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German Pages 551 [625] Year 2000
Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von
Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann t Abteilung I: Schriften und Reden Band 5 2. Halbband
ARTIBUS
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Max Weber Börsenwesen Schriften und Reden 1893-1898
Herausgegeben von
Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit
Cornelia Meyer-Stoll
2. Halbband
ARTI BUS
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Redaktion: Karl-Ludwig Ay - Edith Hanke Die Herausgeberarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Werner-Reimers-Stiftung gefördert.
Die Deutsche Bibliothek - C1P-Einheitsaufnahme Weber, Max: Gesamtausgabe / Max Weber. Im Auftr. der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Horst Baier . . . -Tübingen: Mohr Siebeck. Abt. 1, Schriften und Reden. Bd. 5. Börsenwesen: Schriften und Reden 1893-1898 / hrsg. von Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll Halbbd. 2 - (2000) ISBN 3-16-147256-X ISBN 3-16-147258-6
978-3-16-158133-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 2000 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde gesetzt und gedruckt von der Druckerei Guide in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen.
Inhaltsverzeichnis (1. Halbband) Vorwort
IX
Siglen, Zeichen, Abkürzungen Einleitung
XIII 1
I. Schriften und Reden Rezension von: Wilhelm Kaufmann, Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld Editorischer Bericht Text
115 117
Rezension von: Otto Thorsch, Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert Editorischer Bericht Text
121 123
Die Börse I. Zweck und äußere Organisation der Börsen Editorischer Bericht Text
127 135
Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete Editorischer Bericht Text
175 195
Inhaltsübersicht Vorbemerkung I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen II. Maklerwesen und Kursnotirung III. Das Kommissionsgeschäft IV. Zulassung von Effekten zum Handel und Emissionswesen V. Effekten-Terminhandel und Börsenspiel
195 195 217 285 412 460 494
VI
Inhaltsverzeichnis
(2. Halbband) Börsenwesen (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission) Editorischer Bericht Text
553 558
Die technische Funktion des Terminhandels Editorischer Bericht Text
591 597
Die Börse II. Der Börsenverkehr Editorischer Bericht Text
614 619
Beiträge zu den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896 Editorischer Bericht Text
658 673
1. Verhandlungstag 2. Verhandlungstag 3. Verhandlungstag 4. Verhandlungstag 5. Verhandlungstag mit Max Webers „Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen" 6. Verhandlungstag
673 674 688 696 697 717
Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen Editorischer Bericht Text
736 744
Börsengesetz Editorischer Bericht Text
779 791
Wertpapiere (Aufbewahrung) Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896 Editorischer Bericht Text
870 876
Inhaltsverzeichnis
VII
II. Berichte über Reden Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes Vortrag am 3. Juli 1894 in Berlin Editorischer Bericht
885
Bericht des Berliner Tageblatts Bericht der Weser-Zeitung
889 891
Probleme der Börsenorganisation Vortrag am 12. Januar 1895 in Berlin Editorischer Bericht Bericht des Berliner Börsen-Couriers
893 896
Börsenfragen Vortragsreihe vom 24. bis 26. September 1896 in Berlin Editorischer Bericht
898
Bericht der Zeit Bericht der Täglichen Rundschau
902 905
Geschichte und Organisation der Börse Erster Vortrag der Vortragsreihe über Börsenwesen und Börsenrecht am 15., 22. und 29. Januar, 5. und 12. Februar 1898 in Frankfurt am Main Editorischer Bericht 907 Bericht des Frankfurter Volksboten 910
Anhang I: Max Webers Verzeichnisse des Inhalts von drei Sammelkästen für Broschüren und Sonderdrucke u.a. zum Börsenwesen 1. Börsenwesen und Börsenreform 2. Bank-, Geld- und Lagerhauswesen 3. Eisenbahnwesen und Diverses
921 924 926
Anhang II: Dokumente zum Börsenrecht und zur Börsengesetzgebung 1. Fragebogen der Börsenenquetekommission vom 6. April 1892 . . . 2. Anlage zum Fragebogen, 26. Januar 1893
931 935
VIII
Inhaltsverzeichnis
3. Zusammenstellung der Vorschläge der Börsen-EnqueteKommission, November 1893 4. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 mit den Ergänzungen bis 1884 5. Österreichisches Gesetz vom 4. April 1875, betreffend die Handelsmäkler oder Sensale 6. Börsengesetz vom 22. Juni 1896 7. Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel, November 1896 8. Denkschrift des Bundes der Landwirthe, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen vom 19. Oktober 1896 9. Eingabe des Deutschen Landwirthschaftsrathes vom 21. November 1896
937 960 974 975 993 1000 1007
Personenverzeichnis
1013
Glossar
1031
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
1069
Personenregister
1091
Sachregister
1100
Seitenkonkordanzen
1149
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden
1151
Bandfolge der Abteilung II: Briefe
1160
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Die kursiv gesetzten Kurztitel sind im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur aufgelöst. | [ ] [...] % %» -> & §, §§ §11 £ $ 2>, 3> 1, 2, 3 A A(1), A(2), A(3) A1, A2, A3 A1 r, A1 I, A2 r, A2 I a, b , c , a a, b - b
Seiten- oder Spaltenwechsel Hinzufügung des Editors Auslassung des Editors Prozent Promille siehe et, und Paragraph, Paragraphen Paragraph 1 Ziffer bzw. Nummer 1 Pfund Sterling Dollar Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei Anmerkungen des Editors Sigle für Max Webers Textfassung Siglen für parallel überlieferte Berichte von Reden oder Diskussionsbeiträgen Seitenzählung der Druckvorlagen rechte oder linke Spoalte in der Druckvorlage Indices für textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen
a. a. 0 . Ab.BI. Abs. Abschn. Abt., Abth. a.d. a. D. al. Allg., Allgem. a.M., a/M. Anm. a.o. Professor a.Rh. Art. Aufl. Aug.
am angegebenen Ort Abendblatt, Abendausgabe Absatz Abschnitt Abteilung an der außer Dienst aliena Allgemeine am Main Anmerkung außerordentlicher Professor am Rhein Artikel Auflage August
B, B., Br. BA Potsdam BayHStA BBC
Brief Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam Bayerisches Hauptstaatsarchiv Berliner Börsen-Courier
X
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Bd. bearb. bes. betr. bez., bz. Bez. bezw., bzw. B.G., BörsG Bl. BO., B.O. BSB München bz. B.
Band bearbeitet besonders betreffend bezahlt Bezirk beziehungsweise Börsengesetz vom 22. Juni 1896 Blatt Börsenordnung Bayerische Staatsbibliothek München bezahlt und Brief
ca. cand. jur. cf. Cie., Co., Comp. Cif. Comm.-Rath Ctr.
cirka candidatus juris confer, vergleiche Compagnie cost insurance freight Commerzien-Rath Centner
D. d. das. d. d. Der Deutsche Oekonomist
Digesta den daselbst de dato Der Deutsche Oekonomist. Wochenschrift für finanzielle und volkswirtschaftliche Angelegenheiten und Versicherungswesen. Special-Organ für Realcredit- und Hypothekenbankwesen, hg. von Wilhelm Christians (und Franz Robert). - Berlin 1883-1935. dergleichen desgleichen Dezember das heißt dieselbe, dieselben Dissertation dieses Jahres Doktor Die Redaktion das sind dieses Monats Deutsche Volkspartei
dergl., dgl. desgl., dgl. Dez. d.h. dies. Diss., Dissert. d. J. Dr. D. Red. d. s. ds. Mts. DVP ebd. Ehrenberg, Zeltalter der Fugger engl, etc. F. f., ff., f g .
ebenda Ehrenberg, Richard, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bände. - Jena: Gustav Fischer 1896/97. englisch et cetera Folge folgende
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
XI
Febr. fem. fl. frz. Fußnote FZ
Februar feminin Florin (= Gulden) französisch Fußnote von Max Weber Frankfurter Zeitung
G, G . , G d . gänzl. Gebr. Geh. Gew.-Ord. Gr. GS
Geld gänzlich Gebrüder Geheim, Geheimer Gewerbe-Ordnung Gramm Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Jg. 1810-1906. - Berlin 1810-1906. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin
GStA Berlin
Handbuch Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad u.a. [1. Aufl.], 6 Bände und 2 Supplementbände. Jena: Gustav Fischer 1890-1897; 2. gänzl. umgearb. Aufl., 7 Bände, ebd. 1898-1901; 3. gänzl. umgearb. Aufl., 8 Bände, ebd. 1909-1911; 4. gänzl. umgearb. Aufl., 9 Bände, ebd. 1923-1929. Heinemann, Das Heinemann, Ernst, Das Problem der deutschen Börsenreform Problem der deutschen in rechtlicher und wirtschaftlicher Beziehung unter besondeBörsenreform rer Berücksichtigung der Judikatur des Reichsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts. - Berlin: Carl Heymann 1901. Hg., hg. Herausgeber, herausgegeben HGB, HGB., H.G.B. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Handb. HdStW 1 , 2 , 3 , 4
I.Br., i.Brsg. I. e. S. Inaug.-Dissert. Insbes., insbeson. I.Pr. ¡tal. I.V.
im Breisgau Im engeren Sinne Inaugural-Dlssertation Insbesondere in Preußen italienisch In Vertretung
Jahrb. Jahrg., Jg. Jan. jr-
Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Januar junior
kalserl. kg, Kilogr. Kom.-Ges. kgl., königl. Kr. Kreuzzeitung KrH.
kaiserlich Kilogramm Kommanditgesellschaft königlich Kreis Neue Preußische Zeitung Kreishauptmannschaft
XII lat. I. c. lit. Lötz, Börsenenquete
L. S. M, M., Mk. m. a. W. MdprAH MdprHH MdR m. E. Meier, Entstehung des Börsengesetzes
Mill. Mo.BI. Münch. Allg. Ztg. MWG
Siglen, Zeichen,
Abkürzungen
lateinisch loco citato litera Lötz, Walther, Ergebnisse der deutschen Börsen-Enquete für die Reform des Emissionsgeschäfts, in: Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, 3. Jg., 1894, Nr. 6 - 8 , S. 9 3 - 9 6 , 1 1 3 - 1 1 9 und 132 f. Loco Sigilli Mark mit anderen Worten Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des Reichstags meines Erachtens Meier, Johann Christian, Die Entstehung des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 (Diss. München; Studien zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte, Band 9). - St. Katharinen: Scripta Mercaturae 1992. Millionen Morgenblatt, Morgenausgabe Allgemeine Zeitung (München) Max Weber-Gesamtausgabe; vgl. die Übersicht zu den Einzelbänden, unten, S. 1151.
Nachf. NAZ neubearb. neutr. N. F. Nl. N. N. No„ Nr. Nov. Nußbaum, Kommentar zum Börsengesetz
Nachfolger Norddeutsche Allgemeine Zeitung neubearbeitet Neutrum Neue Folge Nachlaß nomen nescio, Name unbekannt Numero, Nummer November Nußbaum, Arthur, Kommentar zum Börsengesetz für das Deutsche Reich vom 22. Juni 1896 / 8. Mai 1908. - München: C. H. Beck 1910.
o.J. o. Professor Okt., Octbr.
ohne Jahr ordentlicher Professor Oktober
P. P. bz. Pf. Pf. Steri., Pfd. Steri. PI. pp. preuß.
Papier Papier und bezahlt Pfennig Pfund Sterling Plural perge, perge, und so weiter preußisch
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
XIII
Prof. publ.
Professor publiziert
R. Reichsanzeiger
Rubel Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer StaatsAnzeiger Regierungsbezirk Repertorium respektive Reichs-Gesetzblatt, Jg. 1871-1882, hg. im Reichskanzleramt; Jg. 1883-1910, hg. im Reichsamt des Innern. - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht/ Leipzig: 0 . Weber 1871-1911.
Reg.Bez. Rep. resp. R.G.BI., RGBl
S. s. Sachv. Sayous, Les Bourses Allemandes Schmoller's Forschungen Schulz, Das deutsche Börsengesetz Sept., Septr. s. o. sog. Sten.Ber. Sten.Ber.pr.AH Sten.Ber.pr.HH StGB, StGB., St.G.B., StrGB. s. u. s. Z.
Seite siehe Sachverständiger Sayous, André-E., Étude Économique et Juridique sur les Bourses Allemandes de Valeurs et de Commerce. - Paris: Arthur Rousseau / Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1898. Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, hg. von Gustav Schmoller, 1878ff. Schulz, Wolfgang, Das deutsche Börsengesetz. Die Entstehungsgeschichte und wirtschaftlichen Auswirkungen des Börsengesetzes von 1896 (Diss. Kiel; Rechtshistorische Reihe, Band 124). - Frankfurt a.M. u. a.: Peter Lang 1984. September siehe oben sogenannt Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, Band 19-325, 1871-1918. - Berlin: Julius Sittenfeld 1871-1918. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten 1871-1918. - Berlin: W. Moeser 1871-1919. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses 1871-1918. - Berlin: Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei 1871-1919. Strafgesetzbuch siehe unten seinerzeit
To.
Tonne
u. u. A., u. a. umgearb. undat. usw., u.s.w.
und und Andere, unter Anderem, unter anderem umgearbeitet undatiert und so weiter
v.
van, vom, von
XIV
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
v. a. VA v. d. vergi, vgl. vollst.
vor allem Verlagsarchiv van den vergleiche vollständig
Weber, Marianne, Lebensbild 3
Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Slebeck) 1926 (Nachdruck = 3. Aufl. - Tübingen 1984). Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, III. Abteilung). - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1922. Westpreußen Wirklicher Geheimer Rat, Geheimrat Wermert, Georg, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte. Studien zur Beleuchtung gesetzgeberischer Einwirkung auf volkswirtschaftliche Gebilde. - Leipzig: Duncker & Humblot 1904. Wolter, Udo, Termingeschäftsfähigkeit kraft Information. Eine rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie über die stillschweigende Entfunktionalisierung des § 764 BGB durch die Börsengesetz-Novelle 1989. - Paderborn: Schöningh 1991.
Weber, WuG 1 Westpr. Wirkl. Geh. Rat Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte Wolter, Termingeschäftsfähigkeit
Z. z.B. Zeitschr. Ziff. zit. z.T. Ztg. z.Z., z. Zt.
Zeile zum Beispiel Zeitschrift Ziffer zitiert, zitierten zum Teil Zeitung zur Zeit
Börsenwesen (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission)
Editorischer Bericht Zur Entstehung In den 1880er Jahren wurden im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mehrere enzyklopädische Unternehmungen begründet. Es erschienen seit 1882 das von Gustav von Schönberg herausgegebene „Handbuch der politischen Ökonomie" 1 und seit 1889 das „Staatslexikon" der Görresgesellschaft. 2 1888 vereinbarten auf Initiative des Verlegers Gustav Fischer Ludwig Elster, Johannes Conrad, Wilhelm Lexis und Edgar Loening die Herausgabe des „Handwörterbuchs der Staatswissenschaften". 3 Schon nach zwei Jahren lag der erste Band vor. Im Vorwort schrieben die Herausgeber, der Inhalt des Werkes solle „aus den Staatswissenschaften im neueren und engeren Sinne, nämlich aus der theoretischen und praktischen Volks- und Staatswirtschaftslehre und der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgefaßten Gesellschaftslehre und Sozialpolitik" bestehen. Ausdrücklich heben die Herausgeber hervor, nicht dem primär rechtswissenschaftlichen Verständnis zu folgen, das Robert von Mohl bei seiner „Encyklopädie der Staatswissenschaften" 4 geleitet habe. In Mohls Enzyklopädie sei den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein bescheidener Platz zugewiesen. Mit dem Handwörterbuch bezwecke man „eine möglichst exakte Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Tatsachen." Es solle „in großer Ausführlichkeit" zwar auch die wirtschaftliche Gesetzgebung Deutschlands und aller wichtigeren übrigen Staaten dargelegt werden, „aber nicht zum Zwecke einer juristischen Systematik, sondern im Anschluß an die Untersuchung der Frage, welches die Schranken und die Erfolge der staatlichen Einwirkung auf das Wirtschaftsleben sind." 5
1 Band 1-2.-Tübingen: H. Laupp 1882. 2 Hg. von der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland durch Adolf Bruder, Band 1 - 5 . - Freiburg i. Br.: Herder 1889-1897. 3 Lütge, Friedrich, Das Verlagshaus Gustav Fischer in Jena. Seine Geschichte und Vorgeschichte. Aus Anlaß des 50jährigen Firmenjubiläums. - Jena: Gustav Fischer 1928, S. 172-175. 4 Tübingen: H. Laupp 1859; 2. neubearbeitete Auflage.-Tübingen: H. Laupp 1872. 5 Vorwort der Herausgeber, in: HdStW1 1, S. Vf.
554
Börsenwesen
Im Oktober 1894 kam der sechste und letzte Band des Handwörterbuchs auf den Markt. 6 Um die Beiträge zu aktualisieren und um Stichwörter zu ergänzen, erschien Ende Dezember 1895 der erste Supplementband, dem 1897 ein zweiter folgte. 7 Auch die von Emil Struck verfaßten Artikel „Börse", „Börsengeschäfte" und „Börsenspiel" für den zweiten, 1891 erschienenen Band waren inzwischen weitgehend überholt. Die turbulenten Ereignisse des Jahres 1891, die neuen Konstellationen der Börsenreformbewegung 8 und die inzwischen zugänglichen Materialien der Börsenenquetekommission hatten den Kenntnisstand über das Börsenwesen fundamental verändert. Struck hatte sich bei seiner Darstellung auf die preußischen, insbesondere die Berliner Börsenverhältnisse beschränkt. August Eschenbach, der 1892/93 Hilfsarbeiter der Börsenenquetekommission war und einen Materialband mitverfaßt hatte, 9 konnte für seinen Handwörterbuchartikel „Maklerwesen" im vierten Band von 1892 zwar schon Erträge der Enquete nützen, jedoch noch nicht die Aussagen der Sachverständigen und die abschließenden Verhandlungsergebnisse der Kommission. Für seinen im sechsten Band 1894 erschienen Artikel „Zeitgeschäfte" stand ihm dieses Material schon zur Verfügung. Allerdings zeigte seine Bearbeitung, daß er ein prinzipieller Gegner von Termingeschäften war. Die der Börse gewidmeten Artikel des Handwörterbuchs konnten nach Vorlage aller Bände nicht mehr befriedigen. Wann und von wem Max Weber zur Bearbeitung des Artikels „Börsenwesen. (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission.)" gewonnen worden ist, und ob die Gestaltung des Artikels einer Vorgabe entspricht, ist nicht bekannt. Vermutlich haben die Herausgeber des Handwörterbuchs Max Weber, den sie durch die gemeinsame Arbeit im Verein für Socialpolitik kannten, zur Mitarbeit aufgefordert. Weber war zwar kein ausgebildeter Nationalökonom. Doch hatte der Privatdozent für römisches Recht und Handelsrecht mit seiner Auswertung der Landarbeiterenquete des Vereins 10 auf die nationalökonomische Fachwelt großen Eindruck gemacht, und im Sommersemester 1893 hatte die philosophische Fakultät der Universität Freiburg beschlossen, Weber auf den ordentlichen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften zu berufen. Vermutlich erfuhren die Heraus-
6 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die verwandten Geschäftszweige, Nr. 234 vom 8. Okt. 1894, S.6208. 7 Eine Ausgabe in Lieferungen fand nicht statt. Anzeige vom 21. November 1895, ebd., Nr. 271 vom 22. Nov. 1895, S. 6762, und Nr. 264 vom 12. Nov. 1897, S. 8410. 8 Vgl. hierzu den Edltorischen Bericht, oben, S. 177-179. 9 Der von ihm mitverfaßte Band: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, ist zwar 1892 gedruckt, aber erst zu Beginn des Jahres 1894 publiziert worden. 10 Vgl. MWG I/3.
Editorischer Bericht
555
geber des Handwörterbuchs auch von dem im Wintersemester 1893/94 geweckten Interesse Max Webers an Börsenfragen. Einerseits hatte er für Goldschmidts Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht die Bearbeitung der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" 11 übernommen, andererseits mit Friedrich Naumann im Sommer 1894 vereinbart, für die Arbeiterbibliothek eine allgemeinverständliche Darstellung über die Börse zu schreiben. 1 2 Bessere Voraussetzungen gab es bei keinem anderen Autor. 13 Sollte Weber den Auftrag für den Artikel im Handwörterbuch aber erst nach Erscheinen des ersten Doppelhefts „Die Börse" im November 1894 oder gar nach der ersten Folge über die Börsenenquete im Dezember 1894 erhalten haben, wären ihm insgesamt nur wenige Monate für die Abfassung des Beitrags geblieben. Vermutlich war aus redaktionellen Gründen der weitläufige Titel „Börsenwesen" gewählt worden. An eine grundsätzliche Neubearbeitung war für den geplanten Supplementband jedoch nicht zu denken, da die Reform des Börsenwesens gerade jetzt zu sehr im Fluß war. Seit spätestens April 1894 stand fest, 14 daß es zu einer reichsgesetzlichen Regelung des Börsenwesens kommen sollte. Allenfalls konnte nun Material für die aktuelle Urteilsbildung über das Reformprojekt nachgeliefert werden. Es liegt nahe anzunehmen, daß Max Weber sich zur Lieferung des Artikels nur unter der Bedingung bereit erklärte, diesen aus dem Material zu erarbeiten, das er derzeit für die Artikelfolge in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht heranzog. So bezeichnet der in Klammern gesetzte Untertitel „Die Vorschläge der Börsenenquetekommission" den eigentlichen Gegenstand des Artikels. Nur „zur Ergänzung der Ausführungen" der verschiedenen Börsenartikel in den vorausgegangenen Bänden des Handwörterbuchs will Weber „eine gedrängte Übersicht und kurze Kritik der von der Kommission gezeitigten Vorschläge" bringen. 1 5 Weber gliedert, wie er in der Vorbemerkung darlegt, den Stoff nach der Systematik des Berichts der Börsenenquetekommission. Die Kommission tagte vom 6. April 1892 bis zum 11. November 1893. Sie sollte zunächst den vom preußischen Handelsministerium entworfenen Fra-
11 Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 184-187. 12 Vgl. den Editorischen Berichtoben, S. 128-132. 13 Nach der Veröffentlichung der Materialien der Börsenenquetekommission 1893/94 hatten sich mit den Fragen der Börse bzw. der Börsenreform nur noch zwei Nationalökonomen beschäftigt: Gustav Cohn und Walther Lötz. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 183. 14 Mit Resolution vom 7. April 1894 hatte der Reichstag die verbündeten Regierungen aufgefordert, möglichst bald ein Börsengesetz aufgrund der Ergebnisse der Börsenenquete vorzulegen. Sten.Ber, 1894, Band 137, Nr. 284, S. 1394; ebd., 19. April 1894, Band 135, S. 2286. 15 Vgl. unten, S.558.
556
Börsenwesen
gebogen prüfen und gegebenenfalls erweitern oder einschränken, sodann Material über deutsche und ausländische Börsen beschaffen, Sachverständige anhören und schließlich nach Abschluß der Verhandlungen ein Gutachten abfassen, das als Grundlage für etwaige Reformbeschlüsse dienen könne. 16 Vermutlich hat Weber den Text im Frühjahr 1895 geschrieben. Im Juni/Juli 1895 scheint er noch die Möglichkeit gehabt zu haben - ob noch im Manuskript oder schon in den Druckfahnen ist unbekannt - , die wesentlichen Abweichungen im Gesetzentwurf vom I . J u n i 1895 17 gegenüber den Vorschlägen der Börsenenquete einzufügen. 18 Der Text ist der erste von Max Weber für das Handwörterbuch verfaßte Artikel. Im zweiten, 1897 erschienenen Supplementband folgten dann die Artikel „Agrarverhältnisse im Altertum", 1 9 „Börsengesetz" und „Wertpapiere (Aufbewahrung). Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896". 20 Ab 1898 erschien eine zweite, gänzlich umgearbeitete Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. Mit dem Inkrafttreten des Börsengesetzes am 1. Januar 1897 war die Börsenreform vorläufig abgeschlossen. Webers Artikel war nicht mehr aktuell. Ob er und/oder die Herausgeber je erwogen haben, daß Max Weber eine Neubearbeitung des Artikels „Börsenwesen" vornehmen könnte, ist nicht bekannt. Den Auftrag hierzu erhielt Richard Ehrenberg. 2 1
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der unter dem Titel „Börsenwesen. (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission.)", in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis und Edgar Loening, erster Supplementband: Abzahlungsgeschäfte. - Wollzoll. - Jena: Gustav Fischer 1895, S. 2 4 1 - 2 5 2 , erschienen ist (A). Der Text ist mit „Max Weber" gezeichnet und ist zweifellos von ihm autorisiert.
16 Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 3. Zur Vorgeschichte der Einberufung der Börsenenquetekommission, ihrer Vorgehensweise und zu ihren Veröffentlichungen vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 176-182. 17 Entwurf: Börsengesetz 1. 18 Um eine spätere Ergänzung handelt es sich auch bei Webers Literaturangabe, unten, S. 590. Die dort genannte Ausgabe des Carl Heymann Verlags ist in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und den verwandten Geschäftszweigen, Nr. 174 vom 29. Juli 1895, S. 4023, als soeben erschienen angezeigt. 19 In: HdStW1, 2. Supplementband, S. 1 - 1 8 (MWG I/6). 20 Die beiden letztgenannten Artikel vgl. unten, S. 791 -869 und 876-881. 21 In: HdStW2 2, S. 1023-1053. Der Band erschien 1899.
Editorischer
Bericht
557
Der Originaltext ist in einer Frakturschrift gedruckt, die die Umlaute Ä, Ö und Ü sowie ß enthält. Die Seiten des Handwörterbuchs sind zweispaltig gesetzt und seitenweise durchgezählt. Der Spaltenwechsel einer Originalseite wird im Text durch einen senkrechten Strich markiert und am Seitenrand nachgewiesen: A 00 l[inke] und A 00 r[echte Spalte]. Die Emendationen des Textes erfolgen gemäß den Editionsregeln. Interne Textverweise wie zum Beispiel „s.u." sind in den Anmerkungen durch Seitenangaben ergänzt. Der Artikel „Börsenwesen" wurde veröffentlicht, bevor Max Weber den vierten und letzten Teil der Artikelfolge „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" geschrieben hatte. 22 Diese Artikelfolge bildet eine Texteinheit, die nicht unterbrochen werden kann. Der Artikel „Börsenwesen" wird daher den „Ergebnissen der deutschen Börsenenquete" nachgestellt, obwohl er früher veröffentlicht wurde als die vierte Folge der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete". Im Anhang sind der Fragebogen und die Vorschläge der Börsenenquetekommission, auf die Max Weber laufend Bezug nimmt, als Nr. 1 und 3, unten, S. 9 3 1 - 9 3 6 und 9 3 7 - 9 5 9 , abgedruckt. Zum besseren Verständnis von Max Webers Text empfiehlt sich deren Lektüre.
2 2 Vgl. Max Webers Mitteilung, unten, S. 590 mit Anm. 75.
558
A 241 r
Börsenwesen. (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission.)
a
Vorbemerkung. 1. Rechtliche Stellung und Organisation der Börsen6. 2. Das Emissionswesen und die Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz. 3. Terminhandel. 4. Maklerwesen und 5 Kursfeststellung. 5. Kommissionsgeschäft.3 Vorbemerkung. Es soll hier wesentlich das von der deutschen Börsenenquetekommission zu Tage geförderte Material zur Ergänzung der Ausführungen, welche die Artikel „Arbitrage", „Börse", „Börsengeschäfte", 10 „Maklerwesen", „Zeitgeschäfte" im Handwörterbuch 1 enthalten, angegliedert werden, soweit dies nicht schon durch die letztgenannten Artikel geschehen ist. Bei dem beschränkten Raum geschieht dies am zweckmäßigsten durch eine gedrängte Übersicht und kurze Kritik der von der Kommission gezeitigten Vorschläge. 15 Dieselben betreffen l)die rechtliche Stellung und Organisation der Börsen, 2) das Emissionswesen und die Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz, 3) den Terminhandel, 4) das Maklerwesen und die Kursfeststellung, 5) das Kommissionsgeschäft.2 (Kurz registriert werden zu jedem Punkte auch die wesentlichen 20 Abweichungen, welche der eben erscheinende Börsengesetzentwurf 3 aufweist.) a Petitdruck in A.
b A: Börse; korrigiert nach der Kapitelüberschrift, unten, S. 559.
1 Gemeint sind die im Handwörterbuch der Staatswissenschaften enthaltenen Artikel von: Ehrenberg, Arbitrage; Struck, Börse; ders., Börsengeschäfte; Eschenbach, Maklerwesen; ders., Zeitgeschäfte. Zum Börsenwesen gibt es ferner die Artikel von: Struck, Börsenspiel, in: HdStW1 2, S. 695-704, Friedberg, Börsensteuer, ebd., S. 705-709, Lexis und Sering, Die Technik des Getreidehandels. Allgemeines; in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: HdStW1 3, S. 867-872, Lexis, Spekulation, in: HdStW1 5, S. 809-812. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S.554. 2 Die Vorschläge der Börsenenquetekommission sind unten, S. 937-959, abgedruckt. 3 Max Weber bezieht sich, wie er unten, S. 563, angibt, auf den Entwurf: Börsengesetz 1, der samt Begründung in: Reichsanzeiger, Nr. 130 vom I.Juni 1895, Besondere Beilage, S. 1 - 9 , erschienen ist.
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1. Rechtliche Stellung und Organisation der Börsen. Die Kommission fand hier höchst diffuse Zustände in Deutschland vor. Den der Börse in der Zeit ihres Entstehens eigenen Charakter eines frei zugänglichen (damals internationalen) Marktes haben in Deutschland die hanseatischen Börsen offiziell bewahrt, namentlich Hamburg, wo außer dem | amtlichen Effektenkurszettel und A 2421 der Hauspolizei so gut wie keine offizielle Organisation der Börse, auch im Gegensatz zu der ebenfalls frei zugänglichen Pariser Fondsbörse kein irgendwie privilegiertes Maklertum mehr besteht. Rein autonome, über die Mitgliederaufnahme selbst befindende monopolistische Privatklubs zum Zwecke des Börsenhandels sind, von kleineren Plätzen und einigen neben der offiziellen Börse bestehenden und zu anderen Stunden handelnden Vereinen (so der Frankfurter Effektensozietät) 4 abgesehen, wesentlich nur für den Produktenterminhandel im Anschluß an die für diesen bestehenden Liquidationskassen in Hamburg, Magdeburg, Leipzig,5 sonst nur in den ersten Anfängen an den hanseatischen Plätzen entstanden. Der Typus der kapitalistischen Börsenhändlerzunft insbesondere, mit geschlossener Mitgliederzahl, käuflichen Mitgliedsrechten, Verbot der Assoziation mit Außenstehenden, Privilegierung der Händlersöhne und hohen finanziellen Garantien für jeden Eintretenden fehlt in Deutschland. Im englisch-amerikanischen Rechtsgebiet haben diese Form gerade die höchstentwickelten Börsen, - so London und New-York, - auf dem Gebiet des modernsten Handelszweiges, - des Fondshandels, - und zwar erst im Laufe der modernen Entwickelung angenommen. Demgegenüber zeigen die deutschen Börsen ziemlich unentwickelte Formen. Zunächst vereinigen gerade die größten deutschen Börsen - Berlin und Hamburg - den Handel in allen Verkehrsgegenständen örtlich an einer Stelle, während im Ausland zum mindesten Effekten- und 4 Die Frankfurter Effektensozietät war eine unabhängig von der offiziellen Frankfurter Fondsbörse bestehende Einrichtung, in der nach Börsenschluß abends und sonntags mit Wertpapieren gehandelt wurde. 5 Für die von der Hauptbörse unabhängigen Vereine der am Kaffee-, Baumwoll- bzw. Zuckerhandel beteiligten Firmen gab es in Hamburg die Waren-Liquidations-Kassen für die Abwicklung von Termingeschäften in Kaffee, Nordamerikanischer Baumwolle und Zucker, in Magdeburg für den Deutschen Zuckerexportverein die Zucker-LiquidationsKasse und in Leipzig für das Termin-Kammzug-Kontor die Abrechnungskasse für Kammzugtermingeschäfte. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 30, 38f., 45 und 48.
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Produktenbörsen, meist auch die letzteren wieder nach Artikeln, geschieden sind. Die Berliner Börse wie die preußischen Börsen insbesondere sind weder freie Märkte, noch geschlossene Zünfte, sondern reglementierte Versammlungen eines in jeder Beziehung unter einander ungleichartigen Personenkreises. Erfordernis der 5 Zulassung ist speziell in Berlin für nicht korporierte und im Handelsregister eingetragene Personen neben dem Händlerberuf im allgemeinen nur eine zur leeren Form gewordene Referenz von Mitgliedern;6 finanzielle Garantien bestehen in keiner Weise, so daß die Börse die Vermögensextreme des Volkskörpers umfaßt; 10 ebensowenig ist eine Sonderung nach Branchen vorhanden. - Die Disziplinarbefugnisse, welche in den geschlossenen und autonomen Börsenzünften in England sehr starke sind, das Recht zu hohen Geldbußen einschließen und die Ehrbarkeit des Geschäftsverkehrs unter Kontrolle halten, an den formell freien Börsen in Paris 15 und den Hansestädten andererseits fast nur den Zweck der Erhaltung des Marktfriedens haben, sind an den preußischen Börsen wenig entwickelt. Von Disziplinarmitteln ist ihnen offiziell nur die Ausschließung auf Zeit bekannt und diese tritt außer im Falle von A 242 r Verstößen gegen den | Hausfrieden und Verbreitung falscher Ge- 20 rüchte nur noch bei Insolvenz ein. Die Börsenenquetekommission hat bei ihren Reformvorschlägen die preußische Form der Börsen zu Grunde gelegt und damit auf prinzipielle organisatorische Neugestaltungen verzichtet. Sie arbeitete überwiegend unter moralisierenden Gesichtspunkten. 25 Demgemäß suchte sie Garantien nicht in erster Linie für die ökonomische, sondern für die moralische Qualifikation der am Börsenverkehr teilnehmenden Personen zu schaffen, speziell V) präventiv den Zutritt zum Handel an eine ernstlichere Prüfung der „Würdigkeit" des Aufzunehmenden zu knüpfen, indem den drei 30 „Gewährsmännern",7 deren Empfehlung erfordert wird, protokollarische Erklärungen darüber abgenommen und für den Fall der
6 Im Unterschied zu d e n Nichtkorporierten und nicht im Handelsregister Eingetragenen waren nach § 4 der Revidierten Börsenordnung von Berlin jedes Mitglied der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin und jede im Handelsregister eingetragene Person z u m Börsenbesuch berechtigt, ohne die Zulassung beantragen zu müssen. 7 Max Weber zitiert aus: Börsenenquetekommission, Vorschläge I B 1 und 2.
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Fahrlässigkeit bei dieser Erklärung Disziplinarstrafe angedroht werden soll. Auch Realkaution soll von ihnen - nicht vom Aufzunehmenden - verlangt werden dürfen. Eine autonome Konstituierung exklusiver Händlervereine als Börsen schließt der Vorschlag dadurch aus, daß Berufshändlern in Börsenwaren ein eventuell bei der Aufsichtsbehörde geltend zu machender Anspruch auf Zulassung ausdrücklich gewährt werden soll. Ebenso kennzeichnet der Beschluß, die Feststellung der Kurse den Liquidationskassen nur unter amtlicher Kontrolle zu delegieren, die der Börsenautonomie feindliche Stimmung der Kommission, während die sonst noch vorgeschlagene Einschränkung der kompromissarischen Zuständigkeit der Börsenschiedsgerichte auf Mitglieder derselben Börse und der Ausschluß vorheriger Unterwerfung Außenstehender unter ihren Spruch nur eine berechtigte Schutzmaßregel für das Publikum ist. Das gleiche Ziel, moralische Garantien zu schaffen, verfolgen die Vorschläge der Kommission 2) repressiv durch Umwandlung der Börsendisziplin in eine ehrengerichtliche Kontrolle der Ehrbarkeit des Verkehrs und der daran beteiligten Personen. Ein Verhalten auch außerhalb des Börsenverkehrs, - welches die kaufmännische Ehre verletzt oder den Thäter „der Achtung der Standesgenossen unwürdig macht",8 soll vor der die Aufsicht führenden Handelskammer etc., eventuell einem besonderen von der Börse gewählten Gremium als „Disziplinarhof, auf Anklage eines Staatskommissars (auf dessen oder des Beschuldigten Antrag öffentlich) zur Verhandlung gebracht und (ohne Rechtsmittel gegen den Spruch) mit Verwarnung, Verweis, zeitweiliger oder dauernder Ausschließung bestraft werden. Zu ahndende Handlungen sollen neben Preßbestechung, unlauteren Kündigungs- und Kursmanövern, den Anstand verletzenden Geschäftsbedingungen, auch ehrenrührige Anreizung des Publikums zu Börsengeschäften, Spekulationen mit Handelsangestellten und solche im Übermaß mit Unselbständigen und Unbemittelten, sowie bösliches Verhalten von Emittenten sein. Den Staatskommissar zu einer allgemeinen Kontrollinstanz für den Börsenverkehr zu machen - wie er in Österreich besteht, bisher
8 Die Umschreibung ebd., I 4 b, lautet: „Börsenbesucher, welche [...] sich Handlungen zu Schulden kommen lassen, welche sie der Achtung ihrer Standesgenossen berauben."
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freilich ohne merklichen Einfluß - lehnte die Mehrheit der Kommission ab.9 Die Wirksamkeit des Ehrengerichts, dessen Errichtung auch die als Sachverständige vernommenen Berufshändler im ganzen freundlich gegenüberstanden, bleibt problematisch, da es das Bestehen einer einheitlichen Standesehre voraussetzt und damit soziale Gleichartigkeit des Standes, welcher deren Träger sein soll. Die Zulassung fast völlig Vermögensloser zum Börsenhandel schließt jene Gleichartigkeit nicht nur im sozialen Sinne aus; - in dieser Beziehung sind auch die mit ökonomischen Garantien umgebenen Börsen Englands und Amerikas nicht grundsätzlich verschieden und haben keinen spezifisch „plutokratischen" Charakter,10 - sondern auch die Wesensähnlichkeit der ökonomischen Funktion. Eine volkswirtschaftlich nützliche Aufgabe fällt im heutigen Börsenverkehr denjenigen nicht zu, welchen die unentbehrliche ökonomische Qualifikation: Kapitalbesitz und ökonomische Kreditwürdigkeit, abgeht. Die „kapitallose Intelligenz" gehört unter den heutigen Verhältnissen in die Komptoirs großer Banken, wo ihr die Aussicht winkt, in disponierende Stellungen aufzurükken, nicht aber auf den Markt, wo sie als „selbständiger" Händler moralisch verkommt und ökonomisch steril bleibt.11 Ohne die Schaffung finanzieller Garantien ist eine Börsenreform Stückwerk. Falls man sich in Deutschland zu einer Organisation der Börse auf Grundlage des Verlangens der Vermögensqualifikation entschließt, wird aber der Anstoß dazu vermutlich auf dem Gebiet der Steuer-
9 Mit 16 gegen fünf Stimmen lehnte die Börsenenquetekommission es ab, dem Staatskommissar eine dem österreichischen „Börsecommissär" gleichgeartete Stellung einzuräumen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 180f. Nach § 4 des Gesetzes vom 1. April 18/5 sollte der österreichische Staatskommissar die Oberaufsicht an der Börse führen, die Ausführung aller Börsenvorschriften überwachen, Mißbräuche rügen, „und wenn nicht sogleich Abhilfe erfolgt, deren Beseitigung im Wege der politischen Landesbehörde" bewirken. Ein Einschreiten des Börsenkommissars wurde nur in einem Falle bekannt. Vgl. dazu oben, S. 248 mit Anm. 5. 10 Zum „plutokratischen Charakter" vgl. oben, S. 250 mit Anm. 14. 11 Der Topos der „kapitallosen Intelligenz", 1868 eingeführt von Gustav Cohn, gehörte seitdem zum Repertoire der Verteidiger der bestehenden Börsenverhältnisse. Cohn hatte den Rückgang der Preisschwankungen beim Getreideterminhandel in Berlin auf die „spekulativen Leistungen" der „kapitallosen Intelligenz der Differenz-Spekulanten" zurückgeführt und behauptet, daß dadurch „die Spekulation produktiver geworden" sei. Cohn, Börse, S. 3 0 8 - 3 1 0 .
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gesetzgebung (teilweiser Kontingentierung der Börsensteuer) 12 liegen. Der eben publizierte Börsengesetzentwurf (Reichsanzeiger vom 1. Juni) 13 enthält gegenüber den Vorschlägen der Kommission Än5 derungen insofern, als er als eine beobachtende - und zwar nur beobachtende und berichtende, mit keinerlei Aufsichtsrechten ausgestattete - Instanz den Staatskommissar der Börse einfügen will und dem Bundesrat einen zu 2/3 aus von der Börse präsentierten Personen zusammengesetzten beratenden „Börsenausschuß" zur Seite io geben will. Von der Art der Thätigkeit und der Stellung und Bedeutung des geplanten Staatskommissars ist ein Bild kaum zu gewinnen, doch wird man sie nicht hoch veranschlagen. Der Börsenausschuß dürfte, soweit dem Bundesrat arbiträre Befugnisse eingeräumt werden, unbedenklich zweckmäßig sein. Die Bestimmungen 15 über das Ehrengericht enthalten insofern | eine Verschlechterung A 243 r gegenüber den Kommissionsvorschlägen, als keinerlei Beispiele der zu ahndenden Handlungen gegeben sind. Dies ist aber um so unentbehrlicher, als bei der inneren Ungleichheit des Börsenhändlerstandes dasjenige gemeinsame Bewußtsein von kaufmännischer 20 Ehre, auf Grund dessen allein eine fruchtbare Thätigkeit des Ehrengerichts möglich ist, sich erst bilden muß und eines Anhalts zunächst unbedingt bedürftig ist. 2. Das Emissionswesen und die Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz. 25 Unter „Zulassung zum Handel" kann, da dieser nach Gegenstand und Art der Geschäftsabschlüsse an der Börse sich der Kontrolle entzieht, nur verstanden sein: 1) Aufnahme von Notizen in die amtlichen Kurszettel, welche für Effekten an allen wesentlichen Börsenplätzen, für Produkte nicht in Hamburg, besteht; 2) da wo amt30 liehe Makler, Liquidationsbüreaus, Schiedsgerichte etc. bestehen, 1 2 Einen dahin gehenden Vorschlag hatte Graf Mirbach bei seiner Vernehmung in der Börsenenquetekommission vorgebracht: Jede Börse solle mit einer Pauschale besteuert werden. Den Börsen solle es überlassen bleiben, jeden Börsenbesucher nach dem Umfang seines Geschäfts zur Zahlung der Steuerpauschale heranzuziehen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3482. Eine Kontingentierung der Börsensteuer hatte auch Cohn, Börsensteuer, S. 43f., vorgeschlagen. 1 3 Gemeint ist der Entwurf: Börsengesetz referiert.
1, aus dessen § § 2 - 3 Max Weber im folgenden
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Beteiligung derselben an Abschluß, Abwickelung und Judizierung von Geschäften über die betreffenden Objekte. Von praktischer Bedeutung ist, abgesehen von der besonders behandelten und später zu erörternden Zulassung zum Terminhandel, 14 die Frage, an welche Bedingungen die Zulassung geknüpft werden soll, nur bei 5 Wertpapieren. Hier wiederum ist sie von entscheidender Tragweite für die Gestaltung speziell des Emissionswesens, da eine nennenswerte Emission ohne alsbaldige Inanspruchnahme der Börse undenkbar ist. Der bestehende Zustand ist hier der, daß die Zulassung zur amt- 10 liehen Notiz fast überall von den Entschließungen von Selbstverwaltungsorganen der Börsen abhängt, daß diese als Voraussetzung regelmäßig die Vorlegung eines Prospektes verlangen, für dessen obligatorischen Inhalt z. B. die Berliner Börse eingehende Bestimmungen getroffen hat, 15 und daß die Hauptfrage, inwieweit der Zu- 15 lassung eine materielle Prüfung der Qualität des Papiers vorausgeht, von der Praxis jener Organe allein abhängt. Diese Praxis aber - auf deren Einzelheiten ebenso wie auf die Spezialitäten der geltenden Bestimmungen hier nicht eingegangen werden kann - ist im großen und ganzen dahin gegangen, daß nur in extremen Fällen 20 offenbarer Unsolidität die Börsen die Verantwortung der Zurückweisung auf sich genommen haben. Im übrigen hat man sich meist damit begnügen zu sollen gemeint, dem Publikum „das Material zur Bildung eines eigenen Urteils zu liefern". 16 Da erfahrungsgemäß das Publikum die ihm zugewiesene Aufgabe eigener Prüfung 25 nicht übernimmt, auch gar nicht übernehmen kann, sondern in der Hauptsache lediglich nach dem Rufe und der Bewährung des emittierenden Bankhauses fragt, so entsteht die Frage, inwieweit die hiernach diesem thatsächlich allein zufallende Verantwortung für A 2441 die Qualität | der emittierenden Papiere praktisch wirksam ist oder 30 gemacht werden kann. Eine dvi/rechtliche Haftung besteht zur 14 Unten, S.570f. 15 Gemeint sind die Berliner Leitenden Gesichtspunkte, Neue Fassung November 1894, eine nach den Vorschlägen der Börsenenquetekommlssion überarbeitete Fassung der Leitenden Gesichtspunkte, Alte Fassung von 1888. Die Börsenenquetekommlssion hat die Leitenden Gesichtspunkte, Alte Fassung 1888, als im allgemeinen „geeignete Grundlage für die Festsetzung der Grundsätze über die Zulassung von Werthpapieren" gewertet. Börsenenquetekommlssion, Vorschläge II 4 I. 16 In diesem Sinne wurde in der Börsenenquetekommission mehrfach formuliert. Börsenenquetekommlssion, Sitzungsprotokolle, S. 83, 93, 98f. und 114.
