacks sind die Aromastoffe. Sie kommen in sehr geringen Mengen in den Lebensmitteln vor. Fast immer bestimmt ein ganzes Set von Aromastoffen und deren jeweilige Konzentration über den Geschmack eines Lebensmittels. Es sind vor allem die Sinneszellen der Nase, welche die feinen Nuancen der so genannten „flüchtigen Aromastoffe“ aufnehmen. Streng genommen sitzt der Geschmackssinn aber im Gehirn. Die geschmackliche Differenzierungsfähigkeit lässt sich trainieren aber auch überlisten, was sich die Aromaindustrie zunutze macht. Neue Technologien ermöglichen immer neue Geschmacksnoten und die Kopie natürlicher Aromen – was bei verschiedenen Aromen unterschiedlich gut gelingt.“
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Anhand dieses aus dem Drehbuch für die Neugestaltung zitierten Textes wird deutlich, dass auch für die Thematik des Kochens, welches in Zukunft noch stärker als zuvor als „Kulturleistung“ zelebriert werden sollte, physiologische Referenzpunkte bereitgestellt wurden. Die Aromastoffe, die nun mithilfe eines interaktiven Exponates von den Besucherinnen und Besuchern ausprobiert werden sollten, wurden in Drehbuch und Ausstellungspraxis als Dreh- und Angelpunkt des museumsinternen Diskurses über die „menschliche Natur“ strategisch eingesetzt: sie vermittelten zwischen dem „Universum unendlichster Geschmackskompositionen“ – „durch die Kochkunst stetig erweitert und verändert“ und bezeichneten gleichzeitig hirn- und sinnesphysiologische Vorgänge. Sie wurden damit zu Wissensobjekten, die je nach Lesart zweierlei bezeichnen konnten: die Genussfreude des Kochens mit vielfältigen und aromatischen Zutaten und die Verarbeitung der Geschmacks- und Geruchserfahrungen mit dem Vokabular der Hirnforschung. Der Anspruch des Museums, das „Abenteuer Mensch“ aus der Perspektive der Kultur- und Naturwissenschaften heraus erfahrbar zu machen, zeigte sich also auch anhand des Themas „Aromastoffe“, welches in ein „Mitmachelement“ übersetzt werden sollte. Unter dem Überbegriff „Kochen – aus Natur wird Kultur“ sollte eine Riechstation eingerichtet werden, die das bisherige Duftexponat ersetzten sollte und die aus einem Duftcomputer oder auch Riechcomputer, wie er innerhalb des Teams genannt wurde, bestand und dessen Testphase ich anhand einer zweiwöchigen teilnehmenden Beobachtung und durch mehr als dreißig Interviews mit Museumsbesucherinnen und Mitarbeitern im Oktober 2009 begleitet habe. Das bisher verwendete Objekt „Frühstück ist fertig!“ forderte den Besucher zum Erschnuppern „typischer“ Frühstücksgerüche auf. Dabei handelt es ich um die Duftrichtungen „frische Luft“, „Brötchen“ und „Kaffee“. Die Frühstücksstation Die Frühstücksstation ist, folgte man dem vorgesehenen Pfad durch das Museum, am hinteren Ende des Raumes gelegen. An der holzverkleideten Wand sind auch Abbildungen von regionalen Spezialitäten aus Deutschland angebracht. Die Station dient unterschiedlichen Vermittlungszielen. Sie soll auf die Bedeutung des Geruchssinnes für das Erkennen verdorbener Speisen aufmerksam machen und gleichzeitig auf die Emotionalität und Subjektivität von Gerüchen verweisen. Wie der neu geplante Duftcomputer auch, bewegte sich das Vermittlungsziel damit zwischen einer evolutionsbiologischen Deutung und Legitimierung „guten Riechens“ und der Subjektivierung des Riechens innerhalb der Erinnerungs- und Erfahrungswelt des individuellen Besuchers.
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Abbildung 20: Die Duftstation in dem Raum „Essen und Trinken“.
Quelle: Susanne Schmitt
Die für die Besucher vorgesehene Objektbeschreibung der Duftstation lautet: „Riechen Sie, was zum Frühstück serviert wird. Bekommen Sie Appetit? Haben Sie eine bestimmte Situation vor Augen? Vor dem ersten Bissen regt der Duft einer Speise die Produktion von Speichel an. Voller Lust greift man zu. Riecht ein Essen schlecht, rührt man es nicht an. Mit dem Geruchssinn wird ein Essen beurteilt: Ist es verdorben? Schmeckt es? Und mit dem Geruch verbinden sich starke Erinnerungen und Gefühle, auch wenn man den Duft mit Worten nicht beschreiben kann. Hier haben Sie die Möglichkeit, drei Düfte zu riechen. Jeder Zylinder steht für einen Geruch. Ziehen Sie den Deckel hoch.“
Eine leibliche Resonanz des Besuchers – idealerweise in Form von Appetitbildung, lustvollem Zugreifen und erhöhter Produktion von Speichelfluss – war dabei ausdrücklich erwünscht. In der Praxis jedoch wurde dieses Ziel nach Einschätzung der Museumsmitarbeiterinnen kaum erreicht. Zum einen lasen die wenigsten Besucher die Beschriftung der Riechstation. Die ausströmenden Aromen wurden somit nicht mit den anvisierten Inhalten in Verbindung gebracht. Gleichzeitig wurden die Düfte schlicht als unangenehm empfunden. So äußerte sich beispielsweise eine Besucherin, die sowohl den Duftcomputer als auch die „alte“ Riechstation ausprobiert hatte, mit folgenden Worten über ihr Erlebnis mit der Installation „Frühstück ist fertig!“:
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„Die Brötchen, die waren übelst eklig. Wie verschimmelte Lebkuchen. Richtig schlimm. Und Kaffee, da wurde es mir auch gleich schlecht. Und frische Luft riecht auch nicht nach Putzmittel. Also die Brötchen würde ich nicht kaufen. Da macht mal lieber den Duftcomputer. Ganz künstlich, die Düfte.“
Die Unbeliebtheit der Gerüche bei den Besuchern war sowohl von dem Aufsichtspersonal des Museums als auch den Ausstellungsmachern und der Kuratorin wahrgenommen worden. Die „Künstlichkeit“ der Geruchsstoffe bot dabei den häufigsten Anlass für Kritik.Das ehrgeizige Ziel, mit der Installation den „Eindruck eines Frühstückes am offenen Fenster“ erreichen zu wollen, wurde nicht erreicht. Für die in den Reaktionen der Besucher erfahrenen Mitarbeiter des Sicherheitsservices, denen die Gerüche wohl bekannt waren, waren die Erfahrungen der Besucher häufig weniger Ausdruck musealer Repräsentationskrisen, sondern vielmehr Ausdruck mangelnder Ortskenntnis und Navigationsfähigkeit, wie die Fürhungskraft Nicole erläutert: „Die Düfte, die finde ich ja total unnatürlich. Da gehen immer alle hin und freuen sich ‚oh, frische Brötchen‘ und dann ‚Iiih‘. Wobei man ja auch mal gelernt hat, im Chemieunterricht, wenn man etwas nicht genau kennt dann soll man auch nicht so nahe hingehen. Aber die Leute, die gehen da immer hin und ziehen das mit voller Wucht raus und dann ‚Iih‘.“
Die Riechstation des Raumes hatte sich damit in die sensorischen Geographien (Rodaway 1994, Law 2006) des Aussichtspersonals eingeschrieben, bei der sich Geruchswahrnehmung und die Antizipation des Verhaltens der Besucher miteinander vermischten, wie eine Bemerkung einer Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes illustriert: „Also wenn da welche sich nähern, da mach ich immer schon einen großen Bogen. Da weiß ich dann schon, da kommt eine Duftwolke und der Besucher macht gleich einen großen Satz rückwärts.“ (Mitarbeiterin des Sicherheitsservices, Feldnotizen)
Zu der Kenntnis der sensorischen Konturen des Raumes gehörte damit nicht nur das Wissen um die dort verborgenen Gerüche, sondern auch das Wissen um die sich für Museumskontexte ungewöhnlich verhaltenden, da springenden, Besucher. Die Künstlichkeit der synthetischen Duftnoten wurde also in der Erfahrung des Sicherheitspersonals unmittelbar in eine Bewegungserfahrung und oft auch in eine spezifische Klangerfahrung rund um das Objekt übersetzt, die die Differenz zwischen ihnen und den Besuchern verwies.
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Auch den Ausstellungsmacherinnen war bewusst, dass dieses Objekt, „nicht funktionierte“. Für die Berliner Ausstellungsmacherin Daniela Kratzsch, die zu dem Team der Kuratorinnen gehörte, lag das Scheitern des Objekts in den zu hohen Ansprüchen an das Hervorrufen einer „realistischen“ Situation begründet: „Hinten gibt es diese Riechstation, und das was man gewollt hat – man hat glaube ich sehr, sehr viel gewollt – man hat halt gesagt man möchte anhand der drei Gerüche die dort sind so ein Gefühl oder eine Situation evozieren. Man soll sich fühlen als säße man da am Frühstückstisch. Und das ist ’ne ganze Menge, was man da will. Und dazu muss man ja eine perfekte Vorlage haben. Und diese drei Düfte, die da angeboten werden, die sind einfach nicht gut. Die funktionieren gar nicht. Alle Leute die dran riechen sagen es ist maximal schlecht, es funktioniert nicht, und die meisten sagen es ist eklig. Und deswegen denk ich auch, solche Sachen sind eher schwierig. Da muss man sehr, sehr genau gucken was man überhaupt machen kann und eher reduzieren als sagen, man möchte jetzt sehr viel an dieser Stelle und schafft das jetzt mit diesem Hilfsmittel Duft. Das haut hin. Nur weil Proust es so beschrieben hat muss es halt nicht zwangsläufig immer klappen.“
Die Kritik der Ausstellungsmacherin war eine grundsätzliche an den Grenzen und Möglichkeiten olfaktorischer Repräsentation im Museum. Ausstellungen bezeichnet sie als „visuelle Angelegenheit“: „Oft ist es schwierig, wenn man Dinge versucht nachzubilden, wenn man versucht die Wirklichkeit abzubilden im Museum. ‚Ich bau jetzt mal ’ne Wiese nach‘, wie sich das anfühlt im Sommer auf der Wiese zu liegen und in den Himmel zu schauen. Das wird man nicht hinbekommen. Ganz oft hab ich so den Eindruck, wenn ich Sachen gesehen habe und dachte, das funktioniert nicht. Aber das kann man nicht, das funktioniert nicht, das ist ’ne ganz andere Art der Präsentation im Museum. Und deshalb sollte man das bei den ‚anderen Sinnen‘ dann ähnlich sehen. Denn es ist ja eine ganz andere Erfahrung im Sommer auf der Wiese zu liegen. Und wenn ich in ein Museum gehe bin ich im Museum und nicht auf der Wiese und deshalb ist es komisch das zu wollen. Das kann ja eigentlich nur scheitern. Man transformiert ja Sachen, wenn man eine Ausstellung macht. Das ist ja etwas, was man mitdenken muss.“
Die Repräsentation von Gerüchen im Museum gilt in der Tat als besonders schwierig, verweist im Grunde jedoch auf Debatten nach Authentizität, die in Bezug auf visuelle Artefakte ebenso geführt werden. Wie Jim Drobnick ausführt, bezeichnet der Einsatz von Düften auch die „hipness“ einer Institution in Bezug auf multimediale Ausstellungsgestaltung, rücken einzelne Museums- und Ausstellunsgprojekte aber auch schnell in die Nähe populistischer, Entertainment-
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orientierter und kommerzieller Ausstellungsgestaltung (2006a: 269). Von dieser Vorstellung distanzierten sich die Ausstellungsmacherinnen eindeutig. Sie widersprachen auch ihrem Verständnis einer avantgardistischen Kulturinstitution. Es ist der „Ruch“ des Billigen und Volksnahen, der mit dem Einsatz einer „klassischen Museumsästhetik“ (Presseinformation der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Stand 12. 12. 2009)verhindert werden soll. Das allzu üppige Verwenden von olfaktorischen Mitmachelementen wurde dabei in die Nähe „billiger Effekte“ gerückt. Die „totale Erfahrung“ einer neuartigen Geruchsatmosphäre (ibid.), wie sie etwa durch eine olfaktorische Gestaltung und Inszenierung des gesamten Raumes möglich gewesen wäre, kam im Deutschen Hygiene-Museum aus den genannten Gründen nicht in Frage. Eine „Aromatopie“, also die etwa in Freilichtmuseen und historischen Museen besonders im englischsprachigen Ausland gebräuchliche Hervorrufung anderer Orte und Zeiten durch eigene Duftkompositionen (Drobnick 2006a: 270) wurde ausgeschlossen. Trotz der Kritik von Besuchern und Museumsmitarbeitern sollte jedoch auch in dem neuen Ausstellungsraum ein interaktives Exponat bereitgestellt werden.
7.2 D ER D UFTCOMPUTER
UND DIE
B ESUCHER
Um das bereits vorhandene Exponat „Frühstück ist fertig“ zu ersetzen, wurde die Entwicklung eines Medienelementes angedacht, welcher Düfte ausgeben sollte, die thematisch mit dem Bereich Essen und Lebensmittel in Verbindung standen. Anders als Museumsobjekte, die bereits vor ihrer Musealisierung bestanden und nun im Museum einen neuen Abschnitt ihrer Biographie beginnen, wurde der Duftcomputer speziell für das Deutsche Hygiene-Museum gefertigt. Seine Entstehung hatte er einer Koalition unterschiedlicher Interessen zu verdanken: Der Fachbereich für Hals-, Nasen-und Ohrenheilkunde der Technischen Universität Dresden entwickelte einen Computer, der das Riechvermögen der Besucher testen sollte. Das neue Objekt entstammte damit einem wissenschaftlichen Kontext und entstand an der Schnittstelle von kuratorischem und medizinischem Interesse. Der Computer bestand aus einem herkömmlichen PC, von dem für den Besucher lediglich Teile der Peripherie, also der Monitor sowie eine Maus zu sehen waren, und einem Aromadiffusor. Der Benutzer saß vor dem Monitor und musste zunächst das eigene Alter, eine allgemeine Einschätzung der Riechfähigkeit und die Güte des Duftflusses in der Nase angeben. Der notorischen Unbeschreibbarkeit von Düften versuchte man dadurch zu entgehen, dass bestimmte
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Antworten bereits vorgegeben waren: Jeweils vier Gerüche wurden als mögliche Antworten vorgegeben und durch fotorealistische Darstellungen auf dem Display angegeben. Bei den Düften handelte es sich um Richtungen wie Flieder, Kaffee, Cola, Orange, Birne, Tanne, Rose und Pfefferminz. Einer der visuell repräsentierten Geruchsquellen sollte mit einem bestimmten Aroma korrelieren. Am Ende des Selbstversuches mit dem Duftcomputer stand für den Besucher eine Einschätzung der Riechfähigkeit der Person, die gleichzeitig den Computer und sich selbst getestet hatte. Dem grundlegenden Gedanken interaktiver Museumsexponate wurde damit in direkter Hinsicht Rechnung getragen: „Indem die Individuen mit den Exponaten auch sich selbst untersuchen, befinden sie sich zugleich in der Rolle des Subjekts und des Objekts der Forschung.“ (Bellanger 2004: 923)
Was die Wissenschaftssoziologen Christian Heath und Dirk vom Lehn für interaktive Elemente in britischen Science Centres (sic!) bereits festgestellt hatten, galt auch für das neue Mitmachelement des Hygiene-Museums: „The ‚interaction‘ not only prioritizes the single individual, but an individual whose principal contribution is to respond to questions and prompts of the system in order to achieve a particular goal.“ (Heath, vom Lehn 2008: 70)
Die subjektiven Erfahrungen und Assoziationen der Besucher mit den Gerüchen des Computers standen nicht im Vordergrund – ganz im Gegenteil wurde ihre Performance im Hinblick auf ein vermeintlich „objektives“ wissenschaftliches Ideal gemessen. In einer Testphase luden Doktorandinnen der Universitätsklinik die Besucherinnen und Besucher dazu ein, an einem Test teilzunehmen, der ihre Riechfähigkeit feststellen sollte und bewarben diese Aktion mit den Worten „Erwerben Sie Ihr Riechzeugnis!“. Eine der Grundproblematiken des Computers bestand darin, dass die spezifische Konstellation „ein Mensch – eine Maschine“ die Form der Soziabilität der Besucher nicht aufzugreifen vermochte. Viele Besucherinnen und Besucher waren zusammen mit ihren Familien, Freunden oder Schulklassen im Museum erschienen. Häufig „funktionierte“ der Computer schon deshalb nicht, weil mehrere Besucher sich vor dem Computer drängten und deshalb nicht in die Reichweite des auf einen einzelnen Besuchers gerichteten Duftstromes kamen. Waren einzelne Besucher mit einer individuellen Testreihe beschäftigt, kommentierten ihre Begleiter häufig die Düfte ebenso wie die spezifische Handlungsträgerschaft des Computers und den spezifischen Umgang damit. Die Deutung der Maschine war somit ein gemeinschaftliches Projekt der Besucher,
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die sich gegenseitig an ihrem Lernprozess des Zähmens und Deutens des Computers teilhaben ließen und auf dem Wissen der oder des jeweils Anderen aufbauten. Neben der Deutung der Aromastoffe des Computers, die das eigentliche Ziel des Mitmachobjektes gewesen war, war der Computer für die Besucher also als Mininetzwerk bedeutsam, dass eine bestimmte Art der Aufmerksamkeit, der Körperhaltung, der Ausjustierung von Nähe und Distanz und der Interaktion mit den ko-präsenten Begleitpersonen ermöglichte und einforderte (vgl. Heath, vom Lehn 2008: 68 ff.). Ebenso wie der Berliner Schlüssel2 Latours erforderte der Duftcomputer eine spezifische Art des Umganges mit ihm, der zunächst erlernt werden musste und von den Testern erprobt und kommentiert wurde. So beobachtete beispielsweise ein 37-jähriger Besucher über einen längeren Zeitraum hinweg die Auseinandersetzung seiner Familienmitglieder mit dem Gerät, um schließlich der Funktionsweisen des Gerätes auf visuellem Wege habhaft zu werden: „Musst riechen, da kam gerade was raus. Man sieht es immer richtig wenn was kommt.“ Susanne: „Woran sehen Sie das? Besucher: „An den Haaren.“ Besucherin: „Wie, an den Haaren?“ Besucher: „Na, deine Haare fliegen weg wenn das kommt.“
Diese gemeinschaftliche Deutungsarbeit dient der Disziplinierung des eigenen Körpers, um eine optimale Verschaltung zwischen Mensch und Maschine herzustellen und den Funktionsbedürfnissen des Computers zu genügen. Die Besucher sind während der Benutzung des Duftcomputers meistens nicht von professionellen Akteuren begleitet und den Anweisungen auf dem Computermonitor überlassen. Die Praxis des von den HNO-Ärzten entwickelten Computers folgt dabei einer Rationalität des Experiments, durch die eine Benutzung jenseits des Einzelprobanden nicht vorgesehen ist. Nicht alle Körper können mit dem Duftcomputer zusammengeschaltet werden.Stets lehnen Besucher ein Auspro2
Dieser ausschließlich in Westberlin verbreitete spezielle Durchsteckschlüssel mit zwei Bärten wird von Bruno Latour in seinem Buch Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften (1996) als Beispiel der wechselseitigen Verwobenheit von Mensch und Technik herangezogen. Schlüssel und Schloss erfordern dabei aber ein spezfisches Know-how. Wie in Kapitel 6.4 im Hinblick auf die sensorische Handlungsfähigkeit vom gläsernen und virtuellen Menschen beschrieben, gehe ich mit Latour davon aus, dass Menschen und Dinge handlungsfähige Teilhaber an der Erfahrungswelt Museum sind.
