270 28 40MB
German Pages 546 [565] Year 1998
Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von
Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann t
Abteilung I: Schriften und Reden Band 8
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Max Weber Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik Schriften und Reden 1900-1912
Herausgegeben von
Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit
Peter Kurth und Birgitt Morgenbrod
ARTI BUS
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Redaktion: Karl-Ludwig Ay - E d i t h H a n k e Die Herausgeberarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, d e m L a n d B a d e n - W ü r t t e m b e r g und der Werner-Reimers-Stiftung gefördert.
Die Deutsche Bibliothek
-
CIP-Einheitsaufnahme
Weber, Max: G e s a m t a u s g a b e / Max Weber. Im Auftr. der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen A k a d e m i e der Wissenschaften. Hrsg. von H o r s t Baier . . . Tübingen: M o h r Siebeck Abt. 1, Schriften und R e d e n Bd. 8. Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik: Schriften und R e d e n 1 9 0 0 - 1 9 1 2 / hrsg. von Wolfgang Schluchter in Z u s a m m e n a r b e i t mit Peter Kurth und Birgitt M o r g e n b r o d . - 1998 ISBN 3-16-146779-5 Leinen ISBN 3-16-146781-7 Halbleder
978-3-16-158135-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 1998 J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. D a s Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen G r e n z e n des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. D a s Buch wurde gesetzt und gedruckt von der Druckerei G u i d e in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim. D e n E i n b a n d besorgte die Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen nach einem Entwurf von A l f r e d K r u g m a n n in Stuttgart.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
XI
Siglen, Zeichen, Abkürzungen Einleitung
XIII 1
I. Schriften und Reden Vorbemerkung des Herausgebers zu: Walter Abelsdorff, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker Editorischer Bericht Text
25 30
Rezension von: Philipp Lotmar, Der Arbeitsvertrag Editorischer Bericht Text
34 37
Rezension von: Alfred Grotjahn, Über Wandlungen in der Volksernährung Editorischer Bericht Text
62 65
Die „Bedrohung" der Reichsverfassung Editorischer Bericht Text
73 76
Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen Editorischer Bericht Text
81 92
Bemerkungen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz von: R. Blank, Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands Editorischer Bericht Text
189 192
VI
Inhaltsverzeichnis
The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science Editorischer Bericht Text
200 212
Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben. Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 26. September 1905 Editorischer Bericht Text
244 249
Das Verhältnis der Kartelle zum Staate. Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 28. September 1905 Editorischer Bericht Text
260 266
Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben Editorischer Bericht Text
280 283
Die badische Fabrikinspektion Editorischer Bericht Text
288 293
Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte. Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 2. Oktober 1907 Editorischer Bericht Text
300 304
Rezension von: Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis Editorischer Bericht Text
316 318
Rezension von: Erich Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika Editorischer Bericht Text
321 323
Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften Editorischer Bericht Text
327 333
Inhaltsverzeichnis
VII
Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden. Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 28. September 1909 Editorischer Bericht Text
356 360
Entwurf eines Einladungsschreibens zu einer sozialpolitischen Aussprache in Frankfurt a. M. Editorischer Bericht Text
367 375
II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge Das politische Leben in Amerika Diskussionsbeitrag auf der Versammlung des Nationalsozialen Vereins am 20. Januar 1905 in Heidelberg Editorischer Bericht Bericht der Heidelberger Zeitung Bericht des Heidelberger Tageblatts
381 385 385
Kaiser und Reichsverfassung Diskussionsbeitrag auf der Versammlung der Nationalliberalen Partei am 30. November 1908 in Heidelberg Editorischer Bericht Bericht des Heidelberger Tageblatts Bericht der Heidelberger Zeitung
386 392 396
Vor der Entscheidung Diskussionsbeitrag auf der Wahlversammlung der Fortschrittlichen Volkspartei am 22. Februar 1912 in Heidelberg Editorischer Bericht Bericht des Heidelberger Tageblatts Bericht der Heidelberger Neuesten Nachrichten
398 401 402
Anhang: Mitunterzeichnete Eingaben und Aufrufe Erklärungen gegen die Zulassung von Männerorden in Baden Editorischer Bericht Texte
405 410
VIII
Inhaltsverzeichnis
Erklärung der Heidelberger Dozenten gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses Editorischer Bericht Text
414 419
Aufrufe des Bundes für Mutterschutz Editorischer Bericht Texte
421 425
Aufruf des Bundes Heimatschutz gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen Editorischer Bericht Text
433 437
Einspruchserklärung gegen die preußische Schulvorlage Editorischer Bericht Text
439 443
Einladungen zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses in Straßburg im Elsaß Editorischer Bericht Texte
446 450
Für die Preußische Wahlreform. Kundgebung des „Berliner Tageblatts" Editorischer Bericht Text
453 458
Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung Editorischer Bericht Text
459 462
Gegen das Spruchkollegium! Erklärung zum Fall Jatho Editorischer Bericht Text
465 468
Aufruf des Verbandes für internationale Verständigung Editorischer Bericht Text
470 472
Einladungen zur ersten Tagung des Verbandes für internationale Verständigung Editorischer Bericht Texte
475 477
Inhaltsverzeichnis
IX
Personenverzeichnis
481
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
494
Personenregister
501
Sachregister
509
Seitenkonkordanzen
534
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden
537
Vorwort
Bei einer Gesamtausgabe entstehen immer auch Bände, in denen sehr disparate Texte zusammengestellt und präsentiert werden müssen. Der folgende Band gehört dazu. Dennoch hat er ein thematisches Zentrum. Er zeigt Max Weber als Sozialpolitiker, der für eine freiheitliche Sozialpolitik eintrat, gegen den Lalsser-faire-Llberalismus einerseits, gegen Staatspatrlarchallsmus und Staatssozialismus andererseits. Diese freiheitliche Sozialpolitik verstand er als bürgerlich in einem doppelten Sinne: Zum einen sollte sie die Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft Im deutschen Kaiserreich fördern, zum andern sollte dies In erster Linie von den bürgerlichen Partelen bewerkstelligt werden, gegen die Konservativen, Insbesondere die Agrarier, aber auch teilweise gegen die Sozialdemokratie. Max Weber bezeichnete die von Ihm vertretene Position deshalb als sozial gefärbten Liberalismus. Mehr als anderswo wird diese Seite seiner praktisch-politischen Stellungnahmen In diesem Band kenntlich gemacht. Aber Max Weber wäre nicht Max Weber, stünden nicht auch diese sozialpolitischen Stellungnahmen in weiteren Zusammenhängen. Und auch dies gilt In einem doppelten Sinn. Zum einen sind sie von Wertgesichtspunkten geleitet, die auch für seine staats- bzw. verfassungspolitischen Stellungnahmen relevant sind. Hier orientierte er sich erkennbar am Ideal einer parlamentarischen Monarchie. Zum anderen sind sie mit Strukturanalysen In entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Betrachtung verbunden, mit Strukturanalysen der modernen Agrar-, Industrie- und Fabrikverfassung sowie der öffentlichen und privaten Bürokratie. So haben diese Texte trotz Ihrer Dlsparathelt doch einen gemeinsamen Nenner. Er Ist In der Einleitung dargelegt. Die Editionsarbelten an diesem Band erstreckten sich über Jahre. Gerade die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Texte und der lange Zeltraum, In dem sie entstanden, stellten an Ihre Einordnung und Kommentierung ganz besondere Anforderungen. Viele kleine Texte aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen verlangten unverhältnismäßig viele Recherchen. Allein 31 Editorische Berichte waren zu schreiben, und die Kommentare kosteten viel Zelt und Mühe. Immer wieder war ein völlig neuer Zusammenhang zu erschließen. Einen ersten Anlauf zur Edition der Texte nahm Gerhard Wagner. Seine Vorarbeiten gingen In den vorliegenden Band mit ein. Doch der entscheidende Fortschritt kam, als Birgitt Morgenbrod die Editionsarbelten aufnahm. Sie trug die Hauptlast, und In gewissem Sinne ist es Ihr Band. Sie
XII
Vorwort
wurde dann von Peter Kurth unterstützt, der insbesondere in der Endphase Birgitt Morgenbrod ablöste. Beide leisteten hervorragende Arbeit, und dafür gilt ihnen mein besonderer Dank. Danken möchte ich auch Brigitte Schluchter, die immer wieder auf eine Präzisierung der Kommentare drängte. Die Edition profitierte von ihrem kritischen Blick. Bei einer so langen Wegstrecke ergeben sich viele hilfreiche Kontakte zu Institutionen und Personen, denen Herausgeber und Mitarbeiter Dank schulden. Sie seien hier wenigstens erwähnt. Dank gebührt den Universitätsbibliotheken in Düsseldorf, Heidelberg und Leipzig, der Bayerischen Staatsbibliothek München, dem Bundesarchiv Koblenz, dem Bundesarchiv Potsdam, dem Generallandesarchiv Karlsruhe, dem Stadtarchiv Heidelberg und dem Fürstlich Fürstenbergischen Archiv zu Donaueschingen. Besonders verbunden sind wir jenen, die uns durch Hinweise und Ratschläge unterstützten. So danken wir Friedrich Wilhelm Graf sehr herzlich dafür, daß er uns auf die von Max Weber mitunterzeichneten Erklärungen zum Heidelberger Schloß und zur Frage der Männerorden in Baden aufmerksam machte. Rita Aldenhoff-Hübinger und Cornelia Meyer-Stoll halfen bei der Klärung agrar- und wirtschaftshistorischer Spezialfragen, und Manfred Schön verdanken wir aufgrund seiner hervorragenden Kenntnis des Briefwerks zahlreiche wertvolle Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte. Steffi Jenal unterstützte uns bei der Literaturrecherche und der Erstellung der Verzeichnisse. Unser besonderer Dank gilt der Generalredaktion in München. Edith Hanke und Karl-Ludwig Ay betreuten den Band mit gewohnt großer Sorgfalt, und Ingrid Pichler half uns sehr bei den Korrekturarbeiten. Schließlich danken wir auch Wolfgang J. Mommsen, der die Entstehung des Bandes für die Herausgeber der Gesamtausgabe kritisch begleitete. Heidelberg im März 1998
Wolfgang Schluchter
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Seitenwechsel Hinzufügung des Editors Paragraph
§ % —>
A(1),A(2),A(3)
Prozent siehe Indices bei A n m e r k u n g e n Max Webers Indices bei A n m e r k u n g e n d e s Editors Siglen für Webers Textfassungen in chronologischer Folge Siglen für parallel überlieferte Berichte von Reden oder
A 1 , A 2 , A3
Diskussionsbeiträgen Seltenzählung der Druckvorlagen
0 2)i 3) 1 2 3
A, B, C
a b c a
ab
b
a. a. a. 0 . Ab.BI. Abs. Abt. a.D. AfSS A.-G. A.L.R. a.M., a/M Anm. a.o. Art. Aufl. Aug. BA Bd. bearb. bezw., bzw. BGB, B.G.B., BGB/1896 Bl. BSB
Indices für Varlanten oder textkritische A n m e r k u n g e n Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen an, am am a n g e g e b e n e n Ort Abendblatt, Abendausgabe Absatz Abteilung außer Dienst Archiv für Sozialwlssenschaft und Sozialpolitik Aktien-Gesellschaft Allgemeines Landrecht am Main Anmerkung außerordentlicher (Professor) Artikel Auflage August Bundesarchiv Band bearbeitet beziehungsweise Bürgerliches G e s e t z b u c h Blatt Bayerische Staatsbibliothek
ca. cf. Co.
circa confer
D.
Doktor der evangelischen Theologie der
d.
Companie
XIV
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
D.C. DDP dergl., dgl. ders. Dez. d. h. Dr. durchges.
District of C o l u m b i a D e u t s c h e D e m o k r a t i s c h e Partei dergleichen derselbe Dezember d a s heißt Doktor durchgesehen
ebd. erg. etc. ev., event., evtl. exkl.
ebenda ergänzt et cetera eventuell exklusive
f., ff. Fasz. Febr. Frl.
folgende Faszikel Februar Fräulein
Geh. Rat Gew.O., G.O. GLA GmbH GNM GS
Geheimer Rat, Geheim-Rat Reichsgewerbeordnung Generallandesarchiv Gesellschaft mit beschränkter H a f t u n g Germanisches Nationalmuseum G e s e t z - S a m m l u n g ; S a m m l u n g der für die K ö n i g l i c h e n Preußischen Staaten e r s c h i e n e n Gesetze u n d Verordn u n g e n v o n 1806 bis z u m 27. O k t o b e r 1810. Als A n h a n g zu der seit d e m Jahre 1810 edlrten G e s e t z - S a m m l u n g für die K ö n i g l i c h e n Preußischen Staaten. - Berlin 1822; G e s e t z - S a m m l u n g für die K ö n i g l i c h e n Preußischen Staaten, Jg. 1 8 1 0 - 1 9 0 6 . - Berlin 1 8 1 0 - 1 9 0 6 . Fortgesetzt unter d e m Titel: Preußische G e s e t z s a m m l u n g , Jg. 1 9 0 7 1 9 4 4 . - B e r l i n 1907-1944. G e h e i m e s Staatsarchiv
GStA Ha., ha, ha. HdStW12
Hess. Hg., hg., hrsg. HStA
Hektar H a n d w ö r t e r b u c h der Staatswissenschaften, hg. von Johannes C o n r a d u.a., [1. Aufl.], 6 B ä n d e , 2 S u p p l e m e n t b ä n d e . - Jena: G u s t a v Fischer 1 8 9 0 - 1 8 9 7 ; 2. Aufl., 7 Bände. - Jena: Gustav Fischer 1 8 9 8 - 1 9 0 1 . Hessisch Herausgeber, h e r a u s g e g e b e n Hauptstaatsarchiv
LB., i.Br. ibid. i.E. i.e. LH. Insb., insbes. iur., jur
Im Breisgau ibidem Im Elsaß ld est in Hessen Insbesondere iuris
Siglen, Zeichen,
Jan.
Jg. kg
Abkürzungen
Januar Jahrgang
km 2 Kr.
Kilogramm Quadratkilometer Kreis
I.
Liter
Leg. Per. M „ Mk. masch. Mass. m.a.W. Mdpr. A H Mdpr. HH MdR m.E. Mi.BI. Mise. Mo.BI. MWG
XV
Legislaturperiode Mark maschinenschriftlich Massachusetts mit anderen Worten Mitglied des preußischen A b g e o r d n e t e n h a u s e s Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des Reichstags meines Erachtens Mittagsblatt, M i t t a g s a u s g a b e Miscellanea Morgenblatt, M o r g e n a u s g a b e Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e (zur Bandfolge vgl. „Aufbau und Editionsregeln" am Schluß dieses Bandes)
No., Nr. Nov.
Nachlaß Nummer November
o.J. Okt. o. OS o.V.
ohne Jahr Oktober ordentlicher (Professor) Oberschlesien ohne Verlag
p.Ct., pCt., Proz. Ph.D. phil. Prof. PSt
Prozent Philosophical Doctor philosophiae Professor Poststempel
Reg.-Bez. Rep.
Regierungsbezirk Repertorium
s. S. Schulthess
siehe Seite Europäischer Geschichtskalender, hg. von Heinrich Schulthess, Jg. 1 (1869) - Jg. 25 (1884); fortgesetzt unter d e m Titel: Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, hg. von Hans Delbrück u.a., Jg. 26 (1885) Jg. 59 (1918). - Nördlingen, bzw. ab 30. Jg. (1890), München: C.H. Beck 1861-1922.
XVI Sept. Sess. sog. Sp. St. Sten.Ber.
Sten.Ber.pr.AH
Sten.Ber.pr.HH
Siglen, Zeichen,
Abkürzungen
September Session sogenannt Spalte Saint, Sankt S t e n o g r a p h i s c h e Berichte über die Verhandlungen d e s R e i c h s t a g e s d e s N o r d d e u t s c h e n B u n d e s , Bd. 1-15, 1867-1870; S t e n o g r a p h i s c h e Berichte über die Verh a n d l u n g e n d e s D e u t s c h e n Zollparlaments, Bd. 16-18, 1 8 6 8 - 1 8 7 0 ; S t e n o g r a p h i s c h e Berichte über die Verh a n d l u n g e n d e s D e u t s c h e n R e i c h s t a g e s , B d . 19-325, 1871-1918. - Berlin: Julius Sittenfeld 1867-1918. S t e n o g r a p h i s c h e Berichte über die Verhandlungen d e s Preußischen H a u s e s der A b g e o r d n e t e n 1871-1918. Berlin: W. M o e s e r 1871-1919. S t e n o g r a p h i s c h e Berichte über die V e r h a n d l u n g e n d e s Preußischen H e r r e n h a u s e s 1871-1918. - Berlin: Verlag der K ö n i g l i c h e n 1871-1919.
Geheimen
s.u. sudi. s.Z.
siehe unten südlich seinerzeit
U.A., u.a. UA u.a. UB
und Andere, unter a n d e r e m Universitätsarchiv und ä h n l i c h e s Universitätsbibliothek umgearbeitet undatiert Vereinigte Staaten von A m e r i k a und so weiter
umgearb. undat. USA U.S.W., u s w .
v. VA v.Chr. verb. verm. Vf., Verf. vgl. viz. vol., vols.
Ober-Hofbuchdruckerei
von Verlagsarchiv vor Christus verbessert vermehrt Verfasser vergleiche videlicet volume, v o l u m e s
W. Weber, Marianne, L e b e n s b i l d
West Weber, Marianne, M a x Weber. Ein L e b e n s b i l d . - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul S i e b e c k ) 1926 1 ( N a c h d r u c k = 3. Aufl. - T ü b i n g e n 1984; 4. Aufl. - M ü n c h e n : Piper 1989).
z.B. z.T. z.Z., z.Zt.
z u m Beispiel z u m Teil zur Zeit
Photo: Schwarz
Max Weber Undatiertes Gemälde von Marie Davids im Rektoratszimmer der Universität Heidelberg (aus den Sammlungen des Kurpfälzischen Museums Heidelberg)
Einleitung
1. Der biographische
und werkgeschichtliche
Hintergrund
Die in diesem Band versammelten Schriften, Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen Max Webers fallen in eine Zeitspanne, die von zwei unterschiedlichen Lebenssituationen des Autors begrenzt ist. Am Beginn steht Max Webers schwere psychische Krankheit, am Ende seine Arbelt an den Beiträgen für den späteren Grundriß der Sozialökonomik, die er selbst als wahrhaft neu einstufte und die seinen heutigen Weltruhm mit begründeten. Im Jahre 1900, als er die „Vorbemerkung des Herausgebers" zu Walter Abelsdorffs Dissertation veröffentlichte, konnte er schon seit längerer Zeit nicht mehr wissenschaftlich arbeiten. Selbst für die Rezeption wissenschaftlicher Literatur fehlte die Kraft. Tief hatten die seit 1898 sich mehrenden Krankheitsattacken seine Arbeitsfähigkeit untergraben. 1 Es war zu diesem Zeitpunkt keineswegs ausgemacht, ob Wissenschaft für ihn jemals wieder ein Beruf würde sein können. 1902 versuchte er sich zunächst über Rezensionen, die in diesem Band abgedruckt sind, wieder in wissenschaftliche Arbeit einzustimmen. Dennoch verzichtete er 1903, als er sich zwar merklich besser, aber keineswegs verläßlich arbeitsfähig fühlte, auf das Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg. Fortan war er zwar noch Honorarprofessor, aber ohne Sitz und Stimme In der Fakultät zu haben und ohne Lehrveranstaltungen abzuhalten. Allerdings hatte er wieder zu schreiben und zu publizieren begonnen. Auch wirkte er vermehrt In außeruniversitären wissenschaftlichen Zusammenhängen, so etwa, seit 1904, als Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, das, ähnlich der Année sociologique unter dem Einfluß von Emile Dürkheim in Frankreich, unter seinem Einfluß zu der wohl führenden sozialwissenschaftlichen Zeitschrift in Deutschland avancierte, oder als Mitglied des Vereins für Sozialpolitik, dem er schon seit der Zelt vor der Jahrhundertwende angehörte und der ihm nun wieder ein willkommenes Forum für die Initiierung von großangelegten Forschungsprojekten 2 sowie von sozialwissenschaftlichen und vor allem sozialpolitischen Interventionen bot.
1 Dazu Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S. 2 3 9 - 2 7 7 , Kap. „Absturz" 2 Vgl. dazu MWG 1/11.
2
Einleitung
Im Jahre 1912, als er noch einmal einige Gleichgesinnte zu einer Aussprache aufrief, um die aus seiner Sicht eingetretene sozialpolitische Stagnation in Deutschland zu überwinden, als er sich bereits wieder von der von ihm mitgegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie zurückgezogen hatte, steckte er tief in den Arbeiten für den späteren Grundriß der Sozialökonomik. Wenn nicht alles täuscht, fühlte er sich nun trotz äußerer Ablenkung, etwa durch seine zeitraubende Beteiligung an Gerichtsprozessen, und trotz immer wiederkehrender innerer Lähmung in einer Phase gesteigerter Kreativität. 3 Die Zeitspanne ist also nicht allein von zwei radikal unterschiedlichen Lebenssituationen markiert, in ihr vollzieht sich auch eine Entwicklung. Nicht nur, daß Max Weber sein Lehramt als Nationalökonom 1903 aufgab und nie wieder aufnahm, 4 er überschritt auch die Grenzen dieser Disziplin in Richtung auf eine, allerdings neu zu begründende, verstehende Soziologie, die sich von den zu dieser Zeit gängigen Soziologien unterschied. Diese für das Werk entscheidende Entwicklung spiegelt sich auch etwa in den logisch-methodischen Aufsätzen von 1903 bis 1907 5 oder in den Studien über die Ethik des asketischen Protestantismus von 1904/1905, 6 an die sich eine bis 1910 andauernde Kontroverse anschloß. 7 Doch voll sichtbar wurde sie auch dort noch nicht, sondern, für die Zeitgenossen, erst im Kategorienaufsatz von 1913, 8 für uns aber vor allem in den nachgelassenen Manuskripten, die Marianne Weber nach seinem Tod herausgab und die er von 1910 an niedergeschrieben hatte. 9 Die in diesem Band versammelten Schriften, Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen sind vornehmlich Gelegenheitstexte. Und dies gilt in einem wörtlichen Sinn. Sie sind für den Tag geschrieben, als politische, meist sozialpolitische Interventionen. Dies läßt sich selbst für den .Haupttext' des Bandes sagen, für die mit großem wissenschaftlichem, vor allem statistischem Apparat untermauerten agrarstatistischen und sozialpolitischen Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen. 10 Denn diese Betrachtungen sind durch die Veröffentlichung des „Vorläufigen Entwurfs eines Gesetzes über Familienfideikommisse nebst Begründung" aus dem Jahre 1903 motiviert. 11
3 Vgl. dazu die Briefe und Dokumente in MWG II/7. 4 Die Berufung auf den Lehrstuhl in München 1919 nahm er nur unter der Bedingung an, daß er nicht Nationalökonomie lehren müsse. Vgl. MWG 1/17, S.20. 5 MWG I/7. 6 MWG I/9. 7 Ebd. 8 MWG 1/12. 9 MWG I/22 und 23. 10 Abdruck unten, S. 9 2 - 1 8 8 . 11 Vgl. dazu den Editorischen Bericht, unten, S. 81 - 9 1 .
Einleitung
3
Mit diesem Gesetzentwurf sollte In Preußen das Fideikommißrecht vereinheitlicht und zugleich reformiert werden. Max Weber schrieb seinen großen Aufsatz, um auf die anstehende Reform Einfluß zu nehmen, um sie zu bekämpfen, indem er die voraussehbaren, für ihn sowohl sozial- wie staatspolitisch unerwünschten Folgen aufzeigte, die mit ihrer Verwirklichung verbunden sein würden. Daß er den wissenschaftlichen und statistischen Apparat für diesen durchaus polemischen Zweck schnell zusammenstellen konnte, verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, daß er hier Gedanken- und Tatsachenreihen wiederholte und weiterführte, die er bereits vor der Jahrhundertwende und vor der Krankheit entwickelt hatte. 12 Gerade auch dieser Text setzt diese alte Entwicklungslinie fort. Der vorliegende Band versammelt also Texte von einer Art, wie wir sie von Max Weber aus der Zeit vor der Jahrhundertwende und vor der Krankheit kennen. Damals markierten sie die Hauptlinie seines Denkens, die aber nun, nach der Jahrhundertwende und nach der langsamen, freilich nie vollständigen Genesung, immer mehr zu einer Nebenlinie wird. Die andere Entwicklungslinie rückt in den Vordergrund. Weder verwirklichte Max Weber seinen Plan, eine größere Abhandlung über die Agrarverhältnisse in der Neuzeit, etwa aufbauend auf dem Vergleich zwischen Deutschland, Rußland, England und den USA, zu schreiben, wozu entscheidende .Vorarbeiten' in diesem Band enthalten sind, 1 3 noch verfolgte er seine Initiative für eine freiheitliche Sozialpolitik zwischen Laisser-faire-Liberalismus und Staatspatriarchalismus sowie Staatssozialismus mit letzter Konsequenz. Dennoch sind sie keineswegs von nur nebensächlichem Interesse. Zum einen zeigen sie in besonders prägnanter Weise, wie Max Weber seine sozialpolitischen Forderungen im Lichte sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse überprüfte, hier vor allem: im Lichte seiner Strukturanalyse des modernen Agrarkapitalismus; zum anderen geben sie in konziser Weise Auskunft über diese sozialpolitischen Forderungen selbst. Mehr noch: Gerade die Berichte über seine Reden und Diskussionsbeiträge, über die von ihm unterstützten Eingaben und Aufrufe für oder gegen Maßnahmen staatlicher oder kirchlicher Entscheidungsinstanzen verweisen auf seine weitergehenden politischen, vor allem verfassungspolitischen Ideale, aus denen schon früh die Forderung nach einer weiteren Parlamentarisierung der Reichsverfassung entsprang. Sie zeigen darüber hinaus Max Webers breitgefächer-
12 Vgl. Max Webers in MWG I/3 und MWG I/4 vereinigte Arbeiten. 13 Vgl. dazu die Formulierung unten, S. 134f., wo Max Weber sagt, er wolle die Vorführung eines weit umfangreicheren Materials sich gerne „für eine künftige Erörterung dieser Dinge unter wissenschaftlich wertvolleren Gesichtspunkten als dem Augenblickszweck einer Gesetzgebungskritik vorbehalten", und dann gehe es auch nicht mehr nur um Illustration, wie jetzt, sondern um Beweis.
Einleitung
4
tes Engagement in öffentlichen Angelegenheiten, so zum Beispiel für den Naturschutz, für die Frauenfrage oder für die Internationale Verständigung. Hier wird eine Facette seiner Person sichtbar, die für manchen Leser sicherlich nicht nur neu, sondern auch überraschend ist. Deshalb lohnt es sich, die Texte unter drei Gesichtspunkten kurz zu betrachten: als Analyse der neuzeitlichen Agrarverfassung und ihres Wandels, als Plädoyer für eine freiheitliche Sozialpolitik zwischen Laisser-faire-Liberalismus und Staatspatriarchalismus sowie Staatssozialismus und als Aufforderung zu einer Weiterentwicklung der Reichsverfassung in Richtung auf eine parlamentarische Monarchie. Unter diesen drei Gesichtspunkten kann man in ihnen einen Inneren Zusammenhang entdecken, wenngleich sie deshalb natürlich noch kein kohärentes Ganzes bilden, so wie man dies von anderen Teilen des Werkes sagen kann. Deshalb Ist es nicht möglich und auch nicht nötig, den Wissenschafts- und zeitgeschichtlichen Hintergrund übergreifend darzustellen. Was für die Einordnung und für das Verständnis der einzelnen Texte erforderlich ist, wird in den Editorischen Berichten mitgeteilt, die deshalb ausführlicher als üblich sind.
2.
Die Agrarverhältnisse
in der Neuzeit,
insbesondere
in Preußen
Beginnen wir mit dem ersten Gesichtspunkt, der Analyse der Agrarverhältnisse der Neuzeit, wie sie sich vor allem aufgrund des Eindringens der kapitalistischen Produktionsweise auch in die Landwirtschaft entwickelten und insbesondere in Preußen zu spezifischen sozialstrukturellen und kulturellen Verwerfungen führten. Die Erkenntnis der Eigenart sowie der Entstehungsbedingungen und Entwicklungstendenzen des preußischen Agrarkapitallsmus und seiner Träger motivierte Max Weber bekanntlich schon früh dazu, für das sozialpolitische Programm einer „inneren Kolonisation", einer „Bauernkolonisation", im Osten Preußens einzutreten. Mit dessen Hilfe sollte auch dort ein leistungsfähiges deutsches Bauerntum auf großen und mittleren, nicht nur auf kleinen Stellen erzeugt werden, als Bollwerk gegen die .slavische' Einwanderung. Drei Texte gehen besonders darauf ein: die bereits erwähnten „Agrarstatistischen und sozialpolitischen Betrachtungen zur Fideikommißfrage In Preußen", ein Vortrag in St. Louis, der nur In einer fragwürdigen englischen Übersetzung und unter dem Max Weber vermutlich auferlegten Titel „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science" überliefert ist, und die aus einer Rezension entstandene Abhandlung „Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften". In allen drei Texten 14 geht es um Preußen, aber damit auch um
14 Abdrucke unten, S. 9 2 - 1 8 8 , 2 1 2 - 2 4 3 sowie 333-355.
Einleitung
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Deutschland, und zwar unter der doppelten Frage: Was wird unter den Bedingungen des ,im Sattel sitzenden' Kapitalismus aus der Freiheit der Deutschen und was aus der internationalen Machtstellung und Kulturbedeutung der deutschen Nation? Bereits der Titel des ersten Aufsatzes, vermutlich im Frühjahr 1904 in großer Hast geschrieben, verweist auf zwei miteinander verbundene Aspekte: auf soz\a\wissenschaftliche Betrachtungen, die der Beschreibung und Analyse der Agrarverhältnisse Preußens als Teil der Sozial- und Staatsverhältnisse Deutschlands dienen, und auf sozial politische Betrachtungen, bei denen die Reform dieser Verhältnisse, eine Agrarpolitik für Preußen als Teil einer Sozial- und Staatspolitik für Deutschland, im Mittelpunkt steht. Unter dem ersten Aspekt begegnen wir Max Weber dem Sozialwissenschaftler, dem ausgewiesenen wissenschaftlichen Experten für die Agrarfrage, unter dem zweiten Max Weber dem Sozialpolitiker, dem stellungnehmenden Mitglied der bürgerlichen Klasse und der deutschen Nation. Letzterem ist die Sozialwissenschaft zwar das Medium, um die Durchführbarkelt sozialpolitischer Ideale zu prüfen, nicht aber die Instanz, um diese zu rechtfertigen. Das zweite verlangt den wertenden Menschen, dem die Freiheit des einzelnen wie die Machtgeltung und die Kulturentwicklung der Nation gleichermaßen am Herzen liegen sollten. 15 Nachdem Max Weber zunächst die Ziele und die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzentwurfs dargestellt hat, eröffnet er seine sozialpolitische Intervention In der Fidelkommißfrage mit „.theoretischen' Vorbemerkungen". 1 6 Sie nennen die Gesichtspunkte, unter denen sich eine Agrarverfassung betrachten und beurteilen läßt. Unter dem Produktionsinteresse frage man danach, wie man auf gegebener Fläche möglichst viel erzeuge, unter dem Bevölkerungsinteresse danach, wie man auf gegebener Fläche möglichst viele Menschen beschäftige und dadurch ernähre, unter dem Verteilungsinteresse aber danach, wie eine gegebene Fläche möglichst umfassend und gleichmäßig zu verteilen sei. Das dritte sei der sozialpolitische Gesichtspunkt, unter dem er den Gesetzentwurf letztlich beurteilen wolle. Entscheidend aber sei nicht so sehr, welchem Gesichtspunkt und welchem Interesse man folge, sondern ob man sich im klaren darüber sei, daß zwischen ihnen grundsätzlich Konflikt besteht. Fördere man nämlich das Produktionsinteresse, Insbesondere das Interesse an Getreideproduktion, und dies auch noch unter kapitalistischem Vorzeichen, so kollidiere dies sowohl mit dem Interesse an einer dichten und stabilen Landbevölkerung wie mit dem an einem leistungsfähigen und selbstbewußten Bauerntum. Man ergreife dann Partei für den Großgrundbesitz und unter Umständen auch für
15 Vgl. etwa unten, S.272. 16 Unten, S. 115.
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den Großbetrieb, obgleich beide nicht notwendigerweise miteinander verbunden seien, kurz: man nehme in Kauf, daß sich das Land entvölkere und daß der ländliche Mittelstand, das Bauerntum, zerstört werde. Weber bringt diesen theoretisch begründeten Zusammenhang auf „eine möglichst einfache (und deshalb natürlich nur relativ gültige) Formel", die da lautet: „Der bäuerliche Betrieb alten Schlages fragte: wie mache ich es, um möglichst viel Köpfe an Ort und Stelle auf der gegebenen Fläche durch ihre Arbeit zu ernähren? - der kapitalistische Betrieb fragt (das ist sein Begriffsmerkmal): wie mache ich es, um auf der gegebenen Fläche mit möglichster Ersparnis an unnötiger Arbeit ein möglichst großes Quantum Güter für den Absatz auf dem Markt disponibel zu machen?" 1 7 Die einseitige Förderung des kapitalistischen Produktionsinteresses, insbesondere des „Getreide-Produktlonsinteresses", 1 8 hat also eine bevölkerungs- und vertellungs- bzw. sozialpolitisch unerwünschte Kehrselte: Die Bevölkerung nimmt ab und die Besitzkonzentration zu. Wird dieser so zusammengefaßte Boden gar im zentrallstischen Großbetrieb wirtschaftlich genutzt, so verstärken sich diese Tendenzen. Dies gilt ganz allgemein, unabhängig von der Situation im Osten Preußens. Der Zusammenhang ist eine Art nationalökonomisches Gesetz, für die neuzeitliche Agrarverfassung gültig. In Preußen, Insbesondere In seinen Ostprovinzen, seien solche Tendenzen, so Max Webers Diagnose, allerdings besonders stark ausgeprägt. Wer deshalb der Meinung sei - und Max Weber ist offensichtlich dieser Meinung - , es gelte, „soviel selbständige landwirtschaftliche Existenzen wie nur Irgend möglich auf den dünn besiedelten, der Abwanderung und der Überschwemmung durch Ausländer oder doch Stammfremde preisgegebenen Boden des Ostens zu setzen", der müsse „für den Osten die Beseitigung aller Institutionen verlangen, welche dem direkt entgegengesetzten Ziele zustreben, gleichviel, ob dadurch eine Schädigung der Produktionsinteressen - wie dies wenigstens für das Getreide wahrscheinlich ist - eintritt. Viele deutsche Landleute müssen ihm mehr wert sein als viel deutsches Kom." 1 9 Warum aber sind diese Entwicklungen Im Osten Preußens so weit gediehen? Und wäre das reformierte Familienfideikommiß eine Institution, die diese fördert oder hemmt? Dies sind die Fragen, die Max Weber an den Gesetzentwurf richtet und die zunächst noch unter seine sozialwissenschaftliche Betrachtung fallen. Welche Antworten gibt er darauf? Bevor wir diese Antworten charakterisieren, sind noch Differenzierungen an dem theoretischen Modell anzubringen. Denn nicht der Großgrundbesitz
17 Unten, S. 111 f. 18 Unten, S. 117. 19 Unten, S. 113.
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als solcher ist für den behaupteten Z u s a m m e n h a n g wichtig, sondern ob er frei oder g e b u n d e n ist und, wenn g e b u n d e n , o b es d a b e i in erster Linie um forstwirtschaftlich oder um landwirtschaftlich nutzbaren B o d e n geht. Beides nämlich beeinflußt das A n g e b o t an handelbarer landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und damit zumindest indirekt die Bodenpreise. Denn durch die umfassende fideikommissarische Bindung landwirtschaftlicher Flächen wird das A n g e b o t an Boden, der sich g e r a d e auch als Bauernland eignet, verknappt. Höhere Bodenpreise steigern die Besitzverschuldung bei ungeb u n d e n e m Boden, w e s h a l b d e m Besitzer dann mitunter das Betriebskapital fehlt, um a n g e m e s s e n e Erträge zu erzielen. Dies gilt g e r a d e für die mittleren und größeren Bauernwirtschaften, weil sie sich beim Bodenkauf hoch vers c h u l d e n müssen und deshalb nicht mehr kreditwürdig sind. A u c h beim Großbetrieb muß man differenzieren. Der Großbetrieb wirkt nämlich unterschiedlich, je n a c h d e m , ob der Bodenbesitzer selbst wirtschaftet oder wirtschaften läßt und, w e n n er wirtschaften läßt, ob er einen Administrator einsetzt oder den B o d e n verpachtet. Er wirkt vor allem unterschiedlich, je nach der Höhe der Betriebsschulden und des Betriebskapitals. Es sind also nicht der Großgrundbesitz und der Großbetrieb als solche, für deren Wirkungen sich Max Weber interessiert, sondern der g e b u n d e n e landwirtschaftliche Großgrundbesitz, der in Eigenregie großbetrieblich, d . h . letztlich: zentralistisch, genutzt wird. Von dieser Faktorenkonstellation allerdings, so Max Webers theoretisch b e g r ü n d e t e These, gehe jene Tendenz zur Entvölkerung des Landes und zur Zerstörung des Bauerntums, damit aber zur Polarisierung der ländlichen Sozialstruktur aus. Diese zeige sich darin, daß der Klasse der Großgrundbesitzer die Klasse des g r u n d b e s i t z e n d e n Proletariats g e g e n ü b e r s t e h e , das Ganze ergänzt um eine Landarbeiterschaft, die ü b e r w i e g e n d aus nicht seßhaften Saisonarbeitern bestehe. Denn die Akkumulation von B o d e n in den H ä n d e n weniger Agrarkapitalisten sei mit der Vermehrung der kleinen Stellen, der Stellen für Kleinstbauern oder für Parzellenpächter, d u r c h a u s verträglich, was allerdings deren Inhaber, w e g e n ihrer Seßhaftigkeit, der „Ausbeutung durch die Gutsherren" wehrlos ausliefere. 2 0 Im übrigen b e g ü n s t i g e diese Konstellation die Saisonarbeit in Gestalt der Wanderarbeit, also das rein kapitalistische Lohnverhältnis auch auf d e m Land. Z u d e m entwickele sich unter solchen B e d i n g u n g e n keinerlei Z w a n g zur betriebstechnisch rationalen Betriebsgröße und damit zur Dezentralisation der Betriebe sowie zu ihrer Ü b e r t r a g u n g an relativ autonome Wirtschaftsleiter, die landwirtschaftliche Fachkenntnisse besitzen. Die betriebswirtschaftliche Rationalität bleibe auf der Strecke, und weil dies so sei, w e r d e von den Grundbesitzern versucht, suboptimale Betriebserträge mit
20 Unten, S. 143.
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weiterer Bodenakkumulation zu kompensieren, was die beschriebene Polarisierung aber nur weiter vertiefe. Die Agrarverfassung im Osten ist nach Max Weber tatsächlich dadurch gekennzeichnet, daß in ihr generell der Großgrundbesitz eine beherrschende Stellung einnimmt. 2 1 Ein Teil dieses Großgrundbesitzes aber ist fideikommissarisch gebunden - Max Weber spricht von etwa 1000 Besitzern und von einer Fläche von mehr als dem Umfang einer preußischen Provinz - , und zwar teilweise aufgrund von Vorgängen, die weit zurückreichen und bereits im Allgemeinen Landrecht von 1794 rechtlich normiert wurden, teilweise aufgrund von Lehensumwandlungen, teilweise aber aufgrund von Vorgängen, die erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfanden. Vor allem diese spät entstandenen Fidelkommisse - Max Weber nennt sie auch Parvenu-Fideikommlsse - , die Inzwischen in Preußen etwa die Hälfte aller Fldeikommisse ausmachten, bewirkten sozialstrukturelle und kulturelle Verwerfungen. Sie vor allem hält er für sowohl sozial- wie staatspolitisch unerwünscht. Max Weber unterscheidet also zwischen den alten und den neuen Fideikommissen. Letztere vor allem hätten zu jener schädlichen Verbindung von gebundenem Großgrundbesitz mit Großbetrieb bei Absorption der landwirtschaftlich besten Böden geführt. Mit dem Gesetzentwurf würde diese Fehlentwicklung nicht korrigiert, sondern weiter begünstigt. Würde er verwirklicht, so wäre endgültig ein „agrarisches Sonderrecht landsässiger Kapitalisten" eingeführt. 2 2 Das Ziel, in Preußens Osten doch noch eine „.gesunde' soziale Verfassung des platten Landes" zu erreichen, 2 3 die kapitalistisch degenerierte Agrarverfassung zu reformieren, 24 es nicht beim bloßen Nebeneinander von großen Bodenkomplexen und kleinen Stellen zu belassen, 2 5 vielmehr die so dringend gebotene Bauernkolonisation voranzubringen, all dies würde mit der Verwirklichung des Gesetzentwurfs konterkariert. Max Weber wirft den Autoren des Gesetzentwurfs deshalb nicht nur theoretische Fehler vor, sondern auch die polltische Absicht, die weitere Deformation der preußischen Agrarverfassung in Kauf zu nehmen, um die agrarische und konservative Parteiherrschaft in Preußen zu sichern. 2 6 Mehr noch: Er unterstellt den Autoren, „durch Gewährung einer Art .Hoffähigkeit zweiter Klasse'", durch die ...Nobllitierung' von Kapitalien, die im Handel, In der Industrie, an der Börse erworben" 2 7 wurden, wollten sie Teile des städtischen 21 22 23 24 25 26 27
Unten, Unten, Unten, Unten, Unten, Unten, Unten,
S. S. S. S. S. S. S.
151. 104. 170. 136, bezogen auf Schlesien. 128. 173. 170.
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Bürgertums verführen, um d e m Bürgertum insgesamt die politische Beteilig u n g weiterhin vorenthalten zu können. Was zunächst auf d e n Osten Preußens beschränkt scheint, strahlt so aus auf D e u t s c h l a n d als Ganzes. Die Fideikommißfrage betrifft nicht nur d a s preußische Bauerntum, s o n d e r n a u c h d a s d e u t s c h e Bürgertum. N a c h Max Weber gilt es also zu erkennen, daß in der m o d e r n e n Agrarverf a s s u n g Produktionsinteresse, Bevölkerungsinteresse und Verteilungsinteresse im Konflikt miteinander liegen und daß dieser Konflikt sich um so schärfer ausprägt, je tiefer die kapitalistische Produktionsweise die Landwirtschaft durchdringt. Die politische Reaktion darauf sollte nicht darin bestehen, daß man das Bevölkerungs- und d a s Verteilungsinteresse d e m Produktionsinteresse opfert, also sein politisches H a n d e l n ausschließlich a m Kriterium kapitalistischer Rationalität ausrichtet. Vielmehr muß ein A u s g l e i c h z w i s c h e n d e n drei Interessen g e s u c h t werden, wie prekär a u c h immer, u n d es gilt alle Institutionen auf d e m Lande daraufhin zu prüfen, o b sie d i e s e m Ziel förderlich oder hinderlich sind. Sind sie ihm hinderlich, so m ü s s e n sie, wie bereits zitiert, beseitigt werden. Geht Max Weber in der Fideikommißfrag e so weit, daß er für die A b s c h a f f u n g des Instituts plädiert? Dies ist interessanterweise nicht der Fall. Das Institut d e s Fideikommisses, richtig ausgestaltet, würde sich nämlich in seinen A u g e n mit der Fortentwicklung einer m o d e r n e n A g r a r v e r f a s s u n g und der Förderung einer ges u n d e n Sozialverfassung auf d e m L a n d e d u r c h a u s vertragen. Dies zeigten zunächst s c h o n die großen und g e s c h l o s s e n e n Fideikommißherrschaften, „bei d e n e n der weit ü b e r w i e g e n d e Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläc h e verpachtet, ein Teil des Rests administriert" werde. Denn dies schaffe .sturmfreie' Existenzen „mit der gesicherten Möglichkeit hoher Lebenshalt u n g und entwickelter geistiger und ästhetischer Kulturbedürfnisse, vor allem aber mit der Möglichkeit und d e m Anreiz, auf landwirtschaftlichem Gebiet wirklich in großem Stile ö k o n o m i s c h zu schalten." 2 8 Solche Herrschaften f ä n d e n sich heute zwar in England, d o c h k a u m mehr in Preußen, w o sie vielmehr w e i t g e h e n d der Vergangenheit angehörten. Denn die preußischen Fideikommisse, o b alt oder neu, t r ü g e n heute nur n o c h sehr selten .sturmfreie' Existenzen. Der altpreußische Junker, der Träger eines Intelligenzzentrums auf d e m L a n d e und des staatspolitischen Interesses, sei weitg e h e n d u n t e r g e g a n g e n , habe d e m neupreußischen Agrarkapitalisten Platz g e m a c h t . Wollte m a n d e n altpreußischen Junker unter veränderten Beding u n g e n w i e d e r b e l e b e n , so entstünden nur Zwittergestalten, Figuren, die w e d e r echte .Rückenbesitzer' noch echte landwirtschaftliche Unternehmer seien. Preußens Landwirtschaft kenne heute zwar Schnapsbrenner, Zuckersieder, Stärke- und Ziegelfabrikanten, Rüben- und Branntweinbarone, Klu-
2 8 U n t e n , S. 164.
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tenpetter, doch eben kaum mehr altpreußische Junker. Der Gesetzentwurf komme jenen Zwittergestalten entgegen, insbesondere ihren feudalen Prätentionen, indem er ihre Eitelkeits- und Prestigeinteressen befriedige. Dennoch hätte das Institut in Max Webers Augen selbst für das Preußen der Gegenwart nicht allen Sinn verloren, würde man es unter äußerst restriktive Bedingungen stellen. Er entwickelt deshalb zehn Forderungen, die darauf zielen, das Institut den Agrarkapitalisten wieder zu entwinden und ihm seine staatspolitische Bedeutung zurückzugeben. Er ist sich freilich darüber im klaren, daß er damit politisch auf verlorenem Posten steht. Denn er will das Institut in erster Linie auf die verkehrsfernen und schlechten Böden beschränken und es von allen Eitelkeits- und Prestigeinteressen lösen. Man kann es auch anders sagen: Er will das Institut nicht nur den Agrarkapitalisten, sondern vor allem auch dem städtischen Bürgertum wieder entziehen. Denn seine wichtigsten Forderungen lauten: Weitgehende Beschränkung des Instituts auf Forstwirtschaft bei hohem Ertragsminimum und auf Familien, „die seit 100 Jahren adlig und seit ebenso langer Zeit, oder doch seit mehr als 2 Generationen im Besitz der größeren Hälfte des betreffenden Grundbesitzes" sind. Außerdem will er die Stiftung eines Fideikommisses öffentlich machen: durch Bindung an die Zustimmung des Landtags. Schließlich verlangt er, daß jeder Zwang zu einer großbetrieblichen Bewirtschaftung des gebundenen Grundbesitzes beseitigt werde. 2 9 Auch ein anderes .preußisches' Institut wird von Max Weber unter den genannten Gesichtspunkten kritisch unter die Lupe genommen: die „Landschaften" als Immobilienkreditanstalten. Sie entstanden, wie das Fideikommiß, als ein Institut des adligen Grundbesitzes - Max Weber sagt, sie seien gegründet als „Standesinstitute des geldbedürftigen Adels" ~ 3 0 und blieben, wie dieses, letztlich immer unter Staatsaufsicht. Doch, ähnlich wie das Fideikommiß, gelangte auch die „Landschaft" während des 19. Jahrhunderts zunehmend in die Hände der Agrarkapitalisten und trug so zur kapitalistischen Degeneration der preußischen Agrarverfassung bei. Max Weber diskutiert deshalb die Wirkungen der Kreditpolitik dieser „Landschaften" auf die preußische Agrarverfassung, insbesondere „1. auf die Verteilung des Bodens nach Besitzgrößen und 2. auf die innere Eigenart des landwirtschaftlichen Betriebes" 3 1
29 Unten, S. 168-170, hier S. 167. 30 Unten, S.334. 31 Unten, S.333. Beide Gesichtspunkte sind die des unten, S. 333-355, rezensierten Buches von Hermann Mauer, Das landschaftliche Kreditwesen Preußens. Agrargeschichtiich und volkswirtschaftlich betrachtet. Ein Beitrag zur Geschichte der Bodenkreditpolitik des preußischen Staates (Abhandlungen aus dem Staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg i. E., Heft 22). - Straßburg: Karl J. Trübner 1907, dem Max Weber deshalb mit großer Sympathie gegenübersteht.
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Der Landschaftskredit, gewissermaßen der G e g e n p o l z u m Privatkredit, e n t s t a m m e - so Max Webers Interpretation - s t ä n d i s c h e n Interessen, die er nie abgestreift habe. U n d dies gelte, o b g l e i c h mit ihm von vornherein ein kapitalistisches M o m e n t v e r b u n d e n g e w e s e n sei. „Die L a n d s c h a f t e n und ihre Art der K r e d i t g e w ä h r u n g sind ein Produkt d e s seit d e m 15. Jahrhundert stetig z u n e h m e n d e n kapitalistischen Charakters der Gutswirtschaft d e s d e u t s c h e n Ostens". 3 2 Sie hätten also immer s c h o n d e n kapitalistischen Interessen des Großgrundbesitzes gedient. Die E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e D e u t s c h l a n d s charakterisiere unter anderem, daß die m o d e r n e Hypothek in V e r b i n d u n g mit der G r u n d s c h u l d nicht, wie a n d e r s w o meist, ein städtisches Produkt sei, s o n d e r n ein Produkt des „städtearmen, getreideexportierenden Ostens", jener frühen Stätte d e s d e u t s c h e n Kapitalismus. 3 3 U n d die Wahrung dieser s t ä n d i s c h e n Interessen habe a u c h angedauert, als man im 19. Jahrhundert, n a c h der Bauernbefreiung, Landschaftskredite für Bauernb e s i t z u n g e n v e r g a b . Denn dies h a b e letztlich nur d a z u gedient, die Bauern ö k o n o m i s c h an „ d a s bedrohte politische Herrschaftsinteresse d e s Großg r u n d b e s i t z e s " zu fesseln. 3 4 Der Landschaftskredit habe also in seiner Ges c h i c h t e nie d e m freien Bauerntum, sondern stets nur d e m Großgrundbesitz genützt. W i e d e r u m ist die Stoßrichtung von Max Webers Analyse deutlich: A u c h die „Landschaft", o b g l e i c h zunächst ganz .modern', sei wie das Fideikommiß eine Institution, die die B o d e n z u s a m m e n b a l l u n g und damit d e n Großg r u n d b e s i t z sowie seine Bewirtschaftung in Großbetrieben begünstige. Damit aber stehe sie der A u s b i l d u n g einer .gesunden' Sozialverfassung auf d e m L a n d e im Weg. Beide Institutionen, Fideikommiß und „Landschaft", hätten sich letztlich als bauernfeindlich erwiesen, in der Vergangenheit e b e n s o wie in der Gegenwart. Wie Preußens Agrarpolitik insgesamt, so h a b e a u c h seine Kreditpolitik letztlich immer die Klasseninteressen des Großgrundbesitzes geschützt und die Entwicklung eines freien Bauerntums im Osten verhindert, o b g l e i c h d e s s e n Existenz g e r a d e hier von herausrag e n d e m staats- und nationalpolitischem Interesse sei. Freilich zeigt sich die Eigenart d e s preußischen Agrarkapitalismus für Max W e b e r nur b e d i n g t in e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e r Betrachtung. Denn für die Gutsherrschaft im d e u t s c h e n Osten ist ja von Beginn an bezeichnend, daß sie d e n Keim d e s Kapitalismus in sich trägt. Will man diese Eigenart b e s o n d e r s a n s c h a u l i c h m a c h e n , so sollte man dafür die vergleic h e n d e Betrachtung wählen. Als Vergleichsobjekte bieten sich die Agrar-
32 Unten, S.338. 33 Ebd. 34 Unten, S.336.
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Verfassungen des deutschen Westens und Südens sowie Englands an. 35 Mit diesen Vergleichen nämlich läßt sich verdeutlichen, daß das Eindringen der kapitalistischen Produktionswelse in die Landwirtschaft keineswegs das Land entvölkern und das freie Bauerntum zerstören muß (deutscher Westen und Süden). Ferner läßt sich mit Ihnen zeigen, daß der Großgrundbesitz nicht zwingend die betriebswirtschaftliche Rationalität mindert, weil man Großgrundbesitz und Betrieb trennen kann (England). Betrachten wir zunächst den Vergleich des deutschen Ostens mit dem deutschen Westen und Süden. Max Weber stellt Ihn Immer wieder in seinen agrargeschichtlichen Studien an. Er konstatiert erhebliche strukturelle Unterschiede. In dieser Sichtweise gewonnene Ergebnisse trug schon früh sehr einprägsam unter anderen auch Georg von Below vor. Unter dem Titel Territorium und Stadt veröffentlichte dieser Im Jahre 1900 gesammelte Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. Er eröffnet diese Aufsatzsammlung mit der Feststellung, seit dem 16. Jahrhundert bestehe ein struktureller Unterschied zwischen der deutschen Agrarverfassung Im Osten und Im Westen: „Hier finden wir die Grund-, dort die Gutsherrschaft. Im Westen wird der Boden im kleinen, Im Osten im großen Betrieb genutzt." 3 6 Bei der Grundherrschaft werde eine Hofländerei von der Größe eines Bauernbetriebs vom Grundherrn bewirtschaftet, daneben stünden aber viele Bauerngüter, die Ihm abgabepflichtig seien. Es existierten relativ autonome Gemeinden, die Jurisdiktionen mehrerer Herren über ein Gebiet überschnitten sich. Bei der Gutsherrschaft dagegen falle die Hofländerei weltgehend mit dem Betrieb Insgesamt zusammen, die Bauern würden zu Frondiensten (Hand- und Spanndiensten) herangezogen, die Gemeinde zum dienenden Glied der Gutsherrschaft gemacht. Der Gutsherr sei der einzige Herr über ein Gebiet, halte die richterliche und die polizeiliche Gewalt In Händen. Er mediatisiere auf diese Weise auch den Landesherrn. Dies sei im Westen anders. Hier komme es zu dem Dreiecksverhältnis Landesherr, Grundherr und freier Bauer. Diese Konstellation aber sei mit ursächlich dafür, daß es Im Westen keine Bodenzusammenballungen größeren Ausmaßes gegeben habe, well es zwischen den drei Trägern zu einer Dauerkonkurrenz ohne endgültigen Sieg des einen über den anderen gekommen sei. Nach von Below existierte dieser Unterschied zwischen Ost und West noch nicht Im 12. und 13. Jahrhundert. 3 7 Er fragt deshalb, worauf er zurückzuführen sei. Er nennt die unterschiedliche Rolle von Staatsgewalt und 35 Interessant wäre auch der Vergleich mit der Antike. Vgl. dazu Schluchter, Wolfgang, Rationalismus der Weltbeherrschung. - Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980, Kap. 4. 36 Below, Georg von, Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. - München/Leipzig: R. Oldenbourg 1900, S. 1. 37 Ebd., S.9.
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Staatsdienst in Ost und West, die Bedeutung der Weistümer im Westen, die im Osten fehlten, vor allem aber die Geschichte der Kolonisierung im Osten, die zu einer größeren räumlichen Isolierung der Güter, zu ihrer geringeren Verflechtung in den Markt, aber auch zu Besitzkonzentration, also zur Vermeidung von Streubesitz zwang. Die Hofländereien seien also von Beginn an groß und die Staatsgewalt fern gewesen. Im Osten habe schon immer eine ausgeprägte Tendenz zum Großgrundbesitz in Verbindung mit dem landwirtschaftlichen Großbetrieb und mit dem Interesse an erbuntertänigen Bauern existiert. Diese Tendenz habe sich im Laufe der Jahrhunderte nur immer stärker ausgeprägt und so den Osten immer deutlicher vom Westen .getrennt'. Max Weber sieht dies genauso. Doch gibt es nicht nur diese interessante strukturelle Differenz. Blickt man nach England, so erkennt man eine weitere. An England nämlich lasse sich studieren, so Max Weber, daß sich Großgrundbesitz und betriebswirtschaftliche Rationalität keineswegs ausschlössen. Freilich setze dies voraus, daß man Besitz und Betrieb, Rente und Profit strikt trenne und sie auf zwei Träger, auf Landlord und Pächter, verteile. Dies habe auch den Vorteil, daß man auf ökonomische Krisen mit größerer Elastizität reagieren könne. 3 8 In Preußen, so Max Webers Diagnose, fehle diese, weil die Trennung fehle. Hier bleibe der Großgrundbesitz auf unheilvolle Weise mit dem Großbetrieb in Eigenregie verquickt. Hier fordere man deshalb den Schutzzoll als Schutzwall gegen die Gefährdungen durch den Weltmarkt - auf Kosten der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen ökonomischen Rationalität sowie auf Kosten der Sicherung der Ostgrenze gegen Unterwanderung. Max Weber entwickelt diese vergleichende Betrachtung vor allem in seinem Vortrag in St. Louis, 39 in dem er unter anderem auf von Below zustimmend eingeht. Doch hier will er darüber hinaus zeigen, daß die Ausgangspunkte der kontinentalen und der amerikanischen Agrarentwicklung gänzlich andere waren und daß deshalb auch die Folgen des Agrarkapitalismus andere sind. In den USA hätten sich auch auf dem Lande Kapitalismus und Individualismus, zumindest nach dem Bürgerkrieg, erfolgreich durchsetzen können. Auf dem Kontinent dagegen gebe es überall historische Erbschaften, die einer freien Entfaltung von Kapitalismus und Individualismus auf dem Lande hinderlich waren. Nur in England sei dies anders. Es repräsentiere den europäischen Sonderfall. Die Agrarverfassung der USA (auch die Englands) kenne deshalb die Sozialfigur des Farmers, der, sei es als Eigner, sei es als Pächter, als reiner Unternehmer und Geschäftsmann agiere. Er sei
38 Unten, S. 164. 39 Abdruck unten, S. 212-243.
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also kein Bauer im kontinentalen Sinn. 40 Diese für die kontinentale Agrarverfassung so wichtige Sozialfigur aber drohe unter dem Ansturm des Kapitalismus auf das Land zu zerfallen. Denn der Bauer könne nicht länger Bauer bleiben und dennoch nicht landwirtschaftlicher Unternehmer werden, weil der Boden zu knapp sei und der Bodenpreis häufig unerschwinglich hoch. 4 1 Was für die Sozialfigur des europäischen Bauern gelte, gelte cum grano salis auch für die Sozialfigur des europäischen Landaristokraten. Auch er könne nicht länger Landaristokrat bleiben, wolle aber auch nicht einfach Agrarkapitalist werden. Dazu fehle ihm außerdem die unternehmerische Kompetenz. Überall auf dem alten Kontinent entstünden daher Zwittergestalten. Amerika scheint es in dieser Hinsicht in Max Webers Augen also besser zu haben, wenngleich er prognostiziert, daß mit dem Ende der Landnahme und der Verknappung des wirtschaftlich verwertbaren Bodens auch hier die Schließung sozialer Beziehungen auf dem Lande drohe. 42 Max Weber diskutiert also zunächst die Wirkungen unterschiedlicher Agrarverfassungen bei eindringender kapitalistischer Produktionsweise. Was aber sind seine sozialpolitischen Ideale, an denen er diese Wirkungen mißt? Wo hört der Mann der Wissenschaft zu sprechen auf, und wo beginnt der stellungnehmende Mensch, der sich aufgerufen fühlt, Werturteile zu fällen? Es ist keine Frage, daß insbesondere der III. Abschnitt seiner Kritik am Entwurf des Fideikommißgesetzes 4 3 voller Werturteile steckt. Sie richten sich zwar auch auf die konservative preußische Politik, vor allem aber auf das schwächliche und anpassungswillige deutsche Bürgertum. Statt den Industriestaat bewußt zu wollen und seine Möglichkeiten offensiv zu nutzen, suche es „Boden als Rentenfonds zu Nobilitierungszwecken aufzuhäufen", um sich dann in der „Gnade des Hofes zu sonnen". Und dies nicht nur auf Kosten der eigenen ökonomischen und politischen Interessen, sondern auch auf Kosten einer „zahlreichen und kräftigen Bauernbevölkerung". 4 4 Mehr noch: Statt sich dem offenen Weltmarkt auszusetzen, begebe man sich in den Schutz der Zölle. Statt Konkurrenz Protektionismus, statt bürgerlicher Charakterbildung durch „ökonomische Eroberungen in der weiten Welt" die Sehnsucht nach der pseudofeudalen Rentierexistenz. 45 Sind dies bloße Beschimpfungen eines bürgerlichen Intellektuellen, oder stecken dahinter formulierbare sozial- und staatspolitische Ideale? Was reguliert Max Webers Polemik über die wissenschaftlich informierte Folgen-
40 Im übrigen wiederholt Max Weber Argumente, die wir aus der Abhandlung über die Fideikommißfrage kennen, teilweise wörtlich. Vgl. unten, S. 2 1 3 - 2 1 5 . 41 Vgl. unten, S.219. 42 Vgl. etwa die Passage unten, S. 217. 43 Unten, S. 172-188. 44 Unten, S. 187f. 45 Unten, S. 185.
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abschätzung hinaus? Dies führt uns zum zweiten und dritten Gesichtspunkt, zu Max Webers sozial- bzw. staatspolitischer Wertposition.
3. Freiheitliche Sozialpolitik zwischen Laisser-faire-Liberalismus Staatspatriarchalismus sowie Staatssozialismus
und
Spätestens mit der Reichsgründung wurde in Max Webers Sicht auch in Deutschland der Schritt vom Agrarstaat zum Industriestaat und vom Kulturstaat zum Machtstaat irreversibel vollzogen. 46 Dies sei ein Faktum, das die Sozialpolitik nicht ignorieren dürfe. Es könne nicht länger um die Interessen der Grundaristokratie gehen, sondern es müßten die Interessen des Bürgertums, der Arbeiterschaft und der Bauernschaft unter den Bedingungen wachsender Weltmarktverflechtung in den Mittelpunkt treten. Man könnte auch sagen: Es geht um die Autonomie und die Selbstorganisation der bürgerlichen Gesellschaft, ein Begriff, den Max Weber zwar nicht in seinem wissenschaftlichen Werk, wohl aber bei seinen Debattenreden im Verein für Sozialpolitik häufiger benutzt. 47 Neben der ökonomischen Verflechtung in den Weltmarkt aber stehe die politische und kulturelle Verflechtung in ein von Kultur- und Machtstaaten geprägtes Europa. Einer der Wertgesichtspunkte, die Max Webers sozialpolitische Interventionen leiten, ist die ökonomische, politische und kulturelle Selbstbehauptung der deutschen Nation. Sozialpolitik hat also zunächst diesem Anspruch auf Selbstbehauptung unter industriestaatlichen Bedingungen zu dienen. Doch ist dies nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist: Solche Selbstbehauptung verlangt politische Freiheit im Innern, die in individueller Freiheit fundiert sein muß 4 8 Nur ein freies Bürgertum, eine freie Arbeiterschaft und ein freies Bauerntum können diese Selbstbehauptung letztlich tragen, gesellschaftliche Kräfte also, die nicht länger bloßes Objekt der Staatskunst bleiben dürfen, sondern die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen, mit Blick für die
46 Vgl. etwa seine Diskussionsbeiträge auf d e m Evangelisch-sozialen Kongreß 1897 in Leipzig zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat", in: MWG I/4, S. 6 2 6 - 6 4 0 . Für Max Weber ist Deutschland keine ökonomische Einheit. Es sei vielmehr „zusammengeschweißt aus zwei von einander wesentlich verschiedenen wirtschaftlichen Gebieten, von denen das eine nach Westen, das andere nach Osten blickt, das eine längst .Industriestaat' ist, das andere bisher .Agrarstaat' blieb: und das fundamentale Problem unserer ganzen nationalen Wirtschaftspolitik liegt in d e m unausgeglichenen Verhältnis dieser beiden, ungefähr an der Elbe und untern Weser sich von einander scheid e n d e n Hälften, welche politisch zusammengehören, ökonomisch aber auseinanderstreben." Ebd., S. 635 47 Vgl. etwa unten, S . 3 0 8 f . 48 Unten, S.314.
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eigenen Interessen, aber auch für das sachlich Gebotene. Nicht Schein der Macht, sondern reale Macht, nicht Eitelkeits- und Prestigeinteressen, sondern sachliche Interessen müssen ihr Handeln bestimmen. Dazu bedarf es eines institutionellen Rahmens, der solche sachliche Politik, eine Politik der rationalen Interessenvertretung und des rationalen Interessenausgleichs nach innen und nach außen, zu stützen vermag. Denn ohne kollektive und individuelle Freiheit im Innern gibt es für Max Weber zu seiner Zeit keine Macht- und Kulturgeltung der Nation nach außen. Beide setzen sich wechselseitig voraus. Sozialpolitik hat deshalb für Max Weber die Aufgabe, rationale Interessenpolitik zu ermöglichen, indem sie die Verteilungsfragen so löst, daß auf eigenen Füßen stehende kollektive Akteure entstehen können. Sie müssen ihre Interessen erkennen und sich selbst organisieren, und zwar so, daß dabei das staatliche und nationale Interesse, das Gemeinwohl, nicht aus dem Blick gerät. Dies ist das sozialpolitische Credo, das insbesondere in seinen Debattenreden im Verein für Sozialpolitik zum Ausdruck kommt. Prüft man die sozialpolitische Diskussion der Zeit, so lassen sich drei Positionen in idealtypischer Zuspitzung unterscheiden: 4 9 Die einen wollen Sozialpolitik auf Wirtschaftspolitik reduzieren und diese soweit als möglich entstaatlichen; die anderen unterscheiden zwar Aufgaben der Sozialpolitik von denen der Wirtschaftspolitik, erheben beide aber zu Aufgaben des Staates; und wieder andere unterscheiden gleichfalls zwischen den beiden Aufgaben, wollen die Sozialpolitik aber weitgehend einer selbstorganisierten Gesellschaft überlassen. Die ersten vertreten einen Laisser-faire-Liberalismus, die zweiten einen Staatspatriarchalismus, die dritten aber eine freiheitliche Sozialpolitik. Dieser Richtung rechnet sich Max Weber zu. Die erste Position wurde vor allem außerhalb des Vereins für Sozialpolitik entwickelt, die beiden anderen darin, und zwar, je länger je mehr, in scharfer Konkurrenz. In gewissem Sinn spiegelt sich darin ein Generationsphänomen. Der Generation, die den Verein für Sozialpolitik gegründet hatte, zwar durchaus in Opposition zu Bismarck, aber doch nicht unbeeinflußt von seinem Geist, standen jene .Nachgeborenen' gegenüber, die gegen ein autoritäres Verständnis von Sozialpolitik aufbegehrten. Prägnant kommt dies in einer Debattenrede Max Webers zum Ausdruck: Obgleich die Gründergeneration einst zu Recht gegen „jene Beifallssalve für die rein technologischen Leistungen der industriellen Mechanisierung, wie sie die manchesterliche Lehre damals darstellte", gekämpft habe, stehe sie heute in der Gefahr, selbst „eine ebensolche Beifallssalve für das Maschinenwesen auf dem Gebiet der Verwaltung und der Politik" abzugeben, 5 0 weil man „an
49 Dazu ausführlich MWG 1/3, Einleitung. 50 Unten, S.365.
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die Allmacht des von niemand bezweifelten hohen moralischen Standards gerade unseres deutschen Beamtentums" glaube. 5 1 Damit aber stelle man letztlich die bürokratische Betreuung der Bevölkerung durch den Staat höher als den freien Zusammenschluß und die freie Interessenverfolgung der Beteiligten. Gegen dieses autoritäre Verständnis von Sozialpolitik wandten sich viele der Jüngeren. Max Weber sagt deshalb auch „wir anders Denkenden". 5 2 Man hat diese unterschiedlichen Grundorientierungen Immer wieder auf den Gegensatz rechts-links bringen wollen. Und dies nicht ohne Grund. Auch Max Weber benutzt gelegentlich selbst den Begriff der .sozialpolitischen Linken'. Dennoch trifft diese Unterscheidung den beschriebenen Sachverhalt nur sehr bedingt. Eher geht es um eine unterschiedliche Auslegung derselben Ziele, wie auch „Kirchen" und „Sekten" das Evangelium verschieden leben. In Analogie dazu ließe sich formulieren: Die ältere Generation sah Sozialpolitik aus dem Blickwinkel eines kirchenähnlichen Patriarchalismus, die Jüngeren aus dem eines sektenähnlichen Voluntarismus. Beide Richtungen sind sich in ihrer Gegnerschaft zu einem Laisserfaire-Liberalismus mit seinem Besitzindividualismus einig. Aber sie messen der kollektiven und individuellen Freiheit für die Sozialpolitik unterschiedliche Bedeutung bei. Für einen freiheitlichen Sozialpolitiker kommt es entscheidend darauf an, daß die wichtigsten gesellschaftlichen Kräfte in den Stand gesetzt werden, die eigenen Interessen zu formulieren und sie frei und offen zu verfolgen, freilich, ohne dabei die staatlichen und nationalen Interessen gänzlich außer acht zu lassen. Kurz: Er will mithelfen, daß unabhängige, unbefangene, Max Weber sagt auch: männliche, freie Bürgerentstehen. Das Gegenbild einer freiheitlichen Sozialpolitik ist also nicht nur der Besitzindividualismus des Laisser-faire-Liberalismus, sondern auch der Autoritarismus des Staatspatriarchalismus sowie des Staatssozialismus, weil der erste ausschließlich auf den egoistischen Individualisten, der zweite aber auf den Ordnungsmenschen zielt. Im Unterschied dazu orientiert sich die freiheitliche Sozialpolitik am Bild des freien Bürgers, der, weder von Ohnmachts- und Angstgefühlen besessen noch von Eitelkeits- und Prestigeinteressen getrieben, ein selbstbestimmtes und selbstbewußtes Leben führt. Man könnte ihn einen moralischen Individualisten nennen. 53 Institutionen müssen deshalb Immer auch daraufhin befragt werden, was sie „charakterologisch" aus dem Menschen machen, 5 4 ob sie seine Erziehung zum egoi-
51 Unten, S. 361 f. 5 2 Unten, S.361. 5 3 Dazu Schluchter, Wolfgang, Unversöhnte Moderne. - Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, Kap. 8. 5 4 Unten, S. 251. A u c h dies ist für Weber ein „entscheidender Wertgesichtspunkt".
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stischen Individualisten, zum Ordnungsmenschen oder zum freien Bürger begünstigen. Mehr noch als der egoistische Individualist, der seine individuelle Freiheit schätzt und seine Interessen rational kalkuliert, ist Max Weber der Ordnungsmensch zuwider. Deshalb polemisiert er bei seinen sozialpolitischen Interventionen vor allem gegen jede institutionelle Beschränkung von individueller und kollektiver Freiheit, also gegen Verstaatlichung, Kommunalisierung, Kartellierung und Syndizierung, kurz: gegen Bürokratisierung, weil dies die Sozialfigur des Ordnungsmenschen erzeugt. Aber er wendet sich auch gegen die Zwangsvereinigung derjenigen, denen gemeinsame Interessen unterstellt werden, etwa gegen die Zwangsvereinigung der Arbeiter in Gewerkschaften, obgleich er diesen durchaus einen Eigenwert zuspricht, nicht zuletzt deshalb, weil er ihnen für die Erziehung der Arbeiter mehr zutraut als der Sozialdemokratie. 5 5 Statt nach Zwangsvereinigung zu rufen, sollte man - so Max Weber - die Fähigkeit zur Selbstorganisation, also die Koalitions- und Organisationsfreiheit, stärken, vor allem aber darauf achten, daß bei Verteilungskämpfen Waffengleichheit der Parteien besteht. Dies gelte ganz besonders für die industriellen Beziehungen: Tarifverträge dürften keine Unterwerfungsverträge sein. Ein Gemeinwesen, das sich zu einer freiheitlichen Sozialpolitik bekennt, dürfe auch keiner Arbeitgebergesinnung huldigen: „Nur ein von Arbeitgebergesinnung freies Gemeinwesen" könne auf Dauer ein Hort von Sozialpolitik sein. 5 6 Immer wieder entzündete sich der Konflikt zwischen der älteren und der jüngeren Generation im Verein für Sozialpolitik an solchen Fragen. Die in diesem Band abgedruckten Diskussionsbeiträge Max Webers auf dessen Tagungen legen davon beredt Zeugnis ab. Max Webers sozialpolitische Position wird auch aus jenem Entwurf eines Einladungsschreibens für eine sozialpolitische Aussprache aus dem Jahre 1912 sichtbar, 57 mit dem er noch einmal Gleichgesinnte für eine Erneuerung der sozialpolitischen Diskussion gewinnen wollte. Hier ist seine freiheitliche Sozialpolitik, man könnte auch sagen: sein sozial gefärbter Liberalismus, 58 besonders prägnant formuliert. Der Initiative war kein Erfolg beschieden. Nicht einmal die vorgeschlagene vertrauliche Aussprache unter Gleichgesinnten kam zustande, nachdem man bereits auf die ursprünglich vorgesehene Kundgebung verzichtet hatte. 59 Dieser Entwurf ist in zwei Hinsichten von Interesse. Zum einen zeigt seine Vorgeschichte, daß Max Weber auf eine in spezifischem Sinne bürgerliche
55 56 57 58 59
Unten, S. 259. Unten, S.365. Abdruck unten, S. 375-377. Unten, S.277. Vgl. dazu die entsprechenden Briefe in MWG II/7.
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freiheitliche Sozialpolitik setzte, zum anderen, daß er sauber zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik trennen wollte. Das brachte ihn zu Lujo Brentano, einem der wenigen Vertreter einer freiheitlichen Sozialpolitik aus der älteren Generation des Vereins für Sozialpolitik, in eine keineswegs harmlose persönliche und politische Spannung. 6 0 Weder wollte Max Weber wie Lujo Brentano die Zollpolitik erörtert sehen - eine wirtschaftspolitische Frage - , noch wollte er die Sozialdemokratie mit ins Boot nehmen - eine Frage des bürgerlichen Selbstverständnisses. Denn es ging ja auch um die Grundsatzfrage: Voluntarismus oder Staatssozialismus. Und es kann kaum zweifelhaft sein, daß dies aus seiner Sicht als Voluntarismus gegen Staatssozialismus zu lesen war. Die ältere Generation nicht nur des Vereins für Sozialpolitik, sondern auch der Sozialdemokratie blieb eben in einem autoritären Verständnis von Sozialpolitik gefangen. Immer wieder hatte Max Weber ja gegen die .unheilige Allianz' von Agrarkapitalismus, Syndikalismus und Sozialdemokratie gewettert, weil diese, wenn auch aus gänzlich unterschiedlichen Motiven, einer freiheitlichen Sozialpolitik letztlich ablehnend gegenüberstanden. Und noch in einer dritten Hinsicht ist der Entwurf von Interesse. Für Max Weber hatte sich die sozialpolitische Ausgangslage über die Jahre verändert. Die von der älteren Generation des Vereins für Sozialpolitik so begrüßte Verstaatlichung, Kommunalisierung, Kartellierung und Syndizierung des Wirtschaftslebens, die „unaufhaltsame Bürokratisierung der Bedarfsversorgung", 6 1 war tatsächlich eingetreten. Das konnte nicht ohne Folgen für die Lage der Arbeiterschaft, überhaupt für die Lage der breiten Massen sein. Darauf galt es mit Neuregelungen zu reagieren, vor allem beim Arbeitsvertrags- und beim Beamtenrecht. Ziel mußte es sein, die freie Arbeit zu schützen, in der Stadt, aber auch auf dem Lande. Nicht zufällig nennt er in diesem Zusammenhang die „drohende Verfälschung der Ziele der inneren Kolonisation und auch die Gefahren der gegenwärtigen Agrarkreditpolitik." 6 2 Nun steht natürlich auch eine freiheitliche Sozialpolitik ä la Weber nicht isoliert da. Sie hat Beziehungen zur Wirtschaftspolitik einerseits, zur Staatsais Verfassungspolitik andererseits. Denn nicht nur die agrarischen und die industriellen, auch die politischen Institutionen entfalten eine erzieherische Wirkung. Auch sie haben ,charakterologische' Folgen, die von Bedeutung sind. Dies führt uns zu unserem dritten und letzten Gesichtspunkt. Wie sehen Max Webers Wertgesichtspunkte in der Verfassungsfrage aus?
60 Dazu Editorischer Bericht, unten, S. 3 6 7 - 3 7 0 . 61 Unten, S. 375. 62 Unten, S.376.
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4. Der parlamentarische
Staat als parlamentarische
Monarchie
Max Weber läßt keinen Zweifel daran, daß er das Kaiserreich als scheinkonstitutionell einstuft. Anders als England ist Deutschland kein parlamentarischer Staat in Gestalt einer parlamentarischen Monarchie. Die parlamentarischen Institutionen sind machtlos. Die politische Verfassung insgesamt sei, wie auch die Agrar- und Industrieverfassung, autoritär verformt. Das Institutionengefüge insgesamt diene nicht dem Ideal der Freiheit. Es favorisiere nicht den freien Bürger, sondern den Ordnungsmenschen. Überall herrsche das Gefühl des „Reglementiert-, Kommandiert- und Eingeengtseins", 63 nicht nur beim Militär, sondern auch im Parlament, in der Behörde und in der Fabrik. Dennoch sind für Max Weber die parlamentarischen Institutionen nicht überflüssig. So verteidigt er zunächst einmal die Reichsverfassung gegen .Bedrohung', und zwar nicht zuletzt deshalb, weil durch sie nicht allein die Einheit des Reiches gewährleistet werde, sondern auch ein Minimum an Parlamentarismus. Schon aus seiner ersten öffentlichen verfassungspolitischen Intervention nach der Krankheit aus dem Jahre 1904 wird dies klar. 64 Andere Äußerungen machen darüber hinaus deutlich, daß er die parlamentarischen Institutionen nicht nur erhalten, sondern gestärkt und in ihren Kompetenzen erweitert sehen will. 65 Vorbild ist ihm dabei offensichtlich das parlamentarisch regierte monarchische England. Ähnlich wie in der Agrarfrage, hat England auch in der Staatsfrage für Max Weber den richtigen Schritt aus der Vergangenheit in die Gegenwart getan. Max Weber zeigt sich auch kompromißlos In der Wahlrechtsfrage. Das Plural- und Klassenwahlrecht hat für ihn ein für allemal ausgedient. 6 6 Der auch für Deutschland überfällige Schritt zum parlamentarischen Staat verlange, daß man auf allen Ebenen und in allen Staaten das allgemeine gleiche Wahlrecht einführe. Eine Alternative dazu gibt es für ihn nicht mehr. Kapitalismus und Parlamentarismus - dies sind die Mächte der Zukunft. Doch sie prägen bereits die Gegenwart. Auch in Deutschland haben sie Eingang gefunden, aber es sperrt sich gegen die damit verbundenen Folgen, will nicht endgültig Abschied nehmen vom Agrarstaat und vom persönlichen Regiment. So produziert es Zwittergebilde, einen ständischen Kapitalismus und einen Scheinkonstitutionalismus. Beide untergraben Deutschlands Machtgeltung und Kulturbedeutung in der Welt.
63 64 65 66
Unten, S.253. Unten, S. 7 6 - 8 0 . Vgl. unten, S. 3 9 2 - 3 9 7 Unten, S.306f.
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Bei Max Weber hängen also seine Strukturanalysen der Agrar-, Industrieund Staatsverfassung Deutschlands und seine sozial- und staatspolitischen Ideale aufs engste zusammen. Deutschland ist auf dem Weg zu Kapitalismus und Parlamentarismus steckengeblieben, überall verfängt es sich in den Fesseln seiner Vergangenheit. In einer seiner Debattenreden im Verein für Sozialpolitik zitiert er Goethe mit der Reflexion: „Wir alle leben vom Vergangenen und gehen am Vergangenen zu gründe". 6 7 Das ist dort auf Gustav Schmollers Bürokratiestudien gemünzt. Aber diese Reflexion läßt sich auch auf Max Webers Verhältnis zu seinem Deutschland anwenden. Es ist ein ambivalentes Verhältnis, weil Deutschland nicht nur aus der Vergangenheit lebt, sondern auch an dieser Vergangenheit zugrunde zu gehen droht.
6 7 Unten, S.372.
I. Schriften und Reden
Vorbemerkung des Herausgebers [zu: Walter Abelsdorff, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Die „Vorbemerkung des Herausgebers" ist Max Webers Einleitung zu einer Untersuchung Walter Abelsdorffs, die im Jahre 1900 unter dem Titel „Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker" in den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen" erschien. 1 Walter Abelsdorff hatte sich, schon während er in Charlottenburg und Karlsruhe Maschinenbau studierte, mit sozialwissenschaftlichen Fragen beschäftigt und deshalb auch staatswissenschaftliche Seminare besucht, unter anderem bei Gustav Schmoller in Berlin. 2 Dies brachte ihn dazu, sich im Jahre 1896 an einer vom Verein für Sozialpolitik veranstalteten Enquete über die Lage des Handwerks in Deutschland zu beteiligen und die Situation der Buch- und Accidenzdruckereien in Karlsruhe zu untersuchen. 3 Ab Oktober 1896 studierte er in Heidelberg, wo er im Wintersemester 1897/98 „ausschließlich Vorlesungen von Herrn Prof. Dr. Max Weber" hörte und an dessen „volkswirtschaftlichem Seminar", einer Art Doktorandenkolloqium, teilnahm. Im Rahmen dieses Seminars entstand seine Dissertation, die Max Weber, wie Abelsdorff sagte, entscheidend anregte und förderte. Die Arbeit beruhte im wesentlichen auf der Auswertung von Fragebögen, die unter Vermittlung des „Verbandes der Deutschen Buchdrucker" an Verbandsmitglieder in ausgewählten Regionen ausgeteilt und von rund 4800 Personen
1 Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, hg. von Carl Johannes Fuchs, Gerhard [sie!] von Schulze-Gävernitz, Max Weber, Band 4, Heft 4). - Tübingen/Leipzig: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1900. 2 Vgl. dazu und zum Folgenden den von Abelsdorff selbst verfaßten „Lebenslauf" in der „Hamburger Fassung" seiner Dissertation (siehe dazu unten, S. 28, Anm. 18), S. 41 f. 3 Abelsdorff, Walter, Die Lage der Buch- und Accidenzdruckereien in Karlsruhe, in: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Band 8, Teil 2 (Schriften des Vereins für Socialpoiitik 69). - Leipzig: Duncker & Humblot 1897, S. 313-329.
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Vorbemerkung zu Abelsdorff
zurückgegeben worden waren. 4 Im Mai 1898 wurde Abelsdorff mit dieser Arbelt an der Universität Heidelberg mit dem Prädikat „cum laude" promoviert. Max Weber wollte die überarbeitete Fassung dieser Dissertation in der von Ihm zusammen mit Carl Johannes Fuchs und Gerhart von SchulzeGävernitz begründeten und herausgegebenen Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen" 5 veröffentlichen. So kündigte er dem Verleger Paul Slebeck bereits am 27. März 1898 eine zum „Winteranfang druckreife sehr gute statistische Arbeit von Herrn Abelsdorff über die Buchdrucker (Erhebung von 6000 Buchdruckerfamilien durch Vermittlung der Verbände)" an. 6 In den folgenden Monaten kam es jedoch zu erheblichen Konflikten sowohl mit dem Verlag über Umfang, Kosten und drucktechnische Details der „Abhandlungen" als auch unter den Herausgebern über die Aufteilung der verschiedenen Beiträge auf die einzelnen Hefte. Dabei sah sich Max Weber augenscheinlich gegenüber seinen Frelburger Kollegen Fuchs und Schulze-Gävernltz benachteiligt. Am 20. Dezember 1898 etwa klagte er darüber, daß bei Veröffentlichungen sein Seminar schlechter behandelt werde als das der Frelburger und daß er bereits angemeldete Arbeiten, wie etwa die Untersuchung Abelsdorffs, deshalb habe zurückstellen müssen. 7 Allerdings deutet Webers Bemerkung, er lasse die Arbeit Abelsdorffs „noch welter ausformen", 8 darauf hin, daß diese doch noch nicht druckfertig war. Während des Jahres 1899 wurde sie denn auch überarbeitet, wobei nicht zuletzt der Umstand, daß Abelsdorff seit März 1899 als technischer Assistent bei der Hamburger Gewerbeinspektion angestellt war, zu erheblichen Verzögerungen führte. Abelsdorff arbeitete die Dissertation nicht nur um, sondern erweiterte sie auch und gab Ihr als „Teil II" eine tabellarische Darstellung und Inhaltliche Analyse von „15 Arbeiterhaushaltungsbudgets aus dem deutschen Buchdruckergewerbe" bei. 9 Er informierte Max Weber
4 Dies geht aus Abelsdorffs „Vorbemerkung des Verfassers", Beiträge, S. XI-XV, hervor, wo über den regionalen Umfang der Untersuchung berichtet wird. 5 Zur Entstehung der Schriftenreihe, deren Herausgeberkreis zunächst auch der Karlsruher Nationalökonom Heinrich Herkner angehörte und die vor allem jüngeren Wissenschaftlern eine Möglichkeit zur Publikation ihrer Arbeiten bieten wollte, siehe den Editorischen Bericht zu „Über die Schriftenreihe .Volkswirtschaftliche A b h a n d l u n g e n ' " in: MWG I/4, S. 6 7 4 - 6 7 6 . 6 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. März 1898, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 7 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Dez. 1898, ebd. 8 Ebd. 9 Abelsdorff, Beiträge, S. 51 ff.
Editorischer Bericht
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regelmäßig über den Fortgang der Arbeit und bat ihn bei der Gestaltung der Tabellen und der Bewertung der Zahlen um Rat. 10 Im November 1899 stand die Drucklegung kurz bevor. Eile war geboten, weil Abelsdorff die Druckfassung seiner Dissertation vor dem I.Januar 1900 vorlegen mußte, um seine Rechte nicht zu verlieren. 11 Am 6. November fragte Max Weber beim Verlag an, ob die Druckerei ab Mitte November ein rund 5 Bogen umfassendes Manuskript Abelsdorffs über die „Sozialstatistik der Buchdrucker" setzen könne. 12 Am 8. November versprach er Siebeck das Manuskript „für Sonntag über 8 Tage."'13 Zwar hatte Abelsdorff noch am 10. November die baldige Absendung des kompletten ersten Teils angekündigt, 1 4 doch schickte er in der folgenden Woche augenscheinlich nur eine sehr unvollständige Fassung, in die Textpassagen und Tabellen noch einzuarbeiten waren. 15 Max Weber entschuldigte sich deshalb beim Verlag: „Statt eines druckfertigen Manuskriptes erhalte ich von Herrn Abelsdorff ein solches, an dem noch jedenfalls mehrere Wochen zu thun sein wird, nachdem ich sofort nach Empfang meinerseits daran zu arbeiten mit aller Kraft begonnen hatte. Es ist mir aufrecht peinlich, meine Zusage nicht halten zu können, u. es soll ganz bestimmt das erste u. letzte Mal sein, daß ich, selbst auf die bestimmtesten Versicherungen hin, Ihnen ein Manuskript avisiere, bevor ich es absolut druckfertig vor meinen Augen liegen sehe." 16 Allerdings betrafen diese Bemerkungen nicht das gesamte Manuskript, sondern nur den Teil I, die ursprüngliche Dissertation. Der von Abelsdorff inzwischen hinzugefügte Teil II über „Arbeiterhaushaltungsbudgets" dagegen war nach Webers Einschätzung „vollkommen druckfertig". 17
10 Siehe die Briefe Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 2. Okt., 10., 19720., 20. und 23. Nov., 11., 20. und 23. Dez. 1899 sowie vom 3. Febr. 1900, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 11 Dies geht unter anderem aus den Briefen Max Webers an Paul Siebeck vom 6. Nov. und 31. Dez. 1899, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3), hervor. Abelsdorff berichtete In seinen Briefen an Max Weber, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, wiederholt, welchen starken Druck die Hamburger Behörden In dieser Frage auf Ihn ausübten. 12 Brief N/lax Webers an Paul Slebeck vom 6. Nov. 1899, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 13 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 8. Nov. 1899, ebd. 14 Brief Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 10. Nov. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 15 Dies läßt sich dem Brief Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 19./20. Nov. 1899, ebd., entnehmen. 16 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 20. Nov. 1899, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). Dieser Brief ist, wie auch eine Reihe der folgenden Briefe Max Webers an Paul Siebeck, von Marlanne Weber geschrieben und von Max Weber nur unterzeichnet worden. 17 Ebd.
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Vorbemerkung zu Abelsdorff
Angesichts dieser U m s t ä n d e konnte die Arbeit nicht bis zum I . J a n u a r 1900 in der von Weber geplanten Form erscheinen. Abelsdorff ließ d e s h a l b die von der Fakultät verlangten 200 Exemplare der Dissertation in H a m b u r g d r u c k e n und mit d e m Vermerk versehen, daß die Arbeit später „in vollem Umfang u n d auch inhaltlich erweitert in den .Volkswirtschaftlichen A b h a n d lungen der B a d i s c h e n Hochschulen' (Verlag von J . C . B . Mohr, Tübingen)" veröffentlicht werde. 1 8 Er v e r s p r a c h Max Weber „ehrenwörtlich", Teil I „noch mit all den Tabellen, w e l c h e Sie w ü n s c h e n [...], nachträglich in Ruhe zu versehen, daß die Arbeit g e n a u so zur Veröffentlichung gelangt, wie Sie es w ü n s c h e n . " 1 9 Max Weber versicherte daraufhin Paul Siebeck, daß von der H a m b u r g e r Version „kein Ex[em]pl[ar] In den Handel" komme und daß in den „ A b h a n d l u n g e n " eine deutlich veränderte Fassung „mit einer Einleitung von m / r u n d inhaltlich a u c h in Teil I stark erweitert" erscheinen werde. Ferner hob er die B e d e u t u n g der Arbeit hervor: „Die e r h o b e n e n Zahlen sind etwas In ihrer Art absolut Neues, u n d die ganze in ihrer Art einzigartige Erhebung wird in wissenschaftlichen Kreisen die größte Aufmerksamkeit erregen." 2 0 Wie aus diesem Brief v o m 31. Dezember 1899 weiter hervorgeht, war Abelsdorff mit der Überarbeitung des ersten Teils zu diesem Zeitpunkt allerdings immer noch nicht fertig. 2 1 Es dauerte in der Tat bis Ende Mal 1900, bis Max Weber d e m Verlag diesen Teil vorlegen konnte. 2 2 In der Zwischenzeit hatte Paul Slebeck erhebliche Bedenken g e g e n die k o s t e n a u f w e n d i g e Gestaltung der Schrift erhoben. Insbesondere die zahlreichen Tabellen in „Teil II", der der Druckerei bereits im Dezember 1899 ü b e r g e b e n w o r d e n war, 2 3 hatten zu Differenzen
18 Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Soclalstatlstlk der deutschen Buchdrucker. InauguralDissertatlon zur Erlangung der Doctorwürde einer hohen Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg. - Hamburg: Druck der Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. (vormals J.F. Richter) 1899. Dieser Dissertationsdruck umfaßt nur Teil I; zwar hatte Abelsdorff In seinem Brief an Max Weber vom 20. Nov. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, geschrieben, daß auch „Teil ll(,] so wie ich ihn In der Correctur erhalten" habe, aufgenommen werden solle, doch wurde dieser Plan letztlich nicht verwirklicht. 19 Brief Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 20. Nov. 1899, ebd. 20 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 31. Dez. 1899, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 21 Ebd. Siehe dazu auch die Briefe Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 11. und 23. Dez. 1899 sowie vom 3. Febr. 1900, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 22 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 28. Mai 1900, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 23 Dies geht aus dem Brief Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 23. Dez. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, hervor.
Editorischer
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geführt. 24 Max Weber sah sich deshalb veranlaßt, dem Verlag anzubieten, „daß künftig umfangreiche Tabellen außerhalb des Satzes stets von den Verfassern oder mir getragen werden." 25 Die im folgenden abgedruckte „Vorbemerkung des Herausgebers" muß bereits Ende des Jahres 1899 entstanden sein. So sagte Abelsdorff am 11. Dezember 1899 Max Weber „für die Einleitung zu der ganzen Arbeit" seinen „aufrichtigsten Dank." Gleichzeitig sprach er die Hoffnung aus, daß diese „Vorbemerkung" ihn vor den „scharfen Federn" möglicher Kritiker schützen werde, denen er selbst „doch kaum gewachsen wäre." 26 Obgleich Max Weber den wissenschaftlichen Wert der Arbeit herausstellte, hielt er sich mit Lob zurück. Dies rechtfertigte er gegenüber Siebeck wie folgt: „Wenn ich in meinem Vorwort zu der wissenschaftlich höchst interessanten Abelsdorffschen Erhebung möglichst auf den Zehen auftrete, so entspricht dies meinem Prinzip, welches sich auch in äußerlicher Beziehung gründlich bewährt hat, - die Herr[e]n Verleger täuschen sich bei wissenschaftlichen Arbeiten zuweilen über die Opportunität vorsichtiger Vorreden, auch mir ging es bei meinen Arbeiten so. Ich kann nur wiederholen, ich biete Ihnen ausschließlich erstklassige Leistungen an." 27
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter der Überschrift „Vorbemerkung des Herausgebers" erschien in: Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker. Mit einer Vorbemerkung von Max Weber (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, hg. von Carl Johannes Fuchs, Gerhard [sie!] von Schulze-Gävernitz, Max Weber, Band 4, Heft 4). - Tübingen und Leipzig: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1900, S . V I I - I X ( A ) .
2 4 So hatte Paul Siebeck u. a. am 4. Januar 1900 bei Max Weber angefragt, ob es nicht möglich sei, „die riesigen Tabellen zu vereinfachen, damit die Herstellung des Buches nicht gar so kostspielig und der Ladenpreis nicht so hoch wird." VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 2 5 Max Weber bot dies in seinen Briefen an Paul Siebeck vom 28. Mai und 3. Juni 1900, ebd. (MWG II/3), an. Am Ende des Briefes vom 3. Juni brachte Marianne Weber - vermutlich ohne Wissen ihres Mannes - die Bemerkung an: „Bitte lieber Herr Siebeck lassen Sie meinen Mann nicht zu viel für Abelsdorff bezahlen - er kann es wahrhaftig nicht! Durch seine Krankheit ist das Portemonnaie in beständiger Ebbe." 2 6 Brief Walter Abelsdorffs an Max Weber vom 11. Dez. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 2 7 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 3. Juni 1900, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3).
Vorbemerkung des Herausgebers
Da ich in die Art der Gestaltung der nachstehenden Arbeit ziemlich tief eingegriffen habe,1 so seien auch mir einige Bemerkungen über dieselbe gestattet. Was zunächst den ersten Teil derselben (Fragebogen und Erhebungen) 2 anlangt, so wird der Leser geneigt sein, mehrere Fragen zu stellen, insbesondere wird er sich mit gutem Grunde fragen: 1. Warum wurden nicht noch mehr Fragen gestellt? - 3 Darauf ist zu antworten: Wie viele Fragen man bei einer derartigen, nur privaten, ihrem Zweck nach für die Befragten keineswegs durchsichtigen Erhebung ohne das Risiko eines Fiaskos stellen kann, läßt sich schließlich nur durch Experiment feststellen. Ich hatte mit dem Verfasser den Eindruck, daß eine nennenswerte Vermehrung der Fragen das immerhin recht gute quantitative Ergebnis der Erhebung beeinträchtigt haben würde. Ob nicht eine Anzahl der gestellten Fragen jetzt, wo man das Ergebnis vor sich hat, als minder wertvoll erscheint, und bei künftigen Erhebungen durch andere ersetzt werden sollte, darüber kann man sicherlich diskutieren, und ich will darin der eventuellen Kritik Berufenerer nicht vorgreifen. 2. Warum die räumliche Unvollständigkeit der Erhebung? - Sie® geht von Baden aus und zieht, wie die Einleitung des Verfassers und a A: sie
1 Zur Beteiligung Max W e b e r s an der Arbeit A b e l s d o r f f s siehe d e n Editorischen Bericht, o b e n , S. 2 5 - 2 9 . 2 Der erste Teil von Abelsdorff, Beiträge, stellt eine Aviswertung d e s in der „Vorbemerk u n g des Verfassers", S. [XII], a b g e d r u c k t e n F r a g e b o g e n s dar. Diese A u s w e r t u n g umfaßt die Bereiche „1. Familienstand, Altersgliederung, Kinderzahl u n d Heiratsalter", S. 1 - 7 , „2. Aufenthaltsort, Gebürtigkeit u n d Beweglichkeit der B u c h d r u c k e r " , S . 8 - 2 4 , sowie „3. B e r u f s g l i e d e r u n g der Väter, Geschwister und Kinder der B u c h d r u c k e r " , S. 2 5 - 3 5 . Schließlich ist d i e s e m Teil n o c h ein zweigliedriger A n h a n g „Berufsarten der Väter und Kinder der d e u t s c h e n B u c h d r u c k e r in a l p h a b e t i s c h e r Reihenfolge" b e i g e g e b e n , S. 3 6 - 4 9 . 3 Der F r a g e b o g e n umfaßt 15 Fragen über d e n Geburts- u n d Aufenthaltsort d e s Arbeiters und seiner Familienangehörigen, die altersmäßige Konstellation innerhalb der Familie sowie die familiäre u n d berufliche Situation seiner Eltern, Geschwister u n d Kinder.
Vorbemerkung
zu
Abelsdorff
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Tabelle I ergiebt, 4 zum Vergleich noch 2 süddeutsche Staaten (Bayern und Hessen mit Frankfurt), ferner die beiden westlichsten und die 4 östlichsten Provinzen Preußens und endlich die Großstädte und Buchdruckereicentren Berlin und Leipzig heran, s Dies erklärt sich - von dem keineswegs unerheblichen | Kostenpunkt abgesehen - zunächst durch die Art ihrer Entstehung. Sie war ursprünglich als Teil einer Untersuchung über die Karlsruher Buchdrucker für den Verein für Sozialpolitik gedacht 5 und daher auf Baden beschränkt; des Vergleichs halber wurden einige auswärtige io Bezirke, deren Gauvorstände dem Verfasser bekannt oder leicht zugänglich waren, herangezogen, und so entwickelte sich schließlich die Arbeit in ihrer Selbständigkeit und Begrenzung. Überdies aber handelte es sich um ein in seinem Erfolg durchaus problematisches Experiment, denn nichts ließ voraussehen, ob das 15 Ergebnis die Mühe lohnen würde. Heute möchte ich die Frage, ob dies der Fall, meinerseits entschieden bejahen. Dies allerdings unter dem Vorbehalt, daß die erhobenen Zahlen zumeist ihr volles Interesse erst gewinnen können, wenn gleichartige Erhebungen in andern Berufen einen Vergleich 20 gestatten. Insbesondere würde eine ähnliche Erhebung bei den einzelnen Schichten der Arbeiterschaft einer Großindustrie mit bestimmten Standorten, zumal wenn zwischen denselben starke Differenzen der Arbeitsbedingungen und des sozialen Milieu's bestehen, charakte25 ristisch abweichende Ergebnisse zeitigen. Ebenso andrerseits Erhebungen innerhalb der alten zünftigen Handwerke. - Es ist die Ab-
4 Mit „Einleitung" ist die „ V o r b e m e r k u n g d e s Verfassers", in: Abelsdorff, Beiträge, S, X I XV, gemeint. Dort findet sich auf S. XIV eine Tabelle, in der die untersuchten Bezirke aufgeführt sind. Es handelt sich d a b e i um B a d e n und Bayern, die preußischen Provinzen Rheinland, Westfalen, Schlesien, Ostpreußen, Westpreußen u n d Posen, um die Großstädte Berlin u n d Leipzig sowie um die Region „Frankfurt-Hessen", zu der Abelsdorff sowohl die Stadt Frankfurt a.M. als a u c h die preußische Provinz H e s s e n und d a s Großherzogtum H e s s e n rechnet. 5 G e m e i n t Ist die v o m Verein für Sozialpolitik in d e n 1890er Jahren d u r c h g e f ü h r t e Enq u e t e „Über die L a g e d e s H a n d w e r k s in D e u t s c h l a n d " , für die Walter Abelsdorff seinerzeit d e n Beitrag „Die L a g e der Buch- und A c c i d e n z d r u c k e r e i e n In Karlsruhe" geliefert hatte. Dieser Beitrag Ist e r s c h i e n e n in: U n t e r s u c h u n g e n über die Lage d e s H a n d w e r k s in D e u t s c h l a n d mit b e s o n d e r e r Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit g e g e n ü b e r der Großindustrie, B a n d 8, Teil 2 (Schriften d e s Vereins für Socialpolitik 69). - Leipzig: D u n c k e r & Humblot 1897, S. 3 1 3 - 3 2 9 .
A Vlll
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Vorbemerkung
zu
Abelsdorff
sieht, gelegentlich eine solche Erhebung durch Angehen der Arbeiterorganisationen zu versuchen. 6 3. Mit dem vorhin ad 2 Gesagten hängt die Auswahl der Gesichtspunkte, nach denen die Auszählung und Tabellierung des Materials erfolgte, zusammen. Es sind auch solche Zahlenreihen vorgeführt, die an sich wenig Bemerkenswertes bieten, aber künftig durch Vergleich Wert erlangen können. Es ist ferner die Gliederung nach Bezirken in den Tabellen keineswegs ausschließlich zu dem Zweck möglichst überall durchgeführt, um Differenzen zwischen den einzelnen Gebieten ins Licht zu stellen, sondern ebenso auch, um durch die relative Übereinstimmung der Zahlen der Einzelbezirke unter sich und mit den Gesamtzahlen darzuthun, 7 daß es sich bei den letzteren um wirklich typische Größen, nicht um Zufallsdurchschnitte aus ganz heterogenen Einzelfaktoren handelt. Überdies aber gab diese räumliche Gliederung Gelegenheit, ersichtlich zu machen, wie die Hauptfolge der räumlichen UnvollstänAIX digkeit der Erhebung: Das Überwiegen der Großstädte | in dem Antwortenmaterial - 8 auf die Gesamtziffer einwirkt. Der Umstand, daß erst in Kombination mit den Resultaten künftiger gleichartiger Erhebungen die jetzige mehr versuchsweise Erhebung ihren vollen Wert erlangen kann, ist auch der Grund dafür, daß der Text, den der Verfasser den Tabellen beigiebt, in die Einzelheiten der Zahlen nicht allzutief einzudringen versucht, sondern im Wesentlichen nur eine allgemeine Erklärung der Tabellen enthält. 6 Max Weber hat diesen Plan auch in späteren Jahren weiterverfolgt. So schlug er im Jahre 1908 vor, im Rahmen der vom Verein für Sozialpolitik geplanten Enquete „über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiter in den verschiedenen Zweigen der Großindustrie" die Erhebung unter anderem durch Verteilung von Fragebögen an die Arbeiter mit Hilfe der Arbeiterorganisationen durchzuführen. Weber, Max, Erhebungen über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie, in: MWG 1/11, S. 138. 7 Große Übereinstimmungen in den Zahlenangaben der einzelnen Bezirke gibt es vor allem bei der familiären Situation. Zwar finden sich etwa beim Familienstand zum Teil signifikante Unterschiede - so waren in Leipzig und Berlin rund 65 % der befragten Buchdrucker verheiratet, in Mainz und München dagegen nur rund 45 % -, doch gibt es bei der Kinderzahl, der Altersdifferenz der Ehegatten und dem Alter des Vaters bei der Geburt des ältesten Kindes sehr große Gemeinsamkeiten. Vgl. dazu Abelsdorff, Beiträge, Tabelle 1, S. 1, sowie die Tabellen, S. 5f. 8 Wie sich aus Tabelle 1 (Abelsdorff, Beiträge, S. 1) errechnen läßt, lebten von den 4.816 befragten Buchdruckern 2.744 in größeren Städten.
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Vorbemerkung
zu Abelsdorff
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Die vorliegende Arbeit ist eben ein probeweiser Anfang, kein Endergebnis. Was den zweiten Teil der Arbeit (Budgets) 9 anlangt, so ist der Wert derartiger zweimonatlicher Hausbudgetausschnitte, wie sie der Verfasser bietet, 10 gewiß ein begrenzter. Aber auch hier war das Beschaffte wohl annähernd das Maximum dessen, was ohne schwere Gefährdung der Qualität beschafft werden konnte. Jeder mit derartigen Erhebungen Vertraute13 weiß, wie selten Familien zu finden sind, welche sich überhaupt zur täglichen gewissenhaften Buchung ihrer Ausgaben bis ins kleinste - so wie sie die Frankfurter Budgets des deutschen Hochstifts 11 bieten - bereit finden und zugleich hinreichend zuverlässig sind. Bei Aufzeichnungen, die sich über das ganze Reich verteilen, hätte das Verlangen eines längeren Zeitraumes wahrscheinlich das Ergebnis gänzlich in Frage gestellt. Der Wert desselben liegt in der gleichzeitigen Erhebung von Budgets örtlich weit getrennter Berufsgenossen mit vergleichbaren Einnahme- und Familiengrößen-Verhältnissen. Möglichst zahlreiche ähnliche Erhebungen könnten uns allmählich manchen zentralen Fragen der Konsumentwickelung näher bringen: in wieweit unter anderm die unzweifelhaft vorhandene Tendenz zur Beseitigung der historisch gegebenen lokalen Konsumtypen eine Tendenz zur Uniformierung des Konsums überhaupt in dem Sinne darstellt, daß die Art desselben schlechthin Funktion der Klassenzugehörigkeit und Einkommenshöhe wird.
b A: vertraute
9 Der zweite Teil von Abelsdorff, Beiträge, S. 51 ff., hat eine Untersuchung von „15 Arbeiterhaushaltungsbudgets aus dem deutschen Buchdruckergewerbe" zum Gegenstand. 10 Walter Abelsdorff hatte auf Vermittlung der Gauvorsteher des „Verbandes der Deutschen Buchdrucker" 15 etwa gleich große Arbeiterfamilien dafür gewonnen, ihre laufenden Einnahmen und Ausgaben über einen Zeitraum von zwei Monaten genau zu verzeichnen. Die kurze Zeitspanne wurde deshalb gewählt, weil die „Ausdauer der Arbeiter bei solchen Erhebungen [...] im allgemeinen gering" sei und „die Geduld der Arbeiterfrauen denn diese waren ja zum größten Teil die Ausführenden - auf eine nicht zu harte Probe gestellt" werden sollte. Abelsdorff, Beiträge, S. 52. 11 Frankfurter Arbeiterbudgets.
[Rezension von: Philipp Lotmar, Der Arbeitsvertrag]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Im Jahre 1902 veröffentlichte Philipp Lotmar, ordentlicher Professor für Römisches Recht an der Kantonalen Universität Bern, den ersten Band seines auf zwei Bände angelegten Werkes „Der Arbeltsvertrag. Nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches". 1 Darin wollte er den Arbeltsvertrag außer mit den Mitteln der Rechtswissenschaft auch mit denen der Nationalökonomie behandeln. Folgt man dem Urteil des Berliner Nationalökonomen Ludwig Bernhard, so war es Lotmar gelungen, Theorie und Praxis zu vereinen. Man verfolge „von Seite zu Seite, welche Menge an Tatsachen mitgeteilt wird, wie sorgfältig die gesellschaftlichen Zustände erörtert werden, und mit welcher Kraft der Verfasser diese Fülle des Materials organisiert hat." 2 Lotmars Grundidee war es, bei der Darstellung die übliche dogmatische Einteilung zu verlassen und sich an der „Welt der Thatsachen" 3 zu orientleren. So stellte er zwei Grundformen in den Mittelpunkt: den „Zeitlohnvertrag" und den „Akkord". Diese „wichtigste, folgenreichste Differenz im Thatbestand des Arbeitsvertrags überhaupt" dränge sich „einer von den Thatsachen statt von den Gesetzen ausgehenden [...] Untersuchung des Arbeltsvertrags dermaßen auf, daß ihr die Herrschaft über den Stoff eingeräumt werden" müsse. Eine solche Einteilung stehe dem Begriff des Arbeitsvertrags am nächsten, „well die nächste logische Stufe nach der Gegenüberstellung von Arbelt und Entgelt die Ist, daß im Arbeltsvertrag der Entgelt entweder nach der Dauer der Arbeit bemessen ist (Zeitlohnvertrag) oder nicht (Accord)." 4
1 Lotmar, Philipp, Der Arbeitsvertrag. Nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches. In zwei Bänden, Band 1. - Leipzig: Duncker & Humblot 1902. Der zweite Band erschien im selben Verlag im Jahre 1908. 2 Bernhard, Ludwig, [Rezension von:] Lotmar, Philipp: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 27. Jg., 1903, S. 317-321, hier S. 317. 3 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 25. 4 Ebd., S. 29.
Editorischer
Bericht
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Dieser neue methodische Zugriff wurde durchaus positiv aufgenommen. So konstatierte man, daß „mit dem epochemachenden Werke Prof. Phfilipp] Lotmars [...] ein beachtenswerter Umschwung eingetreten" sei. Hiermit werde der „in Doktrinarismus erstarrten Jurisprudenz [...] aus den Thatsachen des täglichen Lebens neues warm pulsierendes Blut zugeführt." 5 Allerdings war damit auch die prinzipielle Frage nach dem Verhältnis von juristischer und nationalökonomischer Betrachtung gestellt. Obgleich Max Weber aufgrund sich steigernder gesundheitlicher Zusammenbrüche seit 1898/99 seine Arbeitsfähigkeit weitgehend eingebüßt hatte, sagte er diese Rezension überraschend zu, um die ihn Heinrich Braun, der Herausgeber des Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik, gebeten hatte. Man kann erwarten, daß ihn dabei besonders das methodologische Problem reizte, zumal er sich im Jahre 1902 mit solchen Fragen intensiv befaßte. Es ist kaum anzunehmen, daß, wie Marianne Weber nahelegt, dabei nur „Gefälligkeit" gegenüber Heinrich Braun eine Rolle spielte. In einem Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 20. Oktober 1902 heißt es: „Max geht es bisher recht ordentlich u. gleichmäßig - als erstes kleines Frühlingszeichen wiederkehrender Leistungsfähigkeit hat er innerhalb weniger Tage auf H[einrich] Braun's Veranlassung ein Buch ausführlich rezensiert. Dasselbe lag ihm an sich, seines juristischen Charakters wegen, sehr fern, u. er übernahm die Besprechung nur aus Gefälligkeit, nun aber macht es ihm wohl auch, wie mir, im geheimen Freude, daß er, wenn auch mit Unlust, die erste litterarische Lebensäußerung seit über 4 1 /2 Jahren von sich gegeben hat." 6 Das Manuskript ging Braun am 14. Oktober 1902 zu, wie man einem von ihm am selben Tag formulierten Schreiben an Max Weber entnehmen kann. Darin bedankte sich Braun „auf das Verbindlichste für den Beitrag. Er zeigt die alte geistige Schärfe und souveräne Herrschaft über den Stoff." 7 Freilich gab er zu bedenken, ob „Sie nicht auch zusammenfassend den Wert der Leistung [...] im Ganzen einer Charakteristik unterziehen" sollten, habe Leitmar doch „dem Reich der Jurisprudenz eine ganze neue Provinz erobert." Jedenfalls habe „das Werk wo[h]l verdient, daß Sie nicht nur da zustimmend, dort ablehnend sich verhielten, sondern auch die Gesamtleistung
5 So der Nationalökonom Clemens Heiß im Rahmen einer Besprechung des 1901 erschienenen Buches von Karl Flesch, das sich mit dem Arbeitsvertrag aus sozialrechtlicher Perspektive befaßt. Die Rezension findet sich in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Band 17, 1902, S. 734-740, der Hinweis auf LotmarS. 735, Anm. 1. 6 Brief Marlanne Webers an Helene Weber vom 20. Okt. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Vgl. hierzu auch: Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S.272. 7 Brief Heinrich Brauns an Max Weber vom 14. Okt. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
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Rezension
von: Lotmar,
Arbeitsvertrag
eingehender als mit d e m l o b e n d e n Wort im Eingang gewürdigt hätten." N a c h Braun war zu befürchten, „daß die juristischen Zünftler der Arbeit Lotmars keine Gerechtigkeit widerfahren lassen dürften", u n d er schloß mit d e m Hinwels, daß das Manuskript Webers „heute in die Druckerei" gehe. Er erhalte „ b a l d die Correktur, mit der Sie in Betreff von Ä n d e r u n g e n oder etw a i g e n Zusätzen frei schalten können." 8 Max Weber g i n g vermutlich auf die A n r e g u n g e n Heinrich Brauns ein. Der letzte A b s a t z seiner Rezension, in d e m er die Gesamtleistung wie die Methode des Autors würdigt, 9 dürfte nachträglich hinzugefügt worden sein. A m 5. N o v e m b e r 1902 übersandte Braun Max Weber „das neue Archivheft mit Ihrer wertvollen B e s p r e c h u n g . " 1 0 Die vereinbarten „12 Sfeparat]A [ b z ü g e ] u n d das Honorar" g i n g e n Ihm v o m Verlag später zu. 1 1 Einen Sond e r d r u c k erhielt Philipp Lotmar. Dies geht aus einem Brief Lotmars an Weber vom 19. November 1902 hervor, in d e m jener sich für die „freundliche Z u s e n d u n g Ihrer Rezension meines Buches" bedankte und zu Webers Kritik Stellung nahm. 1 2
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der A b d r u c k folgt d e m Text, der im Archiv für soziale G e s e t z g e b u n g und Statistik. Zeitschrift zur Erforschung der gesellschaftlichen Zustände aller Länder, hg. von Heinrich Braun, Band 17, Heft 3, 1902, S. 7 2 3 - 7 3 4 , In der Rubrik „Lltteratur" erschien (A). Der Artikel ist mit „Heidelberg. Max Weber." gezeichnet. U n g e w ö h n l i c h Ist die Verwend u n g von e c k i g e n Klammern auf d e n Seiten 43 u n d 52. Hierbei könnte es sich um nachträgliche, während des Satzes v o r g e n o m m e n e Einfügungen Max Webers handeln. Webers Fußnoten, die auf jeder Seite neu gezählt sind, w e r d e n hier durchlaufend numeriert.
8 Die zitierten Passagen stammen alle aus dem Brief Heinrich Brauns an Max Weber vom 14. Okt. 1902, ebd. 9 Siehe unten, S. 60t. 10 Brief Heinrich Brauns an Max Weber vom 5. Nov. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 11 Ebd. 12 Brief Philipp Lotmars an Max Weber vom 19. Nov. 1902, ebd.
[Rezension von:] Lotmar, Philipp, Der Arbeitsvertrag. Nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches. - Erster Band. Leipzig, Duncker & Humblot 1902, gr. 8°, 827 S. Als Zweck seines Werkes bezeichnet der Verfasser auf S. 1, eine Darstellung des Privatrechtes des Arbeitsvertrages zu liefern „auf Grund der deutschen Reichsgesetze und an der Hand der wirtschaftlichen Thatsachen",1 Die vorzügliche Art, in der er insbesondere den letzten Teil dieses Versprechens eingelöst 3 hat, ist schon als reine Arbeitsleistung betrachtet des höchsten Lobes sicher. Der Verfasser hat die großen Enqueten des Vereins für Sozialpolitik, 2 das in der „Sozialen Praxis", dem „Gewerbegericht" 3 und den nationalökonomischen Fachzeitschriften und Monographien zerstreute Material in umfassender Weise systematisch benutzt und so ein Werk geschaffen, welches - mag das Urteil über seinen sachlichen Standpunkt ausfallen wie immer - jedenfalls in seiner Art in der bisherigen privatrechtlichen Litteratur nicht viele und auf dem Gebiet des Privatrechtes der modernen Arbeit überhaupt nicht seines Gleichen hat. - Es ist aber grade angesichts der umfassenden Beherrschung der ökonomischen Thatsachen, welche sich der Verfasser zu verschaffen gewußt hat, nur um so mehr anzuerkennen, a A: gelöst 1 Die Hervorhebung im Zitat stammt von Max Weber. 2 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 13, Anm. 1, bezieht sich auf die 1892 durchgeführte Enquete des Vereins für Sozialpolitik „Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland". Explizit nennt er dabei die Untersuchung von Friedrich Großmann, Die ländlichen Arbeiterverhältnisse in der Provinz Schleswig-Holstein (exkl. Kreis Herzogtum Lauenburg), den Provinzen Sachsen (exkl. der Kreise Schleusingen und Ziegenrück) und Hannover (südl. Teil), sowie den Herzogtümern Braunschweig und Anhalt, in: Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland (Schriften des Vereins für Socialpolitik 54). - Leipzig: Duncker & Humblot 1892, S. 401-649, sowie die von Max Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). 3 Lotmar zitiert diverse Aufsätze und Beiträge aus: Soziale Praxis. Centralblatt für Sozialpolitik, das 1895 aus der Zusammenlegung des von Heinrich Braun herausgegebenen Sozialpolitischen Centraiblatts mit den vom Frankfurter Institut für Gemeinwohl veröffentlichten Blättern für Sociale Praxis hervorgegangen war, sowie aus der ebenfalls 1895 erstmals erschienenen Beilage zur „Sozialen Praxis": Das Gewerbegericht. Mittheilungen des Verbandes deutscher Gewerbegerichte.
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Rezension
von: Lotmar,
Arbeitsvertrag
daß er der naheliegenden Gefahr: ökonomische und juristische Betrachtungsweise zu vermengen, völlig entgangen ist. Die Berufung auf „wirtschaftliche Gesichtspunkte", wie wir sie gelegentlich in der Judikatur und noch öfter in der Litteratur der letzten Jahrzehnte finden, stellt sich fast immer dann ein, wenn die juristischen Begriffe 5 fehlen. - Die prinzipielle Beschränkung des Verfassers auf die juristische Behandlung seines Themas tritt schon in dessen Abgrenzung zu Tage, welche durch den zu Grunde gelegten rein formalen Begriff des „Arbeitsvertrages" gegeben wird.4 Die Aufgabe der Feststellung und systematischen Analyse des Inhalts dieses Begriffs füllt fast die 10 Hälfte des vorliegenden Bandes (S. 32-344). 5 | A 724 Eine „ökonomisch" orientierte Begriffsbildung, die ihre Systematik der „Materie" des Wirtschaftslebens entnehmen wollte, würde vermutlich diejenigen Thatbestände, welche der Verfasser als „proletarische Arbeitsverhältnisse" bezeichnet, 6 zu erfassen su- 15 chen, und wenn dieser Versuch, wie auf dem Gebiete des Rechtes kaum anders möglich, mißlänge, sich genötigt sehen, die Kategorie „Arbeitsvertrag" überhaupt beiseite zu lassen und die einzelnen von der Gesetzgebung bisher erfaßten Typen 7 von Arbeitsverhältnissen je isoliert als untereinander nicht weiter zusammenhängende 20 Gebilde hinzunehmen und zu analysieren. Zersplitterung und Prinzipienlosigkeit der wissenschaftlichen Erfassung des Rechts der modernen Arbeit, insbesondere die Unfähigkeit, für nicht von der Gesetzgebung geregelte Thatbestände, wie sie das Leben täglich neu bietet, den juristischen Ort zu bestimmen, wäre die thatsächlich 25 bereits nur zu oft zu beobachtende Folge.
4 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 32, definiert: „Als Arbeitsvertrag bezeichnen wir den gegenseitigen obligatorischen Vertrag, in welchem die Vertragschließenden die Leistung von Arbeit durch den einen und die Leistung von Entgelt durch den anderen vereinbaren." 5 Der hier angesprochene erste Abschnitt des 827 Selten umfassenden Bandes soll „das Wesen des Arbeitsvertrags, dessen gesetzliche Typen und den in der Folge maßgebenden Formunterschied" erörtern, Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 30. 6 Bei Lotmar findet sich nur die Formulierung „proletarische Arbeltsverträge" (Lotmar, Arbeltsvertrag, S. 22). Es heißt hier, daß bei der spezialrechtlichen Regelung des Arbeitsvertrags „die proletarischen Arbeitsverträge (wenn man sie so nennen darf) zu kurz" kämen. 7 Die Reichsgewerbeordnung (G.O.) regelte nicht generell den gewerblichen Arbeitsvertrag, sondern nur gesondert die gewerblichen Arbeitsverträge bestimmter Berufsgruppen, der Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker und Fabrikarbeiter (§§ 105-139m). Andere gewerbliche Arbeiter führte sie nicht auf.
Rezension
von: Lotmar,
Arbeitsvertrag
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Ferner aber läge eine entscheidende formale Schwierigkeit für jeden solchen Versuch in dem Umstand, daß, im Anschluß an das römische Recht, auch das Bürgerliche Gesetzbuch die abstrakten Kategorien „Dienstvertrag" und „Werkvertrag" aufgestellt und rechtlich geregelt hat8. Ihr Bereich durchschneidet sich mit demjenigen von mindestens einem Teil der anderweit gesetzlich geregelten konkreten Thatbestände; die rechtliche Regelung dieser letzteren durch Spezialgesetze ist ferner in sehr verschiedenem Maße vollständig1^; und schon die mangelhafte Definition, welche das Bürgerliche Gesetzbuch für die eine seiner Kategorien: den „Dienstvertrag", giebt, 9 schließt endlich auch die Möglichkeit aus, alle jene Spezialtypen gemeinsam mit denjenigen ähnlichen Thatbeständen, welche sonst das Leben bietet, als einfache Abwandlungen jener beiden abstrakten gesetzlichen Typen des bürgerlichen Gesetzbuchs zu erfassen. '' Es ist z. B. der Vertrag mit Heimarbeitern kein gewerblicher Arbeitsvertrag im Sinne der G.O. 10 (S. 311), 11 dagegen ist er „Arbeitsvertrag" nach des Verfassers Terminologie auch[,j wo der Arbeitnehmer den Stoff beschafft (S. 184.185); 1 2 problematisch bleibt, ob er als Dienstvertrag oder als Werkvertrag im Sinne des B.G.B. 13 zu behandeln ist oder keiner dieser Kategorien untersteht, worüber der Verf. im 2. Band sich äußern will (S. 311 unten). 1 4 |
8 Die Bestimmungen finden sich in den §§ 611 - 6 5 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896 (BGB/1896), das am I.Januar 1900 in Kraft trat. 9 Im §611 BGB/1896 heißt es: „Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Theil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet." 10 Siehe Anm. 7. 11 Obwohl Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 311, anerkennt, daß nach der Gewerbeordnung der Vertrag mit Heimarbeitern im strengen Sinne „kein gewerblicher Arbeitsvertrag" sei, schade es seiner Ansicht nach nicht, ihn faktisch „einzubegreifen, wo man vom gewerblichen Arbeitsvertrag spricht." 12 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 184, zitiert § 119b G.O., wonach unter Arbeitern auch diejenigen Personen verstanden werden, „welche für bestimmte Gewerbetreibende außerhalb der Arbeitsstätten der letzteren mit der Anfertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind, und zwar auch dann, wenn sie die Roh- und Hülfsstoffe selbst beschaffen." Danach seien Vereinbarungen mit Hausindustriellen und Heimarbeitern „ein Vertrag, und zwar ein Arbeitsvertrag und kein Kauf." 13 Wie Anm. 8. 14 Entsprechend seiner Ankündigung behandelt Lotmar in der Tat in dem 1908 erschienenen 2. Band seines Werkes die Komplexe Heimarbeit und gewerblicher Arbeitsvertrag sowie Heimarbeitsvertrag als Dienst- oder Werkvertrag eingehend. Lotmar, Philipp, Der Arbeitsvertrag. Nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches. In zwei Bänden, Band 2. Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S. 476-482, 676f„ 820ff., 838, 876, 880ff., 904, 910f.
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Rezension
von: Lotmar,
Arbeitsvertrag
Einen grundsätzlichen Ausweg aus dieser vom Verfasser gründlich und überzeugend dargelegten Situation findet er, - im Anschluß an eine auch von anderen geäußerte, aber nicht erschöpfend begründete Ansicht, - allein in der Herstellung eines rein wissenschaftlich zu gewinnenden juristischen „Überbaus" über den sämtliehen einzelnen abstrakten und konkreten gesetzlichen Typen, welche als solche auf den so zu findenden Gattungsbegriff zu reduzieren sind. 15 Nur auf diese Art - darin kann dem Verfasser nur beigepflichtet werden - kommt insbesondere auch der wissenschaftlich A 725 und gesetzgeberisch gleich sehr als Stiefkind | behandelte gewerbliche Arbeitsvertrag systematisch zu seinem Rechte. Dies, obwohl oder vielmehr gerade weil sich der so gewonnene Rechtsbegriff des Arbeitsvertrages gegen die Qualität und den Preis der bedungenen Arbeit ebenso indifferent verhält, wie gegen die ökonomische und soziale Lage der beteiligten Parteien (S. 60 ff.).16 „Arbeitnehmer" im Rechtssinn und „Arbeiter" im üblichen sozialpolitischen Sprachgebrauch sind selbstverständlich nicht identisch: im Rechtssinn ist der Norddeutsche Lloyd 17 ganz ebenso Arbeitnehmer gegenüber dem Passagier wie der Verleger gegenüber dem Autor 2 ) und der Fabrikarbeiter gegenüber dem Fabrikanten. Wer, wie es mißverständlich geschieht, in dem darin sich äußernden Formalismus der juristischen Begriffsbildung den Grund des vielbeklagten „unsozialen" Charakters des geltenden Privatrechts oder der besteA 725
2 ' Ich will n i c h t v e r h e h l e n , d a ß m i r d i e A u f f a s s u n g d e r Ü b e r t r a g u n g d e s V e r t r i e b s seit e n s d e s A u t o r s (= d e r E r w e r b s g e l e g e n h e i t ) als Arbeitsentgelt des Verlegers der N a t u r des V e r h ä l t n i s s e s G e w a l t a n z u t h u n s c h e i n t , s u s p e n d i e r e a b e r m e i n d e f i n i t i v e s U r t e i l bis z u m Erscheinen des zweiten Bandes.
15 In seiner Einleitung betont Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 28f., als wichtiges „Merkmal der f o l g e n d e n Untersuchung [..,], daß sie systematisch bei der Gattung .Arbeitsvertrag' stehen bleibt." Dies bedeute, daß die v o r k o m m e n d e n Arten von Arbeitsverträgen nicht gesondert und nacheinander dargestellt werden. Vielmehr kommen hier „alle Typen des Arbeitsvertrags, die als solche von den Quellen d a r g e b o t e n werden, zur Sprache, aber keiner ex professo und in dem Z u s a m m e n h a n g der Regelung, den das Gesetz g e g e b e n hat. Diese Regeln liefern vielmehr die Bausteine für ein die Typen ü b e r r a g e n d e s Ganzes." 1 6 Lotmar, Arbeitsvertrag, behandelt auf den Seiten 6 0 - 6 8 die Begriffe „Arbeitgeber" und „Arbeitnehmer". Auf S . 6 3 heißt es dabei explizit: „Arbeitgeber oder Arbeitnehmer können einander g e g e n ü b e r s t e h e n u n a b h ä n g i g von den socialen oder ökonomischen Positionen, w e l c h e die so Bezeichneten an sich oder gegenseitig innehaben." 1 7 Der 1857 g e g r ü n d e t e „ N o r d d e u t s c h e Lloyd" war um die J a h r h u n d e r t w e n d e die größte Dampfschiffahrtsgesellschaft der Welt..
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henden Rechtspflege 3 ' sucht, greift weit fehl. Nicht unformale, „positive" Begriffe, sondern passend spezialisierte Rechts normen und unbefangene, sich streng an die Norm und damit auch an die Form „die Zwillingsschwester der Freiheit" - 1 8 bindende Rechtsprechung thun not. 4 ' Die juristische Wissenschaft kann dagegen dem Ziele einer zeitgemäßen legislatorischen und jurisdiktioneilen Behandlung der Interessen der Arbeiterklasse dadurch und nur dadurch den Weg ebnen, daß sie 1) die Thatsachen des Lebens und damit die praktische Bedeutung der Rechtsnormen, sowohl der bestehenden als anderer als möglich zu konstruierender, unbefangen und unter möglichster Vermeidung vorschneller Werturteile erfaßt, und 2) die einmal bestehenden Rechtsnormen nach ihrer formalen Methode logisch bearbeitet und dadurch ihre Anwendung der Willkür entzieht, auch derjenigen Form der Willkür, welche sich in das Gewand sozial-
3) D i e Frage der B e r e c h t i g u n g dieser B e s c h w e r d e bleibt hier ganz dahingestellt. Vergleiche d a r ü b e r A[nton] Menger, D a s bürgerliche R e c h t und die besitzlosen Volksklassen. 1 9 4) H i e r m i t scheint im E r g e b n i s auch M e n g e r a. a. O. einverstanden, trotz m e h r f a c h e r im E i n z e l n e n nicht substanziierter B e m e r k u n g e n gegen d e n „Formalismus" des g e l t e n d e n Privatrechts. Vgl. seine B e m e r k u n g e n ü b e r die b A n a l o g i e , a. a. 0.b S. 25. 2 0 j
b A: Analogie. a.a.O.
18 Diese Formulierung findet sich bei Jhering, Rudolph von, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, 3., verb. Aufl. - Leipzig: Breitkopf und Härtel 1875. Hier heißt es auf S. 471: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit." 19 Menger, Das bürgerliche Recht. Menger, Professor für Zivilprozeßrecht in Wien, wirft darin dem BGB-Entwurf vor, daß er einseitig die Besitzenden begünstige. Dies ergebe sich aus seinem technischen Charakter, der anwaltliche Hilfe nötig mache und damit die besitzlosen Klassen in der Verfolgung ihrer Rechte behindere. 20 Gemeint ist hier eine Passage bei Menger, Das bürgerliche Recht, S.23. Sie befaßt sich mit einer zweckmäßigen Reform des Zivilprozeßrechts sowie mit der Abschaffung der analogen Rechtsprechung. Die analoge Rechtsprechung findet Anwendung, wenn für einen bestimmten Sachverhalt kein Gesetz vorhanden ist und dafür andere Rechtsnormen, die für ähnliche Sachverhalte gelten, herangezogen werden. Nach Menger führt dies zu einer Benachteiligung der „Armen und Ungebildeten" bei der Wahrnehmung ihrer Rechte. Um diesen Schichten juristische Kenntnisse „auf eine ihnen zugängliche Weise zu verschaffen", solle die analoge Rechtsanwendung beseitigt werden. Dann, so die Meinung Mengers, „würde es dem Richter auch nicht schwer fallen, allen Staatsbürgern das geltende Recht zu weisen."
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von: Lotmar,
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ethischer Erwägungen kleidet. Mögen solche in einem einzelnen Fall einmal den Interessen der Arbeiterschaft zu gute kommen, so ist - die Erfahrung der letzten Jahre hat uns das genügend gelehrt nichts sicherer, als daß sie bei dem sozialen Milieu, welches den Berufsjuristen umgiebt und mit dem für absehbare Zeit zu rechnen 5 ist, auf die Dauer ganz anderen Interessen dienstbar werden. | A 726 Der vom Verfasser zugrunde gelegte privatrechtliche Thatbestand des Arbeitsvertrages5) - Zusage von Arbeit gegen Entgelt - 2 1 erscheint an sich recht einfach. Allein der Versuch, die positiven A 726
5 ' Die Bedeutung der Aufstellung dieser Kategorie liegt nicht zuletzt auch in der Beseitigung der Subsumtion des Arbeitsvertrages unter die Miete. Hier einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Verfassers. Daß die prinzipielle Scheidung von der Miete sich schon dadurch ergäbe, daß die Arbeit durch Gebrauch „aufgebraucht" werde (S. 49) und nicht zurückerstattet werden könne, die Miete aber auf res quae usu consumuntur nicht anwendbar sei, 22 dieser Ansicht wird kaum zugestimmt werden können. Wenn L[otmar] als Gegensatz die unzweifelhaft vermietbare Wasserkraft anführt, 2 3 so liegt die Sache hier bezüglich der einmal hinab gelaufenen Wassermengen ebenso, nicht anders auch bezüglich der einmal abgelaufenen Zeitspanne beim Vermieten eines Hauses. Vielmehr entscheidet der auch vom Verfasser hervorgehobene Umstand, daß die „vermietete" Arbeitskraft nach unsrer heutigen Anschauung nicht in Detention und usus des „Mieters" derselben übergeht. 24 Daß die Auffassung des antiken Rechtes hier eine andre war, erklärt sich aus der geschichtlichen Herkunft des freien Arbeitsvertrages.Temporäre Begründung von Arbeitsverhältnissen geschieht in der ältesten Zeit - worüber uns die Keilschriften, die indischen Dramen und noch der rudimentäre Rest, der im römischen mancipium 25 in die historische Zeit hineinragt, belehren - entweder als Kauf von Unfreien (des fremden Kindes oder Sklaven), oder als Miete derselben, also von Sachen: dergestalt, daß z. B. in den
21 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 1, definiert bereits in der Einleitung den Arbeitsvertrag kurz als einen zweiseitigen Vertrag, „in welchem Arbeit gegen Entgelt versprochen wird." Zur Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags siehe oben, S. 38, Anm, 4. 22 Lotmar, Arbeltsvertrag, S. 49, hebt hervor, daß menschliche Arbeltskraft und menschliche Arbeit nicht Miet- oder Pachtobjekte sein können, weil sie „durch den G e b r a u c h und werden." Weil das Mlet- und Pachtobjekt z u r ü c k g e g e soweit dieser reicht, aufgebraucht ben werden müsse, können nur unverbrauchbare Dinge G e g e n s t a n d von Pacht oder Miete sein. Gebrauchte menschliche Arbeit könne j e d o c h nicht z u r ü c k g e g e b e n werden. Weber verwendet hier d e n lateinischen Rechtsgrundsatz aus den Digesten XIII, 6, 3, w o n a c h nichts verliehen werden kann, was durch G e b r a u c h verbraucht wird. 23 Bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 49, heißt es: „Die Wasserkraft eines Baches oder Flusses gilt als mietbar, well sie durch den G e b r a u c h nicht verbraucht wird." 24 Daß man Menschen g e g e n ü b e r dabei bleiben müsse, „daß nur der Inhaber der Arbeitskraft selber diese seine Arbeitskraft gebrauchen, d. h. in Arbelt umsetzen könne", ist für Lotmar, Arbeltsvertrag S . 4 9 f . , unbestritten. Der Arbeltgeber dürfe die menschliche Arbeltskraft nicht In d e m Sinne g e b r a u c h e n wie der Mieter die Sache. 25 Unter „ m a n c i p i u m " versteht man ein rechtsförmlich b e g r ü n d e t e s Gewaltverhältnis über einen freien römischen Bürger, d e m sich dieser z. B. w e g e n eines von ihm verursachten Schadens (noxa) unterwerfen mußte.
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Rechtsnormen, denen er untersteht, systematisch zu entwickeln, stößt auf ein unentwirrbar scheinendes Durcheinander überall hin verzettelter gesetzlicher Details, welche zunächst einer vom Verfasser mit großer Sorgfalt vorgenommenen Umschichtung und Neuan5 Ordnung bedurften. Der Arbeitsvertragsbegriff des Verfassers schneidet dabei gelegentlich gesetzliche Typen durch: so den Hinterlegungsvertrag des B.G.B.,26 der unter die Arbeitsverträge nur im Fall der c [allerdings gesetzlich präsumierten] 0 Entgeltlichkeit fällt. 27 Er weist ferner die unentgeltlichen Arbeitsverhältnisse 10 grundsätzlich ab. 28 Die praktische Bedeutung dieser Scheidung ist nicht allzu groß.6) Der systematische Grund liegt für den Verfasser
Keilschriften das Mieten eines freien Arbeiters in dem Vertragsschema der Miete eines fremden Sklaven untergebracht und als Miete des Arbeiters von ihm selbst als Vermieter bezeichnet und als temporäre Versklavung rechtlich behandelt wird.29 6) Es fällt nach dem Verfasser z. B. das Volontärverhältnis mangels Entgeltlichkeit aus dem Bereich des Arbeitsvertrages heraus.30 Ebenso das unentgeltliche Auftragsverhältnis
c
[ ] in A.
26 Der Hinterlegungs- bzw. Verwahrungsvertrag wird in den § § 6 8 8 - 7 0 0 BGB/1896 behandelt. Durch den „Verwahrungsvertrag wird der Verwahrer verpflichtet, eine ihm von d e m Hinterleger ü b e r g e b e n e bewegliche Sache aufzubewahren" ( § 6 8 8 BGB/1896). 27 Bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 35, heißt es: „[...] derjenige Verwahrungsvertrag Ist kein Arbeitsvertrag, In w e l c h e m die A u f b e w a h r u n g unentgeltlich ü b e r n o m m e n wird. Die Leistung der A u f b e w a h r u n g kann g e g e n Entgelt versprochen werden, und solchenfalls Ist ein Arbeltsvertrag g e g e b e n . " 28 Dies leitet sich aus d e m für Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 32, wesentlichen Inhalt des Arbeltsvertrags ab, nämlich der Vereinbarung von Arbelt und Entgelt. Vgl. dazu Anm. 4 und 21.
29 Wie aus den Keilschriften hervorgeht, g a b es Im babylonischen Recht das System der Mietsklaverei, das als Folge des Sklavenmangels entstanden sein dürfte. Vor allem während der Erntezeit boten sich auch freie Arbeiter für eine bestimmte Zeit als „Mietsklaven" an. Die Dienstmietverträge folgten dabei sowohl für die Miete eines Unfreien als auch für die eines Freien d e m gleichen Muster. Im ersten Fall trat als Vermieter der Besitzer des Unfreien (oder der Vormund des unmündigen Kindes), im zweiten Fall der Arbeiter als Vermieter seiner selbst auf. Während der Mietzeit hatten die Freien die gleichen Pflichten wie die gewöhnlichen Sklaven, wurden aber rechtlich nicht als Sache betrachtet. Vgl. hierzu: Meissner, Bruno, Beiträge zum altbabylonischen Privatrecht, In: Assyrlologlsche Bibliothek, hg. von Friedrich Delitzsch und Paul Haupt, Band XI. - Leipzig: J . C . Hlnrlchs'sche B u c h h a n d l u n g 1893, S . 6 f . , 10f. und 5 1 - 5 6 . 30 Bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 34f., heißt es: „Den Volontär macht nicht die Freiwilligkeit [...], sondern die Unentgeltlichkeit der Arbeit."
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A 727 in | dem Bedürfnis, den Arbeitsvertrag ausschließlich auf dem Gebiet der synallagmatischen Verträge zu erhalten.31 Es ist nun dem Verfasser nicht zu bestreiten, daß das juristische Interesse am Arbeitsvertrag wesentlich in den Beziehungen von Arbeit und Entgelt zueinander gipfelt. Das allein würde aber die Ausschließung der 5 unentgeltlichen Arbeitsverhältnisse vielleicht noch nicht unbedingt
des B.G.B. 32 Unterliegt dies keinen wesentlichen praktischen B e d e n k e n , so wird m a n daran zunächst A n s t o ß nehmen, d a ß der Aufbewahrungsvertrag, je nachdem er entgeltlich oder unentgeltlich geschlossen wird, Arbeitsvertrag sein soll o d e r nicht. Indessen ist eine solche Scheidung, welche im positiven deutschen Recht allerdings wesentlich nur für die Bestimmung der pflichtmäßigen Sorgfalt des Verwahrers B e d e u t u n g hat, an sich alt und in A 727 den verschiedensten | Rechten vollzogen (vgl. z. B. die große Tragweite des Unterschiedes im Talmud). - 3 3 Klar und zutreffend ist vom Verfasser die Scheidung zwischen dem G e sellschaftsvertrag und partiarischen Arbeitsverhältnissen durchgeführt (S. 401). 34 Es entscheidet das Vorhandensein oder Fehlen einer Vermögensgemeinschaft (B.G.B. 718. 722). 3 5 |
31 Unter „synallagmatischen Verträgen" versteht man solche zweiseitigen Verträge, bei denen Leistung und Gegenleistung sich wechselseitig bedingen. Mithin entsprechen sie genau dem, was Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 32, unter einem Arbeitsvertrag versteht, nämlich einen „gegenseitigen obligatorischen Vertrag, in welchem [...] die Leistung von Arbeit durch den einen und die Leistung von Entgelt durch den anderen" vereinbart werden. Siehe hierzu oben, S. 38 und 42, Anm. 4 und 21. 32 Nach Lotmar, Arbeltsvertrag, S.35, ist auch der Auftrag (§662 BGB/1896), weil unentgeltlich, kein Arbeitsvertrag. Hier „verspricht der Beauftragte, das ihm übertragene Geschäft unentgeltlich zu besorgen [...]. Der Auftraggeber kann als solcher keinen Entgelt für die Arbeit des Beauftragten zusagen." 33 Der babylonische Talmud befaßt sich im zweiten Traktat der vierten Ordnung im dritten und sechsten Kapitel mit dem zum Aufbewahren Gegebenen bzw. der Verantwortlichkeit und dem Pfand für das, was man in Verwahrung hat. Hier wird die, aus dem jeweiligen Status resultierende, unterschiedliche Ersatzpflicht des „unentgeltlichen Hüters" und des „Lohnhüters" geregelt. 34 Richtig ist: S. 40f. Es heißt hier: „Das Dasein oder Fehlen einer auf Vermögensgemeinschaft gerichteten Willenserklärung entscheidet die Frage, ob ein Gesellschaftsvertrag gegeben ist, oder ein partiarischer Arbeitsvertrag, d. h. ein Arbeitsvertrag, bei dem eine Quote des Ertrages, oder des Gewinnes als Entgelt ausbedungen ist." 35 § 718 BGB/1896 lautet: „Die Beiträge der Gesellschafter und die durch die Geschäftsführung für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände werden gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter (Gesellschaftsvermögen). Zu dem Gesellschaftsvermögen gehört auch, was auf Grund eines zu dem Gesellschaftsvermögen gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstandes erworben wird." §722 BGB/1896 besagt: „Sind die Antheile der Gesellschafter am Gewinn und Verluste nicht bestimmt, so hat jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Art und die Größe seines Beitrags einen gleichen Antheil am Gewinn und Verluste. Ist nur der Antheil am Gewinn oder am Verluste bestimmt, so gilt die Bestimmung im Zweifel für Gewinn und Verlust."
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erzwingen. Vielmehr war doch wohl entscheidend, daß nach der Methode des Verfassers auch die systematische Gliederung des Arbeitsvertrages an jene Beziehung allein anknüpfen kann. Der formale und zu scharfer disjunktiver Begriffsbildung geneigte Standpunkt des Verfassers macht sich nämlich auch bei der Frage der Arteinteilung des Arbeitsvertrages geltend. Der Verfasser fragt zunächst - und das mit Recht - auch hier (S. 342-43 cf. auch S. 323 f. insbes. 328) lediglich nach den im logischen Sinne „reinen" Thatbeständen, wie sie „das Leben" - d.h. hier: nicht die Gesetze - liefert^ und gelangt dabei zu völligem Absehen von den, für die Feststellung des Begriffs „Arbeitsvertrag" von ihm lediglich als Erkenntnismittel verwerteten, gesetzlichen Typen. Er ist der Ansicht, daß als artbildendes Merkmal weder die Art der Arbeitsleistung noch die Art des Entgelts, sondern lediglich die Art der Beziehung beider zueinander in Frage komme: Zeitlohn oder Akkord. 36 Es versteht sich, daß über den wissenschaftlichen Wert einer Arteinteilung nur das dadurch erzielte Ergebnis an wissenschaftlicher Erkenntnis entscheiden kann. Da die Ausführung der Konsequenzen jener vom Verfasser ausschließlich zugrunde gelegten Einteilung und die systematische Erörterung beider Kategorien dem 2. Band 37 überwiesen ist, auf den der Verfasser selbst wiederholt verweist, so wird erst, wenn dieser vorliegt und der Verfasser die Früchte seiner Systematik erntet, ein endgültiges Urteil möglich sein. Erst dann wird insbesondere sich zeigen müssen, ob thatsächlich auch bei den keineswegs vereinzelt vorkommenden Kombinationen von Zeitlohn und Akkord sich dennoch immer - wie der Verfasser sich nicht ganz klar ausdrückt: - „das Walten der einen und der anderen Form aufzeigen
36 Von der Frage a u s g e h e n d , wie man Arbeitsverträge einteilen und verwandte Typen zusammenfassen könne, führt Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 3 2 8 - 3 4 4 , die beiden Grundformen „Zeitlohnvertrag" und „Akkord" ein. Denn diese Formen stellten „reine Thatbestände dar, wie sie das Leben liefert." Weil eine solche Einteilung gerade nicht von den gesetzlichen Typen ausgehe, sei sie „wie keine andere geeignet, einer juristischen Untersuchung des Arbeitsvertrags zum Leitfaden zu dienen." Ebd., S. 342. 37 Von den vier Abschnitten des 1908 erschienenen zweiten Bandes befassen sich die ersten drei (VII !X) mit d e m Zeitlohnvertrag, d e m Akkord und mit der Kombination beider Grundformen, während der vierte (X) die Rechtsstellung dieser Grundformen und ihrer Kombination bestimmt, d. h., wie Lotmar in der Einleitung des zweiten Bandes, S. 1, darlegt, „die für die Rechtsprechung [...] entscheidende Frage beantwortet, wie sie sich zu den umfassendsten gesetzlichen Typen des Arbeitsvertrags, nämlich zu Dienstvertrag und Werkvertrag verhalten."
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läßt" derart, daß der Artgegensatz in seiner Reinheit erhalten bleibt. 38 Auf die Einzelheiten des ersten Abschnittes 3 9 einzugehen ist hier nicht möglich, und auch aus dem eben erwähnten Grunde noch nicht wünschenswert. Hingewiesen sei daher nur noch auf die vom 5 Verfasser schon in anderen Arbeiten vertretene weite Ausdehnung des Begriffs der Moralwidrigkeit,40 welche, so sehr man vielem zuzustimmen geneigt sein wird, kaum durchweg auf den Beifall der Rechtsprechung wird zählen dürfen. Als moralwidrig und daher A 728 nichtig sieht er - um | Einzelnes hervorzuheben - nicht nur den Ver- 10 trag mit Claqueurs und Privatdetektivs an (S. 109-110), 4 1 sondern auch das kontraktliche Verbot des Beitritts zu Fachvereinen 42 und die Zumutung eines Arbeitgebers an seine Arbeiter, Strikebrecherarbeit zu leisten (S. 118-119). 4 3 Danach muß aber z.B. auch der
38 Bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 339, heißt es über den Akkord und den Zeitlohnvertrag, daß durchaus „Arbeitsverträge vorkommen, welche beide Formen nebeneinander zeigen. Gerade daß bei solchen Kombinationen das Walten der einen und der anderen Form aufgezeigt zu werden vermag, liefert die stärkste Probe von der Reinheit des Gegensatzes," 39 Im ersten Abschnitt behandelt Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 32-344, in acht Kapiteln die Bereiche „Begriff und Terminologie", „Arbeit", „Entgelt", „Sachleistung neben Arbeit", „Unwesentlicher Inhalt. Herkunft des Inhalts. Verhältnis der Rechtsfolgen zum Inhalt", „Eingehung", „Gesetzliche Typen" sowie „Grundformen". 40 Lotmar, Arbeitsvertrag, befaßt sich u. a. auf S. 115ff. mit der Frage der „moralwidrigen Arbeit". Die Vereinbarung einer solchen habe die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags zur Folge. Denn wenn nach § 138 BGB/1896 „ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, [...] nichtig" sei, so gelte dies auch für eines, „von dessen Thatbestand die Zusage einer gegen die guten Sitten verstoßenden Arbeit einen Teil bildet." Mit der „Moralwidrigkeit" von Verträgen hat sich Lotmar bereits in früheren Arbeiten beschäftigt. Vgl. hierzu Lotmar, Unmoralischer Vertrag, sowie Lotmar, Tarifverträge, insb. S. 42-67. 41 Die richtige Seitenangabe lautet: S. 115f. Lotmar ist der Ansicht, daß „die Beifallsbezeigung, die unter dem falschen Schein des Spontanen und der inneren Teilnahme erfolgt, [...] wohl als moralwidrige Handlung betrachtet werden" müsse (Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 115). Auch die Tätigkeit des Privatdetektivs, „insofern sie darin besteht, anderer Leute Vorleben ohne wissenschaftliche Zwecke auszukundschaften, oder ihre Lebensführung zu überwachen, dürfte moralisch anstößig sein" (ebd., S. 116). 42 Dazu Lotmar, Arbeitsvertrag, S.218, Anm. 1: „Die [...] Erörterung der Rechts- und der Moralwidrigkeit konnte nicht umhin, auch manche [...] Bestimmung des Arbeitsvertrags in Hinsicht auf Recht und Moral zu behandeln [...]. Eine beim gewerblichen Arbeitsvertrag nicht selten getroffene hierher gehörige Bestimmung besteht in der Ausbedingung, daß der Arbeitnehmer den Berufsvereinen seines Fachs fern bleibe." 43 Die entsprechende Passage bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 118, behandelt die Frage der sog. Streikarbeit, d. h. „Arbeiten, die infolge der Arbeitsniederlegung von Koalitionsgenossen deren früherer Arbeitgeber nicht ausführen zu lassen vermag". Werde den
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Arbeits vertrag mit „Arbeitswilligen" im Strikefall, ebenso aber auch die Arbeitsverträge mit einzelnen Arbeitgebern, welche die Forderungen der Strikenden erfüllen, während andere sie ablehnen, und das Weiterarbeiten der von einer partiellen Sperre nicht betrof5 fenen Betriebe moralwidrig sein, - Konsequenzen, die Lotmar doch kaum wird ziehen können, 7 ) obwohl er z. B. nicht vor der Feststellung zurückschreckt, daß ein großer Teil unserer Produktion auf nach § 138 B.G.B. (Wucherparagraph) 44 ausbeuterischen und daher
7)
Wenn aber doch, dann wäre es wünschenswert gewesen, daß er die Konsequenzen bis A 728 aufs letzte ausdrücklich gezogen hätte. Dieselben sind nämlich keineswegs an sich widersinnig, sie führen nur m. E. auf Aufgaben, welche die Rechtspflege nicht lösen kann. Denn die praktische Folge jener Anwendung des Begriffs der Moralwidrigkeit auf Verletzung von Klasseninteressen würde sein müssen: daß in jedem Fall einer Arbeitsstreitigkeit gültige Arbeitsverträge weiterhin nicht eingegangen und die Ausführung der noch laufenden nicht erzwungen werden kann. Mit anderen Worten: das Zivilrecht wird gewissermaßen wegen Ausbruchs eines sozialen Kriegszustandes auf dessen Dauer in seiner Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis innerhalb des Gebiets der Arbeitseinstellung sistirt, ähnlich wie etwa die Thätigkeit des Arbeitsnachweises. 45 Damit entsteht der Zwang, zur Herstellung des Normalzustandes von Klasse zu Klasse zu verhandeln. Das Vorhandensein juristisch legitimierter Organisationen wäre aber dann offenbar absolute Voraussetzung dafür, daß überhaupt im Rechtssinn eine Beendigung dieses Zustandes eintreten könnte. Praktisch kämen wir damit nicht etwa nur zur gesetzlichen Anerkennung der Koalitionen im gewöhnlichen Sinne dieser Forderung, sondern bei konsequenter Lösung zur Zwangsorganisation der beiden beteiligten Parteien. Dies zeigt m. E. deutlich genug, daß die ethischen Aufgaben, welche der Verfasser hier der Rechtspflege stellt, thatsächlich solche der Gesetzgebung sind, - einer Gesetzgebung, die in weiter Zukunft liegt.
Arbeitern eines anderen Betriebes „diese Ausführung von ihrem Arbeitgeber zugemutet," so w e r d e von ihnen damit eine Arbeit verlangt, „die sie ohne Verletzung einer allgemeinen Moralpflicht nicht leisten können." 44 § 1 3 8 BGB/1896 hat unter der Überschrift „Unsittlichkeit, Wucher" folgenden Inhalt: „Ein Rechtsgeschäft, das g e g e n die guten Sitten verstößt, Ist nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das J e m a n d unter A u s b e u t u n g der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvortheile versprechen oder gewähren läßt, welche den Werth der Leistung dergestalt übersteigen, daß den U m s t ä n d e n nach die Vermögensvortheile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen." 45 Die Arbeitsnachweisstellen dienten der Arbeitsvermittlung. Ursprünglich wurde die Stellenvermittlung vor allem privatgewerblich betrieben; g e g e n Ende des 19. Jahrhunderts g i n g sie z u n e h m e n d in die Hände von K o m m u n e n oder gemeinnützigen Vereinen über.
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nichtigen Arbeitsverträgen ruhe (S. 171 und 172 46 ). 8 ' So sympathisch L[otmar]'s sozialpolitische Gesinnung in solchen Ansichten zu Tage tritt, so wird er sich selbst nicht verhehlen, daß zur Übertragung seiner Auffassungen in das Gebiet der Rechtspraxis 729 heute grundstürzende | Änderungen des ganzen Charakters unserer Rechtspflege, namentlich die Beseitigung ihrer formalistischen 47 Grundlage, m. a. W. Übergang zur „Kadijustiz " vorausgesetzt wer-
8) So zweifellos die Anwendbarkeit des § 138 auf das Gebiet des Arbeitsvertrages ist, so zweifelhaft ist es, welche Früchte seine Verwertung im Sinne des Verf. tragen würde. Voraussetzung ist, daß die Vermögensvorteile des Arbeitgebers im auffälligen Mißverhältnis zur Leistung des Arbeiters stehen. Grade in den sozialpolitisch bedenklichsten Fällen aber, bei Schmarotzer-Industrien mit Heimarbeit, zumal w o der Zwischenmeister rechtlich als Arbeitgeber erscheint, 4 8 ist dies sehr häufig nicht der Fall. |
46 Für Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 171 f., ist der objektive und subjektive Tatbestand des § 138, Abs. 2 BGB/1896 auf dem Gebiet des Arbeitsvertrags da erfüllt, „wo die Nationalökonomie von Hungerlöhnen spricht. Diese bilden so wenig eine seltene Erscheinung, daß sich vielmehr sagen läßt, ein großer Teil der heutigen wirtschaftlichen Produktion bestehe im Vollzug nach § 138 Abs. 2 nichtiger Arbeitsverträge." 47 Der Begriff „Kadijustiz" kommt auch in Webers späterem Werk - vor allem in „Wirtschaft und Gesellschaft" - immer wieder vor. Dort weist Weber die Prägung des Terminus dem Freiburger Zivilprozeßrechtler Richard Schmidt zu. In dessen „Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts" von 1898 heißt es: „Von hier aus ist vor allem zu dem seit der Aufklärungszeit immer wieder auftauchenden Vorschlag der Laien oder ungebildeten Juristen Stellung zu nehmen, den formellen Civilprozeß mehr und mehr durch ein formfreies, patriarchalisches, alles oder möglichst viel dem Scharfsinn und Gerechtigkeitsgefühl des einzelnen Richters [...] überlassendes Verfahren zu ersetzen, - überhaupt zu der Meinung, als sei eine ,Kadi'- oder Paschajustiz, eine den .gesunden Menschenverstand' des Richters möglichst entfesselnde Rechtspflege das anzustrebende Ideal." Schmidt, Richard, Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts. - Leipzig: Duncker & Humblot 1898, S.8. 48 Gemeint ist hier eine vor allem in der Konfektionsindustrie eingetretene Entwicklung, in deren Verlauf sich zwischen den Verleger und den Heimarbeiter zunehmend der Zwischenmeister schob. Dieser empfing Aufträge vom Unternehmer und ließ sie auf eigene Gefahr und Rechnung ausführen. Dazu beschäftigte er in kleinen Werkstätten billige, meist ungelernte Arbeiter und Arbeiterinnen, unter denen eine Art Arbeitsteilung durchgeführt wurde. Insofern war er Arbeitgeber. Zum Ende des 19. Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die vor allem aus sozialpolitischen Motiven, insbesondere solchen des Arbeiterschutzes, die Abschaffung der hausindustriellen Betriebsform forderten. Zu ihnen zählte auch Alfred Weber, der für die Hausindustrie eine Zukunft nur „als Schmarotzer an der Lebenshaltung des alten Handwerksmeisters" vorhersagte und also ihr allmähliches Verschwinden als „kein Schade" empfand. Weber, Alfred, Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweatingsystem in der Konfektionsindustrie, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 21. Jg., 1897, S. 271-305, ZitatS. 304.
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den müßten. Das Richterpersonal unserer ordentlichen Gerichte erscheint für eine derartige Aufgabe nicht qualifiziert; wo es sich, freiwillig oder unter dem Zwang schlechter Redaktion der Gesetze, derselben bemächtigt hat, ist das Ergebnis 9 ' bisher wenig erfreulich 5 gewesen. Selbst die Gewerbegerichte 49 aber würden bei so weittragenden Versuchen nur den Ast absägen, auf dem sie selbst sitzen. Das Problem des Minimallohns ist vermittelst unserer Rechtspflege, und wohl auf dem Wege der Rechtspflege überhaupt, nicht lösbar, und richterliche Instanzen, die es dennoch versuchten, würden au10 genblicklich in den Strudel des Klassenkampfes gerissen, ihres Charakters als Instanz über den Parteien entkleidet und betreffs ihrer Zusammensetzung und Parteistellung Gegenstand des politischen Machtkampfes. Es hat seinen guten Grund, daß die Funktion des Gewerbegerichtes als Einigungsamt auf die Regelung zukünftiger 15 Arbeitsbedingungen beschränkt ist. Die Arbeiterschaft hat unter unseren Verhältnissen m.E. allen Anlaß, sich zunächst auf die auch heute noch nicht erfüllte Forderung zu beschränken, daß ihr formal
Man denke an die unglaubliche Judikatur des Reichsgerichts in Börsenangelegenheiten.50
49 Bei den Gewerbegerichten handelt es sich um durch Reichsgesetz vom 29. Juli 1890 eingesetzte besondere Gerichte, die für eine schnelle und sachkundige Entscheidung von aus dem gewerblichen Arbeits- oder Lehrvertrag resultierenden Streitigkeiten zuständig waren. Sie mußten errichtet werden in Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern und bestanden aus dem juristisch vorgebildeten Vorsitzenden und verschiedenen Beisitzern, die sich zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern rekrutierten. Die Gewerbegerichte konnten zur Vermeidung eines Streits auch als sog. „Einigungsämter" angerufen werden. 50 Max Weber spielt auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts nach Inkrafttreten des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 an. Mit dem Börsengesetz war der börsenmäßige Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten und in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen verboten worden. Das Reichsgericht legte jedoch in seinen Urteilen vom 12. Oktober 1898, 28. Oktober 1899 und I.Oktober 1900einzelne Bestimmungen des Börsengesetzes unterschiedlich aus und behandelte daher auch handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte als börsenmäßige Termingeschäfte. Es ging damit über die Absicht des Gesetzgebers, nur einzelne Waren oder Wertpapiere vom börsenmäßigen Terminhandel auszuschließen, weit hinaus. Daß die unterschiedlichen Formulierungen im Börsengesetz Rechtsunsicherheit provozieren würden, hatte Max Weber schon in seinem 1897 erschienenen Artikel Börsengesetz, in: HdStW1, 2. Supplementband, S. 222-246, hier S. 244 (MWG I/5), ausgeführt.
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gleiches Recht unter Beiseitelassung aller Kautschukparagraphen51 - auch der möglicherweise zu ihren Gunsten verwertbaren - zugemessen werde.10) I
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Obige Ausführungen wollen nicht etwa als eine „Widerlegung" Lotmars betrachtet sein. Es ist durchaus zuzugeben, daß wenn man mit dem § 138 Absatz 2 B.G.B. 52 in auch nur annähernd ähnlicher Weise „Ernst macht" wie das Reichsgericht mit dem Begriff des „groben Unfugs" 5 3 oder wie Reichsgericht und Oberverwaltungsgericht mit gewissen anderen Bestimmungen unserer Gesetze, man schließlich zu den Konsequenzen des Verfassers und, wie gezeigt, noch darüber hinaus gelangen muß. Es ist nur begreiflich, wenn der Verfasser hier Einseitigkeit der Einseitigkeit entgegenstellt. Und - um auf die Erörterungen der vorigen Anmerkung 5 4 nochmals zurückzugreifen - nachdem der Gedanke aufgetaucht war, den psychischen Zwang zum Streik mit entehrenden Strafen zu belegen, 5 5 ist
51 Gemeint sind hier dehnbare Rechtsnormen, die dem persönlichen Belieben und Empfinden des Richters großen Raum bei der Urteiisfindung lassen. Der Ausdruck wurde kreiert von dem freisinnigen Reichstagsabgeordneten Eduard Lasker in seiner Reichstagsrede vom 3. Dezember 1875 anläßlich der ersten Lesung des „Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergänzung desselben" in: Sten.Ber., Band 38, S. 386-399, hier S. 392. 52 Zu § 138, Abs. 2 BGB/1896 siehe oben, Anm. 46. 53 „Grober Unfug" wurde in der 1902 gültigen Fassung des Strafgesetzbuchs in §360, Nr. 11 zwar mit Strafe bedroht, jedoch nicht definiert. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nach dem neuesten Stande. Nebst Anhang, enthaltend die wichtigsten strafrechtlichen Nebengesetze. Mit Einleitung, Anmerkungen und Register von Dr. Julius von Staudinger, 8. durchges. und erg. Aufl. - München: C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung 1902. In der Rechtsprechung setzte sich die Auffassung durch, daß unter „grobem Unfug" eine Handlung zu verstehen sei, die „unmittelbar gegen den äußeren Bestand der öffentlichen Ordnung gerichtet, das Publikum zu gefährden oder zu belästigen geeignet Ist." Zahlreiche Urteile von Landes- und Oberlandesgerichten sowie des Reichsgerichts legten den Begriff des „groben Unfugs" im Sinne des Schutzes patriotischer, politischer und religiöser Interessen aus, so daß in der zeitgenössischen Fachliteratur kritisiert wurde, er werde zur „allgemeinen subsidiären Strafvorschrift für jedes moralische Unrecht erhoben, dessen strafrechtliche Sühne dem Gericht wünschenswerth erschien." Conradi, Albert, Die „lex Heinze" und der „Grobe Unfug". Ein Mißtrauensvotum für den deutschen Richterstand, in: Preußische Jahrbücher, Band 100, 1900, S. 481 - 4 8 8 , hier S. 483 und 486. 54 Gemeint ist hier Fußnote 7, S. 47. 55 Max Weber bezieht sich hier offensichtlich auf die sog. „Zuchthausvorlage", d. h. den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses", der dem Reichstag am 26. Mai 1899 zuging. Vgl. Sten.Ber., Band 174, S. 2238-2248. Da, wie es in der Begründung des Entwurfs (ebd., S. 2239-2246) heißt, „bei den Arbeitskämpfen der letzten Jahre [...] in steigendem Umfange zur Anwendung physischen oder psychischen Zwanges gegriffen worden" sei, bedrohte der Entwurf denjenigen mit „Gefängnis bis zu Einem Jahre", der „durch körperlichen Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder Verrufserklärung [...] Arbeitnehmer zur Theilnahme an Vereinigungen oder Verabredungen, die eine Einwirkung auf Arbeits- oder Lohnverhältnisse bezwecken, zu bestimmen oder von der Theilnahme an solchen Vereinigungen oder Verabredungen abzuhalten" versuche
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von: Lotmar,
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Es muß hier von einer eingehenderen Besprechung der Abschnit- A 730 te II, III, IV - Zahlungszeit, Arbeitszeit, Vertragszeit - 5 6 abgesehen es ein ganz natürlicher Rückschlag hiergegen, wenn der Verfasser auf die ethischen Grundlagen auch der so viel beklagten „Ausschreitungen" gegen „Arbeitswillige" zurückgreift. 57 Sicherlich muß es ja den Massen der Arbeiterschaft unverständlich sein, wenn an Stellen, welche mit Recht die Pflege von „Ehre und Kameradschaft" als der sittlichen Grundpfeiler des Heeres unter ihre Obhut nahmen, das Verständnis dafür völlig mangelt, daß in den ökonomischen Kämpfen der Gegenwart, ungeachtet ihrer oft rohen Formen, doch auch der sittliche Gedanke der Kameradschaft der Arbeitsgenossen untereinander als einer bindenden Ehrenpflicht sich auswirkt. - Allein, es darf schließlich nicht verkannt werden, daß im politischen wie im ökonomischen Krieg Empfindung gegen
(ebd., S.2238). Noch bevor dieser Entwurf fertiggestellt war, hatte Kaiser Wilhelm II. in einer Rede in Bad Oeynhausen am 6. September 1898 diesen in einer Weise annonciert, die ihm schließlich die Bezeichnung „Zuchthausvorlage" einbrachte. Wilhelm II. s p r a c h davon, daß sich ein Gesetz seiner Vollendung nähere, worin jeder, „der einen deutschen Arbeiter, der willig Ist, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern versucht, oder gar zu einem Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden soll." Die Reden Kaiser Wilhelms II. in den Jahren 1 8 9 6 - 1 9 0 0 , hg. von Johannes Penzier, Band 2. - Leipzig: Philipp Reclam jun. [1904], S. 112 f. Der Entwurf wurde in zweiter Lesung im Reichstag am 20. November 1899 mit großer Mehrheit abgelehnt. Sten.Ber., Band 168, S. 2901 - 2 9 2 0 . 56 Lotmar, Arbeltsvertrag, S. 3 4 5 - 6 5 3 . 57 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 117, zeigt sich davon überzeugt, daß „für die Koalitionen der unter die G e w e r b e o r d n u n g fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer [...] die Erfüllung der hier o b w a l t e n d e n Mora/pflichten um so dringender" sei, „als diese Koalitionen nicht rechtlich zusammengehalten werden." Zahlreiche Vorkommnisse zeigten, daß die „Arbeitnehmermoral d e m koalierten Arbeiter verbietet, seiner Koalition zu schaden. Das formale Gebot der Erfüllung der Koalitionspflichten ist ein allgemein anerkanntes, nicht einer .partikulären Moral' angehöriges. Es haben daher koalierte Arbeitgeber g e g e n einander und koalierte Arbeitnehmer g e g e n einander die moralische Pflicht, zur Erreichung des Koalitionszweckes - Erlangung günstiger Lohn- und A r b e i t s b e d i n g u n g e n - beizutragen, z. B. durch A u s s p e r r u n g bezw. durch Streik." Die Debatte über das Aussperrungsund Streikrecht hatte einen aktuellen Hintergrund: Zwischen 1889 und 1900 traten mehr als eine Million Arbeiter in den Ausstand, wobei es Immer wieder zu Ausschreitungen kam. Die Regierung unter d e m Reichskanzler Hohenlohe wollte dieser Entwicklung durch ein „Gesetz zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses" entgegenwirken. Dem Gesetzentwurf, der sog. „Zuchthausvorlage" ( A n m . 5 5 ) , war zur Untermauerung der hierin angeführten Strafandrohung im Falle des Koalitionszwangs eine „Denkschrift betreffend die Ausschreitungen bei den Arbeitskämpfen der letzten Jahre" (Sten.Ber., Band 174, S. 2 2 4 8 - 2 2 9 8 ) beigefügt, in der „nähere Mittheilungen über Umfang und Art der Ausschreitungen auf Grund der in sämmtlichen Bundesstaaten v o r g e n o m m e n e n Erhebungen Platz" fanden (ebd., S.2249). Dabei befaßt sich der II. Abschnitt insbesondere mit den „Ausschreitungen von Arbeitnehmern g e g e n Arbeitnehmer", d . h . mit d e m „Zwang z u m Anschluß an Koalitionen", d e m „Zwang zur Arbeitseinstellung" sowie der „ Ü b e r w a c h u n g der Arbeitswilligen", den „Klagen aus Arbeiterkreisen über Terrorismus" und der „Verfolg u n g Arbeitswilliger nach Beendigung von Streiks w e g e n Nichtbetheiligung" (ebd., S. 2 2 5 7 - 2 2 8 0 ) .
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werden, so wertvoll viele der Ausführungen des Verfassers auch sind - z.B. S. 448 die Kritik des § 119 a der G.O.,58 S.465-66 die A 730 Empfindung steht, und daß, wenn einmal der rein formale | Standpunkt des Rechts verlassen wird, aus solchen allgemeinen Empfindungen heraus je nach der persönlichen Weltanschauung auch das grade Gegenteil deduzierbar ist. Es ist ein Irrtum der „ethischen" Nationalökonomen und Politiker, 59 zu glauben, daß in solchen Fällen ein eindeutiger sittenrichterlicher Entscheid möglich sei. - Den Beweis für das Gesagte kann der Verfasser leicht den, in sachlicher Hinsicht höchst verdienstlichen und scharfsinnigen Ausführungen von G[erhard] A[lexander] Leist über die Frage der Zwangsgewalt der Vereine 0 e [„Vereinsfreiheit und Vereinsherrschaft in Deutschland", 60 und: „Die Strafgewalt privater Vereine" in Schmollers Jahrbuch I902 6 1 ] e entnehmen, über welche eine Bemerkung gestattet sei, da auch hier über ein eng verwandtes Thema aus vermeintlich allgemeinen Rechtsprinzipien heraus, ohne genügende Abwägung der praktischen Konsequenzen deduziert wird. Leist bekämpft vom Standpunkt eines dem Lotmar'schen polar entgegengesetzten extremen Individualismus aus jeden vom Staat nicht ausdrücklich sanktionierten ökono-
d A: Vereine,
e [ ] in A.
58 §119a, Abs. 1 G.O., setzt fest, daß „Lohneinbehaltungen, welche von Gewerbeunternehmern zur Sicherung des Ersatzes eines ihnen aus der widerrechtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens oder einer für diesen Fall verabredeten Strafe ausbedungen werden, [...] bei den einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes [...] nicht übersteigen" dürfen. Nach Lotmar, Arbeitsvertrag, S.448, „muß man den gesetzlichen Schutz, den der Arbeitnehmer aus Gew.O. § 119a gegen Lohneinbehaltungen genießt, [...] für äußerst geringfügig erklären. Dem unparteiischen Betrachter dieser Rechtsordnung und der wirklichen Vorkommnisse wird die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer mittelst ausbedungener Einbehaltung einen Teil des durch Arbeit verdienten und fälligen Lohnes einstweilen vorzuenthalten, als eine Ungerechtigkeit erscheinen." 59 Die in den 1870er Jahren entstandene „ethische Nationalökonomie" hat ihren Ursprung in der sozialreformerischen Kritik an den Lehren der sog. „Manchesterschule". Diese betrachtet die Wirtschaft als eine von staatlicher und gesellschaftlicher Einflußnahme ausgeschlossene Erscheinung, die sich auf den „homo oeconomlcus" gründe, dessen einzige Triebfeder ein unveränderlicher Egoismus sei. Gegen das Postulat vom eigengesetzlichen Ablauf des Wirtschaftslebens entwickelte die reformfreundliche Richtung, die sich 1873 im „Verein für Sozialpolitik" ein Forum gab, eine Position, die im Menschen eine sittliche, in die Wirtschaft eingreifende Persönlichkeit sieht; auch sei soziale Organisation durch menschliche Einwirkung form- und veränderbar. Exemplarisch gab Gustav Schmoller, einer der Wegbereiter der „ethischen Nationalökonomie", dieser neuen Richtung Ausdruck: „Der wahre Fortschritt auch im ökonomischen Leben hängt von seinem Zusammenhang mit den übrigen Lebensgebieten und Zwecken, von der gesammten ethischen Cultur ab, denn kein Zweck und kein Glied kann dauernd gedeihen, wenn der übrige Organismus leidet. Das ist die ethische Grundlage der Nationalökonomie." Schmoller, Gustav, Die Arbeiterfrage III, in: Preußische Jahrbücher, Band 15, 1865, S . 3 2 63, hier S. 63. 60 Leist, Vereinsherrschaft. 61 Leist, Strafgewalt.
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prinzipielle Erörterung der allgemeinen Konsequenzen der Mittellosigkeit als normalen Zustandes des Arbeitnehmers' für die legislatorische Behandlung des proletarischen Arbeitsvertrages. 62 Hier sollen vielmehr noch einige Bemerkungen zu Abschnitt V, in welchem die Naturalvergütung, 63 und Abschnitt VI, in welchem der Tarifvertrag64 exkursweise eingehender behandelt sind, gemacht werden. Daß der Verfasser die Naturalvergütung zum Gegenstand einer selbständigen, systematischen Behandlung gemacht hat, ist sehr dankenswert. Allerdings führt die hier wohl etwas zu weitgehende Neigung des Verfassers zu zweigliedrig-disjunktiver Klassifikation zu manchen nicht ohne weiteres anzunehmenden terminologischen Konsequenzen. Da er Naturalvergütung und Geldvergütung als erschöpfende Gegensätze behandelt, gelangt er dazu, auch die Gewährung von Erwerbsgelegenheit - z. B. zum Trinkgeldverdienst als Naturalvergütung aufzufassen, da sie keinen Geldaufwand des
mischen oder sonstigen psychischen Zwang gegen das einzelne Vereinsmitglied zum unfreiwilligen Festhalten am Verein. Er berücksichtigt dabei nicht, daß auf sozialem Gebiet damit lediglich die volle Anarchie des Klassenkampfes mit allen ihren aus der Zeit vor Entstehung der Gewerkvereine wohl bekannten Konsequenzen erzwungen wird. Vor allem aber entgeht ihm, daß sein Prinzip nicht die geringste Aussicht hat, wirklich allseitig, gegenüber jeder Art von Verbänden, z. B. auch den Orden und Kongregationen der katholischen Kirche durchgeführt zu werden, obwohl diesen letzteren das in manchen Gesetzgebungen verpönte Merkmal anhaftet, daß sie ihren Mitgliedern Gehorsam - teilweise sogar unbedingten Gehorsam - gegenüber auswärtigen Obern auferlegen 9 . |
f A: Arbeitsnehmers
g A: aufzuerlegen
62 An den angegebenen Stellen führt Lotmar aus, daß die Mittellosigkeit des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber so lange von Vorteil ist, wie der Arbeitsvertrag „normal vollzogen" wird. Deren Schattenselte zeige sich aber dann, wenn dem Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer ein materieller Schaden zugefügt werde. Denn nun müsse er es als nachteilig empfinden, „sich mit einem Kontrahenten der besitzlosen Klasse, mit einem insolventen Schuldner eingelassen" zu haben. Er bediene sich dann häufig des Mittels, den entstandenen Schaden gegen die Lohnforderung des Arbeitnehmers aufzurechnen, um auf diese Weise „den Schatten der geltenden Wirtschaftsordnung von sich fern zu halten." Lotmar befürwortet in diesem Zusammenhang alle gesetzgeberischen Maßnahmen, die „den Arbeitgeber die Gefahr der Mittellosigkeit des Arbeitnehmers tragen" lassen, „da er doch in der Lage ist, sich ihren Nutzen zu verschaffen." 63 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 654-754. 64 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 755-799.
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Prinzipals darstelle (S. 700). 6 5 Nun ist aber der Begriff „Naturalien" A 731 ökonomischen Ursprungs und, soll er juristisch | geprägt werden, so ist nicht einzusehen, warum für die Rechtssprache es neben „Geld" und „Naturalien" kein drittes und eventuell viertes Glied in der Reihe der möglichen Vergütungsformen geben sollte. Nähme man Lotmars Sprachgebrauch ganz streng, so müßte auch in der Übertragung derjenigen Chance des Gelderwerbs, welche sich rechtlich in dem Besitz einer in Zukunft fälligen Geldforderung ausdrückt, eine Naturalleistung erblickt werden. Ähnlich ist es zu beurteilen, wenn die Zusage der Lehrausbildung seitens des Meisters als GeWährung von „Konsumtibilien" rubriziert wird. 66 Ist hier der Begriff der Naturalvergütung zu weit gefaßt, so gelegentlich zu eng. Beispielsweise, wenn der Verfasser S. 686 die Zusage freier ärztlicher Behandlung oder freier Lieferung von Schulrequisiten überhaupt nicht als Arbeitsvergwfwng, sondern als Wohlfahrtseinrichtung behandelt wissen will, da sie nicht nach dem Umfang der Arbeitsleistung, sondern des Bedürfnisses bestimmt sei. 67 Allein ersteres ist insofern doch der Fall, als eben nur das während der Dauer des Arbeitsverhältnisses eintretende Bedürfnis zu decken ist, und die verbleibende Unsicherheit des ob? und wieviel? der Leistung ist nichts prinzipiell anderes, als z. B. die Unsicherheit des Ertrages der von dem Instlande 68 „im Felde" zu erwartenden Erträge. 65 Nach Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 700, „kann das Trinkgeld nur dadurch in Berührung mit d e m zwischen Wirt und Kellner bestehenden Arbeitsverhältnis gebracht werden, daß man seinen Empfang als Realisierung einer Erwerbsgelegenheit betrachtet, die der Wirt d e m Kellner eingeräumt hat, um diesem damit eine Vergütung zu gewähren. Ist aber die Einräumung einer Erwerbsgelegenheit eine Vergütung, so kann sie nur Naturalvergütung sein, da sie nicht eine G e l d v e r g ü t u n g ist." 66 Bei Lotmar, Arbeitsvertrag, S . 6 9 2 f . , heißt es: „Zu den Konsumtibilien, als derjenigen Art von Naturalvergütung, deren Empfang für den Arbeitnehmer ohne weiteres einen wirtschaftlichen Erwerb bildet, sind endlich auch zu rechnen die Kenntnisse und Fertigkeiten, die der Arbeitgeber als Lehrmeister d e m Lehrling als seinem Arbeitnehmer überliefert." 67 Lotmar, Arbeitsvertrag, S . 6 8 5 f . , betont, daß im Gegensatz zum Entgelt „der Genuß der Wohlfahrtseinrichtung d e m Arbeitnehmer als solchem und ohne Rücksicht auf d e n U m f a n g seiner Arbeitsleistung beschieden ist. So richtet sich z. B. bei der Verabreichung der Schulrequisiten das Maß dieser G a b e nach Zahl und Alter der Kinder, nicht nach d e m U m f a n g der v o m Vater geleisteten Arbeit." Entsprechendes gelte auch für die freie ärztliche Behandlung. Hier bestimme sich das Maß der Leistung nach d e m Umfang des Heilungsbedürfnisses. 68 Anspielung auf das sog. „Instenverhältnis" im östlichen Deutschland. Es beruhte auf gegenseitiger Hilfe und Interessengemeinschaft. Der Instmann stellte sich selbst sowie
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Können diese wesentlich terminologischen Fragen nur unter besonderen Konstellationen juristische Bedeutung gewinnen, so ist dagegen von erheblicher rechtlicher Tragweite die Frage (S. 705 f., 715,716), ob das Verhältnis des Oberkellners, Zahlkellners, Büffetiers und ähnlicher Funktionäre auch dann als reines Arbeitsvertragsverhältnis anzusehen ist, wenn dieselben Büffet, Keller etc. für eigene Rechnung gegen feste Abgaben an den Wirt verwalten oder für die Trinkgeldeinnahme an den Wirt „Pacht" zahlen und so ökonomisch in die Reihe der „Unternehmer" einrücken. 69 Wenn der Verfasser, welcher m.E. mit Recht auch in diesen Fällen reines Arbeitsverhältnis annimmt, dafür geltend macht, daß die „faktische" 11 ' Stellung eines solchen Funktionärs zu Wirt und Publikum völlig die gleiche sei wie sonst, 70 so ist doch jedenfalls, so weit die Rechtslage in Betracht kommt, das gleiche nicht zutreffend: Je nach Lage des Falls erwirbt nicht der Wirt, sondern der Funktionär und nur er die Forderung gegen den Gast. Dies schließt nach der Definition des Verfassers die Auffassung als Arbeitsverhältnis nicht aus; für dieselbe wird aber entscheidend doch nur sein können, daß nach der objektiven Sachlage die Thätigkeit des betreffenden Funktionärs: Einziehung von Schulden der Gäste, Verkauf von Speisen und Getränken, nicht als dessen aus seiner Pächterstellung folgen-
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» Was heißt das in diesem Fall? I
ein oder zwei weitere Personen d e m Gutsherrn als Arbeitskräfte zur Verfügung und erhielt dafür neben einem Tageslohnsatz Land zur eigenen Bebauung, Viehweide, Futter sowie einen Anteil am Gesamtertrag des Dreschens. 69 Lotmar, Arbeitsvertrag, erwähnt auf S. 706 die Zahl- und Oberkellner, die vertragsgemäß für das Trinkgeldeinkommen d e m Wirt eine Zahlung machen, was dazu geführt habe, „dieser Zahlung den Sinn einer Gegenleistung beizulegen [...] und statt eines Arbeitsverhältnisses Pacht anzunehmen." Ferner komme es vor, daß Angestellte In der Gastronomie „das Büffet oder d e n Keller für eigene Rechnung verwalten, indem Ihnen Vorräte an Getränken zu einem gewissen Preis vom Arbeitgeber behufs Verkaufs an dessen Gäste zur Verfügung gestellt sind." Gleichwohl seien sie dabei als Arbeitnehmer tätig und somit „weder .selbständige Arbeltgeber', noch .Pächter', noch .Geschäftsinhaber'" (ebd., S. 715). 70 Trotz der Gegenleistung für die Trinkgeldeinnahme handelt es sich nach Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 707, sehr wohl um ein „gewerbliches Arbeitsverhältnis", d a „die faktische Stellung des Kellners z u m Wirte wie z u m Publikum völlig die gleiche ist, o b er außer der Verdienstgelegenheit auch Kost und Gehalt bekommt, oder ob er kein Gehalt bekommt und die Trinkgeldeinnahme ganz behält, oder endlich, o b Ihm dieselbe nicht ganz zukommt, indem er einen Teil davon abzuliefern hat."
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des Recht, sondern, obwohl sie auf eigene Rechnung geschieht, als A 732 eine dem Prinzipal geschuldete Leistung anzusehen ist (S. 706 und 707). 71 Erst wo dies unzweideutig anders liegt, beginnt die Grenze des Pachtverhältnisses, denn darin, daß man die fraglichen Thatbestände möglichst als einheitliche Rechtsverhältnisse, nicht als Kom- 5 binationen mehrerer, konstruieren sollte, wird dem Verfasser zuzustimmen sein. 12 ' - Die ähnlichen Konstruktionsschwierigkeiten auf dem Gebiete der ländlichen Arbeitsverfassung behandelt der Verfasser S. 709 f. 72 Daß das Heuerlings-Verhältnis 73 nicht wohl als einheitliches Rechtsverhältnis konstruierbar ist, sondern hier notge- 10 drungen eine Kombination von Pacht und Arbeitsvertrag angenommen werden muß, nimmt der Verfasser mit Recht an, obwohl auch in diesem Fall das Interesse des Bauern meist nicht auf Verwertung der verpachteten Parzelle, sondern auf Sicherung der ErnteA 732
l2)
Die Konsequenzen der Auffassung des Verf. sind keineswegs überwiegend d e m Arbeitgeber günstige. Cf. das von ihm S. 707 A n m . 2 zitierte Urteil des Karlsruher G e w e r b e gerichts in Gew[erbe-] Ger[icht] I 71, 74
71 Für Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 706, sind die Erwerbsgelegenheiten des Funktionärs keine „Pachtobjekte", da die „auf ihre Realisierung verwandte Arbeit eine dem Wirt geschuldete Leistung ist." Daher diene die dem Wirt gemachte Zahlung nur dazu, die dem Arbeitnehmer in der Erwerbsgelegenheit gewährte Vergütung auf den vertragsgemäßen Umfang zu bringen. 72 Lotmar, Arbeitsvertrag, behandelt auf den Seiten 709-713 die „Gelegenheit zum Erwerb von Lebensmitteln" auf dem Sektor der ländlichen Arbeitsverfassung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Landnutzung als Arbeitslohn oder als Gegenstand einer Pacht angesehen wird. 73 Beim Heuerling handelte es sich um einen Kleinpächter und kontraktlich gebundenen Landarbeiter im Nordwesten Deutschlands. Der Heuerling pachtete gegen geringe Bezahlung Land und Unterkunft vom Bauern. Dieser half ihm mit dem Gespann bei der Bewirtschaftung, dafür leistete der Heuerling an einer bestimmten Zahl von Tagen Arbeit für den Bauern. 74 Mit dem zitierten Urteil beschied das Karlsruher Gewerbegericht die Klage eines Hausburschen gegen einen Hotelier. Der Bursche bekam für die häuslichen Dienste sowie die Begleitung der Reisenden von und zum Bahnhof samt Gepäckbesorgung keinen Geldlohn, sondern nur die Gelegenheit zum Trinkgelderwerb mit Abzug von wöchentlich 27 Mark, die dem Hotelier abzuliefern waren. Der Hotelier bestand auf dieser Regelung auch zu einer Zeit, als der Hausbursche nicht einmal diesen Betrag als Trinkgeld eingenommen hatte. Das Gericht war der Ansicht, „daß die Abgabe von 27 M. an den Arbeitgeber nur dann stattfinden soll, wenn Kläger während der Zelt, für welche er eine Ablieferung machen soll, in Wirklichkeit so viel Trinkgeld verdient, daß er hiervon nach Bestreitung des angemessenen Unterhaltes für sich und seine Familie den erwähnten Betrag abliefern kann." In diesem Falle könne deshalb „einem verheiratheten Manne billiger Weise keine Ablieferung zugemuthet werden." Das Gewerbegericht. Mittheilungen des Verbandes deutscher Gewerbegerichte, 1. Jg., 1896, Nr. 6, Sp. 71.
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arbeitskraft gerichtet ist.13' Der Übergang zu den reinen Arbeitsverhältnissen mit - unter Umständen abgabepflichtiger 14 ' - Landanweisung als Entgelt ist wohl noch flüssiger als die Darstellung des Verfassers erkennen läßt.15' Daß die Art der Gestaltung des Natu5 rallohnes der Einteilung des Verfassers in: entweder Zeit- oder Akkordlohnverträge erhebliche Schwierigkeiten bereitet, gesteht er S. 718 f. selbst zu. 75 Da jedoch erst der 2. Band sich mit der Lö,3 ' Geschichtlich analog ist die Zwiespältigkeit und Wandlung im ökonomischen und rechtlichen Charakter des antiken Äb/ona£sverhältnisses: Anfangs Pacht mit Ausbedingung einiger Erntefronden neben dem Zins als Entgelt für das dem Kolon eingeräumte Recht, die Früchte des Ackers zu genießen, - schließlich v4r6efeverhältnis mit abgabepflichtiger Bodennutzung als Entgelt. 141 Dies beachtet derh Verfasser S. 710 wohl nicht genügend bei seiner sonst recht befriedigenden Formulierung.76 I5) Den Ausführungen des Verfassers auf S. 711.712 77 habe ich keinen Grund entgegenzutreten, glaube vielmehr, daß seine juristische Konstruktion das richtige trifft. Festzuhalten ist, als eventuell auch rechtlich erheblich, trotzdem, daß die Landanweisung, welche an nicht kontraktlich gebundene Tagelöhner gewährt wird, häufig thatsächlich nicht als einfache Vergütung für die Arbeit, sondern für einen gewissen zeitlichen Umfang der Arbeitsbereitschaft gewährt wird, also nur unter der auch rechtlich nicht anfechtbaren Bedingung, daß die Arbeitsleistungen zeitlich diesen Umfang erreichen. Sie korrespondiert also nicht wie die versprochenen Geldleistungen den einzelnen Arbeitsleistungen. |
h A: den 75 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 717f., erwähnt den Umstand, daß „die Beziehung der Naturalvergütung auf die Zeit oder auf den Erfolg der Arbeit" häufig vereinbart sei, ohne daß sie ausgedrückt werde. Diese bei der Naturalvergütung „leicht v o r k o m m e n d e Unbestimmtheit" erschwere die „juristische Frage, ob die mit den g e d a c h t e n Vergütungen versehenen Verträge Zeitlohnverträge oder Akkorde sind." 76 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 710, weist darauf hin, daß dort, wo die Landnutzung Bestandteil des Arbeitsvertrags ist, diese als „.unentgeltlich' gewährt" bezeichnet werden könne. „[...] allein in Wirklichkeit besteht Unentgeltlichkeit weder thatsächlich noch rechtlich, da die Landnutzung, die hier nicht Pachtobjekt ist, den Entgelt für von ihrem Empfänger zu leistende Arbeit bildet." 77 Lotmar, Arbeitsvertrag, setzt sich auf den Seiten 711 f. mit d e m Arbeitsverhältnis der Instleute, „der social und wirtschaftlich weitaus interessantesten Kategorie der ländlichen Arbeiterschaft des Ostens", auseinander. Dabei tritt er der bei Nationalökonomen weitverbreiteten Ansicht entgegen, daß es sich bei der Landanweisung an die Instleute nicht um Arbeitslohn handle. Die Auffassung, w o n a c h sich der Instmann in einem Herrschaftsverhältnis, das durch die Beleihung mit Land entgolten wurde, b e f u n d e n habe, sei zwar historisch begründet und für die ältere Zeit zutreffend, d o c h stelle sich „das heutige Instverhältnis als auf d e m gemeinen Arbeitsvertrag beruhend dar." Die im Instkontrakt z u g e s a g t e Landnutzung sei eine „Species der d e m Dienstvertrag wesentlichen Vergütung, somit Gegenleistung für die im Vertrag zugesagte Arbeit." Lotmar beruft sich in diesen Passagen wiederholt auf die Untersuchungen Max Webers zur Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3).