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Zeit nicht. Ein direktes eigenes Qualitätsinteresse besteht, sofern nur Aussicht auf „Unterbringung" ist, ebenfalls nicht. Die Rücksicht auf den „ Emissionskredit" des eigenen Hauses endlich spricht bei den großen Banken als das zur Zeit entscheidendste Moment mit, allein es muß auch hier berücksichtigt werden, daß das Gedächtnis des Publikums erfahrungsgemäß nicht über eine kurze Reihe von Jahren hinausreicht, das spekulierende Publikum, welches überhaupt nicht nach der Qualität der Papiere fragt, ein Gedächtnis dafür gar nicht besitzt. Eine eingehendere Prüfung der ökonomischen Unterlagen der Emission pflegt seitens des Emittenten zwar bei eigentlichen „Gründungs"-Emissionen unter normalen Verhältnissen vorgenommen zu werden, aber natürlich wesentlich nur unter dem Gesichtspunkt der Aösaizaussichten. Bei größeren internationalen Emissionen, z. B. fremder Staatsanleihen, die oft telegraphisch abgeschlossen werden, tritt alles hinter wenigen allgemeinen Erwägungen, wie: Lage des Geldmarkts, politische Situation etc. zurück. Mithin ist nach den bestehenden Zuständen eine Instanz, welche die wirtschaftliche Unterlage der emittierten Werte prüft, nicht vorhanden. Als Maßregeln zur Ausfüllung dieser Lücke können in Frage kommen: Präventivkontrolle durch Selbstverwaltungs- oder durch staatliche c Instanzen und c Haftung - civilrechtliche und strafrechtliche bezw. disziplinarische - der Emittenten. Die Kommission schlägt l)als Präventivkontrollinstanz die Schaffung einer Emissionsbehörde vor, in der auch die Interessen des Publikums durch von der Regierung bestätigte Vertreter wahrzunehmen seien. Sie soll das Recht und die Pflicht haben, auf Grund eines Prospektes von vorgeschriebenem Inhalt eine materielle Prüfung an der Börse einzuführender Papiere eintreten zu lassen und gegebenenfalls, d. h. bei Schädigung erheblicher Gesamtinteressen oder Übervorteilung des Publikums, dieselben, auch ohne Angabe von Gründen, von der Zulassung zum Handel auszuschließen mit der Wirkung der Versagung der Benutzung der Börseneinrichtungen und der Vermittelung der Kursmakler für darüber geschlossene Geschäfte. Ferner sollen 2) die Emissionshäuser einmal börsendisziplinarisch, dann aber und vornehmlich civilrechtlich haften für Schaden, der einem Erwerber der emittierten Papiere durch eine für seinen Erwerbsabschluß maßgebend gewesene Unc A: Instanzen, und
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richtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospektes entstanden ist, welche der Emittent kannte oder die ihm nur zufolge „böslicher" Unterlassung einer „ausreichenden" Prüfung 17 unbekannt geblieben sind. Der Begriff der „Böslichkeit", welcher hier eingeführt A 244 r wird, ist | innerhalb der Jurisprudenz sonst in Mißkredit geraten. 18 - Im übrigen ist die Tragweite der vorgeschlagenen Neuerungen für das deutsche Emissionswesen problematisch: Das Interesse des deutsche Kapitalanlage suchenden Publikums wird von zweierlei Kategorien von Emissionen bedroht, welche quantitativ und qualitativ von einander verschieden sind: auf der einen Seite durch fortgesetzte große Emissionen ausländischer Wertpapiere - an diesen sind quantitativ die bedeutendsten akuten Verluste entstanden 19 - , auf der anderen durch die Einführung kleiner, unsolider, überwiegend einheimischer Papiere, namentlich Aktien, an den Börsen, welche dort unreellen Kommissionshäusern Gelegenheit zu einer chronischen Ausbeutung des Publikums geben. Die großen Schwindelepidemien kennzeichnen sich keineswegs in erster Linie als Perioden, in welchen jene großen Emissionen fremder Staatsanleihen etc. gesteigert werden, sondern als Perioden intensiver Steigerung der inneren Gründungsthätigkeit, welche massenhaft mittlere und kleinere Emissionen zeitigt und eine Ausdehnung des Spiels im allgemeinen, speziell aber in den Produkten dieser Kleinarbeit auf dem Gebiet des Emissionswesens, welche nicht sowohl große Kapitalzufuhr- und Kapitalausgleichungsoperationen, als eine Mobilisierung der bereits produktiv thätigen Kapitalien bedeuten, herbeiführt. Demgemäß steht auch das öffentliche Interesse diesen beiden Erscheinungen mit verschiedenen Aufgaben gegenüber. Die internationale Bedeutung Deutschlands als Emissionsmarkts 0 ist in den Ausführungen Schmollers in der Einleitung zu d Zu erwarten wäre: Emissionsmarkt 17 Max Weber zitiert aus: Börsenenquetekommission, Vorschläge II 8. 18 Max Weber verweist auf die mannigfachen Auseinandersetzungen über den Rechtsbegriff der Böslichkeit in den Bestimmungen des HGB über die Haftpflicht der Frachtunternehmer Vgl. dazu ausführlich oben, S. 484 mit Anm. 7. 19 Die Verluste deutscher Anleger durch den Kauf argentinischer, brasilianischer, mexikanischer, portugiesischer, griechischer und serbischer Wertpapiere sowie der Wertpapiere der amerikanischen Northern Pacific Railroad Company schätzte Gustav Schmoller zu Beginn der 1890er Jahre auf insgesamt 700 bis 800 Millionen Mark. Schmoller, Einleitung, S. XXIVf.
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dem statistischen Anlagebande, auf welche zu verweisen ist,20 schön entwickelt. Die Wahrung und Verbreitung der internationalen Machtposition des deutschen Marktes mit den daran sich knüpfenden politischen Konsequenzen muß unzweifelhaft der letzte und entscheidende Gesichtspunkt auch bei der Regelung des Emissionswesens sein. Selbst das Risiko bedeutender Verluste einheimischer Kapitalisten in fremden Anlagepapieren muß eventuell mit in den Kauf genommen werden, und jede Einengung der Emissionsthätigkeit, welche eine Begünstigung fremder Nationen in Bezug auf die internationale Machtstellung ihrer Börsen im Gefolge haben würde, ist für uns zur Zeit indiskutabel. Es ist schon deshalb schwierig, ein staatliches Organ schaffen zu wollen, 21 welches formell etwa mit der Genehmigung ausländischer Emissionen zwecks Wahrung der politischen Interessen des Staats einerseits, der ökonomischen Interessen der inländischen Kapitalisten andererseits betraut würde. Wie die Vorgänge bei den argentinischen Emissionen, bei denen das Auswärtige A m t nicht Einschränkung, sondern Erweiterung unseres Be| sitzes anregte, 22 zeigen, würden die Kapi- A 2451 talisteninteressen unter allen Umständen dabei zu kurz kommen, wie sie denn auch zurücktreten müssen, wenn wirklich politische Machtinteressen in Frage stehen. Ob andererseits eine solche Emissionsbehörde sich zu einer Instanz entwickeln könnte, deren Placet als für ein Papier begehrenswert erschiene, ist zweifelhaft. Vollends aber wird die Kontrolle der Emissionen fremder Werte im politischen Interesse besser, wie dies jetzt geschieht und schon während des orientalischen Krieges geschah, 23 in vertraulicher Form geübt, als durch eine Instanz, welche genötigt würde, durch eine Ablehnung amtlich die Verantwortung einer unfreundlichen Handlung auf sich zu nehmen. Die Stellung der Regierung zu den größten Häusern reicht hier aus, mißliebige Emissionen zu hindern, vorausgesetzt, daß man sich auch auf ihrer Seite an eine andere Be20 Gemeint ist Schmoller, Einleitung, S. XXVf. 21 Gemeint ist das von der Börsenenquetekommission vorgeschlagene Organ einer „Emissionsbehörde". Börsenenquetekommission, Vorschläge II 2 - 3 , . 22 Nach Auskunft des Sachverständigen Emil Russell vor der Börsenenquetekommission hatte das Auswärtige Amt Ende der 1880er Jahre die großen deutschen Banken zur Investition in argentinischen Unternehmungen autgefordert, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits die desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse Argentiniens bekannt wurden. 23 Gemeint ist der russisch-türkische Krieg von 1877/78. Vgl. hierzu oben, S.470 mit Anm. 27.
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handlung der Banken gewöhnt, als sie z. B. seinerzeit bei der Ausstoßung der russischen Papiere zu Tage trat. 2 4 Politisch wäre es für äußerste Fälle nur etwa erwünscht, festgestellt zu sehen, daß den politisch leitenden Stellen - am angemessensten dem Reichskanzler - ein arbiträres Einspruchsrecht gegen fremdländische Emissionen zustehe. - Hiernach scheint sehr fraglich, ob eine wie immer zusammengesetzte Emissionsbehörde hier, von ganz extremen Fällen offenbaren Schwindels, wie sie sehr selten vorkommen werden, abgesehen, bei diesen internationalen Operationen eine Möglichkeit fruchtbringender Mitwirkung finden würde. Keinesfalls darf sie ein Hemmnis der Aktionsfähigkeit der deutschen Emissionshäuser bilden. Alsdann wird man sie für unschädlich, aber auch eben deshalb für keine nennenswerte Errungenschaft ansehen dürfen. Ihre Rolle wird notwendig gerade in besonders wichtigen Fällen, denjenigen von politischer Bedeutung, oft eine mehr statistenhafte sein müssen. Anders sieht es dagegen mit den kleineren, vorwiegend inländischen Gründungsemissionen. Hier würde die Thätigkeit einer Emissionsbehörde sehr wohl Erfolge zeitigen können, ohne ökonomische Machtinteressen Deutschlands zu gefährden. Vielleicht wirksamer noch wäre im gleichen Sinne die Durchführung der übrigen Vorschläge der Kommission, nämlich 1) Aktien bei Neugründungen (mit Ausnahme von Eisenbahnen) erst ein Jahr nach der Registrierung der Gesellschaft zum Handel zuzulassen, 25 2) bei Einführung von Aktien an der Börse die Mindesthöhe der alsbald dem freien Verkehr zuzuführenden Nominalkapitalbeträge festzusetzen. Letzteres entspricht schon jetzt der Praxis an großen Börsen, die Kommission schlägt allgemein den Betrag von 3 Millionen für Berlin, 2 Millionen für Frankfurt, 2 6 V2 Million für 24 Als Chef der Reichsbank konnte der Reichskanzler dem Direktorium der Reichsbank Weisungen erteilen. Ein Mittel, mißliebige ausländische Emissionen zu verhindern, bestand darin, daß die Reichsbank sie von der Lombardierung ausschloß. 1887 machte Bismarck von seinem Weisungsrecht Gebrauch; russische Wertpapiere wurden daraufhin von der Lombardierung ausgeschlossen. Die großen Bankhäuser sahen sich gezwungen, der Politik der Reichsbank zu folgen. 25 Die Frist von einem Jahr sollte für die Zulassung von Aktien eines in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmens gelten, also nicht eigentlich für Neugründungen. Börsenenquetekommission, Vorschläge II 7 a. 26 Für Hamburg hatte die Börsenenquetekommission gleichfalls ein Mindestgrundkapital von zwei Millionen Mark vorgeschlagen. Börsenenquetekommission, Vorschläge, II 7 b.
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die anderen Börsen vor. - Ganz unbedenklich ist allerdings die | Abdrängung der kleineren Papiere an die Provinzialbörsen nicht, A 245 r da erfahrungsmäßig sie gerade dort Objekte regionaler Spielleidenschaft und Ausbeutungsdomäne einzelner, durch Konkurrenten 5 nicht behelligter Institute werden, - so manche Kohlenpapiere in Westfalen. 27 - Auch der Ausschluß des Terminhandels in kleineren Papieren (s. u.) 28 wird dahin wirken, die Expansionsfähigkeit der Spekulationsepidemien zu schwächen. - Indem die Kommission ferner den Handel vor der Zuteilung durch Subskription aufgeleg10 ter Papiere ( e „Handel per e Erscheinen") zu verbieten vorschlägt, greift sie eine der bedenklichsten Formen der Schaffung fiktiver Werte heraus, läßt dagegen die zur Durchführung großer Emissionen unumgänglichen Maßnahmen - Interventionskäufe, Sperrung von Stücken (soweit dadurch bei Aktien nicht der Mindestbetrag 15 des Zulassungskapitals herabgesetzt wird) - unberührt. Auch diese Maßnahmen können einen unreellen Charakter annehmen, allein sie sind emissionstechnisch unentbehrlich, liegen auch im Interesse der soliden Reflektanten. Die Haftung der Emittenten anlangend, so behaupten die Chefs 20 großer Emissionshäuser, daß die Auferlegung der Reellitätsprüfungspflicht „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes" sie zur Einstellung der Emissionsthätigkeit zwingen würde. 29 Es ist wahrscheinlich, daß für große internationale Operationen, sofern diese Haftung für deutsche Emittenten einseitig eingeführt würde, 25 dies in der That zutrifft. In der jetzigen Formulierung („bösliche Unterlassung") 30 dürfte die Bestimmung bei angemessener Gestaltung der Praxis minder bedenklich sein. In jedem Falle kommt auch sie gerade für diejenigen Kategorien von Emissionen, an denen die bedeutendsten Verluste entstanden 30 sind, schwerlich in Betracht. Bestimmungen zu schaffen, welche z.B. die Emittenten der argentinischen Papiere haftbar gemacht e A: Handel „per 27 Zur Verquickung von Börsenspiel und Montanindustrie vgl. die Ausführungen oben, S. 353 mit Anm. 21 und S.529. 28 Unten, S.570. 29 In diesem Sinne äußerte sich Emil Russell, Mitinhaber der Diskonto-Gesellschaft, vor der Börsenenquetekommission. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.379. 30 Zitat aus §41 Entwurf: Börsengesetz 1.
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hätten, würde in der That mit Vernichtung des deutschen Emissionsgeschäfts gleichbedeutend gewesen sein. Die Bestimmungen des Gesetzentwurfs schließen sich den Vorschlägen der Kommission wesentlich an.31 3. Terminhandel
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(s[iehe] neben dem Art. „Börsengeschäfte" in Bd. II, S. 681 [,] den Art. „Zeitgeschäfte" in Bd. VI, S.794).32 Ich beschränke mich in Bezug auf diesen Gegenstand hier auf kurze Registrierung und Charakterisierung der Absichten und Vorschläge der Kommission. 10 I. Die Kommission will zunächst die Zulassung des Terminhandels inbezug auf dessen Objekte an gewisse Voraussetzungen knüpfen, mit der Wirkung, daß die Nichtzulassung das Verbot des Handels, insbesondere der Benutzung der Börseneinrichtungen und der Vervielfältigung von Terminnotizen, nach sich ziehe. Auch ei- 15 A 2461 nen schon stattfindenden Termin |handel soll der Bundesrat untersagen dürfen. Die in dieser Beziehung gemachten Vorschläge sind im wesentlichen billigenswert: Einen der wesentlichsten technischen Schäden auf dem Gebiete des E/jfe/cienterminhandels erblickt die Kommission mit Recht in 20 der Zulassung von Papieren zu kleinen Betrages, und es kann nur gebilligt werden, wenn sie ein Kapitalminimum von 20 Mill. Mark zu beanspruchen vorschlägt. Der Terminhandel in kleinen Papieren ist ökonomisch steril und, da die Preisbildung hier besonders leicht zu beeinflussen ist, ein Herd der Ausbeutung Außenstehender. 25 Die entsprechenden Schäden des ProdMfctercterminhandels sind komplizierterer Art. Zunächst ist es unleugbar bedenklich, wenn, wie dies beim Terminhandel in Halbfabrikaten (Kammzug) der Fall sein kann, diese Form des Handels auf ein Gebiet übergreift, auf welchem die Gefahr besteht, daß nicht sie im Dienste der Preisaus- 30 gleichung und damit' der Produktion funktioniert, sondern vielmehr umgekehrt durch transitorische Preisschwankungen rein spef A: da mit 31 Das ist der Begründung zum Entwurf: Börsengesetz 1, S. 6, zu entnehmen. 32 Gemeint sind: Struck, Börsengeschäfte, und: Eschenbach, Zeitgeschäfte.
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kulativen Ursprungs, namentlich die Festhaltung von Haussepositionen, die hier schnell expansionsfähige Produktion meistert.33 Es ist schon deshalb gerechtfertigt, wenn die Kommission amtliche Kontrolle und die Zuziehung auch der beteiligten Gewerbszweige außerhalb der Börse zur Erörterung vor jeder Zulassung von Waren zum Terminhandel vorschlägt. Es hat sich gezeigt, daß Außenstehende - so in der Kammzugbranche - im privaten Interessenkampf um die Zulassung regelmäßig den Börsenhändlern gegenüber den Kürzeren ziehen, schon weil es sich um international konkurrierende Börsen und Industrien handelt und die Börsenhändlergruppen lokal konzentrierte Verbände mit einheitlichen Interessen sind. 34 Im übrigen konzentrierten sich die auf der technischen Natur des Terminhandels beruhenden Angriffe gegen ihn hauptsächlich, wenn schon nicht ausschließlich, auf den Getreidehandel. Hier drehten sich die geltend gemachten Bedenken um die beiden mit 33 Neben Kammzug waren zwar auch Spiritus und Zucker Halbfabrikate, die im Termingeschäft an der Börse gehandelt wurden, zur Überproduktion kam es allerdings nur in der deutschen Kammzugproduktion. Für die Überproduktion führt Eschenbach, Terminhandel in Kammzug, S. 4f., 8 und 16, folgende Gründe an: Die Kämmereien erweiterten ihre Betriebe „ganz außerordentlich", verlockt durch die gewaltigen Umsätze im Kammzugterminhandel an der Antwerpener Börse, in der Annahme, die eingekaufte Rohwolle als Kammzug im Terminmarkt sofort wieder verkaufen zu können. Sie übersahen dabei, daß es sich überwiegend um Scheinumsätze - 97 Prozent aller Termingeschäfte sollen Differenzgeschäfte gewesen sein - handelte, die nicht reellen Kauf- und Verkaufsbedürfnissen entsprachen. Die gewaltige Ableitung von Rohwolle in die Kammzugproduktion und das Überangebot an Kammzug verursachte einen stetigen Preisverfall. Die Notwendigkeit, die Produktion für den Terminhandel auf eine fungible Qualität umzustellen, verhalf nicht, wie erhofft, zu einem internationalen Absatzmarkt. Überregionale Abnehmer blieben aus, da die regionalen Moden unterschiedliche Anforderungen an die Qualität des Kammzugs stellten. 34 Als 1888 der Kammzugterminhandel an der Antwerpener Börse aufgenommen wurde und innerhalb kürzester Zeit die Händler - darunter auch deutsche Firmen - hohe Gewinne erzielten, trat ein Teil der deutschen Kammzughändler vehement dafür ein, den Terminhandel in Kammzug auch in Berlin einzuführen, um von der Antwerpener Börse unabhängig zu werden. Die Agitation der Händler nahm der preußische Handelsminister zum Anlaß, eine Umfrage unter den von einer Einführung betroffenen Firmen durchführen zu lassen. Es zeigte sich, daß die Zahl der Befürworter und Gegner des Kammzugterminhandels ungefähr gleich groß war. Daraufhin verbot der preußische Handelsminister die Einführung des Kammzugterminhandels. Die Befürworter wandten sich nun nach Leipzig. Die sächsische Regierung lehnte eine Einführung des Kammzugterminhandels zwar auch ab, es fehlte ihr aber eine gesetzliche Handhabe für ein Verbot. So wurde 1890 in Leipzig der Terminhandel aufgenommen. Die Mehrzahl der Händler und der Produzenten hatte sich bemüht, die Einführung zu verhindern und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ihr zum Teil entschiedener Widerstand blieb jedoch erfolglos.
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einander zusammenhängenden Punkte der Lieferungsqualität und des Kündigungswesens.35 Die Gründe der unleugbaren Schäden, welche die derzeitigen Zustände hier im Gefolge haben, liegen aber in erster Linie in der noch sehr unvollkommenen Organisation des deutschen Getreidehandels, zumal des Lagerhauswesens, dessen zweckmäßige Durchbildung erst die Sortierung nach Typen und die Prüfung der Lieferbarkeit vor dem Andienen der Waren ermöglichte. Unleugbar führen die relativ noch immer niedrigen Ansprüche an die Terminqualität zu einem gewissen - wenn schon schwerlich sehr erheblichen A 246 r Preisdruck auf | die inländischen Qualitätsprodukte, und ferner wird die ohnehin bei der üblichen Form der Produktentermingeschäfte auf Ankündigung seitens des Terminverkäufers technisch überlegene Position des letzteren, - der den Zeitpunkt wählt, noch gestärkt dadurch, daß durch Verwendung von Getreide zu Kündigungen, welches sich demnächst als unkontraktlich erweist, häufig der Käufer zwecklos belästigt und durch den entstehenden Anschein eingetroffener Vorräte eine Baissestimmung begünstigt werden kann, - von geradezu betrüglichen Manipulationen (Scheinkündigung, mehrmalige bewußte Kündigung mit unkontraktlichem Getreide) ganz abgesehen. Wo, wie in Amerika, nur die Lagerscheine der von den Börsen kontrollierten Lagerhäuser, welche das Getreide sortieren, „legal tender" sind, kann derartiges nicht vorkommen.36 Von der Berliner Börse ist ein Teil der Beschwerden inzwischen durch Änderung der Schlußscheinbedingungen erledigt worden.37 - Die Kommission wünscht in der Hauptsa-
35 Die hierzu geäußerten verschiedenartigen Bedenken der Sachverständigen gegenüber der Börsenenquetekommission sind stichwortartig zusammengefaßt, in: Börsenenquetekommission, Register zu den Sten.Ber., S . 9 1 - 9 6 (Getreideterminhandel), 1 4 4 151 (Lieferungsbedingungen) und 1 5 6 - 1 5 8 (Kündigungswesen). 36 Max Weber stützt sich hier auf Schumacher, Getreidehandel, S.812 und 817 f. Die Lagerscheine galten wie ein gesetzliches Zahlungsmittel (legal tender). Damit ist gemeint, daß derjenige, der aufgrund eines Warenterminkontrakts zu einer Leistung (Lieferung oder Zahlung) verpflichtet ist, gegenüber seinem Gläubiger mittels des Lagerscheins unbedingt erfüllen kann. 37 Gemeint sind die Bedingungen für den Handel mit Weizen (Roggen, Hafer und Mais) auf Lieferung Innerhalb eines Kalender-Monats, gültig für Geschäfte auf Januar 1894 und spätere Termine, in: Handbuch der Produktenbörse 1894, S. 1 - 2 3 . Sie brachten folgende Änderungen: 1. Die Lieferungsfrist wurde von zwei auf einen Monat verkürzt. 2. Im Fall des Verzugs des Verkäufers wurde dem Käufer das Recht eingeräumt, sich die Ware durch
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che periodische Festsetzung der Lieferungsqualität, möglichst unter Berücksichtigung der Inlandsernte, und thunlichste Feststellung der Lieferbarkeit vor der Andienung. II. Größeres Interesse aber nehmen diejenigen Vorschläge der Kommission in Anspruch, welche die Verwendung der Geschäftsform des Terminhandels und die damit gegebene Möglichkeit, kapitallos auf Kredit zu spekulieren, zur Heranziehung und Ausbeutung der außerhalb der Berufshändlerschaft stehenden Kreise abschneiden also subjektive Voraussetzungen der Teilnehmer am Terminhandel schaffen wollen. Einerseits wünscht die Kommission die Eintragung aller Berufsspekulanten in das Handelsregister, in welchem sie sich schon nach geltendem Rechte befinden sollten, aber nicht überall wirklich befinden. Andererseits will sie eine Schranke zwischen berufsmäßigen Spekulanten und „Publikum" durch das Institut des Terminregisters errichten. Nur wer sich unter Zahlung einer Gebühr von 500 M. für das erste, 100 M. für jedes folgende Jahr in ein öffentliches, im Reichsanzeiger nach der Eintragung und außerdem jährlieh publiziertes Register eintragen läßt, soll rechtswirksame Termingeschäfte abschließen und Aufträge zu solchen geben können. Nur unter den Eingetragenen soll ein abgeschlossenes Termingeschäft gelten, unter diesen aber auch unanfechtbar, insbesondere unter Ausschluß des S/?i'e/einwandes, gültig sein. Die Kommission schlägt aber das Register nur für den Warenterminhandel vor, für den Effektenhandel wurde es mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. 38 Die Bemerkung des Berichtes, daß im Effektenhandel die Verhältnisse andersartige seien als im Warenterminhandel, trifft nur in dem Sinne | zu, daß, wenn überhaupt, a 2471 zweifellos gerade der Effektenhandel einer Scheidung der „berufenen" von den „nicht berufenen" Spekulanten bedürfte. Der Geeinen Makler effektiv beschaffen zu lassen. 3. Der Käufer erhielt das Recht, gekündigte Ware, die für nicht lieferbar erklärt worden war, zum geschätzten Minderwert abzunehmen. Nahm er dieses Recht nicht wahr, galt die Kündigung als nicht geschehen. 38 Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde das Register für Wertpapiere in der ersten Lesung der Börsenenquetekommission abgelehnt. In der zweiten Lesung war die Entscheidung deutlich mit fünfzehn Nein- gegen sechs Ja-Stimmen ausgefallen. kommission,
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S. 366 und 418. Im folgenden nimmt Max Weber Bezug Bericht, S. 111 f.
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setzentwurf geht denn auch von der Gleichstellung beider Handelszweige aus, setzt im übrigen die Registergebühr noch weiter herab.39 Welche Bedeutung würde nun einem derartigen Börsenregister zukommen? Das würde davon abhängen, welche Kategorie von Personen sich eintragen lassen würde. Indem der Entwurf die Publikation der Eintragungen, also von Thatsachen, die an sich nicht die Interessen des Publikums, sondern nur des Berufshändlers berühren, anordnet, hat er in der That, wie behauptet worden ist, der Eintragung annähernd den Charakter eines dem Eingetragenen angehefteten Plakates mit der Aufschrift: „Ich bin Spekulant" 40 gegeben. Die dadurch bezweckte Abschreckung könnte leicht bewirken, daß die anständigen Kreise des Händlerstandes, auf ihre Ehrbarkeit gestützt, sich der Eintragung entzögen, der Terminhandel in diesen Kreisen überhaupt zu gunsten anderer Geschäftsformen einschrumpfte und das Register der Sammelplatz zweifelhafter Elemente würde, während andererseits die amerikanischen Börsen zeigen, daß auch in der Form des Kassageschäfts wild spekuliert werden kann. Der Terminhandel geriete damit in Gefahr, offiziell ein spezifisches Jobbergeschäft zu werden, - und das ist ungefähr das Umgekehrte von dem, was erwünscht sein würde. Und in Perioden hochgehender Spielepidemie würde die Gebühr in ihrer jetzt vorgeschlagenen Höhe auch von sehr breiten Kreisen daran gegeben werden, wenn sie das Privileg der Kreditspekulation verleiht. Gesund erscheint an dem Vorschlag nur der Grundgedanke: der Versuch der Scheidung von Berufshändlern und Personen, die dies nicht sind. Insbesondere auch in Bezug auf die Zulassung des Differenzeinwandes, welche innerhalb des Kreises der ersteren ebenso sehr dem Rechtsgefühl der Beteiligten und der geschäftlichen Re-
39 Mit dem Entwurf: Börsengesetz 1 wurde die Einführung eines Börsenregisters für Wertpapiere wie für Waren vorgeschrieben (§51). In der Begründung zum Entwurf: Börsengesetz 1, S. 7, wird angeführt, daß die von der Börsenenquetekommission vorgeschlagene verschiedenartige Behandlung der Börsen nicht zweckmäßig sei, weil dadurch die Rechtsunsicherheit verschlimmert werde. Die einmalige Eintragungsgebühr wurde auf 150 Mark, die jährliche Erneuerungsgebühr auf 25 Mark herabgesetzt. §54 Entwurf: Börsengesetz 1. 40 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede Heinrich Wieners, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 261.
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ellität widerspricht, wie sie außerhalb desselben, im Verhältnis zum „Publikum", dem unbefangenen Rechtsbewußtsein natürlich erscheint. Wie das Handelsrecht thatsächlich in erster Linie Standesrecht des Berufshandels ist, so erscheint dies auch für den Terminhandel, soweit darin im Momente Kreditgewährung liegt, natürlich. Vom Publikum wird ohnehin regelmäßig eine Sicherstellung verlangt, und hieran anknüpfend ließe sich m. E. - um nicht lediglich zu kritisieren - sehr wohl eine Beschränkung des Anspruchs gegen Mc/iiberufshändler auf den Betrag der bei Entrierung des Geschäfts bar oder durch Spezialpfand gewährten Sicherheiten unter Verbot jeglicher Nachschußforderung in Erwägung ziehen. Damit wäre wenigstens der | Kreditüberspannung ein Hindernis in den A247r Weg gelegt und durch die Notwendigkeit alsbaldiger Festlegung erheblicher Barbeträge die Expansionsfähigkeit der Spielsucht eingedämmt, ohne daß der Utopie, dieselbe gesetzlich ausrotten zu wollen, nachgejagt würde. - Die Frage wäre dann noch, wie formal der Berufshändler abzugrenzen wäre. In erster Linie wäre hier wohl etwa an das Handelsregister zu denken, welches freilich einer Umgestaltung (auch an sich) bedürftig ist, da die jetzige Abgrenzung der Registerfähigkeit nicht einmal juristische Konsequenz erkennen läßt, ökonomisch aber ganz disparate Kategorien umfaßt.41 III. Ohne Rücksicht auf die Geschäftsform will die Kommission endlich die „Verleitung" nicht berufsmäßig am Börsenhandel Interessierter zu Börsengeschäften unter „Ausbeutung des Leichtsinns und der Unerfahrenheit" 42 unter Strafe stellen und die betreffenden Geschäfte als nichtig behandeln. Bei angemessener Handhabung wird diese Bestimmung als entschieden zweckmäßig anzusehen sein.
41 Aus der Definition der Handelsgeschäfte leitet das HGB den Begriff des Kaufmanns ab. Betreibt er die durch das HGB definierten Handelsgeschäfte (Art. 271-273) gewerbsmäßig, so ist er registerfähig. Die Eintragung in das Handelsregister bestimmt nicht die Kaufmannsqualität. Sie hat auch nicht die Kraft, Rechtsverhältnisse bindend zu regeln, noch läßt sich aus der Eintragung die Konsequenz ableiten, daß Handelsrecht zur Anwendung kommt (Art. 12). Staub, Kommentar zum HGB, S. 18-20. 42 Die Formulierung der Börsenenquetekommission lautet: „Wer in gewinnsüchtiger Absicht unter Benutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen [...] verleitet." Börsenenquetekommission, Vorschläge III E.
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4. Maklerwesen und Kursfeststellung. Sfiehe] dazu den Art. Bd. IV, S. 1096 fg.43 „Makler" ist börsentechnisch, wer innerhalb des Kreises der Teilnehmer am Marktverkehr das jeweilig vorhandene Angebot und die vorhandene Nachfrage ausgleicht, - gleichviel in welcher Rechtsform, ob als Kontrahent oder bloßer Mittelsmann. Die allgemeine Entwickelungstendenz auf dem Gebiete des Maklerwesens ist gegeben durch die veränderten Ansprüche, welche der Verkehr an den Makler stellt und stellen muß. Die Spekulation kann den Makler nicht als einen Vermittler benutzen, der nach erhaltenem Auftrage den Gegenkontrahenten zu acquirieren und dem Auftraggeber zuzuführen sucht. Die steigende Kostbarkeit der Zeit und das schnelle Schwanken der Kurse macht es im Terminverkehr zumal zur unumgänglichen Voraussetzung der Benutzung des Maklers, daß das Zustandekommen des Geschäfts und der Kurs alsbald feststehe. Demgemäß ist zum mindesten der Terminmakler regelmäßig genötigt, beides zu garantieren. Darauf beruht das Institut der „Aufgabemakler": der Makler schließt das Geschäft zu festem Kurse ab, ist aber verpflichtet, innerhalb kurzer Usanzfrist einen anderweiten konvenierenden Gegenkontrahenten zuzuweisen. Mit zunehmender Größe des Marktes und steigender gegenseitiger Unbekanntschaft in Bezug auf die Kreditwürdigkeit geht jedoch die Tendenz weiter dahin: die Benennung eines Gegenkontrahenten überhaupt zu beseitigen, vielmehr, während der Gegenkontrahent anonym bleibt, den Makler - ähnlich dem selbst eingetretenen Kommissionär - allein im9 Engagement zu belassen. Damit entwickelt sich der Makler zum „Propermakler". Die A 2481 Makler-Qualität dieser | Gruppe von Börsenhändlern beruht auf der Geschäftsmaxime thunlichst alsbaldiger Deckung übernommener Engagements durch Abschluß von Gegengeschäften. Von der Spekulation im engeren Sinne unterscheidet die Makelei sich dadurch, daß jene auf der Annahme künftiger Preisänderung zufolge Verschiebung der Marktlage beruht, diese Änderung ausnutzt und dadurch ausgleicht, die Makelei dagegen in der Beobachtung der g A: in 43 Gemeint ist der Artikel von Eschenbach,
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präsenten Marktlage, der Vermittelung des gegenwärtigen Angebots und der gegenwärtigen Nachfrage besteht und in dieser Vermittelungsthätigkeit (im ökonomischen, nicht im juristischen Sinne) ihren Erwerb sucht. Von der Kommission unterscheidet sich die Makelei dadurch, daß sie die Vermittelung auf dem Markt, innerhalb des Kreises der Börsenhändler, die Kommission die Vermittelung nach außen hin, zwischen den Außenstehenden und dem Markt, pflegt. Naturgemäß ist die Grenze aller dieser Funktionen flüssig, Kombinationen mehrerer durch dieselbe Person häufig, namentlich bei freiem Zutritt zur Börse, wie in Paris und Hamburg. Immerhin sind die Funktionen ihrer Natur nach ungleichartige, erfordern Kalkulationen auf verschiedener Grundlage, die Kommissionärthätigkeit auch korrespondierendes Personal. Die Innehaltung der Schranke der Makelei kann bei Pflege fester Börsentraditionen für den Propermakler sich zur „Reellitäts"-Pflicht gestalten, deren Innehaltung z. B. durch Konkursstrafen bei bewußter Überschreitung sehr wohl erzwungen werden könnte. Sehr vielfach bestehen - so in Berlin - die Aufgabemakler neben den Propermaklern und stellen erstere diejenige Schicht des Maklertums dar, welche nach ihrer Kapitalkraft nicht die für die eigene Belastung mit Engagements erforderliche Kreditwürdigkeit genießen und deshalb, und zwar nach den Usancen 44 bei Vermeidung von Zwangsregulierung, zur Aufgabe eines Gegenkontrahenten sich verpflichten müssen. In der That ist Kapitalkraft heute, wie für andere Funktionen, so für die Funktion des Maklers unentbehrlichste Vorbedingung einer ökonomisch wertvollen Gebahrung. Diejenige unterste Schicht von ihnen selbst vielfach sogenannter „Makler" an deutschen Börsen, welche ohne alles eigene Kapital lediglich die kleinen Tagesdifferenzen auszunutzen suchen, sind eine ökonomisch sterile Kategorie von Schmarotzern, deren Anwesenheit, da sie gar keine Wahl haben, als: „von oben" gegebenen Parolen zu folgen, die Macht des großen Kapitals grade da, wo sie im einzelnen Fall mißbraucht wird, nur steigert, und ihm dazu die Möglichkeit der Ablehnung und Verantwortung für excessive Preisbildungen gewährt. - Die eigene Kapitalkraft der Propermakler ist am bedeutendsten in England, wo zumal in der Londoner
44 Max Weber referiert aus § 10 der Bedingungen
der Berliner Börse von 1895.
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A 248 r Stock Exchange der „dealer" den höchsten Typus dieser | Kategorie darstellt. In Deutschland existieren spezifische Maklerfirmen in nicht sehr großer Zahl, und wird daneben die Maklerthätigkeit im oben abgegrenzten Sinne45 von großen Bankinstituten (Diskontogesellschaft u. a.) mit dem Kommissionsgeschäft kombiniert. Der 5 Kapitalmangel eines großen Teils der Makler wird im übrigen durch die Institution der „Maklerbanken" auszugleichen gesucht, welche die Garantie für die Schlüsse der Makler übernehmen und ihren Entgelt in Courtageanteilen suchen. Die Kommission hat sich mit diesen grundlegenden Entwicke- 10 lungstendenzen auf dem Gebiete des Maklertums relativ nur wenig beschäftigt. Der Schwerpunkt ihrer Erörterungen lag auf dem Gebiet der vereidigten Makler und in der Frage, ob und wie deren Stellung gehalten oder neu gestärkt und wie die Übernahme eigener Engagements durch diese Kategorie der Makler zu regeln oder 15 ob sie zu verbieten sei.46 Daß das letztere, außer an kleinen Börsen, wo eine Beschränkung der vereidigten Makler auf die bloße „Vermittelung" im ursprünglichen Sinne noch vorkommt,47 unmöglich ist, dürften schon die vorstehenden Erörterungen ergeben. Was sich wenigstens im großen und ganzen erzwingen läßt, ist nur: daß 20 der Makler sich auf „Vermittelung" im ökonomischen Sinne beschränkt, d.h. seine Engagements „glatt stellt", nicht „spekuliert", nicht aber: daß er vermeidet, im Rechtssinne „Kontrahent" zu werden. Die Kommission hat im wesentlichen diesem Druck der Verhält- 25 nisse nachgegeben, indem sie den von ihr vorgeschlagenen Beamten - den „Kursmaklern" - eigene Geschäfte zwar gestattet hat, aber nur soweit, als dies „zur Ausführung der Aufträge erforderlich" sei.48 Die entstehende Rechtslage würde derjenigen der öster45 Oben, S.576f. 46 Die Erörterungen über die Gestaltung des Maklerwesens finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 331 - 3 3 6 und 341 -344. 47 Vereidigte Makler, denen Eigengeschäfte verboten waren, gab es seinerzeit nur noch in Stettin, Breslau und München. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 203, 859 und 1253. 48 In den Vorschlägen der Börsenenquetekommission heißt es: „soweit dies zur Ausführung der ihnen ertheilten Aufträge nöthig ist". Max Weber zitiert aus der Begründung des Entwurfs: Börsengesetz 1, S. 5, aber ohne den Zusatz, daß Eigengeschäfte „ausnahmsweise" gestattet sein sollen, wenn dies für den bezeichneten Zweck erforderlich sei. Zum Begriff „Kursmakler" vgl. den Eintrag im Glossar, untsn, S. 1051.
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reichischen Sensale entsprechen 49 und sich dem in Berlin schon faktisch bestehenden Zustand anschließen. Für die Lebensfähigkeit des Institutes der „Kursmakler" wird es entscheidend sein, welcher Bruchteil des Verkehrs ihnen wird zugeführt werden können. Die heutigen vereidigten Makler, welche in den Hansestädten völlig verschwunden sind, spielen die herrschende Rolle in Berlin nur noch im Kassahandel in Effekten aus Gründen, die mit der gleich zu besprechenden Form der Kursfeststellung 50 zusammenhängen. In Produkten entzieht sich der größte Teil des Lokoverkehrs der Börse überhaupt, herrschend sind die vereidigten Makler nur in einigen Spezialitäten, so im Berliner Spritverkehr loko ohne Faß, wo die auswärtigen Interessenten im Interesse der Güte der Kursfeststellung darauf halten; der Spekulationshandel in Effekten und Produkten ist ihnen meist völlig entwachsen. Nur da, wo Liquidationskassen bestehen, haben diese, in | dem sie nur die Schlüsse A249I der von ihnen zugelassenen Makler garantieren, ein faktisches Vermittelungsmonopol für diese geschaffen. Die etwas größere Bewegungsfreiheit, welche die Kommission ihren „Kursmaklern" durch die eben erwähnte Vorschrift 51 gegenüber dem, was sonst für die vereidigten Makler offiziell Rechtens ist, gewähren will, wird für sich allein wohl nicht genügen, ihnen den Verkehr in die Hände zu spielen, obschon sie, wie die durchaus vorherrschende Stellung der schon jetzt ähnlich gestellten vereidigten Makler an der Frankfurter Börse 52 zeigt, von erheblicher Bedeutung ist. Durchschlagend würde erst die gleichzeitige Ausstattung der Maklerfunktion mit Kapital wirken, wie sie durch Begün-
49 Hier nimmt Max Weber Bezug auf Art. 69 a Abs. 2 des Gesetzes vom 4. April 1875: Dem österreichischen Handelsmakler wurde der Geschäftsabschluß im eigenen Namen insofern gestattet, als er „demjenigen, mit dem er das Geschäft abgeschlossen hat, für den Schaden, welcher diesem daraus erwächst, daß das Geschäft durch Schuld des Handelsmäklers nicht mit einer Person abgeschlossen wurde, welche volle Beruhigung zu gewähren geeignet war", haftet. 50 Unten, S.581. 51 Oben, S. 578. 52 Die vereidigten Makler an der Frankfurter Börse durften Erfüllung für die von ihnen vermittelten Geschäfte garantieren oder Bürgschaft leisten und für eigene Rechnung Geschäfte machen, wenn diese zur Anlage ihres eigenen Privatvermögens dienten und der Auftraggeber über den Selbsteintritt Mitteilung erhalten hatte. §7 der Frankfurter Maklerordnung vom 9. Dezember 1864, in: Puls, Börsenhandbuch, S. 22.
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stigung oder direkte Erzwingung der Bildung von solidarisch haftenden MaklerSyndikaten nach Art des Syndikates der Pariser Agents de change, welche im wesentlichen die Funktion versehen, welche die Liquidationskassen h im Produktenverkehr aufnehmen, erzielt werden könnte. Würde man diesen Syndikaten die Kursfest- 5 Stellung unter Kontrolle amtlicher Börsenorgane übertragen, so könnte1 man ihnen die Eigen.Spekulation (nicht die Eigen/ia/hmg) verbieten - was für die Pariser Agenten schon gilt - und dennoch auch ohne jedes rechtliche Vermittelungsmonopol den Schwerpunkt der Verkehrsvermittelung in ihre Hände bringen. Das letz- 10 tere ist nötig, wenn derjenige Zweck, welchen die Börsenenquetekommission mit ihren Vorschlägen erreichen möchte, wirklich, soweit überhaupt möglich, erfüllt werden soll: eine Kursfeststellung, welche der Marktlage entspricht. Die Kursmakler des Kommissionsvorschlages würden sich, - abgesehen von der schon erörterten 15 größeren Freiheit bezüglich der Rechtsstellung zu den Kunden, 53 nur dadurch von den vereidigten Maklern unterscheiden, daß sie nicht mehr lebenslänglich, sondern auf Zeit angestellt würden, wodurch die Gefahr einer k Abhängigkeit von k den in den Selbstverwaltungskörperschaften der Börsen vertretenen Firmen immerhin 20 steigt. Sie sollen in Bezug auf die Kursermittlung, welche heute das wichtigste, allerdings vielfach nur formale Vorrecht der vereidigten Makler bildet, dadurch in stärkerem Maße privilegiert werden, als diese es sind, daß außer den von ihnen selbst vermittelten Abschlüssen nur solche bei der Kursfeststellung sollen berücksichtigt 25 werden müssen, welche zu diesem Zweck besonders von den Interessenten angemeldet werden. Nach den jetzigen Zuständen werden die vereidigten Makler in denjenigen Artikeln, welche faktisch überwiegend im freien Markt gehandelt werden, von den Börsen genötigt, die Gesamtmarktlage zu berücksichtigen. Mit der Neue- 30 rung würde erreicht werden, daß alle diejenigen Geschäfte, an deren Registrierung und Einwirkung auf die Notiz ein innerhalb des | A 249 r Börsenverbandes stehender Beteiligter interessiert ist, angemeldet werden, keineswegs aber wirkliche Vollständigkeit des Materials. Soll, wie die Kommission vorschreibt, der Kurs der „wirklichen 35 h A: Liquidationskosten 53 Oben, S.578.
i A: könne
k A: Abhängigkeit, von
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Marktlage" 54 entsprechen, so ist es vielmehr die Hauptsache, den Kursmaklern die Kenntnis desselben durch Überführung eines möglichst großen Bruchteils der Geschäfte in ihre Hände zu verschaffen. Das von der Kommission vorgeschlagene Privilegium bestimmter einzelner Geschäfte - der von den Kursmaklern ermittelten und der angemeldeten - bei der Notiz steht aber im inneren Widerspruch mit der Absicht, eine Kursfeststellung auf Grund der häufig in keinem einzelnen Geschäft zum Ausdruck kommenden „Marktlage" zu erzielen. Die Kommission hat hier zwei verschiedene heute bestehende Arten der Kursermittelung miteinander vermengt. Zweierlei kann man mit der Kursfeststellung erreichen wollen. Entweder: eine „Photographie" der Marktvorgänge.55 Das wird am sichersten erzielt, wenn man die sämtlichen einzelnen abgeschlossenen Geschäfte notiert und nach Zeit, Quantum, Qualität (bei Waren) und Preis publiziert. Darauf läuft im wesentlichen das amerikanische System der „quotation books"1 hinaus. Oder aber man will im Kurse die oft in keinem einzelnen der Geschäfte, zuweilen auch nicht in allen zusammen, zum Ausdruck kommende - jeweilige Marktlage des betreffenden Artikels darstellen. Das kann durch Vertrauensmänner geschehen, wie es die mit der Kursfeststellung betrauten Instanzen im Berliner Produktenverkehr und Effektenterminhandel, im Frankfurter und Hamburger Effektenverkehr sind. In diesem Falle kann man formale Schranken in betreff der zu berücksichtigenden Geschäfte nicht errichten, sondern muß das Ermessen der betreffenden Funktionäre unter Kontrolle der Öffentlichkeit ausschlaggebend"1 sein lassen. Anders kann man alsdann nur verfahren, wenn man eine förmliche Konzentration möglichst des gesamten Marktangebotes auf einen bestimmten Moment herbeiführt. Dies ist möglich entweder im Wege der Auktion (public call), wie sie die englisch-amerikanischen Börsen und bei uns z. B. die Kaffeebörse in Hamburg kennt, oder durch das Institut I A: backs"
m A: ausschlagend
54 „Wirkliche Marktlage" hatte die Börsenenquetekommission umschrieben mit den Worten „wirkliche örtliche Geschäftslage des Verkehrs". Börsenenquetekommission, Vorschläge IV 1 a. 55 Hier und im folgenden stützt sich Max Weber auf die Argumentation von Heinrich Wiener. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3474f.