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bieren des Computers ab, wenn sie glauben, ihre Riechfähigkeit sei nicht ausgeprägt genug: „Ich habe zu lange geraucht, bei mir bringt das nichts mehr.“ 7.2.1 „Ein leichter Mischgeruch, würde ich sagen.“ Über Gerüche sprechen Die Objektlogik des Apparates schließt all diejenigen aus, die nicht riechen können. Dass die Besucher sich jedoch selbst als handlungsfähig erlebten – anders etwa als in Klinikkontexten, in denen Menschen mit medizinischen Technologien wie etwa einem Magnetresonanztomographen konfrontiert sind (vgl. Burri 2008) – ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Idee der Interaktivität Handlungsfähigkeit („Erwerben Sie Ihr Riechzeugnis!“) auf beiden Seiten suggeriert. Auch eine Anthropomorphisierung der Maschine ist dabei in den Gesprächen deutlich geworden (vgl. Verrips 1994). Der Kontext Museum, in dem Wissen und Erlebnis und nicht Disziplinierung konsumiert werden sollen, lässt den Benutzer dem Computer emanzipiert gegenübertreten. So setzten sich im Gegenzug einige Besucher konsequent über die vorgegebenen Duftrichtungen hinweg und bestanden darauf, dass die zur Wahl angebotenen Aromen den ausgegebenen gar nicht entsprachen: „Es ist so ein leichter Mischgeruch, würde ich sagen. Oder man hat Menthol zugesetzt. Vielleicht war es eine reife Birne. Das riecht schon komisch.“ (Besucherin, 27 Jahre) „Hmm, raffiniert. Das war jetzt aber nicht einer von denen die da angegeben sind.“ (Besucherin, 44 Jahre)
Damit sprachen sie ein Grundproblem der Repräsentation und Beschreibung von Gerüchen an: die Schwierigkeit ihrer übereinstimmenden Einordnung und Bezeichnung: „odours cannot be named in any European language; the closest we can come is to say something smells like something else“ (Drobnick 2006b: 54). Aus eben diesem Grund ist der Geruchssinn auch als „postmodern“ oder „queerer Sinn“ theoretisiert worden. Gerüchen wird eine Grenzen erschütternde Wirkung zugeschrieben: „blurring the boundaries necessary to create and maintain the distinctions of self, other and object“ (Borthwick 2000: 127). Diesem Argument folgen auch Classen, Howes und Synnott in ihrer Diskussion des Aromas der Ware:
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„(S)mells resist containment in discrete units, whether physical or linguistic; they cross borders, linking disparate categories and confusing boundary lines. Furthermore, smell, like taste, is a sensation of the moment, it cannot be preserved.“ (1994: 204)
Dieser in der eben zitierten Literatur als universell dargestellte Aspekt von Geruch basiert jeoch auf lokalen Wahrnehmungsweisen, die der Aufmerksamkeit gegenüber Gerüchen und ihrer sprachlich differenzierten Darstellung einen vergleichsweise geringen Stellenwert zuschreiben. Als Hinweis auf die schwierige Beziehung von Gerüchen und Sprache mögen dabei auch neuere Forschungen dienen, die die Annahme, Frauen verfügten über ein besseres Riechvermögen als Männer auf die häufig differenziertere Ausdrucksfähigkeit von Frauen zurückführen (vgl. Beer 2000a). Auch andernorts wird Geruch als Marker von Differenz, Transgression, Wandel und Grenzüberschreitung, insbesondere im rituellen Kontext in der ethnologischen Literatur auch entsprechend diskutiert (z. B. Tsing 2005: 49 f., Howes 1987). Dies gilt jedoch auch für andere Praktiken – dem Erzeugen von Klängen – etwa und kann nur im Zusammenspiel unterschiedlicher Handlungen und Kontexte verstanden werden, ohne dass dem Geruch und dem Riechen damit per se eine transgressive Qualität zugeschrieben werden könnte. Die vermeintliche „Nicht“-Diskursivität und Vagheit von Gerüchen, die wohl eher ein Artikulationsdefizit ist, wird auch marketingstrategisch instrumentalisiert: „There is a sense in which advertisers have turned the very non-discursivity of perfume into a sales asset. […] For example, Musk by English Leather was advertised as ‚the missing link between animal and man‘, thus promising to reinvest man with the animal (i. e. sexual) power they have lost by becoming civilized.“ (Classen, Howes, Synnott 1994: 187)
Gerade die Übersetzung von einzelnen Düften in einzelne Bilder und eben nicht tiefgreifende Assoziationen bildeten aber die Voraussetzung für die „erfolgreiche“ Interaktion mit diesem Exponat – ein Determinismus, der auch von den Museumsleuten eindeutig kritisch betrachtet wurde, der aber aus technischen Gründen kaum zu umgehen war. 7.2.2 Duft und Interaktivität Der Anspruch, interaktive Elemente in die Ausstellungsgestaltung zu integrieren, ist mittlerweile für die Wissenschafts- und Technikmuseen, zu denen das Bundesministerium für Bildung und Forschung auch das Deutsche Hygiene-
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Museum zählt, fast schon zur Norm geworden. In einer Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aus dem Jahre 2001 wird hervorgehoben: „Heute kommt kein anspruchsvolles Ausstellungsprojekt, das Technik und Wissenschaft zum Gegenstand hat, mehr ohne interaktive Exponate aus, auch wenn sich diese (wie auf der EXPO oder Berliner ‚Sieben-Hügel‘-Ausstellung) vielfach auf Multimedia-Terminals beschränken“ (Schaper-Rinkel, Giesecke, Bieber 2001:3).
Derselbe Bericht hebt das Hygiene-Museum ausdrücklich als positiven Sonderfall des sparsamen und überlegten Umganges mit sogenannten hands-on-Exponaten hervor: „Das Hygiene Museum in Dresden ist ein herausragendes positives Beispiel: Die Sonderausstellungen wie ‚Kosmos im Kopf‘3, die die Hirnforschung zum Thema hat, nähert sich dem Thema plastisch und vereint historische Aspekte mit Darstellung heutiger Forschung. Hier wird hands on nur sparsam verwandt, minds on dagegen in beeindruckender Weise über eine Kombination von künstlerischen Ausdrucksformen realisiert.“ (Schaper-Rinkel, Giesecke, Bieber 2001: 10)
Die kritischen und nachdenklichen Stimmen sowohl der Besucher und Ausstellungsmacher als auch der Evaluatoren bedeuten jedoch nicht, das die Verwendung interaktiver und multisensorischer Ansätze per se zum Scheitern verurteilt wären, sondern verweisen vielmehr auf grundlegende Probleme der Repräsentation, die in vergleichbarer Weise auch die ständigen Begleiter der Ethnologie sind. Sharon Macdonald zeigt in ihrer Ethnographie des Londoner Science Museums, dass die dortigen Kuratoren mit interaktiven Exponaten Wahlmöglichkeit, Demokratie und damit auch Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Besucher verbinden (2002: 186). Der Wunsch, interaktive Exponate im marktwirtschaftlichen Kampf um hohe Besucherzahlen auch als „unique selling point“ zu instrumentalisieren, wurde jedoch zumindest während meiner Feldforschung nicht geäußert. Gerade das Ansprechen nicht-visueller oder textueller Erkenntniszugänge wurde von vielen Besuchern ausdrücklich begrüßt:
3
Die sehr erfolgreiche Ausstellung „Kosmos im Kopf. Gehirn und Denken“ wurde im Jahre 2000 gezeigt.
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„Ich finde das total interessant, dass man im Museum mal nicht immer nur gucken muss sondern auch mal riechen kann. Obwohl ich manche Gerüche echt ganz schön krass fand. Pfefferminze zum Beispiel rieche ich echt gar nicht so gerne.“
Die besondere Form der Aufmerksamkeit, die dem Geruchssinn in diesem Falle durch seine Isolierung zuteil wurde, wurde ebenfalls kommentiert: „Ich finde das total interessant, weil man ja ansonsten auf den Geruchssinn überhaupt nicht achtet, überhaupt, was der Körper so leistet, im Geringsten, in der Wahrnehmung. Da wo man normalerweise gar nicht so drauf achtet, auf das Riechen, dass man das mal Testen kann. Normalerweise ist ja eher das Sehen können so wichtig.“
Eine schwäbische Lehrerin nahm das Ausprobieren des Duftcomputers zum Anlass, sich für eine verstärkte Verwendung multisensorischer Zugänge im Museumskontext auszusprechen, indem sie eine Verbindung zu einer kürzlich persönlich bedeutsam gewordenen Veränderung ihrer Sinneswahrnehmung herstellte: „Ich hab zweimal einen Hörsturz gehabt. Ich war jetzt auch beim Ohrenarzt, kriegt man ja immer so den normalen Hörtest, immer so mit pieps, pieps, pieps. Aber ich kann mir wirklich gut vorstellen dass man solche Sachen wie Richtungshören auch im Museum viel besser darstellen könnte. Mit den Augen, ja, da gibt es eigentlich relativ viel. Riechen, Schmecken. Oder Schmecken, was die Leute schmecken, das ist sicher auch spannend. Bei geschlossenen Augen, da gibt es ja diese Kinderspiele, Senf oder Schokolade. Das könnt ich mir auch gut vorstellen. Wie heißt das, diese unterschiedlichen Wege …so mit Stein, Sand. Ich weiß ja nicht was jetzt unten im Kindermuseum kommt. Das kommt ja vielleicht. Ich find das so wichtig, aber auch für Erwachsene. Kinder, die spüren das so ob sie auf Sand laufen oder auf Kieselsteinen. Auch für Erwachsene. Aber im Alter, unsere Füße, alle Sinne verlieren also die Fähigkeit das richtig zu kanalisieren. Und ich denke auch das Riechen.“
Das Museum als Ort des Aufmerksamwerdens auf den ganzen Körpers zu begreifen war für sie durchaus vorstellbar und sogar wünschenswert. An der Ernsthaftigkeit eines Ansatzes, dem eher Unterhaltungswert als ein Nutzen bei der Wissensvermittlung zugesprochen wurde, wurden jedoch ebenfalls Zweifel artikuliert. „Schön war’s. Ich rieche gerne. Gebäck vor allem und Obst, frisches Obst. Wenn ich den Computer bestückt hätte dann hätte ich solche Gerüche reingetan. Und so im Museum
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finde ich es lustig. Lustig einfach. Weil, man hat ja nichts davon. Man riecht ja nicht besser dadurch.“
Einig waren sich alle Besucher darin, das man „im Museum in erster Linie was sieht“ oder „da hingeht, um was anzuschauen, oder anfassen vielleicht auch noch“. Bei dem Duftcomputer handelt es sich insofern um einen Sonderfall, als dass er die mittlerweile allgemein als Bestandteil gelungener Ausstellungsgestaltung geltenden hands-on-Exponate um die Dimension des Riechens erweiterte – und dies sowohl in aktiver als auch in passiver Hinsicht. Denn auch jenseits der unmittelbaren Begegnung von „Probanden“ und Computer wurde diesem zugeschrieben, Auswirkungen auf die gesamte Umwelt des Raumes zu haben. Abbildung 21: Der Duftcomputer während der Testphase im September 2009. Vor einer Wand mit Abbildungen regionaler Spezialitäten ist links vor dem Durchgang zum Raum „Sexualität“ der Monitor zu sehen, vor dem die Besucher Platz nehmen.
Quelle: Susanne Schmitt
7.2.3 Duftverschmutzung? Miasmatische Ängste und (Des-)Odorierung Bedenken gegenüber der Praktikabilität des Duftcomputers zielten auf die potentiell durch ihn verursachte olfaktorische Luftverschmutzung. Neben dem
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Team der Ausstellungsmacher für den Raum „Ernährung“ und dem Aufsichtspersonal, fürchteten auch einige Besucher ein Kopfschmerzen verursachendes Miasma4. Während vor allem Besucherinnen Migräneattacken durch die synthetischen Gerüche imaginierten, fürchteten die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen durch eine erhöhte Geruchsbelastung, die das Wohlbefinden womöglich beeinträchtigen könnte. In der Tat entströmte dem Duftcomputer ein zarter, wenn auch wahrnehmbarer Rosenduft. Die Maschine zeigte eine eindeutige olfaktorische Präsenz auch dann, wenn es nicht zu einem interaktiven Showdown mit Besuchern kam. Die Befürchtung, dass das Auftreten starker Gerüche krank machen könnte, ist historisch mittlerweile gut untersucht und erlebt augenblicklich eine interessante Renaissance, die sich auch in der aktuellen Gesetzgebung niederschlägt. Der Gedanke an städtische und gesellschaftliche Hygiene ist, wie Alain Corbin in seiner Kulturgeschichte des Geruches Pesthauch und Blütenduft für das achtzehnte und frühe neunzehnte Jahrhundert anschaulich zeigt, aufs Engste mit der Neubewertung des Geruchssinns verknüpft, die sich auch in dem Wunsch nach Desodorierung und Regulierung möglicher Gerüche innerhalb des Museums äußert. In seiner Kulturgeschichte des Geruchs zeigt Corbin auf, dass Gerüchen am Ende des achtzehnten Jahrhunderts im öffentlichen Diskurs eine direkt pathogene Wirkung zugeschrieben wurde. Den Ausdünstungen der Städte und der organischen Fäulnisprozesse, den Miasmen, musste unbedingt ausgewichen werden, wollte man nicht einer ernsthaften Erkrankung zum Opfer fallen. Die Schilderung einer ärztlichen Obduktion einer bereits halb verwesten Leiche illustriert die Bedrohlichkeit der Miasmen: „Dem ersten [Arzt] schlugen die fauligen Ausdünstungen, die gleich bei der Öffnung entwichen, so heftig entgegen, daß er ohnmächtig umfiel, nach Hause gebracht werden musste und siebzig Stunden später starb. Der zweite – der berühmte Fourcray – wurde von einem denkbar blühenden und umfassenden Hautausschlag befallen. Die beiden anderen, Laguerenne und Dufresnoy, trugen ein langwieriges Siechtum davon, von dem der letzte sich niemals erholen sollte.“ (1996: 2)
Die von Corbin beschriebene „olfaktorische Revolution“, die am Vorabend der Französischen Revolution begann und bis ins neunzehnte Jahrhundert anhielt, führte konsequenterweise auch zu einer Neubewertung der Nase und des Ge4
Der Begriff „Miasma“ bezeichnet negativ konnotierte Gerüche und Ausdünstungen, denen eine Ansteckungsgefahr und pathogene Wirkung in Bezug auf Seuchen zugeschrieben wurde. Auch in der zeitgenössichen Homöopathie wird der Begriff verwendet, ist jedoch nicht unumstritten.
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ruchssinns, dem nun existentielle präventive Bedeutung zukam. In den Diskursen von Medizin und öffentlicher Gesundheitsvorsorge wurden Belüftung und räumliche Entzerrung dicht besiedelter und besuchter Orte zu zentralen Anliegen. Dass starke Gerüche im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend mit den dicht besiedelten Mietshäusern der „unteren Klassen“ und entsprechendem „unsauberen“ Verhalten assoziiert wurden, ist in diesem Zusammenhang wenig überraschend. Neben der Vorstellung von Gerüchen als pathogen wurde die Desodorierung zunehmend zum Distinktionsmerkmal der sogenannten besseren Leute und ihrer Institutionen. Auch evolutionstheoretische und sexualwissenschaftliche Diskurse des neunzehnten Jahrhunderts beruhen auf solchen Vorstellungen und wirken bis in die Gegenwart fort (siehe das oben genannte Beispiel der Sexualisierung des Musk-Parfüms) – man denke beispielsweise an Freunds berühmte These, der Mensch habe im Laufe der Aneignung des aufrechten Ganges einen Übergang von einer olfaktorischen zu einer visuellen Wahrnehmung durchlebt, da sich die Geschlechtsteile nicht länger auf Augenhöhe befänden.5 Die Rassenhierarchie des Naturhistorikers Lorenz Oken, der den europäischen „Augenmenschen“ an die Spitze einer Skala setzte, die über den „asiatischen Augenmann“, den „indianischen Nasenmann“ bis hinunter zum „afrikanischen Hautmann“ reichte (Howes 2003: 5, Howes 2008: 444) illustriert die Stoßrichtung eines Diskurses, der selbst die ethnologische Erforschung von Gerüchen bis heute prägt: auch die Erforschung komplexer sensorischer Codes muss sich dann unter Umständen dem Vorwurf des Primitivismus aussetzen (Marks 2000: 205). Dass Geruch entsprechend Merkmal von Differenz (und analog auch von Gleichartigkeit) sein kann, ist kulturhistorisch und ethnologisch gut belegt (vgl. z. B. Beer 2000a, Classen 1992). So berichtet van Beek etwa bei den Kapsiki/ Higi der Mandaraberge in Nordkamerun von einer Durchdringungen der Gemeinschaft durch die Kategorien „Schmied“ und „Nicht-Schmied“, wobei die Gruppe der Schmiede als unrein und gleichzeitig übel riechend wahrgenommen wird. Von den vierzehn unterschiedlichen von den Kapsiki identifizierten Geruchstypen, die sich auf Objekte, Personen oder Tiere beziehen können, bilden die Schmiede eine eigene Kategorie. Dass Gerüche Marker von Andersartigkeit sein können, spiegelt sich auch in den Erfahrung der Benutzerinnen und Benutzer des Duftcomputers. So berichtet etwa eine Besucherin aus Süddeutschland, die gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern angereist ist, über
5
Für einen aktuellen Überblick zur Bewertung des Geruchssinns in der Psychoanalyse vgl. Le Guérer 2002.