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sung derselben befassen wird, 78 soll ihm hier nicht vorgegriffen werden. Der höchst wertvolle Schluß des 1. Bandes, die Erörterung der juristischen Natur des Tarifvertrages (Abschnitt VI), 7 9 ist im wesentlichen ein Auszug aus einem Aufsatz des Verfassers in dieser Zeitschrift (Band 15. S. 1 f.). 80 D a auf eine eingehende Analyse aus dieA 733 sem Grunde | verzichtet werden kann, so mag nur noch in Kürze auf die Ausführungen S. 780 f. eingegangen werden, durch welche L[otmar] versucht, dem Tarifvertrag eine derart maßgebende Rechtswirkung auf die gesamten innerhalb des von ihm betroffenen Kreises abgeschlossenen Arbeitsverträge zu vindizieren, daß dadurch selbst die rechtliche Möglichkeit für die Beteiligten, abweichende Verträge abzuschließen, aufgehoben sei. 81 Die Analogie der - vom Gesetz als nur in bestimmter Form derogierbar anerkannten - Arbeitsordnung2 beweist m.E. doch nichts für PnVö/vereinbarungen, denen eine gesetzliche Regelung (leider!) fehlt. Die Berufung darauf aber, daß der Tarifvertrag anderenfalls seinen begrifflichen Zweck nicht erreichen würde, ist „ontologischen" Charakters, - es fragt sich ja eben, ob das Recht dieses Mittel für die Erreichung jenes Zwecks gelten läßt. Der Verfasser, welcher in Folge des § 134 c Abs. 2 G.O. 83 selbst zugeben muß, daß jene angebliche Wirkung des Tarifvertrages in Form der Arbeitsordnung einseitig vom Arbeit-
78 Vgl. dazu Lotmar, Arbeitsvertrag, Band 2, S. 798 und 917ff. Band 2 dieses Werkes erschien 1908. 79 Dieser Abschnitt enthält die Kapitel „Thatbestand", „Rechtswirkung" und „Geltungsbereich", Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 7 5 5 - 7 9 9 . 80 Lotmar, Tarifverträge. 81 Z u m Tarifvertrag bemerkt Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 780, er werde in der Absicht und mit d e m Versprechen abgeschlossen, „daß von ihm a b w e i c h e n d e Arbeitsverträge nicht geschlossen werden sollen, und die ihm z u g e d a c h t e Rechtswirkung besteht darin, maßgebend zu sein für alle Arbeitsverträge, welche in seinem Geltungsbereich geschlossen werden. Dieser Effekt kann rechtlich anders nicht erreicht werden, als daß jene Arbeitsverträge als tarifvertragsmäßig geschlossen behandelt werden." Gegenüber d e m im Tarifvertrag fixierten kollektiven Willen sei der im Arbeitsvertrag geäußerte individuelle nicht bloß überflüssig, sondern auch ohnmächtig. 82 Gesetzliche Bestimmungen bezüglich der formalen Gestaltung sowie der Wirkung und Inhalte von Arbeitsordnungen finden sich in den §§ 1 3 4 a - g sowie 139k G.O. 83 In § 134c, Abs. 2 G.O. heißt es: „Andere als die in der Arbeitsordnung [...] vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Andere als die in der Arbeitsordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werden."
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geber beseitigt werden kann, 84 darf m. E. aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen heraus auch nicht die rechtliche Möglichkeit der zweiseitigen Beseitigung leugnen. Daß dadurch die Interessen dritter der tariftreuen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - verletzt werden, ist zutreffend. Allein ob diese Interessen rechtlich geschützt sind, ist eben die Frage.16' Es ist nun allerdings höchst beachtenswert, daß auch einzelne Gewerbegerichte begonnen haben, dem Tarifvertrag eine über den normalen Wirkungsbereich der Privatdisposition hinausgehende Bedeutung zuzuschreiben; 85 aber nur auf dem Wege des Nachweises gewohnheitsrechtlicher Entwicklung könnte diesem Gedanken der Recht (im objektiven Sinn) begründenden Autonomie der Interessentenverbände rechtliche Anerkennung wissenschaftlich und nur im Wege der Gesetzgebung auch praktisch gesi16 ) Der Verfasser gerät S. 794 infolge seiner Konstruktion auch in Schwierigkeiten ge- A genüber der Frage, wann ein unbefristet geschlossener Tarifvertrag erlösche. Nach ihm nach der „üblichen" (?) Zeit; - 8 e m. E. gilt für derartige Vereinbarungen stets ipso jure87 die Klausel rebus sie stantibus,88 und das entspricht den Thatsachen des Lebens, was näher auszuführen hier unmöglich ist. |
84 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 787, weist darauf hin, daß der Inhalt einer Arbeitsordnung, selbst w e n n er einem Tarifvertrag zuwiderläuft, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer rechtsverbindlich sei, sofern er nicht zu geltenden Gesetzen In Widerspruch stehe. Allerdings könne der Arbeitgeber, der „eine Bestimmung seiner Arbeitsordnung so gestaltet, daß sie einem für ihn verbindlichen Tarifvertrag widerspricht, [...] freilich von denjenigen Arbeltnehmern, zu denen er im Tarifvertragsverhältnis steht, zur Entfernung oder tarifmäßigen Umgestaltung jener Bestimmung auf d e m Rechtswege angehalten werden." Doch brauche er unter Hinweis auf § 134 c, Abs. 2 G.O. nicht zuzugeben, daß „dieselbe, weil d e m Tarifvertrag zuwiderlaufend, ungültig sei." 85 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 786, stellt hierzu fest: „Die Ansicht, daß sich die Rechtswirkung des Tarifvertrags auch g e g e n ü b e r a b w e i c h e n d e n Arbeltsverträgen durchsetzt, fängt an beim Gewerbegericht wenigstens insoweit Fuß zu fassen, daß d e m Arbeitsvertrag die derogierende Kraft a b g e s p r o c h e n wird." Er führt zur Unterstützung dieser Tendenz die Erklärung des Berliner Einigungsamtes an, „daß während der Geltung des Tarifvertrags Lohnänderungen nur zu gesamter Hand, vor den tarifvertragsmäßigen Instanzen v o r g e n o m m e n werden könnten." 86 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 794, gibt zu bedenken, daß man die Laufzeit eines Tarifvertrags nicht leicht allgemein bestimmen könne, ohne die Haltbarkeit der unbefristet geschlossenen Tarifverträge zu gefährden. Daher müsse gesagt werden, „daß ein In dieser Hinsicht unbestimmter Tarifvertrag ein unvollständiger Thatbestand Ist, der seine notwendige Ergänzung aus d e m Üblichen zu e m p f a n g e n hat." 87 Wörtlich: „durch das Recht selbst". 88 Wörtlich: „bei d e m s e l b e n Stand der Dinge". Hierunter versteht man allgemein d e n stillschwelgenden Vorbehalt, daß die Weitergeltung eines Vertrages durch die Fortdauer der Umstände bedingt sei, die beim Abschluß für wesentlich erachtet worden sind.
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chert werden. Daß die Rechtspflege sich ohne einen solchen Rückhalt entschließen sollte, den Tarifvertrag als mehr als eine lex contractus, 89 welcher mangels entgegenstehender Vereinbarungen gilt, anzusehen, ist mir nicht wahrscheinlich. Die Stoffeinteilung des Werkes ist im vorliegenden Bande nicht 5 ohne weiteres durchsichtig und verständlich, was bei der logischen Schärfe der Begriffsgliederung Lotmars dem Leser doppelt auffällt. Die Einschiebung des Kapitels1 über die Eingehung des Arbeitsvertrags in den ersten Abschnitt 90 ist kaum gerechtfertigt, und ob es sich nicht, trotz des großen Umfangs der betreffenden Partien, doch 10 empfohlen hätte^] die Naturalvergütung mit der Lehre vom Entgelt A 734 und den Tarifvertrag mit | der Lehre von der Eingehung gemeinsam zu behandeln^] kann gleichfalls bezweifelt werden. Über die einzelnen juristischen Aufstellungen werden die Fachjuristen zu urteilen haben.17) Dem Grundgedanken und dem Geist 15 seiner Durchführung nach aber - das darf schon jetzt gesagt werden - ist es unzweifelhaft ein großer Wurf, der Lotmar gelungen ist. Das Privatrecht eines Vertrages, mit dem - wie der Verfasser mit Recht hervorhebt - an Häufigkeit und grundlegender Bedeutung nur noch der Kaufvertrag konkurrieren kann, 91 ist hier zum ersten Male 20 in umfassender Systematik und Kasuistik vorgelegt. Es ist dabei zur Evidenz dargethan, daß k die Probleme, welche er der juristischen A 734
17 > Ich h a l t e e s w o h l f ü r m ö g l i c h , d a ß d i e Ausdehnung des Arbeitsvertragsbegriffes des V e r f a s s e r s - z. B. auf d e n V e r l a g s v e r t r a g ~ 9 2 sich n i c h t w i r d h a l t e n l a s s e n . D a s t h u t d e m Wert seines G r u n d g e d a n k e n s a b e r keinen A b b r u c h .
i A: K a p i t e l
k A: d a s
8 9 Unter einer „lex contractus" versteht man eine durch R e c h t s g e s c h ä f t festgesetzte Norm. 9 0 Gemeint ist d a s 6. Kapitel d e s ersten Abschnitts, Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 2 4 6 - 2 6 4 . 9 1 Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 5, bemerkt z u m Kaufvertrag, daß dieser der einzige Vertrag sei, „der, wo eine R a n g o r d n u n g n a c h der F r e q u e n z stattfinden soll, mit d e m Arbeitsvertrag konkurrieren kann." 9 2 Für Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 297, ist der Verlagsvertrag aufgrund d e s G e s e t z e s über d a s Verlagsrecht v o m 19. Juni 1901 als ein „dispositiv geregelter Typus von Arbeitsvertrag" a n z u s e h e n . D a b e i erfülle die Z u s a g e d e s Verlegers, ein Werk der Literatur zu vervielfältigen und zu verbreiten, d e n Tatbestand der A r b e i t s z u s a g e und die Z u s a g e d e s Verfassers, d e m Verleger d a s genannte Werk zur Vervielfältigung und Verbreitung „für e i g e n e R e c h n u n g " z u überlassen, jenen der Entgeltzusage.
Rezension
von: Lotmar,
Arbeitsvertrag
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Forschung stellt, sich an Tiefe und Bedeutung mit denen jedes anderen Gebiets des Privatrechts messen können. Und die A r t , wie diese Probleme vom Verfasser angegriffen worden sind, muß als eine ebenso eigenartige wie glückliche angesehen werden, eben deshalb, 5 weil sie die alte Methode der juristischen Arbeit sich an einem bisher vernachlässigten Gebiete bewähren läßt.
[Rezension von: Alfred Grotjahn, Über Wandlungen in der Volksernährung]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Der Mediziner Alfred Grotjahn, 1 der sich im Herbst 1896 in Berlin als praktischer Arzt niedergelassen hatte, befaßte sich vor allem mit sozialhygienischen Fragen. Aufgrund dieses Engagements wurde er zum führenden gesundheitspolitischen Experten der deutschen Sozialdemokratie. Bereits im Jahre 1898 hatte er eine vielbeachtete Monographie über den Alkoholismus veröffentlicht. 2 Grotjahns Interesse, „medizinische und hygienische Fragen in sozialwissenschaftlicher Beleuchtung darzustellen", führte ihn im Wintersemester 1901/02 In Gustav Schmollers staatswissenschaftllches Seminar. Grotjahn berichtet In seinen Lebenserinnerungen, daß er, der sich zuvor vornehmlich In sozialistischen Kreisen bewegt hatte, sich in der Verfolgung seiner Ziele zwar „nicht durch den Verkehr in einer rein nationalökonomischen Umwelt" habe beirren lassen, daß jedoch die „Methoden, mit denen hier an die Erörterung und Darstellung volkswirtschaftlicher Fragen herangetreten wurde, [...] in wohltuender Weise die Einseitigkeit des bereits als für meine Zwecke unzureichend erkannten Marxismus" korrigiert hätten. 3 Grotjahn bat Schmoller darum, „eine Frage aus dem Gebiete der Volks- und Massenernährung bearbeiten zu dürfen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiterhaushaltliteratur", die er für seine Studie über den Alkoholismus bereits durchgesehen hatte. Schmoller willigte ein und regte darüber hinaus an, „außer der deutschsprachlichen Literatur über Arbeiterhaushaltrechnungen auch die sorgfältigen und in den verschiedensten Ländern aufgenommenen Familienmonographien des
1 Zu Grotjahns Lebensweg vgl. u. a. Grotjahn, Alfred, Erlebtes und Erstrebtes. Erinnerungen eines sozialistischen Arztes. - Berlin: F.A. Herbig 1932, sowie Tutzke, Dietrich, Alfred Grotjahn (Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Band 36). - Leipzig: B.G. Teubner 1979. 2 Grotjahn, Alfred, Der Alkoholismus. Nach Wesen, Wirkung und Verbreitung. - Leipzig: Georg H. Wigand 1898. 3 Grotjahn, Erlebtes, S. 108.
Editorischer Bericht
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französischen Bergbaukundigen und klerikalen Sozialpolitikers Le Play heranzuziehen." 4 Grotjahn folgte diesem Rat und berechnete auf der Basis zahlreicher inund ausländischer Haushaltungsbudgets den Nahrungsmittelverbrauch verschiedener sozialer Gruppen. Die Berechnung der 490 Fallbeispiele erfolgte dabei nach der Methode, die der deutsche Statistiker Ernst Engel gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte und mit deren Hilfe sich aus dem Gesamtverbrauch einer Familie ein annähernd zuverlässiger Wert für den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch eines männlichen Erwachsenen ermitteln ließ.5 Nachdem die Arbeit abgeschlossen und im Seminar vorgetragen war, nahm Gustav Schmoller sie in die von ihm herausgegebenen „Staats- und socialwissenschaftlichen Forschungen" auf, wo sie unter dem Titel „Über Wandlungen in der Volksernährung" im Jahre 1902 erschien. 6 Max Weber hatte sich schon zu Beginn seiner nationalökonomischen Laufbahn mit dem Thema der „Volksernährung" beschäftigt und bei seiner 1892 Im Auftrag des Vereins für Sozialpolitik angestellten Untersuchung „Die Lage der Landarbeiter im ostelblschen Deutschland" auch den Nahrungsmittelkonsum und seine Veränderungen berücksichtigt. 7 Einen erneuten Einblick in diesen Fragenkomplex brachte ihm Walter Abelsdorffs Arbeit „Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker", die In seinem volkswirtschaftlichen Seminar in Heidelberg entstanden war. Dazu hatte Abelsdorff auch Arbeiterhaushaltungsbudgets ausgewertet, nicht zuletzt in Hinblick auf den Nahrungsmittelkonsum. 8 Max Weber schrieb für diese Arbeit eine „Vorbemerkung" und machte darin das spezifisch volkswirtschaftliche Interesse an diesen Fragen deutlich. 9 Wie aus einem Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 20. Februar 1903 hervorgeht, war es Schmoller selbst, der bei Weber angefragt hatte, ob dieser die Arbeit Grotjahns in dem von Schmoller gleichfalls heraus-
4 Ebd., S. 110. Gemeint ist die Studie Frédéric Le Plays „Les ouvriers européens", die 1855 in Paris erschienen war. 5 Zum sog. „Engel'schen Verfahren" und seiner Anwendung durch Grotjahn siehe unten, S. 66, Anm.7. 6 Grotjahn, Alfred, Über Wandlungen in der Volksernährung (Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, hg. von Gustav Schmoller, Band 20, Heft 2). - Leipzig: Duncker 6 Humblot 1902. 7 Weber, Max, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3, S. 895ff. 8 Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 4, Heft 4). - Tübingen/Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1900, S. 51 ff., nebst Tabellen. 9 Siehe die „Vorbemerkung des Herausgebers", in diesem Band abgedruckt, oben, S. 3 0 - 3 3 , hier S. 33.
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Rezension von: Grotjahn,
Wandlungen
g e g e b e n e n „ J a h r b u c h für G e s e t z g e b u n g , Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich" b e s p r e c h e n wolle. Max Weber sagte dies zu: „ich schicke
gleichzeitig
hiermit
die
gewünschte
Besprechung
der
Grot-
jahn'schen Schrift, die allerdings vielleicht etwas eingehender ausgefallen ist, als für die Raumökonomie der Zeitschrift zweckmäßig ist." 10
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der A b d r u c k folgt d e m Text, wie er im J a h r b u c h für G e s e t z g e b u n g , Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 27. Jg., Heft 2, 1903, S. 3 8 0 - 3 8 4 , in der Rubrik „Literatur" erschien (A). Der Artikel ist mit „Heidelberg. Max Weber" gezeichnet. Webers Fußnoten, die auf jeder Seite neu gezählt sind, werden hier durchlaufend numeriert.
10 Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 20. Febr. 1903, GStA Berlin, Nl. Gustav Schmoller, Rep.195, Anhang Nr. 98, Vol.l (MWG II/4).
[Rezension von:]
Grotjahn, Dr. med. A[lfred]: Über Wandlungen in der Volksernährung (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen. Hrsg. von Gjustav] Schmoller. XX, 2). Leipzig 1902, Duncker & Humblot. 72 S. in 8° Die verdienstliche kleine Schrift versucht aus dem Material von Haushaltungsbudgets, welches in den „Ouvriers européens" 1 und den „Ouvriers des deux mondes" vorliegt, unter Heranziehung auch anderer besonders der in der belgischen Enquete von 18922 erhobenen und der Ballinschen Budgets, 3 Entwickelungstendenzen der modernen Ernährung für einzelne nach seiner Ansicht typische Bevölkerungsschichten zu abstrahieren. Mit Recht vermeidet er es dabei, die lediglich einen imaginären Schein von Exaktheit vortäuschende Umrechnung des hierfür ganz ungeeigneten Materials in „Nährwerte", „Kalorien" u. dergl. vorzunehmen. 4 Er begnügt sich vielmehr damit, zunächst aus den bekannten Untersuchungen von Hultgreen und Landergreen über die Kost schwedischer Arbeiter 5 einen physiologisch jedenfalls zureichenden Standardtyp einer Beköstigung erwachsener, körperlich arbeitender Männer zu ermitteln, der | in runden Maximal- und Minimalzahlen eine Kombination A 381 der wichtigsten in unserer Zone in Betracht kommenden Massennahrungsmittel enthält. 6 Die an diesem Typ zu messenden Kostsätze 1 Le Play, Les Ouvriers e u r o p é e n s . Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. [VII], zitiert diese Arbeit n a c h der 2. Auflage, die in d e n Jahren 1 8 7 7 - 1 8 7 9 in 6 B ä n d e n b e i m Verlag Alfred Marne et fils in Tours erschien. 2 Salaires et b u d g e t s ouvriers. 3 Ballin, Haushalt. 4 Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. 4, lehnt die v o n einigen N a t i o n a l ö k o n o m e n angestellten Versuche, „aus d e n in d e n B u d g e t s mitgeteilten G e w i c h t e n der v e r s c h i e d e n e n N a h r u n g s m i t tel d e n Gehalt der N a h r u n g an Eiweiß, Fett und K o h l e h y d r a t e n in G r a m m e n und gar n o c h in Bruchteilen von G r a m m e n bis zur dritten Decimalstelle" zu berechnen, a u s d r ü c k l i c h ab, d a d a d u r c h „eine Genauigkeit v o r g e t ä u s c h t " werde, die „ k a u m zu verantworten" sei. Ä h n lich a u c h ebd., S. 71. 5 H u l t g r e n / L a n d e r g r e n , U n t e r s u c h u n g . Die falsche Schreibweise der N a m e n dürfte d u r c h die A n g a b e bei Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. 5, veranlaßt sein. 6 Im Anschluß an die U n t e r s u c h u n g e n Hultgrens u n d L a n d e r g r e n s ermittelt Grotjahn, W a n d l u n g e n , S . 6 , als „Kostmaß für d e n e r w a c h s e n e n Arbeiter unserer Breiten" 2 5 0 - 2 7 5 kg Cerealien, 1 5 0 - 2 0 0 kg Kartoffeln, 3 0 - 4 0 kg L e g u m i n o s e n , 1 8 0 - 3 5 0 I Milch, 1 5 - 3 0 kg Fett, 5 0 - 6 0 kg Fleisch pro Jahr.
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von: Grotjahn,
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der verarbeiteten Budgets werden dann unter Anwendung des von E[rnst] Engel entwickelten Verfahrens auf Kostsätze erwachsener männlicher Personen reduziert,7 derart also, daß die Frau und die Kinder, die letzteren je nach ihrer Altersstufe verschieden, mit bestimmten Bruchteilen des Manneskostsatzes angerechnet werden. Nun ist zuzugeben, daß die Engeische Methode den von anderen Seiten - Kuhna,8 Wörishoffer 9 - angewendeten Verfahrungsweisen wahrscheinlich im ganzen vorzuziehen ist. 10 Aber auch sie kann die Bedenken gegen die Vergleichung von Haushaltungen mit sehr stark verschiedener Kopfzahl nicht beseitigen. Man sollte vielmehr allgemein bei solchen Vergleichungen jedenfalls die Haushaltungen von besonders kleiner oder besonders großer Kopfzahl beiseite lassen. Die Erfahrung lehrt, daß auch bei Gleichheit des Alters und Geschlechts mit der Größe des Haushalts der Bedarf der einzukaufenden Nahrungsmittel in Folge der Möglichkeit besserer Ausnutzung nicht proportional wächst, und dazu tritt dann der problematische Charakter aller, auch der Engeischen Umrechnungszahlen als weiteres Element der Unsicherheit hinzu. So schwanken denn auch in den Angaben des Verfassers die berechneten Einheiten sichtbar je nach Größe der Familie, ohne daß es sicher wäre, ob die rechnungsmäßig schlechtere Ernährung wirklich eine solche ist, und ob sie der größeren Kinderzahl oder der Art der Rechnung entstammt. 7 Grotjahn, Wandlungen, S.7, bezieht sich auf das Verfahren, das Ernst Engel, verantwortlicher Leiter des preußischen „Statistischen Bureaus", gegen Ende des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Arbeiten entwickelte. Engel, Ernst, Der Werth des Menschen, Band 1: Der Kostenwerth des Menschen (Volkswirthschaftliche Zeitfragen, Heft 37/38). - Berlin: Leonhard Simion 1883, ders., Die Lebenskosten belgischer Arbeiter-Familien früher und jetzt. Ermittelt aus Familien-Haushaltrechnungen und vergleichend zusammengestellt, in: Bulletin de l'lnstitut International de Statistique, tome IX. - Rome: Imprimerie Nationale 1895, S. 1 - 1 2 4 . Grotjahn faßt das „Engel'sche Verfahren" folgendermaßen zusammen: ,,E[rnst] Engel setzt als Meßeinheit für den Personenstand einer Familie, deren Gesamtkonsum er für die einzelnen Familienglieder zerlegen will, das neugeborene Kind. Diese Anfangsgröße läßt er bei männlichen Personen bis zum 25. Lebensjahre jährlich um 0,1 wachsen, bei weiblichen Personen nur bis zum 20. Jahre. Der ausgewachsene Mann zählt demnach 3,5, die Frau 3,0 Einheiten." 8 Kuhna, Ernährungsverhältnisse. 9 Wörishoffer, Sociale Lage. 10 Grotjahn, Wandlungen, S. 8, kritisiert sowohl das Verfahren Kuhnas als auch das Verfahren Woerishoffers. Für Kuhna gilt als volle Maßeinheit jede Person über 17 Jahren; für Kinder und Jugendliche berechnet er entsprechend ihrem Alter unterschiedliche Bruchteile dieser vollen Einheit. Woerishoffer hat - noch einfacher - alle Personen unter 14 Jahren gleich einer halben erwachsenen Person gesetzt. Anders als beim „Engel'schen Verfahren" bleibt dadurch beispielsweise die Differenz zwischen dem Verbrauch der erwachsenen Männer und Frauen unberücksichtigt.
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Nebst mancher anderen Bemerkung des Verfassers ist infolgedessen z. B. auch diejenige über den verschiedenen Grad, in welchem die Familiengröße, also starke Kinderzahl, auf die Qualität der Ernährung bei naturalwirtschaftlicher und geldwirtschaftlicher 5 Deckung des Nahrungsbedarfs einwirkt, nicht genügend sicher zu verifizieren. Sie wäre übrigens wohl auch etwas anders zu formulieren 1 '. Zu bedauern ist weiterhin, daß der Verfasser, der sehr bescheiden auftritt, nicht gewagt hat, an der Vollständigkeit der Angaben der 10 Budgets Kritik zu üben, obwohl hierzu nicht eigentlich Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären. Der Benutzer der Arbeit muß also seinerseits das Urmaterial des Verfassers erneut nachprüfen. Und da der Verfasser einmal sich die erhebliche Mühe der Umrechnung von über 500 Budgets nach Kategorien der Nahrung gemacht 15 hat, 11 so ist es immerhin schade, daß er die Ergebnisse nicht doch etwas mehr spezialisiert | und übersichtlicher - tabellarisch - wie- A 382 dergeben hat: Er unterscheidet lediglich: Cerealien, Kartoffeln, Fleisch, dazu treten bei einigen Budgets Milch, Leguminosen, Zucker, ohne daß es irgend wahrscheinlich wäre, daß diese Nah'' D a ß im Gegensatz zu den geldgelohnten Arbeitern bei Naturalwirtschaft die Kinderzahl „keine erhebliche Rolle" spiele, ist wohl zu viel gesagt. 1 2 Der unzweifelhafte Unterschied liegt einmal ganz allgemein darin, daß bei geldwirtschaftlicher Bedarfsdeckung die Mehrausgaben rechnerisch deutlicher zum Bewußtsein gebracht werden, und daß ferner der Nahrungsstandard, weil er leichter willkürlich modifiziert werden kann, einen labileren Charakter hat. D a z u tritt dann im einzelnen noch der Umstand, daß bei vielen naturalwirtschaftlichen Arbeits- und Pachtverhältnissen nach ihrer Struktur, insbesondere zufolge der Möglichkeit früher und vollständiger Ausnutzung der Kinder im eigenen Hause, eine große Kinderzahl direkt privatwirtschaftlich vorteilhaft sein oder doch erscheinen kann. |
11 Die Arbeit Grotjahns besteht zu einem großen Teil aus Berechnungen der in der Literatur angegebenen Haushaltungsbudgets, die Grotjahn nach dem „Engel'schen Verfahren" Im Hinblick auf den jährlichen Verbrauch einer erwachsenen männlichen Person auswertet. 12 Bei Grotjahn, Wandlungen, S. 45, heißt es beispielsweise: „Bei der noch in Naturalwirtschaft lebenden Bevölkerung spielt die Größe der Familie für die Ernährung keine erhebliche Rolle. Größe der Wirtschaft, örtliche und klimatische Faktoren geben den Ausschlag, ob die Ernährung ausreichend und gut Ist. Bei den auf reinen Geldlohn angewiesenen Arbeltern Ist aber die Zahl der Familienmitglieder für die qualitative und quantitative Gestaltung der Nahrung von ausschlaggebendem Wert. Familien, welche zahlreiche Kinder Im jüngeren Lebensalter zählen, werden sich verhältnismäßig schlechter ernähren als kinderarme."
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rungsmittel im Haushalt der übrigen Familien gänzlich gefehlt hätten. 13 Da nun ferner nicht angegeben ist, ob und wie eine Umrechnung erfolgt ist, so ist man genötigt, doch immer wieder auf das Urmaterial zurückzugehen, und die Vergleichbarkeit der Zahlen ist natürlich auch problematisch. Mag indessen dies alles durch die in jedem Fall nur Annährungswerte ergebende Natur des Materials motiviert werden können, so ist dem Verfasser jedenfalls ein Vorwurf nicht zu ersparen: die Budgets sind in keiner Weise geordnet, weder geographisch - wir springen von Budget zu Budget von Afrika nach Belgien, von da nach Texas2'3, Frankreich, Kambodscha 2 ' b , Schleswig14 - noch chronologisch, noch irgendwie - etwa, was sich empfohlen hätte, nach dem Grade des Vorwiegens eines Nahrungsmittels. Sondern der Verfasser hat den ganzen Stoff nur den vier Bevölkerungsklassen zugeteilt, die er unterscheiden will: 1. „Wohlhabende"; 2. städtische Handwerker, Unterbeamte und gutgestellte Arbeiter; 3. Bauern, Landarbeiter, Fischer, Handwerker, Gesinde mit lokal bedingter Kost 3 '; 4. Kost der Geldlohnarbeiter. 15 Diese Einteilung und die Reihenfolge der Erörterung läßt nun trotz des richtigen Grundgedankens manches zu wünschen übrig. 21 Die zahlreichen exotischen Budgets wären wohl besser entweder ganz ausgeschieden oder nur exemplifikatorisch herangezogen worden. 3) Es ist übrigens nicht richtig, d a ß die Kategorie ad 2 den lokalen Kosttyp im Durchschnitt schon abgestreift hätte. |
a Dieselbe Fußnote in A zweimal angezeigt. gezeigt.
b Dieselbe Fußnote in A zweimal an-
13 Max Weber spielt hier auf die Tatsache an, daß Grotjahn die Haushaltungsbudgets nicht nach einem einheitlichen Schlüssel berechnet. So wird etwa in den Tabellen, die auf dem Material der belgischen Enquête von 1892 (Salaires et budgets ouvriers) beruhen, nur der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Cerealien, Kartoffeln, Fett und Fleisch angegeben (Grotjahn, Wandlungen, S. 50ff ), während in den Tabellen, die sich auf die Zahlen von Kuhna, Ernährungsverhältnisse, stützen, zusätzlich noch der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Milch und Zucker genannt wird (ebd., S. 55ff.). 14 Max Weber bezieht sich hier auf Grotjahn, Wandlungen, S. 26f., wo nacheinander die Budgets einer Beduinenfamilie, eines belgischen Fischers, eines Farmers im westlichen Texas, eines nordfranzösischen Bauern, eines eingeborenen Dolmetschers in Kambodscha und eines landbesitzenden Arbeiters auf einer Hallig an der Westküste von Schleswig aufgelistet sind. 15 Diese Aufzählung entspricht der Kapiteleinteilung im Inhaltsverzeichnis bei Grotjahn, Wandlungen: „II. Die frei gewählte Kost der Wohlhabenden" (S. 10-15); „III. Die Kost der
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von: Grotjahn,
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Will man Entwickelungstendenzen der modernen Ernährung aufweisen, so ist es doch unerläßlich, zunächst die klimatisch und historisch bedingten Lokaltypen der überkommenen Nahrung herauszuarbeiten. Es ergeben sich dabei schon innerhalb der modernen Industrieländer ganz bedeutende Unterschiede. Von diesem Ausgangspunkt aus konnte dann der Verfasser seinen ganz richtigen Gedanken durchführen, jene Entwickelungstendenzen zunächst da zu beobachten, wo die Höhe des Einkommens ihnen am wenigsten Schranken zieht, und alsdann hinab zu steigen bis zu den schlecht gelohnten modernen Industriearbeitern. Mehrfach erheben sich auch Bedenken bezüglich der Zuteilung zu den einzelnen Klassen. Daß z. B. eine Berliner Kaufmannsfamilie mit einem Dienstmädchen bei 3750 Mk. Einkommen 16 ihre Nahrung wirklich „frei" wählt, ist ausgeschlossen, weil die durch die soziale Klassenzugehörigkeit bedingten Ausgaben regelmäßig auf Kosten der Ernährung befriedigt werden. Daher sind manche Schlüsse des Verfassers, so z. B. die aus dem starken Kartoffelkonsum der „Wohlhabenden" gezogenen, bedenklich, zumal im Gegensatz zu seiner Behauptung (S. 14) 17 die Kopfquote dieser Klasse zwischen 91 und 247 kg Kartoffeln schwankt, ohne daß die zwischen 100 und 342 kg schwankende Cerealienquote 18 diese Unterschiede etwa kompensierte. Das Maß
städtischen Handwerker, Unterbeamten und gut gestellten Arbeiter" (S. 1 6 - 2 0 ) ; „IV. Die Kost der Bauern, ländlichen Arbeiter, Handwerker, Fischer und des Gesindes mit ausgeprägt lokalem Charakter (S. 21 - 33); „V. Die Kost der von jeder Naturalwirtschaft losgelösten, auf reinen Geldlohn angewiesenen industriellen und großstädtischen Arbeiter" (S. 3 4 - 5 7 ) , wobei die Kapitelüberschrift über d e m Text in diesem Fall aber nur einfach lautet: „Die Kost der Industriearbeiter." 16 Dieses Beispiel findet sich bei Grotjahn, Wandlungen, S. 12. 17 Grotjahn, Wandlungen, S. 14, stellt bei den Wohlhabenden einen „nicht unerheblichen Verbrauch von Kartoffeln" fest. Er meint dazu: „Diese Thatsache widerspricht der landläufigen Annahme, daß die Kartoffeln als Hauptnahrungsmittel nur dort auftreten, wo die Mittel zur Cerealiennahrung fehlen. Die Wohlhabenden würde nichts hindern, d e n Kartoffelverbrauch auf ein Minimum einzuschränken und die Cerealien vorwiegen zu lassen. In Wahrheit schätzen sie die Kartoffeln aber so sehr, daß nach vorstehenden Angaben durchschnittlich der jährliche Verbrauch berechnet für eine erwachsene Person 180 kg beträgt." 18 Hinsichtlich des Kartoffelverbrauchs beziehen sich diese Beispiele auf d e n Pro-KopfVerbrauch eines Schankwirts (91 kg) und eines Berliner Kaufmanns (247 kg), hinsichtlich des Cerealienverbrauchs auf den Pro-Kopf-Verbrauch eines Berliner Arztes (100 kg) und eines kaufmännischen Angestellten in einer Papierfabrik (342 kg). Grotjahn, Wandlungen, S. 12f.
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A 383 des Kartoffelkonsums in Berlin ist stark lokal bedingt, | die Verhältnisse im Gebiet billiger Gemüsepreise, z. B. in der Provinz Sachsen, liegen schon anders, noch mehr natürlich diejenigen Süddeutschlands, Italiens und Frankreichs. Alles in allem zeigen die Ausführungen des Verfassers hier wesentlich, wie sehr die wissenschaftliche Analyse der Konsumentwickelung noch in den Anfängen steckt. Die Gründe derjenigen Entwickelungstendenzen, welche sich tatsächlich beobachten lassen, sind übrigens auch individueller als der Verfasser annimmt. Jeder kann z. B. beobachten, welch' intensiven Einfluß die durch die englischen Konsumgewohnheiten bedingten Menüs der Hotels auf die Verdrängung der lokalen Kostgewohnheiten zu Gunsten der Uniformierung des Konsums ausüben. Von hier dringt die typische Kost in die Restaurants, wo sich der Junggeselle an sie gewöhnt und sie später als die allein „menschenwürdige" seinem eigenen Haushalt aufzwingt. Die Ergebnisse, zu denen der Verfasser in Kapitel 7 über die Verschiebungen im Konsum der Nahrungsmittel 19 gelangt: Rückgang der Bedeutung der Pflanzenfette und auch von Speck, Schmalz und Milch für die Volksernährung, Abnahme des Verbrauchs von Hafer, Gerste, getrockneten Linsen, Bohnen, Erbsen und last not least Roggenbrot, also aller voluminösen Bestandteile der traditionellen Kost, dagegen aufsteigende Bedeutung von Fleisch, Weizenbrot, Zucker und Butter, sind gewiß zutreffend, aber aus den Budgets, so wie diese der Verfasser errechnet und geordnet hat, wohl kaum zu erschließen, sondern höchstens - was natürlich von erheblichem Wert ist - an ihnen nachzukontrollieren. Durchaus zuzustimmen ist dem Verfasser in den allgemeinen Bemerkungen, mit welchen er in Kapitel 8 20 seine Arbeit abschließt. Es ist richtig, daß die Marktproduktion zur Folge hat, daß die Nahrungsmittel hohen spezifischen Werts den kaufkräftigsten Markt aufsuchen, und dem örtlichen Konsum zunehmend die Nahrungsmittel geringster Transportfähigkeit, insbesondere Kartoffeln, verbleiben. Es ist ebenso richtig, daß die geldwirtschaftliche Bedarfsdeckung die Sprengung der in jahrhundertelanger Auffassung entstandenen, traditionell und lokal gebundenen Arten von Zusam19 Es handelt sich hier um Kapitel VI. Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. 5 8 - 6 3 . 20 Bei d e m a b s c h l i e ß e n d e n Kapitel handelt es sich um Kapitel VII „Tendenzen zur Untere r n ä h r u n g in d e n m o d e r n e n Industrieländern". Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. 6 4 - 7 2 .
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mensetzung der Kost zur Folge hat. Damit hängt dann das Vordringen der Kartoffeln als der weitaus billigsten Kategorie voluminöser Nahrung zusammen. Die neben den Kartoffeln, überall da, wo die Mittel zureichen, erstrebte und auch unbedingt erforderliche Stei5 gerung der Fleisch-, Butter- und Zuckernahrung ist problematisch und findet bei der Masse der geldwirtschaftlich gelohnten Arbeiter nicht in ausreichendem Maße statt: sie bleiben in dem Übergang von der groben Bauernkost zu der feineren der Wohlhabenden stecken4). 10 Bei zunehmender Uniformierung der Art der begehrten Nahrung beginnt eben der Grad der rationellen Ernährung in einem gegen früher | ganz wesentlich gesteigerten0 Maße reine Funktion der Ein- A 384 kommenshöhe zu werden - in diesem Schlußergebnis stimmt der Verfasser mit meinen früher hypothetisch geäußerten Ansichten 15 überein.21 Ein eigentlicher Beweis ist freilich auch jetzt nicht erbracht, auch bei der Natur des Materials nicht leicht zu erbringen. Die Gefahren dieser Entwickelung liegen in dem labilen Charakter, den die Ernährungsweise nach Durchbrechung der festen Tradi41 Nicht unwichtig, wenn schon wiederum aus den Budgets nicht erschließbar, sind die A 383 B e m e r k u n g e n des Verfassers über die B e d e u t u n g der Hausschlachtung selbstgemästeter Schweine f ü r die E r n ä h r u n g der Arbeiterfamilien. E r schlägt sie weit höher an, als die B e d e u t u n g der Kuh- und Ziegenhaltung zum Z w e c k der Milchgewinnung. 2 2 D a s ist bei dichter B e v ö l k e r u n g und hoher Grundrente sowie dominierender B e d e u t u n g der K a r t o f fel gewiß richtig. D i e B e d e u t u n g der Kuhhaltung liegt mehr auf sozialem als auf dem G e biet der Ernährung, j
c A: gesteigertem 21 Max Weber hatte unter anderem in seiner „Vorbemerkung des Herausgebers" zu einer Arbeit von Walter Abelsdorff (in diesem Band abgedruckt, oben, S. 3 0 - 3 3 ) es als eine der „zentralen Fragen der Konsumentwickelung" bezeichnet, „in wieweit unter anderm die unzweifelhaft vorhandene Tendenz zur Beseitigung der historisch gegebenen lokalen Konsumtypen eine Tendenz zur Uniformierung des Konsums überhaupt In dem Sinne darstellt, daß die Art desselben schlechthin Funktion der Klassenzugehörigkeit und Einkommenshöhe wird" (oben S.33). Grotjahn, Wandlungen, S.71, sieht diese Vermutung Webers durch seine Arbeit „bezüglich des Nahrungsmittelkonsums vollkommen" bestätigt. 2 2 Grotjahn, Wandlungen, S.62, mißt dem Konsum von Fleisch und Fett für die Volksernährung eine hohe Bedeutung bei. Dabei kommt er zu d e m Schluß, „daß mit der Möglichkeit bezw. Unmöglichkeit, ein Schwein zu mästen und für den Hausgebrauch zu schlachten, die Fleisch- und Fettversorgung der kleinen Leute steht und fällt. Das Halten von Kühen und Ziegen scheint nicht so günstig zu wirken wie die Schweinemästung."
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tionen der Vergangenheit angenommen hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß an Stelle der bei naturalwirtschaftlich-traditioneller Beschaffung der Nahrung häufigen akuten, lokalen Hungersnöte, bei geldwirtschaftlicher und deshalb berechnend sparsamer Bedarfsdeckung die chronische Unterernährung ganzer Klassen an 5 Eiweiß- und Fettstoffen tritt. Wenn der Verfasser eine zunehmende „degenerative" Unterernährung als allgemein in der Herausbildung begriffen ansieht, 23 so geht er freilich über das Maß dessen heraus, was sich wissenschaftlich zur Zeit beweisen läßt. Die Arbeit stellt freilich nur einen Anfang der Beackerung eines 10 umfangreichen Gebietes dar, als ein solcher ist sie aber, trotz vieler Bedenken im einzelnen, dankbar anzuerkennen.
2 3 Grotjahn, W a n d l u n g e n , S. 70f., hält es für d u r c h a u s m ö g l i c h , „daß In e i n e m erheblic h e n Bruchteile der Bevölkerung der e u r o p ä i s c h e n Industrieländer eine g e w i s s e chronis c h e U n t e r e r n ä h r u n g mit d e g e n e r a t i v e r Tendenz b e s t e h e n könnte." Durch seine Untersuc h u n g e n sieht er sich zu der A n n a h m e veranlaßt, „daß damit wie mit anderen Faktoren a u c h die körperliche Minderwertigkeit, die bei d e m N a c h w u c h s der industriell thätigen A r b e i t e r s c h a f t ohne Zweifel sich allmählich herausbildet, in w e s e n t l i c h e m kausalen Z u s a m m e n h a n g e steht."
Die „Bedrohung" der Reichsverfassung
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Mitte der 1880er Jahre tauchten im Deutschen Reich Pläne auf, die gestiegene Macht des Reichstages durch eine Änderung der Verfassung, notfalls durch einen Staatsstreich, einzudämmen. So wurde die These entwickelt, daß das Reich als ein Bund der deutschen Fürsten gegründet worden sei, der von diesen wieder aufgelöst werden könne. Schon von Bismarck sind Aussagen dieser Art überliefert. So sagte er etwa am 17. April 1886 zum deutschen Botschafter in St. Petersburg, Hans Lothar von Schweinitz: „Es kann wohl dahin kommen, daß ich das, was ich gemacht habe, wieder zerschlagen muß; die Leute vergessen, daß dem jetzt bestehenden Bunde dasselbe passieren kann, was dem Frankfurter Bundestage 1866 geschehen ist; die Fürsten können von ihm zurücktreten und einen neuen bilden ohne den Reichstag." 1 Auch Wilhelm II. spielte wiederholt mit dem Gedanken, auf diese Weise der demokratischen Entwicklung entgegenzuwirken und gegebenenfalls ein eingeschränktes Wahlrecht zu oktroyieren. Es war deshalb von großer politischer Brisanz, daß der ehemalige badische Bevollmächtigte zum Bundesrat, Eugen von Jagemann, diese Überlegungen verfassungsrechtlich abzustützen suchte. Im Jahre 1903 hielt Jagemann an der Universität Heidelberg Vorträge, die im folgenden Jahr auch im Druck erschienen. 2 Er vertrat dabei die Ansicht, daß das Deutsche Reich ein Bund der deutschen Fürsten sei, der durch diese wieder aufgelöst werden könne, da jeder Vertrag durch einen übereinstimmenden Beschluß der Vertragsparteien, einen „mutuus dissensus", aufhebbar sei. Dadurch komme „ein Zweifelmoment in die Existenz des ganzen Reiches", denn: Werde der Bund aufgelöst, so auch das Reich, und damit fiele „auch die Reichsverfassung, da ihre Voraussetzung weggefallen wäre." Dies bedeute „keine Änderung, sondern ein Erlöschen." 3
1 Denkwürdigkeiten des Botschafters General v. Schweinitz, hg. von Wilhelm von Schweinitz, Band 2. - Berlin: Reimar Hobbing 1927, S.317. 2 Jagemann, Eugen von, Die deutsche Reichsverfassung. Vorträge. - Heidelberg: Carl Winter's Universitätsbuchhandlung 1904. 3 Ebd., S.30.
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" der
Reichsverfassung
Obgleich Jagemann seine Überlegungen als „rein theoretisch" bezeichnet hatte, lösten sie in der Öffentlichkeit eine Protestwelle aus. Am 20. Mai 1904 erschien in der Frankfurter Zeitung ein Artikel unter der Überschrift „Herr von Jagemann und die deutsche Reichsverfassung", mit Stellungnahmen der Heidelberger Staatsrechtslehrer Georg Jellinek und Gerhard Anschütz. 4 Diese kritisierten Jagemann heftig. Über die Theorie von der Auflösbarkeit des Reichs durch einstimmigen Beschluß der Bundesfürsten heißt es: „Diese Lehre ist bisher von keinem Staatsrechtslehrer ernsthaft vertreten worden. [...] Mit ähnlichen Argumenten, wie sie Herr v. Jagemann vorbringt, hat man in den Zeiten der Verfassungskämpfe den Staatsstreich zu beschönigen versucht: Der Monarch hat die Verfassung einseitig gegeben, also kann er sie auch wieder einseitig aufheben!" Jellinek und Anschütz waren davon überzeugt, daß alle deutschen Staatsrechtslehrer Jagemanns Auffassung ablehnten: „In Wahrheit sind es auch nicht juristische, sondern politische Lehren, die wir hier bekämpfen." Ernst von Jagemann sah sich dadurch zu einer Replik veranlaßt, die am 24. Mai 1904 ebenfalls in der Frankfurter Zeitung erschien. 5 Darin begründete er seine Überlegungen mit der Absicht, „die Wissenschaft vor die Frage zu stellen, welche positiven Mittel der Rechtsordnung sie der Staatsgewalt beimesse, um einer siegreichen Obstruktion gegenüber die Handlungsfähigkeit des Reichs herzustellen", und wollte sie „als Warnungstafel für destruktive Tendenzen" verstanden wissen. In einer redaktionellen Bemerkung bezeichnete die Frankfurter Zeitung diese Stellungnahme als „durchaus nicht geeignet, die gegen die Jagemannsche Auffassung erhobenen Bedenken irgendwie abzuschwächen." Ihre praktische Ausformung erhielten solche Überlegungen durch neuerdings „recht unverblümte Aufforderungen von Scharfmacherblättern an die Krone zum Staatsstreich". Jagemanns Formulierungen seien letztlich als „theoretische Proklamierung der krassen Gewalt gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen" zu verstehen. Max Weber hatte die Schrift Jagemanns bereits vor dieser öffentlichen Kontroverse zur Kenntnis genommen. Seine Geringschätzung äußerte er schon in einer brieflichen Anfrage an Georg Jellinek von Anfang Mai 1904, ob dieser „das v. Jagemanrische Machwerk im Archiv kurz abfertigen" wolle. 6 Die Debatte in der Frankfurter Zeitung, und hier insbesondere die 4 Frankfurter Zeitung, Nr. 140 v o m 20. Mai 1904, 1. Mo.BI., S. 1. 5 Ebd., Nr. 143 v o m 24. Mai 1904, 1. Mo.BI., S. 1, ebenfalls unter der Überschrift „Herr von J a g e m a n n u n d die d e u t s c h e Reichsverfassung". 6 Postkarte Max W e b e r s an G e o r g Jellinek v o m 8. Mal 1904, BA Koblenz, Nl. G e o r g Jellinek, Nr. 31 ( M W G II/4). Es Ist freilich nicht zu einer derartigen B e s p r e c h u n g in d e m v o n Max W e b e r m i t h e r a u s g e g e b e n e n „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" gekommen.
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Editorischer Bericht
Replik Jagemanns vom 24. Mai, veranlaßte ihn schließlich, selbst öffentlich in den Streit einzugreifen.
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter der Überschrift „Die .Bedrohung' der Reichsverfassung" in der Frankfurter Zeitung, Nr. 153 vom 3. Juni 1904, 1. Mo.BI., S. 1, erschien (A). Ihm ist die redaktionelle Bemerkung vorangestellt: „Wir erhalten folgende Zuschrift:".
Die „Bedrohung" der Reichsverfassung
In der Antwort des Herrn von Jagemann (in Nr. 143) auf die Erklärung der beiden Heidelberger Staatsrechtslehrer1 muß besonders auffallen, daß er von der Theorie des „mutuus dissensus" wie von einer von ihm geschaffenen spricht.2 Dem ist entschieden entgegenzutreten. Solange die Reichsverfassung besteht, hat es Laien und Dilettanten gegeben, welche, weil die Einleitung der Verfassung von der Schließung eines „ewigen Bundes" berichtet, 3 gemeint haben, das Reich könne nach Analogie des Dreibundes 4 oder doch wenigstens des alten Deutschen Bundes 5 auch durch Vertrag der Kontrahenten, welche dort genannt sind, wieder aufgelöst werden, - eine Ansicht, welche, beiläufig bemerkt, unter anderem die Konsequenz haben müßte, daß auch ein einzelner Bundesstaat, etwa Bayern, auf Grund der bloßen einstimmigen Zustimmung aller anderen Regierungen jederzeit, ohne Mitwirkung des Reichstags, müßte aus dem 1 Gemeint sind Georg Jellinek und Gerhard Anschütz. Ihre Erklärung erschien in der Frankfurter Zeitung, Nr. 140 vom 20. Mai 1904, 1. Mo.BI., S. 1, unter der Überschrift „Herr von Jagemann und die deutsche Reichsverfassung". Darin setzen sich Jellinek und Anschütz mit dem Buch Eugen von Jagemanns, Die deutsche Reichsverfassung. Vorträge. Heidelberg: Carl Winter's Universitätsbuchhandlung 1904, auseinander. Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 74. 2 Frankfurter Zeitung, Nr. 143 vom 24. Mai 1904, Mo.BI., S. 1. Die mit dem Terminus „mutuus dissensus" bezeichnete Theorie besagt, daß Vertragspartner einen einmal geschlossenen Vertrag in gegenseitigem Einvernehmen aufheben oder ändern können. 3 In der Präambel der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 heißt es: „Seine Majestät der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main belegenen Theile des Großherzogtums Hessen, schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes." 4 Der „Dreibund" wurde mit Vertrag vom 20. Mai 1882 zwischen dem deutschen Kaiser, dem Kaiser von Österreich und König von Ungarn sowie dem König von Italien geschlossen. Sie vereinbarten Beistand oder Neutralität in Kriegsfällen. Der Vertrag war auf fünf Jahre befristet und wurde mehrmals verlängert. 5 Nach Art. 1 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 vereinigten sich die „souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands mit Einschluß Ihrer Majestäten des Kaisers von Österreich und der Könige von Preußen, von Dänemark und der Niederlande [...] zu einem beständigen Bunde, welcher der deutsche Bund heißen soll."
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Reichsverbande entlassen werden können. 6 Im Winter 1886/87 wurde denn - wie mir mein verstorbener Vater damals lachend erzählte - in den Couloirs des Reichstags auch ein Ausspruch des Fürsten Bismarck kolportiert, etwa dahin: daß man ja, wenn der 5 Reichstag in der Militärfrage schlechterdings nicht zur Raison zu bringen sei, schließlich besser tun werde, auf die Einzelstaaten zurückzugreifen und den Bund wieder aufzulösen. 8 Ob Fürst Bismarck, der bekanntlich im engeren Kreise manches sagte, was für seine Staatspraxis nicht maßgebend war - so z. B. auch: daß eigent10 lieh die Monarchie eine recht „lästige" Staatsform sei; denn „dieser Mann" (der alte Kaiser) „koste" ihn 3 „täglich zwei Stunden", - 9 jenen Ausspruch wirklich getan hat, ist gleichgültig. Würde er damals in der Form, wie jetzt bei Herrn von Jagemann, etwa in der „Nord-
a A: ihm
6 Die Anhänger der „Vertragstheorie" sahen im Deutschen Reich verfassungsrechtlich in erster Linie einen Bund der souveränen Fürsten. Sie konnten sich dabei unter anderem auf den Staatsrechtler Max von Seydel berufen, der das Deutsche Reich als einen auf rein vertragsmäßiger Basis ruhenden Staatenbund beschrieb. Seydel, Max von, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 2., umgearb. Aufl. - Freiburg i.B./Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1897, S. 22ff. Auch Bismarck vertrat aus taktischem Kalkül, so etwa bei seinem „Staatsstreichplan" vom 2. März 1890, die Auffassung, daß das Reich ein Fürstenbund sei. Da die Fürsten und Freien Städte Gründer des Reiches und Verfassungsstifter seien, besäßen sie auch ein Revisionsrecht, dürften also das Reich gleichsam „kündigen" und neubegründen oder zumindest einzelne Verfassungsbestimmungen außer Kraft setzen. Dieses Argument wurde bei umstrittenen Reichstagsvorlagen mehrfach auch von der konservativen Presse ins Feld geführt. 7 Der Vater Max Webers, von 1872-77 und 1879-84 Mitglied des Reichstags für die Nationalliberalen, verfügte über hervorragende politische Kontakte in Berlin und war auch nach seinem Ausscheiden aus dem Reichstag über die internen Vorgänge bestens informiert. 8 Im November 1886 legte die Reichsleitung unter Bismarck den Entwurf eines „Septennatsgesetzes" vor, in dem die Heeresstärke für sieben Jahre auf rund 470.000 Mann festgesetzt wurde. Als der Reichstag am 14. Januar 1887 mit den Stimmen des Zentrums und der Linken die Vorlage in dieser Form ablehnte, wurde er aufgelöst, und es kam zu Neuwahlen. In der Zeit des Wahlkampfes ließ Bismarck verlauten, daß man die Existenz des Deutschen Reiches „am Ende auch ohne die jetzige Verfassung wahren" könne, und dies „gewiß besser ohne einen solchen Reichstag". Er sei überzeugt, den Kaiser dahin bewegen zu können, „hier eine Änderung zu treffen, und die Bundesregierungen ebenfalls." Bismarck. Die gesammelten Werke, Band 8. - Berlin: Otto Stollberg & Co. 1926, S.551. 9 Als Zitat nicht nachgewiesen.
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deutschen Allgemeinen Zeitung" 10 verwertet worden sein, so würde Bismarck ihn wohl als eine „minder haltbare Tagesleistung" bezeichnet haben. Die subalterne Beflissenheit „staatserhaltender" Kreise aber bemühte sich schon damals eifrig um diesen hingeworfenen Brocken; ich erinnere mich deutlich, daß bei Gerichtsfrühschoppen 11 und dergleichen ernsthaft darüber diskutiert wurde, und so mag das Dictum denn auch seinen Weg zu jenen behaglichen Lokalen in der Nähe der Linden gefunden haben, wo die kleineren und kleinsten Bundesstaaten am Abend sich über ihre politische Einflußlosigkeit bei dunklem Biere zu trösten pflegten. Daß jetzt diese Bierbankpolitik, - denn das ist die einzig mögliche Bezeichnung - , mit der erfrischenden Siegesgewißheit des Dilettanten, den Heidelberger Studenten als „staatsrechtliche" Theorie dargeboten wird, 12 ist sicherlich ein wenig erhebendes Schauspiel. Aber jener Ursprung der Lehre könnte immerhin die ernsthafte politische Presse veranlassen, die Sache mehr von der heiteren Seite anzusehen, als es bisher geschah. Eine ernste Seite hat der Vorgang freilich auch. Wenn wir mit Recht das gelegentliche Kokettieren mit dem Worte: „Revolution" seitens eines Teiles der Sozialdemokratie 13 leichtfertig und einer großen Partei unwürdig finden, so verlangt das Kokettieren mit der Revolution „von oben" auf Seiten von Leuten, die im Ernstfalle ja sehr weit vom Schuß sein würden, die denkbar schärfste Zurückweisung. Dazu, um einen Verfassungskonflikt herbeizuführen und dann, auf die Bajonette des stehenden Heeres gestützt, eine Weile „fortzuwursteln", dazu bedarf es wahrlich keines großen Staatsmannes, nicht einmal eines (im heutigen Sinne) „starken Mannes". Es genügt dazu ein gewissenloser Dummkopf oder ein politischer Abenteurer an der Spitze der Reichsverwaltung. Aber dann', aus
10 Die konservativ-liberale Norddeutsche Allgemeine Zeitung galt im Kaiserreich als offiziöse Tageszeitung, in der die Linie der Regierung vertreten wurde. 11 An den „Gerichtsfrühschoppen" in Berlin dürfte Max Weber in der Zeit seines Referendariats und der Vertretung eines Berliner Anwalts 1887/88 teilgenommen haben. 12 Eugen von J a g e m a n n hatte seine Thesen 1903 als ordentlicher Honorarprofessor für Staatsrecht zunächst In Vorlesungen an der Universität Heldelberg vorgetragen. 13 G e g e n ü b e r der z u n e h m e n d e n Bereitschaft führender Sozialdemokraten, mit d e n bürgerlichen Parteien zu kooperieren, betonte Karl Kautsky als Vertreter des orthodoxen Marxismus den revolutionären Charakter der Partei. Wiederholt bezeichnete er die politische Revolution als Voraussetzung für die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft.
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diesem Konflikt uns wieder herauszuhelfen, ohne daß nicht nur unsere Weltstellung, unsere Einheit und Unabhängigkeit vom Ausland, sondern auch die Rechtssicherheit aller unserer Institutionen für viele Generationen in die Brüche gingen, - dazu bedürfte es nach der Eigenart unseres Staatswesens und unserer Lage eines Staatsmannes, der eine ganz andere Taille hätte, als alles, was heute in Deutschland irgendwo an „kommenden Männern" herumläuft. Selbst die Verminderung unseres Heeres wäre eine geringere Gefahr, als ein solches Experiment, unternommen von dem Epigonengeschlecht, welches uns regiert. Das Spintisieren subalterner Geister über die Möglichkeit eines außerparlamentarischen Regimes gehört in jenes System von Nadelstichen, mit denen von gewissen höfischen und agrarischen Kreisen gegen unsere parlamentarischen Institutionen seit Jahren Stimmung gemacht wird. Es ist nicht zu leugnen, daß - ob mit oder ohne Mitverschulden der Volksvertretungen, bleibe unerörtert - das Raisonnieren auf deren Unfähigkeit, der Glaube an die „Überlebtheit" des Parlamentarismus und dergleichen - Dinge, die man übrigens vor 250 Jahren in England ganz ebenso hören konnte - 1 4 bei uns jetzt derart zum „guten Ton" gehört, daß fast ein gewisser Mut erforderlich ist, diesem Modegeschwätz überhaupt entgegenzutreten. Und doch hätten die Kritiker des Parlamentarismus allen Anlaß, heute, wo die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Konflikts von unten her so fern liegt, wie nur je in unserer Geschichte, wo z.B. die parlamentarischen Chancen von Militärforderungen, verglichen mit der Zeit vor 10 oder 20, oder gar vor 40 Jahren, geradezu beneidenswerte sind, 15 1 4 In der Zeit der Englischen Revolution wurde der M a c h t k a m p f zwischen A n h ä n g e r n der Krone und d e m Parlament a u c h publizistisch ausgetragen. Aus der Zeitangabe läßt sich schließen, daß Max Weber hier auf das vorwiegend negative Urteil über das von 1 6 4 8 1653 b e s t e h e n d e „Rumpfparlament" anspielt, d e m eine ausschließliche Fixierung auf die Sicherung seiner Machtstellung vorgeworfen wurde. A u c h das „Barebone's Parliament", Nachfolger des von Oliver Cromwell im April 1653 mit Gewalt aufgelösten „Rumpfparlaments", galt in d e n A u g e n seiner Gegner als reformunfähige A n s a m m l u n g von fanatischen Sektierern und politisch inkompetenten Aufsteigern, was aus unzähligen zu dieser Zeit kursierenden Flugschriften und Petitionen hervorgeht. 1 5 A n s p i e l u n g darauf, daß, im Unterschied zu den Zeiten des preußischen Verfassungskonflikts der 1860er Jahre und ebenso der heftigen parlamentarischen Auseinandersetz u n g e n über das Septennat und seine Erneuerung der 1880er Jahre (siehe Anm. 8), seit 1893 - nicht zuletzt unter d e m Einfluß der wehrfreudigen Stimmung in der Bevölkerung die N e i g u n g der Parteien des Reichstags nachgelassen hatte, den Heeresvorlagen ihre Z u s t i m m u n g zu verweigern.
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recht zurückhaltend zu sein in der Herbeiführung von Debatten über den relativen Wert der einzelnen großen Faktoren unseres Staatslebens. Der Spieß könnte auch einmal umgedreht werden. Seit bald 15 Jahren leben wir unter einem Regime, welches einen so stark persönlich-monarchischen Charakter an sich trägt, 16 wie dies selten irgendwo der Fall war. Würden wir nun fragen, was denn eigentlich dieses Regime geleistet hat, selbst auf demjenigen Gebiet, wo angeblich das monarchische Regiment seine spezifische Leistungsfähigkeit zeigen soll: dem der äußeren Politik,- so würde der Vergleich mit den demokratisch verwalteten Großstaaten ein für uns sicherlich nicht schmeichelhafter sein. Der beispiellose Rückgang des deutschen Prestiges ist kein unverschuldeter, und es sind ganz andere Instanzen, als etwa die deutschen Parlamente, die ihn verschuldet haben. 17 Genug davon. - Die breiten Schichten des deutschen Bürgertums sind, aus guten Gründen, Anhänger der Monarchie als Institution, und, so viel an uns liegt, werden wir es bleiben, auch wenn, wie wir es erleben mußten, die Monarchie in ihrem konkreten Träger einmal den Erwartungen nicht entspricht, die wir auf sie zu setzen berechtigt waren. Aber wir werden uns auf das entschiedenste ausbitten müssen, daß man für die parlamentarischen Institutionen gefälligst ein für allemale das Gleiche gelten läßt. Denn bei der Fortsetzung solcher Debatten würde die Monarchie nicht besser fahren als der Parlamentarismus. Heidelberg, 31. Mai 1904. Prof. Max Weber.
16 Dies bezieht sich auf d a s „ p e r s ö n l i c h e R e g i m e n t " Wilhelms II., der a m 15. Juni 1888 d e n Thron b e s t i e g e n hatte. 17 Die z a h l r e i c h e n Eingriffe Kaiser Wilhelms II. in die Führung der a u s w ä r t i g e n A n g e l e genheiten w u r d e n als ursächlich für die Verschlechterung der Position d e s D e u t s c h e n Reiches in d e n internationalen B e z i e h u n g e n a n g e s e h e n . Max Weber d r ü c k t e s c h o n 1892 seine B e f ü r c h t u n g e n aus: „ A b e r was soll m a n ü b e r h a u p t v e r s u c h e n ^ von unsrer L a g e u n d unsren A u s s i c h t e n zu s p r e c h e n , w o b e i d e von e i n e m absolut u n b e r e c h e n b a r e n Faktor a b h ä n g e n : der Person d e s Kaisers. [...] Wie d u r c h ein W u n d e r e n t g e h e n wir bis jetzt n o c h d i p l o m a t i s c h wirklich ernsten Situationen, aber daß die Politik Europas nicht mehr in Berlin g e m a c h t wird, steht wohl außer Zweifel." Brief Max Webers an H e r m a n n B a u m g a r ten v o m 28. April 1892, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 7 ( M W G II/2).
Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Die folgende Abhandlung Max Webers Ist Teil seiner Untersuchungen der deutschen Agrarverfassung, Insbesondere ihrer Veränderungen unter dem Einfluß des Kapitalismus. 1 Sie bildet zugleich einen Höhepunkt seines publizistischen Kampfes gegen die einseitige Bevorzugung der Großgrundbesitzer vor allem In den östlichen Provinzen Preußens. Den konkreten Anlaß dazu bot der Im Frühsommer 1903 veröffentlichte „Vorläufige Entwurf eines Gesetzes über Famillenfldeikommisse", 2 mit dem die Regierung das Fidelkommißrecht In Preußen auf eine neue und einheitliche Grundlage stellen wollte. Das Institut der Famlllenfidelkommlsse bildete eine Sonderform des landund forstwirtschaftlichen Grundbesitzes. Durch Willenserklärung des Stifters wurde der Grundbesitz für eine Familie auf Dauer gebunden, In seiner Gesamtheit für unteilbar, unveräußerlich und unverschuldbar erklärt sowie einer bestimmten Erbfolge unterworfen. 3 Dieses besondere Rechtsverhältnis sowie der ausdrückliche Zweck der Fldelkommlsse, den „Glanz einer Familie" (splendor famlliae) zu sichern, waren sowohl In verfassungs- als auch in sozialpolitischer Hinsicht äußerst umstritten. Während die Freunde dieses Instituts in den Famillenfidelkommissen ein wesentliches Mittel zur Erhaltung einer wirtschaftlich und sozial selbständigen, von einem hohen Verantwortungsgefühl gegenüber Familie und Staat getragenen Grund-
1 Vgl. dazu Mommsen, Wolfgang J., Einleitung zu MWG I/4: Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. Schriften und Reden 1892-1899, S. 1 - 6 8 . 2 Vorläufiger Entwurf eines Gesetzes über Famlllenfideikommisse nebst Begründung. Im amtlichen Auftrage veröffentlicht. - Berlin: Verlag der „Post" [1903], 3 Zur Definition und Geschichte der Familienfidelkommisse vgl. aus der umfangreichen Literatur: Heß, Klaus, Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich. Landwirtschaftlicher Großbetrieb, Großgrundbesitz und Familienfideikommiß in Preußen (1867/ 71-1914). - Stuttgart: Franz Steiner 1990, S. 101 ff., sowie Eckert, Jörn, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum Absterben eines Rechtsinstitutes. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Parls/Wien: Peter Lang 1992.
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Fideikommißfrage
in Preußen
aristokratie sahen, führte es in den Augen seiner Gegner zu wirtschaftlicher und sozialer Stagnation auf dem Lande. Für die Familienfideikommisse hatte es in den deutschen Staaten zu keiner Zeit eine einheitliche Regelung gegeben. Auch bei der Schaffung des „Bürgerlichen Gesetzbuches" (BGB) gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde darauf verzichtet und die rechtliche Gestaltung dieses Instituts den Landesgesetzgebungen überlassen. 4 Einige deutsche Staaten, so etwa Bayern, Baden und Sachsen, regelten daraufhin das Fideikommißwesen in ihren Ausführungsgesetzen zum BGB. 5 In Preußen wurde die Debatte über eine landesgesetzliche Neugestaltung des Fideikommißrechts mit großer Schärfe geführt. Dabei erschien gerade hier eine grundlegende Reform besonders dringend, weil die Rechtsverhältnisse sehr uneinheitlich waren. Zwar galt für die meisten preußischen Gebiete das 1794 erlassene „Allgemeine Landrecht" mit seiner detaillierten Gestaltung des Fideikommißwesens, doch eben nicht überall. In manchen Gebieten herrschte das „Gemeine (d.h. Römische) Recht" oder das „Rheinische Recht" mit einer Reihe von regionalen Sonderregelungen. 6 Zudem wurde das Institut in Preußen besonders häufig verwendet. So waren im Jahre 1900 rund 2.177.150 ha fideikommissarisch gebunden, was einem Anteil von 6,25 % an der gesamten Staatsfläche entsprach. 7 Vor allem die rasche Zunahme der Fideikommißstiftungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 8 hatte die Kritiker dieses Instituts auf den Plan gerufen, so etwa den Nationalökonomen Johannes Conrad, der sich auf der Grundlage umfangreichen statistischen Materials eingehend mit Ausdehnung und Bedeutung des Großgrundbesitzes in den östlichen Provinzen Preußens 9 beschäftigte. Er sah in der Ausdehnung der Fideikommisse die
4 Art.59 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 (BGB/1896). Zum Gang der Beratungen vgl. Eckert, Kampf, S. 565-593. 5 Eckert, Kampf, S. 595-603. 6 Eine knappe Übersicht findet sich bei Heß, Junker, S. 106f. 7 Kühnert, Franz, Die Fideikommisse in Preußen im Jahre 1900 und die Wanderungen in den Kreisen mit besonders ausgedehntem Fideikommißbesitze in dem Zeiträume 1875 bis 1900, in: Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus, 42. Jg., 1902, Tabelle 1, S. 138. 8 Ebd., S. 143. 9 Conrad, Johannes, Die Fideikommisse in den östlichen Provinzen Preußens, in: Festgabe für Georg Hanssen zum 31. Mai 1889. - Tübingen: Verlag der Laupp'schen Buchhandlung 1889, S. 261-300; ders., Die Latifundien im preußischen Osten, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad, Neue Folge, Band 16, 1888, S. 121-170; ders., Der Großgrundbesitz in Ostpreußen, ebd., III. Folge, Band 2, 1891, S . 8 1 7 - 8 4 4 ; ders., Der Großgrundbesitz in Westpreußen, ebd., Band 3, 1892, S. 481 - 4 9 5 ; ders., Der Großgrundbesitz in der Provinz Posen, ebd., Band 6, 1893, S. 516-542; ders., Der Großgrundbesitz in Pommern, ebd., Band 10, 1895, S. 706-739; ders., Der Großgrundbesitz in Schlesien, ebd., Band 15, 1898, S. 705-729.
Editorischer
Bericht
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Gefahr einer durch „künstliche Garantien" hervorgerufenen Konzentration des Nationalvermögens in w e n i g e n Händen, die den kleineren und mittleren Besitz zerstöre, die „Landflucht" b e g ü n s t i g e u n d damit letztlich a u c h die „Sanierung unserer ländlichen und städtischen Verhältnisse" verhindere. 1 0 D e m g e g e n ü b e r waren die Befürworter des Instituts, wie etwa der Staatsrechtler Otto von Gierke, der Meinung, daß „nicht von einer fortschreitenden Nivellierung und Atomisierung, s o n d e r n von neuer Gliederung u n d Bindung der Gesellschaft das Heil unserer Zukunft" a b h ä n g e . Die durch die fideikommissarische B i n d u n g des Besitzes gesicherte „bodenständige Grundaristokratie" schütze das „Volk vor der Alternative revolutionärer oder cäsaristischer Entartung." 1 1 Das preußische Fideikommißrecht stand anläßlich der Beratungen über ein neues Stempelsteuergesetz im Jahre 1895 auf der politischen Tagesordnung. 1 2 Die Steuererhebung in Stempelform w u r d e in vielen Bereichen angewandt, unter a n d e r e m für die amtliche B e u r k u n d u n g von Rechtsgeschäften. Seit 1822 betrugen die Kosten bei der Errichtung eines Fideikommisses 3 % des Stiftungswerts. Über den Entwurf der Regierung, der die Höhe dieses Stempelsatzes nicht verändern wollte, kam es im preußischen Landtag 1895 zwischen den Befürwortern und G e g n e r n des Instituts zu erbittertem Streit. Während die Konservativen eine Senkung des Stempelsteuersatzes verlangten, um die Stiftung von Fideikommissen zu erleichtern, s p r a c h e n sich die Liberalen nicht nur für einen hohen Stempel aus, sondern forderten sogar, die b e s t e h e n d e n Fideikommisse aufzuheben, d a sich auch die Landwirtschaft den veränderten ö k o n o m i s c h e n Verhältnissen a n p a s s e n müsse. N o c h kontroverser als im A b g e o r d n e t e n h a u s verliefen die Verhandlungen über das Stempelsteuergesetz im Herrenhaus. Hier g a b es sogar die Tendenz, die g e s a m t e Regierungsvorlage zu Fall zu bringen, falls sich keine Ermäßigung des Stempelsatzes für Fideikommisse durchsetzen ließe. Schließlich einigte sich die z u s t ä n d i g e Kommission darauf, d e m Herrenhaus die A n n a h m e des Stempelsteuergesetzes unter Beifügung einer Resolution zu empfehlen, in der die Staatsregierung um einen b a l d i g e n Gesetzentwurf zur Reform des Fideikommißwesens unter Einschluß einer Stempelermäßigung ersucht wurde. Dies sagte das preußische Staatsministerium grundsätzlich zu. Es ließ sich damit freilich Zeit. In den f o l g e n d e n Jahren erinnerten vor allem die Konservativen in zahlreichen A n f r a g e n u n d
10 Conrad, Johannes, Die volkswirtschaftliche und sozialpolitische Bedeutung der Fideikommisse, in: HdStW2, Band 3, S. 892-901, insb. S. 895. 11 Gierke, Otto von, Geschichte und Rechte der Fideikommisse, ebd., S. 880-892, hier S. 890. 12 Vgl. dazu und zum Folgenden Heß, Junker, S. 119-127, sowie Eckert, Kampf, S. 6 0 4 621.
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Fideikommißfrage
in Preußen
Interpellationen an das Reglerungsversprechen und prangerten Immer wieder die a n g e b l i c h e Untätigkeit des Staatsministeriums an. In der Tat z o g e n sich die Arbelten an der geplanten Reform sehr lange hin. Zwar hatte das Staatsministerium bereits Ende 1895 das Ministerium für Landwirtschaft, D o m ä n e n und Forsten damit beauftragt, eine Denkschrift über die Reformbedürftigkeit des Fidelkommißwesens zu erstellen, d o c h dauerte es rund drei Jahre, bis das Landwirtschaftsministerium auf der G r u n d l a g e dieser Denkschrift einen ersten Gesetzentwurf mit d e m Titel „ G r u n d z ü g e eines Gesetzes über Famllienfldelkommisse" ausgearbeitet hatte. Dieser Gesetzentwurf w u r d e zu Beginn des Jahres 1899 den O b e r l a n d e s g e r i c h t e n sowie den Behörden der allgemeinen Staatsverwaltung zur B e g u t a c h t u n g übersandt. A u f g r u n d der Einwände der Lokalbehörd e n und grundsätzlicher B e d e n k e n des Justizministeriums wurde Im Jahre 1900 ein zweiter Entwurf ausgearbeitet, der In einer eigens eingesetzten Kommission von Vertretern des Landwirtschafts- und des Justizministeriums unter Hinzuziehung weiterer G u t a c h t e n beraten wurde. Im Frühjahr 1903 legte die preußische Staatsregierung schließlich den e i n g a n g s erwähnten „Vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Famlllenfidelkommisse nebst B e g r ü n d u n g " der Öffentlichkeit vor. 1 3 Mit d e m „Vorläufigen Entwurf" sollte eine einheitliche Regelung für den g e b u n d e n e n Großgrundbesitz im g e s a m t e n preußischen Territorium geschaffen werden. Er b e s t a n d aus 245 Paragraphen, denen eine Beg r ü n d u n g von 212 Seiten b e i g e g e b e n war. Die Famillenfidelkommlsse wurden sowohl staatspolitisch als a u c h volkswirtschaftlich gerechtfertigt. Die fidelkommlssarische B i n d u n g wollte man aber auf G r u n d b e s i t z beschränken, der ein Jahreseinkommen von mindestens 10.000 Mark gewährleistete. Die von den Kritikern gerügte häufige Verwendung des Instituts sollte dad u r c h eingeschränkt werden, daß für die Errichtung neuer und - a b einem bestimmten U m f a n g - für die Erweiterung bestehender Fldeikommisse die königliche G e n e h m i g u n g eingeholt werden müsse. Allerdings legte sich der Entwurf nicht auf eine Maximalfläche für Fidelkommlsse fest. Ferner w u r d e n reine Geldfidelkommisse verboten. Zu einem Fideikommiß konnte nur G r u n d b e s i t z g e w i d m e t werden, der seinem H a u p t z w e c k nach für Land- und Forstwirtschaft bestimmt war. Geld und Wertpapiere kamen nur als Mitstiftung In Betracht. Zur Ü b e r r a s c h u n g der Konservativen waren Regelungen über die Stempelsteuer im Entwurf noch ausgelassen, womit Ihrer Hauptforderung, den b e s t e h e n d e n Satz zu senken, nicht Rechnung getragen war. Der Entwurf provozierte heftige Reaktionen. Über die Kritik an einzelnen B e s t i m m u n g e n hinaus wurde das Rechtsinstitut überhaupt In Frage gestellt.
13 Siehe oben, Anm. 2.
Editorischer
Bericht
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Während für die einen der Entwurf „eine im g a n z e n vortreffliche G r u n d l a g e für die so d r i n g e n d notwendige einheitliche und e r s c h ö p f e n d e Regelung des Fideikommißwesens" darstellte 1 4 und „mit Befriedigung begrüßt" wurde, 1 5 b e d e u t e t e er für die anderen eine „Legalisierung des Unrechts". 1 6 Johannes Conrad sah in d e m Entwurf den äußerst problematischen Versuch, das Institut des Fideikommisses neu zu b e l e b e n und damit der Latifundienbildung in den östlichen Provinzen Vorschub zu leisten. Eine mögliche Vera b s c h i e d u n g dieses Gesetzes sei für die „preußischen Verhältnisse eine wirkliche Gefahr." 1 7 Max Weber hatte sich bereits zu Beginn der 1890er Jahre sehr intensiv mit Fragen der Agrarpolitik auseinandergesetzt. Er tat dies zunächst im Rahmen der Enquete des Vereins für Sozialpolitik über die Verhältnisse der Landarbeiter im Deutschen Reich, wo man ihn mit der Auswertung der Daten für die ostelbischen Gebiete Deutschlands betraut hatte. 1 8 Dabei diagnostizierte er die A b w a n d e r u n g deutscher Landarbeiter und ihre Ersetzung durch polnische oder ruthenische Saisonarbeiter als eine Erscheinung des Agrarkapitalismus und d e s damit e i n h e r g e h e n d e n Z u s a m m e n b r u c h s der älteren patriarchalischen Sozialordnung. Die Großgrundbesitzerschi'cht habe d a d u r c h ihre traditionelle Funktion als „Stütze der Monarchie" verloren. 1 9 Sie w a n d e l e sich in eine Klasse landwirtschaftlicher Unternehmer, die sich von g e w e r b l i c h e n Unternehmern kaum unterscheide und deshalb die alte Stellung in Staat und Gesellschaft nicht mehr b e a n s p r u c h e n könne. 2 0 Nicht zuletzt aus nationalpolitischen G r ü n d e n bekannte sich Weber z u m Programm der „Inneren Kolonisation", d e s s e n Ziel es war, d e u t s c h e Bauern auf Kosten des Großgrundbesitzes in den östlichen Provinzen anzusiedeln. 2 1 Allerdings betonte er zugleich, daß er „den ganz b l ö d e n Haß g e g e n alles, was Grundbesitz und speciell was Großgrundbesitz im Osten heißt,
14 Frommhold, Georg, Zur Reform des Fideikommißrechts in Preußen, in: Deutsche Juristen-Zeitung, Nr. 13 vom I.Juli 1903, S. 304-307, hier S.307. 15 Gamp, Karl von, Der neue Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse, in: Preußische Jahrbücher, Band 115, 1904, S. 100-136, hierS. 100 16 Gothein, Georg, Ein Gesetzentwurf zur Legalisierung des Unrechts, in: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur, Nr. 9 vom 28. Nov. 1903, S. 130133, sowie Nr. 10 vom 5. Dez. 1903, S. 148-150. 17 Conrad, Johannes, Ein Gesetzentwurf über Familienfideikommisse für Preußen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad, III. Folge, Band 26, 1903, S.507-521, hierS.521. 18 Weber, Max, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). 19 Ebd., S. 917. 20 Weber, Max, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (1894), in: MWG i/4, S. 425-462, insb. S. 428-433. 21 Weber, Max, Die deutschen Landarbeiter. Korreferat auf dem 5. Evangelisch-sozialen Kongreß am 16. Mai 1894, in: MWG I/4, S. 313-341.
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nun einmal nicht zu teilen" v e r m ö g e 2 2 u n d daß es durchaus ein Interesse g e b e , die „wirtschaftlichen und vor allen Dingen gesellschaftlichen Intelligenzcentren auf d e m Lande zu erhalten." 2 3 Über die geplante Reform des Fideikommißwesens äußerte er sich j e d o c h stets skeptisch, d a diese, wie er in mehreren Vorträgen aus den Jahren 1896 und 1897 vermutete, 2 4 nur auf eine „Neueinführung von Fideikommissen im großen Maßstab" hinauslaufe und die B e m ü h u n g e n um eine „Innere Kolonisation" der ostelbischen Gebiete konterkariere, zumal eine solche Reform im Ergebnis nicht den bisherigen Besitzern, d e m ü b e r s c h u l d e t e n Adel, sondern d e m „städtischen Börsenkapital" zugute komme. Damit spielte er auf die weitverbreitete Neigung bürgerlicher Kaufleute u n d Industrieller an, Rittergüter 2 5 zu erwerben und diese fideikommissarisch zu binden. In d e m Wunsch des d e u t s c h e n Bürgertums, d a d u r c h in den Stand der großgrundbesitzenden Junker aufzusteigen u n d auf d i e s e m Wege schließlich a u c h den Adelstitel zu erlangen, sah er einen Mangel an Selbstbewußtsein und eine auf Sekurität bed a c h t e „Rentnergesinnung", die aus reinem Prestigebedürfnis d e m freien Wirtschaftsleben produktives Kapital entziehe und damit letztlich die wirtschaftliche Machtstellung des Deutschen Reiches s c h w ä c h e . Diese kurz vor der J a h r h u n d e r t w e n d e entwickelten Ü b e r l e g u n g e n leiteten ihn dann auch bei seiner Kritik des Gesetzentwurfs von 1903. Seinem Kollegen Geo r g von Below, der sich nur w e n i g später ebenfalls e i n g e h e n d mit d e m Entwurf auseinandersetzte, 2 6 b e s c h r i e b er d e n Tenor seines eigenen Artikels im Juli 1904 folgendermaßen: „Für mich ist der H a u p t g e s i c h t s p u n k t die Scheidung z w i s c h e n alten Fideikom[m]issen in den H ä n d e n alter histori-
2 2 Weber, Max, Die ländliche Arbeitsverfassung. Erster Diskussionsbeitrag bei den Verhandlungen der am 20. und 21. März 1893 in Berlin abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik, in: MWG I/4, S. 199. 2 3 Weber, Max, Die ländliche Arbeitsverfassung. Referat, in: MWG I/4, S. 192. 2 4 Siehe dazu den Vortrag Max Webers „Die Gegensätze der deutschen Agrarverfassung in ihren Ursachen und Wirkungen" vom 26. September 1896, in: MWG I/4, S. 803-808; sowie Ausführungen am vierten Abend der Vortragsreihe „Agrarpolitik" vom 4. bis 8. Oktober 1897, in: MWG I/4, S. 835-839. 2 5 Rittergüter waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein mit adeligen Vorrechten ausgestatteter Besitz. Mit der Rittergutseigenschaft waren lange Steuerfreiheit und das Recht auf Landstandschaft verbunden. Zwar hatten die Rittergüter im Laufe der Zeit ihre überkommenen Vorrechte verloren, doch gehörten ihre Besitzer weiterhin zum Verband des alten und befestigten Grundbesitzes, was bei den Wahlen der zu Herrenhausmitgliedern vorzuschlagenden Personen sowie für die Zugehörigkeit zu den landschaftlichen Kreditverbänden von Bedeutung war. 2 6 Below, Georg von, Die Frage der Vermehrung der Fldeikommlsse in Preußen, In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Nr. 299 vom 29. Dez. 1904, S. 593-596, und Nr. 300 vom 30. Dez. 1904, S. 603-605.
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scher Adelsfamilien und den modernen kapitalistischen Parvenufideikom[m]issen", da „beide [...] in jeder Hinsicht verschieden" wirkten. 27 Die Entstehung des Artikels liegt weitgehend im dunkeln. Sicher ist, daß sich Max Weber bei seiner Abfassung auf umfangreiches statistisches Material stützte, das er bereits vor der Jahrhundertwende gesammelt und ausgewertet hatte. Damals wollte er die Zahlen der verschiedenen Landarbeiter-Enqueten, vor allem der des Evangelisch-sozialen Kongresses, 28 mit der amtlichen Statistik zusammenführen, 29 um „daraus für die sämtlichen in Frage kommenden Gemeinden und Gutsbezirke das soziale und wirtschaftliche Ensemble, innerhalb dessen sich die Arbeiterschaft befindet [...], zu ermitteln." 30 Hinweise auf diese Beschäftigung sowie Teilergebnisse finden sich in vielen Schriften und Reden aus den 1890er Jahren, 31 unter anderem in der Vorbemerkung zu seiner „Freiburger Antrittsrede" von 1895. 32 Seine schwere Erkrankung unterbrach die Arbeiten, beendete sie aber nicht. Sobald er gesund sei, schrieb er seiner Frau, werde er wieder an seine „agrarstatistische Arbeit gehen". 3 3 Dies tat er dann auch, um die geplante Fideikommißreform in Preußen begründet zu kritisieren. Marianne Weber berichtet im Frühjahr 1904 häufiger, daß er „allerlei greuliches statistisches Zeugs" berechne. 3 4 Die geplante größere Studie über den Agrarkapitalismus stellte er dafür zurück. Seiner Frau gegenüber äußerte er, daß es Jetzt keinen Wert" habe, „einen Landarbeiterartikel zu schreiben", da er „In seinem Aufsatz über Fideikommisse [...] all diese Dinge" bereits benutze 3 5 Allerdings
27 Brief Max Webers an Georg von Belowvom 19. Juli 1904, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30/4 (Abschrift; masch.) (MWG II/4). 28 Zu dieser Enquete, die auf Initiative Max Webers und Paul Göhres in den Jahren 1892/ 93 durchgeführt wurde und auf der Befragung von Landgeistlichen beruht, siehe die in MWG I/4 abgedruckten Schriften und Reden. 29 Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S. 208. 30 Weber, Die deutschen Landarbeiter, in: MWG I/4, S. 317. 31 So etwa in Max Webers Rezension von: Karl Grünberg, Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien, in: MWG I/4, S. 583; in seinem Artikel: Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern, ebd., S.593; in seinem Gutachten: Empfiehlt sich die Einführung eines Heimstättenrechtes, insbesondere zum Schutz des kleinen Grundbesitzes gegen Zwangsvollstreckung?, ebd., S . 6 4 5 - 6 6 6 , sowie in seinem Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Karl Oldenberg, Über Deutschland als Industriestaat, bei den Verhandlungen des 8. Evangelisch-sozialen Kongresses, ebd., S. 636f. 32 Weber, Max, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede, in: MWG I/4, S. 543. 33 Brief Max Webers an Marianne Weber vom 13. Aug. 1898, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 34 Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 18. März 1904 und vom 1. April [1904], ebd. 35 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 2. Juli [1904], ebd.
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bemerkt er in dem Aufsatz mehrmals, daß er auf diese Vorarbeiten „demnächst einmal" zurückkommen und das Zahlenmaterial dann „ergänzen" werde. 3 6 Seinem Bruder kündigte er noch Im März 1905 eine Fortsetzung seiner „agrarpoiitlschen Studien" an. 37 Den vorliegenden Aufsatz sah er nicht als deren Abschluß, sondern als einen Beitrag, mit dem er rechtzeitig vor allem politisch wirken wollte. 38 In d e m bereits erwähnten Brief an Georg von Below heißt es: „Leider hätte eine, wirklich wissenschaftlichen Anforderungen genügende, Kritik der Punkte, auf die es mir ankam, weit größere Vorarbeiten erfordert, als ich jetzt machen konnte." 3 9 Gleichwohl ist es dann nicht mehr zu jener größeren Untersuchung gekommen, so daß der Fidelkommißaufsatz von 1904 in gewissem Sinne als der Abschluß von Webers agrarstatistischen Studien gelten muß. 40 Äußerungen Marianne Webers zufolge begann Max Weber im März 1904 mit der Ausarbeitung 4 1 Bereits Mitte April lag eine erste Manuskriptfassung vor. Weber ging wohl zunächst davon aus, daß die Abhandlung in zwei Folgen, Im zweiten und dritten Heft des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, erscheinen werde. 4 2 Es dauerte aber noch einmal fast sechs Wochen, bis er dem Mitherausgeber des „Archivs", Edgar Jaffe, die Fertigstellung des Artikels mitteilte. 43 Auch die Drucklegung verlief nicht ohne Komplikationen, wofür, aus Webers Sicht, vor allem die Druckerei verantwortlich war. Am 20. Juli 1904 schrieb er aufgebracht an den Verleger Paul Slebeck, daß ihn diese allmählich „zur Verzweiflung" bringe: „Es sind nun mehr als 4 Tage, daß ich eine Fortsetzung der Correktur meines Artikels über die .Fideicommlsse' (für Heft 3) vergebens erwarte. Dabei wäre an sich so sehr wünschenswerth, daß man die mehreren Bogen gleich nacheinander hätte, damit man nicht den einzelnen ganz aus dem Zusammenhang
36 Siehe unten, S. 112. 37 Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. März 1905, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr.4(MWG II/4). 38 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 17. Aug. 1904, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). 39 Brief Max Webers an Georg von Below vom 19. Juli 1904 GStA Berlin, Rep. 92, Nl Max Weber, Nr. 30/4 (Abschrift, masch.) (MWG II/4). 4 0 Mit agrarpo/if/scfrenThemen hat sich Max Weber freilich weiter beschäftigt, so in seinem Vortrag in St. Louis 1904 „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science", unten abgedruckt, S. 2 1 2 - 2 4 3 , sowie in seinem Artikel „Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften", unten abgedruckt, S. 3 3 3 - 3 5 5 . 41 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 18. März 1904, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 42 Dies geht aus dem Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 15. April 1904, VA Mohr/ Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4), hervor. 43 Brief Max Webers an Edgar Jaffe vom 23. Mai [1904], Privatbesitz (MWG II/4).
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heraus gerissen corrigieren muß." 4 4 Erschwerend kam hinzu, daß parallel dazu „Die protestantische Ethik und der .Geist' des Kapitalismus" 4 5 ebenfalls für das „Archiv" g e d r u c k t w u r d e und er bei den Korrekturen unter erh e b l i c h e m Zeitdruck stand, weil er Ende A u g u s t 1904 mit seiner Frau eine m e h r m o n a t i g e Reise in die USA antreten wollte. 4 6 Dabei zeigte sich Max Weber nicht nur über die Langsamkeit, sondern auch über die m a n g e l n d e Sorgfalt der Druckerei verärgert, die „constant neue Fehler" mache; so h a b e sie, „wenn ein Wort in der Correktur e i n g e s c h o b e n war, ein andres statt d e s s e n w e g g e l a s s e n , beim N e u - U m b r e c h e n von Zeilen diese durche i n a n d e r g e b r a c h t etc." 4 7 Vermutlich war die D r u c k l e g u n g beider Aufsätze Mitte August a b g e s c h l o s s e n . A m 17. August 1904 teilte er d e m Verlag die Adressaten für die S e p a r a t a b z ü g e des Fideikommißaufsatzes mit, darunter G e o r g von Below, Max Sering, Gustav Schmoller, A d o l p h Wagner, Erich Mareks, Gerhart von Schulze-Gävernitz, Ernst Troeltsch, Eberhard Gothein, J o h a n n e s Conrad, Lujo Brentano, Heinrich Herkner, Georg Jellinek und Otto von Gierke. Weber wies darauf hin, daß der Gesetzentwurf „wahrscheinlich im Winter in den Landtag" k o m m e und ihm „sachlich an d e m Gelesenwerden" seiner Kritik liege 4 8 In der Tat f a n d e n Webers Ausführungen in der zeitgenössischen Diskussion große Resonanz. Sie hatten j e d o c h a u c h ein persönliches Nachspiel. Max Sering, d e s s e n Bewertung des Fideikommißentwurfs 4 9 in d e m Aufsatz angegriffen wird, 5 0 war so verärgert, daß er Weber A n f a n g 1905 wissen ließ, er verzichte auf eine Teilnahme an der für S e p t e m b e r g e p l a n t e n G e n e r a l v e r s a m m l u n g des Vereins für Sozialpolitik in Mannheim, um ein Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden. 5 1
44 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Juli 1904, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). Edgar Jaffe sah sich am 24. Juli 1904 ebenfalls veranlaßt, den Verlag zu mahnen, weil der „Satz [...] sehr langsam von statten" gehe. VA Mohr/Siebeck, Tübingen, Nr. 183. 45 Weber, Max, Die protestantische Ethik und der „Geist" des Kapitalismus, in: AfSS, Band 20, 1904, S. 1 - 5 4 , Band 21, 1905, S. 1 - 1 1 0 (MWG I/9). 46 Zur USA-Reise siehe den Editorischen Bericht zu „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science", unten, S. 207f. 47 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 17. Aug. 1904, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). Ob sich diese Kritik explizit auf die Drucklegung des „Fideikommißaufsatzes" bezieht oder ob damit eher Probleme bei der „Protestantischen Ethik" angesprochen werden, geht aus dem Brief freilich nicht eindeutig hervor. 48 Ebd. 49 Sering, Max, Noch einige Bemerkungen zum vorläufigen Entwurf eines preußischen Gesetzes über Familienfidelkommisse, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 28. Jg., 1904, S. 61 - 7 5 . 50 Vgl. dazu unten, S. 92, 173-179. 51 Dies geht aus einem Brief Max Webers an seinen Bruder Alfred vom 8. März 1905, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 4 (MWG II/4), hervor.
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Fideikommißfrage
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Angesichts der Kritik in der Öffentlichkeit und zahlreicher Einwände auch der amtlichen Gutachter beschloß die preußische Regierung, den „Vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse" nicht in den Landtag einzubringen, sondern ihn weiter zu beraten. 5 2 Es vergingen noch knapp zehn Jahre, bis sie wiederum mit einer Gesetzesvorlage zur Reform des Fidelkommißrechts an die Öffentlichkeit trat. Mit Ausbruch des Krieges wurde im Zeichen des „Burgfriedens" deren Beratung zwar zunächst ausgesetzt, doch erreichten die Konservativen im Herbst 1916 eine Wiedervorlage. Max Weber hat dann den im Januar 1917 eingebrachten Gesetzentwurf Im März 1917 in der Frankfurter Zeitung unter der Überschrift „Deutschlands äußere und Preußens Innere Politik. II. Die Nobilltierung der Kriegsgewinne" erneut kritisiert. 53
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter der Überschrift „Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen" im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffe, Band 19, Heft 3, 1904, S. 5 0 3 - 5 7 4 , erschien (A). Der „Vorläufige Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse", den Max Weber in der folgenden Abhandlung eingehend diskutiert, wird im Anmerkungsapparat ausführlich zitiert, um einen durchgängigen Vergleich zwischen dem Gesetzestext und der kritischen Interpretation Webers zu ermöglichen. Der Nachweis der Zahlenangaben und Berechnungen Max Webers war in vielen Fällen nicht möglich. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen beschränkte sich Max Weber auf eine summarische Angabe der Quellen. So läßt sich beispielsweise nicht eindeutig klären, ob er bei der Auswertung der „Berufszählungen" von 1882 und 1895 auf die vom Königlichen Statistischen Bureau herausgegebene „Preußische Statistik" oder auf die vom Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene „Statistik des Deutschen Reichs" zurückgegriffen hat. Bei manchen seiner Zahlenangaben ist zu vermuten, daß er beide Datenreihen miteinander kombinierte. Zum zweiten ließen sich einige seiner quantitativen Angaben anhand der einschlägigen Literatur, wie den in der Zeitschrift des Königlichen Preußischen Statistischen Bureaus regelmäßig veröffentlichten Aufsätzen über das Fldeikommißwesen in Preußen, nicht verifizieren. Dies gilt etwa für Webers Behaup-
52 Z u m weiteren G a n g der B e r a t u n g e n vgl. Heß, Junker, S. 1 3 2 - 1 4 1 , sowie Eckert, K a m p f , S. 6 3 3 - 6 8 0 . 5 3 M W G 1/15, S. 2 0 4 - 2 1 4 .
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tung, daß im Zeitraum von 1895 bis 1900 die Fideikommißbiidung eine „Tendenz zur Beschleunigung, nicht zur Verlangsamung" zeige. 1 Die uns vorliegenden Tabellen weisen zwar für den genannten Zeitraum eine erhebliche Zunahme der Fideikommisse nach Zahl und Größe auf, doch war die Zuwachsrate in den Jahren 1899 und 1900 stark rückläufig. 2 Es bleibt unklar, ob Max Weber in diesem Fall uns unbekanntes statistisches Material zur Verfügung hatte oder ob er bei der Übernahme der mitgeteilten Zahlen Fehler machte. Zum dritten gibt es selbst in den Fällen, in denen mit einiger Sicherheit die Quellen von Webers Berechnungen zu identifizieren sind, erhebliche Abweichungen. Teilweise dürfte es sich hier um simple Abschreibund Zählfehler Max Webers handeln. 3 Darüber hinaus scheinen ihm, wie eine Überprüfung ergab, lange Additionen - von zuweilen über 100 Einzelwerten - nicht immer korrekt gelungen zu sein. 4 Zu den Fehlern mag auch beigetragen haben, daß Weber seine agrarstatistischen Berechnungen nicht konzentriert, sondern über Jahre mit vielen Unterbrechungen durchführte. Da wegen der Fülle der statistischen Daten und ihrer häufig nicht feststellbaren Herkunft eine lückenlose und exakte Kommentierung nicht geleistet werden konnte, wird generell auf den Nachweis oder die Neuberechnung des Zahlenmaterials verzichtet. Bei offensichtlichen Inkongruenzen oder Abweichungen zwischen Tabellen und Text-Aussage wird dies jedoch vermerkt. Webers Fußnoten, die auf jeder Seite neu gezählt sind, werden hier durchlaufend numeriert. 1 Vgl. unten, S. 105. 2 Begründung 1903, S. 18, sowie Kuhnert, Fideikommisse 1900, Tabelle 1, S. 138. 3 Dies gilt beispielsweise für seine Bemerkung, daß von den 26 Kreisen mit einem Fideikommißbestand von mehr als 20.000 ha 17 in Schlesien und 3 in Sachsen gelegen hätten (vgl. unten, S. 105). Nach der Aufstellung bei Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 140, liegen jedoch nur 12 solcher Kreise in der Provinz Schlesien und keiner in der Provinz Sachsen. Ein Abschreibfehler findet sich etwa in der Aufstellung über die durchschnittlichen Grundsteuerreinerträge, unten, S. 106, Fußnote 11. Die entsprechenden Zahlen hat Max Weber offensichtlich von Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 142, übernommen. Die von Max Weber für „Stade" gemachten Angaben stehen bei Kühnert jedoch für „Aurich". 4 So läßt sich etwa seine Feststellung, daß in der Provinz Schlesien in den Jahren 1878 1893 die 2ahl „der Besitzungen zwischen 60 und 300 Talern Reinertrag" im Provinzialdurchschnitt schneller gesunken sei als in den spezifischen Fideikommißkreisen (vgl. unten, S. 128), nicht verifizieren. Vielmehr ergibt eine Überprüfung der entsprechenden Angaben in der Preußischen Statistik, hg. vom Königlichen statistischen Bureau in Berlin, Band 146: Grundeigenthum und Gebäude im preußischen Staate, auf Grund der Materialien der Gebäudesteuerrevison vom Jahre 1893, Theil 1. - Berlin: Verlag des Königlichen statistischen Bureaus 1898, S. 16 bzw. 124-151, daß die Zahl der Besitzungen dieser Ertragsklasse im angegebenen Zeitraum in der Provinz von 31.054 (1878) auf 31.121 (1893), also um 0,22%, gestiegen ist, während sie in den Fideikommißkreisen von 6875 (1878) auf 6693 (1893), d. h. um 2,65%, gesunken ist. Demgegenüber sind Webers dazu parallel angestellte Berechnungen über die Entwicklung der nutzbaren Fläche richtig.
Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen
Der längst erwartete „Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse" liegt seit dem Herbst 1903 in „vorläufiger" Redaktion in zwei voneinander in einigen Punkten abweichenden Fassungen 5 vor,1 von denen wir hier die im Verlage der „Post" erschienene, mit einer Begründung versehene spätere Lesart2 zugrunde legen. 1 ) Aus der Literatur über den Entwurf seien hervorgehoben die Aufsätze von 1. Conrad in seinen Jahrbüchern 1903 (Bd. 81) S. 507 ff., 3 mit dem ich mich in allen wesentlichen Punkten in erfreulicher Übereinstimmung befinde. 2. Dr. WygodzinskiA und 3. Sering,5 beide in Schmollers Jahrbuch (1904, H e f t 1 S. 47 f. bzw. 61 f.), auf die zurückzukommen sein wird. 6 4. Prof. M[artin] Wolff (Berlin), D i e Neugestaltung des Familienfideikommißrechts in Preußen. Berlin 1904, Carl Heymanns Verlag - eine sehr gut geschriebene wertvolle Kritik der juristischen Konstruktion des Entwurfs, die uns als solche hier nicht interessiert, nebst kurzem Resumé der prinzipiellen Standpunkte de lege ferenda. 7 Aus der vorhergehenden Literatur des letzten Jahrzehnts seien erwähnt: 1. P[aul] Hager, Familienfideikommisse, Jena 1895 (Bd. VI H e f t 5 der Elsterschen „Studien"), - eine mäßige Doktordissertation ohne wissenschaftlichen Wert. D e n Motiven hat sie offenbar als Hauptquelle gedient, besonders für die Ansichten der „Gegner" der Fideikommisse. 8
1 Zur Vorgeschichte des Gesetzentwurfs vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 8 0 - 8 4 . Eine frühe Fassung des Entwurfs, die jedoch amtlicherseits für ungültig erklärt wurde, war bereits im April 1903 als Erste und Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger, Nr. 81 vom 4. April 1903, veröffentlicht worden. 2 Entwurf 1903 und Begründung 1903. 3 Conrad, Gesetzentwurf. 4 Wygodzinski, Entwurf. 5 Sering, Bemerkungen. 6 Unten, S. 1 7 3 - 1 7 9 . 7 Wörtlich: „nach erst noch zu erlassendem Gesetz". In der juristischen Terminologie ist damit die Beurteilung einer Lage nach einem noch nicht bestehenden, aber anzustrebenden Gesetz gemeint. 8 Mit „Motiven" ist die dem Entwurf 1903 anhängende Begründung 1903 gemeint. Insbesondere auf S. 1 2 - 3 1 setzt sich die Begründung 1903 mit Argumenten der Gegner des Familienfideikommisses auseinander. Einige davon finden sich schon bei Hager, Familienfideikommisse, Abschnitt 6 „Was wird gegen Familienfideikommisse geltend gemacht?", S. 3 3 - 4 9 .
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in
Preußen
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Das | in Aussicht genommene Gesetz soll zunächst den überaus A504 buntscheckigen Rechtszustand, der zurzeit in Preußen besteht, 9 ver2. Eugen Moritz, Die Familienfideikommisse Preußens. Berlin 1901. Ich würde diese Schrift, die mir erst jetzt vor Augen kommt, nicht erwähnen, wenn nicht der Verf., der seiner Zeit die Arbeit in meinem Seminar | begann, dann nach auswärts ging, A 504 meiner als seines „hochverehrten Lehrers" in der Vorrede gedächte. 10 Die Verantwortung für die Art ihrer Ausführung muß ich ablehnen. Wie diese ausgefallen ist, dafür nur ein Beispiel: der Verf. erörtert die Bevölkerungsabnahme in manchen Kreisen des Ostens und meint (S. 41): „Wir sind geneigt, den Rückgang der Bevölkerung nicht auf Konto der Gutsbezirke, sondern der Landgemeinden zu setzen, welche beide bei dieser Betrachtung nicht zu trennen waren, da hier jedes amtliche Material versagt."11 Diese Bemerkung ist seitens des Verf. ein starkes Stück. Aus dem Gemeindelexikon,12 auf welches der Verf. von mir hingewiesen war und welches er S. 12 selbst zitiert,13 können nicht nur jene Zahlen getrennt festgestellt, sondern die Bewegung der Bevölkerung für jede einzelne Gemeindeeinheit, auch jedes Fideikommißgut, ermittelt werden, 14 und eben diese mühsame, - dem Verf. zu mühsame - , aber unter Umständen recht lohnende Aufgabe hatte ich ihm s. Z. gestellt. - Ich meinerseits mußte mich, da ich zur Zeit mit weit abliegenden anderen Arbeiten befaßt bin, 15 nachstehend meist mit der Verwertung einigen Zahlenmaterials begnügen, welches ich vor Jahren zum Zweck einer größeren agrarstatistischen Arbeit über den landwirtschaftlichen Kapitalismus zusammengestellt bzw. überwiegend selbst errechnet hatte. 16 Wenn ich auf diese Arbeiten demnächst einmal zurückkomme, hoffe ich dasselbe zu ergänzen. Wie lückenhaft es ist, empfinde ich selbst am peinlichsten. Mehr als illustrativen Wert haben meine Zahlen nicht. - Die Fideikommißstatistik knüpft an die Arbeiten Everts (Zeitschrift] des preußischen] Statistischen] Bureaus 1897 S. 1 f.) 17 und
9 Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 82. Eine Übersicht über die verschiedenen Rechtsvorschriften für Familienfideikommisse in den preußischen Provinzen findet sich in der B e g r ü n d u n g 1903, S. 5 - 9 . 10 Bei Moritz, Familienfideikommisse, heißt es im Vorwort, S. VIII: „Rat und Beistand meiner hochverehrten Lehrer, der Herren Professoren Dr. Max Weber, Dr. G[erhart] v. SchulzeGävernitz und Dr. K[arl] Jfohannes] Fuchs sind mir in so reichem Maße gewährt worden, daß ich ihnen zu aufrichtigem und b l e i b e n d e m Danke verpflichtet bin." 11 Moritz, Familienfideikommisse, S. 41. Die Hervorhebung im sinngemäß korrekt wiederg e g e b e n e n Zitat stammt von Max Weber. 12 Max Weber bezieht sich hier auf: Gemeindelexikon 1885 und Gemeindelexikon 1895. 13 Moritz, Familienfideikommisse, S. 12, bezieht sich bei den Grundsteuerreinerträgen in den einzelnen preußischen Provinzen explizit auf die A n g a b e n in den jeweiligen Bänden des Gemeindelexikons 1895. 14 In den Gemeindelexika sind die Kreise in ihre Städte, L a n d g e m e i n d e n und Gutsbezirke aufgegliedert und deren Bevölkerungszahlen einzeln a n g e g e b e n . 15 Max Weber beschäftigte sich zu dieser Zeit intensiv mit der Methodologie der Kulturund Sozialwissenschaften (siehe dazu die Aufsätze und A b h a n d l u n g e n in MWG I/7) sowie mit seiner Untersuchung „Die protestantische Ethik und der .Geist 1 des Kapitalismus", AfSS, Band 20, 1904, S. 1 - 5 4 , Band 21, 1905, S. 1 - 1 1 0 (MWG I/9). 16 Siehe dazu d e n Editorischen Bericht, oben, S. 87. 17 Max Weber bezieht sich hier auf: Fideikommisse 1895. Der Artikel ist ohne Verfassera n g a b e erschienen.
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einheitlichen und mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in ein klares Verhältnis setzen: 18 zu diesem Zweck wird den bestehenden Fideikommissen bei Strafe des Erlöschens die Unterwerfung unter alle wesentlichen Bestimmungen des neuen Rechts auferlegt. 19 Es verfolgt darüber hinaus den Zweck, das Institut mit dem moder- 5 A 505 nen | „Rechtsempfinden" so weit in Einklang zu bringen - als dies eben möglich ist; und endlich wird - wie wir noch sehen werden - 2 0 ganz offensichtlich beabsichtigt, das Institut zu propagieren und deshalb insbesondere durch Schaffung unzweideutiger einheitlicher und privatwirtschaftlich zweckmäßiger Rechtsnormen die 10 Fideikommißinteressenten zu deren Benutzung zu ermutigen und ihnen jede etwaige Besorgnis zu benehmen, es könne eines Tages gegen das ganze Institut gesetzlich vorgegangen werden.
Kuhnerts (das[elbst] 1902 S. 134 f.) 21 an, durch welche die älteren bahnbrechenden Leistungen Conrads22 heute meist, jedoch keineswegs in allen Punkten, überholt sind. Wirklich schlüssige neue Ergebnisse über die Wirkung der Fideikommisse könnten nur umfassende, auf gründlicher langdauernder Autopsie und historischen Studien beruhende Spezialarbeiten über die hauptsächlichen Fideikommißdistrikte in Vergleichung mit anderen geben, vorausgesetzt, daß die nötige Unbefangenheit des Arbeiters außer Zweifel steht. Heute, wo feststeht, „was herauskommen wird", sind solche Arbeiten, wenn amtlich unterstützt, nach allen Erfahrungen schwerlich noch zu gewärtigen. |
18 Im Artikel 59 des Einführungsgesetzes z u m Bürgerlichen G e s e t z b u c h vom 18. August 1896 verzichtet der Gesetzgeber auf eine einheitliche Regelung des Familienfideikommißrechts und stellt dessen Revision damit den einzelnen Landesregierungen anheim. Siehe dazu auch die B e g r ü n d u n g 1903, S. 11 f. Ziel des Entwurfs 1903 ist es, „das Fideikommißrecht mit d e m allgemeinen bürgerlichen Rechte in d e m gesammten Staatsgebiete thunlichst in Einklang zu bringen." B e g r ü n d u n g 1903, S. 18. 19 In der B e g r ü n d u n g 1903, S. 41, heißt es, daß mit „Rücksicht auf die Rechtsordnung und auf die Rechtseinheit [...] die U m w a n d l u n g der alten Familienfideikommisse in neue Familienfideikommisse oder in Familienstiftungen binnen einer bestimmten Frist vollendet" sein müsse. Dafür wird eine „Zeitdauer von vier Jahren nach d e m Inkrafttreten des Gesetzes" bestimmt: „Ist diese Frist fruchtlos verstrichen, so sollen die erwähnten Familienfideikommisse kraft Gesetzes als erloschen gelten." Für die Übergangszeit sieht der Entwurf 1903 im 14. Abschnitt, §§ 1 - 2 4 , eine Reihe von „ Ü b e r g a n g s b e s t i m m u n g e n " vor. 20 Unten, S. 144. 21 Kühnert, Fideikommisse 1900. 22 Max Weber meint hier f o l g e n d e Arbeiten: Conrad, Fideikommisse; Conrad, Latifundien; Conrad, Ostpreußen; Conrad, Westpreußen; Conrad, Posen; Conrad, Pommern; Conrad, Schlesien.
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Die für uns wesentlichsten Bestimmungen des 245 Paragraphen umfassenden Entwurfes 23 sind in summarischstem Auszug die folgenden: Jede2' neue Errichtung von Fideikommissen soll künftig königlicher Genehmigung unterliegen, 24 Erweiterungen bestehender Fideikommisse um Grundstücke von mehr als 10 000 Mark Wert nur ebenso, andere mit ministerieller Genehmigung zulässig sein. 25 Die wichtige Bestimmung über den bei der Errichtung fälligen Fideikommißstempel fehlt noch. 26 Gegenstand fideikommissarischer Bindung soll nur ein der Hauptsache nach land- oder forstwirtschaftlich genutztes Grundstück sein können, 27 andere Vermögensgegenstände nur als Zubehör eines solchen, 28 Kapitalien nur als eine mit landwirtschaftlichem 3 Grundbesitz verbundene
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Bisher nach dem Preußischen] Landrecht nur bei mehr als 30 000 Mk. Ertrag und A Erweiterung bestehender Fideikommisse über diesen Betrag hinaus. 29 In Hannover bestand kein Genehmigungserfordernis. 30
a A: landwirtschaftlichen
23 Die ersten 11 Abschnitte des Entwurfs 1903 enthalten 208, der 14. und 15. Abschnitt 37 Paragraphen. Die Abschnitte 12 und 13 waren noch nicht fertiggestellt. 24 § 8 des Entwurfs 1903: „Zur Entstehung des Familienfideikommisses ist außer d e m Stiftungsgeschäfte die G e n e h m i g u n g des Königs erforderlich." 25 § 2 3 des Entwurfs 1903. 26 Der im Entwurf 1903 noch fehlende Abschnitt über „Kosten und Stempel" sollte „demnächst im Einvernehmen mit dem Finanzministerium entworfen werden." Siehe Begründ u n g 1903, S. 11. 27 § 1 des Entwurfs 1903 zufolge kann zu einem Familienfideikommiß Grundbesitz gewidmet werden, der „seinem Hauptzweck nach z u m Betriebe der Land- und Forstwirthschaft bestimmt ist." 28 § 6 , Abs. 1 des Entwurfs 1903: „ N e b e n land- und forstwirthschaftlichem Grundbesitze können V e r m ö g e n s g e g e n s t ä n d e anderer Art zu d e m Familienfideikommisse gewidmet werden." 29 Nach d e m für Preußen 1794 in Kraft getretenen „Allgemeinen Landrecht", II, 4, § 5 6 , wird bei der Errichtung eines Familienfideikommisses eine landesherrliche G e n e h m i g u n g nur dann verlangt, wenn der reine Ertrag der Familienfideikommißgüter 10.000 Thaler übersteigt. Siehe dazu auch die B e g r ü n d u n g 1903, S.23. Ein Thaler entspricht drei Reichsmark. 30 Nach § 3 6 des Hannoverschen Gesetzes über „die Ablösbarkeit des Lehns-Verbandes, die Verhältnisse bleibender Lehne und die Errichtung von Familien-Fideicommissen" v o m 13. April 1836 kann die landesherrliche Bestätigung nicht versagt werden, wenn die im Gesetze näher bezeichneten Voraussetzungen für die Errichtung eines Familienfideikommisses erfüllt sind. Sammlung der Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das
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Kapitalstiftung, insbesondere als Meliorationskapital (Verbesserungsmasse), 31 als Abfindungs- und Ausstattungsstiftung für die Angehörigen des Besitzers (s.u.), 32 sonst aber nicht in einer den hundertfachen Betrag des Jahreseinkommens aus dem landwirtschaftlichen Besitztum übersteigenden Höhe. 33 Das Fideikom- 5 mißgut muß ein Einkommen von mindestens 10 0003' Mark (nach Abzug aller Jahresleistungen) aus dem landwirtschaftlichen Grundbesitz nachhaltig zu gewähren imstande sein, davon mindestens 5000 Mark aus einer ein wirtschaftliches Ganzes b bildenden Besit-
3) Bisher nach Landrecht 7 500 Mk. einschließlich Kapitalzinsen, 3 4 in H a n n o v e r 3600 Mk. 3 5
b A: G a n z e
Königreich Hannover vom Jahre 1836, 1. Abtheilung Nr. 8, S. 33-50, hier S.48f. Siehe dazu auch die Begründung 1903, S. 23. 31 Nähere Bestimmungen über die „Verbesserungsmasse" finden sich in §61 des Entwurfs 1903. Ihm zufolge soll „zur Erhaltung und nachhaltigen Verbesserung des Familienfideikommisses" ein Kapital, die „Verbesserungsmasse", angesammelt werden, und zwar „aus jährlichen vom Fideikommißbesitzer zu entrichtenden Beiträgen, einem vom Stifter etwa ausgesetzten Grundkapital und den auflaufenden Zinsen". Dabei darf die „Verbesserungsmasse" für „andere als land- und forstwirthschaftliche Bestandtheile des Familienfideikommisses [...] nur ausnahmsweise und mit Genehmigung der Fideikommißbehörde verwendet werden." 32 Unten, S. 101. Die „Abfindungs- und Ausstattungsstiftung" wird in den § § 9 7 - 1 0 8 des Entwurfs 1903 näher geregelt. Sie soll die finanziellen Interessen der im Erbgang des Familienfideikommisses nicht berücksichtigten Familienmitglieder sichern. 33 §6, Abs. 3 des Entwurfs 1903 zufolge dürfen Kapitalien wie Geld, Geldforderungen und Wertpapiere nur unter bestimmten Voraussetzungen dem Familienfideikommiß gewidmet werden. Dabei dürfen sie, „mit Einschluß der auflaufenden Zinsen, das hundertfache Jahreseinkommen aus dem land- und forstwirthschaftlichen Grundbesitze nicht übersteigen." 34 Allgemeines Landrecht II, 4, §51: „Ein Landgut, welches zum beständigen FamilienFideicommiß gewidmet werden soll, muß wenigstens einen reinen Ertrag von Zweytausend Fünfhundert Thalern, nach einem landüblichen Wirthschaftsanschlage gewähren." §55: „Grundstücke, die schon an und für sich den reinen Ertrag von Zweytausend Fünfhundert Thalern nicht gewähren, können nur in so fern zu einem beständigen Fideicommiß gewidmet werden, als damit ein Capital, dessen Nutzung das Fehlende ergänzt, untrennbar verbunden wird." Siehe dazu auch die Begründung 1903, S. 20. 35 Nach § 30 des Hannoverschen Gesetzes vom 13. April 1836 muß das Fideikommißgut „einen jährlichen Rein-Ertrag von wenigstens zwölfhundert Thalern gewähren." Siehe dazu auch die Begründung 1903, S. 20.
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zung, 36 und es dürfen ferner die für Schuld, Zinsen und Amortisation, für Abgaben und gesetzliche Verpflichtungen des Besitzers, auch solche, die der Gesetzentwurf ihm auferlegt, aufzubringenden Beträge nicht mehr als die Hälfte des Ertrages des Grundbesitzes in Anspruch nehmen. 4 ' 37 Die Fidei|kommißerbfolge ist stets agnatische Primogenitur-Erbfolge,5) vorbehaltlich bestimmter Fälle der
4) 5)
Ähnlich, jedoch im einzelnen abweichend, A. L. R. II 4 § 51 f. 38 | Nach A. L. R. entschied bisher die Verfügung des Stifters. 39 |
36 § 2 des Entwurfs 1903: „Jedes Familienfideikommiß muß dem Fideikommißbesitzer ein Jahreseinkommen von mindestens zehntausend Mark aus Grundbesitz gewähren, der die Grenzen einer Provinz und der an sie anstoßenden Kreise nicht überschreitet. Dieses Jahreseinkommen muß in Höhe von mindestens fünftausend Mark aus einer Besitzung herrühren, die ein wirthschaftliches Ganzes bildet." §3 bestimmt das Jahreseinkommen „nach dem nachhaltigen jährlichen land- und forstwirthschaftlichen Reinertrage, [...] abzüglich der dem Fideikommißbesitzer obliegenden Jahresleistungen." Darunter fallen nach § 4 „die auf dem Grundbesitze ruhenden öffentlichen und privatrechtlichen Lasten und Abgaben, die Hypotheken- und Grundschuldzinsen, mit Einschluß der als Zuschlag zu den Zinsen zum Zwecke allmählicher Tilgung des Kapitals (Amortisation) zu entrichtenden Beiträge, die Leistungen aus Rentenschulden und die auf Grund dieses Gesetzes oder nach der Anordnung des Stifters zu entrichtenden Beiträge." Allerdings kommen die Jahresleistungen nicht in vollem Umfange bei der Berechnung des Jahreseinkommens in Ansatz. 37 §5, Abs. 1 des Entwurfs 1903: „Die Jahresleistungen dürfen die Hälfte des Reinertrags des Grundbesitzes nicht übersteigen. Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und Reallasten, die auch auf einem nicht zum Famillenfideikommisse gewidmeten Grundstücke haften, sind mit dem vollen Betrage der von ihnen zu entrichtenden Jahresleistungen In Ansatz zu bringen." 38 Max Weber bezieht sich hier vor allem auf das Allgemeine Landrecht II, 4, §52: „Dieser Ertrag [gemeint sind die in § 51 genannten 2.500 Thaler Reinertrag, d. Hg.] darf weder mit Zinsen von Schuldposten, die auf dem Gute haften, noch mit Abgaben an Familienmitglieder oder Fremde belastet seyn"; § 53: „Nur mit Prästationen [d. h. Leistungen, d. Hg.] zum Besten der Kinder des jedesmaligen Fideicommiß-Besitzers; zur Aufsammlung eines Capitals für künftige Unglücksfälle; oder zur Erweiterung und Verbesserung des Fidelcommisses, kann der Ertrag desselben, bis zur Hälfte der gesetzmäßigen Summe, in dem Stiftungsbriefe belegt werden"; sowie § 54: „Es muß also, bey jedem künftig zu errichtenden Fideicommiß, dem zeitigen Besitzer wenigstens ein reiner Ertrag von Zwölfhundert und Fünfzig Thalern zur freyen Verwendung übrig bleiben." 39 Nach Allgemeinem Landrecht II, 4, §134 entscheidet über die Nachfolge die „von dem Stifter vorgeschriebene Successlonsordnung". Siehe dazu die Begründung 1903, S. 30f.
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Anwartschaftsunwürdigkeit. 40 Die Verfügungsgewalt des Fideikommißinhabers ist nicht unerheblich erweitert. 41 Nach dem preußischen Landrecht bedarf es in allen Fällen der Veränderung der Substanz des Fideikommißgutes, bei Abverkauf, Verpfändung oder sonstiger Belastung, eines von der Fideikommißbehörde aufzuneh- 5 menden und zu bestätigenden einstimmigen Familienschlusses.42 Ohne einen solchen ist eine Verschuldung nur in bestimmten Fällen einer genau umschriebenen unverschuldeten außerordentlichen Notlage zur Erhaltung des Fideikommisses,43 oder nach Maßgabe des Landeskulturrentenbank-Gesetzes 44 usw., Abveräußerung nur 10 bei Enteignung und bei kleineren Parzellen nach Maßgabe der
40 § 133 des Entwurfs 1903: „Zur Nachfolge in das Familienfideikommiß ist der Mannesstamm des ersten Fideikommißbesitzers berufen. Hat der Stifter auch den zweiten Fideikommißbesitzer bestimmt, so folgt zunächst dessen Mannesstamm." §134, Abs. 1: „Die Nachfolge vollzieht sich in der Ordnung nach Linien mit dem Vorrechte der Erstgeburt (Primogenitur)." „Als „anwartschaftsunfähig" nennt § 112 des Entwurfs 1903: „1. wer die deutsche Reichsangehörigkeit nicht besitzt; 2. wer Mitglied eines religiösen Ordens oder einer ordensähnlichen Kongregation ist; 3. wer rechtskräftig zu einer Strafe wegen einer Handlung verurtheilt ist, die durch übereinstimmenden Beschluß des Familienraths und der Fideikommißbehörde an sich oder mit Rücksicht auf die begleitenden Thatumstände für eine entehrende erklärt wird; 4. wer wegen Trunksucht oder Verschwendung entmündigt ist, sofern die Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen oder ihre Erhebung innerhalb der gesetzlichen Frist unterblieben ist; 5. wer mit einem Anderen als dem Fideikommißbesitzer oder einem Anwärter durch Annahme an Kindesstatt verbunden ist; 6. wer auf Grund einer Todeserklärung für gestorben gilt." Ferner galt als „anwartschaftsunfähig", wer sich gegen den Stifter bestimmter Verfehlungen schuldig gemacht hat, „es sei denn, daß ihm der Stifter verziehen hat." 41 § § 2 6 - 5 1 des Entwurfs 1903. 42 Allgemeines Landrecht II, 4, §78: „Wenn also mit der Substanz der zum Fideicommisse gewidmeten Güter, durch Tausch, oder sonst, Veränderungen vorgenommen werden sollen: so muß dieses durch einen Familienschluß geschehen." Obschon das Allgemeine Landrecht keine eindeutige Regelung getroffen hatte, verlangte der Familienschluß in aller Regel Einstimmigkeit. Siehe Begründung 1903, S. 28. 43 Nach Allgemeinem Landrecht II, 4, §80, ist der Fideikommiß-Besitzer zur Aufnahme „nothwendiger Darlehne" auch ohne einstimmigen Familienschluß berechtigt. Dazu gehören nach § 81 Gelder, „welche zur Wiederherstellung der durch Unglücksfälle, ingleichen durch Alter, ohne eignes Verschulden des Besitzers ruinirten, oder in Verfall gerathenen Gebäude aufgenommen werden müssen." Zu den Unglücksfällen werden in §85 unter anderen „Brand, Krieg, Wasserfluthen" gezählt. Siehe dazu auch Begründung 1903, S. 27. 44 Nach §32 des „Gesetzes, betreffend die Errichtung von Landeskultur-Rentenbanken" vom 13. Mai 1879 darf bei einem Darlehen für Drainierungsanlagen auf einem Lehn- oder Fideikommißgut die Eintragung der Rente auf das Gut ohne die Einwilligung der Lehnsund Fideikommißfolger und der Agnaten erfolgen (GS 1879, S.374). Diese Bestimmung blieb nach §36 der Übergangsbestimmungen des Entwurfs 1903 in Kraft.
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Rentengutsgesetzgebung möglich. 4 5 Der Entwurf setzt außer für Fälle, welche direkt den Bestand des Fideikommisses überhaupt oder in seiner bisherigen Beschaffenheit berühren, an die Stelle des Familienschlusses die (in gewissen Fällen der Genehmigung der Fideikommißbehörde bedürftige) Zustimmung des Familienrates,46 der von der Fideikommißbehörde nach bestimmten Regeln aus der Reihe der Familienmitglieder zu bestellen ist. 47 Dies gilt namentlich für Belastungen, 4 8 - die daneben einmal regelmäßig an eine Verschuldungsgrenze (2/3 des Ertragswerts) 49 und ferner an bestimmte begrenzte Voraussetzungen (nachhaltige Verbesserungen, öffentliche Pflichten) 5 0 geknüpft sind - , für die an ähnliche Voraussetzungen geknüpfte Veräußerung „kleinerer Teile" des Besitz-
45 Das „Gesetz über Rentengüter" vom 27. Juni 1890 (GS 1890, S. 209f.) sowie das Ergänzungsgesetz vom 7. Juli 1891 (GS 1891, S. 279-298) gestatteten die Eigentumsübertragung eines Grundstücks gegen Übernahme einer festen Geldrente. Dadurch sollte unter anderem dem bäuerlichen Mittelstand und den Landarbeitern die Gelegenheit gegeben werden, ohne Kapitalverschuldung, d.h. ohne oder gegen geringe Anzahlung, Grundeigentum zu erwerben. Der Entwurf 1903 entspricht insofern diesen Absichten, als er in §29, Abs. 2, Nr. 4 die Veräußerung kleiner Teile des zum Familienfideikommiß gehörenden Grundbesitzes erlaubt, „wenn aus den zu veräußernden Grundstücken bäuerliche Stellen von kleinem oder mittlerem Umfang, insbesondere Rentengüter, errichtet oder wenn darauf ländliche Arbeiter angesiedelt werden sollen." 46 Nach Allgemeinem Landrecht II, 4, §7, müssen „gemeinschaftliche Familienangelegenheiten [...] durch Berathschlagungen und Schlüsse der ganzen Familie angeordnet werden." Nach dem Entwurf 1903 kann in bestimmten Fällen die „schwerfällige Einrichtung des Familienschlusses" durch den „Familienrath" ersetzt werden. Nach §182 des Entwurfs 1903 besteht der „Familienrath" in der Regel aus drei Mitgliedern. Seine Beschlüsse hinsichtlich der Veräußerung oder Beleihung eines Familienfideikommisses bedürfen nach §35, Abs. 1 des Entwurfs 1903 der Bestätigung durch die Fideikommißbehörde. 47 § § 1 8 1 - 1 9 2 des Entwurfs 1903. Nach §185, Abs. 2 sollen in aller Regel „die nach dem Fideikommißbesitzer und seinen Abkömmlingen zunächst zur Nachfolge gelangenden Anwärter und in Ermangelung solcher die Abkömmlinge des Familienfideikommißbesitzers" in den Familienrat berufen werden. 48 § § 3 2 - 3 4 des Entwurfs 1903. 49 §32, Abs. 2 des Entwurfs 1903: „Die Gesammtbelastung eines Grundstücks soll in der Regel zwei Drittheile seines Ertragswerths nicht übersteigen." 50 Nach §33 des Entwurfs 1903 darf mit Genehmigung des Familienrates ein Fideikommiß nur in bestimmten Fällen belastet werden. Hier gelten die in § 29, Abs. 2, Nr. 1, 3 und 6 des Entwurfs 1903 genannten Voraussetzungen. So soll nach Nr. 1 solches nur geschehen, wenn dies „zur Erhaltung des Familienfideikommisses in seinem wirthschaftlichen Bestände nothwendig ist", „zu seiner nachhaltigen Verbesserung dient" oder nach Nr. 6, wenn ohne Belastung „eine aus dem Besitze des Familienfideikommisses folgende Pflicht, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt werden würde."
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tums,51 ferner auch für die Aufstellung der für Forsten und Bergwerke vorgeschriebenen Wirtschaftspläne und für die Kapitalanlage. 52 Er gestattet dem Fideikommißbesitzer in den wichtigsten Fällen einer grundlosen Verweigerung, diese Zustimmung durch Anrufung der Fideikommißbehörde ergänzen zu lassen. 53 Der Abschluß von 5 Pachtverträgen auf kürzere Zeit (6 Jahre) und von Arbeitsverträgen wird dem Fideikommißbesitzer in Abänderung des geltenden Rechts auch ohne Konsens mit Wirkung gegen den Nachfolger gestattet,54 und für die regelmäßigen Verwaltungsgeschäfte bleibt er von jeder Genehmigung entbunden, 55 die also nur für wesentliche 10 Umgestaltungen der Wirtschaft (z. B. Übergang zur Weidewirtschaft u. dgl.) erforderlich ist.56 Der Fideikommißbesitzer ist - eine wichtige und, wie anzuerkennen ist, sehr wertvolle Neuerung im Anschluß an das allerdings vom Entwurf in nicht durchweg zweckmäßiger
51 §29 des Entwurfs 1903. 52 Nach den §§53 und 54 des Entwurfs 1903 hat der Fideikommißbesitzer für „Holzungen" und „Bergwerke" das „Maß der Nutzung und die Art der wirtschaftlichen Behandlung durch einen Wirthschaftsplan festzustellen", der der Genehmigung des Familienrates bedarf. Siehe dazu Insbesondere §56, Abs. 1 des Entwurfs 1903, wonach der Fideikommißbesitzer für die Anlage von zum Fideikommiß gehörendem Geld „In Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden [...] die Genehmigung des Familienraths einholen" muß. 53 Genehmigt der Familienrat dem Fideikommißbesitzer Veräußerung oder Belastung des Fldeikommisses, den Wirtschaftsplan oder die Kapitalanlage nicht, so steht nach den §§ 35, 53, 54, 56 des Entwurfs 1903 dem Fideikommißbesitzer „der Widerspruch" zu, über den die Fideikommißbehörde entscheidet. 54 Dies wird in den §§43 und 46 des Entwurfs 1903 geregelt. §43, Abs. 1 zufolge sind „Pachtverträge über Fidelkommißgrundstücke [...] den Fldeikommlßfolgern gegenüber auch ohne die Genehmigung des Familienraths wirksam, wenn sie auf keinen längeren Zeltraum als sechs Jahre abgeschlossen sind." Nach §46 des Entwurfs 1903 endet „ein von dem Fideikommißbesitzer ohne die Genehmigung des Familienraths zum Zwecke der Bewirthschaftung oder Verwaltung des zum Famlllenfidelkommisse gehörenden Grundbesitzes über seine Besitzzelt hinaus geschlossener Dienstvertrag [...] nicht mit dem Nachfolgefalle." Siehe dazu auch die Begründung 1903, S. 9 6 - 1 0 2 . 55 Nach §37 des Entwurfs 1903 kann der Fideikommißbesitzer über einzelne Stücke eines zum Familienfideikommiß gehörenden Zubehörs ohne die Genehmigung des Familienrates verfügen, „sofern die Verfügung innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wlrthschaft erfolgt." 56 Nach § 2 8 des Entwurfs 1903 ist der Fideikommißbesitzer „nur auf Grund eines Familienschlusses berechtigt, das Familienfideikommiß In seiner bisherigen Beschaffenheit wesentlich umzugestalten."
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Weise abgeänderte | sächsische Institut der Familienkasse6' - 5 7 ver- A 507 pflichtet, aus den Einkünften des Fideikommisses 3 verschiedene Kapitalfonds aufzusammeln, sofern nicht schon der Stifter dieselben in einer bestimmten Minimalhöhe mitgestiftet hat. 58 Zur Aus5 stattung und zur Abfindung bedürftiger und, wenn die Mittel reichen, auch anderer Familienangehöriger bestimmter Verwandtschaftsgrade soll je eine Ausstattungs- und eine Abfindungsstiftung errichtet und durch jährliche Beiträge von mindestens i/e des Jahreseinkommens bis zur Erreichung eines in „angemessener" Höhe 10 vom Stifter, evtl. von der Behörde, festzusetzenden Höchstbetrages der Kapitalien gespeist werden. 59 Daneben ordnet der Entwurf die Ansammlung einer „Verbesserungsmasse" an, für welche in „angemessener" Höhe und bis zur Erreichung des auf das Hundertfache des Fideikommißeinkommens festgesetzten Höchstbetrages 15 Beiträge vom Besitzer zu leisten sind.60 Sie soll regelmäßig nur für Erhaltung und nachhaltige Verbesserung des Fideikommißgutes Verwendung finden dürfen. Die Bestimmung über die, wie aus dem
6 ) Über diese uns hier weniger interessierenden Fragen s. v. Koller in der „Kreuz- A 507 zeitung" 1903 Nr. 383 ff.61
57 Das sächsische „Gesetz über Familienanwartschaften vom 7. Juli 1900" regelt in den §§43ff. die Einrichtung einer „Familienkasse", In der Beiträge zur Versorgung der Angehörigen eines Anwartschaftsbesitzers gesammelt werden sollen. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen vom Jahre 1900, Nr. 68, S. 452-480, hier S. 464ff. 58 Mit den drei „Kapitalfonds" sind die „Verbesserungsmasse' 1 und die „Ausstattungsund Abfindungsstiftung" (oben, S.96, Anm.31 und 32) gemeint. Im 14. Abschnitt, §8, Abs. 3 des Entwurfs 1903 heißt es, daß „die Errichtung der Abfindungs- und Ausstattungsstiftung [...] mit Zustimmung des Familienraths und der Fldeikommlßbehörde unterbleiben" könne, falls „stiftungsmäßig in anderer Welse für die [...] abfindungs- und ausstattungsberechtigten Personen angemessene Fürsorge getroffen Ist." 59 § 9 8 des Entwurfs 1903. 60 §61, Abs. 3 des Entwurfs 1903. 61 In der Neuen Preußischen Zeitung („Kreuzzeitung"), Nr. 364 vom 6. Aug. 1903, Ab.BI., begann unter der Überschrift „Gedanken zu dem vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse" eine Artikelserie des Hallensischen Rechtsanwalts Hans von Koller. Im 6. Abschnitt dieser Serie, der In der Neuen Preußischen Zeitung, Nr. 379 vom 15. Aug. 1903, Mo. Bl., erschien, setzt sich Koller mit Inhalt und Auswirkungen des sächsischen „Gesetzes über Familienanwartschaften vom 7. Juli 1900" (oben, Anm.57) auseinander. In den von Weber hier angesprochenen Nummern behandelt Koller die Fldeikommlßnachfolge, den Familienrat und den Familienschluß.
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allem hervorgeht, höchst einflußreiche Fideikommißbehörde fehlt noch. 62 Als unbedingt souveränes höchstes Organ bleibt endlich die zum „Familienschluß" versammelte Familie, welche alles, auch die Auflösung des Fideik0mmisses[,] beschließen kann, bestehen. 63 Uns interessiert nun hier von dem Inhalt des Entwurfes nur sein 5 Gehalt an sozialpolitisch (im weitsten Sinne des Worts) bedeutungsvollen Bestimmungen. Deshalb bleiben die bloß technisch juristischen Vorschläge und ferner diejenigen außer Erörterung, welche die Sicherung der Interessen der Fideikommißanwärter und Familienmitglieder bezwecken.7^ Irgend welche „ethische" Sentimentali- 10
7 ) In dieser Hinsicht ist die weitgehendste B e s t i m m u n g des E n t w u r f e s d e r Vorschlag, d e m Familienrat - nach eingeholter Zustimmung d e r F i d e i k o m m i ß b e h ö r d e - die Befugnis zu geben, v o m Besitzer Rechnungslegung ü b e r das V e r m ö g e n zu verlangen (§ 2 2 ) . 6 4 W e n n Sering und a n d e r e diese B e s t i m m u n g f ü r überflüssig o d e r gar gegen die „ W ü r d e " des Fideikommißbesitzers v e r s t o ß e n d h a l t e n , 6 5 so wird jeder, der einmal praktisch die Interessen v o n F i d e i k o m m i ß a n w ä r t e r n zu v e r t r e t e n hatte, 6 6 sie f ü r die einzige halten, die zu
6 2 Der Abschnitt über die „Fideikommißbehörde" fehlt im Entwurf 1903. Allerdings existierten darüber bereits zwei Alternativvorschläge. Ihre Annahme wurde einer späteren Entschließung vorbehalten, „wobei die Äußerungen der gutachtlich zu hörenden Behörden und etwaige Wünsche aus den Kreisen der Betheiligten Beachtung finden" sollten. Begründung 1903, S. 11. 6 3 § § 2 0 1 - 2 0 8 des Entwurfs 1903. 6 4 Max Weber bezieht sich nicht auf §22, sondern auf § 6 2 des Entwurfs 1903. Dort heißt es: „Der Fideikommißbesitzer hat dem Familienrath über die Verwaltung der zum Familienfideikommisse gehörenden Kapitalien Rechnung zu legen. Die Rechnung ist jährlich zu legen. Das Rechnungsjahr wird von der Fideikommißbehörde bestimmt. Die Fideikommißbehörde kann anordnen, daß die Rechnung für längere Zeitabschnitte zu legen ist. Im übrigen hat der Fideikommißbesitzer dem Familienrath auf Verlangen Auskunft über den Stand des Fideikommißvermögens zu geben und eine Prüfung seiner Verwaltung durch den Familienrath oder ein Mitglied desselben zu gestatten, wenn die Fideikommißbehörde die Vornahme der Prüfung genehmigt." 6 5 Bei Sering, Bemerkungen, S.62, heißt es: „Zu weit scheint mir wie anderen Kritikern die dem bisherigen Recht ganz fremde Berechtigung des Familienrates zu gehen, vom Besitzer Rechnungslegung und Auskunft über das Vermögen zu verlangen sowie mit Genehmigung der Behörde eine Prüfung der ganzen Verwaltung vorzunehmen (§62). Dies entspricht wenig der Würde des jeweiligen Familienoberhauptes und erscheint um so mehr entbehrlich, als die Genehmigungsvorbehalte schon genug Gelegenheit geben, von einer eintretenden Verschlechterung der Verhältnisse Kenntnis zu gewinnen und auf Abstellung offenbarer Mißstände zu drängen." 6 6 Möglicherweise sammelte Max Weber diesbezügliche Erfahrungen 1891 während der Vertretung des Berliner Rechtsanwalts August von Simson, in dessen Kanzlei er bereits einige Jahre zuvor einen Teil seiner praktischen Ausbildung erhalten hatte. Vgl. dazu Deininger, Jürgen, Editorischer Bericht zu: Max Weber, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, MWG I/2, S. 64, Anm. 43.
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tät in bezug auf ihr Schicksal wäre übrigens wenig am Platze. Sie sind damit nicht so unzufrieden, wie oft geglaubt wird. Mit gutem Grund: sie betrachten, und mit Recht, die Zugehörigkeit zur Familie des Besitzers als Chance ersten Ranges für die Beamten |karriere. Diese Anweisung auf die „Staatskrippe" ist ja eins der wesentlichsten Momente, die der Stifter von jeher in Betracht zog und künftig, nach den Aussichten, welche die Motive (S. 13) eröffnen, 67 erst recht Anlaß hat, in Betracht zu ziehen. Von den uns interessierenden Bestimmungen des Entwurfes fällt als, wenn auch praktisch unwichtig, so doch charakteristisch, zunächst die (scheinbare) Unterdrückung des GeW-Fideikommisses und die (ebenfalls scheinbare) Beschränkung der Fideikommisse auf land- und forstwirtschaftlich benutzten Boden auf, welche die Motive (S. 18) mit pathetischen, aber sachlich gehaltlosen, Worten begründen. 68 Nun ist das reine Geldfideikommiß von praktisch geringer Bedeutung. Sieht man aber näher zu, so unterdrückt der Entwurf auch gar nicht, wie es scheinen könnte, die Kapitalanhäufung, auch nicht die Anhäufung städtischen oder bergbaulich oder industriell genutzten Bodens in Fideikommißform - die Kapitalan-
einer materiellen Sicherung der Interessen derselben f ü h r e n kann. Alle anderen R e c h t e funktionieren stets erst, wenn es zu spät ist. |
67 In der Begründung 1903, S. 13, heißt es: „Aber das Staatswesen, wie es sich in Deutschland entwickelt hat, kann [...] das volle Gedeihen nur dann finden, wenn über das Land hin eine Anzahl angesessener, hervorragend angesehener und bemittelter Existenzen verbreitet ist, deren Sinn und Verständniß von Jugend auf den öffentlichen Angelegenheiten des Kreises, der Provinz, des Staates erschlossen ist, und die deshalb in den Organen der Selbstverwaltung wie der staatlichen Gesetzgebung nicht nur mit uneigennütziger Hingebung, sondern auch mit gründlicher Kenntniß der Zustände des Landes thätig zu sein vermögen. Je mehr das innere Staatsleben sich von dem wohlmeinenden Despotismus bureaukratischer Führung emanzipirt, desto mehr ist darauf Bedacht zu nehmen, die im Volke vorhandenen persönlichen Elemente zu erhalten, welche durch die hervorgehobenen Eigenschaften besonders befähigt und berufen sind, zu sachgemäßer und uneigennütziger Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten einflußreich beizutragen." 6 8 Zur Beschränkung der Fideikommisse auf land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke siehe oben, S. 95, Anm. 27. Diese Bestimmung war gegen die nach geltendem Recht zulässigen reinen Geldfideikommisse gerichtet, die, wie es in der Begründung 1903, S. 18, heißt, sich als ungeeignet erwiesen hätten, „zur Theilnahme an gemeinnütziger Thätigkeit im Dienste des Vaterlandes anzuregen, deren Werth oft erst durch den Segen erkannt wird, den die Früchte der eigenen Arbeit bringen."
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häufung erzwingt er vielmehr geradezu -[,] sondern er gibt lediglich den ländlichen Grundbesitzern das Monopol, nicht nur ländlichen Boden, sondern Boden jeder Art und Kapitalien in sehr bedeutendem Umfange fideikommissarisch zu akkumulieren. Das Fideikommiß soll also lediglich agrarisches Sonderrecht /andsässiger Ka- 5 pitalisten sein.8* Vergegenwärtigen wir uns also, welche Rolle heute die Fideikommisse in der preußischen Agrarverfassung spielen. I. 10
Die Fideikommißbildung hat, nachdem das Verbot, welches noch die Verfassung von 185069 enthält, bereits 1851 wieder aufgehoben war, 70 seitdem ganz erhebliche Fortschritte gemacht und macht sie noch. Über die Hälfte (599 von 1119) der preußischen Fideikommisse sind in den letzten 50 Jahren neu entstanden, 71 davon freilich 15
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8) Mit einem Rittergut im Werte von 300 000 Mk. z. B. k ö n n e n eventuell neben Bergwerken und Fabriken auch Kapitalstiftungen von über 3 Millionen Mk. v e r b u n d e n werden. M a n kann also die Bestimmungen des Entwurfs kurz auch dahin formulieren: „Wer Kapitalien durch fideikommissarische Bindung nobilitieren will, m u ß '/io davon in ländlichem Grundbesitz anlegen und bestimmte Teile derselben für Ausstattung und A b f i n d u n g von Angehörigen sowie als,Verbesserungsmasse' für speziell landwirtschaftliche Zwecke festlegen." - 7 2 Diese Formulierung bringt das, was der Entwurf will, ungeschminkter zum Ausdruck. |
69 In Preußen hatte der Beschluß, die Famllienfidelkommlsse aufzuheben, sowohl In die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 (GS 1848, S. 380) als auch in die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 (GS 1850, S.22) Eingang gefunden. Siehe auch die Begründung 1903, S.9. 70 Das Verbot der Familienfldeikommisse wurde In Preußen nicht 1851, sondern durch Gesetz vom 5. Juni 1852 (GS 1852, S. 319) wieder aufgehoben. Siehe auch die Begründung 1903, S. 10. 71 Max Weber stützt sich in den folgenden beiden Abschnitten In der Hauptsache wohl auf die Zahlenangaben, wie sie sich In der Begründung 1903, bei Fidelkommisse 1895, Kühnert, Fidelkommisse 1899, sowie Kühnert, Fideikommisse 1900, finden. 72 Max Weber schneidet hier ein Problem an, das auch die Verfasser des Gesetzentwurfs sahen. Allerdings glaubten sie die Gefahr ausschließen zu können, daß durch die Mitstiftung von Kapitalien „mittelbar wieder Geldfldelkommlsse entstehen" könnten, „neben denen Grundbesitz nur, um den Schein des Grundfidelkommlsses zu wahren, beibehalten wird." Dies werde durch die Bestimmungen des §6 des Entwurfs 1903 (vgl. oben, S. 96, Anm. 33), wonach „diese Kapitalien einen von der Höhe des Einkommens aus dem land- und forstwlrthschaftllchen Grundbesitz abhängigen Höchstbetrag niemals überschreiten dürfen", verhindert. Begründung 1903, S. 19.
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ein Bruchteil - nicht ganz ein Drittel - durch Umwandlung von Lehen in Fideikommisse. Die Zahl der iVeMgründungen (also exkl. Lehenumwandlungen) hat sich 1880-95 gegen 1850-80 | in den A509 östlichen Provinzen nur in Posen und Westpreußen (aus politischen Gründen) nicht vermehrt, sonst in allen. 73 In Schlesien und Brandenburg ist in den 15 Jahren 1880-95 cmehr -c in Schlesien um über V3 mehr - Boden neu gebunden worden als in den 30 Jahren 1850-80. Aber auch in der letzten Zeit schreiten die Fideikommißbildungen - und zwar im ganzen mit der Tendenz zur Beschleunigung, nicht zur Verlangsamung - vorwärts, wie die Nach Weisungen für die Jahre 1895-1900 ergeben. In diesen Jahren ist die Fideikommißfläche um 3,58 Proz. gestiegen. Der Zuwachs dieser 5 Jahre, 75 000 ha, umfaßt eine Fläche, die von der Durchschnittsfläche eines ganzen Landkreises nur in wenigen Regierungsbezirken mit sehr ungünstigem Boden übertroffen wird. Es finden sich unter den preußischen Landkreisen 10, welche hinter dem bloßen Jahreszuwachs z.B. des Jahres 1898 allein (24 098 ha) zurückbleiben. Die heute bestehenden Fideikommisse umfaßten 1900:2 177 000 ha oder V16 des gesamten Staatsgebietes,d Städte, Wege, Wässer, Moore, Ödund Unland eingerechnet, eine Fläche, welche diejenige der Provinz Westfalen erheblich übertrifft. In 33 Kreisen war über V5, in 6 über 40 Proz. der Fläche gebunden. D e n Höchststand weist die Provinz Schlesien auf. Von den 26 Kreisen mit je mehr als 20 000 ha Fideikommißfläche gehören 17 der Provinz Schlesien, 3 der Provinz Sachsen an, 74 also denjenigen Provinzen, in welchen der rein kapitalistische Charakter des landwirtschaftlichen Großbetriebes am konsequentesten entwickelt ist und speziell in ihrer Arbeitsverfassung am deutlichsten hervortritt.
Sieht man sich nun die ßorfenkategorien an, welche die Fidei30 kommißbildung mit Vorliebe ergreift, so zeigt sich, daß zunächst der Waldboden in besonders hohem Grade zur Fideikommißbildung neigt. Etwa 46 Proz. der Fideikommißfläche sind Waldungen. Zwar wäre es eine starke Übertreibung, wenn man behaupten wollte C A: mehr; -
d A:
Staatsgebietes.
7 3 Diese Behauptung Max Webers wird durch das amtliche Zahlenmaterial nicht gestützt. Siehe Fideikommisse 1895 sowie Kuhnert, Fideikommisse 1899. 7 4 Diese Kreise werden im folgenden als „Fideikommißkreise" bezeichnet.
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wie es früher geschah - , daß das Fideikommiß in erheblichem Maße einer drohenden Entwaldung steuere. 75 In waldarmen Kreisen teilen auch die Fideikommisse diese Eigenschaft. Und selbstverständlich ist die Existenz jener 46 Proz. Waldbestände nicht Folge der Fideikommißeigenschaft des Bodens, sondern umgekehrt: die Eigenart der Forstwirtschaft - Länge der Umschlagsperiode und (relative) Bedeutungslosigkeit des ßeine&skapitals - drängt speziell den Waldboden der fideikommissarischen Bindung zu. Aber imA 510 merhin ist die Chance, daß Walddevastationen | unterbleiben, bei Fideikommissen doch wohl eine relativ starke, und es entspricht den allgemeinen Erfahrungen, daß die dem feudalen Empfinden von jeher eigene, kultur- und wirtschaftsgeschichtlich so höchst wichtige Freude am Walde der Qualität der Fideikommißwälder zugute kommt. Auch die hohen Durchschnittsreinerträge der Holzungen in manchen Fideikommißkreisen 9 ' sprechen vielleicht, soweit es sich um alte Fideikommisse handelt, dafür, obwohl natürlich im allgemeinen das Kausalverhältnis so liegt, daß gerade die besseren Waldlagen fideikommissarisch gebunden wurden. 10 ' - Wie steht es nun mit dem landwirtschaftlich nutzbaren Boden? Die amtlichen Publikationen ergeben, daß auch hier die Fideikommisse die von Natur (oder durch Marktnähe) besser ausgestatteten Bodenlagen im allgemeinen bevorzugen, und zwar da, wo dies näher ersichtlich ist, in ganz auffallender Weise.11' Natürlich muß A 510
9)
Zu vergleichen etwa die starke Differenz zwischen den Reinerträgen der Holzungen der Gutsbezirke gegenüber den Dörfern im Fideikomraißkreise Militsch e und im e Nachbarkreis Guhrau. 10 ' Dies tritt z. B. in der gegen den Nachbarkreis Guhrau besonders niedrigen Qualität der Bauernwälder im Fideikommißkreise Militsch hervor. Wo immer der Grundsteuerreinertrag des gebundenen Bodens hinter dem Durchschnitt zurückbleibt, handelt es sich um alte Fortbestände. Wo dies nicht der Fall ist, steht der durchschnittliche Reinertrag der Fideikommisse höher, teilweise ganz erheblich höher als der Durchschnitt. So betrug er z. B. per ha in Mk. in: Königsberg 9,13 (gegen 7,47 durchschnittlich), Potsdam 10,26 (gegen 9,84), Stettin 13,68 (gegen 11,12), Schleswig 24,22 (gegen 19,69), Hannover 22,36 (gegen 13,32!), Stade 41,16 (gegen 21,22!), Wiesbaden 23,75 (gegen 16,71), Düsseldorf 32,73 (gegen 29,20). Man sieht, daß überall speziell die e A: gegenüber dem 7 5 Die Bedeutung der Familienfideikommisse für eine planvolle Bewirtschaftung des Waldes wurde von vielen Befürwortern dieses Instituts herausgestellt. Vgl. etwa Hager, Familienfideikommisse, S. 22ff. Bei Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 141, hießt es: „In einzelnen Kreisen hat j e d o c h der Fideikommißwald a u c h die Eigenschaft, die Landschaft vor Entw a l d u n g zu schützen."
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man hier zwischen den Fideikommissen alten Bestandes, die aus großen Lehngütern hervorgegangen sind, welche naturgemäß vorzugsweise den verkehrsferneren rein agrarischen Gebieten angehörten, und denjenigen neueren Fideikommißbildungen unterscheiden, 5 welche im Laufe der letzten Jahrzehnte vorgenommen worden sind. Was aber diese letzteren anlangt, so bestätigt eine speziellere Untersuchung der Grundsteuerreinerträge des landwirtschaftlichen Bodens, wie sie mit Hilfe des Gemeindelexikons und | der Handbücher A 511 des Grundbesitzes 76 möglich ist, jene Beobachtung, daß die Fidei10 kommisse gute Bodenlagen bevorzugen, im ganzen - denn natürlich kreuzen sich allerhand „Zufälligkeiten" des gegebenen Besitzstandes damit - auf das eklatanteste. 12 ' Und zwar scheint es, daß dies im Laufe der letzten Zeit im ganzen in steigendem Maße der Fall ist, wie dies auch für die Jahre 1895-1900 die amtlichen Publikationen 15 bestätigen. 77 Das Fideikommiß sucht den Boden, der Grundrente,78 und möglichst hohe und risikofreie Grundrente, trägt. Es ist, soweit es nicht früheres Lehngut ist, eine spezifisch modern-kapitalistische Form der i?entercbildung, ganz ebenso wie die verzinslichen WertNahe großer Kapitalzentren (Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt, Rheinland) die Qualität des gebundenen Bodens in die Höhe treibt. Mit steigender Kapitalkraft wird es natürlich in steigenderem Maß geschehen, daß das Anlage und Nobilitierung suchende Kapital sich den besten Boden wegfischt und den schlechten den Bauern läßt. | l2 ' Durch Stichproben bei Neugründungen leicht zu erweisen. - Es wird im ganzen A 511 nicht der allerbeste Boden gebunden - er ist zu teuer, weil nur durch sehr intensive Kultur voll zu verwerten, und vor allem ist grade hier der ßruifostempel von 3 Proz. bisher störend - [,j79 sondern etwa die Garnitur „Ib". Schlechter Boden gehört zu Fideikommissen in irgend beträchtlichem Umfang nur, wenn sie alte Fideikommisse - frühere Lehen usw. sind.
7 6 Max Weber bezieht sich hier neben dem Gemeindelexikon 1885 und dem Gemeindelexikon 1895 auf das Handbuch des Grundbesitzes. 7 7 Bereits bei Kühnert, Fideikommisse 1899, S.2, wird für die Zeit 1895-1899 festgestellt: „Der Umstand, daß der auf die Fideikommisse entfallende Reinertrag in stärkerem Verhältnisse als deren Fläche gestiegen ist, legt die Vermuthung nahe, daß die hinzugetretene Fläche hauptsächlich von besserer Bodenbeschaffenheit war." Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 137, zufolge nahm der Grundsteuerreinertrag der gesamten Fideikommlßfläche 1895-1900 um rund 4 % zu. 7 8 Max Weber verwendet den Begriff „Grundrente" hier in einem allgemeinen Sinne, wonach unter Grundrente „das gesamte Einkommen, das der Grundbesitzer aus dem Grund und Boden bezieht", verstanden wird. Zur Begriffsbestimmung vgl. Lexls, Wilhelm, Grundrente, in: HdStW2, Band 4, S. 870-884, insb. S. 871. 7 9 Der für die Errichtung von Fideikommißstiftungen verlangte Steuerstempel von 3% wurde mit dem Stempeltarif vom 7. März 1822 eingeführt (GS 1822, S. 80).
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papiere. 13 ' Im Vaterlande der modernen kapitalistischen Landwirtschaft - England - ist diese seine Funktion: Scheidung von Bodenbesitz und Betrieb, von Rente und Unternehmerrisiko, am gründ512 lichsten durchgeführt. 80 Es erwächst überall aus dem Ver|such, zugleich dem Verwertungsinteresse des Kapitals und den Interessen sozial herrschender Schichten an einem relativ stabilen „standesgemäßen" Einkommen Raum zu schaffen. Es ist die Form, in welcher 131 Wenn Sering a. a. O. die Anhänger einer Ausdehnung der Fideikommisse als „Freunde einer antikapitalistischen Agrarreform", ihre Gegner als Vertreter des „kapitalistischen Standpunkts" bezeichnet, 81 so ist eigentlich das Bedauerlichste daran, daß er selbst - wie jeder, der ihn kennt, weiß - an die Bedeutung solcher ganz inhaltsleeren Wendungen aufrichtig glaubt. Wenn der Minister v. Miquel solche Wendungen zu politischen Reklamezwecken verwendete, 8 2 so wußte er, daß er die Phrase in seinen Dienst nahm, wenn Nationalökonomen sie aussprechen, so ist das Dienstverhältnis das umgekehrte. - Man kann nur bedauern, daß z. B. auch in der Frage des ländlichen Erbrechts mit solchen Mitteln gearbeitet worden ist. 83 Auch wer selbst stets durchaus der Meinung gewesen ist, daß sich für Gebirgsgegenden, marktferne Gebiete, überhaupt von Fall zu Fall sehr wohl über die Zweckmäßigkeit einer Änderung im Erbtaxverfahren und über die Anordnung, daß dort bäuerlicher Besitz in dubio - d. h. mangels Testament - ohne Teilung unter Zugrundelegung des „Ertragswerts" vererbt werden solle, reden lassen würde, ja daß es Fälle gebe, wo geschlossene Hofgüter ihre Berechtigung haben können,84 mußte durch die widerliche Miquelsche Reklame, welche solche nach lokalen Verhältnissen rein sachlich zu diskutierenden Maßregeln der Erbrechtstechnik unter den pompösen und in diesem Zu-
80 Die Möglichkeit, Grundbesitz durch Familienstiftungen zusammenzuhalten, bestand in England in der Form der „entails". Dabei wurde die Stiftung von Generation zu Generation erneuert und band den jeweils Nutzungsberechtigten etwa in Fragen der Verschuldung und Veräußerung weit weniger als den deutschen Fideikommißbesitzer. Die Äußerung Max Webers wird sich darauf beziehen, daß in England die Figur des „absentee landlord" verbreitet war und der Großgrundbesitz in der Regel durch Zeitpächter bewirtschaftet wurde. Zu den ökonomischen Wirkungen siehe Max Webers Bemerkungen in seinem Vortrag „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science", in diesem Band abgedruckt, unten, S. 212-243. 81 Sering, Bemerkungen, S. 64f. 82 Derartige Äußerungen des preußischen Finanzministers Johannes von Miquel sind nicht nachgewiesen. 83 Max Weber bezieht sich hier auf die in den 1890er Jahren lebhaft geführte Diskussion über das Anerbenrecht, d. h, darüber, ob der ländliche Grundbesitz bei der Vererbung ungeteilt bleiben solle. Dafür war unter anderen Miquel eingetreten. Dazu meinte Weber kritisch, daß die Bedeutung dieses Erbrechts „ganz ungebührlich aufgebauscht" worden sei, vor allem „durch die Art, wie Exc[ellenz] v. Miquel, Sering u. A. in der Einführung von Einzelerbfolge einen vernichtenden Schlag gegen den .Capitalismus' etc. etc. annoncierten." Brief Max Webers an Adolf Buchenberger vom 26. Juli 1899, GLA Karlsruhe, Nl. Adolf Buchenberger, Nr. 44 (MWG II/3). 84 Zur Position Max Webers in der Frage des Anerbenrechts siehe u. a.: Weber, Max, Das Anerbenrecht auf der preußischen Agrarkonferenz (1894), in: MWG I/4, S. 502-511, sowie: Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern (1895), ebd., S. 589-596.
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„satte" kapitalistische Existenzen ihren Erwerb aus der stürmischen See des ökonomischen Kampfes in den Hafen eines „Otium cum dignitate" 85 - einer briefadligen Rentnerexistenz - zu retten pflegen. Es fühlt sich daher am wohlsten da, wo guter Boden und Großgrundbesitz zusammentreffen mit einer starken bergbaulichen oder industriellen Entwicklung, welche (wie in Schlesien) Kapital für die Anlage in Grund und Boden „ausschwitzt", zumal, wenn gleichzeitig niedrige Arbeitslöhne einer proletarisierten und dennoch - durch Parzellenbesitz - an den Boden gefesselten Landarbeiterschaft (wie wiederum in Schlesien) die dauernde Erzielung hoher Grundrenten gewährleisten'.14' Die schlechten - d.h. die rentelosen - Böden meidet es. Die Kreise mit den ungünstigsten Bodenverhältnissen im Osten wiesen 1897 überhaupt keine Fideikommisse auf,86 und die von den Freunden des Instituts früher verbreitete Legende, das Fideikommiß sei das geeignete Mittel, auf schlechtem Boden den Großbesitz und Großbetrieb als „Träger der Kultur" zu erhalten,87 ist - solange man die Bindung besserer Böden nicht gesetzlich verbieten will - ein für allemal gründlich zerstört. Vielmehr zeigen die Tatsachen, daß die Fideikommisse gerade diejenigen Böden zu okkupieren trachten, welche^] infolge ihrer Eignung für intensive Betriebsformen, der Entwicklung zur Verkleinerung der Betriebe zustreben müßten oder, nach der offiziös-preußischen Theorie von der „glücklichen Mischung" der Betriebssammenhang lächerlichen Gesichtspunkt eines „Kampfes gegen den Kapitalismus" stellte, zum Protest gereizt werden. Ein „Kampf gegen den Kapitalismus" auf agrarischem Gebiet sähe anders aus als die Stümpereien, die heute sich als ein solcher gebärden. | l 4 i Die „günstigen Arbeiterverhältnisse" haben hier bei der Grundsteuerbonitierung 88 A 512 ebenso wie bei den im Bodenverkehr gezahlten Preisen ihre Rolle gespielt. |
f A: gewährleistet 8 5 Wörtlich: „Muße mit Würde." Cicero beschreibt damit in Pro Sestio, 45, 98, das beschauliche Leben eines von der Berufsarbeit zurückgetretenen allgemein geachteten Mannes. 8 6 Diese Feststellung findet sich in Fideikommisse 1895, S. 21. „1897" dürfte sich auf d a s Erscheinungsjahr dieser Schrift beziehen. 8 7 Auf welche Äußerungen sich Max Weber hier bezieht, konnte nicht ermittelt werden. 8 8 Die Grundsteuerveranlagung erfolgt auf der Basis einer möglichst genauen Ermittlung des Ertrags der einzelnen Grundstücke. Diese werden nach ihrer Produktionskraft (Bonität) in eine Reihe von Klassen eingeteilt. Die Einstufung eines Grundstücks in eine dieser Klassen bezeichnet man als „Bonitierung".
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großen, 89 für bäuerliche, speziell „großbäuerliche" Existenzen die Unterlage bilden könnten, während sie die schlechten, angeblich nur in Großbetrieben zu bewirtschaftenden, Bodenklassen ihrem Schicksal, das heißt der Besiedelung durch rentelose Wirtschaften, speziell im Osten mehr oder minder stark naturalwirtschaftliche 5 (namentlich polnische) Parzellenbauern, überlassen. In wesentlich gesteigertem Maße wird dies natürlich der Fall sein nach dem etwaigen Inkrafttreten der neuen Getreidezölle, 90 die ja - entsprechend der Maxime jedes Hochprotektionismus: „wer da hat, dem wird gegeben"- 91 speziell die Grundrente der besten, der Weizenböden 10 in die Höhe schrauben und speziell diese dadurch noch mehr 9 „fideikommißfähig" machen 9 . | A 513 Die Frage: wie wirkt nun diese in großen Gebieten schon ganz außerordentlich vorgeschrittene fideikommissarische Bindung des landwirtschaftlich genutzten Bodens ökonomisch und sozialpoli- 15 tisch? ist von den Motiven auf 6 Seiten in ganz und gar unzulänglicher Weise behandelt. 92 Ehe dazu Stellung genommen wird, einige „theoretische" Vorbemerkungen. Von den verschiedenen Gesichtspunkten, unter denen man eine Agrarverfassung beurteilen kann, kommen, soweit sie in quantitati- 20 ven, der Messung zugänglichen, äußeren Massenerscheinungen ausdrückbar sind, zunächst drei in Betracht, nämlich: 1. das Produktionsinteresse: möglichst viel Erzeugnisse von einer gegebenen Fläche, - 2. das populationistische Interesse: viel Menschen auf einer gegebenen Fläche, - 3. das - um es einmal ad hoc so zu nennen - 25 „sozialpolitische"15*: möglichst umfassende und gleichmäßige VerA 513
15> Es soll damit hier noch gar kein Werturteil zugunsten dieses Gesichtspunktes kaptiviert werden. |
g A: „fideikommißfähig", machen 89 In der zeitgenössischen Diskussion, so auch in der B e g r ü n d u n g 1903, S.21, wird grundsätzlich a n g e n o m m e n , „daß ein möglichst gleichmäßiges G e m i s c h von größerem, mittlerem und kleinem Grundbesitze die größte Gewähr für eine gedeihliche Entwickelung der wirthschaftlichen und sozialpolitischen Verhältnisse" biete. 90 Nach einer Phase reduzierter Zolltarife hatte der Reichstag in d e n Jahren 1901/02 über neue Zolltarife beraten und am 13./14. Dezember 1902 eine Tarifreform verabschiedet, w o n a c h sich der Einfuhrzoll für Getreide erheblich erhöhte und damit den Stand von vor 1892 erreichte. Auf der Basis dieser revidierten Zölle wurden zwischen Juni 1904 und Januar 1905 mit sieben europäischen Staaten neue Handelsverträge abgeschlossen. 91 Matthäus 13,12. 92 B e g r ü n d u n g 1903, S. 1 8 - 2 3 .
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teilung des Besitzes an einer gegebenen Fläche. Soweit das platte Land in Betracht kommt, sind die beiden Interessen zu 2 und 3, im allgemeinen wenigstens, in bester Harmonie miteinander, während wenigstens bezüglich der Geiradeproduktion beide mit dem 5 Produktionsinteresse vielfach kollidieren. Es besteht nicht der mindeste Zweifel, daß, wenn es sich um die Erzeugung von möglichst viel Getreide von der gegebenen Fläche handelt, mindestens alle mittleren und kleineren bäuerlichen Besitz- und Betriebseinheiten schlechterdings vom Übel sind, und wer die Deckung des deutschen 10 Getreidebedarfs durch inländische Produktion anstrebt - sei es auch nur als ideales Ziel -[,] muß für deren Beseitigung, damit aber für die Schärfung der sozialen Gegensätze auf dem Lande und für die numerische Schwächung der Landbevölkerung eintreten, und er betrügt andere oder sich, wenn er dies verschweigt. Hier gibt es kein 15 „sowohl als auch", sondern wenn man den technisch leistungsfähigsten Groß betrieb künstlich stützen will, so muß man insoweit die dauernde Verdünnung der ansässigen Landbevölkerung wollen. Und zwar würde, je kapitalintensiver die Wirtschaft betrieben werden soll, desto mehr sich die Bevölkerung zuungunsten wenigstens 20 der relativen Bedeutung, oft auch der absoluten Zahl, der Landbevölkerung verschieben. Denn desto mehr wird ein Teil des „Ertrags des Gutes" in Wahrheit in den Kaligruben, Thomas-Hochöfen, 93 Maschinenwerkstätten etc. der industriellen Gebiete produziert und ein anderer | durch Saisonarbeiter, die auf dem Gut nicht A 514 25 ansässig sind, erzeugt, desto weniger also bleibt - relativ - Raum für die Verwendung einheimischer mit der Scholle verwachsener Arbeitskräfte, desto mehr von dem Arbeits/o/zn wird auswärts (in Russisch-Polen!), desto mehr von dem Arbeitsprodukt von städtischen Konsumenten, desto weniger von der ansässigen Landbevölkerung 30 verzehrt. Auf eine möglichst einfache (und deshalb natürlich nur relativ gültige) Formel gebracht: Der bäuerliche Betrieb alten Schlages fragte: wie mache ich es, um möglichst viel Köpfe an Ort und Stelle auf der gegebenen Fläche durch ihre Arbeit zu ernähren? der kapitalistische Betrieb fragt (das ist sein Begriffsmerkmal): wie 35 mache ich es, um auf der gegebenen Fläche mit möglichster Ersparnis an unnötiger Arbeit ein möglichst großes Quantum Güter für 9 3 In d e n Thomas-Hochöfen konnte phosphorreiches Roheisen zu Stahl verarbeitet werden. Die anfallende Schlacke („Thomasschlacke") e r g a b , verarbeitet und gemahlen, ein wertvolles Düngemittel („Thomasmehl").
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den Absatz auf dem Markt disponibel zu machen? 16 ) Dieser höchst A 515 einfache Ausgangspunkt aller Betrachtungen über die Wirkung des A 514
16 ) Man vergleiche etwa die Dichtigkeit der Siedlung auf guten und schlechten Böden, wie sie beispielsweise in folgenden sich in ähnlichen Relationen sehr oft wiederholenden Zahlen zutage tritt: Im Kreise Militsch (Fideikommißkreis) k a m 1885 in den Reinertragsklassen von p r o ha Mk.: unter 10: 10-15: über 15: auf 1 W o h n g e b ä u d e r 4,39 5,66 6,29 i n d e n Dörfern ha Ackerland und -j Wiesenfläche: t auf den G ü t e r n 49,8 43,7 55,6 M a n sieht: d e m besten B o d e n entspricht die dünnste Bebauung. Für den kapitalistischen Betrieb auf den besseren B ö d e n ist eben das Wohnhaus der Arbeiter Teil der Produktionskosten. Die e n o r m e Differenz zwischen D ö r f e r n und G ü t e r n spricht hier für sich selbst. Es kam ferner in den gleichen Reinertragsklassen (spezifische Forstgüter mit m e h r als 50 Proz.Wald ausgeschlossen): u n t e r 10: 10-15: über 15:
a) auf 1 Kopf ha Gesamtfläche:
in den D ö r f e r n auf den G ü t e r n
0,79 (5,82)
0,87 4,90
0,95 5,07
b) auf 1 Kopf ha Acker- u. Wiesen fläche:
in den D ö r f e r n a u f h den G ü t e r n
0,71 (3,67)
0,78 3,23
0,87 3,82
Eine Serie weiterer ähnlicher Z a h l e n s. in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g unten S. 139. M a n sieht, daß mit steigender Bodenqualität, also steigender „Produktivität der Arbeit", die Besetzung der bewirtschafteten Fläche nicht nur mit G e b ä u d e n , sondern auch mit ortsanwesender Bevölkerung (Winterbevölkerung) 9 4 die Tendenz zw Abnahme zeigt, wie die wegen des störenden Einflusses der Forsten am besten vergleichbaren Z a h l e n der Landgemeinden, - innerhalb d e r e n hier viel aufgekaufter und g e b u n d e n e r G u t s b o d e n A 515 liegt, - beweisen. D e r schroffe Gegensatz zwischen | Dorf und Gut, der diese Tendenz besonders deutlich illustriert, tritt auch hier hervor. Die eingeklammerten Z a h l e n für die unterste Klasse der G ü t e r zeigen mit der nächsthöheren verglichen die Wirkung extensiven Betriebs. Die A b n a h m e der Siedelungsdichte auf der höchsten Stufe zeigt, daß Kapitalintensität und Arbeitsintensität der Wirtschaften verschiedene Wege gehen. D e r beste B o d e n trägt auch bei den G ü t e r n , wie die Zahlen ad b zeigen, die geringste Zahl von ortsansässigen Menschen. Ich kann hier diese in mannigfachen Abschattierungen an den sehr zahlreichen Beispielen a n d e r e r Kreise, die ich durchgerechnet habe, sich wiederholende Erscheinung nicht eingehender prinzipiell erläutern, behalte mir dies vielmehr für künftig vor. - 9 5 Es ist nicht nur die Tendenz zur Saisonarbeit, sondern die Tendenz zum A r b e i t s p a r e n überhaupt, welche diese Erscheinungen in den kapitalistischen Betrieben hervorbringt. Auf den schlechten B ö d e n der D ö r f e r hat für die BevölkerungsVerdichtung natürlich auch die gewerbliche N e b e n a r b e i t ihre Rolle gespielt. Vgl. dazu die vortrefflichen Ausführungen Sombarts im 2. Band seines „Kapitalismus".' 9 6 | h A: in
i A: „Kapitalismus."
9 4 Stichtag der Zählung der ortsanwesenden Bevölkerung war jeweils der 1. Dezember. 9 5 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 88. 9 6 Sombart, Kapitalismus, Band 2, S. 130ff.
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Großbetriebes und die sozial- und bevölkerungspolitische Kehrseite des Produktionsinteresses in der Landwirtschaft - sofern nämlich darunter Getreideproduktion im Fruchtwechsel mit Hackfrüchten verstanden wird - muß immer wieder betont werden. Wer nun der Meinung ist, daß die sozialen Kontraste im Osten der Abschwächung bedürftig seien, oder wer meint, daß es heute vor allem gelte, soviel selbständige landwirtschaftliche Existenzen wie nur irgend möglich auf den dünn besiedelten, der Abwanderung und der Überschwemmung durch Ausländer oder doch Stammfremde preisgegebenen Boden des Ostens zu setzen, der muß für den Osten die Beseitigung aller Institutionen verlangen, welche dem direkt entgegengesetzten Ziele zustreben, gleichviel, ob dadurch eine Schädigung der Produktionsinteressen - wie dies wenigstens für das Getreide wahrscheinlich ist - eintritt. Viele deutsche Landleute müssen ihm mehr wert sein als viel deutsches Korn. - Übrigens läßt sich heute auch nicht die allerentfernteste „Gefahr" eines Verschwindens oder auch nur einer dem Getreide-Produktionsinteresse in fühlbarer Weise zuwiderlaufenden starken Reduktion des Großbetriebes für den Osten wahrscheinlich machen. Was dort - z. B. etwa in Pommern an Reduktion der Großbetriebsfläche vor sich geht, ist in weit überwiegendem Maße eine Reduktion der Betriebsgröße auf ein technisch erträgliches Maß. Bei Aufhebung aller Fideikommisse, stufenweiser Beseitigung aller Getreidezölle, progressiver Bodenbesitzbesteuerung und einer noch sehr verstärkten inneren Kolonisationstätigkeit würden | nach hundert Jahren im Osten noch so A516 außerordentlich zahlreiche Exemplare von Grafen, Freiherrn und Rittergutsbesitzern übrig sein, daß jeder gefühlvolle Romantiker sich an ihnen über Bedarf erquicken könnte. Daß die Bäume der Bauernkolonisation nicht in den Himmel wachsen, dafür ist durch die historisch gegebenen, nur im Lauf vieler Generationen zu ändernden Verhältnisse - nur allzu sehr! - gesorgt. Die Motive machen nun keinen Hehl daraus, daß ihnen vor Allem der Schutz des Großbesitzers - wie wir später sehen werden, 97 auch des Großbetriebes - am Herzen liegt.98 Seine Verminderung betrachten sie als diejenige Gefahr, welcher der Entwurf entgegentre97 Unten, S. 120ff. 98 In der B e g r ü n d u n g 1903, S. 13, wird d e m G r o ß g r u n d b e s i t z e r s t a n d eine staatserhalt e n d e Funktion und d e m Großgrundbesitz eine hohe politische B e d e u t u n g für d e n Staat b e i g e m e s s e n . Siehe hierzu a u c h o b e n , S. 103, Anm. 67.
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ten soll. Sie heben hervor, die Fideikommisse sollten einen Schutz bieten gegen die „fortschreitende Überschuldung des ländlichen Grundbesitzes, sowie gegen eine nicht der folgerichtigen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern der Notlage des Besitzers entspringende Bodenzerstückelung".99 Es wäre dankenswert, wenn die Motive angedeutet hätten, was denn die „folgerichtige" Entwicklung wäre und woher für sie der Maßstab zu gewinnen sei in einer auf Privateigentum gegründeten Gesellschaftsordnung? In jener wunderbaren Wendung hat aber lediglich das unklare Ineinanderschieben des Seienden mit dem Seinsollenden 100 und die Unfähigkeit oder Abneigung, mit klaren Begriffen zu arbeiten, wie sie der „romantischen" Schule eignet, 101 ein Paradigma ihrer' Konsequenzen geliefert. Denn die „folgerichtige Entwicklung" ist hier doch wohl einfach die, welche der Verfasser der Motive für erwünscht hält. Oder soll damit gesagt sein, daß in der Überschuldung - d. h. doch: in der zum ökonomischen Zusammenbruch führenden Verschuldung - gerade des Großbesitzes individuelle, vom ökonomischen Standpunkt aus „zufällige", Momente zum Ausdruck kämen, da doch die technische Überlegenheit des Großbetriebes eigentlich eine geringere ökonomische Gefährdung des Großbesitzes bedingen müsse? Dann wäre der Satz einfach falsch und beruhte teils auf falschen tatsächlichen Annahmen, teils auf irrigen ökonomischen Ansichten. Gerade weil der Großbetrieb kapitalistische Markt-Produktion bedeutet, ist der ihm als Grundlage dienende Großbesitz - soweit Wirtschafter und Besitzer identisch sind - ganz j A:ihren 99 Begründung 1903, S. 14. Die Hervorhebungen im sinngemäß korrekt wiedergegebenen Zitat stammen von Max Weber. 100 Bereits in seiner kurz zuvor erschienenen Abhandlung „Die .Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis" stellte Max Weber fest, daß die Nationalökonomie zwar ihre Hauptaufgabe nicht mehr darin sehe, Werturteile zu produzieren, daß aber die „prinzipielle Scheidung von Erkenntnis des .Seienden' und des .Seinsollenden'" noch nicht vollzogen sei. AfSS, Band 19, 1904, S. 2 2 - 8 7 , hier S. 24 (MWG I/7). Auch im „Werturteilsstreit", der seit 1905 im Verein für Sozialpolitik geführt wurde, stellt diese Scheidung eine der wesentlichen Forderungen Max Webers dar. Siehe dazu etwa seine Redebeiträge in der Debatte „Über die Produktivität der Volkswirtschaft" auf der Tagung des Vereins in Wien 1909 (Schriften des Vereins für Socialpolitik 132). - Leipzig: Duncker & Humblot 1910, S. 5 8 0 - 5 8 5 und S. 6 0 3 - 6 0 7 (MWG 1/12). 101 Max Weber bezieht sich hier vermutlich auf die „Ältere Historische Schule" der Nationalökonomie, deren Vorläufer Adam Müller und Friedrich List der deutschen Romantik angehörten.
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folgerichtiger" Weise konjunkturell empfindlicher}1^
Tatsächlich
17 > Dies zeigen folgende, nach den Angaben in der Publikation von Evert, | Zeitschrift] A 5 1 6 A 5 1 7 des Preußischen] Statistischen] B[ureaus] Bd. 29, 1889 S. 146 f., 102 errechnete Zahlen über 1. die Zahl und 2. die Gründe, welche in den Jahren 1886-89 zur Zwangsversteigerung ländlicher Grundstücke führten:
auf Betriebe bzw. Besitzungen von
Es entfallen
unter 2 ha a) von der Betriebsfläche Proz.
b) von der zwangsversteigerten Besitzfläche Proz.
2-10 ha
10-50 ha
über 50 ha
1,52
14,68
37,90
45,90
' 1886/7
0,79
5,10
15,99
78,12
1887/8
0,81
5,02
15,50
78,67
1888/9
0,77
5,87
15,72
77,64
0,79
5,33
15,70
78,14
-63,7
-58,6
+70,2
durchschnitt. lieh Die Durchschnittsfläche zu b) bleibt hinter dem k nach der Betriebsverteilung (a) auf die Größenklasse entfallenden Quotenbetrag zurück ( - ) bzw. übersteigt ihn (+) um Proz.
l 1 >
- -48,1
Als Gründe des Vermögensverfalles ist der Einfluß der Konjunkturen angegeben in Proz. der Fälle
-
2,58
4,03
7,21
15,52
Dagegen rein persönliche Verhältnisse (Wucher, Verschulden, Familienverhältnisse usw.103)1 Proz.
- 71,75
63,15
57,21
45,01
Also zunehmende Bedeutung der allgemeinen Einflüsse der Marktkonjunkturen bei den größeren Betrieben. Ich habe mich über diese Frage und den Wert dieser Zahlen in meinem Gutachten über das Heimstättenrecht für den 24. Juristentag geäußert. 1 0 4 k A: d e n
I Klammer schließt nicht in A.
1 0 2 Zwangsversteigerungen. Der Artikel ist ohne Verfasserangabe erschienen. 1 0 3 Bei Zwangsversteigerungen, Tabelle 6, S. 163, w e r d e n neben „schlechter Lage der L a n d w i r t s c h a f t " acht weitere Ursachen für Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g e n genannt: „II. Wucher, Übervortheilung im Handel, III. Unzweckmäßige Erbregulirung, IV. Wirthschaftsunfälle und Naturereignisse, V. Familienverhältnisse und Krankheit, VI. Geschäftliche Verhältnisse, VII. Freiwillige ungünstige Übernahme, VIII. Eigenes Verschulden, IX. Sonstige Ursachen." Vermutlich hat Max Weber in seinen Berechnungen die Rubriken II, V, VI und VIII berücksichtigt. 1 0 4 Weber, Max, Empfiehlt sich die Einführung eines Heimstättenrechtes, insbesondere zum Schutz des kleinen Grundbesitzes g e g e n Zwangsvollstreckung? (1897), in: MWG I/4, S. 6 4 5 - 6 6 6 .
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A 517 unrichtig ist aber überdies die | Behauptung, daß eine irgend - im Verhältnis zu anderen Besitzgruppen - ins Gewicht fallende „Bodenzerstückelung" im Bereich speziell des durch Fideikommisse zu schützenden Großbesitzes zu beobachten wäre, man müßte denn eine Zerstückelung, die bei ungestörtem Fortgang in mehre- 5 ren Jahrhunderten den Großbesitz dann ernstlich bedrohen würde, wenn der „Zerstückelung" keinerlei Zukauf gegenüberstände, eine solche nennen. In allen anderen Besitzkategorien umfaßte 1896-99 der Besitzwechsel prozentual mehr Fälle von „Abtrennung" und „Zerstückelung" als gerade im Großbesitz, und zwar im ganzen: je 10 weiter nach unten hin, desto mehr 1 8 \ und das wird so bleiben, solanA 518 ge unsere Zoll)politik den nun seit 20 Jahren für den Osten ungefähr gleichmäßig hohen und jetzt noch zu steigernden, speziell den Großbetrieb und -besitz fördernden Gefrat/ezollschutz nicht herabsetzt. 105 Steigerung des den Großbesitzern zugute kommenden Zoll- 15 schutzes, speziell des gerade den besten Böden zugutekommenden, und Anreiz zu fideikommissarischer Bindung gerade dieser Böden, 18)
Kuhnert, in der Z[ei]tschr[ift] d[es] Preußischen] Statistischen] B[ureaus] 1902 S. lf. 1 0 6 Die Motive, welche die Arbeit des gleichen Verfassers über die Wanderungen A 518 (s. u.) 107 sich nutzbar zu machen | versucht haben, haben für diese sehr viel schlüssigeren Zahlen charakteristischerweise gar kein Auge gehabt, trotzdem aber das alte agrarische Schlagwort wiederholt. - 1 0 8 Die wucherische „Güterschlächterei" 1 0 9 wird wohl allseitig gleichmäßig beurteilt, ihre Tragweite aber, soweit der Groß besitz in Betracht kommt, ist im ganzen eine schlechthin minimale. - Die Zahlen der oben zitierten] Abhandlung 1 1 0 leiden vorläufig notgedrungen unter dem Mißstand, daß wir nicht wissen, welches Maß von Hinzuschlagungen den Abzweigungen gegenübersteht. Ferner natürlich unter einer gewissen Divergenz zwischen gezählter Besitzeinheit und Eigentumskomplex. Manche Auffälligkeit möchte damit zusammenhängen. Auch würden wichtige Resultate erst bei einer Entzifferung für weit kleinere Bezirke (der einzelnen Gerichte) hervortreten, namentlich stände erst dann die Erörterung über die Wirkungen des Erbrechts auf etwas festerem Boden. Aber wenigstens dieses Zahlenmaterial beschafft zu haben, bleibt trotzdem ein ganz hervorragendes Verdienst. Mehr darüber bei einer künftigen Gelegenheit. 111 1 0 5 Zur G e t r e i d e z o l l g e s e t z g e b u n g d e s D e u t s c h e n R e i c h e s vgl. oben, S. 110, Anm. 90. 1 0 6 Kuhnert, B e s i t z w e c h s e l . E n t s p r e c h e n d e Z a h l e n finden s i c h hier i n s b e s o n d e r e in Tabelle 3, S. 2 6 - 3 3 . 1 0 7 Kühnert, F i d e i k o m m i s s e 1900. Unten, S. 125. 1 0 8 B e g r ü n d u n g 1903, S. 14. 1 0 9 B e z e i c h n u n g für d a s g e w e r b s m ä ß i g e , spekulative Aufkaufen und parzellenweise Weiterveräußern von Gütern. 1 1 0 Kühnert, B e s i t z w e c h s e l . 1 1 1 Vermutlich Hinweis auf d e n Plan einer größeren statistischen U n t e r s u c h u n g über d e n ländlichen Kapitalismus, siehe d e n Editorischen Bericht, oben, S . 8 8 .
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verbunden mit - wie noch zu erörtern sein wird -112 erzwungener Erhaltung und Schaffung von Großbetrieben ist aber offenbar das ganz bewußte Ziel der Regierungspolitik. Inwieweit dadurch auch nur das von den Motiven in den Vordergrund geschobene Getreide-Produktionsinteresse 113 gefördert wird, ist höchst fraglich. Denn es ist endlich auch unzutreffend, daß die Verschuldfrar&e/i des freien Großgrundbesitzes heute als ein irgend wesentlich ins Gewicht fallender Grund ökonomischer Rückständigkeit gegenüber den unverschuldbaren Fideikommissen angesprochen werden könnte, so oft und kritiklos dies auch geschieht. 114 Daß die tatsächliche Verschuldung diese Rolle spielen kann, ist durchaus zuzugeben. Aber den ganz unzweifelhaft vorkommenden Fällen, wo ein überschuldeter Grundbesitzer, der nicht verkaufen will und nicht verpachten kann, sich in jahrelanger Agonie befindet, stehen ebenso viele Fälle unzulänglichen Betriebskapitals 19 ' und relativ | weit mehr Fälle unzulänglicher landwirtschaft- A 519 licher Kenntnisse von Fideikommißbesitzern mit alsdann noch viel länger dauernder Misere gegenüber, und nur bei großen Komplexen kann dem"1 durch Verpachtung oder, infolge der ökonomischen Potenz der ganz großen Grundherrn, durch Gewinnung hervorragender Kräfte für die - heute keineswegs mehr unbedingt hinter der Selbstwirtschaft eines Offiziers a. D zurückstehende - Administration 20) und deren Ausstattung mit großen Betriebsfonds abgeholfen, 19 ' Darin schafft natürlich für die Eigenwirtschaft auch die „Verbesserungsmasse" des Entwurfs, 116 so dankenswert auch dieser obligatorische Sparzwang sonst ist, keinen entscheidenden Wandel, denn eben als Betriebskapital soll sie ja nicht verwendet werden. Die eventuelle technische Stärke des von „Besitzschulden" freien Betriebs wird nach wie vor durch Verpachtung bedingt sein. [ 20 < Eine nähere Erörterung hierüber muß hier unterbleiben. A 519
m Fehlt in A; dem sinngemäß ergänzt. 1 1 2 Unten, S.120ff. 113 In der Begründung 1903, S. 13f., heißt es, daß der Großgrundbesitz „bei hinreichender Kapitalkraft auf den meisten Wirthschaftsgebieten größere Roherträge" erziele, da er in der Lage sei, „bessere Wirthschaftsarten zu erproben und einzuführen, bessere Maschinen, Sämereien und Nutzthiere anzuschaffen, Meliorationen leichter durchzuführen, an Gebäuden, Maschinen, Menschenkräften und Arbeitsthieren mehr zu sparen, den Fruchtwechsel zweckmäßiger einzuhalten, günstige Absatzverhältnisse besser auszunutzen und die Arbeitstheilung in ausgedehnterem Maße anzuwenden." 114 Siehe dazu unter anderem die Begründung 1903, S. 14. 115 Zur „Verbesserungsmasse" vgl. oben, S. 96, Anm. 31.
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und dann freilich oft sehr günstige Ergebnisse erzielt werden: aber Voraussetzung ist dann eben, daß man - worauf wir noch oft zurückkommen - 1 1 6 den Lieblingsgedanken von den fideikommissarisch gesicherten „ÄMcfcenbesitzern" 117 aufgibt. Leider freilich werden notorisch und auch nach Ausweis der Güterlexika gerade auf großen Herrschaften immer noch Offiziere a. D. als die qualifiziertesten Administratoren und selbst Pächter angesehen. 1 1 8 Eine Überlegenheit des se/Z«fwirtschaftenden kleinen Fideikommißbesitzers vom Standpunkt des Produktionsinteresses aus aber ist generell in keiner Weise wahrscheinlich. Die armen, chronisch notleidenden Güter der östlichen sandigen Höhengebiete (Pommern, Preußen) meidet das Fideikommiß, auf den besten Böden ist der freie Besitzer dem kleinen selbstwirtschaftenden Fideikommißbesitzer höchstwahrscheinlich ganz erheblich überlegen, auf den mittleren findet jedenfalls schwerlich das Gegenteil statt. Die Statistik reicht - soviel ich sehe - nicht aus, um für die hier wesentlich in Betracht kommende Getreide Produktion etwas bestimmtes festzuA 520 stellen. 21 ) Es bleibt also, | wenn man irgend einen verständigen Sinn 21) Der einzige spezifische Fideikommißkreis, den ich bei Durchsicht einiger früher gemachter Notizen 119 für die 5 Jahre 1888 -1892 mit auffällig hohen Getreideerträgen, höheren als in den Nachbarkreisen ähnlicher Reinertragsklassen, notiert finde, ist Öls (große Herrschaften des Königs von Sachsen und des preußischen Kronprinzen, 120 also finanziell potenter nicht selbst wirtschaftender Großbesitzer). Der Fideikommißkreis Militsch stand hinter dem benachbarten Kreise Guhrau im Weizenertrag stärker zurück, als die Differenz der Bodenbonitierung erwarten läßt, ohne daß der ebenfalls pro Fläche weniger ertragende Roggen die Divergenz ausgliche. Der Fideikommißkreis Franzburg stand bei minimalen Differenzen des Grundsteuerreinertrages in allen jenen 5 Jahren hinter den Nachbarkreisen Greifswald und Grimmen im Weizenertrage zurück außer in einem, wo er wenigstens den Kreis Grimmen etwas übertraf. - Doch ist mit den betreffenden Zahlen und ähnlichen nicht viel anzufangen, da entscheidend stets der im Osten immer negativ ins Gewicht fallende Anteil der kleineren Bauern an der Fläche ist. In den hauptsächlichA 520 sten Fideikommißkreisen (speziell | Schlesiens) hat dieser aber allerdings, wie noch zu
116 Unten, S. 163. 117 Mit „Rückenbesitzern" sind jene Eigentümer gemeint, die ihren Grundbesitz selbst bewirtschafteten. 118 Nachweise in den verschiedenen Lieferungen und Ausgaben des Handbuchs des Grundbesitzes, das neben den Eigentümern der Güter auch deren Pächter und Administratoren aufführt. 119 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 87. 120 Im Kreis Oels besaß der König von Sachsen die 25 Güter umfassende Herrschaft Oeis-Sibyllenort mit einer Fläche von rund 13.200 ha, der Kronprinz Wilhelm von Preußen das 22 Güter umfassende Thronlehen Oels mit einer Fläche von rund 9.400 ha. Handbuch des Grundbesitzes, 6. Lieferung: Provinz Schlesien, 2. verb. Aufl. (1892), S. 128-133.