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des „Einheitskurses", d. h. der Erledigung aller Geschäfte simultan und, soweit die gestellten Limits das nicht ausschließen, zu demselben Kurs, wie es im Berliner Kassaverkehr" geschieht. Die letztere Form ist in ihrer Anwendbarkeit auf Effektenkassageschäfte und auf die Feststellung etwa von 3 - 4 Termineinheitskursen im Be- 5 reich des Börsentages beschränkt. Im Terminverkehr würde sie unzweifelhaft eine Zusammendrängung eines großen Teils des VerA 2501 kehrs auf die Momente | der Ermittelung, also das gleiche Resultat wie die Einführung des Call's haben. Das wäre zum mindesten nicht unerwünscht. 10 Die Beseitigung der Differenzen in Bezug auf die äußere Form der Notierung und die thunlichste Bekanntgabe der gehandelten Quanta, welche die Kommission als erwünscht bezeichnet,56 sind dies unzweifelhaft, und die vermeintliche Unrealisierbarkeit des letztgedachten Wunsches wird durch die Praxis der New-Yorker 15 Börse widerlegt. Wesentlicher wäre noch im Interesse reichlich vollständiger Erfassung die Ausdehnung des Notizenzwanges auf alle „Früh"- und sonstigen Nebenbörsen 57 und allen im Markthandel sich abspielenden Verkehr überhaupt. Die Vorschläge der Kommission enthalten hiernach wirklich or- 20 ganische Neugestaltungen auch auf diesem Gebiete nicht. Der Gesetzentwurf schließt sich ihnen an, überläßt dem Bundesrat alles Einzelne bezüglich der Notiz und legt damit das Schwergewicht der Entwickelung in die Ausführungsvorschriften.58 5. Kommissionsgeschäft. Börsentechnisch ist der Kommissionär die Mittelsperson zwischen der Börse und Außenstehenden. Die Rechtsform ist irrelevant. Der n A: Kassenverkehr 5 6 Hier und im folgenden nimmt Max Weber Bezug auf: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 160. 5 7 Die Berücksichtigung der Lokoabschiüsse der Frühmärkte bzw. -börsen bei der Preisfeststellung an den (eigentlichen) Börsen wurde vor allem von agrarischer Seite gefordert, so bereits - unter allgemeiner Zustimmung der übrigen Mitglieder der Börsenenquetekommission - von Graf Arnim. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 423. Zur Frühbörse vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1045. 5 8 Gemeint sind hier die Vorschriften der § § 2 9 - 3 5 des Entwurfs: Börsengesetz 1. Nach § 35 Nr. 3 ebd. sollte der Bundesrat Bestimmungen zur Vereinheitlichung der Usancen der der Notiz zugrundegelegten Maße und Gewichte treffen.
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überkommene Rechtsbegriff (Art. 360 H.G.B.) 59 des Kommissionärs ist überwunden. Wie der Makler vom bloßen Vermittler zum „Propermakler", so ist der Kommissionär von einem bloßen Mittelsmann, der den Auftrag des Kunden durch Abschluß eines Ausrichtungsgeschäfts mit einem Dritten erledigt, dem gegenüber er als Kontrahent des Geschäfts erschien, ohne aber seinem Auftraggeber für dasselbe zu haften, zu einer zwischen die Parteien tretenden selbständigen Mittelsinstanz geworden, welche den Gegenkontrahenten durchweg anonym läßt. Der Grund ist der gleiche: Der Kommittent will nicht mit ihm unbekannten Dritten, sondern mit dem ihm seiner Kreditwürdigkeit nach bekannten Kommissionshaus zu thun haben. Der Kommissionär will dadurch seinerseits die spezifizierte Abrechnung über die Ausrichtung abwälzen. Im Effektenhandel ist der „Selbsteintritt" (Art. 376 H.G.B.) die Form, in welcher sich diese Zwischenschiebung des Kommissionärs zwischen die beiden materiellen Vertragsparteien vollzieht. Im Produkten/ermmhandel ist der Kommissionär juristisch bereits ein Eigenhändler geworden, der auf Grund eigener fester Anstellungen nach auswärts handelt. Seine Sonderstellung als Kommissionär kommt aber trotzdem darin zur Geltung, daß ihm die Realisierung des Engagements für Rechnung der Kommittenten 0 obliegt. Die Kommission hätte nicht den gesetzlichen, sondern den börsentechnischen Begriff des Kommissionärs zu Grunde legen sollen. Sie hat mit Unrecht den Schwerpunkt ihrer Erörterungen 60 in die Besprechung der Folgen des Selbsteintrittsrechts des Kommissionärs | gelegt, insbesondere in die Frage, wie dem Übelstande zu be- A 250 r gegnen sei, daß Kommissionshäuser den Dispens vom Nachweis des Ausführungsgeschäfts dazu benutzen, am Kurse zu „schneiden", - namentlich wo die Art der Notiz, wie bei Feststellung mehrerer Kurse am selben Tag, dies erleichtert. Der Mißstand wird verstärkt dadurch, daß ein Zeitpunkt, bis zu welchem der Kommissionär erkennbar machen müßte, ob er als Selbstkontrahent zu erfüllen wünscht, nicht festgesetzt ist, die Art der Ausrichtung mithin oft o A: Kommissare 5 9 Art. 360 und der im folgenden genannte Art. 376 HGB sind unten, S.970 und 972f., abgedruckt. 6 0 Die Erörterungen zum Kommissionsgeschäft finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 194-210, 3 4 5 - 3 4 7 und 426-432; Börsenenquetekommission, Protokolle 1; Börsenenquetekommission, Bericht, S. 179-187.
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erst nach entstandenem Konflikt dem Kommittenten bekannt gegeben wird. Daß den Kommittenten beim Selbsteintritt andere als die verauslagten Kurse angerechnet werden - weitaus die Mehrzahl aller formell behufs Ersparung der Rechnungslegungspflicht durch Selbsteintritt ausgeführten Aufträge führen gerade bei den großen Instituten zu Ausrichtungsgeschäften - ist auch bei den solidesten Bankhäusern nicht selten und darin begründet, daß bei großen Posten, die von mehreren Kunden im gleichen Papier in Auftrag gegeben werden, die Ausrichtung nicht immer zu einem einheitlichen Kurs und in den gleichen Posten erfolgen kann. Dann berechnet man den Kunden, um sie gleichmäßig zu behandeln, einen Durchschnitt. Daß eine Verführung zu illoyalem Verhalten darin liegt, ist unzweifelhaft. Der tiefere Grund dafür, daß thatsächlich vielfach illoyal abgerechnet wird, ist aber die unentwickelte Arbeitsteilung, speziell die in Deutschland im Gegensatz zu England übliche Kombination von Kommissions- und Eigenhandel, eine Verbindung, welche infolge der behufs Konkurrenz mit den älteren und stärkeren Börsen des Auslandes sich p erhaltenden Niedrigkeit 3 der deutschen Provisionssätze zur Zeit noch von den Interessenten für unlösbar gehalten wird. Dem Kursschnitt, auf welchen die Kommission das Hauptgewicht legte,61 kommt aber im ganzen, so unerfreulich die darin liegende Illoyalität ist, keineswegs eine solche Bedeutung zu, daß die Zurückstellung anderer Fragen hinter der Erörterung von Vorschlägen zu seiner Verhinderung gerechtfertigt erscheinen könnte. Selbst wenn das Interesse des Schutzes des Publikums gegen Ausbeutung in den Vordergrund geschoben werden sollte, war die Manipulation des „Kursmachens" seitens solcher Bankhäuser, welche die Kursbildung kleinerer Papiere thatsächlich beherrschen und in diesen Kommissionsaufträge acquirieren, weitaus bedenklicher.62 In Verbindung namentlich mit dem System, sich als Erfülp A: erhaltenden, Niedrigkeit 61 Wie oben, S. 583, Anm. 60. 6 2 Ein solcher Fall erregte 1892 besonderes Aufsöhen. Der Berliner Privatbankier Paul Polke hatte, im Besitz der Aktien einer Aktiengesellschaft, durch kleine an der Börse abgeschlossene Geschäfte die Kurse dieser Aktien beliebig dirigiert und diese Kurse dann den mit seinen Kommittenten für eigene Rechnung abgeschlossenen Geschäften zugrunde gelegt. Vgl. hierzu oben, S. 321 mit Anm. 25.
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lungskaution vom Kunden „Einschüsse" und im Fall der Kursänderung zu dessen Ungunsten „Nachschüsse" als Risikodeckung mit oft sehr kurzen Zahlungsfristen auszubedingen, kann hier das Maximum illoyalen Verhaltens erreicht werden: der Kommissionär, 5 welcher sich für den Fall einer | dem Kunden ungünstigen Kursent- A 2511 wickelung Nachschüsse bei Vermeidung der Zwangsregulierung bedungen hat, beeinflußt den Kurs in der entsprechenden (dem Kunden ungünstigen) Richtung und benutzt die Kursnotiz, um den Kunden, falls der Nachschuß nicht rechtzeitig eintrifft, durch 10 Zwangsregulierung „aus dem Engagement zu werfen". Die Festsetzung einer absoluten Minimalfrist für die Nachschußforderung wurde in der Kommission angeregt,63 aber nicht unter ihre Vorschläge aufgenommen. Auch ist es in der That prinzipiell richtiger, - praktisch freilich minder wirksam, - die Unterdrückung solcher 15 Unreellitäten in den Geschäftsbedingungen dem Ehrengericht zu überlassen, wie die Kommission dies vorschlägt. Seltsam berührt es zunächst, daß die Kommission dasjenige Gebiet, auf welchem die Mißstände hervortraten, die ihre Einberufung veranlaßten - das Depotwesen - schließlich nur mit einer ihr 20 Interesse an dem Gesetzentwurf, welcher 1892 ausgearbeitet war, inzwischen durch einen anderen ersetzt ist, bekundenden Resolution gestreift hat, obwohl in ihrer Mitte mit Recht konstatiert wurde, daß dieser Gegenstand bei Erörterungen über das Kommissionsgeschäft nicht ausgeschieden werden könne.64 - Die Äuße25 rungen der Sachverständigen über die Verpflichtung der Kommissionäre in Bezug auf Papiere, welche sie für Rechnung der Kunden 6 3 Die Anregung brachten die Sachverständigen Max Arnhold und Ludwig Max Goldberger vor. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 295 und 767. 6 4 Zu den Hintergründen der Einberufung der Börsenenquetekommission vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, oben, S. 176-178. Während die Börsenenquetekommission tagte, wurde im preußischen Handelsministerium der Entwurf: Depotgesetz 1 erarbeitet und im Frühjahr 1892 dem Bundesrat überreicht. Er ging der Börsenenquetekommission auf ihre Anfrage zu, jedoch erst, als ihre Arbeit kurz vor dem Abschluß stand. Daher hat sie auf eine Diskussion der Depotfrage verzichtet und lediglich ihr Interesse in einer Resolution bekundet; vgl. diese unten, S. 959. Der von einer Bundesratskommission überarbeitete Entwurf: Depotgesetz 2, in dem die Verbesserungsvorschläge des Börsenenquetemitglieds Heinrich Wiener weitgehend berücksichtigt sind, erschien zusammen mit dem Entwurf: Börsengesetz 1, in: Reichsanzeiger, Nr. 130 vom I . J u n i 1895, Besondere Beilage, S.9. Börsenenquetekommission, Bericht, S. 188f.; Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 202 und 436; die Vorschläge Heinrich Wieners, ebd., S.439f.
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„ins Depot nehmen", 65 differierten in charakteristischerWeise. Die Unterschiede der Auffassung und des Verhaltens hingen thatsächlich regelmäßig mit der verschiedenen Kapitalkraft zusammen: Die großen Kommissionshäuser halten sich zur realen Vorhaltung der für den Kommittenten111 bezogenen Papiere resp. für Aussonderung 5 individueller Stücke aus ihren Vorräten vom Stichtage an verpflichtet und belasten den Kommittenten mit den Zinsen des kreditierten Kaufpreises. Die Masse der Kommissionäre dagegen besitzt nicht ein Betriebskapital des Umfanges, um bedeutende Beträge so festlegen zu können. Sie „erkennen auf Stückekonto", d. h. substi- 10 tuieren ihre Lieferungsbereitschaft der realen Vorhaltung, teils durch Geschäftsbedingungen, teils ohne Weiteres, von der Rechtsansicht ausgehend, daß der Kunde erst nach (voller) Bezahlung ein Recht auf reale Aufbewahrung habe und sogar die Nummernaufgabe r , welche sonst meist als der für die Entstehung dieses Rechts 15 entscheidende Augenblick zu gelten pflegt, hierin nichts ändere. Die Eingehung des Kommissionsverhältnisses mit den Einschüssen des Kunden ist dann ein Mittel, den Kommissionshäusern Betriebskapital für Eigenspekulationen zu verschaffen. Ein absolutes Verbot des „Depotfixens" 6 6 und der geschäftsbedingungsmäßigen 20 Ausschließung der realen Vorhaltungspflicht würde deshalb den A 251 r Anreiz zum Betriebe des Kommissionsgeschäftes | bei den kleineren Banken stark mindern, vielen geradezu unmöglich machen. Durchgreifender wäre auch hier die direkte Erzwingung der Arbeitsteilung zwischen Propre- und Kommissionsgeschäft. Der Er- 25
q A: Komittenten
r A: Nummeraufgabe
65 Gemeint sind die Äußerungen der Sachverständigen zu den Fragen 19 und 20, die in: Börsenenquetekommission, Register zu den Sten.Ber., S. 215-235, stichwortartig verzeichnet und von Max Weber im folgenden ausgewertet sind. Ausführlicher ist Max Weber auf die Äußerungen der einzelnen Sachverständigen, in: Ergebnisse der Börsenenquete, oben, S. 423-427, eingegangen. Die Fragen 19 und 20 vgl. unten, S.934. 66 „Depotfixen" bezeichnete das Spekulieren eines Bankiers ä la baisse (fixen) unter Verwendung der ihm von seiner Kundschaft zur Aufbewahrung oder zum Pfand (Depot) anvertrauten Papiere. Auf diese Weise erweiterte er sein Betriebskapital für Eigenspekulationen. Der Vorgang war folgender: Entweder veräußerte er die bei ihm deponierten Papiere, oder er schrieb dem Kunden im Kommissionsgeschäft Wertpapiere gut, über die er noch nicht verfügte. In beiden Fällen hoffte er, sich zu einem günstigeren Kurs eindecken zu können, wenn der Kunde den Auftrag zum Verkauf oder zur Auslieferung der Stücke erteilte.
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wägung wert wäre auch der Gedanke, den gesamten Wertpapierbestand eines Kommissionärs (im börsentechnischen Sinn) zu gunsten seiner Emittenten durch Konkursvorrechte zu binden. Die Kommission trat ihm nicht näher. 67 Der neue Depotgesetzentwurf 68 erlegt dem Kommissionär Übersendung eines Stückeverzeichnisses binnen 3 Tagen nach Erwerb bezw. Ablauf einer angemessenen Bezugsfrist an den Kommittenten, welcher darauf nicht im Einzelfall speziell verzichtet, auf und knüpft daran den Eigentumsübergang, gestattet dem unbezahlten Kommissionär aber, sofern er nicht Stundung gewährt hat, die Übersendung zu unterlassen, wenn er dem Kommittenten unter Rechnungsstellung ausdrücklich erklärt, daß er erst nach Befriedigung Stücke bezeichnen werde. Die Nichterfüllung der gedachten Verpflichtung soll nur das Recht des Kommittenten, nach vergeblicher Aufforderung zur Stückebezeichnung das Geschäft als nicht für seine Rechnung geschlossen zurückzuweisen und Schadenersatz zu fordern, nach sich ziehen, und dies Recht solls erlöschen, wenn nicht binnen 3 Tagen nach Ablauf der zu gewährenden Nachfrist davon Gebrauch gemacht wird. - Eine derartige Bestimmung würde, wie ohne weiteres einleuchtet, keine nennenswerte Änderung der derzeitigen Zustände herbeiführen. Die Vorschläge der Kommission betreffs des Kommissionsgeschäfts beschränken sich auf folgendes: Einmal soll - und dies ist in der That sehr erwünscht - der Kommissionär genötigt werden, sich über die Art der Ausrichtung alsbald zu erklären, auch sich gefallen zu lassen, daß der Kommittent beim Nachweis, daß er bei realer Ausrichtung günstiger gestellt1 sein würde, diese günstigere Chance für sich geltend macht. Erklärt er sich nicht, so soll er als Selbstkontrahent gelten. Letzteres entspricht der Entwickelungstendenz, und es ist wenig sinnvoll, wenn der Gesetzentwurf die Vermutung umgekehrt aufstellen will.69 - Die Kommission ging weiter von der AufS Fehlt in A; soll sinngemäß ergänzt,
t A: g e s e h e n
6 7 Diesen Vorschlag hatte Justizrat Theodor Wilhelm Lesse der Börsenenquetekommission unterbreitet. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1416. 68 Weber referiert im folgenden aus den § § 3 - 5 Entwurf: Depotgesetz 2. 6 9 Gemeint ist die Vorschrift des §71 Abs. 1 Entwurf: Börsengesetz 1, die lautet: „Erklärt der Kommissionär bei der Anzeige von der Ausführung des Auftrages nicht ausdrücklich, daß er selbst eintreten wolle, so gilt dies als Erklärung, daß die Ausführung durch Abschluß des Geschäfts mit einem Dritten für Rechnung des Kommittenten erfolgt sei."
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fassung aus, daß der für die Kursberechnung maßgebende Zeitpunkt der Ausrichtung beim Selbsteintritt derjenige der Abgabe der Ausführungsanzeige sei; die möglichste Feststellung einer Mehrheit von Kursen in fest bestimmten kürzeren Zeiträumen sollte bei Abgabe der Ausführungsanzeige während der Börse die 5 Fixierung des maßgebenden Kurses erleichtern, wenn aber die Anzeige erst nach Schluß erfolgte, der Schlußkurs oder der etwa dem Kommittenten günstigere Kursdurchschnitt nach Wahl des letzteA 2521 ren der anzurechnende Kurs sein. Zur Kontrolle des | Schnittes sollte der Kommissionär zur Führung eines besonderen Buches, in 10 welches an der Börse seine sämtlichen Abschlüsse einzutragen seien, verpflichtet werden. Diese letztere Kontrollmaßregel hat der Gesetzentwurf wieder fallen lassen. Wesentliche organische Umgestaltungen hat also auch hier die Kommission nicht versucht. Ihre Einzelvorschläge sind sachgemäß, 15 der entsprechende (von Wiener verfaßte) Teil des Berichtes 70 wohl die beste Partie desselben. Alles in allem hat die Kommission unzweifelhaft, abgesehen von dem sehr schätzenswerten Thatsachenmaterial, welches sie zusammengebracht hat, 71 auch eine große Zahl beachtenswerter Einzel- 20 vorschlage zu Tage gefördert, und auch die beiden erheblichsten Neuschöpfungen, welche sie vorschlägt - das Ehrengericht einerseits, das Terminregister andererseits - , beruhen auf Grundgedanken, die in wesentlichen Punkten zutreffen und eine erhebliche Tragweite haben. Die Schwäche ihrer Vorschläge ist, daß der 25 Standpunkt der Beurteilung, auf den sich die Kommission bei Betrachtung der Erscheinungen des Börsenverkehrs gestellt hat, zu Bedenken Anlaß giebt. Er ist wesentlich moralisierend. Es kann aber nicht der zentrale Zweck eines staatlichen Eingreifens auf dem Gebiete des Börsenwesens sein, das Publikum vor Verlusten 30 im Börsenspiel zu schützen, so erfreulich es ist, wenn es gelingt, dieses Ziel nebenher zu fördern. Das Interesse des Staates konzentriert sich vielmehr auf zwei Punkte: 1) auf die Erhaltung und Steigerung der internationalen Machtstellung der deutschen Börse den
7 0 Der von Heinrich Wiener, Referent für das Kommissionswesen, verfaßte Teil findet sich in: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 179-187. 71 Gemeint sind die Materialiensammlungen der Bände 2 und 8: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands; dies., Statistische Anlagen.
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Börsen des Auslandes gegenüber und 2) darauf, daß die wesentliche ökonomische Funktion der Börse, als Verkehrsregulator, insbesondere in der Marktpreisbildung, korrekt zu funktionieren, gewahrt bleibe. In Bezug auf den ersten Punkt kann das Staatsinteresse mit der moralisierenden Betrachtung direkt kollidieren, in Bezug auf den zweiten fällt es nur teilweise damit zusammen. - Die agrarische Börsenkritik, so oft sie in technischen Einzelheiten, namentlich des Getreidehandels, mit ihren Beschwerden recht hat, dreht sich in Wahrheit doch um etwas ganz Anderes als ein zentrales politisches Interesse; ihr wirkliches Ziel: Verschiebung der ökonomischen und damit der politischen Machtlage im Innern zu gunsten des ländlichen Grundbesitzes, insbesondere Großgrundbesitzes, durch Herabdrückung der Bedeutung der deutschen Börsen, könnte unter den derzeitigen Verhältnissen nur auf Kosten der ökonomischen Machtstellung Deutschlands erreicht werden. 7 2 Dieser von politischen Machtinteressen b e s t i m m t e t Klassen diktierten Kritik kann das Werk der Kommission so wenig wie ein anderes genügen. U n d auch der moralisierenden Kritik, welche von ihrem Standpunkt | aus mit vielfach untrügbarem Recht - brei- A 252 r te Kreise der Nation an der Börse üben, ist entgegenzuhalten, daß es eine „prinzipielle" Lösung ökonomischer Fragen unter dem Gesichtspunkt einer ökonomischen oder sozialen „ Gerechtigkeit", wie überhaupt unter irgend einem „ethischen" Gesichtspunkt jedenfalls überall da für einen einzelnen Staat nicht giebt, wo die politisehen Machtinteressen des Staates und der nationalen Gemeinschaft selbst im Kampf mit anderen Gemeinschaften um die politische und ökonomische Herrschaft in Frage stehen. Das ist auf dem Gebiete der Börse der Fall und deshalb ist die Frage einer „Börsenreform" zur Zeit einer solchen „prinzipiellen" Lösung nicht fähig.
u A: bestimmte 7 2 Zur a g r a r i s c h e n Börsenkritik vgl. die A u s f ü h r u n g e n in der Einleitung, oben, S. 5 6 - 6 2 und 6 6 - 7 3 .
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Börsenwesen v
Litteratur:
Zu dem Material der Börsenenquetekommission (Berlin 1894)73 treten jetzt die Börsen- und Depotgesetzentwürfe mit Motiven (erschienen bei Heymann in Berlin, 1895).74 Über die Börsenenquete haben fast alle Fachzeitschriften Referate gebracht. Ich beziehe 5 mich zur Ergänzung der obigen Skizze auf meine Verarbeitung des Materials in der Zeitschrift für Handelsrecht, Bd. 43 fg. (noch unvollständig).75 Vergl. ferner: G. Cohn, Zur Börsenreform, 1895/ w |
v Petitdruck in A.
w In A folgt: M a x Weber.
7 3 Gemeint sind: Börsenenquetekommission [Veröffentlichungen], - Berlin: Reichsdruckerei 1892-1893; vgl. ausführlich im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S. 1071 f. Die Bände der amtlichen Ausgabe der Reichsdruckerei, datiert 1892/ 93, sind erst 1894 auf den Markt gekommen. Reichsanzeiger, Nr. 30 vom 3. Febr. 1894, S.3. 7 4 Gemeint ist Entwurf: Börsengesetz 1 und Depotgesetz 2. 7 5 Weber, Ergebnisse der Börsenenquete. Die ersten drei Folgen waren bereits erschienen; die letzte Folge erschien 1896. Vgl. oben, S. 185-187 und 195-459.
Die technische Funktion des Terminhandels
Editorischer Bericht Zur Entstehung Als der erste Teil des zweiteiligen Artikels „Die technische Funktion des Terminhandels" in der Deutschen Juristen-Zeltung am I.Juni 1896 erschien, hatten bereits die erste und zweite Lesung des Börsengesetzentwurfs im Reichstag stattgefunden. 1 Die zum Teil von großen Mehrheiten im Reichstag getragenen Beschlüsse liefen - entgegen den Empfehlungen der Börsenenquetekommission und den Absichten des Bundesrats - auf Einschränkungen des Termingeschäfts in Effekten, vor allem aber auf das Verbot des Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten hinaus. Die dritte abschließende Beratung 2 stand unmittelbar bevor.3 Es Ist kaum anzunehmen, daß Max Weber gehofft hat, mit seinem Beitrag noch eine Wende zugunsten der von ihm für wünschenswert, ja notwendig gehaltenen Geschäftsform herbeiführen zu können. Der erste Teil des Artikels, den die Abgeordneten noch vor der dritten Lesung hätten zur Kenntnis nehmen können, befaßt sich zudem nur mit dem Effektentermingeschäft. Dieses war politisch weniger umstritten, und das vom Reichstag beschlossene Verbot des Terminhandels in Anteilen von Bergwerks- und Fabrlkunternehmungen ist auch von Weber für erwägenswert gehalten worden. 4 Der zweite Teil des Artikels, in dem die Funktion des heftig umkämpften Produktentermingeschäfts behandelt wird, ist nicht schon im folgenden Heft der Deutschen Juristen-Zeitung, sondern erst am 1. Juli 1896, also nach der Verabschiedung im Reichstag und der Zustimmung des Bundesrats und der Unterzeichnung des Börsengesetzes durch den Kaiser am 22. Juni 1896 erschienen. Vermutlich hat Max Weber nun absichtlich den Gesetzgebungsprozeß abgewartet. Das würde auch verständlich machen, warum er am Schluß des Artl-
1 Erste Lesung vom 9.-11. Jan. 1896, in: Sten.Ber., Band 143, S. 200-255 und 257-266, zweite Lesung vom 28. April — 1. Mai 1896, ebd., Band 145, S. 1955-1985, 1987-2013, 2015-2043 und 2045-2066. 2 Dritte Lesung vom 5.-6. Juni 1896, in: Sten.Ber., Band 146, S. 2409-2431 und 24332456. 3 Zur Vorgeschichte vgl. die Ausführungen oben, S. 66-79. 4 Vgl. oben, Ergebnisse der Börsenenquete, S. 526-531, Börsenwesen, oben, S. 566f.
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Die technische Funktion des Terminhandels
kels mehr bringt, als er zunächst beabsichtigt hatte, nämlich „eine, Fernerstehenden vielleicht erwünschte kurze Klarstellung der einfachsten Funktions-Elemente dieser Geschäftsform im Kreise der börsenmäßigen Geschäfte [...]". 5 Die Deutsche Juristen-Zeitung erschien erst seit dem I.Januar 1896 an jedem 1. und 15. eines Monats mit einer Auflage von 4000 Exemplaren. 6 Möglicherweise hat sich die Redaktion auf der Suche nach Autoren auch an Weber gewandt und ihm vorgeschlagen, die Bedeutung des so heftig umkämpften Börsenterminhandels 7 darzustellen. Dafür spricht Webers einleitender Hinweis - den der Titel des Artikels nicht erfordert - , eine „umfassende Erörterung der Bedeutung des Terminhandels" auf dem ihm zu Verfügung gestellten Raum nicht unternehmen zu können. 8 Daß eine solche Erörterung für die Abschätzung der Legitimität von Termingeschäften unbedingt erforderlich sei, hat Max Weber am Ende seiner kritischen Betrachtung zur Arbeit und den Ergebnissen der Börsenenquetekommission ausdrücklich hervorgehoben: „Eine wirklich grundsätzliche Stellungnahme zu der Frage des Effekten-Terminhandels überhaupt aber erforderte die grundsätzliche Erörterung der Bedeutung der Effektenspekulation, die hier unterbleiben muß." 9 Nicht nur in dieser Hinsicht gibt es eine auffällige Übereinstimmung zwischen dem ersten Teil des Artikels über die technische Funktion des Terminhandels mit dem letzten Abschnitt „Effekten-Terminhandel und Börsenspiel" der vierten Folge des Artikels „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete". Der Aufbau beider Darstellungen stimmt weitgehend überein, und nicht wenige Sätze finden sich in nahezu identischen Formulierungen an beiden Orten, 10 auch zentrale Begriffe, einschließlich der Begriffe des Titels. Max Weber unterscheidet in dem Artikel „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" zwischen „Wirkungen des Terminhandels", auch
5 Vgl. unten, S.597. 6 „Die erste und einzige Zeitschrift, die sich an den gesamten deutschen Juristenstand wendet, hat sich die .Deutsche Juristen-Zeitung' trotz ihres kurzen Bestehens eine tonangebende Stelle zu verschaffen gewußt. Der Leserkreis erstreckt sich auf alle Juristen ohne Unterschied der Stellung vom Minister bis zum Studenten, insbesondere auf Richter, Staats- und Rechtsanwälte, Notare, Professoren, Assessoren, Referendare, ferner Verwaltungsbehörden und Beamte der verschiedensten Ressorts, Kommunalbehörden, Aktienund Versicherungsgesellschaften, Banken, Großindustrielle, Konsulate, Handelskammern u. s. w." Ganzseitige Anzeige, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die verwandten Geschäftszweige, Nr. 227 vom 29. Sept. 1896, S. 6058. 7 Zum Kampf um den Börsenterminhandel vgl. oben, S. 28-33 und 71-80. 8 Vgl. unten, S.597. 9 Vgl. oben, S.547. 10 Vgl. unten, S. 597-605, und oben, S. 495-519.
Editorischer
Bericht
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„funktionelle Bedeutung" genannt, und den „technischen Funktionen des Terminhandels". 11 Daß Weber für seine Ausführungen über ein solches Thema eine Fachzeitschrift für Juristen gewählt hat, lag näher als die Formulierung, er wolle „Fernerstehenden" eine „vielleicht erwünschte kurze Klarstellung" vermitteln, 12 vermuten läßt. An den literarischen Erörterungen über die Ergebnisse der Börsenenquetekommission waren bis dahin vorwiegend Juristen beteiligt, 13 wie denn überhaupt das „Börsenspiel" bzw. das „Differenzgeschäft" seit längerem ein Feld intensivster Auseinandersetzungen unter Juristen gewesen ist. 14 Die Debatte der Juristen über die Frage, ob „Spekulanten" Rechtsschutz genießen sollten und ob typischerweise weniger erfahrene Verlierer vor dem versierten Gewinner zu schützen seien, hatte sich allerdings mehr und mehr auf eine einerseits juristisch-dogmatische und andererseits ethisch-moralische Argumentation beschränkt, ohne wirtschaftlich-praktischen Fragen größeres Gewicht zu geben. So füllte Webers didaktisch geschickte Entfaltung des Wesens der Termingeschäfte und der unterschiedlichen Funktionen dieser Geschäftsformen an den spekulativen Effekten- und Produktenmärkten auf originelle Weise eine Lücke. Sie ist auch in den Debatten des Reichstags angesprochen worden. Der Mitbegründer der Deutsch-socialen antisemitischen Partei und entschiedene Gegner der an der Börse tätigen Handelskräfte Max Liebermann von Sonnenberg hatte z. B. den Gesetzentwurf kritisiert, weil er keine Definition des börsenmäßigen Terminhandels enthalte. Man könne deshalb keine klare Grenze zwischen dem „soliden Börsengeschäft" und dem reinen Differenz-
11 Vgl. oben, S.516f. 12 Vgl. unten, S.597. 13 Adolf Endemann, ehemals Schriftführer bei der Börsenenquetekommission, schrieb in seinem Artikel, Übersicht der neueren Börsenreformlitteratur, in: Juristisches Litteraturblatt, 7. Jg., Band 7, Nr. 10 vom 1. Dezember 1895, S. 222: „Und [...] ist es ganz auffällig, wie wenige unserer Handelsrechtslehrer und Nationalökonomen sich an der Kritik und Besprechung der Resultate der Börsenenquete bisher betheiligt haben. Von den Handelsrechtslehrern finden wir nur den einen Max Weber (jetzt Professor der Nationalökonomie in Freiburg); von den Nationalökonomen neben Gustav Cohn - der Mitglied der Börsenenquete war - nur W. Lotz\ Dagegen haben eine ganze Reihe praktischer Juristen Arbeiten geliefert: so Sieveking, Wiener, Dreyer, Liebmann, V. Ring, Bendixen, Eschenbach, Endemann, und schließlich sind noch 4 Professoren anderer Rechts-Disziplinen zu nennen: nämlich Baron, Kohler, Leist, Rümelin." 14 „Das Thema besaß", so Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 26, „offenbar eine so große Attraktivität und einen so großen inneren Schub [...], daß sich schließlich fast alle bedeutenden Juristen der damaligen Zeit an der Diskussion über das .Differenzgeschäft' in Form von Monographien und Aufsätzen in Zeitschriften aller Art, mit vielen (von Professoren ausgegebenen) Dissertationen und auch in zahlreichen Kongreßbeiträgen beteiligten - das Literaturverzeichnis dieser Äußerungen ist ein ,Who is Who' der Juristenzunft des deutschen fin de siècle."
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Die technische Funktion des Terminhandels
geschäft ziehen. Auf eine Einigung der Juristen über eine geeignete Begriffsbestimmung könne man nicht warten. Zum Beweis zitierte er einige damals gängige Begriffsbestimmungen, die helfen sollten, eine wertende Unterscheidung aufgrund des inneren Charakters der Termingeschäfte zu treffen. 15 Daß derartige Versuche nicht zum Ziel führen können und warum sie scheitern müssen, ergibt sich aus Webers Ausführungen. - Vermutlich zur Erleichterung der Lektüre gebraucht Max Weber im ersten Teil des Artikels statt der börsenüblichen Begriffe „hereingeben" und „hereinnehmen" die Worte „hineingeben" aus der Sicht des Haussiers und „hineinnehmen" aus der Sicht des Kreditgebers. 16
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Aufsatz besteht aus zwei Teilen. Die Edition folgt den beiden Textteilen, die unter derselben Überschrift „Die technische Funktion des Terminhandels", in: Deutsche Juristen-Zeitung, 1.Jg., Nr. 11 vom I.Juni 1896, S.207-210, und Nr. 13 vom I.Juli 1896, S. 248-250, erschienen sind (A). Gezeichnet sind die Aufsätze unterhalb der Überschrift mit: „Von Professor Dr. Max Weber, Freiburg i. Br." Danach folgt im II. Teil der redaktionelle Zusatz: „(Schluß aus No. 11.)" Der I. Teil endet mit dem Satz: „In Wien war die Zurückdrängung des spekulativen Kassahandels und der kurzfristigen .Arrangements'-Geschäfte zu Gunsten des Terminhandels ein Symptom beginnender Solidität der Spekulation." Dem letzten Satz folgt in eigener Zeile der redaktionelle Zusatz: „(Ein zweiter Aufsatz folgt.)" Der II. Teil beginnt mit dem Satz: „Die Gründe, welche die technische Gestaltung des Produkten-Terminhandels bestimmten, sind im wesentlichen offenbar gleichartig denen, welche für die technische Ausgestaltung der Termingeschäfte in Effekten maßgebend waren." Der Text ist zweifellos von Max Weber autorisiert. Der Originaltext ist in einer Antiquaschrift ohne die Umlaute Ä, Ö und Ü gesetzt. Gemäß den Editionsregeln werden die Umlaute und gegebenenfalls ß stillschweigend eingesetzt. Die Seiten der Deutschen Juristen-Zeitung sind zweispaltig gesetzt und seitenweise durchgezählt. Der Spaltenwechsel einer Originalseite wird im Text durch einen senkrechten Strich markiert und am Seitenrand nachgewiesen: A 00 l[inke] und A 00 r[echte Spalte],
15 Sten.Ber., 10. Jan. 1896, Band 143, S. 238-253. 16 Vgl. die Einträge „Hereingeber", „Hereinnehmer" und „Prolongationsgeschäft" im Glossar, unten, S. 1046 und 1058f.
Editorischer Bericht
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Die Frankfurter Zeitung, die spätestens 1893 auf Max Weber aufmerksam wurde und künftig seine Tätigkeit verfolgte, 17 druckte in ihrer Ausgabe Nr. 217 vom 6. August 1896, Ab.BI., S. 1 f., in Auszügen die S . 6 1 0 - 6 1 3 des II. Teils des Aufsatzes nach. Eingeleitet wird der Nachdruck mit dem redaktionellen Vorspann: „Das Verbot des Terminhandels in Getreide und seine wahrscheinliche Wirkung für die deutsche Nationalökonomie beschäftigt auch wissenschaftliche Kreise sehr angelegentlich, wobei - trotz der verschiedenen Standpunkte der Urtheilenden - das Verbot ziemlich durch die Bank als ein ökonomischer Fehler ersten Ranges bezeichnet wird. Neuerdings untersucht Dr. Max Weber in Freiburg in der .Deutschen Juristen-Ztg.' das Verbot, wobei er findet, 1 8 es wirke in erster Linie dem Streben nach ökonomischer Verselbstständigung des deutschen Marktes entgegen - also gerade einem der Ziele, das die Agrarier angeblich erreichen wollten. Weber erwartet keine Katastrophe der Kredit- und Absatzverhältnisse, aber ein Herabmindern der ökonomischen Machtstellung Deutschlands, eine erhöhte Abhängigkeit von fremden Märkten und eine Abnahme der Bedeutung der deutschen Börsen, nicht nur im Getreidehandel, sondern allgemein." Der Nachdruck setzt mit dem Satz ein: „Das Produktengeschäft ist innig in den Geldmarkt verflochten." Die Frankfurter Zeitung beschränkt sich auf die Wiedergabe der politischen Passagen. Der Absatz unten, S.611, in dem Max Weber nochmals handelstechnische Details erläutert, 19 ist zusammengefaßt: „Prof. Weber ist nicht etwa ein unbedingter Freund des Terminhandels, er wäre einem internationalen Verbot gewisser Abtheilungen (des Terminhandels in .kleinen'
17 So erschienen mehrfach Berichte über sein Auftreten in der Öffentlichkeit, in: FZ, Nr. 82 vom 23. März 1893, 3. Mo.BI., FZ, Nr. 83 vom 24. März 1893, 3. Mo.BI., FZ, Nr. 72 vom 13. März 1895, Ab.BI., S.2; FZ, Nr. 179 vom 30. Juni 1895, 4. Mo.BI., S. 1; FZ, Nr. 68 vom 8. März 1896, 3. Mo.BI., S.2; FZ, Nr. 75 vom 15.März 1896, 3. Mo.BI., S.2, alle in: MWG I/4, S. 163, 465f., 539, 722f„ 755, 785-787 und 794-796, oder seine Mitwirkung im provisorischen Börsenausschuß, in: FZ, Nr. 324 vom 21. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; FZ, Nr.326 vom 23. Nov. 1896, Ab.BI., S.2 und 4; FZ, Nr.329 vom 26. Nov. 1896, 2. Mo.BI., S. 2; Nr. 331 vom 28. Nov. 1896, 2. Mo.BI., S. 2. Ferner berichtete sie über die Zuwahl Max Webers in die Badische Historische Kommission, in: FZ, Nr. 324 vom 21. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1 (MWG 1/13); zum Teilnachdruck des Artikels „Börsengesetz" in der Frankfurter Zeitung vgl. unten, S. 789f. 18 1m folgenden übernimmt der redaktionelle Vorspann zum Teil wörtlich die Formulierungen Max Webers, vgl. unten, S. 609f. 19 Der zweite Absatz beginnt: „Das Einschreiten gegen den Terminhandel hätte da, wo es wirklich erwünscht Ist, [...]." Er endet mit dem Satz: „Bei diesem lag der Sitz der Mängel wohl wesentlich in den unentwickelten Lagerungs- und Sortierungsvorrichtungen, [...]."
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und Industriepapieren, in Kammzug etc.) nicht abgeneigt. Er führt mit Bezug hierauf weiter aus: [...]." Im Anschluß folgt der Nachdruck bis zum Textende ohne weitere Unterbrechung beginnend mit dem Satz: „Die Gefahr für die Stetigkeit der Preisbildung, welche die durch den Terminhandel nicht geschaffene aber erleichterte Betheiligung [...]." Der redaktionelle Nachspann lautet: „Dieser Vorwurf zielt speziell auf die nationalliberale und freikonservative Partei, die Gerechtigkeit verlangt aber, hinzuzufügen, daß auch die Regierung ihr vollgerütteltes Maß von Verantwortlichkeit für den Beschluß trifft. Sie wäre die Macht gewesen, gemäß ihrer eigenen Anschauung dem Beschluß erfolgreich entgegenzutreten." Der Kommentar der Frankfurter Zeitung nimmt Bezug auf Max Webers Kritik am Verhalten der Parteien bei der Abstimmung über das Verbot des Getreideterminhandels während der Lesung des Gesetzentwurfs im Reichstag. Kritik an der Regierung zu üben, entspricht der politischen Haltung der Frankfurter Zeitung. Max Weber dagegen vertritt die von der Regierung selbst vorgebrachte Ansicht. 2 0 Es kann daher ausgeschlossen werden, daß es sich um eine von Max Weber selbst initiierte Textvariante handelt. Der Nachdruck wurde der Orthographie der Frankfurter Zeitung angepaßt: die Endsilbe „ieren" wird zu „iren", gegebenenfalls wird statt einfachem „t" „th" gebraucht oder Doppel-s durch „ß" ersetzt. Webers Wortsperrungen bei „fühlen", „sehen" (S.610) und „nicht" (S.613) sind getilgt. Statt dessen durch Sperrung hervorgehoben sind politisches Urteil und Schlagwörter: „und dadurch können sie lediglich nach stärkeren Mitteln zu rufen veranlaßt werden"(S.610), „kapitalloser", "Machtmittel", "ökonomische Suprematie" und „politische"(alle S.612). Die Interpunktion Max Webers wurde nicht verändert. Bei dem Satz: „Die Gefahr für die Stetigkeit der Preisbildung endlich, welche ..." (S.612) fiel das Wort „endlich" aus.
20 Vgl. unten, S. 613 mit Anm. 30.
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Auf dem kurzen Raum weniger Spalten, der mir an dieser Stelle zur Verfügung steht, kann eine umfassende Erörterung der Bedeutung des Termin|handels nicht unternommen werden. Lediglich eine, Fernerstehenden vielleicht erwünschte kurze Klarstellung der einfachsten Funktions-Elemente dieser Geschäftsform im Kreise der börsenmäßigen Geschäfte bezwecken die nachfolgenden Zeilen. Der Ausgangspunkt der meisten Irrtümer, die über den Terminhandel verbreitet sind, ist die Annahme, er sei die einzige oder doch die einzige praktisch in Betracht kommende Form des Spekulationsgeschäfts. Das ist absolut unrichtig, vielmehr ist er nur die technisch höchst entwickelte Form desselben. Man kann auch in Form des „Kassa"- resp. „Loko"- und des gewöhnlichen Lieferungs-Geschäftes „spekulieren", d. h. Gewinn erstreben durch Ausnutzung von Preisunterschieden eines Marktgutes, welche bestehen oder deren Entstehung erwartet wird, zwischen den Preislagen an verschiedenen Marktorren - Arbitrage - oder zu verschiedenen Zeiten - Spekulation im engeren Sinne; eigentümlich ist dem Terminhandel nur die technische Gestaltung der Kredit-Intervention und damit der spekulativen Markt-Bildung. Die, wenigstens bei entwickelteren Verkehrsformen, sehr verschiedene äußere Gestaltung des Termingeschäftes in Effekten einerseits und in Produkten andererseits macht es zweckmäßig, beide getrennt zu betrachten. Wir erörtern hier die einfachsten Geschäftsformen der Spekulation in Effekten. Stellt man sich vor, es stände dem Effekten-Handel ausschließlich die Form des alsbald, spätestens innerhalb weniger Tage zu erledigenden Kassageschäftes zur Verfügung, so würde, wenn keinerlei Dazwischentreten des Kredits stattfände, die Spekulation auf künftige Preisänderungen nur möglich sein durch Ankauf und Lagerung in Erwartung künftiger Gelegenheit zu günstigerem Verkauf - also nur ä la hausse, nur unter Festlegung eines sehr bedeu-
a In A folgt: Von Professor Dr. Max Weber, Freiburg i. Br.
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tenden eigenen Kapitals, damit praktisch nur in minimalem Umfang, mit enormem Risiko und deshalb wieder nur bei sehr starken Preisschwankungen lohnend, die ihrerseits wiederum die Folge der spekulativen Ankäufe und der Realisationsverkäufe in effektiver Ware bei begrenztem Vorrat sein müssen. Eine personale Erweiterung des Marktes setzt zunächst voraus, daß der Spekulant ohne Festlegung erheblichen eigenen Kapitals, also auf Kredit spekulieren kann. Die einfachste Form nun, in der es dem Spekulanten ermöglicht wird, sein Kapital wieder flüssig zu machen, ist die Angliederung von Leihgeschäften an die spekulativen Kassakäufe: Der Spekulant lombardiert die aufgekauften Papiere bei einem Kapitalisten, benutzt die so gewonnenen Mittel zu weiteren spekulativen Ankäufen, fährt eventuell in dieser Weise fort, Leih- an Kaufgeschäfte zu knüpfen und umgekehrt, und kündigt die aufgenommenen Kredite, sobald er bei günstiger Preisgestaltung zur Realisation schreitet, also die Papiere weiterbegiebt. Würde nun dabei die Form des heute sogenannten „echten" Lombardgeschäftes, also der einfachen Verpfändung der den KapitaliA 2081 sten für | das vorgestreckte Geld als Sicherheit „hineingegebenen" 1 Papiere verwendet, so wäre zwar erreicht, daß der Spekulant bis zu einem gewissen Grade mit fremdem Kapital spekulieren und dies überdies mehrfach umsetzen könnte, - aber dies wäre damit erkauft, daß nunmehr die Kapitalisten ihr Geld in den Lombardgeschäften festgelegt hätten. Und ferner wäre der Umfang der spekulativen Ankäufe nach wie vor an den jeweiligen am Markt vorhandenen Vorrat von Papieren gebunden, da in Gestalt jener Lombardierungen jedesmal eine effektive Einlagerung erfolgte. Ebenso könnte auch in dieser Form nur ä la hausse spekuliert werden, und diese Spekulation würde bei den maßlosen Preisschwankungen, die eine solche Serie effektiver Aufkäufe und demnächstiger Realisationen herbeiführen müßte, in hohem Maße riskant und die Kapitalisten deshalb genötigt sein, das Maß der Beleihung auf einen ziemlich niedrigen Bruchteil des Verkaufswertes der Pfänder 1 Der beschriebene Vorgang wurde in der Börsensprache „hereingeben" genannt. „Hereingeber" ist derjenige, der im Proiongations- oder Lombardgeschäft Ware oder Wertpapiere hergibt. „Hereinnehmer" ist entsprechend derjenige, der Geld (gegen das Hereingenommene) gibt. Im folgenden wird der Weber'sche Sprachgebrauch dann, wenn die Sache als solche eindeutig ist, nicht mehr angemerkt. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 594.