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Empfindungen der Andersartigkeit, die sie an den Themen Geruch und Ethnizität festmacht: „Das kann man ja gar nicht sagen eigentlich, aber ich finde ja auch, ich war mal in Frankreich für ein Jahr, dass Kulturen unterschiedlich riechen, unterschiedliche Gerüche haben einfach. Und Schwarze auch. Und als du im Krankenhaus warst (richtet sich an ihren Sohn), da diese Türkensippen immer – die hatten auch ihren ganz eigenen Geruch.“
Während sich soziale, olfaktorische und moralische Wertungen und Kategorien bei der Einschätzung von Gerüchen und des Riechens durchdringen, erlebt auch die Vermutung, Gerüche könnten pathogen sein, derzeit eine Renaissance (s.u.). Das große Andere ist in diesem Falle jedoch der industriell hergestellte Duftstoff im Verbund mit den Ausdünstungen der Industrie. Erst mit der Entdeckung der Mikroben und Bakterien durch Pasteur verbreitete sich eine Theorie der Entstehung von Krankheiten, die zu ihrer Popularisierung nicht zuletzt Strategien der Visualisierung benötigte, um die unsichtbaren Kleinstlebewesen sichtbar zu machen und damit ihre Bedrohlichkeit herzustellen. Die Ausstellung „Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung“, Vorfahrin des Hygiene-Museums, bediente sich des Modus der Visualisierung ganz explizit in einem eigenen Saal, in dem Reihen von Mikroskopen die Besucher dazu einluden, die Krankheitserreger selbst in Augenschein zu nehmen (vgl. Brecht 1999; siehe Kapitel 5). Die Aussagen der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Museums, die sich vor zu starker Geruchsbelastung fürchten, passen sehr gut in diesen Vorstellungshorizont, in dem auch Themen wie Intimität und Grenzüberschreitung verhandelt werden. Während die Erinnerungen an den Frankreichaufenthalt und die Konstruktion kultureller Unterschiede von der allgemeinen Beschäftigung mit dem Thema Geruch ausgelöst werden, ist die olfaktorische Dimension der Ausstellung für eine Mitarbeiterin des Aufsichtspersonals ein wesentlicher Aspekt ihrer leiblichen Erfahrung des Arbeitens im Museum, die sich sowohl auf vermutete Differenzen ethnischer Zugehörigkeit als auch auf die Besucher als Mitkonstituenten der Umwelt Museum und leibliche „Andere“ bezieht: „Man lernt hier wirklich, Abstand zu Leuten zu halten. Ich weiß schon, wie Aussehen und Geruch immer zusammenhängen. Ganz schlimm ist immer Pubertät. Pubertät riecht scheußlich. Wenn die Drüsen anfangen zu arbeiten, das ist ganz schlimm. So Schulklassen. Da riecht es einfach echt nach Mensch. Wenn da so ein zotteliger, schlacksiger Junge kommt, dann denke ich mir gleich „oh, oh“ und bleib lieber weg. Man ist hier auch so nah dran an den Leuten. Auch mit Frauen aus den östlichen Ländern, aus Ostrussland und so, die haben oft so einen ganz anderen, schweren Parfümgeschmack, da muss ich oft direkt
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weggehen. Umgekehrt habe ich neulich ein ganz feines Parfüm gerochen – ich weiß jetzt den Namen nicht, ich kenne mich da nicht aus in dem Preissegment – da musste ich gar nicht erst hinschauen, da wusste ich gleich dass das eine ganz feine Dame ist und da war ich dann auch gar nicht überrascht. Und Schweißgeruch finde ich auch ganz schlimm, und wenn Leute Alkohol getrunken haben und Knoblauch gegessen und so. Aber da kann man ja da nicht weg. Gerade freitags an der Kasse, wenn Markt war6 und die Leute haben dann das Fischbrötchen gegessen und so. Aber da kann man ja dann nicht weg. Manchmal haben die Leute auch Alkohol getrunken. Und im Raum Leben und Sterben, der ist ja direkt über dem Restaurant, da bekommen wir über die Klimaanlage direkt mit was dort gerade gekocht wird, dem entkommt man ja nicht. Also das Museum hat schon sehr, sehr viel mit Geruch zu tun, mit Gerüchen von anderen Menschen.“
Die eng umgrenzten, individualisierten und disziplinierten Aromen, die die Installation „Frühstück ist fertig“ und der Duftcomputer abgeben, formen die Erfahrung der Sicherheitsleute, weil sie einen wesentlichen Bestandteil ihrer Umwelt, nämlich die Besucher, beeinflussen: Während diese beiden Artefakte, die mit genau kalkulierter sensorischeragency ausgestattet sind, an einem abgeschotteten Ort verbleiben, wo sie ihren angedachten Zweck zu erfüllen haben, ist es der Geruch der Besucher, der den Arbeitsalltag der Museumswachleute prägt und ihr Verhältnis zu menschlichen Gerüchen an sich verändert. Die Klimaanlage (vgl. Kapitel 5.3), die die Ausstellungsbereiche auf eine für Besucher angenehme und gleichzeitig den Erhaltungsbedingungen der Exponate zuträgliche Temperatur bringen soll, hat ebenfalls einen Einfluss auf die Geruchswahrnehmung der im Museum tätigen Mitarbeiter: „Und gleichzeitig hält die Klimaanlage die Geruchsentwicklung so ein bisschen im Zaum, außer im Sommer, bei 30, 35 Grad kann die auch nichts mehr ausrichten. Aber man merkt schon auch, dass sie die Schleimhäute in der Nase austrocknet und man dann auch nicht mehr so gut riecht.“
Dieses Beispiel zeigt, dass Gerüche ortsbezogen wirken und damit die Orte entscheidend mitkonstituieren (Porteous 1990: 369), selbst wenn „the perceived smellscape will be non-continuous, fragmentary in space and episodic in time […]“ (ibid.).
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Vor dem Museum findet jeden Freitag ein großer, gut besuchter Wochenmarkt statt, der sowohl von Dresdnern als auch von Touristen, die anschließend das Museum besuchen, genutzt wird.
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Die ideale smellscape des Museums ist eine neutrale, in der Düften automatisch die Bedeutung des „Anderen“ in einer visuellen Inszenierung zukommt, in der andere Sinnesmodalitäten allenfalls die Rolle von Helfershelfern spielen: „Das Museum riecht gut, das heißt also eigentlich nach nichts. Außer im Kindermuseum natürlich, wenn da viel los ist. Ich kann mir aber schon sehr gut vorstellen, dass es für die DWSIler7 ganz anders riecht, denn die sind ja den ganzen Tag da drinnen. Und dann stehen sie am Eingang und eine ganze Busladung von Besuchern kommt an ihnen vorbei. Wenn du eine Führung machst, dann bist du ja ganz anders auf dich konzentriert und vor allem auf das, was du gerade erzählen möchtest. Neulich ist im Raum 3 allerdings eine Duftflasche kaputtgegangen, da hat es überall gestunken, das hat man im Raum 2 und 4 auch noch gerochen.“ Susanne: „Eine Flasche von Dir?“ Saskia: „Nein, von denen, die den Riechtest gemacht haben. Das hat ganz schlimm nach Alkohol gestunken, nach Schnaps. Wie Pflaumenschnaps. Es riecht jedenfalls nicht gerade nach Vanille. Und lüfte mal eine Ausstellung. Vor allem so eine, fensterlose.“
7.2.4 Wie im Supermarkt? Kommerzialisierung und Künstlichkeit von Gerüchen Eng verbunden mit der Angst vor der, wenn auch milden, pathogenen Wirkung von Gerüchen ist ihre vermeintliche „Unnatürlichkeit“. Der Wunsch nach der Zähmung menschlicher und nichtmenschlicher Gerüche im Spannungsfeld von Desodorierung und künstlicher Beduftung veranschaulicht die Literaturwissenschaftlerin Clare Brant anhand von Beispielen aus Halifax, Nova Scotia, die die politische Dimension des (Des)-odorierens und der Befüchtungen hinsichtlich synthetischer Duftstoffe aufzeigen: „Smell is open to uncertainty because it has an indeterminate relation to space […]. A ‚right‘to scent yourself; a ‚right‘not to have the scent of others thrust upon you; a corporate ‚right‘to impose scent, a public policy of ‚scent-free‘ – these ambivalences circulate in contradictory ways in urban worlds. “ (Brant 2008: 555)
So sorgte im kanadischen Halifax eine letztlich gerichtlich ausgetragene Debatte um das Recht des Einzelnen auf das Tragen von oder aber den Schutz vor synthetischen Gerüchen für Aufsehen. Die sogenannte Multiple Chemische Sensibi-
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Damit sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dresdner Wach- und Sicherungsinstitut GmbH gemeint.
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lität (MCS) wird von Aktivistengruppen wie Umweltmedizinern auch auf die zunehmende Verwendung synthetischer Duftstoffe in Waschmitteln und Kosmetika sowie in öffentlichen Räumen, aber auch auf die Verwendung von Lösungsmitteln und Formaldehyd in der Industrie zurückgeführt. Im Falle der Stadt Halifax versuchten Gewerkschaftsgruppen, das Tragen von synthetischen Duftstoffen in öffentlichen Gebäuden ähnlich einem Rauchverbot vollständig zu verbieten. Dass eine Zuschreibung gesundheitsschädigender Effekte von Gerüchen wieder am Diskurshorizont erscheint, zeigt auch eine EU-Verordnung neueren Datums auf. Innerhalb der Europäischen Union kann seit dem Jahre 2003 die ÖNORM EN 13725 „Luftbeschaffenheit – Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie“ auf mögliche Überschreitungen zulässiger Geruchsbelästigung hin angewandt werden. Asphaltmischanlagen, Lackierereien, Mülldeponien und Tankstellen gelten dabei beispielsweise als potentielle Herde des Gestankes, die Geruchsbelästigungen verursachen können, und die, so die Argumentation, krank machen können, indem sie das Wohlbefinden beeinträchtigen. Die gleichzeitig aus der Taufe gehobene „Europäische Geruchseinheit“ bemisst seitdem die „Menge eines/mehrerer Geruchsstoff(e), die beim Verdampfen in einen Kubikmeter Neutralluft unter Normbedingungen die gleiche physiologische Reaktion eines Panels hervorruft (Wahrnehmungsschwelle) wie die durch eine Europäische Referenzgeruchsmasse (EROM) hervorgerufene Reaktion nach Verdampfen in einem Kubikmeter Neutralluft unter Normbedingungen.“ (Slameczka 2003: 7)
Objektive Geruchsmessungen jedoch scheitern an der häufig beklagten unzulänglichen Repräsentation durch Sprache und erliegen damit einer ähnlichen Problematik wie der Duftcomputer. Es ist also die Verwendung von solchen Gerüchen, die als „künstlich“ wahrgenommen werden, die kritische Anmerkungen der Museumsbesucher hervorrufen. Sie wecken Assoziationen zu der marketingstrategischen Beduftung von Räumen. Tatsächlich sind die verwendeten Duftstoffe identisch mit denjenigen, die auch in Konsumkontexten Verwendung finden und sich von „natürlichen“ Aromastoffen durch ihre molekulare Zusammensetzung unterscheiden – sie sind eben synthetisch. Dies illustrieren die folgenden Zitate von Besuchern, die mit dem Computer experimentiert hatten:
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„Irgendwie fühle ich mich manipuliert. Das ist ja wie beim Supermarkt schon mittlerweile, oder beim Bäcker, wo man dann was Leckeres riechen soll und dann kauft man das. Die wollen einen doch manipulieren. Hier wollen Sie einen doch auch bloß manipulieren.“ „Das erinnert mich, es gibt doch jetzt auch so Filme, wo dann mit Gerüchen gearbeitet wird. Das ist hier auch so ähnlich.“ „Was für Konsummenschen wir hier sind. Ne Birne, das erkennt keiner. Aber Cola, da schreien sie alle gleich, ja klar, kenne ich.“
Die Kritik der Besucher war dabei auf zwei Ebenen angesiedelt.Während einerseits die Duftgewohnheiten und olfaktorischenKonsumgewohnheiten eines vermeintlichen Mainstreams kritisch hinterfragt wurden, bildete die Angst vor der strategischen Manipulation durch Düfte einen anderen wesentlichen Angelpunkt der Kritik. Diejenigen Besucher, die einer möglichen gezielten Manipulation durch Gerüche kritisch-abwehrend gegenüberstanden, rekurrierten damit auf einen allgemeinen Marketingtrend, der seit den 1980er Jahren immer präsenter wird (Moeran 2007). Brian Moeran stellt fest, dass sowohl Ethnologen als auch Marketingfachleute regelmäßig daran scheitern, die situierten Bedeutungen von Gerüchen zu erkennen. Während einige Studien über die Vermarktung von Parfüms und Deoprodukten existieren, ist das gezielte olfaktorische Management von Orten im Sinne erlebter Orte zu kommerziellen Zwecken von Ethnologen bisher kaum untersucht worden. 7.2.5 Individuelle Geruchserfahrungen und berufliche Biographien Für einige Besucher waren das Experimentieren mit dem Computer und die durch das Gerät verlangte Selbsteinschätzung des Geruchsvermögens Anlass, über die Gründe für eine vermeintlich besonders gute oder aber weniger präzise ausgeprägte Geruchsfähigkeit nachzudenken. Einige Besucher verzichteten auf das Ausprobieren des Gerätes mit einem Verweis auf den „Testcharakter“ der Einrichtung und ihr vermeintlich schlechtes Riechvermögen. Das Rauchen wurde auf meine Nachfrage hin häufig als Begründung genannt. Menschen, die eine besonders positives Ergebnis erzielten, von zehn angebotenen Gerüchen also mindestens neun korrekt zuweisen konnten, führten dieses Resultat häufig auf eine berufliche Beschäftigung mit Gerüchen zurück oder auf eine besondere Vorliebe für Düfte, die sich in speziellen Praktiken äußerte. So führte ein 52-jäh-
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rige Besucherin aus Bremen, die den Geruchstest gemeinsam mit ihrem Begleiter absolvierte, der sehr viel größere Schwierigkeiten hatte, die Gerüche korrekt zuzuordnen, ihre Arbeit in einer Apotheke als Grund für ihr ausgeprägtes Riechvermögen an: „Ich habe mir aber auch schon eingebildet dass ich gut rieche, dass ich ein gutes Riechvermögen habe. Ich habe nämlich früher in der Apotheke gearbeitet; und da hat ja auch alles seine ganz eigenen Gerüche. Die selbst hergestellten Tabletten und die Zäpfchen, als es diese Blisterverpackungen8 noch nicht gab, die haben einen ganz eigenen, einen ganz spezifischen Geruch. Von den Gerüchen hier (bezogen auf den Riechcomputer, Anm. d. A.) wäre allenfalls Benzin dabei gewesen, aber Reinigungsbenzin, so wie man es in der Apotheke bekommt, nicht wie von der Tankstelle. Dann die Anispastillen, die haben so einen ganz eigenen Geruch nach Anis. Und die Bitterstoffe, die riechen bitter eben. Und die Schafswollsalbe, das Lanolin, das riecht so richtig nach Schaf. Heute sind die Verpackungen anders, da riecht man das nicht mehr so viel. Aber ich denke schon, dass ich daher gut riechen kann.“
Während diese Besucherin also ihre feine Nase auf eine intensive Beschäftigung mit riechenden Substanzen zurückführte, reflektierte ein anderer Besucher die kommunikative Wirkung des Riechens. Bei seiner Tätigkeit als Pfleger auf der Intensivstation war er von den Nöten derjeniger berührt, die sich mit den Mitteln der Sprache, Mimik oder Gestik nicht mitteilen konnten: „Ja, das Riechen ist schon extrem wichtig. Ich bin Pfleger, Intensivpfleger, da kennt man das von den Leuten, die sich sonst ja gar nicht artikulieren können, aber eben riechen. Die liegen dann in ihren eigenen Ausscheidungen und können nichts machen und sie müssen das dann irgendwie mitkriegen. Aber man selber, man merkt das nicht mehr, das ist dann total ausgeschaltet, der Kanal dafür. Wenn ich dagegen in einen Kuhstall gehe, dann sofort. Dann rieche ich es gleich. Das ist alles eine Frage der Gewohnheit dann.“
Diese Besucherinnen und Besucher rekurrieren mit ihren olfaktorischen Erinnerungen und Gegenwartsbezügen auf die Bedeutung von Gerüchen als wichtige Elemente einer beruflichen Domäne und als intersubjektives Kommunikationsund Erkenntnismittel (siehe Desjarlais 2003: 342). Den Besuchern die Möglichkeit zu geben, die Verbindung von Gerüchen und Erinnerungen nachvollziehen zu können und somit auf ihre intersubjektive Dimension zurückgreifen zu kön8
Blisterverpackungen sind die heute üblichen Verpackungsformen für Tabletten, die dabei zwischen einer stabilen Rückwand und einer transparenten Sichtfolie verpackt werden.
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nen, blieb ein Anliegen des Ausstellungsteams, an dessen Umsetzung weiter gearbeitet werden sollte. 7.2.6 Vom Duftcomputer und der lokalen Bedeutung von Gerüchen Der Geruchssinn ist als postmoderner oder auch queerer Sinn theoretisiert worden, weil Gerüche Grenzen überschreiten, wie die Erzählung des Sicherheitspersonals eindrucksvoll demonstriert: „They emerge all on their own and by doing so they betray what one would rather keep secret: That not everything is under control and not all is ever likely to be. […] Smells share with Simmel’s strangers the upsetting habit of coming unannounced, outstaying their welcome, arriving now and refusing to go away later“ (Baumann 1993: 24).