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jener Worte der Motive zu ermitteln sucht, nur die Annahme übrig, daß dem Verfasser dabei der oft besprochene Gegensatz der „Besitz"- und „Betriebs"schulden vorschwebte und er die „Besitz"verschuldung schon um dieses Charakters willen für verwerflich erachtet. Nun muß hier der Nachweis, daß diese Unterscheidung keineswegs so einfach ist, wie die auf Rodbertus fußende, und noch nicht über ihn fortgeschrittene^] Theorie annimmt, 121 unterlassen werden. Nur auf eins sei hingewiesen: die fideikommissarische Bindung großer Teile des Bodens schränkt das für den Ankauf durch fachmäßig tüchtig vorgebildete Landwirte verfügbare Areal ein11, steigert also natürlich - wenn nicht die Zahl derartiger Kaufreflektanten und damit der Zustrom von Intelligenz und Kapital abnimmt - seinen Preis22) und damit die „Besitz"verschuldung des nicht gebundenen Bodens. Die später noch zu berührende Erscheinung, 122 daß in spezifischen Fideikommißkreisen die Zahl der Kleinbauern besonders stark steigt, dürfte eben jener Verringerung des Bodenangebots im Verhältnis zur Nachfrage zuzuschreiben sein. Es gelangen nur die Leute zum Bodenkauf, die ä fonds perdu Ersparnisse darin anlegen, um eine gesicherte Stätte der Verwertung ihrer Arbeitskraft zu gewinnen, - es sei denn, daß die Fideikommisse eine so starke Verminderung der landwirtschaftlichen erörtern, 1 2 3 die Tendenz, stärker zu steigen, als derjenige der mittleren Betriebe, also das Ergebnis herabzudrücken. - D e n Viehstand lasse ich für diesmal unerörtert, obwohl natürlich gerade hier die Stärke der Bauern liegt, da für ihn wohl niemand von den Fideikommissen mit Großbetrieb Heil erwartet. 22 ' Schon die gesteigerte Nobilitierung des Bodenbesitzes wirkt ja darauf hin. Ist doch die soziale Position des Gutsbesitzers einer der Hauptgründe der Überwertung des Bodens schon jetzt. n Hervorhebung in A. 121 Der Unterschied zwischen „Besitz-" und „Betriebsschulden" wird von Max Weber in seinen agrarpoiitischen Schriften und Reden wiederholt angesprochen. Besitzkredite wurden zum Erwerb von Grund und Boden aufgenommen, während Betriebskredite der Bewirtschaftung und Verbesserung des Gutes dienten. Die grundsätzlich positivere Bewertung von Betriebskrediten ging auf Vorstellungen des Nationalökonomen Johann Karl Rodbertus zurück, wonach der landwirtschaftliche Grund und Boden selbst keinen Kapitalwert besitzt und erst der Ertrag den eigentlichen Wert repräsentiert. Vgl. dazu Rodbertus, Johann Karl, Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen Creditnoth des Grundbesitzes, 2 Bände. - Berlin: Hermann Bahr [1868], 1 2 2 Unten, S. 128ff. 1 2 3 Unten, ebd.
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Bevölkerung herbeiführen, daß jene verstärkte Nachfrage nicht eintritt23^, daß sie also entvölkernd wirken. | A 521 Außer den bisher erörterten unzutreffenden theoretischen Bemerkungen beschränken sich die Motive zur Begründung des ökonomischen Werts der Fideikommisse, neben relativ breiten Ausfüh- 5 rungen über die Bedeutung der Forstwirtschaft, 124 auf die Hervorhebung der technischen Vorzüge des Großbetriebes, 125 schließen aus dem Umstände, daß die neugegründeten Fideikommisse gerade auf guten Böden zu entstehen pflegen, 1 2 6 darauf, daß „die Behauptung, die Fideikommisse seien weniger intensiv bewirtschaftet" als 10 andere Güter, unbegründet sei, 2 4 ' 1 2 7 und sprechen in vagen Rede23 ' Ü b e r die grundsätzlichen Fragen der „Besitz"-Verschuldung ein andermal. - 1 2 8 Richtig ist natürlich, daß die Grundrentenbildung, die in ihr sich äußert, das Agens der Trennung von Besitz und Betrieb, R e n t e und U n t e r n e h m e r r i s i k o ist, welches in der Fideikommißbildung seinen konsequentesten Ausdruck findet. E b e n deshalb ist diese ja - wie schon gesagt - 1 2 9 ein echtgeborenes Kind des Agrarkapitalismus, der sich hier bis zu ein e m eigentümlichen Umschlag in eine verkehrslose ßes/izorganisation unter Erhaltung der verkehrswirtschaftlichen ßem'ebsorganisation aufgipfelt. D a h e r die Vorliebe m a n c h e r A 521 Sozialdemokraten | für das Fideikommiß, welches - theoretisch betrachtet mit Recht - als eine Staffel des „Expropriationsprozesses" aufgefaßt wird. 1 3 0 24 > Allerdings ein w u n d e r b a r e r Schluß. - Natürlich ist unter A n w e n d u n g der nötigen Vorsicht die A n n a h m e zulässig, d a ß bei sonst gleichen Verhältnissen innerhalb eines G e bietes auf einem B o d e n k o m p l e x von höherer Ertragsfähigkeit auch auf hohe E r t r ä g e hin-
124 Begründung 1903, S. 14ff. 125 Begründung 1903, S. 13f. 126 Diese Beobachtung wird in der Begründung 1903 nicht direkt ausgesprochen. Auf S. 16 heißt es nur, daß „bei den Fideikommissen die iandwirthschaftiichen Kulturflächen [...] im Allgemeinen den besseren Bodenklassen angehören." 127 Die Begründung 1903, S. 16, lehnt die Behauptung der Fideikommißgegner, „der Kulturzustand der landwirtschaftlich genutzten Fideikommißländereien sei im Durchschnitt ein geringerer als derjenige des nicht gebundenen Besitzes" als unbegründet ab. Der geringere Grundsteuerreinertrag der Fideikommißgüter basiere auf der niedrigeren steuerlichen Einschätzung der Waldflächen; Fideikommisse mit großen Ackerbauflächen zeigten durchaus hohe Grundsteuerreinerträge. 128 Max Weber hat diesen Problemkreis 1908 in einem Artikel „Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften" behandelt. In diesem Band abgedruckt, unten, S. 3 3 3 355. 129 Oben, S. 108. 130 Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie war die Haltung gegenüber Fideikommissen nicht einheitlich. Neben entschiedenen Gegnern dieses Instituts gab es auch eine Reihe von Befürwortern, die in der fideikommissarischen Bodenkonzentration eine erwünschte Vorstufe der nahenden Vergesellschaftung des gesamten landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens sahen. Eine Übersicht über die zeitgenössische Diskussion innerhalb der Sozialdemokratie bietet Schulz, Arthur, Familienfideikommisse, in: Sozialistische Monatshefte, Band 1, 1913, S. 399-406.
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Wendungen von jener sattsam bekannten „glücklichen Mischung" größerer, mittlerer und kleinerer Betriebe, welche zu erhalten und zu fördern das Ziel der Agrarpolitik sein müsse.131 Daraus geht zunächst wiederum nur das eine hervor, daß sie sich das Fideikommiß speziell als Stütze des Großbetriebes denken, den sie, wie wir immer wieder sehen werden, mit dem Großbesitz zu identifizieren bemüht sind. Im übrigen begnügen sie sich damit, hervorzuheben, daß die Fideikommisse nicht, „wie die Gegner des Fideikommißwesens es darstellen", die ländliche Abwanderung „in hervortretendem Maße" mit veranlassen. 132 Auf diesen letzteren Punkt mag, da er eben schon berührt wurde, hier zunächst kurz eingegangen werden. Vorauszuschicken ist dabei eins: Es ist kein Zweifel, daß starke Bewaldung eines Gebietes, die natürlich regelmäßig mit sehr dünner Besiedelung desselben identisch ist, diese geringere einmal vorhandene Bevölkerung in relativ hohem Grade auf dem Lande festzuhalten geeignet ist infolge der Winterarbeitsgelegenheit, die hier im Gegensatz zu dem zunehmenden Saisoncharakter rein landwirtschaftlicher Großbetriebe geboten wird. Da nun der Wald in besonders hohem Grade nach fideikommissarischer Bindung strebt, und also Kreise mit starker Bewaldung besonders häufig Kreise mit viel | Fideikommissen sind, so müßte man in den Fideikommißkreisen A 522 ganz allgemein eine besonders medn'geAbwanderungsziffer erwarten, ohne daß aus einer solchen natürlich für die Wirkung der Fideikommisse, vollends der /öndwirtschaftlichen Fideikommisse, irgend etwas folgen würde. Gerade die ganz großen Fideikommisse sind ferner alten Ursprungs. Ihre Wirkung bzw. ihre Mc/i/wirksamkeit auf die Bevölkerungsverhältnisse kann nicht aus der jetzigen Wanderbewegung, sondern muß aus den Dichtigkeitsziiiem geschlossen werden. 25 ' Sie haben ihre Wirkung: Verhinderung der Vermehrung gewirtschaftet werden wird. Auch ich werde sie hier mehrfach zu machen haben. Aber daraus, daß der werdenwollende Fideikommißbesitzer heute die guten Böden aufkauft, auf seine Qualität als Betriebsleiter zu schließen, ist denn doch ein starkes Stück. Es fragt sich gerade, was auf unter sich gleichwertigem Boden der freie und der selbst wirtschaftende gebundene Besitzer im allgemeinen als Betriebsleiter zu leisten pflegen. [ 25 > Wie es damit steht, kann daraus entnommen werden, daß auf einen hauptberuflich A 5 2 2 in der Landwirtschaft Erwerbstätigen im Durchschnitt der Provinz Schlesien 2,72 ha /andwirtschaftliche Nutzfläche (also exkl. Forsten) kamen, im Durchschnitt der schlesi-
131 B e g r ü n d u n g 1903, S. 21. Vgl. o b e n , S. 110, A n m . 8 9 . 132 B e g r ü n d u n g 1903, S. 15, unter Berufung auf Kühnert, F i d e i k o m m i s s e 1900.
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der selbständigen Bauern - schon in der Vergangenheit getan. - Ein Mitglied des preußischen statistischen Büreaus hat gleichwohl den Versuch gemacht, durch Nebeneinanderstellung von Kreisen, deren Eigenart in bezug auf Grundbesitzverteilung und Fideikommißbestand charakteristisch voneinander abweicht, den Beweis zu erbrin- 5 gen, daß die Fideikommisse in der Gegenwart die Wanderbewegung günstig, d.h. im Sinne der Verminderung der ländlichen Abwanderung beeinflußt hätten. 133 Ich gehe unter dem Strich26) auf diese sehen Fideikommißkreise dagegen 3,26 ha, daß also im Durchschnitt der Provinz die Dichte der hauptberuflich landwirtschaftlichen Bevölkerung um '/ 5 größer ist, als in den Fideikommißkreisen, trotz der in diesen letzteren - wie noch zu erörtern sein wird - 1 3 4 so sehr zahlreichen Parzellenwirtschaften. Die liederliche Art, in der die schon f r ü h e r erwähnte Broschüre von E[ugen] Moritz 1 3 5 gearbeitet ist, tritt schon darin hervor, d a ß hier die ländliche Volkszunahme der Fideikommißkreise des Regierungsbezirks Oppeln als Beweis d a f ü r angesprochen wird, d a ß die Fideikommißbesitzer die Landarbeiter durch „patriarchale" Vorsorge usw. an sich zu fesseln gewußt hätten. 136 Ich e n t n e h m e einigen gelegentlich f r ü h e r gemachten Notizen, 1 3 7 d a ß 1895 von den I n h a b e r n der ca. 105 000 Landwirtschaftsbetriebe dort 17 885 Landarbeiter, Knechte, Mägde, Tagelöhner, Forstund Fischerei-Arbeiter, dagegen 41 319 ZiaMpiberuflich in anderen als landwirtschaftlichen B e r u f e n tätig waren. Schon ein Blick in das Gemeindelexikon zeigt als Pertinenzen der Gutsbezirke: Zinkhütten, Eisenhütten, Bergwerke u.s.w. Das sind die Mittel, die dortige „Landbevölkerung" zu halten. 26
> K ü h n e r t 0 greift diejenigen 33 preußischen Kreise heraus, in denen m e h r als 20 Proz. der Fläche fideikommissarisch g e b u n d e n sind ( G r u p p e a). Diesen werden 20 a n d e r e mit wenig Fideikommiß-, aber viel allodialer Gutsfläche ( G r u p p e b) und endlich weitere 26 Kreise mit sowohl wenig Fideikommiß- als wenig Gutsfläche ( G r u p p e c) gegenübergeA 5 2 3 stellt. 1 3 8 E r gelangt nun zu d e m Ergebnis, 1 3 9 daß die A b w a n d e l u n g der Bevölkerung der L a n d g e m e i n d e n und Gutsbezirke in den Fideikommißkreisen nicht sehr wesentlich andere Erscheinungen aufweise, als in den anderen. Speziell im Osten der Monarchie, auf den
o A: Kuhnert
1 3 3 Max Weber bezieht sich auf die Tabellen a, b und c bei Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 147ff. Kühnert kommt dabei zu dem Ergebnis, daß „im Osten in den Kreisen mit besonders ausgedehntem Fideikommißbesitze die Abwanderung am geringsten war." Ebd., S. 148. 1 3 4 Unten, S. 127ff. 1 3 5 Oben, S.93. 1 3 6 Bei Moritz, Famiiienfideikommisse, S.41, wird festgestellt, daß im Regierungsbezirk Oppeln die sieben Kreise mit hohem Fideikommißanteil ausnahmslos einen Bevölkerungszuwachs erlebt haben. Als Grund dafür wird, ebd., S. 59, unter anderem eine „angemessene", als „echt väterlich-patriarchalisch" bezeichnete Behandlung der Arbeiter durch die Fideikommissare vermutet. 1 3 7 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S.87. 1 3 8 Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 146, sowie die Anm. 133 genannten Tabellen. 1 3 9 Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 146-150.
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übrigens sehr verdienstlichen Ausführungen etwas näher ein, um zu zeigen, daß, soweit die Zahlen uns etwas Bestimmtes auszusagen wir uns hier beschränken, sei aber 1875 bis 1900 in den Fideikommißkreisen die A b w a n d e rung sogar geringer gewesen, als in den beiden anderen G r u p p e n , wenn schon erheblich höher, als im Durchschnitt der Monarchie. Letzteres f ü h r t der Verfasser auf das Eindringen der Industrie in die Landkreise des Westens zurück, o h n e aber zu berücksichtigen, daß gerade die größten Fideikommißkreise des Ostens in Schlesien ganz spezifische Industriekreise sind. E r gibt in dieser Hinsicht zu, d a ß vielleicht „besondere örtliche Verhältnisse" die Zahlen auch des Ostens beeinflußt hätten, meint jedoch, daß diese „nicht o h n e weiteres feststellbar" seien. D a s ist mir, offen gestanden, unverständlich. Wir haben doch die Zahlen der Berufszählungen von 1882 und 1895 140 für j e d e n Kreis, und es k o n n t e daraus die weit vorwiegend industrielle Qualität solcher Landkreise wie Schmalkalden, Waldenburg, Reichenbach und der oberschlesischen Fideikommißkreise ohne weiteres ersehen werden. Ferner aber kann m a n daraus auch die Ziffern speziell der land- und forstwirtschaftlichen Bevölkerung für j e d e n Kreis berechnen und vergleichen. U n d auf deren Berechnung m u ß es doch a n k o m m e n , da kein Verständiger glauben wird, daß die fideikommissarische Bindung des Bodens die Zahl etwa der Berg- und Hüttenarbeiterbevölkerungj,] wie sie gerade in den Landgemeinden und Gutsbezirken mancher der größten Fideikommißkreise Schlesiens in der großen Mehrheit ist, beeinflusse, und da ü b e r h a u p t die Bewegung gerade der landwirtschaftlichen Bevölkerung das ist, was bei der ganzen E r ö r t e r u n g in Frage steht. Dabei ist n u n natürlich die Beschränkung auf ein möglichst z u s a m m e n h ä n g e n d e s größeres Gebiet mit in sich ähnlichen Verhältnissen geboten, um Zufallszahlen, wie sie beim Herausgreifen einzelner, zerstreut liegender Fideikommißkreise unterlaufen würden, möglichst auszuschließen. N e h m e n wir also das klassische Land der Fideikommisse, Schlesien, das einzige größere Gebiet, welches jene Eigenschaften und d a n e b e n besonders große Kontraste in dem G r a d e der Fideikommißbildung aufweist, und vergleichen wir die hauptberufliche Erwerbstätigkeit p in den vom Verfasser in Betracht gezogenen schlesischen Kreisen 1882 und 1895, so zeigt sich, d a ß die landwirtschaftlich im H a u p t b e r u f Erwerbstätigen in den 17 schlesischen Kreisen der G r u p p e a sich von 1882 bis 1895 um 4,18 Prozent verminderten, während die landwirtschaftlich hauptberuflich Erwerbstätigen der zusammen 12 schlesischen Kreise der beiden anderen G r u p p e n sich im gleichen Zeitraum nur um 1,07 Prozent verminderten. 1 4 1 Auf die 17 Fideikommißkreise k o m m e n nur ebensoviele mit einer Z u n a h m e der landwirtschaftlich Hauptberufstätigen wie auf die nur 12 Nichtfideikommißkreise. Die A b n a h m e der hauptberuflich in der Landwirtschaft Erwerbstätigen war also in den Fideikommißkreisen zusammen viermal so stark, als in den Kreisen mit vorwiegend freiem Bodenbesitz, trotzdem p A: Erwerbstätigkeiten 140 Die Ergebnisse der Berufszählung 1882 sowie die der Berufs- und Gewerbezählung 1895 sind aufgeführt sowohl in der Preußischen Statistik als auch in der Statistik des Deutschen Reichs. 141 Nach den Tabellen bei Kühnert, Fideikommisse 1900, S. 147ff., handelt es sich bei Gruppe a (Kreise mit einem hohen Fideikommlßantell) um die 17 Kreise Großwartenberg, Öls, Mllitsch, Reichenbach, Waldenburg, Habelschwerdt, Freistadt, Sagan, Sprottau, Hirschberg, Rosenberg/OS, Lublinltz, Tost-Glelwltz, Tarnowlfz, Pleß, Ratlbor und Kosel, bei Gruppe b (Kreise mit wenig Fideikommlßanfeil, aber viel allodialer Gutsfläche) um die 5 Kreise Trebnitz, Guhrau, Lüben, Görlitz und Rothenburg/OS, bei Gruppe c (Kreise mit sowohl wenig Fideikommlßantell als auch wenig allodialer Gutsfläche) um die 7 Kreise Brleg, Münsterberg, Glatz, Löwenberg, Lauban, Leobschütz und Neisse.
A523
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A 524 gestatten, das Gegenteil davon | richtig ist. Im übrigen aber ist niemals behauptet worden, daß die Rechtsform der fideikommissarischen Bindung des Bodens als solche unmittelbar die Abwanderung der Landbevölkerung bedinge, sondern es ist von dem im Großbetriebe genutzten Großgrundbesitz behauptet worden, daß er bei 5 starkem Vorherrschen auf landwirtschaftlich genutztem Boden die Entvölkerung des Landes fördere und deshalb auf gutem, für bäuerliche Besiedelung geeigneten Boden allerdings direkt und wesentlich für sie verantwortlich sei. 27 ' 142 Soweit der gebundene Großbesitz den Großbetrieb mit sich führt oder begünstigt - wie dies der 10 Entwurf ausdrücklich als seinen Zweck hinstellt -[,] ist er es, der unter den erwähnten Bedingungen die Schwächung der landwirtschaftlichen Bevölkerung verschuldet. Ob die Zusammenklammerung des Besitzes durch Hypotheken oder durch fideikommissariA 524 doch die weit stärkere Bewaldung der q Fideikommißkreise (die Q hier wie überall | dem Schwerpunkt nach natürlich nicht Folge, sondern Ursache der Fideikommißbildung ist) das gerade umgekehrte Verhältnis keineswegs erstaunlich erscheinen lassen würde. Jener Unterschied der Abnahme ist aber um so bemerkenswerter, als bei den bekanntlich im Sommer stattfindenden Berufszählungen die Zahlen speziell der großen Güter infolge der Mitzählung der Saisonarbeiter stets erheblich zu hohe und zwar infolge der steigenden Verwendung der Wanderarbeiter natürlich in steigendem Maße zu hohe sind, - ein Umstand, welcher da, wo uns die Landkreise mit starkem Großgrundbesitz steigende Zahlen der landwirtschaftlichen Bevölkerung vortäuschen, stets sehr im Auge zu behalten ist. Jener Umstand kommt z. B. darin zum Ausdruck, daß in den Fideikommißkreisen Mittelund Niederschlesiens auf 100 Erwerbstätige nur 101,5 Angehörige kommen. In Oberschlesien ist das Verhältnis besser, da hier die andersartige polnische Lebenshaltung und die Frauenarbeit stark ins Gewicht fällt. - Auf die Agrarverfassung der Fideikommißkreise komme ich weiterhin zu sprechen. - 1 4 3 Noch eine Einzelheit: den Kreis Habelschwerdt, dessen Fideikommißbestand erst nach 1895 von 8 auf 22 Proz. stieg (!), durfte der Verf. doch wohl nicht in die Vergleichung einbeziehen. Auf eine weitere Kritik der zur Vergleichung herangezogenen Kreise verzichte ich, da natürlich jede Auswahl, auch die weiterhin von mir gelegentlich getroffene, anfechtbar ist und solche Zahlen stets nur illustrativ verwertet werden dürfen. 27 ' Daß die Abwanderung vom Lande nicht nur da stattfindet, wo Großbetrieb vorherrscht, ist durchaus richtig. Daß sie durch das Vorherrschen des Großbetriebs exzessiv gesteigert wird, ist aber ganz ebenso unzweifelhaft. | q A: Fideikommißkreise, (die 142 Max Weber hatte nicht zuletzt auf der Basis der agrarpolitischen Arbeiten Karl Kaergers1894 die These aufgestellt, daß sich „mit zunehmender Betriebsgröße [...] eine langsame, aber stetige Abnahme der Zahl der ständigen und (in geringerem Maße) auch der unständigen Arbeitskräfte" finde. Weber, Max, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, in: MWG I/4, S. 395. 143 Unten, S. 128ff.
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sehe Bindung herbeigeführt wird, wäre an sich gewiß gleichgültig, nur daß eben die Schranken der Hypotheken so außerordentlich viel leichter zu beseitigen sind. Das Institut des Fideikommisses spielt also eine Rolle in diesem Zusammenhang^ und zwar eine 5 recht | erhebliche, indirekt, indem es, wenn es seinen in den Motiven A 525 ausdrücklich hervorgehobenen Zweck erfüllt, den Großbetrieb künstlich zu erhalten, dies gerade auf Böden tut, wo die Entstehung von mittleren und kleineren Betrieben wirtschaftlich möglich, und zwar - generell gesprochen - ganz besonders gut möglich wäre. Die10 se Behauptung ist durch die Publikationen des preußischen statistischen Bureaus nicht etwa, wie der Verfasser der Motive des Gesetzentwurfes sich einredet, widerlegt, 144 sondern vielmehr bestätigt worden, denn sie wird durch die unbestreitbare Tatsache bewiesen, daß heute gerade die besseren landwirtschaftlich nutzbaren Boden15 lagen der Fideikommiß-Neugründung anheimfallen. Mit dem Gesagten sind wir bereits bei der entscheidenden Frage: wie wirkt die Fideikommißbildung auf die grundlegenden Elemente der Agrarverfassung, Boden besitz- und Betriebsve rteilung und das Verhältnis von Besitz und Betrieb zueinander. Obwohl es nun 20 ganz unmöglich ist, diesen Punkt, der von den Freunden des Instituts, z.B. Sering, 1 4 5 einfach nicht erörtert worden ist, im Rahmen dieser Studie erschöpfend zu behandeln, so muß doch einiges wenigstens über die Beeinflussung des stets so stark hervorgehobenen Interesses an der „Erhaltung des Bauernstandes" durch das Fidei25 kommiß auch hier gesagt werden. 28 ' 28)
Die nachstehenden Zahlen sind durchweg nach dem Gemeindelexikon von 1885 A 525 und 1895, ferner nach den preußischen Grundbesitzaufnahmen von 1878 und 1892,146 den Berufszählungen von 1882 und 1895,147 den Erntestatistiken 148 (alles in den Tabellen teils der amtlichen preußischen Statistik, teils der Reichsstatistik enthalten) und den im preußischen „Statistischen Jahrbuch" 1 4 9 gegebenen Ziffern errechnet, soweit sie nicht direkt 144 Unter Hinweis auf Kühnert, Fideikommisse 1900, kommt die Begründung 1903, S. 15, zu dem Schluß, daß die Fideikommisse keineswegs die Ursache oder Veranlassung der Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte seien. Vgl. oben, S. 121, Anm. 132. 145 Sering, Bemerkungen. 146 Gemeint sind hier vermutlich Grundeigenthum 1878 sowie Grundeigenthum 1893. 147 Berufszählung 1882 sowie Berufs- und Gewerbezählung 1895; vgl. oben, Anm. 166. 148 Ermittelung des Ernteertrages. 149 Das Königlich Preußische Statistische Bureau brachte seit 1862 in unregelmäßigen Abständen Jahr- und Handbücher für die amtliche Statistik des preußischen Staates heraus. Max Weber meint hier vermutlich Statistisches Jahrbuch, dessen erster Jahrgang 1904 erschien.
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Was zunächst die Entwicklung des bäuerlichen Bodenbesitzes, speziell im Osten der Monarchie, den wir hier allein heranziehen, anlangt, so wird er heute durch zwei Tendenzen zuungunsten des Bestandes speziell der größeren und mittleren Bauernstellen beeinflußt. Einerseits durch den Landhunger der Parzellenbesitzer, 29 ' welche - und dies gilt insbesondere für die zahlreiche Klasse der grundbesitzenden Sachsengänger - 1 5 0 um jeden, auch einen gänzlich unwirtschaftlichen Preis durch Bodenzukauf selbständig zu werden | trachten und dadurch den Bodenpreis in die Höhe treiben: Abnahme der größeren unselbständigen, Zunahme der kleinsten selbständigen und Abnahme der, zugunsten jener Nachfrage vorteilhaft zu parzellierenden, größeren selbständigen Besitzungen sind die Folgen. 151 Auf der anderen Seite ist es der Landhunger zunächst des bürgerlichen Kapitals, welches Anlage in Bodenbesitz wegen der sozialen Position des Gutsbesitzers sucht, daneben aber auch der Landhunger des Fideikommißbesitzes, der nach Erweiterung seiner Rentenbasis strebt. Soweit nicht ganze Rittergüter, sondern Bauernländereien angekauft werden, verkleinern beide naturgemäß nicht den Bereich des seinerseits selbst landhungrigen Parzellenbesitzes, sondern gerade den der größeren und mittleren Bauernbesitzungen, - dies auch deshalb, weil naturgemäß überall die mit Gebäuden weniger belastete Fläche billiger zu erstehen ist. e n t n o m m e n w e r d e n k o n n t e n . Ich h a b e d e r R a u m e r s p a r n i s h a l b e r a u c h n u r die Verhältnis^,] n i c h t d i e a b s o l u t e n Z a h l e n h e r g e s e t z t . D i e n u r b e g r e n z t e V e r g l e i c h b a r k e i t d e r „ l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n " m i t d e n „ A n b a u " f l ä c h e n v o n 1895 b e z w . 1 8 8 2 1 5 2 s t e h t d e r V e r g l e i c h u n g d e r K r e i s e untereinander nicht im Wege. 29)
D e r n a t ü r l i c h s e h r s t a r k m i t b e d i n g t ist d u r c h d a s V e r s c h w i n d e n d e r N e b e n a r b e i t auf d e m p l a t t e n L a n d e .
gewerblichen
1 5 0 B e z e i c h n u n g für landwirtschaftliche Wanderarbeiter. Der Begriff b e z o g sich zunächst nur auf Saisonarbeiter für die Zuckerrübenernte in S a c h s e n , fand dann a b e r allgemein Verbreitung. Die „ S a c h s e n g ä n g e r " stammten h a u p t s ä c h l i c h aus Schlesien, Posen, Westpreußen und B r a n d e n b u r g sowie R u s s i s c h - P o l e n una Galizien. Sie wurden zu verg l e i c h s w e i s e g e r i n g e n Löhnen während der Ernte beschäftigt und in separaten, oftmals primitiven B e h a u s u n g e n untergebracht. 1 5 1 Die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n „ s e l b s t ä n d i g e m " und „ u n s e l b s t ä n d i g e m " Besitz richtet sich d a n a c h , ob der Betrieb die G r u n d l a g e für eine u n a b h ä n g i g e wirtschaftliche Existenz bietet. 1 5 2 W ä h r e n d bei der Berufszählung 1882 sowohl in der Preußischen Statistik als a u c h in der Statistik d e s D e u t s c h e n R e i c h s der Begriff der „Anbauflächen" verwendet wird, heißt es bei der Berufs- und G e w e r b e z ä h l u n g 1895 in b e i d e n Statistiken „ l a n d w i r t s c h a f t l i c h benutzte Fläche".
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Beiden Tendenzen zur Seite steht nun die Benachteiligung derjenigen Eigentümer betriebe, welche nicht entweder ganz oder annähernd ganz durch die eigene Familie bestellt werden können, oder aber den regelmäßigen Bezug großer Scharen wandernder Saisonarbeiter lohnen, infolge der Steigerung der Löhne und der bekannten Entwicklungstendenzen der Arbeitsverfassung im Osten. Dem Umsichgreifen der Bodenbeviiz-Akkumulation wirkt nun auf dem Gebiete des ungebundenen Bodens zurzeit die unzweifelhafte Tendenz zur Verkleinerung unwirtschaftlich großer Betriebe derart entgegen, daß heute auch in der Sphäre der nicht gebundenen großen Besitzungen im ganzen die Tendenz zur Abnahme der Durchschnittsgrößen überwiegt. Allein diese Abnahme erfolgt, bei der größeren Rentabilität der Ausbeutung des Landhungers der Parzellisten, in weitaus stärkerem Maß zugunsten ganz kleiner Bauernstellen als zugunsten mittlerer oder größerer. - Wie sich nun die Fideikommißbildung zu diesen Entwicklungstendenzen stellt, versuchen wir uns wieder an dem Beispiel Schlesiens zu verdeutlichen und greifen auch hier als Tideikommißkreise die r in der erwähnten amtlichen Publikation ausgewählten 17 schlesischen Kreise heraus. 153 Die Grundbesitzverteilung dieser schlesischen Fideikommißkreise weicht nun von dem durchschnittlichen Zustande Schlesiens zunächst darin ab, daß die Zahl der selbständigen im Verhältnis zu den unselbständigen Besitzungen eine erheblich kleinere ist: 1878 1 :3,4 in der Provinz, 1 :4,9 in den Fideikommißkreisen, 1893: 1 : 2,9 in der Provinz, 1 : 3,8 in den Fideikommißkreisen. Zwar hat, wie diese Relationen zeigen, von 1878-1893 die Zahl der selbständigen Besitzungen in allen | Fideikommißkreisen zusammengerech- A 527 net schneller zugenommen als im Durchschnitt der Provinz, aber diese Zunahme ist weit überwiegend nicht durch Neuentstehung von mittleren Bauernbesitzungen, sondern dadurch herbeigeführt, daß, besonders in den industriellen Fideikommißkreisen, in überdurchschnittlich hohem Maße der Bruchteil derjenigen Parzellenbesitzungen von ungefähr 60Talern Reinertrag gestiegen ist, welche als „selbständige" Nahrungen gezählt wurden, verbunden mit einer teils absoluten, teils relativen Abnahme der unselbständigen, früher r A: Fideikommißkreise, die
1 5 3 Es handelt sich dabei um die oben, Anm. 141, genannten Kreise.
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auf gewerbliche Nebenarbeit sich stützenden Parzellenbesitzungen. Die Zunahme kam also lediglich den eben über die Schwelle der Selbständigkeit herausragenden Kleinstbauern zugute. - Das entsprechende zeigt sich bei spezieller Betrachtung des bäuerlichen Grundbesitzes. Wenn man als Grenzen der bäuerlichen Besitzungen 5 nach unten das Nichtvorkommen „unselbständiger" in der betreffenden Reinertragsklasse, nach oben das Auftreten von Gutsbezirken im Umfang von mehr als V10 der Fläche der betreffenden Reinertragsklasse annimmt, so stellen die Besitzungen zwischen 60 und 300 Talern Reinertrag im Provinzialdurchschnitt und (mit nur 10 zwei Ausnahmen) auch in allen Fideikommißkreisen „bäuerlichen" Besitz dar. Wie in der ganzen Provinz, so sind nun 1878-1893 auch in den Fideikommißkreisen Zahl und Fläche der Besitzungen dieser Klasse gesunken, aber der Zahl nach langsamer, als im Provinzialdurchschnitt (minus 1,3 Proz. gegen minus 2,4 Proz.), dagegen der 15 Fläche und also auch der Gesamtbedeutung innerhalb der Agrarverfassung nach schneller (minus 5,3 Proz. gegen minus 3,8 Proz.), d.h. - wie auch ein näheres Eingehen auf die Zahlen lehrt: - es ist in den Fideikommißkreisen in stärkerem Maße als im Provinzialdurchschnitt die Schicht der kleinen Bauern begünstigt gewesen, 20 also erhalten geblieben oder (teilweise) gewachsen, dagegen sind die mittel- und großbäuerlichen Besitzungen schneller gesunken, als im Provinzialdurchschnitt, und zwar obwohl sie ohnedies in den Fideikommißkreisen im allgemeinen am schwächsten vertreten waren. Die Erhaltung und weitere Verbreitung der Fideikommisse, 25 welche das Angebot käuflichen Bodens dauernd und zunehmend künstlich herabsetzt und die Masse der Bevölkerung in verstärktem Maße auf die ungünstigsten Böden zusammendrängt, würde, soweit sich urteilen läßt, in den Bodenbesitzverhältnissen die Tendenz zum Nebeneinander großer Bodenkomplexe und kleiner Stellen, die zur 30 Beschäftigung und Ernährung einer Familie mit möglichst niedriger A 528 | Lebenshaltung eben ausreichen, fühlbar verstärken, wie dies ja dem früher theoretisch Entwickelten 154 entspricht. - Die Bewegungen innerhalb der Sphäre des großen Besitzes sollen, da hier die gezählten Besitzeinheiten am wenigsten mit den Eigentumseinheiten 35
154 Oben, S. 110f.
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koinzidieren, 155 für jetzt beiseite bleiben. Wir wenden vielmehr unsere Aufmerksamkeit der Betriebsverteilung zu. Von der gesamten Wirtschaftsfläche umfaßten 1895 Proz. die Betriebe von ha: 156 0-2 2-5 5-20 20-100 über 100 5-100 Regierungsbezirk Breslau 30 '
2,90
8,27
24,66
23,82
40,35
48,48
Kreise: Groß-Wartenberg Ols Militsch Reichenbach Waldenburg
4,71 2,40 3,37 2,46 4,91
10,97 6,74 7,99 7,61 9,44
29,52 20,05 32,07 19,98 52,40
9,89 17,97 13,89 26,75 27,74
44,91 52,84 42,68 43,20 5,51
39,41 48,02 45,96 46,73 80,14
Regierungsbezirk Liegnitz
3,95
11,36
30,28
26,01
28,40
56,29
Kreise: Freistadt Sagan Sprottau Hirschberg
2,50 3,87 2,05 6,94
7,85 13,01 6,91 17,42
29,74 32,36 26,71 37,74
22,58 26,76 32,16 30,39
37,33 24,00 32,17 7,51
52,32 59,12 85,87 68,13
Regierungsbezirk Oppeln
7,29
13,46
33,29
14,74
31,22
48,03
5,92 6,36 6,16 19,64 10,73 11,31 7,59
10,89 15,16 13,12 17,92 17,57 14,37 12,92
33,86 34,44 28,57 14,91 34,38 30,76 31,27
8,08 7,08 5,39 3,51 9,38 6,27 7,86
41,25 36,96 46,76 44,02 27,34 37,29 40,36
41,96 41,51 33,96 21,42 43,76 37,05 39,13
Kreise: Rosenberg Lublinitz Tost-Gleiwitz Tarnowitz Pleß Ratibor Kosel
25 Die vorstehende Tabelle zeigt die Betriebsverteilung der Fideikommißkreise im Jahre 1895 nach den 5 Größenklassen, welche die Reichsstatistik unterscheidet, im Vergleich mit den Durchschnittszahlen der betreffenden Regierungsbezirke. Es zeigt sich zunächst, | daß in 12 von den 16 Fideikommißkreisen die Großbetriebe^] und A 529
30) Der Kreis Habelschwerdt ist hier aus den früher angegebenen Gründen fort- A 528 gelassen. 1 5 7 Fett gedruckt sind die Zahlen in den Kreisen, wo die betreffende Größenklasse die Proportion des Regierungsbezirks übersteigt. |
155 Hinweis darauf, daß sich im östlichen Deutschland die großen Besitzungen häufig aus zahlreichen, zum Teil verpachteten Gütern zusammensetzten. 156 In der folgenden Tabelle finden sich in der Rubrik „5-100" Additionsfehler sowie vertauschte Ziffern. Für den Kreis Tarnowitz im Regierungsbezirk Oppeln müßte hier die Zahl „18,42" lauten; für den Kreis Sprottau im Regierungsbezirk Liegnitz „58,87". 157 Oben, S. 124.
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zwar zum Teil recht erheblich, mehr von der gesamten Wirtschaftsfläche okkupieren, als im Durchschnitt der einzelnen Regierungsbezirke. Dagegen stehen sie in zwei Kreisen (Waldenburg und Hirschberg) ganz auffallend und in einem weiteren (Sagan) merklich dahinter zurück, und diese selben sowie ein benachbarter Kreis 5 (Sprottau) sind die einzigen schlesischen Fideikommißkreise,31) in denen der „großbäuerliche" Betrieb 158 eine für Schlesien überdurchschnittliche Stelle einnimmt. In allen diesen Kreisen sind nun die Fideikommisses zu mehr als3V4, in einem zu 9/io, der Fläche Forst-
fideikommisse. - Die Gruppe des kleineren bäuerlichen Besitzes 10 (5-20 ha) ist allerdings in der Hälfte (8) der Kreise stärker als im Durchschnitt der Regierungsbezirke vertreten, darunter aber 3 jener spezifischen Forstfideikommißkreise, während 4 weitere auf den Regierungsbezirk Oppeln - die Region der Polen - fallen. Vergleicht man in den Kreisen mit besonders starker Vertretung dieser 15 Klasse die Betriebsgrößenentwicklung zwischen den Zählungen von 1882 und 1895, so zeigt sich,32) daß die durchschnittliche Betriebsgröße in den vergleichbaren Größenklassen der bäuerlichen Betriebe sich dort derart verschoben hat, daß - wiederum mit Ausnahme eines Forsffideikommißkreises - die Zunahme gerade den 20 kleineren, noch eben selbständigen, Betrieben zugute gekommen ist.33) Aus dem gleichen Grunde zeigen auch die an bäuerlicher Betriebs/7äc/ze stabilen oder Abnehmenden Kreise meist eine Zunahme der Zahl der Betriebe. - Abgenommen hat, wie in der Provinz überhaupt, so auch in der überwiegenden Mehrzahl der Fidei- 25 kommißkreise, Fläche und Zahl der unselbständigen Betriebe unter A 529
31 ' Nur im Kreise R e i c h e n b a c h ist n e b e n d e n B e t r i e b e n über 100 ha auch die Klasse 2 0 - 1 0 0 ha überdurchschnittlich vertreten. V o n ihm wird später b e s o n d e r s zu reden sein. 1 5 9 Hier sei nur bemerkt, daß nach seinen Bodenverhältnissen hier die größeren B e triebe dieser Klasse bereits als G r o ß b e t r i e b e gelten müssen. 32 > Ich will diese weitläufigen R e c h n u n g e n nicht auch n o c h hier abdrucken. 33) S o hat z. B. im Kreise Militsch die Zahl der B e t r i e b e in der Klasse von 10 - 50 ha um 14 Proz., die Fläche nur um IOV2 Proz. z u g e n o m m e n , in der Klasse von 2 - 1 0 ha die Zahl um 10,8 Proz., die Fläche nur u m 6V2 Proz. |
S A:
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1 5 8 Gemeint sind damit Betriebe der Größe 2 0 - 1 0 0 ha. 1 5 9 Unten, S. 133f.
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2 ha, jedoch sind andererseits in einer Anzahl von Fideikommißkreisen eine erhebliche Zahl von ÄVeinsiparzellisten (unter 1 ha) neu entstanden. Beginnt man nun, wie es notwendig geschehen muß, in die lokale Einzelvergleichung einzutreten, so erfordert die Deutung der dabei z.T. etwas mühsam | zu errechnenden Zahlen A 5 3 0 eine eingehendere Darlegung, als sie hier gegeben werden kann. Es muß genügen, hier unter dem Strich34' | an drei Beispielen benach- A 531 34) 1. Latifundien und freier Grundbesitz in rein agrarischen Kreisen. - In den Kreisen A 530 Guhrau und Militsch sind beiderseits ü b e r d e r wirtschaftlich überhaupt Tätigen (Gruppen A. B. C. der Berufsstatistik) 160 landwirtschaftlich /ia«/7iberufstätig. Der etwas bessere Boden in Guhrau wird durch das von der Kavalleriegarnison in Militsch repräsentierte große Konsumzentrum ausgeglichen, Guhrau ist wesentlich schwächer bewaldet als Militsch, dagegen sehr viel stärker unter den Pflug genommen (Verhältnis der Ackerfläche von Guhrau zu Militsch (1885) gleich 9,1 :10, der gesamten Kreisfläche dagegen nur wie 7,3 :10 und der Waldfläche nur wie 5,3 :10). Die Großbetriebe über 100 ha umfaßten 1895 in Guhrau 50,8, in Militsch 42,7 Proz. der Fläche. Dagegen sind in Guhrau 5V2 Proz., in Militsch dagegen 43 Proz. der ganzen Kreisfläche fideikommissarisch gebunden, und zwar dem Schwerpunkt nach in 5 großen Herrschaften mit 80 einzelnen Rittergütern und Vorwerken. In Guhrau hat der Großbetrieb 1882 -1895 an Umfang der Wirtschaftsfläche sich behauptet, an Durchschnittsgröße der Betriebe etwas abgenommen, im Fideikommißkreise Militsch ist er an Fläche etwas gestiegen, an Zahl der Großbetriebe hat er ab- und also an Durchschnittsfläche des Großbetriebes zugenommen. Die bäuerlichen Besitzgruppen zwischen 10 und 100 ha haben 1882 -1895 in beiden Kreisen an Gesamtflächenquote (30 Proz.) sich so gut wie nicht verändert, dagegen an Zahl beiderseits, in Militsch aber doppelt so stark als in Guhrau zugenommen, so daß die Durchschnittsfläche pro bäuerlichen Betrieb in diesen Klassen jetzt in Guhrau 20,2, im Fideikommißkreise Militsch nur 17,8 ha beträgt, trotzdem in Militsch Anerbensitte, in Guhrau Vererbung ohne Bevorzugung eines Erben vorherrscht. In der Klasse 2 - 1 0 ha hat die Gesamtfläche beiderseits zugenommen, in Guhrau um 5, in Militsch aber um 16 Proz. Da die Zahl der Betriebe in Militsch um 10 Proz. gestiegen ist, in Guhrau aber um l 2 / 3 Proz. abgenommen hat (durchschnittliche Betriebsgröße 4,9 ha in Militsch gegen 5,1 ha in Guhrau) und da endlich bei den Parzellisten unter 2 ha ebenfalls die Zunahme der Zahl in Militsch (+ 7 Proz.) einer Abnahme in Guhrau ( - 16 Proz.) gegenübersteht, so zeigt alles in allem der Fideikommißkreis im Gegensatz zu dem Kreise mit nicht gebundenen Böden heute die Tendenz der Steigerung der Extreme auf beiden Seiten, Parzellisten und Kleinbauern mit abnehmender Durchschnittsfläche einerseits, Großbetrieb mit zunehmender Fläche andererseits, auf Kosten der mittleren Betriebe. Dementsprechend ist 1895 der Kleinstbetrieb unter 5 ha in Militsch mit IIV3 Proz. gegen 7,9 Proz. in Guhrau vertreten, die bäuerliche Besitzklasse 5 - 2 0 ha zwar in Militsch jetzt noch stärker als in Guhrau (32 gegen 24 Prozent), wobei aber zu berücksichtigen ist, daß in Militsch noch in der Größenklasse 1 4 - 1 8 ha V10 der Besitzungen als unselbständig gezählt sind. Dagegen ist die Betriebsklasse
160 In Berufszählung 1882 und Berufs- und Gewerbezählung 1895 werden unter A die in „Landwirthschaft, Gärtnerei und Thierzucht, Forstwirthschaft, J a g d und Fischerei", unter B die in „Bergbau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen", unter C die in „Handel und Verkehr, einschließlich Versicherungswesen" Beschäftigten aufgeführt.
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barter Kreise mit in bestimmter Beziehung charakteristisch diffeA 532 rierenden, im übrigen möglichst ähnlichen Verhältnissen einige 2 0 - 1 0 0 ha, also der selbständige Bauernbetrieb, in Guhrau stärker, als im Fideikommißkreise vertreten. - Eine Ergänzung des Bildes bietet die Bodenbesitzstatistik, welche folgendes ergibt: der unselbständige Parzellenbesitz bis zu 5 ha (bis zu welcher Größe beide A 531 Kreise nur je 2 selbständige Besitzungen 'aufweisen) | zeigt' in der Zahl der Besitzungen in beiden Kreisen keine nennenswerte Veränderung. Die Besitzklasse zwischen 5 und 18 ha, in der 3 selbständige und unselbständige Besitzungen nebeneinander stehen, hat sich der Zahl nach im Fideikommißkreise Militsch etwas stärker als im Kreise Guhrau vermehrt. Innerhalb dieser Klasse ist die Zahl derjenigen Besitzungen, die als selbständige gezählt wurden, im Kreise Guhrau, wo sie bis dahin schwach vertreten waren, von 29,7 auf 56,5 Proz., dagegen im Kreise Militsch, wo sie der Zahl nach auch jetzt noch größer ist als in Guhrau, nur von 38,8 auf 45,9 Proz. gestiegen, während die unselbständigen Besitzungen im Kreise Guhrau absolut und relativ weit stärker abgenommen haben. Die so gut wie ausschließlich selbständigen Besitzungen zwischen 18 und 50 ha weisen in beiden Kreisen der Zahl nach eine Verminderung: im Kreise Guhrau um -12,3, in Militsch um -11,9 Proz.j,] auf; der absoluten Zahl nach ist diese Klasse jedoch in Guhrau noch immer stärker vertreten, als in Militsch. Das Verhältnis der selbständigen zu den unselbständigen Besitzungen stellte sich im Kreise Guhrau 1878 wie 1 : 3,37,1893 wie 1 : 2,20, in Militsch 1878 wie 1:3,96,1893 wie 1:2,82. Die relative Bedeutung der selbständigen Besitzungen ist also gleichmäßig gestiegen, in Militsch aber immer noch erheblich geringer als in Guhrau. Die Bevölkerungszahl der Dörfer ist im Kreise Militsch seit 1871 stetig zurückgegangen, bis 1895 um - 1 4 Proz., in Guhrau um -12,9 Prozent, wovon jedoch 4/s erst auf die Zeit seit 1885 fallen. Die Güter weisen im gleichen Zeitraum in Militsch eine Abnahme (-1,7 Proz.), in Guhrau eine erhebliche Zunahme (+ 10,7 Proz.) auf: die Gutsbevölkerung hatte sich in Militsch bis Anfang der 1880er Jahre aufsteigend bewegt (1880 + 10 Proz. gegen 1871) und war dann rasch gesunken, in Guhrau hatte der Anstieg bis 1885 angehalten (+ 13 Proz. gegen 1871) und dann eine kleine Abnahme eingesetzt. Hiernach zu urteilen vollzog sich in Guhrau die Einschränkung der Großbetriebe auf das für intensive Wirtschaft zweckmäßige Ausmaß, ohne daß sie in ihrer Stellung irgend erschüttert worden wären, während sie in Militsch nach Flächenexpansion strebten. Der Unterschied der Volksdichte zwischen Dörfern und Gütern war 1885 - wo wir Areal und Volkszahl vergleichen können - in Militsch mehr als doppelt so groß als in Guhrau (1 : 9 dort, 1 : 4V3 hier), 161 und selbst wenn man den in Militsch qualitativ weit besseren Wald abzieht und die Gesamtbevölkerung einschließlich aller direkt und indirekt durch ihn in Nahrung Gesetzten nur zu dem Acker- und Wiesenland in Beziehung setzt, waren in Militsch die Dörfer 4 mal, in Guhrau nur 3 mal dichter besiedelt als die Güter. Die stärkeren Kontraste des Fideikommißkreises treten auch hier hervor. - Die landwirtschaftlich (fcaupiberuflich) erwerbstätige Bevölkerung hatte 1882 - 95 in Militsch um etwas stärker zugenommen (+ 3,38 Proz. gegen + 3,25 in Guhrau) und war, auf den Grundsteuerreinertrag bezogen, in Militsch dichter (pro Kopf 58,5 Mk. gegen 75,6 Mk. in Guhrau), weil Bewaldung und Parzellisten in Militsch die Quote herabdrücken. Neben der ArbeitsA 532 intensität (= Kapitalarmut) der Militscher Kleinbetriebe kommt darin aber, da | die Zäh-
t A: aufweisen), zeigt
a A: denen
161 Korrekt müßte die B e z i e h u n g der Z a h l e n lauten: „ 9 : 1 " und „ 4 1 / 3 : 1 " .
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wichtigere Entwicklungsmomente zu illustrieren, - nicht: zu „beweisen", denn dazu bedürfte es der Vorführung eines weit umfassende- A 533 lungen im Juni stattfanden, offenbar die stärkere Saiso«arbeiterverwendung zum Ausdruck, denn die Abnahme der Angehörigen der landwirtschaftlich Erwerbstätigen ist im Kreise Militsch auffallend stark (21 Proz.) und mehr als doppelt so hoch als in Guhrau. (Auch in der Provinz Posen sind die Fideikommisse stärker als der Durchschnitt der Güter an der Verdrängung deutscher durch polnische Arbeiter beteiligt). Bei alledem ist zu beachten, daß es sich im Kreise Militsch um Fideikommisse alten Bestandes und sehr großen Umfangs auf relativ nicht allzu hoch klassifiziertem Boden handelt (der Ernteertrag der Gutsbezirke in Weizen war regelmäßig in Militsch niedriger als in Guhrau). Nicht nur ist unter solchen Verhältnissen die Neigung zum Bauernauskaufen wenigstens regelmäßig geringer als bei kleinen, auf Zuwachs ausgehenden Fideikommissen auf Boden hoher Ertragsfähigkeit, sondern es besteht auch häufiger die Möglichkeit, bäuerliche Poc/ißtellen mittleren Umfangs zu schaffen, wo der kleine Betrieb privatwirtschaftlich begünstigt ist. Daher die (relativ) noch immer starke Vertretung größerer bäuerlicher Betriebe in Militsch, aber auch die starke Vertretung der Pacht, trotz des nicht besonders guten Bodens. Die Pachtquote war 1882 - eine Vergleichung mit späteren Zahlen war nicht möglich - in den beiden Kreisen nach den 5 Betriebsgrößenklassen: über 100 ha: Guhrau 11,0, Militsch 33,1 Proz.; 5 0 - 1 0 0 ha: G[uhrau] 0,4, M[ilitsch] 11,8 Proz.; 1 0 - 5 0 ha: G[uhrau] 3,0, M[ilitsch], 5,1 Proz.; 2 - 1 0 ha: G[uhrau] 8,5, M[ilitsch] 16,6 Proz.; unter 2 ha: G[uhrau] 16,1, M[ilitsch] 57,9 Proz. Bei den Großbetrieben hat inzwischen in der Provinz Schlesien die Verpachtung zugunsten der Selbstbewirtschaftung abgenommen. Wie es in dieser Hinsicht mit den Fideikommissen speziell steht, ist leider nicht bekannt. 2. /w,y(fideikommisse: Die Kreise Waldenburg und Reichenbach stimmen in der Quote der Fideikommißfläche und in der stark überwiegenden Bedeutung der industriellen Bevölkerung (Waldenburg Bergbau, Reichenbach Textilindustrie) überein. Entsprechend der weit ungünstigeren Bodenqualität des Kreises Waldenburg (Ackerreinertrag 12 Mk. pro ha gegen 28 in Reichenbach) hat in Waldenburg nicht der landwirtschaftliche, sondern der Forstboden die fideikommissarische Bindung gesucht. Die Forstquote beträgt in Reichenbach nur 4/7 von derjenigen in Waldenburg. In Reichenbach nimmt im Gegensatz zur Mehrheit der umliegenden Kreise und zum Durchschnitt des Bezirks die Fläche der Betriebe über 100 ha, wie in Militsch, trotz gleichbleibender Zahl zu (1882 - 1 8 9 5 um + 37 Proz.) und beträgt jetzt über 43 Proz. der Fläche, in Waldenburg ist sie stabil und beträgt 5V2 Proz. der Fläche. Dagegen umfaßt der bäuerliche Betrieb (5 - 1 0 0 ha) in Reichenbach 43, in Waldenburg aber 80 Proz. der Fläche. Die selbständigen bäuerlichen Betriebe zwischen 10 und 100 ha nehmen in Reichenbach an Zahl und Fläche ab, in Waldenburg in beiden zu, während die überwiegend unselbständigen 15 Betriebe zwischen 2 und 10 ha in Waldenburg im Gegensatz zu Reichenbach abnehmen. Die Durchschnittsbetriebsfläche der bäuerlichen Betriebe steigt in Waldenburg, in Reichenbach sinkt sie, in beiden Fällen freilich nur unbedeutend. Dabei ist zu beachten, daß in Reichenbach | schon sehr zahlrei- A 533 che Betriebe unter 100 ha im sozialen Sinne Großbetriebe sind. Die Parzellisten endlich, speziell die Betriebe unter 1 ha, sind infolge der starken landsässigen Bergarbeiterbevölkerung in Waldenburg stärker als in Reichenbach vertreten, wo sie infolge der Verschiebung der Textilindustrie abnehmen. In dem Forstfideikommißkreise also Stärkung des bäuerlichen Betriebes, in Reichenbach Schwächung desselben zugunsten der Großbe-
b A: unselbständige
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ren Materials, die ich mir gern für eine künftige Erörterung dieser A534 Dinge unter wissenschaftlich wert (volleren Gesichtspunkten als triebe, deren Durchschnittsgröße steigt. Die geschlossene Vererbung mit Vorzugsquote herrscht in Reichenbach im Gegensatze zu Waldenburg vor. - Die Lage des bäuerlichen Besitzes in dem immerhin noch stark bewaldeten Fideikommißkreise Reichenbach ist dabei freilich noch immer wesentlich günstiger, als in dem anstoßenden waldarmen Oderebenenkreise Nimptsch, in dem der sehr fruchtbare Boden zu 60 Proz. in den Händen der Großbetriebe haftet. Allein die Großbetriebe haben in Nimptsch seit 1882 an Zahl weit langsamer zu-, und im Gegensatz zu Reichenbach an Durchschnittsfläche abgenommen, die bäuerlichen Betriebe aber (10-100 ha) weisen ebenfalls im Gegensatz zu Reichenbach eine Flächenz«nahme auf. Und in dem in diesen Grundverhältnissen (Bewaldung, Industriebevölkerung) Reichenbach und Waldenburg nahestehenden, aber nur zu 7 Proz. der Fläche gebundenen Kreise Landeshut liegen die hier in Betracht kommenden Verhältnisse: relativ weit geringere Quote der Großbetriebsfläche (5 Proz.), stärkerer Bauernstand (77V2 Proz. der Fläche), ähnlich wie in Waldenburg, nur ist im Kreise Landeshut mit freiem Boden gerade der mittlere und größere bäuerliche Betrieb 0 noch stärker vertreten, als in Waldenburg (Betriebe zwischen 20 und 100 ha in Landeshut 33'/2 Proz. gegen 273/4 Proz. in Waldenburg). Eine Erleichterung oder auch nur ein weiteres Fortschreiten der Fideikommißbildung würde hiernach die rein kapitalistische Agrarverfassung der oderebenen Kreise, wie Nimptsch, Strehlen usw.[,] dauernd festlegen und sie in die Bahn des Kreises Reichenbach (Flächenausdehnung der Großbetriebe) treiben. Nimptsch hat bereits 10 Proz. Fideikommißfläche. Die landwirtschaftlich im Hauptberuf Erwerbstätigen haben infolge der erwähnten entgegengesetzten Entwicklung der mit Landwirtschaft kombinierten Industriearbeit der Parzellisten und infolge der Mitzählung der Saisonarbeiter in Reichenbach, wie sie sich in der dort erheblich geringeren Zahl von Angehörigen ausspricht, in Waldenburg ziffernmäßig schneller als in Reichenbach abgenommen, dagegen in den Nachbarkreisen mit geringerem Fideikommißbestand (Landeshut, Nimptsch) zugenommen. (Die sehr bedeutende Zunahme der gesamten Landbevölkerung in Waldenburg im Gegensatz zu Reichenbach ist durch die industrielle Entwicklung bedingt.) 3. Latifundien in landwirtschaftlichen und Latifundien in industriellen Kreisen: Die nahe beieinander gelegenen Kreise Pleß und Tarnowitz, beide der Bevölkerung und dem Gesamtcharakter nach spezifisch oberschlesisch, umfassen beide sehr große Fideikommisse (Tarnowitz 45, Pleß 31 Proz. der Fläche) mit starker Waldquote (Tarnowitz 73, Pleß 62 Proz.). Das Fürstentum Pleß ist seinem Schwerpunkt nach eine Grundherrschaft landA 534 wirtschaftlichen Charakters, die | Grafen Henckel-Donnersmarck in Tarnowitz sind spezifische Repräsentanten der schlesischen „Starostenindustrie". 162 Die beiden Kreise verhalten sich in bezug auf die Quote der landwirtschaftlich Hauptberufstätigen entgegengesetzt: in Pleß beträgt das Verhältnis der Gruppen B. und C. der Berufsstatistik zur Gruppe A. (Landwirtschaft usw.) 163 rund 1 : 2,3, in Tarnowitz dagegen umgekehrt das der LandC A: Vertrieb
162 Die Grafen Hugo und Guido Henckei von Donnersmarck betrieben auf ihren schlesischen Gütern neben Land- und Forstwirtschaft auch industrielle Anlagen, insbesondere Kohlen- und Eisenerzgruben. Als „Starosten" wurden in Polen Adelige mit Verwaltungsaufg a b e n bezeichnet. Max Weber verwandte den Begriff „Starostenindustrie" bereits früher, so u. a. in seinem Gutachten zum Heimstättenrecht, in: MWG I/4, S. 663. 163 Siehe die Erläuterung oben, Anm. 160.
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dem Augenblickszweck einer d Gesetzgebungskritik vorbehalten 0 möchte. 1 6 4 Zu jenen Punkten, auf die es hier ankommt, gehört zunächst die sehr verschiedene Bedeutung von Forstfideikommissen und landwirtschaftlichen Fideikommissen. Das landwirtschaftliche 5 Fideikommiß ist der weitaus schärfste Feind des bäuerlichen Besitzes. Roseggers „Geschichte Jakobs des Letzten" 1 6 5 | ist ein Vorgang, A 535
Wirtschaft zu jenen Gruppen nur rund 1 : 3,2. Die Verteilung der Fläche auf die Betriebe war 1895 folgende: Betriebe: unter2 ha 2 - 5 ha 5 - 2 0 ha 2 0 - 1 0 0 h a über 100ha Pleß 10,7 Proz. 17,6 Proz. 34,4 Proz. 9,4 Proz. 27,9 Proz. d[er] Fläche Tarnowitz 19,6 " 17,9 " 14,9 " 3,5 " 44,0 " Also ungemein viel stärkere Vertretung der größten und kleinsten Betriebe in dem industriellen, relativ starke Vertretung wenigstens der kleinen Bauernstellen in dem agrarischen Latifundienkreise. In Tarnowitz stehen 62 „selbständige" 1650 „unselbständigen" Besitzungen gegenüber, in Pleß 947 der ersteren 7976 der letzteren. Die landwirtschaftlich hauptberuflich Erwerbstätigen nehmen in beiden Kreisen ab, in Tarnowitz aber, obwohl dort nach der gegen Pleß weit geringeren Zahl der Angehörigen zu schließen, ungleich mehr Saisonarbeiter gezählt sind, viermal so stark. Während in Tarnowitz eine gewaltige im Hauptberuf industriell tätige Parzellistenbevölkerung mit landwirtschaftlichem Nebenberuf sich entwickelt hat, welche die hauptberuflich landwirtschaftlich Tätigen an Zahl um fast V2 überragt, ist dies letztere in Pleß trotz ebenfalls starker Nebenberufsentwicklung umgekehrt. Alles in allem eine wesentliche Schärfung der Extreme in dem industriellen Latifundienkreise und damit eine Steigerung der charakteristischen Eigenart der Agrarverfassung Schlesiens, welche im schroffsten Kontrast zu dem angeblich „Natürlichen" den Großbetrieb auf den besten Boden und nahe an die Märkte, die kleinen Bauern aber auf schlechten Boden und in die Gebirgstäler legt. Eine weitere Vermehrung der Fideikommisse würde jetzt in Schlesien wesentlich der Ebene und den Industriegebieten und damit der immer weiteren Verschärfung dieses Kontrastes zugute kommen. Dagegen wird auf ungünstigen Böden in rein agrarischer Gegend eine große Standesherrschaft weit eher die großen Betriebe wenigstens innerhalb eines betriebstechnisch zweckmäßigen Umfangs halten. Das ist offenbar im Kreise Pleß, wo die Standesherrschaft erst letzthin eine Neueinteilung ihres großen Areals unter betriebstechnischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vorgenommen hat, in der Tat der Fall gewesen, wie namentlich auch der Gegensatz gegen den Nachbarkreis Rybnik (mit allerdings etwas stärkerer gewerblicher Bevölkerung als Pleß) zu zeigen scheint. |
d A: Gesetzgebungskritik, vorbehalten
1 6 4 S i e h e d a z u d e n Editorischen Bericht, oben, S . 8 8 . 1 6 5 Rosegger, J a k o b . R o s e g g e r will in s e i n e m R o m a n „ein Bild g e b e n von d e m Unterg a n g e d e s Bauernthums in unseren Alpen." „ M a n c h e r reiche Herr", so heißt es im Vorwort, „der im Parlamente s c h ö n e R e d e n hält für d e n Bauer, [...] bringt die n a c h b a r l i c h e n Bauern um H a u s und Hof und zwingt ihnen, wenn sie s i c h nicht lieber in der weiten Welt zerstreuen und verlieren, wieder die Z u s t ä n d e der alten Hörigkeit auf." Zitate S. 1 und 5.
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der in Gebieten mit gutem, für moderne kräftige Bauernwirtschaften überhaupt qualifiziertem Boden sich wenigstens nicht allzu oft ereignen wird. Die kapitalisierte Forstrente ist im allgemeinen doch zu erheblich niedriger, als der Kaufwert der Bauerngüter. Das Expansionsbedürfnis des regelmäßig den besseren Boden aufsuchenden landwirtschaftlichen Fideikommisses dagegen richtet sich, wie gesagt, naturgemäß gerade auf die mit weniger und älteren Baulichkeiten bestandene Fläche des großen und mittleren Bauernbesitzes weit stärker, als daß es den Versuch machte, mit der landhungrigen Bodennachfrage der Kleinsten zu konkurrieren. Die Fideikommißkreise Schlesiens zeigen, auch da, wo die ganz großen Fideikommisse alten Bestandes in stark vorwiegend oder gänzlich landwirtschaftlichen Gegenden noch ein anderes Bild aus der Vergangenheit konserviert haben, heute die Tendenz, die charakteristischen Eigenarten der kapitalistisch degenerierten schlesischen Agrarverfassung weiter zu steigern, deren soziale Kontraste zu schärfen und zwar am meisten da, wo industriell akkumulierte Kapitalien auf den Weg zur Bodenanhäufung instradiert werden. Aufsaugung des guten landwirtschaftlichen Bodens, - es kann nicht oft genug gesagt werden: gerade desjenigen Bodens, auf dem nach der Meinung der modernen Theoretiker von der „glücklichen Mischung der Betriebsgrößen" die Bauern sitzen „sollten", - durch das Kapital und seine Festklammerung in Fideikommissen, daneben kleine, selbstgenügsame und - an der Ostgrenze - kulturfeindliche Bauernwirtschaftenj,] zusammengedrängt auf den rentelosen Bodenklassen, das sind jene beiden Tendenzen der östlichen ländlichen Entwicklung, welche die Fideikommisse zwar sicherlich nicht etwa geschaffen haben, welche sie aber, statt ihnen entgegenzuwirken, verstärken. Der Entwurf scheint, in seinem Eifer, nur ja den Großbesitz und -Betrieb zusammenzuklammern, eine solche Entwicklung geradezu zu wollen. Denn er will die Möglichkeit, auf Grund von „Unschädlichkeitsattesten" gemäß § 1 des Gesetzes vom 27. Juni 1891 über die Errichtung von Rentengütern, auch größere Trennstücke aus dem Fideikommißnexus zwecks Abveräußerung zu entlassen, 166 be166 Das hier erwähnte „Gesetz über Rentengüter" wurde nicht 1891, sondern bereits am 27. Juni 1890 erlassen. In § 1 , Abs. 5 heißt es: „Auf die Veräußerung zum Z w e c k e der Bildung von Rentengütern finden die gesetzlichen Bestimmungen über den erleichterten
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seitigen und nur die Veräußerung von „kleineren Teilen" des Fideikommißgutes zur Errichtung von bäuerlichen Stellen „kleinen und mittleren Umfanges" und zur Ansiedlung von Arbeitern zulassen (§ 29), 167 welche überdies vom Stifter beschränkt oder beseitigt werden kann. Mit Recht tritt Sering in Ausführungen, | denen man a 536 sich freut durchweg zustimmen zu können, dieser Beschränkung entgegen: 168 es ist kein Gesichtspunkt erkennbar, der sie rechtfertigt.Endlich die Wirkungen auf die Arbeitsverfassung. Hier können ohne Zweifel, wie namentlich das Beispiel der Holsteiner „Grafenecke" 169 beweist, wenigstens die großen Fideikommisse - regelmäßig nur diese, denn die kleineren unterscheiden® sich darin in nichts von den anderen Gütern - im eigenen Interesse die Erhaltung einer ansässigen und doch nicht scholienpflichtigen Arbeiterschaft durch Eingehung günstiger kombinierter Pacht- u. Arbeitsverträge in höherem Grade fördern, als ein einzelner Gutsbesitzer, dem mehr die Versuchung nahe liegt, schlechte Außenschläge in dieser Form abzustoßen. Geschehen wird es freilich wesentlich nur da, wo die Bodenqualität niedrig, das Opfer an wertvollem Land also nicht erheblich ist: - auf gutem Boden hat die Steigerung der Grundrente die ansässige Arbeiterschaft auf Fideikommißboden im allgemeinen ganz ebenso wie auf freiem Boden enteignet. Und tatsächlich läßt sich aus der großen Zahl der Parzellenkleinpächter in manchen Fideikommißkreisen mit nicht zu gutem Boden - so in Militsch - auf
e A: unterschieden
Abverkauf von Grundstücken Anwendung mit der Maßgabe, daß das Unschädlichkeitsattest auch bei der Abveräußerung größerer Trennstücke ertheilt werden kann, wenn die Sicherheit des Realberechtigten dadurch nicht vermindert wird" (GS 1890, S. 209). 167 §29 des Entwurfs 1903 gesteht dem Fideikommißbesitzer nur die Veräußerung kleinerer Teile des Familienfideikommisses in bestimmten, eng gezogenen Grenzen zu, insbesondere, „wenn aus den zu veräußernden Grundstücken bäuerliche Stellen von kleinem oder mittlerem Umfang, insbesondere Rentengüter, errichtet oder wenn darauf ländliche Arbeiter angesiedelt werden sollen." 168 Sering, Bemerkungen, S. 74f., befürwortet die Möglichkeit des Abverkaufs von Fideikommißteilen allein aufgrund eines „Unschädlichkeitsattests", da eine solche Bestimmung „den sozialen Bedenken gegen die Fideikommisse einigermaßen gerecht" werde. 169 Gemeint ist die Ostküste Schleswig-Holsteins, an der im Gegensatz zu den übrigen Regionen dieser Provinz der Großgrundbesitz dominierte.
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eine ähnliche Entwicklung schließen. Aber der Bedarf der durch die Fideikommisse gestützten Großbetriebe an Saisonarbeitern und der allgemeine Zug der kapitalistischen Betriebe zur Verdünnung und Zusammendrängung der Bevölkerung - Verdünnung: nach der Zahl der Köpfe auf die Fläche gerechnet, Zusammendrängung: nach der Zahl der Haushaltungen und Köpfe auf die WohngebäuA 538 de berechnet35^ - überwiegt im Effekt jene | individualistische EntA 539 wicklung weit, ganz abgesehen davon, daß jene | neugeschaffenen A 540 Pachtstellen der Güter im Osten heute da, wo sie | bestehen, sehr klein sind (unter 1 ha) und nichts mit den alten Heuerlingsstellen 170 des Nordwestens zu schaffen haben'. | A 541 Gerade für die Fideikommißbesitzer liegt nun aber die Versuchung nahe, die „Ansässigmachung" der Landarbeiter auf Rentengütern zu versuchen, zu der sich der freie Großgrundbesitz immerhin nicht so leicht entschließt, da sie ein für den Fideikommißbesit-
35 > Daß es sich bei den erwähnten Tendenzen um einen spezifischen Zug agrarkapitalistischer Entwicklung handelt, mag - vorbehaltlich einer künftigen eingehenderen Darstellung, 171 auch hier etwas näher erläutert werden. Man kann die Dörfer und Güter von Landkreisen, die sich als Untersuchungsobjekt eignen, nach ihrer Bodengüte (d. h. nach ihrem Grundsteuerreinertrag) klassifiziert mit der Dichte ihrer Besiedelung vergleichen. Alsdann zeigt sich nicht nur die, wie längst bekannt, durchweg außerordentlich viel geringere Volksdichte der Güter, sondern ferner der Umstand, daß dieselbe, während die östlichen Dörfer darin keine Regelmäßigkeiten zeigen, auf den Gütern mit zunehmender Ertragsfähigkeit des Bodens keineswegs regelmäßig zu-, sondern gar nicht selten abnimmt, daß aber mit großer Regelmäßigkeit die Zusammendrängung der Bevölkerung in den Behausungen - die in den Dörfern sich ebenfalls ganz individuell gestaltet, - auf den Gütern mit zunehmender Ertragsfähigkeit zunimmt. Je mehr °möglicher „Mehrwert" 9 aus der Arbeitskraft nach Lage der natürlichen Produktionsbedingungen zu gewinnen ist, desto stärker isth für den Großbetrieb der AnA 537 reiz zur vollen Ausbeutung | der Arbeitskräfte und damit desto größer die Haushaltungsund Kopfzahl pro Wohngebäude, die Kopfzahl pro Haushaltung. Beispiele:
A 536
f A: habe
g A: möglicher, „Mehrwert"
h Fehlt in A; ist sinngemäß ergänzt.
1 7 0 Die „Heuerlinge" waren kontraktlich g e b u n d e n e Landarbeiter und Kleinpächter im Nordwesten Deutschlands: Der Heuerling pachtete g e g e n geringe Bezahlung Land und Unterkunft von einem Bauern, der ihm bei der Bewirtschaftung half; als Gegenleistung stand der Heuerling d e m Bauern eine bestimmte Anzahl von Tagen als Arbeitskraft zur Verfügung. 1 7 1 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 88.
Fideikommiß zer leichter mögliches
frage in Preußen
systematisches
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V o r g e h e n e r f o r d e r t , w e n n sie
« •O 3
c
JS "O C QJ Nimmt man an, daß durchschnittlich etwa das 2V2- oder etwas mehrfache des A 552 Grundsteuerreinertrags als „nachhaltiges Einkommen" angesetzt werden dürften, daß ferner mindestens etwa 30 Proz. Forstfläche (gegen jetzt im Durchschnitt 45 Proz.) mitgestiftet werden und daß eine Verschuldung von 25 Proz. eingebracht wird, so kommt man für den Osten für einen Ertrag von jedenfalls über 12 500 M. - wie dies zur Erzielung eines dem Besitzer verbleibenden Einkommens von 10 000 M. nötig ist - auf eine durchschnittliche Minimalfläche von ca. 700 ha, für Schlesien natürlich auf wesentlich weniger, für den Nordosten aber, wo die Reinerträge bis dicht an 4 M. im Kreisdurchschnitt herabgehen, auf den ungünstigen Böden, die gerade die fideikommißbedürftigen wären, auf jedenfalls über 3000 ha als Minimum zur Erzielung jener Rente. Für einen einheitlich geleiteten Betrieb ist schon jene erstgenannte Fläche als Minimum jedenfalls zu groß. Wollte man ernstlich „Rückenbesitzer" im eigentlichen Sinn des Wortes auf Fideikommissen wachsen lassen, dann bliebe diese Art von Fideikommissen im Osten Privileg der Böden der schlesischen Ebene, des unteren Weichsel- und Odertals und einzelner Striche in der Provinz Brandenburg. Auf ihnen würde der erzwungene Großbetrieb seine Stätte finden, während
e A: /«venrurbeschaffung
239 N a c h § 3 0 d e s Entwurfs 1903 können „ a u c h größere Theile d e s z u m Familienfideik o m m i s s e g e h ö r e n d e n G r u n d b e s i t z e s " veräußert werden, w e n n der Verkauf, wie im dritten A b s a t z festgelegt, „zur erstmaligen B e s c h a f f u n g d e s für die F i d e i k o m m i ß g r u n d s t ü c k e erforderlichen Inventars" n o t w e n d i g sei. 240 Der Begriff „joint business" wird in der z e i t g e n ö s s i s c h e n Literatur als d a s Gesellschaftsverhältnis z w i s c h e n Pächter und Verpächter erläutert, bei d e m der Grundeig e n t ü m e r sich nicht auf die V e r p a c h t u n g d e s L a n d e s u n d die Einziehung d e s Pachtzinses beschränkt, s o n d e r n in der Regel a u c h die Kosten aller größeren Bauten u n d Meliorationen trägt.
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nun, daß ein Fideikommiß auf eine halb so große 54 * Einheit, kombiniert mit Sireabesitz, gegründet werde, 241 und die Motive begründen dies charakteristischerweise damit, daß sonst im Westen, da hier Güter größeren Umfangs nicht sehr häufig seien, zu wenig Fideikommisse gegründet werden würden. 2 4 2 Unter einem „Wirtschaft- 5 liehen Ganzen" aber versteht der Entwurf nach Seite 50 der Motive einen einheitlich geleiteten Großbetrieb, wobei auch ein Zentral-
die Theorie von der „glücklichen Mischung" der Besitz- und Betriebsgröße ihn auf die schlechten Böden verweisen möchte - und, wenn nicht alle nationalen und Kulturinteressen dem Agrarkapitalismus geopfert werden sollen, - auch müßte. Sering (S. 70 a. a. O.) glaubt, beiläufig bemerkt, die geringe Wahrscheinlichkeit, daß eine erhebliche Fideikommißbildung zu erwarten stehe, durch den Hinweis darauf begründen zu können, daß in den 4 Nordostprovinzen auf dem Lande nur 923 und nach Abzug von etwa 100 Fabrikanten (?) u. dgl. nur etwa 800 Personen von mehr als 12 500 M. Einkommen ansässig seien bei einer Anzahl von schon jetzt 216 Fideikommissen. 243 Da sicher die Mehrzahl der 600 hiernach Fideikommißfähigen mit mehr als der Hälfte des Wertes verschuldet seien (? gerade die vermögendsten Leute ?!)[,] so sei eine erhebliche Fideikommißgründung nicht zu erwarten. - 2 4 4 Gewiß: Nicht die verschuldeten heutigen Landwirte, wohl aber potente Käufer kommen, wenn der Fideikommißstempel, der das Entscheidende ist, herabgesetzt wird, zwar nicht in den ersten paar Jahren, wohl aber nach Serings eigenem Vorschlag 245 schon nach 10 Jahren als Reflektanten in Betracht. In Schlesien ferner stehen nach Serings eigener Rechnung 155 Fideikommissen 1079 Personen jener Einkommensklasse gegenüber, 2 4 6 und gerade das industrielle Kapital ist es hier, welches (wie im Saarbezirk) landwirtschaftliche Besitzungen und Großbetriebe aufsaugt und „nebenamtlich" zu „betreiben" weiß. | 54 A 553 > In Wahrheit weniger als halb so große, da die Lastenanrechnung anders geregelt ist. |
241 Geregelt in § 2 des Entwurfs 1903 ( o b e n zitiert, S. 97, A n m . 36). 2 4 2 Die B e g r ü n d u n g 1903, S . 5 0 , erläutert § 2 d e s Entwurfs 1903 d a h i n g e h e n d , „daß in einzelnen Landestheilen, namentlich in d e n westlichen Provinzen, Güter v o n einer e i n e m höheren E i n k o m m e n e n t s p r e c h e n d e n Größe nur in geringer Anzahl v o r h a n d e n sind, und daß daher dort die Errichtung von Familienfideikommissen sehr erschwert w e r d e n würde, w e n n sie nur bei Vorhandensein einer Besitzung z u g e l a s s e n würden, die für sich ein höheres E i n k o m m e n als 5 0 0 0 M., e t w a gar das g a n z e M i n d e s t e i n k o m m e n von 10000 M. abwirft." 2 4 3 G e m e i n t ist Sering, B e m e r k u n g e n , S. 70, Fußnote 2. 2 4 4 Bei Sering, B e m e r k u n g e n , S . 7 0 , heißt es: „Die große Mehrzahl der preußischen Gutsbesitzer wird tatsächlich außerstande sein, F i d e i k o m m i s s e unter den neuen Beding u n g e n zu b e g r ü n d e n . " 245 Bei Sering, B e m e r k u n g e n , S. 68, heißt es: „Ich w ü r d e also d e n § 1 so formulieren, daß G r u n d b e s i t z z u m Familienfideikommiß nur von Personen g e w i d m e t werden kann, die seit w e n i g s t e n s 10 Jahren mit s o l c h e m G r u n d b e s i t z a n s ä s s i g sind, oder die sich hervorragend e öffentliche Verdienste e r w o r b e n haben." 2 4 6 Dies geht aus der bei Sering, B e m e r k u n g e n , S. 70, Fußnote 2, a b g e d r u c k t e n Tabelle hervor.
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betrieb mit Vorwerken zusammen als ein Betrieb angesehen werden soll.247 Nicht zulässig ist also z.B. eine Verpachtung dieses Stammgutes an mehrere selbständige bäuerliche Wirtschaftsleiter. Man sieht: hier ist der Zweck der Schaffung ökonomisch „sturm5 freier" Existenzen mit der Absicht der künstlichen Stützung des Großbetriebes verkoppelt. Das Ergebnis kann im Falle des Erfolges für den Westen, z.B. das Rheinland, nur sein, daß das Kapital, welches dort im Boden Anlage gesucht hat, um nun auch „fideikommißfähig" zu werden, die als Pächter auf dem gekauften Land 10 sitzenden kleinen Wirtschaften „legen" muß, und daß überall Besitztümer, die für sich allein mit 5000 Mk. Ertrag jedenfalls kaum mehr als eine großbäuerliche Lebenshaltung gewähren, um die vorgeschriebene Basis der Lebenshaltung eines Fideikommißbesitzers zu bieten, mit einem Strahlenkranz von damit nicht zusammenge15 hörigen Parzellen, die rund umher zugekauft und verpachtet worden sind, kombiniert werden, und daß die Besitzer sich auf stetigen Zukauf weiterer Parzellen hingewiesen sehen. Daß derartige Gebilde unter irgend welchen Gesichtspunkten auch nur im mindesten erfreulicher sein sollten, als ein Rentenfonds von reinem Streu20 besitz, leuchtet denn doch wahrlich nicht ein. Wohl aber sind sie natürlich als Bodenanhäufungszentren höchst wirksam und zugleich ein Mittel, Betrieben, die für sich allein „keine Herrschaft tragen", deren Inhaber vielmehr schlecht und recht als „Klutenpetter" 248 ein bürgerliches Erwerbsleben mit scharfer Mitarbeit in Stall und Feld 25 führen müßten, die Qualifikation zu verleihen, in Verbindung mit Parzellenpachtwucher eine Basis prätenziöser „herrschaftlicher" Existenzen zu werden, die dann in den Augen der Romantiker als „Rückenbesitzer" | glänzen. Der Entwurf fordert die Erhaltung bzw. Schaffung von Betrieben bestimmter Minimalgröße, anstatt, 30 wenn er Streufideikommisse nicht liebt, Geschlossenheit oder nach-
2 4 7 In der Begründung 1903, S. 50, heißt es, die Forderung, daß ein zum Familienfideikommiß gewidmeter Grundbesitz ein „wirtschaftliches Ganzes" (oben, S.97, Anm. 36) bilden müsse, sei erfüllt, „insoweit Grundstücke gemeinschaftlich von einem Mittelpunkt aus bewirthschaftet werden. Es würde daher genügen, wenn die Besitzung aus mehreren einzelnen Gruppen von Grundstücken (selbständigen Theilen) besteht, die zwar für sich nach gewissen besonderen Grundsätzen hinsichtlich der Fruchtarten, der Fruchtfolge, der Art des Wirthschaftsbetriebes u.s.w., immerhin aber innerhalb des Rahmens der Gesammtwirthschaft bewirthschaftet werden." 2 4 8 Niederdeutscher Spottname für Kleinbauern.
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barliches Zusammenliegen der VxdcxkommWibesitzungen zu verlangen.Andererseits ist natürlich der Betrag von 10000 Mk. Nettoeinnahme ganz und gar unzulänglich, um darauf irgend welchen „splendor familiae" zu gründen. Ein Einkommen von 10000 Mk. bedeutet heute eine einfache bürgerliche Existenz. Einen Mann mit 10-15 000 Mk. zum Fideikommißbesitzer stempeln, heißt jemanden, der durch seine Verhältnisse auf bürgerliche Lebenshaltung hingewiesen wäre, mit albernen feudalen Ansprüchen erfüllen, denen er nicht ohne fortgesetzte Gefahr nachleben kann. Sollten weiterhin derartig kleine Fideikommisse in erheblicher Anzahl entstehen, 55 ) so sind, wenn der Umfang klein bleibt, und die Besitzer wirklich ländliche Existenzen sind, diese entweder dem Schwerpunkt nach Schnapsbrenner, Zuckersieder, Stärke- oder Ziegelfabrikanten und dergleichen, oder wenn sie dazu zu kapitalschwach bleiben, so entsteht bei irgend erheblicheren pekuniären Extravaganzen eine mir aus der Anwaltspraxis 249 wohl bekannte chronische Misere, die zu ganz unglaublich widerlichen und namentlich mit den sozialen Ansprüchen übel kontrastierenden Erscheinungen führt. Oder aber, das kleine Fideikommiß' bildet eben als Luxusgut einen Bestandteil des Vermögens von großindustriellen Familien, die mit den Interessen des platten Landes nichts zu tun haben. In Schlesien sind von den Inhabern der Betriebe über 100 ha schon jetzt im Regierungsbezirk Breslau 11,54 Proz., im Regierungsbezirk Oppeln 12,06 Proz. in andern als landwirtschaftlichen Berufen /ißwpiberuflich tätig, im Saargebiet (Regierungsbezirk A 554
55 ) Ob dies geschieht, hängt für die Gegenwart noch wesentlich von der Regelung der Stempelfrage ab. Wird der derzeitige Stempel erhöht oder mindestens erhalten, so ist die Gefahr wenigstens zurzeit geringer, als die andere, welche durch das Umsichgreifen der bestehenden Fideikommisse geschaffen wird. Für die Zukunft liegt es m. E. freilich anders. Unsere ganze Wirtschaftspolitik züchtet Rentner, und die Neigung, bürgerlichem Kapital ein otium cum dignitate 2 5 0 durch Anlage in Boden zu verschaffen, wird mit der Sättigung Deutschlands an Kapitalbesitz und der Steigerung des protektionistischen Abschlusses der Staaten gegeneinander rasch zunehmen.
f A: Fideikommis
2 4 9 Zu Webers Tätigkeit in einer Berliner Anwaltskanzlei siehe oben, S. 102, Anm. 66. 2 5 0 Siehe d a z u oben, S. 109, Anm. 85.
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Trier) 25,0 Proz. Der Anreiz dazu wird natürlich durch die Möglichkeit fideikommissarischer Bindung bedeutend gesteigert. - Wo irgend ein kleiner Fideikommißbesitzer aber ökonomisch bei Kräften ist oder | z.B. durch eine reiche, wenn auch „unstandesgemäße" A 555 Heirat ökonomisch zu Kräften kommt, da wird er - wenn dem nicht ein absolutes Verbot im Wege steht - um sich greifen und Boden kaufen, wo immer er zu haben ist, sei es, daß derselbe formell zum Fideikommiß geschlagen wird oder daß er formell ungebunden bleibt. Die Behörden würden wie gesagt wohl nie in die Lage kommen, den Konsens zur Bindung des Zugekauften zu verweigern, da ja jede Arrondierung hier eine Verbesserung der Existenzchance bedeutet. Die Mehrzahl aller Fideikommisse strebt normalerweise nach Vergrößerung, für die kleinen aber ist sie auf die Dauer geradezu Existenzfrage. Sie bilden, wenn sie überhaupt prosperieren, Bodenaufkaufszentren. Und dies Aufkaufen geschieht, dem Schwerpunkt nach, nicht unter betriebstechnischen Gesichtspunkten, sondern lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verbreiterung der Rentenbasis. Nur eine wesentlich höhere Mindestgrenze des Ertrages - etwa 30000 Mk. 9 - oder noch besser eine Mindestgrenze des Umfangs, sagen wir 3-4000 ha, 56 ' verbunden mit der noch zu erörternden Beschränkung auf altadlige oder wenigstens altansässige Familien und vor allem mit dem Verbot, außer etwa in Fällen nachweislicher gememwirtschaftlicher Vorteile (Möglichkeit der Urbarmachung von Ödland und dergleichen eng zu begrenzende Fälle), überhaupt weiteren landwirtschaftlich genutzten Boden (Forsten sind natürlich anders zu behandeln) zu kaufen, könnte hiergegen schützen. Aber das Phantom des Rückenbesitzes - wenn man darunter ständige eigene Betriebsleitung versteht - müßte freilich bei jener Mindestgrenze fallen gelassen werden. Ich vermag, wenn man den Glauben aufgibt, ein moderner Landwirt könne dauernd dem Typus des altpreußischen Junkers vergan-
56 ' Natürlich vertrüge sie sich aufs beste mit einer gleichzeitig festzusetzenden A 555 Maximalüächengrenze (etwa 8 000-10 000 ha) und besonders einer Maximalgwoie der in den einzelnen Bezirken zu bindenden Fläche.
g A: Mk.,
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gener Zeiten entsprechen, 57 ) in Übereinstimmung mit Conrad, 251 keinerlei ökonomische oder sozialpolitische Gesichtspunkte zu erkennen, unter denen dies zu bedauern wäre. A 556 Was zunächst die ökonomische Seite der Sache anlangt, so | bieten gerade die großen, zumal die geschlossen zusammenliegenden 5 Fideikommißherrschaften, bei denen der weit überwiegende Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläche verpachtet, ein Teil des Rests administriert wird, eben das, worauf es den Verfassern des Entwurfes (angeblich, und vielleicht auch vermeintlich) ankommt: wirtschaftlich wirklich „sturmfreie" Existenzen mit der gesicherten 10 Möglichkeit hoher Lebenshaltung und entwickelter geistiger und ästhetischer Kulturbedürfnisse, vor allem aber auch mit der Möglichkeit und dem Anreiz, auf landwirtschaftlichem Gebiet wirklich in großem Stile ökonomisch zu schalten. Die Elastizität gegenüber Krisen, wie sie die englische Agrarverfassung gezeigt hat, beruht auf 15 der Verteilung des Stoßes auf zwei starke Schultern. Das „joint business" von Landlord und Pächter, wie es sich in England entwickelte, hatte ebenfalls die bedeutende Größe der dortigen Fideikommisse und die ökonomische Potenz der Landlords zur Voraussetzung. Die ökonomische Aufgabe, den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb 20 dem Markt und der Entwicklung der Technik anzupassen, ist bei gebundenem Boden nur da wirklich sicher realisierbar, wo es dem Grundherrn auf längere Zeiträume hinaus gleichgültig sein kann, ob die Rente des einzelnen Betriebes unter das Maß dessen sinkt, was für den traditionellen Unterhalt einer Familie erforderlich ist. Und 25 das gleiche gilt von der Gestaltung des Umfangs der Betriebe: auch sie wird gerade da in produktionstechnisch zweckmäßigster Form erfolgen können, wo nicht, wie beim Eigentümerbetrieb und natürlich ganz ebenso beim kleinen Fideikommiß, die Rente eines oder weniger einzelner Betriebe gerade das Ausmaß dessen darstellen 30 muß, was als Einkommen einer Familie von bestimmter Lebenshal57) Daß man diesen Glauben aufgeben muß, darüber siehe meine Ausführungen in Bd. 55 der Schriften des V[ereins] f[ür] Sozialpolitik,252 gegen die von keiner Seite etwas Stichhaltiges gesagt worden ist, so viel ich sehe. |
251 Bei Conrad, Gesetzentwurf, S. 520, heißt es, daß die „ganze Einrichtung der Fideikommisse [...] im Widerspruche zu den Erfordernissen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart und zu den Grundsätzen unserer modernen Rechtsanschauungen stehend gesehen werden" müsse. 252 Weber, Lage der Landarbeiter, MWG I/3.
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tung erfordert wird. Diese Unabhängigkeit des Betriebsausmaßes von dem erforderlichen Ausmaß eines privatwirtschaftlichen Einkommens ist es ja, welche unter der kapitalistischen Wirtschaftsorganisation die Stärke des Fideikommisses darstellt. Das große Fideikommiß wirkt eben, wenn man es rein technisch betrachtet, wie eine Art Vergesellschaftung des Produktionsmittels Boden, verbunden mit einer monarchischen und privatwirtschaftlich interessierten und verantwortlichen Spitze. Mit jeder Herabminderung des Ausmaßes des Fideikommisses mindert sich naturgemäß dies Element der Stärke, und wo das Fideikommiß mit dem Umfang eines oder zweier Rittergüter zusammenfällt, da ist jener Konflikt, der in der Natur unserer privatwirtschaftlichen Produktionsordnung liegt: daß | technisch zweckmäßiges Betriebsausmaß und standesgemäße A 557 Rente je ihre eigenen Wege gehen, in voller, ja trotz aller Privilegien des von Erb- und Kaufschulden freien Besitzers in gesteigerter Schärfe vorhanden, da ja keine Macht der Welt durch die Generationen hindurch die Speisung des Eigenbetriebes mit dem, zumal für eine im Sinne schnelleren Kapitalumschlages intensivere Wirtschaft erforderten, Betriebskapital gewährleisten kann, und da der Übergang zur Verpachtung, je kleiner der Besitz, um so weniger sicher gerade jenes Ausmaß von Rente einträgt.
Ganz ähnlich steht es auf sozialpolitischem Gebiet. Der große Fideikommißbesitzer, je größer je mehr, kann seinem Besitz ohne Gefährdung seiner eigenen ökonomischen Lebensinteressen in 25 ähnlicher Weise gegenüberstehen, wie etwa ein Mecklenburger Großherzog seinem Domanium, er kann, wie dieser es getan hat, „Agrarpolitik" treiben, 253 und ist bei der großen Zahl der von ihm Abhängigen, bei seiner der Öffentlichkeit und ihrer Meinung immerhin exponierten Stellung, bei seiner relativen Entrücktheit aus 30 den konstanten Spannungen des wirtschaftlichen Alltagskampfes darauf sogar in gewissem Maße hingewiesen. Tut er es nicht, preßt er seine Pächter aus, baut schlechte Arbeiterwohnungen usw.[,j so 253 Vermutlich Anspielung darauf, daß in Mecklenburg-Schwerin auf dem großherzoglichen Domanium bereits im 18. Jahrhundert mit der planmäßigen Ansiedlung von Landarbeitern begonnen wurde. Dies führte dort, wie Max Weber bereits anläßlich der Enquete des Vereins für Sozialpolitik 1892 feststellte, zur „Entstehung großer und wohlhabender Bauerndörfer", während sich auf den ritterschaftlichen Gütern nur bäuerliche Kleinstellen (Büdnereien und Häuslereien) befanden. Weber, Lage der Landarbeiter, MWG I/3, S. 810.
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hat das eben in der Tat vorwiegend persönliche, nicht aber den ganz allgemeinen Grund, der bei den kleinen Grundherren solche sozialpolitische Arbeit großen Stils normalerweise ausschließt: daß sie selbst ihre Haut zu Markte tragen und es deshalb Selbstbetrug oder Phrase ist, wenn man ihnen irgend andere Motive als normalerweise maßgebend andichtet, als diejenigen, die jeden kapitalistischen Unternehmer irgendwelcher Art irgendwo und irgendwann beseelt haben und beseelen. Ein großer Fideikommißbesitzer kann z.B., auch in seinem eigenen Interesse, auf die von ihm abhängigen Mittelbetriebe erziehlich wirken und so Vorbilder für kleinere Wirtschaften schaffen, worauf die Motive solches Gewicht legen. 254 Was die Bauern von einem durchschnittlichen Rüben- oder Branntweinbaron eigentlich ökonomisch lernen sollten, leuchtet dagegen nicht ein, und um ihnen die technischen Fortschritte, deren Anwendung ihnen möglich wäre, vor Augen zu führen, dazu genügt ein Zehntel der jetzt im Osten vorhandenen Großbetriebe. Ein Dutzend kleiner Fideikommißbesitzer, etwa von je 400 ha an, an Stelle eines großen von 4-5000 ha sind selbstverständlich schlechterdings nicht in annähernd ähnlichem Maße anpassungsfähig wie dieser es ist. Schlechte A 558 Zeiten werden sie wohl zur Abstoßung von | Außenschlägen an kleine Rentengutserwerber oder Parzellenpächter führen - beides Formen des Bodenwuchers, die der Güterschlächterei wesensgleich sind - , oder der künstlich in der einmal gegebenen Verteilung festgeklammerte Betrieb muß an einen möglichst viel bietenden Pächter zur Ausraubung vergeben werden. Aber eine planvolle Neugestaltung der Betriebsgrößen unter umfassenderen technisch-ökonomischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist ihnen einfach unmöglich.58* Überhaupt aber ist irgend ein spezifisch „weitsichtigeA 558
58 ' Wenn Sering den Fideikommißbesitzern die A b v e r ä u ß e r u n g auch größerer Besitzteile gegen R e n t e wie Kapital gestatten will, 255 so wird man zwar gern zustimmen. A b e r
254 Die Begründung 1903, S. 14, sieht die wirtschaftliche Bedeutung des Großgrundbesitzes vor allem darin, „dem kleineren Besitzer mit seiner Wirtschaftsführung ein werthvolles Vorbild zu geben und dadurch zur Förderung des Wohlstandes des Einzelnen wie der Gesammtheit beizutragen." Darüber hinaus zeige die Erfahrung, „daß in Gegenden, in denen der Großgrundbesitz gut bewirthschaftet wird, sich bald auch bei den mittleren und kleinen Gütern ein Aufschwung bemerkbar macht." 255 Sering, Bemerkungen, S. 75, plädiert dafür, daß eine Veräußerung auch größerer Teile eines Grundstücks aufgrund eines „Unschädlichkeitsattestes" nicht nur „gegen Rente", sondern auch „gegen Kapital" möglich sein solle.
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res" Verhalten eines solchen kleinen Fideikommißbesitzers gegenüber irgend einem anderen Betriebsleiter, allgemein gesprochen, so unwahrscheinlich wie möglich, denn dazu gehört nun einmal ein Besitz mit nicht nur zeitlich, sondern vor allem auch räumlich weiterer Perspektive. Die ökonomische Elastizität und Anpassungsfähigkeit gegenüber dem Stoß der Konjunktur, welche, bei Zusammenfassung des Bodens in einer ganz großen Fideikommißbesitzung mit vielen Einzelbetrieben in Pacht oder Administration, gegenüber der Verteilung des Bodens unter lauter freie Eigentümerbetriebe in der Tat erheblich erhöht sein kann, ist bei der Fesselung des Landes in der Hand vieler einzelner kleiner Fideikommisse vielmehr verringert. Zahlreiche kleine Fideikommisse können hier in den entscheidenden Punkten geradezu entgegengesetzt wirken, wie einzelne große. Es ist angesichts alles dessen geradezu ein Unheil, daß die Motive die Fideikommißpolitik unter den Gesichtspunkt der Stützung des Eigentümergroßbetriebes und vollends unter die sattsam bekannte Spießbürgerphrase von der Beförderung einer „glücklichen Mischung" der verschiedenen Betriebsgrößen stellen. Diese Redensart sollte wirklich schon aus dem Grunde endlich aus der Diskussion verschwinden, weil die Frage ja eben ist, welche Mischung denn nun die „glückliche" sei, die im Westen vorhandene, die Westfalens oder Hannovers, oder die in Schlesien oder die in Ostpreußen bestehende: - denn mit Ausnahme ganz weniger Gegenden sind hier, wie überall in Preußen, die Betriebsgrößen irgendwie „gemischt", | und auch mit Großbetrieben untermischt - oder welche andere? Nach früheren Äußerungen von Berliner Agrarpolitikern durfte man annehmen, daß wohl der deutsche Nordwesten, etwa Hanno-
d a ß bei „Rückenbesitzern" dabei etwas Erhebliches und Verständiges (vom agrarpolitischen Standpunkt aus!) herauskomme, ist (generell wenigstens) ausgeschlossen, wie ich schon vor 13 Jahren einmal ausführte. 2 5 6 Nur ganz große G r u n d h e r r e n k ö n n e n Kolonisationspolitik treiben. A n d e r e werden allenfalls H u n g e r b a u e r n abzweigen. |
2 5 6 Weber bezieht sich auf seinen Beitrag zur Enquete des Vereins für Sozialpolitik 1892, Lage der Landarbeiter, MWG I/3.
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ver, das gelobte vorbildliche Land sei. 257 Nun: - die Provinz Hannover ist diejenige Provinz, welche der Fläche nach im ganzen Staat das Minimum von Fideikommissen aufweist: 2,13 Proz. 258 Nimmt man aber vollends an, daß die Ausgleichung der vorhandenen schroffen Kontraste in der preußischen Agrarverfassung der Sinn jener Redewendung sei - worüber sich ja recht wohl reden ließe so muß es geradezu als ungeheuerlich erscheinen, einem Institut im deutschen Osten irgendwelche weitere Ausdehnung zu gestatten, welches ausgesprochenermaßen bezweckt, den Großbetrieb, dessen Überwiegen dort gerade jenen Kontrast gegen den Westen hervorruft, zu stützen. Will man also das Fideikommiß-Institut beibehalten, gleichzeitig aber doch nicht den Parvenüinteressen die sozialpolitischen, und den Interessen der Großgrundbesitzer die populationistischen Interessen, die auf dem Lande, zumal im Osten, wahrzunehmen sind, in allzu starkem Maße opfern, dann wäre etwa zu fordern: 1. Beseitigung aller Fideikommisse außer den Forstfideikommissen; eventuell - wenn man denn durchaus nicht soweit gehen will unter Gestattung der Kombination von 20 Proz. landwirtschaftlich nutzbarer Fläche mit 80 Proz. Forstfläche, - dabei aber 2. Beschränkung der Bindung /am/wirtschaftlich nutzbaren Bodens auf solche Böden, die um - sagen wir: - lU unter dem durchschnittlichen Grundsteuerreinertrag des betreffenden Kreises stehen, und auf Kreise, in denen mindestens 2/3 der wirtschaftlich erwerbstätigen Bevölkerung hauptberuflich in der Landwirtschaft erwerbstätig sind. 3. Netto-Ertragswzm'mam von 30000 Mk. und Flächenminimum von 3000 ha, sofern landwirtschaftlicher Boden mitgebunden werden soll; - Flächenmaximum pro Fideikommiß von 8-10000 ha; 257 Möglicherweise Anspielung auf des Referat Georg Friedrich K n a p p s über „Die ländliche Arbeiterfrage" bei der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik im März 1893 In Berlin. Unter Berufung auf entsprechende Arbeiten Karl Kaergers hatte K n a p p die Situation im Nordwesten Deutschlands außerordentlich positiv beurteilt. Verhandlungen der am 20. und 21. März 1893 in Berlin abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Soclalpolitik über die ländliche Arbeiterfrage und über die Bodenbesitzverteilung und die Sicherung des Kleingrundbesitzes (Schriften des Vereins für Socialpolitik 58). - Leipzig: Duncker & Humblot 1893, S. 6 - 2 3 . 258 Siehe dazu oben, S. 147, Anm. 197. Max Weber lehnt sich mit dieser A n g a b e allerdings vermutlich an Fideikommisse 1895, Tabelle 1, S.3, an, w o n a c h in der Provinz Hannover 2,13 % der Fläche fideikommissarisch g e b u n d e n sind.
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außerdem und vor allem Maximalquote der Bindung landwirtschaftlich nutzbaren Bodens in einem und demselben Kreise von 5 Proz. der landwirtschaftlich genutzten Kreisfläche außer in h Kreisen mit'1 abnorm ungünstiger Durchschnittsbodenqualität: etwa unter V2 des Durchschnittsreinertrags des Regierungsbezirks. Aufhebung aller dem nicht entsprechender Fideikommisse. | 4. Beschränkung der Ausdehnung eines Fideikommisses auf höchstens zwei unmittelbar benachbarte Kreise. 59 ' 5. Beschränkung der Fideikommisse auf Familien, die seit 100 Jahren adlig und seit ebenso langer Zeit, oder doch seit mehr als 2 Generationen im Besitz der größeren Hälfte des betreffenden Grundbesitzes oder - wenn man selbst das nicht will - wenigstens seit diesem Zeitraum im Kreise als Besitzer landwirtschaftlich nutzbaren Bodens von einem erheblichen Umfang ansässig sind. (Ausnahmen etwa zugunsten verdienter Staatsmänner und Feldherrn durch Spezialgeseiz.) 6. Erfordernis der Zustimmung des Landtages. Verbot, dem Landtage - bzw. dem Könige - Fideikommißgesuche vorzulegen, bei denen die vorstehenden Erfordernisse fehlen und bei denen nicht außerdem nach dem Ermessen der Generalkommissionen 259 der Nachweis geliefert ist, daß „gemeinwirtschaftliche" Interessen nicht gefährdet werden. 7. Verbot, selbst oder durch Dritte weiteren Grundbesitz zu erwerben, für den Fideikommißbesitzer.
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59) Denn was soll es für eine Schranke des „Streubesitzes" sein, wenn man den Fidei- A 560 kommissen, wie der Entwurf tut, die Ausdehnung über eine ganze Provinz (!) gestattet. 2 6 0 Das ist auch eine der vielen reinen Attrappen, die der Entwurf enthält. Wie man dabei noch von „Rückenbesitzern" sprechen kann, ist vollends dunkel. Von positiver ökonomischer Bedeutung im Sinne der früheren Ausführungen ist nur ein geschlossenes großes Fideikommißareal. Nur ein solches bindet auch die Familie irgendwie an eine bestimmte Gegend mit ihrem Interesse. |
h A: Kreisen, mit
2 5 9 Die G e n e r a l k o m m i s s i o n e n als preußische B o d e n r e f o r m b e h ö r d e n waren mit der Durchführung der R e n t e n g u t s g e s e t z g e b u n g vom 27. Juni 1890 und 7. Juli 1891 (siehe d a z u oben, S. 99, Anm. 45) betraut. 2 6 0 § 2 d e s Entwurfs 1903, siehe oben, S . 9 7 , Anm. 36.
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8. Beseitigung des Zwanges, eine „wirtschaftliche Einheit", d.h. einen landwirtschaftlichen Großbetrieb aufrecht zu erhalten; Zulassung des Abschlusses auch langjähriger Pachtverträge durch den Besitzer allein. 9. Beseitigung der Beschränkung der zulässigen Abveräuße- 5 rungen auf „kleine und mittlere" Stellen, dagegen Beschränkung auf selbständige, bäuerliche Stellen. 10. 5 Proz. Brutto-Verkehrswert-Stempel (natürlich mit Ausschluß des Erlasses im Gnadenwege!). Eine Fideikommißreform, die nicht, wenn auch etwa in anderer 10 Fassung der Bestimmungen - denn auf die Form und die Einzelheiten kommt es nicht an - , den vorstehenden Bedenken Rechnung trägt, wäre lediglich eine erneute Kapitulation des Staatsinteresses vor dem Agrarkapitalismus, die Hunderttausende von Hektaren deutschen Bodens dem verächtlichen Streben nach Adelsprädika- 15 A 561 ten | oder einer adelsartigen Position opfert. Allein es liegt im Zuge der heute in Preußen führenden Staatsweisheit, den bürgerlichen Geldbeutel mit dem minimalen politischen Einfluß des Bürgertums durch Gewährung einer Art von „Hoffähigkeit zweiter Klasse" 261 zu versöhnen, und in den dafür empfänglichen Kreisen wäre nichts 20 unpopulärer, als wenn der „Nobilitierung" von Kapitalien, die im Handel, in der Industrie, an der Börse erworben sind, durch deren Metamorphose in die Form des Ritterguts Schwierigkeiten gemacht würden. Wie wenig Chancen daher heute solche Vorschläge, wie sie vor- 25 stehend gemacht werden, oder ähnliche, haben, weiß ich natürlich nur zu wohl. Den Urhebern des Entwurfes liegt ja in Wahrheit nichts ferner, als die agrarpolitische Fürsorge für eine - unter welchem Gesichtspunkt immer - „gesunde" soziale Verfassung des platten Landes. Eingestandenermaßen entscheiden hier (vermeint- 30 liehe) politische Tagesinteressen. Da die Motive selbst solche in den Vordergrund stellen und die Freunde des Entwurfes erst recht, so kann leider auch hier nicht vermieden werden, auch auf diese Seite der Sache noch etwas einzugehen.
2 6 1 Der Begriff meint einen ständisch gestuften A n s p r u c h auf Z u g a n g zur U m g e b u n g des regierenden Fürsten. Das preußische Hof-Rang-Reglement von 1878 etwa kannte 62 Ränge. Die obersten Ränge waren grundsätzlich Mitgliedern der Hocharistokratie vorbehalten.
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Vorher nur noch eine Bemerkung. Die Freunde des Fideikommißinstituts - wie namentlich Sering beruhigen sich gern mit der Betrachtung, daß der Entwurf ja doch trotz allem eine Erschwerung der Fideikommißerrichtung, nament5 lieh immerhin eine Erhöhung der Minimalanforderungen in finanzieller Hinsicht, bedeute. 262 Demgegenüber sei zunächst erneut mit allem Nachdruck betont, daß der entscheidende Punkt in dieser Hinsicht die Frage des Stempels ist. An seine Erhöhung ist leider kaum zu denken, man muß vielmehr fürchten, daß er nicht einmal in sei10 ner jetzigen Höhe erhalten bleibt. Wird er aber herabgesetzt, so gibt das eine Anreizung zur Fideikommißbildung, der gegenüber alles andere, was der Entwurf verlangt, Nebensache ist. Die Mitglieder des Herrenhauses müssen in diesem Punkt doch wohl sachverständig sein: 263 nichts als die Stempelfrage hat sie interessiert. Dazu 15 kommt nun aber, daß die Hereinziehung der persönlichen Entschließung des Königs die Eitelkeit fideikommißfähiger Familien aufs äußerste kitzeln muß. Der Gedanke, daß die allerhöchste Person sich mit den Verhältnissen und der „Würdigkeit" der eigenen Familie ganz speziell befaßt, sie in Ordnung befunden und danach an dem 20 Stiftungsakt des Familienhauptes sich gutheißend beteiligt habe, muß ein wohltuendes Empfinden für jedes „königstreue" Herz bedeuten, - ein Empfinden, | welches eben in vermehrter Fideikom- A 562 mißbildung zum Ausdruck kommen wird. Man vergleiche nur, wie oben geschehen, 264 Hannover, wo keine königliche Genehmigung 25 erfordert wird und die finanziellen Anforderungen die geringsten sind, mit Schlesien. Und endlich sind wir denn doch wohl berechtigt, den Entwurf unter dem Gesichtspunkt zu betrachten: daß er eine geeignete Grundlage für eine dauernd gültige Fideikommißreform darstellen soll und will, und ihn darnach, nicht aber durch Verglei30 chung mit dem Gegenwartszustand, zu kritisieren.
2 6 2 Siehe dazu oben, S. 160, Anm. 244. 2 6 3 Anläßlich der Erneuerung des Stempelsteuergesetzes im Jahre 1895 drehten sich die Beratungen in der XI. Kommission des Herrenhauses, der viele Großgrundbesitzer angehörten, vornehmlich um die Tarifposition 24, in der es um die Höhe des Stempelsatzes für Fideikommißstiftungen ging. Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 83, sowie Sten.Ber.pr.HH, Sess.1895, Band 1, S. 335ff.; zur Zusammensetzung der XI. Kommission siehe ebd., Band 2, S. 20b. 2 6 4 Oben, S.95f.
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III. Die Motive (S. 13) führen aus, es komme darauf an, „Familien zu erhalten, die dem Staat eine Gewähr dafür bieten, daß sich jederzeit Kräfte finden, die geeignet und bereit sind, die immer steigenden Anforderungen freiwilliger Beschäftigung auf politischem und sozialem Gebiet in staatserhaltendem Sinne zu erfüllen". 265 An einer anderen Stelle (S. 49) wird auf die „Anforderungen des öffentlichen Lebens in Gemeinde, Kreis, Provinz und Staat" angespielt. 266 Was heißt das nun? In der Gemeinde ist der Fideikommißbesitzer bekanntlich nicht tätig, - er bildet seinen „Gutsbezirk" für sich, überläßt, wie der Großgrundbesitz überhaupt, den Bauern zum guten Teil die Erziehung seiner Arbeitskräfte in der Volksschule und möglichst auch deren Unterhalt im Falle der Verarmung, und wenn sich z.B. einmal die Bauern über die schweren Mißstände, welche die ausländischen Saisonarbeiter des Ritterguts für sie mit sich bringen, beklagen, so erklärt der Vertreter des Landwirtschaftsministers im Herrenhause, daß die „Interessen der Gemeinden (lies: der Bauern) hinter den Interessen der Landwirtschaft (lies: des Großgrundbesitzes) zurückstehen müßten." 267 Die Gemeinde hat also wohl auszuscheiden. Sind nun etwa für die Verwaltung der Kreise und Provinzen nicht mehr die nötigen Kräfte zu finden? Das müßte ja in dem großgrundbesitzlosen Westen des Staates verhängnisvoll hervorgetreten sein, Nachweisungen oder selbst Andeutungen darüber fehlen aber und würden auch schwer zu beschaffen sein. Oder sollte es gar an Referendaren mangeln? oder etwa an Kandidaten für die Wahlen? - Oder endlich - was das einzig ernst zu nehmende wäre an Nachwuchs für das Offizierkorps? Auch hierfür fehlt jeder Anfang eines Nachweises. Die oben von mir gesperrten Worte 268 sind
265 In der B e g r ü n d u n g 1903, S. 13, heißt es „Bethätigung" statt „Beschäftigung". Die Hervorhebung im Zitat stammt von Max Weber. 266 In der B e g r ü n d u n g 1903, S. 49, heißt es, daß nur ein Großgrundbesitzer mit einem jährlichen Mindesteinkommen von 10.000 Mark in den Stand versetzt sei, „den an ihn herantretenden sozialen und politischen Anforderungen im öffentlichen Leben von Gemeinde, Kreis, Provinz und Staat zu entsprechen." 267 Dieser Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 268 Gemeint ist die o b e n kursiv w i e d e r g e g e b e n e Sequenz „in staatserhaltendem Sinne".
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eben wohl die allein aufrichtig gemeinten: es handelt sich um einen Versuch der Sicherung agrarischer und | konservativer Partei- A563 Herrschaft innerhalb der Lokalverbände und des Beamtentums und um sonst gar nichts. Das allein bedeuten auch die „hohen ErWartungen", denen gerecht zu werden „der Großgrundbesitzerstand besonders berufen" erscheint - 2 6 9 eine Bemerkung übrigens, die vor 2 Jahrzehnten lediglich als eine Dreistigkeit gewirkt hätte und in einem anderen deutschen Staat (Mecklenburg und Sachsen etwa ausgenommen) auch heute nicht, ohne den schärfsten WiderSpruch zu finden, gewagt werden könnte. Sehen wir nun, wie sich diese in ihrer Durchsichtigkeit immerhin verständlichen Ziele in den Köpfen der agrarpolitischen Romantiker idealisieren. - Sering singt zunächst das Loblied dessen, der „durch gebundenen Besitz auf alle Zeiten für sich und seine Familie eine Heimat gefunden" habe.270 Das Heimatsgefühl der 1000 Fideikommißbesitzer ist aber teuer erkauft. Denn wie steht es dabei mit dem Heimatsgefühl der übrigen Bevölkerungsschichten? Auf dem Grund und Boden des Fideikommisses werden neben Proletariern nur Pächter hausen, und soweit das1 Fideikommiß seinen Zweck, den Großbetrieb künstlich zu erhalten, erreicht, konserviert es auch alle Folgen, die der Großbetrieb für das Heimatsgefühl der ländlichen Bevölkerung hat. Welches diese sind, ergibt jede Nebeneinanderstellung der Durchschnittsgrößen der landwirtschaftlichen Betriebe in vergleichbaren Gebieten mit der Quote der Landbevölkerung, die in dem Kreise, in dem sie gezählt wurde, geboren war. Der Grad, in dem die ländliche Bevölkerung sich aus Leuten rekrutiert, denen die Stätte der Arbeit als ihre Heimat gelten kann, ist ceteris paribus Funktion des Grades, in dem dieselbe am Boden-
i A: des
2 6 9 Begründung 1903, S. 13. 2 7 0 Bei Sering, Bemerkungen, S. 66, heißt es: „Wer durch gebundenen Besitz auf alle Zeiten für sich und seine Familie eine Heimat gewonnen hat, wird unter sonst gleichen Verhältnissen eher als der Besitzer ad interim des Landes und seiner Bevölkerung dauernde Interessen in gemeinnütziger Weise zu fördern bereit und fähig sein."
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besitz bzw. am selbständigen Landwirtschaftsbetrieb beteiligt ist.60) A 564 Jedes | Institut, welches durch künstliche Stützung des Großbesitzes und -Betriebes und seiner Erweiterung die Anteilnahme am Boden erschwert, gräbt dem Heimatsgefühl der Landbevölkerung die Wurzel ab. A 563
6(l) Ein eingehender Nachweis läßt sich natürlich nur an der H a n d der Zahlen für die einzelnen Kreise führen, worauf hier verzichtet werden muß. Es ist in dieser Hinsicht vorläufig auf einige in den von mir herausgegebenen A r b e i t e n über die Landarbeiterverhältnisse ( E n q u e t e des Ev[angelisch]-Soz[ialen] Kongresses) 2 7 1 gegebene k Z a h l e n zu verweisen. Einige A n g a b e n mögen ihnen immerhin beigefügt werden.
Es k a m e n z.B. 1885: im Reg.-Bez. Minden Osnabrück „ Hannover „ Münster A 564
auf 1 landwirtschaftlichen Betrieb ha landw[irtschaftliehe] Fläche 3,8 4,1 4,6 5,2
auf 100 Ortsanwesende auf d e m Lande Kreisgebürtige 90,7 89,1 81,9 81,8
Also: je größer der Durchschnitt der Betriebe desto ortsfremder die Bevölkerung. Diese 4 Regierungsbezirke sind ihrer untereinander nicht grundsätzlich abjweichenden Agrarverfassung wegen gewählt. Die einzelnen agrarischen Kreise der Rheinprovinz mit noch kleinerer Durchschnittsbetriebsfläche bewegen sich in noch wesentlich höheren Zahlen, hie und da bis dicht an 100 Proz. Von den rheinischen Regierungsbezirken mit stärker agrarischem Charakter hat z. B. Koblenz mit 2,7 ha Durchschnittsfläche 88,7, Trier mit 3,3 ha1 Durchschnittsfläche 86,6 Proz. Kreisgebürtige. In den G e g e n d e n kapitalistischen Landwirtschaftsbetriebs stellt sich die Sache in einigen Beispielen folgendermaßen: Es betrugen 1885 die Kreisgebürtigen in Proz. in den: im Reg.-Bez. E r f u r t Magdeburg Merseburg Liegnitz Breslau Oppeln
Dörfern 89,4 81,0 62,4 79,6 78,3 85,5
Gütern 59,8 65,7 52,9 55,8 60,7 63,0
In Schlesien ist die Heimatsquote der Polen die größte. Die Oppelner Stellenbesitzer sind ähnlich seßhaft wie die E r f u r t e r Kleinbauern und die westdeutsche Bauernschaft. Dagegen stehen die G ü t e r nicht nur überall tief unter den D ö r f e r n , sondern auch tief unter den industriellen Landbezirken des Westens mit starkem Kleinbesitz: - es h a b e n Düsseldorf 75,2 Proz., Arnsberg 72,4 Proz., Köln 85,0 Proz., A a c h e n 88,8 Proz. Kreisgebürtige - und ebenfalls unter d e m Durchschnitt der meisten mittleren Industriestädte,
k A: gegebenen
I A: Proz.
271 Zu den Ergebnissen der Enquete des Evangelisch-sozialen Kongresses siehe oben, S. 143, Anm. 181.
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Die Fideikommisse, so meint nun Sering weiter, sollen „Pflegestätten einer edlen Lebensführung" sein, indem sie „die Tugenden der Voreltern gewissermaßen verdinglichen". 272 Gesetzt, daß hinter diesem Satze irgend erhebliche Realitäten des Lebens steckten 5 was dahingestellt bleiben mag - , so müßten die Fideikommisse eben auf altpreußische „historische" Geschlechter und daneben etwa | auf Nachfahren unserer größten Staatsmänner und Feldherren be- A 565 schränkt bleiben.61) Sering selbst macht - freilich wenig glücklich formuliert62) - einige Bedenken gegen das Parvenü-Fideikommiß sowie - wenn man die Zuwanderungsquote in A n r e c h n u n g bringt, - selbst der Großstädte wie z. B. Berlins. D e r landwirtschaftliche Kapitalismus steht in bezug auf Bevölkerungsmobilisierung allen anderen voran. A b e r auch im „patriarchalischen" Nordosten ist die Erscheinung überall dieselbe. Die Z a h l e n waren z. B. Dörfer Güter im Reg.-Bez. Stettin 82,5 Proz. 68,8 Proz. 1 Kreis72,8 „ } gebürtige Köslin 84,9 „ und so fort. | 611 Niemand, der historisch empfindet, wird sich d e m Gefühlswert einer „Verdingli- A 565 chung" solcher Reminiszenzen verschließen, obwohl ich gerade hier um Beispiele für den Satz, d a ß der A p f e l unter U m s t ä n d e n oder vielmehr auffallend oft sehr weit vom Stamme fällt, nicht verlegen wäre und obwohl es mir - wie wohl den meisten - nicht fraglich ist, d a ß z. B. heute unsere tüchtigsten Offiziere, soweit sie ü b e r h a u p t dem A d e l entstammen, aus d e m Nachwuchs der oft sehr bescheiden bemittelten alten preußischen Offiziersfamilien, nicht aber der reichen Fideikommißherren, noch weniger freilich aus den Parvenü-Fideikommißbesitzern hervorgehen. 62) D e n n was soll es heißen, wenn Sering (S. 68) meint, der Besitzer solle Gelegenheit gehabt haben, sich „als guter A r b e i t g e b e r " auszuweisen? 2 7 3 Soll etwa ein Plebiszit der Instleute oder Saisonarbeiter veranstaltet werden?" 1 Derartige rein dekorative Ä u ß e r u n gen f o r d e r n doch den Spott heraus. - S[ering] weiß übrigens so gut wie ich oder konnte es erfahren, daß z. B. die Polenimportkonzessionen in den 90er Jahren - 2 7 A von den letzten 5 - 6 Jahren weiß ich nichts - auch gegen das Votum der D e z e r n e n t e n an notorisch
m A: werden.
2 7 2 Bei Sering, Bemerkungen, S.66, heißt es: „Die gefestigten Familiengüter haben die Bestimmung, Pflegestätten einer edeln Lebensführung zu sein, die Tugenden der Voreltern gleichsam zu verdinglichen und von einer Generation auf die andere zu übertragen." 2 7 3 Sering, Bemerkungen, S.68, will nur denjenigen zur Fideikommißgründung zulassen, der „durch längere Besitzdauer Gelegenheit gehabt habe, sich als ehrenwerter Mensch, als tüchtiger Landwirt und guter Arbeitgeber zu betätigen." 2 7 4 Nachdem auf Drängen der Großgrundbesitzer das Einwanderungsverbot für polnische Arbeiter Ende 1890 zunächst nur für die vier preußischen Grenzprovinzen aufgehoben worden war, galt diese Regelung seit April 1891 für das gesamte preußische Staatsgebiet. Vgl. dazu Nichtweiß, Saisonarbeiter, S. 43f.
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geltend, 275 und es entspricht durchaus meiner Ansicht, wenn er mit energischen Worten eine gewisse Besitzdauer als Vorbedingung zur fideikommissarischen Bindung festgelegt haben möchte, 276 in der Tat die einzig mögliche Schranke gegen das Überhandnehmen des Zusammenkaufs von Boden ad hoc zum Zweck der Fideikommiß- 5 bildung und späteren Erlangung des Briefadels. Aber freilich: 10 (!) Jahre als eine solche Frist vorschlagen heißt auch hier wieder „den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen". Denn ze/mjähriger Bodensitzn steht tief unter der heutigen durchschnittlichen Besitzzeit der von Sering an den Pranger gestellten „Besitzer ad interim" 63 ) 277 und 10 selbst unter der üblichen Pachtfrist. Will man nicht bis auf 100 Jahre gehen, so müßte doch mindestens Besitz seit mehr als zwei GeneraA 566 tionen erfordert werden. Will man aber jenen | Anreiz nicht vermindern, dann ist es schon aufrichtiger, von derartigen ostensiblen und dekorativen Bestimmungen abzusehen. 15 Aber Serings Schätzung der gewaltigen Bedeutung des Fideikommißinstitutes erreicht ihren Höhepunkt erst in den nun folgen„schlechte" A r b e i t g e b e r g e g e b e n w u r d e n , w e n n e s sich u m L e u t e h a n d e l t e , d i e ü b e r p a r l a m e n t a r i s c h e P a t r o n a g e o d e r g e s e l l s c h a f t l i c h e n E i n f l u ß v e r f ü g t e n . - W i r h a b e n alle S c h ä den des Parlamentarismus o h n e dessen Lichtseiten. - U n d was die „nationale G e s i n n u n g " i m O s t e n b e t r i f f t , v o n d e r S [ e r i n g ] a u c h s p r i c h t (S. 67), 2 7 8 s o s i n d g e r a d e d i e F i d e i k o m m i ß g ü t e r in d e r P r o v i n z P o s e n , w i e W e g e n e r in s e i n e r S c h r i f t ü b e r d e n „ W i r t s c h a f t l i c h e n Kampf der D e u t s c h e n mit d e n Polen" nachweist,279 mit der Polonisierung ihrer Arbeiterschaft an der Spitze marschiert. 63) V g l . d e n f r ü h e r z i t i e r t e n A u f s a t z K u h n e r t s in d e r Z e i t s c h r i f t ] d [ e s ] P r e u ß i s c h e n ] S t a t i s t i s c h e n ] B [ u r e a u s ] f [ ü r ] 19O2. 2 0 0 |
n A: B o d e n s i t z e r
2 7 5 Bei Sering, B e m e r k u n g e n , S, 67, heißt es: „Große V e r m ö g e n a b e r werden heutzutage nicht selten durch Zufall, g l ü c k l i c h e Spekulationen und durch eine Virtuosität d e s Erwerbs gewonnen, w e l c h e in keiner Weise die vom Fideikommißbesitzer erwarteten E i g e n s c h a f ten gewährleistet. Es kann der nationalen Entwicklung nicht dienlich sein, w e n n man Leuten, die vielleicht durch anrüchige G e s c h ä f t e ihr Vermögen erworben haben, die G e l e g e n heit gibt, ihrer N a c h k o m m e n s c h a f t eine b e s o n d e r s gesicherte Stellung zu erkaufen." 2 7 6 Sering, B e m e r k u n g e n , S. 68; oben, S. 160, Anm. 245 zitiert. 2 7 7 Siehe d a z u oben, A n m . 270. 2 7 8 Eine wichtige V o r b e d i n g u n g für die G e n e h m i g u n g zur Errichtung eines Fideikommiß sieht Sering, B e m e r k u n g e n , S. 67, in der „nationalen G e s i n n u n g " der Aspiranten, d a eine s o l c h e „in d e n umstrittenen G e b i e t e n d e s O s t e n s von besonderer Wichtigkeit" sei. 2 7 9 Wegener, Der wirtschaftliche Kampf. D i e s e H e i d e l b e r g e r Dissertation war von M a x W e b e r angeregt worden. 2 8 0 Kühnert, B e s i t z w e c h s e l .
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den Sätzen: „Kurz, die ratio der Fideikommisse liegt in dem sittlich (!) politischen Wert aristokratischer Überlieferung und Gesinnung. In letzter Linie ist die Fideikommißgesetzgebung ... ein Problem der nationalen Charakterbildung."281 Ungern nimmt man in einer Zeitschrift wissenschaftlichen Charakters von solch vagen Bemerkungen, die sich jeder wissenschaftlichen Diskussion entziehen, Notiz, - aber schließlich ist es nicht zu vermeiden, auch sie auf ihren Gehalt hin zu prüfen. Es hat nun zunächst die Meinung etwas Groteskes, dadurch, daß man, sagen wir: 2000 (zum guten Teil voraussichtlich sehr neugebackene) Grundbesitzer rücklings an je einige hundert oder tausend Hektar deutsche Erde festklebt, ihnen aristokratische Gesinnung und ihren Kindern aristokratische Traditionen einzuflößen und durch diese 2000 Familien wiederum den „Charakter" der Nation mit dieser Gesinnung zu durchtränken. Kann man etwa behaupten, die Bauern des Ostens - von den Landarbeitern zu schweigen - seien in irgend einem Sinne „Höhenmenschen"? 0 Doch wohl eher das Gegenteil, verglichen mit anderen Gebieten. Wenn irgendwo, dann ist ein, hier nicht weiter zu analysierendes, Etwas von einer solchen Art Bauernstolz, wie ihn die agrarpolitisehen Romantiker lieben - und wer empfände in diesem Punkte nicht mit ihnen? -[,] in dem früher auch von ihnen mit so viel Liebe in den Vordergrund gestellten deutschen Nordwesten, also Hannover und Teilen von Westfalen, zu Hause. Nun umfassen aber gerade hier die Fideikommisse einen so kleinen Bruchteil der Fläche wie sonst nirgends im preußischen Staate.64* Und ist es denn so wunderbar, daß sich ein ähnlicher Bauernstolz im Osten - generell gesprochen - nicht resp. so sehr viel weniger findet? Wo die mittleren und 641 Andererseits gibt es dort eine - ihrer verschwindend kleinen Fläche wegen sozialpo- A 566 litisch gänzlich belanglose - Anzahl wahrer Karikaturen" 3 von Fideikommissen; so im Regierungsbezirk Hildesheim ein Fideikommiß von 1 ha, 2 8 2 anderwärts einige Dutzend Bauernfideikommisse von 2 0 - 6 0 ha. Daher die relativ große Zahl an Fideikommissen in der Provinz (119) trotz gänzlichen Zurücktretens ihrer Bedeutung, j
O A: „Höhenmenschen?"
p A: Karrikaturen
2 8 1 Sering, B e m e r k u n g e n , S . 6 6 . Die A u s l a s s u n g s z e i c h e n und die H e r v o r h e b u n g stammen von M a x Weber. 2 8 2 A n s p i e l u n g auf d e n Kreis Zellerfeld, in d e m s i c h ein Fideikommiß von 1,3 ha Größe befand. Kühnert, F i d e i k o m m i s s e 1899, Tabelle 1, S. 9.
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größeren Bauern nicht nur in allen Selbstverwaltungskörpern - außer dem Dorf, dem der Gutsherr vornehm fernbleibt - die Hand des A 567 Herrn über sich fühlen, | wo den dicht gedrängt sitzenden kleinen Leuten der Dörfer die breiten Flächen der Güter, durch eine staffellose Lücke in der sozialen Stufenleiter geschieden, gegenüberstehen, - und wir sahen, 283 daß, wie es ja auch selbstverständlich ist, die Fideikommisse diesen Zustand fördern,- da könnte doch wohl auch nach Serings Ansicht nur ein Schwätzer von einer „aristokratischen Gesinnung" reden, welche den Bauern jetzt innewohnte oder künftig, womöglich infolge der Zunahme der Fideikommisse, innewohnen werde. Soziales und ökonomisches Gedrücktheits- und Abhängigkeitsgefühl ist die einem solchen Zustand adäquate, keineswegs immer klar bewußte, aber auf die Dauer immer wieder wirksam werdende Empfindung, - wobei man sich sehr wohl vor der Illusion hüten möge, daß dies Gefühl etwa normalerweise und dauernd in politischer Oböifenzleistung sich äußern werde, - im Gegenteil! - Oder ist etwa der königlich sächsische „Volkscharakter" in Stadt und Land durch die Geschlossenheit der Rittergüter zu einem Vorbild deutschen Unabhängigkeitssinnes oder gar irgendwelcher heroischer Tugenden entwickelt worden? Oder ist Sachsen ein Vorbild von „Staatsgesinnung" der Massen? - Folglich kann es sich in der Tat nur um die „aristokratische Gesinnung" der Fideikommißbesitzer selbst und etwa ihrer Angehörigen handeln. Verweilen wir - so trivial solche Erörterungen notwendig ausfallen müssen - dennoch etwas bei diesem Punkt, da in Serings Bemerkungen sich ja nur wiederspiegelt, q was sehr viele andere, und zwar ziemlich ebenso unklar wie er, empfinden, bei der Frage also: was wird hier unter dem Wort „aristokratische Gesinnung" an Realitäten des Lebens eigentlich vorgestellt? Zunächst jedenfalls nicht ein besonders hoher Standard geschäftlich loyaler und reeller Gesinnung. Den Tanz um das goldene Kalb in den Gründerjahren haben diejenigen Schichten, welche das Hauptkontingenf der Fideikommißbesitzer stellen, in Preußen und Österreich weit stärker mitgemacht, als irgendeine andere Volksq Schreibweise um 1900 möglich.
2 8 3 Unten, S. 112.
r A: H a u p t k o n t i g e n t
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klasse. Jeder Geschäftsmann, der mit den östlichen Gutsbesitzern etwa als Getreidehändler - dauernd zu schaffen hatte, kann Sering die Nachweise dafür liefern, wie unendlich schwer es war und wenigstens zum Teil bis heute ist, diese Herren zur Reellität im bürger5 liehen Sinne zu erziehen. Nicht deshalb[,j weil sie schlechtere Menschen wären, sondern weil das, was Sering in seiner Art „vornehme Berufsauffassung" nennt, - 2 8 4 eine gewisse | Nichtachtung strenger A 568 und nüchterner bürgerlicher Rechtlichkeit 65 ' - nun einmal in der Luft liegt, in der sie leben. Ich persönlich habe zufällig in ziemlich 10 ausgedehntem 3 Maße Gelegenheit gehabt, in der gerichtlichen und namentlich der hierin weit lehrreicheren Anwaltspraxis 285 mit 65 > Seine Meinung über das Wesen des Handels schöpft der in ostelbischen Eindrücken A 568 aufwachsende junge aktive oder Reserveoffizier zum nicht geringen Teil aus den Erfahrungen mit Vieh- und Roß-„Täuschern" oder, wenn er Kavallerist ist, aus den Erfahrungen beim Pferdekaufen „unter Kameraden". Daß bei diesem letzteren, unbeschadet aller sonstigen gesellschaftlichen Qualitäten der Beteiligten, der Satz „caveat emptor" 2 8 6 in des Wortes verwegenster' Bedeutung gilt, ist bekannt und eine kulturgeschichtlich leicht zu rubrizierende Erscheinung. Fürst Bismarck hat, wie bekannt, seine Vorstellung von dem Wesen der Handelspolitik nach Analogie solcher Eindrücke gebildet. 287 Diese Nonchalance tritt auch außerhalb des rein wirtschaftlichen Verkehrs überall in die Erscheinung. Jedermann weiß - wenn er es wissen will - , daß Personen, die nach ihren ökonomischen Antezedenzien von jeder Börse mit Protest ausgeschlossen würden, es in den agrarischen Organisationen - so, wie sie heute in Preußen sind - zu Ehren- und Vertrauensstellungen bringen, ja auch in das Herrenhaus einziehen können. Der Agrarkapitalismus auf dem Boden alter Kulturländer ist eben unter den heutigen Verhältnissen dazu verurteilt, eine Mischung „seigneurialer" Prätensionen mit „bourgeois"mäßigem Trieb zum Golde zu
s A: ausgedehnten
t A: verwegendster
284 Sering, Bemerkungen, S. 67, fordert, Fideikommisse nur zuzulassen, „wo gewisse Bürgschaften für eine vornehme Berufsauffassung" der Aspiranten g e g e b e n seien. 285 Zu Webers Erfahrungen als Anwalt siehe oben, S. 102, Anm. 66. 286 Wörtlich: „Der Käufer m ö g e auf der Hut sein". Diese lateinische Rechtsregel besagt, daß der Käufer - sofern nicht eine arglistige Täuschung seitens des Verkäufers vorliegt aus einem Mangel an der Kaufsache keine A n s p r ü c h e g e g e n den Verkäufer geltend machen kann. 287 Bismarck, von 1880 bis 1890 auch preußischer Handelsminister, hatte schon in frühen Jahren polltische Verhandlungen gerne mit der Situation beim Pferdehandel verglichen. Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Gesammtausgabe, hg. von Horst Kohl, Band 1. - Stuttgart: J. G. Cotta 1892, S.271. In einer Reichstagsrede v o m 2. Mal 1879 meinte er etwa, daß man sich bei Handelsverträgen stets die Frage stellen müsse: „qui trompe-t-on ici? Wer wird übervortheilt?" In der Regel sei es einer der beiden Vertragspartner, „und man kommt erst nach einer Anzahl von Jahren dahinter, wer es eigentlich Ist." Ebd., Band 8, S. 28f.
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Fideikommißbesitzern zu tun zu haben, darunter Namen, deren Klang jedem Kenner der preußischen Geschichte das Herz im Leibe lachen macht. Es wäre gewiß höchst verwerflich, die zum Teil kaum glaublichen Erfahrungen, die ich wie wohl recht viele, die in gleicher Lage waren, dabei in immerhin auffallender Häufigkeit zu 5 machen hatte, in irgend einem Sinn zu generalisieren: damit geschähe vielen Hunderten höchst ehrenhafter Familien ganz ebenso bitteres Unrecht, wie esu den Bankiers und Börsenhändlern mit dem so beliebten Hinweis auf die - im Gegensatz zu jenen agrarischen Fäulnisprozessen - im vollen Licht der Öffentlichkeit katastrophen- 10 artig sich abspielenden Bankbrüche zu geschehen pflegt. Aber eins steht, für mich wenigstens, fest: könnte man diese Dinge überhaupt ziffernmäßig schätzen und von „Durchschnitten" reden, so könnte jedenfalls von einem höheren Geschäftsstandard gerade der Fideikommißbesitzer etwa gegenüber der vielgeschmähten „Börse" in 15 keinem wie immer gedachten Sinn auch nur im allerentferntesten die Rede sein.66) I sein. Und in unserer Zeit der „mittleren Linie" 288 findet dies seinen durchaus adäquaten Ausdruck in einer Fideikommißgesetzgebung, welche diesen beiden Trieben gerecht zu werden trachtet. 66) A 569 Es mag überflüssig oder selbst kleinlich erscheinen, dies so ausführlich zu | erwähnen. Allein wie sich die agrarische Welt in den Köpfen der Romantiker malt, dafür statt vieler nur ein ergötzliches Beispiel: Der Entwurf bestimmt, in Anwendung bekannter Grundsätze unseres bürgerlichen Rechts, in § 49: „Hat der Fideikommißbesitzer dem anderen Teile gegenüber der Wahrheit zuwider die Genehmigung des Familienrats behauptet, so ist der andere Teil ... zum Widerruf berechtigt." 289 Dazu bemerkt entrüstet Herr Dr. Wygodzinski (a. a. O. S. 60): „Den stärksten Ausdruck findet das Mißtrauen, mit dem der Entwurf augenscheinlich (!) den Fideikommißbesitzer betrachtet, in §49, wo ausdrücklich (!) der Fall vorgesehen ist, daß der Fideikommißbesitzer lügt." - 2 9 0 Dann wäre es doch wohl an der Zeit, dem Reichsstrafgesetzbuch, welches allen Reichsangehörigen
u Fehlt in A; es sinngemäß ergänzt.
2 8 8 Unter „mittlerer Linie" ist eine In der damaligen Gelehrtenschaft weitverbreitete, von Max Weber jedoch stets kritisierte Methode zu verstehen, „durch Synthese von mehreren oder auf der Diagonale zwischen mehreren Parteiansichten praktische Normen von wissenschaftlicher Gültigkeit" zu finden. Weber, Max, Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: AfSS, Band 19, 1904, S . 2 2 - 8 7 , hier S.30 (MWG I/7). 2 8 9 Die Auslassungszeichen im Zitat stammen von Max Weber. 2 9 0 Wygodzinski, Entwurf, S.60. Die Ausrufezeichen im Zitat sind von Max Weber eingefügt.
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Etwas anderes ist es, wenn man die ökonomische Unabhängigkeit A 569 der Fideikommißbesitzer als ein Element von politischem Wert anspricht. Man kann unter den verschiedensten Gesichtspunkten die Teilnahme ökonomisch unabhängiger Persönlichkeiten am politi5 sehen Parteileben - die sozialdemokratische Partei wäre dabei nicht ausgenommen, vielmehr ein hervorragendes Beispiel - 2 9 1 als außerordentlich bedeutsam für die Aufrechterhaltung politischer Überzeugungen gegenüber dem reinen Fraktions-Opportunismus ansehen. Daß gerade der Fideikommißbesitz in diesem Zusammenhang 10 erheblich mitspiele, ist freilich sehr zu bezweifeln, da in der konservativen Partei, der dies heute vornehmlich zugute käme, gerade er sich den gesellschaftlichen Einflüssen des Hofes am wenigsten entzieht. Er würde eventuell eher in der staatlichen und militärischen Karriere wirksam werden können. Um nun die Dinge etwas kon15 kreter zu erörtern, so ist z. B. für jeden, der die betreffenden Verhältnisse näher kennt - möchten auch seine Überzeugungen noch so „waschecht" demokratische sein -[,] es keinem Zweifel unterworfen, daß ein pekuniär unabhängiger, vermögender Beamter oder Offizier seine großen Lichtseiten namentlich vom Standpunkt der 20 ihm Untergebenen aus, also als Vorgesetzter, hat. Jeder, der weiß, was ein „nervöser" und opportunistischer Oberst für ein Offizierkorps bedeutet, der etwa Gelegenheit hatte zu sehen, wie außerordentlich diese seit 1888292 epidemische „Nervosität" und Ängstlichkeit bei sonst gleichen Charakterqualitäten naturgemäß durch Ver25 mögenslosigkeit gesteigert wird, muß dies zugeben. Aber auch vom Standpunkt der sachlichen Interessen liegt die Sache | vielfach ähn- A 570 lieh: selbst in der Tätigkeit etwa von Fabrikinspektoren ist rücksichtslose Unabhängigkeit billiger für den vermögenden Mann. Nur ist wenigstens mir wiederum nichts davon bekannt, daß gerade das 30 Fideikommiß hier eine nennenswerte Rolle spielte: die prosaischen ohne alle Standesunterschiede mehrere hundert zum Teil höchst abscheuliche Straftaten zutraut, im Einführungsgesetz einen Artikel vorauszuschicken etwa des Inhalts: „Fideikommißbesitzer und andere Personen .aristokratischer Gesinnung' bleiben von den nachstehenden Vorschriften unberührt."
291 Vermutlich Anspielung auf den sozialdemokratischen Politiker Paul Singer, der sein beträchtliches Privatvermögen zur Förderung der Ziele der Sozialdemokratie einsetzte. 292 Hinweis auf die Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. am 15. Juni 1888.
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Konsols 293 taten es, soweit ich sehen konnte, auch, in gewissem Sinn sogar noch besser. Und vor allem: damit das Fideikommiß diese Rolle spielte, müßten eben die Fideikommißbesitzer selbst in das Heer oder die höhere Beamtenschaft eintreten, könnten also unmöglich die Rolle von „Rückenbesitzern" spielen wollen, müßten namentlich auch wirklich „sturmfreie" ganz große Besitzer sein, die 12000 Mk. Gehalt leicht verschmerzen können. - Es kämen sonst ja nur die Seitenverwandten der Fideikommißbesitzer in Betracht, und mit ihnen dürfte die Sache wohl so liegen, daß nicht sowohl der Staat auf sie, als sie auf den Staat angewiesen sind und schwer ersichtlich ist, woher bei ihnen ein spezifisches Unabhängigkeitsgefühl kommen sollte. Daß es zahlreiche Gesichtspunkte gibt, unter denen die Rekrutierung des Beamtentums aus einem Nachwuchs, der nicht ausschließlich oder auch nur sehr stark vorwiegend in städtischer Luft aufgewachsen ist, erwünscht erscheinen kann, ist (m.E.) gänzlich unbestreitbar. Aber es wäre wiederum geradezu grotesk, heute eine Gefahr zu sehen, daß in irgendwelchen noch so großen Zeiträumen jener Zustand eintreten könnte. Der gegenteilige Zustand - eine Beamtenschaft, die den breiten Schichten der modernen bürgerlichen und Arbeiterklassen kenntnis- und verständnislos und mit nichts als einer unklar empfundenen agrarisch gefärbten Antipathie gegenübersteht - ist doch wohl sehr viel näher daran verwirklicht zu werden. Daß die Angehörigen von Fideikommißbesitzern sich je durch Entwicklung besonderer Charakterqualitäten ausgezeichnet hätten, ist mir unbekannt. Urteile mit dem Anspruch auf generelle Geltung wären hier ungerecht gegen die zweifellos zahlreichen vortrefflichen einzelnen Persönlichkeiten dieser Art, aber unter sonst gleichen Verhältnissen ist es an sich wahrscheinlich und stimmt, soviel mir bekannt, mit zahlreichen Erfahrungen überein v , daß das Bewußtsein, bei gleichen oder selbst geringeren Leistungen unbedingt einer bevorzugten Behandlung in der Beförderung sicher zu sein - und daß dem so ist, wird vielleicht einmal vom Ministertisch, nie aber unter vier Augen bestritten werden -[,] seine Wirkung nicht zu verfehlen pflegt. Eine noch weitere v Fehlt in A; ü b e r e i n s i n n g e m ä ß ergänzt.
2 9 3 A u s d e m E n g l i s c h e n ü b e r n o m m e n e B e z e i c h n u n g für A n t e i l s c h e i n e einer staatlichen Schuldverschreibung.
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Steigerung der Schwerkraft der privilegierten Talentlosigkeit in der preußischen Verwaltung kann heute wahrlich niemand für | ein Be- A 571 dürfnis ansehen. Und von den alten preußischen „Traditionen" ist heute in Preußen nicht mehr viel übrig, - sie leben, wie auch der entschiedenste Feind jedes „Partikularismus" anerkennen muß, in manchem kleineren Staat reiner fort als in Preußen und sind etwas ganz anderes als was heute dort so genannt wird. Vollends die Produkte des modernen Parvenü-Fideikommisses sind wahrlich nicht ihre Träger. Sie sind vielmehr - wiederum ohne erfreuliche Einzelausnahmen irgendwie zu bestreiten -[,] man kann sagen: notorisch und aus sehr verständlichen Gründen, dazu prädisponiert, die eifrigsten (aber allerdings nicht die einzigen) Vertreter jener immer weiter um sich greifenden absolut Charakter- und gesinnungslosen „Schneidigkeit" zu werden, welche ihre „Satisfaktionsfähigkeit" 294 in der Presse affichiert[,]295 und dies, verbunden mit dem läppischsten Mandarinen-Hochmut im dienstlichen Verkehr nach „unten", als „preußische Tradition" oder, wie manche elsässischen Beamten preußischer Provenienz es in den 80er Jahren in stolzem Überlegenheitsgefühl ihren badischen Kollegen gegenüber taten, 296 als „preußische Verwaltungspraxis" auszugeben. Der Fehler liegt eben nicht darin, daß jene Herren zu „vornehmer" Abkunft wären, sondern darin, daß sie es nicht sind. Die breite Masse der bürgerlichen Beamten sucht ihren bürgerlichen Ursprung zu vergessen, ohne es zu können. Das Mittel des Reserveoffiziers- und Korpsstudentenwesens67) dient zur | Aneignung gewisser äußerer Formen der A 5 7 2
671 Für viele sind diese studentischen Verbindungen ja keineswegs in erster Linie Pfle- A 5 7 1 gestatten studentischer Ehre und Sitte, sondern einfach Avancements-Versicherungs-Anstalten. Die kümmerlichsten Sprößlinge deutscher Geheimrätinnen oder auch Kommer-
294 Der Begriff u m s c h r e i b t d e n s t ä n d i s c h e n A n s p r u c h , verletzte Ehre auf formalisierte Weise wiederherzustellen. 295 M ö g l i c h e r w e i s e A n s p i e l u n g auf die äußeren Formen d e s Konflikts z w i s c h e n d e m s a a r l ä n d i s c h e n Industriellen Carl Ferdinand Freiherr v o n S t u m m und d e m Kathedersozialisten A d o l p h Wagner Im Jahre 1895. D a m a l s ließ S t u m m Wagner eine Duellforderung ü b e r b r i n g e n , deren A b l e h n u n g er in der Presse als „Feigheit" darstellen ließ. Max Weber schaltete sich im Februar/März 1895 in diesen Konflikt mit zwei Artikeln in der Neuen Preußischen Zeitung („Kreuzzeitung") ein: „Die K a m p f e s w e i s e des Freiherrn v. Stumm" sowie „ E i n g e s a n d t " , b e i d e in: M W G I/4, S. 5 1 2 - 5 2 3 . 296 D i e s b e z ü g l i c h e Erfahrungen dürfte Max W e b e r selbst g e s a m m e l t haben, als er in den Jahren 1883/84 seinen Militärdienst in Straßburg ableistete.
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Schichten, zu denen man sich gern zählen möchte, ohne doch das Parvenügefühl ganz zu beseitigen. Je mehr die autoritäre Position, in die sich der moderne preußische Beamte dieses Schlages den „Untertanen" gegenüber gestellt fühlt, von diesen letzteren und, im Grunde seines Herzens, auch von ihm selbst, als Prätension empfun- 5 den wird, um so mehr wird sie betont. Vorurteilslose Mitglieder des heutigen preußischen Beamtentums pflegen die Degeneration der altpreußischen Tradition zu jenem charakterlosen, nach unten „schneidigen", nach oben geschmeidigen „Assessorismus" 297 der Gegenwart mit seiner überzeugungslosen Pflege der rein formalen 10 „Staatserhaltung" ohne alle inhaltlichen Ziele 68) stets zuzugeben, zienrätinnen müssen darin den bei der heutigen Praxis recht bescheidenen „Mut" prästieren, sich durch einige Narben abstempeln zu lassen, weil - mir sind selbst solche Fälle wiederholt von den betreffenden besorgten Eltern geklagt worden - es für die „Konnexionen" unentbehrlich ist. - Aber schlimmer ist, daß dies Treiben nunmehr die Techniker und, wie es fast scheint, - wenigstens Anfänge dazu sind bemerkbar - auch die Zöglinge der Handelshochschulen 2 9 8 ergreift. Die Vermutung, daß mit der Gründung der letzteren zuweilen in erster Linie nicht dem W/ssensbedürfnis der Kaufleute, sondern ihrem Wunsch, an der patentierten „akademischen" Bildung teilzunehmen, dadurch „satisfaktionsfähig" und damit u. a. auch Reserve-Offizier = fähig zu werden, entgegengekommen werden soll, ist leider recht naheliegend. Ich kann mich den vortrefflichen Bemerkungen von Wittich in seinem Aufsatz „Deutsche und französische Kultur im Elsaß" nur anschließen. 299 Daß wir uns mit einer Entwöhnung von der intensiven Arbeit, wie sie dies „akademische" Treiben heute regelmäßig mit sich bringt, als Macht neben den großen Arbeitsvölkern der Erde, speziell den Amerikanern, auf die Dauer behaupten, ist mehr als fraglich. Feudale PrätenA 572 sionen ersetzen den | Geist rücksichtsloser bürgerlicher Arbeit nicht. - Der Begriff der „Satisfaktionsfähigkeit" übrigens, speziell in seiner wechselnden Beziehung zu den in Deutschland /c/assettbildenden Bildungspatenten (Maturität, Einjährigenzeugnis etc.)[,j wäre seiner ganz erheblichen Kulturbedeutung wegen einer historischen Spezialuntersuchung wohl wert. 68
' In „idealtypischer" Reinheit spricht sich dieser Banausen-Standpunkt auch in dem folgenden schönen Satz der Motive (S. 17) aus: „Denn für ein gesetzgeberisches Vorgehen können nicht allgemeine philosophische Erwägungen, sondern nur die Rücksichten auf die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend sein." - 3 0 0 Es möchte freilich wenig Ersprießliches an den Tag kommen, wenn der Verfasser dieses Sentiments sich auf das Philosophieren verlegen würde. Aber man möchte gern wissen, was unter „Rücksichtnahme auf die
2 9 7 Die Wortbildung benennt eine Haltung, wie sie für d e n „ A s s e s s o r " t y p i s c h ist: Für die endgültige A u f n a h m e in d e n Staatsdienst will er s i c h d a s günstige Urteil seiner Vorgesetzten durch Unterwürfigkeit und formale Überkorrektheit sichern. 2 9 8 Die H a n d e l s h o c h s c h u l e n wurden g e g e n E n d e d e s 19. Jahrhunderts als H o c h schulinstitute der Städte oder H a n d e l s k a m m e r n gegründet. Sie b e s a ß e n anfänglich kein Promotionsrecht und s t a n d e n in R a n g und A n s e h e n hinter d e n Universitäten zurück. 2 9 9 Wittich, Kultur im Elsaß. 3 0 0 Das Zitat findet sich in der B e g r ü n d u n g 1903 nicht auf S. 17, s o n d e r n auf S. 12.
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mit dem typischen Zusatz: „aber die Bürgerlichen sind immer die schlimmsten". Gewiß: Bürgerliche mit feudalen Prätensionen, eben solche, wie sie der Fideikommißentwurf in Reinkultur massenhaft züchten will. Es gibt m.E. schlechthin keinen Gesichtspunkt, unter welchem die weitere Durchsetzung des preußischen Beamtentums mit jenem Typus der „Gernegroßen" als ein Gewinn erscheinen könnte. Durch die Zulassung zahlreicher kleinerer Fideikommißgründun- A 573 gen vollends wird nicht „aristokratische Gesinnung" in irgend einem Sinn des Wortes erzeugt, sondern - wie immer wieder gesagt werden muß - es werden Familien, die nach ihren Einkommensverhältnissen auf bescheidene bürgerliche Lebensführung hingewiesen wären, mit feudalen Prätensionen erfüllt. Die Möglichkeit bürgerlicher und briefadliger Fideikommißgründung überhaupt aber lenkt, indem sie die verächtlichste Eitelkeit kitzelt, das bürgerliche deutsche Kapital von dem Wege ökonomischer Eroberungen in der weiten Welt in verstärktem Maße auf die Bahn der Schaffung von Rentiersexistenzen, die ohnehin im Zuge unserer protektionistischen Politik liegt. Denn Rentenschutz ist ja die Signatur unserer Wirtschaftspolitik. Welchen allgemeineren Gesichtspunkten sich die Konsequenzen dieses Systems fügen, ist hier nicht zu erörtern. Nur auf einen Punkt, der auch in unseren Zusammenhang gehört, sei hingewiesen. Die Gefahren des sog. „Industriestaates": - „Abhängigkeit" vom fremden Markt bei industriellem Export, von fremder Zahlungsbereittatsächlichen Verhältnisse" verstanden ist, - es sei denn ganz einfach die Rücksicht auf die im preußischen Landtag ausschlaggebenden Interessen des Agrarkapitalismus. Vermutlich liegt die übliche Anspielung auf die „Realpolitik" darin, wie man sich denn in Deutschland regelmäßig dann auf Bismarck zu berufen pflegt, wenn es sich um ein Feigenblatt für die ödeste Ideal- und Gesinnungslosigkeit handelt. - Es mag hier, am Schluß unserer Betrachtungen, doch dem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben werden, daß das preußische Landwirtschaftsministerium, welches doch mindestens über eine wissenschaftlich ausgezeichnet geschulte und verdiente Kraft verfügt, die Abfassung der wirtschaftlichen Teile der „Motive" dieses Entwurfes offenbar irgend einem völlig unreifen Anfänger überlassen konnte. 301 Der Kontrast gegen die - bei allen auch in dieser Hinsicht bestehenden Bedenken - scharf und gründlich durchdachten rein juristischen Partien ist geradezu blamabel. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Plattheiten gegenüber überall höflich zu bleiben. |
3 0 1 Die P e r s o n e n s i n d nicht zu identifizieren
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schaft beim Kapitalexport, von fremden Getreideüberschüssen bei beiden, da beide den Getreide-Import mit sich ziehen - pflegen düster und in den lächerlichsten Übertreibungen geschildert zu werden. Unsere Wirtschaftspolitik sperrt das ausländische Korn aus und läßt das eigene durch Hunderttausend ausländische Menschen 5 mitproduzieren, die importiert werden und ohne welche ein großer Bruchteil der Großbetriebe des Ostens, eben derer, welche die großen Getreideüberschüsse liefern, heute nach ihrer eigenen Behauptung nicht mehr bestehen können. 302 Ein Federstrich der russischen Regierung ist also imstande, sie zu Boden zu schleudern, und ich 10 möchte denn doch eine Form der „Abhängigkeit vom Ausland" kennen lernen, die an verhängnisvoller Tragweite an diese heranreichte. Eine Politik, welche diese Großbetriebe künstlich zu stützen sucht, wie der Entwurf es will, verknechtet uns russischer Polizeiwillkür. Daß w hier keine Gespenster an die Wand gemalt werden, 15 haben gewisse, nach meinem Gefühl für uns entwürdigende Vorgänge, die sich abspielten^,] als ein russisches Sachsengängerverbot zu drohen schien, 303 jedem, der sehen will, deutlich genug zeigen können. 69 ' Dem politischen System, unter dem wir zu leben haben: A 573
69) Bei dem heutigen Gang unserer Politik würde es nicht überraschen, wenn man uns unter Berufung auf den italienisch-französischen Vertrag - 3 0 4 unter der Etikette „interna-
w A: Das
302 Insbesondere seit Beginn der 1890er Jahre forderten die osteibischen Großgrundbesitzer wiederholt die Zulassung ausländischer Landarbeiter, da durch die A b w a n d e rung der ansässigen Lohnarbeiter ein Arbeitskräftemangel entstanden sei, der die Existenz der Betriebe gefährde. Vgl. dazu Nichtweiß, Saisonarbeiter, S. 35ff. 303 Die russische Regierung beobachtete die „Sachsengängerei" (siehe dazu oben, S. 126, Anm. 150) von Arbeitern aus Russisch-Polen mit w a c h s e n d e m Mißtrauen, unter anderem deshalb, weil diese „während ihres Aufenthalts im Auslande von sozialistischen Ideen angesteckt" würden. In einem Artikel der „Moskovskija Vedomosti", der im Deutschen Reich sehr ernst g e n o m m e n wurde, wurden 1895 Ü b e r l e g u n g e n angestellt, ob es nicht sinnvoll sei, „die Wanderungen der polnischen Arbeiter zu verhindern oder zu erschweren und damit die Landwirtschaft in den östlichen Provinzen Preußens lahmzulegen, was für Rußland vorteilhaft sei." Zitiert nach Nichtweiß, Saisonarbeiter, S. 53, Fußnote 1. 304 Obwohl Italien und Frankreich verschiedenen Bündnissen angehörten, kam es zwischen beiden Staaten seit 1896 mittels einer Reihe von A b k o m m e n und Verträgen zu einer Annäherung. Diese regelten neben kolonial- und handelspolitischen Fragen auch die bevorzugte Rechtsstellung italienischer Staatsbürger in Tunis.
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der inter|nationalen Solidarität der „staatserhaltenden" Interessen, A 574 welche uns, durch imaginäre dynastische und sehr materielle kapitalistische Interessen getragen, zu einem Vasallenstaat machen wird und der Geringschätzung der Welt preisgegeben hat - diesem System fügten sie sich nur zu gut ein. Wer aber die beneidenswerte Stirn besitzt, eine solche Politik im Gegensatz zu irgend einer anderen eine „nationale" zu nennen, mit dem mag diskutieren, wer Zeit und Lust zu dem Versuch hat, die ekelerregende Herrschaft der „konservativen Phrase" bei Leuten zu bekämpfen, deren materielles Interesse damit verknüpft ist, daß sie selbst oder daß wenigstens - diejenigen, „deren kein Ende ist", 305 an diese Phrasen glauben. Möchten schließlich die politischen Gründe für die Beibehaltung der fideikommissarischen Sicherung eines gewissen Bestandes großgrundbesitzlicher Familien noch so gewichtige sein - und wir haben uns nicht davon zu überzeugen vermocht, daß dies unter den heutigen Verhältnissen unter irgend welchen Gesichtspunkten der Fall sei, - so würde es dennoch unter allen Umständen jetzt hohe Zeit sein, das „goldene Buch" 306 zu schließen. Mehr als der Flächeninhalt einer ganzen Provinz307 ist jenen angeblichen Interessen bereits geopfert: das muß auch dem extremsten Fanatiker für dies Institut genügen. Der vorgelegte Gesetzentwurf aber, anstatt materielle Schranken zu schaffen gegen die Gelüste des Kapitals, Boden als Rentenfonds zu Nobilitierungszwecken aufzuhäufen, frönt in dieser Hinsicht dem gewissenlosesten „Manchestertum", 308 offenbar in der dunklen Vorstellung, durch Bindung des Bodens und Nobilitierung seiner Besitzer an die Stelle des unbequemen Geschreies agrarischer Interessenpolitiker von heute bequeme und satte Par-
tionale Sozialpolitik" ein Abkommen mit Rußland bescherte, durch welches - gegen Konzessionen! - die Russen den Gutsbesitzern die vertragsmäßige Sicherheit geben würden, A 574 Polen zu importieren. - In dieser Hinsicht ist heut schlechthin Alles möglich.
305 Als Zitat nicht nachgewiesen. 306 In der Adelsrepublik Venedig und im nachrevolutionären Frankreich Bezeichnung für Verzeichnisse von Adeligen, die führende Funktionen im Staat einnehmen konnten. 307 Vgl. dazu oben, S. 105. 308 Bezeichnung für eine streng individualistische, j e d e n staatlichen Eingriff in die Wirtschaft a b l e h n e n d e Lehre, die in den 1840er Jahren von Manchester aus Verbreitung fand.
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venüs zu setzen, die das Bedürfnis haben, sich in der Gnade desx Hofes zu sonnen. Ob auch nur diese - natürlich unausgesprochene Hoffnung auf dem betretenen Wege zu erfüllen wäre, bleibe hier dahingestellt. Es genügt, konstatiert zu haben, daß die Auslieferung der besten Böden an die Eitelkeits- und Herrschaftsinteressen des 5 Agrarkapitalismus - das Ergebnis der vom Entwurf sanktionierten materiellen Fideikommißgründungsfreiheit - einem Lebensinteresse der Nation: dem an einer zahlreichen und kräftigen Bauernbevölkerung[jede Zukunft abgräbt.
x A: der
Bemerkungen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz [von: R. Blank, Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Im April-Heft 1905 des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" erschien ein Aufsatz über „Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands". 1 Als Verfasser zeichnete „Dr. R. Blank". Es handelt sich dabei vermutlich um den russischen Publizisten Rubin (oder Reuben) Blank, der im Jahre 1896 in Berlin mit einer Arbeit aus dem Gebiet der Chemie promoviert worden war. 2 Danach hatte er sich zunehmend politisch betätigt und war Mitarbeiter zahlreicher russischer Zeitschriften. Ausgehend von der Feststellung, daß die Sozialdemokratische Partei bei der Reichstagswahl 1903 erheblich mehr Stimmen erhalten hatte, als es dem Anteil der Arbeiter an der Zahl der Wahlberechtigten entsprach, stellte Blank den Klassencharakter der Sozialdemokratie in Frage. Anhand einer vergleichenden Analyse der Berufs- und Wahlstatistiken bestimmte er die sozialdemokratische Wählerschaft nach ihrer regionalen Verteilung, ihrem bürgerlichen Anteil sowohl in den Großstädten als auch auf dem Land sowie nach konfessionellen Gesichtspunkten. Daraus zog er Schlußfolgerungen über den sozialpolitischen Charakter der Partei. Zwar seien die bürgerlichen Elemente noch in der Minderheit, doch gewännen sie zunehmend Einfluß auf die Taktik. 3 Deshalb sei die Sozialdemokratie „weniger Ideengemeinschaft, als Interessengemeinschaft,"4 Abschließend kam Blank zu dem Urteil: „Und so ist die deutsche Sozialdemokratie, sowohl in ihrer sozia-
1 AfSS, Band 20, Heft 3, 1905, S. 507-550. 2 Blank, Rubin, Über Benzalmalonsäure und Metachlorbenzalmalonsäure. Beitrag zur Stereochemie des doppelt gebundenen Kohlenstoffatoms. - Berlin: A.W. Schade's Buchdruckerei 1896. 3 Blank, Zusammensetzung, S. 539f. 4 Ebd., S. 544.
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len Z u s a m m e n s e t z u n g , wie in ihrem sozialpolitischen Charakter, eine große Koalitionspartei, in der sich die d e m o k r a t i s c h e n Elemente verschiedener sozialer Klassen, die nach Freiheit, Gleichheit und sozialem Fortschritt streben, vereinigt haben zum g e m e i n s a m e n K a m p f e für ihre gemeinsamen Bes t r e b u n g e n und zum g e m e i n s a m e n Widerstande g e g e n Ihre gemeinsamen Feinde." 5 Mit seiner U n t e r s u c h u n g hatte Blank eine Frage behandelt, die auch Max Weber sehr interessierte und der er in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit den parteisoziologischen Arbeiten Robert Michels' 6 später große Aufmerksamkeit widmete. Wie aus der Korrespondenz mit Michels hervorgeht, erschien Weber eine Analyse der .„Anatomie' der Partei" b e s o n d e r s wünschenswert, um „das g e g e n s e i t i g e Gewicht der einzelnen Struktur-Teile der Partei vom .Mitläufer' durch den .Organisierten' bis hinauf zu den Berliner Instanzen, kurzum, alle jene Abhängigkeits-VerhäMisse" zu erkennen. 7 Max Weber förderte die Arbeit Blanks Im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik sehr, indem er nicht nur die „ B e m e r k u n g e n Im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz" verfaßte, sondern auch einen Teil der Druckkosten übernahm. 8 Die D r u c k l e g u n g des Artikels von Blank verlief nicht ganz störungsfrei. Das Manuskript wurde d e m Verlag mit den anderen für Heft 3 v o r g e s e h e n e n Manuskripten am 17. Januar 1905 von Edgar Jaffe übersandt. 9 A m 22. Februar j e d o c h teilte Edgar Jaffe mit, daß aus aktuellem Anlaß ein Aufsatz von August Brust über den Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1 0 in das dritte Heft e i n g e s c h o b e n werde und d e s h a l b „Blank [...] für das nächste Heft zurückstehen" müsse. 1 1 Blank wollte hierauf allerdings „auf keinen Fall eingehen." 1 2 Man einigte sich schließlich darauf, „daß sein Beitrag d o c h noch Im laufenden Heft" erschien und Blank auf sein Honorar verzichtete. 1 3
5 Ebd., S. 550. 6 Siehe dazu u.a. Michels, Robert, Die deutsche Sozialdemokratie, in: AfSS, Band 23, 1906, S. 471-556, ders., Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oiigarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. - Leipzig: Dr. Werner Klinkhardt 1911. 7 Brief Max Webers an Robert Michels vom 26. März 1906, MWG II/5, S. 56-58, hier S. 57. 8 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 30. März 1905, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). 9 Brief Edgar Jaffes an Paul Slebeck vom 17. Jäp. 1905, VA Mohr/Slebeck, Tübingen, Nr. 199. 10 Brust, August, Der Bergarbeiterstreik Im Ruhrrevier, In: AfSS, Band 20, 1905, S . 4 8 0 506. 11 Brief Edgar Jaffes an Paul Slebeck vom 22. Febr. 1905, VA Mohr/Siebeck, Tübingen, Nr. 199. 12 Brief Edgar Jaffes an Paul Siebeck vom 6. März 1905, ebd. 13 Ebd.
Editorischer
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Bericht
Vermutlich als E n t s c h ä d i g u n g w u r d e n Ihm von d e n 60 S e p a r a t a b z ü g e n 48 überlassen. 1 4 Wann g e n a u Max Weber die „ B e m e r k u n g e n " verfaßte, wissen wir nicht. Aus e i n e m Schreiben Jaffes an Siebeck v o m 13. März 1905 geht j e d o c h hervor, daß die Revision zu d i e s e m Zeitpunkt - im G e g e n s a t z zu d e n anderen Bögen, für die bereits d a s Imprimatur erteilt war - noch nicht vorlag. 1 5
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der A b d r u c k folgt d e m Text, der hinter der A b h a n d l u n g von R. Blank „Die soziale Z u s a m m e n s e t z u n g der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands" in Petitdruck und mit der A u t o r e n a n g a b e „Max Weber" unter der Überschrift „ B e m e r k u n g e n Im Anschluß an d e n v o r s t e h e n d e n Aufsatz" im Archiv für Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik, hg. von Werner Sombart, Max W e b e r und Edgar Jaffe, B a n d 20, Heft 3, 1905, S. 5 5 0 - 5 5 3 , erschien (A).
14 Vgl. dazu die Briefe Edgar Jaffes an Paul Siebeck v o m 13. und 24. März 1905, sowie das Honorartableau für Band 20, Heft 3, e b d . 15 Brief Edgar Jaffes an Paul Siebeck v o m 13. März 1905, ebd.
Bemerkungen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz
Wir bringen die vorstehende Studie 1 gern zum Abdruck, obwohl wir die eigene Ansicht des Herrn Verfassers teilen, daß seine Ergebnisse im einzelnen vorderhand (notgedrungen) noch auf einem nicht überall sicheren Boden stehen, 2 welcher u.a. auch durch Kritik der 5 Kategorien der Berufszählung 3 erst noch gesäubert werden müßte, um zu endgültigen Zahlen zu kommen. Wirklich beweiskräftig würden diese ja überhaupt erst dann werden, wenn an möglichst vielen einzelnen „typischen" Wahlkreisen oder Wahlkreisgruppen von bestimmtem sozialen Gepräge eine möglichst weit zurückgehende 10 Analyse ihrer Berufs- und parallel damit ihrer Abstimmungsentwicklung vorgenommen würde. Immerhin schien uns, ebenso wie dem Herrn Verfasser, schon das provisorische Zahlenmaterial, welches er bietet, als erste Inangriffnahme eines wichtigen und sehr komplexen Problems von Wert zu sein. Dies Problem selbst freilich 15 kann nicht auf dem Boden rein statistischer Untersuchung gelöst werden. Denn das eigentlich Wesentliche ist ja nicht der bloße ziffernmäßige Nachweis, daß auch nicht „proletarische" Bevölkerungsschichten sozialistisch wählen, und die daran anzuschließende 1 Gemeint ist: Blank, Zusammensetzung. Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 189-191. 2 Das Problem des von Blank gewählten Verfahrens, mit Hilfe einer „Kombination der Wahlstatistik mit der sozialen Statistik" die sozialdemokratische Wählerschaft bei den Reichstagswahlen von 1903 zu untersuchen, liegt, wie Blank durchaus selbst erkennt, unter anderem darin, daß die benutzte „soziale Statistik" auf der Berufszählung vom 14. Juni 1895 beruht, daß also zwischen beiden Erhebungen „ein Abstand von vollen 8 Jahren" liegt, „während dessen die sozialen Verhältnisse sich, natürlich, verschoben" haben. Blank, Zusammensetzung, S.509. 3 Die von Blank herangezogenen Ergebnisse der „Berufs- und Gewerbezählung vom 14. Juni 1895" sind veröffentlicht in der Statistik des Deutschen Reichs, hg. vom Kaiserlichen Statistischen Amt, Neue Folge, Bände 102-112. - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1897-1899. Die Klassifikation der Berufsarten erfolgte dabei nach dem Schema: A. Landwlrthschaft, Gärtnerei und Thierzucht, Forstwlrthschaft, Jagd und Fischerei; B. Bergbau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen; C. Handel und Verkehr; D. Häusliche Dienste [...] auch Lohnarbelt wechselnder Art; E. Militär-, Hof-, bürgerlicher oder kirchlicher Dienst, auch sogenannte freie Berufe; F. Ohne Beruf und ohne Berufsangabe." Dabei wurden die Erwerbstätigen jeder Berufsart nach Ihrer sozialen Stellung noch einmal untergliedert.
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Untersuchung, welches diese Schichten und welches ihre Motive sind, sondern die Beantwortung der Frage: welche Beeinflussung der innere Charakter der Partei und ihre aus diesem hervorgehende politische Haltung durch nicht „proletarische" Elemente, also z.B. durch Handwerker und andere „Kleinbürger" jeder Art, deklassierte bürgerliche Elemente und klassenlose Ideologen, erfährt. Die sozialdemokratische Partei ist ein Element unseres innerpolitischen Lebens, mit welchem aller menschlichen Voraussicht nach auf lange hinaus zu rechnen sein wird. Sie gehört ferner zu den mächtigsten charakterbildenden Elementen breitester Volksmassen. Die wichtige Frage nach der kulturgeschichtlichen Eigenart dieses Gebildes ist aber in systematischer Weise bisher nur in der Presse der verschiedenen Parteien, 4 nicht wissenschaftlich, unternommen worden. Einige Bemerkungen über die Aufgaben und Wege einer solchen rein objektiven, von Werturteilen freien, Betrachtung seien daher hier beigefügt. Notwendig wäre zunächst und vor allem eine umfassende Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem organisierten Kern der politischen sozialistischen Bewegung und den Wählermassen, welche ihr zu parlamentarischer Vertretung verhelfen: zwischen aktiver (organisierter) und passiver (Wähler-)Partei, wie man sagen könnte. Der Verf. hat diese Beziehungen an einem der Punkte gestreift, wo sie | praktische Bedeutung gewinnen können: dem Verhältnis A551 der parlamentarischen Sozialdemokratie zur Parteitags-Sozialdemokratie. 5 Und gewiß ist die Frage der systematischen Untersuchung bedürftig, wie und warum sich die Färbung der ersteren von derjenigen der letzteren unterscheidet. Dafür kommen in der Tat Rücksichten auf die nicht der sozialdemokratischen Parteiorganisation angehörige Wählerschaft, die bei der Aufstellung der Kandidaten sowohl wie bei der parlamentarischen Haltung derselben in gewissem Maße mitspielen, in Betracht, daneben aber auch solche Dinge, wie die „realpolitische" Einwirkung der taktisch-parlamentarischen Konstellationen auf die Parlamentspartei und eine Fülle damit zusammenhängender und anderer Momente. Allein es ist die 4 Welche Untersuchungen Max Weber hier meint, ließ sich nicht feststellen. 5 Blank, Zusammensetzung, S. 544ff., stellt fest, daß der Schwerpunkt der sozialdemokratischen Partei „nicht so sehr in den Ideen, als in den politischen und sozialen Interessen" liege und daß das Verhalten der Abgeordneten den sozialdemokratischen Charakter der Partei besser charakterisiere als die theoretische Auseinandersetzung der Parteitage.
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Frage, wie solche Rücksichten die Partei beeinflussen, nicht ohne weiteres mit der nach dem A7assencharakter der Partei identisch. Denn noch wichtiger als die Rücksichtnahme auf nicht „proletarische" Wähler außerhalb der organisierten Partei könnte vielleicht der Einfluß nicht „proletarischer" Elemente innerhalb derselben sein. Um ihm auf die Spur zu kommen, wäre zunächst zu untersuchen: welche Bestandteile der Wählerschaft es denn sind, die sich (jetzt und früher) „organisieren lassen"[,] und weiterhin: welches der Charakter und die Herkunft derjenigen Elemente ist, die innerhalb der lokalen Organisationen, in der Parteipresse und sonst für die politische Haltung jeweils den Ausschlag gegeben haben und geben. Eine der wichtigsten Kategorien, welche dabei als Untersuchungsobjekt in Betracht kämen, wären nun naturgemäß die ßera/spolitiker, ohne welche diese Partei so wenig wie irgend eine andere leben kann. Die einfachste ökonomische Erwägung und jeder Blick in das Parteileben lehrt, daß es von diesen wiederum zwei voneinander sehr verschiedene Typen gibt: ökonomisch unabhängige Existenzen, welche für ihre Partei leben können, und andere, deren ökonomische Lage sie nötigt, von der Parteipolitik zu leben, sei es direkt aus der Tasche der Partei als deren Angestellte, sei es indirekt - z.B. als Redakteure, Zeitungsunternehmer usw. - von deren Existenz. Die Provenienz, der allgemeine Charakter und der faktische Einfluß jeder dieser beiden Kategorien, die - sozusagen „Avancements"-Verhältnisse und Chancen, die für die zweite derselben bestehen, die damit zusammenhängende Entwicklung und Bedeutung des in keiner zu voller organisatorischer Entfaltung gelangten Partei ganz fehlenden Partei-Pfründnertums müßten hier analysiert werden. Denn namentlich dieses letztere ist in seiner Einwirkung auf die „Taktik" demokratischer Parteien von ganz außerordentlicher Bedeutung. Die Verhältnisse in den amerikanischen Parteien, - so stark dabei infolge der ganz andersartigen politischen Grundlagen des dortigen Parteiwesens die Abweichungen sind könnten und sollten gerade in dieser Hinsicht als ein „idealtypischer" Grenzfall zur Vergleichung herangezogen werden. (James Bryce 6 und die umfangreiche englisch-amerikanische Lite6 Bryce, A m e r i c a n C o m m o n w e a l t h . Dieses 1888 veröffentlichte Werk erlebte in der Folgezeit zahlreiche Neuauflagen. N a c h w e i s l i c h hat Max Weber die zweite, 1890 erschienene A u f l a g e benutzt. In d e m e n t s p r e c h e n d e n Exemplar in der Universitätsbibliothek Heid e l b e r g finden sich Unterstreichungen und Marginalien von W e b e r s Hand.
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ratur 7 über Parteiwesen können hier immerhin weitgehend die etwa fehlende persönliche Anschauung ersetzen.) - In all diese Verhältnisse spielen nun ferner - um aus der Fülle der in Betracht kommenden Momente noch eins herauszugreifen - jene eigentümlichen Gegensätze hinein, welche die bei uns klassenbildende Bedeutung gewisser Bildungspatente, z.B. der akademischen Grade, erzeugt. U n d inwieweit der Gegensatz gegen die sog. „ A k a d e m i k e r " von den Parteiroutiniers, 8 den Zöglingen der | Rednerbildungsschulen 9 A 552 u. dgl. getragen wird (wie dies teilweise sicher der Fall ist) oder inwieweit dabei andere Elemente mitbeteiligt sind, - diese Frage berührt sich ja weiter mit den sachlich so wichtigen Problemen der Stellung zu den „idealen Kulturgütern" überhaupt. Diese muß ja z.B. bei gewerkschaftlich erzogenen Arbeitern einerseits, und bei radikalen Kleinbürgern andererseits, eine grundverschiedene sein und bleiben. - U n d diese Dinge hängen dann alle in ihrer Entwicklung mit der Tendenz zusammen, die in jeder dauernden Parteibildung zur Geltung gelangt: für ihre Anhänger schlechthin „Selbstzweck11 zu werden. Jene Tendenz fand z.B. in dem Schicksal des sog. „Revisionismus" 1 0 ihren charakteristischen Ausdruck. Die Gefahr für den Bestand der Partei, welche aus einer formalen A u f g a b e des alten Glaubensbekenntnisses, welches schließlich jeder interpretiert wie es ihm paßt, und dem problematischen Versuch, eine Partei
7 Vermutlich bezieht sich Max Weber hier vor allem auf Low, Sidney, The Governance of England. - London: T.F. Unwin 1904, sowie auf Ostrogorski, Moisei, Democracy and the Organization of Political Parties, 2 vols. - London: Macmillan 1902, Diese beiden Arbeiten hebt Max Weber in seinen Briefen und Schriften wiederholt lobend hervor. 8 Auf den sozialdemokratischen Parteitagen kam es wiederholt zu lebhaften Debatten über den Einfluß der Akademiker in der Partei. So äußerte sich beispielsweise der Delegierte Adolph Hoffmann 1897 in Hamburg erbittert darüber, daß die „einfachen Genossen" den Hauptteil der Arbeit machten, bei der Kandidatenaufstellung dann aber die „Herren Doktoren und Akademiker" bevorzugt würden. Vgl. dazu Auernheimer, Gustav, „Genosse Herr Doktor". Zur Rolle von Akademikern in der deutschen Sozialdemokratie 1890 bis 1933. - Gießen: Focus-Verlag 1985, S. 81 ff. 9 In den zahlreichen Arbeiterbildungsvereinen und -schulen fanden unter anderem Kurse für Stil- und Redekunst zum Zwecke der sozialistischen Agitation statt. 10 Bezeichnung für eine nach 1890 entstandene Richtung innerhalb der Sozialdemokratie, die eine Korrektur der von Karl Kautsky repräsentierten offiziellen Parteidoktrin verlangte. Wortführer der „Revisionisten", die von der Idee der „proletarischen Revolution" abrückten und prinzipiell zu einer Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien bei politischen und sozialen Reformen bereit waren, war Eduard Bernstein. Der „Revisionismusstreit" beherrschte seit der Jahrhundertwende die programmatische Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie.
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mit mehreren Millionen Wählern auf ein neues zu verpflichten, aufstieg1^,] mußte vor allem schon das gesamte „Parteipfründnertum" (im weitesten Sinne des Wortes) in die äußerste Unruhe versetzen. Und ähnlich erzwingen sich auch in allen erheblichen Fragen der „Taktik" jene konservativen Interessen Geltung, welche schlechthin unter keinen Umständen ein Risiko für den derzeitigen Parteibestand laufen wollen. Diese Tendenz scheint aber auch deshalb in der Sozialdemokratie zuzunehmen, weil immer mehr auch die Gewerkschaften an einer solchen parteikonservierenden Taktik interessiert werden. Der „Selbstzweck"-Gedanke gewinnt dadurch in der Sozialdemokratie allmählich fast die gleiche Macht wie in den amerikanischen Parteien, obwohl er dort nicht nur ganz andere Gründe, sondern auch sehr verschiedene Konsequenzen hat. Während die fast absolute Grundsatzlosigkeit der beiden großen amerikanischen Parteien 11 für die organisierten Arbeiter die Möglichkeit geboten hat, durch Eintreten für diejenige Seite, welche sich jeweils auf ihre Forderungen verpflichtete, einen Punkt ihres Programms nach dem anderen durchzusetzen, gerade weil sie parteipolitisch neutral blieben, können die deutschen Gewerkschaften in dem täglichen Kleinkrieg mit den Chikanen der Polizei, welcher ja der eigentliche Nährboden des „Klassenbewußtseins" ist, der dauernden Anlehnung an eine große Partei unmöglich entbehren, so schlecht dabei - weil ja alle anderen Parteien dadurch ein für allemal an der G e n a u w i e bei kirchlichen G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e n . Z u r Z e i t d e s A p o s t o l i k u m s streites s a g t e mir e i n p h i l o s o p h i s c h e r K o l l e g e : „ V o m A p o s t o l i k u m i m w ö r t l i c h e n Sinn interpretiert selbst d e r O r t h o d o x e s t e h i n w e g , w a s i h m nicht paßt. W e n n aber die liberalen T h e o l o g e n e i n C r e d o f o r m u l i e r e n w ü r d e n , w e l c h e s n u n wörtlich g e g l a u b t w e r d e n sollte, w e r k ö n n t e n o c h in der Kirche b l e i b e n ? " 1 2
11 Sowohl die „Demokratische" als a u c h die „Republikanische Partei" sind in späteren Jahren für Max Weber Musterbeispiele „gesinnungsloser Parteien", die als „reine Stellenjägerorganisationen" in den Wahlkämpfen „ihre w e c h s e l n d e n Programme je nach der C h a n c e des Stimmenfanges" machen. Weber, Politik als Beruf (1919), MWG 1/17, S. 2 1 2 218. 1 2 Wen Max Weber hier mit d e m „philosophischen Kollegen" meint, ließ sich nicht ermitteln. Beim „Apostolikumsstreit" handelt es sich um eine innerevangelische Auseinandersetzung um die lehrmäßige Richtigkeit und liturgische Verbindlichkeit des apostolischen Glaubensbekenntnisses, die zu Beginn der 1890er Jahre zu einer schweren Krise des Protestantismus führte. Der Streit spitzte sich auf die Frage zu, ob die überlieferte Form des Apostolikums zu bewahren sei oder d u r c h eine zeitgemäßere Bekenntnisformel ersetzt werden solle.
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Befriedigung von Arbeiterforderungen desinteressiert werden und sie stets in der „grundsätzlich opponierenden" Minderheit bleiben, deren parlamentarische Vertretung jedes positiven Einflusses entbehrt, - ihre materiellen Klasseninteressen fahren. Die Frage ist nun aber weiter, inwieweit die Gewerkschaften, wenn sie, wie dies neuerdings mehrfach angenommen wird, ihre offizielle „Neutralität" 13 zunehmend aufgeben werden, bei dieser Anlehnung an die Partei auch zur Macht innerhalb der (organisierten) Partei selbst gelangt sind oder gelangen werden, inwieweit also die organisierte Sozialdemokratie - die aktive Partei - wie man mehrfach prophezeit, „Gewerkschaftspartei" wird 14 und werden kann und welche praktische Bedeutung dies - zunächst für die innere Struktur der Partei haben könnte oder etwa schon gehabt hat. | Womit ja noch nichts A553 darüber entschieden wäre, inwieweit dieser etwaige gewerkschaftliche Charakter nun auch in ihrer politischen Haltung zum Ausdruck gelangen könnte, da ja für diese die stete Anpassung an die Stimmung der Wähler außerhalb der Organisation - die „passive" Partei - mitbestimmend sein muß. Und für diese könnte trotz aller Macht der Gewerkschaften natürlich die Rücksicht auf die nicht organisierten (und die nichtorganisierbaren) Schichten des Proletariats und auf radikale Kleinbürgermassen, die jeder „Realpolitik" als solcher abhold sind, sehr wohl dauernd ausschlaggebend bleiben. Damit berührt sich natürlich ferner die Frage nach den Konsequenzen der zunehmenden inneren Differenzierung des Proletariates, die ja unausbleibliche Folge steigender Macht der Gewerkschaften sein würde. Alle diese und die zahlreichen sonstigen einander kreuzenden Entwicklungstendenzen verhalten sich in ihrer Stärke zueinan-
13 Die Frage der politischen Neutralität der Gewerkschaften wurde auf verschiedenen Gewerkschaftskongressen eingehend behandelt. Carl Leglen, einer der bedeutendsten Gewerkschaftsführer, gehörte zu den entschiedenen Befürwortern dieses Prinzips. Er lehnte eine parteipolitische Ausrichtung der Gewerkschaften unter anderem deshalb ab, „well Im wirtschaftlichen Kampfe alle Arbeiter ohne Rücksicht auf ihr religiöses oder politisches Glaubensbekenntnis vereinigt werden müssen." Legien, Carl, Neutralisierung der Gewerkschaften, in: Sociallstlsche Monatshefte. Internationale Revue des Soclalismus, 4. Jg., 1900, S. 374. 14 Nach dem Kölner Gewerkschaftskongreß Ende Mal 1905, der sich unter anderem einmal mehr mit dem Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften beschäftigte, wurde In der liberalen Presse vermutet, „daß die Partei unter der Last der wesensverschiedenen Gewerkschaftsbewegung sich ändert, bis Ihr vielleicht einmal die Gewerkschaften vollkommen den Stempel aufdrücken." Die Hilfe, Nr. 21 vom 28. Mal 1905, S. 5.
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der selbstverständlich je nach den einzelnen Landesteilen gänzlich verschieden, und es müßte daher wohl unbedingt auch hier von lokalen Untersuchungen „typischer" Orte verschiedenen Größengrades und verschiedener ökonomischer Struktur ausgegangen werden. Erst wenn über solche reale Kräfte, die im internen Alltagsleben der Partei wirksam werden, Klarheit geschaffen ist, könnte zu einer Analyse der Entwicklung des Gesamtcharakters der Partei und ihrer politischen Eigenart aufgestiegen werden. Und auch hier wird man, an Stelle der äußerlich sich so stark in den Vordergrund drängenden großen Staatsaktionen (Programmfragen usw.) vielmehr die weit unscheinbareren, aber viel bezeichnenderen und wichtigeren Probleme der „ Taktik" in ihrer Genesis zu verfolgen haben. D e r Bernsteinsche G e d a n k e der „Straßendemonstrationen" 1 5 und sein Schicksal ist weit lehrreicher für die Frage, wohin dann der Entwicklungsgang der Sozialdemokratie und das Erziehungswerk, welches sie an den Massen vollzieht, führt, was sie also aus dieser Masse gemacht hat und machen wird und welche politischen Machtmittel ihr dann eigentlich für den „Ernstfall" zur Verfügung stehen, - als alle die so viel Lärm machenden Erörterungen über die „Verelendungstheorie" 1 6 u. dgl. -
15 Im Anschluß an den gescheiterten Massenstreik der belgischen Arbeiter Im Jahre 1902 empfahl Eduard Bernstein, auch In Deutschland „verstärkte Demonstrationsmlttel" Im Kampf für die Reform des Wahlrechts In Betracht zu ziehen, da vor allem „politische Massenactionen" der „Einheit des Willens der Massen In Bezug auf ein bestimmtes Ziel" den „stärksten, nachhaltigst wirkenden Ausdruck" gäben und die Gefahr einer gewaltsamen, blutigen Niederschlagung nicht allzu hoch veranschlagt werden müsse. Bernstein, Eduard, Der Kampf In Belgien und der polltische Massenstrlke, in: Soclallstische Monatshefte, 6. Jg., 1902, S. 413-420, hier S. 416f. Diesen Gedanken vertrat Bernstein auch In der Broschüre: Der politische Massenstreik und die politische Lage der Sozialdemokratie in Deutschland. - Breslau: Verlag der Volkswacht (0. Schütz) 1905. Hier plädierte er dafür, die Wirkung des Massenstreiks durch das „Erscheinen der Massen In den Straßen" zu verstärken, ebd., S. 40. 16 Die „Verelendungstheorie" als ein Kernbestandteil der marxistischen Lehre sagt voraus, daß die „Verelendung des Proletariats" eine notwendige Begleiterscheinung der kapitalistischen Produktionswelse sei, an deren Ende eine Senkung des Lohnniveaus auf das soziale Minimum stehe. Angesichts der Tatsache allerdings, daß sich die wirtschaftliche Lage der Arbeiter sowohl absolut als auch relativ zunehmend verbesserte, bezweifelte Insbesondere die revisionistische Gruppe um Eduard Bernstein (vgl. oben, S. 195, Anm. 10) die Richtigkeit dieser Theorie.