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zu beschränken. Dadurch wiederum wäre der Vervielfachung der mit erborgtem Gelde erfolgenden Aufkäufe seitens des Spekulanten eine ziemlich enge Grenze gezogen. Um diese Schranken zu sprengen, greift man, wo die Effekten5 Spekulation sich in Form von Kassageschäften vollzieht, zur Benutzung des sog. „unechten Lombards", d. h. der Verpfändung unter Aufhebung des Identitätsnachweises bei der Pfandauslösung. Der Hereinnehmer erhält die Papiere zu Eigentum unter Verpflichtung zur Rücklieferung in genere bei Kündigung des Kredits. Er kann 10 nun seinerseits durch Disposition über die Papiere sein dargeliehenes Kapital sich wiederverschaffen und muß nur im Stande sein, im Fall der Kündigung des Kredits die Papiere dem kreditnehmenden Spekulanten zurückzuliefern. Damit wird an sich der Kapitalist ganz von selbst zum ¿ta/sse-Interessenten. Er muß hoffen, die Pa15 piere, wenn er darüber verfügt, s. Z. bei Kündigung des Kredits billiger zurückkaufen zu können. Allein er ist nicht genötigt, sich diese Rolle aufzwingen zu lassen, sondern kann, wenn er will, in der Lage des an den Preisschwankungen nicht interessierten Tributherrn des Spekulanten verharren. Durch die Einschiebung der „unechten" 20 Lombard-Leihe wird nämlich zugleich auch die technische Möglichkeit von Spekulationen ä la baisse auf Kredit geschaffen. Wie der Papiere kaufende Hausse-Spekulant das Geld gegen „Hereingabe" der im Kassakaufe empfangenen Stücke entleiht, in der Hoffnung, beim Steigen der Preise die hereingegebenen Stücke 25 unter Kündigung des Kredits mit Vorteil zu verkaufen, so kann, wer auf Sinken der Preise spekulieren will, Papiere per Kasse verkaufen, und zur Erfüllung dieses Verkaufes dieselben dann gegen bar von einem Kapitalisten entleihen, unter der Verpflichtung der Rücklieferung in genere bei Kündigung des Kredits, in der Hoff30 nung, bei Sinken der Preise den Kredit kündigen und die Papiere zum Zwecke der Rückleistung billiger zurückkaufen zu können. Die Kapitalisten, welche von den Hausse-Spekulanten | auf der ei- A 208 r nen Seite Papiere gegen Geldverleihung „hereinnehmen", geben sie nach der anderen Seite hin an Baisse-Spekulanten gegen Geld35 leistung heraus.2 Der hereinnehmende Kapitalist hat seine Sicherheit in den Papieren, welche der Haussier ihm zu liefern, der her2 In der zeitgenössischen Börsensprache wäre a u c h dies ein „Hereingeben", allerdings an einen anderen G e l d g e b e r als unmittelbar zuvor.
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ausgebende in dem Preise, den der Baissier ihm zu leisten hat. Allein das hohe Risiko, welches der Kapitalist infolge der starken Preisschwankungen der Papiere trägt, zwingt ihn[,j für die problematische Leistungsfähigkeit des Kreditspekulanten darüber hinaus eine reale Sicherheit zu verlangen. Entweder er beleiht dem Haussier die Papiere nicht zu vollem Kurs und verlangt vom Baissier eine Gelddeckung über den Kurs der Papiere hinaus, oder er verlangt von dem Spekulanten noch ein spezielles Depot von Wertpapieren oder Geld. - Die nächste Folge dieser Intervention des Kapitals ist, daß die Zahl der möglichen Umsätze von dem Umfange des effektiven Papiervorrates unabhängiger wird. Dasselbe Papierquantum kann, da der Hereinnehmer es nicht effektiv vorzuhalten braucht, in schnellster Folge durch zahlreiche Hände gehen. Damit und durch die Möglichkeit, mit fremdem Kapital zu spekulieren, wird die Zahl der Umsätze, der „Markt" erweitert. Immerhin ist jene Unabhängigkeit der Zahl der Umsätze vom Stücke-Vorrat keine unbegrenzte, denn es setzt jedes Geschäft den Verkäufer in die Notwendigkeit, auf Beschaffung von effektiven Stücken bedacht zu sein. Die Marktausdehnung hat deshalb ihre Grenzen, der Markt ist unstet und deshalb stürmischen Preisschwankungen unterworfen, die Chance, jederzeit für ein bestimmtes Quantum eines Papiers einen Geschäftspartner zu finden, stark schwankend. Demgemäß ist auch die Art der Kreditintervention noch eine ziemlich rohe. Die Kontrahenten des zugrunde gelegten Kassageschäftes selbst kreditieren einander garnicht. Selbst für die kurze Frist, bis zur alsbald fälligen Erfüllung, auf welche sie sich aneinander binden, wird oft - so in New-York - noch reale Sicherheit durch Einschüsse bei vereinbarten oder durch Usance festgesetzten Bankinstituten verlangt. Der Kredit des Kapitalisten, welcher auf realen Sicherheiten ruht, ist regelmäßig mit kürzesten Fristen kündbar sog. „tägliches Geld", „money on call" in New-York - , der Zinsfuß ein enormer (zuweilen bis zu 1% pro Tag),3 thatsächlich eine wucherische Partizipation an den, dem regellosen Markt entsprechenden, maßlosen Gewinnchancen des Spekulanten, denen andrerseits 3 Nach Aussage der Sachverständigen Max Winterfeldt und Gustav Maier vor der Börsenenquetekommission sollen in New York Zinssätze bis zu 1 Prozent pro Tag berechnet worden sein. Dagegen berichtete der Sachverständige Ludwig Cohnstaedt, daß Zinsen in Höhe von V4 - V2 Prozent verlangt würden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 438, 1609 und 1790.
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natürlich entsprechende Verlustchancen gegenüberstehen, die noch durch die Möglichkeit plötzlicher halsabschneiderischer Kreditkündigungen durch die Kapitalisten auf das Maximum gesteigert werden. 5 Diesem halbbarbarischen Zustand der Kreditspekulation gegenüber, wie er den amerikanischen Effektenbörsen eignet und teils aus der zweifelhaften Kreditwürdigkeit der Spekulanten, teils aus der Unstetigkeit des Marktes hervorgeht, bildet zunächst jede Form einen technischen Fortschritt, bei welcher eine Bindung der 10 Kontrahenten aneinander für feste Fristen stattfindet, bei der also die beiderseitige Erfüllung auf einen bestimmten zukünftigen Zeitpunkt | hinausgeschoben wird. Was dadurch in erster Linie vermie- A 2091 den wird, ist die absolute Notwendigkeit für den auf Kredit Spekulierenden, anläßlich fast jeden einzelnen Engagements einen 15 dritten Kapitalisten um Stücke, resp. Geld anzugehen. Jeder der beiden Kontrahenten hat vielmehr während des Laufens des Engagements Muße, die Kursentwicklung abzuwarten und, sobald diese ihm günstig ist, oder er die Spekulation zu beendigen wünscht, durch Abschluß eines Gegengeschäfts seinen Gewinn - oder even20 tuell Verlust - zu realisieren. Während bei der Kassa-Spekulation die Sorge um die Beschaffung der Stücke und des Geldes alsbald beginnt, nachdem das Geschäft geschlossen ist, und so dem Kapital gestattet, die Spekulanten maßlos zu brandschatzen, ist sie hier hinausgeschoben und auf einen längeren Zeitraum verteilt. 25 Nur wenn es ihm nicht gelingt einen Partner zu einem ihm gewinnbringenden Preise zu finden, und er die Spekulation fortsetzen will, wendet sich der Spekulant an die Kapitalisten, entleiht die Stücke, die er zu liefern hat, bezw. giebt die Stücke, die er abzunehmen hat, hinein, hoffend, daß eine künftige ihm günstigere Kurs30 entwicklung ihm gestatten werde, das Geschäft unter Kündigung des Kredits mit Gewinn abzuwickeln: - er „prolongiert" sein Engagement. Findet er dagegen vor Ablauf des Termins einen Partner, der auf den b gleichen Termin mit ihm ein konvenierendes Gegengeschäft abschließt, so vollzieht sich die Erledigung des Geschäftes 35 ohne Intervention des Kapitals zwischen den Parteien direkt. Die Aussicht, einen Partner zu finden, wird dabei ganz wesentlich gesteigert dadurch, daß die Höhe der Beträge, welche Gegenstand eib A: dem
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nes Abschlusses sind, regelmäßig eine typische, meist von den Usancen festgestellte ist. Da nun regelmäßig eine Vielzahl von Abschlüssen in der typischen Höhe in einem und demselben Papier auf denselben Termin laufen, die einzelnen Parteien durch Gegengeschäfte ihren Gewinn bezw. Verlust realisiert haben, und also die s einzelnen Abschlüsse sich in eine Kette von Käufen und Weiterverkäufen bringen lassen, wird die Ersparung der effektiven Stückübergabe in allen einzelnen Fällen durch Scontration möglich. Die Stücke werden im Wege der Verrechnung aller Beteiligten vom ersten Verkäufer an den letzten Käufer direkt geliefert, und die Par- 10 teien realisieren ihre eventuellen Preisdifferenzen untereinander. Damit ist die Loslösung der Zahl der Umsätze von dem am Markte vorhandenen Stückequantum um einen weiteren Schritt vorwärts gebracht: die Relation der zur Abwickelung der Geschäfte erforderlichen Stücke zur Zahl der Umsätze schrumpft zusam- 15 men. Die Form der Kreditintervention wird damit eine vollkommenere und gesichertere. Die Kontraktsparteien, welche regelmäßig Gegengeschäfte geschlossen haben und daher das Risiko der Zahlungsunfähigkeit ihrer Partner wagen, kreditieren sich gegenseitig, indem sie sich für die Zeitdauer der Engagementszeit an ein- 20 A 209 r ander binden. Das Maß | der Abhängigkeit der Spekulanten vom Kapital wird dadurch geringer, zugleich das Risiko des Geld oder Stücke darleihenden Kapitalisten vermindert durch die Vermehrung der Zahl der Umsätze, welche die Chancen der Verwertung der hineingenommenen Stücke verbessert, der Zinsfuß des „tägli- 25 chen Geldes" und das Maß der erforderten Sicherheiten sinken und die Versuchungen, den Spekulanten durch Kreditkündigung den Hals abzuschneiden, sind geringer. Je entwickelter nun die gegenseitige Bekanntschaft mit der Kreditwürdigkeit der am spekulativen Verkehr Beteiligten ist und je 30 stetiger die Marktverhältnisse sich gestalten, desto mehr setzt sich die Umgestaltung der Geschäftsformen in der gleichen Richtung fort. Die Fristen, auf welche die Kontrahenten sich an einander binden, werden längere, zugleich aber beginnen die Erfüllungstermine typischen Charakter anzunehmen; die Abschlüsse werden 35 nicht mehr auf individuelle Termine, sondern auf usancenmäßige gemacht, deren zunächst z.B. 1 - 2 die Woche als „Arrangementstage" allgemein üblich werden. An diesen werden nun die Abwikkelungen der sämtlichen auf sie abgestellten Geschäfte durch
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Skontrierung vorgenommen, und durch diese zeitliche Konzentration der Abwickelung schrumpft abermals die Relation des zur effektiven Lieferung erforderlichen Stückematerials zu der Gesamtzahl der Umsätze, während sich zugleich die Chance, jederzeit ei5 nen Partner für Abschlüsse auf jeder einzelnen Richtung zu finden, bedeutend erhöht. - Die Entwickelung drängt aber dazu, die Fristen, während deren die Engagements laufen, auch zu verlängern und die Zahl der typischen Stichtage weiter zu verdünnen, so zunächst auf zwei „Liquidationstage" im Monat, bis schließlich für 10 viele Papiere der Ultimo allein als üblicher Stichtag verbleibt. Damit gewinnen die spekulativen Abschlüsse ihren endgültigen maßgebenden Typus. Der Abschluß per Ultimo des laufenden Monats wird die höchst entwickelte und für die Papiere, in denen er einmal sich eingebürgert hat, praktisch fast allein ins Gewicht fallende Geis schäftsform für Spekulationsgeschäfte. Bis zum Ultimo läuft jetzt die Bindung der Kontrahenten aneinander, der Markt ist mit dem Abstreifen aller individuellen Momente und der Reduktion aller spekulativen Geschäfte auf einen Typus mit gleicher Abschlußsumme und gleichem Erfüllungstermin gewaltig verbreitert, die Mög20 lichkeit der jederzeitigen Realisation auf das Maximum gesteigert, der Stückebedarf im Verhältnis zu den Umsätzen auf das Minimum reduziert. Dem entspricht auch die Form der Intervention des Kapitals auf dieser Stufe. Die Prolongation durch Hineinnehmen oder Herausgabe von Stücken erfolgt jetzt auf einen festen Zeitraum, 25 nämlich den Zeitraum zwischen den beiden Ultimo-Stichtagen, also als ein kombinierter Verkauf per diesen mit Wiederkauf in genere per nächsten Ultimo, ist damit ebenfalls des Individuellen entkleidet und zum typischen „Report"-Geschäft geworden. An Stelle des jederzeit kündbaren Spekulationskredits in Gestalt des 30 „täglichen Geldes" ist die Bindung des kredit| gebenden Kapitali- A 2101 sten an den Spekulanten für den Zeitraum zwischen den beiden Terminen getreten. Das Risiko des in Prolongationsfällen Stücke hereinnehmenden oder herausgebenden Kapitalisten ist durch die Verbreitung4 des Marktes auf das möglichste Minimum reduziert; 35 bei einigermaßen bekannter Kreditwürdigkeit der Spekulation erfolgt die Reportirung ohne die Forderung besonderer accessori-
4 „Verbreitung" ist der ältere Begriff für „Verbreiterung".
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scher Sicherheiten. 5 Der größeren Stabilität des Marktes und dem geringeren Risiko, sowie dem weniger stoßweisen und individuellen Charakter der Inanspruchnahme des Spekulationskredits entspricht es, daß an Stelle der Bewucherung der Spekulation durch das Kapital in Gestalt der ungeheuren Zinssätze des „täglichen Geldes" bei der Termin-Reportierung die Berechnung eines je nach Stück- oder Geld-Überfluß oder -Mangel ganz allgemein schwankenden, wesentlich mäßigeren Prolongationszinses tritt. Die wilden Zinsschwankungen an der Börse mit reiner Kassaspekulation sind ebenso gemildert, wie die wilden Sprünge der Spekulations-Kassakurse. So entspricht die praktisch herrschende Form des SpekulationsEffektengeschäfts, der Ultimo-Terminhandel, allerdings so gut wie ausschließlich dem Bedürfnis der Kredit-Spekulation. Er entspricht nicht allgemein, wie oft behauptet worden ist, dem Bedürfnis der „Kursversicherung". 6 Da, wo dieses Bedürfnis besteht, z. B. in ausländischen Valuten, nimmt der Terminhandel zwar diese Funktion wahr, aber es ist nicht richtig, zu glauben, daß dies deshalb allgemein der Fall sei. Eine „Kursversicherung" - z. B. die Sicherung des gegenwärtigen Kurses der Rubelnoten, 7 in denen ein deutscher Kaufmann nach Monaten eine Zahlung zu erwarten hat - kann im allgemeinen nicht durch Abschlüsse auf so kurze Termine, wie der nächste Ultimo, erzielt werden. Spielte dies Interesse auch nur die Rolle beim Effekten-Terminhandel, wie thatsächlich beim Produkten-Terminhandel, so müßten Abschlüsse auf weit längere Termine die Regel sein. Solche aber kommen in Effekten nur an wenigen Börsen und im wesentlichen charakteristischerweise nur in Valuta vor. Aber der Effekten-Terminhandel ist nicht mit der Kreditspekulation identisch, sondern nur an den Börsen heimisch, wo wenigstens eine relative Gesittung der Spekulations- und Kreditverhält5 Gemeint sind hier zusätzliche Sicherheiten wie Leistung einer Bürgschaft oder Hinterlegung eines Pfandes. 6 Auf welche Äußerungen Max Weber hier Bezug nimmt, ist nicht nachweisbar. Allgemein bedienten sich jedoch die Befürworter des Terminhandels, um die Nützlichkeit und Notwendigkeit desselben zu demonstrieren, des Arguments der kurssichernden Wirkung des Terminhandels; so z. B. der freisinnige Abgeordnete Otto Fischbeck während der ersten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 1 im Reichstag. Sten.Ber., 10. Jan. 1896, Band 143, S. 243. 7 Der russische Rubel war bis 1899 eine Papierwährung ohne festen Wechselkurs zur (Gold-)Mark.
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nisse heimisch ist. Die Extreme bilden die wilde Jobberei in NewYork, wo er ganz fehlt, und die kapitalstarke^,] unendlich solidere Spekulation in London, wo er die einzige Geschäftsform überhaupt zu werden strebt, derart, daß für Kassa-Abschlüsse Vergütung verlangt wird. In Wien war die Zurückdrängung des spekulativen Kassahandels und der kurzfristigen „Arrangements"-Geschäfte zu Gunsten des Terminhandels ein Symptom beginnender Solidität der Spekulation. 0 | d Die Gründe, welche die technische Gestaltung des Produkten- A 2481 Terminhandels bestimmten, sind im wesentlichen offenbar gleichartig denen, welche für die technische Ausgestaltung der Termingeschäfte in Effekten maßgebend waren. Auch hier ist es zunächst das Bedürfnis der Spekulation nach Abstreifung des Individuellen vom einzelnen | Abschluß und damit nach Schaffung eines stetigen, A 248 r breiten Marktes, der den jederzeitigen Absatz und den jederzeitigen Ankauf großer Quantitäten ohne Festlegung von Kapital gestattet, welches die jetzt herrschende Form des Termingeschäftes gezeitigt hat. Trotzdem weicht diese bei Produkten, der andersartigen Natur des Objekts entsprechend, von der des heutigen UltimoEffektengeschäfts stark ab und nähert sich mehr Formen, wie sie im Effektenhandel vor zwei Jahrhunderten bei Prämiengeschäften hier und da üblich waren. 8 Die Form des Produkten-Termingeschäfts schließt sich am nächsten an das effektive Lieferungsgeschäft in schwimmender Ware an, wie es für die Versorgung des Marktes mit überseeischen Massenartikeln unentbehrlich ist und seinerseits sich als Realisationsgeschäft an die „Cif"-Kontrakte (Übernahme aller Spesen einschließlich der Versicherung durch den Versender bis zum Bestimmungshafen) anzugliedern pflegt. Nur daß es sich beim effektiven Lieferungsgeschäft normalerweise um individualisierte Sendungen handelt, woraus zunächst ein erhebliches Qualitäts-Risiko des Zwischenhandels hervorgeht, während das Termingeschäft alle Bezugnahme auf konkrete Sendunc In A folgt: (Ein zweiter Aufsatz folgt.) d In A geht voraus: D i e technische Funktion des Terminhandels. Von Professor Dr. Max Weber, Freiburg i. Br. (Schluß aus No. 11.) 8 Über die bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert an der Amsterdamer Börse üblichen Prämiengeschäfte im Effektenhandel berichtet Ehrenberg, Die Amsterdamer Aktienspekulation im 17. Jahrhundert, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 3. Folge, 3. Band, 1892, S.813, 819f. und 822, anhand eines von ihm wiederentdeckten Börsenbüchleins von 1688.
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gen abstreift. Hierin und in der durchweg typischen Bestimmung der Waren-Qualität (Lieferungsqualität), des Quantums (Schlußeinheit) und der Erfüllungstermine zeigt sich das Streben, das Objekt des einzelnen Abschlusses künstlich ebenso fungibel zu machen, wie es die Effekten von Natur sind. Dennoch ergeben sich 5 aus dem Zusammenhange mit den die effektive Unterlage des Terminhandels bildenden Warenzufuhren von auswärts markante Unterschiede der Geschäftsformen. Die Erfüllungstermine sind in Produkten nicht bestimmte Zeitpunkte (Ultimo), sondern bei der praktisch wichtigsten Geschäftsform Zeiträume von ein bis zwei 10 Kalendermonaten, während deren dem Verkäufer das Recht der „Andienung" der Ware - Ankündigung zur Abnahme - zusteht. Der „letzte" Verkäufer kündigt seinem Käufer die Ware in einem dazu bestimmten Börsenraum (Kündigungszimmer) an. Hat der Käufer weiter verkauft, so giebt er die Kündigung innerhalb be- 15 stimmter kurzer Zeiträume weiter, bis sie in die Hand eines „letzten Käufers" 9 gelangt, der die Ware effektiv zum täglich zum Zweck der Verrechnung festgestellten Liquidationskurse abnimmt, während die Beteiligten unter einander die Differenz zwischen Liquidations- und Kontraktpreis ausgleichen. Für die Zwecke der 20 Prolongation steht auch hier die Form des Reports zu Gebote - der Hereinnahme und Einlagerung seitens eines kreditgebenden Kapitalisten, der durch den relativ immerhin hohen Reportzinsfuß sein Kapital ziemlich risikolos privatwirtschaftlich nutzbar macht und dadurch volkswirtschaftlich zur Verteilung der Vorräte über das 25 Jahr hin mitwirkt. Diese letztere Wirkung kann in dieser Art nur durch den Terminhandel entstehen: das Einlagerungsrisiko eines Effektivhändlers bei fehlendem Terminhandel ist offensichtlich ein außerordentlich viel größeres als das des Reporteurs, der seinerA 2491 seits gar kein Preisrisiko trägt, während andererseits der | hereinge- 30 bende Terminspekulant einen ausgiebigen Zeitraum zur Realisation zur Verfügung hat. Die wesentliche Funktion des Terminhandels ist auch im Produktenverkehr die Ermöglichung der /Oed/ispekulation. Sie wird noch stark erleichtert durch das an mehreren großen Terminplät- 35 zen in den Hauptartikeln bestehende Institut der Liquidationskas9 Zu den Börsenbegriffen „letzter Verkäufer" und „letzter Käufer" vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1052.
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sen, welche den Spekulanten gegenseitig die Erfüllung ihrer Kontrakte garantieren und sich ihrerseits durch prozentuale Einschüsse und - bei Kursschwankungen zu Ungunsten eines Spekulanten Nachschüsse sichern. Damit ist auch die Person des Spekulanten völlig „fungibel" gemacht und es ermöglicht, daß man die Umsätze beliebigen Umfanges mit einem zur Deponierung der Einschüsse ausreichenden, nur wenige Prozente des Umsatzbetrages ausmachenden Betriebskapital macht. Die große Erweiterung des Kreises der am Umsatz Beteiligten, die dadurch ermöglicht wird, und die anschwellende Höhe der Umsätze schaffen dann die Möglichkeit, jederzeit große Quantitäten Ware am Markt ohne allzu starke Erschütterung des Preisniveaus abzusetzen oder zu erwerben. Sie führen dadurch dem betreffenden Marktort Aufträge von außen und Zusendungen von Waren zu, und es übt so die marktbildende Kraft des Terminhandels in eminentem Maße eine den Umsatz örtlich konzentrierende Wirkung. Er wirkt zu Gunsten des Terminplatzes, wenn an diesem die Bedingungen für die Marktentwicklung in dem betreffenden Produkt günstig liegen, ähnlich wie die Verleihung eines Umschlags* und Stapelrechts im Mittelalter. 10 Provinzialmärkte büßen zu Gunsten des zentralen Terminmarktes an Umsätzen und Bedeutung ein, - dies der Grund, weshalb z. B. ein Teil der Bremer Kaufleute das Verbot des Getreide-Terminhandels, der die Stellung Berlins emporgeschraubt hatte auf Kosten der Provinzialplätze, gern gesehen hat,11 wobei freilich nicht bedacht ist, daß nicht in erster 10 Als eines der wirksamsten Mittel, den Handelsverkehr auf wichtige Städte zu konzentrieren, galt im Mittelalter und besonders in der frühen Neuzeit das Stapelrecht. Es verlieh Handelsplätzen das Recht, das Vorbeiführen von bestimmten oder allen Arten von Waren zu verbieten. Die Waren mußten eine bestimmte Zeit am Markt zum Kauf aufgelegt werden, bis sie, falls unverkauft, weitergeführt werden durften. Mancherorts schloß das Stapelrecht das Umschlagrecht, das Recht auf Weiterbeförderung der Waren durch die eigenen Bürger, mit ein. 11 Während der dritten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 2 im Reichstag am 5. Juni 1896 verlas der Abgeordnete Hermann Paasche einen Brief der „Vereinigung Bremer Getreidehändler". Darin teilt diese dem Bremer Senat ihren einstimmigen Beschluß mit, sie würde ein Verbot des börsenmäßigen Getreideterminhandels im Interesse der bremischen Getreidehändler und Mühlenindustrie mit Freude begrüßen. Weiter heißt es da: „[...] wir wollen nur hervorheben, daß das Getreidegeschäft, wie es hier in Bremen betrieben wird, und welches darin besteht, das für den inländischen Konsum nothwendige Getreide über Bremen zu beziehen und in der Kundschaft abzusetzen, durch die im Terminhandel speziell an der berliner Börse vorgekommenen Hausse- oder Baisseoperationen nur zu oft aufs empfindlichste geschädigt ist." Sten.Ber., 5. Juni 1896, Band 146, S. 2425.
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Linie Bremen, sondern englische und holländische Plätze den Vorteil von dem Verbot haben werden. Von Wichtigkeit ist diese künstliche Marktbildung namentlich für kapitalistisch minder entwickelte Länder, welche sich in ihrer Preisbildung auf eigne Füße stellen wollen. So z. B. für Deutschland im Getreideverkehr London und 5 Holland, im Kammzugverkehr Frankreich und Antwerpen gegenüber. London vermag in Getreide den Terminhandel zu entbehren, ohne an seiner Bedeutung als Marktort zu verlieren, weil seine ungeheure Kapitalmacht die Einlagerung auch ohne jene Teilung des Risikos gestattet, die der Terminhandel ermöglicht. Der Kammzug- 10 Terminhandel scheint in England, - nach den Ergebnissen einer mir vorliegenden Arbeit eines Seminarhörers, Herrn cand. jur. Jaffe, 12 - leichter entbehrt zu werden teils wegen der gleichmäßigeren Verteilung der kolonialen Wollzufuhren über das Jahr hin gegenüber der auf dem Kontinent verarbeiteten La Plata-Wolle, 13 15 teils weil die stärkere Kapitalkonzentration die Kombination größerer Abschnitte des Produktionsprozesses in einer Hand gestatA 249 r tet, weil der weit | kapitalkräftigere, englische Unternehmer das damit verbundene große Rohstoff-Preisrisiko zu tragen vermag. In dem kapitalschwächeren Deutschland ist dagegen der Terminhan- 20 del die einmal eingeführte, schwer zu entbehrende Form, für überseeische Rohstoffzufuhren, die einer erst allmählichen Verarbeitung entgegensehen, eine Kursversicherung einzugehen, indem man das zum Import gekaufte Quantum auf einen oder mehrere Termine verkauft und je nach der Preisentwickelung entweder den 25 Terminverkauf durch einen Kauf eindeckt, und die eingegangene Sendung effektiv verwertet, oder dieselbe zur Erfüllung des Termingeschäftes verwendet. In beiden Fällen hat man durch Sicherung des Gegenwartspreises den Kalkül auf sichere Grundlage gestellt. Durch diese Abwälzung des Risikos wird neben der Erübri- 30 gung der sonst in den Spesen des Importeurs notwendig enthaltenen Risikoprämie auch eine Vervielfachung seiner Umsätze und 12 Gemeint ist Paul Jaffe. Seine Seminararbeit ist nicht nachweisbar. Zu Paul Jaffe vgl. den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 1020. 13 Der La Plata-Wolle, so benannt nach ihrem Herkunftsgebiet, den sog. La Plata-Staaten des ehemaligen spanischen Vizekönigreichs La Plata (heute: Bolivien, Paraguay, Argentinien und Uruguay), wurde eine Standardqualität für den Börsenterminhandel zugesprochen. La Plata-Wolle diente unter anderem zur Herstellung des Halbfabrikats Kammzug. Hauptumschlagplatz in Europa war Antwerpen.
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Ankäufe und dadurch die Möglichkeit einer Herabsetzung der Gewinnrate erzielt. Ebenso ermöglicht der Terminmarkt in zahlreichen Fällen die Ausstoßung überflüssiger Zwischenglieder durch direkte Abschlüsse mit dem Auslande seitens der Verarbeiter, die ohne jene Versicherungsmöglichkeit das darin liegende Risiko nicht tragen könnten. Im ganzen bewirkt er dadurch auf die Dauer eine Herabsetzung der sterilen Zwischenhandels-Spesen, die sich für manche Artikel auch ziffernmäßig nachrechnen läßt. Des weiteren wird durch die Möglichkeit, das Risiko auf eine Vielzahl von Schultern - der Spekulanten - zu verteilen, die sonst vorhandene Abneigung und oft Unmöglichkeit, die Auslandsware anders, als nur kommissionsweise, als Konsignationsgut zu übernehmen, beseitigt zu gunsten fester, insbesondere Cif-Abschlüsse und damit das Moment der Unsicherheit, welche das Schweben großer Konsignationslager 14 über dem Preisniveau eines Markts für dieses mit sich bringt, eliminiert. Endlich und namentlich aber ist - wie aus dem allen hervorgeht für ein kapitalschwächeres Land wie Deutschland der Terminhandel das Mittel, die Selbständigkeit seines Marktes durch die eigenartige künstliche Marktbildung, die er bewirkt, zu wahren, und das ist, wie auf der Hand liegt, nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sonst ganz unnötigerweise ein Tribut von Kommissionsgebühren und ähnlichen Spesen an das Ausland zu zahlen ist. Das einseitige Verbot des Terminhandels in einem Artikel für Deutschland 15 wirkt in erster Linie diesem Streben nach ökonomischer Verselbstständigung des deutschen Marktes entgegen. 16 Es wird nach dem Gesagten keineswegs eine Katastrophe der Kreditund Absatzverhältnisse nach sich ziehen, wie es gewisse ziemlich 14 Beim Konsignationshandel, einer im Überseehandel vorkommenden Form des Kommissionsgeschäfts, gibt der Auftraggeber zum Verkauf für seine Rechnung dem Kommissionär Ware gegen Bevorschußung auf Lager. Das im Konsignationslager gelagerte Gut steht bis zum Verkauf im Eigentum des Kommittenten. Vom späteren Erlös werden Vorschuß, Zinsen, Kosten und Provision abgezogen. 15 Während der zweiten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 2 im Reichstag am I.Mai 1896 ist auf Antrag der Zentrumsabgeordneten Fuchs und Schwarze mit großer Stimmenmehrheit dem Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten zugestimmt worden. Sten.Ber., 1. Mai 1896, Band 145, S. 2060-2062. 16 Hierzu kommentierte die Frankfurter Zeitung im redaktionellen Vorspann zum Teilnachdruck dieses Textes: „ - also gerade einem der Ziele, das die Agrarier angeblich erreichen wollten." Zum Nachdruck vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 595f.
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inhaltleere Drohungen hier und da in Aussicht stellten,17 sondern die Wirkung wird in einem Herabmindern der ökonomischen Machtstellung Deutschlands, erhöhter Abhängigkeit von fremden Märkten und Abnahme der Bedeutung der deutschen Börsen bestehen. Auch wird sich dies keineswegs nur in dem betreffenden 5 A 2501 Handels |zweige fühlbar machen, sondern allgemein. Das Produktengeschäft ist innig in den Geldmarkt verflochten, der Zinsfuß wirkt auf die Reportierung, die Richtung der Warenzufuhren auf den Wechselumsatz. Nur werden diese Rückwirkungen äußerlich zunächst unscheinbare, oft im einzelnen nicht greifbare sein, daher 10 nicht sichtbar dem oberflächlichen Blick, geschweige denn dem mit einer ungeschliffenen Parteibrille bewaffneten blöden Auge fanatisierter Interessenten. Eben dies aber ist das gefährliche bei diesem Experiment - als welches es die Parteiführer bezeichneten 18 - , daß ihm nicht einmal wirklich die experimentelle Wirkung einer am le- 15 benden Volkskörper doch immer bedenklichen Vivisektion beiwohnen wird, welche den Befürwortern eines einseitigen Terminverbots die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit desselben ad oculos demonstrieren könnte. Den Rückschlag des Schadens werden sie zwar am eigenen Leibe fühlen, aber seinen Grund nicht sehen; was 20 sie sehen werden, ist nur, daß das Kurmittel die erhoffte Wirkung auf die Preise versagt, und dadurch können sie lediglich nach stärkeren Mitteln 19 zu rufen veranlaßt werden.
17 In diesem Sinne äußerten sich z. B. die Abgeordneten der Freisinnigen Vereinigung, Hermann Frese und Theodor Barth, während der dritten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 2. Sten.Ber., 5./6. Juni 1896, Band 146, S. 2414 und 2444. Die Freisinnige Vereinigung hatte sich 1893 als großbürgerlich-liberale, freihändlerisch orientierte Partei konstituiert. 18 Anspielung auf die Stellungnahmen des Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei Rudolf Bennigsen und des Sprechers des Zentrums, Carl Bachem, während der zweiten Lesung des Börsengesetzentwurfs am 1. Mai 1896. Beide vertraten die Ansicht, daß die Entscheidung für das Verbot des börsenmäßigen Getreideterminhandels sich nach wenigen Jahren als Fehler erweisen und die Landwirtschaft bestrebt sein werde, das Getreidetermingeschäft wieder einzuführen. Ähnlich äußerte sich schließlich auch in der dritten Lesung amö.Juni 1896 Karl Gampfürdie Reichspartei. Sten.Ber., I.Mai 1896, Band 145, S. 2049, 2052, 2058; ebd., 5. Juni 1896, Band 146, S.2413. 19 Hier spielt Max Weber auf die programmatische Zielsetzung der sog. „großen Mittel" des Bundes der Landwirte an. Mit dem Börsengesetz vom 22. Juni 1896 waren die Forderungen des dritten „großen Mittels" des Bundes der Landwirte weitgehend berücksichtigt worden, nämlich die Forderung nach dem bereits erwähnten Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide- und Mühlenfabrikaten.
Die technische Funktion des Terminhandels
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Das Einschreiten gegen den Terminhandel hätte da, wo es wirklich erwünscht ist, nur international erfolgen dürfen. 20 Daß es an mehr als einem Punkte erwünscht sein würde, soll - ohne daß der Raum gestattete, hier näher darauf einzugehen, - keineswegs etwa in Abrede gestellt werden. Im Effektenverkehr kommt hier neben dem unbedingt sterilen Verkehr in kleinen Papieren wesentlich der Handel in Industriepapieren inbetracht: Abschlüsse zu absichtlich niedrigen Preisen seitens ä la baisse interessierter Betriebsleiter scheinen thatsächlich vorgekommen zu sein und zeigen die Folgen der Verquickung mit der Börse. 21 Auf dem Produktenmarkt handelte es sich zunächst um den Kammzughandel, den einzigen Terminhandel in Fabrikaten, der deshalb die Gefahr bietet, daß kurzlebige spekulative Preissteigerungen einen Anreiz zur Überproduktion geben. 22 Auch daß ganz allgemein eine relative Preissteigerung der Terminsorten und event[uell] innerhalb dieser derjenigen Qualitäten, welche das Niveau der „Lieferbarkeit" eben erreichten, zu ungunsten anderer Sorten und Qualitäten stattfindet, ist beim Kammzug sowohl als bei manchen Konsequenzen des amerikanischen Gradierungswesens 23 ziemlich deutlich sichtbar und bei dem breiteren Markt der Terminqualität natürlich; die Erscheinung ist da gleichgiltig, wo die betreffenden Rohstoffe sämtlich ausländische sind, dagegen da nicht, wo Auslands- und Inlandsqualitäten konkurrieren, wie bei Getreide in Deutschland. Bei diesem lag der Sitz der Mängel wohl wesentlich in den unentwickelten Lagerungsund Sortierungsvorrichtungen, welche freilich in amerikanischer Vollkommenheit wegen der durch die ältere Besiedelung bedingten individuellen Unterschiede der Inlandsqualitäten gegenüber den mehr typischen amerikanischen Sorten schwerlich übernommen werden könnten.
2 0 Der Reichstag hatte den Reichskanzler aufgefordert, zwecks Untersagung des börsenmäßigen Terminhandels in Kammzug bzw. in Getreide und Mühlenfabrikaten mit denjenigen Staaten, in denen ein solcher Handel besteht, Verhandlungen aufzunehmen. Sten.Ber., 1896, Band 153, Nr. 325 und 327, S. 1732. Die verbündeten Regierungen sind dem Anliegen des Reichstags nicht nachgekommen. 21 Davon berichtete der Sachverständige Julius Bäsch, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 991. Vgl. hierzu oben, S. 353 mit Anm. 21 und S. 528f. 2 2 Zum Kammzugterminhandel vgl. die Ausführungen oben, S. 571 mit Anm. 33. 2 3 Max Weber übernimmt den Begriff „Gradierungswesen" (aus dem englischen „to grade", sortieren, einteilen) von Schumacher, Getreidehandel, S. 382-392.
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A 250 r
Die technische Funktion des Terminhandels
Die Gefahr für die Stetigkeit der Preisbildung | endlich, welche die durch den Terminhandel nicht geschaffene aber erleichterte Beteiligung kapitalloser Elemente am Markt mit sich bringt, ist im allgemeinen nicht zu bestreiten, und ihre Tragweite freilich keineswegs festgestellt. In wie weit hier durch technische Mittel Abhülfe 5 zu schaffen war, oder wo im Interesse der Stetigkeit der Preisbildung und Produktion eine internationale Unterdrückung des Terminhandels zu erstreben war, konnte nur sorgfältigster Einzelerwägung des Bundesrates überlassen werden.24 Stets aber mußte dabei der Gesichtspunkt feststehen, daß eine starke Börse kein Klub für 10 ethische Kultur25 ist und sein kann, sondern ebenso wie die großen Bankkapitalien eines der modernen Machtmittel, mittelst deren die Nationen den unerbittlichen Kampf um die ökonomische Suprematie führen, auf welcher schließlich auch ihre politische Größe beruht. Ob Italien und Rußland finanziell nach Paris oder Berlin 15 blicken,26 ist eine wichtigere Frage, als ob eine Anzahl derjenigen, welche „nicht alle werden", 27 Gelegenheit haben, ihr Geld, welches sie im Börsenspiel riskieren, zu verlieren. Es handelt sich bei Beurteilung von Börsenfragen für eine im ökonomischen Machtkampf begriffene Nation heute nicht um Fragen der „Moralität" irgend 20 welcher Spekulationsgeschäfte, sondern ganz allein um die technische Frage der Sicherung korrekter Preisbildung und um die politische Frage der Stärkung der deutschen Märkte auf Kosten anderer. - Statt dessen steigerte sich der moralisierende Standpunkt, dem schon die Börsenenquete-Kommission viel zu weitgehende Kon- 25 2 4 Mit §50 Abs. 1 des Börsengesetzes mm 22. Juni 1896 wurde dem Bundesrat die Befugnis eingeräumt, „den Börsenterminhandel von Bedingungen abhängig zu machen oder in bestimmten Waren oder Wertpapieren zu untersagen". Vgl. den Abdruck unten, S. 986. 2 5 Anspielung auf die 1892 von dem Berliner Astronomen Wilhelm Förster, dessen Sohn Friedrich Wilhelm Förster, Georg von Gizycki und Ferdinand Tönnies begründete „Gesellschaft für Ethische Kultur". Vgl. auch ähnliche Anspielungen Max Webers, unten, S. 655, sowie in der Freiburger Antrittsrede von 1895 und in seinem Diskussionsbeitrag in der Debatte über das allgemeine Programm des Nationalsozialen Vereins vom 23. November 1896, MWG I/4, S. 573 mit Anm. 58 und S. 620 mit Anm. 3. 2 6 Max Weber erwähnt vermutlich nicht zufällig Rußland und Italien. Im Zusammenhang mit der Lombardaffäre 1887 hatte Rußland sich vom deutschen Kapitalmarkt abgewendet. Und Italien genoß nach der unfreundlichen Reaktion der Pariser Börsenkreise auf die politische Entscheidung zugunsten der Allianz mit Deutschland und Österreich-Ungarn (Dreibund) vermehrt finanziellen Rückhalt in Berlin. 2 7 Anspielung auf die Redensart: „Die Dummen werden nicht alle".
Die technische Funktion des Terminhandels
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Zessionen gemacht hatte, im Reichstage noch weiter und führte zu den bekannten Beschlüssen. 28 Keine noch so beredte Stimme hätte hier eine Umkehr herbeiführen können. Die agrarischen Interessenvertreter bedurften dieses Beschlusses stupiden Wählermassen 5 gegenüber, „ut aliquid factum esse videatur." 2 9 Auch glaubte ein Teil von ihnen wohl wirklich an die spezifische Verderblichkeit des Terminhandels als solchen. Soweit die öffentliche Moral bei diesen Verhandlungen eine Rolle zu spielen hatte, hätte sie aber vor allem dazu führen sollen, daß große Parteien, die diesen Glauben nicht 10 teilten, den Mut ihrer Überzeugung behalten hätten. E i n kläglicheres Schauspiel, als es in der Börsenfrage diejenigen Parteien geboten haben, welche heute am bereitesten sind, überall „Kathedersozialismus" und „Kapitalfeindschaft" auf den deutschen Lehrstühlen zu wittern und zu denunzieren, kann kaum erdacht werden. 3 0 |
28 Gemeint ist das bereits erwähnte durch den Reichstagsbeschluß in der zweiten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 2 und durch Zustimmung des Bundesrats in § 50 Abs. 3 des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 aufgenommene Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten. 29 Diese Redensart: Damit es den Anschein habe, als sei etwas getan worden, geht auf eine von dem Schriftsteller L. Caecilius Firmianius Lactantius (ca. 250 - ca. 317) gebrauchte Redewendung zurück. In diesem Sinne hatte sich auch der freisinnige Abgeordnete Dr. Alexander Meyer während der ersten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 1 geäußert: „Ich sehe voraus, daß eine mächtige Strömung [...] darauf beharren wird, es müsse irgend etwas geschehen; und wenn man einmal in dieser Stimmung ist, wo man sagt: geschehen muß irgend etwas - , dann thut man lieber etwas unzweckmäßiges, als daß man gar nichts thut." Sten.Ber., 9. Jan. 1896, Band 143, S. 214. 30 Die Frankfurter Zeitung kommentierte anläßlich des Nachdrucks am 6. August 1896 (vgl. hierzu den Editorischen Bericht, oben, S. 595f.): „Dieser Vorwurf zielt speziell auf die nationalliberale und freikonservative Partei, die Gerechtigkeit verlangt aber, hinzuzufügen, daß auch die Regierung ihr vollgerütteltes Maß von Verantwortlichkeit für den Beschluß trifft. Sie wäre die Macht gewesen, gemäß ihrer eigenen Anschauungen dem Beschluß erfolgreich entgegenzutreten." Als Freikonservative Partei wurde vielfach immer noch jene Abspaltung der (Alt)Konservativen Partei bezeichnet, die sich 1867 der Politik Bismarcks öffnete, einen Ausgleich zwischen konservativen und gemäßigten liberalen Anschauungen suchte und seit 1871 im Reichstag als Deutsche Reichspartei auftrat. Ihr prominentestes Mitglied, der saarländische Schwerindustrielle Karl Ferdinand von Stumm-Halberg, hatte in der Reichstagsdebatte zur sog. „Umsturzvorlage" am 9. Januar 1895 neben den Sozialdemokraten auch die Evangelisch-soziale Bewegung und den „Kathedersozialismus" angegriffen. In die daran anschließende öffentliche Auseinandersetzung hat auch Max Weber mit zwei Artikeln eingegriffen: Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm, und Eingesandt, MWG I/4, S.517519 und 522f.
Die Börse II. Der Börsenverkehr
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Max Weber begann im Juni 1894, für Friedrich Naumanns Göttinger Arbeiterbibliothek ein Heft über die Börse zu schreiben. 1 Er fand es „sehr schwierig", das Ganze „kurz und doch nicht trivial zu gestalten". 2 Deshalb verabredeten Autor, Herausgeber und Verleger im August eine Vervierfachung des Umfangs. Es sollten nun statt des gedachten Hefts mit 16 Seiten zwei Doppelhefte mit insgesamt 64 Seiten werden. Das erste Doppelheft ist unter dem Titel „Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen" im November 1894 erschienen. 3 In ihm wird gleich zu Beginn das nächste Heft4 angekündigt, „welches die inneren Verhältnisse der Börse und die Börsengeschäfte erörtern" werde. 5 Der Zusammenhang beider Teile wird auch dadurch betont, daß Weber wiederholt auf das nächste Heft verweist. 6 Dessen Botschaft und Plan skizziert er in der letzten Fußnote im ersten Doppelheft wie folgt: „Daß es darauf, also auf ein Eindringen in das Innere des Verkehrs, ankommt, darzulegen, war der Zweck der vorstehenden Ausführungen. Wir werden uns in einem folgenden Heft mit der Art der Abwicklung des Börsenverkehrs und seinen Formen und mit der Art der Kursfeststellung und Preisbildung und der Funktionen der großen Banken im Börsenverkehr beschäftigen, um eine ungefähre Vorstellung davon zu gewinnen, was hier erreicht werden kann und welche Zie-
1 Zur Entstehungsgeschichte der beiden Doppelhefte siehe Editorischen Bericht, oben, S. 128-133. 2 Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, BA Potsdam, Nl. Fr. Naumann Nr. 106, Bl. 118 (MWG II/2). 3 Anzeige in: Wöchentliches Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels, Nr. 47 vom 22. Nov. 1894, S. 1155. 4 Zum Begriff „Heft" vgl. Editorischen Bericht, oben, S. 133, Anm.34. 5 Vgl. oben, S. 135. 6 Vgl. oben, S. 135, 144, Fußnote 2, S. 167, Fußnote 13f., S. 169-171 und 174, Fußnote 17.