Diese Qualitäten Gerüchen kategorisch zuzuschreiben, erscheint jedoch problematisch, da Bedeutungen stets als situierte und lokale Bedeutungen zu verstehen sind. Zumindest im Kontext meiner Forschung bedeuten Gerüche eine symbolische Verschmutzung (vgl. Douglas 2010), da sie am falschen Ort an andere Orte erinnern und damit Kategorien verwischen.In einem ehemals der Hygiene gewidmeten und nun zeitaktuellen Museum von Menschen riecht es nach Mensch. Dieser Geruch fügt sich dem visuell orientierten Regime der Institution Museum nicht ein. Er kommt von draußen und wird vor allem von denjenigen museum natives bemerkt, die nicht als Kulturarbeiter Vermittlungsarbeit leisten, sondern als Aufsichtspersonal die Ausstellung von Tag zu Tag erleben. Der Duftcomputer sollte kein Element des neu zu gestaltenden Raumes werden. Die Gründe hierfür waren sowohl inhaltlicher als auch „pragmatischer“ Art. Der Unterhalt des Computers war relativ aufwendig, da mit hohem Wartungsaufwand zu rechnen war und die Duftsubstanzen häufig nachgekauft werden mussten. Zudem hatte der Computer „Macken“ aufgewiesen, die nicht zu korrigieren waren, und die einen regelmäßigen Neustart notwendig machten. Die Künstlichkeit der Gerüche war aus Sicht des Ausstellungsteams das zentrale Problem des Rechners. Die Idee, Gerüche in der Ausstellung verstärkt einzusetzen, wurde trotzdem auch nach dem Verwerfen des Duftcomputers nicht ohne weiteres bei Seite gelegt. Für den Raum „Essen“ fand sich eine Lösung, die der erwünschten Thematisierung der Dichotomie von natürlichen und künstlichen Aromen eher gerecht wurde. Die Geschichten, die das Team der Neugestaltung über das Thema „Aroma“ erzählen wollte, sollten nun anhand einer „Duftorgel“ erzählt werden, die bei einem Berliner Unternehmen in Auftrag
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gegeben wurde. Sie sollte sowohl natürliche als auch künstliche Aromen beinhalten und nicht auf eine diagnostische Untersuchung des Riechvermögens abzielen, sondern die hedonistische, genussvolle Seite des Kochens betonen. Die Duftorgel sollte dem Bereich „Tischkultur“ zugeordnet werden, in dem auch Geschirr und Besteck, wie etwa Meissner Porzellan aus der Barockzeit, gezeigt werden sollte. Der zuvor getestete Duftcomputer sollte schließlich in den Raum 5, der sich mit dem menschlichen Gehirn, dem Denken und Erinnern, befasst, eingefügt werden. Die Entscheidung, den Duftcomputer in der endgültigen Ausstellung durch ein Exponat zu ersetzen, das mit natürlichen, also nicht synthetischen Aromastoffen, arbeitete und die genussvolle Dimension des Kochens und Essens betonte, war nicht nur ein Resultat der Besucherbefragungen, sondern spiegelt auch die Wirkmächtigkeit einer „gastrosophischen Wende“ (Lemke, Dell’Agli) wider, die in den Kultur- und Geisteswissenschaften in den letzten Jahren verstärkt ausgerufen wird und auf eine Hinwendung zu regionalen Esskulturen, nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion und einer Negation konsumistischen Fast-Food Denkens rekurriert, die gerade in akademischen Kreisen zumindest nominell das Ernährungshandeln prägen mag. Harald Lemke sieht das „naturwissenschafliche Ernährungsdenken“, das historisch mit dem Hygiene-Gedanken eng verknüpft ist, und „die Vorstellung etabliert (habe), dass zu ‚essen‘ bedeute, dem ‚Körper‘ ausreichend ‚Nährstoffe‘ in Form von ‚Kalorien‘ oder ‚Brennwerten‘ ‚zuzuführen‘“ (Lemke 2009: 9), von diesem gastrosophischen Diskurs zunehmend kritisch hinterfragt. Die Gastrosophie versteht sich als Gegenentwurf zu einem solchen eher naturwissenschaftlichen Verständnis von Essen und Ernährung, wie er auch für den alten Raum „Essen und Trinken“ kennzeichnend war. Es bleibt zu fragen, ob es sich bei der gastrosophischen Wende um ein Elitenphänomen handelt, welches der Kulinaristik huldigt, auf ethisch-philosophische Konzepte des „guten Lebens“ rekurriert und sich im Verzehr von Slow Food übt und somit einen Distinktionsgewinn erzielt, während die gesellschaftliche Teilhabemöglichkeit an dem dazu nötigen Ernährungswissen inklusive seines philosoophisch-kulturhistorischen Überbaus durchaus eingegrenzt bleibt. Es kann dennoch nicht nur von einer kulturwissenschaftlichen, sondern auch von einer „allgemeinen“ Hinwendung zu Sinnlichkeit und Genuss, die Robert Jütte für das ausgehende 20. Jahrhundert diagnostiziert (2000: 255 ff.) und die sich in den Kochshows und Wellnessangeboten manifestiert, gesprochen werden:
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„So verstärkt […] der Trend, die Ansprüche des in Deutschland neu entdeckten Hedonismus auch auf die Gastronomie auszudehnen und im Essen endlich eine potentiell unerschöpfliche Ressource von Genußerfahrungen zu entdecken. Im Geschmackssinn finden die ergonomisch freigesetzten, sexuell irritierten und medizinisch dauerbesorgten Körpersubjekte die einzig verläßliche Quelle täglicher Freude und Selbstoptimierung. Publizistisch und televisuell reagiert auf diese Gemengelage eine noch nie da gewesene Flut von Kochbüchern, Ratgebern, Restaurantführern, Fachzeitschriften, Volkshochschulkursen und TV-Kochshows. Eine beispiellose Aufklärungskampagne geht seit Jahren durch die deutschen Medien. Keine Zeitung und kein Fernsehkanal, kaum noch eine Zeitschrift, die nicht tagtäglich ihre Adressaten mit Informationen, Berichten und Empfehlungen rund ums Essen versorgen.“ (Dell’Agli 2009: 8)
Warum der „alte“ Raum „Essen und Trinken“ als derartig defizitär wahrgenommen wurde, ist also auch vor diesem Hintergrund besser zu verstehen. Umgesetzt in die Praxis des Ausstellungsmachens bedeutet dies, das Thema „Essen“ nicht nur vor dem Hintergrund individueller Geruchserfahrung zu vermitteln, sondern gesellschaftliche Dimensionen des Essens einzubeziehen – als „Totalphänomen Essen“ eben, wie Marcel Mauss es formuliert, der eingangs aus dem „Drehbuch“ für die Neugestaltung zitiert wurde.
7.3 E SSEN UND K ULT : V ON M EXIKO S UPERMARKT IN DIE V ITRINE
ÜBER DEN
In Wissenschaftsmuseen und Historischen Museen ist es eine gängige Praxis des Kuratierens von Ausstellungen, zunächst ein pädagogisches Narrativ zu entwickeln, das bestimmten Zielen folgt, und auf diesem basierend dann geeignete Objekte zur Illustration zu inszenieren (Schildkrout 2006: 130). In dem neu zu gestaltenden Raum sollten der Themenbereich „Essen und Kult“ inhaltlich ausgeführt werden. Das im Drehbuch aufgeführte Kapitel „Verehrt und verzehrt – Nahrungskult und Speiserituale“ enthielt schließlich die Unterpunkte „3.7.1 Götterspeisen“ und „3.7.2 Auch Tote müssen essen“, die durch Artefakte und mediale Einspielungen umgesetzt werden sollten. An diesem Punkt des Umgestaltungsprozesses wurde plötzlich meine ethnologische Expertise gefordert, die in Anregungen für mögliche Themenfelder bestehen sollte. Während eines gemeinsamen Nachmittages auf der Terrasse des Museumscafés erörterten die Kuratorin und ich verschiedene Ideen, die das Thema „Essen und Kult“ um eine ethnologische Perspektive ergänzen sollten. Dabei setzte
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die Kuratorin Maja Wegerich „ethnologisch“ mit „außereuropäisch“ gleich. Die Ideen bestanden in einer visuellen Einspielung eines Trauerrituales der Yamomami9, das wegen zu geringer Anbindung an die Erfahrungen und Erwartungen der Besucher und der Gefahr der Exotisierung nicht favorisiert wurde, dem Zeigen von Nachbildungen japanischer Bentoboxen, in denen das Mittagessen von Schulkindern gezeigt wurde, und in der Zurschaustellung eines buddhistischen Butsudan, eines Hausaltars für die Ahnen. Schließlich aufgegriffen wurde die Idee, die dias de los muertos, die bedeutendstefiesta im mexikanischen Festtagszyklus, der der Kommunikation mit den Verstorbenen gewidmet ist (Carmichael, Sayer 2007, Haley, Fukuda 2006), in dem neuen Konzept aufzugreifen. Todos santos, ein alternativer Begriff für die Feierlichkeit, entspricht terminlich dem deutschsprachigen Allerheiligen und Allerseelen am 1. und 2. November und ist eine pankatholische Praxis Südamerikas, die im spezifischen Falle Mexikos auf aztekische Trauerritualpraktiken zurückgeht (Brandes 2006: 163). Sowohl speziell für diese fiesta hergestellte und nur zu dieser Zeit des Jahres erhältliche Speisen und Süßigkeiten als auch die individuellen Nahrungsgewohnheiten der Verstorbenen sind dabei von zentraler Bedeutung. Das Totenfest „is a mortuary ritual, which aims to satisfy both the alimentary and emotional needs of departed souls“ (Brandes 2006: 8). Auf Pfaden von duftenden orangefarbenen Tagetes entlanggeführt, die von den Grabstätten bis in die Häuser der jeweiligen Familien führen, besuchen die Verstorbenen alljährlich ihre Verwandten, die für sie ihre Lieblinsgspeisen in einer ofrenda, einem Altar mit Gaben und Erinnerungsbildern,aufgebaut haben. Das Stereotyp vom „morbid Mexican [..] looking dead straight in the eye and laughing at it“ (Brandes 2006: 5) stammt nicht zuletzt von der farbenprächtigen Inszenierung von todos santos her, die emblematisch für Mexiko geworden ist, einer Nation, die für den exotisierenden Blick einen Gutteil ihrer Identität aus ihrem spezifischen Umgang mit dem Tod zu beziehen scheint (vgl. LomnitzAdler 2005).
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Dies bezieht sich auf eine Praktik der Yamomami, die Asche von Verstorbenen, einem Brei aus Bananen beigemengt, im Kreise der Verwandten zu sich zu nehmen, so dass die Substanz in den Körpern der Gemeinschaft erhalten bleibt. Populäre Darstellungen der Yamomami verzichten auf diese Information ungern: eine kurze Internet-Suche mit den Stichworten „Yamomami“, „Asche“ und „Brei“ erzielt bereits 202 Treffer, die vorwiegend auf Seiten mit Reiseinformationen für Venezuela und Brasilien und auf Hilfsprojekte für die Yamomami verweisen (Stand 10.11.2010).
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„Für einen Pariser, New Yorker oder Londoner ist der Tod ein Wort, das man vermeidet, weil es die Lippen verbrennt. Der Mexikaner dagegen sucht, streichelt und foppt den Tod, schläft mit ihm; er ist sein Lieblingsspielzeug und seine treueste Geliebte. Vielleicht quält ihn ebenso die Angst vor ihm wie die Anderen, aber er versteckt sich nicht vor ihm noch verheimlicht er ihn, sondern er sieht ihm mit Geduld, Verachtung und Ironie frei ins Gesicht.“
So beschreibt es der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz (Paz 2004: 63). In den Paraphernalien der dias de los muertos, so Paz weiter, manifestiert sich diese Haltung stets aufs Neue: „In einer verschlossenen, ausweglosen, vergänglichen Welt ist der Tod das einzig Gültige. Damit bestätigen wir etwas Negatives: die Totenschädel aus Zucker oder Seidenpapier, die Skelette, die im Feuerwerk leuchten […] bezeugen die Nichtigkeit und Belanglosigkeit des menschlichen Daseins. Wir schmücken unsere Häuser mit Totenschädeln, wir essen am Totensonntag Brot in Form von Knochen, wir amüsieren uns mit Liedern und Schwänken, aus denen der kahle Tod grinst.“ (Paz 2004: 64)
Der Umgang mit den Toten, die mit den Lebenden zu einer Familienfeier zusammenkommen, scheint einem europäisch-amerikanischen10 Verhältnis zum Tode so konträr entgegengesetzt zu sein, dass ein exotisierend-verlangender Blick in das bunte Treiben der fiesta kaum ausbleiben kann. Dass das Aufgreifen der dias de los muertos uns so naheliegend schien, hatte vielleicht auch damit zu tun, dass die bunten Totenschädel aus Zuckerguss (im musealen Kontext nachgeahmt durch Gipsschädel) die bunten Papierscherenschnitte und tanzenden Skelette aus diversen Materialien bereits zum Inventar der exotisch–exotisierenden Berichterstattung und Museumsrepräsentation gehören. Diese de- und rekontextualisierten Momentaufnahmen versuchenanhand der Präsentation materieller Artefakte, häufig unterstützt durch audiovisulelle Medien und ein ergänzendes Veranstaltungsprogramm, kulturelle Bedeungen zu transportieren und reklamieren dabei in unterschiedlichem Maße eine Authentizität der Darstellung für sich. Die Museen, die das Ereignis aufgegriffen haben, bilden damit in einigen Städten einen Mittelpunkt migrantischen mexikanischen Begehens des Festes und werden damit performativ-temporär Teil einer Ethnoscape Mexicos (Carmichael, Sayer 1992: 71, Brandes 2006: 160 ff.).
10 Zahlreiche Quellen und Veranstaltungen im Zusammenhang mit den dias de los muertos stammen wegen der starken Migrationsbewegung von Mexiko in die USA aus US-amerikanischen Kontexten.
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Zu den zahlreichen Museen, in denen jährlich Inszenierungen der dias de los muertos gezeigt und mit Besucherangeboten kombiniert werden zählen beispielsweise dasBritish Museum in London11 oder dasOakland Museum12 in Kalifornien. Das Oakland Museum fühlt sich dabei nicht nur den mexikanischstämmigen Einwohnern der Bay Area verpflichtet, sondern, so zeigt ein Interview mit der leitenden Museumspädagogin (zit. in Brandes 2006: 160), der Weitergabe einer spezifischen Form von Emotionsmanagement im Umgang mit Verlust und Trauer.Das Peabody Museum of Archaeology and Ethnography der Harvard University veranstaltet ebenfalls jährliche Feiern des day of the dead13, die an einem in der Galerie der Amerikas gezeigten Altar mit ofrenda, dem zum Fest aufgebauten Hausaltar für die Toten, thematisch anknüpfen. Das Ziel solcher Inszenierungen unterscheidet sich von der im HygieneMuseum gewünschten Funktion der dias de los muertos innerhalb des Ausstellungsnarratives. Die facettenreiche Bedeutung der Festtage wurde im HygieneMuseum explizit auf die Dimension „Essen und Kult“ hin gedacht und die Aspekte Erinnerung, Trauer, Religion und Gemeinschaft gruppierten sich darum, während Aspekte der Aushandlung ethnischer und nationaler Identität, die gerade in migrantischen Gemeinschaften zum Diskursspektrum der fiesta gehören, kaum berücksichtigt werden sollten. Entsprechend mussten die Objekte, die später in der Ausstellung gezeigt werden sollten, sowohl den größeren Bezugsrahmen der fiesta illustrieren als auch explizit kulinarischer und ursprünglich essbarer Natur sein. Ein Ausflug zu El mercadito, einem auf südamerikanische Lebensmittel spezialisierten Geschäft, bildete den ersten Schritt unserer gemeinsamen Feldforschung. Von diesem Ausflug wird im nun folgenden Abschnitt erzählt.
11 http://www.britishmuseum.org/whats_on/events_calendar/november/day_of_the_ dead.aspx, zuletzt besucht am 6.4.2010. 12 http://diasdelosmuertos.ning.com/, zuletzt besucht am 6.4.2010. 13 http://www.peabody.harvard.edu/node/287, zuletzt besucht am 6.4.2010. Weitere Beispiele für Museen, die in ihren Ausstellungen oder mit Spezialveranstaltungen die dias de los muertos inszenieren und feiern sind das Museum für Völkerkunde in Hamburg und das Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
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7.3.1 Der Tag der Toten. Die Sinneinheit „Essen und Kult“ in (audio-) visueller Repräsentation Im Supermarkt „Vor einem kleinen Supermarkt in der Dresdener Neustadt haben Inga, Pia und ich uns getroffen, um Näheres über die bei den Feierlichkeiten zu los dias de los muertos in Mexiko verwendeten Speisen und Getränke zu erfahren. Vor einigen Tagen schon ist mir das weiße, mit Papierblumen geschmückte Kreuz aus Pappe im Schaufenster des kleinen Geschäftes aufgefallen, und ich hatte den Einfall, mit dem Team des Raumes Essen und Trinken hierher zu kommen. Es ist Mitte Oktober, das mexikanische Totenfest wird in zwei Wochen stattfinden, und möglicherweise, so meine Idee, können wir einige der verwendeten Objekte in die Museumsvitrine übernehmen, sobald das Fest vorüber ist. Zu dritt betreten wir das kleine, in warmen Erdtönen gehaltene Geschäft. Während wir durch die Regale stöbern, erhebt sich die Besitzerin hinter der Kasse und begrüsst uns. Pia erzählt kurz, dass wir vom Deutschen Hygiene-Museum kommen und eine Ausstellung vorbereiten, bei der auch das „mexikanische Totenfest“ vorkommen soll. Die Besitzerin greift sofort nach einigen Lebensmitteln in den Regalen, unter anderem nach Kakao. Während der Fiesta, so erzählt sie, sei es wichtig, die Lieblingsspeisen der Toten bereitzustellen. Kakao und Gerichte mit Schokolade gehörten ebenfalls notwendig dazu. Sie holt die Schachtel mit Kakao aus dem Regal und öffnet sie mit der Aufforderung ‚Riechen sie mal‘. Die Besitzerin des kleinen Supermarktes, die aus Guatemala stammt, plant, an ihrem am selben Abend stattfindenden Spanischkonversationskurs das Thema ‚Totenfeier in Mexiko‘ durchzunehmen. Dazu hat sie einen Film herausgesucht, den wir uns auf einem Laptop auf dem großen Tisch hinter dem Ladentresen gemeinsam anschauen. Endlose Mengen an orangegelben Blumen (Tagetes, auch Flor de Muertos, Totenblume genannt) und laute Musik bestimmen meine audiovisuelle Erfahrung, die nun auch noch dadurch verstärkt wird, dass eine weitere Person das kleine Lädchen betritt. Es handelt sich um einen Mann um die vierzig, der dunkel und elegant gekleidet ist. Auch er arbeitet als Spanischlehrer in Dresden. Als er hört, weswegen wir hier sind, und dass ich Ethnologin bin, kommt er sofort auf die prähispanischen Wurzeln der Totenfeier zu sprechen und weist auf die kolonialen Verstrickungen hin, die die dias de los muertos in ihrer heutigen Form erst ermöglicht haben. Während die Museumsmacherinnen sie unter dem Aspekt der Kommunikation mit dem Jenseits betrachten, rührt die Feier für Luis an Fragen der ethnischen und nationalen Identität. Wir müssen jetzt losgehen, denn wir wollen noch in ein Geschäft mit mexikanischem Kunsthandwerk.“ (Feldforschungsnotizen)
Zurück im Museum Der Film, den wir im Supermarkt gesehen hatten, war von der Geschäftseigentümerin und Spanischlehrerin aus dem Internet bezogen worden. Auf Videopor-
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talen wie Youtube stehen zahlreiche Amateuraufnahmen von todos santos zur Verfügung. Während solche Aufnahmen für Unterrichtszwecke im privaten Rahmen problemlos zu verwenden sind, stellen sie die Museumsmitarbeiterinnen vor eine ganz eigene Problematik: Die oder der anonyme Filmende wird kaum aufzufinden sein und das Urheberrecht damit ungeklärt bleiben. Im öffentlichen Kontext des Museums kann der Film aus diesem Grund nicht verwendet werden. Die Ausstellungsmacherinnen waren von der Idee, einen Film oder einige Sequenzen daraus zu zeigen, begeistert. Mehrere Tage lang suchten wir im Internet und durch persönliche Kontakte nach Dokumentarfilmen, die verwendbar wären. Sie sollten möglichst detaillierte Darstellungen der Altäre und der dort arrangierten Lebensmittel beinhalten. Gleichzeitig musste das Urheberrecht geklärt sein. Somit wurde die Idee geboren, einen eigenen Film zu drehen. Zu diesem Zweck wurde der mexikanische Kulturverein Calaca e. V. in Berlin kontaktiert und ich, „eine Ethnologin“ als potentielle Filmschaffende, angekündigt. Auch papel picado, pan de muerto und „Zuckerzeug“ sollte ich mitbringen. Bevor ich jedoch nach Berlin aufbrechen konnte, musste ich meiner plötzlich zugeschriebenen Rolle als Mexikoexpertin gerecht werden und mich mit dem Fest im Detail auseinandersetzten. Dabei stand die ofrenda im Mittelpunkt, die Altargabe, die dann in der Ausstellung zu Museumsbedingungen reproduziert werden sollte. Die Ofrenda Die Gabe an die Toten besteht in Nahrungsmitteln und neuen Kleidungstücken, Schnaps, Zigaretten und Spielwaren für die angelitos, die verstorbenen Kinder (Carmichael, Sayer 2005: 17 ff.). Das Marktgeschehen auf dem Land und das Angebot der städtischen Warenwelt widmen sich in den Wochen und Monaten vor dem Ereignis den Bedürfnissen der Lebenden und Toten (ibid.). Der Altar, auf dem die Gaben ausgeschmückt und angeordnet werden, besteht üblicherweise aus einem im Haushalt vorhandenen Tisch, der mit einem Tischtuch oder einem speziellen bestickten Tuch und Blumen ausgeschmückt wird. Ein Himmel, cielo, aus Stoff oder Kunststoff, wahlweise auch papeles recortados oder papel picado, bunte Scherenschnitte, bilden den Rahmen und werden um den Altar aufgehangen (Carmichael, Sayer 2005: 188). Das Totenbrot in Knochenform, pan de muerto, verschiedene Sorten von mole und tortillas zählen zu den charakteristischen Speisen. Heiße Schokolade, Alkohol oder Softdrinks ergänzen entsprechend den Vorlieben der Verstorbenen das Angebot, um den Durst der Toten zu stillen (Brandes 2006: 77).