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Doch genug der Andeutungen. Es ist leider nicht sehr wahrscheinlich, daß a so bald 3 eine, wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werdende, Behandlung dieser Dinge zu erwarten steht. Die Parteiarchive stellt natürlich jede Partei, und so auch diese, nur ih5 ren Hofhistoriographen zur Verfügung. Eine unbefangene Darstellung könnte aber auch auf Grund des sonst zur Verfügung stehenden Materials (Protokolle, Presse usw.) weder ein Parteimitglied noch ein ausgesprochener Gegner der Partei schreiben. Die erforderlichen Personenkenntnisse und Informationen über die so 10 höchst verschiedenen lokalen Verhältnisse und ihre Vorgeschichte sind geradezu enorm. Wenn wir also auch hoffen, künftig gelegentlich Beiträge zu einer auf unbefangener Beobachtung der Tatsachen ruhenden „Sozialpsychologie" der Sozialdemokratie bringen zu können, so geben wir uns doch nicht der Illusion hin, daß b so bald 0 15 etwas Abschließendes erreicht werden wird. Denn neben allen den eben berührten Schwierigkeiten bildet vor allem das fast unvermeidliche Hineinspielen von Werturteilen, politischen Wünschen (z. B. bezüglich der sog. „Mauserung" der Partei), Hoffnungen und Illusionen eine beinahe unüberwindliche Schwierigkeit.
a A: sobald
b A: sobald
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Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Aus Anlaß der Jahrhundertfeier des „Louisiana Purchase" von 1803, durch den die USA von Frankreich ein riesiges Territorium westlich des Mississippi erworben hatten, fand in der Zeit vom 30. April bis 1. Dezember 1904 eine Weltausstellung in St. Louis statt. Dabei ging es den Veranstaltern in erster Linie darum, „den Besuchern die Geschichte, die Hilfsquellen und die Entwicklung der Staaten und Territorien innerhalb des Louisiana-Ankaufs-Gebietes vor Augen zu führen." 1 Gleichwohl sollten mit dieser Weltausstellung nicht nur der „lokalpolitische Ehrgeiz" 2 des Mittleren Westens der USA befriedigt, sondern der Öffentlichkeit auch technische und industrielle Neuerungen präsentiert sowie die moderne Entwicklung auf dem Gebiet von Wissenschaft und Kunst dokumentiert werden. Deshalb hielt man im Rahmen der „Louisiana Purchase Exposition" zahlreiche Fachkongresse ab, so etwa den „Third International Congress on Electricity" und den „International Congress on Engineering" 3 Darüber hinaus plante man auch wissenschaftliche Tagungen. Insbesondere diese „Gelehrtenzusammenkünfte", die bei der Weltausstellung in Paris 1889 mit großem Erfolg veranstaltet worden waren, weckten bei den Organisatoren die skeptische Frage, ob es tatsächlich gelingen könne, „Gelehrte von Bedeutung aus aller Herren Länder zum Mississippi zusammenzubringen." 4 Die Zweifel an der Attraktivität von St.
1 Einen vorausschauenden Bericht brachte Knauer, Hermann, Eine Amerika-Fahrt und die Welt-Ausstellung in St. Louis. - Berlin: Ferdinand Dümmlers Verlagsbuchhandlung 1903; siehe hier insb. S.63f. 2 Siehe dazu die „Einleitung", in: Amtlicher Bericht über die Weltausstellung in St. Louis 1904. Erstattet vom Reichskommissar, Teil I. - Berlin: Reichsdruckerei 1906, S. 4. 3 Eine Aufstellung der einzelnen Fachkongresse und Veranstaltungen findet sich bei Rogers, Howard J., The International Congresses, in: World's Fair Bull6tin, Nr. 4 von F©br. 1904, S. 14f. 4 Münsterberg, Hugo, Der Internationale Gelehrtenkongreß, in: Amtlicher Bericht, Teil II, S. 563. Von ähnlichen Überlegungen berichtet auch Rogers, Howard J., The History of the Congress, in: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis 1904, hg. von Howard J. Rogers. - Boston/New York: Houghton, Mifflin and Co. 1905, S. 2f.
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Louis sowie der Wunsch, eine bloße Abfolge unverbundener wissenschaftlicher Kongresse zu vermeiden, führten denn auch dazu, einen „neuen Kongreßtypus" zu schaffen, bei dem sich für eine Woche „die Führer der gesamten Gelehrtenwelt" zusammenfinden sollten, um ein Bild von der „Gesamtheit des menschlichen Wissens" zu geben. 5 Die Idee dazu stammte von Hugo Münsterberg, der seit 1893 an der Harvard-Universität Psychologie lehrte. Nachdem er im Oktober 1902 ein Gutachten mit detaillierten Vorschlägen für die Organisation eines solchen „Congress of Arts and Science" erstellt hatte, ernannte das Direktorium der Weltausstellung im November 1902 für die Realisierung des Unternehmens ein „advisory board" (später: „administrative board") und den Präsidenten der Columbia-Universität Nicholas Murray Butler zu seinem chairman. 6 Das„advisory board" berief im Dezember 1902 ein „committee on plan and scope" von sieben Gelehrten aus verschiedenen Fachbereichen, die den Kongreß als ein systematisches Ganzes konzipieren sollten. 7 Im „committee" kam es schnell zu einer Kontroverse zwischen Hugo Münsterberg und Albion W. Small, Professor für Soziologie an der Universität Chicago. Münsterberg wollte mit dem Gelehrtenkongreß der zunehmenden Spezialisierung innerhalb der Wissenschaften entgegenwirken und diese „unter dem Gesichtspunkt ihres logischen Zusammenhanges" behandeln, 8 um die „unity of knowledge" herauszuarbeiten. 9 Smalls Plan hingegen war weit pragmatischer ausgerichtet. Er bezeichnete Münsterbergs vom deutschen Idealismus geprägte Konzeption als eine „scholastic illusion" und meinte, man müsse den Eindruck vermeiden, daß „the world turns on the pivot of academic science." 1 0 Vielmehr müsse zum Ausdruck kommen, „that human interests, not logical categories make the world". 1 1 Small, der im Gegensatz zu Münsterberg weniger die „unity of knowledge" als die „unity of life" in den Vordergrund gestellt sehen wollte, 12 zielte auf die Glie-
5 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 563f. 6 Zur Zusammensetzung des Aufsichtsrates, dem vor allem Vertreter amerikanischer Universitäten und sonstiger wissenschaftlicher Gremien angehörten, siehe u.a. Rogers, History, S. 4. 7 Diesem Komitee gehörten neben Münsterberg der emeritierte Mathematik-Professor Simon Newcomb, der Jurist John Bassett Moore von der Columbia-Universität, der Soziologe Albion W. Small aus Chicago, der Pathologe William H. Welch von der Johns HopkinsUniversität, der Ingenieur Elihu Thomson und der Theologe George F. Moore von der Harvard-Universität an. Ebd., S. 7. 8 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 566. 9 Brief Hugo Münsterbergs an Frederick W. Holls vom 20. Okt. 1902, zitiert bei Coats, Alfred W., American Scholarship Comes of Age: The Louisiana Purchase Exposition 1904, In: Journal of the History of Ideas, vol.22 (July -Sept. 1961), S.405. 10 Brief Albion W. Smalls an Hugo Münsterberg vom 3. Febr. 1903, ebd., S. 406f. 11 Brief Albion W. Smalls an Nicolas Murray Butler vom 17. Febr. 1903, ebd., S. 407. 12 Coats, American Scholarship, S.406.
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derung des Kongresses in sechs „functional groups", in denen folgende Themen behandelt werden sollten: 1. The Promotion of Health, 2. The Production of Wealth, 3. The Harmonizing of Human Relations, 4. Discovery and Spread of Knowledge, 5. Progress in the Fine Arts, 6. Progress in Religion. 1 3 Das „committee" aber folgte nicht Small, sondern Münsterberg. 1 4 Man beschloß, den Kongreß in mehrere „divisions" einzuteilen, die wiederum in „departments" und „sections" untergliedert sein sollten. Das endgültige Programm sah sieben „divisions" vor: A. Normative Science; B. Historical Science; C. Physical Science; D. Mental Science; E. Utilitarian Sciences; F Social Regulation; G. Social Culture. 15 Die „division" B, „Historical Science", zum Beispiel war in 6 „departments" („Political and Economic History", „History of Law", „History of Language", „History of Literature", „History of Art" und „History of Religion") und in 32 „sections" untergliedert. Insgesamt gab es 24 „departments" und 130 „sections". Es wurde beschlossen, die „divisions" und „departments" an den ersten beiden Tagen des Kongresses, also am 19. und 20. September 1904, die „sections" an den darauffolgenden Tagen zusammentreten zu lassen. 16 Bei den „divisions" sollte in einem Referat die Einheit des jeweiligen Wissenschaftsgebietes dargestellt werden; für die „departments" waren zwei Referate vorgesehen, von denen das eine die grundlegenden Konzeptionen und Methoden zu behandeln und das andere den Fortschritt auf dem Fachgebiet während des letzten Jahrhunderts aufzuzeigen hatte. Die Redner in den „sections" sollten schließlich das Verhältnis des von Ihnen behandelten speziellen Zweigs („branch") zu den anderen Zweigen des Fachgebietes diskutieren. 17 Auf diese Weise, so die Hoffnung Münsterbergs, lasse sich ein Netzwerk intellektueller Beziehungen schaffen, „in which everything would be interrelated with everything else", um so „the inner relation of the branches of human knowledge" offenzulegen. 1 8 Mit der Entscheidung für Münsterbergs Plan endete die Tätigkeit des „committee on plan and scope". Gleichwohl beschloß das „administrative board", den chairman des Komitees, Simon Newcomb, sowie Small neben Münsterberg weiterhin an den Vorbereitungen zu beteiligen. Newcomb
13 Rogers, History, S. 8. 14 Ebd. 15 Die verschiedenen Fassungen des Programms, sowohl die vorläufigen als auch die endgültige, wurden in zahlreichen Handexemplaren veröffentlicht; die folgende Darstellung bezieht sich auf das Programm, wie es in: Congress of Arts and Science, vol. 1, S. 4 7 - 4 9 , sowie S. 5 4 - 7 6 , abgedruckt ist. Zu den theoretischen Überlegungen hinsichtlich dieser Einteilung siehe Münsterberg, Hugo, The Scientific Plan of the Congress, ebd., S. 8 5 - 1 3 4 . 16 Rogers, History, S. 16. 17 Münsterberg, The Scientific Plan, S. 94. 18 Brief Hugo Münsterbergs an Frederick W. Holls vom 20. Okt. 1902, zitiert bei Coats, American Scholarship, S. 406.
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wurde zum Präsidenten des Kongresses, Small und Münsterberg zu Vizepräsidenten ernannt. 1 9 Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Auswahl der Gelehrten, die während des Kongresses sprechen sollten. Neben den rund 320 vorgesehenen Referenten waren je 150 chairmen und secretaries zu bestellen, so daß letztlich über 600 Wissenschaftler ausgewählt und eingeladen werden mußten. 2 0 Dabei wurde wohl nicht zuletzt aus Kostengründen - die Aufwandsentschädigung sollte für jeden Amerikaner 150 $, für jeden Europäer 500 $ betragen 2 1 - beschlossen, als Hauptredner in den „dlvisions" und „departments" sowie als chairmen und secretaries amerikanische Wissenschaftler zu bestellen und die Zahl der europäischen Redner In den „sectlons" auf 130, also auf einen pro „sectlon", zu begrenzen. 2 2 Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, „to find for every address the best man", 2 3 wurden zahlreiche amerikanische Universitäten, wissenschaftliche Gesellschaften sowie Repräsentanten von Kunst und Wissenschaft um Vorschläge gebeten, auf deren Basis man die endgültigen Einladungslisten erstellte. 24 Zwar behielt sich das „administrative board" in jedem Einzelfall das letzte Wort vor, 25 doch wurden die „Mehrheitswünsche dieser Berater [...] fast durchweg entscheidend für die Auswahl der Einzuladenden." 2 6 Insgesamt ergingen 150 Einladungen an ausländische Wissenschaftler, von denen 117 zunächst angenommen wurden. 2 7 Den größten Anteil hieran hatten die Deutschen, die schließlich mit 32 Personen, unter ihnen Ernst Troeltsch, Adolf von Harnack, Karl Lamprecht, Ferdinand Tönnies, Werner Sombart, Wilhelm Ostwald und Max Weber, vertreten waren. 2 8 Angesichts der Bedeutung des Kongresses entschlossen sich die Verantwortlichen, die Einladungen persönlich zu überbringen, um den ausgewählten Referenten die Vorstellungen der Kon-
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Rogers, History, S. 12, sowie Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 566. Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 566. Rogers, History, S. 11. Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S.566. Münsterberg, The Scientific Plan, S. 127. Rogers, History, S. 16. 25 Ebd. 26 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 567. 27 Diese Zahlen wurden bei den Eröffnungsreden des Kongresses am 19. September 1904 genannt. Rogers, History, S. 32. 28 Die Größe der einzelnen Delegationen läßt sich anhand des in: Congress of Arts and Science, vol. 1, S. 5 4 - 7 6 , abgedruckten Programms berechnen. Danach war das Deutsche Reich mit 32, England mit 21, Frankreich mit 16, Österreich mit zehn, Italien und Japan mit je vier, Kanada mit drei, Holland, Dänemark und Belgien mit je zwei Wissenschaftlern, Rußland, die Schweiz, Schweden und Mexiko mit jeweils einem Wissenschaftler vertreten. Eine diesbezügliche Aufstellung findet sich auch bei Ostwald, Wilhelm, Lebenslinien. Eine Selbstbiographie, 2. Teil. - Berlin: Klasing & Co. 1927, S.411 f.
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greßleitung detailliert darzulegen. 2 9 Zu diesem Z w e c k reisten N e w c o m b , Small und Münsterberg, der diese A u f g a b e für den d e u t s c h s p r a c h i g e n Raum ü b e r n o m m e n hatte, im Sommer 1903 nach Europa. 3 0 Über die näheren Umstände, unter d e n e n die Aufforderung an Max Weber erging, in St. Louis zu sprechen, sind wir nur unzureichend informiert. Die G r u n d s a t z e n t s c h e i d u n g , Weber als Hauptredner für die „section" „The Rural Community" im Rahmen der „division" „Social Regulations" und des „departments" „Social Science" auszuwählen, dürfte darauf beruht haben, daß er seit der Enquete des Vereins für Sozialpolitik aus d e m Jahre 1892, bei der er die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland untersucht hatte, 3 1 sowie a u f g r u n d seiner zahlreichen A b h a n d l u n g e n zu Fragen der Agrarpolitik und ihrer sozialen Folgen 3 2 als einer der führenden Experten auf d i e s e m Gebiet im Deutschen Reich galt. Man wählte auch in seinem Fall die Form der persönlichen Werbung. So dürfte H u g o Münsterberg, der mit Max Weber seit der g e m e i n s a m e n Freiburger Zeit bekannt war, d i e s e m am 23. Juli 1903 die offizielle Einladung des „Congress of Arts a n d Science" überbracht haben. 3 3 Die erste Nachricht aus der Feder Max Webers, daß er nach St. Louis fahren wolle, datiert v o m 10. Oktober 1903. In einem Brief an Lujo Brentano heißt es, er werde im Winter 1903/04 mit den Vorbereitungen für seinen „Louis'er Vortrag" beginnen. 3 4 Zwar scheint Weber, wie seine Frau berichtet, anfänglich durchaus „ H e m m u n g e n und Bedenken" w e g e n seines noch immer labilen Gesundheitszustandes g e h a b t zu haben, 3 5 d o c h dürfte für die Z u s a g e schließlich a u s s c h l a g g e b e n d g e w e s e n sein, daß sich ihm hier ein willkommener Anlaß für eine a u s g e d e h n t e USA-Reise bot. Über die Veranstaltung in St. Louis äußerte er sich in den f o l g e n d e n Monaten allerdings ironisch. Seinem Bruder Alfred schrieb er, daß er für den Kongreß eine Stunde - „40 Min[uten] Vortrag, 20 Min[uten] für die A b h e b u n g des C h e c k s " - einplane, 3 6 und Georg von Below g e g e n ü b e r bezeichnete er die
29 Rogers, History, S. 16. 30 Ebd., S. 17, sowie Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 567. 31 1892 als Band 55 der „Schriften des Vereins für Socialpolitik" bei Duncker & Humblot erschienen (MWG I/3). 32 Vgl. dazu vor allem die in MWG I/4 abgedruckten Schriften und Reden aus den Jahren 1 8 9 2 - 1899. 33 Brief Hugo Münsterbergs an Simon Newcomb vom 22. Juli 1903, Library of Congress, Washington D.C., Newcomb Papers. 34 Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 10. Okt. 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/4). Allerdings hatte Marianne Weber bereits am 23. August 1903 in einem Brief an Helene Weber den Plan einer Amerika-Reise für das nächste Jahr als bekannt vorausgesetzt. Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 35 Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S. 292. 36 Brief Max Webers an Alfred Weber vom 16. März 1904, Privatbesitz (MWG II/4).
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Tagung gar als einen „zoologischen Garten", für den er sich habe einfangen lassen. 3 7 Weber erwog zumindest zeitweise, seine Zusage zu der in seinen Augen „höchst skurrilen Congreß-Veranstaltung" zurückzuziehen. 3 8 Die Ursache dafür waren Querelen im Vorfeld der Tagung, an denen insbesondere die deutschen Wissenschaftler beteiligt waren. In der von Münsterberg für den „Amtlichen Bericht" angefertigten Abhandlung über den Gelehrtenkongreß wurden diese Mißhelligkeiten insofern angesprochen, als er feststellte, das große Übergewicht der deutschen Teilnehmer habe sich im Laufe des Jahres ein wenig verringert, „da die Deutschen in verhältnismäßig größerer Zahl als die Vertreter anderer Länder von der Erfüllung ihrer Zusage durch Krankheit oder berufliche Pflichten abgehalten" worden seien. 3 9 Obschon die Deutschen, wie bereits erwähnt, letztlich doch noch die größte Delegation bildeten und damit den „Löwenanteil" der Teilnehmer stellten, 40 war Münsterberg besorgt, daß die deutsche Wissenschaft in St. Louis nunmehr nur noch „sehr klaterig vertreten" sein werde. 4 1 Max Weber vermutete den Grund für die zahlreichen Absagen der Deutschen in ihrer Unzufriedenheit mit der von der Kongreßleitung festgesetzten Aufwandsentschädigung, wobei er sich in dieser Frage rigoros gegen seine Kollegen stellte und ihnen, so in einem späteren Brief an Gustav Schmoller, „widerliche Geldgier" vorwarf. 4 2 „Die Leute, die jetzt ablehnen", schrieb er seinem Bruder, „wollen alle noch mehr Geld herausschinden", 4 3 und er bezeichnete Münsterberg gegenüber „die nachträgliche Bettelei um mehr Geld u. die nachträglichen Absagen aus pekuniären Gründen als eine Schäbigkeit u. dem deutschen Ansehen nachteilig." 4 4 Ähnlich argumentierte er auch in einem Brief an Georg Jellinek, in dem er seine Befürchtung ausdrückte, daß diese „nachträgliche A b s a g e so vieler Deutscher" nicht nur „das Interesse von
37 Brief Max Webers an Georg von Below vom 17. Juli 1904 (Abschrift, masch.), GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30/4 (MWG II/4). 38 Brief Max Webers an Georg Jellinek, undat. [nach dem 21. Juni 1904], BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr. 31 (MWG II/4). 39 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 567. 40 Ebd. 41 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 22. Juli 1904, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 42 Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 14. Dez. 1904, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Gustav Schmoller, Nr. 196b (MWG II/4). 43 Brief Max Webers an Alfred Weber vom 16. März 1904, Privatbesitz (MWG II/4). 44 Brief Max Webers an Hugo Münsterberg vom 17. Juli 1904, Boston Public Library, Nl. Hugo Münsterberg (MWG II/4).
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uns Jüngeren", s o n d e r n a u c h .„nationale' Interessen u n a n g e n e h m berührt" und d a d u r c h „unser A n s e h e n wenigstens s c h ä d i g e n " könnte. 4 5 O b g l e i c h Max Weber „die Höhe der E n t s c h ä d i g u n g an sich" nicht diskutieren wollte, 4 6 reagierte er d o c h a u f g e b r a c h t auf d a s im Sommer 1904 entstandene Gerücht, daß es für die Gelehrten der einzelnen Nationen in finanzieller Hinsicht unterschiedliche R e g e l u n g e n gäbe. Der Briefwechsel hierzu z w i s c h e n Max Weber u n d H u g o Münsterberg ist nicht vollständig überliefert, d o c h läßt sich der Konflikt aus zwei erhaltenen Briefen rekonstruieren. 4 7 D a n a c h war dieses Gerücht von einem d e u t s c h e n Professor in Umlauf gesetzt w o r d e n und hatte dann neue Nahrung d u r c h einen Brief Münsterbergs an d e n Philosophen Wilhelm W i n d e l b a n d erhalten, in d e m er die relativ g e r i n g e A u f w a n d s e n t s c h ä d i g u n g damit b e g r ü n d e t e , „der ,Durchschnittsprofessor' reise ja d o c h 2. Classe u.s.w., u.s.w. und Geheimrat Althoffhabe sich dieser A u f f a s s u n g a n g e s c h l o s s e n . " Insbesondere die vermutete Einschaltung Friedrich Althoffs in diese Angelegenheit, der als Leiter der Abteilung für das Universitäts- und höhere Unterrichtswesen im preußis c h e n Kultusministerium die d e u t s c h e Selbstdarstellung auf d e m „Gelehrtenkongreß" intensiv förderte, 4 8 erregte d e n Zorn Max Webers, der darin einen weiteren A u s d r u c k der autoritären A m t s f ü h r u n g Althoffs g e s e h e n haben mag. In gereiztem Ton bat Weber um Aufklärung darüber, „ob e t w a eine differenzielle B e h a n d l u n g der Gelehrten der v e r s c h i e d e n e n Nationen stattg e f u n d e n hat, d. h. ob d e n D e u t s c h e n w e g e n ihrer .Lebenshaltung' weniger gezahlt w e r d e n soll als anderen." Darüber hinaus verwahrte er sich ents c h i e d e n g e g e n d e n A u s d r u c k „deutscher Durchschnittsprofessor" und drohte, seine Teilnahme an d e m Kongreß a b z u s a g e n . Zwar g e l a n g es Münsterberg, die A n g e l e g e n h e i t zu klären u n d die W o g e n der allgemeinen E m p ö r u n g zu glätten, d o c h dürfte für Max W e b e r zumindest insofern ein bitterer B e i g e s c h m a c k g e b l i e b e n sein, als Münsterberg in e i n e m seiner Schreiben d u r c h b l i c k e n ließ, ihm sei es bei der Vorbereitung des Kongresses d o c h recht „sauer" g e w o r d e n , W e b e r als Redner überhaupt „ d u r c h z u setzen".
45 Brief Max Webers an Georg Jellinek, undat. [nach d e m 21. Juni 1904], BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr. 31 (MWG II/4). 46 Brief Max Webers an H u g o Münsterberg v o m 21. Juni 1904, Boston Public Library, Nl. H u g o Münsterberg (MWG II/4). 47 Es handelt sich dabei um die bereits mehrfach zitierten Briefe Webers an MOnsterberg vom 21. Juni und 17. Juli 1904, beide Boston Public Library, Nl. H u g o Münsterberg (MWG II/4). 48 Siehe dazu u . a . Brocke, Bernhard vom, Internationale Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik: Der Professorenaustausch mit Nordamerika, in: Ders. (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das .System Althoff' in historischer Perspektive. - Hildesheim: August Lax (Edition Bildung und Wissenschaft) 1991, S. 1 8 5 - 2 4 2 , insb. S. 189 und S. 201.
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Am 24. August 1904 traten Max und Marianne Weber zusammen mit Ernst Troeltsch die Reise in die USA an. 49 Nachdem sie in New York von dem Germanisten William A. Hervey, einem Mitglied des offiziellen Empfangskomitees, 5 0 begrüßt worden waren und die augenscheinlich von den Veranstaltern geplanten Zwischenstationen an den Niagara-Fällen und in Chicago 5 1 eingelegt hatten, erreichten sie, wie die Mehrzahl der übrigen Teilnehmer, 52 am 17./18. September St. Louis. Dort wurden Max und Marianne Weber von der Kongreß-Leitung bei der deutsch-amerikanischen Familie Gehner geradezu „fürstlich einquartiert." 5 3 Der abendliche Gang durch das Weltausstellungsgelände machte auf Weber großen Eindruck. Er schilderte ihn als einen der „grandiosesten [...], die wenigstens ich mich entsinnen kann, je gehabt zu haben." 5 4 Am 19. September begann dann, wie Max Weber seiner Mutter schrieb, „der Kongreßschwindel." 5 5 Über die äußeren Bedingungen, unter denen der Vortrag Webers stattfand, gibt es nur spärliche Nachrichten. Wie aus dem Programm hervorgeht, wurde die „section" „The Rural Community" am 21. September um 15 Uhr in der „Hall 5", der „Dormitory Hall" im nordwestlichen Teil des Ausstellungsgeländes, eröffnet. 56 Chairman dieser „section" war Aaron Jones, secretary William Hill. Kurze Notizen über Webers in deutscher Sprache gehaltenen Vortrag und den des Korreferenten Kenyon F. Butterfield finden sich in zwei Lokalblättern, in der „Westlichen Post" und in der „St. Louis Republic" vom 22. September. 5 7 Etwas informativer ist Marianne Webers Schilderung des Ablaufs in einem Brief an Helene Weber: „Das große Ereignis der letzten Woche war für mich Maxens Vortrag. Ihr könnt denken, was in mir vorging, als ich ihn nach 6V2 Jahren wieder vor
49 Über den Ablauf der USA-Reise unterrichten zahlreiche Briefe Max und Marianne Webers an Helene Weber, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Sie sind auszugsweise abgedruckt bei Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S. 292-317. 50 Rogers, History, S.21. 51 Ebd. 52 Ebd., S. 22. 53 Brief Max Webers an Helene Weber vom 19. Sept. 1904, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG M/4). 54 Brief Max Webers an Helene Weber vom 20. Sept. 1904, ebd. (MWG II/4). 55 Brief Max Webers an Helene Weber vom 19. Sept. 1904, ebd. (MWG II/4). 56 Siehe dazu das Programm in: Congress of Arts and Science, vol. 1, S. 73, sowie „The International Congresses of Arts and Sciences", in: The World's Fair Bulletin, Nr. 12 von Okt. 1904, S.22. Ein Lageplan der Weltausstellung ist u.a. in: Weltausstellung St. Louis 1904. Amtlicher Katalog. Ausstellung des Deutschen Reichs. - Berlin: Georg Stilke [1904], abgedruckt. 57 Westliche Post vom 22. Sept. 1904, S. 10, sowie St. Louis Republic vom 22. Sept. 1904, S. 2. In der St. Louis Republic heißt es: „[...] the principal address was delivered by Professor Max Weber of the University of Heidelberg, who discussed in German the development of the rural community."
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einem aufmerksam lauschenden Hörerkreis stehen sah! Er sprach ausgezeichnet, sehr ruhig und doch kraftvoll, der Vortrag war nach Form und Inhalt glänzend, mit vielen politischen Pointen, die die Amerikaner interessierten. Der Hörerkreis war leider sehr klein, wie bei allen ausländischen Sprechern, die nicht, wie Harnack, Weltruf haben, aber es waren fast alle Fachkollegen da, und so hat er doch manche wertvolle Bekanntschaft gemacht, Einladungen erhalten etc." 5 8 Auch Max Weber äußerte sich lobend über die gesamte Veranstaltung. An Georg Jellinek schrieb er, daß „die Ausstellung [...] speziell nach der Seite des Geschmacks ganz hervorragend" und daß „das Zusammensein mit den vielen recht interessanten Leuten des Kongresses [...] - mit Maß genossen - doch sehr erfreulich" sei. 59 In einem Dankesbrief an Hugo Münsterberg heißt es: „[...] der Congreß in St. Louis übertraf die Erwartungen, die ich hegte. Er war unter allen Umständen eine Quelle der Anregung für alle Beteiligten, die den guten Willen hatten, von der gebotenen Gelegenheit Gebrauch zu machen." 6 0 Wie aus weiteren Äußerungen Marianne Webers gegenüber ihrer Schwiegermutter hervorgeht, nahm Max Weber in der Tat zumindest an einigen offiziellen Zusammenkünften teil, so an einem „lunch" bei dem deutschen Regierungsvertreter, Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Theodor Lewald, von dem auch Wilhelm Ostwald berichtet, 61 einem „dinner" beim Gouverneur von Missouri und einem Empfang im „Deutschen Haus", der von rund 1200 Personen besucht wurde. 6 2 An dem Anschlußprogramm, in dessen Verlauf auch ein Empfang beim amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt stattfand, 63 nahmen Max und Marianne Weber jedoch nicht mehr teil, wie sie auch eine Einladung Münsterbergs für die europäischen Teilnehmer nach Cambridge/Mass. an die Harvard-Universität für Anfang Oktober 6 4 ablehnten, da sie sich zu dieser Zeit bereits auf der „Reise nach dem Süden zu unsren Verwandten" befänden. 6 5 58 Brief M a r i a n n e W e b e r s an Helene W e b e r v o m 27. Sept. 1904, Bestand Max WeberSchäfer, D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 446. Adolf Harnack hatte a m 24. S e p t e m b e r in der Sektion „History of the Christian Church" d e n H a u p t v o r t r a g gehalten; siehe d a z u d a s Prog r a m m , in: C o n g r e s s of Arts a n d Science, vol. 1, S. 60. 59 Brief M a x W e b e r s an G e o r g Jellinek v o m 24. Sept. 1904, BA Koblenz, Nl. G e o r g Jellinek, Nr. 31 ( M W G II/4). 60 Brief M a x W e b e r s an H u g o M ü n s t e r b e r g v o m 14. Nov. 1904, Boston Public Library, Nl. H u g o M ü n s t e r b e r g (MWG II/4). 61 O s t w a l d , Lebenslinien, S. 419. 62 Brief M a r i a n n n e W e b e r s an Helene W e b e r v o m 27. Sept. 1904, B e s t a n d Max WeberSchäfer, D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 446. 63 O s t w a l d , Lebenslinien, S . 4 2 3 f . 64 Ebd., S . 4 2 6 f . 65 Brief Max W e b e r s an H u g o M ü n s t e r b e r g v o m 20. Sept. 1904, Boston Public Library, Nl. H u g o M ü n s t e r b e r g ( M W G II/4).
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Max Webers Vortrag in St. Louis wurde im Jahre 1906 im Band 7 der Dokumentation „Congress of Arts and Science" unter dem Titel „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science" veröffentlicht. 66 Da sich die von der Kongreß-Leitung ausgesprochenen „Einladungen [...] in jedem einzigen [siel] Falle auf ein ganz bestimmtes durch den Grundplan gefordertes Vortragsthema" bezogen, 6 7 um in ihrer Gesamtheit „ein systematisches Ganzes" zu bilden, 68 dürfte der Rahmen für Webers Vortrag von Anfang an recht eng gesteckt gewesen sein. Wann Weber mit der Ausarbeitung begann, wissen wir nicht. Doch erfahren wir aus dem bereits zitierten Brief an Lujo Brentano, daß er im Winter 1903/04, augenscheinlich im Zusammenhang mit seiner Abhandlung „Die Protestantische Ethik und der .Geist' des Kapitalismus", 69 die Quellen zum Calvinismus auch im Hinblick auf den Vortrag in St. Louis noch einmal durcharbeiten wollte. 70 Wie sich einer Vorbemerkung zu seinem Ende 1904 veröffentlichten Aufsatz „Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung in der deutschen Literatur des letzten Jahrzehnts" 71 entnehmen läßt, konzipierte er den Vortrag für St. Louis dann zunächst als „Referat über den Stand der wesentlichsten agrarhistorischen Kontroversen in der deutschen Literatur" und sammelte dafür Unterlagen. 72 Doch ließ er diesen Plan, der wohl auch nicht den Absichten der Veranstalter entsprochen hätte, wieder fallen und verwandte das bereits zusammengetragene Material für den oben genannten Aufsatz. 73 Wie sich der erwähnten Vorbemerkung weiter entnehmen läßt, entschied sich Weber daraufhin, seinen Vortrag in St. Louis vorwiegend der Erörterung der Frage zu widmen, welche Bedingungen für die verschiedenartige Entwicklung des grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in den westlichen und den östlichen Teilen des Deutschen Reichs entscheidend waren und welche staats- und sozialpolitischen Folgen sich daraus ergaben. 7 4
66 Congress of Arts and Science, vol. 7, S. 725-746. 67 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S.567. 68 Ebd., S. 565. 69 Die erste Fassung ist erschienen in: AfSS, Band 20, 1904, S. 1 - 5 4 , Band 21, 1905, S. 1 - 1 1 0 (MWG i/9). 70 Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 10. Okt. 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/4). 71 Dieser Aufsatz ist erschienen In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u. a., Band 28, 1904, S. 4 3 3 - 4 7 0 (MWG I/6). 72 Ebd., S. 433, Anm. 1. In einem Brief an Georg von Below vom 19. Juli 1904 heißt es noch, daß er In St. Louis „eine Stellungnahme zu der Streitfrage Wittich, Knapp, Henning, Meitzen, Brunner, Schröder, Heck" geben wolle. GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 30/4 (Abschrift, masch.). 73 Weber, Altgermanische Sozialverfassung, S. 433, Anm. 1. 74 Ebd.
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Bereits in der Frühphase der Vorbereitungen des Kongresses g i n g e n die Organisatoren davon aus, daß die einzelnen Vorträge in einem Werk veröffentlicht würden, „exhibiting the unity, progress, a n d present State of knowledge". 7 5 Es sollte „a source-book for the future on the bases of scientific theory at the beginning of the twentieth Century" entstehen. 7 6 Die bereits in St. Louis g e s a m m e l t e n Vorträge w u r d e n d e m Direktor des Kongresses, How a r d J. Rogers, ü b e r g e b e n , der für ihre Veröffentlichung verantwortlich zeichnete. Dabei hielt sich die insgesamt acht Bände umfassende Publikation Im wesentlichen an das S c h e m a des Kongreßprogramms. 7 7 Allerdings e n t s p r a c h e n nicht alle Vorträge den A b s i c h t e n und Zielen der Kongreßleitung. 7 8 Mancher Referent, so H u g o Münsterberg, sei „so weit a b g e s c h w e i f t , daß er seinen eigentlichen G e g e n s t a n d nur zum A u s g a n g s p u n k t e seiner A b h a n d l u n g nahm", andere w i e d e r u m hätten ihr T h e m a so verengt, „daß die leitende Idee nur kümmerlich z u m A u s d r u c k e kam". 7 9 Gleichwohl wurden - nicht zuletzt aus Z e l t g r ü n d e n - von den Verfassern keine „Umarbeitungen, Ergänzungen und Kürzungen" verlangt, und die Herausgeber redigierten die Texte nicht. 8 0 Eine gewisse A u s n a h m e bildeten jene 44 Vorträge, die nicht in einer e n g l i s c h s p r a c h i g e n Fassung ü b e r g e b e n worden waren. 8 1 Für diese Texte, zu denen a u c h die A b h a n d l u n g Max Webers gehörte, wurden, wie der H e r a u s g e b e r versicherte, Übersetzer ausgewählt, die nicht nur perfekt z w e i s p r a c h i g waren und einen guten englischen Stil schrieben, sondern auch „thoroughly conversant with the subject on w h i c h the paper treated". 8 2 Mit der Übersetzung von Webers Text w u r d e Charles W. Seidenadel beauftragt, auf den diese Eigenschaften allerdings nur sehr eingeschränkt zutrafen. Er war nach d e m Studium der Mathematik, Geschichte, Philosophie und klassischen Philologie in Karlsruhe nach St. Louis g e g a n gen und hatte zeltweise an der Universität von C h i c a g o klassische Philologie und Musik unterrichtet. 8 3 Angesichts der v o m Herausgeber beschriebenen Vorgehensweise müssen wir d a v o n ausgehen, daß Max Weber auf die Übersetzung seines Beitrages keinen Einfluß nahm. Es ist darüber hinaus nicht sicher, o b sein Im Dezember 1905 Münsterberg g e g e n ü b e r geäußerter Wunsch: „Die Correktur des Congreß-Vortrages hoffe Ich also bestimmt zu erhalten", 8 4 erfüllt wurde und er den Text vor seiner Veröffent75 Rogers, History, S. 9. 76 Ebd., S. 42. 77 Ebd., S. 41. 78 Ebd. 79 Münsterberg, Gelehrtenkongreß, S. 570. 80 Ebd. 81 Rogers, History, S.40f. 82 Ebd., S. 41. 83 University of Chicago, Annual Report 1901. 84 Brief Max Webers an Hugo Münsterberg vom 2. Dez. 1905, Boston Public Library, Nl. Hugo Münsterberg (MWG Ii/4).
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Bericht
lichung überhaupt noch einmal sah, zumal sich In der dem Text vorgeschalteten biographischen Skizze eine Reihe sachlicher Fehler findet, die er wohl kaum übersehen hätte.
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein deutschsprachiges Manuskript des Textes konnte nicht nachgewiesen werden. 1 Der Abdruck folgt dem Text, wie er in der Übersetzung von Charles W. Seidenadel erschien: „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science", in: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis, 1904, hg. von Howard J. Rogers, vol.7. - Boston and New York: Houghton, Mifflin and Company 1906, S. 725-746 (A). Der Text enthält zahlreiche Fehler und Entstellungen, die auf die mangelnde Sprach- und Sachkompetenz des Übersetzers zurückgehen dürften. Schwierigkeiten bereiteten vor allem Fachbegriffe wie etwa „Sozialverfassung" oder „Agrarverfassung", die Seidenadel mit „social constitution" bzw. „rural (agrarian) constitution" übersetzte. Weitere Beispiele lassen sich mit „Großbetrieb" („gross culture", „gross operation"), „Kleinbauer" („little peasant"), „Kulturnation" („civilized nation") und „bürgerlich" („civic", „civil", „civilian") anführen. Wegen des Fehlens eines Originalmanuskripts kann in den Text allerdings nur bei offensichtlichen Inkonsistenzen eingegriffen werden. Die später von Hans Gerth besorgte, teilweise freizügige Rückübersetzung, die unter der Überschrift „Kapitalismus und Agrarverfassung", in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 108, 1952, S. 431 -452, veröffentlicht wurde, bleibt unberücksichtigt. Unter der Überschrift findet sich die Bemerkung: „(Translated by Professor Charles W. Seidenadel, Ph. D., University of Chicago)". Dem Text vorangestellt ist eine kurze biographische Skizze. Sie lautet: „Max Weber, Regular Honorary Professor, University of Heidelberg. b[orn] Erfurt, Germany, April 4 [sie!], 1864. Dr. juris. Berlin, 1899 [sie!]. Assessor, Berlin, 1890; Privat-docent, University of Berlin, 1892: Special Professor of Commercial Law, ibid. 1893; Regular Professor of Political Economy, University of Freiburg, 1894; of Heidelberg, 1897; Regular Honorary Professor, Heidelberg, 1903. Author of History of Commercial Societies; The Condition of Agriculture in Germany, and numerous articles in commercial and scientific journals. Editor of Archiv für Sozialwissenschaft." 1 Wolfgang J. M o m m s e n unternahm A n f a n g der 1980er Jahre den Versuch, das Originalmanuskript Max Webers im Archiv der Universität C h i c a g o zu finden. Nachlaßmaterialien von Charles W. Seidenadel, der hier zeitweise unterrichtet hatte, ließen sich nicht nachweisen. Weitere Recherchen bei d e s s e n Sohn, Wolfgang Seidenadel, ergaben, daß sich auch in Privathand keine Nachlaßpapiere erhalten haben. Das Originalmanuskript muß d e m n a c h als verloren gelten.
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Your committee has invited me to speak on "rural community,"1 which I can understand only in the sense of "rural society," on account of the opposition of this society to the city and to industry as 5 other topics of your programme. Your wish cannot possibly be fulfilled if taken in its literal sense. The social constitution of rural districts is the most individual and most connected with historical development of all social communities. It would not be reasonable to speak collectively on the rural conditions of Russia, Ireland, Sicily, 10 Hungary, and the Black Belt. 2 But even if I confine myself to the districts with developed capitalistic culture, it is scarcely possible to treat the subject from one common point of view. For a rural society, separate from the urban social community, does not exist at the present time in a great part of the modern civilized world. It does 15 not exist in England any more, except, perhaps, in the thoughts of dreamers. The constant proprietor of the soil, the landlord, is not an agriculturist but a lessor; the temporary owner of the estate, the tenant or lessee, is an undertaker, a capitalist like others. The laborers are partly migrating laborers of the season, and the rest are journey- 20 men of exactly the same class as other proletarians. All are joined A 726 together for a certain time and then are scattered again. If | there is a specific rural social problem it is only this: Whether and how the no longer existing rural communitiy or society can arise anew so as to be strong and enduring. 25 But also in the United States, at least in the vast regions producing cereals, there does not exist now what might be called "rural society." The old New England town, the Mexican village, and the old slave plantation do not determine any longer the physiognomy of the country. And the peculiar conditions of the first settlements in 30 1 Zur V o r g e s c h i c h t e d e s K o n g r e s s e s und zur E i n l a d u n g M a x W e b e r s vgl. d e n Editoris c h e n Bericht, oben, S. 2 0 0 - 2 0 6 . 2 Mit „Black Belt" wird eine Agrarregion in A l a b a m a und M i s s i s s i p p i bezeichnet. Der s c h w a r z e , fruchtbare B o d e n eignet sich b e s o n d e r s z u m A n b a u von Baumwolle und zur Viehzucht.
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the primeval forests and on the prairies have disappeared. The American farmer is an undertaker like others. Certainly there are numerous farmers' problems, mostly of a technical character or pertaining to the politics of communication, which have played their role in politics and have been excellently discussed by American scholars. 3 But there exists not yet any specific rural social problem. This is not the case since the abolition of slavery 4 and the solution of the question, how the immense area of settlement which was in the hands of the Union has® been disposed of. 5 The present difficult social problems of the South are also in the rural districts essentially ethnical and not economical. Y o u cannot establish, on the basis of questions concerning irrigation, railroad-tariff, homestead laws, 6 etc., however important these matters are, a theory of rural community as a characteristic social formation; this may become different in the future. But if anything is characteristic in the rural conditions of the great wheat-producing states of America, it is - to speak in general terms - the absolute individualism of the farmers' economics, the quality of the farmer as a mere business man. This is quite different on the European Continent. It will, therefore, probably be better to explain briefly in what respect and for what reason it is different. The difference is caused by the specific effects of capitalism on the soil of old civilized countries and the much denser population of these countries. If a nation, as the German, supports its a A: have
3 Auf welche Literatur sich Max Weber hier im einzelnen bezieht, konnte nicht ermittelt werden. 4 Das 13. Amendment zur Verfassung der USA, das nach dem Ende des Sezessionskrieges (vgl. dazu unten, Anm. 15) am 18. Dezember 1865 verabschiedet wurde, verbot die Sklaverei für das ganze Land. 5 Anspielung auf die teilweise erfolgreichen Bemühungen der Nordstaaten im Anschluß an den Sezessionskrieg, durch eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse Im amerikanischen Süden die ehemaligen Sklaven zu Landbesitzern zu machen (vgl. dazu auch unten, Anm. 15). 6 Gemeint Ist die amerikanische Heimstätten-Gesetzgebung. Sie zielte In zwei Richtungen. Zum einen erleichterte sie, etwa mit dem Bundes-Heimstättengesetz von 1862, den Erwerb von Eigentum, indem öffentliches Land den Siedlern nahezu unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde. Zum anderen sollte mit einer Reihe einzelstaatlicher Heimstättengesetze die Existenz verschuldeter Bodenbesitzer dadurch gesichert werden, daß der Anspruch von Gläubigern auf Zwangsvollstreckung stark eingeschränkt wurde.
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inhabitants, whose number is but little smaller than the white population of the United States, in a space smaller in size than the State of Texas, 7 if it has founded and is determined to maintain its political position and the importance of its culture for the world upon this narrow, limited basis, the manner of the distribution of the soil gains 5 determinative importance for the differentiation of the society and all economical and political conditions of the country. In consequence of the close congestion of the inhabitants and the lower valuation of the bare working forces the possibility of quickly acquiring estate which has not been inherited is limited. Thus social 10 differentiation is necessarily fixed - a fate which also your country approaches. This increases the power of historical tradition, which is A 727 naturally the greatest in agricultural production, for which the | socalled "law of the decreasing production of the soil," 8 the stronger bondage by the natural limits and conditions of production, the 15 more constant limitation of quality and quantity of the means of production, diminish the importance of technical revolutions. In spite of technical progress production can be revolutionized least by purely rational division of labor and concentration of labor, acceleration of the change of capital, and substitution of the organic parts 20 of raw material and working forces by inorganic raw materials and mechanical means of labor. This inevitably predominating power of tradition in agriculture creates and maintains, on the European Continent, those types of rural population which do not exist in a new country, as the United States; to these types belongs first the 25 European peasant. This peasant is totally different from the farmer in England or in America. The English farmer is, to-day, a sometimes quite remarkable undertaker and producer for the market; almost always he has rented the estate. The American farmer is an agriculturist who has 30 mostly acquired, by purchase or as the first settler, the soil as his
7 Die Bevölkerungszahl des Deutschen Reichs betrug um die J a h r h u n d e r t w e n d e 52,3 Millionen, die der weißen Bevölkerung der USA zu dieser Zeit 66,8 Millionen. Die Fläche des Deutschen Reichs (rund 540.600 km 2 ) war um rund 140.000 km 2 kleiner als die des Staates Texas. 8 Das „Gesetz vom a b n e h m e n d e n Bodenertrag" besagt, daß bei konstantem Faktor Boden und w a c h s e n d e m Faktor Arbeit nach Erreichen der optimalen Faktorkombination der Ertragszuwachs und schließlich a u c h der Ertrag abnehmen. Es handelt sich um einen Sonderfall des allgemeinen Ertragsgesetzes.
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property; sometimes he has rented it. He produces for the market the market is older than the producer here. The European peasant of the old type was a man who had, in most instances, inherited the soil and who produced mostly for his own wants. The market in Europe is younger than the producer. Of course, for many years the peasant sold the superfluous products and, though he spun and wove, could not satisfy his wants by his own work. But he did not produce to gain profit, like a business man, for the past two thousand years had not trained him to this. Up to the time of the French Revolution the European peasant was only considered as a means for the purpose of supporting certain ruling classes. In the first place his duty was to provide, as cheaply as possible, the neighbor-town with food. The city prohibited, as far as possible, rural trade and the exportation of cereals as long as its citizens were not provided. Thus matters remained up to the end of the eighteenth century; for the artificial maintenance of the cities at the expense of the country was also a principle of the princes who wanted to have money in their countries and large intakes from the taxes. Moreover, the peasant was doomed to support, by his services and by paying taxes, the proprietor of the land who possessed the superior ownership of his land and quite often also the right of the peasant's body.9 This remained so up to the revolutions of 1789 and 1848. 10 Another of the peasant's
9 Max Weber beschreibt hier die Wirkungen der Grundherrschafl, wonach die Mehrheit der Bauern ihre Höfe nicht als freies Eigentum besaß, sondern für deren Nutzung dem Grundherrn als Obereigentümer Abgaben und Dienste leisten mußte. Neben dem Anspruch auf materielle Leistungen besaß der Grundherr auch ein auf die Person des Bauern bezogenes Verfügungsrecht, das vor allem dessen Freizügigkeit beschränkte. Zeitgenössisch wurden die - regional durchaus verschiedenen - Formen dieser Unfreiheit häufig mit dem Begriff der „Leibeigenschaft" belegt. 10 Infolge der Französischen Revolution setzten sich auch in den deutschen Ländern Maßnahmen zur „Bauernbefreiung" durch. In Preußen etwa schlugen sich die agrarreformerischen Unternehmungen in einer Gesetzes- und Verordnungsflut nieder, beginnend mit dem berühmten Befreiungsedikt vom 9. Oktober 1807 (GS 1806-27. Okt. 1810, S. 170-173), das unter anderem die ständischen Besitzschranken und die Schollenpflichtigkeit beseitigte. 1821 endete die erste legislative Phase der preußischen Bauernbefreiung, die es zwar den Bauern ermöglichte, freies Eigentum zu erwerben und ihre Dienste und Abgaben zumindest teilweise abzulösen, durch zum Teil erhebliche Zugeständnisse jedoch auch die Stellung der Gutsbesitzer stärkte. Das Ablösungs- und Regulierungsgesetz vom 2. März 1850 (GS 1850, S. 77-111) als Reflex auf die Revolution von 1848 beseitigte endgültig das Institut des Obereigentums und alle daran haftenden Privilegien, ließ die Ablösung aller ständigen Abgaben und Leistungen zu und setzte neue Normen für das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis.
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duties was to pay to his political lord the taxes for his estate - from which the knight was exempt - and to supply the armies with recruits, from which the cities were exempt. This remained so until the tax-privileges were abolished and the service in the army became the duty of every one, in the nineteenth century. | 5 A 728 Finally, the peasant was dependent upon the rural productive community into which the half-communistic settlement had placed him two thousand years ago.11 He could not manage as he wanted, but as the primeval rotation of crops prescribed. This remained so up to the dissolution of these half-communistic bonds. But also after 10 the abolition of all this legal dependency the peasant could not become a rationally producing little agriculturist as, for instance, the American farmer. Together with the village and its characteristic contrast to the individual settlement of the American farmer, numerous relics of ancient communistic conditions of forest, water, 15 pasture, and even arable soil, which united the peasants extraordinarily firm and tied them to the inherited form of husbandry, survived the liberation of the peasants. But to these relics of the past which America has never known, certain factors are added nowadays whose effects also America will one day experience, - the ef- 20 feet of modern capitalism under the conditions of completely settled old civilized countries. The limited territory causes there a specific social estimation of the ownership of land, and the tendency to retain it, by bequest, in the family. The superabundance of labor forces diminishes the desire to save labor by the use of machines. 25 Where now by migration into the cities and foreign countries the working forces become limited and dear, there, on the other hand, the high price of the soil by purchase and hereditary divisions diminish the capital of the buyer. To gain a fortune by agriculture is not possible in Europe nowadays. The time in which this will be pos- 30 sible in the United States is approaching its limit. We will not forget 11 In der zeitgenössischen Literatur wurde die Verteilung von Acker, Weide und Wald nach einem genossenschaftlichen Prinzip als die ursprüngliche Form des altgermanischen Bodenrechts angesehen. Infolge der Gemengelage der Grundstücke ergab sich für die Gemeinschaft der Zwang zum Einhalten gleicher Fristen für Bestellung, Aussaat und Ernte. Buchenberger, Adolf, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik unter besonderer Würdigung der kleinen und großen Mittel. - Berlin: Paul Parey 1897, S.3ff. Bis weit in die Neuzeit blieben Überreste dieser sog. „Feldgemeinschaft" in Form der „Allmenden" bestehen. In Preußen wurden diese im Zuge der Agrarreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgelöst.
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that the modern boiling heat of capitalistic culture is connected with heedless consumption of natural material for which there is no substitute. The supply of coal and ore will still last for future times, which it is difficult to determine at present. The utilization of new forces, farm-land, here will also soon have reached an end; in Europe it no longer exists. The agriculturist can never hope, as husbandman, to gain more than a modest equivalent for his work. He is, in Europe, and also to a great extent in this country, excluded from participating in the great chances of speculative business talent. The strong blast of modern capitalistic competition rushes, in agriculture, against a conservative opposing current, and it is exactly rising capitalism which, in old civilized countries, increases the counter-current. The use of the soil as investment of capital, and the sinking rate of interest in connection with the traditional social valuation of rural soil, push the price of real estate to such a height that the price of farm-land is always paid partly àb fonds perdu, so to say, as entrée, as entrance fee into this social stratum. Thus capitalism causes the increase of the number of idle renters of land by the increase of capital for agricultural operation. Thus peculiar | contrast- A 729 ing effects of capitalism are produced; and these contrasting effects alone make the "flat land" in Europe appear as the support of a separate "rural society." For with the conditions of old civilized countries the differences caused by capitalism assume the character of a cultural contest. Two social tendencies resting upon entirely heterogeneous bases wrestle with each other. The old economic constitution asked: How can I give, on this given soil, work and sustenance to the greatest possible number of men? Capitalism asks: How can I produce as many crops as possible for the market from this given soil with as few men as possible? 0 From the technical economical point of view of capitalism the old rural settlement of the country is, therefore, considered overpopulation. Capitalism produces the crops from the soil in mines, foundries, and machine factories. The past of thousands of years struggles against the invasion of the capitalistic spirit. This combat assumes, however, partly the form of peaceable transformation. As to certain points of agricultural production the
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little peasant, if he knows how to free himself from the fetters of tradition, is able to adapt himself to the conditions of the new husbandry. The rising rate of rent in the vicinity of the cities, the rising prices for meat, dairy products, and garden vegetables, the intensive care of the young cattle, which the self-working small farmer can 5 employ, connected with the higher expense for hired men, usually opens very favorable opportunities to the little farmer who works without hired assistance, near wealthy centres of industry. This is the case everywhere, where the process of production is developed in the direction of increasing intensity of labor, not of capital. 10 The former peasant is transformed here, as we observe in France and southwestern Germany, into a laborer who is in the possession of his means of production and perseveres in this independence, because the intensity and high quality of his work, increased by his private interest in it, and his adaptability of it to the demand of the 15 local market, procures for him an economical superiority, which continues to exist, even where the agriculture on a large scale would preponderate technically. The great success of the formation of corporations among the small farmers of the Continent 1 2 must be ascribed to these peculiar 20 advantages which, in certain branches of production, the work of the responsible small agriculturists possesses in opposition to the hired labor of the large farmer. These corporations have proved to be the most influential means of the peasants' education for husbandry. But through these corporations new communities of husbandry are 25 created, which bind the peasants together, and change this way of economic thinking and feeling from the purely individualistic form which the economic struggle for existence in industry assumes unA 730 der the pres | sure of competition. This, again, is only possible because 12 Die moderne Genossenschaftsbewegung entwickelte sich in Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst in Form der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Ihr Ziel war es, die in ihrer Isoliertheit wirtschaftlich schwachen Personen zu gemeinsamer wirtschaftlicher Tätigkeit zu vereinen. Sie basierte auf den Prinzipien der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung. Gegen Ende des Jahrhunderts griff die Genossenschaftsbewegung, die zuvor hauptsächlich in der Arbeiter- und Handwerkerschaft Fuß gefaßt hatte, auf die Landwirtschaft über. Es wurden zahlreiche Rohstoffvereine, Molkerei- und Werkgenossenschaften sowie ländliche Darlehenskassen gegründet. Das ländliche Genossenschaftswesen war vor allem im Deutschen Reich, in Frankreich, Italien und Dänemark verbreitet. Vgl. dazu u. a. Crüger, Hans, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, in: HdStW2, Band 3, S. 734-760.
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the great importance of the natural conditions of production in agriculture, its being bound to place, time, and organic means of work, and their publicity weaken the effectiveness of the individual competition of the farmers among each other. But where those conditions of a specific economic superiority of small farming do not exist, because the importance of self-responsible work as to quality disappears behind that of capital, there the old peasant struggles for his existence as a hireling of capital. It is the high social valuation of the owner of the land that makes him a subject of capital and ties him psychologically to the clod; the loss of the estate means for him degradation in an old civilized country with stronger economic and social differentiation. Not rarely the peasant's struggle for existence becomes the economic selection in favor of the most frugal, i. e., those most lacking culture. For the pressure of agricultural competition is not felt by him who uses his products not as articles of trade, but for his own consumption, sells but little thereof, and can, for this reason, buy but few other products. Thus sometimes a partial retrogression into natural husbandry occurs. Only with the French "system of two children" 13 the peasant can maintain himself, for generations, as a small proprietor in the inherited possession. The obstacles which the peasant meets who wants to become a modern agriculturist urge the separation of the possession from management; the landlord keeps his capital for operation, and he can draw it out from husbandry. Partially the government tries to create a mean between property and lease. The peasant cannot remain a peasant, and he cannot become a land-owner on account of the high valuation of the land. It is not yet possible to speak of a real "contest" between capitalismd and the power of historical influence, in this case of growing conflicts between capital and ownership of the soil. It is a process of selection partly, and partly of depravation. Quite different conditions prevail where not only an unorganized multitude of peasants are powerless in the chains of the financial powers of the cities, but d A: capitalisms
1 3 Seit B e g i n n d e s 19. J a h r h u n d e r t s w i e s e n alle Statistiken für Frankreich ein kontinuierlic h e s S i n k e n der e h e l i c h e n Fruchtbarkeit aus, so daß Frankreich schließlich allgemein als d a s k l a s s i s c h e L a n d d e s „Zweikindersystems" a n g e s e h e n wurde.
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where there is an aristocratic stratum above the peasants, which struggles not only for its economic existence, but also for the social standing which the history of centuries has granted this class. This is the case especially where this aristocracy is not tied to the rural districts by pure financial interest, as is the English lord, or only by the 5 interests of recreation and sport, but where its representatives are concerned, as agriculturists, in the economic conflict and are closely connected with the country. Then the dissolving effects of capitalism are increased. Because ownership of land gives social position, the price of the large estates 10 A 731 rises high above the value of their productivity. "Why did | God create him in his wrath?"The answer is: "Rents! Rents! Rents!" says Byron of the English landlord. 14 And, in fact, rents are the economic basis of all aristocracies that need a gentlemanly, workless income for their existence. But exactly because the Prussian "Junker" de- 15 spises the urban possession of money, capitalism makes him the rent-debtor. A strong, growing tension between city and country results therefrom. The conflict between capitalism and tradition is now tinged politically, for the question arises, if the economic and political power shall definitely pass over into the hands of the urban 20 capitalism, whether the small rural centres of political intelligence with their peculiarly tinged social culture shall decay and the cities, as the only carriers of political, social, and esthetic culture, shall occupy the field of the combat. And this question is identical with the question whether people who were able to live for politics and the 25 state, as the old, economically independent land aristocracy, shall be replaced by the exclusive domination of professional politicians who must live on politics and on the state. In the United States this question has been decided, at any rate for present days, by one of the bloodiest wars of modern times, which ended with the destruc- 30 tion of the aristocratic, social, and political centres of the rural dis-
14 In seinem 1823 verfaßten Werk „The Age of Bronze" reagiert Lord Byron im Abschnitt XIV auf Debatten im englischen Parlament, die sich mit der Lage der Landwirtschaft befaßten. Angesichts der massiven Kritik des englischen Großgrundbesitzes an der Politik der Regierung Sir Robert Peels, die zu einem Sturz der Agrarpreise und damit auch der Grundrente geführt habe, meinte Byron, daß für die englischen Landlords „their good, ill, health, wealth, joy, or discontent, being, end, aim, religion" ausschließlich „rent, rent, rent" sei. The Works of Lord Byron. Complete In Five Volumes. Second Edition, vol.3. - Leipzig: Bernhard Tauchnitz 1866, S. 282.
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tricts.15 Even in America, with its democratic traditions handed down by Puritanism as an everlasting heirloom, the victory over the planters' aristocracy was difficult and was gained with great political and social sacrifices. But in countries with old civilization matters are much more complicated. For there the struggle between the power of the historical notions and the pressure of the capitalistic interests summon social forces to battle, as adversaries of civil capitalism, which in the United States were partly unknown, or stood partly on the side of the North. A few remarks concerning this: In the countries of old civilization and of limited possibilities of economic expansion money-making and its representatives play necessarily a considerably smaller social role than in a country that is still new. The importance of the class of state officials is and must be much greater in Europe than in the United States. The much more complicated social organization makes a host of specially trained officials, employed for lifetime, indispensable in Europe, which will exist in the United States only in a much smaller number even after the movement of civil service reform 16 shall have attained all its aims. The jurist and officer of administration in Germany, in spite of the shorter and more intensive German college education for the university, is about thirty-five years old when his time of preparation and his unsalaried activity is completed and he obtains a salaried office. Therefore he can come only from wealthy circles. On the other hand, he is trained to unsalaried or low-salaried service, which | can find its reward only in the high social standing of his vo- A 732 15 G e m e i n t ist der a m e r i k a n i s c h e Sezessionskrieg ( 1 8 6 1 - 1 8 6 5 ) , der d u r c h d e n Austritt von elf Südstaaten aus der Union a u s g e l ö s t wurde. Er kostete rund 6 0 0 . 0 0 0 Soldaten d a s Leben. Mit der Kapitulation der konföderierten H a u p t a r m e e a m 9. April 1865 endete d a s f e u d a l e System d e s Südens, In d e m die b a u m w o l l p r o d u z l e r e n d e n , s k l a v e n h a l t e n d e n Plantagenbesitzer eine b e h e r r s c h e n d e Rolle gespielt hatten. Im Z u g e der von d e n Nordstaaten Im Anschluß an d e n Krieg eingeleiteten „Rekonstruktionspolitik" büßte die „Pflanzeraristokratie" nicht nur ihre Machtstellung Im politischen L e b e n d e s S ü d e n s ein, s o n d e r n verlor a u c h Ihren bis dahin w i c h t i g e n Einfluß auf die Politik der Union. 16 Diese B e w e g u n g richtete sich g e g e n d a s „spoils system", d e m z u f o l g e Staatsämter als „Beute" eines s i e g r e i c h e n P r ä s i d e n t s c h a f t s k a n d i d a t e n zur Verteilung an seine A n h ä n ger galten. Erste Erfolge hatte sie mit der „Civil Service Reform" (Pendieton A c t ) von 1883, mit der die G r u n d l a g e für die Errichtung eines B e r u f s b e a m t e n t u m s In d e n Vereinigten Staaten g e s c h a f f e n wurde. Zahlreiche Stellen Im öffentlichen Dienst w u r d e n nunmehr aufg r u n d v o n E i g n u n g s p r ü f u n g e n besetzt, u n d die erfolgreichen Bewerber besaßen d e n hera u s g e h o b e n e n Status eines „civil servant".
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cation; thus a character is stamped on him which is far from the interests of money-making and places him on the side of the adversaries of their dominion. If in old civilized countries, as in Germany, the necessity of a strong army arises, which Germany needs to maintain its independence,this means, for the politicial institutions, the support of an hereditary dynasty. Also the decided follower of democratic institutions - as I am - cannot wish to remove it where it has been preserved. For it is in military states, if not the only, yet the best, historically indorsed form (because it is interested personally in preservation of right and of a legal government), in which the Csesarian dominion of the sword of military parvenus can be averted, by which France is again and again menaced. 17 Hereditary monarchy - one may judge about it theoretically as one wants to judge - warrants to a state, which is forced to be a military state, the greatest freedom of the citizens - as great as it can be in a monarchy - and so long as the dynasty does not become degenerated, it will have the political support of the majority of the nation. The English Parliament knew very well why it offered Cromwell the crown, and equally well Cromwell's army knew why it prevented him from accepting it. 18 Such an hereditary, privileged dynasty has a natural affinity with the holders of other social privileges. To these conservative forces belongs in the European countries the church; first the Roman Catholic Church, which, in European countries, even on account of the multitude of its followers, is a power of quite different importance
17 Max Weber bezieht sich hier sowohl auf den Aufstieg Napoleon Bonapartes als auch auf eine Reihe von Krisen der Dritten Republik. Insbesondere die „Boulanger-Krise" von 1889, in deren Verlauf der ehemalige französische Kriegsminister General Georges Boulanger die Politik der Regierung heftig attackierte, sich damit eine Massenbasis in der französischen Bevölkerung schuf und mit Putsch drohte, fand im Deutschen Reich große Aufmerksamkeit und galt als Indiz für die politische Instabilität Frankreichs. 18 Während der Englischen Revolution war es zu erheblichen Konflikten zwischen Parlament und Armee gekommen, die im Jahre 1655 zugunsten der Armee entschieden schienen. Nach den Wahlen von 1657, die nicht im Sinne der Armee ausgegangen waren, setzte eine Bewegung zur Entmachtung der militärischen Funktionsträger ein. Dabei kam es zu einer Annäherung zwischen dem Parlament und Cromwell, der hierin die Chance sah, sich aus der Abhängigkeit von seinen militärischen Anhängern und Bundesgenossen zu befreien. Cromwell wurde vom Parlament ersucht, die Krone anzunehmen. Aufgrund der Widerstände innerhalb der Armee, die darin eine Preisgabe der revolutionären Errungenschaften sah, lehnte Cromwell jedoch nach reiflicher Überlegung am 8. Mai 1657 die Königswürde ab. Vgl. dazu u. a. Firth, Charles H., Cromwell and the Crown, in: The English Historical Review, vol.17, 1902, S. 429-442, sowie vol.18, 1903, S. 52-80.
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and character that it possesses in Anglo-Saxon countries; also the Lutheran Church. Both churches support the peasant, with his conservative conduct of life, against the dominion of urban rationalistic culture. The rustic movement of corporation stands, to a great extent, under the guidance of clergymen, who are the only ones capable for leadership in the rustic districts. Ecclesiastic, political, and economic points of view are here intermingled. In Belgium the rural corporations are means of the clerical party in the conflict against the socialists;19 the latter are supported by the consumers' unions and the productive associations. In Italy almost nobody who does not present his confessional certificate finds credit with certain corporations. 20 Likewise the aristocracy of a country finds strong backing in the church, although the Catholic Church is, in social regard, more democratic nowadays than formerly. The church is pleased with patriarchal conditions of labor because they are of personal human character, contrary to the purely commercial relations which capitalism creates. The church possesses the sentiment that the relation between a lord and a serf, but not the bare commercial conditions created by the labor market, can be developed and penetrated ethically. Deep, historically conditioned contrasts, | which have al- A 733 ways separated Catholicism and Lutheranism from Calvinism,21 strengthen that anti-capitalistic attitude of the European churches. 19 Max Weber stützt sich hier vermutlich auf die Untersuchungen Emil Vanderveldes und Louis Bertrands über das belgische Genossenschaftswesen (Vandervelde, Emil, Das ländliche Genossenschaftswesen in Belgien, in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Band 16, 1901, S. 639-678, sowie Bertrand, Louis, Die genossenschaftliche Bewegung in Belgien und ihre Resultate, in: AfSS, Band 20, 1905, S. 55-79). Beide kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß es den Klerikalen bei der Errichtung ländlicher Genossenschaften vor allem darum gegangen sei, ein Gegengewicht gegen die Erfolge der Sozialisten bei der Gründung von Konsum- und Produktivgenossenschaften für die Arbeiterschaft zu schaffen. „Durch die unaufhörliche Thätigkeit eines Kampfklerus" sei es, so Vandervelde, S. 641, in weniger als zehn Jahren gelungen, einige hundert ländliche Interessenvereinigungen zu organisieren, so daß mittlerweile „die ländlichen Syndikate [...] den größten wirtschaftlichen Machtfaktor der katholischen Partei" bildeten. 20 Anspielung darauf, daß vor allem in Norditalien die Genossenschaftsbewegung zunehmend in die Hände des katholischen Klerus geraten war. Dieser konzentrierte sich auf die Gründung konfessioneller ländlicher Darlehenskassen. Aufgrund intensiver Agitation entstanden bis 1897 rund 200 solcher Institute, die ihre Kreditpolitik ganz wesentlich an den Wünschen der Kirchenleitung ausrichteten. Vgl. dazu u. a. Crüger, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, S. 752ff. 21 Max Weber hat sich mit diesem Thema in seiner kurz zuvor entstandenen Abhandlung: Die protestantische Ethik und der „Geist" des Kapitalismus, in: AfSS, Band 20, 1904, S. 1 - 5 4 , und Band 21, 1905, S. 1 - 1 1 0 (MWG I/9) eingehend auseinandergesetzt.
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Finally, in an old civilized country, the "aristocracy of education," the Bildungsaristokratie, as it likes to be called, a strong class of the population without personal interest in economics, views more skeptically and criticises more sharply the triumphal procession of capitalism than can be naturally and justly the case in a country, such, for instance, as the United States. As soon as intellectual and esthetic education has become a profession, their representatives are bound by an inner affinity to all the carriers of ancient social culture, because also for them that profession cannot and must not be a source of heedless gain. They look distrustfully upon the abolition of traditional conditions of the community and upon the annihilation of all the innumerable ethical and esthetic values which cling to them. They doubt if the dominion of capital would give better, more lasting guaranties to personal liberty and to the development of intellectual, esthetic, and social culture which they represent, than the aristocracy of the past has given. They want to be ruled only by persons whose social culture they consider equivalent to their own; therefore they prefer the dominion of the economically independent aristocracy to the dominion of the professional politician. Thus it happens nowadays in the civilized countries - a peculiar and, in more than one respect, serious fact - that the representatives of the highest interests of culture turn their eyes back, stand with deep antipathy opposed to the inevitable development of capitalism, and refuse to cooperate e in the rearing of the structure of the future. Moreover, the disciplined masses of working-men created by capitalism are naturally inclined to unite in a class party, if new districts for settlement are no longer available, and if the working-man is conscious of being forced to remain inevitably a proletarian, as long as he lives, which is bound to come about sooner or later also in this country, or has already come. The progress of capitalism is not hemmed in by this; the working-man's chances to gain political power are insignificant. Yet they weaken the political power of the citizen and strengthen that of the citizen's aristocratic adversaries. The downfall of the German civic liberalism is based upon the joined effectiveness of these motives. Thus in old
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countries, where such a rural community, aristocratically differentiated, exists, a complex of social and political problems arises. A n American cannot understand the importance of agrarian questions upon the European Continent, especially in Germany, yea, even German politics, and must arrive at entirely wrong conclusions if he does not keep before his eyes these great complexes. It is a peculiar combination of motives which is effective in these old countries and | explains their' deviation from American conditions. Besides the A 734 necessity of strong military preparations, there are essentially two factors: First, something which never existed in the greater part of America, which may be designated as Ruckstandigkeit, viz., the influence of a gradually disappearing older form of rural social constitution. The second factor, circumstances which have not yet become effective in America, but to which this country, which is so elated by every million of increased population and by every rise of the valuation of the soil, will infallibly be exposed, exactly as Europe has been: the dense population, the high value of the soil, the stronger differentiation of the profession and the peculiar conditions resulting therefrom, under which the rural community of old civilized countries opposes capitalism joined to the influence of great political and social powers which are only known to old countries. Capitalism produces, under these circumstances, even to-day effects in Europe which can be produced in A m e r i c a only in future days.
In consequence of all those influences, European capitalism, at 25 least on the Continent, has a peculiar authoritative stamp which contrasts with the citizen's equality of rights and is usually distinctly felt by Americans. These authoritative tendencies, and that anticapitalistic sentiment of all those factors of Continental society of which I have spoken, find their social backing in the conflict between the 30 country aristocracy and the urban citizens. But the country aristocracy undergoes, under the influence of capitalism, serious inner transformations which alter completely the character the aristocracy has inherited from the past. I should like to show how this has taken place in the past and how it continues to be carried on in the 35 present, by the example of Germany.
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The social constitution of the rural districts in Germany shows sharp contrasts which every one traveling in the country does not fail to observe: the farther toward the west and south, the denser is the rural settlement, the more the small farmers predominate, the more dispersed and various is the culture; the farther toward the east, es- 5 pecially the northeast, the more extended are the fields of cereals, of sugar-beets, and potatoes, the more the gross culture prevails, the more numerous a rural class of journeymen without property stands in opposition to the aristocracy of land-owners. This difference is of great importance. 10 The class of the rural land-owners of Germany, consisting particularly of noblemen residing in the region east of the Elbe, rules politically the leading German state. The Prussian House of Lords represents this class,22 and the right of election gives them also a determinative position in the Prussian House of Representatives. 23 It im- 15 prints upon the corps of officers of the army their 9 character, as | A 735 well as upon the Prussian officials and upon the German diplomacy, which is almost exclusively in the hands of noblemen. The German student adopts their custom of life in the students' fraternities in universities, and also the civilian "officer of the reserve;" a growing 20 part of all the more highly educated Germans belong to this rank. Their political sympathies and antipathies explain many of the most important presuppositions of German foreign politics. Their obstructionism impedes the progress of the laboring-class; the manufacturers alone would never be sufficiently strong to oppose the 25 working-men under the democratic rights of electing representa-
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22 Im preußischen Herrenhaus, das sich sowohl aus erblichen als auch aus v o m König berufenen Mitgliedern zusammensetzte, betrug der Anteil der adeligen Großgrundbesitzer zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 75 %. 23 Das preußische A b g e o r d n e t e n h a u s w u r d e nach d e m „Dreiklassenwahlrecht" zusammengesetzt. Bei diesem Indirekten Wahlrecht wurden die Wahlberechtigten jeder Gemeinde e n t s p r e c h e n d den von ihnen gezahlten Steuern in drei Klassen unterteilt. Auf jede dieser Klassen entfiel V3 der G e s a m t s u m m e der erbrachten Steuern. Mithin wählten die wenigen am höchsten Besteuerten ebensoviele Wahlmänner wie die weit größere Zahl der Wähler der zweiten Klasse sowie die Masse der am geringsten besteuerten dritten Klasse. Seit den 1870er Jahren garantierte dies, auch w e g e n des den agrarischen Besitz begünstigenden Steuersystems, eine starke konservative Repräsentation.
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tives for the German Reichstag.2'1' They are the props of protectionism 25 which industry alone would never have been able to accomplish. They support orthodoxy in the state church. 26 Whatever remains and vestiges of authoritative conditions surprise the foreigner - who only sees the exterior side of Germany and has neither the time nor opportunity to enter into the essence of German culture and cause the erroneous opinions which are circulated in foreign countries concerning Germany, results directly or indirectly from the influence of these classes, as many of the most important contrasts of our interior politics are based upon that difference of the rural social constitution between the east and the west. The question arises: How can this difference be explained historically; for it has not always existed. Five centuries ago landlordship ruled the social constitution of the rural districts. However various were the conditions of the peasant's dependency which arose from this, and however complicated the social constitution of the country was, in one point harmony prevailed, in the thirteenth and fourteenth centuries; the usually far extended possessions of the feudal lord were nowhere - also not in the east - connected with gross culture; though the landlord cultivated a part of his estate, this culture was but little larger than peasants' culture. By far the greater part of his income depended upon the taxes which the peasants contributed. It is one of the most important questions of the German social history, how from this comparatively great uniformity the present strong contrast has arisen. 24 Der Reichstag d e s D e u t s c h e n Kaiserreichs ging aus Wahlen hervor, für die d a s allgemeine, gleiche, direkte u n d g e h e i m e Wahlrecht mit absoluter Mehrheitswahl in Einmannwahlkreisen galt. Das Wahlrecht s t a n d allen m ä n n l i c h e n R e i c h s a n g e h ö r i g e n v o m 25. Lebensjahr an zu. 25 Seit 1879 g e h ö r t e n die o s t e l b i s c h e n Großgrundbesitzer zu d e n Befürwortern der Schutzzollpolitik. Sie s a h e n in Zöllen d a s w i c h t i g s t e Mittel, der z u n e h m e n d e n Konkurrenz v e r g l e i c h s w e i s e billigen Getreides aus Ü b e r s e e zu b e g e g n e n . So waren sie erklärte G e g ner der unter der Kanzlerschaft Leo von Caprivis in d e n 1890er Jahren a u s g e h a n d e l t e n freihändlerisch orientierten H a n d e l s v e r t r ä g e . Nicht zuletzt auf ihr Betreiben v e r a b s c h i e d e t e der Reichstag Ende d e s Jahres 1902 einen neuen Zolltarif, d e m z u f o l g e importiertes Getreide erneut mit höheren A b g a b e n belegt w u r d e . 26 Vermutlich A n s p i e l u n g auf die „ O r t h o d o x e Rechte" innerhalb der altpreußischen Union, in der o s t e l b i s c h e Großgrundbesitzer, wie etwa Hans v o n Klelst-Retzow und Moritz von B l a n c k e n b u r g , über lange Jahre h i n w e g eine w i c h t i g e Rolle spielten. Ihnen g i n g es unter a n d e r e m d a r u m , die autoritäre Struktur der e v a n g e l i s c h e n Landeskirche g e g e n ü b e r d e n presbyterial-synodalen B e s t r e b u n g e n der protestantischen Liberalen zu stärken.
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Exclusive landlordship was dissolved at the beginning of the nineteenth century, partly in consequence of the French Revolution or of the ideas disseminated by it, partly in consequence of the Revolution of 1848; 27 the division of the rights of ownership of land between landlords and peasants has been abolished, the duties and taxes of the peasants have been removed. The brilliant investigations of Professor G[eorg] Ffriedrich] Knapp and his school 2 8 have shown how decisive, for that kind of agrarian constitution which originated then and still exists, was the question: H o w was the estate divided, after the dissolution of the manor community, 29 between A 736 the former landlords and the peasants? In the west and south the soil came, the greater part, into the hands of the peasants (or remained therein), but in the east a very large part fell into the hands of the former masters of the peasant, the Rittergutsbesitzer, who established there gross cultures with free laborers. But this was only the consequence of the fact that the uniformity of the agrarian constitution had disappeared before the emancipation of the peasants. The difference between the west and east was confirmed but not created by the same. The difference had existed, in its main points since the sixteenth century, and meanwhile had constantly grown. Landlordship had undergone interior changes before its dissolution. Everywhere in the east and west the endeavor of the landlords to increase their intakes was the urging factor. This desire had sprung 27 Vgl. dazu oben, S. 215, Anm. 10. 28 Max Weber denkt hier vermutlich an folgende Arbeiten Georg Friedrich Knapps, eines der führenden Experten auf dem Gebiet der preußischen Agrarentwicklung, und seiner Schüler: Knapp, Georg Friedrich, Die Bauern-Befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens, 2 Bände. - Leipzig: Duncker & Humblot 1887; Fuchs, Carl Johannes, Der Untergang des Bauernstandes und das Aufkommen der Gutsherrschaften. Nach archivalischen Quellen aus Neu-Vorpommern und Rügen. - Straßburg: Karl J. Trübner 1888; Wittich, Werner, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland. - Leipzig: Duncker & Humblot 1896; Ludwig, Theodor, Der badische Bauer im achtzehnten Jahrhundert. - Straßburg: Karl J. Trübner 1896; Grünberg, Karl, Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien, 2 Bände. - Leipzig: Duncker & Humblot 1893/94. 29 Mit dem Begriff der „manor community" soll eine spezifische Form des grundherrlichbäuerlichen Verhältnisses beschrieben werden. In der Villikationsordnung des frühen Mittelalters gab es keine selbständige bäuerliche Wirtschaft. Der Herrenhof und das Herrenland waren umgeben von abhängigen Bauernstellen, deren Inhaber dem Herrenhof zu Diensten und Abgaben verpflichtet waren. Im Zuge zunehmender Geldwirtschaft und Marktorientierung wurden seit dem Hochmittelalter im Westen die Leistungen in Zins und Rente umgewandelt (Rentengrundherrschaft), im Osten dagegen die abhängigen Bauernstellen In die Eigenwirtschaft des Grundherrn genommen (Gutsherrschaft).
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up with the invasion of capitalism, the growing wealth of the inhabitants of cities, the growing possibility of selling agricultural products. The transformations effected in the west and south date partly back to the thirteenth century, in the east to the fifteenth century. The ways by which the landlords pursued their aim were characteristic. In the south and west they remained landlords, i. e., they increased the rates of rent, interest, and taxes of the peasants, but they did not go into rural culture. In the east they became Gutsherren, cultivating lords; they appropriated parts of the peasants' land (they legten Bauern, as the saying was), procured thus a large estate for themselves, became agriculturists, and used the peasants as serfs to till their own soil. Gross culture existed there - only to a smaller extent and with labor of serfs - even before the emancipation of the peasants; but not in the west. What has caused this difference? When this question is discussed, vast weight is laid upon the conduct of political power; indeed, this power was greatly interested in the formation of the agrarian constitution. Since the knight was exempted from paying taxes, the peasant was the only one in the country who paid them. When standing armies were established, the peasants furnished the recruits. This, in connection with certain points of view of commercialism, induced the rising territorial state to forbid by edicts the Bauernlegen, i. e., the appropriation of the peasants' land by the lords, hence to protect the existing peasants' farms. 30 The stronger the ruler of the country was, the better he succeeded; the mightier the nobility was, the less he succeeded. According to this the differences of the agrarian constitution in the east are based, to a great extent, upon these conditions of power. But in the west and south we find that, in spite of the greatest weakness of a great many states, in spite of the indubitable possibility to appropriate peasants' land, the landlords do not attempt this at all. They do not show at all any tendency to deprive the peasant, to | establish a A 737 gross culture, and to become agriculturists themselves. And also the important formation of the conditions of the peasants' rights to the soil cannot have been the decisive reason. In the east great numbers of peasants with originally very good rights of possession have disappeared; in the west also those with the most unfavorable rights of 30 Friedrich II. erließ in Preußen unter a n d e r e m 1749 und 1764 Gesetze, die es verboten, das Land von Bauernstellen z u m Gutsland einzuziehen.
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possession have been preserved because the landlords did not at all want to remove them. The decisive question is, therefore: How did it happen that the landlord of the German south and west, although he had ample opportunity of appropriating the peasants' land, did not do this, while the eastern landlord deprived the peasants of their land in spite of the resistance of the power of the state? This question can be put into a different form. The western landlord did not renounce the utilization of the peasants' land as a source of income when he renounced its appropriation. The difference is only that he used the peasants as taxpayers, while the landlord of the east, by becoming Gutsherr, began to use the peasants as a laboring force. Therefore, the question must be asked: Why there one thing, here another? As with most historical developments, it is rather improbable that a single reason could be assigned as the exclusive cause of this different conduct of the landlords; for in this case we should chance upon this cause in the sources. Therefore, a long series of single causative factors have been adduced for explanation, especially by Professor von Below in a classical investigation in his work Territorium und Stadt. The question can only be, if the points of view can be augmented, especially from economical considerations. Let us see in which points there was difference between the conditions, in which the eastern and the western landlord were when endeavoring to extort from their peasants more than the traditional taxes. The establishment of gross operations was facilitated, for the western h landlords, by the fact that their landlordship as well as patrimonialization of the public powers had grown gradually on the soil of ancient liberty of the people; the east, on the contrary, was a territory of colonization. The patriarchal Slavonian social constitution 31 h A: eastern 31 In der z e i t g e n ö s s i s c h e n Literatur, so e t w a bei A u g u s t Meitzen, wird für die Slaven als „charakteristische Form ihres Volksdaseins" unter a n d e r e m ihre „ f ü g s a m e U n t e r w e r f u n g unter die leitende, [...] väterliche Gewalt d e s Familienhauptes" a n g e n o m m e n . Mit d e m Ü b e r g a n g d e s G r u n d b e s i t z e s in die H ä n d e einer zahlreichen Aristokratie h a b e sich für die ü b e r w i e g e n d e Mehrheit der bäuerlichen B e v ö l k e r u n g ein Z u s t a n d der Hörigkeit bis hin zu völligem Sklaventum entwickelt. Meitzen, A u g u s t , S i e d e l u n g und A g r a r w e s e n der Westg e r m a n e n und O s t g e r m a n e n , der Kelten, Römer, Finnen u n d Slawen, B a n d 2. - Berlin: Wilhelm Hertz 1895, S. 271 f.
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was the edifice invaded by German clergymen in consequence of their superior education, German merchants and artisans in consequence of their superior technical and commercial skill, German knights in consequence of their superior military technic, and German peasants in consequence of their superior knowledge of agriculture. Moreover, in the time of the conquest of the east, German social constitution, together with the political forces, had been completely feudalized. The social constitution of the east was, from the very beginning, adapted to the social preeminence of the knight, and the German invasion altered this but little. The German peasant, | even under the most favorable conditions of settling, had lost the A 738 support given to him, also in the feudal period, by firm traditions, the old mutual 'protection, the'jurisdiction of the community in the Weistümer22 in the west. The regularly more numerous Slavonian peasantry did not know anything of such traditions. Besides, in the west regularly the parcels of which the estates of the lords consisted, because they had gradually arisen upon originally free land, were intermingled even in single villages; they crossed everywhere the patrimonial rights of the small owners of territory and thus they secured for the peasant, by their variety and mutual conflicts, his toilsome existence; very frequently the peasant was politically, personally, and economically subjected to quite different lords. In the east the combination of lordship and patrimonial rights over a whole village was in the hand of one lord; the formation of a "manor," in the English sense, 33 was regularly facilitated because much more frequently, from the very beginning, but one knight's court had been founded in a village or had originated already from the Slavonian social constitution. And finally there is an important factor, upon
i A: protection, the
32 Bezeichnung für eine bis in die Frühe Neuzeit nachweisbare Form der Rechtsbildung. In den Weistümern w u r d e auf Anfrage des Herrschaftsträgers (z. B. des Grundherrn) von den Rechtsgenossen selbst (z. B. der Dorfgemeinde) Gewohnheitsrecht fixiert und für einen bestimmten Bereich zur Geltung gebracht. 33 Mit „manor" ist die spezifisch englische Form des Rittersitzes gemeint. Dieser war mit der Patrimonialgerichtsbarkeit für die im Bereich seiner Herrschaft lebende Bevölkerung ausgestattet. Vor d e m „manorial court" wurden unter a n d e r e m Schuldforderungen, Klagen auf Schadensersatz bis zu einer bestimmten Höhe sowie Grenzstreitigkeiten behandelt. Vgl. dazu u. a. Meitzen, Siedelung und Agrarwesen, Band 2, S. 138.
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which Professor von Below correctly lays special stress: the estate of the knights in the east, though at first small in proportion to the entire territory of a village, was nevertheless usually much larger than was customary in the west. 34 Therefore, the enlargement of the cultivation of his estate was, for the lord, not only much more easy than 5 in the west, but also a much less remote idea. Thus from the very beginning there existed, in the method of the distribution of the land, the first inducement to differentiation between east and west. But this difference of the size of the original estate of the landlord was connected, as to its causes, with differences between the eco- 10 nomic conditions of the east and those of the west; even in the Middle Ages considerably different conditions of existence were thus created for the ruling social class. The west was more densely settled, and, which is decisive in our opinion, local communication, the exchange of goods within and be- 15 tween the smallest local communities, was undoubtedly more developed than in the east. This becomes evident by the fact that the west was so much more densely settled with towns. It is based partly upon the simple historical fact that the culture of the west was, in each respect, older, partly upon a less evident, but important geographi- 20 cal difference, the far greater variety of the agricultural division of the west in comparison with the east. Considered from a purely technical view, the communication on the extended plains of the German east must have met with less impediments than in the much intersected and differentiated territory of the west. But such techni- 25 cal possibilities of communication do not determine the measure of A 739 exchange; on the contrary, because, in the west and | south, bottoms, valleys of rivers, plateaux, are intermingled, because climatic and other natural conditions of the production of goods are very noticeably differentiated within narrow districts, the economic induce- 30 ment to trade, to the development of a relatively intensive communication were so much stronger than on the large plains of the east where the neighboring towns have much more frequently nothing to exchange with each other (as even to-day), because all of them produce the same goods in consequence of the greater uniformity of 35 production caused by their geographical situation. Historical and
34 Below, Territorium und Stadt, S. 1 - 9 4 , insb. S. 30.
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natural conditions of an intensive local trade were (and still are), for these reasons, more favorable in the west. It is Professor von Below's merit to have pointed to the fact that, in the Middle Ages, the knighthood of the west was not only not exclusively but not even predominantly founded upon territorial possession. Taxes, toll traverse, rents, and imposts which depend upon a certain amount of local traffic played a role. 35 This was undoubtedly much less possible in those days (as at present) in the east. Whoever wanted to live there as a knight must found his existence rather upon the income from his own operation of agriculture. Large organizations for the production of goods and for external commerce, as those of the "Teutonic' Order," 36 are only a different phase of the same fact; the monotony of Eastern production directed transportation into more distant regions, and the local money economy remained considerably inferior to that of the westk according to all symptoms. If the very uncertain possible estimations are only approximately correct, also the conditions of the peasants' existence in the east and west must have been very different. It is scarcely probable that the lord would have taken up the operation of agriculture with its toil, risk, and the little gentlemanly contact with the mercantile world, if he could have lived as well in the east as in the west on the peasants' taxes, tolls, tithes, and rents. But we may conjecture why it was not equally possible in the east as in the west; for to make it possible, the peasants must be economically able to pay taxes of considerable amount, sufficient for the wants of the landlord; it is by no means evident that the peasants could afford to do this. This would presuppose that the peasant's self-interest in the productivity of his land had reached a certain degree, that he himself had attained a certain amount of economic education. But no-
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k A: east
35 Ebd., S. 113f. 3 6 Der D e u t s c h e Orden, der in der ersten Hälfte d e s 13. Jahrhunderts mit Billigung von Kaiser und P a p s t große Teile d e s O s t s e e r a u m s eroberte, übte mehrere Jahrhunderte lang nicht nur die territoriale Herrschaft über d i e s e s G e b i e t aus, s o n d e r n war dort a u c h der größte Grundbesitzer, der s i c h sowohl in P f l a n z e n b a u und Tierzucht sowie im Betrieb von Mühlen und S ä g e w e r k e n als a u c h im großen internationalen H a n d e l z u m i n d e s t zeitweise äußerst erfolgreich betätigte.
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thing could and can be substituted for that educating influence which is exerted upon the peasant by an intensive formation of urban communities, by well-developed local communication, by opportunity and inducement to sell rural products in the nearest possible local markets; this great difference may still be seen by compar- 5 ing the peasant of the plain of Baden with the peasant of the east. | A 740 It is not the natural difference of physical and chemical quantities of the soil or difference of the economic talent of the races, but the historically established economic milieu which forms the determinative factor in the difference of the results of peasants' agriculture. 10 A certain number of towns upon a given area was necessary to inspire the mass of the peasants with at least such a degree of interest in production that the lord was only enabled to draw from them the means necessary for his sustenance, using the peasants as "funds for interest." Where these influences of culture, which cannot be replaced even by the best labor and best will, were lacking, the peasant lacked frequently the possibility and always the incentive to push the income from his land beyond the traditional measure of his own needs. But if number and area are compared, the cities in the east were much fewer in number than in the west and south. A n d the development of gross agriculture in the east dates characteristically from an epoch in which not the rise but the decadence of the cities, and a quite noticeable decadence, can be observed. For its surplusage of grain the east was thus directed to its development to an agricultural export territory, with all qualities of such. This direction reached its culmination in our century after the abolition of the English grain duties. 37 O n the other hand, several parts of the west needed, even at the end of the Middle Ages, large importations of foodstuffs, especially cattle. The entire contrast is perhaps most evidently expressed by the difference in the prices of almost all agricultural products in the east and west in favor of the latter, which difference was only lately removed in consequence of the hidden premiums of
37 Die englischen Kornzölle wurden im Februar 1846 unter der Regierung Sir Robert Peels aufgehoben.
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grain exportation 38 which we now have granted for a decade. Even the railroads had somewhat diminished this difference, but left it1 in the middle of the last century, still very great. The unreliable condition of German numismatical history, besides many other technical difficulties, prevents us from obtaining a sufficient quantity of reliable data for the Middle Ages, but it seems well-nigh impossible that it has been different in general in that period, in spite of great fluctuations in single instances. If, therefore, the landlord wanted to make a more intensive use of his peasants, much greater difficulties obstructed in the east his plan to use them as funds for interest, on account of the peasants' traditional lack of development, the weakness of the local markets for rural products, and the smaller intensity of communication. I should like to ascribe to this circumstance a much greater importance - of course only in the form of an hypothesis yet to be proved at the sources - than has been done before, so far as I know: The landlord of the east has selected the method of operating his own agricultural estate, not because the gross operation was technically | more ra- A tional, - for this would have been true also for the west, - but because it was, under the historically established conditions, the only possible economic means to obtain a higher income. He became an operating landlord, and the peasant, bound more and more to the soil, became a serf with the duty to give his children to his lord as menials, to furnish his horses and wagons for husbandry, his own working force for all sorts of work of the entire year, while his own land was considered more and more a mere reward for his labor. In spite of the state's opposition the lord constantly expanded the land which he cultivated. When later on the emancipation of the peasants I A: them
38 D u r c h die A u f h e b u n g d e s „ I d e n t i t ä t s n a c h w e i s e s " im Jahre 1894 w u r d e im D e u t s c h e n Reich der Export von Getreide wesentlich b e g ü n s t i g t . U r s p r ü n g l i c h waren R ü c k v e r g ü t u n g e n d e s Einfuhrzolls nur bei N a c h w e i s der Identität der a u s g e f ü h r t e n Ware mit der ehemals importierten Ware gewährt worden, z. B. n a c h Weiterverarbeitung von Rohstoffen oder bei Halbfabrikaten. N a c h Wegfall des Identitätsnachweises w u r d e b e i m Export v o n Getreide eine V e r g ü t u n g in Höhe d e s b e s t e h e n d e n Getreidezolls in Form von Einf u h r s c h e i n e n geleistet, die beim Import von Getreide, Tee, Kaffee, Petroleum oder a n d e ren Kolonialwaren an Stelle d e s Einfuhrzolls einzulösen waren. Dieses System lief auf eine indirekte Prämierung d e s G e t r e i d e e x p o r t s hinaus. Vgl. dazu u. a. Lexis, Wilhelm, Identitätsnachweis, in: HdStW 2 , B a n d 4, S. 1 3 1 5 - 1 3 2 0 .
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came, it could not, as on a 4th of August in France,39 cancel, in the German east, the landlords from the agrarian constitution. 40 Not only because an impecuniary state with still undeveloped industry could not easily determine to renounce their gratuitous service in the administration and in the army, but above all, because the decree of the abrogation of the feudal rights there where lord and peasants found themselves in a production community did not decide at all the most important point: the fate of the soil which was considered to be in the possession of the landlord, not of the peasant. To declare it simply to be the peasants' property - as was done later in Russian Poland for political purposes, in order to ruin the Polish nobility - 4 1 would have annihilated in Prussia some twenty thousand large operated estates, the only ones which the country then possessed; it would not only have obliterated a class of renters, as it did in France. Therefore only a part of the peasants, the larger estates, and only a part of their lands were saved from being encompassed by the landlords, the remainder was appropriated by the latter. The east continued to be, and became henceforth more and more, the seat of agricultural capitalism, as industrial capitalism took its seat especially in the west. This development was completed by the
39 Gemeint sind hier die Beschlüsse der konstituierenden Nationalversammlung in der Nacht vom 4. August 1789, die auf die vollständige Beseitigung der überkommenen Feudalrechte abzielten. Mit der Abschaffung der persönlichen Gutsuntertänigkeit wurde den Bauern die Befreiung von sämtlichen Abgaben und Diensten in Aussicht gestellt. Es wurden die grundherrliche Gerichtsbarkeit, alle adeligen Exklusivrechte, wie etwa das Jagdrecht, und die bisherigen Steuerprivilegien aufgehoben. 40 Die Maßnahmen der preußischen Bauernbefreiung (siehe oben, S. 215, Anm. 10) waren darauf ausgerichtet, die Interessen der adeligen Gutsbesitzer zu wahren. So sah das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 (GS 1811, S. 281 - 2 9 9 ) vor, daß den Bauern zwar das volle und freie Eigentum an den ehemals zum Gutsverbande gehörenden Höfen gewährt wurde, daß der Adel jedoch für die Ablösung der Lasten (Abgaben und Dienste) durch die Abtretung eines Teils der Hofstelle entschädigt wurde. Weitere Verordnungen, wie etwa die Deklaration vom 29. Mai 1816 (GS 1816, S. 154-180), beschränkten den Umfang der Allodifikationen und kamen damit den Interessen des grundbesitzenden Adels entgegen. 41 Max Weber bezieht sich hier vermutlich in erster Linie auf die Ereignisse nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1863. In dem Bemühen, dessen Träger, vor allem den kleineren und mittleren Adel, aus seiner traditionellen Machtstellung zu verdrängen, führte die russische Regierung eine Agrarreform durch, in deren Verlauf im ehemaligen Königreich Polen rund 1660 adelige Besitzungen konfisziert und an die Bauern verteilt wurden.
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Russian frontier, which cut off the rear country,42 for a gross industry which might arise in the east now placed its development closely behind that frontier to Russian Poland. The Prussian Rittergutsbesitzer of the east, who was originated under these conditions, was a social product, very different from the English landlord. The English landlord is generally a lessor of land, not an agriculturist. His tributaries are not peasants, as in the Middle Ages, but capitalistic enterprises for cultivation of the land. He is the monopolist of the soil. The estate in his possession is kept in the family by the artful juristic mechanism of "entails," 43 which arose, like the modern capitalistic monopolies, in a constant struggle with legislation; it is withheld from circulation"1, obligation, division by bequest. The landlord stands outside of the rural productive community. Occasionally he assists his lessee with | loans of capital, but A 742 he enjoys an intangible existence as a lessor. As a social product he is a genuine child of capitalism, arisen under the pressure of those above-mentioned contrasting effects which capitalism produces in completely populated countries with an aristocratic social constitution. The "landed aristocrat" wishes to live as a gentleman at leisure. His normal striving aims at rents, not at profit. The technically sufficient measure of the estate and the measure of the property necessary for his maintenance are by no means in harmony with each other; more intensive operation, in German places, demands, for instance, the diminution of property; the rising luxury of the aristocratic class requires its enlargement, especially as the prices of prodm A: communication 4 2 Anspielung auf die polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts und die territorialen Regelungen des Wiener Kongresses 1815. Hier wurde der Hauptteil des von Napoleon gebildeten Herzogtums Warschau als Königreich Polen („Kongreß-Polen") mit dem russischen Reich verbunden. Als Rußland später in den 1870er Jahren Zollschranken errichtete, verloren viele Gewerbe des preußischen Ostens ihre alten Absatzmärkte. 4 3 Die „entails" bildeten die spezifisch englische Form der familienrechtlichen Bindung von Grundeigentum. Sie ließ die Verschuldung und Veräußerung nur in eng gesteckten Grenzen zu. Die Stiftung mußte von Generation zu Generation erneuert werden. Der älteste erbberechtigte Sohn entschied im Moment seiner Volljährigkeit darüber, ob er den Grundbesitz als Eigentum annehmen oder die Stiftung erneuern wollte. In der Regel war das letztere der Fall: Sein Vater behielt das Nutzungsrecht auf Lebenszeit, er selbst verzichtete auf die Anwartschaft auf das unbeschränkte Eigentum und erhielt daraufhin die Anwartschaft auf das Nutzungsrecht. Bis zum Tode des Vaters erhielt er eine jährliche Rente. Sein erstgeborener Sohn wurde wiederum im voraus zum Erben bestimmt. Für die noch zu erwartenden jüngeren Geschwister des designierten Erben waren Renten als Abfindungen vorgesehen.
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ucts fall. Each purchase, each compensation of co-heirs, burdens the estate with heavy debts, while the operation of the estate becomes the more sensitive to fluctuating conjunctures the larger and more intensive it is. Only in an agrarian constitution, as the English, this development is abolished, which, together with the increased density of population and rising valuation of the land, endangers everywhere, nowadays, the existence of large rational agriculture, instead of the state's land monopoly which many reformers demand. 44 The opposite extreme has been carried out - private monopoly of the land. But the private monopoly of the land produces, in certain economic respects, effects similar to those of the state's monopoly; it withdraws the soil from circulation" and separates operation from possession. Either may now go its own way. The interest of the capitalistic farmer striving after the undertaker's profit and the landowner's interest in the rents, striving after the preservation of an inherited social position, run side by side without being tied to each other, as is the case with the agricultural operation of the free owners. The practical significance of this is that the elasticity of husbandry against agricultural crises is powerfully increased. The shock falls upon two strong shoulders, the land monopolist and the capitalistic landlord. The crisis results in lowering the rent, probably in the change of the lessee, in a gradual diminution of the cultivated soil, but not in a sudden destruction of many agricultural estates nor in any sudden social degradation of many land-owning families. Quite different are the conditions of the eastern Prussian Junker0. He is a rural employer, a man of a thoroughly civilian type, esteemed according to the size of his estate and income; he possesses scarcely more than one and a half to two United States "sections," 45 but by tradition he is incumbered with high life and aristocratic wants. He is usually the free owner of the soil which he cultivates, n A: communication
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44 G e g e n Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sowohl in den USA und England als auch In Deutschland Reformbewegungen, die Im Privateigentum an Grund und Boden die Ursache für alle sozialen Probleme Ihrer Zeit sahen und demgemäß eine Verstaatlichung des Grund und Bodens bzw. die staatliche Konfiskation der privaten Grundrente anstrebten. Im Deutschen Reich wurde Im Jahre 1898 der „ B u n d der Deutschen Bodenreformer" gegründet. Vgl. dazu Diehl, Karl, Bodenbesitzreform, In: HdStW 2 , Band 2, S. 9 5 0 - 9 6 2 . 45 Eine United States Section entspricht 259 ha.
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and which is sold and mortgaged, estimated for bequests, and acquired by compensating the co-heirs; hence it is always burdened anew with running interests. Therefore the owner alone is exposed to the fluctuation of | the market prices; he is involved in all eco- A 743 nomic and social conflicts, which always menace directly his existence. A s long as the exportation of grain to England flourished, he was the strongest supporter of free trade, the fiercest opponent to the young German industry of the west that needed protection; but when the competition of younger and cheaper soils repelled him from the world market and finally attacked him at his own home, he became the most important ally of those manufacturers who, contrary to other important branches of German industry, demanded protection; 46 and joined them in a common struggle against the workmen's demands. For meanwhile capitalism had also gnawed at the social character of the Junkerp and his laborers. In the first half of the last century the Junkerq was a rural patriarch. His laborers, the peasants whose land he had formerly appropriated, were by no means proletarians. They received, in consequence of the Junker's' impecuniosity, no wages, but a homestead, land, and the right of pasturage for their cows; during harvest-time and for threshing a certain portion of the grain, paid in wheat, etc. Thus they were, on a small scale, agriculturists with a direct interest in their lord's husbandry. But they were expropriated by the rising valuation of the land; their lord withheld pasture and land, kept his grain, and paid them wages instead. Thus the old community of interest was dissolved, the laborers became proletarians. The operation of agriculture became operation of the season, viz., restricted to a few months. The lord hires wandering farm-hands, since the maintenance of unoccupied laborers throughout the year would be too heavy a burden. p A: lunker
q A: Iunker
r A: Iunker's
46 Im Z u g e der mit der Intensivierung d e s Weltmarktes h e r g e h e n d e n strukturellen Wirtschaftskrise im D e u t s c h e n Reich f a n d die Schutzzollidee seit Mitte der 1870er Jahre zun e h m e n d Anhänger. Einer der w i c h t i g s t e n Protagonisten der Zollschutzpolitik war die Eisenindustrie, die ähnlich wie die Agrarier (siehe d a z u o b e n , S. 227, Anm. 25) In Zöllen d a s g e e i g n e t e Mittel g e g e n billigere Importgüter sah. Im G e g e n s a t z d a z u waren die verarbeit e n d e n Industrien mehr an niedrigen Rohstoffzöllen und an einer H e r a b s e t z u n g der Agrarzölle Interessiert, d a d i e s e die Löhne In die H ö h e trieben.
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The more German industry grew up, in the west, to its present height, the more the population underwent an enormous change; emigration reached its culmination in the German east, where only lords and serfs existed in far extended districts and whence the farm laborers fled from their isolation and patriarchal dependency either across the ocean, to the United States, or into the smoky and dusty but socially more free air of the German factories. On the other hand, the owners of estates import whatever laborers they can get to do their work: Slavonians from beyond the frontier, who, as "cheaper hands," drive out the Germans. The owner of an estate acts to-day as every business man, and he must act thus, but his aristocratic traditions contrast with such action. He would like to be a landlord and must become a commercial undertaker and a civilian. Instead of him other powers endeavor to snatch the role of a landlord. The industrial and commercial capitalists begin to absorb more and more the land. Manufacturers and merchants who have become rich buy the knights' estates, tie their possession to their family by a "feoffment in trust" 47 (or „entails"), and use their estate as means A 744 to invade the aristocratic class. The fideicommissums of the | parvenu is one of the characteristic products of capitalism in an old country with aristocratic traditions and a military monarchy. In the German east the same thing takes place now which has been going on in England for centuries until the present conditions were established there and which America will also experience in future days, though only after all free land has been exhausted and after the economic pulsation of the country has slowed down. For while it is correct to say that the burden of historical tradition does not overwhelm the United States and that the problems originating from the power of tradition do not exist here, yet the effects of the power of capitalism are the stronger and will, sooner or later, S A: fideicomissum
47 Z u m hiermit g e m e i n t e n Institut d e s Familienfideikommiß, einer S o n d e r f o r m land- u n d forstwirtschaftlichen G r u n d b e s i t z e s , d a s d u r c h eine Willenserklärung des Stifters für eine b e s t i m m t e Familie auf Dauer g e b u n d e n , in seiner Gesamtheit unteilbar, unveräußerlich u n d u n v e r s c h u l d b a r sowie einer b e s t i m m t e n Erbfolge unterworfen war, siehe Max W e b e r s A b h a n d l u n g „Agrarstatistische und sozialpolitische B e t r a c h t u n g e n zur Fideikommißfrage in Preußen", in d i e s e m B a n d a b g e d r u c k t , S. 9 2 - 1 8 8 .
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further the development of land monopolies. When the land has become sufficiently dear so as to secure a certain rent, when the accumulation of large fortunes has reached a still higher point than today, when, at the same time, the possibility of gaining proportionate profits by constant new investments in trade and industry has been diminished so far that the "captains of industry," as has occurred everywhere in the world, begin to strive for hereditary preservation of their possessions instead of new investments that bring both gain and danger, then, indeed, the desire of the capitalistic families to form a "nobility" will arise, probably not in form though in fact. The representatives of capitalism will not content themselves any longer with such harmless play as pedigree studies and the numerous pranks of social exclusiveness which startle so much the foreigner. Only when capital has arrived at this course and begins to monopolize the land to a great extent, will a great rural social question arise in the United States, a question which cannot be cut with the sword, as was the slave question. 48 Industrial monopolies and trusts are institutions of limited duration; the conditions of production undergo changes, and the market does not know any everlasting valuation. Their power lacks also the authoritative character and the political aristocratic mark. Monopolies of the soil create infallibly a political aristocracy. As far as Germany is concerned, in the east a certain approach to English conditions has begun in consequence of the tendencies of development, while the German southwest shows similarity with France in the social formation of the country. But, in general, the intensive English stock-breeding is not possible in the German east on account of the climate. Therefore capital absorbs only the soil which is most favorable for agriculture. But while the inferior districts in England remain uncultivated as pastures for sheep, in the German east they are settled by small farmers. This process has a peculiar feature, inasmuch as two nations, Germans and Slavonians, struggle with each other economically. The Polish | peasants who A 745 have fewer wants than the Germans, seem to gain the upper hand. While thus under the pressure of conjuncture the frugal Slavonian small farmer gains territory from the German, the advance of 4 8 Max Weber bezieht sich hier auf den Sezessionskrieg 1861-1865 und die Beendigung der Sklaverei. Vgl. auch oben, S. 213, Anm. 4, sowie S. 221, Anm. 15 .
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culture toward the east, during the Middle Ages, founded upon the superiority of the older and higher culture, has changed completely to the contrary under the dominion of the capitalistic principle of the "cheaper hand." Whether also the United States will have to wrestle with similar problems in the future, nobody can foretell. The diminution of the agricultural operations in the wheat-producing states results, at present, from the growing intensity of the operation and from division of labor. But also the number of negro farms is growing and the migration from the country into the cities. If, thereby, the expansive power of the Anglo-Saxon-German settlement of the rural districts and, besides, the number of children of the old, inborn population are on the wane, and if, at the same time, the enormous immigration of uncivilized elements from eastern Europe grows, also here a rural population might soon arise which could not be assimilated by the historically transmitted culture of this country; this population would change forever the standard of the United States and would gradually form a community of a quite different type from the great creation of the Anglo-Saxon spirit. For Germany, all fateful questions of our economic and social politics and of our national interests are closely connected with that contrast between the rural constitution of the east and that of the west and with its further development. To discuss here, in a foreign country, the practical problems arising therefrom I should not consider correct. Destiny which has incumbered us with a history of thousands of years, which has placed us in a country with a dense population and an intensive culture, which has forced us to maintain the splendor of our old culture, so to say, in an armed camp within a world bristling with arms, has placed before us these problems. We must match them. The friendly nation whose guests we are does not yet know such problems; several of them this nation will probably never encounter. It has no old aristocracy; hence there do not exist the tensions caused by the contrast between authoritative tradition and the purely commercial character of modern economic conditions. Rightly it celebrates the purchase of the immense territory in whose centre we are here, 49 as the real historical seal imprinted upon its 4 9 Gemeint ist der „Louisiana Purchase" von 1803. In diesem Vertrag, der von Napoleon I. und Thomas Jefferson unterzeichnet wurde, verkaufte Frankreich den Vereinigten
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democratic institutions; without this acquisition, with powerful and warlike neighbors at its side, it would be forced to wear the coat of mail like ourselves, who constantly keep in the drawer of our desks the march order in case of war. But on the other hand, the greater part of the problems for whose solution we are now working will | approach America within but few generations; the way in which A 746 they will be solved will determine the character of the future culture of this continent. It was perhaps never before, in history, made so easy for any nation to become a great civilized nation as for the American people. But according to human calculation it is also the last time, as long as the history of mankind shall last, that such conditions for a free and great development will be given, the areas of free soil vanishing now everywhere in the world. One of my colleagues has quoted here the words of Carlyle: "Thousands of years have passed before thou couldst enter into life, and thousands of years to come wait in silence what thou wilt do with this thy life."50 I do not know if, as Carlyle believes, the single man can or will place himself, in his actions, upon the soundingboard of this sentiment. But a nation must do so, if its existence in history is to be of lasting value.
Staaten für 15 Millionen Dollar Gebiete westlich des Mississippi bis zu den Rocky Mountains. Die Vereinigten Staaten vergrößerten damit ihr Territorium um mehr als 800.000 Quadratmeilen. 50 In dieser Form ist das Zitat in den Werken Thomas Carlyles nicht nachgewiesen. Das Zitat und die Zuordnung finden sich in d e m Vortrag des Philosophen und CarlyleForschers Paul Hensel, der in St. Louis über „Problems of Ethics" sprach. Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis 1904, hg. von Howard J. Rogers, vol.1. Boston/New York: Houghton, Mifflin a n d Co. 1905, S. 4 0 3 - 4 1 4 .
[Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben] [Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 26. September 1905]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Die Ausschußsitzung des Vereins für Sozialpolitik, auf der die Mannheimer Generalversammlung von 1905 vorbereitet wurde, fand am 6. Januar 1905 in Berlin statt. Dabei wurde beschlossen, auch „eine speziell sozialpolitische Frage" zu behandeln. Zustimmung fand Lujo Brentanos Vorschlag, das „Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben" zu diskutieren, 1 obwohl dieses Thema durch Vereinsschriften nicht hinreichend vorbereitet war. Zwar stand eine Veröffentlichung über „Die Wohlfahrtseinrichtungen der Arbeitgeber in Deutschland und Frankreich" 2 bevor, doch behandelte dieser Band lediglich einen „Teilgegenstand des zum Verhandlungsthema gewählten Stoffes". 3 Brentano wurde zum Eröffnungsredner des zweiten Verhandlungstages bestimmt. Brentanos Vorschlag gewann unvorhergesehene Aktualität, auf die er In seinem einleitenden Vortrag auf der Generalversammlung am 26. September 1905 ausdrücklich hinwies: „Man könnte meinen, der Ausschuß habe eine Vorahnung gehabt von den Dingen, die da kommen sollten. Kaum waren wir von der Berliner Sitzung zurückgekehrt, so bewies der größte Arbeiterausstand, den Deutschland jemals erlebt hat, die Dringlichkeit der
1 Verein für Socialpolitik. Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses in Berlin (im Senatssaale der Universität) am 6. Januar 1905. - Altenburg: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. o. J., S. [3], British Library of Politicai and Economic Science, London School of Economies and Politicai Science, NI. Ignaz Jastrow, Mise. 114. 2 Günther, Adolf und Prévôt, René, Die Wohlfahrtseinrichtungen der Arbeitgeber In Deutschland und Frankreich (Schriften des Vereins für Socialpolitik 114). - Leipzig: Duncker & Humblot 1905. 3 Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 188). - Berlin: Duncker & Humblot 1939, S. 104.
Editorischer Bericht
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beschlossenen Erörterung." 4 Brentano bezog sich damit auf den Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet, der sich am 6. Januar 1905 an Differenzen zwischen der Verwaltung und der Belegschaft auf der Zeche „Bruchstraße" (Besitzer Hugo Stinnes) entzündet und bis zu seinem Abbruch am 9. Februar annähernd zweihunderttausend Arbeiter erfaßt hatte. 5 Eines der Ziele der Streikenden war die Anerkennung und Stärkung der Arbeiterorganisationen. 6 Vor diesem Hintergrund erarbeitete Brentano seinen einleitenden Vortrag, dessen Kerngedanken er in einem längeren Briefwechsel einigen Vereinsmitgliedern vorab ausführlich mitteilte. Er war davon überzeugt, daß es sich angesichts der tagespolitischen Bedeutung des Themas bei den Verhandlungen über die Arbeitsverhältnisse in den privaten Riesenbetrieben nicht um „wissenschaftliche Monologie" handeln dürfe, sondern daß sie in eine „praktische Aktion" einmünden müßten. Deshalb erschien es ihm ratsam, sich vorab mit Gustav Schmoller, „den Webers und anderen [...] über die Grundlinien einer nicht zu beschließenden, aber einzubringenden Resolution", oder auch eines Programms zu verständigen. Seine Gedanken gingen dahin, für alle Arbeitnehmer eines jeden Gewerbes eine „amtliche Organisation" zu schaffen, deren Ausschuß „zusammen mit der Vertretung der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen für eine bestimmte begrenzte Zeit zu vereinbaren und alle Streitigkeiten aus der getroffenen Vereinbarung zu erledigen" habe. 7 Brentano wollte für die dem Referat folgende Debatte ein „möglichst einmütiges Auftreten einer großen Anzahl der Träger der bekanntesten Namen" erreichen, um auf diese Weise innerhalb des Vereins eine geschlossene Front für dieses Ziel zu schaffen. Nachdem Schmoller auf diese Vorstellungen grundsätzlich positiv reagiert hatte, 8 wandte sich Brentano am 11. März 1905 auch an Max Weber. 9 Dieser hatte freilich Bedenken. Er befürchtete, eine Zwangsorganisation be4 Brentano, Lujo, Einleitender Vortrag, in: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpolitik 116).-Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S. 135-149, hier S. 135. 5 Vgl. dazu Imbusch, Heinrich, Arbeltsverhältnis und Arbeiterorganisationen Im deutschen Bergbau. Eine geschichtliche Darstellung. - Essen: Verlag des Gewerkvereins christlicher] Bergarbeiter [1908], S. 566-602, sowie Koch, Max Jürgen, Die Bergarbeiterbewegung Im Ruhrgebiet zurZeit Wilhelms II. (1889-1914). - Düsseldorf: Droste 1954, S. 7 7 - 1 0 8 . 6 Imbusch, Arbeitsverhältnis und Arbeiterorganisationen, S. 581. 7 Brief Lujo Brentanos an Gustav Schmoller vom 28. Febr. 1905, abgedruckt In: Brentano, Lujo, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. - Jena: Eugen Dlederlchs 1931, S. 249-252. 8 Brief Gustav Schmollers an Lujo Brentano vom 5. März 1905, abgedruckt ebd., S. 252. 9 Dies geht aus dem Antwortschrelben Max Webers vom 25. April 1905, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/4), hervor.
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Das Arbeitsverhältnis
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deute: „1) Streikzwang bei entsprechendem Beschluß der Vertretung, 2) Streikverbot mangels eines solchen, [...] 3) Ausschluß der Zulassung .Arbeitswilliger' beim correkt beschlossenen Streik." Dem Vorteil des Verhandlungszwangs stünden vor allem zwei Nachteile gegenüber: neben einer „Belastung der Arbeiter-Verbände mit ganz ungeschultem, in seinen Forderungen maßlosen, in seiner Standhaftigkeit beim Streik fragwürdigen Material" vor allem die nivellierende Wirkung einer Zwangsorganisation. Mit der Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch einen Gesamtverband wären „die gelernten und überhaupt höher entwickelten Schichten der Arbeiterschaft der Majorisierung durch die unteren breiten Massen ausgesetzt." Insbesondere in der Lohnfrage verlöre jene oberste Schicht somit ihre „natürliche Führerschaft und jeden Antrieb, sich in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen." Weber konzedierte aber, daß diese Bedenken für den Bergbau und die Hüttenindustrie nur begrenzt zuträfen, und war geneigt, Brentanos Vorschlag, eingeschränkt auf Berg- und Hüttenarbeiter, zuzustimmen. Darüber hinaus plädierte er für eine Sicherung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter. 10 Diese war bisher in den §§152 und 153 der „Reichsgewerbeordnung" (G.O.) geregelt. 1 1 §152, Abs. 1 G.O. hob „alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter" auf. Damit war zwar noch kein Streikrecht vom Gesetzgeber garantiert, der Streik als Arbeitskampfmittel jedoch zumindest anerkannt. § 152, Abs. 2 und vor allem § 153 G.O. schützten auf der anderen Seite den einzelnen gegen einen Druck durch Kollektive. Während § 152, Abs. 2 G.O. jedem Teilnehmer ein Rücktrittsrecht von solchen Vereinigungen und Verabredungen einräumte, bestimmte § 1 5 3 G.O.: „Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§152) Theil zu nehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." Dabei legte man das in § 152, Abs. 1 G.O. verankerte Koalitionsrecht in der damaligen Rechtsprechung restriktiv, die Bestimmungen der §§152, Abs. 2 und 153 G.O. aber extensiv aus. So sollte etwa §152, Abs. 1 G.O. nur für die
10 Ebd. 11 Die Reichsgewerbeordnung in ihrer neuesten Gestalt nebst Ausführungsvorschriften. Unter besonderer Berücksichtigung des Bürgerlichen Gesetzbuchs erläuterte Textausgabe mit Sachregister, hg. von Ernst Neukamp, 4. verm. Autl. - Berlin: Siemenroth & Troschel 1901, S. 402-404.
Editorischer
Bericht
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reine Arbeitsvertragsgestaltung, nicht aber für die Verfolgung darüber hinausgehender sozialpolitischer Zwecke gelten. 1 2 Max Weber plädierte in seinem Brief an Brentano für eine Änderung dieser Bestimmungen. Er wollte einen Schutz „auch des Sich-Coalierens, nicht nur, wie jetzt, des Sich-n/chf-Coalierens". 1 3 Weber forderte demgemäß entweder eine völlige Beseitigung des § 1 5 3 G.O. „zu Gunsten des gemeinen Strafrechts" oder die A u s d e h n u n g seiner Bestimmung auf die Arbeitgeber: „Sfra/verbot auch g e g e n Unternehmer, deren Angestellte oder Verbandsangestellte, welche durch Drohung (z.B. mit Arbeitsentlassung) auf die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit von Arbeitern zu Organisationen einwirken." Darüber hinaus verlangte Weber - freilich ohne das näher zu spezifizieren - nach einer sozialen G e s e t z g e b u n g speziell für Riesenbetriebe: „Diese hätte m.E. den Charakter der .Bauernbefreiungs'-Gesetzg e b u n g zu tragen: eine Casuistik der .Wohlfahrtseinrichtungen' mit zwringenden Vorschriften, welche den Mißbrauch derselben als Machtmittel absolut ausschlössen." Im Sommer 1905 erschien die oben erwähnte Vereinsschrift über „Die Wohlfahrtseinrichtungen der Arbeitgeber in Deutschland und Frankreich", die Adolf Günther und René Prévôt besorgt hatten. 1 4 Weber wandte sich an Lujo Brentano, der diesen Band betreut hatte, um ihm seine „ G e n u g t u ung" 1 5 über die Arbeit auszudrücken: „Gerade diese Dinge wollte ich - d. h. das Wenige, was ich davon kannte - auf d e m V[erein] f[ür] S[ozial-] Pfolitik] vorbringen im Sinn des Verlangens nach einer .Bauernbefreiung'. Die Schrift ist nützlicher als recht Vieles, was der Verein neuerdings publiziert." Ferner zeigte er sich „ungemein" erfreut darüber, daß Brentano auch „auf den Gedanken, d e m § 1 5 3 GO. eine Parallelbestimmung z u m Schutz des Sich-Coalierens" beizugeben, eingehen wollte. Der Brief schließt mit d e m Satz: „Obwohl ich nun nicht nötig habe, noch irgend etwas zu sagen - die G[ünther]'sche Schrift erledigt diese Punkte brillant - komme ich natürlich, um Sie zu sehen, nach Mannheim." Die Verhandlungen der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik fanden in Mannheim v o m 25. bis 28. September 1905 statt. Die zweite Sitzung am Dienstag, d e m 26. September, hatte „Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben" zum Thema. In seinem einleitenden Vortrag über-
12 Vgl. Landmann, Robert von, Kommentar zur G e w e r b e o r d n u n g für das Deutsche Reich, Band 2, 4.Aufl., bearb. von Gustav Rohmer. - München: C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung 1903, S. 4 9 5 - 5 0 6 . § 153 G.O. ist im Mai 1918 a u f g e h o b e n worden. 13 Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 25. April 1905, BA Koblenz, NI. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/4). 14 Vgl. A n m . 2 . 15 Brief Max Webers an Lujo Brentano, undat. [Pst. 16. Aug. 1905], BA Koblenz, NI. Brentano, Nr. 67 (MWG II/4).
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Das Arbeitsverhältnis in den privaten
Riesenbetrieben
nahm Brentano zahlreiche Einwände Webers aus dessen Brief vom 25. April 1905 fast wörtlich, 1 6 hielt aber an seinem Grundgedanken fest, eine Zwangsorganisation für alle Arbeitnehmer eines Wirtschaftszweigs zu schaffen. Max Weber sah sich daraufhin veranlaßt, in die Debatte einzugreifen und Brentano - neben der Unterstützung, die er ihm in übrigen Punkten zuteil werden ließ - in dieser Frage auch öffentlich zu kritisieren.
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt den stenographischen Protokollen: Verhandlungen des Vereins für Socialpoiitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpoiitik 116: Verhandlungen der Generalversammlung in Mannheim, 25., 26., 27. und 28.September 1905). - Leipzig: Duncker & Humblot 1906 (A). Die Verhandlungen über „Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben" finden sich auf den Seiten 135-235, der Diskussionsbeitrag Max Webers ist dort auf den Seiten 2 1 2 - 2 1 7 abgedruckt. Er ist eingeleitet mit: „Professor Dr. Max Weber (Heidelberg)".
16 Brentano, Verhandlungen, S. 145.
[Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben]
Meine Damen und Herren! Nicht auf alles, was der Herr Vorredner1 gesagt hat, gehe ich ein. Ich möchte namentlich die etwas „übermenschliche" Logik mit dem Dienstmädchen und seinem Mietsvertrag2 Herrn Professor Brentano überlassen, da ich die Versammlung nicht um das ästhetische Vergnügen bringen möchte, welches eine Kritik seinerseits ihr bieten wird. Der Herr Vorredner sprach sein Erstaunen darüber aus, daß es nach dem „sittlichen Standard" der deutschen Arbeiter möglich gewesen sei, daß 195 000 Arbeiter unter Bruch des Kontrakts ohne Kündigung die Arbeit niederlegten. 3 In der Tat: eine sehr auffallende Erscheinung! Weit auffallender aber als sie selbst ist, was nun weiter geschah: der Reichskanzler, die Staatsregierung, die öffentliche Meinung, die politischen Parteien ohne Ausnahme - die Konservativen nicht ausgeschlossen: erst als die Angst ihnen aus den Gliedern genommen war durch die Wiederaufnahme der Arbeit, besannen sie sich eines anderen - haben sich durch diesen Kon1 Unmittelbar vor Max Weber hatte Alexander Tille, Generalsekretär der Südwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller und Syndikus der Handelskammer Saarbrücken, in der Debatte gesprochen. Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpolitik 116). - Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S. 205-211. 2 Alexander Tille hatte in seinem Beitrag, Verhandlungen, S. 208f., den Abschluß von Tarifverträgen mit Hilfe unabhängiger Schiedsgerichte kritisiert, da dies seiner Meinung nach im Gegensatz zur „Vertragsfreiheit im wirtschaftlichen Leben" stehe. Er versuchte dies mit zwei Beispielen zu begründen: „Ich will mir eine Wohnung mieten; sie gefällt mir nicht. Der Besitzer meint, ich müsse sie mieten; er ruft ein Schiedsgericht an, ob ich die Wohnung mieten muß oder nicht." Da in der Versammlung auch „eine Anzahl Damen anwesend" seien, führte Tille noch ein seiner Meinung nach analoges Beispiel an, das sich auf den Vertrag mit einem Dienstmädchen bezog, und mit der Frage endete: „Aber was würden Sie sagen, wenn das Dienstmädchen ein Schiedsgericht zu dem Zwecke anrufen wollte, daß es einen höheren Lohn erhalte?" 3 Die Forderung nach einem Mitbestimmungsrecht der Arbeiter bei den Arbeitsbedingungen hatte Tille, Verhandlungen, S. 210f., unter Hinweis auf den Streik der Bergarbeiter im Januar/Februar 1905 (siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 244f.) folgendermaßen kommentiert: „[...] solange es möglich ist, daß in Rheinland und Westfalen 195.000 erwachsene Männer [...] einfach durch Vertragsbruch die Arbelt niederlegen, solange fehlt doch diesen Kreisen zweifellos diejenige sittliche Reife, die die Voraussetzung für die Verleihung wichtiger neuer Rechte bilden muß."
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traktbruch nicht gehindert gefühlt, den Versuch zu machen, einen Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, und aus dem Streik nicht die Konsequenz eines Vorgehens gegen die Arbeiter, sondern eines solchen gegen die Interessen der Arbeitgeber herzuleiten. 4 Es scheint also, daß nach ihrer Ansicht die Sache so lag: Wenn diese 195 000 Arbeiter unter Bruch der Kündigungsfrist die Arbeit niedergelegt haben, um so schlimmer - für die Kündigungsfrist. Es entspricht eben, das scheint mir daraus hervorzugehen, nicht mehr dem modernen Rechtsbewußtsein, daß ein Vertrag, der ein einseitiger Unterwerfungsvertrag ist, durch irgendwelche Kündigungsfrist zugunsten der Exploiteurs, die sich auf den Machtstandpunkt stellen, rechtlich gesichert wird3, und wenn ich für meine Person daraus eine Konsequenz ziehen soll, so könnte es nur die sein: Daß durch Gesetz die Möglichkeit beseitigt werden müsse, den Arbeiter überhaupt an irgendwelche Kündigungsfristen zu binden, es sei denn, daß der Kontrakt auf Grund eines Tarifvertrags 5 geschlossen wird.
a In A folgt der Protokollzusatz: (Beifall)
4 Der Ausstand der Bergarbeiter hatte seinen Grund sowohl In den schlechten Arbeltsbedingungen als auch in der Politik des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, zahlreiche kleinere Zechen zu schließen. Die Sympathien der Öffentlichkeit waren ganz eindeutig auf Selten der Streikenden. Dies zeigt sich nicht nur In den umfangreichen Spendenaktionen zugunsten der Bergleute, sondern auch in den scharfen Presseangriffen auf die unnachgiebige Haltung der Zechenbesitzer, an denen sich zunächst auch die den Rechtspartelen nahestehenden Zeitungen beteiligten. Die Arbeltgeber gerieten nicht zuletzt dadurch unter Druck, daß auch von konservativer Seite - so etwa von dem Abgeordneten Siegfried von Kardorff am 21. Januar 1905 Im Reichstag - gesetzliche Maßnahmen gegen das „mißbräuchliche Legen von Zechen" seitens des Kohlensyndikats gefordert wurden. Sten.Ber., Band 201, S. 3954. Allerdings wurde die von der preußischen Staatsregierung geplante Berggesetznovelle, die den Forderungen der Arbeiter zumindest teilweise Rechnung trug und Im Juli 1905 In Kraft trat (GS 1905, S. 307-314), In den Beratungen In den beiden Häusern des preußischen Landtags Im Frühsommer 1905 von konservativer und nationalliberaler Seite heftig kritisiert. Sten.Ber.pr.AH, 20.Leg.Per., I.Sess. 1904/05, Band 8, Sp. 12149-12224, Band 9, Sp. 13137-13206 und 13441-13516; Sten.Ber.pr.HH, Sess. 1904/05, Band 2, S. 9 7 7 - 1 0 1 6 und 1047-1083. 5 Während Im 19. Jahrhundert vorwiegend „Individuelle Arbeltsverträge" zwischen Arbeltgebern und Arbeitnehmern geschlossen worden waren, setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Bewegung zugunsten des „kollektiven Arbeltsvertrags" ein, d. h. eines von Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeltgeber ausgehandelten „Tarifvertrags" für einzelne Branchen einer Region. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrags sollten abweichende Arbeltsverträge grundsätzlich nicht mehr abgeschlossen werden. Dabei enthielten die Tarifverträge Im allgemeinen Bestimmungen über die Höhe des Lohns, die Arbeltszelt, die Arbeltsbedingungen sowie über Kündigungsgründe und -fristen.
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Dies ist meine persönliche Stellung zu dieser Bemerkung über den sittlichen Standard der Arbeiter. Nach dem, was hier über die Arbeiter gesagt worden ist, würde ja jedenfalls auch der Herr Reichskanzler nicht mehr zu den sittlich voll qualifizierten Personen gehören dürfen; denn er hat den Kontraktbruch zwar mit Worten, aber worüber der Herr Vorredner selbst gewiß mit mir der gleichen Meinung ist - nicht mit Taten mißbilligt. - 6 Nun verlasse ich aber den Herrn Vorredner, um zu etwas allgemeineren Betrachtungen innerhalb der kurzen Zeit, die ich habe, überzugehen. Meine Damen und Herren! Wenn man sich über derartige sozialpolitische Dinge wie die heute hier zur Debatte stehenden verständigen will, so muß der einzelne vor allen Dingen sich A213 klar sein, welches denn der entscheidende Wertgesichtspunkt ist, von dem aus er persönlich die Erscheinung, um deren gesetzgeberisehe Behandlung es sich handelt, betrachtet. Ich konstatiere nun, daß für mich ausschließlich die Frage in Betracht kommt: Was wird „charakterologisch" - um das modische Wort zu gebrauchen - aus den Menschen, die in jene rechtlichen und faktischen Existenzbedingungen hineingestellt sind, mit denen wir uns heute beschäftigen? Und diese Seite der Sache möchte ich durch eine kleine Parallele des näheren veranschaulichen. Meine Damen und Herren!
6 Zwar sagte Reichskanzler Bülow in der Reichstagsdebatte am 20. Januar 1905, daß er „die Einstellung der Arbeit ohne vorherige Kündigung mißbillige und bedaure" (Sten. Ber., Band 201, S. 3920), doch war er zugleich für gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bergbau, die schließlich in der preußischen Berggesetznovelle vom Juli 1905 realisiert wurden. 7 Die „Charakterologie" entstand als Gegenbewegung zur wissenschaftlichen Psychologie der Jahrhundertwende, die mit naturwissenschaftlichen Methoden die Gesetze aufzufinden suchte, denen die Bewußtseinsvorgänge unterliegen. Demgegenüber zielt die Charakterologie auf die individuelle Ganzheit des Menschen unter Berücksichtigung seiner Lebens- und Kulturzusammenhänge. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter ist Ludwig Klages mit seiner vielbeachteten Arbeit: Prinzipien der Charakterologie. - Leipzig: J.A. Barth 1910. Klages hatte jedoch bereits wesentlich früher - unter Berufung auf Bahnsen, Julius, Beiträge zur Charakterologie mit besonderer Berücksichtigung pädagogischer Fragen. - Leipzig: F.A. Brockhaus 1867 - Schriften zur Charakterologie veröffentlicht und diese damit als selbständiges Forschungsgebiet im Rahmen der Psychologie etabliert. Klages, Ludwig, Charakterologische Aphorismen, in: Berichte der Deutschen graphologischen Gesellschaft, 1. Jg., 1897, S. 3—12; ders., Bahnsens Characterologie, in: Graphologische Monatshefte, 3. Jg., 1899, S. 115-122 und S. 157-167.
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Während des venezolanischen quasi-Kriegs8 erschien in einer venezolanischen Zeitung eine Erklärung einer deutschen Kolonie, welche dem Präsidenten Castro ihr Vertrauen aussprach und die venezolanische Nation um Verzeihung bat für die Taktlosigkeit und Gewalttätigkeit, die vermöge seines barbarischen Regimes von Seiten Deutschlands an einem so zivilisierten Volk wie den Venezolanern verübt worden sei. - 9 Kanaillen! werden Sie sagen. Gut; - in den Zeitungen des Saarreviers, im Tätigkeitsbereich also des Herrn Dr. Tille, 10 erscheinen gelegentlich der Reichstagswahlen durchaus regelmäßig Annoncen, in welchen sich Bergleute öffentlich verwahren gegen den Verdacht, für eine bestimmte Partei, z.B. die Zentrumspartei, gestimmt zu haben. 11 Kanaillen! sage ich, gleichviel, um welche Partei es sich handelt. Ich frage Sie aber: Wer erzieht denn nun diese Leute zu Kanaillen? Nicht die ehrenwerten Staatsbürger hier, mit denen wir heute uns streiten, wohl aber das System, welches sie im Saarrevier und anderwärts vertreten. Ich selbst z.B. kenne das Saarrevier und die Stickluft sehr wohl, welche jenes System dort verbreitet, - 1 2 nicht für Sie, Herr Dr. Tille, und die Ihrigen,
8 In den bürgerkriegsähnlichen Wirren um die Jahrhundertwende hatte die venezolanische Regierung unter Ciprlano Castro vertragliche Verbindlichkeiten gegenüber deutschen Unternehmern nicht erfüllt. Ferner war es zu Plünderungen bei den in Venezuela ansässigen Deutschen gekommen. Den Gesamtschaden bezifferte die deutsche Reichsleitung im Dezember 1902 auf drei Millionen Bollvars. Gemeinsam mit Großbritannien stellte das Deutsche Reich der venezolanischen Regierung ein Ultimatum, in dem die unverzügliche Befriedigung der Forderungen verlangt wurde. In der Folge kam es zur Blokkade venezolanischer Häfen und diversen militärischen Zwischenfällen. 9 Eine entsprechende Erklärung einer deutschen Kolonie ist nicht nachgewiesen. Allerdings wandte sich das einflußreiche Handelshaus H.G. & L.F. Blohm In Caracas gegen die Politik des Deutschen Reiches. Vgl. dazu Herwig, Holger H., Germany's Vision of Empire In Venezuela 1871-1914. - Prlnceton: Unlverslty Press 1986, S. 80-109. 10 Vgl. dazu oben, Anm. 1. 11 Ein derartiger Sachverhalt ließ sich nicht ermitteln. 12 Max Weber spielt hier auf das „System Stumm" an. Der Unternehmer Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg beherrschte die Schwerindustrie des Saarlands. Sein „System" umfaßte nicht nur die Einmischung der Unternehmensleitung In das Privatleben der Arbeiter, sondern vor allem den Kampf gegen alle Ihr mißliebigen politischen Tendenzen. So galt etwa allein die Lektüre sozialdemokratischer Zeltungen als Grund für die Entlassung eines Arbeiters. Mallmann, Klaus-Michael und Steffens, Horst, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an der Saar. - München: C.H. Beck 1989, Insb. S. 95-98. Max Weber, der Mitte der 1890er Jahre In den Konflikt zwischen Stumm und dem Nationalökonomen Adolph Wagner mit zwei Zeitungsartikeln eingegriffen hatte (MWG I/4, S. 5 1 2 523), gewann Im Januar 1897 einen eigenen Eindruck von diesem System, als er auf Einladung des „Handwerkervereins St. Johann-Saarbrücken" - eines der liberalen Träger
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wohl aber für andere, und zwar nicht nur für Arbeiter, sondern für jeden, der es wagt, in einer Art politisch tätig zu sein, die diesen Herren mißfällt. Bei Gymnasiallehrern und Beamten, bei allen, mit denen ich seinerzeit in Berührung kam, stand fest, daß alles, was 5 Staatsbehörde heißt, bis zum Oberpräsident hinauf, nach der Pfeife dieser Herren tanzte, jede Selbständigkeit der Ansicht die Gefahr der Versetzung oder Maßreglung brachte. Die einzige Macht, die unter diesen Umständen überhaupt einen Rückhalt bietet, ist die katholische Kirche, vertreten z. B. durch Leute wie den Kaplan Das10 bach, 13 nicht aber der Staat. Der preußische Staat und das autoritäre System erziehen solche Kanaillen, wie sie sich damals in Venezuela manifestierten. Und nicht nur dort wirkt dieses System depravierend und charakterschwächend. Ich könnte Ihnen bei genügender Zeit im einzelnen analysieren, nach meinen eigenen Ein15 drücken im Auslande, wie groß die Nachwirkung - der Fluch, möchte ich geradezu sagen - des autoritären Empfindens, des Reglementiert-, Kommandiert- und Eingeengt|seins, welchen der heutige A214 Staat und das heutige System der Arbeitsverfassung im Deutschen erhält, und wie darin z. B. die Schwäche der Deutschen in Amerika, 20 die geringe werbende Kraft unserer reichen Kultur mitbegründet liegt, wie die Verachtung des Deutschen in der ganzen Welt herrührt von den Charaktereigenschaften, die eine gedrückte Vergangenheit ihm aufgeprägt hat und der Druck des autoritären Systems in ihm verewigen möchte. b
b In A folgt der Protokollzusatz: (Beifall.)
der Opposition g e g e n den absoluten Machtanspruch Stumms - einen Vortrag In Saarbrücken hielt. Der Handwerkerverein und eine G r u p p e nationalliberaler Gegner v. Stumms machten daraufhin Max Weber das Angebot, im Wahlkreis Saarbrücken bei den Reichstagswahlen 1895 zu kandidieren, was dieser jedoch ablehnte. Vgl. dazu auch d e n Editorischen Bericht zur Rede Max Webers „Die bürgerliche Entwickelung Deutschlands und Ihre Bedeutung für die Bevölkerungs-Bewegung", in: MWG I/4, S. 8 1 0 - 8 1 3 . 13 Der Zentrumspolitiker Georg Friedrich Dasbach, einer der „roten" Kapläne In der Saarregion, bemühte sich darum, die Interessen der Bergleute sowohl publizistisch als auch organisatorisch zu unterstützen, und galt dadurch, zumindest zeltweise, als einer der bedeutendsten Gegenspieler des Freiherrn von Stumm-Halberg.
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Das Arbeitsverhältnis
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Und warum nun eigentlich? Ich kann das nicht ausführlich erörtern, namentlich nicht, inwieweit die selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade berechtigte Behauptung der Herren Arbeitgeber zutrifft, daß ihnen die allerverschiedensten technischen und ökonomischen Schwierigkeiten durch das Vorhandensein von Gewerkvereinen gemacht würden. Ich kann nur darauf hinweisen, daß die hochstehendsten Industrien der Welt in England und Amerika trotz aller Schwierigkeiten eben im Erfolge doch damit vorzüglich auskommen. 0 Es liegt das zum guten Teil nicht in ökonomischen Notwendigkeiten, sondern in unseren deutschen Traditionen. Meine verehrten Anwesenden! Wer die Wirkung unseres Gebarens auf die ausländischen Nationen, mit denen wir in der Politik zu rechnen haben, betrachtet, bemerkt leicht, wie unsere gegenwärtige Politik nicht selten den Eindruck erweckt und erwecken muß, daß sie nicht etwa die Macht, sondern vor allem den Schein der Macht, das Aufprotzen mit der Macht sucht. Und wenn die Welt darin etwas Parvenümäßiges findet - parvenus de la gloire, wie die Franzosen nicht ganz mit Unrecht sagen -, 1 4 so teile ich diese Empfindung und möchte hinzufügen: So etwas steckt auch unseren Arbeitgebern im Blute, sie kommen über den Herrenkitzel 15 nicht hinweg, sie wollen nicht bloß die Macht, die gewaltige, faktische Verantwortung und Macht, die in der Leitung jedes Großbetriebes liegt, allein, - nein, es muß auch äußerlich die Unterwerfung des anderen dokumentiert werden. Bitte, sehen Sie sich nur einmal den Dialekt einer deutschen Arbeitsordnung an! „Wer das und das tut, der wird bestraft", „wer das und das tut, bekommt erstmalig einen Verweis, zweitmalig eine Geldstrafe usw."; man kann nur sagen: es ist Schutzmannsjargon, der da, in einem Kontraktsverhältnis, als welches doch gerade die Herren Arbeitgeber die Beziehungen ansehen, geredet c In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!) 14 Max Weber bezieht sich hier augenscheinlich auf das In Frankreich häufiger verwendete Wort v o m „parvenu à la gloire", mit d e m vor allem die sich in Äußerlichkeiten dokumentierende Renommiersucht hoher militärischer Kreise umschrieben wurde. Es geht zurück auf die Schrift François René Chateaubriands „De Buonaparte et des Bourbons" vom 30. März 1814, In der Napoléon I. als „parvenu à la gloire" bezeichnet wird. Oeuvres complètes de M. le Vicomte de Chateaubriand, tome 26. - Paris: Pourrat Frères 1837, S. 44. 15 Mit „Herrenkitzel" spielt Max Weber wohl auch auf die starre, zu keinem Kompromiß bereite Haltung der Arbeltgeber im Bergarbeiterstreik von 1905 an, die häufig mit „Herrenstandpunkt" oder „Herr-im-Hause-Standpunkt" bezeichnet wurde.
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wird.d Es könnte auch anders formuliert werden, und es ist anderwärts anders formuliert worden. 16 Aber gerade dieser Tonfall ist es ja, der, so scheint es, den eigentümlichen psychischen Reiz bildet. Und wie in diesen, wenn Sie | wollen, Kleinigkeiten, so im Großen. A 215 Diesen Herren steckt eben die Polizei im Leibe, und je weniger der deutsche Staatsbürger offiziell im Deutschen Reiche politisch zu sagen hat, je mehr über seinen Kopf hinweg regiert wird, je mehr er Objekt der Staatskunst ist und nichts anderes, desto mehr will er da, wo er nun einmal pater familias ist - und das ist er eben auch im Riesenbetriebe - , denjenigen, die unter ihm sind, zeigen, daß er nun auch einmal etwas zu sagen hat und andere zu parieren haben. Dieser spießbürgerliche Herrenkitzel hat wieder und wieder die Nation Millionen und Abermillionen gekostet, er ist es auch, der den Charakter unserer Arbeiterbevölkerung verfälscht, und in diese Kategorie gehört auch, und damit komme ich zum Thema des heutigen Tages, unser geltendes Arbeiterrecht. Verehrte Anwesende! Bei dem Kongreß unseres Vereins in Köln hat jemand, ich glaube Herr Professor Jastrow, gesagt: Wenn heute ein Streikender zu einem Arbeitswilligen sagt: streikst du nicht mit, so tanzt meine Auguste nicht mehr mit dir,17 so macht er sich strafd In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!) 16 Die Arbeits- bzw. Fabrikordnungen wurden Insbesondere wegen der darin angedrohten Lohnstrafen als ein Instrument zur Disziplinierung der Arbeiter angesehen. Zeitgenossen kritisierten sie als „durch die Willkür der Arbeltgeber diktierte Dienstordnungen" (Wilhelm Stleda, Arbeltsordnungen und Arbeiterausschüsse, in: HdStW2, Band 1, S.963). Wenn auch die Novelle zur „Reichsgewerbeordnung" (G.O.) vom I.Juni 1891 Im § 134d den Arbeitern die Anhörung zur Arbeltsordnung zusicherte, blieben doch die Strafregister weiterhin die Regel. Allerdings gab es vereinzelt auch Arbeltgeber, die Ihren Arbeltern mehr Rechte einräumten. Als dafür beispielhaft angesehen wurde das bereits am 27. April 1873 In Kraft getretene Fabrikstatut der Schnellpressen- und Druckmaschinenfabrik König & Bauer in Klosterzell bei Würzburg, auf dessen Bedeutung bereits Gustav Schmoller hingewiesen hatte. Schmoller, Gustav, Über Wesen und Verfassung der großen Unternehmungen, In: ders., Zur Social- und Gewerbepolitik der Gegenwart. Reden und Aufsätze. - Leipzig: Duncker & Humblot 1890, S. 427f. 17 Die von Max Weber hier angesprochene Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Köln fand vom 23.-25. September 1897 statt (Schriften des Vereins für Soclalpolltlk 76. - Leipzig: Duncker & Humblot 1898). In der Debatte über „Das Vereinsund Koalitionsrecht der Arbeiter im Deutschen Reiche" erläuterte Ignaz Jastrow die Bestimmungen des § 153 G.O. (vgl. unten, Anm. 18) mit dem Beispiel, daß allein die Bemerkung eines Arbeiters zu einem anderen: „Wenn Du nicht mitstreikst, dann hat meine Amalle das letzte Mal mit Dir getanzt", strafbar sei. Hier werde also eine reine Drohung, die nicht einmal „qualifiziert" sein oder den Charakter der Nötigung besitzen müsse, strafrechtlich geahndet, was dem deutschen Strafrecht sonst unbekannt sei. Ebd., S. 379f.
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Das Arbeitsverhältnis
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bar. e Das ist kein Scherz, sondern wörtlich geltendes Recht, 18 und ich möchte den Juristen sehen, der es zu bestreiten vermag. Die Tatsache nun, daß es ein solches Recht in Deutschland gibt, ist nach meiner subjektiven Empfindung nichts anderes als eine Schande.' Es ist ein Recht für alte Weiber. Es schützt die Feigheit. Denken Sie zum Vergleich an die Umgrenzung, die das römische Recht, das Recht des männlichsten Volkes der Erde, der rechtlichen Wirkung der Bedrohung gegeben hatte: metus qui in constantissimum virum cadere potest, 19 Drohungen, die auch den furchtlosesten und standhaftesten Mann beeinflussen können, gelten als rechtlich relevant. Es ist unmöglich, ein solches Recht wie das unsrige in irgendeinem Sinne zu halten, und ich bin der Meinung, daß etwas Zweifaches unbedingt geschehen muß, wenn man diesen Paragraphen 20 nicht einfach über Bord werfen und sich auf den Boden des gemeinen Strafrechts stellen will, welches ja Bedrohung mit einem Verbrechen und Erpressung ohnehin vollkommen genügend unter Strafe gestellt hat. Will man darüber hinausgehen, dann kann nur Bedrohung mit einem unmittelbar präsenten materiellen Schaden in Frage kommen. Das zweite ist - zu meiner Freude ist Herr Geheimer Rat Brentano bereits darauf eingegangen -: 21 die schneidende Einseitigkeit des heutigen Rechts, daß zwar der sogenannte Arbeitswillige, der alle Vorteile des Streiks genießt, aber sie nicht bezahlen, sondern den Kämpfern in den Rücken fallen will, den Schutz des Rechts genießt - die Gesinnungslosigkeit und der Mangel an kamee In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit.) richtig!)
f In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr
18 § 152, Abs. 1 G.O. lautet: „Alle Verbote und Strafbestimmungen [...] wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, Insbesondere mittelst Einstellung der Arbelt [...] werden aufgehoben." §153 G.O. lautet: „Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§152) Thell zu nehmen oder Ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." 1 9 Max Weber paraphrasiert hier eine Passage aus den Digesten, IV, 2, 6: „Metum autem non vanl hominis, sed qui merlto et In homlne constantlsslmo cadat, ad hoc edlctum pertlnere dlcemus." 2 0 Gemeint ist § 153 G.O., vgl. hierzu oben, Anm. 18. 21 Verhandlungen, S. 136, 144f.
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radschaftlicher | Ehre also geschützt wird - , daß es aber auf der an- A 216 deren Seite den Arbeitgebern unbenommen bleibt, dem Arbeiter mit der Kündigung zu drohen, wenn er von seinem Koalitionsrecht Gebrauch machen will, ohne daß dieser strafrechtlichen Schutz genösse. Die Forderung einer Strafbestimmung für diesen Fall ist doch eine ganz selbstverständliche, so lange irgendein Ausnahmerecht zugunsten der Arbeitswilligen besteht. Nun, verehrte Anwesende, komme ich noch zu den großen Fragen, die Herr Professor Brentano am Schluß seiner Thesen angeschnitten hat. 22 Ich glaube, daß diese Zwangsorganisation, wie er sie vorschlägt, 23 nur als ein Wechsel auf eine ziemlich ferne Zukunft akzeptabel ist. Augenblicklich würde ich sie für recht bedenklich halten. Denn wenn man sich die Sache praktisch vorstellt, kommt sie doch darauf hinaus, daß der Staat im Falle des Ausbruchs einer Arbeitsstreitigkeit zunächst einmal einfach alle Betriebe sistiert, die in dem betreffenden Gewerbe überhaupt existieren, - sonst hat ja die Zwangsorganisation keinen Sinn. Er verbietet also dann nicht nur allen Arbeitern des Gewerbes, auch wenn sie weiterarbeiten wollen, die Arbeit fortzusetzen, sondern er verbietet auch allen Arbeitgebern, welche den Arbeitern entgegenkommen wollen, dies ohne gemeinsamen Beschluß zu tun. Das letztere ist in gewissem Sinne ja freilich einfach die offizielle Dekretierung dessen, was wir von Seiten der Arbeitgeberverbände annähernd schon jetzt erleben. Der Staat schafft dadurch unzweifelhaft sowohl die Arbeitswilligen wie alle übrigen Schwierigkeiten auf sehr einfache Weise aus der Welt und sagt: nun, bitte, jetzt wird einfach gewartet, wer von beiden
22 Lujo Brentano, Verhandlungen, S. 144f., stellte die Frage, Inwieweit die gesetzliche Anerkennung von Berufsvereinen von Nutzen für den sozialen Frieden sei, wenn gleichzeitig „jene Ausnahmegesetzgebung des § 1 5 3 der G.O. fortbesteht" (vgl. oben, Anm. 18), „wenn die Arbeitgeber diejenigen verfolgen, welche von ihrem Organisationsrecht Gebrauch machen", wenn durch Wohlfahrtseinrichtungen „alle dem Arbeiter von der Reichsgesetzgebung verliehenen Rechte ausgeschaltet werden" und wenn schließlich trotz rechtlicher Grundlage der Berufsvereine „die Arbeitgeber sie weiter nicht anerkennen." 23 Brentano, Verhandlungen, S. 149, forderte nicht nur die gesetzliche Anerkennung von Berufsvereinen, sondern auch die „Statuierung eines Zwangs für Arbeitgeber und Arbeiter, mit Vertretern der Organisationen der Gegenpartei über die Arbeitsbedingungen zu verhandeln." Dazu müsse man aber Arbeiterorganisationen schaffen, die „unter Wahrung des Fortbestands der bestehenden Berufsvereine sämtliche Arbeiter des betreffenden Gewerbes" umfassen.
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Das Arbeitsverhältnis
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es am längsten aushält! Von Herrn D. 9 Naumann sind ja nun bereits die heutigen Chancen des Ausgangs dergestalt staatlich reglementierter Mensuren nach gewissen Richtungen hin indirekt mitkritisiert worden. 24 Mich interessiert aber noch etwas weiteres an der Sache: Wie soll man sich eigentlich das Weiterbestehen der 5 Gewerkvereine bei solchen Zuständen denken? Wozu dienen sie noch? Nur dazu etwa, daß die nichtorganisierten Mitglieder des Zwangsverbandes es in der Hand haben, zu beschließen: es wird gestreikt, wenn sie sehen, daß die Gewerkvereine volle Kassen haben, und diese dann die Kosten bezahlen lassen? 10 Es kommt noch etwas anderes hinzu. Wenn wir uns auf den Boden der Zwangsorganisation stellen, dann wird unbedingt eines eintreten: das Eindringen rein politischer Gesichtspunkte in das Streikwesen. Es ist ja Herrn D. Naumann gewiß zuzugeben, daß wir heute bereits auf dem Wege zum politischen oder doch zum sozialpoliti- 15 sehen Demonstrationsstreik sind.25 Wir sind aber noch nicht so weit, daß der politische Streik alleinherrschend oder auch nur überwieA 217 gend ist. Wenn aber eine Zwangsorganisation besteht | und sie den Streik beschließt, so wird dasselbe geschehen, was in den Kommunen und anderen Zwangskörperschaften auch geschieht: die gewal- 20 tige Attraktionskraft der politischen Parteien wird es sein, welche alles andere über den Haufen rennt, und die Frage, ob gestreikt wird oder nicht, wird aus parteipolitischen Gesichtspunkten und nicht g A: Dr. 24 Friedrich Naumann, Verhandlungen, S. 187, hatte zu bedenken gegeben, daß für den Bereich der Großbetriebe „mit keinem Streik für sich allein ein Tarifvertrag erreicht werden kann, aus dem ganz einfachen Grunde, weil die elementare Frage: wer von uns beiden hält es am längsten aus? vom ersten Tag an für jeden rechnenden Menschen entschieden ist", nämlich dahingehend, „daß die Arbeiter einen Sieg im Sinne der alten Friedensverhandlungen nicht erreichen können". Selbst im Falle eines für die Streikenden positiven Ausgangs wäre die Möglichkeit, „eine Rüstung gegen die Wiederkehr solcher Vorkommnisse anzulegen, in den Händen der kombinierten Großindustrie in höherem Maße vorhanden". 25 Naumann, Verhandlungen, S. 186ff., betonte, daß man neuerdings die Arten des Streiks begrifflich genau unterscheiden müsse, gebe es doch heute im Gegensatz zu früher „den Einzelstreik, den Gruppenstreik, den Demonstrationsstreik, den Sympathiestreik, den Massenstreik, den Generalstreik." Zu etwaigen erneuten Arbeitsniederlegungen im Bergbau sagte er, „daß diese Streiks von Hause aus unter die neue Gattung des Demonstrationsstreiks gehören", eines Streiks mithin, den der Arbeiter nur „unter dem Gesichtspunkt des Appells an die übrige Bevölkerung auffassen kann."
Diskussionsbeitrag
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aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten beantwortet werden. Das Interesse an den Gewerkvereinen aber wird dahin sein: - man hat ja nun den Zwangsverband - , und auch für diesen wird, zumal wenn er Zwangsabgaben eintreibt, um zu existieren, wenig aktive Begeisterung aufkommen können. Ich persönlich stehe ganz offen auf dem Standpunkt, daß, gleichviel ob die Gewerkvereine viel oder wenig faktisch im offenen Kampf erreichen, sie für mich einen Eigenwert darstellen. Sie sind z.B. - und das ist für mich das Entscheidende - die einzigen, die innerhalb der sozialdemokratischen Partei, mit der wir für Generationen als gegeben zu rechnen haben, und die für lange hinaus allein die Erziehung der Massen in der Hand hat, sich nicht geduckt haben und die den Idealismus gegenüber dem Parteibanausentum aufrechterhalten. Die Gewerkschaften werden die Partei nicht sprengen, daran ist nicht zu denken, das ist eine lächerliche Illusion. Jeder, der mit den Arbeitern verkehrt hat, weiß, daß der tägliche Kleinkrieg mit dem preußischen Staat und seiner Polizei sie zwingt, die Partei hinter sich zu haben, daß die Partei erfunden werden müßte im Interesse der Gewerkschaften, wenn sie nicht da wäre. Aber sie werden hindern, daß diese Partei die Wege nimmt, die das amerikanische Parteileben genommen hat. Der einzige Hort idealistischer Arbeit und idealistischer Gesinnung innerhalb der sozialdemokratischen Partei sind und werden, unter unseren deutschen Verhältnissen, sein: die Gewerkschaften. Darum lehne ich jeden Vorschlag ab, der ihr Wesen bedroht, gleichviel ob er sich auf materielle Interessen der Arbeiter beruft. h
h In A folgt der Protokollzusatz: (Lebhafter Beifall.)
[Das Verhältnis der Kartelle zum Staate] [Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 28. September 1905]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Nach der epochemachenden Gründung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats 1893 nahm die Zahl der Kartelle im Deutschen Reich schnell zu. 1 Eine vom Reichsamt des Innern veranstaltete Enquete über das deutsche Kartellwesen kam für das Jahr 1905 auf 385 Kartelle mit ca. 12.000 kartellgebundenen Unternehmen. Schwerpunkte waren die Montan-, Eisen-, Metall- sowie die Chemische Industrie. Als erste wissenschaftliche Institution hatte der Verein für Sozialpolitik bereits auf seiner Wiener Generalversammlung von 1894 aufgrund einer vorhergegangenen Erhebung eine Debatte über die Kartellfrage geführt. 2 Karl Bücher definierte dort in seinem Referat die Kartelle als vertragsmäßige Vereinigungen von selbständigen Unternehmen, die den Zweck verfolgten, „durch dauernde monopolistische Beherrschung des Marktes den höchstmöglichen Kapitalprofit zu erzielen." 3 Obgleich er eine gewisse staatliche Aufsicht befürwortete, hielt Bücher die Kartelle für notwendig, weil mit ihnen der Übergang von der „Produktionsanarchie zur Produktionsordnung" stattfinde, womit eine „sociale und wirtschaftliche Disciplinierung der Gesellschaft für die höheren Kulturaufgaben" 4 gefördert werde. Obwohl mithin „eine zwiespältige Beurteilung des ganzen Kartellwesens" 5 die Debatte beherrschte, bezweifelte doch niemand den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Kartelle. Davon versprach man sich eine verbilligte und verbesserte
1 Vgl. dazu und zum Folgenden: Blaich, Fritz, Kartell- und Monopolpolitik im Kaiserlichen Deutschland. Das Problem der Marktmacht im deutschen Reichstag zwischen 1879 und 1914. - Düsseldorf: Droste 1973. 2 Verhandlungen der am 28. und am 29. September 1894 in Wien abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolltlk über die Kartelle und über das ländliche Erbrecht (Schriften des Vereins für Soclalpolitlk 61). - Leipzig: Duncker & Humblot 1895. 3 Ebd., S. 145. 4 Ebd., S. 154. 5 Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 188). - Berlin: Duncker & Humblot 1939, S. 72.
Editorischer
Bericht
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Produktion, die Zentralisation der Leitung der Betriebe sowie die Dämpfung der Konjunkturschwankungen und nicht zuletzt die Förderung des technischen Fortschritts. Die Auffassung, daß Kartelle eine der modernen Volkswirtschaft adäquate Unternehmensform darstellten, spiegelte sich auch im Urteil des Reichsgerichts vom 4. Februar 1897 6 wider. Es bestätigte in seiner Entscheidung unter Berufung auf die opinio communis der Nationalökonomen die Rechtswirksamkeit eines zwischen den sächsischen Holzstoffabrikanten abgeschlossenen Kartellvertrages. Es sah Beschränkungen des Wettbewerbs dann als mit der in § 1 der Reichsgewerbeordnung (G.O.) festgeschriebenen Gewerbefreiheit vereinbar an, wenn der unbeschränkte Wettbewerb der Gesamtwirtschaft schädlich, die Wettbewerbsbeschränkung ihr aber nützlich sei. Allerdings verstoße ein Kartell dann gegen das allgemeine Interesse, „wenn es ersichtlich auf die Herbeiführung eines thatsächlichen Monopoles und die wucherische Ausbeutung der Konsumenten" gerichtet sei. 7 Nachdem das Reichsgericht 1897 die Rechtmäßigkeit der Kartelle unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt hatte, kam die Kartellfrage erst recht in die öffentliche Debatte. In der Presse, in Versammlungen und wissenschaftlichen Untersuchungen gerieten die Kartelle in die Kritik. Seit der Jahrhundertwende befaßte sich der Reichstag intensiver mit diesem Komplex, und einige Parteien forderten eine Kartellaufsicht, um den Mißbrauch organisierter Wirtschaftsmacht zu verhindern. So zielte etwa ein nationalliberaler Antrag vom Dezember 1900 auf die Einführung einer „sachgemäßen Reichsaufsicht" für Kartelle mit einem „nachweislich monopolistischen Charakter." 8 Um Klarheit über die Struktur und das tatsächliche Marktverhalten der Kartelle zu schaffen, nahm schließlich das Reichsamt des Innern unter der Führung von Staatssekretär Graf Posadowsky ab 1903 Untersuchungen in Form von „kontradiktorischen Verhandlungen" vor, zu denen Industrielle, Beamte der Wirtschaftsressorts in Reich und Ländern sowie Wissenschaftler und Politiker geladen wurden. Der Wert der dadurch erlangten Informationen aber blieb gering. Das Ziel der Reichsleitung, vor den Erörterungen über eine Kartellgesetzgebung einen möglichst vollständigen Überblick über das Marktverhalten dieser Verbände zu gewinnen, schlug fehl; eine gesetzliche Regelung der Kartellfrage unterblieb. Das gewachsene Interesse am Kartellwesen zeigte sich auf den Juristentagen 1902 und 1904. Hier kam es zu großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Befürwortern einer administrativen Kartellaufsicht und jenen 6 Siehe das Urteil vom 4. Febr. 1897, in: Entscheidungen des Reichsgerichts in Civiisachen, Band 38. - Leipzig: Veit & Comp. 1897, S. 1 5 5 - 1 6 2 . 7 Ebd., S. 158. 8 Sten. Ber., Band 189, S . 3 7 8 .
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Das Verhältnis der Kartelle zum Staate
Juristen, denen zivil- und strafrechtliche Sanktionen g e g e n den Mißbrauch organisierter wirtschaftlicher Macht genügten. Der Juristentag 1904 verabschiedete eine Resolution, daß Kartellverträge im Rahmen der v o m Gesetzgeber garantierten Vertragsfreiheit unbeschränkt zuzulassen seien. Mißbräuche seien mit den Normen des Zivilrechts zu bekämpfen. Allerdings hielt der Juristentag ein „staatliches Eingreifen g e g e n etwa übertriebene, wirtschaftlich ungerechtfertigte Preissteigerungen für empfehlenswert." 9 Erneut stellte sich a u c h der Verein für Sozialpolitik der Diskussion über Vor- und Nachtelle der Kartelle. Der Ausschuß hatte In seiner Sitzung vom 6. Januar 1905 erwogen, für die Mannheimer Generalversammlung vom 25. bis 28. September 1905 als drittes T h e m a „das von A[lfred] Weber vorgeschlagene: Verhältnis der Kartelle zum Staat auf die Tagesordnung" zu setzen, sofern geeignete Referenten g e f u n d e n würden u n d die Zeit reiche. 1 0 Der Vorschlag wurde verwirklicht. An der Mannheimer Tagung nahmen Wirtschaftsjournalisten, Unternehmer aus d e n kartellierten Industrien sowie Vertreter der Arbeiterschaft teil, was das große öffentliche Interesse widerspiegelte. Die Verhandlungen über die Kartelle w u r d e n am 27. September eröffnet. Im Mittelpunkt stand ein Referat Gustav Schmollers. Dieser verwies darauf, daß, n a c h d e m die Wissenschaft lange „fast nur Gutes von den Kartellen zu s a g e n gewußt" habe, „nun seit 1 - 2 Jahren" ein „ U m s c h w u n g der S t i m m u n g " 1 1 stattfinde. Denjenigen, die für ein gesetzliches Verbot der Kartelle plädierten, hielt er entgegen: „So können nur Fanatiker des Individualismus reden, [...] nur Volkswirte [...], w e l c h e nicht begreifen, daß eine einheitlichere Leitung der volkswirtschaftlichen Prozesse von erhöhter Warte aus ein Fortschritt ist." 1 2 Er versuchte, die Kartellierung der d e u t s c h e n Industrie vorteilhaft von den amerikanischen Trusts a b z u h e b e n . Die Vertrustung schaffe „ein System des Raubes und des Betruges, die richtige Kartellierung mehr oder weniger ein System der Gerechtigkeit und Billigkeit." 1 3 An diesen Vortrag schloß sich eine Debatte an. Sie war nach d e m Urteil des Vereinshistorikers Franz Boese wohl „die ausgedehnteste, die bis dahin
9 Verhandlungen des 27. Deutschen Juristentages, Band 4. - Berlin: Commissions-Verlag von J. Guttentag 1904, S. 548f. 10 Verein für Sociaipoiitik. Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses in Berlin (im Senatssaale der Universität) am 6. Januar 1905. - Altenburg: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. o.J., S. [3]. British Library of Political and Economic Science, London School of Economics and Political Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114. 11 Verhandlungen des Vereins für Sociaipoiitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Sociaipoiitik 116). - Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S. 241. 12 Ebd., S. 256f. 13 Ebd., S. 267.
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auf einer Vereinstagung vorgekommen war. Sie dauerte zunächst bis abends um 1 / 2 8 Uhr, und es mußte über das Programm hinaus ein weiterer Verhandlungstag (28. September 1905) dazu genommen werden, was sich ebenfalls bislang nicht ereignet hatte. Nicht weniger als 21 Redner kamen zu Worte." 1 4 Emil von Kirdorf - Mitbegründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats - fühlte sich durch die Thesen Schmollers bestätigt und betonte nachdrücklich, „daß die Syndikate gerade die ganz großen Bildungen, die Trusts, eher verhindern als fördern, und in den Syndikaten selbst, meine Herren, liegt doch eine Machtkonzentration nicht." 15 Ähnlich argumentierte Heinrich Voelcker, Vorstandsmitglied des Stahlwerksverbandes und ehemals Regierungsrat im Reichsamt des Innern, indem er erklärte, sein Verband habe nicht das Ziel, „auf ein Monopol hinzusteuern. Wir haben lediglich das Bestreben, möglichst viele Werke uns anzugliedern, damit wir eben unsere Kartellzwecke erreichen können." 1 6 Tatsächlich wurde in keinem der Debattenbeiträge die volkswirtschaftliche Notwendigkeit der Kartellbildung ernsthaft bezweifelt. Man stellte sie vielmehr als unvermeidliche Entwicklungsstufe des Kapitalismus dar. Allerdings wurde immer wieder die Marktstrategie der deutschen Kartelle kritisiert. Dadurch verlagerte sich der Schwerpunkt der Diskussion vom Wesen und den Funktionen der Kartelle hin zu den Fragen der „Kartellpolitik". Schmoller schlug in diesem Zusammenhang eine Reihe von Maßnahmen vor, 17 etwa die Einsetzung einer bestimmten Zahl von staatlich approbierten Personen in die Aufsichtsräte und Vorstände besonders kapitalkräftiger Unternehmungen, die Einrichtung einer Reichsstelle zur Überwachung der Kartelle sowie besondere Gesetze, die festlegen sollten: ,,a) bis wohin die Kartelle die öffentlichen Gerichte ausschliessen dürfen, b) bis wohin ihre Strafgewalt gegen ihre Mitglieder gehen dürfe, c) bis wohin ihre Exklusionsverträge reichen dürfen; [...] d) ob und inwieweit die Kartelle ein ungleiches Recht für ihre Mitglieder statuieren dürfen." 1 8 Die amerikanische Gesetzgebung, die die Trustbildung für illegal und damit für strafbar erklärt hatte, wurde dagegen von Schmoller verworfen, da nach seiner Auffassung „alle Dinge noch zu sehr im Flusse, im Stadium der Versuche und Experimente" seien. 1 9
14 Boese, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik, S. 112. 15 Verhandlungen, S. 276. 16 Ebd., S. 379. 1 7 S c h m o l l e r f a ß t e seinen Maßnahmenkatalog in „Leitsätzen" zusammen, ebd., S . 2 6 9 271. 18 Ebd., S. 271. 19 Ebd., S. 260.
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Das Verhältnis der Kartelle zum Staate
Zwar fand Schmoller mit seiner Einschätzung der Kartelle als der Volkswirtschaft durchaus nützliche Gebilde, denen nur im Einzelfall zur Verhinderung des Mißbrauchs der Marktmacht gewisse Schranken gesetzt werden müßten, in der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik allgemeine Zustimmung, d o c h stieß sein Vorschlag, die Aufsichtsräte und Vorstände großer Aktiengesellschaften zu einem Viertel mit staatlichen Vertrauensleuten zu besetzen, auf teilweise heftige Kritik. A u c h Max Weber reagierte in seinem ersten Debattenbeitrag sehr skeptisch auf Schmollers Plan, den Einfluß des Staates auf die Kartelle zu erhöhen. Die Debatte über „Das Verhältnis der Kartelle zum Staate" endete mit einem Eklat. Dieser wurde ausgelöst durch Äußerungen Friedrich Naumanns, der in seinem Diskussionsbeitrag alle Eingriffe des Staates in die Großindustrie, „technisch und volkswirtschaftlich betrachtet", als „Unsinn" 2 0 bezeichnete. O b g l e i c h N a u m a n n Schmoller in seinem Beitrag nicht namentlich erwähnte, fühlte sich dieser persönlich angegriffen und nutzte das ihm als Vorsitzendem zustehende Schlußwort, um auf die Rede Naumanns einzugehen. Er meinte, daß hier „wesentlich der D e m a g o g e " g e s p r o c h e n habe, der „ohne eigentliche realistische Sachkenntnis die alten marxistischen Phrasen und die für mich a b s t ä n d i g e Weisheit der materialistischen Geschichtsauffassung durch sehr kümmerliche Beweismittel" 2 1 gestützt habe. Darüber hinaus betonte Schmoller, daß er aufgrund des „frenetischen Beifalls" für die Rede N a u m a n n s seinen Vorsitz im Verein hätte niederlegen müssen, w e n n er seinen Groll über N a u m a n n nicht hätte öffentlich darlegen können. 2 2 Max Weber sah sich daraufhin veranlaßt, in einem zweiten Debattenbeitrag für den nicht mehr a n w e s e n d e n N a u m a n n Partei zu ergreifen, w o b e i er vor allem kritisierte, daß Schmoller seine Rolle als Ausschußvorsitzender als Druckmittel in einer Sachdiskussion benutzt hatte. Diese Vorgänge stürzten den Verein für Sozialpolitik in eine tiefe Krise, die in d e n f o l g e n d e n Monaten sogar seine Existenz bedrohte. 2 3 Max Webers zweiter Debattenbeitrag und seine weiteren Stellungnahmen in dieser Sache w e r d e n in MWG 1/13 „ H o c h s c h u l w e s e n und Wissenschaftspolitik" ediert.
20 Ebd., S. 367. 21 Ebd., S. 420. 22 Ebd., S.421. 23 Zum Gesamtkomplex dieser Kontroverse siehe u. a. Schön, Manfred, Gustav Schmoller und Max Weber, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. - Göttingen/Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 84-97, sowie Lindenlaub, Dieter, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik. Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich vornehmlich vom Beginn des „Neuen Kurses" bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1890-1914). - Wiesbaden: Franz Steiner Verlag 1967, S. 409-422.
Editorischer Bericht
Zur Überlieferung
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und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt den stenographischen Protokollen: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpolitik 116: Verhandlungen der Generalversammlung in Mannheim, 25., 26., 27. und 28. September 1905). - Leipzig: Duncker & Humblot 1906 (A). Die Verhandlungen über „Das Verhältnis der Kartelle zum Staate" finden sich auf den Seiten 237-438, der erste Diskussionsbeitrag Max Webers ist dort auf den Seiten 3 8 2 - 3 9 0 abgedruckt. Er ist eingeleitet mit: „Professor Max Weber (Heidelberg)". Erwähnt sei noch ein Zwischenruf Max Webers beim Debattenbeitrag des Berliner Rechtsanwalts August Eschenbach. 1 Dieser hatte vorgeschlagen, die Verhandlungen der Kartelle und Syndikate öffentlich zu machen, um damit den Auswüchsen des Kartellwesens zu begegnen. Eschenbach nahm dabei für sich in Anspruch, diesen Vorschlag als erster - und zwar auf dem Juristentag 1904 formuliert zu haben. Max Weber wandte sich mit dem Zwischenruf „ist uralt!" gegen diese Ausführungen, was laut Protokoll „Heiterkeit" hervorrief. 2
1 Verhandlungen, S. 3 6 9 - 3 7 3 . 2 Ebd., S.371.
[Das Verhältnis der Kartelle zum Staate]
Meine Herren! Ich habe lediglich deshalb das Wort ergriffen - denn alles Wesentliche, was ich sagen wollte, ist gestern gesagt worden - , um noch einige Einwürfe gegen die Vorschläge zu machen, die unser verehrter Herr Referent 1 gemacht hat. Es ist sehr viel leichter, meine Herren, das schicke ich voraus, einen einmal vorliegenden Vorschlag zu kritisieren, als selbst einen solchen zu machen, und wir alle müssen dem Herrn Referenten, unserem verehrten Lehrmeister - wenn er auch mir diese Bezeichnung gestatten will, trotzdem ein unmittelbares Lehrverhältnis nicht bestanden hat dafür dankbar sein, daß er sich entschlossen hat, mit einem positiven Vorschlag, der, wie ich glaube, geeignet ist, gerade prinzipielle Auseinandersetzungen zu ermöglichen und herbeizuführen, hervorzutreten. Ich möchte zunächst einige praktische Bedenken gegen einen Hauptpunkt dieser Vorschläge geltend machen, daß nämlich staatlich approbierte Direktoren in die Aktiengesellschaften mit über 75 Millionen Kapital hineingesetzt werden sollen. 2 Es ist das ja nicht ein so seltsamer Vorschlag, wie gestern angenommen worden ist,3 es ist nicht so gemeint, daß da irgend ein Assessor als Kontrolleur hineingesetzt werden solle, 4 sondern Herr Professor Schmoller hat sich 1 Das einleitende Referat hatte Gustav Schmoller gehalten. Verhandlungen des Vereins für Socialpolltik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpolitik 116). - Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S. 237-271. 2 Schmoller, Verhandlungen, S. 265, hatte in seinem Referat vorgeschlagen, jede „Aktiengesellschaft, deren Aktien- und Obligationskapital 75 Millionen] Mk. erreicht oder überschreitet", zu verpflichten, ihren Aufsichtsrat zu einem Viertel mit - nach dem Votum des Reichskanzlers und der Landesregierung - geeigneten Personen zu besetzen, „welche verpflichtet werden, die politischen und wirtschaftlichen Interessen von Reich und Staat neben denen der Gesellschaft zu vertreten." Ferner sollte „in jeder solchen Aktiengesellschaft [...] ein Viertel der Direktoren die gleichen Eigenschaften haben." 3 Max Weber bezieht sich hier vermutlich auf eine Bemerkung Alfred Webers, Verhandlungen, S. 357, der hinsichtlich des Vortrags von Schmoller von „eigenartigen Ideen" gesprochen hatte. 4 Anspielung auf eine Äußerung des Berliner Rechtsanwalts August Eschenbach. Dieser hatte in der Debatte, Verhandlungen, S. 370f., zum Vorschlag Schmollers angemerkt, daß in die Verwaltung der Aktiengesellschaften die „Koryphäen der Intelligenz" gegen enorme Gehälter hineingesetzt würden. „Wie soll da ein unglücklicher Assessor in der Lage sein,
Diskussionsbeitrag
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das offenbar so gedacht, daß geeignete Kandidaten für Direktorenstellen innerhalb eines gewissen Umfangs staatlicherseits nach der Wahl approbiert oder vor der Wahl als Kandidaten zugelassen werden sollen. Aber, meine Herren, abgesehen von den Gründen, die schon geltend gemacht worden sind, scheint mir aus gewissen einfachen politischen Motiven dieser Vorschlag nicht realisierbar. Man stelle sich vor: Die Deutsche Bank ist eine Aktiengesellschaft mit über 75 Millionen Kapital. Nun sollen darin staatlich approbierte Direktoren sitzen. Jetzt kommt die russische Regierung - nehmen wir mal an und will von der Deutschen Bank eine Anleihe haben oder eine andere Regierung während eines Krieges. Das ist eine politische Angelegenheit. Ist es diskutabel, unter solchen Verhältnissen die Regierung in die Verantwortlichkeit hineinzuverwickeln, direkt oder indirekt, ganz ebenso wie sie für die Reichsbank 5 verantwortlich gemacht wird? Es ist ja ganz richtig, daß politische Anleihen sich sehr selten ohne direkte oder indirekte, hinter den Kulissen geübte Einwirkung der Regierung vollziehen. Aber von da bis zu diesem formellen Hineinsetzen staatlich approbierter Direktoren in eine Bank und damit der Übernahme der Verantwortlichkeit für das, was | die Bank tut - und es handelt sich ja nicht A 383 bloß um politische Maßregeln, sondern auch um die Schätzung, die das Publikum dann den Emissionen einer solchen Bank entgegenbringen wird - , ist doch noch immer ein weiter und sehr gewagter Schritt, an welchem meiner Meinung nach der Vorschlag in der Form, wie ihn Herr Professor Schmoller gemacht hat, unbedingt scheitern müßte. Nun aber entsteht weiter die Frage: gesetzt den Fall, es würde eine solche Gesetzesbestimmung gemacht, wer wird dann nun in diese Direktorenstellung kraft dieses Gesetzes hineinlanciert werden? Herr Professor Schmoller hat in einem gewissen ästhetischen Widerwillen, den wir gewiß alle mit empfinden, von dem „Parladiesen Koryphäen gegenüber mit der nötigen Autorität auftreten zu können? [...] Also ich glaube nicht, daß mit dieser Bestimmung irgend etwas Wesentliches geleistet werden kann." 5 Die per Gesetz vom 14. März 1875 geschaffene „Reichsbank", deren Hauptaufgabe es war, den Geldumlauf im gesamten Reichsgebiet zu regeln, stand unter Aufsicht und Leitung des Reiches, die durch ein Bankkuratorium bzw. Reichsbankdirektorium jeweils unter dem Vorsitz des Reichskanzlers ausgeübt wurden. Die Vertretung der privaten Anteilseigner gegenüber der Verwaltung wurde vom „Centraiausschuß" wahrgenommen, der über gewählte Deputierte die Geschäfte fortlaufend kontrollierte.
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mentsgerede" gesprochen. 6 Es ist nun aber heute einmal so, daß die großen staatsmännischen Taten nicht mehr durch Dreinschlagen mit dem Schwert auf dem Schlachtfeld geleistet werden, sondern sie nehmen die höchst prosaische Figur von Tintentropfen und Papier oder von Schallwellen ana, - von Parlamentsgerede oder Akten- 5 schreiberei. Welches von beiden das ästhetisch Erfreulichere ist, ist Geschmackssache. Für den vorliegenden Fall aber möchte ich doch sagen: das politisch Bedenkliche im Parlamentarismus ist nicht das Parlamentsgerede, sondern die Parlamentspatronage, die sich hinter den Kulissen vollzieht, und die gerade unserm Scheinkonsti- 10 tutionalismus so sehr charakteristisch ist.7 Ich habe mit vollem Herzen dem zugestimmt, was Herr Professor Schmoller gelegentlich im Herrenhause darüber gesagt hat.8 Nun denken Sie aber an die Chancen, die sich der Parlamentspatronage da eröffnen würden, a In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit)
6 Schmoller, V e r h a n d l u n g e n , S. 258, hatte In Hinblick auf eine m ö g l i c h e Verstaatlichung der Kartelle d a v o n g e s p r o c h e n , daß „In D e u t s c h l a n d heute n a c h unseren Verfassungsu n d Rechtsverhältnissen, n a c h unseren gesellschaftlichen Z u s t ä n d e n , nach der Art unseres B e a m t e n t u m s g e r a d e g e n u g Büreaukratle, Staatsbetrieb, M a n d a r i n e n s c h e m a t i s m u s u n d Parlamentsrederei" v o r h e r r s c h e n d seien. 7 In einer Reihe späterer Ä u ß e r u n g e n b e s c h r e i b t Max W e b e r wiederholt die parlam e n t a r i s c h e Patronage als Folge der Beamtenherrschaft und der Machtlosigkeit d e s Reichstags. Insbesondere die Z e n t r u m s p a r t e i als „ P a t r o n a g e v e r s i c h e r u n g für katholische A m t s a n w ä r t e r " Ist für Ihn „die Partei d e s Scheinconstltutlonallsmus", d a es Ihr w e n i g e r um die Kontrolle der Verwaltung d u r c h d e n Reichstag als um „die Aufrechterhaltung der hinter d e n Coullssen herlaufenden .parlamentarischen Patronage'" g e h e , daß sie also, mit a n d e ren Worten, nicht „reale M a c h t der Volksvertretung gegenüber der Krone, s o n d e r n persönliche B o n b o n s " aus deren H ä n d e n angestrebt habe. Vgl. d a z u Weber, Max, Parlament und R e g i e r u n g Im n e u g e o r d n e t e n D e u t s c h l a n d . Zur politischen Kritik des B e a m t e n t u m s und Parteiwesens (1918), M W G 1/15, S. 504, sowie d e n Brief Max W e b e r s an Friedrich N a u m a n n v o m 14. Dez. 1906, M W G II/5, S. 201 ff. 8 Bei d e n B e r a t u n g e n d e s „ G e s e t z e s über die B e f ä h i g u n g für d e n höheren Verwaltungsdienst" hatte die K o m m i s s i o n d e s preußischen Herrenhauses die B e s c h l ü s s e d e s A b g e o r d n e t e n h a u s e s unter a n d e r e m d a h i n g e h e n d a b g e ä n d e r t , daß für die E r n e n n u n g z u m Regierungsreferendar nicht der z u s t ä n d i g e R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t , s o n d e r n die Minister d e s Innern u n d der Finanzen z u s t ä n d i g sein sollten. Gustav Schmoller unterzog diesen Vorschlag a m 30. April 1903 Im Herrenhaus einer s c h a r f e n Kritik, d a er befürchtete, daß d a d u r c h die Zahl der Fälle, In d e n e n Parlamentarier „für Ihre Söhne, S c h w i e g e r s ö h n e , Freunde u n d irgend w e l c h e ihnen e m p f o h l e n e K a n d i d a t e n Irgend etwas h e r a u s s c h l a g e n wollen", über d a s bisher s c h o n v o r h a n d e n e Maß n o c h wesentlich h i n a u s g e h e n würde. D e m g e m ä ß verlangte er die Rückkehr z u m Beschluß d e s A b g e o r d n e t e n h a u s e s , der mit der u r s p r ü n g l i c h e n R e g l e r u n g s v o r l a g e Identisch war, u m die „ p a r l a m e n t a r i s c h e n Patronag e z u m u t u n g e n " zu b e g r e n z e n . Sten.Ber.pr.HH, Sess. 1903, S. 189f.
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wenn der Staat in der Lage ist, den Herren, die diese Patronage genießen, zu Pfründen in den großen Aktiengesellschaften zu verhelfen, wenn für allerhand agrarische Politiker - will ich unter den gegenwärtigen Konstellationen einmal sagen - , die da in ihren Kredit5 Organisationen usw. im Osten 9 mehr oder auch minder brauchbar gewesen sind, jetzt die Chance erwüchse, ihre Hand hineinzustekken in die Deutsche Bank oder in ähnliche Institute. Es mag diese Befürchtung etwas übertrieben klingen, ich muß aber mit beschränkter Redezeit sprechen und muß deshalb in der Form etwas 10 übertreiben.13 - Ich sage ganz offen, ich treibe die Dinge auf die Spitze, ich kann nicht anders. - Das oder etwas Ähnliches ist es aber doch, was die Konsequenz eines solchen Vorschlags sein würde. Denn meine Herren, wir wollen uns doch darüber nicht täuschen: wir haben nach der vorhandenen Machtlage keinen parlamentari15 sehen Staat, wir | haben nicht die Vorzüge des Parlamentarismus, die A 384 andere Länder haben, aber wir haben alle die Nachteile. 0 Wir haben die Parteiherrschaft bei uns ebenso gut wie anderswo. Diese Parteiherrschaft vollzieht sich bei uns als ein Wechsel der Hofmoden unter dem Druck dynastischer und aller möglichen anderen Interes20 sen; aber diese Parteiherrschaft ist hier sogut wie irgendwo auf der Welt. Wer das nicht sieht, ist meiner Meinung nach politisch blind. d Ich glaube auch, daß Herr Professor Schmoller wenigstens für die Gegenwart diese Tatsache nicht in Abrede stellen wird. Es scheint mir danach zweifelhaft, ob die Chance eine große ist, 25 daß in solche Stellen derjenige Typus von Menschen hineinkommt, den Herr Professor Schmoller als Altruisten bezeichnet hat im Gegensatz zu den Geldmachern. 10 Aber, meine Herren, ich knüpfe b In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit.) c In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!) d In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!)
9 Wahrscheinlich meint Max Weber die „preußischen Landschaften". Mit diesen Immobiliarkreditanstalten des adeligen Großgrundbesitzes setzte er sich 1908 In seinem Artikel „Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften" ausführlich auseinander. In diesem Band abgedruckt, unten, S. 333-355. 10 Schmoller, Verhandlungen, S. 256, wünschte sich In den Führungsgremien der Kartelle „die klügsten, weitblickendsten Köpfe und die, welche gerecht gegen alle Mitglieder sind." Entscheidend sei, „dem Zukunftsinteresse den Sieg über das Augenblicksinteresse, den sogenannten ,Mäßigkeitsaposteln' das Übergewicht über die Geldmacher und Preistreiber, den Gesamtinteressen den Vorrang vor dem gemein egoistischen Gewinninteresse zu verschaffen."
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daran das weitere Bedenken, ob denn dieser Gegensatz in dieser Art überhaupt aufrecht zu erhalten ist. Es ist das ja schon an sich eine nur vorläufig gemachte Unterscheidung, die, wie er selber zugeben wird, doch sehr verschiedene Nuancen gestattet. Ich bestreite aber auch prinzipiell, daß sie in dieser Art zulässig ist. Es gibt doch auch Eisenbahnminister, die nichts als Geldmacher - dabei aber sicherlich Altruisten - sind. Es gibt auch Landwirtschaftsminister, die nicht selbst Geldmacher, aber Agenten von Geldmachern sind, die sich ganz ebenso als Vertreter einer bestimmten Volksgruppe fühlen, wie etwa ein tschechischer Landsmannminister in Österreich, 11 nur daß dieser ideelle Interessen vertritt und der andere eben Geldinteressen und weiter gar nichts. Und auf der anderen Seite trifft es nicht zu, daß der amerikanische Schöpfer eines Trusts als Mensch ein Banause wäre, der nichts weiter als das Geld um des Geldes willen liebe. Die Psychologie dieser Herren ist denn doch eine etwas verwickeitere. Ich habe wahrlich keinen Anlaß, mich für sie als Blüten der Menschheit ins Zeug zu legen. Man wird aber sowohl sagen müssen, daß sie Leute sind, die hypnotisiert von dem Ehrgeiz, das Unerhörte möglich zu machen, den Geldwert als Sport behandeln, daß Männer wie Carnegie, Morgan weit davon entfernt sind, im einzelnen Fall so sehr auf das Geld, was sie verdienen, zu sehen, wie die große Mehrzahl unserer deutschen Kartellmitglieder es tut, nicht etwa wegen sittlicher Minderwertigkeit, sondern unter dem Druck der Notwendigkeit ganz einfach tun muß. Und sie haben den großen Vorzug, daß sie nicht, wenn man von Arbeiterorganisationen spricht, sich hinstellen und sagen: „Dann spiele ich nicht mehr mit."
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A 385 Ich | muß also aufs entschiedenste bestreiten, daß dieser Gegensatz in der Weise formuliert werden kann, wie Schmoller es tut. Nun aber komme ich weiterhin noch zu etwas prinzipielleren Gesichtspunkten, bei denen es sich in letzter Linie wieder um Ge- 30 gensätze der Werturteile handelt. Ich muß deshalb vorweg meinem verehrten Kollegen Professor Liefmann bestreiten, daß das, was er gestern bei seinen Erörterungen über die Aufgaben der Jurispru-
11 In Österreich inoffizielle B e z e i c h n u n g für Minister o h n e Portefeuille, die zwar für einen G e s c h ä f t s b e r e i c h verantwortlich zeichneten, der aber nicht exekutiver, s o n d e r n politischer Natur war. D a b e i o b l a g d e m L a n d s m a n n m i n i s t e r in der Regel die Vertretung der Interessen seiner Nationalität.
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denz auf dem Gebiete des Kartellwesens gesagt hat, 12 zutreffend ist, und in voller Übereinstimmung mit dem Herrn Vorredner, Herrn Regierungsrat Völcker, erklären, es gibt keine Wissenschaft^] und am wenigsten ist die Jurisprudenz eine solche, welche das Gelten irgend eines Werturteils und das Seinsollen irgend eines Rechtssatzes anzudemonstrieren vermag. 13 Diejenigen Juristen, die versucht haben, eine solche Rolle für sich als Juristen in Anspruch zu nehmen, sind für mich die gottverlassenste Gesellschaft, die es auf der Welt gibt. Wenn irgend jemand nicht geeignet ist, über das Seinsollen zu entscheiden, ist es der Jurist, der, will er ein Mann seiner Wissenschaft sein, Formalist zu sein verpflichtet ist. Ich darf das umsomehr sagen, weil ich selbst das zweifelhafte Vergnügen gehabt habe, als juristischer Professor 1 4 Referendare zu examinieren, und also glaube, über die Eigenart des Juristen und seine Psychologie durch Selbstbeobachtung einige Erfahrung zu haben. Was man Juristen sagen kann, ist immer nur das: Wenn ihr das und das wollt, dann gibt es dazu die und die juristisch-technischen Mittel, und auf diese bescheidene Stellung sollte man den Juristen ebenso beschränken, wie e wir uns Nationalökonomen^ wenn wir als solche reden, darauf
e A: wir
12 Robert Liefmann, Verhandlungen, S.304, hatte in seinem Debattenbeitrag die Frage nach den Grenzen von Zwang und Freiheit aufgeworfen, inwieweit etwa die Bewegungsfreiheit des einzelnen durch Anwendung wirtschaftlichen Drucks im Interesse eines anderen eingeschränkt oder beseitigt werden dürfe. Es sei hier Sache der Jurisprudenz, „Normen dafür zu finden, wann ein solches Vorgehen als berechtigt anzusehen ist und wann nicht." Die Rechtswissenschaft habe daher „die Aufgabe, zunächst die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens zu studieren und dann zu versuchen, zu geeigneten Normen für die Regelung dieser Erscheinungen zu gelangen." 13 In dieser Eindeutigkeit sind Äußerungen Heinrich (Henry) Voelckers in seinem Diskussionsbeitrag, Verhandlungen, S. 376-382, nicht nachgewiesen. Gleichwohl hatte sich Voelcker dahingehend geäußert, daß eine rein theoretisch-wissenschaftliche Betrachtung des Kartellwesens, wie sie hauptsächlich von Juristen vorgenommen werde, dessen Wirkungen im Wirtschaftsleben nicht befriedigend erfasse. Häufig gelinge es den „Männern der Praxis" wesentlich besser, vor allem In Einzelfragen, wie etwa bei der Aufstellung von Kriterien zur Preisgestaltung, den Komplex konkurrierender Wertmaßstäbe geschäftlicher, wirtschafts- und sozialpolitischer Art miteinander zu kombinieren. 14 Max Weber war nach seiner Habilitation im Februar 1892 zunächst zum Privatdozenten für Handelsrecht und Römisches Staats- und Privatrecht, im November 1893 schließlich zum außerordentlichen Professor an der Universität Berlin ernannt worden. Seit dem Wintersemester 1892/93 vertrat er dort den erkrankten Handelsrechtslehrer Levin Goldschmidt. Vgl. dazu die Einleitung zu MWG I/4, S. 39.