Editorischer
Bericht
615
le der Reform auf dem Gebiete des Börsenwesens gesteckt werden können und sollen." 7 Nach den Vereinbarungen zwischen Max Weber, dem Herausgeber und dem Verleger sollte das zweite Doppelheft nicht in unmittelbarem Anschluß an das erste in der Göttinger Arbeiterbibliothek herauskommen. Es sollten in rascher Folge andere Titel dazwischen geschoben werden. Demzufolge hätte das zweite Doppelheft „Die Börse" im Verlauf des Jahres 1895 erscheinen müssen. Tatsächlich kam es erst im Herbst 1896 auf den Markt. Inzwischen war der politische Streit über die Reform des deutschen Börsenwesens entschieden. Reichstag und Bundesrat hatten im Juni 1896 ein Börsengesetz verabschiedet, das am 22. Juni 1896 vom Kaiser unterzeichnet wurde. 8 Über die Gründe für die lange Verzögerung der Fertigstellung dieses Beitrags, die dann auch eine erhebliche Änderung gegenüber der Konzeption von 1894 mit sich brachte, ist Sicheres nicht bekannt. Auf Seiten Max Webers kann man vermuten, daß ihn die Übernahme der ordentlichen Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg zum Sommersemester 1894 und der damit verbundene Umzug stark beansprucht haben. Weber verfügte ja über keinerlei Lehrerfahrungen in diesem Fach. Er mußte die Lehrveranstaltungen konzipieren und vorbereiten, die Antrittsvorlesung entwerfen. 9 „Die ihn erwartende Arbeitslast ist noch größer, als er sich vorgestellt hat, und überbietet alles bisherige", berichtet Marianne Weber. 10 Die für die Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht übernommene Aufgabe, „die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" 11 darzustellen und zu analysieren, dürfte ebenfalls mehr Zeit in Anspruch genommen haben, als ursprünglich geplant war. Auch diese Arbeit, mit der Weber die komplizierten Sachverhalte des Börsenwesens erschloß, wurde durch das Gesetzgebungsverfahren überholt. 12 Allerdings relativiert die Tatsache, daß Weber vor der Anfertigung des zweiten Doppelhefts zwei weitere, im Sommer 1894 noch nicht geplante Arbeiten über Börsenfragen publiziert hat, 13 die Hypothese, es habe dem Autor für die frühere Einlösung seines Versprechens, einen zweiten Teil zu liefern, lediglich an Zeit gefehlt.
7 Vgl. oben, S. 174, Fußnote 17. 8 Zur Entstehung des Börsengesetzes vgl. oben, S. 66-91. 9 Seine Antrittsvorlesung „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik" hielt Weber am 13. Mai 1895. Vgl. MWG I/4, S. 535-574. 10 Weber, Marianne, Lebensbild3, S.213. 11 Oben, S. 195-550. 12 Die vierte Folge der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" Ist vermutlich Im Sommer 1896 veröffentlicht worden. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 186f. 13 Weber, Börsenwesen, oben, S. 554-556, und Weber, Terminhandel, oben, S. 591594.
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Die Börse II.
Möglicherweise hat auch der Herausgeber nicht auf rasche Fortsetzung gedrängt. Die weiteren Hefte der Göttinger Arbeiterbibliothek sind nicht in so schneller Folge erschienen, wie Naumann es ursprünglich geplant hatte. 1 4 Auch war Max Weber in den Jahren 1895 und 1896 in anderer Weise für die Sache Friedrich Naumanns tätig. Wiederholt hat er sich publizistisch an die Seite Naumanns gestellt und sich darüber hinaus mehr und mehr in die inneren Auseinandersetzungen des in Flügel zerfallenden Evangelischsozialen Kongresses eingelassen. 15 Mahnungen Naumanns sind jedenfalls nicht bekannt. Vermutlich ist der Text im Sommer 1896 entstanden. Max Weber erwähnt in der einleitenden Fußnote das bereits verabschiedete Börsengesetz. 1 6 Freilich könnte dieser Hinweis auch noch vor der Drucklegung in ein schon früher entstandenes Manuskript eingefügt worden sein. Doch beziehen sich auch Aussagen im Text auf das vom Reichstag Beschlossene, z. B. auf das Verbot des Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten. 17 Zudem sind keine Gründe erkennbar, warum Max Weber ein im wesentlichen fertiges Manuskript nicht alsbald hätte zum Druck befördern sollen. Erstmals ausgeliefert worden ist „Die Börse. II. Der Börsenverkehr" im Herbst 1896, vermutlich im September oder Oktober. 18 Zu Beginn seiner Darstellung räumt Max Weber in einer Fußnote, unten, S.619, ein, sein Versprechen in der letzten Fußnote des ersten Doppelhefts 19 „nicht ganz eingelöst" zu haben. Wesentlich seien nur die Verkehrsformen erörtert. Die Funktionen der großen Finanzmächte blieben besser einer gesonderten Erörterung vorbehalten. 20 Tatsächlich hat er aber, wie
14 Die Hefte 5 bis 10 des ersten Bandes der Göttinger Arbeiterbibliothek erschienen erst im Laufe des Jahres 1895. Anzeigen in: Wöchentliches Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels, Nr. 4 vom 21. Febr. 1895, S. 56, und Nr. 49 vom 5. Dez. 1895, S. 1245. 15 Vgl. die Einleitung von Wolfgang J. Mommsen, in: MWG I/4, S. 26-37. 16 Vgl. unten, S.619, Fußnote! 17 Vgl. unten, S.653f. 18 Auf der vorderen Umschlaginnenseite von Max Webers hier edierter Broschüre teilt der Verlag mit: „Von der Göttinger Arbeiterbibliothek [...] ist im Herbst [1896] erschienen: II. Bd., Heft 2/3: Arbeitszeit-Verkürzung und Achtstundentag. Von Th. Traub-Stuttgart (Doppelheft 20 Pfg.) Heft 4/5: Die Börse. 2. (Börsenverkehr.) Von Professor Dr. Max Weber-Freiburg i. Br. (Doppelheft 20 Pfg. Vgl. I, 2/3) II. Bd., Heft 1: erscheint erst im November und wird allen Abonnenten dann sofort nachgeliefert." Der Hinweis auf die Nachlieferung des 1. Hefts des II. Bandes findet sich auch auf der Titelseite des Umschlages. 19 Vgl. oben, S. 174, Fußnote 17. 20 Vgl. unten, S.619, Fußnote 1.
Editorischer Bericht
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versprochen, auch „die Art der Kursfeststellung und Preisbildung" 21 in den Grundzügen behandelt. Daß er im ersten Teil in Aussicht gestellt hatte, auch auf den „Diskont" und die Kursschwankungen der Wechsel im nächsten Heft zurückzukommen, 2 2 war ihm vermutlich bei der Niederschrift im Jahr 1896 nicht mehr gegenwärtig bzw. im Rahmen des tatsächlich Verfaßten kaum noch sinnvoll zu plazieren. Der Verzicht auf die Behandlung der Funktionen der großen Finanzmächte an der Börse 23 bedeutete hingegen eine beachtliche Veränderung der Konzeption. Auf diesen Gegenstand gerade in der Göttinger Arbeiterbibliothek einzugehen, mochte für Weber besonders nahe liegen. Schon in seiner Rezension 24 zu Naumanns erstem Aufsatzband „Was heißt Christlich-Sozial?" 25 hat Weber sich mit der Forderung Naumanns beschäftigt, „die Bewegung der Evangelischen Arbeitervereine solle" anders als die Sozialdemokratie „gerade den Kampf gegen die .Kapitalkonzentration' in den Vordergrund rücken, während die .Betriebskonzentration' als Hebel technischen Fortschritts anerkannt werde." Weber sieht hier ein Fortwirken der „ältesten Gepflogenheiten der theologischen Nationalökonomie seit Thomas von Aquino, daß ihnen die .Handelskapitalien' mit der chemisch reinen arbeitslosen Rente in der gleichen Verdammnis waren." Naumann erkenne nicht, daß „ganz die gleiche Bedeutung für die organisatorische Funktion des Handels in der Volkswirtschaft die Konzentration z. B. der großen Bankkapitalien hat." 26 Wenn Weber die „Funktionen der großen Finanzmächte" dann doch nicht in diesem Doppelheft behandelt, weil hierfür „ein gewisses Maß von Breite für gänzlich Fernstehende zum Verständnis unumgänglich ist", so stellte er wenigstens „eine gesonderte Erörterung" in Aussicht. 27 Doch ist Weber auf dieses Thema später nicht mehr zurückgekommen. 1909 hat er bekannt, daß das Thema Banken ihm „fremdeste[s]Gebiet" sei. 28
21 So die Formulierung oben, S. 174, Fußnote 17. 22 Vgl. oben, S. 144, Fußnote 2. 23 Nicht nur der Verweis oben, S. 174, Fußnote 17, sondern auch oben, S. 171, zeigt an, daß dies ein Hauptthema des zweiten Doppelhefts hätte sein sollen. Denn Weber hatte einerseits die Notwendigkeit der Kapitalkonzentration, andererseits auch die Gefahren darlegen wollen, die große Kapitalisten auf der Börse über Volksvermögen bringen können und auch, ob und was sich zur Einschränkung dieser Gefahren tun läßt. 24 Weber, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze von Friedrich] Naumann, MWG I/4, S. 350-361. 25 Naumann, Friedrich, Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze. - Leipzig: A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung Nacht. (G. Böhme) 1894. 26 Weber, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial? (wie Anm. 24), S. 354t. 27 Vgl. unten, S.619, Fußnote 1. 28 Brief an Paul Siebeck vom 17. Juli 1909, MWG II/6, S. 192.
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Die Börse II.
Zur Überlieferung
und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der unter der Überschrift „Die Börse. II. Der Börsenverkehr" (Göttinger Arbeiterbibliothek, 2. Band, 4. und 5. Heft, hg. von Pfarrer Friedrich Naumann-Frankfurt a. M. in Verbindung mit Vertretern der Evangelischen Arbeitervereine). - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1896, S. 4 9 - 8 0 , erschienen ist (A). Der Text ist gezeichnet: „von Dr. Max Weber, o. Professor der Staatswissenschaften in Freiburg i. Br." Die Ausgabe ist zweifellos von Max Weber autorisiert. Die Originalausgabe ist in einer Frakturschrift gedruckt, welche die Umlaute Ä, Ö und Ü sowie ß enthält. Bei fünf- und sechsstelligen Zahlen sind in der Originalausgabe die drei letzten Ziffern durch Komma abgesetzt. Die Edition ersetzt die Kommas durch Spatien. Die Fußnoten Max Webers, die in der Originalausgabe mit *) anbinden, sind jetzt mit arabischen AntiquaZiffern in offener Klammer durchnumeriert. Binnenverweise Max Webers wurden auf die Paginierung der Max Weber-Gesamtausgabe umgestellt. Max Weber faßte die beiden Börsenhefte für die Arbeiterbibiliothek als selbständige Texte auf und war mit ihrem zeitlich auseinandergezogenen Erscheinen einverstanden. Sie werden daher nicht als Texteinheit ediert. Die erste Folge ist oben, S. 135-174, editiert.
Die Börse.1) II. Der Börsenverkehr3
A 49
Die Börse ist ein Markt, auf welchem Kaufgeschäfte über Waren des Großhandels und über Geldsorten, Wechsel und Wertpapiere zwischen Berufs-Kaufleuten abgeschlossen werden. Diejenigen, welche „börsengängige" Waren oder Papiere kaufen oder verkaufen wollen, also z.B. Landwirte, die Getreide verkaufen, große Müller, die es kaufen, Kapitalisten, die Wertpapiere zur Anlage ihres Geldes erwerben, und andere, die, weil sie Bargeld brauchen, solche verkaufen wollen, sind auf diesem ungeheueren Markte am sichersten, Verkäufer und Käufer zu dem b zur Zeit für sie günstigst möglichen Preise zu finden. Sie geben deshalb ihre Aufträge an einen an der Börse vertretenen Kommissionär. Die Auftraggeber bezeichnen dabei entweder den Preis, zu welchem sie äußerstenfalls zu kaufen oder zu verkaufen bereit sind, sie „limitieren" ihn (z. B.: zu kaufen 10 000 Rubel Russische Noten zum Preise von nicht über - aber natürlich womöglich unter - 210 Mark für je 100 Rubel) oder sie geben - wenn sie in jedem Falle zu kaufen oder zu verkaufen wünschen - den Auftrag „unlimitiert" (z.B. zu kaufen 10000Rubel „bestens", d.h. zu dem billigst-möglichen Preise, zu dem sie der Kommissionär auf dem Markt erlangen kann). Wieviel Waren oder Papiere einer bestimmten Art jeweilig von derartigen Auftraggebern angeboten oder gesucht und welche Preise dafür verlangt oder geboten werden, hängt natürlich von der ganzen un'' Welchem Zweck diese Zeilen allein dienen wollen, ist einleitend zu TeilI A 49 (G[öttinger] Arbeiterbibl[iothek] 1,2. 3.) gesagt. Das dort in der Schluß-Anmerkung gegebene Versprechen ist nicht ganz eingelöst. 1 Wesentlich nur die Verkehrsformen sind erörtert. Die Funktionen der großen Finanzmächte bleiben besser einer gesonderten Erörterung 2 vorbehalten. Ich überzeugte mich, daß ein gewisses Maß von Breite für gänzlich Fernstehende zum Verständnis unumgänglich ist. - Jede eingehende Erörterung der Reformvorschläge oder des Börsengesetzes verbot der Raum. | a In A folgt: von Dr. Max Weber, o. Professor der Staatswissenschaften in Freiburg i. Br. b A:den 1 Oben, S. 135 und S. 174, Fußnote 17. 2 Eine solche Erörterung hat Max Weber auch später nicht vorgelegt. Vgl. hierzu den Editorischen Bericht, oben, S. 616f.
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Die Börse II.
absehbaren Vielzahl von Ursachen ab, welche für die Verkaufsoder Kaufs-Neigung der Beteiligten in Betracht kommen und die wir hier unmöglich im einzelnen aufzuführen auch nur versuchen können. - Mit ihren Aufträgen in der Tasche begeben sich die Kommissionäre an die Börse und suchen dort entweder selbst ei- 5 nen Partner aufzufinden, mit dem sie ein Geschäft, wie es der Auftraggeber verlangt, so günstig wie möglich für ihn und jedenfalls inA 50 nerhalb des Preis-„Limits", | welches er angegeben hat, abschließen können, oder sie wenden sich an einen der Makler, welche die Vermittlung von Geschäften in dem betreffenden Gegenstand 10 (Getreidesorte, Aktien der betreffenden Gesellschaft) zu ihrem speziellen Geschäft gemacht haben. An diese Makler gelangt also der größte Teil der Verkaufs- und Kaufs-Offerten, die an einem Börsentage in dem betreffenden Artikel vorliegen, - „Angebot und Nachfrage" konzentrieren sich bei ihnen - und sie suchen nun 15 aus diesen Kaufs- und Verkaufsaufträgen unter Berücksichtigung der angegebenen Preis-„Limits" möglichst viele Geschäfte zu stände zu bringen, um möglichst viel „Courtage" zu verdienen. Je nach dem Maße nun, in welchem Aufträge zum Verkauf oder zum Kauf bestimmter Warensorten oder Wertpapiere an den 20 Markt gelangen - je nach der jeweiligen „Marktlage" - , müssen die zu einem bestimmten Preise keinen Verkäufer mehr findenden Kaufreflektanten mit ihren Preisangeboten in die Höhe gehen und so zu dem teureren Preise weitere Warenbesitzer zum Verkaufe zu bewegen suchen, oder umgekehrt die Verkaufsreflektanten mit ih- 25 ren Preisforderungen herabgehen, um so durch die billigeren Preise einen Anreiz zum Kauf zu schaffen. Der ganze Verkehr trägt demgemäß den Charakter eines unablässigen gegenseitigen Ansteigerns an sich: die Kommissionäre und Makler mit Kaufaufträgen in der Tasche gehen mit ihren Preisangeboten herauf, diejeni- 30 gen mit Verkaufsaufträgen mit den Preisforderungen herunter, so nähern sich die Gebote einander, bis ein Geschäftsabschluß zwischen zwei Beteiligten zu stände kommt. In der Vergangenheit und auch heute noch vielfach in England und Amerika trägt der Verkehr auch geradezu die Form der öffentlichen Versteigerung an 35 sich: ein Börsenbeamter ruft von erhöhter Stelle aus die einzelnen Waren und Papiere auf; im weiten Kreise um ihn stehen die Reflektanten und rufen ihm ihre Gebote zu, die er mit lauter Stimme wiederholt, bis die Annahme eines Gebotes durch einen Anwesen-
Der
Börsenverkehr
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den erfolgt, worauf die Gebote von neuem beginnen. Meist vollzieht sich der Verkehr ohne einen solchen amtlichen Ausrufer, aber dem Wesen nach in ähnlicher Weise. Die Händler in einem Papier oder in einer Warensorte mit besonders lebhaftem Verkehr haben meist einen bestimmten allgemein bekannten Standort auf der Börse, dorthin begiebt sich, wer davon kaufen oder verkaufen will, und es bildet sich ein Knäuel von Menschen, welche sich ihre Kaufs- und Verkaufsofferten zurufen, oft geradezu zubrüllen, indem sie sich dabei bestimmter kurzer Ausdrücke bedienen, die an der | Börse üblich sind. Zum Beispiel: ein Rubel-Makler Meier hat A 51 einen Auftrag zum Kauf von 30 000 Rubel Russischer Noten, nicht über 211 Mk. pro 100 Rubel, erhalten. Er begiebt sich an den Rubel-„Markt", d. h. zu demjenigen Knäuel, in welchem Rubel-Noten gehandelt werden, und ruft[:] „210 Geld!" - das heißt im Börsendialekt: ich biete 210 Mark für je 100 Rubel. Ein anderer ruft darauf: [,,]211 Brief!" - das heißt: ich bin bereit, zu 211 für 100Rubel Rubelnoten zu verkaufen. Darauf ruft z.B. Meier: „210 Geld!" d.h. ich will nur 210 geben. Darauf ein Dritter: „2103/4 Brief!" d. h. ich gebe Rubelnoten schon zu 210 3/4 für 100 Rubel her. Nun geht Meier, einsehend, daß er zu 210 Mk. keine R. erhält, mit seinem Gebot in die Höhe und ruft z.B. zunächst: „210V4 Geld[!]", d. h. ich bin bereit 210 V4 für 100 R. zu zahlen, worauf z. B. ein Dritter ruft: „210 5/8 Brief!" und Meier, nochmals höher bietend: „210 V2 Geld!" Auf dieses Gebot hin ruft ihm ein Vierter zu: „wie viel mal?" - nämlich: wie viel mal die sogenannte „Schlußeinheit", - d. h. das der Einfachheit der Verständigung halber, wie wir noch sehen werden,3 von den Börsenüsancen ein für alle mal als gemeint festgesetzte Quantum, z.B. in Berlin bei Rubeln 10000Rubel, wollen Sie zu diesem Preise kaufen? - worauf Meier antwortet: „3 Mal!" (d. h. 3 x 10000 = 30000 Rubel will ich kaufen) - und der Gegner, wenn ihm 30 000 Rubel zum Preise von 210 V2 Mark für je 100Rubel feil sind, antwortet: „an Sie!" (nämlich: an Sie verkaufe ich die betreffende Quantität zu dem gebotenen Preise, - der entsprechende Ausdruck des Käufers würde lauten: „von Ihnen!"), worauf beide sich den Kurs und die Quantität schleunigst in ihren Notizbüchern vermerken, um alsbald sich der Erledigung weiterer Aufträge zuzuwenden. Oft müssen Gestikulationen alle Worte er3 Unten, S.631f.
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setzen. Denn die ungeheuere Zahl der fortwährend hin- und herschwirrenden Gebote verursacht einen geradezu betäubenden donnerartigen Lärm und ist, verbunden mit dem Anblick zahlreicher Knäuels sich drängender, brüllender und gestikulierender Menschen wohl geeignet, demjenigen, der zum ersten Mal die Gal- 5 lerien eines Börsenraums betritt, Befremden und Widerwillen einzuflößen. Die einzelnen Geschäfts-Abschlüsse an der Börse kommen natürlich zu verschiedenen Preisen zu stände. Es differieren oft alle einzelnen Abschlüsse von einander. Immerhin liegt es, wie früher 10 (I S. 159f.) erörtert wurde, im Wesen jedes Marktes, daß die verA 52 schiedenen Preise, da ja Verkäufer und Käufer an | Ort und Stelle sind, da die Gebote und Abschlüsse sich öffentlich für jeden hörbar vollziehen und die Reflektanten mit einander konkurrieren, in jedem gegebenen Moment nicht nennenswert von einander ab- 15 weichen werden. Darauf beruht die Möglichkeit der Kursnotizen, deren außerordentliche Bedeutung gleichfalls schon früher (IS. 159f.) besprochen ist.4 - Für welche Gegenstände Kurse notiert werden, ergiebt sich bei Produkten, die sich ja ihrer Art nach nicht ändern und neu entstehen, aus dem thatsächlichen Vorhandensein 20 oder Fehlen eines börsenmäßigen Handels von selbst. Hingegen werden fortwährend neue Wertpapiere durch Entstehung von Aktiengesellschaften, Schuldaufnahmen etc. geschaffen, und da diese doch unter Umständen recht zweifelhafte Existenzen sind, so haben alle größeren Börsen die Bestimmung, daß im amtlichen Kurs- 25 blatte eine Notiz erst nach besonderer Zulassung des Papiers dazu stattfinden darf. Regelmäßig dürfen da, wo noch vereidigte Makler oder ähnliche amtliche Vermittler bestehen, diese vorher kein Geschäft darin vermitteln. - Der Antrag auf Zulassung eines Papiers zur Notiz wird regelmäßig von dem- oder denjenigen Bankhäusern 30 ausgehen, welche dasselbe „emittieren", d.h. dem Ausgeber des Papiers (z. B. dem Staat, welcher die Anleihe „aufnehmen", d. h. die Schuldscheine verkaufen möchte, dem Verband von Personen, welche eine Aktiengesellschaft „gründen" möchten und dazu noch weitere Teilnehmer brauchen) abnehmen, um es beim Anlage su- 35 chenden Publikum durch öffentliche Aufforderung zur „Subskription" unterzubringen. Zwar kommt es in großem Umfang vor, daß 4 Oben, S. 158-160.
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ein Wertpapier ohne formelle öffentliche „Emission" und die sich daran anschließende Einführung an der Börse beim Publikum eingebürgert wird, durch Privatempfehlung von Bankiers an ihre Kunden in Verbindung mit Zeitungsreklame. So zur Zeit die mehrfach recht elenden überseeischen Goldminenaktien, welche unter Umgehung der deutschen Börsen „eingeschmuggelt" werden.5 Aber solide Kapitalisten werden regelmäßig nur solche Papiere zu kaufen geneigt sein, welche sie gegebenenfalls jederzeit an einer deutschen Börse zu verkaufen in der Lage sind, zu einem Preise, den ihnen ein deutsches Kursblatt zeigt. Die Zulassung zur Börse ist deshalb von gewaltiger Bedeutung für die Frage, in welchen Papieren die Nation im allgemeinen ihre Ersparnisse anlegt. Mit Recht wird deshalb verlangt, daß die Behörden - regelmäßig gewählte Börsenausschüsse - , welche darüber entscheiden, mehr als bisher, wo meist nur die äußere Ordnungsmäßigkeit des Papiers geprüft wurde, auch die „Güte", d.h. | die voraussichtliche Zahlungsfähig- A keit des Ausgebers prüfen. Allzuviel darf man freilich nicht erwarten, auch nicht von einer noch so umfassenden Staatsaufsicht darüber. An den argentinischen Anleihen hat Deutschland mehrere hundert Millionen verloren, und als schließlich die Banken, bemerkend, daß das Land über seine Verhältnisse lieh, den weiteren Kredit verweigerten, suchte das Auswärtige Amt sie aus politischen Gründen umzustimmen.6 Gerade bei solchen Objekten würde eben oft nur langjähriges Studium ein wirkliches Urteil ergeben. 5 Gemeint sind hier die Aktien australischer und afrikanischer Goldminengesellschaften, die an der Pariser und Londoner Börse, nicht aber an deutschen Börsen gehandelt wurden. Die Aktien unterlagen extremen spekulativen Schwankungen wegen häufig geänderter Einschätzung der Ausbeutung der Minen (Australien) bzw. wegen der Auseinandersetzungen zwischen den Buren und Engländern um den politischen Status der Südafrikanischen Republik. In Deutschland wurden die begehrten Spielpapiere durch reisende Bankagenten von Haus zu Haus verkauft. 6 Das Auswärtige Amt hatte noch Ende der 1880er Jahre, obwohl die tatsächliche wirtschaftliche Lage Argentiniens bereits bekannt wurde, die großen deutschen Bankhäuser Einleitung, aufgefordert, in argentinische Unternehmungen zu investieren. Schmoller, S. XXIVf., gibt an, daß die deutschen Kapitalanleger insgesamt im Nominalwert von 1,297 Milliarden Mark notleidende ausländische Wertpapiere, davon für 237,86 Millionen Mark argentinische Wertpapiere, gekauft hätten. Die Kursverluste bei allen diesen Papieren schätzt Schmoller auf 700 bis 800 Millionen Mark. Den Aufbau von Wirtschaft und Infrastruktur hatte Argentinien durch Aufnahme ausländischer Anleihen finanziert. Der Boom der 1880er Jahre fand jedoch ein jähes Ende, als Argentinien 1890 in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Das Bankhaus Baring Brothers & Co., einer der bedeutendsten Emittenten argentinischer Anleihen und zweitgrößtes Bank-
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Die Art der Feststellung der Kurse in den gehandelten und zugelassenen Objekten ist verschieden. Teilweise - so in Amerika - notiert man den Kaufpreis jedes Geschäfts, welches die Parteien zu diesem Zweck anzeigen. An diesen Anzeigen haben insbesondere die Kommissionäre ein Interesse, da sie, wie wir sehen werden,7 auf 5 Grund der notierten Preise mit ihren Kunden abrechnen. Meist aber werden aus den Maklern Auskunftspersonen ausgewählt, welche über die Kurse, zu denen gehandelt ist, einem Börsenbeamten Angaben machen. Dabei kann dann z. B. - wie es oft geschieht der am Anfang und der am Schluß der Börsenzeit vorhanden ge- 10 wesene Preisstand und außerdem noch der niedrigste und höchste während derselben in einem Abschluß erreichte Preis notiert werden. Oder man sucht etwa festzustellen, zu welchem Preise man mit einiger Sicherheit nach den bekannt gewordenen VerkaufsAngeboten noch Quantitäten des betreffenden Objektes hätte 15 kaufen können und zu welchem man andererseits nach den bekannt gewordenen Kaufs-Angeboten hätte verkaufen können^ und notiert je nach den Ergebnissen des Verkehrs den ersten als Angebots-(„Brief-") oder den letzten als Nachfrage-(„Geld-") Preis, oder beide zusammen, oder einen von ihnen neben einem 20 Preis, der ergiebt, zu welchen Kursen Geschäfte zustande gekommen sind.2) Nicht nur die einzelnen Abschlüsse an der Börse unterscheiden sich in der Höhe des vereinbarten Preises, sondern es unterscheidet
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2 > Z. B.: „249 V2 B. 248 3 / 4 G." - „249 bz." heißt, daß zu diesem Preis Abschlüsse gemacht worden sind, „249 bz. B.", daß zu diesem Preis Geschäfte zustande kamen, aber noch ein weiteres Angebot da war. Hier kann ich auf Einzelheiten und Besonderheiten (z. B. der Berliner Notiz) nicht eingehen. |
institut Englands, stand vor dem Konkurs, nachdem es eine argentinische Anleihe nicht mehr unterbringen konnte und selbst für die Zahlung aufkommen mußte (Baring-Krise). Mit der Zahlungsunfähigkeit der Bank konnte Argentinien seiner Schuldendienstleistung nicht mehr nachkommen. Um den Zusammenbruch des englischen Banksystems zu verhindern, wurde in einer konzertierten Aktion ein Garantiekonsortium für die fälligen Verbindlichkeiten von Baring Brothers & Co. gebildet. In den folgenden Jahren schlössen England, Frankreich und Deutschland mit Argentinien Konsolidierungsabkommen, um die internationale Kreditwürdigkeit Argentiniens wiederherzustellen. Hübner, Otto, Der finanzielle Zusammenbruch Argentiniens, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 57. Band, 1891, S. 239-254. 7 Unten, S.646f.
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sich aus den verschiedensten Gründen oft die gesammte Preislage derselben Ware an einem Börsenplatz sehr erheblich von derjenigen an einem andern. Wenn z. B. einmal Frankreich verhältnismäßig mehr russische Waren importiert und zu bezahlen hat als Deutschland, und deshalb an die Pariser Börse ein verhältnismäßig stärkerer Kauf-Bedarf der importierenden Kauf|leute nach Wech- A54 sein „auf" Rußland oder russischen Noten c gelangt als0 an die Berliner, so werden für russische Noten nicht nur in einzelnen Fällen höhere Preise in Paris gezahlt d werden als d in Berlin, sondern auch der Durchschnitt aller gezahlten Preise wird in fühlbarer Weise abweichen und die allgemeinen Chancen (Aussichten) für einen möglichst teueren Verkauf der russischen Noten in Paris günstiger sein als in Berlin: - es entwickeln sich örtliche Preisunterschiede. Ebenso wirken zahlreiche allgemeine Ursachen auf die Herbeiführung zeitlicher Unterschiede in der allgemeinen Preislage, auch an demselben Börsenplatz. Es ist z. B. leicht verständlich, daß unmittelbar nach der Ernte, wenn von allen Seiten Getreidevorräte an die großen Handelsplätze strömen, die Chancen, hohe Preise für das Getreide zu erzielen, an sich ganz allgemein ungünstigere sein müssen als später, wenn die Vorräte teilweise aufgezehrt sind, und daß ebenso zu denjenigen Zeitpunkten, wo z. B. üblicherweise die Bezahlung russischer Waren zu erfolgen pflegt, der Preis der Noten durch verstärkte Nachfrage in die Höhe getrieben wird. Diese stets wieder auftretenden örtlichen und zeitlichen Unterschiede in der allgemeinen Preislage einer Ware zur Erzielung von Gewinn auszunutzen, ist das Bestreben derjenigen Handelsthätigkeit, welche zwar sehr mit Unrecht hie und da als dem Börsenhandel allein eigentümlich angesehen wird, die aber allerdings im Börsenverkehr den höchsten Grad ihrer Entfaltung erreicht und für die besondere Art der Preisbildung ebenso wie für die Geschäftsformen der Börse entscheidend ist: der Spekulation. Man kann die börsenmäßige Spekulation im weiteren e Sinn als e die auf Gewinn am Unterschied zwischen Kauf- und Verkaufspreis einer börsengängigen Ware abzielende Handelsthätigkeit weiter einteilen in Arbitrage - Ausnutzung örtlicher - und Spekulation i. e. S. - Ausnutzung zeitlicher Preisunterschiede. Der „Arbitrageur" sucht seinen Gewinn, indem
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d A: werden, als
e A: Sinn, als
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er gleichzeitig eine Ware an dem Platz, wo sie zur Zeit teuer abzusetzen ist, verkauft, und an demjenigen, wo sie billig zu erwerben ist, einkauft. Sein Geschäft ist also ein reines Rechen-Exempel. Er steht am Telephon oder läßt sich telegraphisch Mitteilungen und Angebote von auswärtigen Plätzen machen, und sobald er die Möglichkeit z. B. durch Einkauf von Wechseln auf Rußland oder russischen Noten in London und Verkauf derselben in Paris einen Gewinn zu machen bemerkt, giebt er per Telephon und Telegraph seine Aufträge. Die Gewinnchance beruht dabei wesentlich auf der A 55 Geschwindigkeit der | Ausnutzung einer sich zeigenden örtlichen Preisdifferenz, und da der Arbitrageur dabei nicht nur die an den auswärtigen Plätzen geltenden Währungen in einander umrechnen, sondern auch die Verschiedenheit der für die Erfüllungszeit, für die nebenher zu zahlenden Zinsen, Provisionen und Courtagen geltenden Gebräuche im Kopf haben und bei der mit Blitzesschnelle erfolgenden Berechnung berücksichtigen muß, so muß er im Kopfrechnen oft geradezu Erstaunliches leisten und gehört sein Geschäft zu den nervenzerrüttendsten, die es giebt. Dafür bietet es, wenn nur richtig gerechnet ist, keinerlei sonstige Gefahr, deshalb aber auch, wenigstens wenn man die Höhe der Umsätze mit dem erzielten Gewinne vergleicht, nur verhältnismäßig niedrige Gewinnchancen. - Bei der Spekulation i. e. S. fallen der billigere Einkauf und der teurere Verkauf nicht örtlich, sondern zeitlich auseinander. Der Spekulant schließt den einen, weil er in Zukunft zufolge einer Änderung der allgemeinen Kaufs- und Verkaufs-Chancen, deren Eintreten er erwartet, den andern machen zu können hofft. Schon daraus ergiebt sich, daß sein Geschäft kein reines Rechenexempel ist, denn sein Erfolg hängt von dem Eintreten der erwarteten Änderung der allgemeinen Preislage der betreffenden Ware ab, und der Spekulant muß die Gesamtheit der hierfür möglicherweise mitwirkenden Umstände in Betracht ziehen. Günstige Witterung im Sommer wird ihn auf gute Ernte und Sinken der Getreidepreise im Herbst, Gerüchte von diplomatischen Verwicklungen auf abnehmende Neigung, Papiergeld und Schuldverschreibungen von großen Militärstaaten zu besitzen, also auf Sinken der Preise derselben rechnen lassen, aus einer guten Ernte Rußlands schließt er auf große Getreideausfuhr, also großen Bedarf nach russischem Geld zum Bezahlen derselben und steigende Notenpreise u.s.w.
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Ein erheblicher Teil aller der zahllosen, schließlich auf das Maß der zukünftigen Kauf- oder Verkaufsneigung in einer bestimmten Ware oder einem Papier einwirkenden Umstände wird ihm freilich auch bei umfassendster Kenntnis der gegenwärtigen Sachlage stets verborgen bleiben müssen, und es steckt insofern stets ein gewisses hazardartiges Moment (ein Stück Glücksspiel) in dem Versuch, an Zukunftschancen zu profitieren, - allein dies teilt die börsenmäßige Spekulation mit jeder Art des Handels überhaupt. Wir müssen nun den Geschäfts formen, deren die Spekulation sich bedient, unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die einfachste Grundform der Geschäfte an der Börse, beim Effektenhandel „Kassa"-Geschäft, bei Produkten „Loko"-Geschäft | genannt, ist ein alsbald durch bare Zahlung gegen Übergabe der A 56 Ware zu erfüllendes Kaufgeschäft. Erfüllt eine Partei trotz Mahnung nicht rechtzeitig, gerät sie „in Verzug", so hat regelmäßig der Gegenpart das Recht der „Zwangsregulierung", d.h. der nichtsäumige Käufer darf die betreffenden Waren anderweit von einem Dritten kaufen, der nichtsäumige Verkäufer sie an einen Andern verkaufen - wobei sie, je nach Gesetz und Gebrauch, gewisse Formen innezuhalten haben - und sie können dann die Erstattung des Unterschieds im Preise verlangen, der sich dabei etwa zu ihren Ungunsten gegenüber dem Kontraktspreis ergeben hat: der Käufer also, wenn er teurer einkaufen mußte, als der Preis war, zu dem ihm der Säumige zu liefern zugesagt hatte, die Differenz der beiden Kaufpreise, und entsprechend der nichtsäumige Verkäufer. Dieser einfachen Geschäftsform bedienen sich naturgemäß alle diejenigen, welche Waren und Wertpapiere kaufen wollen, um sie zu behalten oder zu verbrauchen, also: Kapitalisten resp. die Kommissionäre von Kapitalisten, welche die gekauften Papiere als Kapitalanläge behalten wollen, Müller, die das Getreide vermählen, ZuckerRaffineure und Kammgarnspinner, die den Roh-Zucker und Kammzug weiterverarbeiten wollen. Hingegen ist sie nicht die geeignetste Geschäftsform für die Spekulation. Zwar kann man gewisse einfachste Spekulationen auch in Form dieses einfachen Baargeschäfts machen. Wenn Jemand nach der Ernte Getreide einkauft, bar bezahlt und in Erwartung eines künftigen steigenden Begehrs auf Lager legt, um es im Frühjahr gegen bar mit Gewinn zu verkaufen, oder ein Anderer es mit russischen
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Noten oder sonstigen Wertpapieren, für die er aus irgend einem Grunde eine verstärkte Nachfrage erwartet, ebenso macht, so ist dies die einfachste Form spekulativen Handels. Sie ist stets vorgekommen. Alle Gesetzgebungen der Vergangenheit und auch die Litteratur einschließlich der Schriften der Kanonisten und z. B. Lu- 5 thers sind voll von zornigen Ausfällen gegen die „Aufkäufer", die „Monopolia"8 und wie sonst ähnliche spekulative Geschäfte genannt wurden. Aber offenbar kleben jener Form der Spekulation vom Standpunkt des spekulirenden Händlers aus gesehen - mehrere Unvollkommenheiten an. Man kann in dieser einfachen Weise 10 des Bar-Einkaufs von Ware, die man künftig verkaufen will, nur auf ein Steigen des Getreides, der Noten etc. im Preise spekuliren („ä la hausse", wie der übliche börsenmäßige Ausdruck heißt), nicht aber auf ihr Sinken („ä la baisse"). Ferner: man kann bei diesen | A 57 einfachen Bargeschäften nur Ware zum Spekulieren verwenden, 15 die am Markt schon vorhanden ist - gegenwärtige Ware - nicht aber Zukunftsware, d. h. solche, deren Eintreffen für die Zukunft erwartet wird, die zur Zeit noch auf dem Meere schwimmt oder gar noch auf dem Halm wächst. Man braucht eben zu jedem Spekulationsgeschäft schon beim Abschluß ein Quantum wirklich Vorhände- 20 ner Ware, und dadurch ist die Zahl der möglichen Spekulationsgeschäfte begrenzt. Endlich: der Spekulant, welcher Getreidevorräte etc. aufkauft, um sie künftig bei gestiegenen Preisen auf den Markt zu bringen, muß ein sehr bedeutendes Kapital in diesen Vorräten „festlegen", über welches er nun, bis er dieselben wieder verkauft 25 hat, nicht verfügen kann. Er muß deshalb überhaupt ein sehr kapitalkräftiger Mann sein, und dadurch ist der Kreis der Personen, die an der Spekulation teilnehmen können, eng begrenzt. Schon deshalb ist auch die Gefahr, das „Risiko", dieses Spekulanten sehr bedeutend, da bei dem beschränkten Vorrat an Ware und dem be- 30 grenzten Kreis der am spekulativen Handel teilnehmenden Perso8 Der Begriff „Monopol" wurde noch im 15. und 16. Jahrhundert in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet: 1. im morphologischen Sinne für die Alleinstellung eines Verkäufers oder einer Gruppe von Verkäufern am Markt und 2. für eine Fülle von mißbilligten Praktiken von Kaufleuten, mit denen sie auf die Preise einwirkten, z. B. den (spekulativen) Aufkauf. Von den älteren Kirchenrechtslehrern (Kanonisten) wie von Martin Luther wurden der Aufkauf und die Monopolia als wucherisches Treiben definiert. Stellungnahmen von Martin Luther hierzu finden sich in seiner Abhandlung: Von Kaufshandlung und Wucher (1524), in: Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Band 15. - Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1899, S. 305-307.
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nen es sehr zufällig ist, ob und wann man mit einiger Sicherheit darauf zählen kann, einen Abnehmer für bestimmte Quantitäten der aufgespeicherten Ware zu finden, und weil ferner die Preisschwankungen, wenn bei beschränkten Vorräten große Aufkäufe und massenhafte Veräußerungen miteinander abwechseln, naturgemäß sehr heftige sein müssen. Dem allen kann nur abgeholfen werden, wenn einmal 1) möglich gemacht wird, ohne bedeutendes eignes Kapital zu spekulieren, wenn ferner 2) es ermöglicht wird, daß ein und dasselbe Quantum Ware oder Wertpapiere nicht nur zu einer, sondern zu mehreren spekulativen Geschäftsabschlüssen benutzt wird, und zwar 3) so, daß man nicht nur in Erwartung steigender Preise auf Spekulation kaufen kann, um später teurer zu verkaufen, sondern auch in Erwartung sinkender Preise auf Spekulation verkaufen kann, um später billiger einzukaufen. Dies alles leistet in technisch vollkommenster Weise diejenige Geschäftsform, welche an den entwickeltsten Börsen der Welt heute als Form des Spekulationshandels vorherrschend geworden ist: das Termingeschäft. Das Wesen des Termingeschäfts besteht in folgendem: Statt daß der Spekulant mit der Bedingung sofortiger Abnahme und Lieferung der Ware gegen bare Bezahlung kauft und verkauft, wird die beiderseitige Erfüllung auf einen bestimmten zukünftigen Termin, z. B. einen bestimmten Kalendertag hinausgeschoben. Bis dieser Zeitpunkt heranrückt, | haben beide, der Käufer sowohl als A 58 der Verkäufer, Muße, eine ihnen gewinnbringende „Realisation"9 des „Engagements" zu versuchen. Das heißt: der Spekulant („Haussier"), welcher zu einem bestimmten Preise auf Termin in Erwartung steigenden Kaufbegehrs gekauft hat, hofft und wünscht, bis der Termin, an dem er abnehmen und bezahlen muß, heranrückt, jemanden zu finden, dem er die Ware zu einem höheren Preise auf denselben Termin verkaufen kann, der Spekulant („Baissier") umgekehrt, welcher in Erwartung relativ sinkender Nachfrage zu jenem Preise auf Termin verkauft hat, hofft, bevor der Termin heranrückt, an dem er die Ware gegen Baarzahlung zu liefern hat, sie sich von einem Dritten zu einem billigeren Preise verschaffen zu können. Den Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis
9 Zum Begrif „Realisation" vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1060.
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wollen beide gewinnen, der eine, der Termin-Käufer, die Differenz zwischen seinem heute abgeschlossenen Einkauf und seinem künftig abzuschließenden Verkauf, der Termin-Verkäufer diejenige zwischen seinem heute abgeschlossenen Verkauf und dem künftig abzuschließenden Einkauf. Offenbar ist also durch die Verwendung s dieser Geschäftsform zunächst erreicht, daß man nicht nur auf Spekulation kaufen, sondern auch auf Spekulation verkaufen kann, also sowohl auf künftige PreisSteigerung, als auf künftige Preissenkung spekulieren kann. Es ist nunmehr nicht nur möglich, daß nach der Ernte jemand, der für den Sommer bei abnehmenden Vorräten 10 steigende Preise voraussieht, einen Kauf abschließt, der im Sommer erfüllt werden soll, und den er bis dahin durch einen teureren Verkauf auf denselben Termin vorteilhaft „einzudecken" 10 hoffen kann, sondern es ist ebenso möglich, daß jemand, der im Sommer eine gute Ernte und also für den Herbst sinkende Preise erwartet, 15 einen Verkauf abschließt, der im Herbst erfüllt werden fsoll und^ den er bis dahin durch einen billigeren Einkauf zu „realisieren" beabsichtigt. Des weiteren ist beim Termingeschäft das für den Spekulanten erforderliche Kapital ein weit geringeres. Wer in Getreide „ä la hausse" spekuliert, braucht nicht mehr einen gewalti- 20 gen Geldbetrag heute zum Bareinkauf von Getreide zu verauslagen, den er - wenn die Spekulation glückt, - erst nach Monaten beim Verkauf zurückerhält; er leistet im Moment des GeschäftsAbschlusses noch gar nichts, sondern verspricht seinem Gegenpart nur[,j in einem zukünftigen Moment die Ware abzunehmen und zu 25 bezahlen. Glückt seine Spekulation, so hat er bis dahin mit Gewinn A59 „realisiert", d.h. die Ware auf denselben | Termin einem andern teurer verkauft, er nimmt sie seinem ursprünglichen Gegenpart ab und liefert sie weiter an den, welchem er sie weiter verkauft hatte; dieser letztere zahlt ihm den Preis, zu dem er sie ihm verkauft hat, 30 und er zahlt dann an seinen ursprünglichen Gegenpart den Preis, zu dem er sie seiner Zeit gekauft hatte, die Differenz beider behält er als Gewinn. Mißglückt die Spekulation des Terminkäufers, sinken also die Preise und gelingt es ihm nicht, vor dem ErfüllungsTermin einen Abnehmer zu einem höheren Preise zu finden, als der 35
f A: soll, und
10 Zum Begriff „eindecken" vgl. den Eintrag „Deckung" im Glossar, unten, S. 1039.
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ist, den er seinem Gegenpart zu zahlen versprochen hat, so wird er eben mit Verlust realisieren müssen, d. h. schließlich zu einem niedrigeren Preise weiterverkaufen, und er wird dann bei Abnahme der Ware, statt von dem Preise, der ihm gezahlt wird, etwas als Gewinn 5 einbehalten zu können, noch etwas darauflegen müssen, um seinem Gegenpart den vereinbarten Preis zu leisten. Und entsprechend liegt es für den verkaufenden Baisse-Spekulanten. Mithin bedarf der Spekulant eignes Kapital nur in verhältnismäßig bescheidenem Umfang, denn es kommt beim Terminhandel nur dar10 auf an, daß die beiden miteinander abschließenden Spekulanten sich einander gegenseitig zutrauen können, der andere werde im stände sein, bei einer ihm ungünstigen Preisentwicklung den ihm erwachsenden in der Differenz der Preise bestehenden Verlust zu erschwingen, weil jeder annimmt, daß er selbst und sein Gegenpart 15 in jedem Augenblick sein Engagement auf dem Markte werde realisieren, d. h. mit einem dritten ein Gegengeschäft über denselben Gegenstand auf demselben Termin abschließen und sich so der Notwendigkeit entziehen können, die zu liefernde Ware selbst vor dem Termin vorrätig zu halten oder das Geld für die volle Zahlung 20 des Kaufpreises zu beschaffen. - Damit aber wirklich Gewähr für die Möglichkeit besteht, jederzeit auf dem Markte Händler zu finden, welche dem Haussespekulanten die von diesem gekaufte Ware zum bestimmten Termin als Käufer abzunehmen und solche, welche die vom Baissespekulanten als Verkäufer zu liefernde Ware 25 an dem betreffenden Termin als Verkäufer zu liefern bereit sind, ist Eins Voraussetzung: es kann sich weder um ganz beliebige Arten von Ware oder Papieren, noch um völlig beliebige Beträge derselben oder um ganz individuelle Lieferungstermine handeln. Wollte ein Spekulant von einem andern z. B. für 1223 Mark 76 Pf. verschie30 dene vereinbarte Qualitäten Baumwollstoffe, lieferbar und zahlbar an einem bestimmten beliebig festgesetzten Kalendertage kaufen, so wäre es ziemlich sicher, | daß es weder dem Käufer gelingen A60 würde, jemanden an der Börse zu finden, der gerade dasselbe Quantum derselben Qualitäten an genau demselben Tage ihm ab35 zunehmen bereit sein würde, noch dem Verkäufer, Jemand zu finden, der gerade diese Waren an diesem Tage liefern will. Damit beide Teile sich darauf verlassen können, muß das Termingeschäft vielmehr über Waren geschlossen werden, die fortwährend massenhaft, gerade in den Quantitäten und - bei Produkten - Qualitäten,
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über die dasselbe lautet, gehandelt werden, und muß auch der Erfüllungstermin gerade ein solcher sein, auf welchen stets massenhafte Käufe und Verkäufe an der Börse abgeschlossen werden. Dafür nun, daß dem so sei, sorgen die Börsengebräuche („Üsancen"), auf Grund deren allein an der Börse Termingeschäfte abgeschlos- 5 sen werden. In ihnen ist ein für allemal die Qualität, welche bei Termingeschäften (in Produkten) zu liefern ist, festgesetzt, 3 ) ferner ist festgestellt, über welche Quantitäten oder deren Vielfaches allein ein Termingeschäft (in Effekten oder Produkten) geschlossen werden soll, die sogenannte Schlußeinheit,4) von der schon einmal die 10 Rede war,11 und endlich sind auch die ErfiillungsZeitpunkte („Termine"), auf welche allein die Termingeschäfte lauten sollen,5) und alle einzelnen Bedingungen und Vorschriften über die Art der Erfüllung ein für allemal geregelt, so daß sämmtliche jeweilig an einer Börse abgeschlossenen Termingeschäfte mit Ausnahme 1) der Per- 15 son des Käufers und Verkäufers, 2) der Preisvereinbarung, 3) des aus der Zahl der zulässigen Termine von den Parteien ausgewählten Erfüllungszeitpunktes, 4) der Anzahl von Malen, welche die Schlußeinheit in dem ausbedungenen Quantum enthalten ist, einander gleichen wie ein Ei dem andern. Es liegt auf der Hand, wie 20 ungeheuer dadurch, daß fortwährend tagaus tagein an der Börse massenhaft Kaufgeschäfte solcher absolut gleichmäßigen Art abgeschlossen werden, die Wahrscheinlichkeit für den Spekulanten steigt, jederzeit sein Engagement „realisieren", d.h. wenn er z.B. ein Quantum Ware bestimmter Art auf einen bestimmten Termin 25 gekauft hat, dasselbe auf denselben Termine wieder verkaufen zu können. Damit hängt dann die letzte, für den Außenstehenden zuerst in die Augen fallende Eigenart des Terminhandels zusammen: die weitgehende Loslösung des Umfangs der Umsätze von den A 61 am | Markt „effektiv" vorhandenen Vorräten. Um sie zu verstehen, 30 müssen wir zuerst auf die Form und die Art der Erfüllung („Ab-
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3)
Z. B. im Hamburger Kaffeeterminhandel „good average Santos"-Kaffee, eine bestimmte brasilianische Kaffeequalität. 4 ) Z. B. nur über 500 Sack Kaffee der bestimmten Qualität oder ein Vielfaches (1000, 1500 Sack) davon, oder nur über 10 000 Rubel Noten oder ein Vielfaches davon. 5) Z. B. nur auf Ultimo (den letzten Tag des Monats). S[iehe] weiter unten im Text.12 | 11 Oben, S. 621. 12 Unten, S.636f.