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Durch die Gerüche, den Geschmack und die Materialität der Speisen wird ein Rückgriff auf einen ganzen Nexus von Erfahrungen möglich, der Erinnerung, Emotion und die Beteiligung unterschiedlicher Sinne umfasst. So schreibt Nadia Seremetakis: „The memory of one sense is stored in another: that of tactility in sound, of hearing in taste, of sight in sound. Storage is always the embodiment an conservation of experiences, persons and matters in vessels of alterity. The awakening of the senses is awakening the capacity for memory, of tangible memory; to be awake is to remember, and one remembers through the senses, via substance.“ (Seremetakis 1996: 28)
Durch das Zubereiten der Speisen wird das Verhältnis von Lebenden und Toten historisiert, indem es auf frühere Handlungen und Beziehungen verweist, die mit dem Kochen für Andere und Essen mit Anderen zusammenhängen (ibid.). Die Erinnerungen, die durch Geruch und Geschmack der Speisen aufsteigen, aktualisieren dabei auch diese Bezüge der Familien- und Beziehungsgeschichte. Auch die ethnologische Literatur rekurriert auf die Verortung von Geruch und Geschmack im Stammhirn, dem limbischen System (z. B. Sutton 2001), um die evokative Kraft von Geschmäckern und Gerüchen zu erklären. Bestimmte Nahrungsmittel als Symbole persönlicher und sozialer Beziehungen und die leiblichen Erfahrungen der Gerüche, Klänge und Geschmäcker der fiesta gehen dabei Hand in Hand (vgl. Holtzmann 2006: 372). Das Geflecht aus Erinnerungen kulinarischer Natur, das los dias de los muertos umgibt, stellt Kanäle raum-zeitlicher Art zur Verfügung, die Erinnerungen der Hinterbliebenen abrufen und die sich bereits bei dem Vorbereiten der Lieblingsspeisen der Verstorbenen mit deren Lebenswandel und Persönlichkeit, gebrochen durch die Linse ihrer kulinarischer Vorlieben, einstellen. Die Ankunft der Toten wird durch das Vorbereiten der Speisen überhaupt erst ermöglicht, denn nur die individuellen Geruchserinnerungen der Verstorbenen machen es möglich, dass sie zu ihrer entsprechend vorbereiteten Familie zurückkehren können: der Geschmackssinn der Toten ist nach ihrem Ableben stark abgeschwächt, der Geruchssinn jedoch umso geschärfter, und sie finden an den Gerüchen der Speisen und für sie bereitgestellten Zigaretten Gefallen (Brandes 2006: 20). Die Gerüche von Chili und Ringelblume, unterstützt von Geißblatt und dunkelrotem Hahnenkamm bilden einen wesentlichen Bestandteil der ofrenda in Oaxaca (Haley, Fukuda 2006: 72). Ohne die ausgeprägten Gerüche wären die Speisen für die Toten kaum wahrnehmbar und damit auch ihre Ankunft in den Häusern ihrer Familien gefährdet (ibid.). Die ganz eigene smell- und tastescape des Er-
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eignisses kommt in dem Auspruch eines von Haley und Fukuda zitierten jungen Mannes zum Ausdruck: „I smell a fiesta!“ (ibid.) Die vielfältigen Bedeutungen des Essens führt Joan Adapon in ihrem Buch Culinary art and anthropology am ethnographischen Beispiel der Zubereitung von Mahlzeiten in Mipla Alta, einem Vorort von Mexiko Stadt auf. Nahrungsmittel und zubereitete Mahlzeitenfolgen lassen sich durch den metaphorischen und symbolischen Gehalt der Speisen, aber auch, mit Rückgriff auf Alfred Gell, durch ihre Bedeutung als „Objekte“ oder „Dinge“ als Träger sozialer Praxis begreifen: „Food and eating constitute such a domain where social settings exists for people to eat together, making social relations between persons via the meal, and with the food literally ‚merging‘ with these people as they eat it.“ (Adapon 2008: 47).
Ihr Verständnis des Kochens als künstlerische und kreative Praxis, das sie anhand einer Ethnographie mexikanischer Kochkunst entwickelt, lässt sich auf einen weiteren Aspekt der Feier der dias de los muertos anwenden: Die völlige Individualität und Unterschiedlichkeit der ofrendas sollen innerhalb der musealen Inszenierung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Zugleich sind die Mahlzeiten eingebunden in spezifische soziale und rituelle Kontexte, die eine Mahlzeit nach Joan Adapon zu einem Kunstwerk im Sinne Alfred Gells machen, indem sie unterschiedlichste Intentionalitäten verkörpern. Zudem existiert ein Stil der Altargaben und des Altaraufbaus, der erkennen lässt, dass sie zu einer gemeinsamen Gruppe von verteilten Objekten gehören und Regeln der Kunstproduktion unterworfen sind, die für eine bestimmte Region oder Gemeinschaft kennzeichnend sind (Gell 1998: 153, Adapon 2008: 105). Diese Spannung zwischen Individualität und „Stil“ der Kunstproduktion wurde in der Übersetzungssituation hin zu einer generalisierten Repräsentation aufgelöst, die für die Kuratoren durch den Verzicht auf die Darstellung vermeintlich trivialer Nahrungsmittel realisiert wurde. Schnaps und Zigaretten sollten ebenso wenig dargestellt werden wie Modellagen von Nahrungsmitteln, die auch in anderen Kontexten Verwendung fanden – wie etwa die chilibasierte Gewürzsauce Mole. Gerade diese Konsumgüter und Speisen des Alltages jedoch, mit ihren jeweils eigenen Intentionalitäten, machen nicht nur die spezifische Bedeutung der familieneigenen ofrendas aus, sie zeigen auch die lokalen Aneignungen globaler Warenangebote auf (Ames 1992: 132 ff.), so dass jede Altargabe auch als Knotenpunkt im globalen Spiel von Konsumangeboten und Geschmackswelten gelesen werden kann.
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Im Übersetzungsprozess hinein in die Museumsvitrine traten diese individuellen Gaben zurück (sie sollten durch den Film dennoch einen Platz erhalten) und die für die Kuratorinnen offensichtlichen Zeichen für los dias de los muertos, die Totenbrote und die Totenschädel und Skelette aus Zucker, sollten einen Ehrenplatz erhalten. Bevor die ersten Objekte vorhanden oder nachgebaut waren und vorläufig in das Depot des Museums eingelagert werden konnten, existierte der neue Raum bereits als imaginärer Ort, an dem den einzelnen Objekten bereits ein Platz in der Vitrine zugeordnet worden war, um dort die pädagogische Erzählung vom Essen als sozialem Stabilisierungsfaktor zu veranschaulichen. An ihrem Schreibtisch sitzend und die geplante Vitrine aufzeichnend, erläuterte die Kuratorin der Dauerausstellung ihr inneres Bild wie folgt: „Es geht um Lebenserhaltung, aber auch um Gemeinschaftserhaltung. Essen hat immer mit Dingen außerhalb von dir selbst zu tun. So ein bisschen ist meine Vorstellung, dass wir in dieser Vitrine so diese Geschichten erzählen. So dass wir oben die Girlanden haben und den Totenkopf aus Zucker. Dann kriegen wir noch die Knochen von Gabriele HerzogSchröder14. Das reicht dann.“15
Die Vitrine durfte optisch nicht zu überladen wirken. Stattdessen sollte den einzelnen Exponaten Raum zur Entfaltung gegeben werden. Die Frage nach der Authentizität der gezeigten Objekte und des entstehenden Films wurde dabei auf zwei Ebenen diskutiert.Zum einen nach dem Kontext ihrer Herkunft und zum 14 Die Ethnologin Dr. Gabriele Herzog-Schröder hatte das Team im Rahmen seiner Recherchen über die Amazonasregion kontaktiert. Von ihr wurde ein Knochenbündel bereitgestellt, das der rituellen Einbettung von Jagdvorbereitungen dient. 15 Auch bisher waren in der Dauerausstellung sowohl ethnographische als auch anthropologische Objekte präsentiert worden. Sie bildeten jedoch keinen Schwerpunkt der Ausstellungstätigkeit. Die Internationale Hygiene-Ausstellung von 1911 enthielt, typisch für das Format der Hygiene- und Gesundheitsausstellung der Wilhelminischen Zeit, eine ethnographische Subsektion. Von Ferdinand Reitzenstein kuratiert, bildete sie einen wesentlichen Teil der sogenannten Historischen Sektion. Darin enthalten waren Darstellungen von Hygienepraktiken sowohl von „Natur- und Halbkulturvölkern“ als auch von „fremden Kulturvölkern“ (Reichardt 2008: 188). Nicht nur materielle Artefakte, sondern auch Völkerschauen waren populäre Bestandteile der Internationalen Hygiene-Ausstellung. Heute wird dieser Teil der Museumsgeschichte im ersten Raum der Dauerausstellung dargestellt und historisch kontextualisert. – Zu einer kritischen Diskussion des ethnischen Nationalismus, der in diesen Wissensvermittlungsformaten transportiert wurde und Körper als Exponate zugeschriebener Fremdheit, siehe beispielsweise Reichardt 2008: 240 ff., Grewe 2006, Gouaffo 2007.
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anderen nach ihrem Stellenwert als auratischem Objekt, dem innerhalb des Museums ein neues Leben ermöglicht wird: „Ich mag es, wenn man den Dingen ihre Geschichte ansieht, die müssen schon mal benutzt worden sein“, so formuliert wiederum die Kuratorin diese spezielle vitale Qualität der Objekte. Dieser Gedanke – nämlich dass der ursprüngliche Kontext des Objektes über das Objektimmanente hinaus für Authentizität bürgt – findet sich auch in den Grundlagenwerken der Museologie. Hier soll das umfangreiche Handbuch der allgemeinen Museologie von Friedrich Waidacher zitiert werden: „Daher ist auch bei der Selektion von Musealien nicht Originalität, sondern Authentizität anzustreben, wo immer dies möglich ist. Während Originalität (Ursprünglichkeit, Echtheit) an das Objekt gebunden ist und daher auch nur für seine Herkunft bürgt, kann eine Sache einen bestimmten Vorgang nur dann unmittelbar nachweisen, also authentisch (verbürgt, beglaubigt) sein, wenn sie selbst an diesen Vorgang gebunden war.“ (1999: 170, Herv. i. O.)
Das museale Objekt wird innerhalb dieses Diskurses als Zeichenphänomen betrachtet, dessen Authentizität aus seinem Eingefügt sein in (einen) ursprüngliche(n) Kontext(e) besteht, der oder die wissenschaftlich überprüft und bestätigt werden müssen, bevor ein Ding durch sogenannte Interimskontexte in seinen Sekundärkontext innerhalb einer Ausstellung platziert werden kann (ibid. ff). Im Gegensatz zu einem Mentefakt, etwa einer Dokumentation, so Waidacher, wirken museale Objekte dabei sinnlich-konkret und nicht begrifflich-materiell (1999: 172). Diese Unterscheidung ist schwierig, da aus einer phänomenologischen Perspektive heraus sinnliche Effekte von allen Formen der Auseinandersetzung mit der Welt ausgehen, sprich, es ist nicht möglich, nicht sinnlichemotional zu erleben, auch beim Lesen von Texten oder dem Betätigen einer Suchfunktion in einer Objektdatenbank (vgl. Gugutzer 2004: 14). Doch dieser Diskurs verweist auf ein wichtiges Kriterium für die Konstruktion authentischer Museumsobjekte. Die Lebendigkeit des Objekts, so schlägt Lorenzo Brutti vor, entsteht auch durch seine körperliche Materialität, insbesondere seine Patina. In seinen kritischen ethnographischen Notizen über die Sammlungs- und Ausstellungspraktiken des Musée du Quai Branly und der Pariser Kunstszene fasst der Ethnologe Brutti Ansprüche an die vermeintliche Authentizität von Ethnographica wie folgt zusammen: „Die Patina verleiht also einem Gegenstand seinen Nimbus als Fetisch und Reliquie. Doch nicht nur der unpersönliche Einfluss der Zeit trägt zur Fetischisierung von Werken der Stammeskunst bei. Ein Kunstwerk der art premier wird noch wertvoller, wenn seine Pa-
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tina aus materiellen Überresten eines menschlichen oder tierischen Organismus stammt. Tierisches Fett, Eigelb, Opferblut als sensorisches Zeichen eines Gegenstandes, von dem es im Fachjargon oft heißt, er habe „gelebt“, stellen eine Garantie für seine Echtheit dar.“ (250)
Vor dem Hintergrund dieser museologischen Diskurse wird verständlich, warum eine Colaflasche oder eine Schachtel Zigaretten aus Kuratorensicht keine geeigneten Ausstellungsgegenstände darstellen: sie sind schlicht zu polyvalent und verweisen aufgrund ihrer globalen Verfügbarkeit auf unspezifische Kontexte. Sie erzählen zu viele Geschichten und entziehen sich dem direkten Interpretationsangebot. Echte Lebensmittel wie die Totenschädel aus Zucker und die Totenbrote, pan de muertos, wiederum dürfen im Museum nicht gezeigt werden, da ihre Haltbarkeit begrenzt ist und Befall durch Ungeziefer befürchtet wird. Deshalb mussten Vorlagen angeschafft werden, nach denen eine freiberufliche Museumsmitarbeiterin Modelle der Nahrungsmittel bilden konnte, die nachher, so wurde mir versichert, täuschend echt wirken sollten. In meiner temporären Rolle als filmschaffende und Artefakte sammelnde Ethnologin wurde mir dabei zugeschrieben, über einen Blick für die Authentizität oder zumindest Reproduzierbarkeit potentieller Objekte zu verfügen. Sowohl die Auswahl der „authentischen“ Objekte für die Vitrine als auch die Wahl der Vorlagen für den Nachbau wurde mir überlassen. Der entspechend geschulte Blick auf die Ausstellung und auch das Publikum, das in seinen Reaktionen auf die Vitrine eingeschätzt werden musste, wurde mir dabei fraglos zugeschrieben, und damit wurde ich nach Außen hin zu einer Vertreterin des Hygiene-Museums gemacht. Die beiden Ebenen „Inhalt“ und „Ästhetik“ griffen dabei ineinander. Sowohl die fachliche Kompetenz als auch das Distinktionsmerkmal Geschmack wurden mir dabei unterstellt – kurz, ich teilte nach Meinung der Museumsleute durch meine Feldforschungserfahrung eine skilled vision, einen geschulten Blick oder eine bestimmte Sehfähigkeit, die mit den Worten „Du weißt ja, wonach wir so schauen“ umschrieben wurde und mich zu einer geeigneten Bildjägerin, Objektsammlerin und Übersetzerin machte. Hatte bislang, um in der Sprache der Museologie zu verbleiben, meine Originalität darin bestanden, dass mein Herkunftskontext bekannt und überprüft worden war, bestand meine Authentizität nunmehr darin, dass ich an den Vorgängen innerhalb des Kontextes Museum direkt beteiligt war.