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beschränken sollten. Denn, meine Herren, ich müßte mich dagegen verwahren, daß ich, wenn ich hier rede, in meiner Eigenschaft als Mann der Wissenschaft spreche. Hier spricht der Mensch und weiter gar niemand, und was ich kraft wissenschaftlicher Arbeit weiß, ist Material, das ich lediglich verwende, um die Möglichkeit der Durchführbarkeit eines Ideals und die wahrscheinlichen Folgen seiner Durchführung abzuwägen, aus welchem eben der Wert jenes Ideals selbst nie und nimmer deduziert werden kann. Dies vorausgeschickt, möchte ich also noch zu einigen prinzipiellen Auseinandersetzungen kommen mit dem, was Professor Schmoller über seine allgemeine Stellung zum Staat, über die Chancen, welche der Staat hat, im Verkehr mit den Kartellen zu Resultaten der von ihm gewünschten Art zu kommen, ausgeführt hat. 15 Meine Herren! Die großen Arbeiten des Herrn Professor Schmoller über die Geschichte des preußischen Beamtentums 16 gehören, wie ich wahrlich nicht erst hier auszusprechen brauche, zu den | A 386 klassischen Besitztümern unserer Wissenschaft, sie haben uns beeinflußt und werden uns beeinflussen, so lange wir wissenschaftlich denken. Aber auch hier gilt der Satz Goethes: „Wir alle leben vom Vergangenen und gehen am Vergangenen zu gründe." 17 Es ist aber die Frage, ob der empirisch gegebene preußische Staat, wie er heute ist, wie er aus der Vergangenheit uns überkommen ist und sich jetzt entwickelt hat und entwickelt, ob der qualifiziert ist, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm Herr Professor Schmoller in vorsichtiger Weise, andere in radikaler Weise, nämlich durch die Forderung der Ver-
1 5 Schmollers Vorschläge hinsichtlich einer gesetzlichen Regelung des Kartellwesens zielten, wie er in seinen Leitsätzen ausführte, darauf ab, auch d e n Reichs- und Staatsinteressen innerhalb der Kartelle Geltung zu verschaffen. Dabei hielt er eine „Normativg e s e t z g e b u n g , w e l c h e alle Kartelle in gleiche Verfassungs- und Rechtssätze einzwängen wollte", für derzeit undurchführbar. Statt d e s s e n plädierte er für eine Offenlegung der Statuten und Beschlüsse der Kartelle g e g e n ü b e r einer eigens einzurichtenden Reichsstelle sowie eine gesetzliche Regelung für einzelne Bestimmungen von Kartellverträgen. Verhandlungen, S. 270f. Siehe d a z u a u c h den Editorischen Bericht, oben, S. 263. 1 6 Max Weber bezieht sich hier auf die Arbeiten Schmollers im Rahmen der A c t a Borussica: Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. von der königlic h e n A k a d e m i e der Wissenschaften. - Berlin: Verlag von Paul Parey 1892ff. Bei diesen Aktenpublikationen war Schmoller unter anderem Mitverfasser der ersten zehn Bände der Abteilung: Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, w o b e i der erste, 1894 erschienene Band mit einer Einleitung Schmollers über Behördenorganisation, A m t s w e s e n und Beamtentum versehen ist. 1 7 Goethe, Maximen und Reflexionen, 167.
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staatlichung, zuweisen wollen. 18 Meine Herren! Sehen wir uns den Charakter der heutigen preußischen Staatsleitung doch an. Was für Leute sitzen denn heute auf den Ministersesseln? Ganz vortreffliche Leute in ihrer Art, aber diese Art heißt: matter-of-fact-men, business-men. Meinen verehrten Vetter Möller 19 brauche ich als Typus eines solchen ja kaum zu nennen. Keiner von den Herren, die heute auf den Ministersesseln sitzen, wird doch den Anspruch erheben, ein Staatsmann zu sein.' So etwas gibt es doch heute gar nicht mehr. 9 Es sind matter-of-fact-men, die sich gegebenen Situationen, durch dynastische Wünsche und andere Umstände gegebenen Situationen anzupassen wissen, anpassen müssen, und es ist charakteristisch genug, daß einer dieser Herren - und keiner der übelsten nachdem er zum Minister befördert war, sich darüber beklagte, wie schlimm es sei, daß er sich bis dahin so häufig in der Öffentlichkeit über die schwebenden Fragen ausgesprochen habe. 20 Man sollte glauben, das wäre äußerst angenehm, weil man dann doch wisse, welches Programm eben nun der Minister vertritt. Aber Gott bewahre, es ist umgekehrt höchst fatal, daß man weiß, was er gedacht hat h ; denn er muß sich ja ganz anderen Anschauungen anbequemen. Es kann aus Gründen, die in der veränderten Technik und Ökonomik unserer Gesellschaft und unseres Staates liegen, heute kein anderer als ein business-man, im besten, ehrlichsten, respektabelsten Sinne des Wortes, aber eben ein business-man, sich auf dem Ministerposten halten, und unter diesen Umständen halte ich diese In-
f In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit.) g In A folgt der Protokollzusatz: (Beifall.) h In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit)
18 Zwar war keiner der Redner für eine Verstaatlichung der Kartelle eingetreten, d o c h ging etwa der Vorschlag Robert Liefmanns hinsichtlich der Bildung von „staatlichen Preiskommissionen" zur B e k ä m p f u n g überhöhter Preise, denen sowohl Kartellmitglleder als auch Staatsbeamte angehören sollten (Verhandlungen, S.302), über die Vorschläge Schmollers (vgl. oben, S. 266, Anm. 2 und Anm. 15) weit hinaus, 19 Es handelt sich hierbei um den preußischen Handelsminister Theodor Möller Die Bezeichnung „Vetter" beruht darauf, daß Max Webers Cousine Hertha mit Karl Möller, einem Bruder Theodor Möllers, verheiratet war. 20 Theodor Möller hatte am 25. Mal 1901, wenige Tage nach seiner Amtsübernahme, auf einer Festveranstaltung in Bielefeld erklärt: „Ich befinde mich In ungünstiger Lage, well ich In den letzten Monaten, ahnungslos, daß Ich d e m n ä c h s t zum Minister ernannt werden könnte, meine Ansichten öffentlich ausgedrückt habe." Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, 1901, S. 101.
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teressengemeinschaft des Staates mit den Herren Großindustriellen für äußerst bedenklich, wie sie nach den Vorschlägen des Herrn Professor Schmoller eintreten würde, der ein starkes Eingreifen des Staates in die Kartelle durch Reglementierung der Kartelle und durch Eintritt in die Kartelle befürwortet. Denn was wird dabei herauskommen? Ein sehr intelligent geschriebener Artikel meines Herrn Vorredners in der deutschen Wirtschaftszeitung enthält unter anderem die Sätze: | A 387 „Der Regierung kann es unmöglich gleichgültig sein, wenn so bedeutende Unternehmerverbände ihr mißtrauisch gegenüberstehen." und weiter: „Ihre - der Regierung - Aufgabe muß dahin gerichtet sein, durch politische Geschicklichkeit auf die bedeutenden Männer der Industrie einzuwirken, sie politisch zu erziehen und sie für ihre weitergehenden Pläne zu gewinnen." „Es wird - so heißt es weiter - sehr bedauert in industriellen Kreisen, daß das schöne Vertrauensverhältnis, wie es zur Zeit des wirtschaftlichen Ausschusses zwischen Regierung und Industrie bestand, eine so bedauerliche Abschwächung erfahren hat." 21 Ich glaube, die ganze öffentliche Meinung Deutschlands mit Ausnahme dieser Herren, die dem wirtschaftlichen Ausschuß 22 angehörten, ist der gerade entgegengesetzten Ansicht und hat es aufatmend begrüßt, als diese Liaison hinter verschlossenen Türen endlich ihre Endschaft nahm. Nun aber, meine Herren, machen wir uns noch konkreter klar, was denn der Eintritt des Staates - mein Bruder hat gestern Abend schon davon gesprochen - 2 3 in die Interessengemeinschaft mit den 21 Voelcker, Henry, Der g e g e n w ä r t i g e Stand der Kartellfrage, In: D e u t s c h e WirtschaftsZeitung, Nr. 18 v o m 15. Sept. 1905, Sp. 8 5 1 - 8 5 6 . Die e n t s p r e c h e n d e n v o n Max Weber korrekt w i e d e r g e g e b e n e n Zitate f i n d e n sich In S p . 8 5 5 f . Allerdings spricht Voelcker hier von den „leitenden M ä n n e r n der Industrie" u n d beginnt die dritte zitierte P a s s a g e mit den Worten: „In Industriellen Kreisen w i r d es lebhaft bedauert, [...]". 22 Der wirtschaftliche Ausschuß, d e s s e n offizielle B e z e i c h n u n g „Ausschuß zur Vorbereit u n g und B e g u t a c h t u n g wirtschaftspolitischer Maßnahmen" lautet, war g e g e n Ende d e s 19. J a h r h u n d e r t s mit d e m Ziel g e g r ü n d e t worden, einen A u s g l e i c h z w i s c h e n d e n Interessen der L a n d w i r t s c h a f t und der Industrie zu finden. In der Zelt v o n 1 8 9 7 - 1 9 0 1 g a b es unter d e m Vorsitz d e s Staatssekretärs d e s Innern, Graf Posadowsky, mehr als 100 Sitzungen, bei d e n e n rund 2000 S a c h v e r s t ä n d i g e gehört wurden. 23 Alfred Weber, V e r h a n d l u n g e n , S . 3 5 4 , hatte seinen D e b a t t e n b e i t r a g mit der Feststellung eröffnet, daß sich der Inhalt der Diskussion In der Frage b ü n d e l n lasse: „Soll der
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Syndikaten, speziell auf dem Gebiete des Kohlenbergbaus bedeuten würde! Der Staat hat heute schon Kohlenbesitz in erheblichem Umfang. 24 Ist es denn etwa so, daß er in irgend einem ökonomischen oder sozialen Sinne hier mustergültig vorangegangen wäre? 5 Ist er in der Preispolitik etwa mustergültig gewesen für das Syndikat? Er hat es ja eher noch toller getrieben als irgend ein privates Syndikat. Und wie steht es sozialpolitisch? Ich habe mit der wünschenswerten Deutlichkeit meine diesbezüglichen Werturteile vorgestern ausgesprochen 25 und möchte nur hinzufügen, daß doch un10 vergessen sein wird in der deutschen Sozialgeschichte jene Szene vor einem Gericht des Saargebiets, wo der als Zeuge aufgerufene Bergmann fragte: „Wissen Sie, ob ich nicht abgelegt werde, wenn ich hier die Wahrheit sage?" und wo der dabei sitzende Herr Oberbergrat Hilger, auf den sich aller Augen wandten - schwieg! 26 Das, meine preußische Staat in das Kohlenkartell eintreten oder soll er es nicht? Ich glaube, daß diese Frage die prinzipielle Stellungnahme zur Kartellbehandlung überhaupt praktisch in sich schließt [...]; und ich möchte deswegen das, was ich vorzubringen habe, im wesentlichen auf dieses Problem zuspitzen." 24 Der preußische Staat war in den Bergbauregionen des Saarlandes sowie Oberschlesiens an der Kohlenförderung maßgeblich beteiligt, wobei er im Saargebiet nahezu eine Monopolstellung besaß. Nachdem sich der Fiskus im 19. Jahrhundert vom Bergbau im Ruhrrevier zeitweise zurückgezogen hatte, versuchte er zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Erwerb von Kohlenfeldern und Anteilen an Bergwerksgesellschaften (vgl. dazu unten, Anm. 28) hier erneut Einfluß zu gewinnen. In Folge einer stetigen Besitzerweiterung verfügte er schließlich im Jahre 1914 in den genannten Gebieten insgesamt über ca. 2400 km2 an Kohlenfeldern. 25 Max Weber bezieht sich hier auf seinen Redebeitrag zur Debatte über „Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben" (vgl. dazu oben, S.249-259, hier S.253), in dem er auch die Frage nach den Wirkungen der preußisch-deutschen Traditionen auf die Existenzbedingungen der Arbeiterschaft stellte. Er kam hier zu dem Ergebnis, daß der „preußische Staat und das autoritäre System [...] depravierend und charakterschwächend" wirke. In diesem Zusammenhang sprach Max Weber vom Fluch „des autoritären Empfindens, des Reglementiert-, Kommandiert- und Eingeengtseins, welchen der heutige Staat und das heutige System der Arbeitsverfassung im Deutschen erhält." 26 Der saarländische Bergmann Karl Krämer hatte im März 1904 zwei Flugblätter herausgegeben, in denen er die Arbeiter zum Eintritt in den „Verband Deutscher Bergarbeiter" aufforderte. Die Verwaltung der fiskalischen Gruben unter Leitung des Geheimen Bergrats Ewald Hilger fühlte sich durch die Flugblätter beleidigt, und es wurde „Im öffentlichen Interesse" Anklage gegen Krämer erhoben. Während der Verhandlung Anfang Juni 1904 fragte der als Zeuge geladene Bergmann Koster aus Dudweiler: „Wer gibt mir die Garantie, daß ich nicht abgelegt werde, wenn ich hier unter Eid die Wahrheit sage?" Der Verhandlungsbericht vermerkte, daß diese Frage im Zuschauerraum große Bewegung hervorgerufen habe: „Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf Hilger, der aber unbeweglich schweigsam sitzen blieb." Saarabien vor Gericht. Bericht über den Prozeß Hilger gegen Krämer unter Benutzung stenographischer Aufzeichnungen. - Berlin: Vorwärts 1904, S. 35.
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Das Verhältnis der Kartelle zum Staate
Herren, läßt wieder darauf schließen, welche Eigenschaften des Charakters der Staat an den Arbeitern in seinen Saargruben züchtet. Wir haben nicht das geringste Interesse daran, daß ein Staat von solchen Qualitäten heute seinen Bergwerksbesitz erweitert, womöglich in die Syndikate eintritt, oder überhaupt irgend einen Einfluß irgendwelcher Art im Wege einer Interessengemeinschaft mit großindustriellen Verbänden auf die sozialen und ökonomischen Verhältnisse gewinnt. Die sozialpolitischen Ansichten seiner Beamten werden dadurch gewiß nicht gewinnen. Und wenn er etwas machen kann - ich kann mich da meinem Bruder nur anschlieA 388 ßen - 2 7 | auf dem Gebiet der Preisfrage, so ist es die gelegentliche Konkurrenzierung des Syndikats, und dazu gehört von seiten des Staats absolute Freiheit von jeder Bindung an irgendwelche Gemeinschaft mit ihm. Will aber der Staat, um dies letztere besser zu können, seinen Besitz erweitern, dann halte ich schon das für ein öffentliches Skandalon, daß er, um sich einen Grubenbesitz wie den der Hibernia zu verschaffen, 28 das im Weg der Verhandlungen tut und nicht im Weg der Expropriation, daß er nicht entweder einfach die Kabinettsordre dazu extrahiert, um zu expropriieren, oder, wenn er glaubt, sie nach der Lage unserer Gesetzgebung nicht extrahieren zu können, sich durch Reichsgesetz die Möglichkeit dazu
27 Alfred Weber, Verhandlungen, S. 360, hatte dafür plädiert, „gemeinwirtschaftliche Betriebe neben privatwirtschaftliche zu stellen" und zwar mit dem Ziel, „diese zu konkurrenzleren, durch eine Konkurrenz der Staatswirtschaft gegenüber der Privatwirtschaft Preissenkungen zu erzielen." 28 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschloß die preußische Regierung den Erwerb von Staatsbetelllgungen auch an Bergwerksunternehmungen des Ruhrgebiets. Ziel dieser Politik war es, gegenüber der privatwirtschaftlichen Macht vor allem des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats ein Korrektiv zu bilden. Zu diesem Zweck betrieb der Staat 1904 den Erwerb der im Bezirk des Oberbergamtes Dortmund gelegenen Bergwerksgesellschaft Hibernia. Durch Vermittlung der Dresdner Bank begann die Regierung den verdeckten Ankauf von „Hlbernia"-Aktien und, nachdem sie auf diese Weise rund ein Drittel des Aktienkapitals an sich gebracht hatte, trat sie an die privaten Aktionäre mit dem Vorschlag der vollen Verstaatlichung heran, was diese jedoch ablehnten. Während die Regierung daraufhin den Ankauf von „Hlbernla"-Aktien fortsetzen Heß, organisierte sich von Seiten der privaten Anleger unter Beteiligung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats die „Herne-Vereinigung von Hibernla-Aktionären GmbH". Ihr gelang es schließlich - bevor der Staat die Mehrheit des Kapitals an sich gebracht hatte - eine Stammkapitalerhöhung durchzusetzen, wobei durch Mehrheitsbeschluß der Staat am Bezug neuer Aktien ebenso wie an einer Vertretung Im Aufsichtsrat des Unternehmens gehindert wurde. Somit war es der preußischen Regierung trotz der hohen Kapitalbeteiligung nicht gelungen, die „Hibernia" zu verstaatlichen.
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geben läßt, und unter allen Umständen mit den Herren nicht paktiert, die ohnehin einen Staat im Staate bilden. Und damit, meine Herren, komme ich zum Schluß - denn alles Wesentliche ist im übrigen mir vorweg genommen - noch zu einigen kurzen Bemerkungen, die sich gegen einiges, was diese Herren hier gesagt haben, richten. Wiederum, wie schon so oft, haben sich die Herren der großen Verbände dem Staat, mit dem sie, wie wir hörten, so gern ein „Vertrauensverhältnis" haben möchten, 29 auch als die Retter gegenüber dem Umsturz angetragen. Wie stimmt es nun aber damit, wenn gestern Herr Geheimrat Kirdorf sagte: lieber als eine christliche Gewerkschaft ist mir die Sozialdemokratie. 30 Das sind ja eigentümliche Hüter des Staats gegen den Umsturz. Und doch ist gerade diese Äußerung, meine Herren, ganz unbewußt ein höchst bezeichnender Ausdruck der wirklichen Ansichten dieser Herren; denn so liegen doch die Verhältnisse, daß man fragen muß: Haben denn wirklich die Vertreter der großen Industrie und die mit ihnen auf sozialpolitischem Gebiet verbündeten agrarischen Parteien ein Interesse daran, daß die Sozialdemokratie zurückgedrängt wird? Jeder politisch Denkende muß sich doch sagen: Nein, gerade im Gegenteil, jede sozialistische Null mehr im Reichstag, die auf Kosten sozialreformerischer 1 Parteien hereinkommt, ist barer Gewinn für sie.k Jedes Anschwellen des Radikalismus in der Sozialdemokratie, jedes Anschwellen der Sozialdemokratie auf Kosten des Liberalismus, vollends des sozial gefärbten, bedeutet für sie bares Geld, ganz ebenso wie es anderseits für die Pfründner in der Sozialdemokratie bares Geld bedeutet, wenn wir reaktionäre Politik machen. Und 'anderseits: hat' etwa irgend einer der zahlreichen Leute, die pekuniär davon abhängig sind, daß die sozialdemokratische Partei wächst in ihrer Zahl, daß die Abnehmerkreise der sozialdemokratii A: sozialreformischer seits; hat
k In A folgt der Protokollzusatz: (Sehrrichtig!)
I A: ander-
29 Anspielung auf die Äußerungen Voelckers In der „Deutschen Wirtschafts-Zeitung", vgl. oben, A n m . 2 1 . 30 Emil von Kirdorf, Mitbegründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, hatte in seinem Debattenbeitrag, Verhandlungen, S. 289, Im Z u s a m m e n h a n g eines Vergleichs der christlichen mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften erklärt: „Dann ist mir d o c h die sozialdemokratische Organisation, meine Herren, noch lieber. Die kämpft offen, wohin sie zielt, auf d e n Umsturz. Die christliche Organisation, meine Herren, kämpft unter falscher Flagge."
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Das Verhältnis der Kartelle zum Staate
A 389 sehen Zeitungen usw. wachsen, ein Interesse daran, daß | der Staat soziale Politik treibt?171 Je enger er sich mit dem Besitz verbrüdert, je mehr er in Interessengemeinschaft mit Syndikaten gerät, je reaktionärer seine Politik ist, desto besser für die materiellen Interessen dieser Leute, - denn auch die Sozialdemokratie wird sich schließlich gefallen lassen müssen, daß man ihre Vertreter nach ihrem eigenen sogenannten materialistischen Deutungsprinzip einmal unter die Lupe nimmt. Reaktionäre Politik bedeutet für die Pfründner bares Geld. Es besteht also bei aller ökonomischen Spannung zwischen niemand politisch eine größere Interessengemeinschaft als zwischen den Vertretern der Interessen des Agrarkapitalismus und derjenigen der Syndikate, die wir hier gehört haben auf der einen, und den Vertretern der Sozialdemokratie auf der andern Seite11, und es grenzt an Naivität, wenn ein Diplomat wie Fürst Bülow immer wieder glaubt, auf die konservative Partei z. B. Eindruck zu machen, wenn er im Reichstag oder sonst ihr zuredet, ihm doch ja ein gewisses Minimum von Sozialpolitik zu gestatten, damit die Sozialdemokratie nicht anwüchse.31 Jedermann kann wissen, daß das gerade die umgekehrte Wirkung dessen ausüben muß, was Fürst Bülow mit seinen Äußerungen bezweckt. Ich bin damit am Schlüsse, meine Herren, und möchte mir nur noch erlauben, im Anschluß an das zuletzt Gesagte mich mit einer kurzen Bemerkung zu wenden gegen das, was gestern der Herr Kollege Wilbrandt aus Berlin mir in sehr freundlicher Form entgegengehalten hat bezüglich einiger meiner Äußerungen von vorgestern. 32 Ich habe damals die Vertreter der Gewerkschaften als Träm A: treibt.
n In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!)
31 Äußerungen dieser Art finden sich In zahlreichen Reden Bülows. Vgl. dazu: Fürst Bülows Reden nebst urkundlichen Beiträgen zu seiner Politik, hg. von Johannes Penzier, 3 Bände. - Berlin: Georg Reimer 1 9 0 7 - 1 9 0 9 . So beschwor er etwa im Anschluß an d e n Bergarbeiterstreik Im Ruhrgebiet von 1905 die Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses, d e m Entwurf einer Berggesetznovelle, die den Forderungen der Arbeiter zumindest teilweise Rechnung trug, zuzustimmen. Er schloß seine Ausführungen mit d e m Appell: „Was Sie, meine Herren, in Erfüllung der sozialen A u f g a b e n , der sozialen Pflichten des Staates [...] für die Abstellung wirklicher Beschwerden tun, das tun Sie gegen sozialdemokratische Bestrebungen, das tun Sie für die Monarchie!" Ebd., Band 2, S. 208. 32 Gemeint ist Max Webers Beitrag zur Debatte über „Das Arbeltsverhältnis In d e n privaten Riesenbetrieben", in der er die Gewerkschaften als „einzigen Hort Idealistischer Arbeit und idealistischer Gesinnung" Innerhalb der Sozialdemokratie bezeichnet hatte, oben, S. 259. Robert Wilbrandt, Verhandlungen, S. 335, hatte an dieser ansonsten „ausgezeichneten Rede von Professor Max Weber" diese Einschätzung kritisiert. Wilbrandt, der den
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ger des Idealismus bezeichnet im Gegensatz zu der Entwicklung, welche die sozialdemokratische Partei durchmachen werde. Ich betone ausdrücklich, ich habe nicht von der Gegenwart gesprochen und nicht von den Personen. Ich weiß sehr wohl, daß ohne politisches Arbeiten der bloße business-Gewerkschaftsmann, der matterof-fact°-man, den wir in England und Amerika kennen, ein arger Banause ist und daß ohne alle politische Betätigung der Arbeiterschaft der Schwung des Aufwärtsstrebens aus den Massen überhaupt verschwinden würde. Aber ich habe davon gesprochen, was unter dem Druck zwingender Verhältnisse, unter dem Druck vor allen Dingen jenes Gefühls völliger Ohnmacht, welches, wie jeder weiß, der hinter die Kulissen sieht, in den leitenden Kreisen der sozialdemokratischen Partei herrscht - ihre Vertreter würden das selbstverständlich bestreiten, es ist aber doch so - , aus der Partei werden muß. Es kann nichts anderes daraus werden als eine Partei amerikanischen Genres, eingeschworen auf einige Formeln, auf einige wenige Schlagworte, die sie festhält, im übrigen aber eine Partei, die schlechthin um ihrer selbst und ihrer Pfründner willen existiert und wo ganz ebenso, wie der Arbeiter in der Fabrik nach der Theorie | der Herren vom Syndikat sich ducken soll, wie diese selbst A 390 und wir alle uns im Staate ducken sollen, sich alles in der Partei vor den faktisch in der Macht sitzenden Parteibossen duckt. Gelernt haben die Leute diese Charakterlosigkeit ja in unserem Staat wie er ist, in dem Kasernencharakter unserer Fabrikbetriebe. Und angesichts dieser unvermeidlichen Entwicklung sage ich nun: wie in Amerika heute das allmähliche Aufkommen einer sozialdemokratischen Partei den Protest des p Idealismus gegen den Nichts-als-business-man des Gewerkschaftlertums bedeutet, so bedeutet umgekehrt bei uns infolge unserer ganz anderen Verhältnisse das Aufkommen und die Stärkung der Gewerkschaften die Gewähr politischer, männlicher, freier Unabhängigkeit innerhalb der Partei, nicht, wie ich schon vorgestern sagte, außerhalb der Partei. Das allein ist es, was ich den Gewerkschaften vorgestern habe nachrühmen wollend o A: fakt p In A folgt: vom der Beifall.)
q In A folgt der Protokollzusatz: (Lebhafter anhalten-
s o z i a l d e m o k r a t i s c h e n Parteitag In J e n a 1905 b e o b a c h t e t hatte, war vielmehr „bei vielen Mitgliedern der Partei zu e i n e m g ü n s t i g e r e n Eindruck g e k o m m e n . W e n n es I r g e n d w o Ideallsmus gibt, so Ist der dort zu finden."
Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Mit dem Artikel „Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben" griff Max Weber in einen schwelenden Konflikt innerhalb der badischen Fabrikinspektion ein. Er war mit den Verhältnissen In der badischen Fabrikinspektion, die unter der Leitung des engagierten Sozialpolitikers Friedrich Woerishoffer als Vorbild der Gewerbeinspektion galt, 1 seit Jahren wohlvertraut. 2 Nicht zuletzt aufgrund seiner Kontakte zu Woerishoffer war Else von Richthofen, seine frühere Schülerin, im Jahre 1900 zum „wissenschaftlich gebildeten Hülfsbeamten [...] zunächst in provisorischer Weise" ernannt worden. 3 Nach ihrem Ausscheiden wurde die Stelle im Jahre 1902 mit der Chemikerin Marie Baum besetzt. Am 22.Juli 1904 wurde dieser „mit Wirkung vom I . J u l i d[es] J[ahres] die etatmäßige Stelle eines wissenschaftlich gebildeten Hilfsarbeiters der Fabrikinspektion unter Verleihung des Titels .Fabrikinspektor'" übertragen. 4 Damit war sie förmlich den anderen Fabrikinspektoren gleichgestellt. Zwischen Marie Baum und Karl Bittmann, der 1902 die Nachfolge von Friedrich Woerishoffer als Vorstand angetreten hatte, entwickelte sich von Beginn an ein gespanntes Verhältnis. So sprach Marie Baum In ihren Lebenserinnerungen von „ständigen Reibungen" und „ständigem Kampfe um die Aufrechterhaltung der Selbständigkeit In sachlicher Arbeit." 5 Konflikte ergaben sich insbesondere daraus, daß die dienstlichen Schriftstücke Marie Baums dem „Korreferat" ihrer männlichen Kollegen unterlagen und daß ihr im Mai 1905 das ihr zustehende Stellvertretungsrecht bei Abwesenheit
1 Bocks, Wolfgang, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879 bis 1914. - Freiburg/München: Verlag Karl Alber 1978. 2 Ebd., S. 82ff. 3 Jahresbericht der Großherzoglich Badischen Fabrikinspektion für das Jahr 1900. - Berlin: Reichsdruckerei 1901, S. 7. 4 GLA Karlsruhe, Staats-Ministerium. Generalia. Gewerbe, 233/31124. Vgl. hierzu auch Jahresbericht der Großherzoglich Badischen Fabrikinspektion für das Jahr 1904. - Karlsruhe: Ferdinand Thiergarten 1905, S. [7], 5 Baum, Marie, Rückblick auf mein Leben. - Heidelberg: F.H. Kerle Verlag 1950, S. 105.
Editorischer Bericht
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des Vorstands entzogen wurde. Wie aus den nachfolgend abgedruckten Artikeln Max Webers hervorgeht, versuchte Marie Baum In zahlreichen Eingaben an das Ministerium des Innern sowie in persönlichen Gesprächen mit Karl Bittmann, diese Mißstände abzustellen. Bittmann wies ihre Beschwerden in offensichtlich kränkender Form zurück, 6 so daß Marie Baum schließlich am 2. Juli 1906 ein Entlassungsgesuch einreichte. 7 Max Weber, mit Marie Baum seit langem bekannt, war über die Vorgänge gut informiert. Am 6. Juli 1906, also wenige Tage nach ihrem Entlassungsgesuch, schrieb er: „Ich bedaure diesen denn doch ganz unerhörten Ausgang unendlich [...]. Kein Mensch kann Ihnen anempfehlen, auch nur den kleinsten Schritt (in der Sache) zurückzuthun." Zugleich kündigte er an, daß die Angelegenheit wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung „öffentlich (ev. von mir) besprochen werden" würde. Vor „Schweigeversprechen" warnte er Marie Baum: „[...] gegen mich hilft das doch nicht." 8 Eine Chance, die Vorgänge öffentlich zu behandeln, ergab sich für Max Weber mit dem Erscheinen von Marie Baums Buch „Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe", das im Rahmen der Fabrikinspektion entstanden war 9 und das er sofort „mit Freude und Dank" las. 10 Seine Besprechung erschien unter dem Titel „Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben" am 13. August 1906 in der Frankfurter Zeitung. 11 In der Schlußpassage ging Max Weber - aus taktischen Gründen allerdings nur sehr verhüllt - auf die Vorgänge in der badischen Fabrikinspektion ein. Um Marie Baum nicht zu kompromittieren, wurde die Besprechung zum einen anonym publiziert, zum anderen in den heiklen Punkten so allgemein gehalten, daß Rückschlüsse auf den Autor und seine Informationsquelle kaum möglich waren. Auch in einem Brief an Marie Baum gab sich Weber nicht deutlich als Verfasser zu erkennen: „Wer den Artikel [...] geschrieben hat, kann doch außer dem Schreiber desselben schwerlich Jemand vermuthen oder merken", fügte jedoch hinzu: „Daß er in die Situation .eingeweiht' war, ist für die .Eingeweihten' ja allerdings kaum verkennbar." 12 Zudem sollte Marie Baum für die Aktion ihres Verteidigers sich nicht verantworten müssen. So schrieb er in einem späteren Brief: „Ich wollte, daß,
6 Dies wird in der Darstellung Max Webers in seinem Artikel „Die badische FabrikInspektion" deutlich, unten abgedruckt, S. 2 9 3 - 2 9 9 . 7 Dies geht unter anderem aus dem Bericht des Ministeriums des Innern an das Großherzogliche Staatsministerium vom 23. Januar 1907 hervor. GLA Karlsruhe, Staats-Mlnlsterlum, 233/31124. 8 Brief Max Webers an Marie Baum vom 6. Juli 1906, MWG II/5, S. 106. 9 Das Buch trug den Untertitel „Bericht erstattet an das Großherzogliche Ministerium des Innern" und erschien 1906 bei der G. Braunschen Hofbuchdruckerei in Karlsruhe. 10 Brief Max Webers an Marie Baum vom 6. Juli 1906, MWG II/5, S. 106. 11 Frankfurter Zeitung, Nr.222vom 13. Aug. 1906, Mo.BI., S. 1. 12 Brief Max Webers an Marie Baum vom 21. Aug. 1906, MWG II/5, S. 145.
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Zur Stellung der Frau im modernen
Erwerbsleben
wenn etwa bei den .Rücksprachen' Jemand, wer es auch sei, Sie fragen sollte (direkt oder indirekt, in Anspielungen), ob Sie wüßten, wer das Karnikkei sei, Sie in voller Aufrichtigkeit sagen könnten: Ja, ich vermuthe zwar sehr bestimmt, wer es ist, aber ich weißes nicht absolut sicher [...]"'. 1 3 Zu dieser Zeit hatte sich die Situation jedoch bereits geändert. Der badische Innenminister Karl Schenkel hatte nach einem Gespräch mit Marie Baum eine neue Dienstanweisung erlassen, die ihren Vorstellungen zumindest teilweise entgegenkam und ihr die Motive für ein Ausscheiden vorerst nahm. 14
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter der Überschrift „Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben" ohne Verfasserangabe in der Frankfurter Zeitung, Nr. 222 vom 13. August 1906, Mo.BI., S. 1, erschien (A). Die Autorschaft Max Webers ergibt sich aus seinem Briefwechsel mit Marie Baum sowie aus der Fußnote Webers im Text „Die badische Fabrikinspektion". 1
13 Brief Max Webers an Marie Baum vom 23. Aug. 1906, ebd., S. 147. 14 Zum weiteren Fortgang siehe den Editorischen Bericht zu „Die badische Fabrikinspektion", unten, S. 2 8 8 - 2 9 2 . 1 Siehe unten, S. 294.
Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben
Zu den wertvollen sozialwissenschaftlichen Monographien, mit denen uns die badische Fabrikinspektion von Zeit zu Zeit beschenkt hat, 1 ist in Gestalt einer Arbeit der Großh[erzoglich] badischen Fabrikinspektorin Frl. Dr. Marie Baum eine weitere getreten (Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe; Bericht, erstattet an das Großh[erzogliche] Ministerium des Innern und herausgegeben von der Großh[erzoglich] bad[ischen] Fabrikinspektion; Karlsruhe, Verlag der G. Braun'schen Hofbuchdruckerei, 1906, 232 S. 8°.), die ohne Zweifel wiederum ganz besonders gut gelungen ist. Zwar ist die Stadt Karlsruhe weder eines der typischen modernen Zentren der Massenarbeit der Frau, wie sie durch bestimmte Bedingungen des Arbeitsangebots geschaffen werden, noch auch ist sie Sitz einer der spezifisch badischen großen, auf gelernter weiblicher Arbeit ruhenden Industrien. Allein gerade diesen Umstand: die Vielseitigkeit der Karlsruher Frauenbeschäftigung, hat sich die Verfasserin in höchst geschickter Weise zu Nutze zu machen gewußt, um durch eine Vielzahl von verschiedenen Konstellationen hindurch die ökonomischen und sozialen Chancen der Frauenarbeit zu verfolgen und so das zu bieten, worauf es ihr offenbar ankam: einen Beitrag nicht in erster Linie zur inneren Industriegeschichte, sondern zur Entwicklungsgeschichte der Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben.
1 Die badischen Fabrikinspektoren veröffentlichten in regelmäßigen Abständen Berichte und Untersuchungen aus ihrem Tätigkeitsbereich, teilweise als Beilage zum „Jahresbericht der Großherzoglich Badischen Fabrikinspektion", teilweise als eigenständige Monographien; so etwa Wörlshoffer, Friedrich, Die sociale Lage der Fabrikarbeiter In Mannheim und dessen nächster Umgebung, hg. im Auftrage des Großh[erzogllchen] Ministeriums des Innern. - Karlsruhe: Ferdinand Thiergarten (Badische Presse) 1891, und Fuchs, Rudolf, Die Verhältnisse der Industriearbeiter in 17 Landgemeinden bei Karlsruhe. Bericht erstattet an das Großherzogliche Ministerium des Innern und hg. von der Großherzoglich Badischen Fabrikinspektion. - Karlsruhe: G. Braunsche Hofbuchdruckerei 1904.
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Zur Stellung der Frau im modernen
Erwerbsleben
Wir finden in der Darstellung der Verfasserin zunächst 1. die weibliche (in diesem Falle ungelernte) Fabrikarbeit der Frau 2 mit ihrem frühen, aber fast jede Chance eines Aufstiegs ausschließenden Arbeitsverdienst, ihrem dementsprechend rapiden Orts-, Betriebs- und Berufswechsel, ihrer aus diesem Grunde zunehmenden Heranziehung ländlicher, durch Patronage und Tradition leichter an bestimmte Betriebe zu bindenden, dafür freilich mit der Heirat gänzlich zur Haus- und Landwirtschaft abschwenkenden Arbeitskräfte. Ihr gegenüber steht dann 2. die Konfektion3 mit ihrer, in diesem Falle relativ hoch qualifizierten und sozial hochstehenden, daher wesentlich städtisch Rekrutierten und, 3 bei geringerem Berufsund Betriebswechsel, seßhafteren, bei niedrigerem Anfangslohn im ökonomischen Aufstiege etwas (aber nur wenig) günstiger als die Fabrikarbeiterinnen gestellten, aber, da hier die Arbeit noch stärker, als selbst in der Fabrik, nur „Durchgangsstadium" ist, noch jugendlicheren Arbeiterschaft - in der Fabrik 9 /io, in der Konfektion fast 19/20 unter 30 Jahren. Endlich 3. die Geschäftsgehilfen in offenen Verkaufsstellen 4 bei stetiger Arbeit und, nach niedrigen Anfangslöhnen, relativ günstigen Aufstiegschancen ganz vorwiegend städtischer Provenienz, aber nicht nur den Betrieb häufig wechselnd, sondern auch sehr stark fremdbürtig, weil am häufigsten von allen von der eigenen Familie losgelöst. Unter sich ist diese Schicht wieder sehr verschieden gestellt, je nachdem es sich um Warenhausangestellte (mehr ungelernte Arbeit, höherer Durchschnittslohn, schneller, aber freilich begrenzter Aufstieg), um Angestellte in den noch stark patriarchalisch organisierten „Bedarfsgewerben" (Fleischer, Bäcker), oder endlich in Spezialgeschäften handelt. Sorgsam wird der drückende Einfluß der Konkurrenz der Haustöchter auf dem Arbeitsmarkt, ferner der Heirat auf die Erwerbstäa A: rekrutierten, und,
2 Vgl. Baum, Lohnarbeiterinnen, Abschnitt I „Die Fabrikarbeiterin", bzw. „Die Arbeiterin in Fabriken und gleichgestellten Anlagen", S. 1 - 8 1 . In diesem und den folgenden Abschnitten geht Marie Baum nach demselben Schema vor: Sie untersucht Zahl und Art der Betriebe mit weiblicher Arbeiterschaft, Arbeitsräume und Arbeitszeit, Wohn- und Geburtsort der Arbeiterinnen, Alter und Familienstand, Häufigkeit des Stellenwechsels sowie das Lohnniveau. 3 Ebd., Abschnitt II „Die Konfektionsarbeiterin", S. 82-119. 4 Ebd., Abschnitt III „Die Geschäftsgehilfin in offenen Verkaufsstellen", S. 120-170.
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tigkeit, dann das subjektive Verhalten der Arbeiterinnen zur nicht hauswirtschaftlichen Arbeit, insbesondere Fabrikarbeit (ganz überwiegend negativ), endlich und namentlich aber auch umgekehrt der Einfluß des Arbeitsverhältnisses auf die Stellung der arbeitenden Frau in Haus und Familie und auf ihren allgemeinen physischen und psychischen Habitus analysiert. 5 Die Bedeutung schon der Menstruation, und noch mehr der Mutterschaft, illustriert an der Säuglingssterblichkeit in Land, Stadt und industrialisierten Landgemeinden, ferner die Konsequenzen der Familienbeziehungen: z.B. die regelmäßige Konfiskation des gesamten Lohnes der Haustöchter für den elterlichen Haushalt, die daraus hervorgehenden Konflikte, die Verschiedenheit des Maßes der Familiengebundenheit (am stärksten bei den Konfektionsarbeiterinnen mit ihrer schwankenden Arbeitsgelegenheit), weiter die Budgetverhältnisse der alleinstehenden Arbeiterinnen, die drückende Wirkung, welche die Haustöchter, wie auf dem Arbeitsmarkt, so auch auf die Organisationsfähigkeit und auf das Niveau des fachlichen und geistigen „Allgemein"-Interesses ausüben, das Fehlen des Berufsempfindens und überhaupt jeglichen Schwunges, auch innerhalb der alleinstehenden Arbeiterinnen, schon infolge der langen Arbeitszeit und des „dilettantischen"13 und „Durchgangs"-Charakters der weiblichen Arbeit, welche die „Proletarisierung" der Arbeiterin (dies Wort im soziologisch strengen Sinne c genommen) hemmt 0 - dies alles wird am gegebenen Ort sehr geschickt in die Darstellung verflochten und an ihr illustriert. Man wird im ganzen sagen dürfen, - zu Einzelkritik ist hier kein Raum - daß wohl kaum ein erheblicher Gesichtspunkt übergangen ist, und daß die Arbeit vor allem auch davon Zeugnis ablegt, wie wesentlich die Sachkenntnis der Frau als solcher für die sachgemäße Verarbeitung von derartigen, weibliche Arbeiter betreffenden, Er-
b A: d i l e t t a n t i s c h e n "
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5 Gemeint ist hier offensichtlich Abschnitt IV „Erwerbstätigkeit und Hausfrauenberuf", S. 1 7 1 - 2 0 3 , und Abschnitt V „Vergleich der drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel", S. 2 0 4 - 2 2 3 . Die Vergleiche in diesem letzten Abschnitt betreffen die „materielle Lage", die „gesundheitlichen Verhältnisse" und das „persönliche Leben".
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hebungen ist. - Wörishoffer,6 innerlich im Grunde eine „konservativ" gestimmte Natur, hatte seinerzeit sich dem Gedanken der weiblichen Fabrikinspektion gegenüber zwar nicht ablehnend, aber doch zunächst ziemlich kühl verhalten, von der Ansicht ausgehend, daß qualitativ eigenartige Leistungen, andere also als von Männern, von Frauen schwerlich zu erwarten seien. Allein er war alles andere als ein kleinlicher bureaukratischer Pedant, und nachdem er sich einmal zur Heranziehung einer weiblichen Mitarbeiterin entschlossen und die maßgebenden Instanzen dafür gewonnen hatte, hat er mit der ihm eigenen Noblesse und Weitherzigkeit der ersten „Assistentin" die Pfade geebnet. 7 Auf welch lächerliche Schwierigkeiten er dabei gelegentlich stieß, ist heute kaum noch glaublich. Außerhalb wie auch - glücklicherweise freilich nur ganz vereinzelt - innerhalb der Fabrikinspektion erhob sich damals die bedrohte männliche „ Geschlechtseitelkeit" bei dem fürchterlichen Gedanken, daß eine Frau den Staat „nach außen repräsentieren", womöglich gar „Verfügungen" erlassen solle, die dann von Männern, - zähneknirschend natürlich ob dieser Pantoffelherrschaft, - auszuführen wären, und, das Allerschrecklichste, daß sie womöglich „etatsmäßig", d werden und dann im Dienstalter vor männlichen Beamten der Behörde rangieren könnte. Wie es immer zu geschehen pflegt, wurde dabei die „generelle" Überlegenheit des männlichen Geistes am stärksten betont von solchen Leuten, die in ihrer konkreten Person am allerwenigsten als Repräsentanten derselben gelten konnten. Schon Wörishoffer hat, wo ihm diese Erbärmlichkeiten in den Weg traten, sie als „Altweibertratsch" in die Ecke gewiesen. Man kann nur mit dankbarer Genugtuung feststellen, daß die maßgebenden Instanzen
d A: „etatsmäßig,
6 Friedrich Woerishoffer war im Jahre 1879 zum ersten badischen Fabrikinspektor ernannt worden. Mit Erlaß der Geschäftsordnung vom 5. Juni 1892 wurde er mit der Leitung der badischen Fabrikinspektion betraut, die er bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1902 innehatte. Vgl. dazu Bocks, Wolfgang, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879 bis 1914. - Freiburg/München: Verlag Karl Alber 1978, S. 16, 38 und 93. 7 Gemeint ist Else von Richthofen, verheiratete Jaffe, die als erste Frau in die badische Fabrikinspektion aufgenommen wurde. Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 280.
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im vorigen Jahr durch etatsmäßige Anstellung einer Inspektorin 8 (eben der Verfasserin obiger Schrift) dieser den Anspruch auf jene selbstverständliche völlige Gleichordnung zugebilligt haben, ohne die ein kollegiales Zusammenwirken dauernd nicht möglich wäre, 5 und die übrigens auch die einzige, des männlichen Geschlechts selbst würdige Behandlung dieses „Problems" ist.
8 Marie B a u m wurde nicht 1905, s o n d e r n bereits 1904 „mit Wirkung v o m I . J u l i d[es] J[ahres] die etatmäßige Stelle eines w i s s e n s c h a f t l i c h g e b i l d e t e n Hilfsarbeiters der Fabrikinspektion unter Verleihung d e s Titels .Fabrikinspektor " übertragen. Entschließung d e s G r o ß h e r z o g l i c h e n Staats-Ministeriums v o m 22. Juli 1904, G L A Karlsruhe, Staats-Ministerium. Generalia. G e w e r b e , 233/31124. S i e h e d a z u a u c h d e n Editorischen Bericht, oben, S. 280.
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Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Der „Waffenstillstand" 1 zwischen Marie Baum und dem Vorstand der badischen Fabrikinspektion, Karl Bittmann, der mit der Dienstanweisung des badischen Innenministeriums und der Zurücknahme des Baumschen Entlassungsgesuchs im August 1906 eingetreten war, 2 währte nicht lange, denn die Gleichstellung der Inspektorin wurde nach wie vor unterlaufen. Zwar war ihr eine größere Selbständigkeit in ihrem Tätigkeitsbereich eingeräumt worden, doch blieb ihr das Recht auf Vertretung des Vorstands weiterhin vorenthalten. 3 In den folgenden Monaten spitzten sich die Konflikte zwischen den Beteiligten wieder so zu, daß Marie Baum am 2. Januar 1907 erneut ein Entlassungsgesuch einreichte. 4 Diese Vorgänge erregten erhebliches öffentliches Aufsehen. So berichtete etwa die Frankfurter Zeitung am 16. Januar 1907 über diesen Fall und erhob dabei den Vorwurf, Bittmanns Amtsführung habe gerade „geistig bedeutsame Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen" zum Ausscheiden veranlaßt. 5 Dieser Darstellung begegnete der dienstälteste
1 Brief Marianne Webers an Marie Baum, undat., Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 2 Zu den Vorgängen in der badischen Fabrikinspektion vgl. den Editorischen Bericht zu „Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben", oben, S. 2 8 0 - 2 8 2 . 3 GLA Karlsruhe. Staats-Ministerium. Generalia. Gewerbe, 233/31124. Dieser Sachverhalt geht auch aus der Eingabe der badischen Abteilungen des „Vereins Frauenbildung Frauenstudium" hervor, die an das badische Innenministerium gerichtet wurde. Sie wurde veröffentlicht unter der Überschrift „Zu den Vorgängen in der badischen Fabrikinspektion", in: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, hg! von Helene Lange, 14. Jg., 1906/07, S. 432-434. 4 Siehe dazu den Bericht des badischen Innenministeriums vom 23. Januar 1907, GLA Karlsruhe, Staats-Ministerium, 233/31124. 5 Frankfurter Zeitung, Nr. 16 vom 16. Jan. 1907, 2. Mo.BI., S. 1. Der Bericht kritisierte die „kleinliche Art bureaukratischer Reglementierung", die zum Ausscheiden von Marie Baum geführt habe. Die Verhältnisse im Amt hätten „ein ersprießliches Wirken zur Unmöglichkeit gemacht". Ohne Namen zu nennen, spielte die Frankfurter Zeitung hier augenscheinlich auf den Fall des Fabrikinspektors Rudolf Fuchs an, der wegen Differenzen mit dem Vorstand bald nach Bittmanns Amtsübernahme ausgeschieden war. Vgl. dazu Bocks, Wolf-
Editorischer
Bericht
289
Fabrikinspektor, Eduard Föhlisch, in einer Zuschrift, die in der Frankfurter Zeitung v o m 22. Januar 1907 veröffentlicht w u r d e . 6 Föhlisch verteidigte Bittm a n n u n d fand es „erklärlich und nicht zu verübeln, w e n n der genannte als Leiter einer Zentralstelle die Dienstführung w i e d e r selbst g a n z an sich zog." Er stellte die Situation so dar, als h a b e sich Marie B a u m d e n bürokratischen G e p f l o g e n h e i t e n nicht a n p a s s e n können: „Zeitlich in Z u s a m m e n h a n g mit der Ü b e r n a h m e der Vorstandsstelle d u r c h Bittmann fiel der Eintritt von Frl. Dr. Baum. Diese, eine reich b e g a b t e und in der Folge dienstlich außerordentlich bewährte Beamtin, fühlte sich leider s c h o n von A n f a n g an durch d e n Z w a n g bureaukratischer U s a n c e n b e e n g t u n d in ihrer Stellung innerhalb d e s O r g a n i s m u s der Behörde unbefriedigt u n d sie glaubte, das, w a s sie sich w ü n s c h t e , erzwingen zu können. Sie kam d a d u r c h nicht allein in G e g e n s a t z z u m Vorstand, sondern nicht selten a u c h zu d e n n a c h ihr zur Fabrikinspektion g e k o m m e n e n Beamten, w a s auf ihrer S t i m m u n g lastete und sie zu d e m b e d a u e r l i c h e n Entschluß ihres Austritts brachte. Nicht G r ü n d e einer v e r s c h i e d e n a r t i g e n A u f f a s s u n g der Berufspflicht v o m sozialen und wissenschaftlichen Standpunkt aus sind also die Motive d e s A u s s c h e i d e n s von [...] Dr. Marie Baum, s o n d e r n nur M o m e n t e persönlicher Natur." In einem Brief an Marie B a u m n a h m Max Weber d a z u Stellung: „Herrn Föhlisch's Artikel war in der That g a n z echt: Er meinte es, in seiner Art, sicherlich gar nicht böse. Aber die Naivität, zu glauben, daß eine onkelhafte A n e r k e n n u n g auf der einen, ein onkelhafter Backenstreich auf der andern Seite sich für Ihr E m p f i n d e n d o c h auf ± 0 a u s g l e i c h e n müßten, charakterisiert diese g a n z e B a n d e wirklich in köstlicher Art." 7 Marie B a u m ihrerseits w i d e r s p r a c h Föhlisch öffentlich in einem auf d e n 22. Januar datierten Schreiben: „Die A u s f ü h r u n g e n des im ersten Morgenblatt der .Frankfurter Zeitung' v o m 22. Januar a b g e d r u c k t e n Schreibens d e s Herrn Regierungsrat Dr. Föhlisch z w i n g e n mich, die noch im Dienst stehende Beamte, zu m e i n e m Bed a u e r n zu einer öffentlichen Klarstellung. A b e r 8 die A n g a b e n , daß ich m i c h von A n f a n g an .durch d e n Z w a n g bureaukratischer U s a n c e n beengt' gefühlt habe, und daß für meinen Rücktritt aus d e m Staatsdienst lediglich .Momente persönlicher Natur' m a ß g e b e n d g e w e s e n seien, sind so sehr geeig-
gang, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arb e i t e r b e w e g u n g in Baden 1879 bis 1914. - Freiburg/München: Verlag Karl Alber 1978, S. 92f. 6 Frankfurter Zeitung, Nr. 22 vom 22. Jan. 1907, I . M o . B I . , S. 1. Die Zuschrift Föhlischs ist auch a b g e d r u c k t in: Badische Landeszeitung, Nr. 40 v o m 24. Jan. 1907, Ab Bl., S. 1. 7 Brief Max Webers an Marie Baum v o m 27. Jan. 1907, MWG II/5, S . 2 2 5 f . 8 Im Original heißt es: „Lieber".
290
Die badische
Fabrikinspektion
net, n i c h t nur auf m e i n e p e r s ö n l i c h e Art, e i n e g e g e b e n e A u f g a b e z u e r f a s s e n , s o n d e r n a u c h auf d i e Q u a l i f i k a t i o n d e r Frau z u b e r u f l i c h e r T ä t i g k e i t ü b e r h a u p t ein u n g ü n s t i g e s u n d f a l s c h e s L i c h t z u w e r f e n , daß sie n i c h t unwidersprochen bleiben dürfen. N i e m a l s h a b e ich d i e a l l g e m e i n ü b l i c h e n , im W e s e n j e d e r b e h ö r d l i c h e n Institution b e g r ü n d e t e n F o r m a l i e n als l a s t e n d e n D r u c k e m p f u n d e n . W o g e g e n ich m i c h a b e r g e w a n d t h a b e - u n d w e n d e n m u ß t e , w o l l t e i c h d e r hoh e n , v o m G r [ o ß h e r z o g l i c h e n ] M i n i s t e r i u m d e s I n n e r n g r u n d s ä t z l i c h stets g e b i l l i g t e n A u f f a s s u n g , d i e i c h v o n m e i n e n B e r u f e h e g e , treu b l e i b e n - d a s w a r e n d i e V e r s u c h e , für d i e w e i b l i c h e B e a m t e als s o l c h e ein S o n d e r r e c h t z u s c h a f f e n , d u r c h w e l c h e s ihre S t e l l u n g i n n e r h a l b d e r B e h ö r d e
herabge-
d r ü c k t u n d als n o t w e n d i g e F o l g e h i e r v o n ihre B e w e g u n g s f r e i h e i t e i n g e e n g t w e r d e n sollte. D a s s i n d d i e G r ü n d e p r i n z i p i e l l e r Natur, d i e m i c h z u m A u f g e b e n m e i n e s B e r u f e s , a n d e m ich mit g a n z e m H e r z e n h i n g , v e r a n l a ß t h a b e n . " 9 U n a b h ä n g i g v o n M a r i e B a u m v e r f a ß t e M a x W e b e r a m 23. J a n u a r
1907
e i n e E n t g e g n u n g auf F ö h l i s c h , d i e er n o c h a m s e l b e n Tag a n drei T a g e s z e i tungen sandte: „ I c h h a b e d e r Frankfurter, d e r B a d i s c h e n L a n d e s - u n d d e r N e u e n B a d i s c h e n L a n d e s z e i t u n g e i n e n A r t i k e l b e t r e f f e n d Ihren A u s t r i t t g e s c h i c k t , d e r v i e l l e i c h t Ihre B i l l i g u n g n i c h t f i n d e t . Ich b i t t e Sie, w e n n d i e s d e r Fall ist o d e r s o w e i t mir e t w a - w a s i c h b e i d e m z i e m l i c h a l l g e m e i n g e h a l t e n e n R e f e r a t d e r T h a t s a c h e n n i c h t g l a u b e - Irrtümer u n t e r l a u f e n s e i n sollten, nicht a u s v e r m e i n t l i c h e r R ü c k s i c h t auf m i c h irgend d e n Behörden
Jemandem,
etwa
insbesondere
g e g e n ü b e r , a u s I h r e m D e s a v e u ein H e h l z u m a c h e n . W e n n
a l l e r d i n g s r e p l i z i e r t w e r d e n sollte, dann w ü r d e ich - d a j a n u n m e h r ohne
Ihr
Z u t h u n d i e D i s k u s s i o n e r ö f f n e t ist - Sie a l l e r d i n g s u m E r t e i l u n g v o n I n f o r m a t i o n bitten, also entweder
zu Ihnen kommen
oder Sie hierher.
D e n n nun s i n d
Sie ja in k e i n e r W e i s e m e h r g e b u n d e n , n a c h d e m A n d r e g e r e d e t h a b e n . " 1 0 Max W e b e r war offensichtlich nicht d a v o n unterrichtet, daß Marie B a u m eine e i g e n e Erklärung formuliert hatte u n d daß die Frankfurter Zeitung diese g e m e i n s a m mit s e i n e r Z u s c h r i f t u n t e r d e r Ü b e r s c h r i f t „ D i e b a d i s c h e F a b r i k i n s p e k t i o n " a m 24. J a n u a r 1 9 0 7 v e r ö f f e n t l i c h e n w ü r d e . S o s c h r i e b er a n M a rie B a u m : „Ihre E r k l ä r u n g m a c h t e i n e n g a n z vorzüglichen ich g e w u ß t , d a ß sie k a m , s o h ä t t e i c h vorerst g i n g d o c h n i c h t an, d a ß a u c h nur d e r Anschein
Eindruck, hätte
g a n z g e s c h w i e g e n . A b e r es des .Abgekarteten' erregt
w u r d e . " Im ü b r i g e n f o r d e r t e W e b e r M a r i e B a u m auf, i h m zu „ m ö g l i c h s t g l e i c h , wenn
schreiben,
in m e i n e r E r k l ä r u n g Irrtümer s t e c k e n s o l l t e n o d e r
W e n d u n g e n , die unzutreffend sind."11 9 Frankfurter Zeitung, Nr. 24 vom 24. Jan. 1907, Ab. Bl., S. 1. 10 Brief Max Webers an Marie Baum vom 23. Jan. 1907, MWG II/5, S.218f. 11 Brief Max Webers an Marie Baum, undat. [24. Jan. 1907], ebd., S.220.
Editorischer
Bericht
291
In der Tat äußerte sich Marie Baum wohl unzufrieden über den Artikel Webers; jedenfalls rechtfertigte er sich am 27. Januar 1907: „Daß mein Artikel - der leider durch einige Druckfehler entstellt ist - Ihnen in der von Ihnen selbst angedeuteten Hinsicht nicht angenehm sein würde, wußte ich. Wäre es nach mir gegangen, so wäre er in dieser Richtung wesentlich weiter gegangen und hätte dann den Effekt erzielt, der allein in Betracht kommen konnte: 1) Sfra/antrag gegen mich wegen Beleidigung oder 2) doch eine Preßfehde, in der Bittmann ganz anders angepackt worden wäre als jetzt. Auf Wunsch meiner Frau ließ ich Details weg, obwohl grade diese - z. B. die letzte Äußerung B[ittmann]'s in der Sitzung gegen Sie - die öffentliche] Meinung allein hätten bestimmen können. So, wie er ist, war er entweder zu lang oder zu wenig ins Detail gehend. Von meinem Standpunkt aus konnte ich Ihnen das Unangenehme dieser Publikation nicht ersparen, kann auch für den Fall der Polemik darin nichts versprechen. Denn die bloße Thatsache der Differenzierung der Geschlechter macht Niemand Eindruck. Man muß auf das Gehässige der Sache hinweisen und das ging ohne diese Punkte zu berühren nicht." 1 2 Marie Baums Entlassungsgesuch wurde am 23. Januar 1907 vom 15. Februar entsprochen. 1 3 Max Weber begrüßte diese und riet ihr, sich „von diesen nervenangreifenden Conflikten bärmlichen Kleinlichkeit dieser Cohorte von Schwächlingen" auszuruhen. 1 4
mit Wirkung Entwicklung und der ererst einmal
Max Webers Beschäftigung mit dem Fall war damit nicht beendet. So unterstützte er den „Verein Frauenbildung - Frauenstudium" bei der Formulierung einer Eingabe an das Badische Innenministerium. In einem Brief Marianne Webers an Helene Weber heißt es: „Letzthin waren Max und ich durch eine Aktion für Frl. Dr. Baum sehr in Anspruch genommen. Wir badischen Frauenvereine wollen eine diesbezügliche Eingabe ans Ministerium machen, - Max mußte dabei helfen." 15 Diese Eingabe war am 23. Februar 1907 fertiggestellt 1 6 und wurde schließlich in der von Helene Lange herausgegebenen Zeitschrift „Die Frau" veröffentlicht. 1 7
12 Brief Max Webers an Marie Baum vom 27. Jan. 1907, ebd., S.225f. 13 GLA Karlsruhe, Staats-Ministerium, 233/31124. 14 Brief Max Webers an Marie Baum vom 27. Jan. 1907, MWG Ii/5, S.225f. Seine negative Einschätzung Bittmanns machte Weber auch in einem Brief an Robert Michels vom 2. Apr. 1907 deutlich, ebd., S. 274f., in dem er sogar von dem „Schweinehund von Chef der Fabrikinspektion in Karlsruhe" sprach. 15 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 15. Febr. 1907, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 16 Brief Max Webers an Marianne Weber vom 23. Febr. 1907, MWG II/5, S. 261 f. 17 Vgl. dazu oben, S. 288, Anm. 3.
292
Die badische Fabrikinspektion Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der im Anschluß an den Leserbrief von Marie Baum1 unter der gemeinsamen Überschrift „Die badische Fabrikinspektion" in der Frankfurter Zeitung, Nr. 24 vom 24. Januar 1907, Ab.BI., S. 1f., erschien (A). Der gleiche Text wurde auch in der Badischen Landeszeitung, Nr.40 vom 24. Januar 1907, Ab.BI., S. It., unter der gleichlautenden Überschrift veröffentlicht (B), hier allerdings im Anschluß an eine Wiedergabe der Ausführungen Föhlischs in der Frankfurter Zeitung vom 22. Januar 1907.2 Eine dritte Fassung, die in der Neuen Badischen Landeszeitung erschien, kann hier nicht berücksichtigt werden, da diese Ausgabe in den deutschen Bibliotheken nicht nachgewiesen ist. Der Abdruck folgt A unter Annotation der Varianten von B. Die Unterschiede in der Hervorhebung der Namen werden nicht eigens ausgewiesen. In A folgt der Überschrift der redaktionelle Hinweis: „Karlsruhe, 22. Januar. Wir erhalten von Fabrikinspektorin Frl. Dr. Marie Baum und Herrn Professor Max Weber folgende Zuschriften:". In B heißt es nach dem Abdruck des Briefes von Föhlisch: „Professor Max Weber - Heidelberg schreibt uns mit bezug auf die obigen Auslassungen des Fabrikinspektors Föhlisch:". Die Fußnote 1) ist in A und B mit * angebunden.
1 Siehe den A b d r u c k , oben, S . 2 8 9 f . 2 Siehe oben, S . 2 8 9 .
Die badische Fabrikinspektion
a
Heidelberg, 23. Jan[uar] s
Nachdem ein Mitglied der badischen b Fabrikinspektion es für angezeigt gehalten hat (Frankfurter Zeitung Nr. c 22, erstes 0 Morgenblatt), sich über den Austritt von Fräulein Dr. Baum öffentlich zu äußern, 1 scheint mir ein weiteres Schweigen anderer um so weniger am Platz, als die Mitteilung des Herrn Fabrikinspektor01 Dr. Föhlisch - e wie ich selbstverständlich 'annehme: gegenf seine Absicht - 9 irreführend ist und den Kern des Sachverhalts direkt verdeckt. Meine Kenntnis des letzteren rührt, um dies h klar zu stellen, h davon her, daß ich zweimal in die Lage kam, von der Fabrikinspektorin um 'eine rein objektive' Begutachtung der sachlichen Begründetheit ihrer Gesuche an das Ministerium 2 gebeten zu werden. Ich konnte in beiden Fällen ihr Vorgehen nur unvermeidlich finden. Ich bemerke endlich noch ausdrücklich, daß ich eine Zustimmung der Fabrikinspektorin zu den nachfolgenden Ausführungen nicht eingeholt habe und es mir auch gleichgültig ist, ob sie eine solche erteilen würde. Denn ich beabsichtige nicht etwa, sozusagen als „Kavalier" für sie einzutreten -i was sie sich vermutlich sehr verbitten würde -, k sondern es handelt sich hier1 um gewisse allgemeine sachliche Konsequenzen"\ die aus dem Vorgang zu ziehen sind. Um diese klarzua Fehlt in B. b B: bad. c B: 22 1. d B: Fabrikinspektors e B: Föhlisch, f B: annehme, gegen g B: Absicht,h B: klarzustellen, i B: einer rein objektiven j B: e i n z u t r e t e n , k A: w ü r d e - ; B: w ü r d e , I A: mir m In B nicht hervorgehoben. 1 G e m e i n t Ist die Zuschrift d e s b a d i s c h e n Fabrikinspektors Eduard Föhlisch, in: Frankfurter Zeltung, Nr. 22 v o m 22. Jan. 1907, I . M o . B I . , S. 1; a u c h a b g e d r u c k t In: B a d i s c h e L a n d e s z e i t u n g , Nr. 40 v o m 24. Jan. 1907, A b . B I . , S. 1. Vgl. d a z u a u c h d e n Editorischen Bericht, o b e n , S. 289. 2 Marie B a u m hatte im Laufe der A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n in Ihrer Dienststelle mehrere Eing a b e n sowie a m 2. Juli 1906 und a m 2. Januar 1907 E n t l a s s u n g s g e s u c h e an das badis c h e Innenministerium gerichtet, auf die Max Weber sich hier bezieht. Dies geht aus ein e m Bericht dieses Ministeriums an d a s Großherzogliche Staatsministerium v o m 23. Januar 1907 hervor, G L A Karlsruhe, Staats-Ministerium. Generalla. G e w e r b e , 233/31124. Die E n t l a s s u n g s g e s u c h e selbst sind im G L A Karlsruhe nicht n a c h g e w i e s e n . Vgl. d a z u a u c h d e n Editorischen Bericht, o b e n , S. 288.
294
Die badische
Fabrikinspektion
legen, ist allerdings ein Eingehen auch auf die wenig erfreulichen Anlässe der beiden Entlassungsgesuche unvermeidlich.1) Es ist nicht richtig, daß - wie ein ununterrichteter Leser nach den Ausführungen des Herrn Dr. Föhlisch annehmen wird - die Fabrikinspektorin eine größere Selbständigkeit dem Vorstandn der Fabrik- 5 inspektion, Herrn Dr. Bittmann, gegenüber, 0 für sich, im Unterschiede zu anderen p Beamten, zu p „erzwingen" versuchte q und daß das Mißlingen dieses Versuchesr ihren Austritt zur Folge gehabt habe. 3 Sie hatte sich selbstverständlich durchaus mit derjenigen Gleichstellungs mit den anderen, dem Vorstand ebenso wie sie1 10 selbst "untergeordneten, Kollegen" zu begnügen, welche bis zum Frühjahr 1906a ohne jeden sachlichen Schaden bestand. 4 Eben diese Gleichstellung aber hielt Herr Dr. Bittmann damals, also nachdem die Beamtin sich als bsolche, nach Herrn Dr. Föhlischs Worten, ' ' Wie ich der Sicherheit halber ausdrücklich bemerke, bin ich gänzlich unbeteiligt an den Zeitungserörterungen, 5 über die sich, wie ich sehe, H e r r Dr. Bittmann in etwas ungewöhnlicher Form beschwert. 6 Meinerseits h a b e ich im Sommer v[origen] J[ahres] der c „ F r a n k f u r t e r Z e i t u n g " 0 eine Besprechung des Buchs von Fräulein Dr. Baum geliefert, 7 aus welcher die unmittelbar Beteiligten d ( a b e r nur diese) d Kenntnis und innere Stellungn a h m e zu den schon damals spielenden Konflikten herauslesen konnten (und auch sollten), die sich aber natürlich j e d e n e Angriffs peinlich enthielt.
n In B nicht hervorgehoben. o B: gegenüber p B: B e a m t e n zu q B: versucht r B: Versuchs s In B nicht hervorgehoben. t B: sich u B: untergeordneten Kollegen a B: 906 b - b B: solche nach H e r r n Föhlischs Worten „dienstlich c B: Frankf. Zeitung d In B fehlen die Klammern. e A: jedes
3 Entsprechende Passagen der Zuschrift Föhlischs sind zitiert im Editorischen Bericht, oben, S. 289. 4 Vermutlich Anspielung auf den Entzug des sog. „Stellvertretungsrechts". Zu welchem Zeitpunkt dies genau geschah, läßt sich nicht nachweisen. In der Eingabe des „Vereins Frauenbildung - Frauenstudium" ist die Rede davon, daß „seit Mai 1905 [...] die sachlich unmotivierte Entziehung des Vertretungsrechts" bestehe. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, hg. von Helene Lange, 14. Jg., 1906/07, S. 432434, hier S. 432. 5 Die Vorgänge in der badischen Fabrikinspektion wurden in der Presse ausführlich behandelt. Siehe etwa Frankfurter Zeitung, Nr. 16 vom 16. Jan. 1907, 2. Mo.BI., S. 1, sowie Badische Landeszeitung, Nr. 33 vom 21. Jan. 1907, Mi.BI., S. 2. 6 Eine öffentliche Reaktion Bittmanns ist nicht nachgewiesen. 7 Weber, Max, Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 222 vom 13. Aug. 1906, Mo.BI., S. 1, in diesem Band abgedruckt, oben, S. 283-287.
Die badische
Fabrikinspektion
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„dienstlich 0 außerordentlich bewährt" hatte, 8 für 'angemessen, ihrf zu entziehen. Von anderen, dem Wesen nach ähnlichen Änderungen abgesehen, 9 wurde der in jeder Behörde selbstverständliche Grundsatz, daß eine etwa erforderliche Vertretung des Chefs von den Beamten nach dem Dienstalter versehen würde, umgestoßen, und es wurde sie - aber h nur sie - in diesem Falle auch im Dienst jüngeren, also im Amt 'unerfahreneren und' (wie ich beifügen möchte) bisher doch auch in keiner Weise mit solchen Leistungen, wie sie sie aufzuweisen hat, hervorgetretenen Kollegen dienstlich unterstellt. - Sie ihrerseits beantragte nun in einer Eingabe an das Ministerium 9 lediglichi die Abstellung des für sie unerträglichen Zustandes, daß sowohl bei solchen Stellvertretungsfällen, kals auch'* außerhalb 'dieser, unter' der Form sog. „Korreferate", 01 diese jungen" Herrn in die Lage kamen, die Entwürfe der dienstälteren Fabrikinspektorin sachlich zu ändern und stilistisch durchzukorrigieren, eine Gelegenheit, von der sie nicht ungern Gebrauch machten. Sie verlangte also nicht einmal Gleichstellung mit den jüngeren Kollegen, sondern lediglich Sicherung ihrer eigenen Tätigkeitssphäre gegen die Folgen °einer, lediglich0 um ihres Geschlechts willen Perfolgten, Zurücksetzung p . Das Ergebnis war, daß Herr Dr. Bittmann sie in leidenschaftlichster Form mit rein persönlichen Beleidigungen überschüttete, um alsdann, als die Inspektorin beim Ministerium Remedur beantragte, die wesentlichen Teile seiner Äußerungen abzuleugnen und sein Verhalten als Erteilung einer „dienstlichen Rüge" zu deuten. Um alsdann diese letztere zu motivieren, trug er ihr den Inhalt eines Aufsatzes vor, in welchem Dinge, wie: daß sie im Hause dieses oder jenes Beamten nicht verkehre, daß, wie einer ihrer jüngeren Kollegen zu Protokoll gegeben habe, sie diesen auf der Straße nicht freundlich genug gegrüßt habe und dergl. als Belastungsmaterial
f A: angemessen ihr g Fehlt in A. h B: und i B: unerfahreneren, und j In B n i c h t h e r v o r g e h o b e n , k B: und I B: dieser unter m B: Korreferate n B: junge O B: einer lediglich p B: erfolgten Zurücksetzung q B: „Belastungsmaterial"
8 F ö h l i s c h hatte in s e i n e r Z u s c h r i f t (vgl. obGn, S. 2 9 3 , A n m . 1) Mari© B a u m als eine „ r e i c h b e g a b t e u n d in d e r F o l g e d i e n s t l i c h a u ß e r o r d e n t l i c h b e w ä h r t e B e a m t i n " b e z e i c h n e t . S i e h e d a z u a u c h d e n E d i t o r i s c h e n Bericht, o b e n , S . 2 8 9 . 9 D i e s e E i n g a b e ist im G L A K a r l s r u h e n i c h t n a c h g e w i e s e n .
296
Die badische Fabrikinspektion
figurierten. - Die Fabrikinspektorin forderte ihre Entlassung. 10 Sie glaubte jedoch, jede noch so berechtigte persönliche Empfindung zurückstellen zu sollen, nachdem das Ministerium ihre vorhin erwähnten sachlichen Anträge in einer neuen Dienstanweisung 11 als berechtigt anerkannt zu haben schien. Alsbald aber mußte sie die Erfahrung machen, daß auch diese Verfügung vom Vorstande und ihren männlichen Kollegen dahin interpretiert wurde (formal mit Recht), daß sie imr Stellvertretungsfall nach wie vor evtl. s der einseitigen Korrektur ihrer dienstjüngeren Kollegen unterstehe. Bezüglich eines anderen Punktes gab der Vorstand überdies in der Sitzung ihren Kollegen die „dienstliche Anweisung", die Verfügung des Ministeriums in Bezug 3 auf sie nicht b zu befolgen. - Sie erbat und erhielt daraufhin vom Ministerium die Erlaubnis, auf jenen nicht erledigten Punkt 0 ihres Gesuchs 0 nach einiger Zeit zurückzukommen. Sie tat dies Mitte Dezember in einer neuen Eingabe. 12 Das Ergebnis war wiederum, daß der Vorstand, Herr Dr. Bittmann, diesmal in Anwesenheit der Beamten und zweifellos wohlüberlegt®, sie mit persönlichen Beschimpfungen bedachte, dergestalt, daß der Minister nach Besprechung des Falles13 eine dienstliche Ahndung in Aussicht stellte. Die Fabrikinspektorin beharrte jedoch auf ihrem erneut eingereichten Entlassungsgesuche. - Dies ist in denf wesentlichen Punkten der Hergang. Der andere Ton 9 und vor allem der andere Geist, 9 der unter Wörishofferu in der Fabrikinspektion herrschte, hing wahrlich nicht,h
r A: in s B: event. a B: bezug b In B hervorgehoben, c A: Punkte d B: Gesuches e A, B: wohl überlegt f Fehlt In B. g B: und, vor allem, der andere „Geist", h In B nicht hervorgehoben.
10 Gemeint Ist das Entlassungsgesuch vom 2. Juli 1906. Vgl. oben, Anm. 2. 11 Die Dienstanweisung Ist Im GLA Karlsruhe nicht nachgewiesen. 12 Ob Marie Baum Im Dezember 1906 eine Eingabe an das badische Innenministerium richtete, Ist unsicher. Möglicherwelse bezieht sich Max Weber hier auf das mit einer Begründung versehene Entlassungsgesuch vom 2. Januar 1907, vgl. oben, Anm. 2. 13 Unterlagen oder Notizen über eine solche Besprechung sind Im GLA Karlsruhe nicht nachgewiesen. 14 Friedrich Woerishoffer war von 1879 bis 1902 in der badischen Fabrikinspektion tätig, seit 1892 als deren Vorstand. Vgl. Bocks, Wolfgang, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879 bis 1914. Freiburg/München: Verlag Karl Alber 1978, S. 38 und S. 567f.
Die badische
Fabrikinspektion
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wie die Ausdrucksweise des Herrn Dr. Föhlisch den Leser vermuten lassen kann, mit der Krankheit seiner allerletzten Lebensjahre zusammen. 15 Im Gegenteil: es bewährte sich gerade auf der Höhe seiner langjährigen glänzenden Leitung die Fähigkeit seiner vornehmen Natur, durch andere und weniger subaltern geartete Mittel, als durch den „Zwang1 bureaukratischer Usancen", von dem Herr Dr. Föhlisch euphemistisch spricht, 16 die Einheitlichkeit des Wirkens der Behörde zu wahren. Solche „Usancen", wie die hier geübten, entsprechen auch der alten Tradition des badischen Beamtentums keineswegs. Sie sind ein Importartikel. Ich erinnere mich recht lebhaft des grenzenlosen Erstaunens, in welches meine badischen Verwandten, ¡zum Beispiel der so früh verstorbene frühere Staatsanwalt Jolly,k]7 gerieten, wenn ich ganz unbefangen von persönlichen Erlebnissen auf preußischen Bureaus der damaligen Zeit (vor 15-20 Jahren) erzählte. Und die Schuld dafür, daß die Fabrikinspektorin Dr. Baum sich in die heutige badische Inspektion nicht zu schicken vermag, liegt absolut nicht an irgend welcher Besonderheit ihrer mir ziemlich genau bekannten Charaktereigenschaften, von denen man nur wünschen kann, daß sie ihr mit recht vielen unsrer1 Beamten gemeinsam sein mögen. Sie hat, wie ich den anerkennenden Worten des Herrn Dr. Föhlisch hinzufügen möchte, wohl etwas mehr vom Leben gesehen, als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Und sie hat insbesondere gerade in der straffen Disziplin, welcher auch selbständige und verantwortliche m Stellungen, wie m sie sie im großindustriellen Geschäftsleben inne gehabt hat, 18 aus Gründen sachlicher Notwendigkeit unterstehen müssen, sich bewährt. -
i A: Z w a n g
j B: z.B
k A: Jolly ; B: Jolly,
I B: unserer
m A: Stellung wie
15 Föhlisch hatte in seiner Zuschrift (vgl. oben, Anm. 1) behauptet, daß die größere Selbständigkeit der einzelnen Fabrikinspektoren „in den letzten Jahren vor Wörishoffers Tod infolge dessen schwerer Erkrankung" eingetreten sei. 16 Die entsprechende Passage ist zitiert im Editorischen Bericht, oben, S. 289. 17 Gemeint Ist Julius Jolly, der Sohn einer Halbschwester von Max Webers Mutter Helene Weber. Er starb 1898 Im Alter von 42 Jahren. 18 Marie Baum war nach dem Studium der Chemie 1899 in die Patentabteilung der AGFA in Berlin eingetreten.
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Die badische
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Die Schuld liegt, zum einen Teil, offensichtlich inn der Persönlichkeit des Herrn Geh. Rat Dr. Bittmann. — Zum andern 0 aber, und das ist der mich an dieser ganzen bedauerlichen Angelegenheit wesentlich interessierende Punkt, liegt sie in gewissen sachlichenp Fehlern, die bei der Gestaltung der Stellung der Fabrikinspektorin gemacht worden sind. Das Ministerium des Innern hat Fräulein q Dr. Baum persönlich stets das r größte und/wie ich weiß, dankbar empfundene Wohlwollen entgegengebracht. Allein es hat - zweifellos in bester Absicht - geglaubt, gewissen „Vorurteilen", oder sagen wir besser gerade heraus: der männlichen s Geschlechtseitelkeit, eine s Konzession machen zu müssen, indem es sich für die Anschauung gewinnen ließ, eine staatliche Behörde dürfe - „nach außen", wie man sagte - nur durch männliche Beamte vertreten werden, und indem es deshalb die Wiederbeseitigung' der für die sachlichen Interessen des Dienstes absolut unschädlichen Gte'c/zstellungu der Beamten beider Geschlechter zuließ. Dem Ministerium ist dabei offenbar ganz entgangen, daß das praktische Ergebnis jenes „Prinzips" v und der auf ihm beruhenden w „neuen Dienstanweisung" w19 ja gerade das Umgekehrte 3 ist: Gerade nach außen, in der allerdings recht anstrengenden und daher von den männlichen Beamten ihr sehr bereitwillig mitüberlassenen Revision der Fabriken^ „repräsentiert" heuteb auch die Fabrikinspektorin den Staat, den Fabrikanten und sonst Beteiligten gegenüber. Gerade im Innern der Behörde, im Verhältnis der Kollegen untereinander, c sind, wie c das Vorstehende ergibt, der männlichen Geschlechtseitelkeit jene Konzessionen d zu Gute d gekommen. Und überdies sind, ganz natürlicher Weise und wie auch der Erfolg gezeigt hat, die Empfindungen, denen man jene Konzessionen machte, gerade dadurch erst recht geweckt worden und haben den Bruch herbeigeführt. Findet sich für diese Stelle eine Beamtin von ähnlicher Tüchtigkeit, so muß sich der Vorgang, wenn man von jener Differenzierung der Geschlechter wirklich nicht abgehen will, n B: an o B: anderen p In B nicht hervorgehoben. q B: Frl. r A: größte, und, s B: Geschlechtseitelkeit eine t In B hervorgehoben. u In B vollständig hervorgehoben. v B: Prinzips w B: n e u e n Dienstanweisung a B: umgekehrte b In B nicht hervorgehoben. c A: sind wie d B: zugute
19 Vgl. oben, Anm. 11.
Die badische
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s. Z. e in ganz ähnlicher Weise wiederholen. Denn eine, lediglich' um ihres Geschlechts willen und ohne 9 Rücksicht auf ihre Leistungen deklassierte Beamtin wird nie die unentbehrliche Arbeitsfreude im Beruf haben. Die Differenzierung nach dem Geschlecht muß jeden 5 Versuch mit der Anstellung weiblicher Beamten von vornherein diskreditieren, und es ist daher dringend zu wünschen, daß er nunmehr überhaupt unterbleibt. Man muß das Experiment mit der weiblichen Fabrikinspektion in Baden meines Erachtens als gescheitert^1 ansehen - ' aber freilich sich darüber klar sein, woran' es 10 gescheitert ist. Max Weber
e B: z. Z. gehoben.
g In B hervorgehoben f In B hervorgehoben. i B: a n s e h e n , j In B hervorgehoben.
h In B hervor-
[Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte] [Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 2. Oktober 1907]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Bereits auf der Ausschußsitzung des Vereins für Sozialpolitik im September 1901 in München hatte Ludwig Sinzheimer den Antrag eingebracht, das Gebiet der kommunalen Sozialpolitik einer Untersuchung zu unterziehen. 1 Auf der nächsten Ausschußsitzung, am 22. Dezember 1901 in Berlin, wurde dieser Antrag vorläufig zurückgestellt, obwohl die Ausschußmitglieder die Wichtigkeit des Themas durchaus anerkannten. 2 Carl Johannes Fuchs griff diese Anregung im März 1903 wieder auf, und es wurde ein zehnköpfiger „Sonderausschuß" eingesetzt, der im Juli 1903 auf der Grundlage eines von Gustav Schmoller entworfenen Fragebogens das Programm einer entsprechenden Erhebung beriet. 3 Wie der Berichterstatter Edgar Loening auf der Generalversammlung 1907 vortrug, kamen die Experten dabei zu dem Schluß, „daß es nicht ratsam sei, die Untersuchungen und Erhebungen sofort und gleichzeitig auf das gesamte, außerordentlich ausgedehnte Gebiet der kommunalen Sozialpolitik zu erstrecken", sondern statt dessen „in richtiger Selbstbeschränkung" die Arbeiten zunächst „auf die Städte, deren Verfassung und Verwaltungsorganisation" zu konzentrieren. 4 Erst danach sollten Erhebungen in Angriff genommen werden, „in denen [...] über die sogenannten Gemeindebetriebe der verschiedensten Art wie über die Ge-
1 Vgl. dazu Boese, Franz, G e s c h i c h t e des Vereins für Sozialpolitik 1 8 7 2 - 1 9 3 2 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 188). - Berlin: Duncker & Humblot 1939, S.98. 2 Ebd. 3 Ebd., S. 99. 4 Einleitungsreferat von Edgar Loening, in: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die berufsmäßige Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten und über Verfass u n g und Verwaltungsorganisation der Städte (Schriften des Vereins für Socialpolitik 125). - Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S. 161 f.
Editorischer
Bericht
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meindefinanzen Bericht erstattet" werden sollte. 5 In der Tat erfüllte der Verein für Sozialpolitik dieses umfangreiche Programm. Die „ K o m m u n a l e n q u e te" umfaßte die B ä n d e 1 1 7 - 1 2 3 und 1 2 6 - 1 3 0 der Vereinsschriften 6 und stellte „mit ihren 6323 Druckseiten eine Gesamtveröffentlichung" dar, „die alle v o r a n g e g a n g e n e n solcher Art an U m f a n g weit" überragte. 7 Die Bände über die „Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte" erschienen von 1905 bis 1909, die über die „Gemeindefinanzen" von 1908 bis 1910 und schließlich die über die „ G e m e i n d e b e t r i e b e " von 1908 bis 1912. Dabei beschränkten sich die Arbeiten keineswegs auf Deutschland, sondern erstreckten sich auch auf andere europäische Staaten. Um die J a h r e s w e n d e 1906/07 waren die U n t e r s u c h u n g e n über „Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte" bereits so weit fortgeschritten, daß Edgar Loening es auf der Ausschußssitzung im Januar 1907 als sinnvoll bezeichnete, das T h e m a auf der nächsten Generalv e r s a m m l u n g zu behandeln. 8 Bei der A b s t i m m u n g wurde „einhellig beschlossen, Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte auf die Tagesordnung der Generalversammlung 1907 als Hauptthema (zwei Tage) zu setzen", w o b e i darüber hinaus die Wahl des Tagungsortes unter anderem davon a b h ä n g i g g e m a c h t wurde, „wo das T h e m a der Kommunalverfassung am wirksamsten zu b e h a n d e l n sei." Mit knapper Mehrheit entschied man sich für M a g d e b u r g . 9 N a c h d e m auf der G e n e r a l v e r s a m m l u n g am 30. September 1907 das Thema „Die berufsmäßige Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten" behandelt worden war, b e g a n n e n am 1. Oktober die Verhandlungen über „Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte". Das erste Referat hielt Edgar Loening. Einleitend hob er die B e d e u t u n g des g e s a m t e n Unternehmens hervor. So nannte er die „ k o m m u n a l e Sozialpolitik [...] ein so umfassendes [...] Gebiet, daß dessen Erforschung und Bearbeitung als eine der wichtigsten A u f g a b e n des Vereins bezeichnet werden" müsse. 1 0 Im folgenden befaßte er sich mit den allgemeinen A s p e k t e n des Themas, wobei er sich aber hauptsächlich auf Preußen bezog. Der zweite Referent, der Heidelberger Oberbürgermeister Ernst Walz, behandelte die s ü d d e u t s c h e n Städte, 1 1 w ä h r e n d der dritte Referent, der b e d e u t e n d e Sozialpolitiker und 5 Ebd., S. 164. 6 Siehe dazu das Schriftenverzeichnis bei Boese, Geschichte, S. 305-322. 7 Boese, Geschichte, S. 99. 8 Verein für Socialpolitik. Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses am 4. und 5. Januar 1907 in Berlin (Herrenhaus). - Altenburg: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. o.J., S. 6, British Library of Political and Economic Science, London School of Economics and Political Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114. 9 Ebd., S.8f. 10 Loening, Verhandlungen, S. 161-183, hier S. 164. 11 Ebd., S. 185-212.
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Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte
Frankfurter Stadtrat Karl Flesch, die v o r a n g e g a n g e n e n Vorträge und die bereits e r s c h i e n e n e n Publikationen kritisch würdigte. 1 2 Das Hauptinteresse der a m 2. Oktober f o l g e n d e n Debatte galt der Gestalt u n g des städtischen Wahlrechts. Zwar b e s t a n d w e i t g e h e n d Konsens darüber, daß an die Stelle der öffentlichen Wahl, die in fast allen preußischen S t ä d t e o r d n u n g e n v o r g e s c h r i e b e n war, die g e h e i m e zu treten habe, d o c h k a m es über die Frage der Einführung d e s allgemeinen u n d gleichen Wahlrechts in d e n G e m e i n d e n , die Loening e n t s c h i e d e n abgelehnt hatte, 1 3 zu Kontroversen. Während etwa A d o l p h Wagner die Position Loenings unterstützte, 1 4 warf der S c h ö n e b e r g e r Stadtverordnete Walter Voßberg d i e s e m vor, „die E n t s c h e i d u n g in der Wahlrechtsfrage a b h ä n g i g zu m a c h e n von d e m parteipolitischen Ausfall der Wahlen." 1 5 Daß Max Weber sich in die Debatte einschaltete, war vor allem durch einige B e m e r k u n g e n A d o l p h Wagners über d e n preußischen Staat und die Dynastie veranlaßt, „ d e n e n wir", so Wagner, „die glückliche n e u d e u t s c h e politische Entwicklung verd a n k e n . " 1 6 So heißt es in einem späteren Brief an Robert Michels, daß er in erster Linie a u f g r u n d von ,,A[dolph] Wagner's Hohenzollern-Hymne" das Wort ergriffen habe. 1 7 Dabei m a c h t e a u c h er die Wahlrechtsfrage z u m H a u p t p u n k t seiner Ausführungen. Er w a n d t e sich g e g e n die Geltung dynastischer Interessen im öffentlichen L e b e n und forderte die „allgemeine gleiche Wahl der Stadtbürger" als Endziel einer j e d e n Wahlrechtsreform. Allein darin sah er eine „ C h a n c e zur Wiedereroberung der Stellung in der Welt, die wir in d e n letzten Jahren verloren h a b e n . " 1 8 In seinem Schlußwort wies Loening W e b e r s B e m e r k u n g e n als „völlig unrichtig" zurück. 1 9
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der A b d r u c k folgt d e n sten o g r a p h i s c h e n Protokollen: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die berufsmäßige Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten und über Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte (Schriften des Vereins für Socialpolitik 125: Verhandlungen der G e n e r a l v e r s a m m l u n g in M a g d e b u r g , 30. September, 1. und 2. Oktober 1907). - Leipzig: Duncker &
12 13 14 15 16 17 18 19
E b d . , S. 2 1 5 - 2 3 1 . E b d . , S. 175. E b d . , S. 2 7 5 - 2 8 8 , hier insb. S. 2 7 8 . E b d . , S. 2 9 2 . E b d . , S. 2 8 6 . Brief M a x W e b e r s an R o b e r t M i c h e l s v o m 10. Okt. 1907, M W G II/5, S . 4 0 6 . Vgl. d a z u u n t e n , S. 3 0 6 u n d S. 3 1 5 . Verhandlungen, S.343f.
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Bericht
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Humblot 1908 (A). Die V e r h a n d l u n g e n über „Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte" finden sich auf d e n Seiten 1 6 1 - 3 4 6 , der Diskussionsbeitrag Max Webers ist dort auf den Seiten 2 9 4 - 3 0 1 a b g e d r u c k t . Er ist eingeleitet mit: „Professor Dr. Max Weber- Heidelberg".
[Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte]
Meine Herren! D e r letzte Herr Vorredner 1 hat so viel von dem, was ich auch sagen wollte, mir vorweggenommen, daß ich hoffe, mich ganz kurz fassen zu können. A u c h ich kann ihm nur darin beistimmen, daß ich gestern angesichts der Ausführungen, die uns der von 5 uns allen gewiß hochverehrte erste Referent 2 gegeben hat, ein gewisses Erstaunen darüber nicht losgeworden bin, daß er die völlige Identität des Falles Wedell-Piesdorf und seines 3 eigenen „Falles" nicht durchschaut hat. 3 b Ich habe dann bei A n h ö r e n der Ausführungen des Herrn G e - 10 heimrats Wagner nichts anderes als Argument gegen das allgemeine Wahlrecht in den Kommunen herausgehört, als die eine BemerA 295 kung: wir könnten | die Kommunen unmöglich unter den Einfluß der unteren Klassen gelangen lassen. 4 Ja, - warum denn eigentlich nicht? Man stelle doch die denkbar größten Anforderungen an In- 15 a A: eines
b In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit!)
1 Unmittelbar vor Max Weber hatte der Schöneberger Stadtverordnete Walter Voßberg gesprochen. Verhandlungen des Vereins für Soclalpolltlk über die berufsmäßige Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten und über Verfassungs- und Verwaltungsorganisation der Städte (Schriften des Vereins für Soclalpolltlk 125). - Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S. 2 8 8 - 2 9 4 . 2 Das erste Referat hatte der Nationalökonom Edgar Loenlng aus Halle gehalten, Verhandlungen, S. 1 6 1 - 1 8 3 . 3 Gemeint Ist der konservative Abgeordnete Wilhelm von Wedel-Plesdorf. Er hatte sich In der Sitzung des preußischen Herrenhauses vom 28. Juni 1905 (Sten.Ber.pr.HH., Sess. 1904/05, Band 2, S. 1073) klar zu öffentlichen Wahlen bekannt, da hierdurch „unstreitig auf den Wähler ein größerer Einfluß geübt werden" könne. Loenlng zitierte diese Äußerung In seinem Referat als Ausdruck bloßen parteipolitischen Interesses, Verhandlungen, S. 178. Allerdings sprach sich Loening „gegen die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts" In den Gemeinden aus, da dies zur Folge hätte, „daß unsere großen Städte der Sozialdemokratie überliefert werden", ebd., S. 175f. Voßberg wies In seinem Beitrag darauf hin, daß In beiden Fällen die Wahlrechtsfrage vor allem von parteipolitischem Kalkül abhängig gemacht werde, Verhandlungen, S. 292. 4 Adolph Wagner hatte sich In seinem Redebeitrag, Verhandlungen, S. 2 7 5 - 2 8 8 , folgendermaßen geäußert: „Daß wir die unteren Klassen von dem Wahlrecht ganz ausschließen wollen, davon kann gewiß keine Rede sein; aber daß wir bei einem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht In der Tat Gefahr laufen, die Macht dieser Klassen auch In der Stadtverwaltung mehr und mehr anwachsen zu sehen, das - glaube Ich - müssen wir berücksichtigen", ebd., S. 278.
Diskussionsbeitrag
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tellekt und Vorbildung in der Qualifikation der zu wählenden Beamten. Aber wie man unter den heutigen Verhältnissen noch eine allgemein akzeptable Qualifikation innerhalb der Wählerschaft nach formalen Gesichtspunkten herausfinden will, das sehe ich nicht. Das gilt für Stadt wie Staat. Alle Versuche, die man seinerzeit gemacht hat, das Klassenwahlrecht in Preußen zu reformieren, 5 haben zu nichts weiter geführt, als zu einer fürchterlichen Belastung des preußischen statistischen Amts, 6 welches bekanntlich im allgemeinen die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, daß diejenigen Zahlen seiner Statistik nicht veröffentlicht werden, die zu einem Angriff gegen die Regierung benutzt werden könnten. 0 Zu einer Belastung, sage ich, dieses statistischen Amts geführt durch die Aufgabe, mittelst der schwierigsten mathematischen Berechnungen herauszufinden, wie man die Einteilung der Wahlklassen so verschieben könnte, daß etwas mehr Nationalliberale, Reichsparteiler und Konservative, nicht zu viel Zentrumsleute und Linksliberale und um Gotteswillen keine Sozialdemokraten in das preußische Parlament hineinkämen. 0 Es gibt nun einmal nicht die Möglichkeit, auch nicht auf dem Wege des Pluralwahlrechts,7 Merkmale zu finden, welche die Wählerschaft irc In A folgt der Protokollzusatz: (Hört! Hört! und Heiterkeit!) kollzusatz: (Heiterkeit!)
d In A folgt der Proto-
5 Gemeint sind die Diskussionen Im Vorfeld der preußischen Wahlreformgesetze vom 24. Juni 1891 (GS 1891, S. 231 f.), vom 29. Juni 1893 (GS 1893, S. 103f.) und vom 28. Juni 1906 (GS 1906, S. 313-318). Unter anderem erwog man Modifikationen bei der Gliederung der Wählerklassen, die Vermehrung der Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie Änderungen der Wahlkrelseinteilung, mit dem Ziel, die plutokratische Tendenz des Dreiklassenwahlrechts abzumildern, gleichwohl aber die Bevorrechtigung der städtischen und ländlichen Eliten sicherzustellen. 6 Max Weber bezieht sich hierauf das „Königliche statistische Bureau" (seit 1905 „Königlich Preußisches Statistisches Landesamt"), das nicht nur mit der Aufstellung von Wahlstatistiken, sondern auch mit seinen statistischen Erhebungen zur Einkommensteuer- und Finanzstruktur der Gemeinden die materiellen Grundlagen für die Wahlrechtsreformüberlegungen in Preußen stellte. Um die Wirkung möglicher Wahlrechtsreformen zu überprüfen, wurden hier darüber hinaus für ausgewählte „Probewahlkreise" die vermuteten Resultate bei unterschiedlichen Modellen der Wahlklasseneinteilung und der Privilegierung bestimmter Wählergruppen durchgerechnet. Vgl. dazu Kühne, Thomas, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867-1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt. - Düsseldorf: Droste 1994, S. 431 f. und 501 f. 7 Nach der Jahrhundertwende diskutierte man in Preußen wiederholt, anstelle des Drelklassenwahlrechts ein Pluralwahlsystem einzuführen, durch welches dem Wähler aufgrund von Einkommen, Bildung, Besitz oder Alter eine oder mehrere Stimmen zugestanden werden sollten.
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Verfassung und Verwaltungsorganisation
der Städte
gendwie so klassifizieren, daß eine Gewähr dafür besteht, daß diejenigen Wähler, die am unbefangensten und am informiertesten den Gegenstand, um den es sich jeweils dreht, sachlich zu beurteilen in der Lage und gewillt sind, zu Worte kommen und den Ausfall der Wahlen in erster Linie beeinflussen. 5 Die Zeit all dieser komplizierten Wahlrechte ist heute vorbei. Jede Reform, die versucht, halbe Arbeit zu machen, kann nur ein erster Schritt auf dem unvermeidlichen weiteren Wege sein, und ich meine, und werde das jetzt kurz noch weiter auszuführen haben, es besteht keinerlei Gefahr, wenn man das Endziel dieses Weges: allge- 10 meine gleiche Wahl der Stadtbürger, schon heute vorweg nimmt. Es handelt sich ja heute - reden wir offen und nüchtern - in praxi einfach darum, ob wir einer ganz bestimmten Partei: es ist heute die Sozialdemokratie, für kürzere oder für längere oder für sehr lange Zeit die Führung in denjenigen zahlreichen großen Kommunen, in 15 denen sie zur Zeit die Mehrheit darstellt, anvertrauen können und A 296 sollen. | Nun möchte ich vorweg, mit Rücksicht auf die Bemerkungen, die Herr Stadtrat Fischbeck hier gemacht hat,8 doch mit der Bemerkung nicht zurückhalten: es hat seinerzeit immer tiefen Eindruck auf mich gemacht, wenn mein Vater, der ganz gewiß kein Liebhaber 20 der Sozialdemokratie war: - er hatte als Reichstagsabgeordneter hier in Magdeburg mit der Sozialdemokratie sich herumzuschlagen und nicht minder als Stadtrat in der Berliner Kommune - 9 mir dennoch wieder und wieder sagte: daß in letzter Linie in der Berliner Baudeputation seine sicherste Stütze gegen den Ansturm der Inter- 25 essen des Bauspekulantentums der Stadtverordnete Paul Singer sei. 10 Nun wird mir zwar, gegenüber dieser Bemerkung, Herr Ge8 Der Berliner Stadtrat Otto Fischbeck hatte in seinem Beitrag, Verhandlungen, S. 2 6 5 271, „von dem Standpunkte des Kommunalpolitikers, der praktisch die Sozialdemokratie an der Arbeit gesehen hat", geäußert, daß sich hier „durchaus zielbewußte politische Bestrebungen [...] in der Kommune breit machen." Die Sozialdemokraten würden sich „gewissermaßen [...],hineinbohren' in die städtische Verwaltung, um auch dort eine Sprengmine gegen die bestehende Ordnung zu legen." Ebd., S. 265f. 9 Max Weber sen. gehörte mit einer kurzen Unterbrechung von 1872 bis 1884 dem deutschen Reichstag an, dabei 1879-1881 als Abgeordneter für den Wahlkreis Magdeburg. 1869-1893 war er Stadtrat in Berlin und dort zeitweise Dezernent für das Bauwesen. 10 Der Sozialdemokrat und Unternehmer Paul Singer stellte sich unter anderem in der Beratung über den Entwurf einer neuen Baupolizeiordnung für Berlin im März 1885 gegen die Interessen der Grundbesitzer, die seiner Auffassung nach aus ihrem Boden nur Profit schlagen wollten. Hirsch, Paul, 25 Jahre sozialdemokratischer Arbeit in der Gemeinde. Die Tätigkeit der Sozialdemokratie in der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Auf Grund amtlicher Quellen geschildert. - Berlin: Buchhandlung Vorwärts 1908, S. 145f.
Diskussionsbeitrag
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heimrat Loening vielleicht einwerfen, und ich müßte ihm eine gewisse Berechtigung dieses Einwurfes zugeben: daß das eben eine Minderheits-Fraktion sei, deren Kritik hier wie sonst sehr erwünscht sei; wenn dagegen diese Fraktion in eine permanente herrschende Mehrheit sich verwandelte und die Stadtverwaltung in die Hand bekäme, so sei das eine andere Sache. Fragen wir also: was würde die Folge davon sein? Gehen wir da nüchtern und ohne Illusionen zu Werke. Die nächste Konsequenz würde zweifellos sein: eine schroffe Parteiherrschaft der Sozialdemokraten in den Gemeinden, wo sie die Macht in Händen hätten. Und was bedeutet dies praktisch? Die Sozialdemokratie steht heute ersichtlich im Begriff, sich in eine gewaltige bureaukratische Maschine zu verwandeln, 11 die ein ungeheures Heer von Beamten beschäftigt, in einen Staat im Staate. Wie der Staat, so kennt denn auch sie schon, im Kleinen, den Gegensatz von Ministern, Regierungspräsidenten und Landräten - den Parteibeamten - einerseits, und Bürgermeistern: den Gewerkschaftsbeamten und Konsumvereinsvorständen, anderseits. Sie schafft sich jetzt ihre Universitäten mit ihren Professoren, die nun nach Lehrfreiheit schreien, 12 sie kennt ihre „Reichsfeinde", 13 ihre gemaßregelten Landräte usw. Sie hat vor allem, wie der Staat, ein zunehmendes Heer von Leuten, die vor allen Dingen „Avancementsinteressen" haben. Man fasse das nicht lediglich in üblem Sinne auf: es handelt sich dabei auch um rein ideale Interessen der Geltendmachung der eignen Weltanschauung in der Partei, - aber außerdem hat dieses Heer von Beamten und von der Partei abhängenden Existenzen allerdings auch höchst materielle Versorgungs'mXeressen. Die Träger dieser Interessen sind nicht nur die formell Angestellten der Partei, sondern die lokalgebenden Gastwirte, die Redakteure von sozialistischen Blättern usw. usw. Für alle diese Leute eröffnet sich nun eine goldene Zeit, sie werden an der Krippe der Kommune versorgt werden, direkt oder indirekt, ganz ebenso wie dies | bei anderen Parteien 6 auch A 297 e A: Partien 11 Max Weber übernimmt den Begriff „Maschine" für straff durchorganisierte Parteiapparate vermutlich von Bryce, James, The American Commonwealth, vol.2. - London: Macmillan and Co. 1888, S. 419-449. Zu Webers Einschätzung der Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie vgl. auch seine „Bemerkungen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz", in diesem Band abgedruckt, oben, S. 192-199. 12 Welchen Sachverhalt Max Weber hier andeutet, ließ sich nicht ermitteln. 13 Anspielung auf einen von Bismarck zur Charakterisierung seiner politischen Gegner häufig verwendeten Begriff.
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Verfassung
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der
Städte
der Fall ist: der Oberbürgermeister Seydel in Berlin, der mit der damals herrschenden Fraktion in stetem Kampfe lag,14 schrieb so und so oft - man könnte es in den Akten noch nachsehen - auf Eingaben von Kollegen, welche die Anstellung bestimmter Persönlichkeiten befürworteten, an den Rand der Eingabe vor allem anderen die Frage: aus welchem Wahlkreise stammt der Mann? Nicht immer, aber doch recht oft, mit gutem Grunde. So ähnlich vielleicht, wesentlich prononcierter, würde sich diese Parteiherrschaft der Sozialdemokratie zweifellos auch gestalten. Keineswegs erfreulich! - Es fragt sich nur, wer auf die Dauer das mehr zu fürchten hat, die bürgerliche Gesellschaft oder die Sozialdemokratie. Ich persönlich bin der Meinung, die letztere', d. h.: diejenigen Elemente in ihr, welche Träger revolutionärer Ideologien sind. Schon heute sind ja gewisse Gegensätze innerhalb der sozialdemokratischen Bureaukratie für jedermann kenntlich. Und wenn vollends die Gegensätze der materiellen Versorgungsinteressen der Berufspolitiker einerseits und die revolutionäre Ideologie anderseits, sich frei entfalten könnten, wenn man ferner die Sozialdemokraten nicht mehr, wie jetzt, aus den Kriegervereinen hinauswerfen wollte, 15 wenn man sie in die Kirchenverwaltungen hineinläßt, aus denen man sie heute hinauswirft, 16 dann erst würden für die Partei die ernsthaften inneren Probleme anfangen 9 . Dann erst geriete die revolutionäre Virulenz wirklich in ernste Gefahren, und es würde sich dann erst zeigen, daß auf diesem Wege auf die Dauer nicht die Sozialdemokratie die Städte oder den f In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!)
g In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr
richtig!) 14 Der Liberale Karl Theodor Seydel war von 1862 bis 1873 Oberbürgermeister von Berlin. Aufgrund seiner Eigenart, „in der Verwaltung Berlins am liebsten alles allein zu machen", kam es ständig zu Konflikten mit der fortschrittlichen Fraktion, die zu dieser Zeit die Mehrheit in der Berliner Stadtverordnetenversammlung stellte. Ribbe, Wolfgang, (Hg.), Geschichte Berlins, Band 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart. - München: C.H. Beck 1987, S. 677. Die Auseinandersetzungen zwischen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung wurden teilweise vor Gericht ausgetragen. 1 5 In einer feierlichen Erklärung hatten die deutschen Kriegervereine im Jahre 1901 beschlossen, daß „wer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder ihre Bestrebungen durch Wort und Tat unterstützt, [...] ausgeschlossen werden" müsse. Vgl. dazu Rohkrämer, Thomas, Der Militarismus der „kleinen Leute". Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871-1914. - München: Oldenbourg 1990, S.43. 16 Schon der Anschein einer sozialdemokratischen Parteinahme reichte aus, die preußischen Kirchenaufsichtsbehörden auf den Plan zu rufen. Geistliche, die mit der Sozialdemokratie sympathisierten oder ihr beitraten, mußten mit disziplinarrechtlichen Schritten bis hin zum Entzug ihres Amtes rechnen.
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Staat erobert, sondern daß umgekehrt es der Staat ist, der die Partei eroberth. Und ich sehe nicht ein, wie die bürgerliche Gesellschaft, als solche, eine Gefahr darin erblicken soll. Es sind ja auch in Wahrheit nicht staatliche, sondern dynastische Interessen, die da in Frage kommen, die sich aber gegen jede oppositionelle demokratische Partei ganz ebenso richten. Man hat früher Berliner Stadträte von der Liste der für den Roten Adlerorden vierter Klasse in Betracht Kommenden gestrichen, weil sie Anregung gegeben hatten, daß im Verkehrsinteresse die Durchfahrt durch die Mittelöffnung des Brandenburger Tors nicht mehr das alleinige Vorrecht des Königlichen Hauses bleiben solle, 17 Bürgermeister nicht bestätigt, die ungetaufte Kinder hatten, 18 und die Drohungen gegen das „Rote Haus" aus den letzten zwei Jahrzehnten 19 sind in aller Erinnerung. Es wird eine etwaige Herrschaft der Sozialdemokratie im Berliner Rathause einem preußischen Monarchen natürlich ebenso fatal sein, wie es dem Könige von Italien im Quirinal fatal ist, | daß A 298 der Papst im Vatikan sitzt und ihn „nicht anerkennt". 20 Aber die Frage ist: was kommt dabei heraus? Was schadet das sachlich dem italieh In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig) 17 Dieser Sachverhalt Heß sich nicht aufklären. 18 Max Weber spielt hier auf den Fall des zum zweiten Bürgermeister von Berlin gewählten Stadtrats Gustav Kauffmann an. Dieser war Im Juli 1901 von Wilhelm II. ohne Angabe von Gründen nicht bestätigt worden. Wie die Akten des Geheimen Civil-Cabinetts ausweisen, geschah dies, well er aufgrund seiner politischen Betätigung für die Deutsche Fortschrittspartei nach einem ehrengerichtlichen Verfahren im Jahre 1882 seinen Abschied als Leutnant der Garde-Landwehr hatte nehmen müssen; die Frage einer Nlchttaufe der Kinder Kauffmanns spielte dabei keine Rolle. Allerdings äußert Max Weber auch an anderer Stelle seine Überzeugung, daß dies für die Nlchtbestätigung allein ausschlaggebend gewesen sei. Brief Max Webers an Robert Michels vom 4. Aug. 1908, MWG II/5, S. 615-620, hier S. 618. 19 Vermutlich Anspielung auf die vom Hofprediger Adolf Stoecker In den 1880er Jahren angeführte „Berliner Bewegung", die vor allem durch Ihren antisemitischen und kirchlichorthodoxen Charakter gekennzeichnet war. Ihren Anspruch auf kommunale Herrschaft verdeutlichte sie mit dem Schlachtruf vom „Sturm auf das Rote Haus". Hiermit ist das von Hermann Waesemann 1861 - 1869 erbaute Berliner Rathaus gemeint, das diese Bezeichnung im Volksmund wegen seiner roten Ziegelfassade erhalten hatte. 20 Nach der Annexion des Kirchenstaates durch den Italienischen Nationalstaat Ende 1870 wurde Im Sommer 1871 die Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegt, und König Victor Emanuel bezog den Quirinal, die bisherige päpstliche Sommerresidenz. Der Papst jedoch erkannte die neuen Machtverhältnisse nicht an und untersagte den Kathollken die Teilnahme am politischen Leben des Italienischen Staates. Wenn es auch In den folgenden Jahrzehnten zu einer allmählichen Annäherung zwischen Staat und Kirche kam, änderte sich doch nichts an der formellen Aufrechterhaltung des päpstlichen Anspruchs auf den Kirchenstaat.
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nischen Staat? Was schadet es sachlich unserem staatlichen Interesse, wenn Leute auf dem Rathaus sitzen, die sich so gebärden, wie der Papst es tut? Die sich kindischerweise so aufführen, als könnten sie den Monarchen, mit dem sie nun einmal dauernd rechnen müssen, „nicht anerkennen", und die der staatlichen Ordnung Abbruch zu tun meinen, wenn sie nicht zu Hofe gehen? 21 Die Lächerlichkeit würde auch der Sozialdemokratie tödlich sein. Prestige- und das heißt: Eitelkeitsinteressen sind es, die dabei in Frage kommen, nicht „nationale" Interessen, sondern mißverstandene dynastische Etikettensorgen und vor allen Dingen: dynastische Ängste bedauerlichster Art. Ich hätte gern unsere deutschen Fürsten auf dem Mannheimer Parteitage 22 oben auf die Tribüne führen und ihnen zeigen mögen, wie unten die Versammlung sich ausnahm. Ich hatte den Eindruck, daß die russischen Sozialisten, die dort als Zuschauer saßen, die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen beim Anblick dieser Partei, die sie für „revolutionär" in ihrem ernsthaft gemeinten Sinne hielten, die sie anbeteten als die gewaltigste Kulturerrungenschaft Deutschlands, und als die Trägerin einer ungeheuren revolutionären Zukunft der ganzen Welt, - und in welcher nun das behäbige Gastwirtsgesicht, die kleinbürgerliche Physiognomie so schlechthin beherrschend hervortrat: von revolutionärem Enthusiasmus keine Rede, und ein lahmes phrasenhaft nörgelndes und klagendes Debattieren und Raisonnieren an Stelle jener katilinarischen Energie des Glaubens, die sie von ihren Versammlungen gewöhnt waren. Ich glaube: das, was von Angst vor dieser Partei, deren Mangel an realen Machtmitteln, deren politische Ohnmacht für jeden, der sehen will, heute noch klar zu Tage liegt, noch in einem solchen Fürsten gesteckt hätte, das wäre ihm da oben gründlich vergangen. Ein Dominieren in den Gemeinden, in den öffentlichen Korporationen und Verbänden seitens der Partei hätte, wenn sie dabei politische Machtinteressen verfolgt und dann doch nicht das allein entscheidende Machtmittel: die Militärgewalt, in die Hand bekommt, um dadurch den Staat zu überwältigen, nichts weiter zu bedeuten, als daß die politische Ohnmacht der Partei noch deutlicher zu Tage träte 21 Aus prinzipiellen Gründen lehnte die sozialdemokratische Partei im Kaiserreich die Teilnahme an den üblichen Empfängen der Reichstagsabgeordneten beim Kaiser anläßlich der Eröffnung der Legislaturperiode ab. 22 Gemeint ist der sozialdemokratische Parteitag, der vom 23. bis 29. September 1906 in Mannheim stattfand.
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und daß sie, je mehr sie rein /wie/politisch und je weniger sie sachlich zu regieren versuchte, desto früher sich diskreditierte. Aber weiter; was würde denn die sachliche Konsequenz sein, wenn die Sozialdemokratie in den Kommunen, die sie beherrscht, ihren Prinzipien gemäß ökonomische Klassenpolitik triebe? Wie würde | diese wohl aussehen? Man sagt: man kann unsere Gemein- A 299 den unmöglich „den Arbeitermassen ausliefern". 23 Dabei schwebt nun die dunkle Vorstellung vor, daß alsdann eine Art von „Erdrosselung" des Besitzes, des Kapitals, stattfinden werde. Es ist eigentlieh unglaublich, daß diese Vorstellung besteht angesichts der Sprache der Tatsachen: Gehen Sie doch hin nach den Kommunen, wo heute schon die Sozialdemokraten regieren. Nehmen wir der Einfachheit halber eine klassische Stätte ihrer Herrschaft: die Stadt Catania in Sizilien. Sie ist eines der blühendsten Gemeindewesen Siziliens.24 Sie wurde es unter der Leitung eines sozialistischen Bürgermeisters, welcher unter Crispi als Revolutionär jahrelang im Zuchthause gesessen hat. 25 Sie ist sizilianischen Touristen deswegen so völlig uninteressant, weil alle Romantik des Mittelalters hier verschwunden ist: sie ist die einzige moderne Stadt der Insel, die einzige Stadt, in der der bürgerliche Kapitalismus auf einer respektablen Höhe der Entwicklung steht. Begünstigungen aller Art, selbst Prämien, die die sozialistische Verwaltung in dieser Kommune für die Anlage von Fabriken gab, halfen dazu. Und das ist ja auch im höchsten Maße begreiflich: jede Arbeiterschaft, die eine Gemeinde in der Hand hat und ihre ökonomischen Interessen pflegt, wird eben merkantilistische Politik treiben. Sicherlich hat dieser Gemeinde-
2 3 Vgl. d a z u oben, S . 3 0 4 , A n m . 3 . Loening, Verhandlungen, S. 176, hatte betont, daß „ g e g e n ü b e r der großen M a s s e der fluktuierenden A r b e i t e r b e v ö l k e r u n g " d e n a n d e r e n sozialen S c h i c h t e n „der Ihnen g e b ü h r e n d e Einfluß In der s t ä d t i s c h e n Verwaltung gesichert bleiben" müsse. 24 Das sozialistisch verwaltete Catania galt In der z e i t g e n ö s s i s c h e n Literatur als eine Stadt, die sich „wirtschaftlich und kulturell weit über d a s Niveau d e s ü b r i g e n Siziliens" erhob u n d damit g l e i c h s a m „einen .Leuchtturm der Civlllsatlon'" darstellte. MichelsLlndner, Gisela, G e s c h i c h t e der m o d e r n e n G e m e i n d e b e t r i e b e In Italien (Schriften d e s Vereins für Socialpolitik 130, II). - Leipzig: D u n c k e r & H u m b l o t 1909, S.78. 25 G e m e i n t ist hier G i u s e p p e d e Feiice Gluffrlda, der seit 1902 d a s A m t d e s Bürgermeisters In Catania ausübte. 1894 war er n a c h d e m sizilianischen A u f s t a n d a u f g r u n d der A u s n a h m e g e s e t z e d e s Kabinetts Crispi zu einer langjährigen Kerkerhaft verurteilt, n a c h d e s s e n Sturz 1896 j e d o c h amnestiert w o r d e n .
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merkantilismus seine Bedenken. Aber es ist nichts Neues. Denn weit gefehlt, daß etwa eine derartige Politik innerhalb bürgerlich regierter Gemeinden unmöglich wäre, ist sie auch dort durchaus gang und gäbe. Meinen westfälischen Verwandten 26 sind große Grundkomplexe von kleinen stagnierenden westfälischen Gemein- 5 den umsonst angeboten worden, wenn sie darauf nur Fabriken bauen wollten, einerlei was für Fabriken, nur soviel wie möglich Fabriken, mit einem Schornstein, der tüchtig raucht. Die Stadtgemeinde Heidelberg, die doch das Vermächtnis unvergänglicher Schönheit in ihrer Obhut hat, setzt sich unmittelbar unter ihre Schloßterrasse ei- 10 nen Schandkasten von Dampfmühle. 27 (Heiterkeit! - Zuruf des Herrn Bürgermeister Dr.Waiz-Heideiberg: w d ihr gesetzt!) Wie? Gegen ihren Willen? Ist nicht die Äußerung: „besser einige Schornsteine mehr und einige Professoren weniger" aus der Bürgerschaft heraus gefallen? 28 ( G r o ß e Heiterkeit. - Zuruf des Herrn Bürgermeister Walz: Man kann aber nicht sagen, die 15 Stadt Heidelberg „setzt sich" einen Schandkasten von Mühle vor die Schloßterrasse. G e gen die Genehmigung hat die Stadtgemeinde protestiert!)
Nun, meine Herren, gleichviel wie diese Kontroverse zwischen meinem hochverehrten Stadtoberhaupte von Heidelberg und mir A 300 zur Entscheidung | gelangt 1 ', es ist und bleibt typisch und, wie Sie 20 wissen, ist es öffentlich erörtert worden, daß derartige merkantilistische Politik von zahlreichen Gemeinden getrieben wird. Auch darin bietet also die sozialdemokratische Verwaltung nichts Neues. Der ganze Unterschied liegt in den Motiven: darin, daß die heutigen bürgerlich regierten Gemeinden diese Politik treiben deswegen, weil 25 die Bürger, die ja keineswegs gern Steuern zahlen, annehmen: je ' ' Wie zu erwarten, war Herr Bürgermeister Professor Dr. Walz vollkommen im Recht. D i e Stadtgemeinde Heidelberg hat in diesem wie in ähnlichen Fällen alles getan, was an ihr lag, und jener Vandalismus bleibt an anderen Instanzen hängen. |
2 6 Ein Zweig der Familie Max Webers besaß Unternehmungen sowohl in Oerlinghausen als auch in Brackwede bei Bielefeld. 2 7 Gemeint ist die „Herrenmühle", in der bereits seit dem Mittelalter unterhalb des Heidelberger Schlosses mit Hilfe der Wasserkraft des Neckars Korn vermählen wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde zur Erweiterung der Kapazitäten eine Dampfmaschine aufgestellt. In den folgenden Jahrzehnten wurde die in eine Aktiengesellschaft umgewandelte „Herrenmühle" ständig modernisiert und erweitert. Dies stieß vor allem aus ästhetischen Gründen bei der Heidelberger Bürgerschaft auf zum Teil heftigen Widerstand. Max Webers Haus an der Ziegelhäuser Landstraße befand sich jenseits des Flusses genau gegenüber der „Herrenmühle". 2 8 Als Zitat nicht nachgewiesen.
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mehr Fabriken in der Stadt bestehen, desto mehr verteilt sich die Steuer und: desto stärker schwillt die Grundrente, während sozialistische Gemeindebehörden genau dieselbe merkantilistische Politik treiben werden aus dem Grunde, um Beschäftigung für die Arbeiter und günstigere Lohnchancen zu schaffen. Dies ist der einzige Unterschied, sonst bezweifle ich, ob auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik auf die Dauer ein prinzipieller Unterschied zwischen sozialistischer und bürgerlicher Stadtverwaltung sich fühlbar machen wird, sicher aber kein solcher, der zur Erdrosselung des Kapitals oder zur Brandschatzung des Vermögens der Besitzenden führen wird. Ich sehe durchaus keine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft in der Auslieferung unserer Städte an irgendeine, auch nicht an die sozialdemokratische, Partei, und überdies glaube ich, daß eine solche Auslieferung keine dauernde sein würde. Der Versuch der Kommunalisierung des Bäckereigewerbes in Catania endete mit dem Fallissement der Gemeindebäckerei und der Diskreditierung der sozialistischen Verwaltung, - nicht ohne daß jedoch die Bürger von Catania gutes und billiges Brot erhalten hätten und der moderne Großbetrieb in der Bäckerei durchgeführt worden wäre. 29 Nichts würde sich auch bei uns schwerer rächen, als der Versuch, auf dem Boden unserer heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sozialistische Zukunftspolitik treiben zu wollen; die ersten, die die Partei dabei in hellen Haufen verlassen würden, wären deren Anhänger, die Arbeiter. Es sind im wesentlichen - ich wiederhole es - nicht sachliche und auch nicht staatspolitische Gründe, sondern dynastische Ängste und Befürchtungen, welche sich dieser Entwicklung in den Weg stellen.
29 Im Herbst 1902 hatte in Catania die Stadtverwaltung begonnen, die dortige Brotfabrikation vollständig zu munizipalisieren. Innerhalb kürzester Zelt wurde eine städtische Zentralbäckerei errichtet, die mit 40 Backöfen für d e n Bedarf der 160.000 Einwohner arbeitete und dabei „mit Ausnützung aller modernen Erfindungen der Technik" in der Lage war, das Brot zu einem günstigen Preis herzustellen. Michels, Robert, Proletariat und Bourgeoisie in der sozialistischen B e w e g u n g Italiens. Studien zu einer Klassen- und Berufsanalyse des Soziallsmus In Italien, Teil 3, In: AfSS, Band 22, 1906, S. 4 2 4 - 4 6 6 , hier S. 463f. Diese vermutlich „größte Bäckerei Europas" mußte im August 1906 allerdings wieder schließen, da sie aus sozialen Rücksichten auf die ehemaligen Beschäftigten des privaten Bäckereigewerbes in finanzielle Schwierigkelten geraten war und darüber hinaus g e g e n ein Gesetz aus d e m Jahre 1903 verstoßen hatte, das Italienischen Gemeindebetrleben eine Monopolstellung untersagte. Vgl. Michels-Lindner, Gemeindebetriebe in Italien, S. 7 4 - 9 3 .
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Nun hat Herr Professor Wagner, und das ist die Äußerung, die mich am meisten in Erstaunen gesetzt hat, auf Rußland hingewiesen. 30 Rußland war aber doch das ideale Land der autokratischen A 301 Staatspolizei, der | Staat war ja derjenige, der dort die Polizei ausübte, eine Polizei, die nicht nur Streiks, sondern nach Bedarf auch Attentate und Revolutionen anzettelte, um sich in der Macht zu halten. 31 Gerade dieses System, dem jede Mitwirkung der Autonomie der bürgerlichen Gesellschaft verdächtig war, ist es doch gewesen, welches den Zusammenbruch des alten Regimes 32 herbeigeführt hat, und wenn unsere dynastischen Interessen wirklich dauernd verknüpft wären mit einem Polizeisystem nach russischem Muster nun dann hätten sie ihre Zeit gehabt. Ich glaube Herrn Geh. Rat Wagner nicht mißverstanden zu haben. (Zuruf von Professor Wagner: Doch!) Dann bitte ich um eine nähere Erklärung. Ich behandle diese Fragen, Herr Geh. Rat Wagner wird mir das zugestehen, hier in letzter Linie unter rein nationalpolitischen Gesichtspunkten, unter dem Gesichtspunkt unserer Machtgeltung und unserer Kulturbedeutung innerhalb der Völker der Erde. Nichts aber steht zur Zeit gerade unserer Machtgeltung und Kulturbedeutung mehr im Wege, als wenn wir dauernd, wie es jetzt geschieht, dasjenige Maß von Freiheit in unserem Innern ausschließen, was andere Nationen sich errungen haben.' Nichts macht uns so bündnisunfähig als dieser Umstand, als die Verknüpfung unserer sozialen und politischen Entwicklung mit dem in seiner Orientierung beständig wechselnden
i In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!)
30 A d o l p h Wagner, Verhandlungen, S.287, hatte bezüglich der inneren Sicherheit von Staaten gesagt: „Wir brauchen nur nach d e m Osten zu schauen, um zu erkennen, was die Folge Ist, w e n n die Polizeigewalt nicht mehr ordentlich funktioniert." 31 Max Weber behandelt an anderer Stelle e i n g e h e n d die Praxis der „bureaukratlschen Streikorganisation" und andere Aktionen der Polizei In Rußland. Weber, Max, Rußlands Ü b e r g a n g z u m Schelnkonstltutlonallsmus, In: MWG 1/10, S. 2 9 3 - 6 8 4 . Als Beispiele nennt er dort die durch die Enthüllungen Sergej V. Zubatovs bekannt gewordenen Vorfälle. So ließ die russische Regierung bei der Krönung des Zaren Nikolaus II. ein Dynamitattentat provozieren, um es noch rechtzeitig zu „entdecken", bei d e m großen Odessaer Generalstreik vom Juli 1903 hatte sie ebenfalls ihre Hände Im Spiel. Zubatov, der an allen diesen Vorgängen mitgewirkt hatte, war seit 1880 Mitarbeiter und In den Jahren 1896 - 1903 Leiter der Moskauer Abteilung der zarischen Geheimpolizei, ebd., S.381 ff. 32 Hinweis auf den Z u s a m m e n b r u c h der uneingeschränkten autokratischen Herrschaft des Zaren In der Folge der russischen Revolution von 1905.
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Einfluß einzelner regierender dynastischer Personen. Das ist es, was unsere Politik in den letzten Jahren hat scheitern lassen, was die Achtung des Auslandes vor uns als Welt- und Kulturmacht von Stufe zu Stufe heruntergesetzt hat, in einem Maße, welches heute be5 reits für unsere Sicherheit gefährlich zu werden beginnt. Jeder Schritt, den wir - und sei es auch unter Opfern, sei es auch unter Inkaufnahme der Chance, daß hier und da eine frischgebackene k sozialistische Stadtverwaltung geradezu eine Mißwirtschaft treibt auf dem Wege zur Beteiligung der breiten Massen am Gemeinde10 leben tun, ist eine Chance zur Wiedereroberung der Stellung in der Welt, die wir in den letzten Jahren verloren haben.'
k A: frischbackene
I In A folgt der Protokollzusatz: (Lebhaftes Bravo!)
[Rezension von: Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Im Herbst 1907 erschütterte eine schwere Wirtschaftskrise die Vereinigten Staaten. 1 Der Zusammenbruch eines angesehenen Wirtschaftsunternehmens hatte eine Panik ausgelöst, die einen „run" auf die Banken und damit eine empfindliche Geldknappheit zur Folge hatte. Die Krise weitete sich rasch auf den internationalen Geldmarkt aus, weil die amerikanische Regierung Maßnahmen ergriff, um Gold von allen Seiten - vor allem aus Europa heranzuziehen und somit die Basis des Notenumlaufs zu verbreitern. Wie die anderen europäischen Notenbanken auch versuchte die deutsche Reichsbank, den beträchtlichen Goldabfluß mit einer mehrmaligen erheblichen Erhöhung des Diskontsatzes zu begrenzen. 2 Die Auswirkungen der amerikanischen Geldkrise auf Europa lösten unter Fachleuten eine lebhafte Diskussion über deren Ursache und damit über das Finanzwesen der Vereinigten Staaten aus. Die Hauptursache für die Störungen des Geldmarktes sah man darin, daß es in den USA keine zentrale Notenbank gab und die Notenausgabe keiner einheitlichen Lenkung unterlag, wodurch auf die Nachfrage nach Zahlungsmitteln nicht flexibel reagiert werden konnte. 3
1 Vgl. Friedman, Milton und Jacobson Schwartz, Anna, A Monetary History of the United States 1 8 6 7 - 1 9 6 0 , 3. Aufl. - Princeton: Princeton University Press 1966, S. 1 5 6 - 1 7 3 , sowie Geisler, Rudolf P., Notenbankverfassung und Notenbankentwicklung in USA und Westdeutschland. Eine vergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Problems der Zentralisation und Dezentralisation und des Verhältnisses von Staat und Notenbank. - Berlin: Duncker & Humblot 1953. 2 Vgl. hierzu: Die Reichsbank 1 9 0 1 - 1 9 2 5 . - Berlin: Druckerei der Reichsbank 1925, S. 17ff. 3 Vgl. dazu etwa Hasenkamp, Adolf, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten von Amerika. - Jena: Gustav Fischer 1908, sowie Lie, Hermann, Bankreform und Zentralbankproblem in Amerika, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., 3. Folge, Band 40, 1910, S. 1 7 9 - 1 9 9 .
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Einer der ersten, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten, war der Bonner Staatswissenschaftler Hermann Schumacher. 4 Er hielt am 18. Februar 1908 in der Gehe-Stiftung zu Dresden einen Vortrag über „Die Ursachen der Geldkrisis", den er kurz darauf, am 15. Mai 1908, in der Schriftenreihe der Gehe-Stiftung „Neue Zeit- und Streitfragen" veröffentlichte. 5 Schumachers Ausführungen wurden kontrovers diskutiert und rezensiert. 6 Im Rahmen dieser Diskussion verfaßte Max Weber die im folgenden abgedruckte Rezension, die, mit „(W.)" signiert, im September-Heft des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik erschien.
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffe, Band 27, Heft 2, 1908, S. 5 9 7 - 5 9 8 , in der Rubrik „Literatur-Anzeiger" erschien (A). Die Rezension ist mit „(W.)" gezeichnet. Die Autorschaft Max Webers ergibt sich aus der Mitteilung Edgar Jaffes an den Verleger Paul Siebeck vom 10. September 1908, er schicke ihm „3 Korrekturen (Max Weber), die im Literatur-Anzeiger von XXVII,2 noch zu berücksichtigen" seien. 1
4 Schumacher hatte im Wintersemester 1906/07 eine Gastprofessur an der Columbia University innegehabt. 5 Schumacher, Hermann, Die Ursachen der Geldkrisis. Vortrag, gehalten in der GeheStiftung zu Dresden am 18. Februar 1908 (Neue Zeit- und Streitfragen, 5. Jg., Heft 6 und 7). - Dresden: v. Zahn & Jaensch 1908. 6 Siehe u.a. Liefmann, Robert, [Rezension von:] Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft, hg. von Julius Wolf, 11. Jg., 1908, S. 5 8 4 - 5 8 6 ; Plenge, Johann, [Rezension von:] Schumacher. Prof. Dr. Hermann, Die Ursachen der Geldkrisis, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, hg. von Karl Bücher, 64. Jg., 1908, S. 5 6 2 - 5 6 7 , sowie Hasenkamp, Krisis, S. 7, 51 und 92. 1 Brief Edgar Jaffas an Paul Siebeck vom 10. Sept. 1908, VA Mohr/Siebeck, Tübingen, Nr. 248. Es handelt sich dabei eindeutig um die Rezensionen der Schriften von Hermann Schumacher, Erich Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt (in diesem Band abgedruckt, unten, S. 3 2 3 - 3 2 6 ) , sowie von Christian von Ehrenfels, Sexualethik (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, Heft 56). - Wiesbaden: J.F. Bergmann 1907 (MWG 1/12).
[Rezension von:] Schumacher, H[ermannJ. Die Ursachen der Geldkrisis. Neue Zeitund Streitfragen, herausgegeben v. d. Gehe-Stiftung V, 6 u. 7. Dresden 1908 v. Zahn und Jaensch, 65 S. M. 1.60. Gegenstand: nicht die „Kapitalkrisis", auch nicht die „Kredit- 5 krisis", sondern lediglich die „Geldkrisis" der letzten Zeit. 1 Sie war lokal bedingt in der amerikanischen Bankverfassung im allgemeinen 2 (Zurücktreten der Tratten,3 große Rolle des LomA 598 bards,4 Verwendung der promis|sory notes, 5 Basierung der Notenausgabe auf Staatsbonds und daher Fehlen des Zusammenhanges 10 mit dem Verkehrsbedarf,6 Barreservezwang gegen die Depositen-
1 Schumacher, Geldkrisis, S . 3 - 6 , unterscheidet drei Typen wirtschaftlicher Krisen, die Kapitalkrisis, die sich durch einen langfristigen Mangel an Kapital auszeichnet, die Kreditkrisls, bei der ein Mangel an Vertrauen im Wirtschaftsleben vorherrscht, sowie die Geldkrisis, die auf einem Mangel an umlaufenden Zahlungsmitteln beruht. Thema seiner Arbeit ist die Geldkrisis, da dieses Phänomen „neu, eigenartig, bisher wenig verstanden" sei. 2 Schumacher, Geldkrisis, S. 6f., betont den lokalen Ursprung der gegenwärtigen Geldkrisis und sieht diese „in konkreten Organisationsfehlern im Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten" begründet. 3 Gezogener Wechsel, durch den der Bezogene (Adressat) angewiesen wird, an den Wechselnehmer eine bestimmte Geldsumme zu zahlen. Durch Weitergabe, vor allem durch Verkauf an eine Bank, kann er bis zum Fälligkeitstermin wieder in Zahlung gegeben oder zu Geld gemacht werden. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Tratte „zum wichtigsten kaufmännischen Kreditmittel geworden" sei, spiele sie, so Schumacher, Geldkrisis, S. 10f., „im amerikanischen Inlandsverkehr [...] keine Rolle." 4 Kurzfristiges Kreditgeschäft, bei dem verpfändete Waren oder Wertpapiere als Sicherheit dienen. Schumacher, Geldkrisis, S. 11 f., zufolge basiert das amerikanische Kreditwesen mehr als in Deutschland auf dem „Lombardgeschäft", was die Liquidität der amerikanischen Banken stark einschränkte, da die Realisierbarkeit der Pfänder bei kurzfristig erhöhtem Geldbedarf nur unter Verlusten möglich sei. 5 Hier im Sinne von Solawechsel. Er dient zur persönlichen Geldbeschaffung (Personalkredit) und ist im Gegensatz zur Tratte von der Diskontierung (Ankauf durch eine Bank unter Abzug der Zinsen bis zum Fälligkeitstag) ausgeschlossen. Die „promissory notes" kamen demgemäß kaum in Umlauf. Dies führe, so Schumacher, Geldkrisis, S. 12f., ebenso wie die Bedeutung des Lombardgeschäfts, zu einem „Mangel an Liquidität" bei den amerikanischen Banken. 6 In den USA gab es bis 1913 keine Zentralnotenbank. Vielmehr existierten zahlreiche Nationalbanken („National Banks") als Privatunternehmen. Diese hatten das Recht, Banknoten auszugeben, wenn sie einen bestimmten Anteil ihres Grundkapitals in zinstragenden Staatspapieren („United States Bonds") in Washington als Sicherheit deponierten. Ende des 19. Jahrhunderts galt die Regel, daß für eine Notenausgabe im Wert von 100.000 Dollar 90.000 Dollar in Staatsbonds hinterlegt werden mußten. Die Banken waren
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bank, 7 Fehlen der Möglichkeit planvoller Diskontpolitik, daher ausschlaggebende Rolle des call money market der Börse 8 ) mit ihrer mangelnden Elastizität und ihrer Neigung, gerade durch Reichtumsmomente (hohe Erntepreise und starke Depositen) 5 Geldklemmen auszulösen. 9 Bedrohlich erscheint ihr diesmaliger Verlauf insofern, als auch dieses Mal wieder, aber in einer bisher noch nie dagewesenen Weise, statt der fehlenden Zentralnotenbank die Regierung (Schatzsekretär) mit Gewährung von Depositen eingriff, um den Geldstand, in diesem Fall: durch Gold10 ankauf[,] zu erleichtern 10 (fast IV2 Milliarden Mark hätten, nachdem die Aldrich Bill auch die Zolleinkünfte zu diesem Zweck disponibel gemacht hatte, im Ganzen zur Verfügung gestellt werden verpflichtet, ihre Banknoten jederzeit in gesetzliches Geld, z. B. in Goldmünzen, einzulösen. Diese Form der Geldpolitik war im Falle erhöhten Wirtschaftswachstums und damit erhöhten Notenbedarfs nur wenig flexibel. 7 Die amerikanischen Banken waren gesetzlich verpflichtet, einen relativ hohen Prozentsatz der Kundeneinlagen in Barreserve zu halten. Die Stadtbanken mußten 25%, die Landbanken 15% Ihrer Depositen In Bargeld, d.h. in Gold oder in anderen gesetzlichen Zahlungsmitteln, verfügbar haben. Ein Teil dieser Reserve durfte bei den Nationalbanken der sog. „Reservestädte" und der „Zentralreservestädte" New York, Chicago und St. Louis hinterlegt werden. Dieses Reservesystem, so Schumacher, Geldkrisis S.21, trage viel dazu bei, daß das Kapital nicht „aus dem reichen Osten In die weniger entwickelten [...] Gebiete des Westens gelenkt", sondern „künstlich nach dem Osten zurückgezogen" werde. 8 Schumacher, Geldkrisis, S.39f., sieht in der dezentralen Struktur des amerikanischen Bankwesens die Hauptursache für eine fehlende Steuerung des Geldmarktes. Während die europäischen Notenbanken durch eine zielgerichtete Zinspolitik das Kreditgeschäft und damit den Geldmarkt beeinflussen könnten, fehle In den USA eine solche „hohe neutrale Warte, wie sie die Voraussetzung Ist für jede wirksame Diskontpolitik." Aufgrund der fehlenden Steuerung sei, so Schumacher, Geldkrisis, S. 41 ff., die Börse, vor allem die In der New Yorker Wall Street, der wichtigste Markt für kurzfristige Anlagen. Da hier - besonders auf dem „call money market", dem Umschlagplatz für täglich kündbare Kredite - der Zinsgestaltung keine Grenzen gesetzt seien, übe die Wall-Street eine große Anziehungskraft auf die amerikanischen Banken aus, die dadurch mehr an der „Börsenspekulation" als an der „Produktion in Gewerbe und Landwirtschaft" interessiert seien. Eine Börsenkrise bringe deshalb „das reguläre Bankgeschäft Im Lande [...] ins Stocken" und habe Auswirkungen auf das gesamte amerikanische Wirtschaftsleben. 9 Die Nachfrage nach kurzfristigen Geldern stieg wegen der Erntefinanzierung jährlich Im Herbst an, konnte aber von den Banken aufgrund der zu geringen Geldmenge nicht ausreichend befriedigt werden. Diese Phänomene werden beschrieben bei Schumacher, Geldkrisis, S.30. 10 Gemeint sind hier die Depositen des amerikanischen Staates. Der „Secretary of the Treasury", Leslie Shaw, beseitigte im Herbst 1906 die für die staatlichen Depositen vorgeschriebene Sicherung durch Staatsbonds und stellte sie den Banken zum ausdrücklichen Zweck der Goldeinfuhr aus Europa zur Verfügung. Zu diesen Maßnahmen vgl. Schumacher, Geldkrisis, S. 54ff.
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können), 11 und als eine häufigere Wiederholung dieser ganz unberechenbaren, dem Wesen nach „staatssozialistischen" Maßnahmen eines periodisch gewählten politischen Beamten 12 die Geldpolitik der Bank von England und noch mehr die der Reichsbank in bisher nie gekannte, erst seit der Durchführung der Goldwährung in 5 Amerika 13 mögliche Situationen zu versetzen vermöchte. 14
11 Die Zolleinkünfte hatte der Staat zur Bereitstellung von Barmitteln bislang nicht angreifen dürfen. Durch die Verabschiedung der „Aldrlch Bill" v o m 4. März 1907 w u r d e diese Beschränkung aufgehoben. Danach bezifferte sich die „geplante Hilfsaktion der Regierung [...] auf mehr als 1 V2 Milliarden Mark." Schumacher, Geldkrisis, S. 55ff. 12 Als „ein unberechenbares Moment [...] in der Geldpolitik der Vereinigten Staaten" bezeichnet Schumacher, Geldkrisis, S. 58, unter anderem den großen Einfluß der Regierung. Besonders bedenklich sei die Tatsache, daß die staatlichen Hilfsmaßnahmen „ a b h ä n g i g v o m subjektiven Ermessen eines Mannes" seien, nämlich des jeweiligen Schatzsekretärs. Gerade In „einem demokratischen Staate, In d e m alle leitenden Personen In den kurzen Fristen weniger Jahre wechseln", fehle jede Garantie, „daß Immer [...] zuverlässige und einsichtsvolle Männer diesen einflußreichsten Posten Im amerikanischen Zahlungswesen einnehmen." 13 Mit Gesetz vom 14. März 1900 wurde in den USA die Währung auf Goldstandard umgestellt. 14 Anspielung darauf, daß sich sowohl die Bank von England als auch die Reichsbank zur Bewältigung der Krise und zur Begrenzung der Goldausfuhr In die USA zu erheblichen Erhöhungen des Diskontsatzes g e z w u n g e n sahen. In Großbritannien stieg er von April bis November 1907 von 4,5 % auf 7 %, Im Deutschen Reich Im selben Zeltraum von 5,5 % auf 7,5 %.
[Rezension von: Erich Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Erich Kaufmann, später einer der bedeutendsten deutschen Rechtswissenschaftler, hatte im Jahre 1906 seine Dissertation „Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes" vorgelegt. 1 Im Jahre 1908 wurde er in Kiel mit einer Arbeit über „Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika" habilitiert. 2 Diese Arbeit stellte, wie Kaufmann selbst bemerkte, „eine Kreuzung" dar „zwischen meinen eigenen Studien über das Wesen und Werden der modernen Staatsidee und den Anregungen, die ich den seminaristischen Übungen des ersten Roosevelt-Professors Mr. John William Burgess im Wintersemester 1906/1907" an der Berliner Universität zu danken hatte. 3 In der zeitgenössischen Literatur wurde Kaufmanns Arbeit denn auch als „erste Frucht des Professorenaustausches zwischen dem Deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Amerika" angesehen. 4 Kaufmann ging es in seinem Werk um eine kritische „Vergleichung der beiden grundlegenden Staatsauffassungen, auf denen die Verfassungen und die Jurisprudenz der Vereinigten Staaten und Deutschlands beruhen." 5 Diesen Vergleich führte er an einer aktuellen Einzelfrage durch. Es war ihm
1 Kaufmann, Erich, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes. - Leipzig: 0 . Brandstetter 1906. Vgl. hierzu Smend, Rudolf, Zu Erich Kaufmanns wissenschaftlichem Werk, in: Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann zu seinem 70. Geburtstage. - Stuttgart/Köln: Kohlhammer 1950, S. 391 - 4 0 0 , hier S. 392f., sowie das „Verzeichnis der Veröffentlichungen Erich Kaufmanns", ebd., S. 401 f. 2 Kaufmann, Erich, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt In den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine rechtsvergleichende Studie über die Grundlagen des amerikanischen und deutschen Verfassungsrechts. - Leipzig: Duncker & Humblot 1908. 3 Ebd., S. VII. 4 Bendlx, Ludwig, [Rezension von:] Erich Kaufmann. Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, In: Zeitschrift für Politik, Band 2, 1909, S. 130-133, hier S. 130. 5 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. IX.
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Editorischer Bericht
zu tun „um die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Weltpolitik, in die das neue Deutsche Reich und die Vereinigten Staaten von Amerika als letzte Mächte eingetreten sind: um die auswärtige Gewalt und die Kolonialgewalt."6 Kaufmanns Studie wurde in der Öffentlichkeit sehr beachtet. 7 Im Rahmen dieser Diskussion verfaßte Max Weber die im folgenden abgedruckte Besprechung, die, mit „(W.)" signiert, im September-Heft 1908 des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik erschien.
Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffe, Band 27, Heft 2, 1908, S. 6 1 8 - 6 1 9 , in der Rubrik „Literatur-Anzeiger" erschien (A). Diese Besprechung gehört zu den drei mit „(W.)" signierten Rezensionen in diesem Heft, 1 deren Autorschaft Max Weber aufgrund einer entsprechenden Mitteilung Edgar Jaffes an den Verleger Paul Siebeck eindeutig zugeschrieben werden kann. 2
6 Ebd., S. VII. 7 Schücking, Walther, [Rezension von: Erich Kaufmann] Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten] Staaten von Amerika, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 14. Jg., 1909, Sp. 1341-1342, sowie Rehm, Hermann, [Rezension von:] Kaufmann, Erich, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt, in: Das Recht. Rundschau für den Deutschen Juristenstand, 13. Jg., 1909, Sp. 215. 1 Neben der Rezension von Kaufmann handelt es sich dabei um die Besprechungen der Arbeiten von Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis (in diesem Band abgedruckt, oben, S. 318-320), sowie von Christian von Ehrenfels, Sexualethik (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, Heft 56). - Wiesbaden: J.F. Bergmann 1907 (MWG 1/12). 2 Brief Edgar Jaffes an Paul Siebeck vom 10. Sept. 1908, VA Mohr/Slebeck, Tübingen, Nr. 248. Vgl. dazu auch oben, S. 317.
[ R e z e n s i o n von:]
Kaufmann, Dr. Erich. Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. (Staats- und Völkerrechtliche Abhandlungen], herausgegeben von Jellinek u. Anschütz, VII, 1). Leipzig 1908. XIII u. 244 S. Duncker u. Humblot. M. 5.60. Das Buch erörtert die verfassungsrechtlichen Grundlagen der amerikanischen Weltpolitik. Dem Verfasser, dessen (z.B. 123ff. entwickelter) methodologischer Standpunkt im Gegensatz zu der sog. „freirechtlichen" Bewegung sich befindet, 1 kommt es vor allem darauf an, die grundverschiedene Staatsauffassung, auf welcher Verfassung und Jurisprudenz in den Vereinigten Staaten im Gegensatz zu Deutschland ruhen, an diesem wichtigen Einzelfall kritisch zu würdigen, um so zur Überwindung sowohl des „Rationalismus" der einen als des historischen Empirismus der andern zu gelangen. 2 - Inhalt: A. Einleitung: Probleme der imperialistischen Politik, Übersicht über die Argumentationsweise der Gerichte in den sog. „Inselfällen", 3 Stellung der beiden Probleme der 1 Die „freirechtliche Bewegung" vertrat das Postulat der freien richterlichen Rechtsfindung nach Maßgabe der je konkreten Lage des zu entscheidenden Falles, wobei etwa vorhandene gesetzliche Bestimmungen bzw. Vorentscheidungen allenfalls als Richtlinien dienten. Insbesondere der amerikanische Supreme Court beanspruchte dem gesetzten Recht gegenüber eine nahezu souveräne Stellung. Im Gegensatz zur amerikanischen Rechtspraxis, die bei Entscheidungen hinsichtlich von Gebietserwerb dazu neigte, „neue und dem Gesetze unbekannte begriffliche Distinktionen einzuführen", halte die deutsche Staatsrechtswissenschaft einen solchen „Weg für willkürlich und gefährlich". Ihr gehe es vielmehr darum, „die rechtliche Behandlung des Gebietserwerbes [...] unter eine Kategorie" zu bringen, „die dem Gesetz bekannt ist, an die das Gesetz selbst bestimmte Rechtsfolgen knüpft." Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 123f. 2 Bei Kaufmann, Auswärtige Gewalt, Vorwort, S. VII, heißt es: „Während die deutsche Staatslehre des 19. Jahrhunderts ebenso wie die deutschen Verfassungen [...] Ihre Impulse von jenem antirationalistischen und antirevolutionären Restaurationszeitalter mit seinen historischen, oft historistischen Tendenzen empfangen haben, wurzelt die Verfassung der Vereinigten Staaten ganz In den rationalistischen, naturrechtlichen und oft Individualistischen Gedankenkreisen des 18. Jahrhunderts." Ziel der Arbeit solle „eine Überwindung sowohl des Rationalismus als auch des historistischen Empirismus der Jurisprudenz in einem Kritizismus"sein, ebd., S. IX. 3 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S.5, bezeichnet mit „Inselfällen" jene 12 Prozesse vor dem amerikanischen Supreme Court, die um die Jahrhundertwende im Zuge des Erwerbs von Puerto Rico, Hawaii und der Philippinen stattfanden. Im Mittelpunkt standen dabei zum einen zoll- und handelsrechtliche Fragen sowie zum anderen solche der Rechtsstellung der Bewohner der betroffenen Gebiete, ebd., S. 1 2 - 2 0 .
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Rezension
von: Kaufmann, Auswärtige
Gewalt
Arbeit 4 S. 1 - 2 4 . B. Staatsvertrag und Gebietserwerb (S. 25-127). Historische Darlegung der Unklarheiten über die Rechtsnatur des „Gebiets" und der „Vertragsgewalt"5 im Anschluß an die für die Schöpfer der Verfassung maßgebend gewesenen Theorien; 6 Konsequenzen derselben für die Praxis, insbesondere für das Verhält- 5 nis 1) der auswärtigen Gewalt zu den Parlamentsrechten, 2) der Bundesgewalt im Verhältnis zu den Gliedstaaten in Amerika, im Vergleich mit englischen und deutschen Verhältnissen, - und (Abschnitt V) 8 positive Konstruktion des Gebietserwerbs, Unterscheidung je nach der strikt historisch-individuellen Auffassung 10 der Verfassung (Deutschland) oder ihrer Behandlung als Repräsentantin einer universellen „Rechtsidee" (Amerika). 9 Daraus wird praktisch für Amerika insbesondere erschlossen: Ausreichen bloßer Kongreßakte, aber Notwendigkeit solcher in allen Fällen A 619 vor der völkerrechtlichen Perfektion | des Aktes, 10 Ablehnung ei- 15
4 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, konzentriert sich in seiner Arbeit vor allem auf die Themenkomplexe „Staatsvertrag und Gebietserwerb" (Kapitel B) sowie „Kolonialgewalt und Verfassung" (Kapitel C). 5 Während Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 38f., sich unter der Überschrift „Das Problem des Gebietserwerbes" in einem gesonderten Unterpunkt mit den „Unklarheiten über die Rechtsnatur des Gebietes" befaßt, erörtert er das Problem der „Vertragsgewalt" („treaty-making power") an verschiedenen Stellen. Auf S. 35ff. definiert er sie als eine aus Legislative und Exekutive „gemischte" Gewalt: „man g a b sie d e m Präsidenten, b a n d diesen aber an die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Senates." Die sich aus dieser Konstruktion e r g e b e n d e n Unklarheiten sind für Kaufmann „von eminenter Bedeutung" für die auswärtige Politik der USA. 6 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 2 5 - 3 8 , beschäftigt sich im ersten Abschnitt des Kapitels B mit d e m „Problem des Staatsvertrages". Er untersucht darin unter anderem „Die Stellung der auswärtigen Angelegenheiten in der konstitutionellen Theorie", „Die Gewaltenlehre von John Locke" sowie „Die Trennung der Gewalten bei Montesquieu" in ihren Auswirkungen auf die Verfassung der Vereinigten Staaten. 7 Diese Fragen sind im wesentlichen im vierten Abschnitt des Kapitels B behandelt, Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 6 7 - 9 9 . 8 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 9 9 - 1 2 7 . 9 Nach Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 118f., ist die deutsche Verfassung das Produkt „einer stark historisch e m p f i n d e n d e n Zeit, die ein feines und überfeines Gefühl für individuelle Unterschiede und eine Fähigkeit der A n p a s s u n g und A n s c h m i e g u n g gerade an die irrationalen Momente des Volkslebens besitzt." D e m g e g e n ü b e r trete die amerikanische Verfassung „in erster Linie als der Rechtsidee überhaupt entsprechend, als ein Lösungsversuch des abstrakten Verfassungsproblems" auf, „den man für alle Menschen als richtig ansieht, als eine weit über die individuellen Verhältnisse, aus denen und für die sie geschaffen wurde, hinausgehende Ordnung der souveränen Herrschaftsverhältnisse." 1 0 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 120, zitiert aus Article IV, Section 3 , 1 der amerikanischen Verfassung: „New States may be admitted by the Congress into this Union". Dies
Rezension
von: Kaufmann,
Auswärtige
Gewalt
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nes besonderen Hoheitsrechtes der „Vertragsgewalt".11 C. Kolonialgewalt und Verfassung (S. 128-243). Kritik der Labandschen Theorie der deutschen Kolonialgewalt 12 und der Ableitung des Parlamentsrechts lediglich aus dem Budgetrecht. 13 Problemstellung für Amerika: darf, auf Grund Art[icle] IV sectfion] 3 clfause] 2 der Verfassung, 14 ein Gebiet im Frieden, ohne Aufnahme in die Gemeinschaft der Verfassung der Vereinigten Staaten, von ihnen dauernd beherrscht werden? Das Problem wird in eingehender Darlegung als ein Teilproblem der Stellung der „Freiheitsrechte", seine Lösungsversuche als allmähliche Abwandlungen der alten Auffassung dieser als vorstaatlicher Individualrechte in die heute herrschende relativistische Meinung behandelt, 15 und dabei ferner die Eigenart des juristischen Denkens in Amerika, im Gegensatz zu Europa, in pointierter Darstellung als Teilbestandteil des Gegensatzes des amerikanischen Rationalismus gegen den europäischen, speziell deutschen, Irrationalismus aufgefaßt (S. 177ff.). Zugleich wird der Versuch unternommen, aus den gesellschaftlichen Bedingungen Amerikas einerseits, Europas andrerseits die noch bestehenden Unterschiede der Behandlung der Freiheitsrechte als „notwendig" aufzuzeigen (S. 184-189) und ebenso die gegenwärtig im Fluß befindliche Durchbrechung ihrer abstrakt-rationalen Deutung durch eine utilitarisch-rationale
führte, so Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 123, bei Gebietserwerbungen zur „Methode des vorherigen Ermächtigungsgesetzes", auf dessen Basis allein der Präsident handeln konnte. 11 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 69ff., stellt fest, daß die von einzelnen Bundesstaaten an die Union delegierten „materiellen Hoheitsrechte" nicht der Vertragsgewalt (siehe Anm. 5), sondern allein der Legislative des Bundes zugewiesen sind. 12 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 153, lehnt Paul Labands Behauptung, daß Deutschland Kolonialpolitik in der „Eigenschaft des Reiches als eines souveränen Staates" betreibe, entschieden ab. Er meint demgegenüber, daß „die völkerrechtliche Befugnis zum Erwerbe von Kolonien [...] nicht aus dem Begriffe der Souveränität, sondern aus dem des völkerrechtlichen Rechtssubjektes" folge. 13 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 155, fordert eine über die budgetrechtliche Seite hinausgehende Mitwirkung der Legislativorgane des Deutschen Reiches am Erwerb und der Inkorporierung von Kolonien. 14 Die auch bei Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 155, zitierte Verfassungsbestimmung (Article IV, Section 3, 2) lautet: „The Congress shall have power to dispose of and make all needfull rules and regulations respecting the territory or other property belonging to the United States." 15 Dieses Problem wird bei Kaufmann, Auswärtige Gewalt, im zweiten und dritten Abschnitt des Kapitels C, S. 157-177, behandelt.
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Rezension
von: Kaufmann, Auswärtige
Gewalt
(„Vernünftigkeit" und „Ehrlichkeit" des Wollens des Gesetzgebers als Kriterium der Gültigkeit in Zweifelsfällen) in Amerika als Konsequenz der auch dort beginnenden Klassenschichtung (vgl. auch den Schluß S.240f.). Die Lösung des konkreten juristischen Problems gibt der Verfasser S.224f., unter scharfer Kritik der Ver- 5 mengung der Fragen nach der Genesis der Rechtssätze mit ihrem Gehalt, 16 durch eigne Interpretation der „Territorialklausel" dahin, daß die Verfassung von 1787 auch für die Probleme der Kolonialpolitik zureiche, und daß insbesondere die Freiheitsrechte den Insassen der Kolonialgebiete nicht zustehen. 17 10
1 6 Kaufmann, Auswärtige Gewalt, S. 225, bezeichnet die „Einbeziehung genetischer Gesichtspunkte in die sachlich-systematische Konstruktion" als einen „methodischen Fehler". So lasse sich aus der Entstehung der Union nichts über den sachlichen Gehalt ihrer Verfassung folgern. 17 Mit „Territorialklausel" ist die oben, Anm. 14, zitierte Verfassungsbestimmung gemeint. Kaufmann, Auswärtige Gewalt, diskutiert sie auf den Seiten 2 3 1 - 2 3 7 und kommt abschließend zu d e m Ergebnis, daß die „Grund- und Freiheitsrechte" der amerikanischen Verfassung „auf die .Kolonie' und ihre Bewohner keine A n w e n d u n g finden."
Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden in Preußen „Landschaftliche Kreditinstitute" - kurz: „Landschaften" - gegründet. 1 Es handelte sich dabei um Immobilienkreditanstalten des adeligen Grundbesitzes. Die Rittergüter waren damals nicht zuletzt aufgrund von Kriegen teilweise hoch verschuldet. Hypotheken standen nur gegen hohe Zinsen zur Verfügung. Durch ständischen Zusammenschluß wollte man die Voraussetzungen dafür schaffen, das große Kreditbedürfnis leicht und vor allem billig zu befriedigen. Die ersten „Landschaften" wurden mehrheitlich als Zwangsgenossenschaften organisiert. Anders als bei der Individualhypothek, bei der sich Schuldner und Gläubiger direkt gegenüberstanden, erlaubten es die „Landschaften", die Verhältnisse zu anonymisieren. Die Kreditbeschaffung basierte auf dem „Pfandbriefsystem". Danach stellte die „Landschaft" einem kreditnachsuchenden Mitglied unbefristete Pfandbriefe auf sein Gut aus, die dann an Anleger verkauft wurden, und zwar entweder vom Gutsbesitzer oder von der „Landschaft". Die so verkauften Pfandbriefe waren handelbar. Der Bepfandbriefung eines Gutes ging eine Taxierung seines Wertes voraus, die bestimmten Grundsätzen folgte. Im Außenverhältnis, gegenüber dem Kreditgeber, haftete die „Landschaft" für das angelegte Kapital und für die Zinsen. Die „Landschaft" gab dazu eine „Generalgarantie", die dem Kreditgeber die Gesamthaftung der der „Landschaft" angeschlossenen Güter zusicherte. Im Innenverhältnis, gegenüber dem Kreditnehmer, hatte die
1 Aus der Fülle der Literatur über die Geschichte der „Landschaften" In den einzelnen preußischen Provinzen und Ihre durchaus unterschiedliche Entwicklung seien genannt: Dernburg, Heinrich, Das preußische Hypothekenrecht, 2. Abt. - Leipzig: Breitkopf & Härtel 1891; Hermes, Justus, „Landschaften", in: HdStW2, Band 5, S. 453-467; Franz, Robert, Die Landschaftlichen Kreditinstitute in Preußen. Ihre rechtlichen und finanziellen Verhältnisse und Ihre geschichtliche Entwlckelung. - Berlin: F. Schneider & Co 1902; Brünneck, Wilhelm von, Die Pfandbriefsysteme der preußischen Landschaften. - Berlin: Verlag von Franz Vahlen 1910; sowie Altrock, Walther von, Der landwirtschaftliche Kredit in Preußen. I. Die Ostpreußische Landschaft. - Berlin: Verlagsbuchhandlung Paul Parey 1914.
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Kredit- und
Agrarpolitik
„Landschaft" das Recht, das belastete Gut in Z w a n g s v e r w a l t u n g zu nehmen (Sequestration) oder es zur Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g zu bringen (Subhastation). Bereits bei der G r ü n d u n g der „Landschaften" im 18. Jahrhundert waren die Satzungen der einzelnen Institute, die „Landschaftsreglements", nicht einheitlich. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden sie in den v e r s c h i e d e n e n Provinzen weiterhin vielfältig geändert, so daß die äußere Organisation der „Landschaften" nur in den allgemeinen Grundsätzen übereinstimmte. Zwar standen die „Landschaften" unter Staatsaufsicht, d o c h waren sie in deren Grenzen autonom und verwalteten ihre A n g e l e g e n h e i t e n selbständig. Als ausführende Behörde fungierte an ihrer Spitze die „Generallandschaftsdirektion", deren höhere Beamte in der Regel von den Mitgliedern der Institute gewählt wurden und deren Wahl v o m König bzw. d e m z u s t ä n d i g e n Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten bestätigt werden mußte. Ihr zur Seite standen mehrere Gremien, so beispielsweise bei der „Ostpreußis c h e n Landschaft" unter anderen das 1858 eingerichtete „Plenarkollegium". Dieses kümmerte sich sowohl um allgemein wichtige Fragen, wie etwa B e s c h w e r d e n g e g e n die Gesamtverwaltung, als auch um die Einberufung und Vorbereitung der „Generallandtage", der von Deputierten der Mitglieder beschickten Vollversammlungen der „Landschaften". Im Jahre 1906 veröffentlichte der Nationalökonom Hermann Mauer, ein Schüler des b e d e u t e n d e n Agrarhistorikers Georg Friedrich Knapp, eine Arbeit über „Das landschaftliche Kreditwesen Preußens". 2 Es ging ihm darin vor allem um „die Beziehungen z w i s c h e n Kreditsystem und Agrarverfassung", also um die Frage, „wie das Kreditsystem die Entwicklung der Landwirtschaft überhaupt volkswirtschaftlich beeinflußt hat." 3 Als Ergebnis seiner U n t e r s u c h u n g e n faßte er schließlich zusammen, daß „das landschaftliche Kreditsystem Preußens die Entwicklung der Grundbesitzverteilung in m a ß g e b e n d e r Weise" bestimmt habe, indem es „der b e g ü n s t i g t e n Klasse", den Großgrundbesitzern, „reichlichen, unkündbaren und billigen Kredit" verschaffte und diese d a d u r c h in die Lage versetzte, „ihren Besitz auf Kosten der von der Teilnahme an d e m Kreditsystem a u s g e s c h l o s s e n e n Klasse zu erweitern." 4
2 Mauer, Hermann, Das landschaftliche Kreditwesen Preußens. Agrargeschichtlich und volkswirtschaftlich betrachtet. Ein Beitrag zur Geschichte der Bodenkreditpolitik des preußischen Staates (Abhandlungen aus dem Staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg i. E., hg, von Georg Friedrich Knapp und Werner Wittich, Heft 22). - Straßburg: Karl J. Trübner 1907. 3 Ebd., S. III. 4 Ebd., S. 158.
Editorischer
Bericht
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Die gesamte Thematik sowie der Ansatz Mauers stießen auf das besondere Interesse Max Webers, der sich schon seit über 15 Jahren sehr intensiv mit Fragen der deutschen Agrarverfassung und ihrer ökonomischen, politischen und sozialen Folgen befaßt hatte. 5 Er sah hier seine These bestätigt, daß auch die Art der Hypothekengewährung zu einer „Zusammenklammerung des Besitzes" führen, den Großbetrieb „künstlich" stützen und damit eine Schwächung der mittleren und kleineren Betriebe bewirken konnte. 6 Die im folgenden abgedruckte Abhandlung, die im Dezember 1908 im „Bank-Archiv" erschien, ist freilich mehr als eine Rezension der Arbeit Hermann Mauers. Vielmehr nimmt Max Weber die Besprechung auch zum Anlaß, sich in die Diskussion um die „Entschuldungsaktion der Ostpreußischen Landschaft" einzuschalten, die die Öffentlichkeit bewegte und zu der Hermann Mauer mehrfach, so auch im „Bank-Archiv", Stellung bezogen hatte. 7 Angesichts der zunehmenden Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes hatte man bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine gesetzliche Beschränkung der Grundverschuldung diskutiert. So berief die preußische Staatsregierung im Jahre 1894 eine „Agrarkonferenz" ein, die sich mit den Ursachen und dem Umfang der Überschuldung sowie mit Maßregeln zu ihrer Beseitigung befaßte und mit deren Ergebnissen sich auch Max Weber auseinandersetzte. 8 Nach jahrelangen Beratungen, an denen neben dem preußischen Staatsministerium und den Landwirtschaftskammern auch die „Landschaften" beteiligt waren, 9 wurde am 20. August 1906 ein „Gesetz, betreffend die Zulassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forst-
5 Siehe dazu vor allem die in MWG I/4 a b g e d r u c k t e n Schriften und Reden Max Webers. 6 Siehe u. a. Weber, Max, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen, in diesem Band abgedruckt, oben, S. 9 2 - 1 8 8 . 7 Mauer, Hermann, Die Entschuldungsaktion der Ostpreußischen Landschaft kaufmännisch betrachtet, in: J a h r b u c h für G e s e t z g e b u n g , Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 32. Jg., 1908, S. 2 0 7 - 2 2 3 ; ders., Die Bedeutung der Entschuldungsaktion der Ostpreußischen Landschaft für die Pfandbriefinhaber, in: Bank-Archiv, Nr. 1 v o m 1. Okt. 1907, S. 7 - 9 ; ders., Die Mündelsicherheit der Ostpreußischen landschaftlichen Schuldverschreibungen, ebd., Nr. 3 vom I . N o v . 1907, S. 40f.; sowie ders., Zur Frage der Mündelsicherheit der Ostpreußischen landschaftlichen Entschuldungspapiere, ebd., Nr. 11 v o m 1. März 1908, S. 1 6 8 - 1 7 1 . 8 Siehe dazu u. a. Weber, Max, Die Verhandlungen der Preußischen Agrarkonferenz (1894), in: MWG I/4, S. 4 8 3 - 4 9 9 . 9 Z u m G a n g der Beratungen und den Vorschlägen der einzelnen Gremien siehe: Übersicht über die Entwickelung der Frage der Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes in Preußen und ihre Überführung in die Praxis unter besonderer Berücksichtigung der ostpreußischen Entschuldungsaktion. Von Dr. V. G.-B. - Halle: Otto Thiele (Hallesche Zeitung) 1908, S. 2 0 - 4 8 .
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Kredit- und
Agrarpolitik
wirtschaftlich genutzte Grundstücke" v e r a b s c h i e d e t . 1 0 Dieses Gesetz bestimmte keineswegs eine obligatorische Verschuldungsgrenze, sondern erlaubte nur, daß ein Grundstücksbesitzer eine solche freiwillig im G r u n d b u c h eintragen ließ. Dabei hatte sich die Verschuldungsgrenze an der Beleihungsgrenze der für die Durchführung des Gesetzes z u s t ä n d i g e n Kreditanstalten zu orientieren. Damit war eine Voraussetzung für eine großangelegte Entschuldungsaktion geschaffen: Demjenigen Besitzer, der eine solche freiwillige B e s c h r ä n k u n g auf sich nahm, sollte, so der u m f a s s e n d e Plan, die A b l ö s u n g seiner G r u n d s c h u l d e n erleichtert werden, etwa durch eine teilweise U m w a n d l u n g der nachträglich a u f g e n o m m e n e n , häufig sehr teuren Privathypotheken in amortisierbare, niedrig verzinsliche und unkündbare Anstaltshypotheken. Das eigentliche Entschuldungsverfahren war nicht Bestandteil des Gesetzes, sondern wurde den d a z u g e e i g n e t e n Kreditinstituten, allen voran d e n „Landschaften", a u f g e g e b e n . Demgemäß trat das Gesetz auch nicht sofort in Kraft. Dies sollte erst nach der A u s a r b e i t u n g der Modalitäten in den einzelnen Landesteilen durch königliche Verordnung geschehen. Von den in Frage k o m m e n d e n Kreditinstituten nahm nur die „Ostpreußische Landschaft" diese Herausforderung an. A m 6. Dezember 1906 legte der nur w e n i g e Monate zuvor zu deren Generaldirektor gewählte preußische Verwaltungsjurist Wolfgang K a p p die Denkschrift „Betrifft Entschuld u n g land- und forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke" sowie einen detaillierten E n t s c h u l d u n g s p l a n vor. 11 Diesem Plan zufolge sollten den Besitzern verschuldeter Güter, so sie sich der Verschuldungsgrenze unterwarfen, zur A b l ö s u n g der teuren Privathypotheken von der „Ostpreußischen Landschaft" günstigere Taxierungsgrundsätze, eine v o r ü b e r g e h e n d e Erhöhung der landschaftlichen Beleihungsgrenze von bisher 2 / 3 auf nunmehr 5 / 6 des Taxwertes sowie zusätzliche Kredite gewährt werden, die in der öffentlic h e n Diskussion unter d e m Begriff „Spannungskredite" zusammengefaßt wurden. Nach der Z u s t i m m u n g der Generallandschaftsdirektion am 11. Dezember u n d des Plenar-Kollegiums am 18. Dezember 1906 1 2 w u r d e der E n t s c h u l d u n g s p l a n d e m 47. Generallandtag überwiesen. Dieser tagte v o m
10 GS 1906, S. 389-393; siehe dazu auch Leweck, R.: Gesetz, betreffend die Zulassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke vom 20. August 1906 (GS. S.389) nebst Ausführungsvorschriften und den Entschuldungsmaßregeln der Ostpreußischen Landschaft unter Benutzung der amtlichen Quellen bearbeitet und erläutert. - Berlin: J. Guttentag 1908, S. 36-70. 11 Abgedruckt als Vorlage 22: „Entschuldungsvorlage", in: Bericht der Ostpreußischen General-Landschafts-Direktion und des Plenar-Kollegiums der Ostpreußischen Landschaft an den ordentlichen 47. General-Landtag. - Königsberg: o.V. 1907, Anhang hinter Drucksache 74. Die Denkschrift ist auch veröffentlicht bei Leweck, Gesetz, S. 158-209. 12 Siehe dazu u. a. S. 1 der in Anm. 11 genannten Vorlage 22.
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Bericht
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15. bis 19. Februar 1907 in K ö n i g s b e r g und stimmte d e m Projekt nach e i n g e h e n d e n Verhandlungen zu, j e d o c h nicht ohne einige Veränderungen vorzunehmen. 1 3 Im Herbst 1907 wurde die Entschuldungsvorlage der „Ostpreußischen Landschaft" im Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten unter Hinzuziehung anderer Provinzial-Kreditinstitute beraten, die mehrheitlich eine a b l e h n e n d e Haltung einnahmen, so daß das Projekt zeitweise zu scheitern drohte. 1 4 A m 23. März 1908 ergingen j e d o c h schließlich eine königliche Verordnung bzw. v e r s c h i e d e n e königliche Erlasse, die zum einen das Gesetz vom 20. August 1906 über die Einführung einer Verschuld u n g s g r e n z e für die Provinz Ostpreußen und kleinere Teile Westpreußens sowie zum anderen, neben weiteren Ä n d e r u n g e n des „Landschaftsreglements", den Entschuldungsplan mit g e r i n g f ü g i g e n A b w a n d l u n g e n als „I. N a c h t r a g zur Ostpreußischen L a n d s c h a f t s - O r d n u n g v o m 7. Dezember 1891" in Kraft setzten. 1 5 Max Weber erörtert in seiner A b h a n d l u n g die s c h o n öffentlich diskutierten volkswirtschaftlichen Wirkungen dieser „Entschuldungsaktion" sowie eine Reihe von Spezialfragen, wie etwa die „Mündelsicherheit" der Entschuld u n g s p a p i e r e . Er kommt im großen und g a n z e n zu derselben negativen Einschätzung wie Hermann Mauer und stützt diese mit weiteren A r g u m e n ten. Darüber hinaus berührt Max Weber im letzten Abschnitt 1 6 einen weiteren Plan Wolfgang K a p p s , den dieser am 11.Januar 1908 in einer Denkschrift vorgelegt hatte. 1 7 D a n a c h wollte die „Ostpreußische Landschaft" auch auf d e m Gebiet der „Inneren Kolonisation" aktiv werden. Mit Hilfe einer von ihr g e g r ü n d e t e n „Ansiedelungsbank" sollten „die Seßhaftmachung landwirtschaftlicher Arbeiter" und „die Vermehrung und Erhaltung kleinerer Bauern-
13 Verhandlungen des ordentlichen 47. General-Landtages der Ostpreußischen Landschaft, der landschaftlichen Feuersozietät und der Bank der Ostpreußischen Landschaft. - Königsberg: Hartungsche Buchdruckerei 1907, Insb. S. 18-27, 43-47, 77-83. Eine mit Erläuterungen versehene Gegenüberstellung der ursprünglich von Wolfgang Kapp vorgelegten und jener vom Generallandtag am 19. Februar 1907 beschlossenen Fassung findet sich ebd., Vorlage 22: „Entschuldungsvorlage", 2. Aufl., S. 45-59. 14 Übersicht, S. 101 ff. 15 Zur Verordnung hinsichtlich der Einführung der Verschuldungsgrenze siehe GS 1908, S. 65; der Erlaß hinsichtlich der Genehmigung zur Änderung der Landschaftsordnung sowie der Wortlaut des Entschuldungsplans in der von der Allerhöchsten Bestätigungsorder festgesetzten Fassung sind abgedruckt bei Leweck, Gesetz, S. 86-146. 16 Vgl. unten, S.354. 17 Kapp, Wolfgang, Betrifft die innere Kolonisation und ihre Organisation für die Provinz Ostpreußen, als Mittel gegen die Entvölkerung des platten Landes und den Arbeitermangel in der Landwirtschaft, in: Bericht der Ostpreußischen General-Landschafts-Direktion und des Plenar-Kollegiums der Ostpreußischen Landschaft an den außerordentlichen 48. General-Landtag. Vorlage 2: „Kolonisations- und Landarbeitervorlage". - Königsberg: o.V. 1908, S. 5 - 4 7 .
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Kredit- und Agrarpolitik
stellen" gefördert werden. 1 8 Max Weber hatte dem Gedanken der „Inneren Kolonisation", d. h. der Stützung des kleineren und mittleren Grundbesitzes in den von der Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte besonders betroffenen östlichen Provinzen Preußens, stets positiv gegenübergestanden. 1 9 Auf die Vorschläge Kapps, die letztlich nicht verwirklicht wurden, 2 0 reagiert er jedoch mit Skepsis. Er befürchtet, daß hier in erster Linie der Interessenstandpunkt der Großgrundbesitzer vertreten werde.
Zur Überlieferung
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Edition
Ein Manuskript Ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter der Überschrift „Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften" im Bank-Archiv. Zeitschrift für Bank- und Börsenwesen, 8.Jg., Nr. 6 vom 15. Dezember 1908, S. 8 7 - 9 1 , erschien (A). Im ersten Teil der Abhandlung gibt Max Weber, zum Teil sehr komprimiert, die Gedanken Hermann Mauers über das landschaftliche Kreditwesen Preußens 1 wieder. Um dem Leser den Nachvollzug zu erleichtern, wird dieser Teil ausführlich erläutert. Dabei orientiert sich die Kommentierung Im wesentlichen an den Ausführungen Mauers, ohne diese Im einzelnen - Ausnahmen bilden die angegebenen Gesetzes- und Verordnungstexte - einer gesonderten Überprüfung zu unterziehen.
18 Ebd., S. 26. Ein Statutenentwurf für die geplante „Ansiedelungsbank" findet sich ebd., S. 4 9 - 6 0 . 19 Siehe dazu u. a. Weber, Max, Die deutschen Landarbeiter [Korreferat auf dem 5. Evangelisch-sozialen Kongreß am 16. Mai 1894], in: MWG I/4, S . 3 1 3 - 3 4 1 . 2 0 Über das weitere Schicksal des Projekts, dem in dieser Form die preußische Regierung ihre Unterstützung versagte, informiert ein ausführliches Memorandum Wolfgang Kapps vom 8. Januar 1909 „Innere Kolonisation und Selbstverwaltung. Denkschrift über die Organisation der inneren Kolonisation in der Provinz Ostpreußen", 2. Aufl. - Königsberg: o.V. 1909. 1 Siehe oben, S. 328, Anm. 2.
Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften
Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle auf die Schrift des Herrn Dr. H[ermann] Mauer über diesen Gegenstand 1 ' aufmerksam machen zu dürfen, welche in der Gegenwart, wo die Landschaften 1 berufen scheinen, aktiver als seit langer Zeit in die wichtigsten agrarpolitischen Probleme einzugreifen, sicherlich besonders lesenswert ist. An Literatur (auch recht wertvoller) über die Landschaften fehlte es nicht. 2 Aber die Art der bisherigen Bearbeitungen des Materials reichte doch nicht aus, um das eigentlich zentrale, zwar auch gelegentlich erörterte, aber streitig gebliebene Problem zu entscheiden, welches Dr. Mauer mit Recht in den Vordergrund seiner Arbeit gestellt hat: Welches waren die Wirkungen der Kreditpolitik der Landschaften auf die Agrarverfassung?3 das heißt: 1. auf die Verteilung des Bodens nach Besitzgrößen und 2. auf die innere Eigenart des landwirtschaftlichen Betriebes? Die Darstellung Mauers zeigt, daß in beiden Richtungen die Einwirkung der durch die Existenz der Landschaften rechtlich und praktisch privilegierten Kreditfähigkeit des adligen und sonstigen großen Grundbesitzes sehr bedeutend gewesen ist. Die Landschaften sind ja weder noch waren sie jemals etwas einer einfachen Hypothekenbank ähn-
'' Das landschaftliche Kreditwesen Preußens, agrargeschichtlich und volkswirtschaftlich betrachtet. (Abhandlungen] des Staatswiss[enschaftlichen] Seminars zu Straßburg i. E. 4 Straßburg, Trübner 1907.)
1 Zu den „Landschaften" als wichtigen Kreditinstituten des adeligen Großgrundbesitzes in Preußen siehe den Editorischen Bericht, oben, S. 327-332. 2 Eine Übersicht über die umfangreiche Literatur zu diesem Thema findet sich bei Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 201 -206. 3 Bei Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, heißt es im Vorwort, S. III, daß es der Zweck der Arbeit sei, „die Beziehungen zwischen Kreditsystem und Agrarverfassung" klarzulegen und aufzuzeigen, „wie das Kreditsystem die Entwicklung der Landwirtschaft überhaupt volkswirtschaftlich beeinflußt hat." Siehe dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 328. 4 Der korrekte Reihentitel lautet: „Abhandlungen aus dem Staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg i. E.".
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liches.5 Sie waren und sind insbesondere keine GläubigergeseWschaften. Sondern sie waren ursprünglich gegründet als Standesinstitute des geldbedürftigen Adels und waren also Organisationen von Schuldnern, aktuellen sowohl wie potenziellen. Der Kursstand der Pfandbriefe beruhte ursprünglich neben der rein dinglichen (grundschuldmäßigen) Haftung des beliehenen Gutes auf der Haftung der Landschaft als Korporation.6 Die Kreditwürdigkeit der Korporation wiederum war gesichert durch die Haftung aller, auch der zurzeit nicht verschuldeten, der Landschaft angeschlossenen Güter, und dieser Anschluß war bei 4 von den 5 im 18. Jahrhundert gegründeten Instituten nicht freiwillig, sondern ipso jure begründet 7 für alle nach ihrer ständischen Qualität dazu geeigneten Güter des betreffenden Bezirks. Noch während des ganzen ersten Dreiviertels des 19. Jahrhunderts waren in den Landschaften, außer der ostpreußischen seit 1808 (für die Köllmer, 8 für die Bauern über-
5 Im Gegensatz zu den „Landschaften" als genossenschaftlichen Kreditinstituten des adeligen Grundbesitzes waren die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Hypothekenbanken In aller Regel Aktiengesellschaften, die das Pfandbriefgeschäft zum Zwecke eigenen Erwerbs betrieben. 6 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schufen die von den „Landschaften" ausgegebenen Pfandbriefe für Ihre Inhaber zwei Rechtsbeziehungen, eine mit dem Schuldner, der mit dem beliehenen Gut „dinglich" haftete, die andere mit der „Landschaft" als Korporation. Die obligatorische Haftung der „Landschaft" kam in der „Generalgarantie" zum Ausdruck, mit der den Pfandbriefinhabern für die Erfüllung ihrer Forderungen die Haftung der Inkorporierten Güter zugesichert wurde. Im Laufe der Zeit verlor die „dingliche" Haftung des beliehenen Gutes immer mehr an Bedeutung. Die Gläubiger besaßen schließlich nur noch das Forderungsrecht gegenüber der „Landschaft". Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 3 - 7 . 7 Es handelt sich dabei um die „Schlesische Landschaft" (1770), das „Kur- und Neumärkische Ritterschaftliche Kreditinstitut" (1777), die „Pommersche Landschaft" (1781), die „Westpreußische Landschaft" (1787) und die „Ostpreußische Landschaft" (1788). Während sich die Gutsbesitzer dem „Kur- und Neumärkischen Ritterschaftlichen Kreditinstitut" freiwillig anschlössen, waren In den vier übrigen „Landschaften" alle Besitzer aufnahmefähiger Güter „Ipso Iure" - wörtlich: „durch das Recht selbst" - Inkorporiert. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 2. 8 Die „Köllmer" (oder „Kölmer"), eine zur Zelt des Deutschen Ordens unter anderem im späteren Ostpreußen angesiedelte Gruppe von Bauern mit guten Besitzrechten, die dem Adel In rechtlicher und sozialer Hinsicht recht nahe standen, hatten bereits im Jahre 1798 die Aufnahme In die „Ostpreußische Landschaft" beantragt. Ihre Inkorporierung erfolgte jedoch erst Im Zusammenhang mit der Aufnahme der Domänen In die „Landschaft" (siehe unten, S. 341, Anm.34) Im Jahre 1808. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 74-80.
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haupt seit 1847-49), 9 entweder geradezu nur die Rittergüter 10 oder doch nur Güter mit einem erheblichen Werte inkorporiert.11 Bis Mitte des Jahrhunderts beliehen ferner die Landschaften (außer der ostpreußischen) normalerweise Bauerngüter überhaupt nicht oder 5 nur, wenn sie sich in der Hand von Adligen befanden. Auch als im Gefolge der Ereignisse von 1848 die Regierung einerseits, ein Teil der Landschaften andererseits, die Organisation des bäuerlichen Kredits in die Hand nahmen, bedeutete dies Vorgehen nicht etwa deren Zulassung als Korporationsmitglieder zur Landschaft (außer 10 in Ostpreußen) 12 und standen auch die Taxkosten und Formalien der Benutzung des Landschaftskredits durch die Bauern dauernd im Wege. - 1 3 Bis Ende der 70er Jahre blieb daher die Bedeutung der Landschaften für den Kreditbedarf der Bauern überhaupt gering. Die Sparkassen auf der einen Seite (infolge ihrer bequemeren
9 Am 9. Oktober 1847 stimmte die überwältigende Mehrheit des Generallandtages der „Ostpreußischen Landschaft" für die Aufnahme der Bauern in die „Landschaft", um auch „dem Bauernstande einen neuen Weg der Kapitalbeschaffung zu erschließen." Die preußische Regierung bestätigte diesen Beschluß erst am 4. Mai 1849 (GS 1849, S. 182). Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 114f. 10 Rittergüter waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein mit adeligen Vorrechten ausgestatteter Besitz. Mit der Rittergutseigenschaft waren in der Regel Steuerfreiheit und das Recht auf Landstandschaft verbunden. 11 Die bei der Gründung der einzelnen „Landschaften" aufgestellten „Landschaftsreglements" bestimmen grundsätzlich den Ausschluß des nichtritterschaftlichen Grundbesitzes von der Teilnahme an der „Landschaft". In manchen Reglements war dies sehr deutlich ausgesprochen, in anderen wurde die Aufnahmefähigkeit von Gütern zwar nur von der Höhe ihres Wertes abhängig gemacht, jedoch so definiert, daß letztlich nur Bauernhöfe in der Hand von Rittergutsbesitzern beleihungsfähig waren. Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 99f. 12 Anders als in Ostpreußen wurden in den übrigen Provinzen die Bauern nicht in die „Landschaften" inkorporiert. Nicht zuletzt auf Druck der preußischen Regierung wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts - vorwiegend in enger Verbindung mit den alten „Landschaften" - neue Kreditinstitute für den Rustikalbesitz geschaffen; so etwa die „Neue Westpreußische Landschaft", der „Pommersche Land-Kreditverband" und das „Neue Brandenburgische Kreditinstitut". Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 117 ff. 13 Obwohl die Bauern schließlich in die „Ostpreußische Landschaft" aufgenommen waren (siehe oben, Anm.9), erhielten nur wenige ein landschaftliches Darlehen. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 130ff., führt dies in erster Linie darauf zurück, daß die Taxprinzipien, die für die größeren Güter entwickelt worden waren, den besonderen Bedingungen des bäuerlichen Grundbesitzes, etwa bei der Bewertung von Baulichkeiten, nicht Rechnung trugen. Ferner hätten aber auch „der Zeitaufwand, den die Beleihung erforderte, die hohen Taxkosten und die Formalien" zahlreiche Bauern abgeschreckt.
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Beleihungsformalien), 1 4 die Hypothekenbanken auf der anderen (infolge ihrer höheren Beleihungsgrenze) 1 5 waren meistens übermächtige Konkurrenten. Erst mit dem Einsetzen der spezifisch agrarischen Bewegung in den 90er Jahren 16 änderte sich dies zunehmend: das bedrohte politische Herrschaftsinteresse des Großgrund- 5 besitzes zeitigte das Bestreben, die Bauern ökonomisch an sich zu fesseln, so daß heute die (relativ betrachtet, noch immer nicht erhebliche) Zahl von 55 000 Bauernbesitzungen landschaftlich beliehen 1 7 und eine fühlbare Konkurrenz gegen die Sparkassen als Kreditgeber im Entstehen begriffen ist. 10 Das Fortschreiten des Landschaftskredits (innerhalb des Bereichs seiner Zuständigkeit) auf Kosten des Privatkredits hat sich in der Gestalt vollzogen, daß in dem Jahrhundert bis 1870 der Landschaftskredit zwar langsam an Boden gewann, aber mit Rück-
14 Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurden zumeist von Städten und Kommunen Sparkassen gegründet. Man wollte damit den minderbemittelten Bevölkerungsteilen die Möglichkeit zur Anlage kleinerer Ersparnisse geben. In den 1850er Jahren begannen die Sparkassen auch das Kreditgeschäft zu betreiben. Da die örtlichen Institute „den Kredit gewissermaßen ins Haus bringen" konnten und beispielsweise Darlehensanträge auch mündlich entgegennahmen, trugen sie, wie Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 143f., schreibt, „dem bäuerlichen Charakter und der bäuerlichen Eigenart Rechnung" und waren deshalb auf diesem Gebiet äußerst erfolgreich. 15 Bis zum Ende der 1870er Jahre lag bei einer Reihe von „Landschaften" die Beleihungsgrenze bei der Hälfte des Taxwertes, während die auf kaufmännischer Grundlage agierenden Hypothekenbanken (vgl. oben, Anm.5) Kredit bis zu zwei Dritteln gewährten. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 141 ff. 16 Max Weber meint hier vermutlich die agrarische Protestbewegung, die sich als Reaktion auf die unter Reichskanzler Leo von Caprivi 1892/93 abgeschlossenen Handelsverträge und die damit einhergehende Zollsenkung formierte. Die Strukturkrise der Landwirtschaft hatte sich in dieser Zeit zugespitzt und zu einem erheblichen Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte geführt. Ihren stärksten Ausdruck fand die agrarische Bewegung in dem 1893 gegründeten „Bund der Landwirte" (BdL), der sich bald zu einer Massenorganisation von mehreren hunderttausend Mitgliedern entwickelte. Dabei ging es dem BdL, dessen Führung in den Händen der ostelbischen Großgrundbesitzer lag, nicht nur darum, die Existenzbedingungen der Landwirtschaft, etwa durch staatliche Subventionen und die Wiedereinführung von Schutzzöllen, zu verbessern, sondern ganz generell um das Ziel, die führende Stellung der Agrarier im Staate gegenüber dem Aufstieg der Industriellen zu erhalten. 17 Diese Angabe findet sich bei Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 154. Die Entwicklung ergab sich vor allem daraus, daß einerseits der Kreis der bepfandbriefungsfähigen Güter erweitert, andererseits auch die bisher anders verfahrenden Institute ihre Beleihungsgrenze auf zwei Drittel des Taxwertes hinaufsetzten. Ebd., S. 146ff.