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wicklung") der Termingeschäfte noch etwas näher eingehen. Dabei ist zwischen den Termingeschäften in Produkten und in Effekten zu unterscheiden. Beim Termingeschäft in Produkten wird - das ist der Grund5 gedanke, auf dem seine Gestaltung beruht - Ware verkauft, deren Eintreffen am Markt zukünftig innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erwartet wird. Die üblichen Erfüllungstermine sind demgemäß bei der thatsächlich vorherrschenden Form des Termingeschäftes in Produkten Fristen, z.B. von der Länge von l - 2 M o n a 10 ten, innerhalb deren der Verkäufer die Ware liefern und zu diesem Zweck nach ihrem Eintreffen dem Käufer zur Abnahme „ankündigen " muß. Nimmt alsdann der Käufer nicht gegen Barzahlung ab, so ist er im „Verzuge," und der Verkäufer verkauft die Ware gegen bar anderweit und läßt sich, wenn er dabei einen niedrigeren Preis 15 erzielt, vom säumigen Käufer die Differenz erstatten; kündigt der Verkäufer bis zum Schluß der Frist nicht an, so ist er säumig und der Käufer verfährt entsprechend. Nun ist es aber natürlich die Regel, daß der Käufer die Ware, die er abnehmen soll, auf denselben Termin einem andern weiterverkauft hat, und in diesem Fall 20 kündigt er sie weiter seinem Käufer an, und dieser wieder eventuell dem seinigen und so fort, so daß eine Reihe von Leuten vorhanden ist, deren jeder die Ware vom Vormann gekauft und sie einem Nachmann weiter verkauft hat, und durch deren Hände nun die Kündigung hindurchläuft. Es seien z. B. im Juli verkauft von A an B 25 1000 Tonnen Weizen „per Oktober" zu 150 Mark pro Tonne. Der Verkäufer A ist - nehmen wir an - ein Weizenimporteur, welcher im Juli in Argentinien zu einem bestimmten niedrigeren Preise ein Quantum Weizen von ungefähr dieser Größe gekauft hat, dessen Eintreffen im Herbst erwartet wird, und welches mit Berücksichti30 gung verschiedener Fracht- und anderer Kosten, die dem Importeur entstehen, nach seiner Berechnung bei einem Verkauf zu 150 Mark noch Gewinn abwirft. Statt zu riskieren, daß im Oktober bei Ankunft des Weizens, falls z. B. die Ernte reichlicher als erwartet ausfallen sollte, sich Käufer nicht mehr zu 150, sondern viel35 leicht nur noch zu 140 Mark finden, ihm also ein Verlust entsteht, verkauft A lieber sofort zu 150 Mk., die ihm B., ein Spekulant, der aus irgend welchen Gründen ein Steigen der Weizen-Preise im Herbst erwartet, jetzt bietet. | Der Spekulant B seinerseits verkauft A 62 nun im August, als sich ein Käufer C findet, welcher per Oktober
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151 pro Tonne zu zahlen bereit ist, den Weizen an diesen, da es ihm zweifelhaft geworden ist, ob er ihn später noch teurer wird losschlagen können. C seinerseits ist nun vielleicht ein Spekulant, der schon lange vorher - z. B. im Mai - in Weizen ä la baisse spekuliert hatte und an D 1000 Tonnen Weizen per Oktober zu 149 Mark pro Tonne verkauft hatte, in der Erwartung, bis zum Herbst, wenn die Ernteaussichten sich - wie er erwartete - besserten, und große Getreidezufuhr aus Argentinien in Aussicht stehe,13 von einem Importeur ihn zu einem billigeren Preise als 149 Mark per Oktober kaufen und so daran gewinnen zu können. Ihn ergreift aber nun, da die Preise im Juli auf ungefähr 150, im August auf ungefähr 151 Mark gestiegen sind, die Besorgnis, der Preis möchte bis zum Oktober anhaltend weiter steigen und er schließlich den Weizen, den er im Oktober an D zu liefern hat, nur zu einem außerordentlich viel teureren Preise erhalten können, also schwere Verluste erleiden. Deshalb zieht er vor, lieber jetzt mit dem geringeren Verlust zu „realisieren." D endlich, der im Mai von C zu 149 pro Tonne per Oktober gekauft hatte, kann z. B. der Kommissionär eines großen Müllers E sein, der, als im Frühjahr Weizen zu diesem ihm sehr billig scheinenden Preise für den Herbst zu kaufen war, sich den Weizen, den er im Winter vermählen will, durch Abschluß des Termingeschäfts per Oktober gesichert hat. Er entgeht dadurch der Gefahr, im Fall - wie er befürchtet - der Preis des Weizens später steigt, ihn teurer bezahlen zu müssen und nachher beim Verkauf des Mehls einen geringeren Profit zu machen. So entwickelt sich unter dem Einfluß der verschiedensten Interessen und Erwartungen der Beteiligten (A, B, C, D, g E) eine 9 Serie von Verkäufen und Käufen, von denen einer immer an den andern sich anschließt. Nun wird es Oktober und eines Tages trifft das von A gekaufte Quantum Weizen ein. A „kündigt" darauf dasselbe zur Abnahme dem B mittelst Zustellung einer kurzen, auf einem allgemein festgesetzten Formular, dem ,,Kündigungsschein"[,] erfolgenden Benachrichtigung an. B kündigt durch Weitergabe des Scheins, den er unterschreibt, an C, C an D weiter und dieser benachrichtigt seinen Auftraggeber E, daß das Quantum an ihn, den Kommissiog A: E), eine 13 In Argentinien wird im November geerntet.
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när, gekündigt sei und zur Ablieferung gelangen werde. Unter den vier an der Börse anwesenden Interessenten A, B, C, D - es können unter Umständen 20 und mehr Personen sein, durch | deren Hände A 63 der Kündigungsschein läuft - pflegt man nun aber die Abwickelung dieser Engagements-Reihe dahin zu vereinfachen, daß man 1) an Stelle der - in unserm Beispiel - dreimaligen Übergabe effektiver Ware von A an B, dann an C, dann an D die Lieferung von A, dem „letzten Verkäufer"[,] direkt an D, den „letzten Käufer", 14 setzt, A also an denjenigen liefert, welcher den Kündigungsschein schließlich, da er die Ware nicht weiter verkaufte, behalten hat, und daß man 2) ebenso die - in unserm Beispiel - dreimalige Zahlung: 150000 Mark von B an A, 151000 Mk. von C an B, 149 000 Mark von D an C, möglichst zu ersparen sucht. Zu diesem letzteren Zweck pflegt man an den Börsen für die einzelnen auf Termin gehandelten Produktensorten täglich einen sogenannten „Abrechnungskurs" oder „Kündigungspreis" festzustellen, ungefähr in der Höhe der durchschnittlich an dem betreffenden Tage für das Produkt gezahlten Preise. Dieser wird von dem „letzten Käufer" (D) an den „letzten Verkäufer" (A) bei Abnahme der Ware bezahlt, und die sämtlichen an der betreffenden Kündigungsreihe Beteiligten gleichen dann unter einander die Unterschiede zwischen dem Preis, zu dem sie ge- resp. verkauft haben und dem Abrechnungskurs aus. Nehmen wir z. B. an, in unserm Fall erfolgte die Abwicklung am 11. Oktober und an diesem Tage habe der damit beauftragte Börsenbeamte als Kündigungspreis auf Grund der Beobachtung der an diesem Tage geschlossenen Lokogeschäfte über Weizen der betreffenden Qualität 152 Mark pro Tonne festgestellt, so geschieht die Abwicklung folgendermaßen: A liefert die 1000 Tonnen statt an B an D und erhält von diesem 152 000 Mark bezahlt. Er hat damit 2 000 Mark, die Differenz zwischen 152000 und 150 000 Mark, mehr erhalten als B ihm versprochen hatte, und hat daher diesen Betrag an B herauszuzahlen. D seinerseits hat 3 000 Mark, die Differenz zwischen 152 000 und 149 000 Mark, mehr an A gezahlt, als er dem C zu zahlen schuldig ist. Er erhält diese 14 In der Kette der Terminhändler Ist „letzter Mann" (vgl. auch unten, S.637) eigentlich der erste Verkäufer. Die Börsenbegriffe „letzter Mann", „letzter Verkäufer" und „letzter Käufer" bezeichnen jene Personen, die ü b r i g g e b l i e b e n sind, w e n n es an d e n Ausgleich der Spitzen zwischen Käufen und Verkäufen geht.
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3 000 Mark von C erstattet. Damit sind A und D zu dem ihrigen gelangt. B hatte an C zu 151 per Tonne verkauft, der Abrechnungskurs beträgt 152, also zahlt er an C pro Tonne 1 Mark, zusammen also 1000 Mark heraus. Damit hat B, der für 150 000 Mark gekauft, für 151000 Mark verkauft, also 1000 Mark gewonnen hatte, 2000 s von A an ihn gezahlte Mark abzüglich 1000 von ihm an C weitergezahlte Mark, also, wie ihm zukam, 1000 Mark als Ergebnis erhalten; A 64 C, der für 151000 Mark gekauft und | für 149 000 Mark verkauft, also 2 000 Mark verloren hatte, hat 3 000 Mark an D gezahlt, 1000 von B erhalten, also verbleiben für ihn, seinem Anspruch gemäß, 10 2 000 Mark Verlust. Der Kommissionär D seinerseits erhält von seinem Auftraggeber, dem Müller E, die 149 000 Mark gegen Lieferung der Ware erstattet und dazu die ihm versprochene Provision für seine Bemühung. Wie man sieht, dient in unserm Beispiel das eine Quantum der 1000 Tonnen zur Abwicklung von drei Termin- 15 Engagements über je 1000 Tonnen, und werden durch die eine Zahlung des Kündigungspreisbetrages von 152000 und die drei Differenzzahlungen von 2000, 3000 und 1000 Mark, Kaufschulden von 150000,151000,149 000 Mark getilgt. Da nun derselbe Kündigungsschein häufig durch sehr viel mehr Hände geht, als in unserm 20 Beispiel, und da die Geldschulden in einer sehr großen Zahl von Fällen nicht durch Hingabe von Geldmünzen, sondern durch Umschreibung in den Büchern großer Banken, bei denen die betreffenden Händler ein Guthaben (Konto) besitzen, von einem Konto auf das andre erfolgen, so ist die Ersparnis von „effektiver" Ware 25 und barem Geld eine sehr bedeutende. Dem Wesen nach gleichartig verläuft die Abwicklung der Effekfcn-Termingeschäfte. In Effekten ist die bei uns üblichste Form der Termingeschäfte der Kauf „per ultimo fix", d. h. ein Kauf, welcher am letzten Tage des laufenden Monats durch Lieferung und Zah- 30 lung erfüllt werden soll. In jedem einzelnen Papier sind nun an jedem Monats-Ultimo eine sehr große Zahl von Lieferungs-Verbindlichkeiten zwischen einer großen Zahl von Personen zu erfüllen, und sehr viele Spekulanten haben in den Papieren, in welchen sie spekuliert haben, jeder eine Mehrzahl von teils Lieferungs-, teils 35 Abnahme-Verpflichtungen gegenüber einer Mehrzahl von Personen: sie haben je nach Gelegenheit von einem einen Posten per Ultimo gekauft, bei gestiegenem Preise an einen andern per Ultimo einen Posten verkauft u.s.w. Zur Abwicklung dieses Rattenkö-
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nigs15 von Kauf- und Verkaufs-Verbindlichkeiten können sie sich dann am Ultimo entweder eines ähnlichen Verfahrens bedienen, wie es beim Produktenhandel Anwendung findet, d. h. ein Besitzer von Papieren, der solche per Ultimo verkauft hat, stellt seinem Käufer einen Lieferungszettel zu, den dieser als Verkäufer weitergiebt und so fort, bis er in die Hände eines „letzten Mannes" gelangt, der die Papiere behalten will und sie dann zu einem am Ultimo festgestellten Abrechnungskurs abnimmt, worauf die | Diffe- A renzen zwischen den Parteien gezahlt werden. So war es bisher in London. Oder aber - und dies ist an den Börsen des Kontinents meist der Fall - es wird in Gestalt des sogenannten „Kollektivskontro" oder „Liquidationsbureau" die Gesamtheit aller Verbindlichkeiten aller Spekulanten in folgender einfacher Weise abgewickelt („liquidirt"): Das an der Börse dazu eingesetzte Bureau läßt sich von jedem am Terminhandel Beteiligten eine Aufstellung seiner Käufe und Verkäufe in jedem Papier einreichen, stellt für jedes fest, wie viel jeder mehr gekauft hat als verkauft oder umgekehrt, und weist jeden, der einen bestimmten Betrag eines Papiers mehr gekauft hat als verkauft, also diesen Betrag zu erhalten1"1 hat, auf einen oder mehrere Andre an, der oder die zusammen ebenso viel in diesem Papier mehr verkauft als gekauft, also diesen Mehrbetrag zu liefern haben. Die so als „letzte Männer" auf einander Angewiesenen liefern und beziehen die betreffenden Papiere gegen Zahlung des zur Abrechnung an jedem Ultimo an den Effektenbörsen festgestellten sogenannten „Liquidationskurses" und die Unterschiede dieses nur dem Zwecke der Abrechnung dienenden Kurses gegenüber den Preisen, zu welchen die Spekulanten mit einander ihre Termingeschäfte geschlossen hatten, gleichen diese in der oben geschilderten Weise unter einander aus. Bisher haben wir angenommen, daß die Terminkäufer und -Verkäufer, soweit sie nicht die Ware als Käufer behalten wollen resp. als Verkäufer aus eignen Vorräthen liefern oder aus erster Hand an die Börse bringen, mit dem Herankommen des Termins realisiren, h A: behalten 15 Seit dem 16. Jahrhundert belegter Ausdruck für etwas Unentwirrbares, für eine Menge von Mißverständnissen und als Schimpfwort für intrigante Personen. Der Name rührt von in den Nestern an den Schwänzen miteinander verklebten oder verschlungenen Ratten und der volkstümlichen Vorstellung, daß auf dieser Rattengruppe ein Rattenkönig thront.
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ein Gegengeschäft schließen, - es sei nun mit Gewinn oder Verlust, und dadurch die betreffende Spekulation zu Ende führen. Dem ist aber nicht immer so. Es kann sein, daß der spekulierende Käufer (Haussier), wenn der Termin der Erfüllung heranrückt, sich zur Beendigung der Spekulation noch nicht entschließen will, weil die Preise jetzt gesunken, oder nicht so erheblich, wie er annahm, gestiegen sind und ihm also Verlust resp. kein ihm genügender Gewinn erwachsen würde, während er aus irgend einem Grunde annimmt, daß der Kaufbegehr in Zukunft, z. B. im folgenden Monat, sich steigern, und er also Gelegenheit finden werde, die gekauften Waren oder Papiere dann zu günstigeren, Gewinn resp. höheren Gewinn bringenden Preisen zu verkaufen. Das Entsprechende kann bei einem spekulierenden Verkäufer (Baissier) eintreten, der für die Zukunft Gelegenheit zu billigem resp. noch billigerem Einkauf erwartet, als sie ihm bis zum Termin zu finden gelungen war. A 66 In diesem Fall schreiten die betreffenden | Spekulanten nicht zur endgiltigen Realisation des Engagements durch Abschluß eines Verkaufes bezw. Kaufes auf den betreffenden Termin, sondern sie greifen zu demjenigen Mittel, welches man in der Börsensprache „Prolongation" nennt. Sie finden nämlich Kapitalisten, welche über große Vorräte an Waren und Papieren verfügen und bereit sind, dem Käufer (Haussier) das zur Abnahme und Bezahlung der gekauften Papiere oder Waren erforderliche Geld zu leihen gegen Hergabe der von ihm gekauften Papiere und ihnen die gleiche Anzahl Papiere resp. Waren am nächsten Termin gegen Rückzahlung des Geldes zurückzugeben, und ebenso dem Verkäufer (Baissier) die Papiere oder Waren, die er verkauft und zu liefern hat, zu leihen gegen Geld mit dem Versprechen, am nächsten Termin gegen Rückgabe der gleichen Anzahl Papiere oder Waren ihm das Geld wieder herauszugeben. Der Haussier läßt also die Waren oder Papiere an den Kapitalisten liefern und bezahlt sie mit dessen Geld, der Baissier bezahlt aus dem Preis dem Kapitalisten das Geld und liefert die von diesem dargeliehenen Papiere oder Waren. Sie gewinnen damit eine Frist bis zum nächsten Termin - z. B. bei Effekten bis zum nächsten Ultimo um zu versuchen, nunmehr: der Käufer einen Abnehmer zu günstigerem Preise zu finden, der Verkäufer die Papiere oder Waren billiger einzukaufen. Glückt dies, so läßt sich nun am nächsten Termin der Haussier die Waren oder Papiere, der Baissier das Geld von den Kapitalisten zurückgeben,
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erfüllen damit ihrerseits das Realisationsgeschäft, und es leistet der Haussier aus dem Preise, den er erhält, dem Kapitalisten das dargeliehene Geld, der Baissier durch Hingabe der eingekauften Waren oder Papiere das ihm in solchen gewährte Darlehen zurück. Spekulanten, die als unsicher gelten, müssen eventuell noch besondere Sicherheit durch Pfand dafür geben, daß sie zur Rückerstattung des geliehenen Geldes oder der Waren und Papiere gegen Herausgabe dessen, was sie dafür gegeben haben, im stände sein werden. Die Kapitalisten ihrerseits, die so für den Zeitraum zwischen zwei Terminen Geld gegen Hergabe von Papieren oder Waaren, und umgekehrt Waren oder Papiere gegen Hergabe von Geld darleihen, benutzen dies sogenannte „Reportgeschäft" als sehr bequeme und gefahrlose Form der Anlage ihres Kapitals, denn selbstverständlich haben die Spekulanten den ihnen gewährten Kredit durch Erstattung von Zinsen - sogenannte „Prolongationszinsen" - zu vergüten. Man nennt denjenigen, der Geld auf Termin hergiebt, und Waren oder Papiere dafür er|hält, „Hereinnehmer", den- A 67 jenigen, der auf Termin Waren oder Papiere gegen Geld hergiebt, „Hereingeber." Den besonderen Entgelt, den der erstere erhält, nennt man „Report", denjenigen, den der letztere erhält, „Deport." 6 ) Der „Prolongationszinsfuß" ist oft recht hoch. Dies besonders dann, wenn eine einseitige Richtung der Preisentwicklung eingetreten ist, z. B. zufolge massenhafter spekulativer Käufe zu hohen Preisen, und nun eine sehr große Anzahl von Spekulanten ihre Engagements, da ihnen die Realisation auf dieser Preisgrundlage nicht gelingt, oder sie die weitere Entwicklung abwarten wollen, gern prolongieren möchten. In diesen Fällen schröpft das Kapital die Spekulanten oft in ganz ungeheuerlichem Maße. Überblickt man diesen ganzen Mechanismus, so springt zunächst eins in die Augen: die Unrichtigkeit der Meinung, als könne man aus der Form des Termingeschäfts als solchen auf die Unreellität und den „Spielcharakter" desselben schließen. Es wird nicht zu leugnen sein, daß - in unserm früheren Beispiel - der Getreideimporteur A sowohl als der Müller E, für welchen sein Kommissionär
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Die komplizierteren Grundlagen der Einzelberechnung je nach den Usancen über A 67 die Erstattung der sogenannten „Stückzinsen" neben dem Vertragspreise müssen hier übergangen werden, ebenso alle andren Einzelheiten. |
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D das Geschäft abschloß, durchaus reelle Zwecke: Sicherung eines bestimmten Preises für die Zukunft, damit verfolgten. Es wäre sogar, wenn es sich nicht um Geschäftshäuser mit ganz gewaltigen Kapitalien handelt, unter Umständen eine direkte Unsolidität, wenn sie ihren Betrieb den Einflüssen unberechenbarer Preis- 5 Schwankungen aussetzten und damit jede Grundlage für eine solide Gewinnberechnung („Kalkül") zu Gunsten hazardartiger Chancen beseitigten. Das Beispiel stellt aber keineswegs einen Einzelfall dar. Wer z. B. in der Zeit stark schwankender Preise des russischen Papiergelds16 Waren aus Rußland bestellte und also künftig 10 dorthin in Rubeln zu bezahlen hatte oder wer Bestellungen auf Waren aus Rußland erhielt, also in Rubeln künftige Zahlungen versprochen erhielt, hätte oft ein ganz unberechenbares Risiko auf sich genommen, wenn er nun hätte abwarten wollen, zu welchem Preise, in Mark berechnet, er seinerzeit diese Rubelnoten würde 15 kaufen oder verkaufen können. Jedes solide Geschäft hätte dabei aufgehört. Er konnte dieses Element der absoluten Unsicherheit aus seinen Berechnungen nur beseitigen, wenn er schon im Moment des Abschlusses des Vertrages mit seinen russischen Kunden sich den jetzigen Preis der Rubel für den Zeitpunkt der Erfüllung 20 seines Geschäftes sicherte, indem er ein entsprechendes Quantum A 68 Rubel, je nach]dem er in Zukunft in Rubel zu zahlen oder Zahlung zu empfangen hatte, auf den geeigneten zukünftigen Termin kaufte oder verkaufte. - Nun könnte man etwa meinen, mindestens dann, wenn jemand, wie oben B und C, auf denselben Termin ge- und 25 verkauft habe, handle es sich jedenfalls um ein reines Spekulieren auf steigende oder sinkende Preise ohne Zusammenhang mit irgend einem anderen reellen Geschäftszweck. Allein auch das trifft nicht zu. Ein Müller z. B., welcher große Mengen Getreide „loko" gegen bar zum Vermählen gekauft hat, unterliegt der Gefahr, daß 30 während des Vermahlens die Getreide-Preise sinken, was selbstverständlich auf die Mehlpreise ziemlich schnell zurückwirkt, sehr oft so schnell, daß, wenn das aus den Vorräten hergestellte Mehl zum Verkauf kommt, der Müller Verlust erleiden würde. Hiergegen si16 Bis 1894/95 war der Kurs des Rubels gegenüber der (Gold-)Mark starken Schwankungen ausgesetzt. Seit 1894 wurden Maßnahmen zur Stabilisierung des Rubels ergriffen, die 1899 mit der Umstellung auf Goldwährung ihren Abschluß fanden. Vgl. hierzu auch unten, S. 652f. mit Anm. 34.
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chert er sich, indem er zur Zeit des Getreide-Einkaufs gleichzeitig auf den Zeitpunkt, zu welchem er das Mehl auf den Markt zu bringen hofft, Getreide auf Termin verkauft. Sinken nun die Getreidepreise, so verkauft er zwar sein Mehl mit Verlust, aber er gewinnt das Entsprechende wieder, indem er das auf Termin verkaufte Getreide entsprechend billiger einkauft, steigen sie, so bringt das Termingeschäft, welches er durch teureren Einkauf eindecken muß, Verlust, aber dafür gewinnt er an den gestiegenen Mehlpreisen. Obwohl also hier von Anfang an die bestimmte Absicht vorliegt, jedenfalls nur durch ein Gegengeschäft, nicht durch Lieferung aus eigenen Vorräten, zu erfüllen, obwohl also auf die Differenz spekuliert wird, ist der geschäftliche Zweck: Versicherung gegen die Gefahr der Preisschwankungen, sicherlich ein höchst reeller und solider, und das Unterlassen dieser in Form des Termingeschäftes erfolgenden Versicherung wäre ebenso wenig solid wie etwa das Unterlassen der Versicherung gegen Feuersgefahr. Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Es zeigt sich, daß nicht die äußere Form des Geschäftsabschlusses (auf Termin) oder der Geschäftserfüllung (durch Gegengeschäft und Differenzzahlung) es ist, was über den Charakter des Geschäfts entscheidet, sondern der innere ökonomische Zweck, welchen man dem einzelnen Geschäft nicht ansehen kann. Der Übergang zum „reinen", auf den nackten Differenzgewinn abzielenden „Jobber"-Geschäft ist ein allmäliger und unmerklicher. Dies um so mehr, als auch der reine gewerbsmäßige Terminkauf und -Verkauf nur um des Differenzgewinnes halber anknüpft an eine Funktion, die dem Börsenhandel seit alter Zeit unentbehrlich gewesen ist: die Makelei. Von der Stellung des | Maklers haben wir A 69 früher gesprochen. 17 Sie ist im Wesen dieselbe geblieben, aber die Art ihrer Ausübung hat sich tiefgreifend geändert. Der Makler der Vergangenheit war ein Mann, der nach erhaltenem Auftrag einen Partner suchte, der auf die Bedingungen des Auftraggebers einzugehen bereit war, dann die Parteien zusammenbrachte und nach geschlossenem Vertrag die „Schlußnoten" darüber ausstellte und gegen deren Aushändigung die „Courtage" empfing. Einen solchen Makler kann der heutige spekulative Verkehr nicht mehr brau-
17 Oben, S. 157-159.
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chen. Der Preis, zu dem auf dem Markte die Ware, um die es sich handelt, zu kaufen oder zu verkaufen ist, ändert sich oft in wenigen Minuten. Die Zeit ist kostbarer geworden im Verkehr, und der Auftraggeber, der um 12 Uhr 15 Minuten den Makler um Besorgung des Verkaufes von 100 000 Rubeln per ultimo zum Kurse von 5 211 Mark pro 100 Rubel ersucht, kann sich nicht darauf einlassen, daß der Makler ihm verspricht, etwa in zwei Stunden Nachricht zu geben, ob er zu diesem Preise einen Abnehmer gefunden habe, denn in diesen Stunden kann sich Alles geändert haben. Er verlangt vielmehr von dem Makler, der ja den Markt kennen muß, daß 10 dieser ihm sofort sagt, ob er die Rubel zu diesem Preis unterbringen werde oder nicht. Will der Makler den Verdienst nicht verlieren, so muß er sich alsbald erklären: er übernimmt also, wenn er meint, daß der verlangte Preis zu erzielen ist, den Posten fest zu dem betreffenden Preise unter „Vorbehalt der Aufgabe" und sucht 15 nun einen Partner dazu, den er alsdann seinem Auftraggeber anzeigt („aufgiebt"). Findet er einmal keinen zu dem betreffenden Preise, sondern nur zu einem niedrigeren, so muß er wohl oder übel den Fehlbetrag selbst zuschießen. Er sieht deshalb nicht ein, warum er nicht, wenn es ihm umgekehrt gelingt, einen Partner zu 20 einem dem Auftraggeber günstigeren (in unserem Falle höheren) Preis zu finden, als sein Auftrag lautete, den Unterschied für sich behalten soll, und so entwickelt sich aus diesen eben geschilderten „Aufgabemaklern" ganz natürlich der Stand der „Propermakler" heraus, - Makler, welche überhaupt nicht mehr zwischen zwei Par- 25 teien einen Vertragsabschluß vermitteln, sondern selbst von der einen Seite kaufen und nach der andern Seite 'verkaufen und' in der Differenz der beiden Preise^] statt wie einst in der „Courtage"^ ihren Verdienst suchen. In London sagt ein solcher Propermakler jedem, der ihn darnach fragt, zu welchem Preise er in dem betref- 30 fenden Moment kauft und zu welchem er verkauft. Seine Kunst ist, A 70 die beiden Preise auf Grund ge|nauer Kenntnis der Marktlage möglichst so zu stellen, daß er das, was er von der einen Seite zu dem einen kauft, schleunigst nach der andern zu dem andern wieder los wird und umgekehrt, was natürlich nicht immer gelingt. Nur 35 weil die Eigenart des Geschäfts dieser sogenannten Proper-Makler darin besteht, daß sie möglichst nur Engagements übernehmen, die i A: verkaufen, und
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sie nach der andern Seite alsbald weiter geben können, - daß sie also, ökonomisch betrachtet1^ eben nur zwischen dem gegenwärtigen Angebot und der gegenwärtigen Nachfrage „vermitteln", nicht auf Kursgewinn durch künftige Veränderung des Angebotes und 5 der Nachfrage „spekulieren", pflegt man sie noch „Makler" zu nennen und unterscheidet sie von den „Spekulanten" im eigentlichen Sinne des Wortes. Natürlich aber geht beides in einander über, niemand kann den „Propermakler" hindern, eben doch zu „spekulieren", und er thut es je nach Gelegenheit. Wo die auch für den heu10 tigen Verkehr meist unentbehrliche Maklerthätigkeit aufhört und die einfache Differenz-Spekulation anfängt, kann niemand sagen. Und noch weniger kann man es natürlich dem einzelnen Termingeschäft ansehen, ob es das eine oder das andere ist.7) Man sieht aus allem Gesagten des Weiteren: die Vorstellung, daß 15 die spekulativen Börsengeschäfte eine Art Wette auf das Steigen oder Fallen der Kurse über oder unter eine bestimmte Höhe seien, in der Form, daß von zwei Spekulanten auf einen bestimmten Tag ein Scheinkaufgeschäft zu dem betreffenden Kurse abgeschlossen wird, und je nachdem die Kurse über diese Höhe steigen oder dar20 unter fallen, der eine oder der andere die Differenz zahlt, um die er sich verwettet hat, ist irrig.18 Auch solche Geschäfte kommen vor, aber nicht an der Börse, sondern z. B. in amerikanischen Kneipen, wo von der Börse aus elektrisch regulierte Zeiger auf Kurs-Uhren den Stand der Kurse anzeigen und nun mit Einsätzen gewettet 25 wird, wohin der Zeiger sich bewegen werde.19 Es zeigte sich uns ferner, daß man überhaupt an der Börse es dem einzelnen Geschäft nicht ansehen kann, ob es. schließlich durch Gegengeschäft und alsdann durch 'Differenzzahlung oder' durch Abnahme der Ware selbst und Vollzahlung erledigt wird, und daß endlich, auch 7) Ich kann aus Raummangel auf die mancherlei Nebenformen der spekulativen Ge- A 70 Schäfte - die „Prämien-Geschäfte", „Stellage-" und „Nochgeschäfte" nicht eingehen. Sie alle knüpfen an ganz bestimmte, an sich reelle Geschäftszwecke an, wennschon sie unleugbar in besonders hohem Maße zu wildem Spiel mißbraucht werden. |
k A: berechnet
I A: Differenzzahlung, oder
18 Zu derartigen Auffassungen, die Max Weber hier und oben, S. 494-496, 506-510, zu widerlegen versucht, vgl. die Ausführungen in der Einleitung, oben, S. 11 - 1 7 . 1 9 Von diesen Gepflogenheiten berichtete Emil Russell der Börsenenquetekommission. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 422.
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wo die Absicht, nur durch Gegengeschäft und nicht durch „effektive" Abnahme zu realisieren, zweifellos feststeht, - wie bei jenem A 71 Müller unsres Beispiels - damit allein | dem betreffenden Geschäfte absolut kein Makel aufgedrückt ist. Man sieht ferner wohl auch, in welchem Sinne es richtig ist, wenn 5 man behauptet, an der Börse fänden fortwährend Umsätze in Waaren statt, welche „gar nicht existieren", und dies daraus schließt, daß, wenn man die auf einem Termin gekauften Quanta zusammenrechnet, sie mehr ausmachen, als am Markt von der Ware vorhanden ist, ja zuweilen mehr, als überhaupt davon - z. B. 10 von einem Papier - existiert. Natürlich: wenn wir annehmen, daß die obigen 1000 Tonnen Weizen20 durch 20 Hände gehen, so sind, wenn man die Quanten der 20 Käufe zusammenzählt, 20 000 Tonnen verkauft und nur 1000 liegen diesem Geschäfte über jene 20000 zu Grunde. Allein das ist natürlich nicht nur im Börsenhan- 15 del der Fall. Jede Kiste importierter Cigarren hat, bis sie in die Hand des Rauchers gelangt, eine Mehrzahl von Händen durchlaufen und ist mehrere Male bezahlt worden, und das hat seinen guten Grund in der Notwendigkeit der Arbeitsteilung zwischen denen, welche den überseeischen Markt, wo die Ware hergestellt wird, und 20 denen, welche den deutschen Markt, der sie verbraucht, kennen, ferner zwischen den mit der Technik der großen überseeischen Handelsbeziehungen bekannten Großhändlern und den Detaillisten, welche mit ihrem örtlichen Abnehmerkreis vertraut sind. Addiert man alle jene sich aneinander schließenden Umsätze zusam- 25 men, so zeigt sich auch hier, daß mehr Cigarren verkauft sind, als existieren. - Wahr ist nur, daß das Termingeschäft die Zahl der Umsätze desselben Quantums ganz außerordentlich zu vermehren gestattet und thatsächlich vermehrt, - insofern also in umgekehrter Richtung wirkt als die sonstigen allgemeinen Entwicklungstenden- 30 zen der Handelsorganisation, welche in steigendem Maße die Zahl der Mittelglieder vermindert haben.21 Der Terminhandel wirkt in jener Richtung, indem er, in Gestalt der Hinausschiebung der Er-
2 0 Oben, S. 633-637. 2 1 Gemeint ist hier die seinerzeit beobachtete und viel diskutierte Zunahme des Direktverkehrs. Die Verbesserung der Verkehrsorganisation (Transportwege und -mittel, Telegraphen, Telefon etc.) ermöglichte den direkten Warenbezug vom Produzenten unter Ausschaltung des Zwischenhandels.
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füllung, auf Kredit zu spekulieren ermöglicht und zugleich das Maß des dem Spekulanten nötigen Kredits herabdrückt. Es genügt, um an der Spekulation teilzunehmen, wenn der Spekulant einen Partner finden kann, der ihn für vermögend genug hält, um seinerzeit die Differenz, die sich bei Fehlschlag seiner Spekulation zu seinen Ungunsten bei der Realisation ergeben kann, decken zu können. Selbst dies Erfordernis wird an vielen Börsen beseitigt. An den amerikanischen Börsen besteht die Einrichtung, daß jeder Spekulant sofort beim Abschluß des Geschäftes eine Geldkaution („Marge", deutsch „Einschuß") im Betrage von einigen Prozent des Betrages bei einer Bank hinterlegt, die | er nach der Abwicklung zu- A rückerhält. Zeigt später der Kurszettel eine Änderung der Kurse zu Ungunsten des Betreffenden - z. B. wenn er gekauft hat, ein Sinken der Preise, - so daß die Wahrscheinlichkeit besteht, er werde nur unter erheblicherem Verlust realisieren können, als der ist, welchen seinem Kaution deckt, dann kann der Gegner „Nachschuß" zur Deckung dieses gesteigerten Risikos verlangen. In Deutschland existiert zum gleichen Zweck im Produktenhandel mehrfach das Institut der „Liquidationskassen", d.h. die Teilnehmer am Handel in dem betreffenden Artikel (z. B. Kaffee in Hamburg) haben eine Gesellschaft gegründet, welche von jedem von ihnen, der ein Termingeschäft darin schließt, einen Einschuß und eventuell Nachschüsse erhebt, dafür aber die Erfüllung aller Geschäfte mit ihrem Vermögen garantiert. Dadurch ist erreicht, daß nun auch auf die Person des Spekulanten gar nichts mehr ankommt, da ihm keinerlei Kredit gegeben wird: der eine ist so gut wie der andre, wenn er nur die Kaution hinterlegt. Der Terminhandel führt also, sehen wir, zu einer gewaltigen „Verbreiterung des Marktes" der Waren und Papiere, in denen er stattfindet; sowohl die Zahl der Umsätze als der Kreis der Personen, welche an diesen Umsätzen teilnehmen, ist bedeutend erweitert. Er ist aber erweitert, unleugbar, nicht nur nach der Richtung, daß minder bemittelte, sondern auch daß minder sachverständige Personen daran teilnehmen können. Der Spekulant, der heute in Weizen „fixt" und im nächsten Monat zum Hafer übergeht, braucht zu beidem sonst nicht die geringste berufliche Beziehung
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zu haben. Er hat sie auch oft genug nicht, sondern spielt eben ziemlich ins Blinde, einem dunklen Gefühl von der wahrscheinlichen Richtung der Preisbewegung folgend, deren innere Gründe zu durchschauen und abzuwägen ihm jede Bildung fehlt. Der Mechanismus der Spekulation ist eben ein so verhältnismäßig einfacher, 5 daß er auch dem beruflich gänzlich Fernstehenden bald handlich erscheint, um da zu ernten, wo er nicht gesät hat. 22 Speziell dem „Publikum" draußen ist der Zutritt zur Spekulation zweifellos durch die Natur des Terminhandels wesentlich erleichtert. Der Kommissionär, an den sich der Außenstehende wendet, begnügt 10 sich, wo ihm die Kreditwürdigkeit zweifelhaft ist, einen „Einschuß" von einigen Prozent und, - falls sich die Kurse zu Ungunsten des Kunden ändern, so daß die Verlustchance desselben und damit das Risiko des Kommissionärs, daß der Kunde diesen Verlust nicht zahlen kann, steigt, - „Nachschüsse" zu verlangen. Im übrigen schließt 15 A 73 er im | Auftrage des Kunden für dessen Rechnung das Geschäft und demnächst bei Heranrücken des Termins nach dessen Anweisung entweder ein Realisationsgeschäft ab oder „prolongiert" das Engagement, indem er entweder für Rechnung des Kunden ein Reportgeschäft abschließt, oder selbst als „Hereinnehmer" die Pa- 20 piere oder Waren bis zu einem folgenden Termin behält. Auch die Stellung des Kommissionärs hat sich nun - in ähnlicher Weise wie die des Maklers - geändert. Im deutschen Handelsgesetzbuch wird als die Regel behandelt, daß der Kommissionär im Auftrage des Kunden mit einem Dritten abschließt. Aus diesem 25 Abschluß ist er mithin berechtigt und verpflichtet: gegen den Dritten hat der Kunde direkt keinerlei Ansprüche und umgekehrt, der Kommissionär erledigt alles Weitere, nimmt Waren und Geld in Empfang und legt dem Kunden dann Rechnung; Gewinnchance und Gefahr des Geschäftes gehen auf Rechnung des Kunden, der 30 Kommissionär erhält seine „Provision". 23 Mit Vergrößerung der Verkehrskreise wird das teilweise anders. Der Kunde will mit dem Dritten, dessen Person und Kreditwürdigkeit er nicht kennt, nichts
22 Die Redewendung geht auf den Bibelvers zurück: „Ernten, wo man nicht gesät hat". Lukas 19, 21.22. 23 Max Weber gibt hier die Bestimmungen der Art. 360, 361 und 371 HGB wieder. Die Artikel sind unten, S. 970-972, abgedruckt.
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zu thun haben, sondern nur mit seinem Kommissionär. Diesem seinerseits ist es lästig, stets speziell Rechnung legen zu müssen. Das ist auch schon deshalb oft gar nicht möglich, weil der Kommissionär, wenn er - wie es häufig ist - eine Mehrzahl von Aufträgen zum 5 Kauf desselben Papiers bekommt, z.B. 5 verschiedene Aufträge zum sofortigen Kauf von 10000, 100000, 30000, 20000 und 15 000 Mark, im ganzen also 175 000 Mark Nominalbetrag eines Papiers, diese Aufträge unter Umständen nur durch z. B. drei Käufe von 90000, 60000 und 25000, zusammen 175 000 Mark, zu 3 ver10 schiedenen Preisen erledigen kann, also gar nicht im stände ist, speziell über den einzelnen Posten Rechnung zu legen, und überdies vielleicht besser einen Teil aus eigenen Vorräten zulegen würde, anstatt durch die starke Nachfrage den Preis für die Kunden allzustark zu verteuern. Die Gesetze geben deshalb jetzt dem Kommis15 sionär meist das Recht des sogenannten „Selbsteintrittes",24 d. h. sie gestatten ihm, statt jeder speziellen Rechnungslegung dem Kunden einfach den im Kursblatt notierten Börsenkurs des betreffenden Zeitpunktes zu berechnen, indem sie annehmen, - ob immer mit Recht, werden wir noch sehen25 - daß dadurch das Interes20 se des Kunden genügend gewahrt und der Kommissionär sicher zu kontrollieren sei. Für die Erfüllung des Geschäfts haftet dann der Kommissionär dem Kunden persönlich. Von diesem Recht | ma- A 74 chen die Kommissionäre fast ausnahmslos Gebrauch, ohne Widerspruch der Kunden, welchen ja eben nur an der Haftung ihres ih25 nen bekannten Kommissionärs liegt. Aber natürlich ist damit der Schleier vor den Vorgängen auf der Börse für den draußenstehenden Kunden noch dichter zugezogen, als dies ohnehin der Fall ist. Was eigentlich hinter diesem Schleier geschieht, wie die Kursnotizen zu stände kommen, sieht der spekulierende Kunde nicht. Die 30 Markterweiterung durch Heranziehung des Publikums, wie sie das Termingeschäft erleichtert, zieht - das ist zweifellos - Leute zum Börsenverkehr heran, die jeder Sachkunde und auch jedes Antriebes, sich selbst für Gewinn und Verlust verantwortlich zu fühlen und also selbständig die Vorgänge auf der Börse zu prüfen, gerade35 zu entbehren müssen. -
2 4 Gemeint ist hier die Bestimmung des Art. 376 Abs. 3 HGB, vgl. unten, S. 973. 2 5 Unten, S. 6 4 9 - 6 5 1 .
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Fragt man nun, welche volkswirtschaftliche Bedeutung dieser „Erweiterung des Marktes" zukommt, so ist das Interesse, welches zur Einführung des Terminhandels in einem Artikel an einer Börse führt, in erster Linie natürlich ein solches des Händlerstandes des betreffenden Platzes. Die Steigerung der Zahl der Umsätze steigert 5 die Wahrscheinlichkeit, dort jederzeit große Posten Ware zu den dort laut Zeitungsbericht 11 notierten Preisen absetzen und einkaufen zu können. Diese Preise werden die maßgebenden für die Berechnungen von Produzenten, Verkäufern und Händlern auch außerhalb des Platzes, und dies alles führt dazu, daß Warensendungen 10 von auswärts vornehmlich den dort ansässigen Kaufleuten zur Verwertung angeboten werden und Kaufaufträge vornehmlich an sie gelangen. Dadurch werden dann wieder die Umsätze gesteigert. Damit werden in erster Linie die Verdienstchancen der Kaufleute des betreffenden Platzes gehoben. In zweiter Linie aber steigt da- 15 durch auch die wirtschaftliche Bedeutung und Macht des ganzen Platzes andern und dem Ausland gegenüber. Der Kaufmann an dem Platz mit großem Markt kann außerordentlich viel leichter den festen Ankauf großer Warensendungen vom Auslande her unternehmen, da er, infolge der oben erörterten Möglichkeit^ 26 sich 20 gegen Preisschwankungen zu versichern, ein weit geringeres Risiko trägt. Und es bedeutet diese Steigerung der Machtstellung einheimischer Börsen im Verhältnis zu fremden, wie sie zweifellos durch den Terminhandel mit herbeigeführt wird, auch einen gewaltigen Machtzuwachs der finanziellen und damit der politischen Macht- 25 Stellung des einheimischen Staatswesens. Es ist politisch nicht gleichgültig, ob die Berliner oder die Pariser Börse fremden geldA 75 bedürftigen Mächten, wie z. B. Italien und Rußland, die | besseren Chancen für den Absatz ihrer Schuldverschreibungen bietet. 27 Und es ist für die ökonomischen Interessen des Inlandes nicht 30 gleichgültig, ob inländische oder ausländische Kaufleute die Märk-
n In A folgt: und 26 Oben, S.639f. 27 Max Weber erwähnt vermutlich nicht zufällig Rußland und Italien. Im Zusammenhang mit der Lombardaffäre 1887 hatte Rußland sich vom deutschen Kapitalmarkt abgewendet. Und Italien genoß nach der unfreundlichen Reaktion der Pariser Börsenkreise auf die politische Entscheidung zugunsten der Allianz mit Deutschland und Österreich-Ungarn (Dreibund) vermehrt finanziellen Rückhalt in Berlin. Vgl hierzu oben, S. 229, Anm. 39.