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7.3.2 Die Authentizität ethnographischer Kontexte und Objekte im Rahmen der Ausstellung – cultural brokerage auf allen Ebenen Die Authentizität der fiesta, die ich in Berlin begleiten durfte, wurde aus der Perspektive der Ausstellungsmacherinnen durch die Autorität der Veranstalter garantiert. Durch den Status eines Kulturvereins legitimiert, erschien Calaca e. V. als geeignete Institution der Kulturvermittlung, die der Institution Museum strukturell verwandt war. Expertentum wurde dabei mit akademischer Anbindung und Prestige gleichgesetzt und Autorenschaft über den neuen Raum damit horizontal entlang institutionell vergleichbarer Pfade verteilt. Der Verein Calaca e. V. veranstaltet seit fünfzehn Jahren das mexikanische Totenfest in Berlin. Zu Recht vergleicht Mary Bouquet den Prozess des Ausstellungsmachens mit einer ethnographischen Feldforschung (2001a: 179). Das Sammeln von Artefakten und das Anfertigen von Abbildungen zum Zweck einer finalen Repräsentation stellen ebenso Gemeinsamkeiten dar wie die Frage nach dem Einbeziehen möglichst vielfältiger Stimmen und der politischen Dimension einer Repräsentation, die ihren Gegenstand dadurch überhaupt erst erschafft (siehe auch Ames 1992). Die an der Repräsentation der Totentage beteiligten Akteure und Akteursguppen (also die Ausstellungmacher, der mexikanische Kulturverein und temporär auch ich selbst) bewegen sich in einem Feld der cultural brokerage, der Kulturvermittlung. Ihre aktiven Bemühungen gelten folglich von vorneherein der Übersetzung des „Anderen“ in das „Eigene“, oder, um mit einer Definition aus dem Kontext der applied anthropology zu sprechen, einer „intervention strategy of research, service and training that links persons of two or more sociocultural systems through an individual“ (van Willigen 2002: 136). Die folgende Selbstbeschreibung von Calaca e. V. ist als ein Angebot zu einem Emotionsmanagement lesbar, das einen möglichen Umgang mit Trauer anbietet, die im „mexikanischen“ Kontext gängig und auch für „Deutschland“ anzustreben ist: „Wir verwandeln den Veranstaltungsort in einen mexikanischen Markt, auf dem leckere, original mexikanische Speisen und Getränke kredenzt werden, als da sind Zuckergebäck und süßes Hefebrot, das zum Totenfest gebacken wird. […] Das Mexikanische Totenfest richtet sich an alle kulturell aufgeschlossenen Menschen, große und kleine, die sich dem Thema Tod auf eine ungewöhnliche Art nähern wollen. In Deutschland setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der Tod nicht verdrängt und tabuisiert werden sollte, dass Abschiednehmen nicht in festgelegten Bahnen verlaufen
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sollte, sondern dass Tod, Abschied und Trauer zu unserem Leben dazugehören und deshalb ihren Platz brauchen.“16
Die Beschreibung lockt mit den kulinarischen Besonderheiten des Festes und damit mit einer sensorischen Evokation, die sowohl den Konturen des Festes als auch dem Erlebnishunger der Besucher gerecht werden kann. Ausgestattet mit dieser Selbstdarstellung, meiner Kamera, einem von der IT-Abteilung das Musuems geliehen Stativ und einer Adresse filmte ich am Abend des 1. Novembers 2009 das mexikanische Totenfest in Berlin. Den filmischen Prozess legte ich dabei so an, dass ich mein Material zunächst als Feldnotizen benutzen konnte, gleichzeitig aber auf Bildausschnitte aufmerksam war, die in besonderem Maße die Verwendung von Lebensmitteln in der Performance aufzeigen sollten. Ich führte folglich meinen gewohnten Modus der teilnehmenden Beobachtung mit der Videokamera weiter und externalisierte meine sinnlichen Wahrnehmungen anschließend in Form von Feldnotizen (vgl. Lammer 2007: 93). 7.3.4 Im Theater „Der Ort der Veranstaltung ist ein kleines Theater in Berlin-Mitte. Die Stimmung ist hektisch und aufgeregt, ich werde jedoch kurz vorgestellt und unsere Kontaktperson, eine im Verein aktive Journalistin, holt noch einmal die Zustimmung der Anwesenden zu den Filmarbeiten ein. In dem kleinen Vorraum des Theaters werden Speisen aufgebaut, die später verkauft werden sollen. Als ich ankomme, sind die Vorbereitungen in vollem Gange: der Boden des Saals, in dem die ofrenda aufgebaut wird, wird gerade noch geputzt und die Techniker kontrollieren die Beleuchtung. Der Raum, in dem die eigentliche fiesta stattfinden wird, scheint mir in etwa vierzig Menschen fassen zu können, fast wirkt er wie ein großes Klassenzimmer. Später werden es jedoch wesentlich mehr Besucher sein. Zu dem vom Putzen dunkel glänzenden Boden und den schwarzen Wänden bildet ein Himmel voller papel in kräftigen Farben einen reizvollen Kontrast. Am Ende des Raumes ist die ofrenda der letzten Nacht aufgebaut, die den angelitos, den verstorbenen Kindern gewidmet war, die vor den Erwachsenen in die Welt der Lebenden zurückfinden. Antonio, ein weiteres Mitglied von Calaca e. V., erklärt mir die Bedeutung der ofrenda: die vier Elemente müssen in der Gabe repräsentiert sein. Kleine Schalen mit Salz repräsentieren die Erde, Wassergläser das Wasser, ein Meer an Kerzen und Teelichtern das Feuer und der Weihrauch die Luft. Die Blumen, die für den Heimweg der Toten eine zur Orientierung wichtige Bedeutung haben, wurden dem Berliner Floristikangebot und den Bedürfnissen einer mehrtägigen Veranstaltung entsprechend angepasst: sie sind aus Papier 16 http://www.calaca.de, letzter Zugriff am 20.5.2010.
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gefertigt und können mehrfach verwendet werden. Fotografien bedecken den Altar, unter anderem fällt mir das Bild eines Neugeborenen auf. Viele der Bilder sind Schwarzweißfotografien, die offensichtlich schon sehr alt sind. Nach etwa anderthalb Stunden, die ich damit verbringe, eine ideale Position für meine Kamera zu finden, beginnt sich der Raum zu füllen. Die Kerzen der ofrenda des gestrigen Abends sind mittlerweile durch neue Kerzen ersetzt und die Wassergläser aufgefüllt worden.“ (Feldnotizen vom 1. November 2009)
Diese Vorbereitungen zur fiesta, die danach in Form von Musik und den Auftritten der Theatergruppe bestand, dienen der Produktion eines „gestimmten Raumes“ im Sinne Gernot Böhmes – eines „leiblich gespürten [Raumes] der Anwesenheit (2006: 123). Böhme versteht unter der Räumlichkeit der Atmosphären, „dass sie unbestimmt in die Weite ergossen“ sind, bedeutet aber auch, dass sie vom Menschen in seiner leiblichen Präsenz erfahren werden (Böhme 2006: 25). Die Grenzen zwischen Raum und Körper verschwimmen zu einem Empfinden sinnlicher Anwesenheit: „Der leibliche Raum ist für den Menschen die Sphäre seiner sinnlichen Präsenz. Und diese transzendiert beständig die Grenzen seines Körpers“ (88). Neben architektonischen Merkmalen, dies wurde schon in Kapitel fünf anhand der Darstellung von Gestaltung und Empfindungsweisen der sozialen Ästhetik des Museumsortes deutlich, sind auch Licht, Klang, Gerüche und Texturen Akteure in der Erzeugung solcher gestimmter Räume, die letztlich synästhetisch funktionieren (Böhme 2006: 18, 124). Auf den Filmaufnahmen, die die Ausstellungsmacherinnen und ich später gemeinsam im Museum ansahen, erscheint die fiesta als eine Abfolge unterschiedlicher Stimmungen – und hier stimmt freilich nicht nur der Raum den Menschen, sondern auch der Mensch den Raum. Auf die hektische Stimmung der Vorbereitungen, nach dem Verebben der Staubsaugergeräusche vor dem eigentlichen Beginn der Feier folgt das Anzünden der Kerzen, in deren Licht die Rahmen des vergangenen Abends, die bunten Scherenschnitte, die ofrenda des letzten Tages und die Zeichnungen der überlebensgroßen Skelette an der Wand von bloßer Staffage zu Elementen eines Festes werden. Die Geige wird gestimmt. Schließlich tritt Antonio in einem weißen Gewand nach vorne und beginnt auf Spanisch eine Erklärung des nun stattfindenden Rituals. Es folgt eine Übersetzung ins Deutsche. Mit einem Muschelhorn ruft Antonio die Verstorbenen herbei, immer unterbrochen durch Musik und Gesang der Anwesenden (vgl. den szenischen Ablauf der Abbildungen). Weihrauch, der in grauen Rauchschwaden auch sichtbar wird, wird verbrannt. „Die Toten sind jetzt alle da“, verkündet Antonio schließlich. Nach und nach treten die Anwesenden vor, um sich von Antonio oder von Martina, die ihm assistiert,
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ein Teelicht anzünden zulassen. Der Altar wird zusehends voller, als Teelichter, mitgebrachte Fotographien und Süßigkeiten abgestellt werden. Abbildung 2 2: Mit dem Muschelhorn wendet sich Antonio in alle vier Himmelsrichtungen, um die toten Gäste einzuladen.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 23: Detail der ofrenda mit Familienfotos, Kerzen und einem selbst gebackenen Kuchen.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 24: Pan de muertos, das Totenbrot, und die Papierblumen, die die vier Himmelsrichtungen symbolisieren.
Quelle: Susanne Schmitt
Abbildung 25: Die Gaben für die ofrenda werden mit copal, dem Weihrauch, geweiht.
Quelle: Susanne Schmitt
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Abbildung 26: Blick von der Seite auf die ofrenda im Verlaufe des Festes. Die calaveras de dulce, die Totenschädel aus Zucker, sind ebenso wie Kerzen, papel picado (Scherenschnitte) und frische Blumen über den ganzen Opferaltar verteilt.
Quelle: Susanne Schmitt
7.3.5 Zur temporären Materialität von Erinnerung und Ritual Die Erinnerungen an die Toten, zu denen durch Fotografien und Lieblingsspeisen Kontakt aufgenommen wurde, sind selbstverständlich individueller Art und für die Ethnologin nicht direkt zugänglich. Der Ort, der die Inszenierung und das Wiedererleben dieser Erinnerung ermöglicht, ist jedoch ein gemeinschaftlicher Raum der Erinnerung, der zeitlich begrenzt aus dem Stadtraum Berlins herausgegriffen und durch vielfältige und kreative Stilmittel gestaltet wird. Sowohl strategisch angebrachte Gerüche, auf deren potentiell miasmatische Wirkung das Publikum sogar eigens hingewiesen wurde,17 als auch Klänge und Licht sind dabei bedeutsam. Von sensorischen Verwerfungen als Ausdruck und Symptom von Krisen, wie sie in der Bearbeitung von Trauer vorkommen, berichtet Anna Lowenhaupt Tsing (2005) in ihrer Monographie Friction. An Ethnographie of Global Connection (2005). Feuer, Rauch und Ruß, die die Sicht auf die umkämpfte
17 Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es durch den Weihrauch „stickig“ werden könnte und eine Seitentür in den Innenhof bei Bedarf zu öffnen sei.
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Ressource Regenwald in Indonesien buchstäblich vernebeln, deutet sie als Akteure der asiatischen Finanzkrise des El-Niño-Jahres 1997: „In chaos, sense disorientation itself becomes a historical agent, drawing people and landscapes in its path“ (2005: 43). Die großflächigen Waldbrände, deren Entstehung von den Betroffenen auf aktive Politiken international operierender Konzerne zurückgeführt wird, bringen eine Verschiebung der sinnlichen Wahrnehmung mit sich, die als sinnbildhaft für einen entfesselten kapitalistischen Weltmarkt gedeutet wird (ibid.). Der Rauch und Geruch des copal hingegen, das während der Berliner Feier sowohl zur Eröffnung und zum Schluss der Feier als auch während ihres Verlaufes verbrannt wurde, markierte eine zeitlich begrenzte aktive Verschiebung, die jedoch örtlich begrenzt und unter religionsästhetischen und ethnizitätspolitischen Aspekten nicht nur gedeutet, sondern bewusst inszeniert wurde. Diese Inszenierung lässt sich sowohl unter Aspekten des placemakings als auch unter religionsästhetischen Überlegungen zur Markierung von Ritualphasen betrachten, wobei Gerüche den Übergang in eine temporäre Ordnung etwa während der Anwesenheit der Ahnen markieren und begleiten können (vgl. Münster 2001). In ihrer Ethnographie philippinischer Hausangestellter in Hongkong beschreibt Lisa Law deren Strategien des placemakings innerhalb des Stadtraumes. „Little Manila“, das vor den Bürotürmen der Innenstadt jeden Sonntag neu entsteht, wird von den Frauen durch Gerüche, Klänge und Texturen aus dem hegemonialen Stadtraum als anthropologischer Ort hervorgehoben, der durch eine Atmosphäre ausgedrückt wird, die über eine bloße smellscape oder audioscape hinausgeht: „this dynamic interaction between food, photos, letters and other artifacts enables the production of an alternative sensorium called Little Manila“ (Law 2006: 238). Laws Argumentation zufolge sind die Sinne dabei „far from innocent“ und wesentlicher Teil situierter Praxis, mit der sich diese Frauen als nationale Subjekte ebenso wie als sinnlich wahrnehmende und fühlende Individuen voller Erinnerungen an die Heimat selbst hervorbringen (Law 2006: 225). Die lackierten Nägel, die am Tage zu Arbeitsbeginn wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt sein müssen, und das Zeigen und Ansehen von Bildern der auf den Philippinen Zurückgebliebenen verweisen auf eine eigene Temporalität dieses Ortes, der einen zeitlich begrenzten Rahmen für das Teilen von Erinnerungen und das Leben alternativer Inszenierungen zulässt. In vergleichbarer Art wird auch in Berlin ein Ort hervorgebracht, der durch eine spezifische sensorische Inszenierung einen anderen Ort, nämlich „irgendwo in Mexiko“ evoziert. Während den philippinischen Frauen jedoch in ablehnender Art Differenz zugeschrieben wird, die sich in der Lautstärke der Lieder und Gespräche, den Gerüchen der von
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ihnen zubereiteten Speisen und ihr vermeintlich müßiges Auf-dem-Boden-Sitzen vor dem Hintergrund der geschäftigen Hochhaustürme des Financial District Hongkongs manifestiert, zieht die Inszenierung der dias de los muertos eine große Zahl interessierter Besucher an, die der Einladung auf „einen mexikanischen Markt, auf dem leckere, original mexikanische Speisen und Getränke kredenzt werden, als da sind Zuckergebäck und süßes Hefebrot, das zum Totenfest gebacken wird“18 gefolgt sind. Die Materialisierung von individueller Erinnerung und religiösem Bezugsrahmen kann also in einem religionsästhetischen Rahmen19 gesehen werden, der danach fragt, wie sinnliche Erkenntnis aktiv genutzt wird, um religiöse und kosmologische Inhalte zu transportieren (Münster 2001). Ästhetik bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Zuschreibung von kulturspezifischen Werturteilen, sondern auch den aktiven Ausdruck von Werten durch ästhetische und damit sinnliche Formgebung: „Aesthetic expression is a phenomenological process of cultural production where a conceptual bricolage is made manifest within a material reality to produce meaning in a structured and dynamic way.“ (Sharman 1997: 186, nach Münster 2001)
Ästhetischer Ausdruck und kulturelles Konzept treten dabei in einen Kreislauf gegenseitiger Gestaltgebung (ibid.). Die feine Linie zwischen Leben und Tod wird Anfang November überschritten und die Heimkehr der Toten wird unter anderem durch sensorische Praktiken ermöglicht: „For most of the Mesoamerican peoples, including the Zapotec of central Oaxaca, there is a very fine line that separates the world of the living from the supernatural world where the dead live. On el dia de muertos (The Day of the Dead) , that line dissolves and, for a time, there is only one world. At that time, November first and second, the dead return to their former homes on earth for a while to eat, to drink, to sing, to be entertained, and to visit with their loved ones.“ (Haley, Fukuda 2006: 1) 18 http://www.calaca.de (letzter Zugriff am 20.5.2010). 19 Zu einer ausführlichen Diskussion des Begriffes „Religionsästhetik“ siehe Münster 2001. In ihrem maßgeblichen Aufsatz im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe definieren Cancik und Mohr den Terminus wie folgt: „Der Ausdruck ‚Religionsästhetik‘ wird eingeführt, um das, was an Religionen sinnlich wahrnehmbar ist, wie Religion den Körper und die verschiedenen Sinnesorgane des Menschen aktiviert, leitet und restringiert, möglichst einheitlich zu beschreiben und theoretisch zu durchdringen“ (1988: 121 f.).
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Die Phase der Trennung und Wiederangliederung (Turner 2000) werden olfaktorisch markiert und akkustisch begleitet. Durch Musik, Komödie und Tanz wird der Tod an seinen eigentlichen Platz zurückverwiesen. Gerade in einer Situation der kulturellen Übersetzung, in der nicht davon ausgegangen werden kann, dass den Teilnehmern des Festes die durch Gegenstände, Sprache und Figuren bezeichneten kulturellen Inhalt vertraut sind, bleibt die Fiesta multipel deut- und erlebbar. Sie repräsentiert durch ihre audio- und smellscape ein Enactment Mexikos im Berliner Stadtraum ebenso wie ein Ritual, dessen Phasen durch dicht erlebbare sensorische Praktiken eingeleitet werden, den Eingeweihten Orientierung bieten und trotzdem Raum für spontane Kreativität und Bricolage bieten. „First, ritual is an event, a set of activities that does not simply express cultural values or enact symbolic scripts but actually effects change in people's perceptions and interpretations. Closely involved with this perspective on ritual events is an appreciation of the physical and sensual aspects of ritual activity. Some theorists appeal to kinesthesia, the sensations experienced by the body in movement, while others appeal to synesthesia, the evocation of a total, unified, and overwhelming sensory experience.“ (Bell 1997: 74)
Gerade die sublime Wirkung von Gerüchen, wie sie sichen miniature an den Parfümträgerinnen und Parfümträgern beschnuppern lässt – und analog auch von Klängen – macht sie auch für das Ritualgeschehen so wesentlich: „Suspended, temporarily overwhelmed, the self experiences pleasurable disarray, the precondition for returning to itself in a heightened state. In urban first-world cities, where perfumes are most concentrated, I think we have a comparable dynamic, the sublime in miniature and in reverse. You spray on perfume to draw attention to yourself as subject, to mark the distance between yourself and others. In what is known as the scent circle, the space an arm’s length around you, perfume marks your subjectivity as potentially sublime in its effect on others.“ (Brant 2008: 547)
Diese Perspektive auf das Ritualgeschehen und -erleben stellt einen materialistischen Blickwinkel dar, der die symbolische und diskursive Bedeutung von Klängen und Gerüchen nicht negiert, sondern im Gegenteil um eine wesentliche Perspektive erweitert. Zurück in Dresden, stellte sich nun die Frage, wie diese sensorisch dichten Erfahrungen in den Museumskontext übersetzt werden sollten.