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Schlägen: als während der Agrarkrisis der 20er Jahre18 die ostpreußische Landschaft ein Viertel aller beliehenen Güter administrieren lassen mußte und die Landschaften, ängstlich geworden, nun mit Reduktion der Taxen, die bis dahin Teil ausdrücklich, teils faktisch 2 h des Wertes betragen hatten, auf V2 vorgingen, 19 dann, als in den 30er Jahren die Einführung der Amortisation erfolgte, 20 hatte der Privatkredit zeitweise den Vorsprung. Erst in der Zeit von 1870 bis 1900 hat für die Beleihung innerhalb der Landschaftstaxe der Landschaftskredit endgültig die Oberhand gewonnen. 21 Die Entwicklung der Bodenkreditpolitik der Regierung hat, von ihrem rein ständischen Ausgangspunkt: Befriedigung des Kreditbedürfnisses nur des Adels, mancherlei Wandlungen durchgemacht. Die Ansätze liberaler Kreditpolitik nach 1807 (Aufnahme der Köllmer in die ostpreußische Landschaft) 22 gerieten alsbald ins Stocken und machten nach der Agrarkrisis der 20er Jahre einer rein repressiven Politik Platz: Aufrechterhaltung der Verschuldungsgrenze, Erschwerung auch der Landschaftsbeleihungen. Diese wich dann, zuerst 1843 (Aufhebung der Verschuldungsgrenze), 23 und entschieden
18 Nicht zuletzt infolge sehr guter Ernten in den Jahren 1819-21, für die es keine entsprechende Nachfrage gab, brachen die Getreidepreise ein. Ihren Höhepunkt fand die daraus resultierende Agrarkrise im Jahre 1825, als der Preis für Brotgetreide in Deutschland auf rund 23% seines Standes von 1817 sank. Vgl. dazu Abel, Wilhelm, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, 3. Aufl. - Hamburg/Berlin: Paul Parey 1978, S. 225f. 19 Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S.35ff. 20 Im Zuge einer allgemeinen Herabsetzung der Pfandbriefzinsen gingen die „Landschaften" in den 1830er Jahren zum „Amortisationssystem" über. Dabei mußten die Schuldner die Zinsen in der alten Höhe weiterzahlen. Der Differenzbetrag sollte zu „Amortisationszwecken", d.h. zur Tilgung des Kredits, verwendet werden. Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S.39 und S. 165-177. 21 Diese Einschätzung geht auf Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 44-47, zurück. In den Jahren 1870-1905 sei „der Kampf zwischen dem Individualkredit und dem organisierten Kredit" endgültig zugunsten des letzteren entschieden worden, ebd., S.47. Eine statistische „Übersicht über die Entwicklung der landschaftlichen Kredit-Institute", ebd., S. 182-185, macht die Steigerung der landschaftlichen Beleihungstätigkeit In den genannten Jahren deutlich. 22 Siehe oben, Anm. 8. 23 Das Edikt vom 14. September 1811 begrenzte die zulässige Verschuldung für die durch die Regulierung (vgl. dazu unten, Anm. 31) neugeschaffenen Bauerngüter auf ein Viertel ihres Wertes (GS 1811, S. 290). Wegen der häufig existenzbedrohenden Kreditnot der Bauern hob eine Verordnung vom 29. Dezember 1843 (GS 1844, S. 17-18) die Verschuldungsgrenze jedoch auf. Vgl. dazu Mauer, Hermann, Die Verschuldungsgrenze für Bauerngüter in Preußen (1811-1843), in: AfSS, Band 24, 1907, S. 547-557.
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seit 1848 einer, wesentlich im negativen Sinne des Wortes: „liberalen" Politik der Verschuldungs/ra7ze/i, 24 an welche sich jedoch, in den ersten Ansätzen schon damals (Ausdehnung der landschaftlichen Beleihung auf die Bauern), entscheidend aber erst seit letzter Zeit, die positive Politik der Kredit Organisation25 (nunmehr auch für die Bauern) angeschlossen hat. Soweit der äußere Hergang. D i e Landschaften und ihre Art der Kreditgewährung sind ein Produkt des seit dem 15. Jahrhundert stetig zunehmenden kapitalistischen Charakters der Gutswirtschaft des deutschen Ostens. E s ist ja charakteristisch genug, daß die moderne Hypothek (und GrundA 88 schuld), | in ihrer Rechtsform nicht an das römische Institut gleichen Namens, sondern an die Kreditformen der mittelalterlichen Städte angelehnt (denen ja auch die Rechtsform unserer Staatsanleihen entstammt), zuerst 3 nicht in d e m ökonomisch und in seinem allgemeinen Kulturniveau so viel höher entwickelten Westen und Süden Deutschlands, auch nicht in Frankreich oder Italien, w o der Kapitalismus ein städtisches Gewächs, die ungeheure Überzahl der Landwirte dagegen Bauern waren, entstanden ist, sondern in unsrem städtearmen, getreidexportierenden Osten, w o der Kapitalismus seine Stätte auf dem platten Land aufgeschlagen hatte. D i e rheinisch-französische H y p o t h e k 2 6 war juristisch kein zu dauernder a A: zu erst
24 Max Weber spielt hier auf die Tatsache an, daß während der Revolution von 1848/49 die Eigentumsfrage ganz im Sinne klassisch liberaler Grundsätze behandelt wurde. Das Recht der freien Verfügung über das Grundeigentum wurde in Preußen sowohl in die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 (GS 1848, S.380) als auch in die revidierte Verfassung vom 31. Januar 1850 (GS 1850, S.22) aufgenommen. Zwar wurde in den folgenden Jahren, angesichts der Überschuldung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, wiederholt über die erneute Einführung einer Verschuldungsgrenze diskutiert, doch blieb das Prinzip der allgemeinen „Verschuldensfreiheit" unangetastet. Allerdings konnten Eigentümer nach dem 1906 verabschiedeten „Gesetz, betreffend die Zulassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke" (GS 1906, S. 389-393), das für Ostpreußen im Jahre 1908 in Kraft trat, auf freiwilliger Basis eine Verschuldungsgrenze im Grundbuch eintragen lassen. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.329f. 25 Insbesondere seit Beginn der 1880er Jahre setzte eine Bewegung zum Ausbau der bestehenden bäuerlichen Kreditorganisation ein, an der auch der Staat und die Kommunen, etwa durch die Gründung von Landeskreditkassen und Rentenbanken, beteiligt waren. 26 Bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896, das am I.Januar 1900 in Kraft trat, war im Deutschen Reich das Hypothekenwesen nicht einheitlich geregelt. Bis
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Vermögensanlage geeignetes Objekt, weil der Kredit der Kleinbauern zur schnellen Abzahlung bestimmt und das kleine, im Erbgang parzellierte, oft auch parzellenweise umgesetzte Bauerngut ökonomisch kein Pfandobjekt als Unterlage einer dauernden renten5 tragenden Vermögensanlage war und ist. Ein solches war dagegen das kapitalistisch bewirtschaftete, der Regel nach geschlossen verkaufte und vererbte große Gut des Ostens. Daher ist die Rechtstechnik der preußischen Hypothek schon im 18., endgültig im 19. Jahrhundert dem Pfandrecht weit entwickelterer Gegenden voran10 geeilt, 27 und erst das Bürgerliche Gesetzbuch hat die dort entwikkelten b Grundsätze der Legalität, Spezialität, Publizität und das Prinzip des „geringsten Gebots" auf das ganze Reich ausgedehnt. 28 b A: entwickelteren dahin galt im Südwesten Deutschlands das französische Recht. Anders als beim preußischen G r u n d b u c h (siehe Anm. 27), aus d e m der gesamte dingliche Rechtszustand eines Grundstückes, d . h . die Eigentumsverhältnisse, die etwa vorhandenen Hypotheken oder sonstigen Belastungen, ersichtlich wurde, war diese Transparenz hier nicht g e g e b e n . Diese rechtliche Unsicherheit war einer der Gründe dafür, daß Kredite in aller Regel nur kurze Laufzeiten hatten und auf baldige Rückzahlung der Schuld angelegt waren. Max Weber hat sich mit diesem System und einigen sich daraus e r g e b e n d e n Konsequenzen für potentielle Anleger 1895 in seinem Artikel „.Römisches' und .deutsches' Recht", in: MWG I/4, S. 5 2 6 - 5 3 4 , eingehend beschäftigt. 27 Bereits im 18. Jahrhundert hatte es in Preußen zahlreiche Ansätze zur Regelung des Hypotheken- und G r u n d b u c h w e s e n s g e g e b e n , die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Hypothekenordnung v o m 20. Dezember 1783 fanden. Eine Weiterentwicklung der dort aufgestellten Grundsätze brachte das „Allgemeine Landrecht" von 1794, so daß g e g e n Ende des 18. Jahrhunderts das preußische Hypothekenrecht in materieller und formeller Hinsicht sich den Erfordernissen des inzwischen erheblich erweiterten Kreditverkehrs angepaßt hatte und vor allem auf Sicherheit für d a u e r n d e Belastung zugeschnitten war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das preußische Hypotheken- und G r u n d b u c h w e s e n ständig ausgebaut. Als ein Ergebnis dieser Entwicklung ist das „Gesetz über den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke, Bergwerke und selbständigen Gerechtigkeiten" vom 5. Mai 1872 (GS 1872, S. 4 3 3 - 4 4 5 ) zu nennen. Zur Geschichte des preußischen Hypothekenwesens vgl. u.a. Weyermann, Moritz, Zur Geschichte des Immobiliarkreditwesens in Preußen mit besonderer N u t z a n w e n d u n g auf die Theorie der Bodenverschuldung. - Karlsruhe: G. Braunsche Hofbuchdruckerei und Verlag 1910. 28 Bereits das preußische Hypothekenrecht des 18. Jahrhunderts kennt die Prinzipien der „Legalität" (die G r u n d b u c h e i n t r a g u n g e n entsprechen der materiellen Rechtslage), der „Publizität" (die materielle Rechtslage und deren Ä n d e r u n g sind öffentlich einsehbar und damit kontrollierbar) sowie der „Spezialität" (das belastete Grundstück ist genau bezeichnet). Frühformen des Prinzips des „geringsten Gebots", w o n a c h bei Zwangsversteigerungen eine Minimalkaufsumme nicht unterschritten werden darf, zeigen sich bereits im 18. Jahrhundert im Widerspruchsrecht der „Landschaften" g e g e n alle Gebote, die ihre A n s p r ü c h e nicht vollständig decken. Diese Prinzipien finden sich wieder in d e n §§ 1113ff. des BGB/1896.
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Aus den Bedürfnissen des kapitalistischen landwirtschaftlichen 0 Betriebes ist auch die technisch vorzüglichste Kreditform: der Landschaftskredit - bei dem z. B. auch zuerst das Prinzip des „geringsten Gebots" auftritt - erwachsen. Diese ein Jahrhundert und mehr dauernde privilegierte Kreditgelegenheit des Gutsbesitzes, welche die Landschaften schufen, wirkte nun aber ihrerseits wieder überall 1. in der Richtung der Durchführung des rationellen, und das heißt: des kapitalistischen Betriebes auf den größeren Gütern, 2. aber auch; damit zusammenhängend, in der Richtung der Aufsaugung von Bauernland durch den größeren Grundbesitz. Die Erziehung zum kapitalistischen Betriebe förderten die Landschaften 1. durch die erhöhte Kapitalzufuhr: die erst durch sie, und nur für den Gutsbesitz, geschaffene Möglichkeit, überhaupt zu annehmbaren Sätzen Geld zu leihen, 2. aber auch ganz direkt durch die vorgeschriebene Taxierung der zu beleihenden Güter nach dem Ertrage: nur ein Fortschritt, aber auch jeder Fortschritt in den wirtschaftlichen Leistungen bedeutete für den Besitzer eine direkt berechenbare Erhöhung seines Vermögensstandards und seiner Chancen, jederzeit Geld zu erlangen, 3. durch die Einwirkung des Taxverfahrens auf die bäuerlichen Dienste und Lasten. Da bei der Taxierung das gehaltene Gesinde unter den Ausgaben figurierte, dagegen die Pflichtigkeiten der Bauern unter dem Ertrag, 29 so lag der Anreiz vor, Gesinde zu entlassen, und dafür die Pflichtigkeiten der Bauern (insbesondere auch ihre Pachtsumme) zu erhöhen, andererseits aber die Rechte der Bauern gegen das Gut, welche bei der Taxe als Belastungen in Ansatz kamen, mehr oder minder freiwillig abzulösen, wie dies namentlich in Schlesien und Pommern geschehen ist. - 3 0 Dazu trat nun der Einfluß des LandC A: kapitalistischen, landwirtschaftlichen
29 Die landschaftliche Taxkommission schätzte den Wert eines Gutes nach seinem Getreideertrag sowie nach den Einkünften aus der Viehzucht, d e m Obstbau, den Forsten, J a g d e n , der Fischerei und aus gewerblichen Nebenbetrieben. Ferner wurden auf der Einnahmenseite die bäuerlichen A b g a b e n verbucht. Dazu zählte unter anderem die jährlic h e Geldrente, die die Bauern für die A b l ö s u n g der Spanndienste den Gutsbesitzern zu entrichten hatten. Von d e m ermittelten Gesamtertrag wurden die dauernden Lasten, unter anderem der Gesindelohn, a b g e z o g e n . Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 25. 30 Wie sich Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 28f., entnehmen läßt, war in Pommern das Interesse der Gutsbesitzer vor allem auf den Abschluß neuer, für sie günstigerer Pachtverträge gerichtet. In Schlesien gingen sie dazu über, d e n Bauern die überkomme-
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schaftskredits auf die ßev/izVerschiebungen. In der für die Entwicklung der östlichen Agrarverfassung entscheidenden Periode der großen Reformen, welche sich an die Aufhebung der Erbuntertänigkeit anschlössen, war die grundlegende Frage: in wessen Hand der Boden, den die bis dahin erbuntertänigen Bauern bewirtschaftet hatten, bei der Regulierung 31 übergehen werde: in welchem Maße in die des Gutsherrn und in welchem in die des bisherigen Erbuntertanen? Während dieser Periode nun haben, nächst dem Verhalten der Regierung selbst, am stärksten die Landschaften mit ihrer Kreditpolitik zugunsten der Zusammenballung des Besitzes in der Hand der Gutsherren gewirkt. Die Landschaften, welche sich von Anbeginn an zu Surrogaten der alten Stände auszuwachsen suchten, haben gegen die „Regulierung" der Bauern mehrfach direkt protestiert. 32 Für Ostpreußen macht Mauer es wahrscheinlich, daß der Staat, welcher (1808) die Aufnahme seiner Domänen in die Landschaften wünschte, um Pfandbriefe für die Kriegskontribution unter Ausnutzung der Generalgarantie der Landschaft 33 ausgeben zu können, 34 dem Adel als Gegengabe einen Teil der Bauern geopnen Hütungs- und Holznutzungsrechte zu entziehen. Beide Vorgehensweisen liefen auf eine wesentliche Steigerung der anrechenbaren Einkünfte hinaus und steigerten den Taxwert eines Gutes beträchtlich. 31 Nachdem das „Befreiungsedikt" vom 9. Oktober 1807 (GS 1806 - 27. Okt. 1810, S. 170-173) die Erbuntertänigkeit der Bauern aufgehoben hatte, wurden in der Folge zahlreiche Gesetze und Verordnungen erlassen, die das grundherrlich-bäuerliche Verhältnis auf eine neue Basis stellten. So sah das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 (GS 1811, S. 281 -299) vor, daß die Bauern zwar das volle und freie Eigentum an den ehemals zum Gutsverbande gehörenden Höfen erhielten, die Gutsbesitzer jedoch für die verlorenen Abgaben und Dienste durch einen Teil der Hofstelle entschädigt würden. Weitere Verordnungen, wie etwa die Deklaration vom 29. Mai 1816 (GS 1816, S. 154-180), beschränkten den Umfang der Maßnahmen, indem nur noch größere Stellen In freien bäuerlichen Besitz umgewandelt werden durften. 32 Im Jahre 1812 wandten sich sowohl die „Schlesische" und die „Pommersche" als auch die „Ostpreußische Landschaft" an das preußische Finanzkollegium, um gegen einzelne Bestimmungen des Regulierungsedikts vom 14. September 1811 Einspruch einzulegen. Die Regierung lehnte jedoch alle Änderungsanträge ab. Vgl. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 15f. 33 Vgl. oben, Anm.6. 34 Da die Domänen das am leichtesten verfügbare Vermögensobjekt des Staates waren, erschien ihre Verpfändung als gangbarer Weg, die von Frankreich im Tilsiter Frieden vom 9. Juli 1807 geforderten hohen Kriegskontributionen aufzubringen. Zu diesem Zweck schlug Karl Freiherr vom Stein vor, die Domänen in die „Landschaften" aufnehmen und auf sie Pfandbriefe ausstellen zu lassen. Anfang Februar 1808 faßte der Generallandtag der „Ostpreußischen Landschaft" einen diesbezüglichen Beschluß. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 12f.
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fert hat. (Verordnung vom 14. Februar 1808.) 35 Die Landschaften suchten im Interesse der Sicherheit ihrer auf den Rittergütern ruhenden Darlehen auf der einen Seite die Regulierung der zu den Gütern gehörigen kleineren Bauernstellen (so der Dreschgärtner in Schlesien) mit teilweisem Erfolge zu hindern. 36 Aus dem gleichen Interesse heraus suchten sie auf der anderen Seite den Gutsbesitzer zu zwingen, das bisherige Bauernland, welches ihm bei der Regulierung zugewiesen wurde, zum Gutslande zu schlagen, statt es an Bauern zu veräußern. Sie hinderten Dismembrationen 37 von Gütern durch Herabsetzung ihrer Taxen, Nichtanrechnung von Teilen des Erbpachtkanons neugegründeter Stellen, 38 Kündigung ihrer Darlehen, Verlangen der Fortdauer der Haftung von abparzellierten oder neu geschaffenen Bauernstellen für die Landschaftsdarlehen und Eintragung dieser Haftung in das Grundbuch. Aber auch abgesehen von diesen direkten Maßregeln der Landschaft selbst wirkte, und zwar von Anfang ihres Bestehens an, die bloße Existenz des Landschaftskredits als eines Privilegs der Rittergüter bauernfeindlich. Er kam dem Güterhandel zugute, indem er den Kredit-
35 Die Verordnung vom 14. Februar 1808 (GS 1806 - 27.Okt. 1810, S. 189-193) regelt, unter welchen Bedingungen die Gutsherren bäuerliche Grundstücke zusammenziehen oder deren Ländereien in zum Hauptgut gehörendes sog. „Vorwerksland" verwandeln dürfen. Dadurch wurde die Einziehung von Bauernland erleichtert und der bisherige Schutz der Bauern weitgehend aufgehoben. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 13, hält es für „mehr als wahrscheinlich, daß man dem Adel diese Verordnung versprochen hatte, falls er den Widerspruch gegen die Aufnahme der Domänen aufgeben würde." 36 Im Zuge der preußischen Bauernbefreiung (siehe dazu oben, Anm.31) waren auch die schleslschen Dreschgärtner - kontraktlich gebundene Landarbeiter, die für ihre Dienste ein Stück Land sowie Ernte- und Dreschanteile erhielten - für regulierungsfähig erklärt worden. Dies wurde in der Deklaration vom 29. Mai 1816 im Grundsatz ausdrücklich bestätigt. Da der Wegfall der Dreschgärtnerdienste als Gefahr für die Existenz vieler oberschlesischer Gutsbesitzer angesehen wurde, suchte die „Schlesische Landschaft" die Regierung zur Aufhebung dieser Bestimmung zu bewegen. Mit der Verordnung vom 13. Juli 1827 (GS 1827, S. 79f.) wurde die Regulierungsfähigkeit der Dreschgärtner dann schließlich erheblich eingeschränkt. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 66f. 37 Mit „Dismembration" ist die Abtrennung von beträchtlichen Teilen des Gutsbesitzes, d. h. seine Parzellierung durch Veräußerung oder Verpachtung, gemeint. 38 Gemeint ist hier offensichtlich der Komplex der Leistungen, die die Bauern für die von ihnen in Erbpacht genommenen Ländereien gegenüber dem Gut zu erbringen hatten. Diese Einkünfte der Gutsbesitzer aus vererbpachteten Vorwerken und Hinterländereien wurden etwa in Pommern nur zur Hälfte bei der Taxierung veranschlagt, sofern sie mehr als ein Sechstel des Gutsertrages ausmachten. Diese und die folgenden Maßnahmen sind erwähnt bei Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 89-98,
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kauf erleichterte: das bedeutete praktisch, daß er den zur Landschaft gehörigen Gutsbesitzern, und nur ihnen, die Mittel zum Landaufkauf in die Hand gab. Ferner bedeutete es, daß er den Bodenpreis der zu den Bedingungen der Landschaft beleihungsfähigen Güter steigerte und ihn insbesondere über das Niveau der nicht von Seiten der Landschaft beleihungsfähigen, speziell: der bäuerlichen, hinaushob. Dies um so mehr, als die Regierung jede Organisation des bäuerlichen Kredits unterließ, ja, als gefährlich für die Bauern, direkt ablehnte, 39 der Bauer mit seinem Lande also faktisch kreditlos blieb, und als überdies der Preis der Bauerngüter durch die für den bäuerlichen Besitz bestehende Verschuldungsgrenze 40 noch unter sein sonst erreichbares Niveau gedrückt wurde. Der Ankauf von Bauernland zum Zweck der Zuschlagung zu größeren Gütern, welche dadurch entweder erst beleihungsfähig 41 wurden oder an Beleihungsfähigkeit stiegen, und ebenso auch die Schaffung neuer, beleihungsfähiger Großbesitzungen durch Zusammenkauf von Bauerngütern wurde dadurch ein in jedem Falle gutes Geschäft. Daneben dient der Landschaftskredit auch dem Zusammenkauf großer Güter in einer Hand, also der Bodenkonzentration überhaupt. Die aus diesem Grunde in Schlesien zeitweise eingeführte Bodenaufkaufsschranke bestand nur kurze Zeit. 42
39 Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 109f., zufolge ist die Bodenkreditpolitik, die der preußische Staat gegenüber dem bäuerlichen Besitz in der Zeit von 1820-48 verfolgte, durch die Maxime „ Weder Krediterleichterung noch Organisation des bäuerlichen Realkredits" bestimmt, da die Regierung befürchtete, daß den Bauern sonst „das Schuldenmachen erleichtert" würde. 40 Vgl. dazu oben, Anm. 23. 41 Die Beleihungsfähigkeit der Rittergüter wurde in einigen Landschaftsreglements dadurch eingeschränkt, daß Güter, auf die Pfandbriefe ausgefertigt wurden, einen Mindestwert oder -ertrag nicht unterschreiten durften. Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 55 und 86f. 42 Aufgrund der Erkenntnis, daß der Landschaftskredit von vielen Gutsbesitzern vor allem zum Zweck des Aufkaufs weiterer Güter In Anspruch genommen wurde, erließ Friedrich Wilhelm II. am 31. Dezember 1789 eine „Königliche Verordnung für Schlesien und die Grafschaft Glatz", die untersagte, daß ein Gutsbesitzer, der einen Kredit bei der „Landschaft" aufgenommen hatte, ein anderes Gut kaufe, ferner, daß bei einem Kauf der Käufer sein altes Gut oder das dazuerworbene in den folgenden fünf Jahren mit Pfandbriefen belaste. Die Entrüstung der schleslschen Gutsbesitzer bewirkte, daß die Verordnung bereits am 5. Mal 1790 suspendiert wurde. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 49ff.
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Die Arbeit von Dr. Mauer zeigt, daß Korporationen, welche auf der Grundlage sozialer Klassenzugehörigkeit erwachsen sind, gleichviel wie hoch man im übrigen ihren Wert einschätzt, doch unter allen Umständen in der spezifischen Richtung wirken, welche ihnen die Interessen jener sozialen Klasse vorzeichnen. 43 Es lag den Landschaften ja selbstverständlich so fern wie möglich, „bauernfeindliche" Politik treiben zu wollen. Gleichwohl haben sie, ohne ihr Wissen und Wollen, im Effekt eine solche getrieben. Es dürfte gut sein, sich gerade heute dessen zu erinnern, wo, dank namentlich der A 89 eifrigen und | erfolgreichen Arbeit des durch Intelligenz und gewinnende persönliche Eigenschaften gleich ausgezeichneten Generaldirektors der ostpreußischen Landschaft, 44 die Landschaften entschlossen zu sein scheinen, in zwei zentrale Probleme unserer Agrarpolitik tatkräftig einzugreifen: 1. in die innere Kolonisation, 45 2. in die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes. 46 Ein Blick
43 Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 158, resümiert, daß die von den „Landschaften" als korporativen Instituten der adeligen Gutsbesitzer betriebene Bodenkreditpolitik letztlich es der „begünstigten Klasse [...] leicht gemacht" habe, „ihren Besitz auf Kosten der von der Teilnahme an dem Kreditsystem ausgeschlossenen Klassen zu erweitern." 44 Es handelt sich hierbei um Wolfgang Kapp, der am 5. April 1906 vom außerordentlichen 46. Generallandtag zum Generaldirektor der „Ostpreußischen Landschaft" gewählt worden war. 45 Mit dem Schlagwort „Innere Kolonisation" wurden im Deutschen Reich gemeinhin alle Bemühungen und Maßnahmen zur Sicherung und Vermehrung des bäuerlichen Mittelstandes in den östlichen Gebieten Deutschlands bezeichnet. Zur Beschäftigung Wolfgang Kapps mit diesem Themenkomplex siehe den Editorischen Bericht, oben, S.331 f., sowie unten, S. 354, Anm. 79. 46 Zum „Entschuldungsplan" Wolfgang Kapps siehe den Editorischen Bericht, oben, 5. 330f. Die folgenden Ausführungen Max Webers basieren im wesentlichen auf der Denkschrift Wolfgang Kapps vom 6. Dezember 1906 sowie auf dem Entschuldungsplan der „Ostpreußischen Landschaft". Der Entschuldungsplan ist in mehreren Fassungen überliefert; die erste Fassung legte Wolfgang Kapp gemeinsam mit seiner Denkschrift am 6. Dezember 1906 vor, in: Bericht der Ostpreußischen General-Landschafts-Direktion und des Plenar-Kollegiums der Ostpreußischen Landschaft an den ordentlichen 47. GeneralLandtag. - Königsberg: o.V. 1907, Vorlage 22: „Entschuldungsvorlage", Anhang hinter Drucksache 74. Die vom 47. General-Landtag der „Ostpreußischen Landschaft" am 19. Februar 1907 verlangten Änderungen führten zur zweiten Fassung, die zusammen mit der ersten in synoptischer Präsentation abgedruckt ist in: Verhandlungen des ordentlichen 47. General-Landtages der Ostpreußischen Landschaft, der landschaftlichen Feuersozietät und der Bank der Ostpreußischen Landschaft. - Königsberg: Hartungsche Buchdruckerei 1907, Vorlage 22: „Entschuldungsvorlage", 2. Aufl., S. 4 5 - 5 9 . Als dritte Fassung gilt schließlich der Wortlaut des Entschuldungsplans, wie er als „I. Nachtrag zur
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auf diese Pläne möge die vorstehende Wiedergabe der Ergebnisse der besprochenen Schrift abschließen. Sprechen wir zuerst von der Entschuldungsfrage, welche Dr. Mauer in einem „Anhang" zu seiner Schrift 47 und seitdem mehrfach 48 (zuletzt, in Erwiderung auf eine Kritik seiner Ansichten durch Dr. Ffelix] Borchardt49 in Schmollers Jahrbuch, 32. Jahrgang 1908 3. Heft Seite 207f.) 50 behandelt hat. Die Grundlage der Entschuldungsaktion des Generallandschaftsdirektors Dr. Kapp darf bei den Lesern dieser Zeitschrift als bekannt vorausgesetzt werden. 51 Neben der Gewährung von Bodenkredit bis zur Zweidrittelgrenze soll künftig auch: 1. „Entschuldungskredit" bis zur Fünfsechstelgrenze, 2. „Spannungskredit" zu Meliorations-, Entschuldungs- und Rentenablösungszwecken gewährt, und dabei 3. die jetzige Taxe durch Wegfall des bisherigen Abzuges des 20fachen Grundsteuerbetrages und vor allem durch Erhöhung des zulässigen
Ostpreußischen Landschafts-Ordnung vom 7. Dezember 1891" durch königlichen Erlaß vom 23. März 1908 am 14. Mai 1908 in Kraft gesetzt wurde, abgedruckt bei Leweck, R., Gesetz, betreffend die Zulassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke vom 20. August 1906 (GS. S.389) nebst Ausführungsvorschriften und den Entschuldungsmaßregeln der Ostpreußischen Landschaft unter Benutzung der amtlichen Quellen bearbeitet und erläutert. - Berlin: J. Guttentag 1908, S. 86-146. 47 Gemeint ist der Anhang „Das landschaftliche Kreditwesen und die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes", in: Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 165-177. 48 Siehe dazu die In Anm. 51 genannte Literatur. 49 Borchardt, Verschuldung. 50 Mauer, Entschuldungsaktion. 51 Über den von Wolfgang Kapp im Dezember 1906 vorgelegten Entschuldungsplan (siehe Anm. 46) erschienen im „Bank-Archiv" mehrere Artikel: Gerlach, Otto, Die Entschuldung des ländlichen Grundeigentums, in: Bank-Archiv, Nr. 9 vom I.Febr. 1907, S. 108114; ders., Die Beschlüsse des Ostpreußischen General-Landtages über die Entschuldungsvorlage, ebd., Nr. 11 vom 1. März 1907, S. 148f.; v. Auerswald, Die Bedeutung der Entschuldungsaktion der Ostpreußischen Landschaft für die Pfandbriefinhaber, ebd., Nr. 10 vom 15. Febr. 1908, S. 156f.; Leweck, R., Die Mündelsicherheit der nach der Ostpreußischen Entschuldungsvorlage auszugebenden Pfandbriefe und MeliorationsSchuldverschreibungen, ebd., Nr.7 vom I.Jan. 1908, S. 100-104, und Nr. 12 vom 15. März 1908, S. 185-187; Mauer, Hermann, Die Bedeutung der Entschuldungsaktion der Ostpreußischen Landschaft für die Pfandbriefinhaber, ebd., Nr. 1 vom 1. Okt. 1907, S . 7 - 9 ; ders., Die Mündelsicherheit der Ostpreußischen landschaftlichen Schuldverschreibungen, ebd., Nr. 3 vom 1. Nov. 1907, S. 40f.; sowie ders., Zur Frage der Mündelsicherheit der Ostpreußischen landschaftlichen Entschuldungspapiere, ebd., Nr. 11 vom I.März 1908, S. 168-171.
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Taxzuschlages bei Gütern „mit besonders günstigen Wirtschaftsverhältnissen" von 15 auf 25 pCt. erhöht werden. 52 Dabei soll nun aber dennoch den Pfandbriefen der Landschaft, auch soweit sie zur Beschaffung der Mittel für Entschuldungskredit ausgegeben sind, wie bisher die Qualität der „ Mündelsicherheit"53 erhalten bleiben. 54 5 Der Generallandschaftsdirektor wirft als Gegengewicht gegen jene zweifellos sehr bedeutende Steigerung des Kreditrisikos - denn eine solche zu bestreiten, wäre angesichts des Umstandes, daß die zulässigen Kredite um etwa 75 pCt. höher sind als z.B. diejenigen der preußischen Zentralbodenkredit-Aktiengesellschaft, 55 in der 10
52 Zu den Grundsätzen des Entschuldungsplans siehe den Editorischen Bericht, oben, S.330f. Die Entschuldungsmaßregeln der „Ostpreußischen Landschaft", wie sie schließlich auch in Kraft traten, sahen von Anfang an ein dreistufiges Programm vor. Zum ersten wurde die Beleihungsgrenze von 2 / 3 auf 5 / 6 des Taxwertes erhöht (Abschnitt 1, § 1, Abs. 2; Leweck, Gesetz, S.88). Das neu hinzutretende Sechstel diente allein der Entschuldung. Neben dieses erhöhte Pfandbriefdarlehen konnte noch ein Sonderkredit treten, der in der Literatur gemeinhin als „Spannungskredit" bezeichnet wird. Er sollte in erster Linie zur Melioration, d. h. einer „dauernden Wertserhöhung des Gutes", etwa durch den Bau von Entwässerungsanlagen oder Arbeiterwohnungen, Urbarmachung oder Aufforstungen, verwendet werden, konnte aber subsidiär auch der weitergehenden „Entschuldung durch Abstoßung nacheingetragener Hypotheken und Grundschulden" dienen (Abschnitt 2, §§5 und 6; Leweck, Gesetz, S. 105-127). Ergänzt wurden diese Maßnahmen durch eine mögliche Erhöhung der Taxen, wobei die „zulässige Höchstgrenze des Taxzuschlages [...] von 15 auf 25%" gesteigert werden konnte, falls „alle Erfordernisse für die erhöhten Kapitalswerte zutreffen" und „individuelle Verhältnisse" gegeben waren, „die eine dauernde Wertsteigerung bedingen" und in den allgemeinen Taxsätzen „nicht voll zum Ausdruck kommen können" (Abschnitt 2, §3; Leweck, Gesetz, S. 98). Die von Wolfgang Kapp in Abschnitt 2, §3, Punkt 4, vorgeschlagene Regelung: „Die für das Taxgut veranlagte Grundsteuer wird nicht in Abzug gebracht" wurde bereits in der zweiten, vom Generallandtag im Februar 1907 verabschiedeten Fassung ersatzlos gestrichen, siehe: Verhandlungen des ordentlichen 47. General-Landtages, Entschuldungsvorlage, 2. Aufl., S.47. Gleichwohl ist auch bei Mauer, Entschuldungsaktion, S.212, davon noch die Rede. Es darf vermutet werden, daß sich Max Weber bei seiner knappen Referierung des „Entschuldungsplans" vor allem auf diese Studie aus dem Jahre 1908 stützt. 53 Begriff aus dem Vormundschaftsrecht. Der Vormund muß das Geld des Mündels sicher und verzinslich anlegen. An Wertpapieren darf er nur solche wählen, die von der Regierung als für die Mündelgeldanlage geeignet erklärt sind. 54 Die zu Entschuldungszwecken erfolgte Ausdehnung der Beleihungsgrenze auf 5/6 des Taxwertes berührte formal die „Mündelsicherheit" der Pfandbriefe nicht, da diese „von der Landschaft auf Grund staatlich genehmigter Satzungen ausgegeben werden", Leweck, Gesetz, S. 91. Allerdings war die Sicherheit dieser Papiere in der öffentlichen Diskussion umstritten. 55 Entsprechende Zahlenangaben für die Kreditgewährung seitens der am 21. März 1870 konzessionierten „Preußischen Central-Bodencredit-Actien-Gesellschaft" finden sich bei Mauer, Entschuldungsaktion, S. 214.
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Tat lächerlich - folgendes in die Wagschale: 1. daß die zu beleihenden Güter sich einer Verschuldungsgrenze zu unterwerfen haben, also, nach Amortisation der heutigen Nachhypotheken, vor Überlastung geschützt seien, 5 6 2. daß ein Risiko für die Pfandbriefgläubiger schon um deswillen nie bestehen könne, weil ja die Generalgarantie, schon wegen der Mithaftung der staatlichen D o mänen, „unbedingte" Sicherheit gewähre. 57 D a namentlich das zweite Argument eine gewisse Popularität erlangt hat, so sei darauf mit einigen Worten eingegangen und zunächst daran erinnert, daß die Aufnahme der Domänen in die Ostpreußische Landschaft (1808) 5 8 einen Sturz der ostpreußischen Pfandbriefe auf 33 pCt. (1812) 5 9 nicht gehindert hat, und daß, wie eben erwähnt, 60 jene Aufnahme nicht sowohl im Interesse der Landschaft, als vielmehr - gegen Konzessionen an den Adel - im Interesse des Staates durchgesetzt wurde, damit dieser in der Lage sei, unter Ausnutzung der Generalgarantie des landschaftlichen Grundbesitzes sich durch Aufnahme von Pfandbriefen Geld zu verschaffen. Man möge nicht glauben, daß eine Wiederholung solcher Eventualitäten in Zukunft „unmöglich" sei. Bis zu der Miquelschen
56 In seiner Denkschrift vom 6. Dezember 1906 rechtfertigt Wolfgang Kapp die Erweiterung des landschaftlichen Kredits unter anderem damit, daß „aus der Unterwerfung eines Gutes unter die Verschuldungsgrenze und die Schuldentilgungspflicht", d.h. die Ablösung der über den landschaftlichen Kredit hinaus aufgenommenen Privathypotheken, „ihm eine dauernde Besserung seiner Gesamtbelastung und eine Erhöhung seiner Rentabilität und Kreditwürdigkeit" erwachse. Bericht an den ordentlichen 47. General-Landtag, Entschuldungsvorlage, S. 12. 57 In seiner Denkschrift betont Wolfgang Kapp, daß die „Landschaft" bei der Entschuldungsaktion „unter allen Umständen auf die unbedingte Sicherheit der Pfandbriefsgläubiger" Bedacht nehmen müsse, und sieht diese in der Generalgarantie (siehe oben, S. 334, Anm. 6) gewährleistet, ebd., S. 17f. Ein expliziter Hinweis auf die Mithaftung der Domänen findet sich hier allerdings nicht. Möglicherweise folgt Max Weber hier Mauer, Bedeutung der Entschuldungsaktion, S.8, demzufolge entsprechende Äußerungen auf dem Generallandtag der Ostpreußischen Landschaft im Februar 1907 gefallen sein sollen. In den Verhandlungsprotokollen sind solche Äußerungen jedoch nicht nachgewiesen. 58 Siehe dazu oben, S. 341, Anm. 34. 59 Im Anschluß an die Niederlage Preußens gegen Frankreich sowie durch die von Napoleon verfügte Kontinentalsperre verschlechterte sich die Lage der Landwirtschaft erheblich. Infolge des erhöhten Kreditbedarfs der Gutsbesitzer sank der Pfandbriefkurs bereits in den Jahren 1809-11 auf rund 60%, um schließlich im Jahre 1812 mit rund 33 % seinen Tiefststand zu erreichen. Vgl. dazu Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, S. 32. 60 Siehe dazu oben, S.341f.
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Steuerreform 61 hatte der preußische Staat in der Grundsteuer sozusagen eine erste Hypothek auf den gesamten Landbesitz in der Hand, welche in schweren Notlagen, z. B. nach einem erfolglosen Kriege, jederzeit als wirklich absolut sichere Pfandunterlage zur Aufnahme von mehr als einer Milliarde zu den jeweilig billigsten Zinsen des Weltmarktes verwertbar war. Heute, wo dies verpfändbare Objekt dem Staat entzogen ist, würde der Gedanke, gegebenenfalls den gerade jetzt sich allmählich erweiternden staatlichen Domänenbesitz als Pfandobjekt zu verwenden, und zwar dann natürlich in Form von Pfandbriefaufnahme, um so den gesamten landschaftlichen Gutsbesitz mit haftbar zu machen, äußerst naheliegen, da in Zeiten schwerer Krisen der staatliche Eisenbahnbesitz 62 ja ein nur äußerst ungünstig zur Geldbeschaffung zu verwertendes Besitzobjekt darstellen würde. Unter diesen Umständen bedeutet die Mitaufnahme der Domänen in die Landschaft keineswegs einfach eine Erhöhung der Sicherheit, sie kann vielmehr ebensogut auch die Gefahr einer Risiko Steigerung in sich schließen. Dazu kommt nun aber, daß die vielberufene „Generalgarantie" eine, auch rein juristisch, ganz wertlose Schornsteinbürgschaft schon um deswillen darstellt, weil der Rückgriff auf die Garanten gar nicht im Belieben der Pfandbriefgläubiger, sondern umgekehrt in demjenigen der Schuldner liegt, indem sie einen Beschluß des Generallandtages voraussetzt und es keinen Rechtsweg gibt, um diesen zu erzwingen. 63 Da nun zu diesen Schuldnern, vermöge der Mithaftung der Domänen, auch der Staat gehört, so ist natürlich im Falle schwerer politischer Krisen gar nicht daran zu denken, daß er etwa sich veranlaßt sehen sollte, Maßregeln zu ergreifen, um die Landschaft zur Realisierung der auf dem Papier stehenden Generalgarantie zu zwingen. Vor 100 Jahren hat er den Schuldnern Moratorien bewilligt,64 und minde6 1 Der preußische Finanzminister J o h a n n e s von Miquel leitete zu B e g i n n der 1890er Jahre eine Steuerreform ein, die nicht nur die progressive Einkommensteuer brachte, sondern a u c h die Grundsteuern, die bis dahin d e m Staat z u g e f l o s s e n waren, d e n K o m m u n e n als wichtige E i n n a h m e q u e l l e überließ. 6 2 Seit 1879/80 waren zahlreiche E i s e n b a h n e n in Preußen verstaatlicht worden. U m die J a h r h u n d e r t w e n d e b e f a n d e n sich über 90 % d e s S t r e c k e n n e t z e s in staatlicher H a n d . 6 3 Die B e d e u t u n g der „Generalgarantie" (siehe oben, S . 3 3 4 , A n m . 6 ) als Sicherheit für d e n G l ä u b i g e r war in der Literatur umstritten. Während Mauer, Entschuldungsaktion, S. 220, sie aus d e n a u c h von Max Weber b e s c h r i e b e n e n G r ü n d e n für „praktisch wertlos" hält, tritt L e w e c k , Mündelsicherheit, S. 102f., dieser A u f f a s s u n g e n t s c h i e d e n entgegen. 6 4 Die Erteilung von „Generalindulten", bei d e n e n die G l ä u b i g e r zumindest zeitweise ihr Recht verlieren, fällige Leistungen zu fordern und einzuklagen, war n a c h längeren Krie-
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stens den Landschaften gegenüber würde er, in irgendwie ähnlich schwierigen Lagen, auch heute ähnlich handeln. Wenn die Interessenten es mit Vorliebe ablehnen, auf die Erörterung derartiger „fernliegender" Eventualitäten einzugehen, so ist das für den objektiv Urteilenden kein Grund, es nicht dennoch zu tun. Denn es geht schließlich doch nicht an, von kriegerischen Verwicklungen und ihren möglichen Folgen stets nur dann zu sprechen, wenn es sich um die (gewiß wünschenswerte) Vermehrung unserer Flotte 65 handelt, nicht aber dann, wenn in Frage steht, ob ein bestimmtes Papier geeignet sei, durch Zuerkennung der „Mündelsicherheit" den Vormündern zur Anlage des Vermögens von Waisen und ebenso (worauf Mauer mit Recht hinweist) 66 gerade den kleinsten Rentnern, welche nun einmal „mündelsichere" Papiere notorisch bevorzugen, anempfohlen zu werden. Hatte die Einleitung der Entschuldungsaktion, selbst in dem geringen Maßstabe, in welchem sie vorläufig in Angriff genommen werden sollte (10 Millionen Mark), einen Kursfall der Pfandbriefe von 6 pCt. herbeigeführt, 67 so kann, wenn auf dem betretenen Wege fortgeschritten wird, der Rückgang
gen durchaus üblich. Max Weber meint hier die „Verordnung w e g e n eines d e n Grundbesitzern zu bewilligenden General-Indults und w e g e n des Verfahrens in Moratorien-Sachen und bei gerichtlichen Exekutionen" vom 19. Mai 1807 (GS 1806 - 27. Okt. 1810, S. 1 4 9 153), die „sämmtlichen Grundbesitzern in Unsern Staaten" ein Generalmoratorium gewährte. Dieses Indult war in den einzelnen Provinzen, je nach wirtschaftlicher Lage, von unterschiedlicher Dauer. 65 Die maritime Aufrüstung, die von Wilhelm II. und d e m Chef des Reichsmarineamtes Alfred von Tirpitz seit Ende der 1890er Jahre forciert wurde, wurde g e g e n ü b e r der Öffentlichkeit mit d e m Argument gerechtfertigt, daß das Deutsche Reich über eine Schlachtflotte verfügen müsse, die anzugreifen für jeden Gegner ein ernsthaftes Wagnis bedeuten würde. Vor d e m Hintergrund der Verschlechterung des deutsch-englischen Verhältnisses kam es in den Jahren 1906 und 1908 zu zwei „Flottennovellen", die eine Intensivierung und Beschleunigung des Bauprogramms brachten. In der breiten Öffentlichkeit zeigte die damit einhergehende „Flottenpropaganda", wie sie insbesondere der 1898 g e g r ü n d e t e Deutsche Flottenverein betrieb, große Wirkung. 66 Mauer, Entschuldungsaktion, S. 221 f., betont, daß der Staat, indem er bestimmte Papiere für „mündelsicher" erklärt, weit über das eigentliche Gebiet des Vormundschaftsrechts hinaus „ b e s t i m m e n d in die Gestaltung der privaten Kapitalanlage" eingreife. Da g e r a d e „kleine solide Kapitalisten" bei ihrer Anlagepraxis nicht nach d e m Prinzip der Risikoverteilung vorgingen, sondern dazu neigten, „ihr ganzes Vermögen in ein und demselben .mündelsichern' Papier" anzulegen, fördere der Staat durch sein Handeln den Verkauf dieser Papiere. 67 Max Weber stützt sich hier vermutlich auf Mauer, Entschuldungsaktion, S. 220. Die Pfandbriefkurse fielen seit d e m Erscheinen der Entschuldungsvorlage von 9 6 , 5 % auf 90 %.
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im Fall politischer Verwicklungen überraschende Dimensionen annehmen. Dies um so mehr, als natürlich die im Falle der Gewährung von d Entschuldungskredit auf d das betreffende Gut einzutragende Verschuldungsgrenze - wie immer man auch sonst über dies Institut denken möge - , jedenfalls nicht geeignet ist, dessen Qualität als 5 P/ancfobjekt zu verbessern. Die Verschuldungsgrenze muß - und soll ja auch - den Verkaufswert des betreffenden Gutes (also das, worauf es für die Pfandsicherheit ankommt), drücken, ganz ebenso wie sie dies bis 1843 für das Bauernland 68 getan hat. Der Wegfall der Nachhypotheken muß in Krisenfällen die Zahl der Güter, welche 10 die Landschaft in der Subhastation 69 übernehmen muß, steigern. Und auch die Zahl der Zwangsversteigerungsanträge muß, da ja die Personalgläubiger nunmehr nur diese Form des Zugriffs auf das Gut besitzen, steigen, wie Loening70 und Dr. Mauer71 mit Recht hervorgehoben haben. Der „Amortisationszwang" endlich, so wün- 15 sehenswert er selbstverständlich ist, hat - wie Dr. Mauer im „Anhang" zu seinem Buche sehr gut nachgewiesen hat - in der Vergangenheit eine Entschuldung gar nicht in erster Linie bezweckt, sondern teils eine erhöhte Sicherung der Landschaft durch Erhöhung A 90 der | Leistungen des Schuldners, teils einen Sparzwang; das Til- 20 gungsguthaben konnte in gewissen Fällen zur freien Verfügung des Schuldners ausgeschüttet werden. 72 Auch heute kann dies, nach Til-
d A: Entschuldungskredit, auf 68 Vgl. dazu oben, S. 337, Anm. 23. 6 9 Öffentliche Zwangsversteigerung. 7 0 Loening, Verschuldungsgrenze. Loening wendet gegen die Einführung der Verschuldungsgrenze ein, daß diese es dem Gläubiger unmöglich mache, eine zusätzliche „Sicherungshypothek" eintragen zu lassen, und folglich die Güter relativ schnell In die Zwangsvollstreckung kommen würden, ebd., S. 513. 71 Mauer, Entschuldungsaktion, S.216, unterstützt Loening, Verschuldungsgrenze. Da den Gläubigern die Möglichkeit fehle, „durch Eintragung einer Sicherungshypothek Dekkung für Ihre Forderung zu erlangen", sei zu erwarten, „daß die Zahl der Zwangsversteigerungen nach Einführung der Verschuldungsgrenze slfch vermehren werde." 7 2 Mauer, Landschaftliches Kreditwesen, kommt i n \ i e m Anhang „Das landschaftliche Kreditwesen und die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes", S. 165-177, zu dem Ergebnis, daß die Im 19. Jahrhundert entwickelten Amortisationsbestimmungen der einzelnen „Landschaften" nicht „als geeignetes Mittel zur Herbeiführung einer Schuldentlastung des Grundbesitzes" erachtet werden können, da „die Tilgungsbeiträge nicht von der Schuld abgeschrieben", sondern in besonderen Fonds angesammelt wurden, die entweder als stille Reserve zur Konsolidierung der „Landschaften" dienten oder In Notzeiten an die Schuldner ausgeschüttet werden konnten.
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gung der Nachhypotheken, insbesondere zum Zweck von Erbregulierungen geschehen, und es ist die Verpfändung des Tilgungsguthabens auch zum Zweck der Beschaffung von Betriebskredit gestattet. 73 Es ist daher nicht sicher, daß die Amortisationszahlungen speziell der Erhöhung der Sicherheit der Pfandbriefe dienen. Wenn man alldem gegenüber nun darauf hinweist, daß die Entschuldung doch im schließlichen Effekt einer Erhöhung der allgemeinen Kreditwürdigkeit der Pfandbriefschuldner dienen müsse, so ist dazu zu bemerken: die Landschaft wird, ihren ganzen sozialen Substruktionen nach, wieder und wieder sich veranlaßt sehen, Grundbesitzer auch dann über Wasser zu halten, wenn sie dies, rein ökonomisch betrachtet, nicht verdienen. Sie kann, der Natur der Dinge nach, gar nicht die rein geschäftliche Qualifikation der zu Entschuldenden ausschließlich (nicht einmal vornehmlich) in Betracht ziehen. Mag daher unter anderen Gesichtspunkten ihr Effekt für noch so erwünscht gehalten werden: in welchem Grade sie die wirtschaftlichen Qualitäten des Durchschnitts der Grundbesitzer heben wird, ist eine ganz unsichere Rechnung. Die Zuerkennung der Mündelsicherheit an die auf Grund der Entschuldungsdarlehen ausgegebenen Papiere ist in jedem Falle wirtschaftlich ungerechtfertigt. Sie ist auch für den Zweck der Durchführung der Entschuldung, wie wiederum Mauer mit Recht betont hat, 74 keineswegs unentbehrlich. Der Kurs würde, nach Erfahrungen mit anderen Papieren, durch ihren Fortfall nicht wesent-
7 3 Die zweite und die dritte Fassung des Entschuldungsplans weichen in diesen Punkten von Wolfgang Kapps Fassung ab. In die beiden späteren Fassungen ist die Passage aufgenommen, daß „der angesammelte Betrag von Pfandbriefen unter gleichzeitiger Bewilligung eines gleich hohen neuen Pfandbriefsdarlehens zum Zwecke der Erbregulierung aus dem Tilgungsfonds entnommen und verwendet werden" dürfe. Verhandlungen des ordentlichen 47. General-Landtages, Entschuldungsvorlage, 2. Aufl., S.55, sowie Leweck, Gesetz, S. 129. Dementsprechend ist Kapps ursprünglicher Vorschlag gestrichen, daß dem Eigentümer ein Verfügungsrecht über das Guthaben des Tilgungsfonds nicht zustehen solle. Diese Streichung sollte auch die Verwendung von Beträgen aus dem Tilgungsfonds zum Zwecke der „Befriedigung von Betriebskredit" unter bestimmten Umständen möglich machen. Verhandlungen des ordentlichen 47. General-Landtages, Entschuldungsvorlage, 2.Aufl., S.55, Anm. 13-15. 7 4 Nach Mauer, Entschuldungsaktion, S.220, entbehrt „die Behauptung, daß die Entschuldungsaktion nicht durchzuführen sei, wenn den Entschuldungspapieren die Mündelsicherheit versagt würde, [...] jeder tatsächlichen Grundlage." Vielmehr müsse man sich „darüber klar sein, daß die Verleihung der Mündelsicherheit den Kurs eines Papiers im höchsten Falle um ein bis zwei Prozent steigern kann."
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lieh gedrückt werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das Bestehen darauf, mehr oder minder bewußt, den Zweck verfolgt, diese Papiere möglichst breiten Schichten kleinerer Rentner in die Hand zu spielen, um diese an der Aufrechterhaltung des exorbitanten Zollschutzes75 zu interessieren. Ein künftiger Versuch, die Zölle allmählich herabzusetzen, würde die künstliche Hausse der Bodenpreise, welche durch jenen Zollschutz geschaffen ist, beseitigen, damit aber auch die Entschuldungs- und vollends die Spannungskredite auf das stärkste gefährden, und für diesen Fall wäre es politisch natürlich sehr angenehm, die Interessen der kleinen Vermögen, der „Witwen und Waisen", denen man jetzt die Entschuldungspapiere in die Hände praktiziert, als durch eine liberale Handelspolitik bedroht hinstellen zu können. Ich persönlich hätte es, ebenso wie Dr. Mauer, für das sachlich Richtige angesehen, die Entschuldungspapiere von den Pfandbriefen überhaupt getrennt zu halten und für sie besondere Institutionen zu schaffen, 76 was, nach meiner festen Überzeugung, eine Entschuldung innerhalb der Grenzen, in welchen e sie sachlich wünschenswert war und ist, nicht gefährdet hätte. Der Unterschied wäre vor allem gewesen, daß, statt der Mündel und Kleinrentner, stärkere Schultern das Risiko getragen hätten. Jeder Besitzer eines größeren Vermögens legt ja eine bestimmte Quote desselben in minder sicheren Papieren an, wenn sie ihm eine etwas höhere Verzinsung in Aussicht stellen. Um diesen Zinsunterschied von, sagen wir V2 pCt., wäre dann allerdings die Entschuldung verteuert worden. Aber dae A: welchem
7 5 Am 14. Dezember 1902 verabschiedete der Reichstag einen neuen, höheren Einfuhrzoll für Getreide. Die Anhebung des Zolltarifs war in der deutschen Öffentlichkeit heftig umstritten. Während Linksliberale und Sozialdemokraten darin eine Maßnahme zum unerwünschten Schutz der politischen Stellung der „Junker" sahen, hielt der „Bund der Landwirte" (siehe dazu oben, S. 336, Anm. 16) sie für viel zu niedrig, als daß sie der Landwirtschaft wirkungsvoll nutzen könnte. 7 6 Mauer, Bedeutung der Entschuldungsaktion, S.9, sieht, daß „die zu Entschuldungszwecken gewährten Nachbeleihungen bezüglich der Sicherheit mit den Stammbeleihungen nicht konkurrieren" können, und schlägt vor, daß „die Landschaft die Entschuldungs-Kredite durch die Ihr angegliederte landschaftliche Bank" gewähren solle. Durch eine solche Maßnahme wären die Entschuldungspapiere nicht mehr automatisch „mündelsicher" gewesen.
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Agrarpolitik
353
für wären klare Verhältnisse erhalten geblieben und nicht der Pfandbriefkredit als solcher der Gefahr einer gewissen Diskreditierung' ausgesetzt worden. Denn es ist zwar höchst wünschenswert und nützlich, daß der solide landwirtschaftliche Kreditbedarf den Kreditgebern nicht isoliert und also machtlos, sondern organisiert, als eine machtvolle Schuldnerkorporation, wie die Landschaft es ist, gegenübersteht. Aber andererseits muß es, was man auch sagen möge, in der Tat diskreditierend wirken, wenn sich zeigt, daß eine solche, staatlich privilegierte, Schuldnerkorporation sich in der Lage befindet, ohne weiteres die Kreditunterlagen ihrer Schuldverschreibungen in einer, im praktischen Effekt unübersehbaren Weise zu ändern. Wenn hier gegenüber gewissen Maßnahmen und Plänen des Generallandschaftsdirektors Dr. Kapp, überwiegend im Anschluß an Ausführungen, welche schon Dr. Mauer gemacht hat, 77 gewisse volkswirtschaftliche Bedenken erhoben werden, so empfinde ich das Bedürfnis, auch ausdrücklich zu sagen, daß dies ganz unbeschadet der größten Hochachtung vor der Weitsicht und den hervorragenden Leistungen dieses Beamten geschieht. Nur das eine muß man sich gegenwärtig halten: daß der Leiter einer Landschaft unter allen Umständen ein Vertreter privater Interessen ist. Man sollte sich nachgerade abgewöhnen, in der Bezeichnung als „Interessenvertreter" etwas in irgendeinem, noch so indirekten Sinne „Despektierliches" zu erblicken, wie dies, als lächerlicher Rückstand aus einer Zeit, wo das Amt alles, der Staatsbürger aber nichts bedeutete, noch immer hie und da vorkommt. Wer würde sich einfallen lassen, unsere Großindustriellen oder die Leiter unserer großen Syndikate oder Großbanken oder die Angestellten unserer großen Interessentenverbände - bei aller gelegentlichen scharfen Gegnerschaft - geringer einzuschätzen als irgend jemanden, er stehe nun an welcher Stelle er wolle, nur deshalb, weil es ihr Beruf ist, nach bestem Gewissen und oft unter schwerster persönlicher Verantwortung, „private" Interessen zu vertreten? Die Leitung etwa des Stahlwerksverbandes erfordert, weiß Gott, mehr Geist und ist auch unglaublich viel wichtiger als die Aktenschreiberei 9 von einem Dutzend f A: Diskreditisierung
g A: Aktenschreibererei
77 Vgl. hierzu u. a. oben, S. 349, Anm. 66.
354
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und
Agrarpolitik
„höherer" Staatsämter zusammengenommen. Auch der Generallandschaftsdirektor vertritt „private" Interessen: solche, in deren Dienst er sich gestellt hat, weil er sie, nach seinem besten Gewissen, für wichtig und wertvoll hält und in verständige Bahnen zu lenken wünscht. Aber vor der Täuschung müssen wir uns - und müßte auch 5 er selbst sich - hüten, als ob dies sich anders verhalten und er über den Interessenkämpfen schweben könne. Eine Täuschung über diesen Punkt könnte sehr bedenkliche Folgen auch auf dem zweiten oben erwähnten Gebiet zeitigen, welches die Tatkraft des genannten Beamten für sein Institut mit Beschlag belegen möchte: dem der 10 inneren Kolonisation.78 Die Erörterung dieses Punktes gehört nicht in diesen Artikel hinein, auch habe ich die betreffenden Aktenstükke des Generallandschaftsdirektors zwar einsehen, 79 aber in allen Einzelheiten noch nicht eingehend durcharbeiten können. Ich darf daher seine in den wesentlichen Punkten allgemein bekannten Vor- 15 Schläge vorerst nicht beurteilen wollen. Immerhin ergeben sich gewisse Parallelen zu dem oben über die landschaftliche Kreditpolitik Gesagten. Wie die Landschaften dem Problem des landwirtschaftlichen Kredits als Vertreterinnen11 der Interessen der Schuldner gegenüberstehen, so der inneren Kolonisation als Vertreterinnen 1 der 20 Bodenverkaufsmteressent&n: derjenigen also, welche den Ansiedlern ihren eigenen Bodenbesitz, ganz oder teilweise (und zwar speziell den für sie selbst wenigst brauchbaren Boden: die Außenschläge) [,] zu möglichst hohen Preisen abgeben möchten. Charakteristisch genug tritt diese Situation z. B. in der Attitüde hervor, wel- 25 che der Generallandschaftsdirektor solchen Instituten gegenüber A 91 ein (nimmt, die zum Zweck der inneren Kolonisation aus anderen Kreisen heraus gebildet sind. Die, wie mir scheint, ziemlich bedenk-
h A: Vertreterin
i A: Vertreter
7 8 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S, 331 f. 7 9 Gemeint ist hier die Denkschrift Wolfgang Kapps vom 11. Januar 1908 „Betrifft die innere Kolonisation und ihre Organisation für die Provinz Ostpreußen, als Mittel gegen die Entvölkerung des platten Landes und den Arbeitermangel in der Landwirtschaft", in: Bericht der Ostpreußischen General-Landschafts-Direktion und des Plenar-Kollegiums der Ostpreußischen Landschaft an den außerordentlichen 48. General-Landtag. Vorlage 2: „Kolonisations- und Landarbeitervorlage". - Königsberg: o.V. 1908, S. 5 - 4 7 , sowie der Statutenentwurf für die von Wolfgang Kapp geplante „Ansiedelungsbank der Ostpreußischen Landschaft", ebd., S. 4 9 - 6 0 .
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liehe „Kritik", welche der Generallandschaftsdirektor gegen die ostpreußische Landgesellschaft 80 - ein Institut, welches an die Raiffeisenorganisation 81 angelehnt ist, also, im Gegensatz zur Landschaft, immerhin von den Kreisen der Ansiedelungsreflektanten in seiner Gebarung mit beeinflußt werden kann - geübt hat, 82 wird man schwerlich zutreffend würdigen, wenn man nicht diese Spannung der ÄYarcemnteressen zwischen Großgrundbesitz (als Bodenver/caw/sinteressent) und Bauerntum (als /¿"au/sinteressent) berücksichtigt. Selbstverständlich wird man den eigenen Vorschlägen des Generallandschaftsdirektors trotzdem die unbefangenste Prüfung zuteil werden lassen müssen. Worauf aber hier nachdrücklich hingewiesen werden sollte, war dies: daß man sich bei allen agrarpolitischen Aktionen der Landschaften durch den sicherlich wohlverdienten Ruf, den sie als Kreditinstitute genießen, und durch die „amtlichen" Allüren, in denen sie traditionsgemäß erscheinen, niemals darüber hinwegtäuschen lassen darf, daß sie der Sache nach Korporationen privater Interessenten sind, welche privatwirtschaftliche Ziele ihrer Zugehörigen vertreten, nichts anderes.
80 Die „Ostpreußische Landgesellschaft" wurde im Jahre 1905 zum Zwecke der „Inneren Kolonisation" vom preußischen Fiskus, von der Ostpreußischen Generalgenossenschaftskasse und der Aktiengesellschaft Landbank in Berlin gegründet. Ihre Tätigkeit sollte gemeinnützig und auf die Erhaltung der staatlichen und nationalen Interessen gerichtet sein. 81 Friedrich Wilhelm Ralffeisen gründete In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genossenschaftliche Darlehenskassenvereine, deren erklärtes Ziel es war, Im Sinne christlicher Nächstenliebe an der Lösung der sozialen Frage mitzuwirken. Sie gewährten ihren Mitgliedern Kredit, nahmen Spareinlagen an, unterstützten Untergenossenschaften, konvertierten hochverzinsliche Hypothekarschulden und kauften Grundstücke, um deren Verschleuderung oder Parzellierung zu verhindern. Dabei zeichneten sich die Darlehenskassenvereine durch billige Kredite und eine einfache Verwaltung aus. 82 In seiner Denkschrift vom 11. Januar 1908 bezweifelte Kapp, daß die „Ostpreußische Landgesellschaft" (Anm.80) „ein wahrhaft gemeinnütziges Kolonisations-Unternehmen" sei. Die in ihren Statuten festgeschriebene Formulierung, daß die „Landgesellschaft" auf „der gesunden Grundlage des berechtigten Selbstinteresses aller Beteiligten" beruhen solle, ließ ihn deren Nutzen für die „Innere Kolonisation" bestreiten, zumal die „Landgesellschaft" in der ganzen Provinz nur „wenig beliebt" sei und von den ostpreußischen Landwirten „als ein fremdes, ja der Landwirtschaft Insbesondere dem Großgrundbesitz geradezu feindliches, bureaukratlsches Gebilde angesehen" werde, „das ihnen von Berlin gegen ihren Willen beschert worden ist." Bericht an den außerordentlichen 48. General-Landtag, Vorlage 2: Kolonisations- und Landarbeitervorlage, S. 21 ff. Die „Landgesellschaft" reagierte in einer scharfen Erwiderung am 23. Februar 1908 auf Kapp, der daraufhin am 11. März 1908 zu diesen Fragen erneut Stellung bezog. Nachtrag zu Vorlage 2: „Kolonisations- und Landarbeitervorlage" für den außerordentlichen 48. General-Landtag der Ostpreußischen Landschaft. - Königsberg: o.V. 1908.
[Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden] [Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 28. September 1909]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Im Rahmen der „Kommunalenquete" 1 des Vereins für Sozialpolitik wurden auch die „Gemeindebetriebe" behandelt. Nachdem Carl Johannes Fuchs auf den Ausschußsitzungen am 5. Januar 1907 in Berlin 2 und am 29. September 1907 in Magdeburg 3 über den Stand der Arbelten referiert hatte, teilte er für die Ausschußsitzung am 12. Oktober 1908 schriftlich mit, daß die Erhebung mittlerweile fast abgeschlossen sei. Er hoffe, „sämtliche drei Bände vor der Generalversammlung Im Herbst 1909 herauszubringen." Auch wenn dies nicht gelingen sollte, „würde doch genügend Material vorhanden sein, das Thema .Gemeindebetriebe' auf der nächsten Generalversammlung zu behandeln." Freilich brauchte man einen geeigneten Tagungsort. 4 Man einigte sich schließlich auf Wien, das durch die Kommunalisierung der Verkehrsbetriebe, der Elektrizltäts- und Gaswerke sowie der Wasserversorgung auf dem Gebiet der Gemeindeeinrichtungen als besonders fortschrittlich galt und deshalb „die stärkste Anregung biete." 5 Als Verhandlungsthemen wurden auf Vorschlag Schmollers
1 Siehe d a z u d e n Editorischen Bericht zu „Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte", o b e n , S . 3 0 0 f . 2 Verein für Socialpolitik. Protokoll über die V e r h a n d l u n g e n d e s A u s s c h u s s e s a m 4. und 5. Januar 1907 in Berlin (Herrenhaus). - A l t e n b u r g : Pierersche H o f b u c h d r u c k e r e i S t e p h a n Geibel & Co. o.J., S. 6f., British Library of Political a n d E c o n o m i c Science, L o n d o n School of E c o n o m i c s a n d Political Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114. 3 Verein für Socialpolitik. M a g d e b u r g , d e n 29. S e p t e m b e r bis I . O k t o b e r 1907. - Altenburg: Pierersche H o f b u c h d r u c k e r e i Stephan Geibel & Co. o.J., S. 2f., e b d . 4 Verein für Socialpolitik. Sitzung d e s A u s s c h u s s e s a m M o n t a g d e n 12. O k t o b e r 1908 in Berlin, im G e b ä u d e d e s Herrenhauses. - A l t e n b u r g : Pierersche H o f b u c h d r u c k e r e i Step h a n Geibel & Co. o.J., S. 2, e b d . 5 Ebd., S . 3 f .
Editorischer „Gemeindeunternehmungen"
und
Bericht
„Produktivität
357 der Volkswirtschaft"
be-
stimmt.6 M a x W e b e r w a r d i e s e E r h e b u n g i n s o f e r n n i c h t g l e i c h g ü l t i g , a l s er auf d e r Ausschußsitzung
im J a n u a r 1907 a n g e r e g t hatte, hierbei a u c h
arbeiten über die kommunalen
„Spezial-
B ä c k e r e i e n in i t a l i e n i s c h e n S t ä d t e n "
ins
A u g e z u f a s s e n . 7 O f f e n s i c h t l i c h d a c h t e er d a b e i a n A r b e i t e n v o n G i s e l a M i chels-Lindner,8 der Frau v o n Robert Michels. D i e G e n e r a l v e r s a m m l u n g in W i e n w u r d e a m 2 7 . S e p t e m b e r 1 9 0 9 m i t e i n e r Würdigung
des
Agrarhistorikers
Georg
Hanssen
von
Georg
Friedrich
K n a p p eröffnet.9 D a r a n s c h l ö s s e n sich die V e r h a n d l u n g e n über „Die wirtschaftlichen U n t e r n e h m u n g e n der G e m e i n d e n " an. Den Teilnehmern lagen s c h r i f t l i c h e A u s a r b e i t u n g e n d e r R e f e r e n t e n 1 0 z u E i n z e l a s p e k t e n vor,
die
diese d u r c h m ü n d l i c h e Vorträge ergänzten. Einleitend g a b Carl J o h a n n e s Fuchs einen Überblick „über die Entwicklung und allgemeine
Bedeutung
d e r G e m e i n d e b e t r i e b e u n d ihr V e r h ä l t n i s z u d e n P r i v a t b e t r i e b e n " , w i e s i e sich a n h a n d der bisher v o r l i e g e n d e n E r g e b n i s s e darstellten.11 Der zweite Referent, der Freiburger N a t i o n a l ö k o n o m Paul M o m b e r t , s p r a c h über d e n
6 Ebd., S. 5. Auf der Wiener Tagung von 1909 führte das letzte Thema zu heftigen Kontroversen und zum „Werturteilsstreit" im Verein für Sozialpolitik. Die diesbezüglichen Diskussionsbeiträge Max Webers werden abgedruckt in MWG 1/12. 7 Ausschußsitzung vom 5. Januar 1907 (wie Anm. 2), S. 7. 8 Gisela Michels-Lindner hatte sich in einer Reihe kleinerer Aufsätze mit dem Problem genossenschaftlicher und städtischer Bäckereien in Italien befaßt, siehe etwa: Die Verstadtllchung der Bäckerelen In Italien, In: Kommunale Praxis. Zeitschrift für Kommunalpolitik und Gemeindesozialismus, 5. Jg., Nr. 1, 1905, Sp. 7 - 1 1 . Es war ursprünglich vorgesehen, daß Gisela Michels-Llndner einen Artikel über „Munlzlpallsatlon In Italien" Im AfSS veröffentlichen sollte, siehe Brief Max Webers an Gisela Michels-Llndner vom 6. Dez. 1906, MWG II/5, S. 198f. Angesichts der dabei sich abzeichnenden Schwierigkeiten „provozierte" Max Weber nach eigener Aussage In der Ausschußsitzung die Behandlung dieses Themas im Rahmen der „Kommunalenquete" und wurde beauftragt, die Korrespondenz mit Gisela Michels-Llndner zu führen. Brief Max Webers an Gisela Michels-Llndner vom 30. Jan. 1907, ebd., S. 227ff. In der Tat erschien ein entsprechender Beitrag nicht Im AfSS, sondern in der Schriftenreihe des Vereins für Sozialpolitik unter dem Titel: Geschichte der modernen Gemeindebetriebe in Italien (Schriften des Vereins für Socialpolltik 130, II). - Leipzig: Duncker & Humblot 1909. 9 Verhandlungen des Vereins für Soclalpolitlk in Wien, 1909. I. Zum Gedächtnis an Georg Hanssen. II. Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden. III. Die Produktivität der Volkswirtschaft (Schriften des Vereins für Socialpolltik 132). - Leipzig: Duncker & Humblot 1910, S. 14-28. Der Anlaß war die hundertste Wiederkehr von Hanssens Geburtstag im Mai 1909. 10 Die Entwicklung der Gemeindebetriebe In Deutschland und Im Ausland. Materialien, zusammengestellt von Carl Johannes Fuchs, ebd., S. 2 9 - 1 1 0 ; Die deutschen Stadtverwaltungen als Arbeltgeber. Schriftlicher Bericht von Paul Mombert, ebd., S. 135-157; Die finanzpolitische Bedeutung der Gemeindeunternehmungen. Von Max Weiß, ebd., S. 171 — 174. 11 Ebd., S. 111-134.
358
Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden
eigentlichen Zweck der Erhebung, nämlich über „Die sozialpolitische Bedeutung der Gemeindeunternehmungen". 1 2 Ihm schloß sich als dritter Referent der Wiener Obermagistratsrat Max Weiß an. 1 3 In der darauffolgenden Debatte am 27. und 28. September 1909 betonten mehrere Redner die Vorzüge von kommunal betriebenen Unternehmen, so daß Alfred Weber in seinem Beitrag eine „Majorität für die Kommunallsierung" konstatierte. 14 Begründet sah er dies in dem Übergewicht der „älteren Generation" im Verein für Sozialpolitik, die „eine natürliche Prädllektion nicht bloß für den Staat und die Staats- und Gemeindebetriebe als solche, sondern auch für den dabei In diese eingebauten [...] Apparat des Bureaukratismus" habe. 1 5 Als Repräsentant der gesamten älteren Generation erschien ihm Adolph Wagner mit seinem „Staatssozialismus". 1 6 Alfred Weber attackierte diese Position: Kommunalisierung und Verstaatlichung führten zu einer immer größeren Abhängigkeit des einzelnen vom „bureaukratlschen Apparat" und hätten Insofern auf die allgemeine Kulturentwicklung Deutschlands äußerst negative Einflüsse, als dadurch „jede selbständige geistige Regung [...] weltgehend zu ersticken droht." 17 Adolph Wagner rügte diese „das richtige Maß bei weitem überschreitenden Ausführungen des Herrn Kollegen Alfred Weber" und verteidigte die „moderne Entwicklung in der Richtung auf öffentliche Betriebe" als „berechtigt", „notwendig" und „In allen wesentlichen Punkten bewährt". 1 8 Insbesondere wies er „die etwas spöttischen Bemerkungen" Alfred Webers über das Beamtentum zurück. Gerade „dem tüchtigen bureaukratlschen Beamtenapparat" hätten die „modernen deutschen Staaten" Ihre politische Bedeutung zu verdanken. 1 9 Max Weber trat daraufhin „für die Auffassung seines Bruders mit großer Energie" ein. 2 0
12 E b d . , S. 1 5 9 - 1 6 9 . 13 E b d . , S. 1 7 5 - 1 9 2 . 14 E b d . , S. 2 3 8 - 2 4 8 , hier S. 2 3 8 . 15 E b d . , S. 2 3 9 . 16 E b d . , S . 2 4 1 . 17 E b d . , S. 2 4 4 f . 18 E b d . , S. 2 5 3 - 2 6 2 , Zitate: S. 2 5 5 u n d S. 2 6 1 . 19 E b d . , S. 2 6 0 . 20 B o e s e , Franz, G e s c h i c h t e d e s Vereins für S o z i a l p o l i t i k 1 8 7 2 - 1 9 3 2 ( S c h r i f t e n d e s Vere i n s für S o z i a l p o l i t i k 188). - Berlin: D u n c k e r & H u m b l o t 1939, S. 133.
Editorischer
Zur Überlieferung
359
Bericht
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt den stenographischen Protokollen: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik in Wien, 1909. I. Zum Gedächtnis an Georg Hanssen. II. Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden. III. Die Produktivität der Volkswirtschaft (Schriften des Vereins für Socialpolitik 132: Verhandlungen der Generalversammlung in Wien, 27., 28. und 29. September 1909). - Leipzig: Duncker & Humblot 1910 (A). Die Verhandlungen über „Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden" finden sich auf den Seiten 2 9 - 3 2 5 , der Diskussionsbeitrag Max Webers ist dort auf den Seiten 2 8 2 - 2 8 7 abgedruckt. Er ist eingeleitet mit: „Professor Dr. Max Weber-Heidelberg". Erwähnt sei noch ein Zwischenruf Max Webers beim Diskussionsbeitrag Alfred Webers. Dieser hatte im Zusammenhang seiner Bürokratiekritik von der zunehmenden Herrschaft sog. „Papachen- und Mamachen-Existenzen" gesprochen, die das geistige Klima vergifteten. Bei dem Satz: „Ich habe die Empfindung, daß ein großer Teil von Ihnen mich dabei vielleicht für einen verirrten..." unterbrach ihn Max Weber mit dem Zuruf: „Junggesellen!", was laut Protokoll „große Heiterkeit" hervorrief. 1
1 V e r h a n d l u n g e n , S. 2 4 5 .
[Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden]
Ich bitte um Verzeihung, wenn ich noch einmal, nachdem heute Vormittag vorwiegend sehr interessante positive Fragen erörtert wurden, 1 auf jene allgemeinen Gesichtspunkte zurückgreife, die nun einmal in die Debatten hineingetragen sind[,j und anknüpfe an das, was unser verehrter Meister, Herr Geheimrat Wagner^] heute morgen gesagt hat. 2 Einiges davon habe ich nur mit Erstaunen hören können, insbesondere die Behauptung, daß die Eisenbahnüberschüsse in Preußen den unbemittelten Klassen zugute kämen. 3 Meines Wissens stammen sie vorwiegend aus den Taschen der unbemittelten Klassena[,] und sie dienen in erster Linie dazu, den Großgrundbesitzern das Steuerzahlen zu ersparen. 0 Vielleicht ist diese Ansicht, die ich absichtlich pointiere, ebenso einseitig wie die von Herrn Geheimrat Wagner, aber das, was er gesagt hat, ohne Widerspruch zu lassen, war unmöglich. (Zuruf: Das hat er nicht gesagt!) (Zuruf Geheimrat Wagner: Ich habe gesagt, den großen nationalen Auf-
Sie haben doch noch mehr gesagt! Dann knüpfe ich an einige Ausführungen meines Bruders an. 5 Wenn wir auch in manchen Dingen verschiedener Meinung sind, in diesem Punkte kann ich nur sagen, daß die Übereinstimmung eine gaben kommt das zugute!) 4
a In A folgt der Protokollzusatz: (Gelächter) richtig! und Widerspruch!)
b In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr
1 Vgl. d a z u d e n Editorischen Bericht, o b e n , S. 357. 2 Der Diskussionsbeitrag A d o l p h W a g n e r s findet sich In: V e r h a n d l u n g e n d e s Vereins für Soclalpolltik in Wien, 1909. I. Z u m G e d ä c h t n i s an G e o r g Hanssen. II. Die wirtschaftlichen U n t e r n e h m u n g e n der G e m e i n d e n . III. Die Produktivität der Volkswirtschaft (Schriften d e s Vereins für Soclalpolltik 132). - Leipzig: D u n c k e r & H u m b l o t 1910, S. 2 5 3 - 2 6 2 . 3 Wagner, V e r h a n d l u n g e n , S. 256, hatte d e n S t a n d p u n k t vertreten, daß die Ü b e r s c h ü s s e , die d a s preußische S t a a t s e i s e n b a h n w e s e n erziele, „nicht In d e n D i v i d e n d e n der Aktionäre u n d d e n hohen Tantiemen der Verwaltungsrats- und Aufsichtsratsmitglieder, a u c h nicht in d e n kolossalen Gehältern der Direktoren usw. z u m Vorschein" kämen, s o n d e r n vielmehr „In einer b e s s e r e n L a g e der mittleren und unteren Beamtenkreise u n d der Arbeiter". 4 W a g n e r hatte die In Anm. 3 b e s c h r i e b e n e Politik d e s h a l b gelobt, well die Ü b e r s c h ü s s e aus staatlichen Betrieben somit „ d e m Staate für seine großen A u f g a b e n z u g u t e " kämen. V e r h a n d l u n g e n , S. 256. 5 Der Diskussionsbeitrag Alfred W e b e r s findet sich V e r h a n d l u n g e n , S. 2 3 8 - 2 4 8 .
Diskussionsbeitrag
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vollkommene ist. Mein Bruder ist sicherlich ebenso wie Herr Geheimrat Wagner und ebenso wie ich überzeugt von der Unaufhaltsamkeit des Fortschrittes der bureaukratischen Mechanisierung. 0 In der Tat: Es gibt nichts in der Welt, keine Maschinerie der Welt, die so präzise arbeitet, wie diese Menschenmaschine es tut - und dazu | noch: so billig! Es ist z.B. notorisch ein Unsinn zu sagen: Die Selbst- A 283 Verwaltung müsse doch billiger sein, weil sie im Ehrenamt erledigt werde. Wenn man in einer rein technisch tadellosen Verwaltung, in einer präzisen und genauen sachlichen Erledigung sachlicher Aufgaben das höchste und einzige Ideal sieht, - ja von diesem Gesichtspunkte aus kann man nur sagen: Zum Teufel mit allem anderen, und nichts als eine Beamtenhierarchie hingesetzt, die diese Dinge sachlich, präzis, „seelenlos" erledigt, wie jede Maschine. 0 Die technische Überlegenheit des bureaukratischen Mechanismus steht felsenfest, so gut wie die technische Überlegenheit der Arbeitsmaschinen gegenüber der Handarbeit. Aber als der Verein für Socialpolitik gegründet wurde, 6 war es die Generation, der Herr Geheimrat Wagner angehört, die damals ebenso verschwindend an Zahl war, wie wir anders Denkenden heute es Ihnen gegenüber sind, welche nach anderen als solchen rein technischen Maßstäben rief.7 Sie, meine Herren, haben damals gegen jene Beifallssalve für die rein techno-
c In A folgt d e r Protokollzusatz: (Sehr richtig!) fe: Lächerlich!)
d In A folgt der Protokollzusatz:(Zuru-
6 Der Verein für S o z i a l p o l i t i k w a r a m 13. O k t o b e r 1 8 7 3 In E l s e n a c h formell g e g r ü n d e t word e n . Die Initiative d a z u w a r v o n einer T a g u n g a u s g e g a n g e n , d i e ein Jahr zuvor, e b e n f a l l s in E i s e n a c h , s t a t t g e f u n d e n hatte. Zur V o r g e s c h i c h t e u n d zur G r ü n d u n g vgl. B o e s e , Franz, G e s c h i c h t e d e s Vereins für Sozialpolitik 1 8 7 2 - 1 9 3 2 ( S c h r i f t e n d e s Vereins für Sozialpolitik 188). - Berlin: D u n c k e r & H u m b l o t 1939, S. 1 - 1 8 . 7 A d o l p h W a g n e r g e h ö r t zu d e n G r ü n d e r n d e s Vereins für Sozialpolitik. In Ihm hatte s i c h ein Kreis z u s a m m e n g e f u n d e n , d e r z w a r „ d i e g l ä n z e n d e n u n e r h ö r t e n F o r t s c h r i t t e u n s e r e r Zelt In T e c h n i k u n d P r o d u k t i o n , In H a n d e l u n d Verkehr" n i c h t l e u g n e t e , z u g l e i c h a b e r g e g e n d a s w a c h s e n d e E l e n d d e r u n t e r e n K l a s s e n e i n e s t a a t l i c h e Sozialpolitik f o r d e r t e . Vgl. e t w a d i e E r ö f f n u n g s r e d e G u s t a v S c h m o l l e r s zur T a g u n g im O k t o b e r 1872, a b g e d r u c k t bei B o e s e , G e s c h i c h t e , S. 6 - 1 1 , hier S. 9. Mit d i e s e m P r o g r a m m stellte s i c h d i e G r u p p e , d i e In d e r Ö f f e n t l i c h k e i t g e m e i n h i n als „ K a t h e d e r s o z i a l i s t e n " b e z e i c h n e t w u r d e , in o f f e n e F r o n t s t e l l u n g zu d e n im „ K o n g r e ß d e u t s c h e r Volkswirte" v e r e i n i g t e n N a t i o n a l ö k o n o m e n u n d I n d u s t r i e l l e n , d i e j e d e s t a a t l i c h e Intervention in I n d u s t r i e u n d H a n d e l a b l e h n t e n u n d mit d i e s e n f r e i h ä n d l e r i s c h e n V o r s t e l l u n g e n d i e G e s t a l t u n g d e s d e u t s c h e n W i r t s c h a f t s s y stems dominierten.
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logischen Leistungen der industriellen Mechanisierung, wie sie die manchesterliche Lehre 8 damals darstellte, zu kämpfen gehabt. Mir scheint, Sie sind heute in Gefahr, sich selbst in eine ebensolche Beifallssalve für das Maschinenwesen auf dem Gebiete der Verwaltung und der Politik zu verwandeln. D e n n was ist es letztlich anders, was wir von Ihnen gehört haben? Stellen Sie sich die Konsequenz jener umfassenden Bureaukratisierung und Rationalisierung vor, die wir bereits heute im A n z ü g e sehen. In den Privatbetrieben der Großindustrie sowohl wie in allen modern organisierten Wirtschaftsbetrieben überhaupt reicht die „Rechenhaftigkeit", der rationale Kalkül, heute schon bis auf den Boden herunter. Es wird von ihm jeder einzelne Arbeiter auf seine Leistungsfähigkeit hin rechnerisch erfaßt, es wird jeder Arbeiter zu einem Rädchen in dieser Maschine und innerlich zunehmend darauf abgestimmt, sich als ein solches zu fühlen und sich nur zu fragen, ob er nicht von diesem kleinen Rädchen zu einem größeren Rädchen werden kann. Nehmen Sie als Spitze die autoritäre Gewalt des Staates oder der G e meinde in einem monarchischen Staatswesen, dann erinnert das lebhaft an das Ägyptertum der Antike, das von diesem Geist des „Pöstchens" durchtränkt war von oben bis unten. 9 Es hat nie eine Bureaukratie gegeben, bis heute nicht, die an die ägyptische Bureaukratie herangereicht hätte. Das steht für jeden fest, der antike Verwaltungsgeschichte kennt, und es steht ebenfalls felsenfest, daß wir heute unaufhaltsam einer Entwicklung entgegeneilen, die recht A 284 genau diesem Vorbilde, | nur auf anderer Grundlage, auf technisch verbesserter, rationalisierter, also noch weit stärker mechanisierter Grundlage, folgt. D i e Frage, die uns beschäftigt, ist nun nicht: Wie kann man an dieser Entwicklung etwas ändern? - D e n n man kann es nicht. Sondern: was folgt aus ihr? Wir erkennen ja sehr gern an, daß oben an der Spitze unseres Beamtentums ehrenhafte und begabte Leute stehen, daß trotz aller Ausnahmen auch solche Leute Chance haben, in der Hierarchie des Beamtentums emporzukommen, ganz ebenso wie z.B. die Universitäten für sich in A n 8 Bezeichnung für eine radikale Freihandels-Doktrin, die j e d w e d e Form staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft entschieden ablehnt. Die Stadt Manchester war zwischen 1838 und 1846 das freihändlerische Zentrum der Opposition g e g e n die englischen Getreidezölle. 9 Im 19. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich das altägyptische Reich zu einem Beamtenund Militärstaat. Dessen straffe Organisation und Zentralisation wurden durch ein hierarchisches Beamtensystem aufrechterhalten. Hauptcharakterlstika dieses Systems waren bürokratisches Avancement und die Lebensversorgung durch das Amt.
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spruch nehmen, daß trotz aller Ausnahmen sie eine Chance, eine Auslese für die Begabten bilden. Aber so fürchterlich der Gedanke erscheint, daß die Welt etwa einmal von nichts als Professoren voll wäre, e - wir würden ja in die Wüste entlaufen, wenn etwas derartiges einträte - f noch fürchterlicher ist der Gedanke, daß die Welt mit nichts als jenen Rädchen, also mit lauter Menschen angefüllt sein soll, die an einem kleinen Pöstchen kleben und nach einem etwas größeren Pöstchen streben, - ein Zustand, den Sie, wie in den Papyri, so zunehmend im Geiste des heutigen Beamtentums, und vor allem seines Nachwuchses, unserer Studenten, wiederfinden. Diese Leidenschaft für die Bureaukratisierung, wie wir sie hier sich äußern hörten, ist zum Verzweifeln. Es ist[,j als wenn in der Politik der Scheuerteufel, mit dessen Horizont der Deutsche ohnehin schon am besten auszukommen versteht, ganz allein das Ruder führen dürfte, als ob wir mit Wissen und Willen Menschen werden sollten, die „Ordnung" brauchen und nichts als Ordnung, die nervös und feige werden, wenn diese Ordnung einen Augenblick wankt, und hilflos, wenn sie aus ihrer ausschließlichen Angepaßtheit an diese Ordnung herausgerissen werden. Daß die Welt nichts weiter als solche Ordnungs-Menschen kennt - in dieser Entwicklung sind wir ohnedies begriffen, und die zentrale Frage ist also nicht, wie wir das noch weiter fördern und beschleunigen, sondern was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bureaukratischer Lebensideale. Die Antwort auf diese Frage gehört freilich heute nicht hierher.
Wir wollen vielmehr uns nun auch einmal fragen, wie die sozialpolitischen Chancen liegen bei dieser fortschreitenden Bureaukratisierung, die Sie so leidenschaftlich preisen. Meine Herren! Ich muß30 te den Kopf | schütteln bei der Idee, die Sie fast alle hier ergriffen zu A 285 haben scheint, daß, wenn man den privaten Arbeitgeber in möglichst großem Umfange ersetzt durch einen staatlichen oder städtischen Beamten, daß dann etwas anderes eintreten könne, als daß die Staatsmacht nun erfüllt wird von Arbeitgeberempfindungenß 35 Die Beamten haben ja doch denselben Ärger und Kleinkrieg, den der Privatindustrielle mit seinen Arbeitern täglich zu durchkämpe In A folgt der Protokollzusatz: ( H e i t e r k e i t ! ) (Heiterkeit!) g A:Arbeitergeberempfindungen.
f In A folgt der
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fen hat, nun ihrerseits am Halse, und man wird doch nicht glauben wollen, daß das der Sozialpolitik zugute kommen könnte. Es sind ja doch immer die Angestellten, die Beamten, auch in der Privatindustrie, die päpstlicher sind als der Papst, mit denen für unser einen viel weniger zu verhandeln ist als mit dem Fabrikanten selbst. Wie soll es denn werden, wenn die Beamten des Staates und der Gemeinden immer breitere Schichten von Arbeitern unter sich haben? Werden die mehr sozialpolitische Gesinnung bekommen bei den fortgesetzten unvermeidlichen Reibungen mit den Arbeiterorganisationen?11 Man hat ja sogar geglaubt, daß, wenn man den Staat beteiligt am Kohlenbergbau, indem er Zechen übernimmt und ins Kohlensyndikat hineingeht, dies Kartell mit sozialpolitischen Gesichtspunkten erfüllt werden müßte; 10 ja, was glaubt man denn, wenn diese Umarmung stattfinden würde, was für einem Schicksal dabei der Staat entgegen ginge? Er würde nicht die Rolle Siegfrieds, sondern diejenige König Gunthers mit Brunhilde spielen. 11 ' Bekanntlich sind die Verhältnisse der staatlichen Gruben das Übelste, was es überhaupt an Sozialpolitik gibt. 12 ' Sie können es auch von keinem Menschen anders verlangen. Wenn ich an die Stelh In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!) i In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit!) j In A folgt der Protokollzusatz: (Rufe: Na! na!)
10 Mit dem Ziel, im Kohlenbergbau auch sozialpolitisch eine regulierende und kontrollierende Funktion wahrzunehmen, hatte der preußische Staat 1904 den Erwerb der im Bezirk des Oberbergamtes Dortmund gelegenen Bergwerksgesellschaft „Hibernia" betrieben ein Vorhaben, das auf den erbitterten Widerstand der Privatwirtschaft stieß. Siehe hierzu auch Max Webers Diskussionsbeitrag auf der Mannheimer Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik 1905 über das „Verhältnis der Kartelle zum Staate", in diesem Band abgedruckt, oben, S. 266-279, insb, S. 275f., Anm. 25 und Anm, 28. 11 Anspielung auf die 10. Aventiure des Nibelungenliedes, in der die Hochzeit des Burgundenkönigs Gunther mit der isländischen Königin Brunhilde geschildert wird. In der Hochzeitsnacht wies Brunhilde Gunther ab und demütigte ihn durch ihre körperliche Kraft. Erst seinem Gefolgsmann Siegfried, dem Gunther sich offenbart hatte, gelang es In der darauffolgenden Nacht, Brunhilde zu überwinden und gefügig zu machen. 12 Vermutlich Anspielung auf die Lage der Bergleute im Saargebiet. Da sich nahezu der gesamte Steinkohlenbergbau an der Saar im Besitz des Staates befand, besaß dieser eine Monopolstellung als Arbeitgeber. Die Leitung der Gruben nutzte die Abhängigkeit der Arbeiter aus, indem sie nach eigenem Belieben Arbeitsordnungen verschärfte, Kündigungsfristen herabsetzte, Löhne senkte und Arbeitszeiten verlängerte. Mißliebiges Verhalten von Bergleuten wurde mit Geldstrafen oder zeitweiser Aussperrung geahndet. Vgl. dazu Imbusch, Heinrich, Arbeitsverhältnis und Arbeiterorganisationen im deutschen Bergbau. - Essen: Verlag des Gewerkvereins christlicher] Bergarbeiter [1908], S . 3 6 2 399.
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le gestellt würde, ich könnte es auf die Dauer auch nicht verhindern, wenn ich täglich die Reibungen mit den Arbeitern, mit den einzelnen und mit den Organisationen habe, daß mir der Zorn über diese ewigen Hemmungen meiner so sorgsam ausgeklügelten Ordnungen aufstiege, und daß ich wünschen würde, daß ich diese Leute zum Teufel schicken könnte, denn ich würde ja als Bureaukrat glauben, mich selbst zu niedrig einzuschätzen, wenn ich nicht beanspruchte, ihr eigenes Wohl viel besser zu kennen als diese „Dummköpfe" selbst. Die öffentlichen Beamten, die sich doch mit Recht als viel intelligenter als ihre Arbeiter einschätzen, deren Psyche wird bei Konflikten genauso klingen wie das, was ich eben gesagt habe. Die Herren mögen so tüchtig und weitsichtig sein wie sie | wollen, sie A 286 werden aber mürbe in dem täglichen Interessenkampf, ich würde auch mürbe werden und dieselben Konsequenzen ziehen, wie ich sie ihnen unterstellet Nur ein von Arbeitgebergesinnung freies Gemeinwesen kann auf die Dauer „Sozialpolitik" treiben. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, - das erörtere ich heute nicht. Nur der kritiklosen Verherrlichung der Bureaukratisierung wollte ich entgegentreten. Die Idee der immer weiter um sich greifenden Verstaatlichung und Kommunalisierung ist ja innerhalb des Vereins für Socialpolitik mit sehr verschiedener Intensität von Anfang seiner Geschichte an vertreten worden. 13 Einen solchen universalen Verstaatlicher, wie Herrn Geheimrat Wagner, haben wir allerdings wohl nur als Einspänner, ich möchte beinahe sagen: als Rarität innerhalb unseres Vereins gehabt. (Zuruf: Ganz im Gegenteil!) Ich weiß, daß es auch andere gegeben hat. Ich weiß, daß einer von diesen auch unser verehrter Lehrer, Herr Professor von Schmoller, war, wenn er auch sehr viel vorsichtiger war, und, woran er mich vorhin erinnerte, die Eisenbahnverstaatlichung in Frankreich z.B. mit sehr skeptischen Augen angesehen hat. 14 Wie dem sei, ein wesentliches Agens dieser in verschiedenem Grade unter uns verbreiteten Vorliebe für die Bureaukratisierung ist ein rein moralistisches Empfinden: der Glaube an die Allmacht des von niemand bezweifelten hohen moralik In A f o l g t d e r P r o t o k o l l z u s a t z : (Sehr richtig! Bravo!) 13 S i e h e h i e r z u d e n E d i t o r i s c h e n B e r i c h t , o b e n , S. 3 5 8 . 14 Es ließ s i c h n i c h t ermitteln, w o r a u f M a x W e b e r hier a n s p i e l t .
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sehen Standards gerade unseres deutschen Beamtentums. Ich persönlich betrachte solche Fragen auch unter dem Gesichtspunkt der internationalen Machtstellung und Kulturentwicklung eines Landes. D a spielt nun die „ethische" Qualität der Maschine heute eine entschieden ö&nehmende Rolle. Gewiß: so weit sie die Präzision des Funktionierens der Maschine fördert, ist die „ E t h i k " wertvoll für den Mechanismus als solchen. Ich habe aber den Eindruck: Ja, diese „korrupte" Beamtenschaft Frankreichs, diese korrupte Beamtenschaft Amerikas, diese so viel geschmähte Nachtwächterregierung 1 5 Englands usw. - wie fahren denn diese Länder eigentlich dabei? wie fahren sie z. B. auf dem Gebiet der auswärtigen Politik? Sind wir es denn, die vorwärts gekommen sind auf diesem Gebiete^] oder wer ist es? Demokratisch regierte Länder mit einem zum Teil zweifellos korrupten Beamtentum haben sehr viel mehr Erfolge in der Welt erzielt, als unsere hochmoralische Bureaukratie, und wenn man rein „realpolitisch" urteilen soll und wenn ferner es sich letztlich um die Machtgeltung der Nationen in der Welt handelt - und viele von uns A 287 stehen doch auf | dem Standpunkt, daß das der letzte endgültige Wert sei - dann frage ich: welche A r t der Organisation: - privatkapitalistische Expansion, verbunden mit einem reinen businessBeamtentum, welches der Korruption leichter ausgesetzt ist, oder staatliche Lenkung durch das hochmoralische, autoritär verklärte deutsche Beamtentum - welche A r t der Organisation hat heute die größte „efficiency" - um einen englischen Ausdruck zu gebrauchen? und dann kann ich vorläufig nicht anerkennen, bei aller tiefen Verbeugung vor dem ethisch korrekten Mechanismus der deutschen Bureaukratie, daß sie heute noch sich fähig zeige, auch nur so viel zu leisten für die G r ö ß e unserer Nation, wie das moralisch vielleicht tief unter ihr stehende ausländische, seines göttlichen Nimbus entkleidete Beamtentum, verbunden mit dem nach Ansicht vieler von uns so höchst verwerflichen Gewinnstreben des privaten Kapitals.'
I In A folgt d e r Protokollzusatz: (Bravo! Klatschen.) 1 5 Der Begriff „ N a c h t w ä c h t e r i d e e " g e h t z u r ü c k auf F e r d i n a n d L a s s a l l e , d e r sie 1 8 6 2 als „ d i e S t a a t s i d e e d e s Liberalismus" b e z e i c h n e t e . Hier w e r d e d e r S t a a t s z w e c k a u s s c h l i e ß lich d a r i n g e s e h e n , „ d i e p e r s ö n l i c h e Freiheit d e s e i n z e l n e n u n d sein E i g e n t u m zu s c h ü t z e n . " F e r d i n a n d Lassalle. G e s a m m e l t e R e d e n u n d S c h r i f t e n , hg. v o n E d u a r d B e r n s t e i n , B a n d 2. - Berlin: Paul Casslrer 1919, S. 1 9 5 f .
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Entwurf [eines Einladungsschreibens zu einer sozialpolitischen Aussprache in Frankfurt a.M.]
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Zur Entstehung Im 1872 gegründeten Verein für Sozialpolitik 1 kam es nach dem Eintritt von Wissenschaftlern der „jüngeren" Generation zu Richtungskämpfen, die nicht nur seine Existenz bedrohten, sondern vor allem seine Wirksamkeit in der Öffentlichkeit als Vorkämpfer einer staatlichen Sozialpolitik beeinträchtigten. Dies war der Hintergrund für die Absicht, „anläßlich des 40jährigen Bestehens des Vereins für Sozialpolitik eine Feier zu veranstalten", welche nach innen und außen dokumentieren sollte, „daß der Immer wieder totgesagte Verein fortbesteht und fortbestehen wird." Diese Feier wollte man In Berlin ausrichten und dabei „den Veteranen von 1872, an Ihrer Spitze Schmoller, eine Art von Bekenntnis der Jüngeren" darbringen. Während der Veranstaltung sollten „eine Reihe kurzer, jede Polemik nach außen und jede aggressive Tendenz" vermeidende Ansprachen gehalten werden, mit dem Ziel, die Verdienste der Pioniere des Vereins für Sozialpolitik zu würdigen. Max Weber beabsichtigte ein Referat über „Sozialpolitik, Staatsräson und Vaterland". 2 Schon bald zeigte sich freilich, daß eine Veranstaltung dieser Art keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Lujo Brentano etwa, der gemeinsam mit Gustav Schmoller zu den Gründungsvätern des Vereins gehörte, hatte von Anfang an nicht für eine „Feier von Personen", sondern für eine sozialpolitische Kundgebung plädiert, um in die stagnierende amtliche Sozialpolitik wieder Bewegung zu bringen. 3 Schmoller wiederum befürchtete,
1 Im Oktober 1872 hatte in Eisenach eine vorbereitende Tagung stattgefunden. Die offizielle Gründung des Vereins für Sozialpolitik erfolgte am 13. Oktober 1873. Vgl. dazu Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 188).-Berlin: Duncker & Humblot 1939, S. 1 - 1 8 . 2 Brief Max Webers an Hermann Schumacher vom 25. Juni 1912, GNM Nürnberg, ABK, Nl. Hermann Schumacher, Fasz. 14 (MWG II/7, S. 575f.). 3 Brief Lujo Brentanos an Max Weber vom 2. Juli 1912, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Dies geht auch aus einem Brief Heinrich Herkners an Max Weber vom 26. Juni 1912, ebd., sowie aus einem Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 3. Juli 1912, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/7, S.590), hervor.
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daß bei einer solchen Zusammenkunft die alten Konflikte erneut aufbrechen würden. 4 Er lehnte deshalb seine Teilnahme ab. Nachdem der Plan einer Jubiläumsveranstaltung damit gescheitert war, trat nun auch Max Weber Brentanos Idee einer „radikalen Sonderdemonstration" näher, die eine „Aktion für Sozialpolitik" werden sollte. Ende August 1912 formulierte Brentano ein Einladungsschreiben, 5 gegen dessen Inhalt Max Weber zahlreiche Einwände erhob. Insbesondere Brentanos Vorschlag, an erster Stelle die Frage der „Teuerung" zu behandeln, hielt Max Weber für inopportun, weil dies die „Zollfrage" aufwerfe. 6 In den folgenden Wochen konzentrierte sich die Debatte zwischen Brentano und ihm auf die Frage, inwieweit die „handelspolitische Stellungnahme" Bestandteil der geplanten Veranstaltung sein dürfe. Obwohl Max Weber betonte, daß er persönlich Jedes Freihandelsbekenntnis" gerne mitmache, lehnte er eine Verknüpfung von „Getreidezöllen und Sozialpolitik" ab. 7 Er stellte es Brentano zwar anheim, „eine freihändlerisch-sozialpolitische Sekte" ins Leben zu rufen, begründete sein Verlangen nach „strikter Ausschließung aller nicht ganz spezieller Kernpunkte der Sozialpolitik betreffenden Dinge" jedoch damit, daß Freihandelsdoktrin und staatliche Sozialpolitik grundsätzlich unvereinbar seien. 8 Dennoch war er durchaus bereit, an der für den 19. Oktober 1912 in Leipzig geplanten vorbereitenden Besprechung teilzunehmen, „aber mit absolut freier Hand" und nur, wenn ihn diese Besprechung zu nichts weiterem verpflichte. Eindringlich gab er Brentano zu verstehen, daß er seinen Standpunkt „taktisch und prinzipiell" wahren werde. 9 Wie aus einem Rundschreiben Lujo Brentanos „an die Teilnehmer der Leipziger Besprechung" vom 22. Oktober 1912 10 hervorgeht, trafen sich Karl Bücher, Max Weber, Alfred Weber, Otto von Zwiedineck-Südenhorst, Gerhard Kessler, Robert Drill, Ferdinand Tönnies, Robert Wilbrandt, Edgar Jaffe und Theodor Vogelstein in Leipzig. Entschuldigt hatten sich Friedrich Naumann, Gerhart von Schulze-Gävernitz und Martin Cohn. Wie dem Rund-
4 Dies läßt sich einem Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 15. Juli 1912, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 204a (MWG II/7, S. 621), entnehmen. 5 Ein Entwurf des Einladungsschreibens befindet sich im BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67. 6 Brief Max Webers an Lujo Brentano, nach dem 26. August 1912, ebd. (MWG I/7, S. 646). 7 Dies geht aus zwei undatierten Briefen Max Webers an Lujo Brentano, die Anfang September 1912 geschrieben worden sein dürften, hervor. Ebd. (MWG II/7, S. 649 und 651). 8 Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 5. Sept. 1912, ebd. (MWG II/7, S. 652f.). 9 So in den Briefen Max Webers an Lujo Brentano vom 11. und 16. Sept. 1912, ebd. (MWG II/7, S. 656f. und 668f.). 10 Ein Exemplar dieses Rundschreibens befindet sich im GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30/6 (Abschrift, masch.).
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schreiben weiter zu entnehmen ist, sollte in den Weihnachtsferien in Frankfurt a. M. „eine größere Zusammenkunft" zu folgenden Themen stattfinden: „1.) Warum hat d i e ' b i s h e r i g e Sozialpolitik ihre Ziele nicht erreicht? 2.) Voluntarismus oder Staats-Sozialismus. 3.) Das Konsumenten-Interesse sozialpolitisch betrachtet. 4.) Arbeits-Vertragsrecht. 5.) Beamten-Recht. 6.) Bauernpolitik." Es gehe dabei nicht „um eine Agitation, sondern um eine Manifestation zur Aufrüttelung des Geistes des deutschen Volkes." Zur Vorbereitung der Frankfurter Tagung wurde eine dreiköpfige Kommission, bestehend aus Karl Bücher, Robert Drill und Max Weber, eingesetzt. Sie sollte die Einladung für einen erweiterten Personenkreis formulieren. 1 1 Die Koordination wurde dem Münchener Nationalökonomen Theodor Vogelstein übertragen, der bereits an der Planung der ursprünglich beabsichtigten „Jubiläumsfeier" beteiligt gewesen war. Auf der Zusammenkunft in Leipzig kam es zu Auseinandersetzungen darüber, ob Sozialdemokraten hinzuziehen seien und ob man die Frage des Freihandels berücksichtigen solle. Dies führte zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Max Weber und Brentano. Ein Antrag, Sozialdemokraten einzuladen, wurde „mit allen gegen die Stimmen Brentano, Tönnies und Wilbrandt abgelehnt." Brentano nannte diese Entscheidung in seinem Rundschreiben „verhängnisvoll", weil „in einem Augenblick, in dem selbst die liberalen Parteien keinen Anstand mehr nehmen, mit den Sozialdemokraten auf politischem Gebiet zusammen zu gehen, [...] Männer der Wissenschaft Sozialdemokraten von einer rein geistigen Diskussion" ausschlössen. Insbesondere durch Max Webers Standpunkt, „es gelte zu zeigen, was die bürgerlichen Parteien allein könnten", habe man den Boden „der rein intellektuellen Aufklärung" verlassen und den „der politischen Parteibildung" betreten. Webers Haltung sei deshalb besonders auffallend, weil er ausdrücklich betont habe, „daß Männer, die sich zum Zentrum zählen, eingeladen werden sollten." Brentano ging auch auf die im Vorfeld der Besprechung geführte Debatte über die Behandlung der Zollfrage ein, wobei er sich von den seinerzeit vorgebrachten Argumenten Max Webers deutlich distanzierte, ohne diesen freilich ausdrücklich zu nennen. Dies alles - der Ausschluß von Sozialdemokraten und die Zurückweisung der Diskussion „über die sozialpolitisch so wichtige, durch unsere Zollpolitik herbeigeführte Erschwerung des Lebens der arbeitenden Klassen" - habe ihn „zu der Erwägung veranlaßt, ob denn die Übereinstimmung, die in Leipzig erzielt worden ist, doch nicht nur eine rein äußerliche" sei. Angesichts der bei der Veranstaltung deutlich gewordenen Mehrheitsmeinung halte er es für angebracht, an der geplanten Frankfurter Zusammenkunft nicht teilzunehmen,
11 Dies geht aus dem in Anm. 10 zitierten Rundschreiben Lujo Brentanos vom 22. Okt. 1912 hervor.
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d a er es in seinem „persönlichen Wirken als ein neues Hemmnis e m p f i n d e n " würde, w e n n er „an, wie es sich nun gezeigt hat, so v e r s c h i e d e n D e n k e n d e g e b u n d e n wäre." Max Weber war über dieses „Rundschreiben" Brentanos verärgert. In einem Brief vom 25. Oktober 1912 warf er d i e s e m vor, er habe nicht nur die Gründe „unvollständig w i e d e r g e g e b e n " , aus d e n e n er „für die ausschließlich .bürgerliche' Z u s a m m e n s e t z u n g der Frankfurter V o r b e s p r e c h u n g eingetreten" sei, sondern a u c h verschwiegen, „daß ich a u s d r ü c k l i c h hinzusetzte: die Z u z i e h u n g von Sozialdemokraten könne später immer noch erfolgen, falls sie nützlich erschiene." Weber e m p f a n d Brentanos Vorgehen so brüskierend, daß er den Kontakt zu ihm für alle Zukunft a b b r e c h e n wollte. 1 2 N o c h W o c h e n später schrieb er an Robert Wilbrandt, der ja in Leipzig auf der Seite Brentanos g e s t a n d e n hatte, daß er Brentano seine „persönliche Freundschaft, und zwar für immer, g e k ü n d i g t " habe: „Denn die Verantw o r t u n g dafür, durch lächerlichen Eigensinn in einer rein taktischen Frage und durch das billige Bedürfnis, auf Kosten Anderer (insbesondre: meiner) als der .Vorurteilslosere' zu erscheinen, eine vielleicht gute Sache ges c h ä d i g t zu haben, soll ihm und Andren nicht erspart bleiben. Auch Ihnen nicht, sehr geehrter Herr College, die Verantwortung, dies Verhalten unterstütztzu h a b e n . " 1 3 A n g e s i c h t s dieser Konflikte scheint a u c h Max Weber e r w o g e n zu haben, sich von der g e s a m t e n A n g e l e g e n h e i t zurückzuziehen. Marianne Weber jedenfalls sah sich veranlaßt, ihren Mann zu beschwören, „die Sache ohne Brentano" zu machen: „Wirf den A n d e r n jetzt nicht a u c h Deinerseits den Kram vor die Füße, das wäre zu s c h a d e u. ein neuer .Skandal'." 1 4 Max Weber blieb d a n n in der Tat bei der Sache und ergriff seinerseits die Initiative. A m 15. November 1912 verfaßte er ein Rundschreiben „An die Herren Teilnehmer der Leipziger B e s p r e c h u n g " , 1 5 in d e m er das in Leipzig v e r a b s c h i e d e t e „ A r b e i t s p r o g r a m m " erläuterte, noch einmal seine Position darstellte und organisatorische Einzelheiten für die Z u s a m m e n k u n f t in
12 Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 25. Okt. 1912, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67 (MWG II/7, S.712). 13 Brief Max Webers an Robert Wilbrandt vom 21. Nov. 1912, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 28 (MWG II/7, S. 765f.). 14 Brief Marianne Webers an Max Weber, undat. [Okt. 1912], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 15 Ein Exemplar dieses Rundschreibens befindet sich im GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30/6. Bernhard Schäfers veröffentlichte eine Fassung aus dem Nachlaß Johann Plenge, UB Bielefeld, unter der Überschrift „Ein Rundschreiben Max Webers zur Sozialpolitik", in seinem Buch: Soziologie und Gesellschaftsentwicklung. Aufsätze 1966-1996. Opladen: Leske + Budrich 1996, S. 425-432. Dieses sowie die beiden folgenden Rundschreiben vom 19. Dezember 1912 und vom 21. Februar 1913 kommen in MWG II/7, S. 748-757 und 807-810, und MWG II/8 zum Abdruck.
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Frankfurt besprach. Dabei betonte er, daß es sich bei der geplanten Zusammenkunft keineswegs um „rein akademische Erörterungen auf dem Boden der .Voraussetzungslosigkeit'" handeln sollte, sondern daß es dabei durchaus auch um „eine uns allen gemeinsame [...] praktisch-politische Stellungnahme" gehe. Beim Thema „Bauernpolitik" sei eine „Kritik der gegenwärtigen Verfälschung der inneren Kolonisation" in den Vordergrund zu stellen. Bei der „Arbeiterfrage" sei eine Behandlung „vom Standpunkt des Herrenrechtes oder des Patriarchalismus" entschieden abzulehnen. Vielmehr sei „die gleichberechtigte Teilnahme der Arbeiterschaft an der kollektiven Vereinbarung der Arbeitsbedingungen" zu unterstützen und die „zunehmende Überlegenheit der Unternehmerorganisationen aller Art in Verbindung mit juristischen und polizeilichen Chikanen" kritisch zu beleuchten. Insbesondere sei gegen die „Zustände der Kapitalherrschaft", wie sie vor allem in der Stahl- und Eisenindustrie herrschten, zu kämpfen, „weil wir in einem Lande von Bürgern und nicht von Hörigen leben wollen." Beim „Beamtenrecht" sei vor allem auf die Entwicklung der „unaufhaltsam wachsenden Zahl von beamtenartigen Angestellten" zu einer „im innerlichsten Sinn kulturlosen [...] Schicht seelisch unselbständiger Menschen" zu achten. Auch auf den Konflikt mit Lujo Brentano ging er ein. Er trug noch einmal vor, weshalb das Thema „Freihandel" grundsätzlich ausgeklammert bleiben sollte, und legte ausführlich seinen Standpunkt hinsichtlich der Hinzuziehung von Sozialdemokraten dar. Da über die künftige Richtung der Sozialpolitik auf dem Gebiet der Arbeiterfrage Unsicherheit herrsche - wie dies auch schon „in der Formulierung des wichtigsten Verhandlungsthemas (Voluntarismus oder Staatssozialismus) zum Ausdruck" komme -, sei die Mitwirkung von Sozialdemokraten nicht sinnvoll. Dies sei schon wegen der „künftigen Beziehungen zur Sozialdemokratie" geboten, da man zum jetzigen Zeitpunkt nur Vertreter des „revisionistischen" Flügels einladen könne. Aus ähnlichen Erwägungen lehne er auch die Hinzuziehung von Gewerkschaftsvertretern ab, da man diese „an ihrem für sie unentbehrlichen einfachen Katechismus irre" machen würde. Als Ziel der Frankfurter Versammlung nannte er „die Schaffung einer Kollektivmeinung", die dem „bedrohlichen Abflauen und Ausdermodekommen der sozialpolitischen Stimmung in Deutschland" entgegenwirke. Dies solle nicht mit Hilfe eines „neuen nichtöfPropaganda Vereins" geschehen, sondern durch „wiederkehrende, fentliche, freie und unverbindliche Besprechungen", bei denen sich dann „feste Richtlinien für eine möglichst breite sozialpolitische .Linke'" ausarbeiten ließen. Abschließend beschäftigte sich Max Weber mit organisatorischen Fragen. Augenscheinlich hatte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Personen ihre Bereitschaft signalisiert, einige der vorgeschlagenen Themen zu behandeln. So wollte Karl Bücher über „Konsumentenpolitik" und Alfred Weber über die „Beamtenfrage" referieren. Für das Thema
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Entwurf eines
Einladungsschreibens
„Voluntarismus oder Staatssozialismus" hoffte Max Weber auf die Mitwirkung von Theodor Vogelstein. Ferner regte er an, die „eigentlich soz/a/polltischen Themata" an den Anfang zu stellen und dann die Gebiete „Beamtenrecht", „Konsumentenpolitik" und „Bauernpolitik" folgen zu lassen. Er schlug mehrere Termine vor: den 28./29. Dezember 1912, den 29./30. Dezember 1912, den 2.13. Januar 1913 oder den 3./4. Januar 1913. Er bat die Angeschriebenen um die vertrauliche „Benennung von einzuladenden Persönlichkeiten"; die Kommissionsmitglieder würden dann nach eingehender Beratung entsprechende Einladungen versenden. Max Weber erklärte sich zudem bereit, „auf Grund der schleunigst erbetenen prinzipiellen Äußerungen der Herren Teilnehmer, den Entwurf eines kurzen Einladungsschreibens herzustellen und zur Genehmigung oder Korrektur zu unterbreiten". 1 6 In der Tat verfaßte er in den nächsten Wochen den im folgenden abgedruckten „Entwurf" für ein Einladungsschreiben. Diesen schickte er am 4. Dezember 1912 mit einem Begleitschreiben an Karl Bücher, das eine 41 Namen umfassende Vorschlagsliste enthielt. 17 Von diesem „Entwurf" sind zwei Exemplare nachgewiesen, eines im Nachlaß Karl Bücher und eines in Privatbesitz. Eine redigierte Fassung ist nicht überliefert. Vermutlich ist der Entwurf nicht überarbeitet und auch nicht an den zur Teilnahme an der Frankfurter Tagung vorgesehenen Personenkreis verschickt worden. Dies wird dadurch gestützt, daß sich im Nachlaß des Leipziger Nationalökonomen Johann Plenge, der zur Mitwirkung an der Frankfurter Tagung aufgefordert werden sollte, nicht dieses Einladungsschreiben, sondern Max Webers Rundschreiben vom 15. November befindet, das dieser ihm am 6. Dezember 1912 hat zukommen lassen. 18 Insbesondere dieser Zeltpunkt der Versendung legt nahe, daß das Rundschreiben vom 15. November das offizielle Einladungsschreiben darstellte. Die Organisation der Frankfurter Tagung machte offenbar nur langsame Fortschritte. Zwar gab es durchaus Antworten und Stellungnahmen aus dem Kreis der Angeschriebenen, 1 9 doch erwies es sich augenscheinlich als ausgesprochen schwierig, die unterschiedlichen Meinungen miteinander in Einklang zu bringen. Plenge etwa lehnte seine Mitwirkung am 15. Dezember 16 M W G II/7, S. 757. 17 Brief Max W e b e r s an Karl B ü c h e r v o m 4. Dez. 1912, UB Leipzig, Nl. 181 (Karl Bücher) ( M W G II/7, S. 773f.). Es handelte sich - n e b e n d e n Teilnehmern der Leipziger Bes p r e c h u n g v o m 19. Oktober 1912 - unter a n d e r e m um Ignaz Jastrow, Heinrich Herkner, Walter Lötz, Max Lenz, Arthur Salz, Heinrich Dietzel, Moritz Julius B o n n u n d Paul M o m b e r t . D a n e b e n sollten a u c h Vertreter der Presse, etwa d e s „Berliner Tageblatts", der „Vossischen Z e i t u n g " und d e s „Börsen-Couriers" e i n g e l a d e n werden. 18 Vgl. d a z u Schäfers, R u n d s c h r e i b e n , S. 419ff. 19 Siehe e t w a die Briefe G e r h a r d Kesslers an Max Weber v o m 25. Nov. 1912, B e s t a n d Max Weber-Schäfer, D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 446, sowie Franz Eulenburgs an Max Weber v o m 8. Dez. 1912, e b d .
Editorischer
Bericht
373
unter a n d e r e m mit Hinweis auf die führende Rolle Naumanns an dieser Tag u n g ab. 2 0 So sah sich Max Weber veranlaßt, a m 19. Dezember in einem weiteren Rundschreiben „An die Herren Teilnehmer der Leipziger Besprec h u n g " 2 1 eine Verschiebung der geplanten Frankfurter Tagung auf das „Ende der 1. Märzwoche" 1913 anzukündigen, d a insbesondere die Beh a n d l u n g der „Sozialpolitik (Arbeiterfrage) einer Verteilung der Referate mit wirklich ganz präzisen Fragestellungen" bedürfe und die dazu n o t w e n d i g e n Thesen „bisher von keiner Seite vorgelegt" w o r d e n seien. In den f o l g e n d e n W o c h e n scheinen die Vorbereitungen dann geruht zu haben, d e n n Friedrich N a u m a n n erkundigte sich am 27. Januar 1913 bei Max Weber, ob er sich, n a c h d e m er „einige Wochen lang von unserem gemeinsamen Projekt einer B e s p r e c h u n g in Frankfurt nichts mehr gehört habe, [...] die Tage 8. und 9. März endültig für diese Sache freihalten" solle. 2 2 Offensichtlich fiel Max Webers Antwort auf diese Anfrage recht skeptisch aus, und er scheint bereits zu dieser Zeit als Alternativtermin Pfingsten 1913 genannt zu haben. N a u m a n n lehnte diesen Termin j e d o c h ab und wollte „den 8. und 9. März festhalten in der Erwartung", daß es Max Weber d o c h noch gelingen möge, „eine größere oder kleinere Zahl der n o t w e n d i g e n Personen bis dahin einzuladen." An Terminschwierigkeiten insbesondere der Parlamentarier solle der „Plan im Ganzen d o c h nicht scheitern." 2 3 A m 21. Februar 1913 mußte Max Weber die Tagung j e d o c h in einem weiteren R u n d s c h r e i b e n „An die Herren Teilnehmer der Leipziger Besprec h u n g " 2 4 erneut - und dieses Mal auf unbestimmte Zeit nach Mai 1913 verschieben. Zwar kündigte er darin an, daß er „Anfang Mai den Herren abermals Vorschläge für den Termin der Versammlung m a c h e n " werde und weiterhin A n r e g u n g e n hinsichtlich der personellen und konzeptionellen Gestaltung der Tagung erwarte, d o c h bricht die Korrespondenz mit diesen Rundschreiben endgültig ab. Es ist also wahrscheinlich, daß diese als große sozialpolitische Aktion in Aussicht g e n o m m e n e Veranstaltung nie über das Planungsstadium hinauskam.
20 Zur Haltung Plenges vgl. Schäfers, Rundschreiben, S. 422f. 21 Ein Exemplar befindet sich Im GStA Berlin, Rep 92, NI. Max Weber, Nr. 30/6 (MWG H/7). 22 Brief Friedrich Naumanns an Max Weber vom 27. Jan. 1913, BA Potsdam, NI, Friedrich Naumann, Nr. 106. 23 Brief Friedrich Naumanns an Max Weber vom 30. Jan. 1913, BA Potsdam, NI. Friedrich Naumann, Nr. 106. 24 Ein Exemplar befindet sich Im GStA Berlin, Rep.92, NI. Max Weber, Nr. 30/11. Eine textidentische maschinenschriftliche Ausfertigung - datiert auf den 22. Februar 1913 befindet sich In der Schleswig-Holsteinlschen Landesbibliothek Kiel, NI. Ferdinand Tönnies (MWG II/8).
374
Entwurf eines
Einladungsschreibens
Zur Überlieferung
und Edition
Von den im Zusammenhang mit der geplanten Frankfurter Tagung gefertigten Rundschreiben Max Webers wird hier der „Entwurf" für das offizielle Einladungsschreiben abgedruckt. Die drei anderen Rundschreiben vom 15. November und 19. Dezember 1912 sowie vom 21. Februar 1913 behandeln vorwiegend Koordinations- und Terminfragen. Sie besitzen nicht den Status einer Schrift und werden deshalb in der Abteilung Briefe der Max Weber-Gesamtausgabe ediert. 1 Der „Entwurf" des Einladungsschreibens ist uns nur als vierseitiges, undatiertes Typoskript überliefert, das in den Wochen zwischen dem 15. November und dem 4. Dezember 1912 entstand. Ein Exemplar befindet sich in der Universitätsbibliothek Leipzig, Nl. 181 (Karl Bücher) (A). Es trägt die handschriftliche Überschrift „Entwurf" und eine Einfügung von Max Webers Hand. Ein zweites Exemplar wurde der Max Weber-Gesamtausgabe aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt (B). Der Abdruck folgt A unter Annotation der Varianten von B.
1 MWG II/7 und MWG II/8.
Entwurf
Unbefangener Betrachtung muß sich der Eindruck eines nachlassenden Interesses der öffentlichen Meinung an der energischen Fortführung der Sozialpolitik aufnötigen und zwar gerade in den 5 Kreisen der direkt Unbeteiligten. Neben dem üblichen Modewechsel innerhalb der intellektuellen Schicht ist dafür sicherlich ein gewisser Eindruck von „Erfolglosigkeit" sozialpolitischer Arbeit mitbestimmend. Er findet seine Gründe im wesentlichen darin, daß immer wieder, wie schon von Anbeginn der gewöhnlich so genann10 ten „sozialpolitischen Ä r a " an, Unklarheit darüber bestand und entsteht: welche Erfolge denn sozialpolitischer Arbeit überhaupt vorschweben können und wie sich die Art des bisherigen Eingreifens der Staatsgewalt in die sozialen Kämpfe zu diesen Möglichkeiten verhalten hat. 15 Allein noch wesentlich schicksalsvoller für eine freiheitliche, d. h.: eine die Autoritätsansprüche irdischer, nur durch den Besitz ökonomischer oder organisatorischer Machtmittel sich legitimierender Herrschaftsgewalten ablehnende, sozialpolitische Arbeit ist der Umstand: daß diese durch die tatsächliche Entwicklung der beiden 20 letzten Jahrzehnte sich in wichtigen Punkten vor eine gänzlich neue Situation gestellt findet und eine tiefgehende, wenn auch noch nicht immer eingestandene Unsicherheit darüber im Anwachsen begriffen ist: welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien. Die unaufhaltsamen Fortschritte der Tendenzen zur Syndizierung einerseits, 25 zur Überführung von Privatwirtschaftsbetrieben in öffentliche® oder irgendwie öffentlich garantierte und kontrollierte Betriebe andererseits bringen immer breitere Teile der Arbeiterschaft in eine Lage, in welcher die Chancen des traditionellen gewerkschaftlichen Kampfs um bessere Arbeitsbedingungen zunehmend verschoben 30 erscheinen. Dazu tritt: daß die unaufhaltsame Bürokrati|sierung der A 2 Bedarfsversorgung, sowohl an sich wie um der besonderen Lage der sich stetig verbreiternden Schicht von „Beamten" aller Art willen, nach einer Ergänzung des überkommenen sozialpolitischen Pro-
a A, B: öffentlichen
376
Entwurf eines
Einladungsschreibens
gramms ruft. Die Richtung, in welcher diese zu finden wäre, ist aber keineswegs selbstverständlich. Wir halten es für zeitgemäß, daß freiheitliche Sozialpolitiker in einer rückhaltlosen und zu diesem Zweck ganz vertraulichen Aussprache einerseits die Fragen des Arbeitsvertrags- und des Beamtenrechts im Hinblick auf jene allgemeinen Entwicklungstendenzen und andererseits die Frage der allgemeinen Stellung der Staatsgewalt zu den Konsequenzen der emporwachsenden privatwirtschaftlichen Monopole im Hinblick auf die speziellen sozialpolitischen Probleme unter sich erörtern, um festzustellen, inwieweit unter ihnen Einmütigkeit wenigstens über die Hauptrichtlinien der Sozialpolitik herzustellen ist. Ebenso beanspruchen die immer stärker drohende Verfälschung der Ziele der inneren Kolonisation und auch die Gefahren der gegenwärtigen Agrarkreditpolitik die Aufmerksamkeit aller derjenigen, welche in dem vaterländischen Boden eine Stätte freier bäuerlicher Arbeit und nicht ein Mittel für die Schaffung sozial privilegierter Existenzen sehen. Einigen von uns erschien es ferner erwünscht, daß diese Gelegenheit auch zu einer Aussprache darüber benutzt würde: ob die Gegenwartslage vom Standpunkt der Sozialpolitik aus bestimmte handelspolitische Konsequenzen fordere und ob und wie vom Standpunkt der Konsumenteninteressen aus eine sozialpolitische Aktion zu orientieren wäre. 3 Wir haben daher verabredet, an einen Kreis von | (im obigen Sinn) freiheitlichen Sozialpolitikern die Bitte ergehen zu lassen: sich mit uns in Frankfurt a/M. am 3. und 4. Januar 1913 in einer noch mitzuteilenden Lokalität zu einer in jeder Hinsicht gänzlich unverbindlichen Erörterung jener Probleme zusammenfinden zu wollen. Nicht nur sind dabei durch die Natur der Sache irgendwelche in irgend einem Sinn für irgend einen Teilnehmer bindende „Beschlüsse" ausgeschlossen. Sondern wir bemerken ausdrücklich: daß nicht b etwa irgend eine Gründung eines neuen „Vereins" 0 oder eine 0 öffentliche „Aktion", auch keine Mitteilung an die Presse, noch weni-
b In A und B handschriftliche Einfügung Max Webers.
c B: Vereins
Entwurf eines
Einladungsschreibens
377
ger aber natürlich eine Arbeit für oder gegen irgend eine Partei, welche immer es sei, beabsichtigt ist, - vielmehr jedenfalls jetzt lediglich der Versuch einer Klärung unserer eigenen Ansichten durch offene Aussprache. Da jede Erörterung in der Presse oder in parteipolitischen Kreisen Mißdeutungen herbeiführen und auch die Unbefangenheit der Aussprache stören könnte, bitten wir ausdrücklich, diese Einladung als gänzlich vertraulich zu behandeln. Der Kreis der Einzuladenden, dessen vorläufiger Umfang aus der Anlage1 ersichtlich ist, kann natürlich, falls diese Besprechungen wiederholt werden sollten, jederzeit erweitert werden, da seine Zusammensetzung zur Zeit auf den zufälligen Vorschlägen der Unterzeichneten beruht. Wir bitten Sie, an die Adresse des Herrn Privatdozenten Dr. ThfeodorJ Vogelstein, München, Franz Josefstraße 16, mitteilen zu wollen, ob Ihre Teilnahme, wie wir hoffen, prinzipiell in Aussicht steht. Wir beabsichtigen eine Diskussion für diesmal über folgende Punkte herbeizuführen: 1. Warum hat die bisherige Sozialpolitik ihre Ziele nicht erreicht? 2. Voluntarismus oder Staatssozialismus? 3. Arbeitsvertragsrecht, 4. Beamtenrecht. | A 5. Das Konsumenteninteresse, sozialpolitisch betrachtet. 6. Bauernpolitik. Wir sind mit dem Versuch beschäftigt, einige geeignete Herren dazu zu gewinnen, die Diskussion durch kurze, über Tatsachen und Stand der Probleme in der Gesetzgebung und politischen Diskussion referierende, einleitende Mitteilungen zu erleichtern. Außerdem wäre es sehr erwünscht, wenn möglichst viele der Herren Teilnehmer sich zur ganz kurzen Fixierung von „Thesen" entschlössen, welche rechtzeitig vor der Besprechung durch Herrn Dr. Vogelstein allen Beteiligten zugesendet werden können.
1 Eine Anlage zu dem „Entwurf" ist nicht überliefert. Listen mit den Namen der Einzuladenden finden sich in dem Brief Max Webers an Karl Bücher vom 4. Dez. 1912, UB Leipzig, Nl. 181 (Karl Bücher) sowie in dem Rundschreiben „An die Herren Teilnehmer der Leipziger Besprechung" vom 19. Dez. 1912, GStA Berlin, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30/6 (beide MWG II/7, S. 7 7 3 - 7 7 6 und 8 0 7 - 8 1 0 ) .
II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge
[Das politische Leben in Amerika] [Diskussionsbeitrag auf der Versammlung des Nationalsozialen Vereins am 20. Januar 1905 in Heidelberg]
Editorischer Bericht Zur Entstehung Am 20. Januar 1905 veranstaltete der Heidelberger Nationalsoziale Verein 1 im Festsaal des Hotels Tannhäuser einen „ A m e r i k a - A b e n d " 2 Dieser stellte nach den Worten des Heidelberger Tageblatts „eine interessante Abwechslung In dem politischen Einerlei unserer Tage" dar 3 und war, wie es der Theologe Gustav Adolf Deißmann in seiner Begrüßungsansprache formulierte, wegen der „Wichtigkeit des Themas .Amerika'" angesetzt. 4 Augenscheinlich trugen die Veranstalter damit der Tatsache Rechnung, daß die Beschäftigung mit den Inneren Verhältnissen Nordamerikas in Europa seit der Jahrhundertwende „in Mode" gekommen war. Dabei gründete sich das wachsende Interesse im Deutschen Reich vor allem darauf, daß sich die USA seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend in die Weltpolitik einschalteten und daß die Beziehungen zwischen beiden Mächten infolge des deutschen kolonialpolitischen Engagements im pazifischen Raum durchaus nicht spannungsfrei waren. Deshalb wurde die Stimmung in den USA genau beobachtet, und es wurden Maßnahmen ins Auge gefaßt, um das politische Klima zu verbessern. Nicht zuletzt aus diesem Grund förderten die offiziellen Stellen die deutsche Beteiligung an dem „Internationalen
1 Obgleich sich der Nationalsoziale Verein auf Reichsebene bereits im Jahre 1903 aufgelöst hatte, blieben in zahlreichen Städten und Gemeinden die Ortsvereine noch längere Zeit unter diesem Namen bestehen. Der Heidelberger Ortsverein vollzog den Beitritt zum „liberalen Wahlverein" um die Jahreswende 1904/05; siehe dazu die Notiz in: Die Hilfe. Nationalsoziale Wochenschrift, Nr. 2 vom 15. Jan. 1905, S.6. 2 Eine Ankündigung findet sich ebd. Recht ausführliche Berichte über den Ablauf des Abends sowie die Referate der Hauptredner finden sich in der Heidelberger Zeitung, Nr. 18 vom 21. Jan. 1905, 1.BI., S. 1 f. 3 Heidelberger Tageblatt, Nr. 18 vom 21. Jan. 1905, 1.BI., S. 3. 4 Heidelberger Zeitung, Nr. 18 vom 21. Jan. 1905, 1. Bl., S. 1.
382
Das politische Leben in Amerika
Gelehrtenkongreß" w ä h r e n d der Weltausstellung In St. Louis im September 1904, 5 in dessen Folge ein großangelegter deutsch-amerikanischer Professorenaustausch in G a n g kam. Der konkrete Anlaß für die Heidelberger Veranstaltung dürfte darin g e l e g e n haben, daß einige Mitglieder des Ortsvereins sich kurz zuvor - unter anderem als Teilnehmer der Weltausstellung in St. Louis - in den USA aufgehalten hatten u n d von ihren persönlichen Erfahrungen berichten konnten. So kündigte die „Hilfe" am 15. Januar 1905 an, daß bei der Versammlung „unsere aus Amerika zurückgekehrten Mitglieder Prof. Dr. Tröltsch, Frau Marianne Weber, Kaufmann Nuzinger und Prof. Dr. Cohnheim über die v e r s c h i e d e n e n Seiten des öffentlichen und privaten Lebens der Union sprechen" würden. Gleichzeitig wurde „ein politis c h e s Schlußwort" in Aussicht gestellt, ein Redner j e d o c h noch nicht genannt. 6 N a c h übereinstimmenden Pressemeldungen war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Die „Hilfe" schrieb im Rahmen ihres Versammlungsberichts v o m 21. Januar: „In dicht g e d r ä n g t e n Scharen strömten gestern die M e n s c h e n zum .Tannhäuser', Bürger, Arbeiter, Frauen, Professoren, Studenten: unser Amerika-Abend hatte eine solche Anziehungskraft, daß der unter normalen Verhältnissen 500 Personen f a s s e n d e Saal von 700 Besuchern, die weit bis ins Treppenhaus in fürchterlicher Enge zusammengekeilt aushielten, g e r a d e z u b e ä n g s t i g e n d überfüllt war." 7 A u c h die Lokalpresse berichtete, daß zahlreiche Besucher keinen Platz mehr gefunden hätten und, selbst „ n a c h d e m eine Anzahl von Tischen entfernt worden war", wieder umkehren mußten. 8 In seinem Einführungsreferat schilderte Ernst Troeltsch, der g e m e i n s a m mit Max und Marianne Weber nach St. Louis gereist war, die Überfahrt sowie seine Eindrücke v o m Leben in New York und C h i c a g o . D a n a c h hielt Marianne Weber einen „mit S p a n n u n g erwarteten Vortrag" über das T h e m a „Was bietet Amerika der Frau?" Sie befaßte sich darin unter anderem mit der Stellung der amerikanischen Frau im Familienleben und ihrem Verhältnis z u m anderen Geschlecht, ihren B i l d u n g s m ö g l i c h k e i t e n und ihrer beruflichen sowie sozialen Tätigkeit und charakterisierte die Amerikanerin schließlich als „Pflegerin der geistigen und kulturellen Güter" und als „Hüterin des sittlichen Idealismus". 9 N a c h d e m Otto Bernhard Nuzinger über den Problemkreis „Der Amerikaner in Geschäft und Familie" referiert hatte, s p r a c h z u m Abschluß Otto Heinrich Cohnheim, der 1904 eine Gastprofessur in Bo-
5 Zur Weltausstellung in St. Louis siehe den Editorischen Bericht zu: „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science", obe\i, S. 212-243. 6 Die Hilfe, Nr. 2 vom 15. Jan. 1905, S. 6. 7 Ebd., Nr. 4 vom 29. Jan. 1905, S. 5. 8 Heidelberger Zeitung, Nr. 18 vom 21. Jan. 1905, 1.BI., S. 1. 9 Ebd., S. 2.
Editorischer
Bericht
383
ston/Mass. innegehabt hatte, über das Thema „Der amerikanische Arbeiter". Nach einer kurzen Pause ergriff Max Weber zu einem rund einstündigen Diskussionsbeitrag das Wort. 10 Wie sich einem Brief Marianne Webers an Helene Weber entnehmen läßt, hatte von Anfang an die Hoffnung bestanden, daß Max Weber „in der Diskussion etwas sagen" würde, jedoch gab es noch am 20. Januar Zweifel, ob er überhaupt würde mitgehen können, da er einige Tage zuvor „eine ganz gründliche Erkältung mit nach Hause" gebracht hatte und „noch sehr verschnupft" war. 11 Der Entschluß zu sprechen scheint erst abends gefallen zu sein. So berichtet Marianne Weber: „Ausnahmsweise verläßt nun der kranke Löwe auch abends seine Höhle. Als die Heidelberger National-Sozialen unter Afdolf] Deißmanns Leitung einen .Amerikaabend' veranstalten, [...] läßt er sich mitlocken und improvisiert dann in der Diskussion länger als die Hauptredner zusammen. Die aufgespeicherten Eindrücke strömen mitreißend hervor." 12 In dem Brief an Helene Weber heißt es sogar, daß der Abend „ein wahrer Glanz" gewesen sei: „Als riesiger Knalleffekt kam zum Schluß unser .Großer' u. redete, redete, trotz Katarrh[,j bis er kaum noch eine Stimme hatte - bis 1 / 2 12 Uhr, über eine Stunde! Glänzend sage ich Dir! der verflixte Kerl." 13 Auch die „Hilfe" bezeichnete das Auftreten Webers als eine „Überraschung", über die sie sehr ausführlich berichtete. „Herr Universitäts-Professor Dr. Max Weber ergriff zum ersten Male wieder seit Jahren das Wort. In einstündiger, mit lautloser Stille aufgenommener, nur häufig durch Beifall unterbrochener Rede sprach er, ebenfalls auf Grund der Eindrücke seiner Amerikareise, das Schlußwort zu den vier kurzen Reden der anderen. Im besten Sinne ein Volksredner, aber in jedem Satze Forscher und politischer Denker, spannend von Anfang bis zu Ende, witzig und sarkastisch, manche Superlative der Vorredner mildernd, schilderte Weber besonders das politische Nordamerika." 14 Dieser „mit gespanntester Aufmerksamkeit" und „großem Beifall" aufgenommene Diskussionsbeitrag ist uns nur in einigen wenigen Stichworten überliefert. Insgesamt lassen die behandelten Themen den Schluß zu, daß
10 Ebd. 11 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 20. Jan. 1905, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 12 Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S.358. 13 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 20. Jan. 1905, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 14 Die Hilfe, Nr. 4 vom 29. Jan. 1905, S. 6.
384
Das politische
Leben in
Amerika
M a x W e b e r hier b e r e i t s d i e H a u p t e l e m e n t e s e i n e r z u k ü n f t i g e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit „ A m e r i k a " s k i z z i e r t e , d i e d a n n in z a h l r e i c h e n
wissenschaft-
l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n A b h a n d l u n g e n u n d R e d e n ihren N i e d e r s c h l a g f i n d e n sollten.15
Zur Überlieferung
und Edition
D e r V o r t r a g ist In f o l g e n d e n P r e s s e b e r i c h t e n ü b e r l i e f e r t : 1. „ A m e r i k a - A b e n d d e s N a t i o n a l s o z i a l e n Vereins", in: H e i d e l b e r g e r
Zel-
t u n g , Nr. 18 v o m 21. J a n u a r 1905, 1.BI., S . 2 ( A ( 1 ) ) ; 2. „ ( N a t i o n a l s o z i a l e r
Verein)",
In:
Heidelberger
Tageblatt,
Nr. 18
vom
21. J a n u a r 1905, 1.BI., S . 3 ( A ( 2 ) ) . Webers Ausführungen werden nach diesen Berichten wiedergegeben.
15 Siehe dazu u. a. die Artikelserie .„Kirchen1 und .Sekten' in Nordamerika", in: Die Christliche Welt, Nr. 24 vom 14. Juni 1906, Sp. 558-562, und Nr. 25 vom 21. Juni 1906, S p . 5 7 7 583 (MWG I/9); die Diskussionsbeiträge während der Verhandlungen des IV. Deutschen Hochschullehrertags über „Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen", in: Verhandlungen des IV. Deutschen Hochschullehrertages zu Dresden am 12. und 13. Oktober 1911.- Leipzig: Verlag des Literarischen Zentralblattes für Deutschland 1912 (MWG 1/13): Passagen aus: Wissenschaft als Beruf, MWG 1/17, S. 7 1 - 7 4 , 1 0 1 f., sowie Politik als Beruf, ebd., S. 212-218; sowie Webers Vortrag „Demokratie und Aristokratie im amerikanischen Leben" vom März 1918, über den zahlreiche Heidelberger Tageszeitungen ausführlich berichteten (MWG 1/15, S. 739-749).
[Das politische Leben in Amerika]
[Bericht der Heidelberger Zeitung]
Nach einer Pause von 10 Minuten machte der Vorsitzende der Versammlung die Mitteilung, daß Prof. Max Weber zu sprechen sich bereit erklärt habe. Prof. Weber, lebhaft begrüßt, sprach in nahezu einstündiger Rede über das politische Leben in Amerika. In dieser Zeit machte er die Zuhörer mit dem Wesen und der Bedeutung der amerikanischen Demokratie, der Negerpolitik, den Wahlverhältnissen, der Autoritätslosigkeit des Amerikaners, den verschiedenen Sekten, dem Parlament und mit den Parlamentariern in ihrem Verhältnis zum Volk usw. bekannt und erntete dafür lebhaften Beifall.
[Bericht des Heidelberger Tageblatts]
In der Diskussion sprach Herr Professor M[ax] Weber über das politische Leben in Amerika, die Entwicklung der Parteiverhältnisse, das Negerproblem, das Regierungssystem, die „Amerikanisierung" der Einwanderer durch die Demokratie, das Vereinsleben, die Arbeiterverhältnisse u[nd] afnderes] m[ehr]. Die geistvollen, sachverständigen Ausführungen Weber's wurden mit gespanntester Aufmerksamkeit angehört. Die Kritik der sozialen Zustände in unserem Lande 1 erntete großen Beifall.
1 Daß Max Weber am Schluß seines Vortrags auf die innenpolitische Lage im Deutschen Reich zu sprechen kam, berichtet auch die „Hilfe": „Mit einem gewaltigen Appell zu volkstümlicher und freiheitlicher Politik endete die Rede; der Riesenstreik unserer Bergarbeiter gab dem ungemein packenden Schluß den Hintergrund." Die Hilfe. Nationalsoziale Wochenschrift, Nr. 4 vom 29. Jan. 1905, S. 6. Zu dem Bergarbeiterausstand an der Ruhr vgl. den Editorischen Bericht zu Webers Diskussionsbeitrag im Verein für Sozialpolitik über „Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben", oben, S. 2 4 9 - 2 5 9 .
[Kaiser und Reichsverfassung] [Diskussionsbeitrag auf der Versammlung der Nationalliberalen Partei am 30. November 1908 in Heidelberg]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Die „Daily-Telegraph-Affaire" des Jahres 1908 war eine der schwersten innenpolitischen Krisen des Deutschen Kaiserreichs, in deren Verlauf das „persönliche Regiment" Kaiser Wilhelms II. in Frage gestellt und die Parlamentarisierung der Reichsverfassung gefordert wurde. Ausgangspunkt der Krise war ein Artikel des Londoner Daily Telegraph vom 28. Oktober 1908, In dem verschiedene Äußerungen Wilhelms II. aus den Jahren 1907 und 1908 zu einem Presse-Interview zusammengestellt waren. Gemäß den Usancen des konstitutionellen Systems war der Artikel Im Auftrag des Kaisers vor seinem Erscheinen dem Reichskanzler Bernhard von Bülow vorgelegt worden. Vermutlich ohne von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen, hatte Bülow die Prüfung des „Interviews" dem Auswärtigen Amt überlassen und nichts getan, um die Veröffentlichung zu verhindern. Unter anderem enthielt der Artikel die Erklärung des Kaisers, daß er als Freund Englands zu einer kleinen Minderheit in Deutschland gehöre, und ferner, daß er Großbritannien während des Burenkrieges nicht nur diplomatisch unterstützt, sondern den Engländern darüber hinaus einen Feldzugsplan gegen die Buren habe zukommen lassen, der, wie der Verlauf des Krieges zeige, von der britischen Generalität auch berücksichtigt worden sei. In der deutschen Öffentlichkeit löste das „Interview" einen Sturm der Entrüstung aus. Man beklagte vor allem die anscheinend unkontrollierten polltischen Alleingänge und Eingriffe des Kaisers und die damit verbundene Belastung der deutschen Außenpolitik. Die allgemeine Empörung erreichte ihren Höhepunkt In der Reichstagsdebatte vom 10./1 I.November 1908. In einer Reihe von Interpellationen brachten die Abgeordneten, darunter auch die Konservativen, Ihre Kritik am Verhalten des Kaisers vehement zum Ausdruck. 1 Als Konsequenz der Geschehnisse forderten sie verfassungsrecht-
1 Sten. Ber., Band 233, S. 5373-5439.
Editorischer
Bericht
387
liehe Garantien g e g e n ein e i g e n m ä c h t i g e s Eingreifen des Kaisers in die äußere Politik. Allerdings g i n g e n die Ansichten darüber, worin diese „Garantien" bestehen sollten, weit auseinander. Während die Konservativen, die Nationalliberalen und das Zentrum nur die Sicherung des geltenden konstitutionellen Systems wünschten, plädierten Linksliberale und Soziald e m o k r a t e n für eine Präzisierung der in Artikel 17 der Reichsverfassung nur äußerst v a g e u m s c h r i e b e n e n „Verantwortlichkeit" des Reichskanzlers. 2 A n g e s i c h t s dieser Stimmung g i n g Bülow auf Distanz z u m Kaiser. Zwar ü b e r n a h m er die politische Verantwortung für die Veröffentlichung des „Interviews", d o c h g e s c h a h dies so beiläufig, daß letztlich der Kaiser als der Alleinschuldige erschien. So forderte Bülow a m 10. November 1908 im Reichstag v o m Kaiser „auch in Privatgesprächen jene Zurückhaltung [...], die im Interesse einer einheitlichen Politik und für die Autorität der Krone gleich unentbehrlich ist." Sollte er diese nicht üben, „so könnte w e d e r ich noch einer meiner Nachfolger die Verantwortung tragen." 3 N a c h diesen Äußerungen sah sich Wilhelm II. vollständig isoliert und zum Rückzug g e z w u n gen. A m 17. November 1908 fand eine B e s p r e c h u n g zwischen Kanzler und Kaiser statt, nach der Bülow amtlich erklären ließ, daß der Kaiser seine vornehmste A u f g a b e darin erblicke, „die Stetigkeit der Politik des Reichs unter Wahrung der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten zu sichern." Demgemäß billige der Kaiser „die A u s f ü h r u n g e n des Reichskanzlers im Reichstage" und versichere „den Fürsten von Bülow Seines fortdauernden Vertrauens." 4 Zwar war damit der Höhepunkt der Krise überschritten, d o c h nicht die allgemeine Beunruhigung, die sich, wie die H a m b u r g e r Nachrichten schrieben, „des d e u t s c h e n Volkes w e g e n der Eingriffe des Monarchen in die amtliche Politik b e m ä c h t i g t " hatte. 5 So w u r d e a u c h die Debatte über mögliche „verfassungsrechtliche Garantien", die eine Wiederholung der Ereignisse verhindern sollten, in der Öffentlichkeit weitergeführt. An dieser Diskussion beteiligte sich auch der Heidelberger Ortsverein der Nationalliberalen Partei. Für den 30. November 1908 berief er eine Vers a m m l u n g ein, in der der renommierte Staatsrechtler Georg Jellinek als Hauptredner zum T h e m a „Kaiser und Reichsverfassung" sprach. Aus-
2 Art. 17, Satz 2 der Reichsverfassung lautet: „Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt." 3 Sten. Ber., Band 233, S.5396. 4 Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 272 vom 17. Nov. 1908, Abends, S. 1. 5 Eine Zusammenstellung der Pressereaktionen findet sich in: Deutscher Geschichtskalender für 1908, hg. von Karl Wippermann, Band 2. - Leipzig: F. W. Grunow 1909, S. 126-133.
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Kaiser und
Reichsverfassung
führliche, im wesentlichen übereinstimmende Berichte über diese Rede sowie die anschließende Diskussion finden sich in der Heidelberger Zeitung sowie im Heidelberger Tageblatt 6 Die Veranstaltung, die in der Heidelberger Bürgergesellschaft „Harmonie" vor einem großem Publikum stattfand, wurde von dem nationalliberalen Politiker und Mitglied des badischen Landtags Professor Philipp Quenzer eröffnet. Quenzer ging noch einmal auf die Ereignisse der letzten Wochen ein und meinte, daß nun, nachdem die „leidenschaftliche Erregung" abgeklungen sei, „die ruhig abwägende Wissenschaft Gelegenheit" finden müsse, „das ihre dazu zu sagen." In seinem Vortrag bewertete Georg Jellinek die „Daily-Telegraph-Affaire" als die schwerste und ernsteste Krise des Reichs seit seiner Gründung. Sie werfe die Frage auf, „ob nicht eine Verfassungsänderung nötig" sei. Für das Deutsche Reich sei die Konstruktion, daß der Kaiser „unverantwortlich", der Reichskanzler hingegen „verantwortlich" sei, richtig, da der Kaiser „über dem Parteigetriebe stehen" müsse und im Volk als „Symbol der Einheit" gelte. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Kanzlers plädierte Jellinek für eine Präzisierung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen. Sei der Kanzler bisher nur vom Vertrauen des Kaisers abhängig gewesen, so müßten nun Regelungen gefunden werden, die den Bundesrat und den Reichstag in die Lage versetzten, den Kanzler gegebenenfalls zum Rücktritt zwingen zu können. Jellinek schlug eine Ergänzung des Artikels 17 der Reichsverfassung vor. Er wollte die vage Formulierung, daß die „Anordnungen und Verfügungen des Kaisers [...] zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers" bedürfen, „welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt", nun dahingehend erweitern, daß „die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers [...] gegenüber dem Bundesrate und Reichstage" bestehe, in dem Sinne, „daß er das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrnehme und sich des Vertrauens, das sein Amt erfordert, würdig zeige." Der Reichstag solle das Recht erhalten, „auf Antrag des Bundesrates oder von hundert Mitgliedern mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner gesetzlichen Mitgliederzahl" zu beschließen, „daß der Reichskanzler durch seine Amtsführung dieses Vertrauen verwirkt" habe, und dadurch in die Lage versetzt werden, „das endgültige Ausscheiden des Reichskanzlers aus dem Reichsdienst" zu bewirken. Die Einzelheiten des Verfahrens seien in den Geschäftsordnungen des Bundesrates und Reichstages zu regeln. Jellinek sah in einer solchen Ergänzung der Verfassung die Chance, nicht nur die Macht des Kaisertums
6 H e i d e l b e r g e r Z e i t u n g , Nr. 2 8 2 v o m 1. D e z . 1908, 3. Bl., S. 1 f.. u n d Nr. 2 8 3 v o m 2. Dez. 1908, 4. Bl., S. 1 f.; H e i d e l b e r g e r T a g e b l a t t , Nr. 2 8 2 v o m I . D e z . 1908, S . 4 , u n d Nr. 2 8 3 v o m 2. D e z . 1908, S. 4. D a s F o l g e n d e Ist n a c h d i e s e n b e i d e n B e r i c h t e n referiert.
Editorischer Bericht
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und das Ansehen des Reichskanzlers zu stärken, sondern zugleich auch „Bundesrat und Reichstag selbst zu einer [...] Verantwortlichkeit vor der Nation und der Geschichte" zu bringen. Gleichwohl bezweifelte er die Möglichkeit eines parlamentarischen Reglerungssystems nach englischem Muster In Deutschland, da seiner Einschätzung nach „die großen parlamentarischen Partelen gar nicht zur Macht gelangen" und, bisher wenigstens, auch keine Verantwortung übernehmen wollten. Im Anschluß an diesen mit viel Beifall aufgenommenen Vortrag entspann sich eine lebhafte Diskussion zwischen dem Nationalökonomen Eberhard Gothein, Max Weber und Georg Jellinek. Die Heidelberger Zeitung sprach von einem „Tournier zwischen den drei Rednern", dem die Zuhörerschaft „mit größter Spannung" gefolgt sei. 7 Gothein lehnte eine Erweiterung der Rechte des Parlaments ab, da dort nur „Interessenpolitik" betrieben werde. Max Weber hingegen verlangte In seinem ersten Diskussionsbeitrag mit Nachdruck den Übergang zum parlamentarischen System. Nachdem Gothein seine Position in einem weiteren Diskussionsbeitrag noch einmal bekräftigt hatte, sah sich Max Weber veranlaßt, ein zweites Mal in die Debatte einzugreifen. Insbesondere über Gotheins Äußerung, daß die „moralische Verantwortlichkeit des Monarchen" niemals durch eine formale Verantwortlichkeit des Reichskanzlers abgelöst werden könne, kam es abschließend zu einer Kontroverse zwischen Jellinek und Gothein. Während Jellinek wieder für eine verfassungsrechtliche Präzisierung plädierte, die den Begriff der „Verantwortlichkeit" allein auf den Reichskanzler anwendbar mache, blieb Gothein bei der Ansicht, daß es mehr darauf ankomme, „das Verantwortungsgefühl des Monarchen zu schärfen, als den Parlamentarismus zu stärken." Gegen 23 Uhr ging die Versammlung mit einem Schlußwort Quenzers zu Ende. Nach Marianne Webers Bericht waren Max Webers Diskussionsbeiträge nicht vorbereitet, sondern spontane Reaktionen auf Jellineks und, mehr noch, auf Gotheins Vorstellungen. Sie schrieb In einem Brief an Helene Weber, daß Max Weber eigentlich nur „aus Gefälligkeit" zusammen mit ihr und Alfred Weber in den Vortrag gegangen sei und beide „seiner Schweigsamkeit" versichert habe. Als Gothein jedoch „nationalmiserablen;,] nein: sogar konservativ angehauchten Kaff" redete, sei er so „in Harnisch" geraten, daß er sich nicht mehr zurückhalten konnte. Dann habe er „großartig mit beherrschter Leidenschaft u. Wucht" gesprochen, so daß selbst andersdenkende Zuhörer „in der Seele gepackt" worden seien. 8 Eine ähnliche Schll-
7 Heidelberger Zeitung, Nr. 282 vom 1. Dez. 1908, 3. Bl., S.2. 8 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 9. Dez. 1908, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Vgl. dazu auch Weber, Marianne, Lebensbild 1 , S. 411 f.
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Kaiser und
Reichsverfassung
d e r u n g findet sich auch bei Gustav Radbruch: „Ich sehe ihn noch an einer Säule des Saales stehen, höre noch den Ton seiner mächtigen Stimme, die seine Rede trug, Tatzenschläge eines Löwen, und erinnere mich noch des starken Eindrucks, den der in weiteren Kreisen Halbvergessene sich an diesem A b e n d mit einem Schlage wieder e r z w a n g . " 9 Max Weber setzte sich nicht nur an d i e s e m A b e n d mit den Ideen Jellineks auseinander, die dieser in einem Artikel der Frankfurter Zeitung kurz danach noch einmal präzisierte, 1 0 sondern beriet ihn auch später bei deren Ausarbeitung. 1 1 A u c h auf einer ganz anderen Ebene sollten Max Webers Diskussionsbeiträge v o m 30. N o v e m b e r noch ein Nachspiel haben. Seine im Heid e l b e r g e r Tageblatt referierten B e m e r k u n g e n über Rußland 1 2 w u r d e n von der liberalen russischen Zeitung Russkija Vedomosti folgendermaßen wied e r g e g e b e n : „Es sei ein großes Glück für Deutschland, daß in Rußland sich die g e g e n w ä r t i g e Verfassung noch nicht fest verankert und die Stunde der russischen Erneuerung noch nicht g e s c h l a g e n habe. Ein erneuertes Rußland würde eine solche Kraft und Macht auf den Stützen einer moralischen Stimmung und Begeisterung erlangen, die unvergleichbar wäre mit jeder anderen Macht auf d e m Kontinent." 1 3 Max Weber sah sich mißverstanden. Eine Furcht der Deutschen vor einem freien Rußland hatte er nicht z u m Ausd r u c k bringen wollen. Deshalb erläuterte er seine Position in einem offenen Brief an die genannte Zeitung und betonte, daß er der russischen Freiheitsb e w e g u n g keineswegs feindselig g e g e n ü b e r s t e h e . 1 4
9 Radbruch, Gustav, Der innere Weg. Aufriß meines Lebens. - Stuttgart: K.F. Koehler 1951, S. 84. 10 Jeliinek, Georg, Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 334 vom 1. Dez. 1908, 1. Mo.BI., S. 1. Im 3. Mo.BI., S. 1 f., desselben Tages berichtet die Frankfurter Zeitung unter der Überschrift „Kaiser und Reichsverfassung" auch ausführlich über den Vortrag Jellineks in Heidelberg am 30. November, ohne jedoch die anschließende Diskussion zu erwähnen. 11 Max Webers Stellungnahme zu den Vorschlägen Jellineks wird in einem Brief an Friedrich Naumann, undat. [Ende Dez. 1908], MWG II/5, S.712ff., deutlich. Zum Kontext vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zu diesem Brief, ebd., S. 711 f. 12 Siehe unten, S.395. 13 Dieser Artikel in der Russkija Vedomosti, Nr. 50 vom 3. (16.) März 1909, S. 2, ist hier nach der Übersetzung von Dittmar Dahlmann im Editorischen Bericht zu: „Über Deutschland und das freie Rußland", in: MWG 1/10, S. 685f., zitiert. 14 Der Brief erschien in der Russkija Vedomosti, Nr. 62 vom 17. (30.) März 1909, sowie in deutscher Fassung in der Neuen Badischen Landeszeitung, Nr. 158 vom 4. April 1909, 1. Mo.BI. Er ist unter dem Titel „Über Deutschland und das freie Rußland" ediert in: MWG 1/10, S. 689-692. Zum Kontext vgl. den Editorischen Bericht, ebd., S. 685-688.
Editorischer
Zur Überlieferung
391
Bericht
und
Edition
Die Diskussionsbeiträge Max Webers zum Vortrag Georg Jellineks am 30. November 1908 sind uns in zwei Presseberichten überliefert: 1. „.Kaiser und Reichsverfassung'. (Diskussion zum Vortrag des Herrn Geh[eimen] Hofrates Prof. Dr. Jellinek in der Nationalliberalen Partei[-] Versammlung am 30. November) II. (Schluß.)", in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 283 vom 2. Dezember 1908, S.4. (A(1)); 2. „Kaiser und Reichsverfassung. II.", in: Heidelberger Zeitung, Nr. 283 vom 2. Dezember 1908, 4. Bl„ S. 1. (A(2)). Webers Ausführungen werden nach diesen Berichten wiedergegeben.
[Kaiser und Reichsverfassung]
[Bericht des Heidelberger Tageblatts]
1. Diskussionsbeitrag
Herr Universitätsprofessor Dr. Max Weber wandte sich gegen Geheimrat Gothein bezw. dessen Ausführungen über Parlament und 5 Beamtentum. 1 Geheimrat Gothein habe das Parlament scharf angegriffen. Bekanntlich seien aber z.B. England und Belgien parlamentarisch regierte Länder. Gerade sie brachten es aber zu einem internationalen Ansehen und einem Kolonialbesitz, dem gegenüber der unsere verschwindet. Ferner zeige die Politik dieser Länder, bei 10 denen man von Schattenkönigen spricht, 2 wesentlich mehr Konsequenz und Stetigkeit, als bei uns wahrnehmbar ist. Möge man über diese Schattenkönige und ihr bei uns so oft beanstandetes Privatleben 3 reden wie man wolle, jedenfalls haben sie ihren Ländern Dienste erwiesen, wie sie - andere Monarchen ihren Ländern bisher 15 noch nicht leisten konnten. Warum? Jene Herrscher treiben Real1 Dem Bericht des Heidelberger Tageblatts, Nr. 283 vom 2. Dez. 1908, S. 3, zufolge hatte Gothein gesagt, die „heutigen Partelen seien im wesentlichen nichts anderes als Interessengruppen, die das Parlament als Vorspann benützten, um Ihre Sonderinteressen durchzusetzen." So lange dies der Fall sei, wünsche er keine Ausweitung der Rechte des Parlaments. Statt dessen sehe er es lieber, „daß man die Dinge läßt, wie sie sind; das sei besser, als wenn alles von den schwankenden parlamentarischen Zuständen abhängig werde." Darüber hinaus befürwortete Gothein die starke Stellung des Beamtentums, wie sie auch Im Großherzogtum Baden vorzufinden sei. An diesem „Grundpfeiler der Regierung" werde der Parlamentarismus, wenn er übermächtig oder gar gefährlich werde, seinen Widerstand finden. 2 Vermutlich bezieht sich Max Weber hier auf Äußerungen Heinrich von Treltschkes, daß in Belgien wie in England ein „Illegitimes, machtloses Königthum" oder ein „Schattenkönigthum" anzutreffen sei, „das also gar nicht im Stande ist, ein selbständiges Recht gegenüber der Volksvertretung zu behaupten." Treitschke, Heinrich von, Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, hg. von Max Cornicelius, Band 2. - Leipzig: S. Hlrzel 1898, S. 136 und 147. 3 Das Privatleben König Edwards VII. von England und König Leopolds II. von Belgien wurde in der europäischen Öffentlichkeit als skandalös empfunden. Insbesondere In seiner Zelt als Prlnce of Wales hatte Edward, der wiederholt in Ehebruch- und Falschspielerprozessen als Zeuge auftreten mußte, für erhebliches Aufsehen gesorgt. Auch Leopold II. galt in den Augen der Zeitgenossen als rücksichtsloser „Genußmensch", der sich über alle Tabus hinwegsetzte.
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politik, und diese sei zweckmäßiger als eine Politik des „Prestiges". Der Parlamentarismus ist eine auslösende Kraft. Er stärkte den Einfluß des Königs von England, weil dieser etwas leistete; einen Monarchen, der nichts leiste, stelle ein gesunder Parlamentarismus einfach kalt. Über allem, auch über dem Wohl von Dynastien, stehe das Wohl des Vaterlandes; diesem habe aber der Parlamentarismus schon mehr genützt, als so und so viele Herrscher. Bremsen brauche man also dem Parlamentarismus gegenüber nicht; daß seine Bäume in Deutschland nicht in den Himmel wachsen, dafür sorge man schon. Aber es sei bedauerlich, wenn eine Nation nicht reiten könne, wenn man sie in den Sattel setze;4 eine solche Nation brauche dann aber auch kein Heer und keine Marine und keine Kolonien, sondern strebe darnach, wie die Schweiz oder das kleine Luxemburg, neutraler Staat ohne jeden Einfluß zu werden. Alles in allem: einen Parlamentarismus braucht Deutschland, denn es sei reif dafür. Und wenn von bestimmter Seite jüngst droben in Freiburg gesagt wurde 3 , eine Erweiterung parlamentarischer Rechte führe Zersetzung herbei, 5 so sei es unbegreiflich, wie sich die deutsche Nation so etwas gefallen lassen kann.b a In A ( 1 ) f o l g t d e r r e d a k t i o n e l l e Z u s a t z : (Geheimrat von Below. b In A ( 1 ) folgt d e r r e d a k t i o n e l l e Z u s a t z : (Lebhafter Beifall.)
D[ie] R[edaktion])
4 M a x W e b e r ü b e r n i m m t hier d i e b e r ü h m t e Ä u ß e r u n g B i s m a r c k s vor d e m R e i c h s t a g d e s N o r d d e u t s c h e n B u n d e s a m 11. M ä r z 1867: „ S e t z e n wir D e u t s c h l a n d , so zu s a g e n , in d e n Sattel! Reiten w i r d es s c h o n k ö n n e n . " Die p o l i t i s c h e n R e d e n d e s F ü r s t e n B i s m a r c k . Histor i s c h - k r i t i s c h e G e s a m t a u s g a b e , hg. v o n H o r s t Kohl, B a n d 3. - Stuttgart: J . G . C o t t a 1892, S. 184. A u c h d i e H e i d e l b e r g e r Z e i t u n g , N r . 2 8 2 v o m I . D e z . 1908, 3. Bl., S . 2 , teilt e i n e d e r a r t i g e Ä u ß e r u n g M a x W e b e r s mit. Im A n s c h l u ß a n d i e a u s f ü h r l i c h e D a r s t e l l u n g d e r R e d e J e l l i n e k s g a b sie e i n e kurze V o r s c h a u auf d i e D i s k u s s i o n s b e i t r ä g e . In b e z u g auf M a x W e b e r heißt es: „ M a x W e b e r v e r t e i d i g t e e i n e n sehr r a d i k a l e n S t a n d p u n k t . Er f o r d e r t e d a s p a r l a m e n t a r i s c h e R e g i m e , s e t z e m a n d a s P a r l a m e n t in d e n Sattel, es w e r d e s c h o n reiten." In ihrem B e r i c h t v o m 2. D e z e m b e r 1 9 0 8 ü b e r d i e D i s k u s s i o n g i b t d i e H e i d e l b e r g e r Z e l t u n g d i e s e Ä u ß e r u n g j e d o c h nicht n o c h e i n m a l wieder. 5 V e r m u t l i c h ist d e r v o n d e r R e d a k t i o n d e s H e i d e l b e r g e r T a g e b l a t t s h i n z u g e f ü g t e H i n w e i s auf G e o r g v o n B e l o w irrig. M a x W e b e r d ü r f t e s i c h v i e l m e h r auf eine R e d e d e s S t a a t s r e c h t lers R i c h a r d S c h m i d t b e z o g e n h a b e n , d i e d i e s e r auf einer p o l i t i s c h e n V e r s a m m l u n g a m 18. N o v e m b e r 1 9 0 8 in F r e i b u r g g e h a l t e n hatte. S c h m i d t hatte d a r i n e i n e E r w e i t e r u n g d e r R e c h t e d e s P a r l a m e n t s a b g e l e h n t , d a d i e s seiner E i n s c h ä t z u n g n a c h „ i m Innern d i e A n a r c h i e u n d n a c h A u ß e n P l a n l o s i g k e i t " b e d e u t e n w ü r d e . F r e i b u r g e r Z e i t u n g , Nr. 3 1 8 v o m 19. Nov. 1908, 1. Mo.BI., S. 2. Die R e d e S c h m i d t s ist M a x W e b e r d u r c h H e i n r i c h R i c k e r t z u g ä n g l i c h g e m a c h t w o r d e n . In s e i n e m D a n k e s b r i e f b e z e i c h n e t M a x W e b e r d i e A u s f ü h r u n g e n S c h m i d t s als „ p o l i t i s c h e M u s i k auf d e r K i n d e r t r o m p e t e " u n d als „übles, k ö t z r i g e s G e t ö n e " . Brief M a x W e b e r s an H e i n r i c h Rickert, u n d a t . [PSt. 21. Nov. 1908], M W G M/5, S. 6 9 9 .
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2. Diskussionsbeitrag Herr Universitätsprofessor Dr. Max Weber: Wenn der Vorredner sagte, der Reichstag und die politischen Parteien trieben Interessenpolitik,6 so gebe er das zu. Aber woher komme es denn, daß man nur vom teuren Schwein7 und solchen Dingen rede? Weil man große hohe politische Aufgaben als Makulatur ansehe, und auf der anderen Seite - beim Bundesrat - es nicht einmal der Mühe wert finde, auf Anfragen aus dem Reichstag Antwort zu erteilen.8 Das sei eben in England anders. Auch dort treibe man ja Interessenpolitik. Aber es ginge wohl anders, wenn der König sich dort solche Entgleisungen leistete, wie sie anderen Monarchen passieren. Das kommt aber dort nicht vor, weil es dem König seine Krone kosten könnte. Und das sei eine bessere Garantie als Worte, die die Druckerschwärze wiedergibt. Herr Geheimrat Gothein bemängelte es auch, daß ich vorhin mit Bezug auf die letzten Vorgänge von einem Canossa sprach.9 Die persönliche Auffassung habe damit gar nichts zu tun. 6 Im Anschluß an d e n ersten D i s k u s s i o n s b e i t r a g Max Webers hatte Gothein die rhetoris c h e Frage gestellt: „Ist das, w a s heute z. B. in E n g l a n d m ö g l i c h ist, a u c h in D e u t s c h l a n d möglich, w o die politischen Partelen im Banne der Interessenpolitik stehen? K a n n ein solc h e s Parlament, wie d a s unsere, erziehlich auf d a s Volk wirken?" H e i d e l b e r g e r Tageblatt, Nr. 283 v o m 2. Dez. 1905, S. 4. 7 Das e n o r m e A n s t e i g e n der Fleischpreise vor allem in d e n Jahren 1905/06 z w a n g d e n Reichstag, sich mit dieser Frage zu b e s c h ä f t i g e n . A m 30. N o v e m b e r 1905 warf der Soziald e m o k r a t Philipp S c h e i d e m a n n d e m preußischen Landwirtschaftsminister Viktor v o n Podbielskl vor, d a s Problem herunterzuspielen u n d insofern Interessenpolitik zu betreiben, als der Minister selbst ein „großer S c h w e i n e z ü c h t e r " sei u n d d e s h a l b jener G r u p p e a n g e h ö r e , die „ein p e r s ö n l i c h e s Interesse h a b e n muß, daß die S c h w e i n e p r e i s e steigen." Sten.Ber., B a n d 214, S. 1 4 - 2 3 , hier S. 17. 8 A n f r a g e n u n d Interpellationen von Mitgliedern d e s R e i c h s t a g s waren formell an d e n Bundesrat zu richten, in d e s s e n N a m e n der Reichskanzler oder einer seiner Stellvertreter die B e a n t w o r t u n g ü b e r n a h m . Da d a s Interpellationsrecht j e d o c h nicht in der Reichsverfassung, s o n d e r n nur in der G e s c h ä f t s o r d n u n g d e s Reichstags verankert war, war der Reichskanzler n a c h g e l t e n d e m Staatsrecht nicht verpflichtet, auf Interpellationen zu reagieren. 9 W e b e r s „ C a n o s s a " - V e r g l e i c h u n d Gotheins Kritik d a r a n sind w e d e r v o m H e i d e l b e r g e r Tageblatt n o c h von der H e i d e l b e r g e r Z e i t u n g überliefert. Allerdings findet sich ein solcher in einem Brief Max W e b e r s an Heinrich Rickert, undat. [PSt. 21. Nov. 1908], M W G II/5, S. 699. Hier vergleicht er d e n A u s g a n g der „Daily-Telegraph-Affaire", i n s b e s o n d e r e die B e g e g n u n g z w i s c h e n Wilhelm II. u n d Bülow a m 17. N o v e m b e r 1908, mit d e m historischen „ C a n o s s a " - G a n g Kaiser Heinrichs IV. im Winter 1077. Dieser hatte auf d e m H ö h e p u n k t d e s Investiturstreits unter d e m ü t i g e n d e n U m s t ä n d e n t a g e l a n g im Hof der Burg C a n o s s a in der M a r k g r a f s c h a f t Tuszien auf die Absolution d u r c h Papst Gregor VII. gewartet, um seine Stellung im Reich zu halten.
Kaiser und
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Aber wenn man nachdenke: Was zwang unseren Kaiser diesmal zum Nachgeben? Canossa kam nach dem Abfall der Bundesfürsten. Und diesmal wurde die Nachgiebigkeit durch das Gefühl völliger Isoliertheit erzwungen. 10 Gewonnen sei seiner Auffassung nach aus allen Vorgängen vorerst nur eins: daß der Kaiser erklärte, er wolle sich in Schranken halten.11 Ändern in seiner Natur werde er sich nicht. Aber möglich sei auch, daß man von bestimmten Vorgängen in Zukunft nur etwas weniger höre. Ob das zum Segen wäre, sei sehr, sehr zweifelhaft. Nach allem möchte Redner seine Ansichten dahin zusammenfassen: Am höchsten stehe ihm die Ehre der Nation, das Wohl des Vaterlandes. Und für diese sei c nach vielen Erfahrungen neuester und älterer Zeit der Parlamentarismus selbst in seiner krassesten Form eine unsäglich bessere Garantie als die monarchische Herrschaft. Hätte das gewaltige Rußland eine demokratischere Verfassung, hätte es einen Parlamentarismus, so könnte man etwas erleben; es wäre die furchtbarste Macht, die jetzt nur dadurch klein gehalten wird, daß in Rußland Parlament und Verfassung keinerlei Bedeutung haben. 12
c Fehlt in A(1); sei sinngemäß ergänzt.
10 In der Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 11. November und in der Aussprache im Bundesrat am 15. November 1908 wurde der Kaiser angegriffen. So drohte der sächsische Gesandte mit dem Erscheinen sämtlicher deutscher Fürsten in Berlin, wenn sich Bülows Forderung nach Zurückhaltung des Monarchen in auswärtigen Angelegenheiten nicht durchsetze. Diese Haltung war in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. So berichtet etwa die Frankfurter Zeitung, Nr. 318 vom 15. Nov. 1908, 2. Mo.BI., S. 1, daß sowohl das Staatsministerium als auch der Bundesratsausschuß „völlig und überzeugt" hinter den Forderungen Bülows standen. 11 Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 387. 12 Nach der Revolution in Rußland 1905 wurden dort „Staatsgrundgesetze" oktroyiert und ein „Parlament", die „Duma", eingerichtet. Doch war damit keineswegs das autokratische Regierungssystem beendet, sondern, so Max Weber, allenfalls der „Übergang zum Scheinkonstitutionalismus" eingeleitet. Weber, Max, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionaiismus, in: MWG 1/10, S. 281-684. Zu den Wirkungen dieses Diskussionsbeitrags in russischen liberalen Kreisen siehe den Editorischen Bericht, oben, S. 390.
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Kaiser und
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[Bericht der Heidelberger Zeitung]
1. D i s k u s s i o n s b e i t r a g
Prof. Max Weber meint, das Beamtentum sei in gewisser Beziehung auch Interessengruppe, und er wundert sich, daß Herr Gothein für Baden den Parlamentarismus als schädlich für die nationalliberale Partei verworfen habe.1 Das sei doch auch Interessenpolitik. Übrigens, man sehe doch auf die parlamentarischen Staaten, wie England und Frankreich. Auch da werde viel Interessenpolitik getrieben, aber dabei beherrschen diese Länder große Kolonialreiche und verfolgen eine sehr stetige Politik. Die vermeintlichen Schattenmonarchen in England und in Belgien hätten ihrem Lande große Dienste geleistet; sie suchten eben nicht den Schein der Macht, sie trieben nicht Prestigepolitik, sondern reale. Fähige Monarchen seien durch den Parlamentarismus nicht gehindert, unfähige aber würden durch ihn kaltgestellt. Er sei nicht in der Lage, einzusehen, daß uns seit 20 Jahren das nichtparlamentarische System von Nutzen gewesen sei.2 Und dann, was heiße die Unterdrückung Preußens durch etwaige Absetzung des Kanzler-Ministerpräsidenten. 3 Von den Reichstagsabgeordneten entfallen etwa zwei Drittel auf Preußen. 4 Also das preußische Volk redet da auch mit. Auch hätten wir schon zweimal Kanzler gehabt, die nicht preußische Ministerpräsidenten waren. 5 Es sei heute nicht nötig, in Bezug auf den Ausbau der Verfassung zu bremsen. 1 Vgl. dazu oben, S.392, Anm. 1. Eine Bemerkung über die schädliche Wirkung des Parlamentarismus auf die nationalliberale Partei Badens findet sich In den überlieferten Redebeiträgen Gothelns nicht. 2 Hinwels auf die Reglerungszeit Wilhelms II., die am 15. Juni 1888 begonnen hatte. 3 In dem Bericht der Heidelberger Zeltung, Nr. 283 vom 2. Dez. 1908, 4. Bl., S. 1, ist Gothein wie folgt Indirekt zitiert: „Die Konsequenz der Vorschläge des Herrn Jelllnek wäre, daß eine Zweidrlftel-Mehrheit des Reichstags den preußischen Ministerpräsidenten zu stürzen vermöchte, denn der Kanzler werde normalerweise immer zugleich preußischer Ministerpräsident sein." 4 Von den Insgesamt 397 Wahlkreisen im Deutschen Reich befanden sich 236 in Preußen. 5 Zur kurzfristigen Trennung der Ämter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten war es sowohl In der Zeit der Kanzlerschaft Bismarcks als auch in der Caprivls gekommen. 1873 bekleidete Albrecht Graf Roon das Amt des preußischen Ministerpräsidenten, von März 1892 bis Oktober 1894 Botho Graf Eulenburg.
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2. D i s k u s s i o n s b e i t r a g
Prof. Max Weber wirft zur Erwiderung die Frage auf, woher es komme, daß unsere Volksvertretung so sei, wie sie eben sei und so wenige bedeutende Männer zähle. Das komme daher, daß der Reichstag 5 ohnmächtig sei. Der Abfall der Bundesstaaten und der höchsten Beamten habe den Kaiser diesmal gezwungen. 6 Das werde für den Augenblick wirken, aber nicht dauernd. Man werde in Zukunft allenfalls vorsichtiger mit Publikationen sein. Nur der Parlamentarismus gebe eine dauernde Gewähr.
6 Z u der Kritik der d e u t s c h e n Öffentlichkeit und der Parteien sowie d e s preußischen Staatsministeriums und d e s B u n d e s r a t s an der Person d e s Kaisers siehe d e n Editorischen Bericht, oben, S. 386f., sowie S. 395, Anm. 10.
[Vor der Entscheidung] [Diskussionsbeitrag auf der Wahlversammlung der Fortschrittlichen Volkspartei am 22. Februar 1912 in Heidelberg]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Bei den Gemeindewahlen im Februar 1912 kandidierte Max Weber in Heidelberg für die Fortschrittliche Volkspartei. Sein Name findet sich an siebenter Stelle auf einer der beiden Vorschlagslisten dieser Partei für die Wahl der ersten Wählerklasse. 1 Über die näheren Umstände seiner Kandidatur sind wir nicht unterrichtet. Obwohl die Fortschrittliche Volkspartei bei den Wahlen einen erheblichen Mandatszuwachs verbuchen konnte, wurde Max Weber nicht in den Bürgerausschuß gewählt. 2 Die Wahlen fanden erstmals nach der neuen badischen Gemeinde- und Städteordnung statt, 3 die zwar das Dreiklassen-Wahlrecht beibehielt, dessen plutokratlschen Charakter jedoch durch eine Neueinteilung der Wählerklassen abmilderte. Hatte nach der alten Einteilung die erste Wählerklasse die der Höchstbesteuerten - ein Zwölftel der Wahlberechtigten, die zweite Wählerklasse - die der Mittelbesteuerten - zwei Zwölftel und die dritte 1 Jede Partei erstellte Vorschlagslisten für die Wahl auf drei und auf sechs Jahre. Max Weber kandidierte für eine Wahl auf sechs Jahre. Siehe die amtliche „Bekanntmachung" in den Heidelberger Neuesten Nachrichten, Nr. 46 vom 23. Febr. 1912, S. 8. 2 Die Fortschrittliche Volkspartei konnte Ihre Mandatszahl von 12 auf 18 steigern. Sie wurde damit hinter den Nationalllberalen und vor der Sozialdemokratie und der „Freien Bürgervereinigung" zur zweitstärksten Fraktion im Heidelberger Bürgerausschuß. Von der Liste, auf der auch Max Webers Name stand, wurden die Kandidaten Karl Mittermaler, Otto Bernhard Nuzinger und Ferdinand Liebhold in den Bürgerausschuß entsandt. Ebd., Nr. 50 vom 28. Febr. 1912, S.3 und 6. 3 Vgl. dazu Zoche, Hartmut, Die Gemeinde - ein kleiner Staat? Motive und Folgen der großherzoglich-badischen Gemeindegesetzgebung 1819-1914. - Frankfurt a.M./Bern/ New York: Peter Lang 1986, S. 260-379. Zu den Änderungen siehe „Gesetz. Die Abänderung der Gemeinde- und der Städteordnung betreffend" vom 26. Sept. 1910, veröffentlicht am 11. Okt. 1910, in: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden 1910, Nr. 37, S. 537-554.
Editorischer
Bericht
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Wählerklasse - die der Nlederstbesteuerten - die restlichen neun Zwölftel umfaßt, so wählten nun in der ersten Wählerklasse ein Sechstel, In der zweiten zwei Sechstel und in der dritten drei Sechstel der Wahlberechtigten. Dabei fanden die Stadtverordnetenwahlen nun erstmals nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mittels „gebundener Listen" statt. Für jede der drei Klassen gab es einen eigenen Wahltermin, und jede Partei stellte pro Klasse eigene Kandidatenlisten auf, die von den Wählern nicht verändert werden durften. Nach der Wahl konnte eine Partei so viele Vertreter in den Bürgerausschuß entsenden, wie es Ihrem Stimmenanteil entsprach. Dabei war sie an die Reihenfolge der Vorschlagsliste gebunden. Die Erwartung des neuen Wahlrechts hatte das politische Leben Heldelbergs seit geraumer Zelt geprägt. Bereits Im Jahre 1906 signalisierten die Mitglieder des nationalliberal dominierten Bürgerausschusses ihre Bereltschaft, bei künftigen Wahlen den übrigen Partelen eine Ihrer Stärke entsprechende Zahl von Abgeordnetensitzen einzuräumen. Dies führte zu Absprachen unter den polltischen Parteien, gegen die sich bei einigen Bürgern Widerstand regte. Sie gründeten ein Wahlkomitee, das mit der Parole „Politik gehört nicht aufs Rathaus" bei der tellwelsen Neuwahl des Bürgerausschusses im Jahre 1909 einigen Erfolg hatte. 4 Auch die Wahlen des Jahres 1912 standen Im Zeichen der Konfrontation zwischen den politischen Partelen und der „Freien Bürgervereinigung". Diese formulierte in einer Reihe von Flugschriften und Presseanzeigen Ihre Forderung nach „unpolitischer Vertretung aller Kreise der Bürgerschaft, aller Berufsstände und Zweige, insbesondere auch der Arbeiter, ohne Ansehen der Religions- und Parteizugehörigkeit" Im Rathaus. 5 Als Wahltermine waren für die dritte Wählerklasse der 16., für die zweite der 23. und für die erste der 27. Februar 1912 anberaumt. Unmittelbar vor den Wahltagen veranstalteten sowohl die Partelen als auch die „Freie Bürgervereinigung" Wahlversammlungen. Für den 22. Februar 1912, den Vorabend der Wahlen in der zweiten Wählerklasse, kündigte die „Fortschrittliche Voikspartel" eine „Gemeindewähler-Versammlung" Im großen Saal der „Harmonie" an, auf der der Mannheimer Stadtrat und Landtagsabgeordnete Karl Vogel über „Die Aufgaben fortschrittlicher Gemeindepolitik" sprechen sollte. 6 In der Ankündigung der bevorstehenden Veranstaltung In
4 Vgl. d a z u u n d z u m Folgenden: Chronik der Stadt H e i d e l b e r g für die Jahre 1 9 0 7 - 1 9 0 9 , 1 5 . - 1 7 . Jg., im A u f t r a g e d e s Stadtrats bearb. v o n F e r d i n a n d Rosiger. - H e l d e l b e r g : Druck und Verlag v o n J. Hörnlng 1913, S. 173f. 5 Siehe d a z u e t w a d e n Wahlaufruf der „Freien B ü r g e r v e r e i n i g u n g " , In: H e i d e l b e r g e r Neueste N a c h r i c h t e n , Nr. 40 v o m 16. Febr. 1912, S. 7. 6 H e i d e l b e r g e r N e u e s t e N a c h r i c h t e n , Nr. 44 v o m 21. Febr. 1912, S . 8 , sowie Nr. 45 v o m 22. Febr. 1912, S . 8 .
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Vor der Entscheidung
den Heidelberger Neuesten Nachrichten heißt es, daß danach „einige Heidelberger Führer der Fortschrittlichen Volkspartei zu kürzeren Ansprachen das Wort ergreifen" würden. 7 Der Altphilologe August Hausrath eröffnete die Versammlung um 21 Uhr mit einer Begrüßung. 8 Karl Vogel ging gegen Ende seines anderthalbstündigen Hauptvortrags auf den gegenwärtigen Wahlkampf ein und setzte sich dabei insbesondere mit den Zielen der „Freien Bürgervereinigung" auseinander, die er wegen ihrer Parole „Politik gehört nicht aufs Rathaus" angriff und als geradezu „gefährlich für unsere Stadt" bezeichnete: „Allein die politischen Parteien hätten die nötige Erfahrung" und schon aus dem Grunde ein „größeres Verantwortlichkeitsgefühl", daß „die Fehler, die sie in der Gemeindeverwaltung machten, ihnen bei den großen politischen Wahlen angekreidet würden." 9 Als erster Diskussionsredner ergriff Max Weber das Wort. Kurz vor Mitternacht endete die Versammlung mit einem Schlußwort des Fraktionsvorstands der Fortschrittlichen Volkspartei im Bürgerausschuß, des Rechtsanwalts Theodor Kaufmann. Max Weber kommentierte seinen Auftritt in einem Brief: „Man hatte mich gestern Abend in eine Communalwähler-Versammlung zum Schwätzen verschleppt, - was mir höchst elend bekam." 1 0
Zur Überlieferung
und
Edition
Die Diskussionsbeiträge Max Webers sind uns in mehreren Presseberichten überliefert: 1. „Vor der Entscheidung", in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 46 vom 23. Februar 1912, S.4f. (A(1)); 2. „Die Gemeindewahlen", in: Heidelberger Neueste Nachrichten, Nr. 46 vom 23. Februar 1912, 3f. (A(2)). Webers Ausführungen werden nach diesen Berichten wiedergegeben. Der Bericht der Heidelberger Zeitung, Nr. 47 vom 23. Februar 1912, S.3, unter der Überschrift „Vor der Stadtverordnetenwahl durch die 2. Klasse" bleibt unberücksichtigt; hinsichtlich der Äußerungen Max Webers heißt es hier nur äußerst knapp: „In der Diskussion sprach auch Herr Prof. Max Weber überzeugend über die Notwendigkeit des Eintretens der politischen Parteien bei der Gemeindewahl."
7 Ebd., Nr. 44 vom 21. Febr. 1912, S.3. 8 Berichte über die Versammlung finden sich sowohl im Heidelberger Tageblatt, Nr. 46 vom 23. Febr. 1912, S.4f., als auch in den Heidelberger Neuesten Nachrichten, Nr. 46 vom 23. Febr. 1912, S.3f. 9 Heidelberger Tageblatt, Nr. 46 vom 23. Febr. 1912, S. 5. 10 Karte Max Webers an Hans Gruhle, undat. [23. Febr. 1912], Privatbesitz (MWG II/7, S. 431).
[Vor der Entscheidung] [Bericht des Heidelberger Tageblatts]
Als erster Diskussionsredner sprach Herr Universitätsprofessor Dr. Max Weber, der sich den Ausführungen Vogels anschloß. Er unterzog besonders den Wahlspruch der Bürgervereinigung „Keine Politik aufs Rathaus" einer kritischen Betrachtung. Parteipolitik gehöre allerdings nicht aufs Rathaus, aber Parteipolitiker. 3 Was heute erreicht würde, würde nur durch Massendisziplin erreicht, und diese Disziplin könnten nur die politischen Parteien erzielen. Redner glaubt, daß wir früher oder später allgemein das Proportionalwahlsystem bekommen werden und daß dann die denkbar straffste Parteidisziplin eintrete. Es gebe keine Stelle des öffentlichen Lebens, sich so zu blamieren, wie in der Verwaltung der Kommune. Wirklich sachliche Aufgaben könnten durch noch so große Phrasen nicht erledigt werden. Die Führer der Parteien sollten an die Spitze gestellt werden, und diese könnte man dann auch verantwortlich machen für die Fehler, die gemacht würden. Heiterkeit verursachte die Bemerkung des Redners, daß bei irgendeinem mißfallenden Bau oder etwas dergleichen dann schon im Baedeker stehen könnte: „Unter der Herrschaft dieser Partei gebaut." Aus all diesen angeführten Gründen hält Herr Professor Weber die Vertretung der politischen Parteien auf dem Rathaus am besten zur vernünftigen Zusammenarbeit in der Kommunalpolitik.
a A(1): Parteipolitiker,
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Vor der
Entscheidung
[Bericht der H e i d e l b e r g e r N e u e s t e n Nachrichten]
In der Diskussion kam Herr Professor Dr. Max Weber auf die Frage der Beteiligung der Parteien an der Kommunalpolitik zu sprechen. Es berühre seltsam, daß die Parole „Politik gehöre nicht aufs Rathaus" von der Partei ausgegeben werde, die sich einem 3 berufs- 5 mäßigen Agitator 1 verschrieben habe. Ausführlich begründete Herr Prof. Weber, daß zwar nicht Parteipolitik, wohl aber Parteipolitiker auf das Rathaus gehören. Redner hält es für keinen Schaden, wenn man Partei-Gegner auf das Rathaus bringt und sie dort zwingt, gemeinsam für ihre Vaterstadt einzutreten. Es sei dies ein Mittel, ge- 10 genseitiges Verständnis und Zusammenarbeiten der politisch getrennten Elemente auf dem Boden der Kommunalpolitik zu schaffen.
a A(2): einen 1 Es ließ s i c h n i c h t ermitteln, auf w e n M a x W e b e r s i c h hier b e z i e h t .
Anhang Mitunterzeichnete Eingaben und Aufrufe
[Erklärungen gegen die Zulassung von Männerorden in Baden]
Editorischer Bericht Zur
Überlieferung
In dem konfessionell zwar gemischten, aber überwiegend römisch-katholischen Großherzogtum Baden waren die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen durch das „Gesetz, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend" vom 9. Oktober 1860 1 geregelt. Es enthielt in § 1 1 folgende Regelung für die Klosterfrage: „Ohne Genehmigung der Staatsregierung kann kein religiöser Orden eingeführt und keine einzelne Anstalt eines eingeführten Ordens errichtet werden." 2 Faktisch kam dies einem Errichtungsverbot gleich, denn die Staatsregierung genehmigte, sieht man von einigen Frauenklöstern ab, weder Orden noch einzelne Anstalten. Zu diesen Einschränkungen kamen im badischen Kulturkampf weitere hinzu. Die beiden Ordensgesetze von 1872 3 untersagten den Mitgliedern religiöser Orden jede öffentliche Lehrtätigkeit, die „Abhaltung von Missionen" und die Aushilfstätigkeit in der Seelsorge. Als der Konflikt zwischen Staat und katholischer Kirche abflaute, wurden durch ein Gesetz von 1894 wenigstens ausländische Ordensmitglieder zur Mission in Baden wieder zugelassen. 4 In der Folgezeit brachte die Zentrumsfraktion der badischen II. Kammer unter Hinweis auf die seelsorgerische Tätigkeit der Orden immer wieder Anträge zur Zulassung von Männerklöstern ein, die aber von der nationalliberalen Mehrheit abgelehnt wurden. 5 Die Nationalliberalen
1 Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt 1860, S. 3 7 5 - 3 7 8 . 2 Ebd, S. 377. 3 Vgl. die Gesetze die öffentliche Lehrwirksamkeit der Mitglieder eines religiösen Ordens sowie die Abhaltung von Missionen durch Mitglieder religiöser Orden betreffend vom 2. April 1872, in: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogthum Baden 1872, Nr. 15, S. 173 und 174. 4 Gesetz die Aufhebung des Gesetzes vom 2. April 1872, die Abhaltung von Missionen betreffend vom 19. Juli 1894, ebd. 1894, Nr. 34, S. 297. 5 Vgl. hierzu und zum Folgenden Schofer, Josef, Die Klosterfrage Im Großherzogtum Baden. Ein Beitrag zur kirchenpolitischen Geschichte der badischen Heimat. - Karlsruhe: Badenla 1918, S. 26ff.