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te beherrschen und wo der Weltmarktverkehr eines für den einheimischen Verbrauch und die einheimische Produktion wichtigen Artikels sich konzentriert. - Zweifellos wird diese erhöhte Machtstellung des betreffenden Marktes durch mancherlei bedenkliche Nebenwirkungen erkauft. Zunächst die zweifellose Steigerung der Teilnahme Unberufener an der Spekulation, damit der Spielsucht des Publikums und der Gelegenheit, sie an der Börse zu befriedigen. Man darf freilich die Tragweite des Termingeschäftes nach dieser Richtung nicht überschätzen. Das Publikum spielt, wenn ihm nur ein Bankier dafür Kredit giebt, ebenso im Kassageschäft, z. B. durch Barankauf von Papieren in Erwartung einer Kurssteigerung, und gerade die widerwärtigsten Vorgänge dieser Art der letzten Jahre - z. B. die im Prozeß Polke erörterten 28 - waren solche spekulativen -Kassageschäfte. Spekulationen des Publikums in Form von .Kassageschäften aber sind, der stärkeren Kursschwankungen wegen, für dasselbe ungleich gefährlicher als die Terminspekulationen. - Man muß sich eben hüten zu glauben, mit Beseitigung des Termingeschäfts beseitige man die Spekulation. Im Quantum würde sie unzweifelhaft, weil kostspieliger, etwas eingeschränkt, in der Qualität aber, wie auf das deutlichste die des Termingeschäftes in Effekten entbehrende Newyorker Börse zeigt, außerordentlich viel unsolider, weil bei dem Mangel des breiten Marktes noch weit hazardartiger. Der Gedanke, die Spekulation oder doch ihre Gefahren für das Publikum unterdrücken zu wollen, kann deshalb nimmermehr der //aw/?igesichtspunkt sein, unter welchem man an die gesetzgeberische Behandlung des Börsenverkehrs herantritt. Erfreulich ist es natürlich, wenn nebenher auch dem Zweck, die Außenstehenden möglichst gegen Ausbeutung zu schützen, gedient werden kann. Ein Hauptsitz der verschiedensten Schäden liegt in dieser Beziehung zweifellos in der Art des Verhaltens der Kommissionäre gegenüber ihren Kunden. Der Kommissionär ist, sahen wir,29 berechtigt, im Wege des „Selbsteintrittes" sich der Rechnungslegung über die Art der Ausführung des Geschäftes zu entziehen, indem er dem Kunden nur den amtlich notierten Börsenpreis berechnet. Dessen Feststellung kann aber der Kommissionär 2 8 Zum Prozeß Polke vgl. oben, S. 321 mit Anm. 25. 2 9 Oben, S.647.
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durch seine eigenen Spekulationsgeschäfte stark beeinflussen, zumal soweit es sich um Papiere handelt, die nicht in sehr großen A 76 Beträgen im Handel sind, sog. „kleine" oder | „leichte" Papiere, bei denen also jedes einzelne auf dem Markt erscheinende Kaufangebot 0 beträchtlichen Umfanges den Preis steigert, und am allermei- 5 sten bei solchen Papieren, die der Kommissionär selbst als „Emittent" (s. o.)30 in den Handel gebracht hat und von denen er selbst die größten Vorräte besitzt. Hier ist das sogenannte „Kursmachen" und „Aus-dem-Engagement-Werfen" zu Hause. Das heißt - um wenigstens ein Beispiel vorzuführen - der Kommissionär veranlaßt 10 etwa seinen Kunden, ihm auf ein solches Papier einen Kaufauftrag per ultimo zu geben. Nachdem dies geschehen und der Kunde den entsprechenden „Einschuß" (s.o.)31 geleistet hat, erhält er die Nachricht, daß der Kommissionär das Geschäft „für ihn" zum Börsenkurse, der an dem betreffenden Tage notiert ist, „gemacht" 15 habe, d. h., daß er ihm die Papiere zu diesem Preis liefern werde. Womöglich hat der Kommissionär, indem er als Kaufreflektant auf einen kleinen Betrag zu hohem Preise auf dem Markt erschien, jene Kursnotiz selbst künstlich herbeigeführt. Nunmehr bietet der Kommissionär aus seinem Vorrat kleine Partieen des Papiers zu 20 billigem Preis zum Verkauf aus. Es erscheinen infolgedessen niedrige Kursnotizen im Kursblatt, und der Kommissionär verlangt nun von dem Kunden zur Deckung seines angeblichen Risikos die für diesen Fall vereinbarten „Nachschüsse". Leistet sie der Kunde nicht oder nicht rechtzeitig - und oft ist in den Geschäftsbedingun- 25 gen Zahlung innerhalb 24 Stunden ausbedungen - , so hat dies regelmäßig nach den Geschäftsbedingungen zur Folge, daß der Kommissionär berechtigt ist, den Kunden als im Verzug befindlich zu behandeln und zur „Zwangsregulierung" (s. o.)32 zu schreiten, worauf der Kunde die Differenz zu zahlen hat. Diese unlautern Mani- 30 pulationen 33 sind aber sehr erschwert bei Papieren großen Betrages, deren Preis schwer zu beeinflussen ist, und die Versuchung
o A: Kaufsangebot 30 31 32 33
Oben, S.622f. Oben, S. 645. Oben, S.627. Zu diesen Manipulationen vgl. auch die Erläuterungen Max Webers oben, S. 426-430.
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dazu besteht ferner wesentlich da, wo dieselbe Person zugleich Kommissionär - also Vertrauensmann des Kunden - und selbst Spekulant für eigene Rechnung ist. - Jeder Reformversuch würde hier einzusetzen haben. Allein vom Standpunkt der Gesamtheit wichtiger als die Frage, ob und wie das Publikum gegen die Folgen seiner eigenen Spielsucht geschützt werden kann, ist die Frage, welchen Einfluß die Formen des Geschäftsverkehrs, speziell der Terminhandel, auf die Art, wie die Börse ihre wichtigste Funktion, die Preisbildung versieht, ausüben. Auch hier sind Vorzüge und Schattenseiten des Terminhandels fast untrennbar vermischt. Ohne Zweifel versieht er in technisch vollkommenster Weise die in | hohem Grade nützliche A 77 und dem spekulativen Handel wesentliche Funktion der Preisausgleichung. Dadurch, daß der Arbitrageur zugleich in Paris billig kauft und in London teuer verkauft, vermehrt er die Nachfrage dort und das Angebot hier, verteilt also die Vorräte örtlich. Dadurch, daß der Spekulant nach der Ernte in Erwartung einer Preissteigerung im Winter Getreide per Juni kauft und im Frühjahr per Juni verkauft, veranlaßt er im Winter einen Teil der Besitzer von Getreide, dasselbe nicht jetzt loko loszuschlagen zu niedrigem Preise, sondern auf Juni-Termin zu dem Preis, den der Spekulant für diesen verspricht, also bis zum Heranrücken dieses Termins auf Lager zu behalten, er vermindert also das Barangebot jetzt und steigert die für künftig aufbewahrten Vorräte, verteilt sie also zeitlich, über das Jahr hin.8' Die schroffen Schwankungen der allgemeinen Preislage, die ohne Spekulation bestehen würden, werden dadurch gemildert. Aber allerdings: an Stelle der großen steilen Preiswogen tritt ein täglich vibrierendes Wellengekräusel. Denn die Spekulation ist, da sie in ihrem Erfolg gänzlich von der Entwicklung der Kauf- oder Verkaufsneigung der Beteiligten abhängt, sehr empfindlich gegen jeden Vorfall, bei dem eine noch so unbestimmte Möglichkeit dafür besteht, daß er auf die jetzige oder künftige Kaufneigung irgend einen Einfluß übe. Jeder starke Regenguß in der Erntezeit macht sich in den Termin-Getreidepreisen 8> Diese Wirkung vollzieht sich zwar in Wirklichkeit zumeist nicht ganz in dieser un- A 77 mittelbaren Form, sondern etwas komplizierter, namentlich unter Dazwischentreten des Reportgeschäftes. Aber der Weg, auf dem sie erzielt wird, ist im Prinzip und Erfolg völlig derselbe. |
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fühlbar, und jede politische Nachricht - auch die unwahre - wirkt auf die Preise zahlreicher Papiere. Diese in ihren Ursachen oft nicht ganz zu durchschauende Unruhe in den Preisen ist naturgemäß namentlich in Produkten für die Erzeuger hie und da unbequem. Dazu tritt der in gewissem Sinn zutreffende Vorwurf, daß 5 der Terminhandel auch der künstlichen Preisbeeinflussung im egoistischen Interesse großer Bankhäuser oder einzelner Spekulanten besonders leicht zugänglich sei. Dies ist zunächst ganz allgemein deshalb in gewissem Maß der Fall, weil der Terminhandel auch dem, der kein eigenes Kapital besitzt, den Zutritt zur Spekulation 10 erleichtert. Die große Schar der kleinen, fast nur mit einer guten Lunge, Notizbuch und Bleistift ausgerüsteten Spekulanten aber und ebenso das urteilslose Publikum haben im allgemeinen gar keine andere Wahl, als einer „von oben" - d. h. von den großen A 78 Banken - ausgegebenen Parole zu folgen, wenn | also von dort her 15 die Preise durch teure Kaufangebote aus irgend einem Grunde in die Höhe getrieben werden, auch ihrerseits blindlings auf Spekulation zu kaufen. Jeder weiß dabei genau, daß diese Steigerung der Preise einmal dem Gegenteil Platz machen wird, hofft aber, daß dies erst eintreten werde, wenn er schon mit Gewinn realisiert hat, 20 so daß der sicher zu erwartende Verlust einen andern treffe, - wie beim „schwarzen Peter". - Zu diesem allgemeinsten Grunde der leichten Beeinflußbarkeit der Terminpreise treten noch spezielle, oft auf die technische Form des Termingeschäftes zurückgeführte Spekulantenkunstgriffe. Die grandiosesten Formen, in denen sich 25 solche Manipulationen vollziehen, sind die sogenannten „Corners" oder „Schwänzen". Sie bestehen darin, daß ein einzelner nach einer Richtung (insbesondere ä la hausse) engagierter Großspekulant oder mehrere, die sich dazu verbinden, den entgegengesetzt Interessierten die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten am Termine 30" unmöglich zu machen suchen, um ihnen dann einen Abstandspreis zu diktieren. So ließ der russische Finanzminister, um die Baissespekulanten in Rubelnoten an der Berliner Börse zu ruinieren, durch ein Berliner Bankhaus unter der Hand annähernd sämtliche Rubelnoten, die am Berliner Markt vorhanden waren, aufkaufen, 35 so daß die Baissespekulanten, die dies nicht bemerkt hatten, als der Termin herankam, an dem sie zu liefern hatten, keinerlei Noten zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit zu kaufen oder zu leihen vermochten und sich schließlich an den russischen Finanzminister selbst
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wenden mußten mit der Bitte, ihnen solche durch das gedachte Bankhaus verkaufen zu lassen.34 Immerhin sind solche Vorgänge, die in Deutschland, auch wenn man Jahrzehnte zurückrechnet, höchstens nach Dutzenden zählen, schnell vorübergehende, mit dem Zusammenbruch einiger Spekulantenexistenzen und zwar schließlich meist der „Cornerer" selbst endende Fiebererscheinungen, und sie sind vor allem keineswegs an die Form des Termingeschäfts gebunden, sondern bei uns sogar meist in einer hier nicht im einzelnen wiederzugebenden Weise mittelst „Kassa"-Geschäften ins Werk gesetzt worden. Die wirklich dem Terminhandel als solchem ganz allgemein zu machenden Vorwürfe führen fast alle auf die erleichterte Heranziehung urteilsunfähiger und vermögensloser Spekulanten zurück. Diese Erleichterung ist aber nur die Kehrseite der durch ihn bewirkten „Markterweiterung", deren positive Bedeutung für die nationale Volkswirtschaft wir oben 35 in ihren Hauptzügen kennen lernten. Vom politischen und ökonomischen Machtinter|esse einer A 79 Nation aus ist es nicht angängig, um dieser Schattenseiten willen einseitig den Terminhandel in einem Artikel bei sich zu verbieten und dadurch anstatt der erstrebten Unterdrückung der Spekulation lediglich diese, damit aber auch den für diesen Artikel maßgebenden Markt ins Ausland zu drängen und dessen Finanzkraft zu stärken. Die größere Versuchung zum Spiel für das einheimische Publikum und die dadurch verschuldeten Verluste desselben müssen als Teil der Kriegskosten im Ringen der Nationen um die ökonomische Herrscherstellung getragen werden. Nur eine internationale Vereinbarung hätte da in Frage kommen dürfen, wo die Beseitigung des Terminverkehrs im einzelnen Falle erwünscht ist.9) 9)
D a ß es solche Fälle giebt, ist kein Zweifel. Ich kann aber im einzelnen hier schon des A 79 Raumes wegen darauf nicht eingehen. Es gehört dahin z. B. vielleicht der Kammzug, ein Halbfabrikat, 36 bei dem, anders als bei Rohstoffen, deren Produktion lange Ernte-
3 4 Der Rubelcorner wurde im Zuge der Maßnahmen zur Stabilisierung der russischen Währung durch den russischen Finanzminister Witte an der Berliner Fondsbörse zum Ultimo Oktober 1894 inszeniert. Vgl. auch oben, S. 519 mit Anm. 13. 3 5 Oben, S.648. 3 6 Der Reichstag hatte den Antrag gestellt, der Reichskanzler möge mit den Staaten, in denen ein börsenmäßiger Terminhandel in Kammzug bestehe, Verhandlungen aufnehmen zwecks Untersagung desselben. Sten.Ber., Band 153, Nr. 325, S. 1732. Der Antrag blieb folgenlos. Zum Kammzugterminhandel vgl. die Ausführungen oben, S. 571, Anm. 34.
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Was eine rationelle, von den Interessen der Machtstellung Deutschlands ausgehende Börsenpolitik auf dem Gebiete der Verkehrskontrolle hätte erstreben sollen, liegt m. E. - soweit nicht technische Einzelheiten, wie die Art der Kursnotiz, die Regelung des Kommissionsgeschäftes, die Vorschriften über die Bedingungen des Getreide-Terminhandels in Frage kommen - nur in folgenden ungefähren Richtungen: Unnütz und schädlich ist die unmittelbare Mitwirkung kapitalloser Spekulanten am Börsenverkehr, erwünscht deshalb, wennschon gewiß nicht ganz leicht durchführbar, das Erfordern eines Vermögensnachweises bei der Zulassung. Schädlich und zu verhindern ist die Spekulation in „kleinen" Papieren, aber nicht nur in Form des Terminhandels. Da die Bildung eines spekulativen Marktes, auch wo die Spekulation sich in die Form des Kassageschäfts kleidet, nicht leicht dauernd verborgen bleiben kann, könnte ihr durch Versagung der Kursnotiz und Verbot aller Zeitungsberichte wirksam genug entgegengetretenp werden. Streng zu verbieten wäre die Wiedergabe von Kursen irgend eines an deutschen Börsen nicht zugelassenen Papiers in deutschen Zeitungen sowie Nachrichten über dasselbe überall da, wo nach Ermessen der betreffenden Instanz der Verdacht einer irgend umfangreicheren Einschleppung dieses Papiers in den Besitz deutscher Kapitalisten unter Umgehung der deutschen Börsen begrün-
P e r i o d e n e r f o r d e r t , j e d e Preissteigerung leicht eine i / b e r p r o d u k t i o n h e r v o r r u f e n k a n n . Getreide g e h ö r t zur Zeit v o m deutschen I n t e r e s s e n s t a n d p u n k t aus m. E . nicht dahin. D a s V e r b o t , welches d e r Reichstag einseitig f ü r das I n l a n d o h n e i n t e r n a t i o n a l e V e r e i n b a r u n g aussprach, 3 7 w a r ausschließlich auf S t i m m e n f a n g b e r e c h n e t 3 8 u n d a u c h u n t e r d i e s e m G e sichtspunkt eine T h o r h e i t . |
p In A folgt: zu 3 7 Das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten wurde entgegen den Vorstellungen der Reichsleitung von der Mehrheit der Reichstagsabgeordneten befürwortet und im Börsengesetz vom 22. Juni 1896 (§50) verankert. Dem Antrag der Konservativen, wegen eines internationalen Verbots Verhandlungen aufzunehmen, kam der Bundesrat nicht nach. Sten.Ber., Band 153, Nr. 327, S. 1732. 3 8 Der Vorsitzende der Nationalliberalen Partei Rudolf Bennigsen und der Sprecher des Zentrums, Carl Bachem, hatten während der zweiten Lesung des Börsengesetzentwurfs am 1. Mai 1896 die Ansicht vertreten, daß die Entscheidung für das Verbot des börsenmäßigen Getreideterminhandels sich nach wenigen Jahren als Fehler erweisen und die Landwirtschaft bestrebt sein werde, das Getreidetermingeschäft wieder einzuführen.
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det erscheint. Im Übrigen wäre den staatlichen Gewalten ein Aufsichts- und Einspruchsrecht gegen den börsenmäßigen Handel in jedem Objekt im allgemeinen | und den Terminhandel im speziel- A len zuzuweisen gewesen. Bezüglich des letzteren wäre aber von dieser Befugnis im allgemeinen nur im Falle der Erzielung internationaler Vereinbarungen für die einzelnen Gegenstände, für welche das Verbot erwünscht erschiene, Gebrauch zu machen gewesen. Im übrigen hätte man lediglich die Verleitung unerfahrener und leichtsinniger Personen zu Spekulationen so, wie es durch das Börsengesetz geschehen ist, unter Strafe stellen sollen.39 Der Durchführung rein theoretisch-moralischer Forderungen sind eben, so lange die Nationen, mögen sie auch militärisch in Frieden leben, ökonomisch den unerbittlichen und unvermeidlichen Kampf um ihr nationales Dasein und die ökonomische Macht führen, enge Grenzen gezogen durch die Erwägung, daß man auch ökonomisch nicht einseitig abrüsten kann. Eine starke Börse kann eben kein Klub für „ethische Kultur"40 sein, und die Kapitalien der großen Banken sind so wenig „Wohlfahrtseinrichtungen" wie Flinten und Kanonen es sind. Für eine Volkswirtschafts-Politik, welche diesseitige Ziele erstrebt, können sie nur eins sein: Machtmittel in jenem ökonomischen Kampf. Sie wird es gern begrüßen, wenn auch das „ethische" Bedürfnis diesen Institutionen gegenüber zu seinem Rechte gelangen kann, aber sie hat die Pflicht, in letzter Linie darüber zu wachen, daß fanatische Interessenten oder weltfremde Apostel des ökonomischen Friedens nicht die eigne Nation entwaffnen.
Ähnlich äußerte sich in der dritten Lesung am 5. Juni 1896 Karl Gamp für die Reichspartei. Dennoch, dem Druck der agrarischen Flügel nachgebend, stimmten die Abgeordneten dieser Parteien dem Verbot zu. Sten.Ber., I . M a i 1896, Band 145, S.2049, 2052 und 2058; ebd., 5. Juni 1896, Band 146, S. 2413. 3 9 Gemeint ist hier die Vorschrift des § 78 BörsG. 4 0 Anspielung auf die „Gesellschaft für Ethische Kultur". Vgl. dazu oben, S.612 mit Anm. 25.
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Litteratur zur Einführung.
1. Über die Effektenbörse: Saling's Börsenpapiere, bearbeitet von Siegfried. Band I (in ihrer Art sehr gute Darstellung der technischen Seite des Effektenhandels). Struck, Die Effektenbörse. Eine Vergleichung deutscher und englischer Zustände. Leipzig 1881 (stellt namentlich die höchstentwickelte Fondsbörse der Welt - London - auf Grund englischen Materials dar). Ehrenberg, Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung. Berlin 1883. (Geschichte des Kampfes der Gesetzgebung mit der Spekulation und dem sogenannten „Differenzgeschäft.") 2. Über die Produktenbörse: Fuchs, Der Warenterminhandel, seine Technik und volkswirtschaftliche Bedeutung. Leipzig 1891 (kurz, zur Einführung sehr geeignet). Schumacher in einer Serie von Aufsätzen in Conradsr Jahrbüchern, Band 64 f., speziell über amerikanischen Getreideterminhandel41 (bisher beste Einzeldarstellung ihrer Art). 3. Zur deutschen Börsenreform: Die zahlreichen Ausgaben und Kommentare des Reichsbörsengesetzes.42 Ferner der Bericht der Börsen-Enquete-Kommission (in billiger Oktav-Ausgabe) . 43
q - q (S. 657) Petitdruck in A.
r A: K o n r a d s
41 Gemeint sind die Aufsätze: Schumacher, Getreidehandel; ders., Getreidebörsen. Die Artikel erschienen in den Bänden 65 und 66 (nicht 64f.) der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u. a. 4 2 Weitverbreitete Ausgaben des Börsengesetzes waren: Apt, Max, Das Börsengesetz. Textausgabe mit Einleitung, Anmerkungen und Sachregister. - Berlin: R. von Decker (G. Schenk) 1896, sowie Kunreuther, Heinrich, Börsengesetz vom 22. Juni 1896 und Gesetz, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Werthpapiere vom 5. Juli 1896. Mit Anmerkungen und Sachregister. - Berlin: Siemenroth und Troschel 1896. 4 3 Gemeint ist hier vermutlich die Handausgabe des Carl Heymann Verlags: Bericht und Beschlüsse der Börsenenquetekommission.
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Eine Verarbeitung des Materials, welches die sehr umfangreichen, 5 Foliobände füllenden Enquete-Verhandlungen geliefert haben, habe ich in der „Zeitschrift für Handelsrecht", Band 43 f., versucht.44 s Eine andere erscheint u[nter] d[em] Titel: Börsenreform in Deutschland von Pfleger und Gschwindt, bisher 2 Hefte, 1896.45 Im übrigen ist zu vergleichen insbesondere: G. Cohn, Zur Börsenreform 1895." |
4 4 Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, oben, S. 195-550. Die amtliche Ausgabe, Börsenenquetekommission [Veröffentlichungen], - Berlin: Reichsdruckerei 1892-93, umfaßt 9 - nicht 5 - Bände. 4 5 Gemeint ist: Pfleger/Gschwindt, Börsenreform, I. Teil, und Pfleger, Börsenreform, II. Teil.
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[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896
Editorischer Bericht
Zur Entstehung Das am 6. Juni 1896 vom Reichstag in dritter Lesung beschlossene Börsengesetz sollte am I.Januar 1897 in Kraft treten. Bis dahin mußte der Bundesrat einheitliche Bestimmungen über die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel erlassen (§42 BörsG). Nach Inkrafttreten des Börsengesetzes hätte sich der Bundesrat zur Vorbereitung der geforderten Verordnung eines neuen Beratungsorgans bedienen können. Gemäß §3 des Börsengesetzes war nämlich „zur Begutachtung über die durch dieses Gesetz der Beschlußfassung des Bundesrats überwiesenen Angelegenheiten [...] als Sachverständigenorgan ein Börsenausschuß zu bilden." Doch regte der Reichskanzler an, schon vorab im Sinne des Gesetzes zu verfahren.1 Der Bundesrat erklärte sich in der Sitzung am 22. Oktober 1896 damit einverstanden und legte zugleich den Modus fest, nach dem die Mitglieder bestimmt werden sollten. Offiziell sprach man nun vom „provisorischen Börsenausschuß", der nur für eine bestimmte Aufgabe und damit auf begrenzte Zeit zusammentreten sollte. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Mitgliedschaft lehnte man sich an die Vorgaben des §3 Absatz 2 des Börsengesetzes an. 15 Mitglieder sollten auf Vorschlag der Börsenorgane, weitere 11 auf Vorschlag der „hauptsächlich in Betracht kommenden Bundesregierungen" und vier Mitglieder vom Bundesrat direkt ernannt werden. 2 Das Gesetz verlangte für den (definitiven) Börsenausschuß, bei den nicht von den Börsenorganen vorzuschlagenden Mitgliedern „Landwirtschaft und Industrie" angemessen zu berück-
1 Schreiben des Reichskanzlers an den preußischen Handelsminister vom 29. Juni 1896, BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5482, Bl. 2 - 6 . Schreiben des Reichskanzlers an die verbündeten Regierungen vom 21. Juli 1896, ebd., Bl. 51-53. Das Börsengesetz ist unten, S. 975-992, abgedruckt. 2 Protokoll der Bundesratssitzung vom 22. Okt. 1896, ebd., Nr. 5524, Bl. 8-10.
Editorischer
Bericht
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sichtigen. In Hinblick auf die spezielle Aufgabe, Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel zu erarbeiten, wäre die Landwirtschaft im provisorischen Börsenausschuß wohl auch mit wenigen Mitgliedern „angemessen" vertreten gewesen. Aber Preußen benannte, ausdrücklich wegen des behaupteten „ungleich stärkeren Interesses der Landwirtschaft und ihrer Nebengewerbe", von den ihm zur Nominierung zustehenden sechs Mitgliedern vier Vertreter der Landwirtschaft und nur zwei Vertreter des Handels. 3 Möglicherweise rechnete die preußische Regierung schon zu dieser Zeit mit einer Ausweitung der Beratungsaufgabe des provisorischen Börsenausschusses. Beim Bundesrat war nämlich die Denkschrift des Bundes der Landwirthe, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen vom 19. Oktober 1896 4 mit der Bitte um Mitberatung im provisorischen Börsenausschuß eingegangen. Was die vier vom Bundesrat direkt zu bestimmenden Mitglieder betrifft, fragte das Reichsamt des Innern im Auftrag des Bundesrats bei den Professoren Max Weber und Wilhelm Lexis, dem Reichstagsabgeordneten Karl Gamp und dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Müller, Joseph Johann van den Wyngaert an, ob sie zur Mitarbeit im provisorischen Börsenausschuß bereit seien. 5 Die Berufung von Wissenschaftlern war im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Aber schon die IX. Kommission des Reichstags hatte hierzu den Weg gewiesen. Sie meinte, daß nach den guten Erfahrungen in der Börsenenquetekommission davon „ein ersprießlicher Erfolg zu erwarten sei". 6 Max Weber sagte am 7. November 1896 telegraphisch zu. 7 Leider war nicht zu ermitteln, von wem Webers Kandidatur für den provisorischen Bör3 Schreiben des Landwirtschaftsministers vom 3. Nov. 1896 und des Handelsministers v o m 6. Nov. 1896 an das Reichsamt des Innern, BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 34f. u n d 48. Zwei weitere Vertreter agrarischer Interessen wurden von Bayern und B a d e n vorgeschlagen. N e b e n den beiden Repräsentanten der Industrie bzw. des Handels, die Preußen nominierte, empfahlen Bayern, Sachsen u n d Elsaß-Lothringen je einen Vertreter dieser Interessen. Vgl. die Mitgliederliste unten, S.671f. 4 Denkschrift des Bundes der Landwirte, unten, S. 1 0 0 0 - 1 0 0 6 . 5 Schreiben des Reichsamt des Innern v o m 6. Nov. 1896 an Max Weber, G a m p und van d e n Wyngaert, Telegramm v o m 9. Nov. 1896 an Lexis, BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 21 und 25. G a m p und van den Wyngaert waren bereits Mitglieder der 1892/93 t a g e n d e n Börsenenquetekommission gewesen. Zur Börsenenquetekommission vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, oben, S. 1 7 5 - 1 9 2 . 6 So der Wortlaut der B e g r ü n d u n g der IX. Kommission des Reichstags, in: Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1447. 7 Das Telegramm Max Webers lautet: „ich bin mit d e m v o r s c h l a g e z u m mitgliede des provisorischen boersenausschuszes in gemaeszheit der an mich gerichteten anfrage einverstanden = professor max weber." BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 49.
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Verhandlungen
des provisorischen
Börsenausschusses
senausschuß angeregt und wie über seine Mitgliedschaft beschlossen worden ist. In Deutschland gab es zu dieser Zeit gewiß keinen für Fragen der Börsenreform besser ausgewiesenen Wissenschaftler. Aber Weber hatte auch leidenschaftlich Stellung bezogen und sich als scharfer Kritiker der agrarischen Interessenpolitik und ihrer börsenschädlichen Aktionen zu erkennen gegeben. Nicht jedermann mußte in ihm vornehmlich den neutralen Experten sehen. Am 11. November 1896 nahm der Bundesrat die Wahlvorschläge der Landesregierungen und der Börsenorgane an. Daraufhin wurden die Mitglieder offiziell zu den Beratungen eingeladen. 8 Die Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses begannen am 19. November 1896. Der Ausschuß tagte im Sitzungssaal des Bundesrats im Reichsamt des Innern unter Ausschluß der Öffentlichkeit. An den Sitzungen nahmen neben den berufenen Mitgliedern Vertreter des Bundesrats, der Reichsleitung, preußischer Ministerien und der Reichsbank teil, die während der Beratungen auch das Wort ergriffen. Es handelt sich dabei um den preußischen Bevollmächtigten zum Bundesrat Unterstaatssekretär Anton Rothe, die Geheimräte Adolf Wermuth und Dr. Dungs vom Reichsamt des Innern, den persönlichen Referenten des preußischen Handelsministers Adolf Wendelstadt, um den Geheimen Oberregierungsrat Alfred Conrad und Regierungsrat Dr. Traugott Mueller vom preußischen Landwirtschaftsministerium, sowie um Reichsbankdirektor Oskar Schmiedicke. 9 In der ersten Sitzung erläuterte Karl Heinrich von Boetticher, Staatssekretär des Reichsamts des Innern und preußischer Innenminister, in Anlehnung an das Einladungsschreiben, 10 daß der provisorische Börsenausschuß vom Bundesrat einberufen worden sei, um den „Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel" 11 und die beim Bundesrat eingereichte Denkschrift des Bundes der Landwirte vom 19. Oktober 1896, soweit sie an den Bundesrat gerichtet sei, vorzuberaten bzw. zu erörtern. Nach den Verhandlungen erwarte der Bundesrat ein Gutachten über die Beratungen. 12 Der Auftrag des provisorischen Börsenausschusses hinsichtlich des „ersten Gegenstandes", wie es seit der Eröffnungssitzung hieß, bedurfte angesichts der Vorgaben des Börsengesetzes, der vorliegenden Regierungsvorlage und der Eilbedürftigkeit der Entscheidungen keiner prinzipiellen Erörterungen. Beim zweiten Beratungsgegenstand, der Denkschrift des Bundes
8 Einladungsschreiben vom 10. Nov. 1896, expediert am 11, Nov. 1896, ebd., BI.64. Die Liste der Mitglieder ist im Anhang zum Editorischen Bericht, unten, S.671f., abgedruckt. 9 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 17. 10 Wie Anm.8. 11 Regierungsvorlage, abgedruckt unten, S. 993-999. 12 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 17.
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der Landwirte, hatten die Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses und der Vertreter des Bundesrats erhebliche Zweifel, ob der Bundesrat und mit ihm der provisorische Börsenausschuß überhaupt die Kompetenz zur Beratung hatte und was am Ende von solchen Beratungen für das konkrete Handeln der Verwaltungen im Reich und in den Ländern erwartet werden konnte. Die Regierungsvorlage beriet der Ausschuß am 19., 20., 21. und 23. November. 13 Dabei wurde folgendermaßen verfahren. Anträge zur Änderung, Ergänzung oder Streichung von Bestimmungen der Regierungsvorlage mußten dem Vorsitzenden schriftlich vorgelegt werden. 1 4 Nach der Verlesung wurde abgestimmt, in welcher Reihenfolge Anträge behandelt bzw. ob sie überhaupt behandelt werden sollten. Die Erörterung der Anträge bzw. der Bestimmungen der Regierungsvorlage währte solange, bis keine Wortmeldung mehr vorlag oder aber eines der Mitglieder Antrag auf Schluß der Debatte stellte. Dann wurde in der Regel per Handzeichen, gelegentlich auch namentlich abgestimmt. Über eine Änderung des Wortlauts entschied die Stimmenmehrheit. Bei Unklarheiten hinsichtlich Sinn und Form der Regierungsvorlage stand vor allem der Dezernent für Handelsfragen im Reichsamt des Innern Adolf Wermuth Rede und Antwort. Aber auch der Bundesratsvertreter Unterstaatssekretär Anton Rothe griff in die Verhandlungen ein, vornehmlich um bei Auseinandersetzungen über Verfahrensfragen den Standpunkt des Bundesrats zu erläutern. Umstritten war, in welcher Form die Ergebnisse der Beratungen dem Bundesrat zur Kenntnis gebracht werden sollten. Die vom Vorsitzenden am zweiten Verhandlungstag aufgeworfene Frage, ob es nicht zweckmäßig sei, eine Kommission mit der Erstellung eines Referats über die im Plenum geäußerten Ansichten zu betrauen, wurde unterschiedlich beantwortet. Graf Arnim meinte, die stenographischen Berichte der Verhandlungen böten ein ausreichendes Informationsmaterial für den Bundesrat. In einem von der Mehrheit vertretenen Bericht würden die Meinungen der Minorität, also der Vertreter der Landwirtschaft, nicht genügend berücksichtigt. Dem wurde heftig widersprochen. Unterstaatssekretär Rothe erklärte, der Börsenausschuß könne sich seiner Aufgabe, ein Gutachten zu erstellen, nicht durch die Entscheidung, Stenographen hinzuzuziehen, entziehen. Mit großer Mehrheit stimmte der provisorische Börsenausschuß für die Erstellung eines Berichts. 15 Gegen den Antrag des Grafen Arnim wurde festgelegt, daß der Bericht die Form eines Gutachtens zur Sache haben und nicht auch die zumeist von den Agrariern ausgelösten Geschäftsordnungsdebatten und
13 Weil der 22. November auf einen Sonntag fiel, fand an diesem Tag keine Sitzung statt. 14 Mündlich vorgetragene Anträge wurden erst dann behandelt, wenn sie schriftlich vorgelegt wurden. 15 Ebd. S.35-38.
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deren Ergebnisse enthalten sollte. 16 Nach längeren Erörterungen wurde Adolph Frentzel bestimmt, das Gutachten zu verfassen. 17 Am Ende des dritten Verhandlungstages wurde eine Redaktionskommission gewählt, die Frentzels Bericht durchsehen und endgültig verabschieden sollte. 18 Hinsichtlich des zweiten Beratungsgegenstandes hatte der Bundesrat dem provisorischen Börsenausschuß keine Vorschläge unterbreitet, aus denen seine Vorstellungen oder auch nur seine Fragen zu den Forderungen der Denkschrift des Bundes der Landwirte erkennbar gewesen wären. Unterstaatssekretär Anton Rothe begründete das damit, daß eine Vorlage aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen und überdies zweifelhaft wäre, welche der Forderungen überhaupt in die Kompetenz des Bundesrats fielen. Hierzu erwartete man nun ein Votum des Börsenausschusses. An einer Vorberatung der Materie im provisorischen Börsenausschuß sei der Bundesrat deshalb interessiert, „weil es auf diesem sehr schwierigen Gebiet vorläufig noch an brauchbaren, sich im Rahmen des Gesetzes und der Ausführungsmöglichkeiten haltenden Vorschlägen" fehle. 19 Wahrscheinlich haben aber auch taktische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt. Durch Verweisung in dieses Gremium war der Bundesrat der Aufgabe enthoben, unmittelbar in dem Konflikt über den Vollzug des Börsengesetzes Stellung zu nehmen. Die Eingabe des Bundes der Landwirte ist auf dem Hintergrund der scharf geführten Auseinandersetzungen über das Börsengesetz nach dessen Verabschiedung zu sehen. Der Handel, der das Gesetz als agrarisches Knebelwerk verurteilte, diskutierte öffentlich über den Boykott eines Großteils der Bestimmungen. Die Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse hatte bereits probeweise die am 30. September 1896 veröffentlichten „Schlußscheine für handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte in Weizen, Roggen, Hafer, Futtergerste und Mais" eingeführt. Mit ihrer Hilfe sollte das von den Agrariern durchgesetzte Verbot des börsenmäßigen Getreideterminhandels umgangen werden. 20 In der Befürchtung, daß das Terminhandelsverbot nur auf dem Papier stehen werde, forderte der Bund der Landwirte nun unter anderem die Trennung der Wertpapier- von den Produktenbörsen und eine paritätische Beteiligung von Vertretern der Landwirtschaft in den Organen der Produktenbörsen. Ferner sollte der Getreidehandel nur noch nach Vorlage einer Probe möglich sein, um jede Form des Zeit-
16 Ebd., S. 91. 17 Ebd., S. 38. 18 Zu Mitgliedern gewählt wurden: Wilhelm Herz, Johannes Kaempf, Siegmund Hinrichsen, Karl Gamp und Ernst von Mendelssohn-Bartholdy. Ebd., S. 90f. 19 Ebd., S. 72. 20 Von diesen Schlußscheinen ist daher auch im provisorischen Börsenausschuß bei der Beratung der Denkschrift des Bundes der Landwirte mehrfach die Rede.
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geschäfts unmöglich zu machen. An die Stelle der ab I.Januar 1897 nicht mehr zulässigen Notierung von Terminpreisen für Getreide sollte eine prinzipiell andere Form der Getreidenotiz treten. Man forderte, daß im Rahmen eines vom Bundesrat vorzuschreibenden Schemas festgelegter Qualitäten neben den Preisen auch die tatsächlich gehandelten Mengen amtlich mitgeteilt werden müßten.21 Zur Vorbereitung der Beratungen der Denkschrift des Bundes der Landwirte, des „zweiten Gegenstandes", im Plenum des provisorischen Börsenausschusses wurde nach längeren und heftigen Erörterungen in der dritten Sitzung am 21. November 1896 eine Subkommission gewählt. Ihr gehörten an: Joseph Johann van den Wyngaert, Franz Schröter, Heinrich Friedrich Haker, Adolph Frentzel, Max Freiherr von Soden-Fraunhofen, Graf Kanitz und Max Weber. 22 Max Weber wollte am 23. November am Gründungskongreß des nationalsozialen Vereins in Erfurt teilnehmen und deswegen zunächst die Wahl nicht annehmen. Weil die Kommission jedoch nicht vor Dienstag, den 24. November, zusammentreten sollte, erklärte er sich zur Mitarbeit bereit. Weber ist am 23. November 1896 nach Erfurt gefahren. Er reiste noch am selben Abend nach Berlin zurück. 23 Die ohnehin schon sachlich schwierige und in Hinblick auf die Verfahrenslage verwickelte Aufgabe wurde bereits in der ersten Aussprache des provisorischen Börsenausschusses am 21. November über den zweiten Gegenstand noch komplizierter. Freiherr von Soden-Fraunhofen, Mitglied des provisorischen Börsenausschusses, kündigte in seiner Funktion als Vizepräsident des Deutschen Landwirtschaftsrats, der „offiziellen Vertretung der deutschen Landwirtschaft", noch für den selben Tag eine „Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats zur Reform der Produktenbörsen" 24 an, falls sich der provisorische Börsenausschuß zur Erörterung der Denkschrift des Bundes der Landwirte für befugt halte. Der Ausschuß des Deutschen Landwirtschaftsrats habe die letzten beiden Tage über die Denkschrift des Bundes der Landwirte beraten und beschlossen, seinerseits von dieser in wesentlichen Punkten abweichende Vorschläge zu unterbreiten. 25 Er erbat die Mitberatung der Eingabe im Börsenausschuß, auch wenn sie diesem noch nicht über den Bundesrat zugegangen sei. Er übergab noch in derselben Sitzung das Original der Eingabe Unterstaatssekretär Anton Rothe. Dieser
21 Denkschrift des Bundes der Landwirte. 22 Max Weber erwähnt die Bildung der Subkommission in seinem Bericht, unten, S. 746. 23 Brief an Marianne Weber vom [22.] Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). Zur Gründungsversammlung in Erfurt vgl. MWG I/4, S. 612-622. 24 Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats, abgedruckt unten, S. 1007-1009. 25 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 72.
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erklärte das Schriftstück, weil es sich auf die Denkschrift des Bundes der Landwirte beziehe, kurzerhand als zum zweiten Beratungsgegenstand gehörig. 26 Die Subkommission diskutierte die beiden Eingaben am 24. November und am Vormittag des 25. November in Gegenwart von Anton Rothe und den Regierungskommissaren. Hierüber ist kein Protokoll geführt worden, so daß es keine amtlich gedruckte Mitschrift gibt. Wie aus den Mitteilungen des Vorsitzenden im Plenum am 25. November hervorgeht, hatte die Kommission Max Weber bestimmt, über die Ergebnisse der Kommissionssitzungen im Plenum zu berichten. 27 Der provisorische Börsenausschuß trat am Nachmittag des 25. November wieder zusammen. Max Weber verlas anhand einer inzwischen angefertigten Niederschrift sein Referat. In diesem hat er den Verlauf und die Ergebnisse der Verhandlungen in der Subkommission geschildert. Im Anschluß an das Referat wurde dann folgendermaßen verfahren. Die einzelnen Fragen wurden, der Struktur der Denkschrift des Bundes der Landwirte folgend, Punkt für Punkt diskutiert. Am Ende der Sitzung am 25. November wurde dann beschlossen, daß es keiner Abstimmungen über die einzelnen Punkte bedürfe. 2 8 Unterstaatssekretär Anton Rothe bestätigte, daß der Bundesrat lediglich an einer sachverständigen und eingehenden Erörterung, nicht aber an einem durch Abstimmung begründeten Gutachten interessiert sei. Aus dem Referat Max Webers über die Kommissionsverhandlungen habe man gesehen, „wie es möglich ist, auch ohne Abstimmung ein lichtvolles und instruktives Bild über das Ergebniß der Verhandlungen zu geben." 2 9 Schließlich hat der Ausschuß am Nachmittag des 26. November sich darauf geeinigt, die Vorschläge nicht mehr im einzelnen, sondern nur unter übergreifenden Gesichtspunkten zu erörtern. Adolph Frentzel stellte am Schluß der Sitzung am 25. November noch den Antrag, den ihm gegebenen Auftrag zur Berichterstattung über die Beratungen zu teilen und Max Weber den zweiten Teil der Berichterstattung über die Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats zu übertragen, über dessen „außerordentlich lichtvollen Bericht" 30 heute alle sehr erfreut gewesen seien. Max Weber lehnte zunächst ab. 3 1 Seiner Frau schrieb er noch am selben Tag: „Ich habe eben [...] telegraphiert, daß ich auch Sonnabend noch nicht examinieren kann. Es ist möglich, daß der Ausschuß morgen fertig wird. Dann aber werde ich
26 Ebd., S.77f. 27 Vgl. unten, S.697. 28 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 132. 29 Ebd. 30 Vgl. unten, S.716. 31 Vgl. seine Antwort unten, S. 717.
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den Bericht an den Bundesrath, dessen Erstattung ich nicht entgehen kann, abzufassen haben. Da Börsenleute und Agrarier bezüglich des zweiten, die Produktenbörse betreffenden Teils auf mich verfallen sind, so werde ich meine heute ausgesprochene Weigerung morgen nicht aufrecht erhalten können." 32 Auf Bitten des Vorsitzenden stimmte Max Weber am Abend des 26. November dem erneut gestellten Antrag Adolph Frentzels zu, den zweiten Teil des Berichts an den Bundesrat zu verfassen. Weber reiste am folgenden Tag, am 27. November, nach Freiburg zurück. Bereits am 5./6. Dezember fuhr er wieder nach Berlin. Die Sitzung der Redaktionskommission fand am Montag, den 7.Dezember, statt. 33 Das „Gutachten" Adolph Frentzels und der „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" von Max Weber wurden dem Reichskanzler bzw. dem Bundesrat zugeleitet. Die Änderungs- und Ergänzungsvorschläge des provisorischen Börsenausschusses hinsichtlich der Regierungsvorlage sind bei der endgültigen Feststellung der „Bekanntmachung, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel" zum größten Teil berücksichtigt worden. Die Verordnung wurde am 11. Dezember 1896 vom Bundesrat verabschiedet und bekanntgemacht. 34 Dagegen hatte die Beratung der Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats keine erkennbare Wirkung. Der Bundesrat konnte zwar der Bitte um Mitberatung der Eingaben im provisorischen Börsenausschuß nachkommen, nicht aber eine gesetzgeberische Initiative ergreifen. Eine Neugestaltung der Produktenbörsen wäre Sache der Länder gewesen. Mit Inkrafttreten des Börsengesetzes galt das Börsenreformwerk als abgeschlossen. An eine Fortführung der Reform war daher nicht zu denken. Sogar die im Ausschuß verhandelte Neuordnung der Getreidepreisnotiz war nicht möglich, da die Mitglieder der Berliner Produktenbörse seit dem I.Januar 1897 streikten. 35 Über die Beratungen des provisorischen Börsenausschusses sind anschauliche Berichte von Max Weber in Briefen an seine Frau überliefert. Am zweiten Verhandlungstag schreibt er: „[...] bisher ist die Sache strapaziös durch die unbeschreibliche Langstieligkeit der Erörterungen, wir haben bis-
32 Brief an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 33 BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Reisekostenabrechnungen Max Webers, Bl. 139-141. 34 Die Bestimmungen der Bekanntmachung zitiert und bespricht Max Weber in seinem Artikel „Börsengesetz", unten, S. 840-842 mit Fußnote 11. 35 Den Streik der Berliner Produktenbörse und die Beratung der Eingaben der beiden Interessenvertretungen bespricht Max Weber ebd., S. 803-805, 812-818, 824, 830f. und 854 mit Fußnote 12.
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Börsenausschusses
her ungefähr V30 unseres Pensums erschöpft^ und wenn die Sache so weitergeht, bleibe ich bis Neujahr hier. Manches an der Sache ist ja ganz lustig: wir sitzen im Sitzungszimmer des Bundesraths. Die Börsenkerle haben den ganzen Haupttisch, wo Preußen sitzt, okkupiert. Die Agrarier haben die Plätze einiger mittlerer Randstaaten besetzt, und, von beiden verschmäht, sitzen College Lexis und ich vor den Schreibmappen von Reuß älterer und jüngerer Linie ganz fern in der Ecke. 36 Mein nächster Nachbar ist ein Franzose aus dem Elsaß, 37 der kaum versteht, was gesagt wird, und immer auseinandergesetzt haben will, warum und worüber eigentlich die Leute verschiedener Ansicht seien. Bisher geht es noch ganz höflich zu, die Knalleffekte kommen wohl erst morgen. Die feinere Sorte der Agrarier - Graf Kanitz, Graf Schwerin - schweigen. Nur die Knoten, Graf Arnim und Gamp, legen los, Einer von ihnen 38 hat schon so viel zusammengesprochen wie alle Anderen zusammengenommen." 3 9 Nach dem dritten Verhandlungstag berichtet Weber: „Die Sache ist jetzt lebhafter geworden. [...] Einige lebhafte Zusammenstöße mit diesen Herrschaften sind schon erfolgt^ und auch ich habe mich mit diesen desperaten Kunden schon mehrfach gekabbelt, aber der Tonfall ist bisher ein so höflicher, daß nicht zu befürchten ist, man werde sich nun demnächst paarweise totschießen. Wie es nun eben so geht, habe ich bisher anscheinend das Wohlgefallen der Millionen-Knöpfe erregt, wenigstens drückt mir Geh. Commerzienrath von Mendelssohn Bartholdy immer so intensiv die Hand, daß ich immer mich wundre, nicht einen Check über einige 100000 Mark unter meiner Schreibmappe [...] zu finden." 4 0 Nachdem Max Weber sein Referat über die Ergebnisse der Kommissionsberatungen erstattet und die anschließende Diskussion am 25. November weitgehend mitgestaltet hatte, schrieb er darüber: „Die Schinderei ist ganz bedeutend, ich habe gestern von 9 Uhr bis 1 und von 2 - 6 gesessen und dann in der Nacht meinen Bericht verfaßt, heute wieder von 1 0 - 6 ohne Pause für mich, da ich, während die Andren frühstückten, 41 ihn fertig machen mußte. Morgen (Donnerstag) wird die Sache wohl ähnlich verlaufen." 42
36 Reuß ältere und jüngere Linie waren zwei kleine souveräne Fürstentümer im heutigen Thüringen. Sie hatten zusammen etwa 200000 Einwohner und wurden seinerzeit karikiert als Relikte der deutschen Kleinstaaterei. 37 Eduard Jaunez. 38 Den stenographischen Mitschriften zufolge meint Max Weber Karl Gamp. 39 Brief an Marianne Weber vom 20. Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 40 Brief an Marianne Weber vom [22.] Nov. 1896, ebd. 41 Gemeint ist das zweite Frühstück in der Mittagszeit. 42 Brief an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, ebd.