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7.3.6 Holy Mole – Repräsentation der dias de los muertos im Film als Ausdruck mimetischer Visualität Der Prozess des Filmes der Berliner fiesta der dias de los muertos bildete ein Stufe in einem gestaffelten Übersetzungsprozess, der mit dem beschriebenen Brainstorming zu möglichen Themen des Bereiches „Essen und Kult“ auf der sonnigen Museumsterrasse begonnen hatte, über verschiede Orte und entlang verschiedener Netzwerke führte und zunächst im Schnittraum des IT-Experten und Netzwerkadministators des Museums endete (vgl. Bouquet 2001: 180). Der Teil des Entstehungsprozesses, an dem ich selbst unmittelbar beteiligt war, bestand in der Auswahl geeigneter Motive für den Film und im Stabilisieren eines freundlichen Austausches mit dem Verein Calaca e. V. Mary Bouquet bezeichnet die Arbeit der Museumsfotografen, die für die Abbildung von Objekten zu Inventarisierungs- und Dokumentationszwecken verantwortlich sind, als eine apprenticeship in seeing (2001: 187). Während des langen Prozesses der Ausstellungsgestaltung, deren finales Ergebnis bis zum Ende Wandlungen unterworfen ist, sind Bilder sowohl technische Grundlage für konkrete Entscheidungen bezüglich Auswahl und Arrangement als auch Prothesen, die die lange Zeit imaginäre und imaginierte Ausstellung leibhaftiger erscheinen lassen, so dass man in und mit ihr arbeiten kann (ibid.). Während des Filmens war ich, im Einklang mit den Überlegungen und Wünschen der Ausstellungsmacherinnen, darauf bedacht, möglichst viel „Essbares zu zeigen“ als auch „atmosphärisch dicht“ zu arbeiten. In dem oben beschriebenen gestimmten Raum, der gerade durch Gerüche und Klänge lebte, schien eine rein audio-visuelle Repräsentation zunächst unbefriedigend. Wie entkommen wir der visuellen Tyrannei des Bildes (Taussig 1993: 57)? Laura Marks vertritt in ihrem Buch The Skin of the Film: Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses (2000)die These, dass wir filmische Repräsentation durch unsere Imaginationskraft immer multisensorisch und nicht rein visuell wahrnehmen. Dabei betont sie die Bedeutung des Geruchssinns als Quelle und Speicher sozialen Wissens und kultureller Erinnerungen, die vom Betrachter des Filmes aufgrund seiner mimetischen Fähigkeiten miterlebt werden können ohne das deshalb auf Hilfsmittel wie eine Aromatisierung des Kinosaales zurückgegriffen werden müsste (Marks 2000: 195 f.). Sie bietet eine Theorie einer „embodied visuality“ an, die sie auch als haptische Visualität bezeichnet und die sich vor allem auf die mimetischen Beziehungen des Menschen zur Welt beziehen (2000: 145). Ausgehend von dem von Henry Bergson übernommenen Gedanken, dass Bilder per se multisensorisch sind und jenseits der sprach-und blickgebundenen Form der Diskursivität funktionieren können, in-
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dem sie Erinnerungen aktivieren, argumentiert sie für eine Berücksichtigung der multisensorischen Materialisierung von Erinnerung in der cinematischen Repräsentation. Das Medium Film20 verkörpert und berührt dabei eine Vielzahl von Sensoria. Von einer primordialen „Unschuld der Sinne“ geht Marks nicht aus.Mit dem Betrachter ändern sich auch die sinnlichen Evokationen der filmischen Repräsentation. Film versteht sie daher weniger als „Screen“ denn als Membran (2000: 152, 243). Auch Jojada Verrips (2006) kritisiert in einem rezenten Beitrag die hierarchische Ordnung der fünf Sinne und argumentiert nicht nur dafür, die „gängigen“ fünf Sinne im Sinne der bereits hinlänglich diskutierten aisthesis interrelational zu denken, sondern auch für eine zentrale Bedeutung des Taktilen und Haptischen. Nach Verrips ist Berührung nicht nur als zentral für unsere Verbindung zur Welt anzunehmen, sondern auch andere Sinnesmodalitäten lassen sich, hier ist er sich mit Laura Marks einig, letztlich als Erscheinungsformen des Haptischen konzeptualisieren. Diese Wirkweisen, die an dem mimetischen Aufforderungscharakter und der evokativen Kraft der Bilder ansetzen (vgl. auch Taussig 1993), sind freilich nicht nur auf die Wirkweisen filmischer Repräsentation anwendbar. Sie besitzen in vergleichbarer Weise auch für die gezeigten Artefakte Gültigkeit. Das Totenbrot und die Totenschädel aus Zucker, die gezeigt werden sollen, bestehen weder aus Brot noch aus Zucker. Sie sind Modelle, die von einer langjährigen Museumsmitarbeiterin in sorgfältiger Detailarbeit hergestellt werden. Sie besitzen oder übertreffen sogar, in idealisierter Form, die Qualitäten der ursprünglichen Nahrungsmittel. Die aus Berlin mitgebrachten Totenbrote und calaveras werden zu Elementen eines Prozesses der Bricolage, der neben den „Originalen“ auch aus anderen Quellen informiert wurde: wissenschaftlichen Artikeln und den darin enthaltenen Abbildungen etwa; den aus Kochbüchern entnommenen Fotographien und den im kleinen lateinamerikanischen Supermarkt gesehenen und beschriebenen Nahrungsmitteln. Die Alltags- und Konsumgüter, die zumindest theoretisch in großer Menge verfügbar sind, bedürfen geradezu der Modellierung, um durch Typisierung Authentizität herzustellen, während der musealen Gattungsart der Einzelstücke aufgrund ihrer Einmaligkeit Authentizität zugeschrieben wird. Ihr mimetisches Vermögen, das von ihrer Visualität – oder, um auf das stimmigere Konzept Lisa Marks zurückzugreifen – ihre haptische Visualität – ausgelöst wird, liegt in ihrer evokativen Kraft.
20 Die für die Dauerausstellung hergestellte Einspielung verstehe ich nicht als ethnographischen Film, da ihr die erzählerische Konsistenz fehlt, sondern allgemeiner als visuelle Repräsentation.
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Der Imagination, der Vorstellungskraft, kommt bei diesen Prozessen entscheidende Bedeutung zu. Von ihr wird im abschließenden Absatz zu sprechen sein.
Z UM E NDE : „D AS G RÜNE IST SO WEG UND NOCH DAS W EISSE VOR MIR .“
ICH HABE NUR
Das Modell eines pan de muertos (Modell wird es auch in der Sprache des Museums genannt) entfaltet seine imaginative und mimetische Kraft auf unterschiedlichen Ebenen. Die Fähigkeit zur Imagination wird dabei zur Voraussetzung für den Museumsbesuch. Neben der Anpassung an das explizierte und impliziert vorausgesetzte Regelwerk musealer Körperlichkeit – „Look, but don’t touch!“ – gehört auch die Fähigkeit, dem Objekt seine Lebendigkeit während der Betrachtung zurückzugeben, in das Repertoire erfolgreicher Museumsleiblichkeit. Dass ein Gegenstand diese Lebendigkeit nie besessen hat, ist für den Betrachter sogar nebensächlich. Er simuliert Geruch, Geschmack und die damit verbundenen Emotionen und Erinnerungen nicht, sondern er evoziert sie – oder völlig andere Regungen. Damit wird der Duftcomputer ebenso wie ein Totenbrot aus Modelliermasse oder ein Film über die dias de los muertos in Berlin zum Kontaktpunkt (Feldman 2006) und Anker für Imagination. Ina-Maria Greverus schreibt in ihrer Forderung nach einer ästhetischen Anthropologie: „Imagination als ästhetische Lebendigkeit überhöht die alltägliche Spur des Realen, gibt ihr eine artifizielle Aura, um sie dadurch an die Realität reflexiv zurückzukoppeln. Dazu bedarf es nicht nur der Urteilskraft dessen, der die Aura imaginativ erschafft, sondern auch der Urteilskraft der Empfänger einer ästhetisch vermittelten Botschaft.“ (2005: 115)
Eine ästhetische Anthropologie in ihrem Sinne stellt die Vermittlung von kulturellem Wissen21 durch sinnliche Wahrnehmung in den Vordergrund. Ethnologie ist damit auch eine Arbeit der ästhetischen Vermittlung (2005: 6). Der erfolgreiche Museumsbesuch setzt die Empfänglichkeit und Lesbarkeit bestimmter Formen dieser Vermittlung voraus. Raum für das Imaginäre zu schaffen ist damit Ziel einer poetischen Ethnographie ebenso wie einer Ausstellungsgestaltung, die mehr will, als nur bloße Informations- und Wissensvermittlung. Auch Vincent Crapanzano (2004) fragt uns, ob das Imaginäre denn nicht auch anders als in rein
21 In ihrem Buch abgehandelt anhand von, aber nicht beschränkt auf, bildhafte Darstellungen.
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kognitiven Terminologien zu verstehen wäre und das „Irreale“ der Zukunft nicht auch in verkörperten Praktiken zu finden sei. Während die dias de los muertos der Aktualisierung und Integration der Vergangenheit dienen, reichen die Träumereien und Vorstellungen der Ausstellungsmacherinnen in die Zukunft. Ihre körperlichen Praktiken waren keinesfalls „idiosensorisch“ (Desjarlais 2003: 54); alleine schon deshalb, weil sie ganz unterschiedliche Arten des Sehens beinhalteten, die auch das Navigieren und Wahrnehmen des noch nicht materialisierten Raumes beinhalteten. Der Raum, der über ein Jahr lang geplant worden war, wurde am Ende nicht umgesetzt22. Der imaginäre neue Raum „Essen und Trinken“ mit seinen weißen Wänden, den transparenten Säulen und dem kostbaren Meissner Porzellan der Barockzeit war dennoch bereits da – in der Phanatsie, den inneren Bildern, der Imagination der Kuratorin der Dauerausstellung zum Beispiel: „Ich sehe schon, wenn ich in den Raum „Essen und Trinken“ gehe, den alten Raum gar nicht mehr, sondern nur noch den neuen: das Grüne ist so weg und ich habe nur noch das Weiße vor mir.“
Von dem Raum „Essen und Trinken“, der vielleicht noch enstehen wird, bleibt ein Eindruck von Luftigkeit, Helligkeit und Transparenz zurück. Ein gänzlich anderer Eindruck, nämlich der von Dunkelheit, ein wenig rötlichem Licht und den Lauten von Kindern, die dumpf nach Innen dringen, steht am Beginn des letzen Kapitels. Das letzte Kapitel dient, ausgehend von dem in den Forschungsphasen im Kindermuseum gesammelten empirischen Material, der Zusammenfassung und Rückschau. Hier wird die Frage nach der Kulturalität und Ortsgebundenheit des Modells der fünf Sinne, die ganz zu Beginn der Arbeit und des Forschunsginteresses stand, noch einmal im konkreten Kontext des Kindermuseums aufgenommen.
22 Die Gründe hierfür sind museumsintern und dürfen hier leider nicht dargestellt werden.
8. Modelle von und für Wahrnehmung und multisensorisches Alltagsleben Letzte Anmerkungen aus dem Tasttunnel des Kindermuseums
8.1 T REPPAB
HINEIN INS
K INDERMUSEUM „In der Dunkelheit sitzen drei Menschen um einen Tisch und spielen Domino. Sie können nicht sehen, was sie tun: in der Mitte des Tisches befindet sich zwar ein schwacher rötlicher Schein, der von einem Lichtschalter ausgeht. Doch dieser genügt nicht, um mehr als die Kanten des Objekts selber zu erkennen. Bei den Anwesenden handelt es ich um eine Besucherin des Museums, eine Führungskraft und mich. Die Dunkelkammer liegt jenseits der Touren, die ich an der Seite der Führungskräfte bisher abgeschritten habe; und nach über zwei Monaten Feldforschung bin ich heute zum ersten Mal hier.“ (FELDNOTIZEN)
Vor der Eingangstür zur Dunkelkammer befindet sich ein Vorraum – eher ein Korridor – an dessen Ende in einem tiefen Holzregal Spiele bereitgelegt sind: ein Steckspiel, ebenfalls aus Holz, ein aus asymmetrischen Dreiecken bestehendes Puzzle und ein Dominospiel. Sie sind etwas größer als gewöhnlich; die in die Oberseiten des Dominospieles eingeprägten Kreise sind deutlich zu ertasten. Der Ort des Geschehens befindet sich am hinteren Ende des Kindermuseums, das
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sich im Souterrain des Museums befindet. Vermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche enden für gewöhnlich in diesem Teil der Ausstellung. Hier kann man auch den Tasttunnel ausprobieren: unterschiedliche Bodenbeläge und Bodenhöhen erfordern es, dass man sich mit Händen und Füßen in dem dunklen Schlauch entlangtastet. Die Hände streichen an Wänden entlang, die mit verschiedenen Materialien bestückt sind. Plötzlich fühlt man Fell, Filz oder ein Aluminiumblech. Vermittlungsangebote im Dresdner Kindermuseum beginnen und enden häufig in der Dunkelheit. Mit verdeckten Augen tasten sich kleine Gruppen von Kindern die Treppe hinunter, die in das Kindermuseum führt. Es geht langsam vorwärts, nie bin ich so langsam eine Treppe hinuntergelaufen, bevor ich die erste kleine Besucherin des Kindermuseums an der Hand hielt. Um den Hals, über den T-Shirts der Kinder hängen kleine Karten, auf denen Tiere abgebildet sind. Sie zeigen an, zu welchem Team die Kinder gehören. Kinder mit der Adlerkarte gehören zum Team „Auge“, ein Hase zeigt das Team „Nase“ an. Sie werden nachher zu „ihrem“ Sinnesorgan finden und Aufgaben lösen müssen. Sobald die Kinder ihre Schlafbrillen abnehmen, stehen sie einer Leinwand gegenüber, auf der in raschem Wechsel Tiergesichter abgebildet werden: ein Huhn, ein Fuchs, eine Schlange … Wir laufen darunter hindurch und nehmen vor einem riesenhaften Auge Platz. Experimente rund um das Sehen sind hier gruppiert. Direkt um die Ecke ist das Spiegellabyrinth aufgebaut. Hier kann man sich verkleiden und Tiermasken aufziehen, und nur wer Glück hat, findet schon nach wenigen Minuten wieder heraus. Auf dem gewaltigen Klavier, das sich über einen Großteil der Fläche erstreckt, wird zu Kindergeburtstagen mit großen Sprüngen „Happy Birthday“ gespielt. Schulklassen hingegen finden sich zunächst vor einem Modell des menschlichen Ohres ein und experimentieren mit Schalltrichtern, bevor sie Richtung Klavier entlassen werden. Weiter geht es zu der Station „Riechen und Schmecken“, weithin sichtbar durch eine große Nase und einen riesigen Mund mit herausgestreckter Zunge. Wer kann mit zugekniffener Nase schmecken, wonach das Gummibärchen schmeckt? Und wonach riecht es, wenn man an der Duftsäule auf den Blasebalg drückt? Nach alten Turnschuhen, nach Klebstoff? Am Ende schließlich lockt der Tasttunnel. Durch eine Wand mit Löchern kann man Dinge ertasten, die man nicht sehen kann. Auch das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse lässt sich hier am eigenen Leib erfahren: ganz am Ende der Ausstellung, noch hinter dem Tasttunnel, sind Matratzen über Matratzen über eine winzige Metallkugel gestapelt. Kinder, die mit ihrer Familie gekommen sind, haben vielleicht schon die luftigeren Gefilde der Ausstellung erklommen, sind durch Leitern die bunten Röhren hinaufgeklettert und beobachten nun mit Ferngläsern das Treiben auf dem Boden. Hierhin folgt ihnen kein Erwachsener. Ein anderes Kind hat sich vielleicht in eine der
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gepolsterten Wandmulden bei der Station „Ohr“ zurückgezogen und hört einer Geschichte zu. Zwei Freundinnen messen ihre Reaktionsgeschwindigkeit, indem sie einen mit Abstandsstrichen markierten Stock fallen lassen, den die andere schnell auffangen muss. Ein Modell der Haut ist im Hintergrund zu sehen. Davor kann man Modelle ihrer verschiedenen Tastkörperchen berühren. Eines ist kalt, ein anderes warm. Sie reagieren auf warme und kalte Temperatur. Ein drittes vibriert. Es reagiert auf Bewegungsreize. Das Museum ist viele Orte, die, das hat diese Arbeit gezeigt, durch die performative Aktivität der hier tätigen Menschen auf vielfältige Weise hergestellt und erfahren werden. Der Blick, den ich zum Schluss auf das Kindermuseum werfen möchte, ist der geschulte Blick, die skilled vision der am Kulturvergleich geschulten und manchmal eben auch distanzierten Ethnologin. Es ist ein Blick der Retrospektion, denn als ich das Kindermuseum zum ersten Mal betrat, wusste ich sofort, was ich sah: ich sah fünf riesige Sinnesorgane, aufgestellt entlang eines Pfades, der vom Auge über das Ohr, über die Zunge zur Nase und schließlich zur Haut führte. Ich sah ein kulturelles Modell. Ein physiologisches und organologisches Modell von Wahrnehmung, das durch die kulturellen Performances der Vermittlungstätigkeit, die leibliche Formen der Aufmerksamkeit herstellt, zu einem Modell für Wahrnehmung wird.