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Erklärungen gegen die Zulassung von Männerorden in Baden
verloren allerdings ihre absolute Mehrheit in der II. Kammer bei den Wahlen von 1897. Danach wurden die entsprechenden Gesetzesvorschläge des Zentrums zwar in der II. Kammer mit den Stimmen von Zentrum, Linksliberalen und Sozialdemokraten angenommen, stießen aber in der I. Kammerweiterhin auf Ablehnung. 6 Angesichts des andauernden Widerstands der I.Kammer brachte die Zentrumsfraktion am 28. November 1901 folgende Resolution ein: „Die zweite Kammer hält es im Interesse der Förderung des Friedens für wünschenswert, daß der Streit wegen der Zulassung von Männerklöstern in Baden beseitigt werde, und erklärt, daß sie nichts dagegen zu erinnern findet, wenn die Großherzogliche Regierung in Anwendung des ihr nach § 11 des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 zustehenden Rechts die Genehmigung dazu erteilt, daß einige solche Klöster zugelassen werden." 7 Zugleich kursierten Gerüchte, die Genehmigung für eine Niederlassung von Männerklöstern sei inzwischen beschlossene Sache. 8 Obgleich Großherzog Friedrich I. ebenso wie Ministerpräsident Artur von Brauer „die Zulassung von Klöstern im Lande gegenwärtig für nicht angezeigt" hielten, 9 schien jedenfalls die Regierung in der Niederlassung einzelner Männerorden keine Gefahr mehr zu sehen, ja, sie schien einen solchen Wunsch sogar für berechtigt zu halten, waren doch 62% der badischen Bevölkerung römischkatholisch. 10 In diese Richtung gingen auch Artikel zur Klosterfrage, die am 20. November 1901 in der „Süddeutschen Reichskorrespondenz" und am 21. November 1901 in der „Karlsruher Zeitung" veröffentlicht wurden, und von denen man annahm, sie seien amtlich inspiriert. 11 Am 3. Juli 1902 schließlich wurde die Resolution von Ende November 1901 in der badischen II. Kammer debattiert und In namentlicher Abstimmung mit 33 gegen 20 Stimmen angenommen. Die Nationalliberalen stimmten dagegen, da - wie der Heidelberger Oberbürgermeister Karl Wilckens
6 Vgl. ebd., S.30f. 7 „Antrag betreffend die Zulassung von Ordensniederlassungen" vom 28. Nov. 1901, in: Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden vom Landtag 1901/ 1902. Beilagen zu den Protokollen der zweiten Kammer. Viertes Beilagenheft. - Karlsruhe: Badenia 1902, Nr. 5, S.33. 8 Vgl. hierzu Röder von Diersburg, Heinrich Freiherr, Zur Klosterfrage in Baden. - Lahr: Moritz Schauenburg 1902, S. 14. 9 So der preußische Gesandte Karl Eisendecher in seinem Bericht vom 17. November 1901 an Reichskanzler Bernhard von Bülow, in: Das Großherzogtum Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871-1918, Zweiter Teil: 19001918, bearb. von Hans-Jürgen Kremer. - Stuttgart: W. Kohlhammer 1992, S.52f. 10 Ebd. 11 So fügte Eisendecher seinem Bericht an Bülow vom 23. Nov. 1901 die Artikel der Süddeutschen Reichskorrespondenz, Nr. 94 vom 20. Nov. 1901, sowie der Karlsruher Zeitung, Nr. 318 vom 21. Nov. 1901, bei. Vgl. ebd., S.53.
Editorischer
Bericht
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in der Debatte sagte - „es gerade die streitbarsten Kräfte der katholischen Kirche sind, welche in diesen Männerorden sich konzentrieren, und [...] es denselben nicht nur um ein religiös-beschauliches Leben, sondern auch um die Bekämpfung anderer Richtungen zu tun ist." 12 Dagegen erklärte der badische Minister der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Alexander Freiherr von Dusch, die großherzogliche Regierung stehe „der Zulassung von Niederlassungen männlicher Orden nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber." 13 Wenn er auch deutlich verneinte, daß zwischen der Regierung und der Kurie „gegenwärtig förmliche Verhandlungen über die Zulassung von Klöstern" schwebten, so unterstrich er doch die Bereitschaft des Ministeriums „in einleitende Verhandlungen einzutreten über die Modalitäten einer eventuellen Zulassung." 1 4 Nach dieser entgegenkommenden Erklärung setzte im nationalliberalen Lager ein „wilder Klostersturm" 1 5 ein. Der Badischen Landeszeitung gab die Regierungserklärung „zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß." 16 Sie setzte ihre Hoffnung darauf, daß Großherzog Friedrich I. „goldene Worte" finden werde, um „diejenigen zu beruhigen, welche zur Zeit infolge der klerikalen Agitation verblendet" seien. Zudem sei es die Aufgabe der liberalen Partei in Baden, „die laxen Elemente aufzurütteln aus der Gleichgültigkeit, die sich seit Jahren in die Partei eingeschlichen" habe. 1 7 Neben der Kampagne in der Presse kam es zu Protesten von Bürgern. Sie hielten Versammlungen ab und schickten Adressen an die badische Regierung. 1 8 Zu den bedeutendsten Adressen dieser Art zählen die „Erklärung" Heidelberger Bürger sowie diejenige von 124 Professoren der drei badischen Hochschulen in Heidelberg, Freiburg und Karlsruhe, die beide von Max Weber mitverantwortet sind. Die im folgenden als Text 1 abgedruckte Heidelberger „Erklärung" entstand - vermutlich Mitte Juli 1902 - unter Führung des bereits erwähnten nationalliberalen Landtagsabgeordneten und Heidelberger Oberbürgermeisters Karl Wilckens. Sie wurde am 25. Juli in der Heidelberger Tagespresse mit der Überschrift „Erklärung in der Frage der Männerorden" veröffentlicht und war bereits zu diesem Zeitpunkt von rund 200 Heidelberger Honorationen unterzeichnet, darunter auch von Max Weber. 19 Im August 1902 wurde sie in Form eines Separatdrucks mit einer handschrift-
12 B a d i s c h e r L a n d t a g . 120. ö f f e n t l i c h e S i t z u n g d e r Z w e i t e n K a m m e r a m 3. Juli 1902, S. 1606. G L A K a r l s r u h e 2 3 3 / 1 1 2 0 2 . 13 E b d . , S. 1604. 14 E b d . , S. 1611. 1 5 Schofer, K l o s t e r f r a g e im G r o ß h e r z o g t u m , S. 32. 16 B a d i s c h e L a n d e s z e i t u n g , Nr. 3 1 3 v o m 8. Juli 1902, A b . B I . , S. 1. 17 B a d i s c h e L a n d e s z e i t u n g , N r . 3 1 4 v o m 9. Juli 1902, MI. Bl., S. 1. 18 Vgl. h i e r z u R o d e r v o n D i e r s b u r g , K l o s t e r f r a g e , S. 44ff. 19 H e i d e l b e r g e r Z e l t u n g , Nr. 171 v o m 25. Juli 1902, 2. BL, S. [4],
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Erklärungen
gegen die Zulassung
von Männerorden
in Baden
liehen Liste der Unterzeichner d e m Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts übermittelt. 2 0 Diese „Erklärung" fand offenbar großes Echo. So lagen d e m Ministerium Ende August 1902 Unterzeichnerlisten mit insgesamt 1881 Namen vor. 21 Zur Unterschrift der hier als Text 2 w i e d e r g e g e b e n e n Eingabe an den Großherzog v o m 30. Juli 1902 waren „nur die Ordinarien und etatmäßigen Extraordinarien" der b a d i s c h e n H o c h s c h u l e n aufgefordert. Dies geht aus der redaktionellen Bemerkung der in M ü n c h e n e r s c h e i n e n d e n Allgemeinen Zeitung hervor, die die Petition am 7. A u g u s t 1902 veröffentlichte. 2 2 Wie das Blatt weiter schreibt, enthielt „das Verzeichnis [...] fast sämtliche Professoren der drei H o c h s c h u l e n . " 2 3 Über die Umstände, die Max Weber veranlaßten, die Erklärungen zu unterschreiben, wissen wir nichts. A u c h in der Korrespondenz findet sich dazu kein Hinweis. Nach langer krankheitsbedingter A b w e s e n h e i t war er erst im April 1902 nach Heidelberg zurückgekehrt. Möglicherweise ist sein Engagement A u s d r u c k des Wunsches, sich am politischen und a k a d e m i s c h e n Leben H e i d e l b e r g s wieder verstärkt zu beteiligen, schrieb er d o c h zu dieser Zeit, im Juli 1902, an den Dekan der Philosophischen Fakultät, Carl Bezold, daß er „von jetzt ab sehr gern wieder an den Fakultätsgeschäften Teil nehmen" wolle. 2 4 Der G a n g der Ereignisse war im Sinne der Unterzeichner. Nicht zuletzt w e g e n der Bedenken des Großherzogs Friedrich I. z o g e n sich die Verhandlungen z w i s c h e n der b a d i s c h e n Regierung und der Kurie über die Klosterfrage über Jahre hin. Erst im Juli 1918 wurde per Gesetz die G r ü n d u n g und Niederlassung von Orden in B a d e n völlig freigegeben. 2 5 20 Vgl. das Schreiben des Heidelberger Stadtrats C. L. Ammann an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts von August 1902. Die „Erklärung" ist mit der handschriftlichen Kopfzeile „Heidelberg, den 25. Juli 1902" versehen. GLA Karlsruhe, Großherzogthum Baden. Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Generalia. Katholische Kirchensachen. (Klöster). Die Einführung bezw. Zulassung religiöser MännerOrden und die Errichtung einzelner Ordensanstalten im Großherzogtum Baden betr. Hier speziell die an die Großh[erzogliche] Regierung im Jahre 1902 eingereichten Petitionen gegen die Zulassung von Männerorden, 235/207. 21 Die 1881 Unterschriften wurden notariell beurkundet. Die Zahl erhöhte sich im weiteren Verlauf des Jahres noch erheblich, da sich auch zahlreiche kleinere Gemeinden aus der Umgebung Heidelbergs mit gleichlautenden Erklärungen an die badischen Behörden wandten. Ebd. 22 Allgemeine Zeitung, Nr. 215 vom 7. Aug. 1902, Mo.BI., S.2. 23 Ebd. 24 Brief Max Webers an Carl Bezold, undat. [vordem 16. Juli 1902], UA Heidelberg H-IV 102/132, Bl. 697 (MWG II/4). 25 Gesetz betreffend die Änderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 über die rechtliche Stellung der Kirche und kirchlicher Vereine im Staate vom 4. Juli 1918, in: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden 1918, Nr. 33, S. 193-198.
Editorischer
Zur Überlieferung
409
Bericht
und
Edition
Bei den beiden von Max Weber mitunterzeichneten Erklärungen gegen die Zulassung von Männerorden in Baden handelt es sich zum einen um die „Erklärung" Heidelberger Bürger und zum anderen um die Eingabe von 124 Professoren der drei badischen Hochschulen. Beide Erklärungen sind uns in vielfältiger Weise überliefert, so etwa als Veröffentlichungen in der Presse und auch in Form gedruckter oder handschriftlicher Eingaben an die badischen Behörden. Die „Erklärung" Heidelberger Bürger wird hier in der Fassung, wie sie dem Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts im August 1902 übermittelt wurde, abgedruckt. Es handelt sich dabei um einen mit der handschriftlichen Kopfzeile „Heidelberg, den 25. Juli 1902" und mit 208 Unterschriften versehenen Separatdruck. Er befindet sich im GLA Karlsruhe, Großherzogthum Baden. Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts. Generalia. Katholische Kirchensachen. (Klöster). Die Einführung bezw. Zulassung religiöser Männer-Orden und die Errichtung einzelner Ordensanstalten im Großherzogtum Baden betr. Hier speziell die an die Großh[erzogliche] Regierung im Jahre 1902 eingereichten Petitionen gegen die Zulassung von Männerorden, 235/207. Gegenüber den Veröffentlichungen in der Presse weist diese Fassung eine signifikante Abweichung auf, die an entsprechender Stelle im textkritischen Apparat mitgeteilt wird. In demselben Faszikel des GLA Karlsruhe ist die handschriftliche Fassung der von 124 Professoren der drei badischen Hochschulen gezeichneten Erklärung vom 30. Juli 1902 enthalten. Ihr sind Listen mit den eigenhändigen Unterschriften der Unterzeichner beigegeben. Dies deutet darauf hin, daß es sich hierbei um das Original der an den Großherzog von Baden gerichteten Eingabe handelt, das im Verwaltungsweg über das Großherzogliche Geheime Kabinett, das Großherzogliche Staatsministerium in die Akten des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts gelangte. 1 Der Abdruck folgt dieser Fassung. Die geringfügigen Abweichungen gegenüber den Veröffentlichungen in der Presse werden nicht eigens annotiert. Beide Texte sind mit A sigliert.
1 Dies geht aus den auf der Eingabe angebrachten Aktenvermerken hervor.
1.
Erklärung [Heidelberger Bürger]
Der Ausgang der Verhandlungen der Zweiten Kammer über die Ordensfrage, sowie die von der Regierung dabei abgegebene Erklärung rücken die Möglichkeit der Einführung von Männerorden in unser Großherzogtum in bedenkliche Nähe. Angesichts dessen fühlen sich die Unterzeichneten gedrungen, der Großherzoglichen Regierung nachfolgende Erklärung und Bitte zu unterbreiten: 1. Wir halten die Einführung von Männerorden in das Großherzogtum, in welchen sie seit dessen Bestand nicht zugelassen waren, für keine Notwendigkeit. Denn es besteht keine dringende Not oder Gefahr, der durch die Männerorden abgeholfen oder vorgebeugt werden müßte oder könnte. Der katholische Klerus in unserem Lande ist zahlreich genug, um den Anforderungen der Seelsorge zu entsprechen. Es ist auch zu bezweifeln, daß er selbst in seiner Mehrheit die Konkurrenz der Ordensseelsorge herbeiwünscht, und noch mehr, daß in weiten Kreisen der katholischen Bevölkerung ein Verlangen nach Zulassung von Männerorden besteht. 2. Wir erblicken aber in der Einführung von Männerorden eine ernste Gefahr und zwar in wirtschaftlicher, wie in politischer Hinsicht. Die Geschichte zeigt, daß solche Orden durch rasche Vergrößerung des Besitzes der toten Hand 1 bedenklich wirken, und daß ganze Gegenden in Abhängigkeit von ihnen geraten können. Weiter ist zu befürchten, daß die Thätigkeit der Orden das Verhältnis der auf ein friedliches Zusammenleben angewiesenen Konfessionen störend beeinflussen wird. In einem paritätischen Lande bedeutet die Einführung solcher Männerorden, die auswärtigen Oberen gehorchen, und auf deren Leitung die Staatsregierung ohne Einwirkung ist, die Schaffung von Machtcentren, die für den konfessionellen Frieden bedrohlich werden können. Unsere Zeit hat aber wahr-
1 B e z e i c h n u n g für d a s L i e g e n s c h a f t s v e r m ö g e n v o n Staat, G e m e i n d e n , Kirchen u n d Stift u n g e n , d a s d e m freien Verkehr e n t z o g e n ist.
Erklärung Heidelberger
Bürger
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lieh keinen Anlaß, die auf konfessionellem Gebiete ohnehin schon bestehenden Gegensätze sich noch weiter verschärfen zu lassen. 3. Endlich würden wir die Einführung von Männerorden für politisch verfehlt halten müssen. Die Geschichte lehrt, daß mit weitgehender Nachgiebigkeit klerikalen Bestrebungen gegenüber der Friede nicht zu erkaufen ist. Und wenn man jetzt die Einführung der Orden mit Einschränkungen und Vorsichtsmaßregeln umgeben will, welche den damit verbundenen Gefahren vorbeugen sollen, so können diese doch 3 , bei einem möglichen Wechsel der Personen und des Systems der Regierung, 3 keine Bürgschaft für die Zukunft bieten und der Konsequenz neuer Anforderungen gegenüber auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden. Die Unterzeichneten sehen daher der Entschließung der Regierung in dieser Sache mit Besorgnis entgegen. Sie würden es beklagen, wenn man in einer Zeit, da man in anderen, und zwar in streng katholischen, Ländern sich der Orden und ihrer Übermacht zu erwehren sucht, in unserem Lande Männerorden einführen und damit die Tradition verleugnen würde, die in dieser Frage seit den Tagen Karl Friedrich's festgehalten worden ist.2 Eine solche Maßnahme müßte in großen Teilen der Bevölkerung lebhafte Beunruhigung hervorrufen, und die Unterzeichneten können deshalb an die Großherzogliche Regierung nur die dringende Bitte richten, daß sie von dem ihr nach § 11 des Gesetzes vom 9. Oktober 18603 zustehenden Rechte keinen Gebrauch machen wolle.
a Fehlt in der Fassung der „Erklärung" In der H e i d e l b e r g e r Zeltung, Nr. 171 vom 25. Juli 1907, 2. Bl., S. [4],
2 N a c h d e m R e i c h s d e p u t a t i o n s h a u p t s c h l u ß von 1803 g i n g Markgraf (seit 1806 Großherz o g ) Karl Friedrich im Z u g e der Säkularisation dazu über, die Klöster In B a d e n aufzuheben. Das V e r m ö g e n der a u f g e h o b e n e n und e r l o s c h e n e n O r d e n s g e s e l l s c h a f t e n fiel d a b e i d e m Staate zu. 3 Zitat Im Editorischen Bericht, oben, S . 4 0 5 .
2.
[Erklärung von 124 Professoren der drei badischen Hochschulen]
Durchlauchtigster Großherzog! Gnädigster Fürst und Herr! Die bei der Verhandlung der Zweiten Kammer über die Zulassung von Männerklöstern im Großherzogtum am 3. Juli dieses Jahres vom Herrn Minister der Justiz, des Kultus und Unterrichts im Namen der Regierung abgegebene Erklärung, sowie die Worte, welche der Herr Minister am Schluß der Debatte zu näherer Erläuterung der Sachlage hinzufügte, haben dem Lande kundgetan, daß die hohe Staatsregierung der Einführung von Männerorden zwar nicht grundsätzlich entgegen, wohl aber in zweifelnder Erwägung der objektiven Gründe begriffen ist, von denen die Entscheidung einer so bedeutsamen Frage notwendig abhängt. Eurer Königlichen Hoheit fünfzigjährige gesegnete Regierung 1 hat die Welt daran gewöhnt, daß in unserem Baden in wichtigen Augenblicken die offene Aussprache der Gedanken auch aus einzelnen Kreisen des Volks ein gnädig prüfendes Gehör beim Herrscher findet. Dieses glückliche Verhältnis ermutigt die Unterzeichneten, Eurer Königlichen Hoheit treu gehorsamste Professoren an den drei Hochschulen des Landes, welche schon so viele Beweise besonderen Vertrauens von ihrem erlauchten Schützer empfangen haben, zu nachstehendem unterthänigsten Bekenntnis. Wir würden in der Neugründung von Männerklöstern, zu der die hohe Staatsregierung die ihr seit mehr als vierzig Jahren gesetzlich zustehende Genehmigung bisher beharrlich versagt hat, nach wie vor einen Schritt erkennen, der uns im Hinblick auf die fernere gedeihliche Entwicklung unseres öffentlichen Lebens mit ernster Besorgnis erfüllen müßte. Nach unserer Überzeugung ist das Bedürf1 Friedrich I. führte seit dem 24. April 1852 die Regierungsgeschäfte, zunächst als Regent für seinen erkrankten Bruder Leopold, seit dem 5. September 1856 als Großherzog von Baden.
5
10
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Erklärung
von 124 Professoren
der drei badischen Hochschulen
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nis keineswegs dargethan, irgend ein wirklicher Nutzen äußerst ungewiß, jedenfalls verschwindend gering gegenüber den mannigfachen, nach geschichtlicher Erfahrung nur allzu wahrscheinlichen Nachteilen einer Institution, die unserem Lande dank der Entschließung Karl Friedrichs seit einem Jahrhundert völlig fremd geworden ist. Die Arbeit der Seelsorge liegt in der bewährten Hand eines geistlichen Standes, der mit Hingebung seines Amtes wartet; andere Dienste pflegsamer Natur leisten neben der Kirche gern und reichlich Staat und Gesellschaft. Im langen Laufe mühevoller Jahre hat das weise Regiment Eurer Königlichen Hoheit, dem veränderten Zeitgeist weit entgegenkommend, wie zwischen Staat und katholischer Kirche, so zwischen den verschiedenen Konfessionen selbst den Frieden leidlich hergestellt; die schon heute angesichts der als möglich erwarteten Neuerung rings im Lande aufsteigende Erregung beweist, daß die Zulassung von Männerklöstern solchen Frieden nicht etwa befestigen, sondern erschüttern würde. Diese Gründe mögen in unserer Äußerung vielleicht eine subjektive Färbung zeigen; von dem erleuchteten Ermessen Eurer Königliche Hoheit wie von der Einsicht der hohen Staatsregierung erhoffen wir die Erkenntnis und Würdigung ihres objektiven Wertes. Eurer Königlichen Hoheit unterthänigste, treu gehorsamste Heidelberg, Freiburg i. B., Karlsruhe, den 30. Juli 1902. Professoren der Ruperto-Carola zu Heidelberg 3 Professoren der Alberto-Ludoviciana zu Freiburg i. B.b Professoren der Technischen Hochschule Fridericana zu Karlsruhe 0
a In A folgt mit d e m Hinweis „gezeichnet" eine Liste von 51 Namen, b In A folgt mit d e m Hinwels „gezeichnet" eine Liste von 39 Namen, c In A folgt mit d e m Hinweis „gezeichnet" eine Liste von 34 Namen.
Erklärung [der Heidelberger Dozenten gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses]
Editorischer Zur
Bericht
Entstehung
An der Frage, wie mit der Ruine des Heidelberger Schlosses umzugehen sei, entzündete sich um die Jahrhundertwende eine heftige Kontroverse. Während die einen den Wiederaufbau des Schlosses in seiner ursprünglichen Gestalt als ein Symbol der „wieder gewonnenen Macht und Größe des Vaterlandes" forderten, 1 stand bei den anderen die Erhaltung der Ruine im Vordergrund, was jeglichen Rekonstruktionsversuch ausschloß. Darin kamen die widerstreitenden Auffassungen von Denkmalpflege zum Ausdruck, die sich während des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Die beiden bedeutendsten Bauten des Heidelberger Schlosses - der unter Kurfürst Otto Heinrich von der Pfalz von 1556 bis 1563 im Stil der Spätrenaissance errichtete Ottheinrichsbau sowie der unter Kurfürst Friedrich IV. von 1601 bis 1604 fertiggestellte manieristische Friedrichsbau - waren im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 und 1693 durch französische Truppen zerstört worden. Die danach teilweise wiederhergestellte Anlage wurde im Jahre 1764 ein Opfer der Flammen, und eine Ruine blieb zurück. Um zu klären, was zu geschehen habe, richtete die oberste Aufsichtsbehörde, das Großherzoglich badische Finanzministerium, im Jahre 1883 ein „Schloßbaubureau" ein, das den Bestand technisch untersuchen sollte. 2 Im September 1891 fand eine erste Schloßbaukonferenz statt, bei der sich eine von der badischen Staatsregierung einberufene Sachverständigenkommission aus Architekten und Kunsthistorikern auf der Grundlage des vom Baubureau zusammengestellten Materials mit der Problematik beschäftigte. Diese Kommission gab ein aus acht Punkten bestehendes Votum ab, das
1 So in einem Aufruf der Generalversammlung des Verbandes der deutschen Architekten- und Ingenieur-Vereine vom 23. August 1882, In: Deutsche Bauzeitung, Nr. 68 vom 26. Aug. 1882, S. 399. 2 Vgl. Zeller, Adolf, Heidelberger Schloß. Werden, Zerfall und Zukunft. In 12 Vorträgen dargestellt. - Karlsruhe: G. Braunsche Hofbuchdruckerei 1905, S. 108.
Editorischer Bericht
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d a r a u f hinauslief, a n d e r g e g e n w ä r t i g e n P h y s i o g n o m i e d e s B a u w e r k s nichts z u ä n d e r n , d. h. d i e „ v o r z u n e h m e n d e n A r b e i t e n [...] bis in d i e kleinsten Teile auf Erhaltung d e s B e s t e h e n d e n " z u richten. 3 Bei d e n f o l g e n d e n S a n i e r u n g s a r b e i t e n z e i g t e n s i c h j e d o c h s c h w e r e S c h ä d e n a m Friedrichsbau. Ein v o m F i n a n z m i n i s t e r i u m 1894 e i n g e h o l t e s G u t a c h t e n der b a d i s c h e n O b e r b a u d i r e k t i o n b e f ü r w o r t e t e nun in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit einer neu einb e r u f e n e n K o m m i s s i o n - im G e g e n s a t z zu d e m Entschluß v o n 1891 - eine W i e d e r h e r s t e l l u n g nicht nur d e s F r i e d r i c h s b a u s , s o n d e r n aller Bauten. Schließlich ü b e r n a h m d e r an d e r T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e Karlsruhe lehr e n d e Architekt u n d O b e r b a u r a t Karl S c h ä f e r die A r b e i t e n a m F r i e d r i c h s b a u . 4 S c h ä f e r w u r d e v o m b a d i s c h e n F i n a n z m i n i s t e r i u m d a r ü b e r hinaus mit einem Gutachten über den Umfang der notwendigen Restaurierungsmaßn a h m e n b e a u f t r a g t . D i e s e m G u t a c h t e n f ü g t e S c h ä f e r ein a u s g e a r b e i t e t e s Projekt ü b e r die W i e d e r h e r s t e l l u n g d e s O t t h e i n r i c h s b a u s bei, d e n er in d e n v e r m e i n t l i c h e n Z u s t a n d der E r b a u u n g s z e i t v e r s e t z e n wollte. D a s Schäfers c h e Projekt war Anlaß, eine z w e i t e S c h l o ß b a u k o n f e r e n z e i n z u b e r u f e n , die a m 15. O k t o b e r 1901 unter Vorsitz d e s b a d i s c h e n F i n a n z m i n i s t e r s A d o l f Buc h e n b e r g e r , der als B e f ü r w o r t e r der W i e d e r h e r s t e l l u n g galt, in H e i d e l b e r g t a g t e . Unter d e n S a c h v e r s t ä n d i g e n w a r e n nur n o c h w e n i g e M i t g l i e d e r d e r K o n f e r e n z v o n 1891. W ä h r e n d eine kleinere G r u p p e u m d e n H e i d e l b e r g e r Kunsthistoriker H e n r y T h o d e im Sinne d e s V o t u m s v o n 1891 w e i t e r h i n für d i e K o n s e r v i e r u n g d e s B e s t e h e n d e n eintrat, p l ä d i e r t e jetzt die M e h r h e i t für eine R e s t a u r i e r u n g d e s O t t h e i n r i c h s b a u s n a c h d e n Plänen Karl Schäfers. 5 G e g e n d i e s e m ö g l i c h e „ V e r s c h ä f e r u n g d e s S c h l o s s e s " , w i e der Kunsthistoriker G e o r g D e h i o f o r m u l i e r t e , 6 b i l d e t e s i c h nicht nur in d e r F a c h w e l t , s o n d e r n a u c h in der Öffentlichkeit starker W i d e r s t a n d . Die i m m e r s c h ä r f e r g e f ü h r t e K o n t r o v e r s e z w i s c h e n B e f ü r w o r t e r n u n d G e g n e r n einer Rekonstruktion f a n d ü b e r B a d e n hinaus B e a c h t u n g . 7 W ä h r e n d der B e r a t u n g e n in der b a d i s c h e n II. K a m m e r a m 13. Februar 1902 s a g t e Finanzminister B u c h e n b e r g e r z u der S c h l o ß a n g e l e g e n h e i t , m a n sei „ v o n j e d e m R e s t a u r a t i o n s f a n a t i s m u s völlig frei"; g l e i c h w o h l m ü s s e t e c h 3 Ebd, S. 110.
4 Vgl. ebd., S. 111-114. 5 Vgl. hierzu die Verhandlungen der Heidelberger Schloßbau-Konferenz vom 15. Oktober 1901. Amtliche Aktenstücke, veröffentlicht Im Auftrag des Großherzoglich Badischen Finanzministeriums. - Karlsruhe: G. Braunsche Hofbuchdruckerei 1902. 6 Dehio, Georg, Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?. - Straßburg: Karl J. Trübner 1901, S. 15. 7 Vgl. hierzu die Sammlung von Publikationen und Zeltungsberichten In den Mittellungen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses. Hg. vom Heidelberger Schloßverein, Band 4, Heft 3/4: Zur Geschichte des Streits um die Erhaltung des Ottheinrichsbaues auf dem Heidelberger Schloß. Auszüge der Akten, bearb. von Wilhelm Valentiner. - Heldelberg: Karl Groos 1903.
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Erklärung der Heidelberger
Dozenten
nisch erörtert werden, o b der Ottheinrichsbau als Ruine erhalten w e r d e n könne. Gehe dies nicht, so h a b e man die Verpflichtung, die „Erhaltung des Schlosses und seiner einzelnen Teile für möglichst lange Zelten - tunlichst für Jahrhunderte", und zwar durch tiefere Eingriffe, d . h . einen A u s b a u , zu versuchen. Die Frage sei zur Zelt j e d o c h „noch nicht spruchreif". Es müsse weitere U n t e r s u c h u n g e n durch Sachverständige g e b e n . 8 Dementsprec h e n d kam es am 17./18. April 1902 In H e l d e l b e r g zu einer ausschließlich aus B a u s a c h v e r s t ä n d i g e n b e s t e h e n d e n Versammlung, 9 was die Frankfurter Zeltung zu d e m Kommentar veranlaßte, die Kommission sei „ganz einseitig z u s a m m e n g e s e t z t " worden. Da es nicht nur um technische, sondern auch um ästhetische und kunstgeschichtliche Fragen gehe, hätte das b a d i s c h e Finanzministerium „gut daran gethan, auch Vertreter der s c h ö n e n Künste und der Kunstwissenschaft hinzuzuziehen." 1 0 Dem Blatt schien mit d e m Zusammentreten der „ f a c h m ä n n i s c h e n Commission [...] der A n f a n g eines vlelgefürchteten Endes g e k o m m e n " zu sein, das „gar kein anderes sein kann, als die schließliche gänzliche Renovirung und der Ausbau, nicht nur des Ottheinrichbaues, sondern des gesamten Schlosses.011 In der Tat kam die Kommission zu d e m Ergebnis, „die d a u e r n d e Erhaltung" des Ottheinrichsbaus sei „nicht zu erreichen", ohne daß größere Eingriffe In d e s s e n Substanz v o r g e n o m m e n w ü r d e n . 1 2 Ein Mitglied der Kommission freilich, der Berliner O b e r b a u r a t Wilhelm Eggert, schlug statt eines A u s b a u s eine Stützkonstruktion aus Elsenbeton vor. Eggert, vom b a d i s c h e n Finanzministerium beauftragt, seinen Vorschlag auszuarbeiten, legte am 24. Juni 1902 ein Gutachten nebst Entwurf zu einer Verstärkung des Ottheinrichsbaus mit Elsenbetonbalken und d a z u g e h ö r i g e n statischen U n t e r s u c h u n g e n vor. 13 Der Eg-
8 Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogthums Baden vom Landtag 1901/02. Protokollheft der zweiten kammer. - Karlsruhe: Badenia 1902, S. 81 - 8 6 . 9 Vgl. hierzu die Verhandlungen der zweiten Heidelberger Schloßbaukonferenz vom 17./ 18. April 1902. Veröffentlicht im Auftrag des Großherzoglich Badischen Finanzministeriums. - Karlsruhe: G. Braunsche Hofbuchdruckerei 1902. 10 Frankfurter Zeitung, Nr. 107 vom 18. April 1902, Ab.BI., S. 1. 11 Ebd., Nr. 112vom 23. April 1902, 2. Mo.BI., S. 1. 12 Zeller, Heidelberger Schloß, S. 128 13 Das Gutachten Eggerts „betreffend die statischen Verhältnisse des Otto Heinrichbaues im Schloß zu Heldelberg, Insbesondere der Hof-(West-)Fassade" findet sich als Beilage zum Protokoll der 64. öffentlichen Sitzung der zweiten Kammer vom 30. April 1904, In: Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden vom Landtag 1903/1904. Beilagen zu den Protokollen der zweiten Kammer, Drittes Bellagenheft. - Karlsruhe: Badenia 1904, Nr. 50, S. 291-303.
Editorischer
Bericht
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gertsche Plan wurde jedoch schließlich verworfen. 1 4 Eine Ministerialkommission stellte daraufhin am 17. Dezember 1903 fest, daß der Ottheinrichsbau nur durch „die Aufbringung eines Daches, verbunden mit dem inneren Ausbau" zu retten sei. Mithin war, wie es der Nachfolger des inzwischen verstorbenen Finanzministers Buchenberger, Eugen Becker, formulierte, die Frage der Erhaltung des Baues in seiner gegenwärtigen Gestalt „für die Großh[erzogliche] Regierung erledigt". 1 5 Es fehle nur noch eine Entscheidung über die Art der Bedachung, für die erneut das Votum einer Sachverständigenkommission eingeholt werden sollte. 16 Dabei schien man zu einem großen Doppeldach mit zwei Firsten zu tendieren. Dieses entsprach einem Stich von Merian aus dem Jahre 1616, der 1902 in Wetzlar zufällig in einer Sammlung alter Architekturzeichnungen gefunden worden war. Karl Schäfer - seit Juli jenes Jahres übrigens der Schwiegervater von Max Webers Schwester Lili - hatte seinen ursprünglichen Entwurf danach umgearbeitet. 17 In Erwartung der ministeriellen Genehmigung zum Wiederaufbau des Ottheinrichsbaus steigerte sich der Protest, der schon bei Abschluß der Restaurationsarbeiten am Friedrichsbau Ende 1903 wieder aufgeflammt war. Die Frankfurter Zeitung rief am 3. Juli 1904 dazu auf, eine „gewaltige Bewegung" zu organisieren, die sich mit einer „Riesen-Petition" als „eine unüberwindliche Schutzwehr" vor die Heidelberger Schloßruine stelle. 18 Den Gegnern aus Kunsthistoriker- und Architektenkreisen schloß sich auch der Lehrkörper der Heidelberger Universität an, der bereits im Dezember 1901 eine öffentliche Erklärung gegen die Restaurationspläne abgegeben hatte. 19 Am 9. Juli 1904 fand in der Aula eine „Dozentenversammlung" statt, die „ziemlich zahlreich besucht wurde". 2 0 Zuvor hatte eine „freie Kommission" unter Vorsitz des Prorektors der Universität, Wilhelm Braune, die hier abgedruckte, gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses ge-
14 Dies geschah aufgrund der Gegengutachten der Referenten der Ministerialkommission für das Hochbauwesen im Großherzogtum Baden, des Freiburger Baudirektors Max Meckel vom 10. Oktober 1903, des Züricher Architekten Friedrich Bluntschli vom 10. November 1903 und des Karlsruher Architekten Friedrich Ratzel vom 25. November 1903. Negative Gutachten gaben auch die Großherzogliche Oberdirektion des Wasserund Straßenbaues am 21. Januar 1903 sowie die Heidelberger Bauräte Fritz Seitz und Julius Koch am 1. Mai 1903 ab, ebd., S. 3 0 4 - 3 1 8 . Alle Gutachten hielten es für ausgeschlossen, daß die von Eggert geplante Stützkonstruktion angebracht werden könne. 15 So Becker in seinem Schreiben vom 28. April 1904 an den Präsidenten der badischen 11. Kammer, ebd., S.290. 16 Ebd. 17 Vgl. Zeller, Heidelberger Schloß, S. 130f. 18 Frankfurter Zeitung, Nr. 183 vom 3. Juli 1904, 2. Mo.BI., S. 1. 19 Vgl. hierzu die entsprechenden Zeitungsauschnitte im GLA Karlsruhe 235/47509. 20 Heidelberger Zeitung, Nr. 159 vom 11. Juli 1904, S. 2.
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Erklärung der Heidelberger
Dozenten
richtete „Erklärung" entworfen. Sie wurde von „sämtlichen anwesenden Dozenten" unterschrieben und lag auch am 11. Juli noch für „diejenigen Herrn Dozenten, die der Versammlung nicht anwohnten, zur Unterschrift auf." 21 Insgesamt unterzeichneten 136 Heidelberger Hochschullehrer, neben Max Weber auch Gerhard Anschütz, Adolph Hausrath, Georg Jelllnek, Gustav Radbruch und Ernst Troeltsch. Wilhelm Braune übersandte die „Erklärung" am 13. Juli 1904 dem Großherzoglichen Geheimen Kabinett in handschriftlicher 2 2 und einen Tag später dem Großherzoglichen Ministerium der Justiz, d e s Kultus und Unterrichts In g e d r u c k t e r Form. 2 3 A m selben Tag, d e m 14. Juli, w u r d e sie in der H e i d e l b e r g e r Tagespresse veröffentlicht. 2 4 Die diversen Kampagnen veränderten tatsächlich das Klima. Mit der Ablehnung des ersten Finanzierungsantrags für das noch nicht genau fixierte Aufbauprojekt durch die beiden badischen Kammern Im Jahre 1906 war ein vorläufiges Ende des „Schloßstreits" erreicht, den auch spätere Debatten nicht wiederzubeleben vermochten.
Zur Überlieferung
und
Edition
Der Abdruck folgt dem Text, wie er uns in der dem Großherzoglichen Geheimen Kabinett am 13. Juli 1904 In handschriftlicher Form vorgelegten „Erklärung", GLA Karlsruhe, Großherzogliches Geheimes Kabinett, 60/1923, überliefert ist (A). Die dem Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts übermittelten sowie die In der Heidelberger Tagespresse veröffentlichten Fassungen, die gegenüber A nur geringfügige orthographische Abweichungen aufweisen, werden hier vernachlässigt.
21 Ebd. 22 Schreiben Wilhelm Braunes an das Großherzogliche Geheime Kabinett vom 13. Juli 1904, GLA Karlsruhe, Großherzogliches Geheimes Kabinett, 60/1923. 2 3 Schreiben Wilhelm Braunes an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 14. Juli 1904, GLA Karlsruhe, Großherzogthum Baden. Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts. Generalia. Kunst und Wissenschaft. Bausachen. Die Erhaltung alter Baudenkmale, hier des Heidelberger Schlosses, 235/47509. 2 4 Im Heidelberger Tageblatt, Nr. 162 vom 14. Juli 1904, S. 1, erschien sie unter der Überschrift „Protesterklärung der Heidelberger Dozenten". Ihr Ist folgende redaktionelle Bemerkung vorangestellt: „Die Protesterklärung gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses, die in der am vorigen Samstag In der Aula der Universität abgehaltenen allgemeinen Dozentenversammlung angenommen wurde, hat folgenden Wortlaut:"
Erklärung [der Heidelberger Dozenten gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses]
Das Heidelberger Schloß schwebt in dringender Gefahr. Das Großh[erzoglich] Bad[ische] Finanzministerium hat die Frage der Möglichkeit, den Ottheinrichsbau durch Stützen zu erhalten, im verneinenden Sinne für „erledigt" erklärt, nachdem Eggert's Plan, der sie bejahte, durch eine Anzahl von Gutachten, die im Wesentlichen von grundsätzlichen Vertretern der Wiederherstellungsidee ausgingen, verworfen worden ist. Nur über die Art der Bedachung soll eine neue Kommission von Fachleuten noch entscheiden. Wir vermögen, nach den Aussprüchen hervorragender Techniker nicht zu glauben, daß die Kunst der Architekten oder besser der Ingenieure nicht im Stande sein sollte, ein Mittel der Erhaltung der Fassade zu finden, und erklären es für unbedingt erforderlich, daß den Fachmännern beider Art Anregung, Möglichkeit und Zeit gewährt werde, Projekte auszuarbeiten und der Öffentlichkeit bekannt zu machen, bevor irgend ein weiterer Schritt geschieht. Aber wir protestieren, darüber hinaus, auf das Schärfste und auf das Eindringlichste gegen eine jede Restaurierung, die, wie sie auch sei, in viel höherem Maße, als irgend eine, langsam und unberechenbar fortschreitende und umbildende, natürliche Zersetzung der Ruine, deren jähe und vorzeitige, vollständige, unwiderrufliche Zerstörung bedeuten müßte. Wir weisen mahnend auf all' das Unheil hin, das ein unhistorischer und unkünstlerischer Restaurations-Fanatismus im letzten Jahrhundert an so vielen ehrwürdigen Denkmälern angerichtet hat, indem er an die Stelle des Kunstwerkes die Nachbildung, an die Stelle des Echten die Fälschung, an die Stelle der Gewordenen und Zweckvollen das künstlich Gemachte und die leere Maske schob. Wir beklagen in der Restaurierung des Friedrichsbaues diese Verdrängung des Lebenden durch das ein für alle Male Tote, des historischen Baues und seiner eigentümlichen Werte durch ein im Äußern kaltes und erkältendes, im Innern schreiend buntes Scheinwerk, der unmittelbaren Schöpfung durch eine seelenlose architektonische Gelehrsamkeit. Wer in aller Welt wagt es denn, an ein Aus-
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Erklärung der Heidelberger
Dozenten
bauen des Parthenons, der Tempel von Girgenti oder Paestum auch nur zu denken? Wer darf aus dem heiligen Reste unseres Ottheinrichsbaues aus dem Erbstück einer schaffenden Zeit und dem sprechenden Gebilde der Jahrhunderte ein Zwitterding machen, unwahr und unlebendig, weder alt noch neu? oder vielmehr: 5 ein Neues, in dem das Alte tatsächlich untergeht? denn mit Bestimmtheit ist es vorauszusehen, daß der Ausbau einem Neubau gleichkommen würde: ein Neubau aber kann auf Grund der vorhandenen genauen Aufnahmen auch später noch jederzeit, wenn es sein soll, vorgenommen werden. Warum soll der Ruine nicht ver- 10 gönnt sein, sich auszuleben, so lange es ihr Geschick erlaubt? Wir sind gewiß, im Sinne zugleich eines jeden geschichtlichen Gefühls und eines künstlerischen Empfindens den Warnruf zu erheben: in keinem Falle, unter keiner Bedingung die Barbarei eines Wiederaufbaus! Sie allein, auf absehbare Zeiten hinaus, droht un- 15 serm Schlosse die wahre Vernichtung an, die Vernichtung ohne Not und ohne Gewinn. Heidelberg, im Juli 1904.
[Aufrufe des Bundes für Mutterschutz]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Der „Bund für Mutterschutz" gehörte im Kaiserreich zu den bekanntesten Vereinen der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Er wandte sich gegen die soziale Diskriminierung lediger Mütter und nichtehelicher Kinder und trat für die Besserung ihrer wirtschaftlichen Situation ein. Durch finanzielle und praktische Maßnahmen wollte er die Betroffenen unterstützen. Darüber hinaus stellte der Bund ein Forum für die Verbreitung einer „neuen Ethik" dar, für den „Kampf für eine neue geschlechtliche Sittlichkeit, für eine neue und freie Ehe." 1 Elisabeth Bouness, bekannt unter dem Pseudonym Ruth Bre, verstand sich als „Begründerin und intellektuelle Urheberin" 2 des Bundes. Zusammen mit anderen beschloß sie im November 1904, in Leipzig einen „Bund für Mutterschutz" zu gründen. 3 Ähnliche Bestrebungen verfolgte auch die Frauenrechtlerin Helene Stöcker in Berlin, die damit aber in den bestehenden Frauenverbänden keine Resonanz fand. Offensichtlich kam es schon im November 1904 zu Kontakten zwischen Leipzig und Berlin. Ein „vorbereitendes Komitee" zur Vereinsgründung wurde ins Leben gerufen. Diesem gehörten neben Ruth Br6 und Helene Stöcker auch der Arzt Max Marcuse, die Frauenrechtlerin Maria Lischnewska sowie der Nationalökonom Walter Borgius, ein Schüler Max Webers, an. Diese kamen aus Berlin, so daß die Berliner Gruppe ein deutliches Übergewicht besaß. Nach der Darstellung Helene Stöckers verfaßte Walter Borgius den ersten der im folgenden abgedruckten Texte („Aufruf"), der für die Unterstützung des „Bundes für Mutterschutz" warb. 4 Borgius dürfte sich weitgehend auf eine Vorlage gestützt ha-
1 Stöcker, Helene, Zehn Jahre Mutterschutz. - Berlin: Osterheld & Co. o.J. [1915], S.8. Zum Kontext vgl. auch Nowackl, Bernd, Der Bund für Mutterschutz (1905-1933). - Husum: Matthiesen Verlag 1983, sowie Hamelmann, Gudrun, Helene Stöcker, der „Bund für Mutterschutz" und „Die Neue Generation". - Frankfurt a.M.: Haag + Herchen 1992. 2 Siehe hierzu das von Ruth Bre verfaßte Flugblatt „Ruth Bre und der .Bund für Mutterschutz'" vom März 1905. Ein Exemplar befindet sich im BA Koblenz, Nl. Adele Schreiber, Nr. 17. 3 Vgl. hierzu die handschriftliche Vereinbarung mit beigeschlossenem Entwurf eines Aufrufs, BA Koblenz, Nl. Adele Schreiber, Nr. 15. 4 Stöcker, Zehn Jahre, S. 6.
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Aufrufe des Bundes für Mutterschutz
ben, die von der Leipziger G r u p p e formuliert worden war. 5 Bis zur konstituierenden Sitzung am 5. Januar 1905 in Berlin lagen die „Unterschriften einer Reihe führender Persönlichkeiten aus allen Teilen des deutschen Reiches" vor. 6 Auf d e m uns überlieferten Flugblatt des „Aufrufs" findet sich unter den 53 Unterzeichnern neben Franz v. Liszt, Friedrich Naumann und Werner Sombart auch Max Weber. 7 Im vorbereitenden Komitee g a b es von Beginn an Spannungen. Während Ruth Bré sich auf „gesunde, arbeitswillige ledige Mütter und ihre Kinder" konzentrieren und für diese eine „dauernde Heimat [...] auf dem Lande" schaffen wollte, 8 suchte Helene Stöcker allgemeiner eine Reform der „sexuellen Ethik" durchzusetzen. Darüber hinaus erwies es sich als besonders konfliktträchtig, daß Ruth Bré ihre Hilfsmaßnahmen zur „Verbesserung der Rasse und des Nationalwohlstandes durch Aufzucht des Gesunden" nutzen wollte. Unterstützt wurde sie dabei von Alfred Ploetz, der den Aufruf mitunterzeichnet hatte und ihn in seinem „Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie" im Januar/Februar 1905 veröffentlichte. In einem unmittelbar folgenden Zusatz formulierte Ploetz die Erwartung, daß der Bund den „sozialhygienischen mit d e m rassehygienischen Nutzen verbinden" und sich keineswegs den „besonderen Schutz der Minderwertigen", die er unter den nichtehelichen Kindern in hoher Zahl vermutete, zur A u f g a b e m a c h e n werde. 9 Zu der konstituierenden Ausschußsitzung am 5. Januar 1905 waren augenscheinlich alle Unterzeichner eingeladen, d o c h nahmen nur 12 Personen teil. Max Weber war nicht unter ihnen. Mit „Zustimmung der Anwesenden" wurde „die Konstituierung der Unterzeichner des Aufrufes als .Ausschuß' des Bundes für Mutterschutz" beschlossen. 1 0 Auf diese Weise wurde Weber Mitglied des Ausschusses. Es ist nicht bekannt, ob er dazu seine Zustimmung gab. Die schon im Vorfeld bestehenden Spannungen traten auf der ersten öffentlichen Versammlung des Bundes am 26. Februar massiv hervor. In ihrem Einleitungsreferat präzisierte Ruth Bré die Ziele des Aufrufs, w o h i n g e g e n Helene Stöcker unterstrich, daß die neue Vereinigung sich vor allem als „Bund zur Reform der sexuellen
5 Ein gedrucktes Exemplar dieser Fassung findet sich im BA Koblenz, Nl. Adele Schreiber, Nr. 15. 6 Dies geht aus den „Mitteilungen des B u n d e s für Mutterschutz" in: „Mutterschutz". Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik, 1. Jg., 1905, S. 45, hervor. 7 BA Karlsruhe, Nl. Adele Schreiber, Nr. 29. 8 „Ruth Bre und der .Bund für Mutterschutz"', BA Koblenz, Nl. Adele Schreiber, Nr. 17. 9 Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene, 2. Jg., 1905, S. 166. 1 0 Protokoll der 1. konstituierenden Ausschußsitzung am 5. Januar 1905, BA Koblenz, Nl. Adele Schreiber, Nr. 25.
Editorischer
Bericht
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Ethik" verstehe. 1 1 Der Ausschuß, der im Anschluß an diese Versammlung tagte, wandte sich gegen einige der von Ruth Bre vertretenen Forderungen, so etwa gegen eine einseitige Betonung der Ansledlung von Müttern auf dem Land und die Gründung ländlicher Mütterkolonien. 12 Nach eingehender Diskussion verwarf er auch die formale Beschränkung der Fürsorge auf gesunde Mütter, „da der Begriff .gesund' den willkürlichsten Auslegungen ausgesetzt sei." 13 Man wählte Ruth Bre zwar noch in den Vorstand, 14 doch begann sie sich allmählich vom „Bund für Mutterschutz" zu distanzieren, dessen Ziele sie aufgrund der „Schwankungen der Berliner Zentrale" für „gefährdet" hielt. 15 Im März 1905 verfaßte sie eine Flugschrift, in der sie unter Hinweis auf den ursprünglichen Aufruf ihre Position verteidigte. 16 Bald darauf schied sie auch förmlich aus dem Bund aus und gründete eine eigene Organisation. 1 7 Wie Walter Borgius berichtet, wurden auf den folgenden Ausschußsitzungen „Programm und Satzungen" des Bundes modifiziert. 18 Ob Max Weber daran beteiligt war, wissen wir nicht. Vermutlich ist die schließlich verabschiedete Fassung identisch mit jener, die unter der Überschrift „Aufruf" im September-Heft des neugegründeten Publikationsorgans des Bundes „.Mutterschutz'. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik" erschien. Dieser Veröffentlichung ist eine Liste der Vorstands- und Ausschußmitglieder beigegeben. Da unter den Ausschußmitgliedern auch Max Weber aufgeführt ist, 19 wird diese Fassung des Aufrufs ebenfalls abgedruckt. Wir wissen, daß Max Weber mit den von Helene Stöcker und Walter Borgius vorgegebenen Zielen nicht einverstanden war. Er scheint deshalb den „Bund für Mutterschutz" auch bald wieder verlassen zu haben. So wird er beispielsweise in einer Eingabe des „Bundes für Mutterschutz" an die Kultusminister der deutschen Bundesstaaten vom April 1906 nicht mehr als Mitglied des Ausschusses aufgeführt. 2 0 Wie negativ er in der Folge über den Bund dachte, wird in einem Brief von Anfang Januar 1907 an Robert
11 „ M u t t e r s c h u t z " , 1. J g . , 1905, S. 46. 1 2 Protokoll d e r A u s c h u ß s i t z u n g d e s B u n d e s für M u t t e r s c h u t z a m 26. F e b r u a r 1905, B A K o b l e n z , Nl. A d e l e S c h r e i b e r , Nr. 25. 13 E b d . 14 E b d . Vgl. h i e r z u a u c h „ M u t t e r s c h u t z " , 1. J g . , 1905, S . 4 7 , s o w i e N o w a c k i , B u n d für M u t t e r s c h u t z , S. 20. 15 „ R u t h Bre u n d d e r . B u n d für M u t t e r s c h u t z ' " , B A K o b l e n z , Nl. A d e l e Schreiber, Nr. 17. 16 E b d . 17 N o w a c k i , B u n d für M u t t e r s c h u t z , S. 24. 18 B o r g i u s , Walter, M u t t e r s c h u t z u n d R a s s e n h y g i e n e , in: „ M u t t e r s c h u t z " , 1. Jg., 1905, S. 2 1 0 . 19 „ M u t t e r s c h u t z " , 1. J g . , 1905, S. 2 5 4 - 2 6 0 . 20 E i n g a b e d e s B u n d e s für M u t t e r s c h u t z „Betrifft: E i n f ü g u n g d e r g e s c h l e c h t l i c h e n B e l e h r u n g In d e n S c h u l u n t e r r i c h t " v o m A p r i l 1906, B A K o b l e n z , Nl. A d e l e S c h r e i b e r , Nr. 29.
424
Aufrufe des Bundes für
Mutterschutz
Michels deutlich, der g e r a d e einen Aufsatz in der Zeitschrift „Mutterschutz" veröffentlicht hatte. 2 1 Hier heißt es: „Die spezifische Mutterschutz-Bande ist ein ganz confuses Gesindel, - ich trat nach d e m Geschwätz der Stöcker, Borgius etc. wieder aus. Grober H e d o n i s m u s u. e[ine] Ethik, die nur d e m Mann zu Gute käme, als Ziel der Frau, - das ist einfach Quark. Was thun Sie bei diesen wild g e w o r d e n e n Spießern?" 2 2
Zur Überlieferung
und Edition
Es gibt zwei erheblich voneinander a b w e i c h e n d e Fassungen des „Aufrufs" des „ B u n d e s für Mutterschutz". Die erste Fassung von Dezember 1904/ Januar 1905 ist uns in Form eines Flugblatts überliefert, das sich im BA Koblenz, Nl. A d e l e Schreiber, Nr. 29, befindet. Der N a c h d r u c k dieser ersten Fassung im „Archiv für Rassen- u n d Gesellschafts-Biologie einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene", 2 . J g . , Heft 1, Januar-Februar 1905, S. 1 6 4 - 1 6 6 , unter der Überschrift „Bund für Mutterschutz. Ein Berliner Komitee erläßt f o l g e n d e n Aufruf:", wird hier vernachlässigt. Die zweite, deutlich veränderte Fassung des „Aufrufs", die zuweilen auch als „Programm" des „ B u n d e s für Mutterschutz" bezeichnet wird, erschien gefolgt von einer 60 N a m e n umfassenden Liste der Vorstands- und Ausschußmitglieder - im S e p t e m b e r 1905 in: „Mutterschutz". Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik, 1. Jg., Heft 6, 1905, S. 2 5 4 - 2 6 0 . Während hier unter der Gesamtüberschrift „Aufruf" a u c h organisatorische Fragen behandelt sind, waren d i e s b e z ü g l i c h e Passagen im ersten Aufruf deutlich a b g e s e t z t und im Anschluß an die Unterzeichnerliste a b g e d r u c k t . Diese Passagen w e r d e n im textkritischen A p p a r a t an der entsprechenden Stelle mitgeteilt. Die Fußnote 1) ist mit * a n g e b u n d e n . Beide Texte sind mit A sigliert.
21 Michels, Robert, Erotische Streifzüge: Deutsche und italienische Liebesformen. - Aus d e m Pariser Liebesleben, in: „Mutterschutz", 2. Jg., 1906, S. 3 6 2 - 3 7 4 . 2 2 Brief Max Webers an Robert Michels vom 11. Jan. 1907, MWG II/5, S . 2 1 0 f .
1.
Aufruf [von Dezember 1904 / Januar 1905]
Unsere Zeit läßt dem Kranken und Siechen mehr öffentliche Pflege angedeihen, als irgend eine frühere, duldet daneben aber Zustände, die erst den Niedergang des von Natur Gesunden zur Folge haben. Man empfiehlt Eheverbot für organisch Kranke und befürwortet Staatsprämien für Eheschließung gesunder jugendlicher Personen, um den Bevölkerungszuwachs zu verbessern. Wir haben aber bereits heute einen trefflichen Nachwuchs, den wir nur kläglich zugrunde gehen lassen: Rund 180 000 uneheliche Kinder werden jährlich in Deutschland geboren, nahezu ein Zehntel aller Geburten überhaupt. Und diese gewaltige Quelle unserer Volkskraft, bei der Geburt meist von hoher Lebensstärke, da ihre Eltern in der Blüte der Jugend und Gesundheit stehen, lassen wir verkommen, weil eine rigorose Moralanschauung die ledige Mutter brandmarkt, ihre wirtschaftliche Existenz untergräbt und sie damit zwingt, ihr Kind gegen Bezahlung fremden Händen anzuvertrauen, - ein Zustand, dessen verhängnisvolle Konsequenzen jüngst wieder der Prozeß Wiese, Hamburg, uns kraß vor Augen geführt hat.1 So sterben denn bereits in und vor der Geburt 5 % der unehelichen Kinder gegen 3 % des Reichsdurchschnittes, im ersten Lebensjahre 28,5 % gegen 16,7 %, so daß überhaupt nur ein geringer Bruchteil zur Reife erwächst. Wie dessen weitere Entwicklung sich aber gestaltet, geht daraus hervor, daß von den als verwahrlost der Zwangs-Fürsorge-Erziehung übergebenen Kindern nicht weniger als 17 % unehelich waren! Und während nur ein verschwindender Prozentsatz als militärtauglich befunden wird, rekrutiert sich 1 Die Hamburgerin Elisabeth Wiese hatte um die Jahrhundertwende mindestens fünf nichteheliche Kleinkinder, die ihrer Obhut anvertraut waren, vergiftet. Sie vermittelte die Kinder lediger Mütter gegen Provision an wohlhabende Pflegefamilien. Einige schickten die Kinder jedoch zurück. Als ihr diese lästig wurden, beging sie die Morde. Elisabeth Wiese wurde im Jahre 1905 hingerichtet. Der „Fall Wiese" erregte im ganzen Reich große Aufmerksamkeit.
426
1. Aufruf des Bundes für
Mutterschutz
die Welt der Verbrecher, Dirnen und Landstreicher zu einem erschreckenden Teil aus unehelich Geborenen. So züchten wir durch ein unbegründetes moralisches Vorurteil künstlich ein Heer von Feinden der menschlichen Gesellschaft. Dabei ist die Geburtenziffer an sich in Deutschland in relativem Rückgang begriffen: Auf 1000 Lebende entfielen 1876 noch 41 Geburten, 1900 nur noch 35V2! Die sorgsame Erhaltung jedes gesund geborenen Kindes ist also in jeder Hinsicht ein Gebot rationeller Rassenhygiene und wichtig für die Erhaltung unserer Volks-Kraft und -Gesundheit. Man hat nun versucht, mit Kinderkrippen, Findelhäusern u. dergl. hier einzugreifen. Aber Kinderschutz ohne Mutterschutz ist und bleibt Stückwerk; denn die Mutter ist die kräftigste Lebensquelle des Kindes und zu seinem Gedeihen unentbehrlich. Wer ihr Ruhe und Pflege in ihrer schwersten Zeit gewährt, ihr eine wirtschaftliche Existenz für die Zukunft sichert, sie vor der kränkenden und das Leben verbitternden Verachtung ihrer Mitmenschen bewahrt, der schafft damit auch die Basis für leibliches und geistiges Gedeihen des Kindes und zugleich einen starken sittlichen Halt für die Mutter selbst. Dies will der Bund für Mutterschutz: Er will Heimstätten schaffen, in welchen alle gesunden und arbeitswilligen unehelichen Mütter willkommen sind, die den ernstlichen Wunsch haben, ihre Kinder zu gesunden und nützlichen Menschen | A 2 selbst zu erziehen. Tunlichst auf dem Lande oder in ländlichen Vororten der Städte sollen sie in gärtnerischer Bodenbearbeitung, in landwirtschaftlichen Nebenbetrieben oder in gesundheitlich einwandsfreier gewerblicher Tätigkeit wirtschaftliche Selbständigkeit gewinnen, unter gleichzeitiger Fürsorge für eine zweckmäßige Pflege und Erziehung der Kinder, Gewährung von Rechtsschutz und ärztlicher Hülfeleistung. Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein derartiges Vorgehen auch den Wünschen vieler Väter entspricht und dazu beiträgt, deren Beihülfe und Interesse für Mutter und Kind zu erhalten. Hand in Hand mit diesen Maßnahmen sollen ein umfassender gesetzlicher Mutterschutz, eine allgemeine Niederkunftsversicherung u. ä. Ziele in Angriff genommen werden.
2. Aufruf
des Bundes für
Mutterschutz
427
U m diese Bestrebungen aber planmäßig und auf breitester Basis verfolgen zu können, ist die tätige Hülfe und Beteiligung weiter Volkskreise unerläßlich. Deshalb richten die Unterzeichneten an alle ihre Mitbürger die dringende Aufforderung, durch ihre prakti5 sehe Mitarbeit und finanzielle Unterstützung die Erreichung unseres Ziels zu sichern und zu beschleunigen. 3
2.
Aufruf [von September 1905]
180 000 uneheliche
Kinder
10 werden jährlich in Deutschland geboren, nahezu ein Zehntel aller Geburten überhaupt. Diese gewaltige Quelle unserer Volkskraft, bei der Geburt meist von hoher Lebensstärke, da ihre Eltern in der Blüte der Jugend und Gesundheit stehen, lassen wir verkommen, weil eine rigorose Moralanschauung die ledige Mutter brandmarkt,
a N a c h der Liste der Unterzeichner folgen die o r g a n i s a t o r i s c h e n B e s t i m m u n g e n . Sie lau-
ten: Der Erwerb der Mitgliedschaft erfolgt durch formlose Anmeldung bei der Geschäftsstelle unter gleichzeitiger Übersendung eines - von jedem einzelnen nach seiner wirtschaftlichen Lage selbst zu bestimmenden - Jahresbeitrags, dessen Quittung als Mitgliedskarte gilt. U m möglichst weiten Kreisen die Teilnahme zu ermöglichen, werden Beiträge bis zu 1 Mk. herab entgegen genommen. Doch bitten wir dringend alle besser situierten Freunde unserer Bestrebungen, diese durch Zuwendung reichlicher Mittel zu fördern. Im Hinblick auf die Kosten der ersten Propaganda, sowie der ersten Einrichtung von Mutterkolonien werden einmalige größere Beiträge mit besonderem Danke angenommen. Ferner sind uns besonders willkommen Meldungen von Freunden der Sache, welche bereit sind, die (sich bereits meldenden) ledigen Mütter mit ihren Kindern aufzunehmen, sie event. in ihrem Wirtschaftsbetriebe zu beschäftigen oder ihnen sonst eine (sei es auch nur vorläufige) Unterkunft und Existenz zu beschaffen, ferner uns geeignete Siedelungsterrains nachzuweisen, Arbeitsgelegenheit zu vermitteln usw. Die Gründung von Ortsgruppen, Einsetzung lokaler Vertrauenspersonen, Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen, Herausgabe eines Organs und sonstige propagandistische Tätigkeit durch Wort und Schrift werden in Kürze in Angriff genommen werden. Die Geschäftsstelle: Dr. Max Marcuse, Berlin W., Leipzigerstr. 42.
428
2. Aufruf des Bundes für Mutterschutz
ihre wirtschaftliche Existenz untergräbt und sie damit zwingt, ihr Kind gegen Bezahlung fremden Händen anzuvertrauen. A 255 Die verhängnisvollen Konsequenzen dieses Zustandes zeigen sich u. a. darin, daß der Durchschnitt der Totgeburten bei den unehelichen Kindern 5 % beträgt gegen 3 % insgesamt, der im ersten 5 Lebensjahr sterbenden 28,5 % gegen 16,7 % insgesamt. Und während nur ein verschwindender Prozentsatz militärtauglich wird, rekrutiert sich die Welt der Verbrecher, Dirnen und Landstreicher zu einem erschreckenden Teil aus unehelich Geborenen. So züchten wir durch ein unbegründetes moralisches Vorurteil künstlich ein 10 Heer von Feinden der menschlichen Gesellschaft. Dabei ist die Geburtenziffer an sich in Deutschland in relativem Rückgang begriffen: Auf 1000 Lebende entfielen 1876 noch 41 Geburten, 1900 nur noch 35 V2! Diesem Raub an unserer Volkskraft Einhalt zu tun, erstrebt der 15 Bund für Mutterschutz. Man hat bereits versucht mit Kinderkrippen, Findelhäusern u. dgl. hier einzugreifen. Aber Kinderschutz ohne Mutterschutz ist und bleibt Stückwerk, denn die Mutter ist die kräftigste Lebensquelle des Kindes und zu seinem Gedeihen unentbehrlich. Wer ihr Ruhe 20 und Pflege in ihrer schwersten Zeit gewährt, ihr eine wirtschaftliche Existenz für die Zukunft sichert, sie vor der kränkenden und das Leben verbitternden Verachtung ihrer Mitmenschen bewahrt, der schafft damit auch die Basis für leibliches und geistiges Gedeihen des Kindes und zugleich einen starken sittlichen Halt für die Mutter 25 selbst. Darum will der Bund für Mutterschutz vor allem die Mütter sicherstellen, indem er ihnen zur Erringung wirtschaftlicher
Selbständigkeit
behilflich ist, insbesondere solchen, die ihre Kinder selbst aufzuziehen bereit sind, durch Schaffung von ländlichen und städtischen 30 Mütterheimen, in welchen überdies für zweckmäßige Pflege und Erziehung der Kinder, Gewährung von Rechtsschutz und ärztliche Hilfeleistung A 256 Sorge getragen wird. Die Erfahrung hat gezeigt, | daß ein derartiges Vorgehen auch den Wünschen vieler Väter entspricht und dazu bei- 35 trägt, deren Beihilfe und Interesse für Mütter und Kind zu erhalten.
2. Aufruf des Bundes für
Mutterschutz
429
Der Bund will aber vor allem auch die Quellen verstopfen, aus denen die gegenwärtige Notlage der ledigen Mutter entsteht, und diese sind insbesondere die moralischen Vorurteile, welche sie heute gesellschaftlich verfehmen, und die Rechtsbestimmungen, die ihr nahezu allein die wirtschaftliche Sorge und Verantwortung für das Kind aufbürden und den Vater gar nicht oder in ganz unzureichender Weise zur Mittragung der Lasten heranziehen. Die sittliche Verfehmung der ledigen Mutter wäre vielleicht verständlich, wenn wir unter wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen lebten, die es jedem 3 ermöglichen, bald nach erlangter Geschlechtsreife in die Ehe zu treten, so daß unfreiwillige Ehelosigkeit erwachsener Personen ein anomaler Zustand wäre. In einer Zeit wie der unsrigen aber, in der nicht weniger als 45 % aller gebärfähigen Frauen unverheiratet sind, und die sich wirklich verehelichenden großenteils erst in verhältnismäßig spätem Alter in die Ehe treten können, muß eine Auffassung als unhaltbar bezeichnet werden, welche die unverehelichte Frau, die einem Kind das Leben gibt, als Verworfene gleich dem niedrigsten Verbrecher aus der Gesellschaft ausstößt und der Verzweiflung preisgibt. Ebenso unhaltbar erscheint aber darum auch die heutige Rechtsauffassung, welche bei Mangel der vom Staat für die Eheschließung geforderten Formen den leiblichen Vater nicht als Vater im Rechtssinne anerkennt, ihm keine Verwandtschaft mit dem von ihm gezeugten Kinde zugesteht, ihm keine Verantwortung für das Kind und dessen Mutter auferlegt, obwohl in den meisten Fällen diese die wirtschaftlich schwache, er selbst der wirtschaftliche stärkere Teil ist. Es muß daher eine Reform der Gesetzgebung im Sinne möglichster Gleichstellung des unehelichen mit dem ehelichen Kinde dem Vater gegenüber erstrebt werden. | Endlich ist aber die - eheliche wie uneheliche - Mutterschaft A 257 überhaupt ein für die Gesellschaft so außerordentlich wichtiger Faktor, daß es dringend erwünscht erscheint, sie nicht mit all ihren
a A: jeden
430
2. Aufruf des Bundes für
Mutterschutz
Konsequenzen ausschließlich der Privatfürsorge zu überlassen. Im Interesse des Allgemeinwohls muß vielmehr eine allgemeine
Mutterschaftsversicherung
erstrebt werden, deren Kosten durch Beiträge beider Geschlechter, sowie durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln aufzubringen sind. 5 Diese Versicherung muß nicht nur jeder Frau für den Fall ihrer Schwangerschaft Bereitstellung zureichender ärztlicher Hilfe und sachkundiger Pflege während der Zeit der Niederkunft gewährleisten, sondern auch weiter die Erziehung des Kindes bis zu dessen Erwerbsfähigkeit sicherstellen. 10 Um diese Anschauungen und Bestrebungen planmäßig und auf breitester Basis propagieren zu können, ist die tätige Hilfe und Beteiligung weiter Volkskreise unerläßlich. Deshalb richten wir an alle Gesinnungsgenossen die dringende Aufforderung, durch Anschluß an den Bund für Mutterschutz
15
die Erreichung jener Ziele sichern und beschleunigen zu helfen. Um den weitesten Kreisen die Teilnahme zu ermöglichen, werden Beiträge bis zu 1 Mk. herab entgegengenommen. Doch bitten wir dringend alle besser situierten Freunde unserer Bestrebungen, diese durch Zuwendung reichlicher Mittel zu fördern. Namentlich wer- 20 den einmalige größere Beiträge für die Kosten der ersten Propaganda, sowie der ersten Einrichtung von Mütterheimen und Mütterkolonien mit besonderem Danke angenommen. Ferner sind uns namentlich willkommen Meldungen von Freunden der Sache, die vorläufig bereit sind, ledige Mütter mit ihren Kin- 25 dern aufzunehmen, sie event. in ihrem Wirtschaftsbetriebe zu beschäftigen oder ihnen sonst eine geeignete Unterkunft und Existenz zu beschaffen, ferner uns geeignete Siedelungsterrains nachzuweisen, Arbeitsgelegenheit zu vermitteln oder sonst irgendwie bei der A 258 Werbung von Mit | gliedern, Gründung von Ortsgruppen, Veranstal- 30 tung von öffentlichen Versammlungen, Propaganda durch Wort und Schrift etc. als Vertrauenspersonen und praktische Mitarbeiter an die Hand zu gehen. Nähere Auskunft erteilt der Schriftführer Dr. Max Marcuse, Berlin W. 8, Leipziger-Straße 42. 35 Telephon: 1,6515.
2. Aufruf des Bundes für
Mutterschutz
431
Satzung. §1. Zweck des Bundes ist, ledige Mütter und deren Kinder vor wirtschaftlicher und sittlicher Gefährdung zu bewahren und die herr5 sehenden Vorurteile gegen sie zu beseitigen. §2. Diese Ziele sucht der Bund zu erreichen a) indem er ledigen Müttern zur Erringung wirtschaftlicher Selbständigkeit behilflich ist, insbesondere denjenigen, welche ihre 10 Kinder selbst aufziehen wollen, durch Schaffung von (ländlichen und städtischen) Mütterheimen, b) durch eine allgemeine Mutterschaftsversicherung, c) durch Verbesserung der rechtlichen Lage der unehelichen Mütter und Kinder, 15 d) durch Propaganda jeder Art (öffentliche Versammlungen, Artikel in der Presse, aufklärende Broschüren und Flugblätter, sowie ein eigenes Organ). §3. Mitglied des Bundes kann - ohne Rücksicht auf Geschlecht, Beruf, 20 Religion, politische oder sonstige Anschauungen - jeder werden, der die Ziele des Bundes billigt. Der Erwerb der Mitgliedschaft geschieht durch Anmeldung und Einsendung des nach Selbsteinschätzung (jedoch nicht unter M. 1,-) zu bemessenden Jahresbeitrages an den Schriftführer, dessen Quittung als Mitgliedskarte gilt. Zum 25 Austritt genügt eine bis längstens 3 Monate vor Beginn des neuen A259 Geschäfts- b (Kalender-)Jahres 0 einzusendende Austrittserklärung. §4. Die Leitung des Bundes liegt in den Händen eines Ausschusses von mindestens 36 Mitgliedern, der sich durch Zuwahl ergänzen, auch 30 bis um ein Viertel seines Bestandes erweitern kann. Er wählt aus seinen Mitgliedern einen Vorstand von 5 - 7 Mitgliedern zur Führung der laufenden Geschäfte, der die Vorstandsämter unter sich
b A: (Kalender)-Jahres
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2. Aufruf
des Bundes für
Mutterschutz
verteilt. Dieser hat alle zur Erreichung der Zwecke des Bundes erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, jedoch dem Ausschusse über seine Geschäftsführung periodisch Bericht zu erstatten und wichtige Angelegenheiten zur Beschlußfassung zu unterbreiten. §5. Die vom Vorsitzenden einzuberufende Generalversammlung findet alle 2 Jahre statt; ihr liegt vor allem die Wahl der zu je einem Drittel in regelmäßigem Turnus ausscheidenden Ausschußmitglieder ob. Im Falle der Auflösung beschließt sie über Verwendung des Bundesvermögens. §6. Die am gleichen Platze wohnenden Mitglieder des Bundes können sich zu Ortsgruppen zusammenschließen, welche sich selbst die erforderliche Organisation geben und freie Hand hinsichtlich ihrer Betätigung haben, sofern diese nicht mit dem Grundgedanken und praktischen Arbeiten des Gesamtbundes kollidiert, in welchem Falle der Ausschuß das Recht des Einspruchs und event. der Auflösung hat1).
'' Anm.: Der Ausschuß des B[undes] f[ür] Mutterschutz] hat in seiner Sitzung vom 26. Februar 1905 u.a. folgende Beschlüsse gefaßt: 1. Landesverbände können korporative Mitglieder werden, wenn sie die §§ 1 und 2 der Bundesstatuten zu den ihren machen. 2. Ortsgruppen haben mindestens 20% ihrer eigenen als Mitgliederbeiträge gezeichneten Jahreseinnahmen an die Bundeskasse abzuliefern. Einmalige Beiträge verbleiben ihnen ganz.
Aufruf des Bundes Heimatschutz gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es Pläne, die Wasserkräfte des Oberrheins zwischen Bodensee und Basel in Höhe der Gemeinde Laufenburg zur Energiegewinnung zu nutzen. Das starke Gefälle auf dieser Strecke war sehr günstig für ein Wasserkraftwerk. 1 Aufgrund der Grenzlage der Gemeinden Laufenburg und Klein-Laufenburg waren für das Genehmigungsverfahren schweizerische und badische Behörden zuständig. Das Projekt machte erhebliche Eingriffe in die Natur nötig. So wollte man den Wasserspiegel erhöhen und Felsen im Flußbett sprengen. Das badische Innenministerium etwa beschrieb die Konsequenzen für das Landschaftsbild folgendermaßen: „Nach dem maßgebenden letzten Entwurf soll in der Tat im sog. Schäffigen unterhalb der .Enge' quer durch den Rhein ein hohes Standwehr aufgeführt werden, wodurch der Fluß aufgestaut und an Stelle der jetzigen Wasserfälle - des sog. Lauften - ein ruhig fließendes, seeartig sich ausdehnendes Wasserbecken treten wird. Das Charakteristische des Bildes, - das durch eine Felsenenge sich hindurch drängende, in einer Reihe von Katarakten über große Granitblöcke und Gletschermühlen unter Tosen und Brausen wild abstürzende Wasser - wird [...] verloren gehen." 2 Die geplante Zerstörung der wegen ihrer Schönheit gepriesenen „Laufenburger Stromschnellen" führte zu heftigen Reaktionen vor allem bei der „Heimatschutzbewegung". Diese hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere im Bildungsbürgertum Immer mehr Anhänger gewonnen. Die Vorstellungen reichten von rigider Fortschrittsfeindlichkeit bis zur Versöh-
1 Vgl. dazu und zum Folgenden Linse, Ulrich, „Der Raub des Rheingoldes": Das Wasserkraftwerk Laufenburg, in: Von der Bittschrift zur Platzbesetzung. Konflikte um technische Großprojekte, hg. von Ulrich Linse, Reinhard Falter, Dieter Rucht und Winfried Kretschmer. - Berlin/Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 1988, S. 11 - 6 2 . 2 Bericht des Ministeriums des Innern an Seine Königliche Hoheit den Großherzog vom 12. Febr. 1905 „Die Wasserkraftanlage bei Laufenburg, hier: die Beeinflussung des landschaftlichen Bildes von Laufenburg betreffend." GLA Karlsruhe, Großherzogliches Geheimes Kabinett, 60/619.
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Aufruf des Bundes
Heimatschutz
nung von ökonomischen und ökologischen Interessen. 3 N a c h d e m sich die Naturschützer 1904 mit der G r ü n d u n g des „Bundes Heimatschutz" einen organisatorischen Rahmen g e g e b e n hatten, beteiligten sie sich mit erheblic h e m A u f w a n d an der Agitation g e g e n den Bau des Laufenburger Wasserkraftwerks. 4 In vorderster Front standen dabei der Architekt Paul SchultzeNaumburg sowie der Freiburger Professor für Nationalökonomie Carl Johannes Fuchs. Dieser hatte anläßlich der G r ü n d u n g des Bundes dessen Ziele als „keineswegs rückschrittlich, reaktionär oder romantisch" bezeichnet. Vielmehr gehe es darum, „nicht unnötig die Schönheiten unserer Heimat" zu zerstören. 5 Fuchs wurde zum Leiter einer Fachgruppe bestimmt, die später die Bezeichnung „Schutz des Landschaftsbildes" erhielt. In dieser Funktion wurde er z u m „Mittelpunkt der heimatschützerischen Aktivitäten g e g e n das Kraftwerk Laufenburg". 6 In einer Eingabe an den Großherzog von Baden vom 2. November 1904 äußerte der Bund „die ehrerbietigste Bitte, das bei Laufenburg geplante Kraftübertragungswerk nicht in der projektierten Form zu genehmigen". 7 Parallel dazu initiierte Fuchs eine Öffentlichkeitskampagne. Analog zu Vorschlägen in der Eingabe regte er in Presseartikeln an, die Stromschnellen dadurch zu retten, daß der „Bund Heimatschutz" die Mittel für ein Gutachten oder ein Preisausschreiben aufbringe, um eine Durchführung des Projekts ohne Vernichtung der bestehenden Naturschönheiten zu ermöglichen. 8 Da die b a d i s c h e n Behörden auf die Vorstellungen des Bundes nicht reagierten, leitete Fuchs im Februar 1905 eine zweite Phase der Mobilisierung der Öffentlichkeit ein. Diese Aktion war wohl mit anderen Organisationen, z. B. mit d e m „Dürerbund", abgestimmt. 9 Fuchs kam in einem Artikel in der
3 A n d e r s e n , Arne, Heimatschutz: Die b ü r g e r l i c h e N a t u r s c h u t z b e w e g u n g , in: B e s i e g t e Natur. G e s c h i c h t e der Umwelt Im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v o n Franz-Josef B r ü g g e meier und T h o m a s Rommelspacher. - M ü n c h e n : C.H. B e c k 1987, S. 1 4 3 - 1 5 7 . 4 Ebd., S. 148ff. 5 Fuchs, Carl Johannes, H e i m a t s c h u t z u n d Volkswirtschaft, In: Der Kunstwart. Halbm o n a t s s c h a u über Dichtung, Theater, Musik, b i l d e n d e und a n g e w a n d t e Künste, 17. Jg., Juni 1904, S. 2 1 0 - 2 1 2 , hier S. 212. 6 Linse, „Der R a u b d e s R h e i n g o l d e s " , S. 23. 7 G L A Karlsruhe, G r o ß h e r z o g t u m Baden. Ministerium d e s Innern. Generalia. W a s s e r b a u (Schweiz), Die Erstellung einer W a s s e r w e r k s a n l a g e bei Laufenburg, 1903/1904, 237/ 30714. Eine g l e i c h l a u t e n d e E i n g a b e hatte der B u n d bereits am 25. Oktober 1904 an d a s b a d i s c h e Innenministerium gerichtet, e b d . 8 Fuchs, Carl J o h a n n e s , L a u f e n b u r g , In: Der Tag, Nr. 529 v o m 10. Nov. 1904, S. 1 - 3 , w i e d e r a b g e d r u c k t In: Mittellungen d e s B u n d e s Heimatschutz, 1. Jg., Dez. 1904, S . 4 9 55. 9 Der „ D ü r e r b u n d " , ein Z u s a m m e n s c h l u ß d e s reformerisch eingestellten B i l d u n g s b ü r g e r t u m s , startete ebenfalls eine publizistische K a m p a g n e g e g e n die Zerstörung der L a u f e n b u r g e r Stromschnellen. So erschien Im „Dürerblatt", 7.BI., März 1905, S. 8 5 - 9 2 ,
Editorischer Bericht
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Straßbürger Post zu dem Schluß, daß „nur noch der eine Weg übrig" bleibe, „die öffentliche Meinung, nicht nur in Baden, [...] sondern in ganz Deutschland, ja in der ganzen gebildeten Welt [...] zu einem lauten Protest" wachzurufen. 1 0 Zu diesem Zwecke brachte der Bund einen „Aufruf gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen" in Umlauf, der sich in seinen wesentlichen Passagen eng an die Eingabe vom 2. November 1904 anlehnte. Einer der frühesten Abdrucke dieses Aufrufs findet sich im Freiburger Boten vom 10. März 1905. Aus den „zahlreichen Unterschriften" wurden rund 40 Namen abgedruckt, der von Max Weber allerdings nicht. 11 Zum ersten Mal taucht sein Name im letzten Teil der Artikelfolge „Die Laufenburger Stromschnellen" in der Konstanzer Zeitung vom I . A p r i l 1905 auf. Dort berichtete der Geschäftsführer des Bundes, Robert Mlelke, daß der „Appell an die Öffentlichkeit [...] in wenigen Tagen über 100 Unterschriften erhalten" habe, „darunter die besten Namen des künstlerischen und geistigen Deutschland [...] und vor allem auch, was besonders wichtig ist, 10 Professoren der Nationalökonomie n Deutschland und der Schweiz: Fuchs, Herkner, Schmöle, v. Schulze-Gävernitz, Sering, Sieveking, Sombart, Troeltsch, Adolf Wagner und Max Weber." 1 2 Im Mal-Heft der „Mitteilungen des Bundes Heimatschutz" erschien der Aufruf noch einmal, und unter den Unterzeichnern findet sich auch der Name Max Webers. Obwohl nicht genügend Unterschriften eingegangen waren, um „von einer großen Volksbewegung" zu sprechen, wollte man doch deutlich machen, „daß eine Vernichtung der Schnellen jedenfalls mit tiefer Erbitterung im Reiche und der Schweiz aufgenommen werden würde." 1 3 Zu diesem Zeitpunkt war dem „Bund Heimatschutz" augenscheinlich noch nicht bekannt, daß die badischen Behörden seine Eingabe ablehnend beschieden hatten. 14 Auf die Nachricht reagierte er mit einer zweiten Eingabe an das badische Innenministerium, in der er sich wiederum für die
ein Artikel „Die Laufenburger Stromschnellen". Parallel dazu richtete der Vorsitzende des „Dürerbundes", Ferdinand Avenarlus, im März 1905 eine Eingabe an den Großherzog von Baden. Vgl. dazu Linse, „Der Raub des Rheingoldes", S. 27f. 10 Fuchs, Carl Johannes, Laufenburg, in: Straßburger Post, Nr. 171 vom 16. Febr. 1905, 1. Mo.BI., S. 1. Siehe dazu die Sammlung der Presseartikel Im GLA Karlsruhe, Großherzogtum Baden. Ministerium des Innern. Generalia. Wasserbau (Schweiz). Die Erstellung einer Wasserkraftanlage Im Rhein bei Laufenburg, 1905, 237/30715. 11 Freiburger Bote, Nr. 57 vom 10. März 1905, S.2. 12 Konstanzer Zeitung, Nr. 91 vom 1. April 1905, S. 1. 13 Mittellungen des Bundes Heimatschutz, 1. Jg., Mal 1905, S. 130-133, hier S. 130f. 14 So heißt es In den einleitenden Bemerkungen, daß „auf die Eingabe des Bundes [...] eine Antwort noch nicht erfolgt" sei, ebd., S. 130. Die Stellungnahme des badischen Innenministeriums vom 7. April 1905 befindet sich im GLA Karlsruhe, Großherzogtum Baden. Ministerium des Innern, 237/30715.
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Aufruf des Bundes Heimatschutz
Erhaltung der „einzigartigen Schönheitswerte" einsetzte und zudem Alternativprojekte zur Diskussion stellte. 15 In der Eingabe wurde explizit „auf die Unterschriften unseres Aufrufs" verwiesen. Insbesondere durch den mit „Nachdruck erhobenen Widerspruch" gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen „aus den besten Kreisen der Deutschen Nation" sei „ein ganz neues Moment geschaffen worden [...], das die beteiligten Regierungen der beiden Länder vor eine neue Sachlage stellt." Zur Bekräftigung legte man eine maschinenschriftliche Liste der Unterzeichner bei. Sie umfaßt rund 150 Namen, darunter auch den Max Webers. 1 6 Freilich blieb auch diese Aktion ohne Erfolg. Zwar zog sich das Genehmigungsverfahren, vor allem die parlamentarische Beratung, bis August 1906 hin, doch waren die Laufenburger Stromschnellen nicht zu retten. 1908/09 wurde bei Laufenburg die größte Baustelle Europas eingerichtet: Man sprengte über 300.000 m 3 Fels und staute den Rhein über mehrere Kilometer oberhalb Laufenburgs. 1 7
Zur Überlieferung
und
Edition
Der Aufruf gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen ist in mehreren Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht worden. Der Abdruck folgt dem Text, wie er in den Mitteilungen des Bundes Heimatschutz unter der Überschrift „Aufruf des Bundes Heimatschutz gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen", 1. Jg., Nr. 8, Mai 1905, S. 1 3 1 - 1 3 3 , erschienen ist (A). An hervorgehobener Stelle zeichneten für den „Bund Heimatschutz" Paul Schultze-Naumburg als Vorsitzender und Carl Johannes Fuchs als Leiter der Gruppe „Schutz des Landschaftsbildes", für den „Dürerbund" dessen Vorsitzender Ferdinand Avenarius.
15 GLA Karlsruhe, Großherzogtum Baden. Ministerium des Innern, 237/30715. Die Eingabe ist undatiert, trägt aber den Eingangsstempel vom 26. Mai 1905. 16 Ebd. 17 Vgl. Linse, „Der Raub des Rheingoldes", S. 19.
Aufruf des Bundes Heimatschutz gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen
Nach Zeitungsnachrichten steht die Genehmigung des derzeitigen Projektes eines Kraftübertragungswerkes bei Laufenburg, durch welches die dortigen Stromschnellen, eines der schönsten Landschaftsbilder Deutschlands, ja der ganzen Welt, vollständig zerstört werden sollen, unmittelbar bevor. Wir wissen wohl, daß in der heutigen Zeit scharfen internationalen Wettkampfes auf industriellem Gebiet auf die Ausnützung der hier vorhandenen Wasserkräfte nicht verzichtet werden kann und verlangen daher auch nicht die gänzliche Unterlassung der geplanten Erschließung aus Rücksicht auf die Naturschönheit; wohl aber meinen wir, daß es unrichtig ist, etwas zu zerstören, was keine Menschenkunst je wieder bereiten kann, um etwas zu erlangen, was man heute schon und wahrscheinlich bald in noch weit vollkommenerem 3 Grade aus den häufigsten und gleichartig wiederkehrenden Naturerscheinungen gewinnen kann. Die vom Bund Heimatschutz in diesem Sinne an die beteiligten Regierungen gerichtete Bitte, vor Erteilung der jetzt schwebenden Konzession Gutachten der ersten technischen Autoritäten in Deutschland und der Schweiz b einholen oder 0 ein Preisausschreiben unter den Ingenieuren aller Länder veranstalten zu lassen, um eine Ausnützung der Laufenburger Wasserkräfte unter tunlichster Erhaltung der Naturschönheit zu ermöglichen, und sein Anerbieten, nötigenfalls die Mittel dafür aufzubringen, sind bisher erfolglos geblieben. Die Unterzeichneten wenden sich daher jetzt an die öffentliche Meinung von ganz Deutschland und der Schweiz mit einem Protest nicht | gegen das Kraftwerk überhaupt, aber gegen das A jetzige Projekt - in der Überzeugung, daß ein Weg gefunden werden kann und jedenfalls mit den c vom Bunde Heimatschutz vorgeschlagenen Mitteln gesucht werden muß, um dem deutschen Volke dieses Kleinod zu erhalten.
a A: vollkommenem
b A: einholen, oder
c A: dem
438
Aufruf des Bundes
Heimatschutz
Zustimmungserklärungen werden an die Geschäftsstelle des Bundes Heimatschutz, Herrn Robert Mielke, Charlottenburg, Rönnestraße 18, erbeten.
[Einspruchserklärung gegen die preußische Schulvorlage]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wollte man das preußische Volksschulwesen neu regeln. Dies war ein äußerst brisantes Thema, wie etwa die Vorgänge im Jahre 1892 zeigten. Am 15. Januar 1892 legte der preußische Kultusminister Robert Graf Zedlltz-Trütschler den „Entwurf eines Volksschulgesetzes" vor. 1 Danach sollten neue Volksschulen nur noch als Konfessionsschulen errichtet werden, denn - so die Begründung - die „erziehliche Wirkung des Unterrichts" hänge ganz wesentlich davon ab, daß „sich die Lehrer, die Schüler und die Eltern der Kinder auf demselben Glaubensgrunde bewegen." 2 Der Entwurf, der den Forderungen des Zentrums Rechnung trug, war bereits Im Staatsministerium nicht unumstritten und löste einen Proteststurm In der Öffentlichkeit aus, der vor allem vom protestantischen Bildungsbürgertum getragen wurde. Es kam zu einer Wiederbelebung der „Kulturkampf-Stimmung in der Öffentlichkeit. Die Proteste gegen ein konfessionell ausgerichtetes Volksschulwesen führten zu einer Reglerungskrise, als Wilhelm II. schließlich eine Zurücknahme der Vorlage forderte. Reichskanzler Leo von Caprivi gab daraufhin sein Amt als preußischer Ministerpräsident auf und der Kultusminister Graf Zedlltz-Trütschler trat zurück. Der Gesetzentwurf wurde am 28. März 1892 zurückgezogen. Unabhängig davon sollte die Finanzierung der Volksschulen auf eine neue Grundlage gestellt werden. Im Mal 1904 einigten sich im preußischen Abgeordnetenhaus der Konservative Ernst von Heydebrand und der Lasa, der Freikonservative Freiherr Octavio von Zedlitz-Neukirch und der Nationalliberale Albert Hackenberg auf einen „Schulkompromiß". 3 Dieser sah vor, daß die Finanzierung der Volksschulen künftig den Stadt- und Landgemeinden sowie den Gutsbezirken obliegen solle. Daneben wurde als Grundsatz aufgestellt, daß „in der Regel [...] die Schüler einer Schule derselben Konfession angehören und von Lehrern ihrer Konfession unterrichtet werden" 1 Sten.Ber.pr.AH, 17. Leg.Per., IV. Sess. 1892, Anlagen, Band 1, Nr. 9. 2 Ebd., Begründung, S. 15. 3 Sten.Ber.pr.AH, 20. Leg.Per., I.Sess. 1904/05, Anlagen, Band 5, S. 2910.
440
Einspruchserklärung
gegen die preußische
Schulvorlage
sollten. Ausnahmen seien nur „aus besonderen Gründen, insbesondere aus nationalen Rücksichten oder da, wo dies der historischen Entwickelung entspricht, zulässig." Wie bereits 1892 sollte damit die Simultanschule zurückgedrängt werden. Auf der Basis dieser Vorlage entstand der „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen", den das preußische Staatsministerium am 2. Dezember 1905 im Abgeordnetenhaus einbrachte. 4 Die Front der Gegner war diesmal erheblich kleiner als 1892. Zu den Wortführern der Opposition gehörte der Marburger Philosoph Paul Natorp, der in zahlreichen Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Vorträgen gegen den Entwurf Stellung nahm. 5 Die schlimmste Konsequenz sah Natorp in einer „Auslieferung der Schule an die Kirche". 6 Zudem führe der von evangelischer Seite gewünschte kirchliche Einfluß auf die Volksschule letztlich zu einer Stärkung der „katholisierenden Tendenz". 7 Paul Natorp gehörte dann auch zu jener Gruppe von Professoren, die das Zustandekommen des Gesetzes mit Hilfe eines öffentlichen Aufrufs in letzter Minute zu verhindern suchte. Zwischen der ersten und zweiten Lesung im preußischen Abgeordnetenhaus wandte er sich mit einer Anfrage an zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter auch an Max Weber. Dieser sagte in einem Schreiben vom 16. März 1906 seine Unterstützung zu: „Selbstverständlich steht mein Name für den Aufruf zur Verfügung." Allerdings beurteilte er die Erfolgsaussichten sehr skeptisch: „Leider werden ja auch sehr viel gewichtigere Namen an der Sache nicht mehr allzuviel ändern können, wenn nicht doch wieder etwas .Plötzliches' eintritt." 8 Der Aufruf, der dem preußischen Abgeordnetenhaus mit allen Unterschriften übermittelt werden sollte, erschien am 23. März 1906 in mehreren Tageszeitungen mit den Namen von 27 deutschen Hochschullehrern, darunter Lujo Brentano, Felix Dahn, Rudolph Eucken, Wilhelm Foerster, Ignaz Jastrow, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Walther Schücklng, Werner Sombart, Heinrich Wölfflin, Max Weber und Wilhelm Wundt. Der Aufruf und insbesondere einige übertreibende Überschriften wie „Das intellektuelle Deutschland gegen die Schulvorlage" 9 und „Die Hochschulen gegen das 4 Ebd., 20. Leg.Per., II. Sess. 1905/06, Anlagen, Band 1, S. 1 7 3 - 2 2 6 . 5 Jegelka, Norbert, Paul Natorp. Philosophie, Pädagogik, Politik. - Würzburg: Königshausen und Neumann 1992, S. 1 0 3 - 1 0 6 . 6 Natorp, Paul, Wider die Schulvorlage. Vortrag gehalten in öffentlicher Versammlung zu Marburg am 19. Januar 1906. - Halle: Gebauer-Schwetschke 1906, S. 16. 7 Natorp, Paul, Zur sachlichen Klarstellung, in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, Nr. 22 v o m 31. Mai 1906, Sp. 5 2 3 - 5 2 5 , hier Sp. 524. 8 Brief Max Webers an Paul Natorp vom 16. März 1906, MWG II/5, S.51. 9 Frankfurter Zeitung, Nr. 81 vom 23. März 1906, 2. Mo.BI., S. 1.
Editorischer
Bericht
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S c h u l g e s e t z " 1 0 erregten Entrüstung. So w a n d t e sich Hans Delbrück In den Preußischen J a h r b ü c h e r n mit einem Aufsatz unter d e m Titel „Die K u n d g e b u n g der 27 g e g e n die Schulvorlage" 1 1 d a g e g e n , daß der Aufruf „in der liberalen Presse als eine K u n d g e b u n g der Professorenschaft, der Intellektuellen [...] hingestellt worden" sei, o b s c h o n „hier nur eine ganz kleine Gruppe das Wort g e n o m m e n " habe. Wenn a u c h „massenhaft Postkarten mit Vord r u c k verschickt worden" seien, sei „die Zahl derjenigen, die sich haben gewinnen lassen, sehr klein geblieben." So h a b e man „ganze 650 Unterschriften aus den verschiedensten Ständen und Berufsarten [...] binnen vier W o c h e n glücklich z u s a m m e n g e b r a c h t ; vielleicht ein Drittel oder Viertel d a v o n sind Hochschullehrer." Für Delbrück war der Aufruf „eine höchst bedauerliche, ja peinliche Erscheinung", eine „formell wie materiell so traurig verunglückte Enunziation", die „durch und durch u n d e u t s c h und unprotestantisch g e d a c h t und e m p f u n d e n " sei. Der Versuch, z w i s c h e n Protestantismus u n d Katholizismus einen neutralen A u s g l e i c h mit Hilfe der Simultanschule zu schaffen, sei „eine Absurdität und eine Verleugnung des Besten u n d Heiligsten, was das d e u t s c h e Geistesleben bisher hervorgebracht und a u s g e m a c h t " habe. Diese Kritik, die Max Weber später einmal als eine „illoyale, g e s c h m a c k los anmaßende und überdies unaufrichtige Attacke" bezeichnete, 1 2 veranlaßte Paul Natorp zu einer scharfen Replik in der Christlichen Welt v o m 31. Mai 1906. 1 3 Darin lehnte er nicht nur die inhaltlichen Bedenken Delbrücks ab, s o n d e r n w a n d t e sich auch g e g e n d e s s e n B e h a u p t u n g , daß nur eine kleine G r u p p e auf den Aufruf reagiert habe. Natorp hielt d e m entg e g e n , daß „von 2500 Ordinarien und Extraordinarien, an die das Schriftstück versandt w o r d e n ist, über 800 (also etwa 1 / 3 ) ihre Unterschrift g e g e ben haben. Nichtakademiker (Künstler, Dichter, Schulmänner; Privatleute waren ausgeschlossen) sind höchstens 200 aufgefordert w o r d e n und stehen kaum mehr als 100 unter der K u n d g e b u n g . Wir haben es also zu tun mit an 1000 Unterzeichnern, von denen 8 - 9 0 0 Hochschullehrer sind." Gleichwohl räumte er a u c h hier - wie bereits zuvor 1 4 - ein, daß die B e w e g u n g g e g e n die Schulvorlage von 1892 stärker g e w e s e n sei u n d daß „,die Intellektuellen' d e m heutigen Gesetzentwurf leider nicht so g e s c h l o s s e n gegenüberstehen."
10 Kölnische Zeitung, Nr. 309 vom 23. März 1906, 1. Mo.BI., S. 1. 11 Preußische Jahrbücher, Band 124, 1906, S. 382-385. 12 Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S. 231 -236, hier S. 234. 13 Vgl. dazu Anm. 7. 14 Intellektuelle und - andere Geister, Kölnische Zeitung, Nr. 408 vom 17. April 1906, Mi.BI., S. 1. Die Autorschaft Natorps ergibt sich aus dem Hinweis in seinem in Anm. 7 genannten Artikel in der Christlichen Welt vom 31. Mai 1906.
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Einspruchserklärung gegen die preußische
Schulvorlage
In der Tat fand sich auch im preußischen Abgeordnetenhaus eine breite Mehrheit für den Gesetzentwurf, so daß sich Max Webers pessimistische Voraussage erfüllte. Der „Gesetzentwurf, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen" wurde am 6. Juli 1906 15 angenommen und trat mit Wirkung vom I . A p r i l 1908 in Kraft. 16
Zur Überlieferung
und Edition
Die Einspruchserklärung gegen die preußische Schulvorlage wurde in mehreren Tageszeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Der Abdruck folgt dem Text, wie er unter der Überschrift „Das intellektuelle Deutschland gegen die Schulvorlage" In der Frankfurter Zeltung, Nr. 81 vom 23. März 1906, 2. Mo.BI., gen und 23. März 29. März
S. 1, erschien (A). Der Abdruck der Erklärung in anderen ZeitunZeitschriften, wie etwa in der Kölnischen Zeitung, Nr. 309 vom 1906, 1. Mo.BI., S. 1, der Pädagogischen Zeitung, Nr. 13 vom 1906, S.264, und der Chronik der Christlichen Welt, Nr. 18 vom
3. Mai 1906, Sp. 2 1 4 - 2 1 6 , bleibt unberücksichtigt. Die Frankfurter Zeitung versah den Text mit der folgenden redaktionellen Bemerkung: „Die Gefahr, daß die reaktionäre Schulvorlage Gesetzeskraft erlangt, rückt Immer näher. Die Schäden, welche daraus für Schule und Volk drohen, sind so folgenschwer, daß noch in letzter Stunde alle Kräfte aufgeboten werden müssen, um das zu erwartende Unheil abzuwehren. In dieser Erkenntnis wendet sich eine große Zahl Hochschullehrer, Künstler, Schriftsteller, Schulmänner usw. mit einer Kundgebung von erfreulicher Entschiedenheit an Bürgertum und Volksvertretung, worin sie nachdrücklichen Protest gegen die Konfessionalisierung der Volksschule einlegt. Wir geben diese Kundgebung, die demnächst auch dem Abgeordnetenhause zugehen wird, im Wortlaut wieder, zunächst mit den Namen der ersten Unterzeichner; die Veröffentlichung der übrigen Namen wird später erfolgen." Die Überschrift wurde vom Herausgeber In Anlehnung an Formulierungen Im 1. Absatz des Textes gebildet.
15 Sten.Ber.pr.AH, 20. Leg.Per., ll.Sess. 1905/06, Band 4, Sp. 5912. 16 GS 1906, S. 335-364.
[Einspruchserklärung gegen die preußische Schulvorlage]
Die Unterzeichneten halten es für ihre Pflicht, gegen die preußische Schulvorlage, und zwar, unter Absehung von deren sonstigen, zur Genüge bekannten schweren Fehlern, gegen die die konfessionellen Verhältnisse der Volksschule betreffenden Bestimmungen derselben, noch in letzter Stunde öffentlichen und entschiedenen Einspruch zu erheben. Der Grundsatz, von dem die Vorlage ausgeht, daß die Kinder in den öffentlichen Volksschulen in allen Unterrichtsfächern nur von Lehrern ihres Bekenntnisses unterrichtet werden sollten, ist nicht nur praktisch in Orten mit konfessionell gemischter Bevölkerung gar nicht durchführbar, wie die schroffen Widersprüche gegen dies Prinzip in der Vorlage selbst beweisen, sondern er ist als Prinzip zu verwerfen. Im Unterricht jedes Fachs sollte das Recht der Sache allein walten, jeder Einfluß partikular-religiöser® Tendenzen grundsätzlich ferngehalten werden. Was naturwissenschaftliche, was geschichtliche Wahrheit, was von den Schätzen der deutschen Literatur für die Bildung des Volkes wertvoll sei, ist gemäß den eigenen Gesetzen des Gegenstandes nach pädagogischen Rücksichten zu entscheiden; es ist gerade gegenüber der trennenden Tendenz des religiösen Sonderbekenntnisses die Einheit der humanen und nationalen Bildung in diesem allen um so bestimmter zu wahren. Der partikular-religiösen Färbung des gesamten Unterrichts wird aber offenbar Vorschub getan, wenn gesetzlich bestimmt wird, daß der gesamte Unterricht nach Konfessionen getrennt erteilt werden muß. Nicht nur die katholische, sondern grundsätzlich ebenso die evangelische Orthodoxie beansprucht tatsächlich einen entscheidenden Einfluß der Konfessionen auf den gesamten Unterricht der Volksschule, und sie weiß diesem Anspruch, besonders durch die geistliche Schulaufsicht, an welcher der Entwurf festhält, schon jetzt überall da Geltung zu verschaffen, wo die Schule, wenngleich ohne gesetzliche Grundlage, doch tatsächlich den konfessionellen Charakter trägt, den die Vorlage allen Volksschulen mit verschwinden-
a A: partikularreligiöser
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Einspruchserklärung
gegen die preußische
Schulvorlage
den Ausnahmen zwangsweise aufprägen möchte. Dabei werden, durch eine dem ganzen Prinzip der bisherigen preußischen Schulgesetzgebung widersprechende Auslegung der Begriffe konfessioneller und gemeinsamer Schulen, alle Volksschulen, die nicht durch besondere Vereinbarung simultan sind, für konfessionell erklärt, ohne Rücksicht auf die tatsächliche konfessionelle Mischung der Schulkinder. Auch auf die religiöse Stimmung der Bevölkerung wird also wirklich keine Rücksicht genommen, sondern es soll der „historische" Anspruch der einen oder anderen Konfession auf eine jede Schule schlechthin entscheiden; ein Anspruch, der zum „historischen" erst geworden ist durch eine auf kein Gesetz gestützte Praxis der Verwaltung, welche gegen den Ansturm des Klerikalismus die staatliche Autonomie in der Schule nicht zu behaupten gewußt hat. Zugleich soll dabei die Leistungsfähigkeit der Schule überhaupt nicht mitsprechen; es darf nicht nur, sondern muß, bei beträchtlicher Erhöhung der Schullasten, das bessere dem schlechteren Schulsystem weichen, bloß damit die konfessionelle Trennung allgemein durchgeführt wird. In dieser durchgehenden Tendenz auf die Konfessionalisierung der Volksschule, ohne Rücksicht auf die Wünsche und die finanzielle Leistungskraft der Bevölkerung wie auf die Qualität der Schulen, ist die jetzige Vorlage völlig eins mit der des Jahres 1892. Der schwache Schutz, der der Simultanschule noch gewährt wird, bietet ein Gegengewicht schon darum nicht, weil die Vorlage überhaupt nur eine verschwindend kleine Zahl von Schulen als simultane anerkennt. Es verbleibt der Simultanschule der Charakter der gerade nur geduldeten Ausnahme; grundsätzlich soll nicht etwa die Religion, sondern der religiöse Partikularismus in der Schule herrschen. Das ist es, weshalb gegen diese Vorlage ein jeder den schärfsten Einspruch erheben muß, dem die Einheit und Freiheit des Volkes höher steht als die Verewigung und die geflissentliche Verschärfung des konfessionellen Gegensatzes, der seit Jahrhunderten am Marke unseres Volkes zehrt und die Einheit und Kraft der Nation untergräbt. Wir betrachten eben deshalb die Frage nicht als eine bloß preußische. Es kann bei dem allgemeinen Vordrängen des Konfessionalismus keinem freiheitlich gesinnten Manne im deutschen Vaterlande gleichgültig sein, daß gerade Preußen die besseren Überlieferungen des friderizianischen Zeitalters und der Ära des Freiherrn vom
Einspruchserklärung
gegen die preußische Schulvorlage
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Stein hinter sich wirft und dem längst schon bedrohlichen Einfluß des klerikalen Geistes auf den größten und grundlegenden Teil seines Bildungswesens zum erstenmal eine gesetzliche Handhabe bietet. 5 Und so halten wir es für eine Ehrensache, in diesem kritischen Augenblick unsere Stimme zu erheben und von den preußischen Volksvertretern die bedingungslose Ablehnung der konfessionellen Bestimmungen der Schulvorlage zu fordern.
[Einladungen zur 18. Tagung des Evangelischsozialen Kongresses in Straßburg im Elsaß]
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Max Weber war der evangelisch-sozialen Bewegung anfänglich eng verbunden gewesen. So engagierte er sich gemeinsam mit seinem Vetter, dem Theologen Otto Baumgarten, im Evangelisch-sozialen Kongreß, 1 der ganz im Zeichen eines allgemeinen sozialpolitischen Aufbruchs 1890 in Berlin gegründet worden war. Der Evangelisch-soziale Kongreß verstand sich als Forum innerhalb der evangelischen Kirche für die Erörterung der drängenden sozialen Fragen der Gegenwart und ging davon aus, daß die Förderung der materiellen Wohlfahrt insbesondere der Industriearbeiterschaft diese für die christliche Botschaft zurückgewinnen könne. Der Kongreß fand vor allem Unterstützung in der protestantischen Bildungsschicht. Theologen, höhere Beamte und Hochschullehrer, darunter auch Nationalökonomen, gehörten zu seinen Mitgliedern. Auch Max Weber beteiligte sich an seiner Arbeit und war von 1890 bis 1897 bei nahezu allen Tagungen anwesend. 2 Im Zusammenhang mit der von ihm angeregten LandarbeiterEnquete des Evangelisch-sozialen Kongresses 3 wurde Max Weber 1892 in den Ausschuß kooptiert. 4 Darüber hinaus engagierte er sich vor allem in den „evangelisch-sozialen Kursen", die den Zweck hatten, Theologen in die wirtschaftlichen und sozialen Tagesprobleme einzuführen. 5 Nach seiner Übersiedlung nach Freiburg 1894 wurde Max Weber auch in den Ausschuß der gerade gegründeten Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden, einer
1 Vgl. dazu u.a. Mommsen, Wolfgang J., Einleitung zu: Max Weber. Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. Schriften und Reden 1892-1899 (MWG I/4), S. 1 - 6 8 , insb. S. 2 6 - 3 9 , sowie Aldenhoff, Rita, Max Weber und der Evangelisch-soziale Kongreß, In: Max Weber und seine Zeltgenossen, hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. - Göttlngen/Zürlch: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 285-295. 2 Vgl. Aldenhoff, Max Weber und der Evangelisch-soziale Kongreß, S. 287. 3 Vgl. dazu u.a. Weber, Max, Die Erhebung des Evangelisch-sozialen Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands, In: MWG I/4, S. 209-219. 4 Vgl. Mommsen, Einleitung, S.27. 5 Ebd., S. 28.
Editorischer Bericht
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Landesorganisation des Evangelisch-sozialen Kongresses, gewählt. 6 Diese hielt im Oktober 1897 zusammen mit der Evangelisch-sozialen Konferenz für Württemberg einen sozialwissenschaftlichen Kursus in Karlsruhe ab, für den Weber als Mitglied des Ausschusses warb und an dem er sich mit Vorträgen beteiligte. 7 Ungeachtet seiner Mitarbeit war Max Weber von Beginn an skeptisch, ob Politik auf christlicher Grundlage erfolgreich betrieben werden könne. So hatte er etwa 1894 anläßlich der Besprechung eines Buches von Friedrich Naumann, in dem dieser das Anliegen der evangelisch-sozialen Bewegung zusammengefaßt hatte, bezweifelt, daß im Rahmen der modernen entpersonalisierten kapitalistischen Entwicklung eine „sittlich-religiöse Einwirkung auf das Individuum" überhaupt noch möglich sei. 8 Nach 1897 sind uns weitere Tätigkeiten Max Webers im oder für den Evangelisch-sozialen Kongreß nicht bekannt. Namentlich in Erscheinung trat er erst wieder aus Anlaß der 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses, die vom 21. bis 23. Mai 1907 in Straßburg geplant war. Es handelte sich um die erste Veranstaltung dieser Art in Elsaß-Lothringen. Da das „Reichsland" überwiegend katholisch war, schien es den führenden Mitgliedern des Kongresses, so dem Vorsitzenden des Aktionskomitees, Adolf Harnack, angezeigt, besonders intensiv für die Teilnahme zu werben. 9 Auch die Evangelisch-soziale Vereinigung für Baden machte in separat gedruckten Einladungsschreiben auf die Versammlung in Straßburg aufmerksam, welche „mangels genügenden eigenen Hinterlandes besonders auf badischen Zuzug angewiesen" sei. 10 Die näheren Umstände der Entstehung dieses Einladungsschreibens, das neben Max Weber unter anderen auch Carl Johannes Fuchs und August Hausrath unterzeichneten, sind uns nicht bekannt, doch scheint es Anfang 1907 verfaßt worden zu sein. Das auf der Rückseite abgedruckte Programm trug noch vorläufigen Charakter. Es wurde später durch ein erweitertes Programm ersetzt. 11 Als Mitglied der badischen Landesorganisation unterzeichnete Max
6 Aldenhoff, Max Weber und der Evangelisch-soziale Kongreß, S. 287f. 7 Siehe dazu „Aufruf zum Besuch eines sozialwissenschaftlichen Kursus in Karlsruhe vom 4. bis 8. Oktober 1897", in: MWG I/4, S. 902f., sowie die Vortragsreihe „Agrarpolitik" , über die verschiedene badische Zeitungen berichteten, ebd., S. 826-841. 8 Weber, Max, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze von Friedrich Naumann, in: MWG I/4, S. 350-361, hier S. 357. 9 Vgl. dazu etwa Harnack, Adolf, Die 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses zu Straßburg i.E., in: Evangelisch-Sozial. 16. Folge der Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses 1907, S. 5 3 - 5 5 . 10 Siehe unten, S.451. 11 Das Einladungsschreiben mit dem vorläufigen Programm sowie das erweiterte Programm befinden sich im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe, Evangelischer Oberkirchenrat. Generalia. Soziale Frage, Evang[elisch-]Sozialer Kongress, 1895-1936, Band 1.
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Einladungen
zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen
Kongresses
Weber außer der b a d i s c h e n Einladung auch die, die der „Ortsausschuß in Straßburg" in seiner Funktion als Veranstalter der Tagung in der Zeitschrift „Evangelisch-Sozial" veröffentlichte u n d die von Persönlichkeiten aus Elsaß-Lothringen und aus Württemberg, v o m „Ausschuß der Evangelischsozialen Vereinigung für Baden" sowie vom „Aktionskomitee des Evangelisch-sozialen Kongresses" unterstützt wurde. Der V e r ö f f e n t l i c h u n g w a r das endgültige Programm beigegeben.12 Während Marianne Weber auf der Tagung ein Korreferat zu d e m Vortrag Hans W e g e n e r s über „Die B e k ä m p f u n g der Unsittlichkeit mit besonderer Beziehung auf den Schutz der J u g e n d " hielt, 1 3 nahm Max Weber an der Veranstaltung selbst nicht teil - offensichtlich vor allem aus gesundheitlic h e n Gründen. Wiederholt betonte er, daß es ihm „nicht gut g e n u g " gehe, d a ihm „der lange Winter [...] zu arg mitgespielt" habe. 1 4 D a n e b e n g a b es aber wohl auch in der Sache liegende Gründe. So lehnte er es zur selben Zeit ab, den Artikel „Evangelisch-sozial" im projektierten H a n d w ö r t e r b u c h „Die Religion in Geschichte und Gegenwart" zu verfassen, da er d a b e i nur zu d e m Ergebnis kommen könne, „die Sache habe ausgelebt." 1 5
Zur Überlieferung
und
Edition
Es existieren zwei unterschiedliche Einladungsschreiben zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses in Straßburg im Mai 1907. Beide sind von Max Weber mitunterzeichnet worden. Die erste ist uns in Form einer Flugschrift überliefert. Sie befindet sich im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe, Evangelischer Oberkirchenrat. Generalia. Soziale Frage, Evang[elisch-] Sozialer Kongress, 1 8 9 5 - 1 9 3 6 , B a n d 1. Sie trägt die Kopfzeile „Evangelisch-soziale Vereinigung für Baden". Der Text ist unterzeichnet mit „Der Ausschuß der evangelisch-sozialen Vereinig u n g für Baden:" und nennt namentlich 18 Mitglieder, darunter Max Weber. Auf der Rückseite befindet sich ein „Programm der 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses zu Straßburg i.E.", das noch vorläufigen Charakter besaß. Daraus läßt sich schließen, daß diese Einladung sehr früh verfaßt worden ist.
12 Evangelisch-Sozial 1907, S. 88-92. 13 Siehe das Programm, ebd., S. 91 f. Das Korreferat ist abgedruckt in: Die Verhandlungen des achtzehnten Evangelisch-sozialen Kongresses abgehalten in Straßburg (Elsaß) am 21. bis 23. Mai 1907. - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1907, S. 114-125. 14 Briefe Max Webers an Oskar Siebeck und Friedrich Naumann vom 17. Mai 1907, MWG II/5, S. 304-307. 15 Brief Max Webers an Oskar Siebeck vom 17. Mai 1907, ebd., S.306.
Editorischer
Bericht
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Die zweite Einladung, für die der Ortsausschuß des Evangelisch-sozialen Kongresses In Straßburg verantwortlich zeichnete, trägt die Überschrift „Einladung zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses in Straßburg i.E." Sie ist abgedruckt in: Evangelisch-Sozial. 16. Folge der Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 3/4, März/April 1907, S.88. Sie trägt insgesamt 178 Unterschriften, die in vier Abteilungen untergliedert sind. Der Name Max Webers findet sich in der Abteilung II „Der Ausschuß der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden". Im Anschluß an die Unterzeichnerliste findet sich auf den Seiten 91 f. das endgültige Programm. Im folgenden kommen beide Einladungsschreiben ohne die ihnen beigegebenen Programme zum Abdruck. Beide Einladungen sind mit A sigliert.
1
[Einladung der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden]
Geehrter Herr! Der evangelisch-soziale Kongreß, der in der Pfingstwoche zu seiner XVIII. Tagung zusammentritt, wird in diesem Jahre das erste Mal in den Reichslanden, in Straßburg, tagen. Als im Jahre 1897 unsere evangelisch-soziale Vereinigung ihren auch aus dem Elsaß gut besuchten sozialwissenschaftlichen Kursus hielt,1 da wurde gerade von elsässischer Seite öffentlich hervorgehoben, daß die Erfüllung gemeinsamer idealer Aufgaben die beste Verbindungsbrücke zwischen den Reichslanden und dem deutschen Mutterlande sei. Eine solche ideale Aufgabe löst vor allem der evang[elisch]-soziale Kongreß, indem er die religiös-sittlichen Triebkräfte im Volksleben für den sozialen Fortschritt zu wecken und zu fördern bestrebt ist. So wird es bei der dieses Jahr im Elsaß stattfindenden Tagung noch mehr als sonst zu einer nationalen Pflicht, den Kongreß durch guten Besuch zu einem besonders erfolgreichen zu gestalten. Straßburg ist aber auch mangels genügenden eigenen Hinterlandes besonders auf badischen Zuzug angewiesen. Und gerade in der Zuversicht auf zahlreichen badischen Besuch haben es unsere elsässischen Freunde gewagt, den Kongreß nach Straßburg einzuladen. In ihrem Namen laden wir auch Sie persönlich ein, dem Kongreß, wenn es Ihnen nur irgend möglich ist, anzuwohnen und auch andere, Männer und Frauen, zum Besuch zu veranlassen. Sein Programm finden Sie auf der Rückseite. Die Referate liegen, wie Sie sehen, in den bewährtesten Händen, und die Teilnahme von Männern wie Harnack, Adolf Wagner, Friedrich Naumann, D. Rade, Freiherr v. Soden u. a. sind eine Gewähr für fruchtbaren und anregenden Verlauf der Debatten. Bei dieser Gelegenheit fragen wir gleichzeitig an, ob Sie, falls Sie noch nicht Mitglied des evang[elisch]-sozialen Kongresses oder der
1 Gemeint ist der K u r s u s in Karlsruhe; vgl. d e n Editorischen Bericht, oben, S. 447,
Einladungen
zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen
Kongresses
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badischen evang[elisch]-sozialen Vereinigung sind, nicht gesonnen sind, es zu werden. Jeder Mitgliederzuwachs bedeutet eine Förderung unserer Bestrebungen. Einen Aufruf dazu, sowie die Satzungen und eine Anmeldekarte legen wir bei. 2
2.
Einladung [des Ortsausschusses in Straßburg]
Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag der Pfingstwoche (21. bis 23. Mai 1907) wird der Evangelisch-soziale Kongreß seine 18. Tagung in Straßburg abhalten. Der Evangelisch-soziale Kongreß, der im Jahre 1890 gegründet worden ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, soziale Gesinnung als eine sittliche Forderung des Evangeliums zu wecken und zu fördern. Er ist unabhängig von jeder politischen oder kirchlichen Partei, verfolgt auch keinerlei spezifisch konfessionelle Interessen, will vielmehr durch Herausarbeitung der christlich-sittlichen Ideale wie durch wissenschaftliche Prüfung der Zustände und Bedingungen unseres sozialen Lebens dem ganzen Volke dienen, an seiner sittlichen und sozialen Gesundung arbeiten. Dreimal schon hat der Kongreß seine Tagung in Süddeutschland abgehalten, in Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt. 1 Diesmal will er den Rhein überschreiten und nach Straßburg ins Elsaß kommen. Wir entbieten ihm einen herzlichen Willkommgruß und laden alle Freunde evangelisch-sozialer Arbeit, alle Männer und Frauen, denen die sittlichen und sozialen Nöte unserer Zeit am Herzen liegen, alle, die ihr soziales Wissen mehren und ihren sozialen Willen stär-
2 Eine derartige A n l a g e ist nicht n a c h g e w i e s e n . 1 Es handelt sich d a b e i u m die 7., 11. und 14. Tagung d e s Evangelisch-sozialen Kongresses. Sie f a n d e n a m 28 /29. Mal 1896 In Stuttgart, a m 7./8. Juni 1900 In Karlsruhe u n d am 3./4. Juni 1903 In D a r m s t a d t statt.
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Einladungen zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses
ken wollen, zur Teilnahme an den Verhandlungen ein. Wir hoffen, daß unsere Straßburger Bürgerschaft dem Kongreß eine gastliche Stätte bereiten und seinen Arbeiten ihr Interesse zuwenden wird, wir erwarten, daß nicht nur aus Elsaß-Lothringen, sondern auch aus den Nachbarländern Hörer und Redner herzuströmen werden, da- 5 mit auch der Straßburger Kongreß zu fruchtbarer Aussprache führe und reiche Anregungen von ihm in unser Volk ausgehen!
Für die Preußische Wahlreform [Kundgebung des „Berliner Tageblatts"]
Editorischer Bericht Zur Entstehung Die Bildung des „Bülow-Blocks" aus den konservativen und liberalen Partelen im Jahre 1906 kam nur zustande, weil Reichskanzler Fürst Bülow, der zugleich das Amt des preußischen Ministerpräsidenten ausübte, den linksliberalen Partelen, In freilich unverbindlicherweise, eine Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts In Aussicht gestellt hatte. Max Weber gehörte zu jenen, die nur unter diesem Gesichtspunkt einen Eintritt der linksliberalen Partelen In den Block für gerechtfertigt ansahen. Allerdings ließ eine entsprechende Reformvorlage auf sich warten. Erst Im Januar 1908 kündigte Bülow im preußischen Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf zur Änderung des Dreiklassenwahlrechts an. 1 Am 20. Oktober 1908 wurde dann In der Thronrede Wilhelms II. anläßlich der Eröffnung des preußischen Landtags erklärt, „daß die [...] erlassenen Vorschriften über das Wahlrecht zum Hause der Abgeordneten eine organische Fortentwickelung erfahren, welche der wirtschaftlichen Entwlckelung, der Ausbreitung der Bildung und des polltischen Verständnisses sowie der Erstarkung staatlichen Verantwortlichkeitsgefühls entspricht." Er sah darin „eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart." 2 Jedoch ließ sich die preußische Staatsregierung Zelt, diese Vorlage einzubringen, nicht zuletzt, well man sich über deren Gestaltung völlig uneinig war. Erst nach dem Rücktritt Bülows, der durch das Scheltern der Reichsfinanzreform im Juli 1909 veranlaßt war, wurden die Vorbereitungen für eine Reformvorlage wieder aufgenommen. Der Nachfolger Bülows Im Amte des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten, Theobald von Bethmann Hollweg, war bemüht, der zunehmenden Kritik am preußischen Dreiklassenwahlrecht in der Öffentlichkeit behutsam entgegenzukommen. Im November 1909 wurde die Vorlage auf sein Betreiben hin erstmals Im preußischen Staatsministerium behandelt. 3 In dieser
1 Sten.Ber.pr.AH, 20. Leg.Per., IV. Sess. 1907/08, Band 1, Sp. 381 f. 2 Sten.Ber.pr.AH, 21. Leg.Per., II. Sess. 1908/09, Band 1, Sp.3. 3 Vgl. hierzu u.a. Kühne, Thomas, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur In Preußen 1867-1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt. - Düsseldorf: Droste 1994, S. 529-536.
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Für die Preußische Wahlreform
Konstellation versuchten die Liberalen, durch neuerliche öffentliche Agitation Druck auf die Staatsregierung auszuüben, um sie zu konkreten Schritten zu veranlassen. An vorderster Front stand dabei das Berliner Tageblatt, das im November 1909 eine „Kundgebung" verfaßte. Diese wurde an zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit der Bitte um Unterstützung übersandt und richtete sich, wie der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff, in einem Schreiben an Lujo Brentano vom 29. November 1909 betonte, „ihrem ganzen Wortlaut nach nicht nur an die preußischen Industriellen, Universitätslehrer etc., sondern an diejenigen des ganzen Reiches." Dabei war sie „so abgefaßt, daß auch diejenigen sie unterzeichnen können, die nicht, wie wir, eine radikale Lösung der Frage wünschen." 4 Am 7. Dezember 1909 wurde die „Kundgebung" auf der ersten Seite des Berliner Tageblatts veröffentlicht. In ihren einleitenden Bemerkungen machte die Redaktion ihre Ziele noch einmal ganz deutlich: „Die Gegner der preußischen Wahlreform behaupten, daß im deutschen Volke, und besonders in seinen Oberschichten, der Wunsch nach einer Reform des preußischen Wahlrechts nicht bestehe und daß diese Forderung nur von Leuten ohne jede Gefolgschaft erhoben werde. Um den Beweis zu liefern, daß solche Behauptungen unwahr und daß gerade die berufenen Vertreter der deutschen Bildung von der Bedeutung und der Notwendigkeit der Wahlreform durchdrungen sind, haben wir einer größeren Anzahl bekannter Persönlichkeiten aus den verschiedensten Gebieten des Wissens und des Erwerbslebens die hier folgende Kundgebung vorgelegt und sie um ihre Zustimmung und ihre Unterschrift ersucht. Indem wir heute, mit der Kundgebung, die uns bisher zugegangenen Unterschriften veröffentlichen, glauben wir sagen zu dürfen, daß der Beweis, auf den es uns ankam, schon jetzt voll und einwandsfrei erbracht ist. Wir begrüßen mit besonders herzlicher Freude das Erwachen des politischen Geistes an den deutschen Hochschulen, wir konstatieren mit Befriedigung, daß es den vom Dreiklassenwahlrecht begünstigten Kreisen des Handels und der Industrie, soweit sie sich ein selbständiges Urteil gestatten, durchaus nicht an freiheitlichem Sinn und Opferfreudigkeit fehlt, und wir sind überzeugt, daß keine Regierung einer so starken und klar geäußerten Volksstimmung dauernd widerstehen kann." 5
4 Brief Theodor Wolfis an Lujo Brentano vom 29. Nov. 1909, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 65. 5 Berliner Tageblatt, Nr. 620 vom 7. Dez. 1909, Mo.BI., S. 1. In der Abend-Ausgabe erläuterte Theodor Wolff noch einmal die Motive und Absichten der „Kundgebung". Ebd., Nr. 621 vom 7. Dez. 1909, Ab.BI., S. 1.
Editorischer Bericht
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In der Tat stieß die „Kundgebung" auf große Resonanz. Bereits am 2. Dezember 1909 lagen „einige hundert Unterschriften" vor, „zum großen Teil von Universitätslehrern, ebenso aus den Kreisen der Großindustrie u. des Handels - ein fast überraschendes Resultat." 6 Die am 7. Dezember 1909 veröffentlichte Liste der Unterzeichner trug 562 Namen. Eine zweite Liste mit weiteren 255 Namen wurde in der Morgenausgabe vom 11. Dezember veröffentlicht, 7 in der Abendausgabe wurde wiederum betont, daß es weiterhin möglich sei, sich der „Kundgebung" anzuschließen. 8 Eine dritte Liste, vom 18. Dezember, umfaßte schließlich 131 Namen. 9 Einige Zeit später wurde ein Separatdruck dieser „Kundgebung" hergestellt, der rund 1000 Unterschriften trug. 1 0 Max Weber gehörte, gemeinsam mit Ignaz Jastrow, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Lujo Brentano, Alfred Weber, Georg Simmel, Hugo Preuß, Walther Schücking, Gerhard Anschütz, Friedrich Meinecke, Edgar Jaffe, Ferdinand Toennies, Gerhart Hauptmann, Ludwig Ganghofer, Frank Wedekind, Engelbert Humperdinck, Hans Gregor, Max Slevogt, Lovis Corinth und Eugen Diederichs, zur ersten Gruppe der Unterzeichner vom 7. Dezember 1909. In der Folge veröffentlichte das Berliner Tageblatt wiederholt Kommentare anderer Zeitungen zu der „Kundgebung", die anzeigen, mit welcher Aufmerksamkeit diese in der deutschen Presse aufgenommen worden war. 11 Im Februar 1910 legte Bethmann Hollweg dem Landtag den „Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten" vor. 12 Dieser stellte jedoch nur die größten Unzulänglichkeiten ab und bestätigte im wesentlichen das bestehende System. Bereits seit Bekanntwerden des Entwurfs Anfang Februar kam es in der Öffentlichkeit zu Protesten. So beriefen unter anderem „Vertreter von Kunst und Wissenschaft, Handel, Industrie und Gewerbe" für den 27. Februar 1910 eine große Protestversammlung im Zirkus Busch ein, die sich zu einer der bedeutendsten Wahlrechtsdemonstrationen der „.Intellektuellen' Berlins" gestaltete 13 und sich als die „Fortsetzung jenes Wahlrechtsmanifests"
6 Brief Theodor Wolfis an Lujo Brentano vom 2. Dez. 1909, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 65. 7 Berliner Tageblatt, Nr. 628 vom 11. Dez. 1909, Mo.BI., S. 1 f. 8 Ebd., Nr. 629 vom 11. Dez. 1909, Ab.BI., S. 1. 9 Ebd., Nr. 641 vom 18. Dez. 1909, Mo.BI., S. 1 f. 10 Exemplare befinden sich im BA Potsdam, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 26, sowie ebd., Reichslandbund-Pressearchiv, Nr. 6566. 11 Berliner Tageblatt, Nr. 623 vom 8. Dez. 1909, Ab.BI., S. 1 f.: „Die Kommentare zur Wahlrechtskundgebung", sowie ebd., Nr. 638 vom 16. Dez. 1909, Ab.BI., S. 2f.: „Professor Biermer und die Wahlrechtskundgebung". 12 Sten.Ber.pr.AH, 21. Leg.Per., III. Sess. 1910, Anlagen, Band 3, S. 2041-2045. 13 Deutscher Geschichtskalender für 1910, Band 1, S. 31 f.
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Für die Preußische
Wahlreform
vom 7. Dezember 1909 verstand. 1 4 Unter den rund 8000 Teilnehmern befanden sich auch zahlreiche Personen, die seinerzeit die „Kundgebung" unterzeichnet hatten. 1 5 Vermutlich ist der uns überlieferte Separatabdruck der „Kundgebung" vom 7. Dezember 1909 im Kontext dieser Wahlrechtsdemonstration gefertigt worden. Der Separatdruck trug den Titel „Was sagt die deutsche Bildung zum preußischen Wahlrecht?" und wurde auf Initiative des „Freisinnigen Wahlrechtsausschusses" hergestellt, der die liberale Agitation gegen das bestehende Wahlrecht und die Regierungsvorlage koordinierte. 1 6 Mit der „Kundgebung" und der eindrucksvollen Liste ihrer Unterzeichner konnten die Liberalen die angesehene „deutsche Bildungsschicht" als Ihre Verbündete im Wahlrechtskampf ins Feld führen. 17 Allerdings liefen all diese Wahlrechtsdemonstrationen ins Leere. Angesichts des ihn nicht zufriedenstellenden Gangs der Beratungen im preußischen Abgeordnetenhaus zog Bethmann Hollweg schließlich im Mai 1910 die Vorlage mit der Erklärung zurück, daß die Regierung „auf die Weiterberatung des Gesetzes keinen Wert mehr" lege. 1 8
14 Berliner Tageblatt, Nr. 106 vom 28. Febr. 1910, Mo.BI., S. 1. 15 Ebd. 16 Dies geht aus den der Unterschriftenliste folgenden Bemerkungen des Separatdrucks hervor. 17 Die dem Separatdruck der „Kundgebung" beigegebenen Ausführungen lauten: „Im Inlande und Auslande hat stets das Urteil der deutschen Bildungsschicht eine hohe Bedeutung gehabt. Die größten politischen Erfolge sind in den Jahren 1848 bis 1871 mit Hilfe und unter Zustimmung der Bildungsvertreter gewonnen worden. Deshalb ist es von allergrößtem Interesse, zu sehen, wie sich die deutsche Bildungsschicht jetzt im Kampfe um das preußische Wahlrecht verhält. Das deutsche Volk will wissen, wo seine Professoren, Doktoren, seine hervorragenden Künstler und die ersten Männer der Technik und des Wirtschaftslebens stehen. Wir finden diese Männer in überwältigender Mehrzahl bei uns, die wir gegen das jetzt bestehende veraltete Wahlrecht und gegen die Vorlage der preußischen Regierung kämpfen. [...] Dieser Aufruf hat in Nord und Süd freudige Zustimmung gefunden. Vor allem hat sich das deutsche Professorentum zu denen gesellt, die für eine zeitgemäße Weiterbildung der preußischen Verfassung eintreten. Wir veröffentlichen die lange Reihe der dem genannten Blatt [gemeint ist das Berliner Tageblatt, d.Hg.] zugegangenen Unterschriften, damit dieser Vorgang nicht der Vergessenheit verfalle. Die Bildung ist für den Fortschritt!" 18 Sten.Ber.pr.AH., 21. Leg.Per., Ill.Sess. 1910, Band 5, Sp.6055.
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Editorischer Bericht
Zur Überlieferung
und
Edition
Der A b d r u c k folgt d e m Text, der im Berliner Tageblatt, Nr. 620 v o m 7. D e z e m b e r 1909, Mo.BI., S. 1, unter der Überschrift „Für die Preußische Wahlreform" erschien (A). Exemplare des später gefertigten Separatdrukkes, der die Überschrift trägt „Was sagt die d e u t s c h e Bildung z u m preußis c h e n Wahlrecht?", befinden sich im BA Potsdam, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 26, sowie ebd., Reichslandbund-Pressearchiv, Nr. 6566. Da der Separatdruck g e g e n ü b e r A keine Veränderungen aufweist, wird er hier vernachlässigt.
Für die Preußische Wahlreform
Der entscheidende Augenblick ist gekommen, wo es sich zeigen muß, ob der Wille des Volkes stark genug ist, Preußen, den führenden Bundesstaat, auf die Bahn des politischen Fortschritts zu drängen. Die Bewegung, die an die überstürzte und egoistische Erledigung der Reichsfinanzreform durch den schwarz-blauen Block1 anknüpfte, würde ihr Ziel gründlich verfehlen, wenn es ihr nicht gelänge, endlich Bresche zu legen in die agrarkonservative Vorherrschaft über Preußen und damit über Deutschland. Ein Volk von 60 Millionen, das in Handel und Industrie, in Gewerbe und Technik, in Wissenschaft und Kunst rastlos der Vollkommenheit zustrebt, darf die Richtlinie seiner Politik nicht ausschließlich bestimmen lassen nach den Bedürfnissen jener kleinen Oberschicht, die sich in den östlichen Provinzen Preußens dem Eindringen modernen Geistes erfolgreich entgegenstemmt. Darum ist es eine Lebensfrage für Preußen nicht nur, sondern auch für das gesamte Deutsche Reich, daß den aufstrebenden Erwerbsständen der Weg freigemacht werde zur preußischen Volksvertretung. Mit vollem Rechte bezeichnete daher auch die Thronrede vom 20. Oktober 1908 die organische Fortentwicklung des Wahlrechts als eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart.2 Es gilt, diesem Gedanken Nachdruck zu verschaffen. Es gilt zu zeigen, daß die preußische Krone sich bei dieser Forderung in Übereinstimmung befindet mit den berufenen Vertretern deutscher Geistesbildung und deutschen Wirtschaftslebens.
1 U m d a s F i n a n z w e s e n im D e u t s c h e n Reich neu zu regeln, plante Reichskanzler Fürst Bülow 1908/09 die D u r c h f ü h r u n g einer Reichsfinanzreform. Die M e h r e i n n a h m e n d e s Staates sollten d u r c h eine Reihe erhöhter V e r b r a u c h s s t e u e r n sowie die Veränderung der Erbschaftssteuer rund 5 0 0 Millionen Mark betragen. W ä h r e n d die Vorlagen zur Erhöhung der V e r b r a u c h s s t e u e r n die Z u s t i m m u n g des Reichstags fanden, b r a c h t e n die Deutschkonservativen und d a s Z e n t r u m d a s v o r g e s e h e n e E r b s c h a f t s s t e u e r g e s e t z zu Fall. A n dieser informellen Koalition aus Deutschkonservativen und Zentrum, die allgemein als „ s c h w a r z - b l a u e r Block" b e z e i c h n e t wurde, scheiterte die Vorlage am 24. Juni 1909. Reichskanzler Bülow trat daraufhin zurück. 2 Zur T h r o n r e d e Wilhelms II. vor b e i d e n Häusern d e s preußischen L a n d t a g s anläßlich der Eröffnung der II. Session 1908/09 vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.453.
Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Die Gründung des „Verbandes für internationale Verständigung" ging auf Pläne Alfred Hermann Frieds zurück, der gemeinsam mit Bertha von Suttner zu den Exponenten der pazifistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum zählte. Auf ihre Initiative hin war im Jahre 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft" gegründet worden, deren Anhänger sich vor allem aus dem kleineren und mittleren Bürgertum rekrutierten. 1 Angesichts der Vorbehalte, die insbesondere in akademischen Kreisen gegen diese Form des organisierten Pazifismus vorherrschten, entwickelte Fried im Jahre 1905 die Idee, einen eigenständigen Verband ins Leben zu rufen, der frei von Bindungen an die „Deutsche Friedensgesellschaft" jene Kreise aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft vereinigen sollte, die sich dem Gedanken einer friedlichen Verständigung der Völker aufgeschlossen zeigten. 2 Diese Anregung wurde von Otfried Nippold im Jahre 1909 aufgegriffen. Nippold, der nach kurzer Tätigkeit im Auswärtigen Amt in Berlin lange Jahre als Rechtsanwalt und Privatdozent für Völkerrecht in Bern gelebt hatte und seit 1909 der Redaktion der Frankfurter Zeitung angehörte, stand aufgrund seiner eingehenden Beschäftigung mit den Problemen des völkerrechtlichen Schiedsverfahrens mit den führenden Repräsentanten der pazifistischen Bewegung in Deutschland, so etwa den Völkerrechtlern Walther Schücking und Hans Wehberg, in engem Kontakt. Gemeinsam mit Schücking begann Nippold um die Jahreswende 1909/10 für die neue 1 Scheer, Friedrich-Karl, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892-1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland. Frankfurt a.M.: Haag + Herchen 1981, S. 114-124. 2 Vgl. dazu Chickering, Roger, Imperial Germany and a World without War. The PeaceMovement and German Society, 1892-1914. - Princeton: Princeton University Press 1975, S. 148-162; ders., A Voice of Moderation in Imperial Germany: The „Verband für Internationale Verständigung" 1911-1914, in: Journal of Contemporary History, vol.8, 1973, S. 147-164, sowie Eisenbeiß, Wilfried, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis 1913/14-1919. - Frankfurt a.M./Bern/Cirencester: Peter Lang 1980, S . 3 3 56.
460
Gründungsaufruf des Verbandes für internationale Verständigung
Organisation unter Professoren und ausgewählten Politikern zu werben unter anderem mit dem Vergleich, daß der geplante Verband „für den Internationalismus" das leisten wolle, was „die Kathedersozialisten im Verein für Sozialpolitik, im Evangelisch-sozialen Kongress u.s.w. für die Verbreitung des sozialen Gedankens so erfolgreich gethan haben." 3 Im Zuge dieser Vorarbeiten wurde ein „Entwurf zu einem Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung" angefertigt, der mehrere redaktionelle Bearbeitungen erfuhr. 4 Unter einem Exemplar dieser Entwürfe befindet sich eine handschriftliche Liste von Namen, die als Unterzeichner des Aufrufs fungieren sollten - darunter der Max Webers. Wann die Initiatoren an Max Weber mit der Bitte um Unterzeichnung herangetreten sind, ließ sich nicht ermitteln. Wir wissen nur, daß seine Zustimmung Mitte April 1910 vorlag. So heißt es in einem Brief Nippolds an Schücking vom 19. April, daß neben einer Reihe anderer Persönlichkeiten so Julius Bachem, Friedrich Curtius und Friedrich Naumann - auch „Max Weber [...] unterschrieben" habe. 5 Bei der Schlußredaktion entschied sich Nippold, die Politiker wegzulassen, „um eine parteilose Zusammensetzung zu erwirken." 6 Dem möglichen Vorwurf, daß es sich bei dem neuen Verband nur um eine Ansammlung „weltfremder Professoren" handele, glaubte er dadurch begegnen zu können, daß er „die Namen der Juristen unten besonders" setzte und „die übrigen Fakultäten in den Text" hinaufnahm. 7 Die endgültige Fassung des Aufrufs wurde auf den Rat der politischen Redakteure der Frankfurter Zeitung 8 an rund 60 Tageszeitungen und Zeitschriften versandt. Die Frankfurter Zeitung veröffentlichte ihn am 13. Mai 1910. 9 Darüber hinaus war geplant, später einen Separatdruck als „Cirkular für die Privaten" herzustellen. 10 Dieser Separatdruck ist uns in zwei geringfügig voneinander abweichenden Fassungen in den Nachlässen Hans Wehberg und Georg Jellinek im Bundesarchiv Koblenz überliefert.
3 Brief Walther Schückings an Lujo Brentano vom 7. Dez. 1909, BA Koblenz, NI. Lujo Brentano, Nr. 56. 4 Exemplare befinden sich im BA Koblenz, Ni. Walther Schücking, Nr. 58. 5 Brief Otfried Nippolds an Walther Schücking vom 19. April 1910, ebd. 6 Brief Otfried Nippolds an Georg Jellinek vom 5. Mai 1910, BA Koblenz, NI. Georg Jellinek, Nr. 20. 7 Ebd. 8 Brief Otfried Nippolds an Walther Schücking vom 9. Mai 1910, BA Koblenz. NI. Walther Schücking, Nr. 58. 9 Frankfurter Zeitung, Nr. 131 vom 13. Mai 1910, S. 2f. 10 Brief Otfried Nippolds an Walther Schücking vom 9. Mai 1910, BA Koblenz, NI. Walther Schücking, Nr. 58.
Editorischer
Zur Überlieferung
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Bericht
und
Edition
Der „Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung" ist in mehreren Fassungen überliefert. Es handelt sich dabei sowohl um Separatdrucke als auch um Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften, wie etwa in der Frankfurter Zeitung, Nr. 131 vom 13. Mai 1910, 1. Mo.BI., S. 2f. und in der Friedenswarte für zwischenstaatliche Organisation, hg. von Alfred H. Fried, 12.Jg., Heft 5, Mai 1910, S.84f. Eine Anzahl von Separatdrucken des „Aufrufs", die bei den Gebrüdern Knauer in Frankfurt a.M. hergestellt wurden, befindet sich im BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Nr. 67 und Nl. Georg Jellinek, Nr. 31. Wie Aktualisierungen der Adressena n g a b e n zeigen, w u r d e n diese S e p a r a t d r u c k e zu unterschiedlichen Zeiten gefertigt. Der Abdruck folgt einer frühen Fassung des Separatdrucks im Nl. Wehberg (A) ohne Annotation der Varianten.
Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung
Einst ist es die Aufgabe und das Ziel unseres Volkes gewesen, den nationalen Staat vorzubereiten. Wir wissen, welchen Fortschritt, vornehmlich auf wirtschaftlichem Gebiete, wir dieser Staatsgründung verdanken, aber ein neues Zeitalter bringt neue Forderungen. Schon haben die technischen Umwälzungen eine Epoche des Internationalismus herbeigeführt, aber die politische Organisation der Kulturwelt ist hinter ihr zurückgeblieben bei dem Nebeneinander unverbundener Einzelstaaten. Während man mit Windeseile in ununterbrochener Bahnfahrt den Kontinent durchqueren kann vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean, während das Meer zwischen England und dem Festland schon längst zu einer großen Brücke geworden, deren aber kühne Flieger gar nicht mehr bedürfen, starren die Kulturnationen in Waffen gegeneinander. Wem die nationale Kultur am Herzen liegt, der wird mit uns erwägen, welche Blüte der heimischen Zivilisation überall begründet werden könnte, wenn es möglich wäre, ein Zeitalter der internationalen Verständigung in der Politik her aufzuführen. Die Zeit drängt. Wenn die Rüstungen der großen Mächte in dem jetzigen Tempo fortschreiten, so bedeuten sie ein Wettlaufen zum Ruin. Morgen kann es gelten, zu der Land- und Seearmee, für die hinreichende Mittel kaum noch aufzutreiben sind, eine Luftarmee zu rüsten! Sollte es aber nicht eine Möglichkeit geben, mit dem nationalen Gedanken den internationalen zu vereinen? Haben nicht die Zeitgenossen der Reichsgründung auch einen Ausgleich gefunden zwischen so gegensätzlichen Bestrebungen wie dem Legitimismus, der die Erhaltung der souveränen Dynastien und dem Nationalismus, der den deutschen Einheitsstaat wollte? Sind nicht die Ansätze zu einer Versöhnung zwischen Nationalismus und Internationalismus auf den Haager Konferenzen 1 schon längst gemacht worden? 1 Die beiden Haager Konferenzen zur Rüstungsbeschränkung fanden 1899 und 1907 statt. Auf der ersten Konferenz, an der 26 Staaten teilnahmen, wurde die Einrichtung eines ständigen internationalen Schiedsgerichtshofes beschlossen. Die zweite, die bereits von 44 Staaten beschickt wurde, brachte mit der „Haager Landkriegsordnung" eine Modifizierung des Kriegsrechts.
Gründungsaufruf des Verbandes für internationale Verständigung
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Es gilt nur, das dort Begonnene weiter fortzuführen. Wir müssen nach einem anderen politischen System im Staatenverkehr streben, wir müssen zu diesem Zweck besonders die internationale Schiedsgerichtsbarkeit auszubauen und überhaupt Verträge mit den anderen Nationen zur Vermehrung der Bürgschaften des Weltfriedens herbeizuführen suchen. Auch sonst muß bei internationalen Konflikten planmäßig auf eine Klärung und Verständigung hingearbeitet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muß die öffentliche Meinung der Völker aufgerufen und allmählich organisiert werden. Hier handelt es sich nicht um eine einseitige ethisch-humanitäre Bekämpfung des Krieges, mit der allein wenig auszurichten ist, hier handelt es sich um praktische Ziele der internationalen Politik. Wir zweifeln nicht an dem guten Willen unserer regierenden Kreise, auf eine Befestigung der politischen Lage hinzuarbeiten, aber noch | fehlt dafür ein starker Rückhalt an unserer öffentlichen Meinung, A Wir Deutsche sind infolge unserer politischen Leidensgeschichte erst Jahrhunderte später zu dem Nationalstaat gelangt, als die Mehrzahl der andern modernen Kulturnationen; noch erblicken wir darum in der Erfüllung der einseitig nationalen Aufgaben das höchste politische Ideal und verkennen nur zu leicht den Umstand, daß die Kulturstaaten bei der Lösung dieser nationalen Aufgaben von einander abhängig sind. Deshalb begegnen wir den Bestrebungen, die aus der Erkenntnis dieser wechselseitigen Abhängigkeit erwachsen sind und die in anderen Ländern schon ein tieferes Verständnis und eine weite Verbreitung gefunden haben, mit stärkerem Mißtrauen, als ein klares und volles Bewußtsein der nationalen Verantwortlichkeit zulassen sollte. Gerade das Volk der Denker sollte sich gern davon überzeugen, daß im letzten Grunde die gemeinsamen Interessen der konkurrierenden Staaten größer sind wie ihre Rivalitäten, und daß darum eine internationale Verständigung möglich ist. In dieser Überzeugung haben sich die hier genannten Männer zusammengefunden zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung. Wir wollen Verständnis wecken für die Notwendigkeit einer auf sicherer Grundlage ruhenden Politik und eines weiteren Ausbaus der schon heute vorhandenen Ansätze zu einer internationalen Organisation. Alle deutschen Männer und Frauen ohne Unterschied der Partei sind uns willkommen. Sie alle können und sollen uns helfen, das Verständnis für unsere Ziele in unserem
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Gründungsaufruf des Verbandes für internationale Verständigung
Vaterlande zu verbreiten. Bereits haben eine Reihe unserer ersten Namen auf den Gebieten der Wissenschaft, Kunst und Technik diesem Aufruf zugestimmt. Männer wie Karl von Amira, Julius Bachem, Wilhelm van Calker, Hermann Cohen, Friedrich Curtius, Paul Ehrlich, Max Fleischmann (Halle), Wilhelm Förster, Berthold Freudenthal, Ernst Haeckel, Adolf Harnack, Karl von Heigel, Karl Lamprecht, Theodor Lipps, Hermann Muthesius, Paul Natorp, Friedrich Naumann, Martin Rade, Heinrich Sieveking, Friedrich von Thiersch, Ernst Tröltsch, Max Weber, Heinrich Weinel haben uns erlaubt, daß ihr Name hier genannt werde. Und nicht minder haben führende Politiker und Parlamentarier uns ihre Zustimmung zu diesem Aufruf gegeben und uns ihre Mitarbeit zugesichert. Bevor wir jedoch mit einer größeren Anzahl von Namen und mit einer genaueren Umschreibung unseres Programms vor die Öffentlichkeit treten, möchten wir zunächst hierdurch weitere Kreise zum Eintritt in den zu gründenden Verband einladen. Ähnliche Ziele wie von uns in Deutschland werden auch in anderen Ländern verfolgt, und wir hoffen, später mit solchen ausländischen Organisationen zusammen wirken zu können. Alle Zuschriften sind zu richten an die Mitunterzeichneten Professor Dr. jur. Otfried Nippold in Frankfurt a. M., Niedenau 52, oder Professor Dr. jur. Walther Schücking in Marburg a.Lahn. Georg Jellinek, Franz von Liszt, Otfried Nippold, Robert Piloty, Walther Schücking, Emanuel von Ulimann.
Gegen das Spruchkollegium! [Erklärung zum Fall Jatho]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
In der evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen, Rheinland und Westfalen umfaßte, herrschte das System der „gemischten Kirchenverfassung", in der obrigkeitliche, pastorale und presbyterial-synodale Elemente miteinander verbunden waren. Dabei bediente sich der König als summus episcopus einer ausführenden Kirchenbehörde, des kollegial verfaßten Oberkirchenrats, an dessen Spitze ein Präsident stand. Dem Oberkirchenrat nachgeordnet waren die ebenfalls kollegial verfaßten Provinzialkonsistorien, die unter anderem die Disziplinargerichtsbarkeit über Geistliche ausübten und damit auch für Verfahren wegen „Lehrabweichungen" zuständig waren. Insbesondere die Regelung, „Irrlehre"-Verfahren den kirchenregimentlich zu behandelnden Disziplinarsachen zuzuordnen, war im Laufe der Zeit auf immer stärkere Bedenken gestoßen. Im Jahre 1909 verabschiedete die preußische Generalsynode das Kirchengesetz „betreffend] das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen". Es trat am 16. März 1910 in Kraft und nahm Klagen wegen Lehrabweichungen aus dem Bereich der Disziplinarsachen heraus und überwies sie einem „Spruchkollegium", um ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zu sichern. Das Spruchkollegium bestand aus 13 Mitgliedern, nämlich aus vier Mitgliedern des Oberkirchenrats, je drei Mitgliedern der Generalsynode und der konkret beteiligten Provinzialsynode, dem zuständigen Generalsuperintendenten und zwei vom König zu benennenden Professoren der Theologie. Es entschied darüber, ob der kritisierte Geistliche sich durch seine amtliche oder außeramtliche Tätigkeit zum kirchlichen Bekenntnis in Widerspruch gesetzt hatte; ein ungünstiges Urteil des Spruchkollegiums verbot dem Betroffenen die weitere Amtsausübung. Allerdings sollte er ein Ruhegeld erhalten und den Titel „Pfarrer a.D." führen dürfen. Dieses neue „Irrlehre"-Gesetz war in der Öffentlichkeit heftig umstritten. Insbesondere die liberalen protestantischen Kreise, die sich um die Zeitschrift „Die Christliche Welt" und ihren Herausgeber Martin Rade geschart hatten, fürchteten, daß durch ein solches Ver-
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Gegen das Spruchkollegium!
fahren die Gewissensfreiheit als charakteristisches Merkmal der evangelischen Kirche aufgehoben würde. 1 Der erste Fall, auf den die neue Regelung angewendet wurde, war der des Kölner Pfarrers Karl Jatho. 2 Gegen Jathos Theologie, die sich ganz in den Bahnen monistisch-pantheistischen Denkens bewegte, waren bereits seit 1905 aus der Mitte seiner Gemeinde Bedenken laut geworden. Nach Inkrafttreten des „Irrlehre"-Gesetzes wurden die Proteste von gemeindefremden Gegnern erneut aufgenommen. Der Oberkirchenrat entschloß sich daraufhin zu Ermittlungen und drohte im Januar 1911 die Einberufung des Spruchkollegiums an. 3 Der Fall Jatho wurde in der Öffentlichkeit heftig diskutiert; während vor allem konservative Kirchenkreise es begrüßten, daß die Landeskirche ihren Geistlichen nicht länger gestatten wollte, ihre „Privatreligion als evangelisches Christentum zu verkünden", und der Meinung waren, daß „Jatho [...] nicht mehr in die Kirche, jedenfalls nicht mehr ins evangelische Pfarramt" gehöre, bestritten die liberalen Kräfte der Kirche das Recht, durch einen Lehrprozeß die geistige Auseinandersetzung mit den Gedankengängen Jathos zu verhindern. 4 Dabei weitete sich die Diskussion, wie bereits in der Debatte über das „Irrlehre"-Gesetz, auf die Grundsatzfrage aus, inwieweit die evangelische Kirche überhaupt berechtigt sei, gegen Geistliche Sanktionen wegen Lehrabweichungen zu verhängen. Dazu verfaßten der Kirchenrechtler Rudolph Sohm, der Historiker Max Lenz und der Philosoph Paul Natorp die unten abgedruckte Erklärung, in der sie die Institution des Spruchkollegiums generell in Frage stellten. Der Aufruf wurde am 23. März 1911 in der „Christlichen Welt" veröffentlicht und war von 42 Personen unterzeichnet, unter ihnen Wilhelm Dilthey, Heinrich Rickert, Friedrich Meinecke, Gerhart von Schulze-Gävernitz, Karl Lamprecht, Wilhelm Windelband und Edmund Husserl. 5 In einem Zusatz heißt es: „Unterschriften von Laien, die einer der deutschen Landeskirchen angehören, sind, ohne Verzug, erbeten an den letzt-
1 Vgl. dazu Rathje, Johannes, Die Welt des freien Protestantismus. Ein Beitrag zur deutsch-evangelischen Geistesgeschichte. Dargestellt an Leben und Werk von Martin Rade. - Stuttgart: Ehrenfried Klotz Verlag 1952, S. 152ff. 2 Vgl. dazu u. a.: Der Kölner Kirchenstreit. Pfarrer Jathos Amtsentsetzung im Lichte der öffentlichen Meinung. Nach den Quellen zusammengestellt von Gustav von Rohden. Berlin: Martin Warneck 1911, sowie: Der Fall Jatho. Aktenstücke und Beurteilungen, hg. von J. Dietrich. - Berlin: Verlag der Positiven Union 1911. 3 Erlaß des Evangelischen Oberkirchenrats vom 7. Jan. 1911, abgedruckt in: Kölner Kirchenstreit, S. 1 - 5 . 4 Siehe dazu Rathje, Welt des freien Protestantismus, S. 179-194. Zur öffentlichen Diskussion vgl. auch die in der „Christlichen Welt" Im Jahre 1911 in außerordentlicher Fülle veröffentlichten Artikel sowie die In Anm. 2 genannte Literatur. 5 Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, Nr. 12 vom 23. März 1911, Sp. 286.
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Editorischer Bericht
unterzeichneten Professor Natorp\n Marburg i.H. Am besten durch Postkarte mit dem Wortlaut: ,lch gebe meine Unterschrift zu der Erklärung Sohm u. Gen[ossen] gegen das Spruchkollegium. (Ort, Name mit Stand.)'" Diese Aktion war außerordentlich erfolgreich; bereits am 25. März 1911 lagen insgesamt 275 Unterschriften vor, unter anderem die von Max und Marianne Weber. 6 Nachdem Anfang April 1911 bekannt geworden war, daß der Fall Jatho dem Spruchkollegium für kirchliche Angelegenheiten zur Entscheidung zugehen würde, 7 wurde die Liste geschlossen, der Aufruf mit einem Teil der seit März stark angewachsenen Unterschriftenreihe jedoch am 6. Mai noch einmal „als ein geschichtliches Zeugnis für die Überzeugung weiter Kreise der protestantischen Laienschaft" veröffentlicht. 8 Der Aufruf erreichte sein Ziel nicht. Das Spruchkollegium tagte am 23./ 24. Juni 1911 und beschloß die Amtsenthebung Jathos unter Gewährung des Ruhegehalts. Der Amtstitel wurde ihm entzogen.
Zur Überlieferung
und
Edition
Die Erklärung „Gegen das Spruchkollegium!" wurde in der Zeitschrift: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, Nr. 12 vom 23. März 1911, Sp. 286, veröffentlicht (A). Die Namen der Verfasser Rudolph Sohm, Max Lenz und Paul Natorp waren unmittelbar im Anschluß an den Text aufgeführt. Ihnen folgte nach der Aufforderung zur Unterstützung des Aufrufs eine erste Unterzeichnerliste. Der Name Max Webers befindet sich gemeinsam mit 47 weiteren Namen in einer unter der gleichen Überschrift separat gedruckten Unterzeichnerliste in der Christlichen Welt, Nr. 13 vom 30. März 1911, Sp. 310. Eine spätere Veröffentlichung der Erklärung als Beigabe zum „Literarischen Zentralblatt", Nr. 19 vom 6. Mai 1911, wird hier vernachlässigt.
6 Ebd., Nr. 13 vom 30. März 1911, Sp. 310. 7 Der Fall Jatho, S.29. 8 Beigabe zum „Literarischen Zentralblatt", Nr. 19 vom 6. Mai 1911. Dem Text des Aufrufs ist unter der Überschrift „Zum Protest gegen das Spruchkollegium" eine ausführliche Begründung für den nochmaligen Abdruck vorangestellt. Der Name Max Webers findet sich hier In der Rubrik „Von deutschen evangelischen Hochschullehrern unterzeichneten folgende die Erklärung". Am Ende der Unterzeichnerliste, die rund 300 Namen umfaßt, wird darauf hingewiesen, daß „noch weitere 389 Unterschriften eingegangen" seien.
Gegen das Spruchkollegium!
Der Fall Jatho ist da. Es droht die Anwendung des Spruchverfahrens. Noch kann vielleicht die Gefahr vermieden werden. Darum erheben wir unsere Stimme. Wir sind Laien. Über die Theologie des Pfarrers Jatho geben wir kein Urteil ab. Was uns als deutsche Protestanten angeht, ist die Frage, ob das neue Lehrzuchtgesetz Anwendung finden soll oder nicht. Wir halten diese Lehrzucht in der protestantischen Kirche der Gegenwart für unmöglich und jeden Versuch ihrer Anwendung für eine Erschütterung der kirchlichen Organisation des Protestantismus. Die altprotestantische Zeit hat die Lehrzucht des Kirchenregimentes gehabt. Aber das 19. Jahrhundert hat die Grundlagen dieser Lehrzucht zerstört. Jede kirchenregimentliche Entscheidung einer Lehrfrage - wenn auch nur für das Gebiet einer bestimmten Landeskirche - erscheint uns heute als unerträglich. Das protestantische Rechtsbewußtsein der Gegenwart ist dagegen. Es hat dem Kirchenregiment die Macht und zugleich die Pflicht der Lehrzucht hinweggenommen. Das preußische Kirchenregiment selbst hat das empfunden und die Lehrentscheidung auf ein Spruchkollegium abgewälzt. Aber nur umso greller tritt der Widersinn hervor: ein Gerichtshof soll die Lehre des Evangeliums regeln! Vermag Jemand zu glauben, daß die Verkündigung des Evangeliums durch Richterspruch und Zwangsvollstreckung gefördert werden kann? Pfarrer Jatho hat feste Wurzel in seiner Gemeinde. Vermag Jemand zu glauben, daß seine Gemeinde durch seine Absetzung erbaut und nicht vielmehr zerrüttet werden wird? Die Erregung wird über die Gemeinde hinaus auf die preußische Landeskirche, ja auf den deutschen Protestantismus wirken, denn an der Entwickelung der preußischen Landeskirche sind wir alle interessiert. Die Frucht der Erregung aber wird eine Schädigung der Landeskirche, eine Herabminderung ihres Einflusses auf das Volksleben sein. Die geistige Macht der protestantischen Kirche ist bedroht, wenn das geistliche Amt durch richterliche „Sprüche" gebunden, wenn gegen „modernistische" Geistliche mit zwangsweiser Trennung von ihrer Gemeinde vorgegangen wird. Das Spruchverfahren ist auf
Gegen das
Spruchkollegium!
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dem Boden der protestantischen Kirche von heute ein Widerspruch in sich selbst. Um des deutschen Protestantismus willen protestieren wir darum gegen jede zwangsweise Lehrentscheidung durch Kirchenregiment und Spruchkollegium.
Aufruf [des Verbandes für internationale Verständigung]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Nach den ersten Initiativen zur Gründung eines „Verbandes für internationale Verständigung" 1 sollte es noch über ein Jahr dauern, bis sich dieser konstituierte. 2 Die Gründungsversammlung fand am 11. Juni 1911 in Frankfurt a.M. statt. Die 41 Teilnehmerwählten den Zentralvorstand des Verbandes: den Münchener Rechtsprofessor Emanuel von Ullmann als Vorsitzenden, Otfried Nippold und Walther Schücking als dessen Stellvertreter, den Bankier Hermann Maier als Schatzmeister sowie den Würzburger Staatsrechtslehrer Robert Piloty. 3 Besondere Aufmerksamkeit widmeten sie dem Punkt 5 der Tagesordnung, der „Feststellung der Statuten". 4 Allerdings trat der „Verband" auch nach seiner formellen Gründung zunächst öffentlich kaum in Erscheinung. Die durch die Entsendung eines deutschen Kanonenboots nach Agadir im Sommer 1911 ausgelöste „zweite Marokkokrise", die Europa einmal mehr an den Rand eines Krieges führte, 5 gab dem „Verband" Anlaß, erneut für seine Ziele zu werben. Zu Beginn des Jahres 1912 veröffentlichte er einen Aufruf, der sowohl in zahlreichen Tageszeitungen abgedruckt wurde 6
1 Vgl. dazu und zu den Zielen des Verbandes den Editorischen Bericht zum „Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung", oben, S. 4 5 9 - 4 6 1 . 2 Vgl. dazu Chickering, Roger, Imperial Germany and a World without War. The PeaceMovement and German Society, 1892-1914. - Princeton: Princeton University Press 1975, S. 151 f., sowie ders., A Voice of Moderation in Imperial Germany: The „Verband für internationale Verständigung" 1911-1914, in: Journal of Contemporary History, vol.8, 1973, S. 147-164, hier S. 156. 3 Zur Gründungsversammlung vgl. u.a. den Bericht in der Frankfurter Zeltung, Nr. 161 vom 12. Juni 1911, I.Mo.BI., S. 1. 4 Ebd. Siehe dazu auch die Einladung zur konstituierenden Versammlung nebst beigeschlossener Tagesordnung im BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Nr. 67. 5 Näheres zur Marokkokrise siehe unten, S. 472, Anm. 1. 6 Frankfurter Zeitung, Nr. 30 vom 31. Jan. 1912, 1. Mo.BI., S. 2, sowie Heidelberger Neueste Nachrichten, Nr. 29 vom 3. Febr. 1912, S. 1.
Editorischer Bericht
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als auch als Separatdruck erschien. 7 Dem Aufruf war eine umfangreiche Namensliste beigegeben, die in der Rubrik „Aus der Zahl der Mitglieder" auch den Namen Max Webers enthält. Zwar gibt es in der Korrespondenz Max Webers aus dieser Zeit keinerlei Hinweis darauf, daß er im „Verband für internationale Verständigung" oder an der Entstehung dieses Aufrufs aktiv beteiligt war, doch dürfte er sich mit den Zielen dieser Aktion einverstanden erklärt haben. Denn aus den Unterlagen im Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Hans Wehberg, ergibt sich, daß die Mitglieder ausdrücklich um die Erlaubnis gebeten wurden, ihren Namen verwenden zu dürfen. Ein Korrekturabzug des von diesem Aufruf angefertigten Separatdrucks trägt am linken oberen Rand folgenden Hinweis: „Diejenigen Mitglieder, die nicht wünschen, daß ihr Name im Aufruf aufgeführt werde, werden gebeten, dies umgehend mitzuteilen." 8 Da der Name Max Webers sowohl in den Zeitungen als auch im Separatdruck aufgeführt ist, kann davon ausgegangen werden, daß er mit seiner Nennung einverstanden war. Allerdings ist über seine Reaktion nichts bekannt.
Zur Überlieferung
und
Edition
Der Abdruck folgt dem Text, wie er uns im Separatdruck des „Aufrufs" im BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Nr. 67, überliefert ist (A). Neben fünf Mitgliedern des „Zentralvorstands" und den 41 Mitgliedern des „Ausschusses" sind hier aus der Zahl der Mitglieder namentlich rund 100 Personen aufgeführt, darunter auch Max Weber. Der Abdruck des „Aufrufs" in den Tageszeitungen wird hier vernachlässigt.
7 Exemplare dieses Separatdrucks befinden sich im BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Nr. 67. 8 Ebd.
Aufruf
Die Ereignisse der letzten Monate 1 haben mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, wie unbefriedigend der gegenwärtige Zustand des internationalen Lebens ist. E s ist dringend notwendig, daß alle Besonnenen sich zusammentun, um einer Wiederholung solcher Vorfälle, wie sie anläßlich der Marokkoverhandlungen vorgekommen sind, nach Möglichkeit vorzubeugen. Gewiß kann es nötig werden, daß unser Vaterland zur Verteidigung seiner Unabhängigkeit und seiner Ehre zum Schwerte greift: ob aber ein solcher Fall vorliege, sollte von den Einsichtigen stets unter Zurückweisung leichtsinniger Kriegshetzereien und nur mit der, dem Ernst solcher Entschließung angemessenen, Überlegung erwogen werden. Es ist hohe Zeit, daß alle vernünftig Denkenden zusammentreten und einer internationalen Politik, die nicht durch solche Zwischenfälle getrübt werden kann, mit den Boden ebnen helfen. Zu diesem Zwecke hat sich vor einigen Monaten ein Verband für internationale
Verständigung
zusammengetan, der bereits eine große Zahl von hervorragenden Männern der Politik, der Wissenschaft, Kunst und Technik, sowie des wirtschaftlichen Lebens zu seinen Mitgliedern zählt. Der Verband will nun durch diesen Aufruf vor eine weitere Öffentlichkeit
1 Unter dem Vorwand, daß durch die Aufstandsbewegung in Marokko und die französische Intervention deutsche Wirtschaftsinteressen bedroht seien, sandte die deutsche Regierung Anfang Juli 1911 das Kanonenboot „Panther" nach Agadir. Ziel dieses „Panthersprungs nach Agadir" war es, Südmarokko als Faustpfand zu nehmen, das Frankreich dann durch die Abtretung kolonialer Besitzungen im Kongo auslösen sollte. Da aber die französische Diplomatie, die auf die Unterstützung der britischen Regierung bauen konnte, dazu nicht bereit war, stand Europa mehrere Wochen an der Schwelle eines Krieges. Auch in der deutschen öffentlichen Meinung plädierten immer mehr Stimmen für Krieg, wenn die französische Regierung nicht nachgeben sollte. Trotz eines beständigen Drucks der Parteien der Rechten und der Mitte, vor allem aber der Öffentlichkeit und der nationalen Agitationsverbände, waren der Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sowie Kaiser Wilhelm II. nicht bereit, die Krise weiter eskalieren zu lassen. Am 4. November 1911 kam es zu den „Marokko-Verträgen", in denen das Deutsche Reich definitiv auf jeglichen politischen Einfluß in Marokko verzichtete, der deutschen Wirtschaft aber eine unbehinderte Betätigung im Lande gesichert wurde. Dafür trat Frankreich im Tausch gegen Gebiete der deutschen Kolonie Togo einen Teil des Kongos an Deutschland ab.
Aufruf des Verbandes für internationale Verständigung
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treten und Männer wie Frauen aus allen Kreisen der Bevölkerung zum Beitritt auffordern. Über die Ziele des Verbandes gibt der unten abgedruckte Auszug aus seinen Statuten nähere Auskunft. Der Verband steht durchaus auf realpolitischem Boden, er verfolgt nur erreichbare Ziele. Er ist politisch neutral, jedermann, gleichviel welcher politischen Richtung er angehört, kann sich ihm anschließen. Und der Verband verfolgt sein Ziel in der Erkenntnis, daß seine Bemühungen nur dann Früchte tragen können, wenn das Streben nach internationaler Verständigung zwischen den Völkern ein gegenseitiges ist; er tritt daher auch keineswegs für eine Verständigung um jeden Preis ein, da zeitweise einzelnen Regierungen gegenüber Zurückhaltung geboten sein kann. Deutsche Männer und deutsche Frauen! Tretet zahlreich unserem Verbände bei! Wir haben das Wohl des Vaterlandes und der Kulturmenschheit im Auge. Die Beiträge sind so gehalten, daß Jedem der Beitritt möglich ist (Mindestbetrag M. 3.-). Auch Vereine und Korporationen sind dem Verbände herzlich willkommen. Anmeldungen sind zu richten an Herrn Professor Dr. iur. Otfried Nippold in Oberursel am Taunus, Liebfrauenstraße 22. Beiträge nimmt entgegen der Schatzmeister Herr Bankdirektor Hermann Maier in Frankfurt am Main, Kaiserstraße 16 (Deutsche Bank). Auszug aus den Statuten: § 1. Zweck. Der Verband für internationale Verständigung setzt sich die Aufgabe, das Verständnis für die Bedeutung gegenseitig förderlicher Beziehungen zwischen den Völkern auf allen Lebensgebieten, namentlich für die Fragen und Probleme des Völkerrechts, zu verbreiten, um dadurch einer stetigen, von vermeidbaren Zwischenfällen freien Politik zwischen den Staaten, wie sie im Interesse der allgemeinen Kultur liegt, den Boden zu ebnen. | § 2. Mittel zur Erreichung desselben. Der Verband sucht diesen A Zweck zu erreichen, indem er in Wort und Schrift, durch Vorträge, durch Kundgebungen seiner Organe, namentlich seiner Verbandstage, durch Veröffentlichungen in der Presse oder in besonderen Schriften, für die erwähnten Aufgaben wirkt. Als ein besonders wichtiges Mittel zur Lösung seiner Aufgabe betrachtet der Verband die Einwirkung auf die Erziehung der Ju-
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Aufruf des Verbandes für internationale
Verständigung
gend im Sinne der von ihm angestrebten Ziele, vor allem der gegenseitigen Achtung der Völker und ihrer Eigenart. Zu völkerrechtlichen Fragen der internationalen Politik kann der Verband je nach Bedürfnis und Ermessen seiner zuständigen Organe sich äußern, wobei er bestrebt sein wird, durch objektive Darle- 5 gung der Sach- und Rechtslage sowie durch Hinweis auf die Mittel und Wege zur Beilegung von Streitigkeiten klärend und beruhigend auf die öffentliche Meinung zu wirken. § 3. Stellung des Verbandes zu ähnlichen Organisationen des Auslandes. Der Verband beschränkt seine Wirksamkeit auf das Deut- 10 sehe Reich. Angestrebt wird aber später eine internationale Organisation, zu der sich die Verbände für internationale Verständigung, die in einzelnen Ländern zum Teil heute schon bestehen, zum Teil noch entstehen werden, zusammenschließen sollen. § 4. Innere Politik. Der Verband steht allen parteipolitischen Or- 15 ganisationen und den Fragen der inneren Politik völlig neutral gegenüber.
[Einladungen zur ersten Tagung des Verbandes für internationale Verständigung]
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Mitte des Jahres 1912 hatte der Vorstand des „Verbandes für internationale Verständigung" beschlossen, seinen „ersten Verbandstag" im Oktober 1912 in Heidelberg abzuhalten. 1 Zu diesem Zwecke konstituierte sich in Heidelberg ein 16 Mitglieder umfassender Ortsausschuß, dem neben dem Oberbürgermeister Karl Wllckens, den Bürgermeistern Ernst Walz und Friedrich Wielandt auch Universitätsprofessoren angehörten, so Hans Driesch, Karl von Duhn, Karl von Lilienthal, Ernst Troeltsch, ferner Alfred und Max Weber. 2 Der „Verband für Internationale Verständigung" verfaßte im Juli 1912 ein erstes Einladungsschreiben zu dieser Tagung (Text 1), das sowohl von den Mitgliedern des Heidelberger Ortsausschusses als auch vom „Centraivorstand" unterzeichnet war. 3 Ihm beigefügt war ein „vorläufiges Programm". Danach sollten an drei Tagen - vom 5. bis 7. Oktober - neben Vorstands-, Kommissions- und Ausschußsitzungen eine ordentliche Mitgliederversammlung sowie zahlreiche Vorträge stattfinden. Daneben war ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm mit Begrüßungsabend, gemeinsamen Mahlzeiten, Spaziergängen und einer Schlußzusammenkunft geplant. Im September 1912 wiederholte der „Verband" mit dem im folgenden als Text 2 abgedruckten Schreiben seine Einladung. 4 Auch dieses war von den Mitgliedern des Heidelberger Ortsausschusses und des „Centraivorstands" unterzeichnet. Ihm war nunmehr „die definitive Tagesordnung unseres ersten Verbandstages" beigegeben, die sich freilich von dem „vorläufigen Programm" nur geringfügig unterschied.
1 Vgl. dazu die Korrespondenz des Verbandes für internationale Verständigung, 1. Jg., Nr.2 vom I.Juli 1912, S. 1. 2 Vgl. dazu: Die Friedenswarte für zwischenstaatliche Organisation, hg. von Alfred H. Fried, 14. Jg., 1912, S. 311 f. 3 Ein Exemplar dieses Einladungsschreibens befindet sich im BA Koblenz, NI. Hans Wehberg, Nr. 67. 4 Ebd.
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Einladungen
Laut einer gedruckten Teilnehmerliste hatten sich schließlich rund 250 Personen zu der Veranstaltung in Heidelberg angemeldet, unter diesen auch Max Weber.5 Wie sich aus Zeitungsberichten entnehmen läßt, verlief der Verbandstag selbst recht erfolgreich. 6 Die Friedenswarte etwa bezeichnete ihn als „ein Ereignis von hervorragendster Bedeutung für die Entwicklung des Friedensgedankens in Deutschland." Der Verband habe damit „alle Hoffnungen erfüllt, die wir [...] anläßlich seiner Gründung geäußert haben; ja - wir können es unumwunden sagen - sie sogar übertroffen." Vor allem der Tatsache, daß „sich die Träger klangvoller Namen der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens hier zusammenfanden, um im Dienste der internationalen Verständigung patriotische Arbeit zu leisten", wurde besondere Bedeutung beigemessen. 7 Die uns überlieferten Berichte geben jedoch keine Auskunft darüber, ob sich Max Weber an den Diskussionen beteiligte.
Zur Überlieferung
und Edition
Der Abdruck der Einladungsschreiben vom Juli und vom September 1912 folgt den Fassungen, wie sie uns im BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Nr. 67, überliefert sind. Beide Einladungsschreiben tragen die Kopfzeile „Verband für internationale Verständigung" und sind von Max Weber in seiner Eigenschaft als Mitglied des Heidelberger Ortsausschusses des „Verbandes für internationale Verständigung" mitunterzeichnet. Im folgenden kommen beide Einladungsschreiben ohne die ihnen beigefügten Programme zum Abdruck. Beide Einladungen sind mit A sigliert.
5 Ein Exemplar dieser Liste befindet sich ebd. 6 Vgl. dazu u.a. Heidelberger Zeltung, Nr. 236 vom 7. Okt. 1912, S.2f., sowie Nr. 237 vom 8. Okt. 1912, S.2. In Abänderung des Programms hatte am 6. Oktober allerdings nicht Philipp Zorn, sondern der Begründer der französischen „Conciliation Internationale" Baron Paul Henri d'Estournelles de Constant über das deutsch-französische Verhältnis gesprochen. 7 Friedenswarte, 14. Jg., 1912, S. 380-385, hier S. 380.
1.
[Einladung von Juli 1912]
Frankfurt a. M., im Juli 1912. Unser erster Verbandstag findet in Heidelberg vom 5. - 7. Oktober 1912 statt. Indem wir Sie und Ihre Angehörigen zur Teilnahme an dieser Tagung hierdurch freundlich einladen, bitten wir Sie, auch bei Ihren Freunden und Gesinnungsgenossen auf ein zahlreiches Erscheinen hinwirken zu wollen, damit unsere Versammlung sich zu einer imposanten Kundgebung gestalte. Das vorläufige Programm der Tagung finden Sie nebenstehend. Das definitive Programm wird seiner Zeit rechtzeitig bekannt gegeben werden. Dasselbe wird event. auch Mitteilungen über die Wohngelegenheiten, Teilnehmerkarten etc. enthalten. Etwaige Anfragen sind zu richten entweder an das Büreau des Verbandes, Oberursel am Taunus, Liebfrauenstraße 22, oder an Herrn Bürgermeister Fr[iedrich] Wielandt, Heidelberg, Theaterstraße 4 (Tel. 1203). Wir bemerken noch, daß seitens der Stadt Heidelberg den Teilnehmern an unserem Verbandstag in dankenswerter Weise freier Eintritt zu den Konzerten des Städtischen Orchesters auf dem Schloß und im Stadtgarten, sowie zu den städtischen Sammlungen bewilligt worden ist. Es wäre erwünscht, wenn diejenigen Mitglieder, die an der Tagung teilzunehmen gedenken, dies dem Büreau auf der beigefügten Karte schon jetzt anzeigen wollten, unter Angabe der Anzahl der teilnehmenden Personen, damit wir einen Überblick über die voraussichtliche Beteiligung erhalten.
2.
[Einladung von September 1912]
Frankfurt a. M., im September 1912. Wir beehren uns, Ihnen hierdurch die definitive Tagesordnung unseres ersten Verbandstages, der vom 5.-7. Oktober d[e]s J[ahre]s in Heidelberg stattfindet, zu übersenden. Wir wiederholen gleichzeitig unsere schon früher ausgesprochene Einladung und bitten Sie, sich mit Ihren Angehörigen recht zahlreich an dem Verbandstage beteiligen zu wollen. Abgesehen von den geschäftlichen Verhandlungen sind die sämtlichen Veranstaltungen öffentlich, so daß auch Nichtmitglieder an dem Verbandstage teilnehmen können. Angesichts der ungeheuren Wichtigkeit, die unsere Bestrebungen für die Zukunft unseres Vaterlandes besitzen und angesichts des reichhaltigen Programms, das die Heidelberger Tage bieten, zählen wir auf eine starke Beteiligung aller patriotischen Kreise, die unserem Verbände bisher noch nicht beigetreten sind. Bereits sind zahlreiche Anmeldungen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern bei uns eingelaufen. Tragen Sie durch Ihre Beteiligung auch Ihrerseits dazu bei, daß unser erster Verbandstag sich zu einem vollen Erfolge gestaltet! Die Einzeichnung in die Präsenzliste, sowie die Aushändigung der Drucksachen und der Karten für den Besuch der Städtischen Sammlungen erfolgt am Samstag, 5. Oktober sowie am Sonntag, 6. Oktober bis V210 Uhr Vormittags auf dem Städtischen Verkehrsbureau in Heidelberg (Ecke der Leopoldstraße beim Bahnhof), nachher in der alten Aula der Universität. Der Wohnungsnachweis geschieht durch das Städtische Verkehrsbureau, das auch nähere Auskünfte über sonstige auf den Verbandstag bezügliche Fragen erteilt. Wir bitten diejenigen, die ihre Teilnahme bisher noch nicht zugesagt haben, dies auf der beifolgenden Karte tun zu wollen.
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Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Dieses Verzeichnis berücksichtigt alle Personen, die in den Texten Max Webers selbst Erwähnung finden, mit Ausnahme allgemein bekannter Persönlichkeiten. Abelsdorff, Walter (16.9.1871-12,4.1938). Studium des Maschinenbauingenieurwesens und der Nationalökonomie in Charlottenburg, Karlsruhe, Berlin und Heidelberg; 1898 Promotion zum Dr. phil. bei Max Weber in Heidelberg; 1899 Technischer Assistent der Gewerbeinspektion in Hamburg; seit 1906 Mitarbeiter im Preußischen Statistischen Landesamt in Berlin. Amira, Karl von (8.3.1848-22.6.1930). Rechtshistoriker. 1873 Promotion zum Dr. jur. in München, 1874 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1875 o. Professor in Freiburg, seit 1893 in München. Begründer der Rechtsarchäologie. Anschütz, Gerhard (10.1.1867-14.4.1948). Staats- und Verfassungsrechtler. 1891 Promotion zum Dr. jur. in Halle, 1896 Habilitation in Berlin; 1899 o. Professor in Tübingen, 1900 in Heidelberg, 1908 in Berlin, 1 9 1 6 - 3 3 in Heidelberg. Kommentare zur preußischen und deutschen Verfassung. Kollegiale Beziehungen zu Max Weber in Heidelberg. Bachem, Julius (2.7.1845-22.1.1918). Rechtsanwalt, Publizist und Politiker. 1 8 6 9 - 1 9 1 5 Redakteur der „Kölnischen Volkszeitung"; 1 8 7 6 - 9 1 Mdpr.AH für das Zentrum. Baum, Marie (23.3.1874-8.8.1964). Sozialpolitikerin. Studium der Chemie. 1899 Promotion in Zürich. 1899 in der Patentabteilung der AGFA in Berlin; 1902 badische Fabrikinspektorin in der Nachfolge von -> Else Jaffe. Entlassung auf eigenen Antrag zum 15. Februar 1907; 1 9 0 7 - 1 6 Geschäftsführerin des Vereins für Säuglingsfürsorge im Regierungsbezirk Düsseldorf; 1 9 1 6 - 1 9 Leitung der sozialen Frauenschule und des Sozialpädagogischen Instituts in Hamburg mit Gertrud Bäumer; 1919 Mitglied der Nationalversammlung und 1920/21 MdR für die DDP; 1 9 1 9 - 2 6 Oberregierungsrätin und Referentin für Wohlfahrtspflege im badischen Arbeitsministerium in Karlsruhe. 1928 Lehrauftrag an der Universität Heidelberg. Gehörte zum engeren Freundeskreis von Max und Marianne Weber. Below, Georg von (19.1.1858-20.10.1927). Historiker. 1883 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1886 Habilitation in Marburg; 1889 a.o. Professor in Königsberg, 1891 o. Professor in Münster, 1897 in Marburg, 1901 in Tübingen, 1 9 0 5 - 2 4 in Freiburg. Arbeiten zur mittelalterlichen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte. Bernstein, Eduard (6.1.1850-18.12.1932). Sozialdemokratischer Politiker und Publizist. Seit 1872 Mitglied der Sozialdemokratie; 1 8 8 1 - 8 8 Herausgeber der Zeitschrift „Der Sozialdemokrat". 1887 Übersiedlung nach London. Mitarbeiter der „Neuen Zeit" und der „Sozialistischen Monatshefte". Theoretiker des revisionistischen Flügels der deutschen Sozialdemokratie. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1902-07 sowie 1 9 1 2 - 1 8 und 1 9 2 0 - 2 8 MdR. 1 9 1 0 - 1 8 Stadtverordneter von Berlin; 1 9 1 7 - 1 9 Mitglied der USPD.
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Personenverzeichnis
Bittmann, Karl (15.10.1851-24.8.1936). Verwaltungsbeamter und Sozialpolitiker. 1876 Promotion in Chemie in Freiburg; 1 8 8 1 - 9 4 nacheinander Technischer Direktor der Zukkerfabriken von Glauzig (1881/82), Hildesheim ( 1 8 8 2 - 9 2 ) , Hameln und Frellstedt ( 1 8 9 2 94); 1 8 9 5 - 1 9 0 2 Königlich Preußischer Gewerbeinspektor und Gewerberat zu Trier, 1 9 0 2 14 sowie 1917/18 Vorstand der badischen Fabrikinspektion und Direktor des b a d i s c h e n Gewerbeaufsichtsamtes. Blank, Rubin ( 1 3 . 1 1 . 1 8 6 6 - ? ) . Russischer Publizist. 1896 Promotion in Chemie in Berlin; seit 1906 Redakteur bei verschiedenen russischen Zeitungen und Zeitschriften. Nach der Oktoberrevolution von 1917 Emigration nach Frankreich. Brentano, Lujo (eigentlich: Ludwig Joseph) ( 1 8 . 1 2 . 1 8 4 4 - 9 . 9 . 1 9 3 1 ) . Nationalökonom. 1866 Promotion zum Dr. jur. utr. in Heidelberg, 1867 z u m Dr. phil. in Göttingen, 1871 Habilitation in Berlin; 1872 etatmäßiger a.o. Professor in Breslau, 1873 o. Professor ebd., 1882 in Straßburg, 1888 in Wien, 1889 in Leipzig und 1 8 9 1 - 1 9 1 4 in München. Linksliberaler Vertreter der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie; 1872 Beteiligung an der G r ü n d u n g des Vereins für Sozialpolitik. Max Weber hatte seit 1893 persönlichen Kontakt mit Brentano und trat 1919 seine Nachfolge auf seinem Münchener Lehrstuhl an. Bryce, James (10.5.1838-22.1.1922). Britischer Politiker und Staatsrechtler. 1870 Professor für Römisches Recht in Oxford; 1 8 8 0 - 1 9 0 7 liberales Mitglied des Unterhauses; 1894/95 Handelsminister; 1905/06 Staatssekretär für Irland; 1 9 0 7 - 1 3 Botschafter in Washington; 1914 Mitglied des Haager Internationalen Gerichtshofs. Bülow, Bernhard Fürst von ( 3 . 5 . 1 8 4 9 - 2 8 . 1 0 . 1 9 2 9 ) . Deutscher Staatsmann. Seit 1897 Staatssekretär des Auswärtigen; 1900-09 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Byron, George Gordon Noel, Baron (Lord Byron) ( 2 2 . 1 . 1 7 8 8 - 1 9 . 4 . 1 8 2 4 ) . Englischer Dichter der Romantik. Caiker, Wilhelm van (1.5.1869-15.4.1937). Jurist. 1895 Promotion z u m Dr. jur. in München, 1900 Habilitation in Freiburg i. Br.; 1903 o. Professor für Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht in Gießen, 1913 in Kiel, 1 9 1 9 - 3 5 In Freiburg i.Br. Arbeiten zur deutschen Verfassungsgeschichte. Carlyle, Thomas ( 4 . 1 2 . 1 7 9 5 - 5 . 2 . 1 8 8 1 ) . Britischer Schriftsteller und Historiker. Carnegie, Andrew ( 2 5 . 1 1 . 1 8 3 5 - 1 1 . 8 . 1 9 1 9 ) . Amerikanischer Industrieller und Stifter. Erw a r b sein Vermögen durch Spekulationen und Verwertung fremder Erfindungen. Er baute einen Stahlkonzern auf, in den Kohle- und Eisenerzgruben sowie eine Handelsflotte und eine Eisenbahnlinie eingegliedert waren. 1901 wurde sein Anteil vom Bankhaus Morgan erworben. Carnegie schuf viele gemeinnützige Einrichtungen. Castro, Cipriano (12.10.1858-5.12.1924). Seit 1899 Staatspräsident von Venezuela; 1908 gestürzt. Cohen, Hermann ( 4 . 7 . 1 8 4 2 - 4 . 4 . 1 9 1 8 ) . Philosoph. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Halle, 1873 Habilitation in Marburg; 1875 a.o. Professor, 1 8 7 6 - 1 9 1 2 o. Professor in Marburg, Begründer der sog. Marburger Schule des Neukantianismus.