8.2 E THNOPHYSIOLOGIE , LOKALE B IOLOGIEN LOKALE P HÄNOMENOLOGIE
UND
Die Begriffe „Ethnophysiologie“ (Nichter 2008) oder „lokale Biologie“ (Lock 1993) sind hilfreich, wenn es um das Verständnis vielfältiger „kultureller Grammatiken der Sinne“ geht. Sie führen mitten hinein in die ethnologische Drehtür der emisch-etischen Kategorien. Ein „etic viewpoint studies behavior as from outside of a particular system“, so formulierte es der Linguist Kenneth Pike in den späten sechziger Jahren, wohingegen der emische Gesichtspunkt sich auf die Innensicht der untersuchten Gemeinschaft konzentriert (1967: 37). Der Kulturmaterialist Marvin Harris vertritt, ähnlich wie Pike, die Ansicht, dass ein etischer Standpunkt letztlich wissenschaftlichen Kategorien entspricht und damit auch einen systematischen Kulturvergleich ermöglicht. Etische Kategorien wären damit als Metakategorien zu verstehen. Zugrunde liegt der Konzeption des Begriffes Ethnophysiologie, der auf lokale Wissenschaftssysteme verweist, eine grundlegende Unterscheidung in Ethnoscience und Technsoscience, die anders als die hier sonst vertretenen phänomenologisch orientierten, vom erlebten Körper aus-
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gehenden Ansätze in einer poststrukturalistischen Tradition zu verorten sind. Die ethnozentrische Annahme, einer Technoscience, auch Big Science genannten „westlichen“ wissenschaftlichen Methode, stünde eine in lokalen Erklärungsmustern gefangene Ethnoscience gegenüber, hat sich zugunsten der Auffassung, dass alles Wissen letztlich lokal und historisch konstituiert ist, aufgelöst. „Science“ ist damit immer schon Ethnoscience und auf Situiertheit, Wandel und Interdependenz von Wissen hin zu untersuchen (siehe z. B. Morgan 2000: 356, Haraway 1997). Die fünf Sinne, wie sie im Kindermuseum zu besichtigen sind, entsprechen einem Alltagskonzept „von und für Wahrnehmung“ (Loenhoff 2001), das einzelnen Sinnen bestimmte Sinnesorgane zuordnet und diese als Schnittstelle zwischen Innenwelt und Außenwelt, zwischen Körper und Umwelt festlegt.1 Im Laufe einer Führung im Kindermuseum werden die Leistungen einzelner Sinne im Sinne eines learning to be affected (Latour 2004)hervorgehoben. Aus der Menge der Eindrücke und Erfahrungen, die in dem bunten, lauten und dicht geschichteten Raum Kindermuseum zu machen sind, werden entlang eines pädagogischen Pfades ganz spezifische Erfahrungen hervorgehoben. „Das ist jetzt fühlen!“ lernt man, wenn man mit den Händen an den Wänden des Tasttunnels entlang streift. Dass man sich hier auch bewegt, Angst hat oder aufgeregt ist, gehört zu dem Erleben des Tasttunnels, nicht aber zu dem damit verknüpften didaktischen Narrativ: „The polarity between the sensational and the mundane is also the dichotomy between the sensational and the sensory in which the latter is left unmarked, unvoiced and unattended to, as a banal element of the everyday.“ (Seremetakis 1996: 19)
Im Sinne der im Kindermuseum aufgeführten kulturellen Performance tritt der Leib hervor als eine Schnittstelle zur Bewusstseinsbildung und zur Herstellung leiblicher Aufmerksamkeit: „an interface that becomes more and more describable when it learns to be affected by many more elements. The body is thus not a provisional residence of something superior – an immortal soul, the universal, or thought – but what leaves a dynamic trajectory by which we learn to register and become sensitive to what the world is made of. […] By
1
Für einen hervorragenden Überblick über die Genese des Modells der fünf Sinne vgl. Loenhoff 2001. Mit Rückgriff auf Ludwik Fleck bezeichnet er dieses Modell als Uridee, in dem sich wissenschaftliche Erkenntnisse und Alltagsmodelle miteinander verbinden.
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focusing on the body, one is immediately – or rather, mediately – directed to what the body has become aware of. “ (Latour 2004: 206)
Ein Konzept wie „die Sinne“ als Ethnophysiologie zu untersuchen, ist ein erster Schritt dahin, sie aus dem Rahmen des Selbstverständlichen herauszulösen, in dem sie, vergleichbar der Erfahrungskategorie Emotion, oft stehen: „Emotion shouldn’t be taken for granted in scientific discourse, not so much because it is an ‚an ordinary, everyday word understood by all‘ (and not ‚a precise concept honed through scientific analysis‘) but rather because it is a fairly complex and culture-specific word which does require explanation. It is not ‚understood by all‘ because […] it doesn’t have exact equivalents in other languages (not even in other European languages such as German, Russian, or French); and is not ‚understood by all‘ because children have to learn it on the basis of a prior understanding of words such as feel, think, know, want and body.“ (Wierzbicka 1999: 9, Herv. i. O.)
Tatsächlich ist der Begriff der Ethnophysiologie als erläuterndes Konzept für die Sinne (Nichter 2008) deshalb so besonders aufschlussreich als Zugang zu einigen der im Museum verhandelten Vorstellungen davon, was „die Sinne“ sind, weil dort nicht zuletzt ein in die Tat umgesetztes Narrativ vertreten wird, das die Sinne als Organe beschreibt und sie als integralen Aspekt des physischen Körpers, der durch großformatige Modelle repräsentiert wird, aufzeigt, erklärt und durch korrespondierende didaktische Modelle erfahrbar macht. Mögliche andere Konzeptionen der Sinne wurden im Verlauf der Arbeit immer wieder angesprochen. So schildert Geurts (2002a) die zentrale Bedeutung von Balance für die Anlo-Ewe in Südostghana und Werner Egli (2010) beschreibt den Sinn für Kommunikation der Sunuwar im Himalaya als Mittelpunkt einer lokalen Phänomenologie. Die Trennung von Affekt, Emotion, Sensation wird in anderen Konzeptionen des Erlebens anders gehandhabt: „In contradistinction to the biologistic assumptions intrinsic to the concept of the senses (even in recent anthropological writing), an interdisciplinary Taiwanese research group has coined the notion of shentigan (Yu in press). Here, the Chinese vernacular language has yielded an analytically interesting anthropological concept: in addition to sensory perception, shentigan can refer to hunger, thirst, feelings of nausea, anxiousness, hope and other experiences of the mind-body.“ (Hsu 2008: 436)
In der aktuellen neurophysiologischen Forschung spricht man aktuell nicht mehr von fünf vereinzelten Sinnen, sondern von Wahrnehmungssystemen, die mit-
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einander gesamthafte Sinneseindrücke hervorrufen. Zwischen 13 und 21 einzelne „Sinne“ werden dabei differenziert (siehe z. B. Durie 2005, Downey 2007). Sie umfassen auch die Wahrnehmung viszeraler Empfindungen, also die Propriozeption, Gleichgewichts- und Bewegungssinn und differenzieren insbesondere die haptisch-taktilen Wahrnehmungen nochmals, zum Beispiel in Druck- und Temperaturwahrnehmung. Die Differenzierung einzelner Sinne ist dabei sowohl nach der Art des Reizes möglich, also je nachdem, ob es sich um einen chemischen Reiz wie Duftmoleküle oder einen physikalischen Reiz wie Schall handelt, oder nach dem Ort, an dem eine Wahrnehmung stattfindet: im Inneren des Körpers oder an der Schnittstelle von Innen und Aussen. Dass es sich hierbei um einen zunehmend bekannten Diskurs handelt, der die klassische Fünfzahl der Sinne in Frage stellt, zeigt zum Beispiel ein Blick in die Zeitung Handelsblatt vom 24. 10. 2010, wo der aktuelle Forschungsstand adäquat zusammengefasst wird: „Wie viele Sinne der Mensch hat, ist unter Biologen umstrittener als landläufig angenommen. Unstrittig sind die bekannten sechs Sinne: Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen und der Gleichgewichtssinn – wobei letztgenannter schon meist vergessen wird. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten Forscher das Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Bis dahin wurden dem Menschen nur die fünf Wahrnehmungssinne zugeschrieben. Die moderne Forschung geht aber von bis zu 13 Sinnen aus, je nachdem, wie gezählt wird. Zu den weiteren Sinnen gehören das Wahrnehmen von Bewegungen, das Temperaturempfinden (Thermorezeption) und die Selbstwahrnehmung (Propriozeption), die einen beispielsweise Körperbewegungen und die Lage von Körperteilen im Raum wahrnehmen lässt. […] Auch Zeitwahrnehmung und Schmerzempfinden (Nozizeption) werden von manchen Biologen zu den Sinnen des Menschen gezählt – immerhin besitzt der Körper für die Schmerzwahrnehmung spezielle Nozirezeptoren. Die Wahrnehmung der inneren Organe, die uns beispielsweise vor Hunger oder Durst warnen, klassifizieren einige Wissenschaftler als viszerale Sinne.“
Während man im Kindermuseum mit dem Konzept „Die Sinne“ die „fünf Sinne“ und fünf korrespondierenden Organe meint, zerfällt dieses Modell, sobald man getreu dem Motto „folge dem Plot“ (Marcus 1995) die Treppe in die Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“ erklimmt. Jenseits der fünf überlebensgroßen Modelle von Auge und Ohr, Nase, Zunge und Haut wird die Frage nach der Organisation von Wahrnehmung zu einer akademischen Frage, die auf Präreflexives abzielt, selbst bei Mitarbeitern, die den Ort Kindermuseum als Mittelpunkt ihres Wirkens betrachten. Jenseits der eindeutigen Wahrnehmungs- und Erkenntnisgeographie im Untergeschoss des Museums ist die Frage nach einem lokal arti-
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kulierten spezifischen Sensorium schlichtweg nicht sinnvoll zu behandeln, da es nicht explizit repräsentiert und vermittelt, und damit nicht artikuliert wird. Dennoch ist, wenn auch nicht eine „Ethnologie der Sinne“, so doch eine sinnliche Ethnographie auch an diesem Ort nicht nur möglich, sondern geradezu geboten. Sie befasst sich lediglich nicht mehr mit dem Herausarbeiten spezifischer lokaler Biologien, sondern mit individueller Positionalität und Erfahrung. Diese Arbeit unternimmt gar nicht erst den Versuch, die Anthropologie der Sinne des Ortes zu beschreiben, weil es sie nicht gibt.
8.3 „D IE S INNE “: AM B EGRIFF
ERFAHRUNGSNAHE
ARBEIT
Letztlich berühren die Wege durch das Museum unterschiedliche Konzeptionen des Begriffs „die Sinne“. Diese „Arbeit am Begriff“ ist nun aber nach Werner Schiffauer und Clifford Geertz das Ziel einer ethnographischen Arbeit. In dieser Arbeit am Begriff auch die Bedeutung einer Einzelfallstudie, die um mit Clifford Geertz zu sprechen, weder einem „natürlichen Labor“ entspricht – denn keiner der Parameter ist manipulierbar – noch einer modellhaften Repräsentation des Kleinen im Großen oder umgekehrt nach dem Motto „Jonesville ist – Amerika“ (Geertz 2007 [1987]: 32, 31). Am speziellen Fall, an der mikroskopischen Forschung, die gleichzeitig mit anderen Feldern multiperspektivisch verbunden ist, „lässt sich vergegenwärtigen, was ein Begriff, was ein Konzept ‚bedeutet‘. Damit ist die Arbeit der Ethnologie in einem genaueren Sinn ‚Dekonstruktion‘ – und zwar in der Bedeutung, in der das Wort in der Philosophie gebräuchlich ist: hinter dem Begriffsapparat der Sozialwissenschaften wird die ursprüngliche Erfahrung wieder sichtbar gemacht, die Erfahrung, die in einem Begriff geborgen, die aber allzu oft durch den gleichen Begriff auch verborgen ist.“ (Schiffauer 1991: 25 f.)
Die Aufmerksamkeit auf sensorische Praktiken zu richten bedeutet, die in der Auseinandersetzung mit Dingen häufig anzutreffende semiotische Perspektive zugunsten einer phänomenologischen Perspektive zu verändern: die „gelebte Erfahrung“ bildet die epistemologische Grundverfassung, aus der heraus der Umgang mit Objekten und Ausstellungen verstanden werden soll (Wood, Latham 2009). Neben der Ausrichtung gehören dazu auch die Konzepte des geschulten Sehens und des Laufens als Feldforschungspraxis, die sowohl im engeren Sinne
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als auch metaphorisch im Sinne einer „dichten Teilnahme“ zu verstehen sind, bei der „die eigene Erfahrung einen Zugang“ bildet (Spittler 2001: 19). Weil, wie hier ausführlich dargestellt wurde, die Konzeption „die Sinne“ selbst eine Kategorie darstellt, die auf lokale Bedeutung hin überhaupt erst hinterfragt werden muss, scheint eine eng gefasste sensorische Ethnographie, die vor allem auf ein westlich-physiologisches Fünf-Sinne Modell zurückgreift, etwas kurz gegriffen. Erfolg, also Verständnis, versprechender ist hingegen eine erfahrungsnahe Ethnographie (Turner, Geertz 1986, Harris 2007), die praktische wie persönliche Lernprozesse, Emotion, Erinnerung und gelebte Erfahrung an sich, die auch sprachlich (z. B. in Form von multisensorischen Metaphern) gelebt und ausgedrückt wird, in den Mittelpunkt rückt. „In talking about a game, do we want to know the rules or how it was played?“ fragt Renato Rosaldo (1986: 103) im Hinblick auf das Erleben der Kopfjagd bei den Ilongot, die ihm nur durch die Erfahrung seiner eigenen Wut und Trauer nach dem Unfalltod seiner Partnerin wirklich verständlich wird. Nicht nur die Regeln, die physiologische Anordnung der „fünf Sinne“ wurden daher in ihrer Kulturalität berücksichtigt, sondern auch die sensorischen Praktiken, die eher unter dem Begriff „leiblich“ zu fassen sind. Obwohl der in dieser Arbeit verwendete Begriff der Sinne durchaus an das bekannte Alltagsmodell angebunden ist, damit überhaupt etwas gesagt werden kann, habe ich versucht, die Vielschichtigkeit von Erfahrungen zu berücksichtigen, die sich in Erfahrungen wie Kühle und Wärme und Praktiken wie elegantem Auftreten und dem Hörbarmachen der Gläsernen Frau ausdrücken: „(e)veryday experience is multisensual though one or more senses may be dominant in a given situation“ (Rodaway 1994: 5). Das Modell der Sinne, wie es im Kindemuseum anzutreffen ist, ist innerhalb des Settings des Kindermuseums wirkmächtig. Hier wussten meine Informantinnen, wovon sie sprachen, wenn sie über die Sinne sprachen, auch wenn die Arbeit der Grenzziehung manchmal schwierig war: der Gleichgewichtssinn etwa oder der sogenannte sechste Sinn, die Intuition, könnten durchaus auch Teil „der Sinne“ sein, so glaubten einige. Auch die vermeintlich so eindeutig aristotelische Anordnung der Sinne – der Rundgang beginnt beim Auge und endet beim Tastsinn – ist so eindeutig nicht, sondern gestalterischen Überlegungen geschuldet, wie die Projektleiterin des Kindermuseums sich erinnert: „Also haben wir gesagt, wir brauchen eigentlich in jedem Bereich eine große, zentrale Installation, die auch für Größere spannend ist, für die ich aber auch nichts lesen können muss, für die ich keine komplizierten Sachen … die wirklich faktisch sinnlich arbeitet und eben ein größeres Ding ist, so eine Art Höhepunkt.
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Und das sind jetzt praktisch innerhalb der Ausstellung wieder die größten Sachen, der Dunkelkasten und das Spiegelkabinett, und das ist dann einfach eine Sache der Dramaturgie, das man sagt, okay, es ist ganz gut, mit einem Highlight anzufangen und mit einem Highlight wieder aufzuhören. Wir hatten am Anfang das Riechen und Schmecken am Ende. Das hätte inhaltlich durchaus auch Sinn gemacht, weil wenn man vom Hören kommt, hören ist ja eigentlich auch fühlen, nur eben mit den Ohren; wir haben da ja auch diesen Gong, den man praktisch im Bauch fühlt und wo man praktisch erkennt, das ist mechanisch quasi. Aber das hätte geheißen, dann kommt das Hören, dann kommt das Fühlen; und Riechen und Schmecken sind halt schwer aufzustellen, es wäre so ein bisschen ausgetröpfelt. Und das mag ich nicht, und deswegen haben wir das umgedreht.“
Das Wissen über die Sinne, das im Kindermuseum artikuliert wird, ist somit wie alles Wissen ein situiertes Wissen, das erst vor dem Hintergrund der Praktiken, die es generieren und vermitteln, tatsächlich verständlich wird. Mit den Museumsmenschen, die das Museum im Laufe des Tages durchwandern, wandeln sich auch die Möglichkeiten der Annäherung in einem bestimmten Moment, an einen bestimmten Ort oder bei einer bestimmten Bewegung (Harris 2007: 4): von einer Ethnologie der Sinne hin zu einer sensorischen Ethnographie, am Besten hin und zurück und in Verbindung. Denn „to live is o live localy“ (Casey 2000: 18, siehe auch Grasseni 2008: 166 f.).
Literaturverzeichnis
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KörperKulturen Sabine Mehlmann, Sigrid Ruby (Hg.) »Für Dein Alter siehst Du gut aus!« Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven 2010, 278 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1321-6
Charlotte Ullrich Medikalisierte Hoffnung? Eine ethnographische Studie zur reproduktionsmedizinischen Praxis August 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2048-1
Paula-Irene Villa (Hg.) schön normal Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst 2008, 282 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-889-6
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KörperKulturen Karl-Heinrich Bette Sportsoziologische Aufklärung Studien zum Sport der modernen Gesellschaft 2011, 260 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1725-2
Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle, Ansgar Thiel Dopingprävention Eine soziologische Expertise März 2012, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2042-9
Franz Bockrath (Hg.) Anthropotechniken im Sport Lebenssteigerung durch Leistungsoptimierung? 2011, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1868-6
Julia Diekämper Reproduziertes Leben Biomacht in Zeiten der Präimplantationsdiagnostik 2011, 416 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1811-2
Karen Ellwanger, Heidi Helmhold, Traute Helmers, Barbara Schrödl (Hg.) Das »letzte Hemd« Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur 2010, 360 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1299-8
Nicholas Eschenbruch, Dagmar Hänel, Alois Unterkircher (Hg.) Medikale Räume Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit 2010, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1379-7
Elk Franke (Hg.) Herausforderung Gen-Doping Bedingungen einer noch nicht geführten Debatte August 2012, ca. 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1380-3
Robert Gugutzer Verkörperungen des Sozialen Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen April 2012, 256 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1908-9
Gerrit Kamphausen Unwerter Genuss Zur Dekulturation der Lebensführung von Opiumkonsumenten 2009, 294 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1271-4
Swen Körner Dicke Kinder – revisited Zur Kommunikation juveniler Körperkrisen 2008, 230 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-954-1
Swen Körner, Peter Frei (Hg.) Die Möglichkeit des Sports Kontingenz im Brennpunkt sportwissenschaftlicher Analysen August 2012, ca. 240 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1657-6
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