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Conrad, Johannes (28.2.1839-25.4.1915). Nationalökonom. 1864 Promotion zum Dr. phil. in Jena, 1863 Habilitation ebd.; 1870 a.o. Professorin Halle, 1872-1915 0. Professor ebd. Seit 1870 Mitherausgeber der „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik"; Mitherausgeber des HdStW; 1872 Mitbegründer des Vereins für Sozialpolitik; Arbeiten zur Agrarstatistik und -politik sowie zur allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Crispi, Francesco (4.10.1819-11.8.1901). Italienischer Staatsmann. Emigrierte wegen seiner Beteiligung an der Revolution in Palermo 1848 nach London. Nach seiner Rückkehr 1859 Teilnehmer an der Sizilien-Expedition Garibaldis; seit 1861 Vertreter der Sinlstra im Turiner Parlament; 1876 Präsident der Kammer der Abgeordneten In Rom; 1877/78 Innenminister; 1887-91 und 1 8 9 3 - 9 6 Ministerpräsident. Leitete eine scharfe Repressionspolitik gegen die Sozialisten ein. Cromwell, Oliver (25.4.1599-3.9.1658). Englischer Staatsmann. Seit 1628 Mitglied des Unterhauses; 1640 Mitglied des „Langen Parlaments" und einer der entschiedensten Gegner der absolutistischen Politik Karls I., den er 1649 hinrichten Heß. Im selben Jahr proklamierte er das Commonwealth of England; seit 1655 Lord-Protector. Curtius, Friedrich (7.7.1851-5.5.1933). Jurist und liberaler Politiker. Nach dem Studium der Theologie und Jurisprudenz Verwaltungsbeamter Im Elsaß; Kreisdirektor in Straßburg; 1 9 0 2 - 1 4 Präsident des Direktoriums der Elsässlschen Lutherischen Kirche. Dade, Heinrich (6.1.1866-28.12.1923). A.o. Professor der Landwirtschaft an der Universität Berlin. Geschäftsführer des Deutschen Landwirtschaftsrates. Dasbach, Georg Friedrich (9.12.1846-11.10.1907). Katholischer Theologe und Politiker. 1 8 6 4 - 6 6 und 1870-71 Studium in Trier, 1 8 6 6 - 7 0 In Rom; 1871 Kaplan In Trier. 1875 wurde ihm aufgrund seiner ultramontanen Haltung von der preußischen Regierung jede geistliche Amtshandlung verboten. 1884 Aushilfspriester in Trier. Seit 1890 Mdpr.AH, 18981903 MdR für das Zentrum. Gründer mehrerer katholischer Tageszeitungen. De Fellce Gluffrida, Giuseppe (17.9.1859-20.7.1920). Italienischer sozialistischer Politiker. 1892-1920 Mitglied der Kammer der Abgeordneten in Rom für Catania. 1894 nach dem sizilianischen Aufstand zu 18 Jahren Kerker verurteilt, 1896 amnestiert. 1902 Bürgermeister von Catania. Verfolgte als Kommunalpolitiker die Zusammenarbeit von Arbeiterschaft und liberalem Bürgertum. Dusch, Alexander Freiherr von (11.9.1851 -17.9.1923). Badischer Ministerialbeamter und Politiker. 1877 Rechtsreferendar, 1878 Amtsrichter In Mannheim, 1880 Staatsanwalt in Heidelberg, 1895 erster Staatsanwalt in Karlsruhe, 1899 Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht ebd.; 1904 Minister für Justiz, Kultus und Unterricht von Baden; 1905-17 Ministerpräsident von Baden. Eggert, Wilhelm (1.7.1870-?). Architekt. 1 8 8 9 - 9 4 Studium der Architektur an den Technischen Hochschulen Stuttgart und Berlin; 1894-99 Regierungsbauführer in Hildesheim, Berlin und Magdeburg; 1 9 0 5 - 1 0 Regierungsbaumeister beim Neubau der Technischen Hochschule Danzig; 1914-19 Regierungs- und Baurat in Schleswig; 1919-20 Ministerialrat im Reichsministerium für öffentliche Arbeiten, seit 1920 im preußischen Finanzministerium.
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Ehrlich, Paul ( 1 4 . 3 . 1 8 5 4 - 2 0 . 8 . 1 9 1 5 ) . Mediziner. 1878 Promotion z u m Dr. med. in Berlin, 1884 Habilitation ebd.; 1889 Privatdozent, 1890 a.o. Professor in Berlin und Mitarbeiter des neugegründeten, von Robert Koch geführten Instituts für Infektionskrankheiten; 1896 Direktor des Königlichen Instituts für Serumforschung und Serumprüfung Steglitz, das 1899 als Institut für experimentelle Therapie nach Frankfurt a. M. verlegt wurde; 1904 Honorarprofessor in Göttingen. 1908 Nobelpreis für die Entdeckung des Salvarsans. Engel, Christian Lorenz Ernst ( 2 6 . 3 . 1 8 2 1 - 8 . 1 2 . 1 8 9 6 ) . Statistiker. 1850 Leiter des Statistischen Bureaus im sächsischen Ministerium des Innern; 1858 Leiter der Sächsischen Hypotheken-Versicherungsgesellschaft; 1 8 6 0 - 8 2 Direktor des Preußischen Statistischen Bureaus; 1 8 6 7 - 7 0 Mdpr.AH für die Nationalliberalen. Evert, Georg (4.11.1856-27.4.1914). Statistiker. Oberregierungsrat im Preußischen Statistischen Landesamt, seit 1911 dessen Präsident. Fischbeck, Otto (28.8.1865-23.5.1939). Liberaler Politiker. 1 8 9 3 - 9 5 Stadtverordneter von Bielefeld, 1900 von Berlin; 1 8 9 5 - 1 9 0 3 und 1 9 0 7 - 1 8 MdR für die Freisinnige Volkspartei und die Fortschrittliche Volkspartei; Fraktionsvorsitzender der Fortschrittlichen Volkspartei im Reichstag; 1 9 0 3 - 1 3 Mdpr.AH; 1 9 1 8 - 2 1 preußischer Minister für Handel und Gewerbe; 1919/20, 1 9 2 8 - 3 0 MdR für die DDP. Fleischmann, Max (5.10.1872-14.1.1943). Staats- und Völkerrechtler. 1896 Promotion z u m Dr. jur. in Breslau, 1908 Habilitation in Halle; 1911 a.o. Professor, 1915 o. Professor in Königsberg, 1 9 2 1 - 3 5 in Halle. Föhlisch, Eduard (6.5.1865-24.3.1919). Fabrikinspektor. 1888 Promotion in Chemie in Freiburg i. Br.; 1890 Eintritt in die Badische Fabrikinspektion in Karlsruhe. Foerster, Wilhelm (16.12.1832-18.1.1921). Astronom und Publizist. 1854 Promotion zum Dr. phil. in Bonn; seit 1863 Professor für Astronomie an der Universität Berlin, 1 8 6 5 - 1 9 0 4 Direktor der Berliner Sternwarte. 1892 Mitbegründer der „Deutschen Gesellschaft für Ethische Kultur" und der „Deutschen Friedensgesellschaft". Freudenthal, Berthold (23.8.1872-13.7.1929). Jurist. 1895 Promotion zum Dr. jur. in Breslau; 1899 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1904 Professor an der A k a d e m i e für Sozialund Handelswissenschaften in Frankfurt, seit 1914 o. Professor an der Universität Frankfurt. Friedrich /., (9.9.1826-28.9.1907). Großherzog von Baden. Verfolgte mit den Kirchengesetzen von 1860, der Verwaltungsreform von 1863 sowie der Wahlrechtsreform von 1904 eine liberale Politik. Entschiedener Befürworter der deutschen nationalen Einigung. Goldschmidt, Salti ( 2 2 . 5 . 1 8 6 9 - 1 9 4 1 ) . Nach sechsjähriger Tätigkeit als Lehrer 1893 Studium der Nationalökonomie in Heidelberg;. 1899 Promotion z u m Dr. phil. bei Max Weber in Heidelberg. Gothein, Eberhard (29.10.1853-13.11.1923). Nationalökonom und Kulturhistoriker. 1877 Promotion z u m Dr. phil. in Breslau, 1878 Habilitation ebd.; 1884 o. Professor an der Technischen H o c h s c h u l e Karlsruhe, 1890 in Bonn, 1 9 0 4 - 2 3 als Nachfolger Max Webers in Heidelberg; Mitbegründer der Handelshochschulen Köln (1901) und Mannheim (1909);
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Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte der Renaissance und Gegenreformation. Grotjahn, Alfred (25.11.1869-4.9.1931). Mediziner. 1894 Promotion zum Dr. med. in Berlin; seit 1896 praktischer Arzt ebd.; 1905 G r ü n d u n g des „Vereins für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik"; 1912 Habilitation, Privatdozent und Abteilungsvorsteher am Hygieneinstitut der Universität Berlin; 1915 Leiter der Abteilung Sozialhygiene Im Medizinalamt der Stadt Berlin; 1919 ärztliche Leitung des Berliner Heimstättenamtes; Eintritt in die SPD; 1920 o. Professor für Sozialhygiene; 1 9 2 1 - 2 4 MdR. Haeckel, Ernst (16.2.1834-9.8.1919). Zoologe. 1857 Promotion zum Dr. med. in Berlin, 1861 Habilitation in Jena; 1862 a.o. Professor, 1 8 6 5 - 1 9 0 9 o. Professor für Zoologie ebd. Führender Vertreter der darwlnistischen Evolutionstheorie. Hager, Paul ( 9 . 2 . 1 8 7 0 - 3 0 . 1 1 . 1 9 2 7 ) . Jurist und Nationalökonom. 1894 Promotion zum Dr. jur., 1896 zum Dr. rer. pol. in Breslau; 1 9 1 5 - 1 8 Mdpr.AH; seit 1921 Mitglied des preußischen Landtags. Harnack, Adolf (seit 1914) von (7.5.1851-10.6.1930). Evangelischer Theologe. 1873 Promotion In Leipzig, 1874 Habilitation ebd.; 1876 a.o. Professor ebd., 1879 o. Professor In Gießen, 1886 in Marburg und 1 8 8 8 - 1 9 2 1 in Berlin; 1 9 0 3 - 1 1 Vorsitzender des Evangelisch-sozialen Kongresses; 1 9 0 5 - 2 1 Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek; Initiator und erster Präsident der 1911 g e g r ü n d e t e n „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften". Einer der bedeutendsten Theologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Heigel, Karl Theodor (seit 1898) Ritter von (23.8.1842-23.3.1915). Historiker. Trat 1866 in den bayerischen Archivdienst ein; 1873 Habilitation an der Universität München; 1885 o. Professor für Neuere Geschichte ebd.; seit 1877 Mitglied, 1904 Präsident der Bayerischen A k a d e m i e der Wissenschaften. Henckel von Donnersmarck, Guido Fürst (10.8.1830-18.12.1916). Schlesischer Großgrund- und Bergwerksbesitzer. 1867/68 Mitglied des Norddeutschen Reichstags für die Nationalliberalen. Henckel von Donnersmarck, Hugo Graf ( 3 1 . 7 . 1 8 3 2 - 2 . 4 . 1 9 0 8 ) . Schlesischer Montanindustrieller, der die v o m Vater, H u g o Graf Henckel von Donnersmarck ( 1 8 1 1 - 1 8 9 0 ) , ererbten Industriebetriebe g e m e i n s a m mit seinen Brüdern weiterführte. Heyden(-Cadow), Wilhelm von (16.3.1839-20.6.1920). Preußischer Politiker. 1868 Landrat des Kreises Demmin (Pommern), 1873 Landesdirektor von Pommern und seit 1881 Reglerungspräsident in Frankfurt/Oder; 1 8 7 7 - 8 8 Mdpr.AH für die Deutschkonservative Partei; 1884 Berufung In den Staatsrat; 1 8 9 0 - 9 4 Landwirtschaftsminister. Hilger, Ewald (13.7.1859-20.8.1934). Industrieller. 1 9 0 5 - 2 3 Generaldirektor der Vereinigten Königs- und Laurahütte A.G. In Berlin und Oberschlesien; 1919 Mitglied der deutschen Friedensdelegation In Versailles; in der Weimarer Republik im Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie. Jaffé, Else, geb. von Richthofen (8.10.1874-22.12.1973). Studium der Nationalökonomie in Berlin, Freiburg und Heidelberg; 1901 Promotion zum Dr. phll. bei Max Weber In Hei-
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delberg; 1900-02 erste Fabrikinspektorin in Karlsruhe; 1902 Heirat mit Edgar Jaffe; 190207 enge Mitarbeiterin Marianne Webers im „Verein Frauenbildung - Frauenstudium" in Heidelberg. Gehörte zum engsten Freundeskreis Max und Marianne Webers. Jagemann, Eugen von ( 2 5 . 5 . 1 8 4 9 - 1 5 . 8 . 1 9 2 6 ) . Jurist. 1872 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg; 1881 - 9 3 Beamter im b a d i s c h e n Justizministerium; 1 8 9 3 - 9 8 Gesandter Badens am preußischen Hof und stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat; 1 9 0 3 - 2 6 Honorarprofessor in Heldelberg. Jastrow, Ignaz ( 1 3 . 9 . 1 8 5 6 - 2 . 5 . 1 9 3 7 ) . Historiker und Nationalökonom. 1878 Promotion z u m Dr. phll. in Göttingen, 1885 Habilitation für Geschichte In Berlin, 1892 für Staatswissenschaften ebd.; 1895 Privatdozent in Berlin, 1905 a.o., seit 1920 o. Professor an der Handelshochschule Berlin. Herausgeber und Begründer der Zeltschriften „Soziale Praxis" und „Berliner J a h r b u c h für Handel und Industrie". Jatho, Karl ( 2 5 . 9 . 1 8 5 1 - 1 1 . 3 . 1 9 1 3 ) . Evangelischer Pfarrer. 1 8 7 4 - 7 6 Religionslehrer in Aachen; 1 8 7 6 - 8 4 Pfarrer der deutschen evangelischen G e m e i n d e in Bukarest, 1 8 8 5 - 9 1 In Boppard, 1 8 9 1 - 1 9 1 1 In Köln. Wurde 1911 w e g e n Lehrabweichungen seines Amtes enthoben. Jellinek, G e o r g ( 1 6 . 6 . 1 8 5 1 - 1 2 . 1 . 1 9 1 1 ) . Staats- und Völkerrechtler. 1872 Promotion zum Dr. phll. in Leipzig, 1874 z u m Dr. jur. in Wien, 1879 Habilitation ebd.; 1883 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1889 o. Professor in Basel, seit 1891 in Heidelberg; Arbeiten zur allgemeinen Staatslehre. Mit Max Weber freundschaftlich verbunden. Jolly, Julius ( 5 . 1 . 1 8 5 6 - 2 0 . 2 . 1 8 9 8 ) . Jurist und Publizist. Nach d e m zweiten juristischen Staatsexamen 1884 zunächst Amtsanwalt, dann Amtsrichter; seit 1887 Staatsanwalt in verschiedenen b a d i s c h e n Städten, zuletzt 1 8 9 3 - 9 6 In Karlsruhe. Seit 1896 Chefredakteur der In München erscheinenden „Allgemeinen Zeltung". Cousin Max Webers. Kapp, Wolfgang ( 2 4 . 7 . 1 8 5 8 - 1 2 . 6 . 1 9 2 2 ) . Jurist, Beamter und Politiker. 1891 Landrat In Guben; 1900 Vortragender Rat Im Preußischen Landwirtschaftsministerium; 1906 Generallandschaftsdirektor in Ostpreußen; 1917 Mitbegründer der Deutschen Vaterlandspartei; 1918 MdR; 1920 Initiator des sog. „Kapp"-Putsches. Karl-Friedrich I. ( 2 2 . 1 1 . 1 7 2 8 - 1 0 . 6 . 1 8 1 1 ) . Großherzog von Baden. Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus. Begründete mit zahlreichen Reformen den modernen b a d i s c h e n Staat. Kaufmann, Erich ( 2 1 . 9 . 1 8 8 0 - 5 . 1 1 . 1 9 7 2 ) . Staats- und Völkerrechtler. 1906 Promotion zum Dr. jur. in Halle, 1908 Habilitation in Kiel; 1912 a.o. Professor ebd., 1913 o. Professor In Königsberg, 1916 In Berlin, 1920 in Bonn, 1927 Honorarprofessor, 1934 o. Professor in Berlin; im selben Jahr aus d e m Dienst entlassen. Kirdorf, Emil ( 8 . 4 . 1 8 4 7 - 1 3 . 7 . 1 9 3 8 ) . Industrieller. 1873 Vorstandsvorsitzender der neugegründeten Gelsenkirchener Bergwerks-AG. Seit den 1890er Jahren Verfechter der Kartellpolitik. Führender Repräsentant der rheinisch-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie. Knapp, Georg Friedrich ( 7 . 3 . 1 8 4 2 - 2 0 . 2 . 1 9 2 6 ) . Nationalökonom, Statistiker und Agrarhistoriker. 1865 Promotion z u m Dr. phil. in Göttingen; 1867 Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Leipzig; 1869 a.o. Professor in Leipzig, 1 8 7 4 - 1 9 1 9 o. Professor in Straß-
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bürg. Gründungsmitglied des Vereins für Sozialpolitik; galt als führender Experte für die preußische Agrarentwicklung. Koller, Hans von (18.3.1863-20.3.1936). Jurist und Gutsbesitzer. Rechtsanwalt in Halle und Generallandschaftssyndikus. Kuhna, Stanislaus (16.7.1859-1911). Bergassessor. 1890 und 1891 Bergassessor in den Oberbergbaubezirken Dortmund und Breslau; 1892 Bergwerksdirektor der Gräflich Schaffgottschen Verwaltung zu Morgenroth. Laband, Paul (24.5.1838-23.3.1918). Staatsrechtler. 1858 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg, 1861 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1864 a.o., 1866 o. Professor In Königsberg, 1 8 7 2 - 1 9 1 8 in Straßburg; seit 1880 Mitglied des Staatsrats und seit 1911 der Ersten Kammer für Elsaß-Lothringen. Lamprecht, Karl (25.2.1856-10.5.1915). Historiker und Geschichtsphilosoph. 1878 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1880 Habilitation in Bonn; 1885 a.o. (Titular-)Professor, 1889 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1890 o. Professor in Marburg, 1 8 9 1 - 1 9 1 5 in Leipzig. Seine zwölfbändige „Deutsche Geschichte" löste in der Geschichtswissenschaft einen langen und erbitterten Methodenstreit aus. Leist, Gerhard Alexander (17.10.1862-3.12.1918). Jurist. 1885 Promotion zum Dr. jur. in Tübingen, 1889 Habilitation und Privatdozent in Halle; 1892 a.o. Professor in Göttingen, 1893 in Marburg, 1895 o. Professor in Gießen. Zahlreiche Arbeiten zum Vereinsrecht. Liefmann, Robert (4.2.1874-20.3.1941). Nationalökonom. 1897 Promotion zum Dr. phil. in Freiburg i. Br.; 1900 Habilitation in Gießen; 1904 zunächst Privatdozent, dann a.o. (Titular-)Professor in Freiburg, 1 9 1 4 - 3 3 o. Honorarprofessor ebd. Führender deutscher Kartelltheoretiker seiner Zeit. Lipps, Theodor (28.7.1851-17.10.1914). Philosoph, Psychologe und Ästhetiker. 1874 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1877 Habilitation ebd.; 1884 a.o. Professor; 1890 o. Professor in Breslau, 1894 in München. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Liszt, Franz Ritter von (7.3.1851-21.6.1919). Straf- und Völkerrechtler. 1873 Promotion zum Dr. jur. in Wien, 1875 Habilitation in Graz; 1879 o. Professor in Gießen, 1882 in Marburg, 1889 in Halle, 1899 in Berlin. 1889 Mitbegründer der „Internationalen Kriminalistischen Vereinigung". Seit 1908 Mdpr.AH für die Freisinnige Volkspartei (seit 1910 Fortschrittliche Volkspartei), seit 1912 MdR. Loening, Edgar (14.6.1843-19.2.1919). Kirchen-, Verfassungs- und Verwaltungsrechtler. 1867 Promotion zum Dr. jur. in Leipzig, 1869 Habilitation in Heidelberg; 1872 a.o. Professor in Straßburg, 1877 o. Professor in Dorpat, 1883 in Rostock, 1886 in Halle. 1870 Berufung in das General-Gouvernement Elsaß; seit 1901 Mdpr.HH. Mitherausgeber des HdStW. Lord Byron - > Byron Lotmar, Philipp (8.9.1850-29.5.1922). Pandektist, Arbeitsrechtler und Romanist. 1875 Promotion zum Dr. jur. in München, 1876 Habilitation, 1 8 7 6 - 1 8 8 8 Privatdozent ebd.; 1888
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o. Professor für Römisches Recht in Bern. Begründete die deutsche rechtswissenschaft. Seit 1878/79 Mitglied der Sozialdemokratie.
Arbeits-
Maier, Hermann ( 6 . 8 . 1 8 5 5 - 3 . 1 . 1 9 2 6 ) . Bankier. 1886 erster Leiter der Filiale Frankfurt a.M. der Deutschen Bank, 1899 Direktor e b d . Seit 1911 Schatzmeister des Verbandes für internationale Verständigung. Marcuse, Max ( 1 4 . 4 . 1 8 7 7 - 2 7 . 6 . 1 9 6 3 ) . Sexualwissenschaftler. Studium der Medizin in Berlin, Würzburg und Freiburg i.Br; 1901 Promotion zum Dr. med. in Berlin; seit 1905 Facharzt für Sexualstörungen ebd.; 1 9 0 4 - 1 9 0 7 Geschäftsführer des „Bundes für Mutterschutz"; 1913 Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung". Gilt als einer der Begründer der Sexualwissenschaft. Mauer, Hermann (29.9.1876-28.6.1919). Nationalökonom. 1907 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg; 1908 Lehrauftrag für englisches Bank- und Kreditwesen an der Handelshochschule Berlin; zahlreiche Arbeiten auf d e m Gebiet des landwirtschaftlichen Kreditwesens. Menger (von Wolfensgrün), Anton (12.9.1841-6.2.1906). Österreichischer Jurist. 1865 Promotion z u m Dr. jur. in Wien; nach Tätigkeit als Anwalt 1872 Privatdozent, 1874 a.o. Professor, 1877 o. Professor für österreichisches Zivilprozeßrecht in Wien; 1880/81 und 1887/88 Dekan der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät, 1895/96 Rektor der Universität Wien. Mielke, Robert (15.12.1863-30.8.1935). Kulturhistoriker und Volkskundler. A.o. Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Zahlreiche Arbelten über die Siedlungsgeschichte des Dorfes. Miquel, Johannes (seit 1897) von (19.2.1829-8.9.1901). Nationalliberaler Politiker. 1 8 6 7 82 Mdpr.AH, 1 8 6 7 - 7 1 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1 8 7 1 - 9 0 MdR. Oberbürgermeister von Osnabrück und Frankfurt a.M.; 1 8 9 0 - 1 9 0 1 preußischer Finanzminister und Vizepräsident des Staatsministeriums. Mitbegründer und Ausschußmitglied des „Nationalvereins"; führend beteiligt an der Reform des preußischenVerwaltungs-, Justiz- und Steuerwesens. Möller, Theodor (seit 1905) von ( 1 0 . 8 . 1 8 4 0 - 6 . 1 2 . 1 9 2 5 ) . Nationalliberaler Politiker und Industrieller. 1 8 9 0 - 9 5 und 1 8 9 8 - 1 9 0 1 Mdpr.AH, 1 8 9 3 - 1 9 0 1 MdR; 1901-05 preußischer Handelsminister. Morgan, John Pierpont ( 1 7 . 4 . 1 8 3 7 - 3 1 . 3 . 1 9 1 3 ) . Amerikanischer Bankier und Kunstsammler. Gründete 1869 mit seinem Vater und Charles H. Dabney „Dabney, Morgan & Co." Morgan wurde zu einem der wichtigsten Finanziers In den USA und besaß starken Einfluß auf die Entwicklung des amerikanischen Wirtschaftslebens. Moritz, Eugen (12.9.1875-nach 1943 in Theresienstadt verschollen). Volkswirt. Muthesius, Hermann (20.4.1861 - 2 6 . 1 0 . 1 9 2 7 ) . Architekt und Schriftsteller. Studium an der Technischen Hochschule Charlottenburg; 1 8 9 6 - 1 9 0 3 Attaché an der deutschen Botschaft in London; 1904 Beamter Im preußischen Handelsministerium; Mitbegründer und zweiter Vorsitzender des „Deutschen Werkbundes"; bis 1926 Geheimer Reglerungsrat im L a n d e s g e w e r b e a m t Berlin.
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Natorp, Paul (24.1.1854-17.8.1924). Philosoph und Pädagoge. 1875 Promotion z u m Dr. phii. in Straßburg, 1881 Habilitation in Marburg; 1885 a.o. Professor, 1 8 9 3 - 1 9 2 2 o. Professor ebd.; einer der Hauptvertreter des Marburger Neukantianismus. Naumann, Friedrich ( 2 5 . 3 . 1 8 6 0 - 2 4 . 8 . 1 9 1 9 ) . Evangelischer Theologe, Sozialpolitiker und Publizist. 1886 Pfarrer in Langenberg, 1890 bei der Inneren Mission In Frankfurt a.M.; lebte seit 1898 nach A u f g a b e des Pfarramtes als Schriftsteller in Berlin. 1894 G r ü n d u n g der Wochenzeitschrift „Die Hilfe"; 1896 G r ü n d u n g des nationalsozialen Vereins, 1903 Anschluß an die Freisinnige Vereinigung; seit 1907 MdR, zunächst als Abgeordneter der Freisinnigen Vereinigung, seit 1910 der Fortschrittlichen Volkspartei. Im Weltkrieg Verfechter eines mitteleuropäischen Staatenblockes; 1918 Mitbegründer, 1919 Vorsitzender der DDP, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung; Vertreter einer sozial-liberalen Innen- und nationalen Außenpolitik. Freundschaftliche Beziehungen zu Max Weber. Nippold, Otfried (21.5.1864-27.7.1938). Völkerrechtler. Nach der Schulzeit In der Schweiz Studium der Rechtswissenschaften in Deutschland; 1887 Promotion zum Dr. jur. In Jena; 1 8 9 6 - 9 8 Tätigkeit Im Auswärtigen Amt In Berlin; 1 8 9 8 - 1 9 0 9 Rechtsanwalt und Privatdozent für Völkerrecht in Bern; 1909 Übersiedlung nach Frankfurt a.M. und Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung". Piloty, Robert (1.9.1863-20.6.1926). Staatsrechtler. 1887 Promotion zum Dr. jur. in München, 1890 Habilitation in Würzburg; 1892 a.o. Professor, 1895 o. Professor in München, Im selben Jahr In Würzburg; 1919 Mitglied des bayerischen Landtags für die DDP; Mitschöpfer der Bayerischen Verfassungsurkunde von 1919. Rade, Martin ( 4 . 4 . 1 8 5 7 - 9 . 4 . 1 9 4 0 ) . Evangelischer Theologe. 1881 Promotion In Theologie In Leipzig; 1 8 9 2 - 9 9 Pfarrer an der Paulskirche in Frankfurt a.M.; 1900 Habilitation In Marburg; 1904 a.o. Professor, 1 9 2 1 - 2 4 o. Professor In Marburg. 1 8 8 6 / 8 7 - 1 9 3 1 Herausgeber der von ihm mitbegründeten „Christlichen Welt"; Initiator des 1890 g e g r ü n d e t e n Evangelisch-sozialen Kongresses. Rodbertus(-Jagetzow), Carl Johann (12.8.1805-6.12.1875). Nationalökonom und preußischer Politiker. 1848 Mitglied der preußischen Nationalversammlung, dort Führer des linken Zentrums, kurzzeitig preußischer Kultusminister. Einer der profiliertesten konservativen staatssozialistischen Denker und Theoretiker. Roscher, Wilhelm (21.10.1817-4.6.1894). Nationalökonom. 1838 Promotion z u m Dr. phll. in Göttingen, 1840 Habilitation ebd.; 1843 Professor für Geschichte und Staatswissenschaften ebd., 1848 in Leipzig. Einer der Mitbegründer der Historischen Schule der deutschen Nationalökonomie. Rosegger, Peter (31.7.1843-26.6.1918). Österreichischer Schriftsteller. 1 8 6 0 - 6 3 Schneiderlehre; 1 8 6 5 - 6 9 Besuch der Akademie für Handel und Industrie In Graz. Arbeitete seit der Veröffentlichung seiner mundartlichen G e d i c h t s a m m l u n g „Zither und Hackbrett" 1870 als freier Schriftsteller. Begründete 1876 die Zeitschrift „Heimgarten". Schmoller, Gustav (seit 1908) von (24.6.1838-27.6.1917). Nationalökonom. 1860 Promotion zum Dr. oec. publ. In Tübingen; 1864 a.o. Professor, 1865 o. Professor für Staatswissenschaften in Halle, 1872 in Straßburg, 1 8 8 2 - 1 9 1 2 in Berlin; seit 1884 Mitglied des preußischen Staatsrates; seit 1899 Vertreter der Universität Berlin im preußischen Herrenhaus. Mitbegründer und seit 1890 Vorsitzender des Vereins für Sozialpolitik.
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Schücking, Walther ( 6 . 1 . 1 8 7 5 - 2 6 . 8 . 1 9 3 5 ) . Staats- und Völkerrechtler. 1897 Promotion z u m Dr. jur. In Göttingen, 1899 Habilitation ebd.; 1900 etatmäßiger a.o. Professor in Breslau, 1902 a.o. Professor, 1 9 0 3 - 2 0 o. Professor für öffentliches Recht in Marburg, 1 9 2 0 - 2 6 an der Handelshochschule In Berlin, 1 9 2 6 - 3 3 in Kiel; 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und 1919 der deutschen Friedensdelegation in Versailles; 1 9 2 0 - 2 8 MdR für die DDP. Schumacher, Hermann ( 6 . 3 . 1 8 6 8 - 3 . 1 0 . 1 9 5 2 ) . Nationalökonom und Staatswissenschaftler. 1891 Promotion z u m Dr. jur. in Jena; 1 8 9 6 - 1 9 0 1 Hilfsarbeiter im preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten; 1899 etatmäßiger a.o. Professor in Kiel, 1900 in Köln und Bonn, 1901 erster Studiendlrektor der Handelshochschule Köln und gleichzeitig a.o. Professor in Bonn, 1 9 0 4 - 1 7 o. Professor ebd., 1906/07 Gastprofessor an der C o l u m b i a Universlty In New York, 1 9 1 7 - 3 5 o. Professor in Berlin. Veröffentlichungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der USA und Ostasiens. Sering, Max ( 1 8 . 1 . 1 8 5 7 - 1 2 . 1 1 . 1 9 3 9 ) . Nationalökonom. 1881 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg, 1883 Habilitation In Bonn; 1885 a.o. Professor ebd., 1 8 8 9 - 1 9 0 6 o. Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin und außerdem seit 1893 a.o., 1 8 9 7 - 1 9 2 5 o. Professor an der Universität Berlin; 1 9 1 4 - 1 8 Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission im preußischen Kriegsministerium. Hatte In der Weimarer Republik maßgeblichen Einfluß auf die Reichssiedlungsgesetzgebung. Seydel, Karl Theodor ( 1 4 . 7 . 1 8 1 2 - 9 . 1 . 1 8 7 3 ) . Politiker. 1 8 6 2 - 7 2 Oberbürgermeister von Berlin. Mitglied der Fortschrittspartei. Sieveking, Heinrich (20.8.1871-25.12.1945). Nationalökonom. 1893 Promotion z u m Dr. jur. in Leipzig, 1895 zum Dr. phil. ebd., 1897 Habilitation in Freiburg; 1900 a.o. (Titular-) Professor ebd., 1902 etatmäßiger a.o. Professor In Marburg, 1907 o. Professor in Zürich und 1 9 2 2 - 3 6 in Hamburg. Zahlreiche Arbeiten zur europäischen Wirtschaftsgeschichte. Singer, Paul ( 1 6 . 1 . 1 8 4 4 - 3 1 . 1 . 1 9 1 1 ) . Fabrikbesitzer und sozialdemokratischer Politiker. 1 8 8 4 - 1 9 1 1 MdR und Fraktionsvorsitzender g e m e i n s a m mit August Bebel; mit Bebel ab 1890 auch Parteivorsitzender; schied 1887 aus der von ihm und seinem Bruder gegründeten Textllfabrik aus und widmete sich ausschließlich der Parteiarbelt; mit seinen finanziellen Mitteln wurde 1884 das „Berliner Volksblatt" gegründet, aus dem 1891 der sozialdemokratische „Vorwärts" hervorging. Soden, Hans Karl Hermann Freiherr von ( 1 6 . 8 . 1 8 5 2 - 1 5 . 1 . 1 9 1 4 ) . Evangelischer Theologe. 1889 Privatdozent, 1893 a.o. Professor, 1913 o. Professor In Berlin. Sombart, Werner ( 1 9 . 1 . 1 8 6 3 - 1 8 . 5 . 1 9 4 1 ) . Nationalökonom. 1888 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1888 Syndikus der Handelskammer In Bremen; 1 8 9 0 - 1 9 0 6 etatmäßiger a.o. Professor In Breslau, 1906 Professor an der Handelshochschule Berlin, 1 9 1 7 - 3 1 o. Professor an der Universität Berlin; 1 9 0 3 - 2 0 Mitherausgeber des AfSS; 1930 stellvertretender und 1932 Erster Vorsitzender des Vereins für Sozialpolitik. Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte, Insbesondere zur Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus. Seit den späten 1880er Jahren freundschaftliche Beziehungen zu Max Weber. Stein, Heinrich Karl Freiherr v o m (26.10.1757-29.6.1831). Preußischer Staatsmann und Reformer. 1 7 7 3 - 7 7 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen. Seit 1780 in mehreren Funktionen im preußischen Staatsdienst. 1807 Berufung z u m Staats-
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minister. Setzte als leitender Minister insbesondere die kommunale Selbstverwaltung und die Neuorganisation der ministeriellen Ressorteinteilung durch. Im November 1808 auf eigenen Antrag entlassen. Thiersch, Friedrich Ritter von (18.4.1852-24.12.1921). Architekt. 1 8 6 8 - 7 3 Besuch des Polytechnikums Stuttgart; 1 8 7 3 - 7 5 praktische Tätigkeit; 1 8 7 6 - 7 8 Studienreisen nach Italien, Griechenland, England und Frankreich; 1879 Professor für Architektur an der Technischen Hochschule und Akademie der bildenden Künste in München; 1907 Rektor der Technischen Hochschule München. Schuf u.a. den großen Justizpalast in München und das Neue Kurhaus Wiesbaden. Tille, Alexander (30.3.1866-16.12.1912). Verbandsfunktionär und Publizist. 1890 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig; 1 8 9 0 - 1 9 0 0 Dozent für Germanistik an der Universität Glasgow; 1901 stellvertretender Geschäftsführer des „Centraiverbandes deutscher Industrieller", 1903 Generalsekretär der „Südwestlichen Gruppe der Vereinigung deutscher Eisen* und Stahlindustrieller" sowie der „Vereinigung zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Saarindustrie", 1904 des Arbeitgeberverbandes der Saarindustrie; 1906 Archivdirektor des Südwestdeutschen Wirtschaftsarchivs. Troeltsch, Ernst (17.2.1865-1.2.1923). Evangelischer Theologe, Philosoph, Historiker und Politiker. 1891 Promotion in Theologie in Göttingen, 1891 Habilitation ebd.; 1892 a.o. Professor in Bonn, 1894 o. Professor in Heidelberg, 1915 in Berlin. 1918 Mitbegründer der DDP. 1 9 1 9 - 2 2 Unterstaatssekretär, 1922 Staatssekretär im preußischen Kultusministerium. Enge Zusammenarbeit mit Max Weber in religionssoziologischen Fragen. Ulimann, Emanuel Ritter von (28.4.1843-4.4.1912). Straf-, Strafprozeß- und Völkerrechtler. Studium in Heidelberg und Prag; 1868 Habilitation in Prag; 1872 a.o. Professor und im selben Jahr o. Professor in Innsbruck, 1885 in Wien, 1889 in München. Mitherausgeber der „Kritischen Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft". Voelcker (Völcker), Heinrich (Henry) (27.9.1862-7.1.1955). Nationalökonom. 1889 Promotion zum Dr. phil.; 1897 Regierungsrat im Reichsamt des Innern; 1904 Direktor des Stahlwerksverbands Düsseldorf; 1911 Habilitation an der Technischen Hochschule Berlin im Fach Volkswirtschaftslehre; 1921 - 3 6 o. Honorarprofessor in Frankfurt a.M. Vogel, Karl (21.9.1856-6.3.1935). Messerschmiedemeister. 1 8 9 3 - 9 6 Stadtverordneter, 1 8 9 6 - 1 9 0 2 sowie 1 9 0 5 - 3 0 Stadtrat in Mannheim; 1 9 0 5 - 1 2 Abgeordneter in der II. Kammer des badischen Landtags für die Fortschrittspartei; 1 9 1 9 - 2 1 Mitglied des badischen Landtags für die DDP. Vogelstein, Theodor Max (18.5.1880-5.5.1957). Bankier. Nach wissenschaftlichen Studien in den USA und England 1909 Promotion zum Dr. oec. publ. in München, 1910 Habilitation ebd. Arbeiten zum Kartell- und Monopolwesen. Voßberg, Walter (25.7.1880-1910). Nationalökonom. 1906-09 Stadtverordneter in (Berlin-)Schöneberg. Wagner, Adolph (25.3.1835-8.11.1917). Nationalökonom und Finanzwissenschaftler. 1857 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen; 1858 Professor für Nationalökonomie in Wien, 1864 o. Professor für Statistik in Dorpat, 1868 in Freiburg i. Br., 1870 in Berlin. 1 8 8 2 - 1 8 8 5 Mdpr.AH für die Konservative Partei, seit 1910 Mdpr.HH; Mitbegründer des Vereins für
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Sozialpolitik und des Evangelisch-sozialen Kongresses. Entwickelte das Gesetz der w a c h s e n d e n Staatsausgaben. Walz, Ernst (19.7.1859- 18.12.1941). Jurist und Kommunalpolitiker. 1886 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg; 1900 Privatdozent, 1902 a.o. Professor, 1909 Honorarprofessor für öffentliches Recht e b d . 1 8 8 6 - 1 9 1 3 Erster Bürgermeister, 1 9 1 3 - 1 9 2 8 Oberbürgermeister von Heidelberg. Weber, Alfred ( 3 0 . 7 . 1 8 6 8 - 2 . 5 . 1 9 5 8 ) . Nationalökonom und Soziologe. 1897 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1899 Habilitation ebd.; 1904 o. Professor in Prag, 1 9 0 7 - 3 3 und 1 9 4 5 - 5 5 in Heidelberg. Arbeiten zur Hausindustrie, Standorttheorie, Kultursoziologie und Geschichtsphilosophie. Bruder Max Webers. Weber, Maximilian (Max sen.) ( 3 1 . 5 . 1 8 3 6 - 1 0 . 8 . 1 8 9 7 ) . Jurist und Politiker. Studium in Göttingen und Berlin. 1 8 6 2 - 6 9 Stadtrat in Erfurt, 1 8 6 9 - 9 3 in Berlin, dann Mitglied der Reichsschuldenkommission und der preußischen Schuldenkommission; 1 8 6 8 - 9 7 Mdpr.AH, 1 8 7 2 - 7 7 und 1 8 7 9 - 8 4 MdR. Führendes Mitglied der Nationalliberalen. Vater Max Webers. Wedel-Piesdorf, Wilhelm von ( 2 0 . 5 . 1 8 3 7 - 1 1 . 7 . 1 9 1 5 ) . Jurist und Politiker. Studiüm in Berlin und Heidelberg. 1858 Eintritt in d e n Staatsdienst in Berlin; später Regierungs-Referendar in Erfurt, Regierungsassessor in M a g d e b u r g , 1881 Regierungspräsident ebd.; 1879 Mdpr.AH für die deutschkonservative Partei, 1 8 8 4 - 9 0 MdR, 1 8 8 4 - 8 6 dessen Präsident; 1 8 8 8 - 1 9 0 7 preußischer Minister des königlichen Hauses; seit 1886 Mdpr.HH, seit 1912 dessen Präsident. Weinet, Heinrich ( 2 8 . 4 . 1 8 7 4 - 2 9 . 9 . 1 9 3 6 ) . Religionswissenschaftler. 1898 Promotion zum Dr. phil. und in Theologie in Gießen; 1899 Privatdozent in Berlin, 1900 in Bonn, 1904 a.o. Professor, 1907 o. Professor in Jena. Wielandt, Friedrich (25.11.1871-14.7.1946). Kommunalpolitiker. 1901 Zweiter Bürgermeister, 1914 Erster Bürgermeister in Heidelberg; 1933 in d e n Ruhestand getreten. Begründer der Heidelberger Jugendfürsorge. Wilbrandt, Robert ( 2 9 . 8 . 1 8 7 5 - 4 . 2 . 1 9 5 4 ) . Nationalökonom. 1899 Promotion z u m Dr. phil. in Berlin, 1904 Habilitation ebd.; 1 9 0 8 - 2 9 o. Professor in Tübingen, 1 9 2 9 - 3 3 in Dresden. Gehörte zum linken Flügel des Vereins für Sozialpolitik. Wittich, Werner ( 5 . 8 . 1 8 6 7 - 1 1 . 8 . 1 9 3 7 ) . Nationalökonom. 1891 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg; 1 9 0 1 - 1 8 etatmäßiger a.o. Professor e b d . 1 9 1 9 A n n a h m e der französischen Staatsbürgerschaft. Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte und Kultur des Elsaß. Woerishoffer (Wörishoffer), Friedrich (16.5.1839-18.7.1902). Badischer Beamter und Sozialpolitiker. 1 8 5 5 - 5 9 Studium des Ingenieurwesens an der Technischen Hochschule Karlsruhe; 1859 Eintritt in d e n badischen Eisenbahndienst; 1879 Ernennung zum ersten badischen Fabrikinspektor. Nach der Umorganisation des Amtes seit 1892 erster Vorstand der badischen Fabrikinspektion. Wotff, Martin ( 2 6 . 9 . 1 8 7 2 - 2 0 . 7 . 1 9 5 3 ) . Jurist. 1894 Promotion zum Dr. jur. In Berlin, 1900 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1903 a.o. Professor ebd., 1914 o. Professor in Mar-
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burg, 1918 in Bonn, 1921 in Berlin, 1938 in Oxford. Arbeiten z u m Zivil- und internationalen Privatrecht. Wygodzinski, Willy (9.12.1869-3.1.1921). Nationalökonom und Agrarwissenschaftler. 1894 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1906 Habilitation in Bonn; 1905 Dozent an der Handelshochschule Köln und an der Landwirtschaftlichen Hochschule Bonn-Poppelsdorf, 1909 Titular-Professor in Bonn-Poppelsdorf, 1914 etatmäßiger Professor ebd. Arbeiten zur Agrarpolitik.
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur In Klammern stehen die v o m Editor benutzten Kurztitel
Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Sozialstatistik der D e u t s c h e n B u c h d r u c k e r (Volkswirtschaftliche A b h a n d l u n g e n der B a d i s c h e n Hochschulen, hg. v o n Carl J o h a n n e s Fuchs, Gerhard [sie!] von Schulze-Gävernitz, Max Weber, B a n d 4, Heft 4). - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900. (Abelsdorff, Beiträge) Ballin, Paul, Der Haushalt der A r b e i t e n d e n Klassen. Eine sozialstatistische U n t e r s u c h u n g . - Berlin: Friedrich Luckhardt 1883. (Ballin, Haushalt) Below, G e o r g von, Territorium und Stadt. Aufsätze zur d e u t s c h e n Verfass u n g s - , Verwaltungs- u n d Wirtschaftsgeschichte. - M ü n c h e n / L e i p z i g : R. O l d e n b o u r g 1900. (Below, Territorium und Stadt) Berufsstatistik n a c h der allgemeinen Berufszählung v o m 5. Juni 1882, in: Statistik des D e u t s c h e n Reichs, hg. v o m Kaiserlichen Statistischen Amt, Neue Folge, B ä n d e 2 - 5 . - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1884/85, sowie: Die Ergebnisse der Berufszählung v o m 5. Juni 1882 im preußischen Staate, in: Preußische Statistik, hg. v o m Königlichen Statistischen Bureau in Berlin, B a n d 76, 3. - Berlin: Verlag d e s Königlichen Statistischen Bureaus 1885. (Berufszählung 1882) Berufs- und G e w e r b e z ä h l u n g v o m 14. Juni 1895, in: Statistik des D e u t s c h e n Reichs, hg. v o m Kaiserlichen Statistischen Amt, Neue Folge, B ä n d e 1 0 2 112. - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1 8 9 7 - 1 8 9 9 , sowie: Berufs- und Gew e r b e z ä h l u n g v o m 14. Juni 1895, in: Preußische Statistik, hg. v o m Königlic h e n Statistischen Bureau in Berlin, B a n d 142, 2. - Berlin: Verlag d e s Königlichen Statistischen Bureaus 1902. (Berufs- und Gewerbezählung 1895) Blank, R., Die soziale Z u s a m m e n s e t z u n g der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands, in: AfSS, B a n d 20, Heft 3, 1905, S. 5 0 7 - 5 5 0 . (Blank, Zusammensetzung)
Verzeichnis der von Max Weber zitierten
Literatur
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Borchardt, Felix, Verschuldung und Entschuldung der Landwirtschaft (Zur Entschuldungsvorlage der Ostpreußischen Landschaft), in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 32.Jg., 1908, S. 161-195. (Borchardt, Verschuldung) Bryce, James, The American Commonwealth, 3 vols. - London/New York: Macmillan and Co. 1888. (Bryce, American Commonwealth) Conrad, Johannes, Die Fideikommisse in den östlichen Provinzen Preußens, in: Festgabe für Georg Hanssen zum 31. Mai 1889. - Tübingen: Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung 1889, S. 2 6 1 - 3 0 0 . (Conrad, Fideikommisse) - , Ein Gesetzentwurf über Familienfideikommisse für Preußen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., III. Folge, Band 26, 1903, S. 5 0 7 - 5 2 1 . Band III, 26 entspricht Band 81 der fortlaufenden Numerierung. (Conrad, Gesetzentwurf) - , Der Großgrundbesitz in Pommern, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., III.Folge, Band 10, 1895, S. 706-739. (Conrad, Pommern) - , Der Großgrundbesitz in der Provinz Posen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., III. Folge, Band 6, 1893, S. 5 1 6 - 5 4 2 . (Conrad, Posen) - , Der Großgrundbesitz in Ostpreußen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., III.Folge, Band 2, 1891, S. 8 1 7 - 8 4 4 . (Conrad, Ostpreußen) - , Der Großgrundbesitz in Schlesien, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad, III.Folge, Band 15, 1898, S . 7 0 5 729. (Conrad, Schlesien) - , Der Großgrundbesitz in Westpreußen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., III.Folge, Band 3, 1892, S. 4 8 1 - 4 9 5 . (Conrad, Westpreußen) - , Die Latifundien im preußischen Osten, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad, Neue Folge, Band 16, 1888, S. 1 2 1 - 1 7 0 . (Conrad, Latifundien)
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Verzeichnis der von Max Weber zitierten
Literatur
Vorläufiger Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse nebst Beg r ü n d u n g . Im amtlichen Auftrage veröffentlicht. - Berlin: Verlag der „Post" [1903], (Entwurf
1903 und Begründung
1903)
Die Ergebnisse der Ermittelung des Ernteertrages im preußischen Staate, in: Preußische Statistik, hg. v o m Königlichen Statistischen Bureau, Band 105, 110, 115, 119, 126. - Berlin: Verlag des Königlichen Statistischen Bureaus 1 8 8 9 - 1 8 9 3 . (Ermittelung
des
Ernteertrages)
Die Fideikommisse in Preußen am Ende des Jahres 1895, in: Zeitschrift des Königlich]
Preußischen
(Fideikommisse
Statistischen
Bureaus, 3 7 . J g . ,
1897, S. 1 - 2 2 .
1895)
Frankfurter A r b e i t e r b u d g e t s . Haushaltsrechnungen eines Arbeiters einer K ö n i g l i c h e n ] Staats-Eisenbahnwerkstätte, eines Arbeiters einer chemis c h e n Fabrik u n d eines Aushilfearbeiters. Veröffentlicht und erläutert von Mitgliedern der Volkswirtschaftlichen Sektion des Freien Deutschen Hochstifts. - Frankfurt a. M.: G e b r ü d e r Knauer 1890. (Frankfurter Arbeitsbudgets) Gemeindelexikon für das Königreich Preußen. Auf Grund der Materialien der Volkszählung v o m 1. Dezember 1885 und anderer amtlicher Quellen bearb. vom Königlichen Statistischen Bureau, 13 Bände. - Berlin: Verlag des Königlichen Statistischen Bureaus 1887/88. (Gemeindelexikon 1885) Gemeindelexikon für das Königreich Preußen. Auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 und anderer amtlicher Quellen bearb. v o m Königlichen Statistischen Bureau, 13 Bände. - Berlin: Verlag des Königlichen Statistischen Bureaus 1897/98. (Gemeindelexikon
1895)
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Wandlungen)
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Fideikommisse
1899)
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Fideikommisse
1900)
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Arbeitsvertrag)
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(Lotmar,
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Literatur
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Personenregister
Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Max Weber wird nur im Zusammenhang mit seinen Schriften aufgeführt.
A b e l , W i l h e l m 337 Abelsdorff, Walter 1,25-29,30-33,63,71, 481,494 A l d e n h o f f , R i t a 446f. A l t h o f f , F r i e d r i c h 206 A l t r o c k , W a l t h e r 327 Amira, Karl von 464,481 A m m a n n , C . L . 408 A n d e r s e n , A r n e 434 Anschütz, Gerhard 74,76,323,418,455, 481 A u e r n h e i m e r , G u s t a v 195 A u e r s w a l d , v o n 345 A v e n a r i u s , F e r d i n a n d 435f. B a c h e m , Julius 460,464,481 B a h n s e n , Julius 251 Ballin, P a u l 6 5 , 4 9 4 B a s s e t t M o o r e , J o h n 201 B a u m , M a r i e 280-282,283 f., 2 8 7 , 2 8 8 292,293-298,481 B a u m g a r t e n , H e r m a n n 80 B a u m g a r t e n , O t t o 446 B e c k e r , E u g e n 417 Below, G e o r g v o n 12f., 86-89,204f.,209, 2 3 0 , 2 3 2 f., 3 9 3 , 4 8 1 , 4 9 4 B e n d i x , L u d w i g 321 B e r n h a r d , L u d w i g 34 Bernstein, Eduard 195,198,366,481 B e r t r a n d , L o u i s 223 B e t h m a n n H o l l w e g , T h e o b a l d v o n 453, 455f.,472 B e z o l d , C a r l 408 B i s m a r c k , O t t o F ü r s t v o n 16,39,73,11 f., 144,148,179,185,307,393,396 B i t t m a n n , K a r l 280f., 288f.,291,294-296, 298,482 Blaich, Fritz 260 B l a n c k e n b u r g , M o r i t z v o n 227 B l a n k , R u b i n 189-191,192 f., 482,494 Bluntschli, F r i e d r i c h 417
B o c k s , W o l f g a n g 280,286,288f., 296 B o e s e , F r a n z 244,260,262f., 300f., 361, 367 B o n n , M o r i t z Julius 372 B o r c h a r d t , Felix 3 4 5 , 4 9 5 Borgius, Walter 421,423f. B o u l a n g e r , G e o r g e s 222 B o u n e s s , E l i s a b e t h —» B r é , R u t h B r a u e r , A r t u r v o n 406 B r a u n , H e i n r i c h 35 f . B r a u n e , W i l h e l m 417 f . B r é , R u t h 421 - 423 Brentano, Lujo 19,89,204,209,244-248, 2 4 9 , 2 5 6 f . , 3 6 7 - 3 7 1 , 4 4 0 , 4 5 4 f . , 482 B r o c k e , B e r n h a r d v o m 206 B r ü g g e m e i e r , F r a n z - J o s e f 434 B r ü n n e c k , W i l h e l m v o n 327 B r u n n e r , H e i n r i c h 209 B r u s t , A u g u s t i 90 Bryce, J a m e s 1 9 4 , 3 0 7 , 4 8 2 , 4 9 5 Buchenberger, Adolf 108,148,216,415, 417 B ü c h e r , K a r l 260,317,368f.,371 f.,374, 377 Bülow, B e r n h a r d Fürst von 249,251,278, 386f., 394,396,406,453,458,482 Burgess, J o h n W. 321 B u t t e r f i e l d , K e n y o n F. 207 Byron, George Gordon Lord 220,482 Calker, Wilhelm von 464,482 Caprivi, L e o von 2 2 7 , 3 3 6 , 4 3 9 Carlyle, T h o m a s 2 4 3 , 4 8 2 Carnegie, A n d r e w 270,482 Castro, Cipriano 252,482 C h a t e a u b r i a n d , F r a n ç o i s R e n é 254 C h i c k e r i n g , R o g e r 459,470 C i c e r o 109 C o a t s , A l f r e d W. 201 f . Cohen, H e r m a n n 464,482 C o h n , M a r t i n 368
502
Personenregister
Cohnheim, Otto Heinrich 382 Conrad, Johannes 82f.,85,89,92,94,164, 209,316,483,495 Conradi, Albert 50 Corinth, Lovis 455 Cornicelius, Max 392 Crispi, Francesco 311,483 Cromwell, Oliver 79,222,483 Crüger, Hans 218,223 Curtius, Friedrich 460,464,483 Dade, Heinrich 146,483 Dahlmann, Dittmar590 Dahn, Felix 440 Dasbach, Georg Friedrich 253,483 De Feiice Giuffrida, Giuseppe 311,483 Dehio, Georg 415 Deininger, Jürgen 102 Deißmann, Gustav Adolf 381,383 Delbrück, Hans 441 Delitzsch, Friedrich 43 Dernburg, Heinrich 327 d'Estournelles de Constant, Paul Henri 476 Diederichs, Eugen 455 Diehl, Karl 238 Dietzel, Heinrich 372 Dilthey, Wilhelm 466 Driesch, Hans 475 Drill, Robert 368f. Duhn, Karl von 475 Dürkheim, Emile 1 Dusch, Alexander Freiherr von 407,412, 483 Eckert, Jörn 81 -83 Edward VII., König von England 392 Eggert, Wilhelm 416 f., 419,483 Ehrenfels, Christian von 317,322 Ehrlich, Paul 464,484 Eisenbeiß, Wilfried 459 Eisendecher, Karl 406 Elster, Ludwig 92 Engel, Ernst 63,66,67,484 Eschenbach, August 265f. Eucken, Rudolph 440 Eulenburg, Botho Graf von 396 Evert, Georg 93,115,484 Falter, Reinhard 433 Firth, Charles H.222 Fischbeck, Otto 306,484
Fleischmann, Max 464,484 Flesch, Karl 35,302 Foerster, Wilhelm 440,464 Föhlisch, Eduard 289f., 292,293 f., 295, 291.484 Franz, Robert 327 Freudenthal, Berthold 464,484 Fried, Alfred Hermann 459, 461,475 Friedman, Milton 316 Friedrich I., Großherzog von Baden 406409,4121,433 - 435,484 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz 414 Friedrich August III., König von Sachsen 118 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 343 Frommhold, Georg 85 Fuchs, Carl Johannes 25f., 29,93,228,300, 356f.,434- 436,447 Fuchs, Rudolf 283,288 Gamp, Karl von 85 Ganghofer, Ludwig 455 Gehner (Familie) 207 Geisler, Rudolf P.316 Gerlach, Otto 345 Gerth, Hans 211 Gierke, Otto von 83,89 Goethe, Johann Wolfgang von 21,272 Göhre, Paul 87,143 Goldschmidt, Levin 271 Goldschmidt, Salli 143,484,496 Gothein, Eberhard 89,389,392,394,396, 484f. Gothein, Georg 85 Gregor VII., Papst 394 Gregor, Hans 455 Großmann, Friedrich 37 Grotjahn, Alfred 62-64,65-72,485,496 Gruhle, Hans 400 Grünberg, Karl 87,228 Günther, Adolf 244,247 Hackenberg, Albert 439 Haeckel, Ernst 464,485 Hager, Paul 92,106,485,497 Hamelmann, Gudrun 421 Hanssen, Georg 82,357,359f. Harnack, Adolf von 203,208,447,450, 464.485 Hasenkamp, Adolf 316 f . Haupt, Paul 43
Personenregister Hauptmann, Gerhard 455 Hausrath, Adolph 418 Hausrath, August 400,447 Heck, Philipp 209 Heigel, Karl von 464,485 Heinrich IV., Römisch-deutscher Kaiser 394 Henckel von Donnersmarck, Guido Fürst 134,485 Henckel von Donnersmarck, Hugo Graf 134,485 Henning, Rudolf 209 Hensel, Paul 243 Herkner, Heinrich 26,89,372,435 Hermes, Justus 327 Hervey, William A .207 Herwig, Holger H. 252 Heß, Klaus 81-83,90 Heydebrand und der Lasa, Ernst von 439 Heyden(-Cadow), Wilhelm von 144,485 Hilger, Ewald 215,485 Hill, William 207 Hirsch, Paul 306 Hoffmann, Adolph 195 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu 51 Holls, Frederick W. 201 f . Hultgren, Ernst 0.65,497 Humperdinck, Engelbert 455 Husserl, Edmund 466 Imbusch, Heinrich 245,364 Iuvenalis 148 Jacobson Schwartz, Anna 316 Jaffe, Edgar 88- 90,190f., 317,322,368, 455 Jaffe, Else 280,286,485f. Jagemann, Eugen von 73-75,76-78,486 Jastrow, Ignaz 255,372,440,455,486 Jatho, Karl 465-467,468,486 Jefferson, Thomas 242 Jellinek, Georg 74,76,89,205f.,208,323, 387-391,393,396,418,440,460,486 Jhering, Rudolph von 41 Jolly, Julius 297,486 Jones, Aaron 207 Kaerger, Karl 124,168 Kapp, Wolfgang 330-332,344-346,347, 351,353-355,486 Kardorff, Siegfried von 250
503
Karl Egon IV. zu Fürstenberg 150 Karl Friedrich I., Großherzog von Baden 411,413,456 Kauffmann, Gustav 309 Kaufmann, Erich 317,321 f., 323,324-326, 486,497 Kaufmann, Theodor 400 Kautsky, Karl 78,195 Kessler, Gerhard 368,372 Kirdorf, Emil von 263,277,486 Klages, Ludwig 251 Kleist-Retzow, Hans von 227 Knapp, Georg Friedrich 168,209,228,328, 357,486f. Knauer, Hermann 200 Koch, Julius 417 Koch, Max Jürgen 245 Kohl, Horst 179,393 Koller, Hans von 101,457 Koster (Bergmann) 275 Krämer, Karl 275 Kremer, Hans-Jürgen 406 Kretschmer, Winfried 433 Kuhna, Stanislaus 66,67,487,497 Kühne, Thomas 305,453 Kühnert, Franz 52,91,94,104-107,116, 121,122-124,125,147,149,154,176, 177,497f. Laband, Paul 150,325,457 Lamprecht, Karl 203,440,455,464,466, 487 Landergreen, Ernst 65,497 Landmann, Robert von 247 Lange, Helene 288,291,294 Lasker, Eduard 50 Lassalle, Ferdinand 366 Le Play, Frédéric 63,498 Legien, Carl 197 Leist, Gerhard Alexander 52,487,498 Lenz, Max 372,466f. Leopold, Großherzog von Baden 412 Leopold II., König von Belgien 392 Lewald, Theodor 208 Leweck, R. 330f., 345f., 348,351 Lexis, Wilhelm 107,235 Lie, Hermann 316 Liebhold, Ferdinand 398 Liefmann, Robert 270,271,273,317,487 Lilienthal, Karl von 475 Lindenlaub, Dieter 264 Linse, Ulrich 433- 436
504
Personenregister
Lipps, Theodor 464,487 Lischnewska, Maria 421 List, Friedrich 114 Liszt, Franz von 422,455,464, 487 Locke, John 324 Loening, Edgar 300-302,304,307,350, 487,498 Lotmar, Philipp 34-36,37-40,42-48, 5 0 - 6 1 , 4 8 7 f . , 498f. Lötz, Walter 372 Low, Sidney 195 Ludwig, Theodor 228 Lukas, Evangelist 152
Napoleon I., Kaiser der Franzosen 148, 222,237,242,254,347 Natorp, Paul 440f.,464,466f., 489 Naumann, Friedrich 258,264,268,368, 372f., 390,422,447f., 450,457,460,464, 489 Neukamp, Ernst 245 Newcomb, Simon 201 f.,204 Nichtweiß, Johannes 142,175,186 Nikolaus II., Zar 314 Nippold, Otfried 459f., 464,470,473,489 Nowacki, Bernd 421,423 Nuzinger, Otto Bernhard 382,398
Maier, Hermann 470,473,488 Mallmann, Klaus-Michael 252 Mareks, Erich 89 Marcuse, Max 421,427,430,488 Matthäus, Evangelist 110,152 Mauer, Hermann 10,328f., 331 f., 333, 334-337,340,341,342f., 344 f.,346-348, 349-353,488 Max Egon II. zu Fürstenberg 150 Meckel, Max 417 Meinecke, Friedrich 455,466 Meisner, Bruno 43 Meitzen, August 209,230f. Menger, Anton 41,488,499 Merian, Matthäus d.Ä. 417 Michels, Robert 190,291,302,309,313, 357,423f. Michels-Lindner, Gisela 311,313,357 Mielke, Robert 435,438,488 Miquel, Johannes von 108,157,158,347, 348,488 Mittermaier, Karl 398 Möller, Hertha 273,488 Möller, Karl 273 Möller, Theodor 273,488 Mombert, Paul 357,372 Mommsen, Wolfgang 3.81,211,264,446 Montesquieu, Charles de 324 Moore, George F. 201 Morgan, John Pierpont 270,488 Moritz, Eugen 93,122,488,499 Müller, A d a m 114 Münsterberg, Hugo 201 -206,208-210 Murray Butler, Nicholas 201 Muthesius, Hermann 464,488
Ogris, Werner 146 Oldenberg, Karl 75,87 Ostrogorski, Moisei 195 Ostwald, Wilhelm 203,208 Otto Heinrich, Kurfürst von der Pfalz 414 Peel, Sir Robert 220,234 Penzier, Johannes 51,278 Piloty, Robert 464,470,489 Plenge, Johann 317,372 Ploetz, Alfred 422 Podbielski, Viktor von 394 Posadowsky-Wehner, Arthur Graf von 261,274 Preuß, Hugo 455 Prévôt, René 244,247 Quenzer, Philipp 388f. Radbruch, Gustav 390,418 Rade, Martin 450,464,465f., 489 Raiffeisen, Friedrich Wilhelm 355 Rathje, Johannes 466 Ratzel, Friedrich 417 Rehm, Hermann 322 Ribbe, Wolfgang 308 Richthofen, Else von —» Jaffé, Else Rickert, Heinrich 393f., 466 Rodbertus, Johann Karl 119,489 Röder von Diersburg, Heinrich Freiherr 406f. Rogers, Howard J. 200-204,207,210f., 243 Rohden, Gustav von 466 Rohkrämer, Thomas 308 Rohmer, Gustav 247 Rommelspacher, Thomas 434 Roon, Albrecht Graf von 396
Personenregister Roosevelt, Theodore 208 Roscher, Wilhelm 146,489,499 Rosegger, Peter 135,489 Rosiger, Ferdinand 400 Rucht, Dieter 433 Salz, Arthur 372 Schäfer, Karl 415,417 Schäfer, Lili 417 Schäfers, Bernhard 370,373 Scheer, Friedrich-Karl 459 Scheidemann, Philipp 394 Schenkel, Karl 282 Schluchter, Wolfgang 12,17 Schmidt, Richard 48,393 Schmöle, Josef 435 Schmoller, Gustav von 21,25,34,48,52, 62-64,65,89,92,158,205,245,255, 262-264,266-269,272,273,274,300, 329,345,356,361,365,367f., 489 Schofer, Josef 405,407 Schön, Manfred 264 Schreiber, Adele 424 Schröder, Richard 209 Schücking, Walther 322,440,455,459f., 464,470,490 Schultze-Naumburg, Paul 434,436 Schulz, Arthur 120 Schulze-Gävernitz, Gerhart von 25f., 29, 89,93,368,435,466 Schumacher, Hermann 316f., 318,319f., 322,367,490,499f. Schweinitz, Hans Lothar von 73 Schweinitz, Wilhelm von 73 Schwentker, Wolfgang 264,446 Seidenadel, Charles W. 210 f . Seidenadel, Wolfgang 211 Seitz, Fritz 417 Sering, Max 89f., 92,102,108,125,137, 144,151 f., 155,160,166,171,173,175179,435,490,500 Seydel, Karl Theodor 308, 490 Seydel, Max von 77 Shaw, Leslie 319 Siebeck, Oskar 448 Siebeck, Paul 26-29,88f., 190 f., 317,322 Sieveking, Heinrich 435,464,490 Simmel, Georg 455 Simson, August von 102 Singer, Paul 181,306,490 Sinzheimer, Ludwig 300 Slevogt, Max 455
505
Small, Albion W. 207 -204 Smend, Rudolf 321 Soden, Hans Karl Hermann Freiherr von 450,490 Sohm, Rudolph 466f. Sombart, Werner 90,112,152,153,191, 203,317,322,422,435,440,490,500 Staudinger, Julius von 50 Steffens, Horst 252 Stein, Heinrich Karl Freiherr vom 341, 444,490f. Stieda, Wilhelm 255 Stinnes, Hugo 245 Stöcker, Helene 421-424 Stoecker, Adolf 309 Stumm-Halberg, Carl Ferdinand Freiherr von 183,252f. Suttner, Bertha von 459 Svarez, Carl Gottlieb 154 Thiersch, Friedrich von 464,491 Thode, Henry 415 Thomson, Elihu 201 Tille, Alexander 249,251 f., 491 Tirpitz, Alfred von 349 Tönnies, Ferdinand 203,368f., 455 Treitschke, Heinrich von 392 Troeltsch, Ernst 89,203,207,382,418,435, 464.475.491 Tutzke, Dietrich 62 Ullmann, Emanuel von 464,470,491 Urbanitsch, Peter 146 Valentiner, Wilhelm 415 Vandervelde, Emil 223 Victor Emanuel II., König von Italien 309 Voelcker, Heinrich 263,271,274,277,491 Vogel, Karl 399f., 401,491 Vogelstein, Theodor 368f., 372,377,491 Voßberg, Walter 302,304,491 Waesemann, Hermann 309 Wagner, Adolph 89,183,252,302,304,314, 358,360 f., 365,435,450,491 f . Walz, Ernst 301,312,475, 492 Wandruszka, Adam 146 Weber, Alfred 48,88f., 204 f., 245,262,266, 274,276,358f., 360f.,368,371,389,441, 455.475.492 Weber, Clara 158
506
Personenregister
Weber, Helene 35,87f., 204f., 207f., 291, 297,383,389 Weber, Marianne 1,27,29,87-89,204f., 207f.,288,291,370,382f.,389,448,467 Weber, Max - Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen (1904) 3,5-11,81-91, 92188,240,329 - Das Anerbenrecht auf der Preußischen Agrarkonferenz (1894) 108 - Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben (1906) 244-248,249259,275,278,385 - Aufruf des Bundes Heimatschutz gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen (1905) 433-436,437f. - Aufruf des Verbandes für internationale Verständigung (1912) 470f., 472 - 474 - Aufruf zum Besuch eines sozialwissenschaftlichen Kursus in Karlsruhe (1897) 447 - Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung (1910) 459- 461,462 - 464,470 - Aufrufe des Bundes für Mutterschutz (1905) 421-424,425 -432 - Die badische Fabrikinspektion (1907) 281 f., 288-292,293 - 299 - Die „Bedrohung" der Reichsverfassung (1904)27, 73-75,76-80 - Bemerkungen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz von R. Blank: Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands (1905) 189-191,192199,507 - Börsengesetz (1897) 49 - Die bürgerliche Entwickelung Deutschlands und ihre Bedeutung für die Bevölkerungs-Bewegung (1897) 253 - Was heißt Christlich-Sozial? (1894) 447 - Demokratie und Aristokratie im amerikanischen Leben (1918) 384 - Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen (1911) 384 - Die deutschen Landarbeiter (1894) 85, 87,124,332 - Über Deutschland als Industriestaat (1897) 15,87
- Über Deutschland und das freie Rußland (1909) 390 - Deutschlands äußere und Preußens innere Politik (1917) 90 - Eingesandt (1895) 183 - Einladungen zur 18. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses in Straßburg im Elsaß (1907) 446-449, 450-452 - Einladungen zur ersten Tagung des Verbandes für internationale Verständigung (1912) 475f.,Mit - Einspruchserklärung gegen die preußische Schulvorlage (1906) 439442,443-445 - Empfiehlt sich die Einführung eines Heimstättenrechtes, insbesondere zum Schutz des kleinen Grundbesitzes gegen Zwangsvollstreckung? (1897) 115,754 - Vor der Entscheidung (1912) 398-400, 401 f. - Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (1894) 85,124 - Entwurf eines Einladungsschreibens zu einer sozialpolitischen Aussprache in Frankfurt a.M. (1912) 19f., 367-374, 375-377 - Die Erhebung des Evangelisch-sozialen Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands (1893) 446 - Erhebungen über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie (1908) 32 - Erklärung der Heidelberger Dozenten gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses (1904) 414418,419 f. - Erklärungen gegen die Zulassung von Männerorden in Baden (1902) 405409,410-413 - Die Gegensätze der deutschen Agrarverfassung in ihren Ursachen und Wirkungen (1896) 86 - Grundriß der Sozialökonomik 1 f . - Kaiser und Reichsverfassung (1908) 386-391,392-397 - Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm (1895) 183
Personenregister Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie (1913) 2 „Kirchen" und „Sekten" in Nordamerika (1906)384 Die Kredit- und Agrarpolitik der preußischen Landschaften (1908) 5, 88,120,269,327-332,333-355 11 f., Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (1892) 37,57, 63,85,142,144,164 f., 167 Die ländliche Arbeitsverfassung (1893) 86 Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik (Freiburger Antrittsrede 1895)87 Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904) 180 Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918) 268 Politik als Beruf (1919) 196,384 Das politische Leben in Amerika (1905) 381-384,385 Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern (1895) 108 Für die preußische Wahlreform (1909) 453 - 457,458 Über die Produktivität der Volkswirtschaft (1909)114 Die protestantische Ethik und der „Geist" des Kapitalismus (1904/05) 2, 89,93,209,223 The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science (1906) 5,14f., 88f., 108,200-211,212243,382 Rezension von: Alfred Grothjahn, Über Wandlungen in der Volksernährung (1903) 62 - 64,65 - 7 2 Rezension von: Erich Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika (1908) 317,321f.,323-326 Rezension von: Philipp Lotmar, Der Arbeitsvertrag (1902) 34-36, 37-61 Rezension von: Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis (1908) 3/6/.,318-320,322
507
- Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht (1891) 102,271 - „Römisches" und „deutsches" Recht (1895) 339 - Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus (1906) 314,395 - Gegen das Spruchkollegium! (1911) 465-467,468 f. - Zur Stellung der Frau im modernen Erwerbsleben (1906) 280-282,283287,288,294 - Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung in der deutschen Literatur des letzten Jahrzehnts (1904) 209 - Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte (1908) 300303,304 - 315,356 - Das Verhältnis der Kartelle zum Staate (1906) 260-265,266-279,364 - Die Verhandlungen der Preußischen Agrarkonferenz (1894) 329 - Vorbemerkung des Herausgebers zu: Walter Abelsdorff, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker (1900) 25-29,30-33,63,71 - Vortragsreihe „Agrarpolitik" (1897) 86, 447 - Wirtschaft und Gesellschaft 48 - Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden (1910) 356-359,360366 - Wissenschaft als Beruf (1919) 384 Weber, Max sen. 76,306 Wedekind, Frank 455 Wedel-Piesdorf, Wilhelm von 304,492 Wegener, Hans 448 Wegener, Leo 176,500 Wehberg, Hans 460f., 471,476 Weinel, Heinrich 464,492 Weiß, Max 357f. Welch, William H.201 Weyermann, Moritz 339 Wielandt, Friedrich 475,477,492 Wiese, Elisabeth 425 Wilbrandt, Robert 278,368-370,492 Wilckens, Karl 406f., 475 Wilhelm I., Deutscher Kaiser und König von Preußen 76,77
508
Personenregister
Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 51,75,80,181,349,386f., 394,395,396,397,439,453,458,472 Wilhelm, Kronprinz von Preußen 118 Windelband, Wilhelm 206,466 Wittich, Werner 184,209,228,328,492, 500 Wolf, Julius 317 Wolff, Martin 92,492,500 Wolff, Theodor 454f. Wölfflin, Heinrich 440 Wörishoffer, Friedrich 66,280,283,286, 296 f„492
Wundt, Wilhelm 440 Wygodzinski, Willy 92,180,492,500 Zedlitz-Neukirch, Octavio Freiherr von 439 Zedlitz-Trütschler, Robert Graf von 439 Zeller, Adolf 414,416 f . Zoche, Hartmut 398 Zorn, Philipp 476 Zubatov, Sergej V. 314 Zwiedineck-Südenhorst, Otto von 368
Sachregister
Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Zeitschriften- und Zeitungstitel werden alphabetisch eingeordnet, gegebenenfalls entsprechend d e m voranstehenden Artikel. A a c h e n ( R e g i e r u n g s b e z i r k ) 174 „ A b h a n d l u n g e n aus d e m Staatsw i s s e n s c h a f t l i c h e n S e m i n a r zu S t r a ß b u r g i . E . " 328,333 A b w a n d e r u n g —> W a n d e r u n g s bewegungen A c k e r l a n d 1 1 2 , 1 2 0 , 1 3 1 f., 1 4 1 , 1 4 4 , 1 5 7 , 216f. A d e l 10,86f., 134,150,154f., 175,187,226, 229,236,241,269,327,333-335,341, 342f., 347 - Briefadel 109,154,176,185 - E x k l u s i v r e c h t e 236 - K r e d i t b e d ü r f n i s s e 337 —> a u c h : A r i s t o k r a t i e ; B r a n n t w e i n b a r o n ; Fideikommisse; Freiherrn; Grafen; Ritter; R ü b e n b a r o n A d e l s p r ä d i k a t e 170 A d m i n i s t r a t i o n —» G u t s v e r w a l t u n g A f r i k a 68 A g a d i r 470,472 Agrarfrage 5,20,213,225,241 a g r a r k o n s e r v a t i v e H e r r s c h a f t —» P r e u ß e n a g r a r i s c h e B e w e g u n g 336 a g r a r i s c h e I n t e r e s s e n t e n 1 5 1 , 1 8 7 f. a g r a r i s c h e K r e i s e 79 a g r a r i s c h e O r g a n i s a t i o n e n 179 a g r a r i s c h e P a r t e i e n —» P a r t e i e n a g r a r i s c h e P o l i t i k e r 269 A g r a r k a p i t a l i s m u s 3f., 7,9-11,14,19,85, 87,93,116,120,142,143,145 f., 1 6 0 , 1 7 0 , 179,185,188,236,278,338 - W i r k u n g auf B e v ö l k e r u n g s b e w e g u n g 85,138,175 - * auch: Betriebe, landwirtschaftliche; England; Großbetriebe, landwirtschaftliche Agrarkredit 7,145,223,327f.,330,333, 339,342,343f., 346,353-355 - bäuerlicher 335,338,343 - B e s i t z k r e d i t 119
- B e t r i e b s k r e d i t 119,351 - B o d e n k r e d i t 345 - E n t s c h u l d u n g s k r e d i t 345f., 3 5 0 - 3 5 2 - Landschaftskredit335-337,340-343, 347 - P f a n d b r i e f k r e d i t 353 - P r i v a t k r e d i t 11,336 f. - S p a n n u n g s k r e d i t 330,345 f., 352 —> a u c h : A d e l ; A m o r t i s a t i o n ; Großgrundbesitz(er); Gutsbesitz(er); Hypotheken; Landschaften, preußische; Pfandbriefe; Schulden A g r a r k r e d i t i n s t i t u t e 330f., 355 —> a u c h : B a n k e n ; g e n o s s e n s c h a f t l i c h e Darlehenskassen; Hypothekenbanken; Landeskreditkassen; Landeskulturrentenbanken; Landschaften, preußische; P r e u ß i s c h e C e n t r a l - B o d e n c r e d i t Actien-Gesellschaft; Rentenbanken; Sparkassen A g r a r k r e d i t p o l i t i k 11,19,337 f., 376 - Bodenkreditpolitik 11,19,337,343f. —> a u c h : L a n d s c h a f t e n , p r e u ß i s c h e Agrarkrisen 13,164,238,337 Agrarpolitik 5,11,85,88,121,146,156f., 165,167,170,204,344 —» a u c h : B a u e r n p o l i t i k ; I n n e r e K o l o n i s a tion; L a n d s c h a f t e n , p r e u ß i s c h e agrarpolitische R o m a n t i k e r 113,161,173, 177,180 Agrarreform 108,236,238 A g r a r s t a a t 15,20 A g r a r v e r f a s s u n g 3-6,8-10,13 f., 20 f., 81, 85,104,110,124 f., 1 2 8 , 1 3 4 - 1 3 6 , 1 7 4 , 2 1 1 , 2 2 8 f., 2 3 6 , 3 2 8 f . , 3 3 3 , 3 4 1 - Unterschied zwischen d e m Osten und W e s t e n D e u t s c h l a n d s 11-13,142 f., 168, 209,226-236,241 f. - » auch: Deutsches Reich; England; Preußen; Sozialverfassung, ländliche A g r a r z ö l l e —» Z ö l l e
510
Sachregister
Agrigent —» Girgenti Ägypten —> Bürokratie Akkord 34f., 45,46,57 Aktiengesellschaft Landbank 355 Aktiengesellschaften 264,266 f., 269,312, 334 - staatlich approbierte Direktoren in 263f., 266 f. Alabama 212 „Allgemeine Zeitung" 408 Allgemeinwohl 16,430 Allmende 216 Allodifikationen 236 Amerika, USA, Vereinigte Staaten 89, 184,196,200,204,207,212 f., 216 f., 224 f., 238,240 - 243,253 f., 263,270,279,317, 321 f., 323-326,381 -384,385 - Aldrich Bill 319,320 - angelsächsisch-deutsche Besiedelung 242 - Bankverfassung 318f. - Beamtenschaft 366 - Bevölkerung 214,242 - Börse 319 - Civil Service Reform 221 - Demokratie 221,243,385 - Deutsche in Amerika 253 - Farmer 13,213-216 - „freirechtliche" Bewegung 323 - Geldkrisis 1907 316f., 318-320,522 - Goldwährung 320 - Heimstättengesetzgebung 213 - „Inselfälle" 323 - Parlament 324,385 - Parteien 194-196,259,385 - Pflanzeraristokratie 221 - Rassenfrage 385 - Regierung 316,319,320,385 - Sekten 385 - Sezessionskrieg 13,213,220f., 241 - Sklaverei 212 f., 241 - Universitäten 201,203 - Verfassung 213,321,323 - 326 - Wanderung vom Land in die Stadt 242 Amortisation 97,330,337,347,350 f. Analogiejuristische 41,58 Anerbenrecht —» Erbrecht, ländliches angelsächsische Länder 223 Angerburg (Kreis) 140 Angestellte 55,247,284,353,364,371 —» auch: Sozialdemokratie „Année sociologique" 1
Antike 57,362 antikes Recht 12,42 Apostolikumsstreit —» Kirche, evangelische Arbeiter(schaft) 15,18f., 31 f . , 3 8 f . , 4 0 , 4 6 49,51 f., 55,58,68 f., 71 f., 189,196-198, 218,224,226,239,245f., 250,252,253, 255,257-259,262,275,276,279,284, 311,313,357,362-365,371,373,375, 382,385,399,446 - freie 43 - gewerkschaftlich erzogene 195 - sittlicher Standard 249,251 —> auch: Bergarbeiter; Landarbeiter(schaft) Arbeiterbevölkerung 255,311 —» auch: Bevölkerung, ländliche Arbeiterbildungsvereine 195 Arbeiterhaushaltungsbudgets —» Haushaltungsbudgets Arbeiterinnen —> Frau, erwerbstätige Arbeiterinteressen 41 f., 259,311 Arbeiterklasse 41,182,226 Arbeiterorganisationen 32,245,247,257, 270,364 f. —> auch: Arbeitnehmer; Fachvereine; Gewerkschaften; Gewerkvereine Arbeiterrecht 255 Arbeiterschutz 48 Arbeitgeber 40,42,46-49,51,53-55,56, 58 f., 238,244f., 247,250,254,257,363 f. Arbeitgeberempfindungen 363 Arbeitgebergesinnung 18,365 Arbeitgeberinteressen 250 Arbeitgeberverbände 257 Arbeitnehmer 39 f., 49 f., 51 f., 5 3 , 5 4 - 5 6 , 59,245,250 - Zwangsorganisation 18,AI,245f.,248, 257-259 Arbeitsbedingungen 31,49,51,245f., 249 -251,256f.,371,375 Arbeitskampf —> Streik Arbeitskraft 42,56 f., 119,214 Arbeitslohn —> Lohn, Lohnverhältnisse Arbeitsmarkt 152,223,284 Arbeitsnachweis (Arbeitsvermittlung) 47 Arbeitsniederlegung —> Streik Arbeitsordnungen 58 f., 254 f., 364 Arbeitsteilung 117,214,242 Arbeitsverfassung 253,275 - ländliche 56,105,127,137,142
Sachregister Arbeitsverhältnisse 38,42,47,50-52,54 f., 57,67,244/, 247/, 249,265,285 - partiarische 44 - patriarchalische 122,142,223,239 f. - proletarische 38 - unentgeltliche 43f.,57 Arbeitsvertrag 34,37 - 49,51 - 60,100,137, 247,249-251,254 - gesetzliche Typen 3 8 - 4 0 , 4 3 - 4 6 - moralwidriger 46 f. - proletarischer 38,53 Arbeitsvertragsrecht 19,37,60,369,376f. Arbeitsvölker, große 184 Arbeitswillige 47,51,246,255 -257,422, 426 Arbeitszeit 284,285,364 „Archiv für Rassen- und GesellschaftsBiologie" 422,424 „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik" 35 f., 58 „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" /, 7 4 , 8 8 - 90, I I I , 189191,211,317,322,357 Aristokratie 15 f., 81 -83,170,220, 223-226,230,237,240-242 —» auch: Adel; Amerika; England aristokratische Gesinnung 177 f., 181, 185 aristokratische Lebensführung 238 Armee —» Heer Arnsberg (Regierungsbezirk) 174 Assessor, Assessorismus 184,266 Aufbewahrungsvertrag 43 f. Aufsichtsräte 263f., 266 Auftragsverhältnis 43 Aurich (Regierungsbezirk) 91 Ausland, Ausländer 6,113,186,227,241, 253 f., 464,474 Auslese 219,363 Ausschuß zur Vorbereitung und Begutachtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen 274 Außenpolitik 80,226,366,386f. Außenschläge —» Gutsbetriebe Aussperrung 47,51,364 Auswanderung —»Wanderungsbewegungen Auswärtiges Amt 386,459 Avancementsinteressen 307
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babylonisches Recht 43 Bad Oeynhausen 51 Baden (Großherzogtum) 30f., 73,76,82, 150,234,281 f., 283,287f., 290f., 293, 295 f., 298,377,396,405-409,410-413, 414 - 418,419,433-435,447f., 450 - Beamtentum 183,297,392 - Fabrikinspektion 280-282,283,286 f., 288-292,293 - 299 - Gemeindewahlrecht 398f. - Klosterfrage 405-409,410-413 - Landrecht 155 - Landtag 388,399,405-407,410,412, 415,417 f . - Steuerrecht 148,150 —> auch: Fürstenberger Fideikommiß „Badische Landeszeitung" 289f.,292294,407 „Bank-Archiv" 329,332,345 Banken 180,267,318-320 - Großbanken 353 —» auch: Amerika; Deutsche Bank; Dresdner Bank; England; Notenbanken; Reichsbank Basel 433 Bauern, Bauernschaft, Bauernstand, Bauerntum 4f., 7,9,11-15, 56,68f.,71, 85,107 f., 110,119,121 f., 124-126,128, 133 -136,138,140,155 f., 165,172,174, 177 f., 209,214,216,218-220,222,227, 229-231,233-237,239,241,334-336, 338,340-344,355,376 - Abgaben und Dienste 12,215f., 227230,233,236,340 f. - Erbuntertänigkeit 13,341 - Großbauern 161,218f. - größere 178 - Hungerbauern 167 - Kleinbauern 118,128,131,135,161,174, 211,216,218,226,241,339 - Kleinstbauern 7,127 f., 136 - mittlere 99,152,111 - Schollenbindung 142,215,219,235 - selbständige 122 —> auch: Betriebe, landwirtschaftliche; Pachtbetriebe, bäuerliche; Pächter; Parzellisten, Parzellenbesitz Bauernbefreiung 11,87,215,216,228 f., 235 f.,247,342 —> auch: Preußen: Agrarreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts
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Sachregister
Bauernbesitzungen —» Betriebe, landwirtschaftliche Bauernbevölkerung —> Bevölkerung, ländliche B a u e r n d ö r f e r —> Dörfer, D o r f g e m e i n d e n Bauernfideikoramisse 177 Bauerngüter 12,136,335,337,339,343 Bauernkolonisation —> Innere Kolonisation Bauernland 7,229f., 236,239,340,342f., 350 „Bauernlegen" 161,229 Bauernpolitik 369,371 f., 377 Bauernstellen —» Betriebe, landwirtschaftliche Bauernstolz 177 Bauernwälder 106 Bauernwirtschaften —» Betriebe, landwirtschaftliche Bauspekulantentura 306 Bauwesen 131,192 Bayern (Königreich) 3 1 , 7 6 , 8 2 Beamte, B e a m t e n t u m 17,68 f., 173,181 183,221 f., 2 5 3 , 2 6 1 , 2 6 8 , 2 7 3 , 3 0 1 f . , 305, 328,358,360,362-366,375,392,396, 446
- business-Beamtentum 366 —» auch: A m e r i k a ; Baden; Frankreich; Gewerkschaften; Preußen; Sozialdemokratie Beamtenhierarchie 361 f. Beamtenrecht 19,369,371 f., 376f. Beleihungsgrenze 330,336,346 —> auch: Verschuldungsgrenze Belgien 65 f., 68,198,203,223,393 - Kolonialbesitz 392,396 Bergarbeiter 246,250,252 f., 275,364 Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1905 190,244f., 249f.,254,278,385 Bergarbeiterbevölkerung —» Bevölkerung, ländliche Bergbau 62,109,131,133,192,246,251, 258,260,275,364 Bergwerksunternehmungen 49,100,104, 122,134,211,275f. —> auch: P r e u ß e n Berlin 25,31 f., 34,59,62,69f., 78,80,189f., 3 0 9 , 3 5 5 f . , 416,421,423f., 427,430,446, 455,459 „Berliner Tageblatt" 372,453-457 Bern 34,459 Berufspolitiker 194,220,224,308
Berufsvereine —»Arbeiterorganisationen Besiedelung, ländliche 124,216f., 226,231 - dichte 112,132,138,226,232 - d ü n n e 113,121,145 - durch rentelose Wirtschaften 110 - halbkommunistische 216 —» auch: A m e r i k a ; Bevölkerung, ländliche Besitz —» Großgrundbesitz(er); G r u n d besitzer) Besitzkredit —> Agrarkredit Besitzschulden —» Schulden Besitzungen —» Betriebe, landwirtschaftliche Besitzwechsel 116,149 Betriebe, gemeinwirtschaftliche 276 Betriebe, industrielle 47,139,257,261, 276,284^» auch: G e m e i n d e b e t r i e b e ; Großbetriebe, industrielle; Privatbetriebe; Riesenbetriebe, private; Staatsbetriebe; Wirtschaftsbetriebe Betriebe, landwirtschaftliche 7,10,12f., 108,110,115,117,119 f., 1 2 2 , 1 2 6 , 1 2 9 131,134 f., 142,151,154,157,159-162, 1 6 4 - 1 6 7 , 2 3 8 f., 242,333,426 - bäuerliche 7f., 11 f., 110f„ 128,130-134, 1 3 6 , 1 4 5 , 2 2 7 , 2 2 8 / . , 336 - Eigentümerbetriebe 127,143,164,167 - Forstbetriebe 146 - großbäuerliche 110,128,130 - größere 4,7,121,126-128,133f., 136, 143 - intensive Bewirtschaftung 107,109, 111 f., 120,132,158,237,242 - kapitalistische 6, l l l f . , 138,140,174, 340 - Kleinbetriebe 4,7f., 12,99,111,121,125, 128,130,132f„ 1 3 5 - 1 3 7 , 1 4 2 f „ 166,170, 219,329,331 f., 342 - Kleinstbetriebe 127,131,135 - mittlere 4,7,99,111,121,125-128, 130 f., 134,136f., 166,170,329 - selbständige 1 1 3 , 1 2 6 - 1 2 8 , 1 3 0 , 1 3 2 f „ 135,161,170,174 - unselbständige 1 2 6 - 1 2 8 , 1 3 0 - 1 3 3 , 1 3 5 —» auch: Bauerngüter; Großbetriebe, landwirtschaftliche; Gutsbetriebe; Hofgüter, geschlossene; Nebenbetriebe, gewerbliche; Pachtbetriebe, bäuerliche; Parzellisten, Parzellenbesitz Betriebsgrößenentwicklung und -Verteilung 7 , 1 0 , 1 0 9 , 1 2 4 , 1 2 5 , 1 2 9 - 1 3 4 , 1 4 2 , 166 f., 173
Sachregister - „glückliche Mischung" der Betriebsgrößen 109f., 121,136,160,167 —» auch: Fideikommisse; Großbetriebe, landwirtschaftliche Betriebskapital 7,106,117,154,158f., 165, 219 Betriebskredit —»Agrarkredit Betriebsleiter 7,114,121,161,163,167 —> auch: Fideikommisse; Gutsverwaltung; „Rückenbesitzer" Betriebsschulden —> Schulden Bevölkerung, ländliche - Bauernbevölkerung 14,188 - Bergarbeiterbevölkerung 123,133 - Dichte 121 f., 132,143,213,225,238,242 - gewerbliche 135 - Gutsbevölkerung 132 - hauptberuflich in der Landwirtschaft tätige 121-123,131-135,162,168 - Heimatsgefühl 173 f. - Hüttenarbeiterbevölkerung 123 - industrielle 133-135 - kreisgebürtige 173-175 - ortsfremde 112,174 - Parzellistenbevölkerung 135 - Typen 214 - Überbevölkerung 217 - Verdichtung 5,112,128,134,142 - Verdünnung 6 f., 12,93,111 f., 119f., 124, 132,138,140-143 - Winterbevölkerung 112 - Wohnverhältnisse 138-142,165 —> auch: Amerika; Besiedelung, ländliche; Slaven Bevölkerungsbewegung —»Agrarkapitalismus; Wanderungsbewegungen Bevölkerungspolitik 113 —> auch: populationistisches Interesse Bevölkerungsschichten - Interessen sozial herrschender 108 - nicht „proletarische" 192-194 Bevölkerungszuwachs 425 Bielefeld 273,312 Bierbankpolitik 78 Bildung 224,231,305,443,453f., 456f. —» auch: Bürgerliche, Bürgertum Bildungspatente, klassenbildende 184,195 „billigere Hand" 240,242 Black Belt 212 „Blätter für Soziale Praxis" 37 Boden, fideikommissarische Bindung —> Fideikommisse
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Bodenangebot, Verringerung 7,119,128 Bodenbesitz(er) —» Grundbesitz(er) Bodenbesitzakkumulation 6 f., 11 f., 120, 127,341,343 —> auch: Fideikommisse Bodenbesitzbesteuerung 113 Bodenbesitzverteilung —* Grundbesitzverteilung Bodenbonitierung —» Grundsteuerbonitierung Bodengüte —» Bodenqualität Bodenkonzentration —> Bodenbesitzakkumulation Bodenkredit —> Agrarkredit Bodenkreditpolitik —» Agrarkreditpolitik Bodenmonopol 150,237 f., 241 Bodenpreise 7,14,109,126,216 f., 343, 352 Bodenqualität 105,107,109 f., 112,118, 120 f., 124,128,130 f., 133-138,140-143, 158-160,168 f., 188,234 Bodenrecht - altgermanisches 216 - bäuerliches 229 f. Bodenreform —» Agrarreform Bodensee 433 Bodenverkaufsinteressenten 354 f. Bodenwert, steigender 149,219,225,238 f. Bodenwucher 166 Bodenzerstückelung 114,116 —»auch: Dismembration Bonn 317 Börse 5,49,170,179 f. —> auch: Amerika „Börsen-Courier" 372 Börsenkapital, städtisches 86,170 Boston 382f. Bourgeoisie 179 Brackwede 312 Brandenburg (Provinz) 105,126,159,465 —» auch: Landschaften, preußische Brandenburger Tor 309 Branntweinbaron 9,166 Brennereien 159 Breslau (Regierungsbezirk) 129,140f., 144,162,174 Briefadel —> Adel Brieg (Kreis) 123 Brunhilde —» Nibelungenlied Bublitz (Kreis) 139 Buchdrucker, deutsche 25-29,30-33,63 Büdner 165
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Sachregister
Büffetier 55 Bund der Deutschen Bodenreformer 238 Bund der Landwirte 336,352 Bund für Mutterschutz 421 -424, 425 - 432 Bund Heimatschutz 433 - 436,437 f. Burenkrieg 386 Bürgerliche, Bürgertum 5,9 f., 14f., 18,20, 80,86,154 f., 182-185,189,225,238,240, 312,370,442,459 - Bildungsbürgertum 433f., 439,446 - deklassierte bürgerliche Elemente 193 - geringer politischer Einfluß 170,224 - Kleinbürger 193,195,197,310 —» auch: Bourgeoisie; Erwerbsleben; Kapital; Kapitalismus; Liberalismus; Parteien bürgerliche Frauenbewegung 4,421 bürgerliche Gesellschaft 75,308f.,313f. bürgerliche Rechtlichkeit 179 bürgerliche, großbürgerliche Lebensführung 158,162,185 Bürgerliches Gesetzbuch 39,41,43 f., 46, All, 50,82,94,155,338,339 bürgerliches Recht 41,180 Bürokratie 17,21,103,268,288f., 297,355, 359,362,366 - im alten Ägypten 362 —» auch: Sozialdemokratie; Streik bürokratische Mechanisierung 361 bürokratischer Apparat 358 bürokratischer Pedant 286 Bürokratisierung 18,362 f., 365 - der Bedarfsversorgung 19,375 business-men 215,240,273,279 Calvinismus 209,223 Cambridge (Massachusetts) 208 Canossa 394 f. Caracas 252 cäsaristische Herrschaft 222 Catania 311,313 caveat emptor 179 Cerealien —» Nahrung, Nahrungsmittelkonsum Charakterologie 17,19,251 Charlottenburg 25, 438 Chemische Industrie —> Industrie Chicago 207,319,382 - Universität 201,210f. „Chronik der Christlichen Welt" 442 Claqueurs 46
Columbia-Universität 201,317 Conciliation internationale 476 Daily-Telegraph-Affaire 386-389,394 Dänemark 76,203,218 Darmstadt 451 „Das Gewerbegericht" 37,56 Demonstrationsstreik 258 Denkmalpflege 414 Deutsche Bank 267,269,473 Deutsche Fortschrittspartei 308f. Deutsche Friedensgesellschaft 459 Deutsche Gesellschaft für Soziologie 2 deutsche Kultur 184,227,242,253,358 deutsche Nation 5,15,255,366,393,395, 436,444 deutsche nationale Interessen 11,16f., 160,188,206,242,310,355 Deutsche Reichspartei —» Freikonservative „Deutsche Wirtschaftszeitung" 274,277 Deutscher Bund 76 - Frankfurter Bundestag 73 Deutscher Flottenverein 349 Deutscher Orden 233,334 Deutsches Reich, Deutschland 1 - 4 , 9 , 1 1 , 15,20f., 33,34,37,73f., 78f., 103,142f., 145,149,162,184 -186,203 -206,209, 213 f., 218,221 f., 225-227,237-241,244, 247,252-256,260f., 266-268,269,2732 7 6 , 3 0 1 , 3 1 0 , 3 2 1 f . , 3 2 3 - 3 2 5 , 3 3 7 f . , 339, 344,369,381,390,393-396,421 f., 425 428,435f., 437,450,454f., 459,462-464, 472,476 - als Welt- und Kulturmacht 214,315 - Bundesfürsten 73f., 76f., 310,395,597 - Bundesrat 73,388f.,394f.,397 - Bundesstaaten 51,76-78,82,94,391, 423 - Diplomatie 226 - Finanzreform 1909 453,458 - Geistesbildung, Geistesleben 441 f.,458 - innere Politik 193,227,385,556,474 - Kolonien, Kolonialpolitik 325,381,393, 472 - Nordosten 157,159 f., 175,226 - Nordwesten 56,138,167 f., III - Osten 4,6,8,11,54,57,85,93,109f., 113, 116,118,122 f., 126 f., 129,136,138,140, 142 f., 151,155,157,159,166,168,176 f., 179,186,226-238,240-242,269,336, 338 f., 341,344
Sachregister - Rückgang des Prestiges 80,187,253, 302,310,315 - Schwächung der wirtschaftlichen Machtstellung 86 - schwarz-blauer Block 453,458 - „sozialpolitische Ä r a " 371,375 - staatsrechtliche Frage der Auflösbarkeit 73 f., 7 6 - 7 8 - Staatsstreichpläne 73f., 77 - Süden 12,70,226,228-230,232,234, 507,338,451 - Südwesten 218,241 - Verlust an Machtgeltung und Kulturbedeutung 5,16,20,314 f., 366 - Westen 12f., 15,123,142f., 160f., 167f., 172,174,226-236,239f., 242,338 - Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung 5,21,114,165,273,313,361,429 —» auch: Agrarverfassung; Preußen; Reichs[...] Deutsch-Konservative Partei —> Konservative Partei „Die Christliche Welt" 441,465 -467 „Die Frau" 288,291,294 „Die Friedenswarte" 461,476 „Die Hilfe" 382f., 385 „Die Post" 92 Dienstmädchen 69,249 Dienstvertrag 39,45,57,100 Digesten 42,256 Diskontpolitik 316,319 f. Dismembration 342 —»auch: Bodenzerstückelung Domänen 334,341 f., 347 f. Dörfer, Dorfgemeinden 112,132,138,141, 143,157,165,174 f., 178,216,231 f. Dortmund (Oberbergamt) 276,364 Dreibund 76 Dreiklassenwahlrecht —» Preußen Dreschgärtner 342 Dresdner Bank 276 Dudweiler 275 Dürerbund 434- 436 Düsseldorf (Regierungsbezirk) 106,174 Dynastien 222,302,315,393,462 dynastische Ängste 310,313 dynastische Etikettensorgen 310 dynastische Interessen 187,269,302,309, 314 dynastische Wünsche 273
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Eckernförde (Kreis) 141 Eigentümerbetriebe —> Betriebe, landwirtschaftliche Eigenwirtschaft 117,228,235 —* auch: Fideikommisse; „Rückenbesitzer" Einheitsstaat 462 Einigungsamt —> Gewerbegerichte Einjährigenzeugnis 184 Einkommen 33,69,71,164 f., 233,238,305 - standesgemäßes 108,220 Einkommensteuer —> Steuern Eisenach 361,367 Eisenbahnen 213,235,365 —» auch: Preußen Eisenbahnminister 270 Eisenindustrie —> Industrie Eitelkeitsinteressen 10,16f., 310 - und Herrschaftsinteressen 188 Elbe 15 Elsaß-Lothringen 183 f., 446 - 448,450452 England 9,20,10,19,108,194 f., 203,237240,252,254,279,320,324,349,366, 386,389,392 - 394,396,462,472 - Abschaffung der Kornzölle 234,362 - Agrarverfassung3,12f., 164,212,238, 240 f. - als Vaterland der modernen kapitalistischen Landwirtschaft 108 - Bank von England 320 - Farmer 13,214 - „joint business" 159,164 - Kolonialbesitz 392,396 - „landed aristocrat" 237 - Landlord 13,108,164,212,220,237 - manor 231 - Pachtverhältnisse 13,164,212,237 - Parlament 79,146,220,222 - private bills 146 - Revolution 79,222 Entails 237,240 Entgelt 34f.,38,40,42-46,57,60 —» auch: Lohn, Lohnverhältnisse Entschuldungskredit —» Agrarkredit Erbpacht 342 Erbrecht, ländliches 108,116,131,134 - Anerbenrecht 108,131,143,156 - Erbteilung 108,131,216,339 —» auch: Fideikommisse Erbregulierungen 115,351 Erbschaftssteuer —> Steuern
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Sachregister
Erfurt 211 Erfurt (Regierungsbezirk) 174 Ernährung Volksernährung Erwerbsleben - bürgerliches 161 - modernes 280-282,283 Ethik 2,42,51 f., 102,223,243,366,424 - neue 421 f., 424 Europa 15,80,203f., 221-223,313,316, 319,325,381,392,436,470,472 - Kontinentaleuropa 13f., 213-218,225 „Evangelisch-Sozial" 448f. Evangelisch-soziale Konferenz für Württemberg 447 Evangelisch-soziale Vereinigung für Baden 446-449,450f. Evangelisch-sozialer Kongreß 15,446f., 450 f., 460 - Erhebung über die Lage der Landarbeiter 87,140,143,174,447 - Tagung in Straßburg 1907 446-449, 450-452 Evangelium 17,451,468 Existenzen - ländliche 162 - prätenziös „herrschaftliche" 161 - „satte" kapitalistische 109 - seigneuriale 153 - sozial privilegierte 376 - „sturmfreie" 9,158,161,164,182 - wirtschaftlich unabhängige 6,126,181, 194,224 Exploiteur 250 Export —» Getreideexport; industrieller Export; Kapitalexport Expropriationsprozeß 120 Fabrikanten 40,160,226,239f., 261,298, 364 —»auch: Industrielle; Unternehmen, Unternehmer; Ziegelfabrikanten Fabrikarbeiter —»Arbeiter(schaft) Fabrikarbeiterinnen —» Frau, erwerbstätige Fabriken 20,49,104,240,284,298, SUSIS - Kasernencharakter 279 —» auch: Maschinenwerkstätten; Zuckerfabriken Fabrikinspektoren 181 —» auch: Baden Fabrikordnungen —> Arbeitsordnungen
Fachvereine 46 Familienfideikommisse —> Fideikommisse Feldgemeinschaft 216 feudale Ansprüche 162 feudale Prätensionen 10,184 f. —» auch: seigneuriale Prätensionen feudales Empfinden 106 Feudalherr —> Grundherr Feudalismus 231 Feudalrechte 236 Fideikommisse - Abfindungs- und Ausstattungsstiftung 96,101,104,157,159 - als agrarisches Sonderrecht landsässiger Kapitalisten 8,104 - als „Pflegestätten einer edlen Lebensführung" 175 - als „wirtschaftliches Ganzes" 96,157, 160 f., 170 - alte 8f., 86,94,106f., 121,133,136,141, 147 - Aufhebung 83,94,104,113,143,168 f. - Auflösbarkeit 81,102 - Ausdehnung des Instituts 82,91,105, 108,128,134 f., 146-148,151,160,168, 171,177 f., 187 - Beschränkung auf altadelige Familien 10,155,163,169,175 - Beschränkung auf Böden minderer Qualität 10,143,145,168 f. - Beschränkung auf verdiente Staatsmänner und Feldherrn 169,175 - Beschränkung auf Wald 145 f., 163,168 - Bevorzugung guter Böden 7,106 f., 109 f., 116,118,120 f., 125,128,136,145, 188 - Bodenanhäufung 11,103f., 119f., 126f., 136,151-153,155 f., 158,161,163,176, 187 - Einkommen, Erträge 10,84,95 - 97,101, 120,156-163,168 - Entwurf 1903 und Begründung 2 , 5 f . , 8, 10,14,81,84-87,89f., 92-104,110,113 t , 116f„ 119-121,124 f., 136 f., 143-149, 151-161,164,166 f., 169-173,180,184188 - Erbfolge 81,96,97 f., 101 - Erweiterung bestehender 84,95,97, 146,153-155,162 f., 169 - Familienrat 98,99-102,180 - Familienschluß 9 8 - 1 0 2
Sachregister - Forsten und Waldungen 100,105 f., 112, 120 f., 124,134,145 f., 159 - Freunde des Instituts 81,83,85,94,106, 108 f., 120,125,145,147,153,170 f., 187 - Gegner des Instituts 82-85,92,102, 108,120,121 - Genehmigung 10,84,95,143 f., 146148,152,169,171,176 - große 9,121,133,136 f., 141,147,156, 164-167 - kleine 133,137,156,159,162-167,185 - landesherrliche 118,141 - Maximalflächenquote 151 f., 156,163, 169 - Maximalgröße 84,146,156,163,168 - Minimalgröße 156,159,161,163,168 - Mittel zur Nobilitierung von Boden und Kapitalien 8,14,104,107,119,170, 187 - Neuerrichtungen 8f., 82,84,91,95, 104 f., 107,120,125,144,146-148,151, 153 f., 156,160,162,171,175,185 - Recht in Preußen 81-83,90,93-100, 102 f., 104,156 f. - Selbstbewirtschaftung 7,117f., 121,133, 159,163 - Stifter 81,97 f., 101,103,137,147 f., 240 - Umwandlung von Lehen 8,105,107, 147 - Veräußerung von Teilen 98-100,136 f., 158 f., 166,170 - „Verbesserungsmasse" 96,101,104,117, 157-159 - Verkleinerung bestehender 154 - Verschuldbarkeit 81,97-100,108,117, 159,165 —> auch: Bauernfideikommisse; Entails; Forstfideikommisse; Fürstenberger Fideikommiß; Geldfideikommisse; Hannover (Provinz); Lehngüter; Österreich; Parvenüfideikommisse Fideikommißbehörde 98-102,144,152f., 159,163 Fideikommißbesitzer 96-102,108,117f„ 121 f., 137,138 f., 146,149,153-156, 158 f., 161-163,165-167,169 f., 172 f., 175 f., 178,180-182,185,187 Fideikommißfamilie 81,96-103,149 f., 153,156,158 f., 169,171-173,177 f., 180, 182,240 —> auch: splendor familiae
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Fideikommißinteressenten 94,119,121, 149,160,176 Fideikommißkreise 92,94,105f., 112, 118 f., 121-125,127-134,136 f., 141 f., 154 Fideikommißstempel 83f., 95,107,148151,160,162,170 f. Findelhäuser 426,428 Fischer(ei) 68f., 131,192,340 Fischereiarbeiter 122 Fischhausen (Kreis) 139 f. Florenz 309 Flotte 349,393,462 Forstarbeiter 122 Forstbetriebe —» Betriebe, landwirtschaftliche Forsten, private 146,151 —» auch: Fideikommisse Forstfideikommisse 130,133,135,146,168 Forstgüter 112 Forstrente —» Rente Forstwirtschaft 7,81,84,95 - 97,103f., 106, 120,123,131,133 f., 146,158,192,240, 329f., 346 Fortschrittliche Volkspartei —» Heidelberg Frankfurt a.M. 31,33,37, 73,107,302,461, 464,470,473,477 f. - sozialpolitische Aussprache 367,369374,316 „Frankfurter Zeitung" 74 - 76,90,281f., 288f., 290,292,293f.,390,416f., 442, 459- 461 Frankreich 1,68,70,186 f., 200,203,218, 222,241 f., 244,247,254,338,347,365, 396,414,472,476 - Beamtenschaft 366 - Boulanger-Krise 222 - Kolonialbesitz 472 - Zweikindersystem 219 Franzburg (Kreis) 118,139,141 französische Kultur 184 Französische Revolution 215,228,236 französisches Recht —» Hypothekenrecht Frau, erwerbstätige 280-282,283-286, 290 Frauenarbeit 124 Freiburg i. Br. 26,204,357,393,417,434, 446 - Universität 211,407-409,412f. „Freiburger Bote" 435 Freies Deutsches Hochstift 33
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Sachregister
Freihandel 227,239,361 f., 368f., 371 Freiherrn 113,155 Freikonservative 305,439 Freisinniger Wahlrechtsausschuß 456 Freistadt (Kreis) 123,129 Fruchtwechsel 113,117,161,216 Fürsorge 423,425f., 430 Fürstenberger Fideikommiß 150 Galizien 126 G ä r t n e r e i 131,192 Geheim- und Kommerzienrätinnnen 183 f. Gehe-Stiftung zu D r e s d e n 317,318 Geistliche 87,223,231,308,413,465f., 468 Geldfideikommisse 84,103 f. Geldinteressen 270 Geldmacher 221 f., 269 f. G e l d m a r k t 316,319 Geldpolitik 320 Geldrente - » Rente Geldvergütung —» Lohn, Lohnverhältnisse Geldwirtschaft 6 7 , 7 0 - 7 2 , 2 2 8 , 2 3 3 Gemeindebetriebe 300f.,356-359,360 —» auch: Italien; Kommunalisierung „Gemeindelexikon für das Königreich P r e u ß e n " 93,107,122,125,140 Gemeindemerkantilismus 3 1 1 - 3 1 3 G e m e i n d e n —> K o m m u n e n Gemeinschaft, ländliche 200,204,207,209, 211,212 f., 217,224 f. Gemeinwirtschaft 155,163,169 —> auch: Betriebe, gemeinwirtschaftliche Generalindult 348f. Generalstreik 258 Genossenschaftswesen 146,218,223,357 genossenschaftliche Darlehenskassen 218, 223,355 Gerichtsfrühschoppen 78 Geschlechterdifferenzierung 291,298 f. Geschlechtseitelkeit, männliche 286,298 Gesellschaft, ländliche —» Gemeinschaft, ländliche Gesellschaftsvertrag 44 Gesetz des a b n e h m e n d e n Bodenertrags 214 Gesinde 68 f., 340 Gesinnungslosigkeit 1 8 3 - 1 8 5 , 1 9 6 , 256 G e t r e i d e - E x p o r t 11,215,234 f., 239,338 G e t r e i d e h ä n d l e r 179 G e t r e i d e - I m p o r t 186,227,235 —» auch: Zölle
G e t r e i d e p r o d u k t i o n 5 f., 111,113,117 f., 140,212,226 Getreideüberschüsse 186,234 Getreidezölle —» England; Zölle Gewerbe 245,257,284,319,455,458 - ländliches 215 —» auch: Bevölkerung, ländliche; N e b e n arbeit, gewerbliche; Nebenbetriebe, gewerbliche Gewerbefreiheit 261 Gewerbegerichte 4 9 , 5 6 , 5 9 Gewerkschaften 1 9 5 - 1 9 7 , 5 7 7 , 3 7 5 - als H o r t idealistischer Arbeit und Gesinnung 18,259,278 f. - christliche 277 - G e w e r k s c h a f t s b e a m t e 307 - Neutralität 197 —> auch: Arbeiterorganisationen Gewerkvereine 53,254,258 f. Gewohnheitsrecht 59,231 Girgenti 420 Glatz (Grafschaft) 343 Glatz (Kreis) 123 Glaubensbekenntnisse 196 f. „glückliche Mischung" —> Betriebe, landwirtschaftliche Gnesen (Kreis) 139 G o l d a p (Kreis) 140 „Goldenes B u c h " 187 Görlitz (Kreis) 123 G r a f e n 113,154 f. Greifswald (Kreis) 118 G r i m m e n (Kreis) 118 „grober U n f u g " 50 G r o ß b a u e r n —> B a u e r n Großbesitz(er) —> Großgrundbesitz(er) Großbetrieb, m o d e r n e r 313 Großbetriebe, industrielle 254,258 Großbetriebe, landwirtschaftliche 6-8, 10-13,110,113,116,119,124,129 f., 132 f., 136,138,149,154,160,167 f., 186, 211, 226-230,234-237 - A b n a h m e der Betriebsgröße 113,127, 132,134 f., 157,164 f., 237,242 - als Saisonbetrieb 121,239 - kapitalistische 105,114,157 - politische F ö r d e r u n g 109,111,113, 116f., 121,124 f., 138,142 f., 159,161, 167 f., 170,173 f., 186,529 - technische Überlegenheit 111,114,120, 166,218,235
Sachregister Großbritannien —> England Großgrundbesitz(er) 5-8,12f., 81,84- 86, 108,114,116-118,121,124,128,136138,140,143,146,151 f., 157,171,112174,186,226f., 269,328,333,336,343, 360 - Bedeutung für den Staat 10f., 82 f., 85 f., 109,113,166,172 f., 187 - Interessen 11,145,168,172,332,336, 355 - privilegierte Kreditfähigkeit 333 Großindustrie, Großindustrielle 25,31, 162,258,264,214,276 f., 297,353,362, 455 Großstaaten, demokratisch verwaltete 80 Großstädte Städte Großwartenberg (Kreis) 123,129 Grundbesitz(er) 7,10,68,81,84-86, 95-97,100,104,108,117-119,123, 131 f., 140,142,150,152,153,155 f., 159-161,169,173 f., 176 f., 212,216, 219f.,226-228,233,236-240,306,327, 329f., 334f., 337 f., 344 f., 347 f., 349f., 351,354 - bäuerlicher 108,126,128,134f.,54/,343 - größerer 110,340 - kleinerer 83,110,130,143,156,174,219, 332 - mittlerer 83,110,156,332 - soziale Hochschätzung 119,126,142, 153 f., 157,216 f., 219 f. - Streubesitz 13,160 f., 169 - Verschuldung 7,108,114f., 117,329,338 —» auch: Aristokratie; Boden[...]; Großgrundbesitz(er) ;Gutsbesitz(er); Kapital; Latifundien; Parzellisten, Parzellenbesitz; Proletariat Grundbesitzverteilung 5,9 f., 122,125, 127 f., 167,174,214,232,328,333,341 Grundbuch 330,338f., 342 Grundherr 12,117,164,166 f., 209,215, 219,227 f., 230-235,238,240 —»auch: Gutsherr Grundherrschaft 12,134,215,227 f. Grundrente —» Rente Grundschulden —> Schulden Grundsteuer —» Steuern Grundsteuerbonitierung 109,118 Grundsteuerreinertrag 91,93,97,106f., 112,118,120,127,128,132f., 138-141, 143 f., 158 f., 168 f.,345
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Guhrau (Kreis) 106,118,123,131-133, 141 Gunther —> Nibelungenlied Güter —» Bauerngüter; Forstgüter; Gutsbetriebe; Hofgüter, geschlossene; Lehngüter; Rentengüter; Rittergüter; Stammgüter Güterhandel 342 Güterschlächterei 116,166 Gutsarbeiterkasernen 140 —» auch: Wanderarbeiterkasernen Gutsbesitz(er) 119,126,137,142,160,179, 187,215,236,240,327,340,342-344, 347 - privilegierte Kreditfähigkeit 340 —> auch: Rittergutsbesitzer Gutsbetriebe 6,13,98-101,111 f., 118, 120,122-124,129,132-134,136-142, 154,157-160,166,174 f., 178,212,214, 220,229,231 f., 237 f., 240,330,334-337, 339-343,346-348,350 - Außenschläge 137,166,354 - Pertinenzen 122,145 - Vorwerke 131,161,542 Gutsbevölkerung —» Bevölkerung, ländliche Gutsbezirke 87,93,106,122 f., 128,133, 139-141,143,157,112,439 Gutsherr 7,12,55,142,143,178,215,229 f., 233,235 f., 240,341 f. —» auch: Grundherr Gutsherrschaft 11 f.,228 Gutsverwaltung 7,9,117 f., 164,167 Gutswirtschaft 11,338 Gymnasiallehrer 253 Haager Konferenzen 462 Habelschwerdt (Kreis) 123,124,129 Halle 101,304,464 Hamburg 25 -28,107,195,425 „Hamburger Nachrichten" 387 „Handbuch des Grundbesitzes" 107,118, 140 Handel 8,131,170,179,192,215,219, 232 f., 241,281,283,285,361,454f., 458 —> auch: Freihandel; Güterhandel Handelshochschulen 184 Handelspolitik 179,186,352,368,376 Handelsrecht 271,323 Handelsverträge 110,179,227,336 Handwerk(er) 25,31,48,68 f., 193,218, 231
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Sachregister
Hannover 107 Hannover (Provinz) - Fideikommißausdehnung 147,167f., 177 - Fideikommißrecht95f., 147,171 Hannover (Regierungsbezirk) 106,174 Harvard-Universität 201,208 Haushaltungsbudgets 26f., 3 3 , 6 2 f . , 65-68, 70 f., 284 Hausindustrie —> Heimarbeit Häusler 165 Haustöchter 284 f. Hawaii 323 Heer 51,77,78 f., 182,216,222,226,229, 236,393,462 Heidelberg 36,64,80,176,248,265,292, 293,301,303,359,406,408f., 410,478 - „Amerika"-Abend des Nationalsozialen Vereins 1905 381-384,385 - Bürgergesellschaft „Harmonie" 388, 399 - Erste Tagung des Verbandes für internationale Verständigung 1912 475f.. Allí. - Freie Bürgervereinigung 398-400,401 f. - Herrenmühle 312 - Schloß 312,414-418,4191,477 - Universität 1,25f.,28,63,73f., 76,78, 194,207,211,394,407-409,412f„ 417f., 419 f., 475,478 - Vortragsabend im Ortsverein der Nationalliberalen Partei 1908 386 -391, 392-397 - Wahlversammlung der Fortschrittlichen Volkspartei 1912 398-400,401 f. „Heidelberger Neueste Nachrichten" 400, 402 „Heidelberger Tageblatt" 381,384,385, 388,390f., 392,393f., 400,401,418 „Heidelberger Zeitung" 384,385,388f., 391,393f., 396,400,408 Heimarbeit 39,48 Heimatschutzbewegung 433 Heimstättenrecht 115 —» auch: Amerika Herrenkitzel 254 f. Herrenrecht —» Patriarchalismus Herrschaft —» cäsaristische Herrschaft; Grundherrschaft; Gutsherrschaft; Kapital; Pantoffelherrschaft; Parteiherrschaft; Preußen; Sozialdemokratie; Standesherrschaft
Hessen (Großherzogtum) 31, 76 Hessen (Provinz) 31 Heuerling 56,138 Hibernia (Bergwerksgesellschaft) 276, 364 Hildesheim (Regierungsbezirk) 177 Hirschberg (Kreis) 123,129 f. Hochschulen —» Handelshochschulen; Universitäten Hoffähigkeit zweiter Klasse 8,170 Hofgüter, geschlossene 108 Hofhistoriographen 199 höfische Kreise 79 Hoflieferantentitel, ländlicher 150 Hofmoden 269 Höhenmenschen 177 Hohenzollern-Hymne 302 Holland 76,203 Holstein - Holsteiner Grafenecke 137,141 - Ostholstein 142 Hungerbauern —> Bauern Hungerlöhne - » Lohn, Lohnverhältnisse Hüttenarbeiterbevölkerung —» Bevölkerung, ländliche Hüttenwerke 122,131,192,217,246 Hypotheken 11,97,100,124f.,327,329f., 338,346,347 f., 350 f., 355 Hypothekenbanken 333 f., 336 Hypothekenrecht - preußisches 339 - rheinisch-französisches 338 f. Idealtypus 76,184,194 Identitätsnachweis (bei Getreideexporten) 235 indische Dramen 42 Individualismus 13,17,52,138,142,187, 213,216,262,323 Industrie 8,16,18-20,109,131,134,170, 192,212,218,227,236,239 - 241,254, 262,214,281,283,285,454f., 458 - Chemische Industrie 260 - Eisenindustrie 260,371 - Konfektionsindustrie 48,284 f. - Metallindustrie 260 - Montanindustrie 260 - Privatindustrie 363 f. - Schwerindustrie 252 - Stahlindustrie 371 - Textilindustrie 133
Sachregister —» auch: Bergbau; Bergwerksunternehmungen; Betriebe, industrielle; Fabriken; Großbetriebe, industrielle; Großindustrie, Großindustrielle; Hüttenwerke; Kaligruben; Kapital; Schmarotzer-Industrie; Starostenindustrie; Unternehmen, Unternehmer Industriearbeiter(schaft) —> Arbeiter(schaft) Industriebezirke 111,123,127,134 f., 174 Industriekapitäne 241 Industrieländer 69 f., 72 Industrielle 86,183,261,361,454 —» auch: Fabrikanten; Unternehmen, Unternehmer industrielle Bevölkerung —» Bevölkerung, ländliche industrielle Mechanisierung 362 industrieller Export 185 Industriestaat 14f., 185 Industriestädte 174 Industriezentren 143,218 Innere Kolonisation 4,8,19,85f., 113,152, 167,331 f., 344,354f.,371,376 Institut für Gemeinwohl 37 Instland 54 Instleute 54 f., 57,142,IIS Interessenpolitik 16,389,394,396 Interessentenverbände 59,353,355 internationale Politik 462f., 472-474 —> auch: Sozialpolitik internationale Solidarität 187 Internationalismus 459,462 —> auch: Verband für internationale Verständigung Investiturstreit 394 Irland 212 Italien 70, 76,186,203,218,223,309 f., 338, 357 - Gemeindebetriebe 311,313 - kommunale Bäckereien 313,357 Jagd 131,192,236,340 „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich" 52,63f.,92,345 „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik" 92 Japan 203 Jena 279 Johns Hopkins-Universität 201 Judikatur —» Rechtsprechung
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Junggesellen 70,359 Junker 9f.,86,163,220,238 f., 352 Jurisprudenz —> Rechtswissenschaft Juristen 36,42,60,221,256,261,271,460 —»auch: Richter Juristentage 115,261 f., 265 Kadijustiz 48 Kaiserliches Statistisches Amt 90 Kaligruben 111 Kambodscha 68 Kampf ums Dasein 218 f. Kampf, ökonomischer 51,109,165,176, 197,220,239 Kanada 203 Kanaillen 252 f. Kapital 86,96,100-105,108,119,162,166, 216,218f.,237,266 f., 319,327,335,340, 346,349 - Anlage in Grund und Boden 107,109, 126,136,142 f., 145,154,160-162,187, 214,217,241 - bürgerliches 126,142,162,185 - Erdrosselung 311,313 - Herrschaft 224,371 - industrielles 136,160,170 - privates 366 —> auch: Betriebskapital; Börsenkapital, städtisches; Fideikommisse Kapitalarmut 132 Kapitalexport 186 Kapitalien —» Kapital Kapitalismus 4 6,8-14,20,81,87,107109,112,114,166,198,211,213,216 f., 219 f., 223-225,229,237-242,263,338 f., 349,366,447 - bürgerlicher 221,311 - industrieller 236 - städtischer 220,338 —» auch: Agrarkapitalismus; Betriebe, landwirtschaftliche; Großbetriebe, landwirtschaftliche kapitalistische Interessen 143,187,221 kapitalistische Kultur 212,217 kapitalistischer Geist 217 Karlsruhe 25f., 31,56,210,281,283,291 293,295f., 409,413,417,447f., 450 f. - Technische Hochschule 407-409,412f„ 415 „Karlsruher Zeitung" 406 Kartelle 18f., 248,260-265,266,269,270272,274 f., 364
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Sachregister
- Verstaatlichung 268,272 f. —» auch: Monopole; Syndikate; Trusts Kathedersozialisten 183,361,460 Katholizismus 223,309,405f., 440f., 447 katilinarische Energie des Glaubens 310 Kaufleute 69,86,184,231,240 Kaufvertrag 60 Kautschukparagraphen 50 Keilschriften 42 f. Kellner 54,55 Kinder, nichteheliche 421 f., 425-431 Kirche 151,405,410,412,440 - als konservative Kraft 222 —» auch: Parteien Kirche, evangelische 223,227f., 446,466, 468 f. - altpreußische Union 227,465 - Apostolikumsstreit 196 - Kirchenregiment 465,468 - Kirchenverwaltungen 308 - Orthodoxie 196,227,443 - Spruchkollegium 465-467,468f. —» auch: Calvinismus; Protestantismus Kirche,katholische 3,17,53,222f.,253, 309,405,407,410,413 - Orthodoxie 443 —» auch: Katholizismus; Klerikalismus; Klerus Kirchenstaat 309 Klassen 5,7,47,72,126,190,344 - arbeitende 369 - aristokratische 237,240 - besitzlose 53,226,309,360 - herrschende 215,232 - ländlicher Grundbesitzer 226 f. - moderne bürgerliche 182 - „obere" 158 - untere 304,361 —• auch: Arbeiterklasse; Bildungspatente, klassenbildende Klassenbewußtsein 196 Klasseninteressen 11,47,197,355 Klassenkampf 49 klassenlose Ideologen 193 Klassenpartei 224 —»auch: Sozialdemokratie Klassenpolitik 311 Klassenzugehörigkeit 33,69,71,344 Klein(st)bauern —* Bauern Klein(st)betriebe —> Betriebe, landwirtschaftliche Kleinbürger —> Bürgerliche, Bürgertum
Kleinpächter —> Pächter Kleinrentner —> Rentier, Rentner Klerikalismus 63,223,407,444 Klerus 223,410 Klosterzell 255 Klutenpetter 9 f., 161 Knechte 122,223,235 Koalitionsrecht 18,46,47,51,246f.,255, 257 Koblenz 424,460f., 471,476 Koblenz (Regierungsbezirk) 174 Kohlenbergbau —» Bergbau Köl(l)mer 334,337 Köln 197,255,466 Köln (Regierungsbezirk) 174 „Kölnische Zeitung" 442 Kolonatsverhältnis 57 Kommunalisierung 18f., 356,358,365 —» auch: Gemeindebetriebe; Italien Kommunen 12, 47,49,151,172,226,258, 300f., 305,312 f., 315,336,338,348,399f., 401 f., 408 - Krippe 307 - Wahlrecht 20,302,304-306,398f. —* auch: Dörfer, Dorfgemeinden; Landgemeinden; Sozialdemokratie; Sozialpolitik; Städte Konfektionsarbeiterinnen —> Frau, erwerbstätige Konfektionsindustrie —» Industrie konfessionelle Interessen 451 Konfessionen 405,410 f., 413,439,443445 —» auch: Katholizismus; Protestantismus Konfessionsschulen 439,443 f. Kongo 472 Kongregation —> Orden, religiöse Kongreß deutscher Volkswirte 361 Königsberg (Landkreis) 139 Königsberg (Regierungsbezirk) 106,140, 331 Konjunktur 115,167,238,241,261 konservative Lebensführung 223 Konservative Partei 83f., 173,181,249, 278,304,305,386f., 439,453,458 konservative Phrase 187 Konsol 182 „Konstanzer Zeitung" 435 Konsumenten l l l , 2 6 i Konsumenteninteresse 369,376 f. Konsumentenpolitik 371 f . Konsumentwicklung 33,70 f.
Sachregister —> auch: Nahrung, Nahrungsmittelkonsum Konsumtibilien 54 Konsumvereine 223,307 Kontinentalsperre 347 Kontrakt —»Arbeitsvertrag Korpsstudentenwesen 183 —» auch: Verbindungen, studentische Kosel (Kreis) 123,129 Köslin (Regierungsbezirk) 175 Kost —» Nahrung, Nahrungsmittelkonsum Kredit —» Agrarkredit Kreditinstitute —»Agrarkreditinstitute Kreditpolitik - * Agrarkreditpolitik „Kreuzzeitung" —> „Neue Preußische Zeitung" Krieg 51,77,98,252,267,348 f., 463,470, 472 —» auch: Amerika; Burenkrieg; Pfälzischer Erbfolgekrieg Kriegervereine 308 Kriegskontribution 341 Kriegsrecht 462 Kultur 4,8 f., 109,136,164,220,223f., 232, 234,241 -243,251,260,459,473 —* auch: deutsche Kultur; Deutsches Reich; französische Kultur; kapitalistische Kultur; nationale Kultur Kulturgeschichte 106,179,193 Kulturgüter, ideale 195,382 Kulturinteressen 160 Kulturkampf 439 Kulturländer 179,213,216 f., 219,221 f., 224 f. Kulturmenschheit 473 Kulturnationen 211,243,462 f. Kulturstaat 15 Kulturwelt 462 Kunst 200,202f., 416,419 f.,435,437,441f., 455f., 458,464,472 Kurie 407 Landarbeiter(schaft) 7,57,68 f., 87,99, 109,111-113,122,137 f., 140,142-145, 165,168,172,176f., 186,218,228,239 t , 342,346 - Ansiedlung und Seßhaftmachung 99, 137 f., 145,152,165,331 - proletarisierte 109 - Verdrängung durch polnische 85,133, 176 —» auch: Fischereiarbeiter; Forstarbeiter; Sachsengänger; Saisonarbeiter; Slaven;
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Wanderarbeiter; Wanderungsbewegungen Landbesitz(er) —» Grundbesitz(er) Landbevölkerung —» Bevölkerung, ländliche Landesherr 12,215,229 - * auch: Fideikommisse Landeshut (Kreis) 134 Landeskreditkassen 338 Landeskulturrentenbanken 98 Landgemeinden 93,112,122 f., 141,152, 285,439 Landräte 307 Landschaften, preußische 10f., 86,269, 327-330,333-340,343 f., 349-351 - Agrar- und Kreditpolitik 4,11,327,332, 333,341,354f. - als Korporation von Schuldnern 334, 353-355 - Generalgarantie 327,334,341,347 f. - Kur- und Neumärkisches Ritterschaftliches Kreditinstitut 334 - Landschaftsreglements 328,331,335, 343 - Landschaftstaxen 327,330,335-337, 340-342,345 f. - Neue Westpreußische Landschaft 335 - Neues Brandenburgisches Kreditinstitut 335 - Ostpreußische Landschaft 328,334f., 337,341,344,347 - Ansiedlungsbank der Ostpreußischen Landschaft 331 f., 354 - Entschuldungsplan 329-331, 344-352 - Pommersche Landschaft 334,341 - Pommerscher Land-Kreditverband 335 - Schlesische Landschaft 334,341f. - Westpreußische Landschaft 334 Landwirte 119,144,160,163,212,214,217, 219,229,237-239,338 Landwirtschaft 4, 7,9,12,81,83f., 95-97, 103 f., 106-108,110,113,115,117,120, 121,123 -126,131,133-136,143,145 f., 151 f., 156,158,163 f., 168 f., 172,186, 192,214,216 -220,229,231 -235,237 f., 240f., 274,284,319 f., 328-330,333,336, 347,352,355 —» auch: Amerika; Betriebe, landwirtschaftliche; England; Großbetriebe, landwirtschaftliche Landwirtschaftskammern 145,329
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Sachregister
Landwirtschaftsminister 270 Latifundien 82,85,131,134 f., 147,153, 155 f. Lauban (Kreis) 123 Laufenburger Stromschnellen 433 - 436, 437 Lebensführung —» aristokratische Lebensführung; bürgerliche, großbürgerliche Lebensführung; Fideikommisse; konservative Lebensführung; standesgemäße Lebensführung Lebensmittel Nahrung, Nahrungsmittelkonsum Lehngüter 98,107 Leibeigenschaft 215 Leipzig 15,31 f., 37,368-370,372-374, 377,421 f . Leobschütz (Kreis) 123 lex contractus 60 „lex Heinze" 50 Liberale Parteien 83,308,369,453f., 456 - Linksliberale 305,352,387,406,453 auch: Deutsche Fortschrittspartei; Heidelberg; Nationalliberale Partei Liberalismus 18,366 - Niedergang des bürgerlichen 224 - Laisser-faire-Liberalismus3f., 15-17 —* auch: Protestantismus Liegnitz (Regierungsbezirk) 129,140 f., 174 „Literarisches Zentralblatt" 467 Lohn, Lohnverhältnisse 7,50,52,55,59, 69,111,126,127,144,198,239,246, 249f., 255f., 284 f., 313,340,364 - Minimallohn 49 - Geldvergütung 53 f., 56,57,67-69 - Hungerlöhne 48 - Landnutzung als Arbeitslohn 56,57 - Naturalvergütung 53 f., 57,60 —» auch: Arbeitsverhältnisse; Entgelt; Geldwirtschaft; Naturalwirtschaft; Trinkgelder Lohnarbeiterinnen —» Frau, erwerbstätige Louisiana Purchase 200,242f. Löwenberg (Kreis) 123 Lüben (Kreis) 123 Lublinitz (Kreis) 123,129 Lutheranismus 223 Luxemburg 393 Luxus 237
Machtinteressen, politische 310 Machtstaat 15 Mägde 122 Magdeburg 301 f., 306,356 Magdeburg (Regierungsbezirk) 143,174 Mainz 32 Manchester 187,362 Manchestertum 16,52,187,362 mancipium 42 Mandarinen-Hochmut 183 Mandarinenschematismus 268 Mannheim 244,247f., 262,283,310,364, 399 Marburg 440,464,467 Marine —» Flotte Markt 6,13, 106,108,112,115,135,143, 164,185,218,225,228,234 f., 239,241, 260f., 264 —» auch: Arbeitsmarkt; Geldmarkt; Weltmarkt Marktproduktion 70,114,214 f., 217 Marokkokrise 1911 470,472 Marxismus 62,198,264 Maschine 16,361 - 3 6 3 , 3 6 6 —» auch: Sozialdemokratie Maschinenwerkstätten 111,217 Massenstreik 198,258 Materialismus, historischer 264,278 matter-of-fact-men 273,279 Maturität 184 Mecklenburg (Großherzogtum) 142,165, 173 Mehrwert 138 Meliorationen, Verbesserungen 96,99, 101,158 f.,345 f. —» auch: Fideikommisse Menschenmaschine - » Maschine Merkantilismus 229 —» auch: Gemeindemerkantilismus merkantilistische Politik 311-313 Merseburg (Regierungsbezirk) 174 Metallindustrie —» Industrie Mexiko 203,213 Miete (von Arbeit) 42 f. Mietsklaverei 43 Milieu, ökonomisches 234 Milieu, soziales 31,42 Militär 20,425,428 Militärgewalt 310 Militärmonarchie 240 Militärstaaten 222,362
Sachregister Militsch (Kreis) 106,112,118,123,129133,137,141 Minden (Regierungsbezirk) 154,174 Mississippi 200,212,243 Missouri 208 „Mitteilungen des Bundes Heimatschutz" 435f. Mittelalter 228,232-235,237,241,338 - Romantik des 311 „mittlere Linie" 180 Monarchen 74,389, 392 - 397 Monarchie 77,80,148,165,222,278,309 f., 362 —» auch: Militärmonarchie; parlamentarische Monarchie monarchisches Prinzip 321 Monopole 237,241,260f., 376 Montanindustrie —»Industrie Moskau 314 „Moskovskija Vedomosti" 186 München 2,32,300,369,377,408,470 Mündelsicherheit 331,346,349,351 f. Münster (Regierungsbezirk) 174 Münsterberg (Kreis) 123 Mütter, ledige 421 f., 423,425-431 „Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik" 423 f. mutuus dissensus 73,76 Nachtwächterregierung 366 Nahrung, Nahrungsmittelkonsum 56,62f., 65-72,132 - lokal und sozial bedingte Konsum- und Kosttypen 3 3 , 6 8 - 7 1 Nation, Nationen 206,222,243,254,314, 366,463 —> auch: deutsche Nation; deutsche nationale Interessen; Kulturnationen nationale Charakterbildung 177 nationale Kultur 462 nationale Pflicht 450 nationale Politik 187 Nationalismus 462 Nationalliberale Partei 77,250,253,261, 305,387,396,398f., 405-407,439 —> auch: Heidelberg Nationalökonomie l f . , 6,34f., 37,48,52, f., 361,434f. 62 f., 65,108,119,261,271 - „romantische" Schule 114 Nationalsozialer Verein —» Heidelberg Nationalstaat 309,462 f. Nationalvermögen 83
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Nationalwohlstand 422 Naturalvergütung —> Lohn, Lohnverhältnisse Naturalwirtschaft 67,69,72,110,219 Naturschutz 4,433 Nebenarbeit, gewerbliche 112,126,128 Nebenbetriebe, gewerbliche 340 Neckar 312 Neisse (Kreis) 123 „Neue Badische Landeszeitung" 290,292, 390 „Neue Preußische Zeitung" 101,183 New York 207,319,382 Niagara-Fälle 207 Nibelungenlied 364 Niederlande 76,203 Nimptsch (Kreis) 134 „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" 77 f. Norddeutscher Bund 76,393 Norddeutscher Lloyd 40 Notenbanken 316,318-320 Obereigentum 215 Oberrheinebene 143 Oberursel am Taunus 473,477 Oberverwaltungsgerichte 50 Oderebene 134,143 Odertal 159 Odessa 314 Oels/Öls (Kreis) 118,123,129,141 Oerlinghausen 312 Offiziere 117f., 172,175,181,226 —»auch: Reserveoffizier Ökonomik 273 Ökonomie —»Kampf; Rückständigkeit; Wirtschaft Oldenburg (Kreis) 141 Oppeln (Regierungsbezirk) 122,129f., 141,144,162,174 Orden, religiöse 53,98,405,409,410f. Ordnungs-Menschen 17f., 20,363 Osnabrück (Regierungsbezirk) 174 Österreich 76,178,205 - Fideikommißrecht 146 f., 153 - Landsmannminister 270 - Nationalitäten 270 - Reichsrat 146,153 Ostkolonisation, mittelalterliche 13,230 f., 233 Ostpreußen (Provinz) 31,82,144,157,167, 331,334,335,338,355,465 —» auch: Landschaften, preußische
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Sachregister
Ostpreußische Generalgenossenschaftskasse 355 Ostpreußische Landgesellschaft 355 otium cum dignitate 109,162 Pacht, Pachtverhältnisse 7,9,42,55 - 57, 67,100,117,129,133,137,159,161, 164 f., 176,219,340,342 —» auch: England; Erbpacht; Parzellenpacht Pachtbetriebe, bäuerliche 133,138,141 f., 166 f., 340 Pächter 55,118,159,161,165 f., 173,238 - Kleinpächter 56,137f., 143,161 - Zeitpächter 108 „Pädagogische Zeitung" 442 Paestum 420 Pantoffelherrschaft 286 Papst 233,309 f., 364 Paris 63,200 parlamentarische Monarchie 4,20 Parlamentarismus 3,20,78 - 80,176,268 f., 389,392,393,395-397 Parlamente 79 f., 135,193,389,392-395 —» auch: Amerika; England Parlamentspatronage 176,268 f. Parteibanausentum 259 Parteibosse 279 Parteien 49,79,193 f., 196,199,223,249, 252,258,261,302,304,307,377,389,392, 394f.,399f., 401 f., 451,463,472,474 - agrarische 277 - bürgerliche 78,195,369 - demokratische 194, 309 - für oder von Parteien leben 194 - kirchliche 451 - sozialreformerische 277 —» auch: Amerika; Deutsche Fortschrittspartei; Freikonservative; Heidelberg; Klassenpartei; Konservative Partei; Liberale Parteien; Nationalliberale Partei; Sozialdemokratie; Stellenjägerparteien; Zentrumspartei Parteiherrschaft 8,173,269 —» auch: Sozialdemokratie Parteipfründnertum 194,196, 277-279 Parthenon 420 Partikularismus, religiöser 444 Parvenüfideikommisse 8,87,175,183,240 Parvenüinteressen 168 Parvenüs 184,188,222 Parvenüs de la gloire 254
Parzellenpacht 7,56,137,139f., 144,161, 166 Parzellisten, Parzellenbesitz 109 f., 122, 126-128,131-134,144,161,231 Parzellistenbevölkerung —» Bevölkerung, ländliche pater familias 255 Patriarchalismus 17,48,85,175,230,284, 371 —» auch: Arbeitsverhältnisse; Slaven; Staatspatriarchalismus Patrimonialgerichtsbarkeit 231 Patrimonialisierung der öffentlichen Gewalten 230 Patronage 284 —> auch: Parlamentspatronage Pazifismus 459 „persönliches Regiment" 20, 80,386 Pertinenzen —» Gutsbetriebe Pfälzischer Erbfolgekrieg 414 Pfandbriefe 327,334,337,341,343,346349,351 f. Pfandbriefkredit —» Agrarkredit Pfandrecht —» Hypothekenrecht Pfründen 269 —» auch: Parteipfründnertum Philippinen 323 Plebiszit 175 Pleß (Kreis) 123,129,134 f. Plön (Kreis) 141 Pluralwahlrecht 20,305 f. Polen 85,110,124,130,133,142,144,174, 176,257,241 - polnische Teilungen 237 - Russisch-Polen 126,115,186,187,236 f. —» auch: Landarbeiter(schaft) Politik - auf christlicher Grundlage 447 - reaktionäre 277 f. - repressive 337 —» auch: Agrarkreditpolitik; Agrarpolitik; Außenpolitik; Bauernpolitik; Bevölkerungspolitik; Bierbankpolitik; Diskontpolitik; Geldpolitik; Handelspolitik; internationale Politik; Interessenpolitik; Klassenpolitik; Konsumentenpolitik; merkantilistische Politik; nationale Politik; Prestigepolitik; Realpolitik; Sozialpolitik; Weltpolitik; Wirtschaftspolitik; Zollpolitik Polizei 12,16 f., 196,255,259,371 —» auch: Rußland
Sachregister „Polonisierung" 176 Pommern (Provinz) 82,113,118,144,157, 340,342,465 - Neuvorpommern 142 —» auch: Landschaften, preußische populationistisches Interesse 5,9,110,168 Posen (Provinz) 31,82,105,126,133,176, 465 Potsdam 457 Potsdam (Regierungsbezirk) 106 Presse 77,78,183,193,197,250,261,372, 376 f., 399,407,409,431,434f., 441,455, 473 —»auch: Sozialdemokratie Prestigeinteressen 10,310 Prestigepolitik 393,396 Preußen 4-6,8f., 13f., 76,99,104f., 109, 118,123,125,136,142,144f., 146,148 f., 151 f., 156,160,167-170,172 f. ,175, 177-180,183,220,226,228f., 236 f., 250f., 253,259,272,278,305,309,327 f., 333,343,347 f., 349,396,444,458,465, 468 - Abgeordnetenhaus 83,147,226,250, 268,278,305,439f., 442,445,453,455f., 458 - Agrarkonferenz 1894 329 - agrarkonservative Herrschaft 8,173, 458 - Agrarreformen zu Beginn des W.Jahrhunderts 215 f., 236,337,341 f. - Allgemeines Landrecht 8,82,95 - 9 9 , 154,151,339 - alte Offiziersfamilien 175 - altpreußische „historische" Geschlechter 175 - altpreußische Traditionen 9f., 183f. - autoritäres System 253,275 - Beamtentum 183-185,226,272,276, 297,301 f., 305 - Berggesetznovelle 1905 250f.,278 - Dreiklassenwahlrecht 20,226,305 f., 453 - 457,458 - Finanzministerium 95,149,268 - friderizianisches Zeitalter 444 - Generalkommissionen 169 - Handelsministerium 179,273 - Herrenhaus 83,86,170,172,179,226, 250,268,304,458 - Innenministerium 268 - Justizministerium 84 - Kultusministerium 206,439
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- Landtag 10,83,89f., 144,148,153,169, 185,250,453,455,458 - Landwirtschaftsministerium 144,172, 185,328,331,394 - Miquelsche Steuerreform 347 f. - oktroyierte Verfassung von 1848 104, 338 - östliche Provinzen 6,31,81 f., 85,105, 146,186,332,458 - Regierung/Staatsministerium 83f., 90, 117,143,249 f., 273,276,305,329,332, 335,337,341,343,395,397,439f. 453f., 456 - Rentengutsgesetzgebung von 1890/91 99,136,144,169 - staatlicher Bergwerksbesitz 275 f., 364 - staatlicher Eisenbahnbesitz 348,360 - Städteordnungen 302 - Statistisches Bureau/Landesamt 66,90, 122,125,305 - Verfassung von 1850 104,555,456 - Verfassungskonflikt 79 - Verwaltung 151,183 - Volksschulwesen \12,439442,443445 - westliche Provinzen 31,146,160 —» auch: Deutsches Reich; Fideikommisse; Hypothekenrecht; Landschaften, preußische Preußische Central-Bodencredit-ActienGesellschaft 346 „Preußische Jahrbücher" 441 Preußische Statistik —> Statistik, amtliche Preußisch-Stargard (Kreis) 139 Prinzipal 54,56 Privatbetriebe 267,357,362,375 Privatdetektiv 46 private Interessen 218,353-355 Privateigentum 114 Privatindustrie —> Industrie Privatkredit —> Agrarkredit Privatrecht 34,37,40-42,48,60f., 97,150 Privatwirtschaft 67,94,133,150,154,157, 165,276,355,376 Privatwirtschaftsbetriebe - » Privatbetriebe Produktion, industrielle 47,198,260f., 361 Produktion, landwirtschaftliche 4,9,12, 14,214,217 f., 232 f. - Produktionsbedingungen 138,214,219, 232,241 - Produktionsgemeinschaft 216,236 f.
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Sachregister
- Produktionsinteresse 5 f., 9,110f., 113, 117 f., 217,234 - Produktionskosten 112 - Produktionsmittel 165,214,218 —> auch: Getreideproduktion; Marktproduktion Produktionsanarchie 260 Produktivität der Arbeit 112,140 Proletariat 197 f. - grundbesitzendes 7,144 Proletarier 173,212,224,239 —» auch: Arbeitsverhältnisse; Arbeitsvertrag Proletarisierung 285 —> auch: Landarbeiter(schaft) Protektionismus 14,110,162,185,227 —>auch: Zollschutz Protestantismus 196,439,441,446,467, 468 f. - Liberale 196,227,465f. Puerto Rico 323 Puritanismus 221 Pyritz (Kreis) 139 Quirinal 309 Raiffeisenorganisation 355 Rassenhygiene 422,426 Ratibor (Kreis) 123,129 Rationalisierung 362 Realpolitik 185,193,197,392 f., 473 Recht 37 f., 44,46,52,55 f., 58 f., 76 —» auch: Amerika; antikes Recht; Arbeiterrecht; Arbeitsvertragsrecht; babylonisches Recht; Beamtenrecht; Bodenrecht; bürgerliches Recht; Fideikommisse; Gewohnheitsrecht; Handelsrecht; Heimstättenrecht; Hypothekenrecht; Koalitionsrecht; Kriegsrecht; Privatrecht; rheinisches Recht; römisches Recht; Strafrecht; Völkerrecht; Zivilprozeßrecht; Zivilrecht Rechtsbewußtsein, modernes 94,164,250, 429 Rechtsformalismus 40 f., 48-50,52,271 Rechtsgeschäfte, sittenwidrige 46 f . Rechtsidee, universelle 324 Rechtsnormen 41 - 4 3 , 5 0 , 94,146,271,429 Rechtspflege 41,47-49,60 Rechtsprechung 12, 38,41,45,46,49 f., 246 —» auch: Analogie, juristische; Kadijustiz
Rechtswissenschaft 34 f., 38,40 f., 54 f., 60 f., 185,270f.,32/,323 Redakteure 194,307 Referendare 172,268,271 Regierungspräsident 268,307 Reichenbach (Kreis) 123,129 f., 133 f. Reichsamt des Innern 208,260f.,263,274 Reichsbank 267,316, 320 Reichsdeputationshauptschluß 411 Reichsfeinde 307 Reichsgericht 49 f., 261 Reichsgewerbeordnung 38,39,51,52,58 f., 246f., 255-257,261 Reichskanzler 266f., 394,396,453 —» auch: Reichsverfassung Reichsleitung 51,77,252,261,267,274 Reichsmarineamt 349 Reichsstatistik (Statistik des Deutschen Reiches) —» Statistik, amtliche Reichstag, deutscher 50f., 73,76f., 79,110, 179,250f., 261,268,277 f., 306,310,352, 386 -389,393,394,396,458 - Wahlrecht zum 73,226 f. Reichstagswahlen 189,192,252 f. Reichsverfassung3f., 19f., 73-75,76f., 322,323 f . , 3 8 6 f . , 3 9 0 f . , 392,396 - Verantwortlichkeit des Reichskanzlers 387-389 Reinertrag —> Grundsteuerreinertrag „Religion in Geschichte und Gegenwart" 448 Rente 13f., 98,107f., 120,126,136,158f., 161,163-166,185,218,220,228,229, 233 f.,237 f.,241,339 - Forstrente 136 - Geldrente 99,340 - Grundrente 107,109 f., 120,137,220, 313 - standesgemäße 153,165 Rentenbanken 338 Rentengüter 99,136-138,144,166 —»auch: Preußen Rentenschulden —» Schulden Rentier, Rentner 14,109,162,185,217, 236,349,352 - Kleinrentner 352 Rentnergesinnung 86 Reserveoffizier 179,183 f., 226 Revolution - proletarische 195 - technische 214
Sachregister - „von oben" 78 - von 1848 215,228,335,338 —» auch: England; Frankreich; Rußland; Sozialdemokratie Rhein 143,433,436,451 rheinisches Recht 82 —> auch: Hypothekenrecht Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat 250,260,263,276 f., 364 Rheinland (Provinz) 31,107,161,174,249, 465 Richter /2,49f. Riesenbetriebe, private 244f., 247f., 249, 255,265 Ritter 216,229,231,233 Rittergüter 86,104,126,131,142,157,159, 165,170,178,232,240,335,342 f. Rittergutsbesitzer 113,228,237,335 Rocky Mountains 243 Rom 309 römisches Recht 34,39,41,82,256,271, 338 Rosenberg/Oberschlesien (Kreis) 123,129 Roter Adlerorden 309 „Rotes Haus" 309 Rothenburg/Oberschlesien (Kreis) 123 Rübenbaron 9,166 „Rückenbesitzer" 9,118,159,161,163, 167,169,177,182 Rückständigkeit 225 - ökonomische 117 Ruhrgebiet 275f. —> auch: Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1905 rural community —> Gemeinschaft, ländliche „Russkija Vedomosti" 390 Rußland 3,186 f., 189,212,237,310,314, 390,395 - Polizeiwillkür 186 - Regierung 186,236,267,314 - Revolution von 1905 314,395 - Staatspolizei 314 —> auch: Polen Rüstungswettlauf 462 Ruthenen 85 Rybnik (Kreis) 135 Saarbrücken 249,252f. Saargebiet 160,162,183,252 f., 275 f., 364 Sachsen (Königreich) 82,118,126,173, 178,397
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- Institut der Familienkasse 101 Sachsen (Provinz) 70,91,105,126,143, 157,465 Sachsengänger 126,142,186 Sagan (Kreis) 123,129 f. Saisonarbeiter 7,85,111 f., 124,126,127, 133-135,138,142,175,212 Saisonbetrieb —> Großbetriebe, landwirtschaftliche Satisfaktionsfähigkeit 183 f. Säuglingssterblichkeit 285,425,428 Scharwerker 142 Schattenkönige 392,396 Scheinkonstitutionalismus 20,268,395 Schiedsgerichte 249 Schiedsgerichtsbarkeit, internationale 462,463 Schlesien (Provinz) 8,31,91,105,109,118, 121-123,126,127 f., 130,133-136,140f., 144,146 f., 153 f., 157,159f., 162,167, 171,174,340,342f., 465 - Mittelschlesien 124 - Niederschlesien 124 - Oberschlesien 123 f., 134,151 f., 275, 342 —» auch: Landschaften, preußische Schleswig (Regierungsbezirk) 106 Schleswig-Holstein —> Holstein Schlotbarone 154 Schmalkalden (Kreis) 123 Schmarotzer-Industrien 48 „Schmollers Jahrbuch" —> „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich" Schnapsbrenner 9,162 Schöneberg 302,304 Schulden - Besitzschulden 7,117-120 - Betriebsschulden 7,119 - Grundschulden;;,97,100,330,334, 338,346 - Rentenschulden 97,100,345 —» auch: Agrarkredit; Fideikommisse; Grundbesitz(er); Hypotheken; Landschaften, preußische; Verschuldungsgrenze Schutzmannsjargon 254 Schutzzoll —> Protektionismus; Zollschutz Schweden 65,203 Schweiz 203,393,433,435f., 437 Schwerindustrie —»Industrie Seelsorge 405,410,413
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Sachregister
seigneuriale Prätensionen 179 —» auch: Existenzen; feudale Prätensionen Sekten 17 Selbstwirtschaft —» Eigenwirtschaft; Fideikommisse Sequestration —> Zwangsverwaltung sic volo sie jubeo 148 Siegfried —» Nibelungenlied Simultanschule 440f., 444 Sizilien 212,311 Sklaven 42 f. —» auch: Amerika Slaven - bäuerliche Bevölkerung 230 - patriarchale Sozialverfassung 230 f. - Verdrängung der deutschen Bevölkerung 4,240 f. Sozialdemokratie 18f., 62,78,120,181, 189-191,192-199,259,277-279,305307,352,369-371,387,398,406 - als bürokratische Maschine 307 f. - Herrschaft in den Kommunen 304, 306-313,315 - Klassencharakter 189,194 - „Mauserung" der Partei 199 - Parteibeamte und -angestellte 194,307 - Parteitage 193,195,279,310 - Presse/Zeitungen 194,199,252,277 - Radikalismus 78,277 - Revisionismus 195,198,371 - Rolle der Akademiker 195 - soziale Zusammensetzung der Wählerschaft 189-191,192-194 - „Sozialpsychologie" 199 - Taktik 189,193 f., 196,198 - und Gewerkschaften 196f.,259,278f. - und Revolution 78,308,310 „Soziale Praxis" 37 Sozialgeschichte, deutsche 227,275 Sozialhygiene 62,422 Sozialpolitik 1 -6,8,14-19,21,40,48,63, 81,92,102,110,113,145,150,164-166, 168,177,209,242,244,247,251,258,271, 275-278,280,301,363-365,367-369, 371-373,375-377,446 - internationale 186 f. - kommunale 300f.,358 - staatliche 278,361,367f. „Sozialpolitisches Centraiblatt" 37 Sozialverfassung,ländliche 7-9,85,146, 170,211,212,225-227,231,237,241 —» auch: Agrarverfassung; Slaven
Spannungskredit —> Kredit Sparkassen 335 f. splendor familiae 81,154,162 Sprottau (Kreis) 123,129 f. Spruchkollegium —» Kirche, evangelische St. Johann-Saarbrücken, Handwerkerverein 252 St. Louis 319 - Gelehrtenkongreß auf der Weltausstellung 1904 4,13,88,200-210,243,381f. „St. Louis Republic" 207 St. Petersburg 73 Staat 3,5,8-11,14-17,20f., 52,81,84f., 182,187,235 f., 238,248,253,255,257, 260,262-265,266 f., 269,272-279,286, 289,298,305,307,309 f., 313,320,336, 338,355,362,367,393,413,429,453 —> auch: Agrarstaat; Deutsches Reich; Einheitsstaat; Großstaaten, demokratisch verwaltete; Industriestaat; Kirchenstaat; Kulturstaat; Machtstaat; Militärstaaten; Nationalstaat; Preußen; Territorialstaat; Vasallenstaat „Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen" 63,65 „Staats- und Völkerrechtliche Abhandlungen" 323 Staatsämter 354 Staatsanleihen 338 Staatsauffassung 321,323 Staatsbetriebe 268,358,360,375 „Staatserhaltung" 78,113,184,187 Staatsgewalt 12f., 74,230,362,375f. „Staatskrippe" 103 Staatsmänner, große 78 f., 169,175,268, 273 Staatspatriarchalismus 3 f., 15 f., Staatssozialismus 3f., 15,19,320,358,369, 371,377 —> auch: Sozialpolitik Staatswirtschaft 276 „Staatswissenschaftliche Studien" 92 Stade (Regierungsbezirk) 91,106 Städte 10-12,19, 76f.,83,86,93,105,111, 142 f., 170,178,182,184,212,215 f., 218220,223,225,229 f., 232,234,284 f., 302, 304,305 f., 308,313,316,338,426,428, 431,439 - Großstädte 31 f., 143,175,189,304 - Verwaltung 300-303,304,306,307,311, 313,315,356 —> auch: Industriestädte
Sachregister Stahlindustrie —»Industrie Stahlwerksverband Düsseldorf 263,353 Stammgüter 150,156,161 Stände 11,20,181,183,327,334,337,341 standesgemäße Lebensführung 158 —»auch: Einkommen; Rente Standesherren 154 Standesherrschaft 135 Starostenindustrie 134 Statistik, amtliche 3,82,87,90f., 93 f., 105, 106 f., 115 f., 118,122-127,129,132,143, 149,152,176,192,305 - Berufszählungen 90,123-126,130f., 134,142,189,192 - Wahlstatistik 189,305 —> auch: „Gemeindelexikon"; „Handbuch des Grundbesitzes"; „Zeitschrift des Preußischen Statistischen Bureaus" „Statistisches Jahrbuch" 125 Stellenjägerparteien 196 Stettin (Regierungsbezirk) 106,175 Steuern 149f„ 215,226,229 f., 233,312f„ 360,398f. - Einkommensteuer 305,348 - Erbschaftssteuer 149,458 - Grundsteuer 346,348 - Verbrauchssteuern 458 - Verkehrssteuer 151 —»auch: Baden; Bodenbesitzbesteuerung; Fideikommißstempel; Preußen Steuerprivilegien 86,216,229,236,335 Strafgesetzbuch 50,180 f. Strafrecht 50,246f.,255,256t,262 Straßburg 183,333,446-449,450-452 „Straßburger Post" 435 Strehlen (Kreis) 134 Streik 46 f., 50 f., 244,246,255,256-258, 314 - bürokratische Streikorganisation 314 —> auch: Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1905; Massenstreik Stuttgart 451 Subhastation —> Zwangsversteigerung „Süddeutsche Reichskonferenz" 406 Sweatingsystem 48 synallagmatische Verträge 44 Syndikate 18 f., 223,263,265,275-279, 353,375 —> auch: Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat „System Stumm" 252 f.
531
Tagelöhner 57,122,144,212,226 Talmud 44 „Tanz um das goldene Kalb" 178 Tarifverträge 18,46,53,58-60,249,250, 258 Tarnowitz (Kreis) 123,129,134 f. Technik 113,164,184,200,213f., 217, 231 f., 237,254,261,264,273,313,361 f., 414416,419,437,456,458,462,464, 472 - * auch: Großbetriebe, landwirtschaftliche Territorialherren 231 Territorialstaat 229 „teures Schwein" 394 Texas 68,214 Textilindustrie —> Industrie Thomas-Hochöfen 111 Tierzucht —» Viehwirtschaft Tilsit 341 Togo 472 Tost-Gleiwitz (Kreis) 123,129 Tote Hand 151,410 Tratten 318 Trebnitz (Kreis) 123 Trier (Regierungsbezirk) 162 f., 174 Trinkgelder 53-56 Trusts 241,262f., 270 Tunis 186 Tuszien 394 Unfreie —» Sklaven Ungarn 76,212 Universitäten 184,221,226,307,362,440, 454 —» auch: Amerika; Freiburg; Heidelberg, Karlsruhe Unschädlichkeitsatteste 136 f., 166 Unternehmen, Unternehmer 48,52,55, 166,194,237 f., 240,247,252,260-263 - landwirtschaftliche 9,14,85,153,212214 Unternehmensvorstände 263f. Unternehmerrisiko 108,120 Unternehmerverbände 274,276 f., 371 Untertanen 184 Unterwerfungsvertrag 250 USA —> Amerika Vasallenstaat 187 Vaterland 103,108,367,376,393,395,414, 444,464,472 f., 478
532
Sachregister
Vatikan 309 Venedig 187 Venezuela 252 f. Verband der Deutschen Buchdrucker 25 f., 33 Verband Deutscher Bergarbeiter 275 Verband für internationale Verständigung 4,459-461,462-464,470/.,472-474, 475f., 411 f. Verbände —> Arbeitgeberverbände; Interessentenverbände; Unternehmerverbände Verbindungen, studentische 226 - als Avancements-VersicherungsAnstalten 183 Verbrauchssteuern —» Steuern Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller 249 Verein Frauenbildung-Frauenstudium 288,291,294 Verein für Sozialpolitik 1,15-19,21,63, 244,247f., 262,264f., 300-302,356-359, 361,365,367,385,460 - Berufsenquete 1908 32 - Generalversammlung 1893 168 - Generalversammlung 1894 260 - Generalversammlung 1897 255 - Generalversammlung 1905 89,114,244, 247,260,262-265,364 - Generalversammlung 1907 300-302 - Generalversammlung 1909114,356f., 359 - Handwerksenquete 1897 25,31 - Kommunalenquete 1905-1912300f., 356f. - Landarbeiterenquete 1891/92 37,63,85, 140,142-144,165,167,204 Vereine 47,52 f., 255,421 —> auch: Arbeiterbildungsvereine; Fachvereine; Gewerkvereine; Kriegervereine Vereinigte Staaten —»Amerika Verelendungstheorie 198 Verkehr 10,107,120,131,151,192,213, 232-235,237 f., 361 Verkehrssteuer —» Steuern Verlagsvertrag 60 Verleger 40,48,60 Verpachtung —» Pacht, Pachtverhältnisse Verschuldungsgrenze 99,329-331,337 f., 343,347,350
—» auch: Grundbesitz(er) Versorgungsinteressen 307 f. Verstaatlichung 18f., 238,276,358,365 —> auch: Kartelle Verträge —» Akkord; Arbeitsvertrag; Aufbewahrungsvertrag; Dienstvertrag; Gesellschaftsvertrag; Handelsverträge; Kaufvertrag; mutuus dissensus; synallagmatische Verträge; Tarifverträge; Unterwerfungsvertrag; Verlagsvertrag; Werkvertrag; Zeitlohnvertrag Vertragsfreiheit 249,262 Viehwirtschaft 71,119,131,192,212,233, 234,241,340 Villikationsordnung 228 Völkerrecht 324 f., 459,473 f. Volksernährung 62f., 6 5 - 7 2 Volksschulwesen —» Preußen Volkswirtschaft 13,62f., 84,114,261 -264, 301,328,331,333,353,356,359 „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen" 25f.,28f., 63 Volontärverhältnis 43 Voluntarismus 17,19,369,371,377 Voraussetzungslosigkeit (akademischer Erörterungen) 371 Vorwerke —» Gutsbetriebe „Vossische Zeitung" 372 Wahlkreise 192,305 Wahlrecht —> Baden; Kommunen; Pluralwahlrecht; Preußen; Reichstag Waldenburg (Kreis) 123,129 f., 133 f. Wanderarbeiter 7,85,124,126,186,212, 239 Wanderarbeiterkasernen 126,142 Wanderungsbewegungen 93,116, 121-123,175 - Ab- und Auswanderung von Landarbeitern 6,83,85,113,121-125,152, 186,216,240 —» auch: Amerika Washington 318 Wasserkraft 42,312,433,437 —» auch: Laufenburger Stromschnellen Wehrpflicht, allgemeine 216 Weichseltal 159 Weidewirtschaft 100 Weistümer 13,231 Weltmarkt 13-15,213-15,39,348 Weltpolitik 322,323,381
Sachregister Werkvertrag 39,45 Wertpapiere 49,96,107 f., 318,331,346, 351 f. —> auch: Pfandbriefe Werturteile 5 , 1 4 f . , 17,19,41,110,114,193, 199,251,270-272,275 Werturteilsstreit 114,357 Weser 15 Westfalen (Provinz) 31,105,154,167,177, 249,312,465 „Westliche Post" 207 Westpreußen (Provinz) 31,105,126,331, 465 —* auch: Landschaften, preußische Wetzlar 417 Wien 114,356 -359 Wiener Kongreß 237 Wiesbaden (Regierungsbezirk) 106 Wiesenfläche 112,132,141,157 Winterbevölkerung —* Bevölkerung, ländliche Wirt 54,55 f., 307,310 Wirtschaft 9,13-15,37f„52,82f.,86f„ 100,108,110,114,125-127,152,163 f., 166 f., 169,179,185,187,198,213 f., 217-221,223 f., 230-235,238 f., 242,254, 260-262,266,271,275 f., 278,283,311, 318f.,329,336,338-341,351,362,375, 421,425 f., 428 f., 431,434,446,453,456, 458,459,462,472 —» auch: Eigenwirtschaft; Fideikommisse; Forstwirtschaft; Geldwirtschaft; Gemeinwirtschaft; Guts Wirtschaft; Landwirtschaft; Naturalwirtschaft; Privatwirtschaft; Staatswirtschaft; Viehwirtschaft; Volkswirtschaft; Weidewirtschaft Wirtschafter —>Betriebsleiter; Fideikommisse; Gutsverwaltung; „Rückenbesitzer" Wirtschaftlicher Ausschuß —> Ausschuß zur Vorbereitung und Begutachtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen Wirtschaftsbetriebe 362,427,430 Wirtschaftsgeschichte 106
533
Wirtschaftspolitik 15 f., 19,162,185 f., 242, 313 Wirtschaftsverfassung, alte 217 Wissenschaft 1,3-5,14 f., 29,45,59,72,74, 88,92,134,177,180,185,193,199, 200-203,205,210,260-262,271 f.,289, 367,369,384,388,451,455,458,459,464, 465,472,476 Wohlfahrtseinrichtungen 54,244,247,257 Wohnverhältnisse, ländliche —» Bevölkerung, ländliche Wucher 47 f., 50,115 f., 161,261 —» auch: Bodenwucher Württemberg (Königreich) 76,448 Würzburg 255, 470 Zeitlohnvertrag 34f., 45 f., 57 Zeitpächter —» Pächter „Zeitschrift des (Königlich) Preußischen Statistischen Bureaus" 90,93 f., 115 f., 176 „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" 211 Zellerfeld (Kreis) 177 Zentrumspartei 77,252 f., 268,305,369, 387,4051,439,458 Ziegelfabrikanten 9,162 Zins 57,96 f., 150,217,228,229,239,318f., 327,330,337,346,348,352,355 Zivilprozeßrecht 41,48 Zivilrecht 41,47,262f. Zölle 233,239,323,352 - Getreidezölle 110,113,116,227,255, 239,352,368 —> auch: England Zollpolitik 19,116,235,369 Zollschutz 13 f., 116,227,239,336,352 —»auch: Protektionismus Zuchthausvorlage 50 f . Zuckerfabriken 159 Zuckersieder 9,162 Zürich 417 Zwangsversteigerung 115,213,328,350 - Prinzip des geringsten Gebots 339 f. Zwangsverwaltung 328,337 Zwischenmeister 48
Seitenkonkordanzen
Die Seitenkonkordanzen beziehen sich auf die bisher g e b r ä u c h l i c h e n Voreditionen. Es handelt sich für die Texte in d i e s e m Band um: GASS1"1"2
Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, hg. von Marianne Weber. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1924; 2. unveränd. Aufl. 1988. Die Paginierung der Textzeugen, die der Edition z u g r u n d e liegen, wurde d e m edierten Text marginal beigefügt.
MWG I/8
GASS1+2
MWG I/8
GASS1+2
Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121
323 323/324 324
122 123 124 125
342 342/343 343/344 344/345 345 345/346 346/347
325/326
126 127 128 129
326 326/327 327
130 131 132
327/328 328 328/329 329/330
133 134
324/325 325 325 325
330/331 331 331/332 332/333 333/334 334/335 335 335/336 336/337 336-338 338 338/339 339/340 340/341 341/342
135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151
347/348 347-349 349/350 350/351 350-352 350-353 351-353 352-354 354/355 355-358 356-358 357-359 357-359 358/359 359 359/360 360/361 361 361/362 362/363 363 363/364 364/365
535
Seitenkonkordanzen
MWG1/8
GASS1+2
MWGI/8
GASS1+2
152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170
365 365/366 366/367 367 367/368 368/369 369/370 370/371 370/371 371/372 372/373 373/374 374/375 375 375/376 376/377 377/378 378/379 379
171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188
380 380/381 381/382 382/383 383/384 383/384 384/385 385/386 386/387 386/387 387/388 388/389 389/390 390/391 390/391 391/392 392/393 393
M W G I/8
GASS1+2
MWG I/8
GASS1+2
Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben 249 250 251 252 253 254
394 394 394/395 395 395/396 396
255 256 257 258 259
396/397 397 397/398 398 398/399
M W G I/8
GASS1+2
MWG I/8
GASS1+2
273 274 275 276 277 278 279
402/403 403 403 403/404 404 404/405 405/406
Das Verhältnis der Kartelle z u m Staate 266 267 268 269 270 271 272
399 399/400 400 400/401 401 401/402 402
Seitenkonkordanzen
536
MWG1/8
GASS1+2
M W G I/8
GASS1+2
Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte 304 305 306 307 308 309
407 407 407/408 408/409 409 409
310 311 312 313 314 315
409/410 410/411 411 411 412 412
M W G I/8
GASS1+2
MWG I/8
GASS1+2
Die wirtschaftlichen U n t e r n e h m u n g e n der G e m e i n d e n 360 361 362 363
412/413 413 413/414 414
364 365 366
414/415 415 415/416
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe Abteilung I: Schriften und Reden
1. Aufbau
der
Gesamtausgabe
In der Max Weber-Gesamtausgabe werden die veröffentlichten und die nachgelassenen Texte Max Webers mit Ausnahme seiner Exzerpte, Marginalien, Anstreichungen oder redaktionellen Eingriffe in die Texte anderer wiedergegeben. Berichte anderer über Webers Reden, Diskussionsbeiträge und Vorlesungen werden nur dann wiedergegeben, wenn ein autoreigener Zeuge nicht überliefert ist. Liegen mehrere Fassungen eines Textes vor, so werden alle mitgeteilt. Editionen der Texte Webers, die er nicht selbst zum Druck g e g e b e n hat, werden nur dann berücksichtigt, wenn d e m betreffenden Herausgeber Manuskripte vorlagen, die uns nicht mehr überliefert sind. J e d e m Band ist eine Konkordanz mit den bisher gebräuchlichen Ausgaben beigegeben.Die Max Weber-Gesamtausgabe gliedert sich in drei Abteilungen: Abteilung I: Schriften und Reden Abteilung II: Briefe Abteilung III: Vorlesungen
2. Aufbau
der Abteilung
I: Schriften
und
Reden
Die Abteilung I umfaßt Max Webers veröffentlichte und nachgelassene Schriften und Reden, unter Einschluß seiner Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen. Ebenso werden Paralipomena, Entwürfe und andere Vorarbeiten mitgeteilt. Einzelne Äußerungen sind uns nur durch Zeitungsberichte, Sitzungsprotokolle, Kongreßprotokolle und ähnliches überliefert. Solche Ersatzzeugen werden dann in die A u s g a b e aufgenommen, wenn sie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der betreffenden Rede oder Stellungnahme Webers entstanden. Außerd e m sind Texte wiedergegeben, die er zusammen mit anderen Personen verfaßte oder unterzeichnete. Für die Verteilung der Texte auf die Bände werden zwei Kriterien verwendet: der Sachzusammenhang und die Chronologie. Dadurch werden thematisch und zeitlich nahestehende Texte zu Bänden vereinigt und die Schwerpunkte des Werkes in ihrer zeitlichen Folge und ihrem Nebeneinander sichtbar gemacht. Jeder Bandtitel enthält deshalb eine thematische und eine zeitliche Angabe. Für die thematische A n g a b e wird entweder ein Titel von Weber verwendet oder, wo dies wegen der Vielfalt der Texte nicht möglich ist, ein seinem Wortgebrauch nahestehender Titel neu gebildet. J e d e m Bandtitel ist ferner eine Zeitangabe
538
MWG Abteilung
I • Aufbau und
Editionsregeln
zugeordnet. Dabei bezieht sich die erste Jahreszahl auf das Datum der Veröffentlichung des ersten, die zweite auf das Datum der Veröffentlichung des letzten in den Band a u f g e n o m m e n e n Textes. Bei Texten aus d e m Nachlaß ist das Entstehungsjahr maßgebend. Dies gilt sowohl für Texte, die uns im Original vorliegen, als a u c h für solche, von d e n e n wir nur noch eine Edition aus d e m Nachlaß besitzen, weil das Original inzwischen verloren ist. Wo d a s Datum der Entstehung auch nicht a n n ä h e r n d ermittelt w e r d e n kann, wird der Text a m Ende des Bandes eingeordnet, d e m er thematisch nahesteht. Bände mit einem oder mehreren nachgelassenen Texten tragen als zweite Jahreszahl 1920, Webers Todesjahr, w e n n wir Hinwelse haben, daß er an diesen Texten bis zu seinem Tode arbeitete. Für die Bandfolge ist das Chronologieprinzip m a ß g e b e n d . Über die Stellung eines Bandes in der Bandfolge entscheidet das Datum des ersten darin a b g e druckten Textes. A b w e i c h e n d davon sind die „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" und das Textkonvolut „Wirtschaft und Gesellschaft" an das Ende der Abteilung gestellt. Dies ergibt sich aus der besonderen Überlieferungslage. Die Abteilung I hat f o l g e n d e n Aufbau: Band
1: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter Schriften 1 8 8 9 - 1894
Band
2: Die römische A g r a r g e s c h i c h t e in ihrer B e d e u t u n g für das Staats- und Privatrecht. 1891 Hg. von Jürgen Deininger; 1986 (Studienausgabe 1988)
Band
3: Die Lage der Landarbeiter Im ostelbischen Deutschland. 1892 Hg. von Martin Rlesebrodt; 2 H a l b b ä n d e , 1984
Band
4: Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik Schriften und Reden 1 8 9 2 - 1 8 9 9 Hg. von W o l f g a n g J. M o m m s e n in Z u s a m m e n a r b e i t mit Rita Aldenhoff; 2 H a l b b ä n d e , 1993
Band
5:
Börsenwesen Schriften und Reden 1 8 9 3 - 1 8 9 8
Band
6: Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums Schriften 1 8 9 3 - 1 9 0 9
Band
7: Zur Logik und Methodologie der Kultur- und Sozialwissenschaften Schriften 1 9 0 0 - 1 9 0 7
Band
8: Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik Schriften und Reden 1 9 0 0 - 1 9 1 2 Hg. von W o l f g a n g Schluchter in Z u s a m m e n a r b e i t mit Peter Kurth und Birgitt M o r g e n b r o d ; 1998
MWG Abteilung Band
9:
Band 10:
I • Aufbau und Editionsregeln
539
Asketischer Protestantismus und Kapitalismus Schriften und Reden 1 9 0 4 - 1 9 1 1 Zur Russischen Revolution von 1905 Schriften und Reden 1 9 0 5 - 1 9 1 2 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Dittmar Dahlmann; 1989 (Studienausgabe 1996)
Band 11:
Zur Psychophysik der industriellen Arbeit Schriften und Reden 1 9 0 8 - 1 9 1 2 Hg. von Wolfgang Schluchter In Zusammenarbeit mit Sabine Frommer; 1995
Band 12:
Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit Schriften und Reden 1 9 0 8 - 1 9 2 0
Band 13:
Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik Schriften und Reden 1 9 0 8 - 1 9 2 0
Band 14:
Rationale und soziale Grundlagen der Musik Nachlaß 1921
Band 15:
Zur Politik im Weltkrieg Schriften und Reden 1 9 1 4 - 1 9 1 8 Hg. von Wolfgang J. Mommsen In Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger; 1984 (Studienausgabe 1988)
Band 16:
Zur Neuordnung Deutschlands Schriften und Reden 1 9 1 8 - 1 9 2 0 Hg. von Wolfgang J. Mommsen In Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwentker; 1988 (Studienausgabe 1991)
Band 17:
Wissenschaft als Beruf 1917/1919 - Politik als Beruf 1919 Hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod; 1992 (Studienausgabe 1994)
Band 18:
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus/ Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus Schriften 1 9 0 4 - 1 9 2 0
Band 19:
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taolsmus Schriften 1 9 1 5 - 1 9 2 0 Hg. von Helwig Sohmldt-Gllntzer in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko; 1989 (Studienausgabe 1991)
540
MWG Abteilung
Band 20:
I • Aufbau und
Editionsregeln
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und B u d d h i s m u s 1916-1920 Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Z u s a m m e n a r b e i t mit Karl-Heinz Golzio; 1996
Band 21:
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike J u d e n t u m Schriften und Reden 1 9 1 7 - 1 9 2 0
Band 22:
Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen O r d n u n g e n und Mächte. Nachlaß (in 6 Teilbänden)
Band 23:
Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie Unvollendet 1921
3. Aufbau
der
Bände
Jeder Band enthält eine Einleitung des Herausgebers, die historisch-kritisch bearbeiteten Texte Webers, denen jeweils ein Editorischer Bericht vorangestellt ist, Verzeichnisse und Register. Innerhalb der Bände sind die Edierten Texte chronologisch geordnet. Bei von Weber veröffentlichten Texten Ist das Datum der Veröffentlichung, bei nachgelassenen Texten das Datum der Entstehung m a ß g e b e n d . Äußerungen Webers, über die wir nur Ersatzzeugen besitzen, w e r d e n im zweiten Teil eines B a n d e s zusammengefaßt und nach d e m Datum der Äußerung w i e d e r u m chronologisch angeordnet. Einzelnen B ä n d e n sind A n h ä n g e b e i g e g e b e n . Darin finden sich zunächst Texte, die Weber mit anderen Personen z u s a m m e n verfaßte oder unterzeichnete, gegebenenfalls Hinweise auf verlorene Texte sowie auf Dokumente.
4.
Bandeinleitung
Die Einleitung des Herausgebers informiert über die Anordnung, die thematischen Schwerpunkte und über den wissenschaftsgeschichtlichen und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Texte. Enthält ein Band mehrere Texte, geht die Einleitung außerdem auf deren Z u s a m m e n h a n g ein. Die Rezeptions- und Wirk u n g s g e s c h i c h t e sowie die G e s c h i c h t e von Nacheditionen d a g e g e n bleiben in der Regel außer Betracht. Die Einleitung berichtet ferner über bandspezifische Editionsfragen, z. B. über sprachliche Eigentümlichkeiten Webers und deren editorische Behandlung. Alle textspezifischen Informationen g e b e n die Edltorischen Berichte.
MWG Abteilung I • Aufbau und Editionsregeln 5. Editorische
541
Berichte
J e d e m Text ist ein Editorischer Bericht vorangestellt, der über d e s s e n Entsteh u n g , E n t w i c k l u n g u n d Ü b e r l i e f e r u n g s o w i e über e d i t o r i s c h e E n t s c h e i d u n g e n informiert. Er Ist in d i e A b s c h n i t t e „Zur E n t s t e h u n g " u n d „Zur Ü b e r l i e f e r u n g u n d Edition" g e g l i e d e r t . 5.1 „Zur
Entstehung"
Dieser A b s c h n i t t skizziert die historisch-politischen, w i s s e n s c h a f t l i c h e n u n d biog r a p h i s c h e n Z u s a m m e n h ä n g e , in d e n e n ein Text steht. Er stellt ferner seine E n t s t e h u n g u n d E n t w i c k l u n g dar. Sofern mehrere F a s s u n g e n eines Textes vorlieg e n , w i r d d e r e n Verhältnis z u e i n a n d e r b e s c h r i e b e n . 5.2 „Zur Überlieferung
und
Edition"
Dieser A b s c h n i t t informiert über T e x t b e f u n d u n d Ü b e r l i e f e r u n g s l a g e . L i e g e n m e h r e r e F a s s u n g e n eines Textes vor, wird d a r g e l e g t , w e l c h e der F a s s u n g e n Edierter Text u n d w e l c h e Variante ist. Ferner w e r d e n alle w e i t e r e n e d i t o r i s c h e n E n t s c h e i d u n g e n b e g r ü n d e t . Dazu g e hört unter a n d e r e m a u c h die B e h a n d l u n g t e x t s p e z i f i s c h e r Eigentümlichkeiten.
6.
Texte
B e a r b e i t u n g u n d Präsentation der Texte f o l g e n der historisch-kritischen M e t h o de. Dies g e s c h i e h t mit Hilfe v o n drei A p p a r a t e n : d e m Korrekturen- u n d d e m V a r i a n t e n a p p a r a t , die z u m textkritischen A p p a r a t z u s a m m e n g e f a ß t sind, u n d d e m Erläuterungsapparat. 6.1 Textkritischer
Apparat
Der textkritische A p p a r a t hat in erster Linie zwei A u f g a b e n : A u f w e i s der Textentw i c k l u n g u n d N a c h w e i s der Texteingriffe. 6.1.1
Textentwicklung
Liegt ein Text in m e h r e r e n autorisierten F a s s u n g e n vor, ist eine F a s s u n g z u m Edierten Text b e s t i m m t . Dies ist in der Regel d i e F a s s u n g letzter H a n d . J e d e zur Variante b e s t i m m t e F a s s u n g w i r d im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt, in der Regel mit Hilfe eines n e g a t i v e n A p p a r a t s . W o es die S a c h l a g e erfordert, i n s b e s o n d e r e bei u m f a n g r e i c h e n Varianten, ist der positive A p p a r a t o d e r die s y n o p t i s c h e D a r s t e l l u n g gewählt. Die f r ü h e s t e o d e r e i n z i g e F a s s u n g eines Textes trägt die Sigle A. Spätere Fass u n g e n s i n d in c h r o n o l o g i s c h e r Folge mit B, C usw. b e z e i c h n e t .
542 6.1.2
MWG Abteilung I • Aufbau und
Editionsregeln
Texteingriffe
Texteingriffe sind auf ein Minimum beschränkt. Sie werden bei Textverderbnissen vorgenommen. Als verderbt gelten Textstellen, die den Sinnzusammenhang zerstören. Der Eingriff wird dadurch nachgewiesen, daß die verderbte Stelle im textkritischen Apparat mitgeteilt wird. Läßt sich eine unklare Stelle nicht eindeutig als verderbt erkennen, so wird sie unverändert gelassen. Je nach Sachlage bietet der Apparat dann Lesarten in Voreditionen oder andere Verständnishilfen an.Nicht als Textverderbnis gelten Spracheigentümlichkeiten, einschließlich regelwidriger, aber nicht sinnentstellender grammatischer Konstruktionen, nicht mehr gebräuchlicher Lautstand, veraltete Orthographie und Interpunktion. In folgenden Fällen werden Texteingriffe ohne Nachweis im textkritischen Apparat vorgenommen: a) Bei der Gestaltung von Überschriften, Zwischentiteln, anderen Gliederungsmerkmalen (z.B. Paragraphen) sowie Hervorhebungen: Sie werden typographisch vereinheitlicht. b) Bei Umlauten: Sie werden - soweit sie Folge der zu Webers Zeit üblichen Drucktechnik sind - der heutigen Schreibweise angeglichen (Ä statt Ae). Die Schreibweise ss für ß wird zu ß vereinheitlicht. c) Bei Abkürzungen: Sie werden, sofern sie schwer verständlich und heute nicht mehr üblich sind, in eckigen Klammern ausgeschrieben. d) Bei offensichtlichen Druckfehlern: Sie werden korrigiert (z.B. „Erleicherung", „aucht"). e) Bei Interpunktionsfehlern: Sie werden bei der Reihung von Hauptsätzen, Aufzählungen, Relativsätzen und „daß"-Sätzen korrigiert. In allen anderen Fällen werden eingefügte Satzzeichen durch eckige Klammern kenntlich gemacht. f) Bei der Numerierung von Anmerkungen: Sie werden text- oder kapitelweise durchgezählt. Entsteht dadurch eine Abweichung gegenüber Webers Zählung, so wird dies im Editorischen Bericht vermerkt. g) Bei der Einfügung von Titeln und Zwischenüberschriften: Sie werden in eckige Klammern gesetzt und im Editorischen Bericht begründet 6.2
Erläuterungsapparat
Der Erläuterungsapparat dient dem Nachweis, der Ergänzung oder der Korrektur der Zitate und der Literaturangaben sowie der Sacherläuterung. 6.2.1
Zitate
Webers Zitate werden überprüft. Sind sie indirekt, unvollständig oder fehlerhaft, gibt der Apparat den richtigen Wortlaut wieder. Hat Weber ein Zitat nicht belegt, wird es im Apparat nachgewiesen. Ist uns der Nachweis nicht möglich, so lautet die Anmerkung: „Als Zitat nicht nachgewiesen".
MWG Abteilung I • Aufbau und Editionsregeln 6.2.2
543
Literaturangaben
Webers Literaturangaben werden überprüft. Sind sie nicht eindeutig oder fehlerhaft, werden sie ergänzt oder berichtigt, wenn möglich, unter Verwendung der von Weber benutzten Ausgabe. Es wird dafür ein Kurztitel verwendet. Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Verzeichnis der von Weber zitierten Literatur. Verweist Weber ohne nähere Angaben auf Literatur, so ist sie, wenn möglich, im Apparat nachgewiesen. Literaturangaben des Herausgebers werden beim ersten Auftreten vollständig aufgeführt, bei Wiederholungen wird ein Kurztitel verwendet. 6.2.3
Sacherläuterung
Erläutert werden Ereignisse und Begriffe, deren Kenntnis für das Verständnis des Textes unerläßlich erscheint. Informationen über Personen finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Bandes. Erfordert eine Textstelle darüber hinausgehende Informationen über eine Person, so bietet sie der Apparat. Sachliche Fehler Webers werden im Apparat berichtigt. Für Wörter aus fremden Schriftsystemen verwendet der Editor in seinen Erläuterungen die Transliteration nach den heute gültigen Richtlinien.
6.3
Präsentation
Um die Benutzung der Ausgabe zu erleichtern, erscheinen Webers Text und die dazugehörigen Apparate in der Regel auf derselben Seite. Edierter Text und Varianten sind gleichwertig. Die Varianten werden so präsentiert, daß der Leser die Textentwicklung erkennen kann. Kleine lateinische Buchstaben verbinden den Edierten Text mit dem textkritischen Apparat. Sie stehen hinter dem Varianten oder emendierten Wort. Bezieht sich die textkritische Anmerkung auf mehr als ein Wort, so markiert ein gerade gesetzter Index den Anfang und ein kursiv gesetzter Index das Ende der fraglichen Wortfolge ( a mit Amerika 3 ). Die Ersatzzeugen von Webers Äußerungen, auf die wir zurückgreifen müssen, stimmen nicht immer überein. In solchen Fällen sind sie alle ohne Wertung aufeinanderfolgend oder synoptisch wiedergegeben. Zeitungsberichte enthalten in der Regel einen redaktionellen Vorspann, Zwischentexte oder Nachbemerkungen; Sitzungs- und Kongreßprotokolle geben auch Beiträge anderer Redner wieder. Wenn diese Texte in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang mit Webers Äußerungen stehen, werden sie entweder in Form eines Regests, wörtlich in kleinerer Drucktype oder im textkritischen Apparat mitgeteilt. Die historisch-kritisch bearbeiteten Texte Webers und die Erläuterungen des Herausgebers sind durch arabische Ziffern ohne Klammern miteinander verbunden. Um die Herausgeberrede von Webers Text abzuheben, ist sie in anderer Schrifttype gesetzt.
544
MWG Abteilung
7. Verzeichnisse
und
I • Aufbau und
Editionsregeln
Register
D e m Band sind f o l g e n d e Verzeichnisse und Register beigefügt: 1. Ein Inhaltsverzeichnis. 2. Ein Verzeichnis der Siglen, Zeichen und A b k ü r z u n g e n . 3. Ein Literaturverzeichnis: Es enthält die von Weber zitierte Literatur vollständig bibliographisch erfaßt. Auf den Titel folgt in Klammern der vom Editor in seinen Erläuterungen g e b r a u c h t e Kurztitel. 4. Ein Personenverzeichnis: A u f g e n o m m e n sind alle Personen, die W e b e r erwähnt, mit A u s n a h m e allgemein bekannter (z.B. Bismarck, Wilhelm II.) und in Literaturangaben genannter Personen. Es liefert die wichtigsten L e b e n s d a ten, gibt die berufliche oder politische Stellung an und führt ggf. die verwandtschaftlichen oder persönlichen Beziehungen zu W e b e r auf. Das Personenverzeichnis hat den Zweck, den Erläuterungsapparat zu entlasten. 5. Ein Personenregister: Es verzeichnet sämtliche von Weber und v o m Editor erwähnten Personen einschließlich der Autoren der von Weber und v o m Editor zitierten Literatur. 6. Ein Sachregister: Es enthält alle wichtigen Begriffe und S a c h b e z e i c h n u n g e n . Ist ein Begriff für einen Text thematisch, w e r d e n nur zentrale Stellen und besondere B e d e u t u n g e n verzeichnet.Es verzeichnet ferner alle g e o g r a p h i schen Namen, mit A u s n a h m e der Verlagsorte in Literaturangaben und der Archivorte. Es w e r d e n die Namen benutzt, die im deutschen Sprachraum vor 1920 üblich waren oder amtlich g e b r a u c h t wurden. Kann ein Ort nicht als bekannt vorausgesetzt werden, wird zur Erläuterung die Verwaltungseinheit nach d e m Gebietsstand von 1920 (z.B. Kreis, Regierungsbezirk) und ggf. auch der heute amtliche N a m e beigefügt. Personen- und Sachregister erfassen Webers Texte und die Herausgeberrede. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf W e b e r s Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Einem Band können weitere Verzeichnisse, wie z.B. Glossare, Konkordanzen, Maß- und Gewichtstabellen sowie Karten beigefügt sein.
8. Indices
und
Zeichen
Folgende Indices w e r d e n verwendet: a) Arabische Ziffern mit runder Schlußklammer (1), 2), 3) ...) kennzeichnen Webers eigene A n m e r k u n g e n . b) Arabische Ziffern ohne Klammern (1, 2, 3 ...) und in von a) a b w e i c h e n d e r Schrift markieren die Erläuterungen des Editors. c) Kleine lateinische B u c h s t a b e n (a, b, c ...) kennzeichnen eine textkritische Anmerkung.
MWG Abteilung I • Aufbau und Editionsregeln
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Folgende Zeichen werden verwendet: d) Das Zeichen | gibt die Stelle des Seitenwechsels nach der ursprünglichen Paginierung einer Textfassung wieder. e) Das Zeichen [ ] markiert Hinzufügungen zum Text durch den Editor.
Bandfolge der Abteilung II. Briefe
Band Band Band Band Band
1: 2: 3: 4: 5:
J u g e n d b r i e f e bis 1886 Briefe 1 8 8 7 - 1 8 9 4 Briefe 1 8 9 5 - 1 9 0 0 Briefe 1 9 0 1 - 1 9 0 5 Briefe 1 9 0 6 - 1 9 0 8 Hg. von M. Rainer Lepsius und W o l f g a n g J. M o m m s e n in Z u s a m m e n a r b e i t mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1990
Band 6: Briefe 1 9 0 9 - 1 9 1 0 Hg. von M. Rainer Lepsius und W o l f g a n g J. M o m m s e n in Z u s a m m e n a r b e i t mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1994
Band 7: Briefe 1 9 1 1 - 1 9 1 2 Hg. von M. Rainer Lepsius und W o l f g a n g J. M o m m s e n in Z u s a m m e n a r b e i t mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2 H a l b b ä n d e , 1998
Band 8: Briefe 1 9 1 3 - 1 9 1 4 Band 9: Briefe 1 9 1 5 - 1 9 1 7 Band 10: Briefe 1 9 1 8 - 1 9 2 0 In Band 10 w e r d e n als N a c h t r ä g e auch solche Briefe a u f g e n o m m e n , die nach Erscheinen der einschlägigen Bände noch aufgefunden w e r d e n oder die nicht datierbar sind.