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Zur Überlieferung
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und Edition
Als Manuskript gedruckt liegen die „Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896". - Berlin: Reichsdruckerei [o. J.], 212 Seiten in Folio, vor. Die Verhandlungen wurden in 600 Exemplaren vervielfältigt. 43 Sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern für den Bundesrat, die Reichsleitung, die Bundesregierungen, die Reichstagsabgeordneten sowie für die Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses. Ein Exemplar der Verhandlungen ist im Nachlaß Max Webers nicht überliefert. 44 Für die Edition wurde das im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München unter der Signatur MH 11 250 aufbewahrte Exemplar herangezogen (A). Für die Beratungen am ersten Verhandlungstag war ein zusammenfassendes Protokoll angefertigt worden. Es umfaßt zweieinhalb Seiten (S. 1 7 19). Für die weiteren Verhandlungen am 20., 21., 23., 25. und 26. November wurden Stenographen hinzugezogen. Die stenographischen Berichte umfassen 149 Seiten (S. 21-170). Diese sind im Zweispaltensatz gedruckt. Dem Protokoll geht ein Namensverzeichnis der Mitglieder (S.3), eine Liste der Beratungsgegenstände (S. 4), sowie der Abdruck des Entwurfs von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel (S.5-8), die Denkschrift des Bundes der Landwirthe, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen vom 19. Oktober 1896 (S.9-12), der Entwurf einer Geschäftsordnung für den provisorischen Börsenausschuß (S. 13f.) sowie die nachträglich an den Bundesrat zur Mitberatung im Ausschuß eingereichte Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats zur Reform der Produktenbörsen vom 21. November 1896 (S. 15-19) voraus. Im Anschluß an die stenographischen Berichte folgen als erster Anhang das „Gutachten, erstattet von dem provisorischen Börsenausschuß an den Herrn Reichskanzler auf Grund der vom 19. bis 26. November 1896 stattgehabten Berathungen" von Adolph Frentzel (S. 171-193), und als zweiter Anhang der „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" von Max Weber 45 (S. 194-212). Die Redebeiträge Max Webers wie sein Referat können als von ihm autorisiert gelten, da das Protokoll bzw. die stenographische Mitschrift jeweils
43 BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Empfangsbestätigung vom 18. Jan. 1897 über 600 Exemplare, Bl. 171. 44 Max Weber und Adolph Frentzel sollten bereits vor der Redaktionssitzung am 7. Dezember 1896 ein Exemplar der Verhandlungen für die Abfassung ihrer Schriftsätze zugeschickt bekommen. 45 Unten, S. 744-776.
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am nächsten Vormittag zwecks Einsicht und Korrektur ausgelegt worden sind. 4 6 Zu den Beratungen der Subkommission am 24. und 25. November 1896 war kein Stenograph oder Protokollant hinzugezogen worden. Max Weber hat sich für die Abfassung seines Referats vermutlich Notizen gemacht. Weder seine Notizen, noch sein Referat, das der Stenograph wegen Webers unleserlicher Hand beim Vortrag mitschreiben mußte, 47 sind überliefert. Max Weber nennt in seinem „Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen", unten, S. 6 9 7 - 7 1 0 , die Mitglieder der Kommission und die Regierungsbeamten, die an den Sitzungen teilnahmen, nicht namentlich, da sie keine persönlichen Ansichten, sondern Interessengruppen bzw. Institutionen vertraten. Aber auch diese nennt Weber nur teilweise. Häufig verwendet er Redewendungen wie „die eine Seite", „die andere Seite", „eine dritte Ansicht" etc., so daß nicht einmal die Interessenvertretung deutlich wird. Da kein Protokoll geführt wurde, das Aufschluß geben könnte, wer im einzelnen sich jeweils hinter einer Stellungnahme der drei Vertreter der Börseninteressen, der beiden Vertreter des Reichsamts des Innern sowie den beiden Vertretern des Landwirtschaftsministeriums resp. der landwirtschaftlichen Verwaltung verbirgt, bleibt dies in der Regel ebenso offen wie bei Webers Hinweisen auf die eine oder andere Seite. 48 Ist eine Auflösung möglich, weil ein Mitglied oder Beamter sich im Anschluß an Webers Referat zu dem dort Gesagten bekannte oder seine Stellungnahme später im Plenum des Ausschusses wiederholte, dann wird dies im Anmerkungsapparat vermerkt. 4 9 Bei den identifizierbaren Alleinvertretern erfolgt hingegen nicht jedes Mal, sondern nur bei der ersten Nennung ein Hinweis. Dies sind der Vertreter des Bundesrats: Unterstaatssekretär Anton Rothe, der Vertreter des Deutschen Landwirtschaftsrats: Max Freiherr von Soden-Fraunhofen, der Vertreter der Müllerei: Joseph Johann van den Wyngaert sowie der Vertreter des preußischen Handelsministeriums: Adolf Wendelstadt. Die im Anhang zum Editorischen Bericht aus den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S.671f., wiedergegebene Mitgliederliste gibt Auskunft über Beruf und Status der Mitglieder und somit Auskunft über ihre Zugehörigkeit zu einer Interessengruppe. Bei den Handelsinteressenten ist seinerzeit vermerkt worden, welche Börsenorganisation ihren Vertreter vorgeschlagen hatte. Bei der anderen Hälfte der Mitglieder
46 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 23, 63 und 76. 47 Vgl. Webers Bemerkung anläßlich seines Referats, unten, S.697. 48 Dabei ist freilich nicht ausgeschlossen, daß Max Weber die Wortmeldungen mehrerer Mitglieder oder Beamter zu einer Aussage einer Interessengruppe zusammenfaßt, wie er dies gelegentlich auch für verschiedene Interessenten tut. 49 Im Plenum wurde über das in der Kommission noch besprochene Thema „Nachrichtenwesen" nicht mehr debattiert, so daß hier eine Auflösung gar nicht möglich ist.
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wurde dieser Hinweis im Anmerkungsapparat nach den Berufungsakten des Reichsministeriums des Innern ergänzt. Die Edition präsentiert Max Webers Redebeiträge und sein Referat nicht als selbständige Texte. Sie sind nur im Kontext der Beratungen zu verstehen. Den Zusammenhang mit Webers Reden stellt der Herausgeber sowohl mit Regesten als auch mit Auszügen der wörtlichen Rede anderer Redner her. In der gleichen Weise werden auch die Reaktionen auf Webers Wortmeldungen dokumentiert. Die Redebeiträge Max Webers sind mit einer Ausnahme vollständig abgedruckt. Ausgelassen wurde, als er seinen Antrag begründen sollte, seine Bemerkung (A 241): „Ich verzichte für jetzt. Ich hatte eine irrthümliche Fassung meines Antrags zu berichtigen." Ferner ist ein Einwurf Max Webers nur im Anmerkungsapparat vermerkt. 50 Die Edition gibt die Rede der übrigen Ausschußmitglieder sowie die zusätzlichen Bemerkungen der Stenographen in einer kleineren Schrift wieder. In den Zwischentexten des Herausgebers sind die Namen derjenigen Ausschußmitglieder, deren Reden nur indirekt wiedergegeben sind, in kursiver Schrift eingeführt. Die stenographischen Aufzeichnungen sind zweispaltig gedruckt. Bei wörtlich wiedergegebenen Redebeiträgen ist im Text der Seiten- und Spaltenwechsel durch einen senkrechten Strich gekennzeichnet. Am Seitenrand erfolgt zu Beginn der Wiedergabe längerer und langer Reden die Angabe der Originalseite und der Spalte: A 00 l[inke Spalte], wenn der Beginn der Rede mit dem Seitenanfang identisch ist. Ist der Beginn einer Rede nicht mit dem Seitenanfang identisch, so erfolgt am Seitenrand der Hinweis auf die Originalseite in eckigen Klammern: [A 00 I] oder [A 00 r]. Bei den Originalüberschriften, die in A zentriert gesetzt sind, sowie bei den vom Herausgeber eingesetzten Zwischenüberschriften sind am Seitenrand die Seitennachweise gleichfalls angegeben: A 00. Ein Seitennachweis bei den Regesten ist nicht möglich und erfolgt daher nicht. Ein volles Verständnis des Textes erfordert die Kenntnis der Dokumente, die dem provisorischen Börsenausschuß zur Behandlung vorgelegen haben und auf die in den Reden nur mit Hinweis auf die Paragraphen oder Abschnitte Bezug genommen wird. Der vom Bundesrat vorgelegte Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel (Regierungsvorlage), die Denkschrift des Bundes der Landwirte und die Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats sind deshalb im Anhang als Nr. 7, 8 und 9 abgedruckt. 5 1 Wiederholt beziehen sich die Mitglieder auf einzelne Paragraphen des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896. Ihr Inhalt ist in der Herausgeberrede nicht wiedergegeben, weil das Börsenge-
50 Unten, S. 690 mit Anm. 18. 51 Unten, S. 993-999, 1000-1006 und 1007-1009.
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setz im Anhang als Nr. 6 gleichfalls abgedruckt ist. 52 Die für die Rechtstitel von Max Weber verwendeten oder vom Herausgeber eingeführten Kurztitel sind im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur aufgelöst.
52 Unten, S. 975-992.
Anhang zum Editorischen Bericht Namen-Verzeichnis der Mitglieder des provisorischen Börsenauschusses1 1. Jean Andrae, Mitglied der Handelskammer in Frankfurt a. M., vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Frankfurt a. M. 2. Graf von Arnim, Besitzer der Standesherrschaft Muskau auf Muskau. 2 3. Wilhelm Finck, Kommerzienrath in München, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in München. 4. Adolf Emil Frentzel, Geheimer Kommerzienrath in Berlin. 3 5. Hermann Frese, Mitglied der Handelskammer in Bremen, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Bremen. 6. Gamp, Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath a. D. in Berlin. 4 7. Haker, Geheimer Kommerzienrath und Obervorsteher der Kaufmannschaft in Stettin, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Stettin. 8. Theodor Haßler, Kommerzienrath, Reichsrat der Krone Bayern in Augsburg. 5 9. Herz, Geheimer Kommerzienrath, Präsident des Ältestenkollegiums der Kaufmannschaft von Berlin in Berlin, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Berlin. 10. Siegmund Hinrichsen, Mitglied der Handelskammer in Hamburg, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Hamburg. 11. Eduard Jaunez, Guts- und Fabrikbesitzer, Präsident des elsaß-lothringischen Landwirthschaftsraths in Saargemünd, in Elsaß-Lothringen. 6 12. Kaempf, Stadtrath, Erster Vizepräsident des Ältestenkollegiums der Kaufmannschaft von Berlin in Berlin, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Berlin. 13. Graf von Kunitz, Rittergutsbesitzer auf Podangen bei Wormditt in Ostpreußen. 7 14. Hermann Klein, Präsident des badischen Landwirthschaftsraths in Wertheim in Baden. 8 15. Dr. Karl Kolbe, Mitinhaber der chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul im Königreich Sachsen. 9 16. Dr. Lexis, Professor in Göttingen. 1 0 17. M[oritz] Lyon, Bankdirektor in Breslau, vorgeschlagen von der Börsenorganisation Breslau. 18. Fritz Mayer, in Firma Frege & Co., Vorsitzender des Börsenvorstandes in Leipzig, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Leipzig. 19. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, Geheimer Kommerzienrath in Berlin. 1 1
1 Entnommen: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, 2 Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers. 3 Auf Vorschlag des preußischen Handelsministers. 4 Vom Bundesrat direkt ernannt. 5 Auf Vorschlag Bayerns. 6 Auf Vorschlag Elsaß-Lothringens. 7 Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers. 8 Auf Vorschlag Badens. 9 Auf Vorschlag Sachsens. 10 Vom Bundesrat direkt ernannt. 11 Auf Vorschlag des preußischen Handelsministers.
S. 3.
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Verhandlungen
des provisorischen
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20. Alfred Michahelles, Mitglied der Handelskammer in Hamburg, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Hamburg. 21. A[lexander] von Pflaum, Geheimer Kommerzienrath in Stuttgart, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Stuttgart. 22. Franz Schröter, Geheimer Kommerzienrath, zweiter Beisitzer des Vorsteheramts der Kaufmannschaft in Königsberg i. Pr., vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Königsberg i. Pr. 23. Graf von Schwerin-Löwitz, Rittergutsbesitzer auf Löwitz in Pommern. 12 24. Moritz Seligmann, Bankier in Cöln a. Rh., vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Cöln a. Rh. 25. Freiherr Max von Soden-Fraunhofen, Reichsrath der Krone Bayern, Präsident des bayerischen Landwirthschaftsraths in München. 13 26. Dr. Max Weber, Professor in Freiburg i. Brsg. 14 27. Winkelmann, Ökonomierath auf Haus Köbbing bei Hiltrup im Regierungsbezirk Münster. 15 28. van den Wyngaert, Direktor, Vorsitzender des Verbandes deutscher Müllerin Berlin. 16 29. Wilhelm Zeiler, Direktor der rheinischen Kreditbank in Mannheim in Baden, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Mannheim. 30. Wilhelm Zuckschwerdt, in Firma Zuckschwerdt & Beucher in Magdeburg, vorgeschlagen von der Börsenorganisation in Magdeburg.
12 13 14 15 16
Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers. Auf Vorschlag Bayerns. Vom Bundesrat direkt ernannt. Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers. Vom Bundesrat direkt ernannt.
Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit v o m 19. bis 26. November 1896
A1
[1. Verhandlungstag, 19. November 1896]
A 17
Die Versammlung wurde durch Staatsminister Dr. von Boetticher eröffnet. Sie wählte Wilhelm Herz zum Vorsitzenden. Nach längerer Erörterung einigte sich die Versammlung, von einer Beratung des vom Bundesrat vorgelegten Entwurfs einer Geschäftsordnung abzusehen, denselben aber als Grundlage für die Verhandlungen anzunehmen. Für die weiteren Sitzungen sollten Stenographen hinzugezogen werden. Sodann wurde die Beratung des vom Bundesrat erarbeiteten „Entwurfs von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel" aufgenommen. 1 Zu § 1 Abs. 1 der Regierungsvorlage beantragten Adolph Frentzel und Johannes Kaempf, den Mindestbetrag für die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel für die Börsen von Frankfurt a. M., Hamburg und Berlin gleichmäßig auf eine Million Mark herabzusetzen.
Die Herren Weber und Lexis befürworteten den Antrag Frentzel-Kaempf.
Ersterer sprach sich gegen die Protektion der kleineren Börsen überhaupt aus und erklärte das Aufsaugen derselben durch die großen Börsenplätze für sozialpolitisch keineswegs unerwünscht [...]. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. An der folgenden Diskussion über § 1 Abs. 2 und 3 der Regierungsvorlage beteiligte sich Max Weber nicht.
1 Der Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel (Regierungsvorlage) ist unten, S. 993-999, abgedruckt.
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Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
[2. Verhandlungstag, 20. November 1896] Beginn: 10.30 Uhr Schluß gegen 17.45 Uhr Nach einer Diskussion, ob der Verlauf und die Ergebnisse der Beratungen geheim zu halten seien, wird die Aussprache über § 2 der Regierungsvorlage eröffnet. Hierzu liegen Anträge von Jean Andreae, Max Weber und Karl Gamp vor. Der Antrag von Max Weber lautet:
[A 23 r]
„Der hohe Bundesrath wolle erwägen, inwieweit es nach Lage der Gesetzgebung möglich ist, zu verhindern: a) den Vertrieb ausländischer an keiner inländischen Börse zugelassener Werthpapiere an Nichtkaufleute im Inlande; b) die Veröffentlichung von Prospekten über ausländische nicht 5 zugelassene Werthpapiere in deutschen Zeitungen oder ihre Verbreitung durch Cirkular an Nichtkaufleute; c) die Veröffentlichung von Kursnotizen über die gedachten Werthpapiere, über den Preisstand an auswärtigen Börsen, soweit der Handel in diesen Papieren daselbst spekulativen 10 Charakters ist, und die Verbreitung solcher Notizen durch Cirkular an Nichtkaufleute. Soweit die bestehende Gesetzgebung eine Handhabe für ein solches Verbot nicht bietet, wolle der Bundesrath die zweckentsprechende Abänderung der Gesetzgebung in Erwägung ziehen." 15 Karl Gamp bittet zur Geschäftsordnung, „die Anträge" von Max Weber besonders zu behandeln. Es folgt eine Aussprache über die Anträge von Jean Andreae und Karl Gamp. Gamp will, daß § 2 Bestimmungen allein über die Emissionen von ausländischen Aktiengesellschaften, dann aber auch über Mindestausgabebeträge von Schuldverschreibungen enthält. In der Diskussion ergreift auch Max Weber das Wort:
[A 311]
Meine Herren, es ist ja mißlich für einen Theoretiker, sich mit gewissen Ausführungen der Herren, die praktisch an der Börse thätig sind, in Widerspruch zu setzen. Allein trotz meiner Übereinstimmung im praktischen gegenwärtigen Endergebniß mit Herrn Stadtrath Kaempf 2 möchte ich mir doch an ihn angesichts seiner Bemer- 20 2 Johannes Kaempf hatte auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Papiere im Besitz deutscher Anleger hingewiesen. Er beantragte, den Bundesrat zu ersu-
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kung, daß die Ausführung der Wünsche des Herrn Geheimraths Gamp zu einer Schmälerung der Stellung der deutschen Börsen zu Gunsten der ausländischen führen müsse, die Frage erlauben: Kompensirt sich das nicht einigermaßen dadurch, daß die Grün5 düngen von Deutschland ins Ausland gehen werden, z. B. an die Baseler Börse, und daß die mit Hülfe der Baseler Banken und der Baseler Börse gegründeten Unternehmungen auch da, wo die Stückbeträge dem deutschen Aktiengesetze nicht entsprechen,3 dennoch und eben weil sie an ausländischen Börsen emittirt sind, 10 auch an jeder deutschen Börse zugelassen werden könnten? Die spekulativen und sonstigen Offerten von Papieren von Basel aus - um bei dem Beispiel zu bleiben - nach Deutschland sind nach meinen persönlichen Erfahrungen in starker Zunahme begriffen und das wird weiter der Fall sein. 15 Ich würde also auf Grund dieser Ausführungen sehr gern dem Antrage des Herrn Gamp zustimmen, den Absatz 34 zu streichen, oder wenigstens eine Fassung zu wählen, welche nur die thatsächlich international arbitragirten Effekten ausnehmen würde. Aber ich kann das deshalb nicht und werde für die Vorlage stimmen, weil 20 meines Erachtens mit vollem Recht von Herrn Stadtrath Kaempf, dem ich nur voll zustimmen kann, ausgeführt worden ist, daß bei der Regelung des Zulassungswesens speziell in Bezug auf ausländische Papiere neben dem Zweck der Fernhaltung ungeeigneter Papiere doch auch der andere nicht zu kurz kommen darf, das Licht 25 der Öffentlichkeit über diejenigen ausländischen Papiere zu verbreiten, die nun | einmal thatsächlich und dauernd vorhanden, all- A 31 r gemein im Besitze des deutschen Kapitalisten sich befinden. Solche Papiere giebt es nach den historischen Antezedenzien des deutschen Papierbesitzes in ziemlicher Zahl, und auch die neu
chen, bezüglich des Mindestbetrages der einzelnen Stücke ausländischer Aktien und Obligationen die Bestimmungen mit den Vorschriften der ausländischen Gesetzgebung in Einklang zu bringen. 3 In der Novelle des deutschen Aktiengesetzes vom 18. Juli 1884 wurde bei Aktien ein Mindeststückbetrag von 1000 Mark vorgeschrieben. In der Schweiz war dagegen der Mindeststückbetrag nicht normiert. 4 Gemeint ist § 2 Abs. 3 der Regierungsvorlage.
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emittirten Papiere der gleichen Kategorie werden in diesen Besitz gelangen. Nicht vom Prospektenzwang, nicht von allen möglichen Einschränkungen der Zulassung zum Handel 5 verspreche ich mir deshalb irgend etwas, was zum Schutze des Publikums dienen kann, sondern allein von Maßnahmen, welche dahin führen würden, die ausländischen Papiere, die in den Besitz der deutschen Kapitalisten thatsächlich gelangen, durch die Hände deutscher Emissionshäuser und durch die deutschen Zulassungsstellen hindurchzuleiten, oder doch wenigstens einen Zwang, einen Druck nach dieser Richtung hin auszuüben, diese Papiere der Prüfung dieser Stellen zu unterbreiten. Ich habe in diesem Sinne ja, wie Sie sehen, einen Antrag gestellt, von dem es mir selbst ja wohl bekannt ist, daß ihm nach Lage der Gesetzgebung in dieser Art keine Folge gegeben werden kann. Ich habe ihn trotzdem gestellt, um anzudeuten, nach welcher Richtung sich ein Vorgehen, welches wirklich den Schutz des Publikums, und nicht ganz andere Erfolge erstrebt, zu bewegen haben würde. Weil ich aber weiß, daß dieser Weg nicht beschritten werden wird, zum Theil nicht beschritten werden kann, deshalb kann ich nicht einer Maßregel zustimmen, die gegenwärtig nur dazu dienen würde, den Kreis derjenigen ausländischen Werthpapiere, die sich massenhaft im Besitz deutscher Kapitalisten befinden und trotzdem nicht an den deutschen Börsen zugelassen sind und notirt werden, zu erweitern.
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Nach weiteren Wortmeldungen wird die Debatte über § 2 der Regierungsvorlage abgeschlossen. Die Änderungsanträge werden abgelehnt bzw. zurückgezogen. § 2 der Regierungsvorlage wird unverändert angenommen. Der Vorsitzende Wilhelm Herz kommt sodann auf Max Webers Antrag, der nochmals verlesen wird, zurück. [A 33 I]
Vorsitzender: Ich glaube, in eine Diskussion über diesen A n t r a g brauchen wir nicht mehr einzutreten. Ich würde dem Herrn Antragsteller noch das Wort geben. Wollen die H e r r e n darüber in eine Diskussion eintreten? Herr Gamp: Ja, wenn der A n t r a g begründet wird und nicht z u r ü c k g e z o g e n wird, dann wird es w o h l nöthig sein.
Herr Weber: Meine Herren, ich habe zunächst die Fassung dieses Antrages insofern zu berichtigen, als der erste Ausdruck unter a 25 5 Mit dem Börsengesetz vom 22. Juni 1896, das am 1. Januar 1897 in Kraft trat, wurde erstmals verbindlich die Veröffentlichung eines Prospektes vorgeschrieben. §38 BörsG. Weitere Beschränkungen für die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel sind in den §§36, 37, 39-47 enthalten. Das Börsengesetz ist unten, S. 975-992, abgedruckt; vgl. den Eintrag „Prospekt" im Glossar, unten, S. 1059.
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„Vertrieb" versehentlich von mir gebraucht ist. Ich bitte statt dessen zu lesen „öffentliche oder durch Cirkular erfolgende Offerte". Es richtet sich der Antrag keineswegs gegen jeden Vertrieb, also insbesondere nicht dagegen, daß ein deutscher Bankier einem Kunden meinetwegen eine Suezkanalaktie oder Ähnliches verkauft; sondern es richtet sich der Antrag lediglich gegen Offerten, die durch Cirkular mechanisch vervielfältigt oder in einer Zeitung nach dieser Richtung gemacht werden. Ich darf mich in der Begründung dieser Resolution so kurz wie möglich fassen. Ich habe dieselbe nämlich im Wesentlichen unter folgenden Gesichtspunkten gestellt. Erstens wollte ich im Anschluß daran an die Herren Vertreter der verbündeten Regierungen eine Anfrage stellen können, die Frage nämlich, ob irgend welche Erwägungen nach der Richtung, in der | sich diese Resolution A 33 r bewegt, über die Frage also der Behandlung ausländischer, an deutschen Börsen nicht emittirter Papiere schon stattgefunden haben und, falls sie stattgefunden haben, soweit das für zulässig erachtet würde, mit welchem Ergebniß? Sofern diese Anfrage bejahend beantwortet werden kann, also dahin, daß solche Erwägungen stattgefunden haben und irgend ein positiver Vorschlag zu gewärtigen ist, werde ich den Antrag auf diese Resolution alsbald zurückziehen. - Zweitens bin ich mir selbstverständlich darüber klar gewesen, daß die gegenwärtige Gesetzgebung im Wesentlichen es nicht zuläßt, daß dem Antrag stattgegeben wird. Und ferner bin ich, wie ich betonen möchte, durchaus nicht der Meinung, daß alle in der Resolution aufgeführten Maßnahmen in dieser Art erwünscht und möglich seien. Was ich mit ihrer Aufnahme in den Text der Resolution bezweckte, war Folgendes: Daß die Unterdrükkung der außerbörslichen Einführung fremder Papiere technisch nicht ganz ausgeschlossen ist, so groß die Schwierigkeiten auch sein mögen, scheint mir durch das ja an sich nicht gerade sehr empfehlenswerthe Beispiel der Behandlung fremder Lotterien dargethan zu sein. 6 Daß jener Handel nicht erwünscht ist, ist zweifellos, und es
6 Das Lotteriespiel war, weil es in volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht Bedenken erregte, entweder verboten - so z. B. in Bayern - oder einer Staatslotterie vorbehalten. In Preußen war das Spielen, der Losverkauf und die Veröffentlichung der Gewinnergebnisse außerpreußischer Lotterien verboten. Zuwiderhandlung war mit hohen Geldstrafen bedroht.
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wird das wohl am lebhaftesten von den Herren Vertretern der Börse empfunden werden, da alle Ausführungen bei der Debatte eben in der gleichen Richtung sich bewegt haben, speziell sowohl die des Herrn Geheimraths Frentzel als des Herrn Stadtraths Kaempf gerade den Gesichtspunkt hervorgehoben haben,7 den ich für vollständig zutreffend halte, daß es darauf ankommt, in erster Linie in den Händen des deutschen Kapitalisten thunlichst nur solche Papiere sich befinden zu lassen, deren Bewerthung durch deutsche Börsen erfolgt. Zeigt sich nun aber - was ich für sehr wahrscheinlich halte - , daß von Seiten des Börsenausschusses und der Herren Regierungsvertreter die Beschreitung des in meiner Resolution angegebenen Weges für unthunlich gehalten wird, so wird die für meine weitere Haltung gegenüber den geplanten Einschränkungen der deutschen Emissionen insbesondere bezüglich fremder Papiere seine Konsequenzen haben. Und diese Feststellung - die Ermittelung - , ob wirklich ein ernstlicher Schutz der deutschen Kapitalisten vor fremden schlechten Papieren für möglich gehalten wird, war der wesentliche Grund, weshalb ich die Resolution formulirte. Ich darf mich wohl auf diese allgemeinen Bemerkungen beschränken. Herr Rothe: Meine Herren, zunächst darf ich wohl die Bemerkung machen, daß die hohe Versammlung eingeladen ist, um auf Fragen der Reichsregierung zu antworten (Heiterkeit), aber nicht, um Fragen zu stellen (Sehr richtig!), die beantwortet werden sollen. Indessen, da der Herr Antragsteller sich bereit erklärt, seinen Antrag zurückzuziehen, falls seine Anfrage beantwortet wird, bin ich gern erbötig, das zu thun, da die Antwort sehr kurz lauten kann, nämlich: Nein. (Heiterkeit.) Vorsitzender: Würden Sie also jetzt Ihren Antrag zurückziehen, Herr Professor Weber? D a s würde uns sehr viel Zeit ersparen.
Herr Weber: Ich bin zu einer Zurückziehung bei der verneinenden Antwort nicht in der Lage. Gegen Webers Antrag sprechen Hermann Frese und Karl Gamp. Herr Frese: Herr Professor Weber hat selbst vorhin die Nützlichkeit des Lichtes der Öffentlichkeit hervorgehoben, und hier will er diese Öffentlichkeit wieder beseitigen, indem also den Zeitungen und auch den betreffenden Leuten, die diese Papiere verbreiten, verboten werden soll, durch A n n o n c e n 7 Die Äußerungen von Adolph Frentzel und Johannes Kaempf, die Max Weber im folgenden wiedergibt, finden sich in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 28 und 30.
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oder durch Zirkulare ein Angebot dieser betreffenden Papiere herbeizuführen. Nun stoße ich zunächst auf die Definition, auf die Bezeichnung, ob es möglich ist, das Wort „Nichtkauflaute" richtig zu definiren. Was soll hiermit gesagt sein? Ich kann mir Leute, die nicht in das Handelsregister eingetragen sind, vorstellen, die doch eine ganze Reihe von kaufmännischen Geschäften betreiben. Oder will Herr Professor Weber alle Leute, die nun als Kapitalisten ihr Geld anlegen möchten, es aber, weil sie nicht Kaufleute sind, nach dieser Resolution nicht thun dürfen, zwingen, sich | ins Handelsregister ein- A 341 tragen zu lassen? Dann heißt es ferner: die Veröffentlichung der Prospekte solle verboten werden. Ja, meine Herren, man kann doch derartige Prospekte auch in ausländischen Zeitungen lesen. (Sehr richtig!) Sodann befürchtet Hermann Frese, daß vor allem nordamerikanische Papiere von den ins Auge gefaßten Maßnahmen betroffen wären und die amerikanische Handelspolitik zu Repressalien herausgefordert würde. In seiner Stellungnahme weist auch Karl Gamp auf die Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich des von Max Weber verwendeten Begriffs „Nichtkaufleute" hin, kritisiert das angesprochene Verbot von Notizen über den Kurs ausländischer Wertpapiere, moniert die Unklarheit des Begriffs „nicht zugelassene Wertpapiere" und fährt fort:
[...] es soll nicht durch öffentliche Anzeigen oder private Zirkulare offe- [A 34 r] rirt werden. Ja, wenn nun ein Bankhaus eine französische Zeitung übersendet, in der der Kursbericht enthalten ist - die französischen Zeitungen hier in Deutschland sind natürlich gestattet; die wird ja auch Herr Professor Weber nicht unterdrücken wollen - oder wenn das Bankhaus einen Zeitungsausschnitt aufklebt und den übersendet, so ist das genau dasselbe, als ob sie ein Zirkular drucken, nur mit französischen Lettern, statt mit deutschen Lettern. Ich glaube, dieser Gedanke bedarf wirklich noch der sehr erheblichen technischen und wirthschaftlichen Durcharbeitung, um in einer Form vorgebracht zu werden, die den Antrag annehmbar erscheinen läßt. Als der Vorsitzende Wilhelm Herz nach Schluß der Debatte im Begriff ist, Max Webers Antrag zur Abstimmung zu stellen:
Herr Weber (einfallend): Darf ich das Schlußwort haben? Vorsitzender: Herr Professor Dr. Weber hat das Wort. Herr Weber: Ich will mich beim Schlußwort selbstverständlich sehr kurz fassen. Ich erlaube mir nur, Herrn Frese zu fragen, ob Annoncen und Cirkulare, die er uns als Beispiele der „Öffentlich5 keit" darstellt, eine sehr erwünschte Form der Öffentlichkeit darstellen^ und darauf hinzuweisen, daß ich unter „Nichtkaufleuten" solche gemeint habe, die nicht ins Handelsregister eingetragen sind, und dabei berücksichtigt habe, daß die Brauchbarkeit des Handelsregisters für diese Scheidung des Berufshändlers vom „Pu10 blikum" durch die neue Gesetzgebung ganz wesentlich gehoben
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ist.8 Wenn er ferner, ebenso wie Herr Geheimrath Gamp, darauf hingewiesen hat, daß ausländische Zeitungen diese Mittheilungen bringen können - ja, meine Herren, derjenige Kapitalist, der ausländische Zeitungen studirt, zu dem Zweck, um sich die Frage zu beantworten, ob er bestimmte ausländische Papiere kaufen solle, der mag die Papiere kaufen. Aber denjenigen kleinen Kapitalisten, welcher eben keine ausländischen, wohl aber deutsche Zeitungen liest, und der jetzt durch Zirkulare bombardirt wird, und die von den deutschen Börsen ausgeschlossenen Papiere durch deutsche Zeitungen empfohlen und annoncirt erhält und durch deutsche Zeitungen über die Kurse an den Börsen außerhalb der politischen Grenzen informirt wird, den wünsche ich zu schützen. Ich habe ferner erwähnt, daß die Veröffentlichung von Kursnotizen über diese Papiere nur dann verboten sein soll, wenn der Handel in diesen Papieren spekulativen Charakters ist. Mein Zweck ist gerade, einen indirekten Zwang zur Emission der ausländischen Papiere an deutschen Börsen herbeizuführen. Ich bin auch der Meinung, daß die Gesetzgebung in Zukunft die ungefähre Richtung dieses Antrages wird einschlagen müssen, wenn sie wirklich den Schutz des inländischen Kapitalisten sich zum Ziel setzt. Denn ich kann nur wiederholen: von allen den Einschränkungen des deutschen Emissionsgeschäfts verspreche ich mir nichts weiter als eine Vermehrung des jetzt schon kolossalen, Hunderte von Millionen importirenden Schleichhandels in ausländischen Papieren, nicht aber eine Verhinderung des Eindringens dieser Papiere in den Besitz der deutschen, und zwar auch der kleinen Kapitalisten. Im Übrigen sehe ich von allen weiteren sachlichen Erörterungen ab und stelle lediglich fest, daß der Versuch einer Erfassung auch der außerbörslichen Einführung fremder Papiere nicht in Aussicht A 351 steht, auch von keiner Seite | irgend ein nach dieser Richtung zielender Versuch Unterstützung findet. In der A b s t i m m u n g w i r d der A n t r a g von Max W e b e r a b g e l e h n t . In der Diskussion über § 3 A b s . 1 Ziffer 2 der R e g i e r u n g s v o r l a g e legt
Wilhelm
Lexis im Hinblick auf die erwartete Vielzahl v o n A u s n a h m e n , w e l c h e n a c h § 3 8 Max Weber bezieht sich auf den 1896 vorgelegten Entwurf eines Handelsgesetzbuchs. Im Ersten und Zweiten Abschnitt des Ersten Buchs über „Kaufleute und Handelsregister" wird der rechtliche Status des Kaufmanns definiert. Dagegen sagten die Bestimmungen im noch geltenden HGB über das Handelsregister nichts über die Kaufmannsqualität aus. Das HGB leitet aus der Definition der Handelsgeschäfte den Begriff Kaufmann ab.
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Abs. 2 von der Zulassungsstelle zu bewilligen wären, die Streichung nahe. Eine solche wird anschließend von Ernst von Mendelssohn-Bartholdy beantragt. Umstritten ist die Ratsamkeit und Praktikabilität der Bestimmung vornehmlich bei ausländischen Wertpapieren, deren Währung nicht in einer festen Parität zur (Gold-)Mark stehen und bei denen der Emittent oder die Zulassungsstelle einen fixen Umrechnungskurs festzulegen hätten. Geheimrat Adolph Frentzel erläutert das Problem anhand eines Beispiels:
Ich meine, die Sache liegt so: ein Staat, der ein Schuldner ist, sagt in sei- [A 43 I] nem Schulddokument - ich will auf Rußland exemplifiziren - ich schulde Dir 1000 Kreditrubel 9 und weiter nichts, oder er sagt, ich schulde Dir 1000 Kreditrubel, Du kannst aber wählen, ob Du dafür nach einer Umrechnung von, ich will einmal sagen, 200 Prozent 2000 Reichsmark, oder nach einer Umrechnung von 250 Prozent 2500 Francs oder so und so viel Pfund Sterling haben willst. Wenn er dieses in dem Dokument sagt, dann wird allerdings für den Besitzer eines solchen Papiers die Schwankung des russischen Rubelkurses ausgeschlossen, denn er hat ein Schuldanerkenntniß, bei dem er die Valuta wählen kann. | [...] Es sind aus dem Vorgetragenen eigentlich A 43 r wenig Schlüsse zu ziehen. Die ganze Sache hängt davon ab: wie weit wird das deutsche Kapital sich bereit finden lassen und Willens sein, sein Geld in ausländischen Anleihen anzulegen, wie weit wird das deutsche Kapital einen Vortheil oder Nachtheil davon haben, wenn das eine oder das andere geschieht, d. h. wenn man es also beschränkt auf Papiere, die nur in deutscher 3 Währung oder in fremder und deutscher Währung lauten. Das letztere würde ja immer das Vortheilhaftere sein. Die rein deutsche Währung ist ja nur eins, während im andern Falle der Inhaber des Kapitals die Wahl hat. Das wird ihm also eigentlich einen gewissen Vortheil gewähren, denn wenn der Kurs in London oder irgendwo sich günstig gestaltet, dann fordert er, obgleich er Mark kriegen könnte, Pfund Sterling; denn wenn er sich das umrechnet, hat er ein paar Mark mehr bekommen. Ich meine: ich lege darauf kein rechtes Gewicht, sondern ich lege darauf Gewicht, was der Herr Kollege von Mendelssohn gesagt hat, daß wir hier ausdrücken wollen: die nothwendigen Ausnahmen, die die Zulassungsstelle nach dieser Richtung hin wird machen müssen, werden wahrscheinlich so zahlreich sein, daß man sagen muß: ja, hat denn diesen zahlreichen nothwendigen Ausnahmen gegenüber dieser Absatz 2 noch eine Bedeutung? Das ist mehr eine praktische Frage. Ich glaube beinahe, daß man sich ruhig dahin entscheiden kann, daß man die Nummer 2 streicht. Ich glaube, sie wird so wie so durch die Ausnaha A: deutsche 9 Der Wert des Rubel vor dem Übergang Rußlands zur Goldwährung (1899) hing wesentlich von der Menge des durch die russische Notenbank im Wege des Kredits an Staat und Wirtschaft in Umlauf gebrachten Papiergeldes ab.
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men hinfällig werden, daß man eigentlich sagt, sie bildet nicht mehr die Regel, sondern sie trifft nur die Ausnahmefälle.
Herr Weber: Zu dem Letzten möchte ich nur bemerken, daß in den Bedingungen, in den alten Voraussetzungen der Berliner Börse ausdrücklich steht: Auswärtige Werthpapiere sollen in der Regel etc.10 - Das Übrige, was ich sagen wollte, hat im Wesentlichen bereits Herr Geheimrath Frentzel gesagt. Es scheint sich mir bei der Nummer 2 um eine Bestimmung von wenigstens möglicherweise sehr großer Tragweite zu handeln, weil man damit doch nur meinen kann und will - denn sonst muß man sie viel unzweideutiger fassen: in Zukunft wollen wir an deutschen Börsen nur fremde Anleihen zulassen, die auf deutschem Goldstandard aufgebaut sind, dem deutschen Gläubiger nach dessen Wahl in deutscher Währung zahlbar sind. Ist etwas Anderes gemeint, so muß es gesagt werden, denn sonst mengt man zweierlei ganz verschiedene Dinge durcheinander, die von einander geschieden werden müssen. Worum es sich praktisch handelt, ist ja erinnerlich aus den früheren österreichischen Kuponprozessen. Es kann die Bestimmung sub 2 nur bedeuten, daß man an deutschen Börsen künftig nur Anleihen haben will, bei denen das beseitigt ist, was die österreichischen Eisenbahnen sich damals zu thun für berechtigt geglaubt haben, nämlich, trotzdem da stand: Ein Gulden gleich 20 Silbergroschen, doch die Zahlung auf den Fuß des deutschen Kurants zu verweigern.11 Wie wird sich das nun in der Praxis bezüglich des Verhältnisses von Regel
10 Max Weber korrigiert hier, ohne ihn zu nennen, Adolf Wermuth, der bezüglich der Leitenden Gesichtspunkte, Fassung November 1894 ausgeführt hatte, „daß die Werthpapiere, .soweit thunlich', auf deutsche oder auf diese und eine andere Währung lauten sollen." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 42. Der Satz der Leitenden Gesichtspunkte, Fassung November 1894 lautet vollständig: „Ausländische Werthpapiere sollen in der Regel auch auf deutsche Währung lauten." Diese bis dahin letzte Fassung der Leitenden Gesichtspunkte der Berliner Fondsbörse war durch das Börsengesetz vom 22. Juni 1896 zum Teil überholt. 11 Als in Deutschland die Einführung des Goldstandards diskutiert wurde, gingen im Frühjahr 1874 einige österreichisch-ungarische Eisenbahngesellschaften dazu über, die Zinsscheine ihrer Prioritäten nur noch in österreichischen Silbergulden auszuzahlen, obwohl sie die Auszahlung der Zinsen an deutschen Plätzen in süddeutschen (Silber-)Gulden und (Silber-)Talern zugesagt hatten. Mit der Einführung der Goldwährung verminderten sich die Zinseinnahmen der deutschen Kouponinhaber deutlich. Bis in die 1880er Jahre wurden Prozesse (Kouponprozesse) gegen die Eisenbahngesellschaften angestrengt. Geklagt wurde auf Auszahlung in deutscher Silbermünze, die im Gegensatz zum österreichischen Gulden im festen Wechselverhältnis zur (Gold-)Mark stand.
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und Ausnahme stellen? Bei großen Staaten, wie Rußland etc. wird es keinem Zweifel unterliegen, daß gar keine Rede davon ist, daß man das wird durchsetzen können. (Herr Gamp: Es sind aber die meisten russischen Papiere auf mehrfache Währung ausgestellt!) Ja, aber darüber wird man ja einig sein, daß die Zukunft und die Vergangenheit Rußlands nicht identifizirt werden kann. Für die Zukunft wird es bei Rußland schlechterdings nicht durchzusetzen sein, daß es sich auf eine Schuld in deutscher Währung an deutsche Gläubiger einläßt. Ganz kleine und faule Zahler, die eine verfallene | Papier- A Währung etc. haben, aber coûte que coûte Anleihen an deutschen Börsen unterbringen müssen, werden natürlich dazu bereit sein, und es handelt sich vornehmlich um die Behandlung der Mittelkategorie. Ich glaube, daß da eine strenge Bestimmung, bei der dann nach Lage des Falles Ausnahmen gestattet werden, dazu dienen kann, daß man denen zunächst energisch mit dem Anspruch auf den Leib rückt, und ich weiß nicht, ich möchte das doch für soweit werthvoll halten, daß ich für diese Bestimmung unter 2 stimmen werde. Eine vielleicht einmal in absehbarer Zukunft praktische Seite hat die Sache, wenn meine Interpretation die richtige ist, nämlich, daß beim einseitigen Übergang eines Landes zur freien Silberprägung der deutsche Gläubiger gesichert ist, wofern diese Bestimmung dazu führt, daß ein Land sich das hat gefallen lassen ich stelle ganz dahin, ob die Tragweite eine sehr große ist. Herr von Mendelssohn: Meine Herren, ich bin doch in der Beziehung nicht ganz einer Meinung mit meinem geehrten Herrn Vorredner. Mein geehrter Herr Vorredner scheint anzunehmen, daß es die Absicht hierbei ist, das deutsche Publikum ausschließlich nur solche Papiere kaufen zu lassen, welche auch auf deutsche Währung lauten, während ich der Ansicht bin, daß es doch auch eine Masse sehr guter Papiere giebt, welche nicht die deutsche Währung enthalten und sie nicht enthalten können. Ich beziehe mich da auf das, was ich vorher gesagt habe. Wenn also z. B. Rußland oder Österreich, so lange sie nicht zur Goldwährung übergegangen sind,12 Renten in ihrer Landesvaluta emittiren, so wird man eben nicht verlangen können - denn es wäre eine Unmöglichkeit -, daß sie die ausländische Währung darin aufnehmen. Nun aber frage ich mich, ist es unter allen Umständen eine so schlechte Wahl für das deutsche Publikum, eine derartige Anleihe zu kaufen? In frü-
12 Die Goldwährung wurde in Rußland 1899 eingeführt. In Österreich war 1892 per Gesetz die Umstellung auf die Goldwährung bestimmt worden. Goldmünzen kamen jedoch bis 1898 kaum in den Verkehr.
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herer Zeit, wo die Aufnahme der Metallzahlung nicht so nahe bevorstand wie jetzt, machten viele Leute solche Anlagen, weil sie nicht allein bessere Zinsen bekamen, sondern außerdem noch Chancen zu verdienen hatten, wenn die Aufnahme der Baarzahlungen stattfand. Also weshalb will man solche Papiere, die man früher gehandelt hat, ausschließen (Zuruf: Ausnahmen!) resp. nur eine strenge Ausnahme zulassen? Das ist aber etwas, was ich gern vermeiden möchte, und daher mein Antrag. Herr Weber: Ich meine nur, jedenfalls muß dann doch - und deshalb habe ich meine Bemerkung gemacht - interpretirt werden, was man mit dem „auf deutsche Währung lautend" meint. Das ist eben zweierlei: Entweder es ist nur eine Interpretation: die österreichischen Eisenbahnen haben damals auch behauptet, das ist für die Dummen, die nicht wissen, was der Gulden werth ist, deswegen steht es darauf; oder aber es ist anders, und zwar so wie ich es ausführte, gemeint. Aber es muß doch wohl eine Übereinstimmung der Meinungen dieser Versammlung da sein, darüber, wie es eigentlich gemeint ist, wenn der Bundesrath über die Meinung der Versammlung informirt werden soll. Im Anschluß an Max Webers Ausführungen sichert Unterstaatssekretär Anton Rothe bei der weiteren Bearbeitung der Vorlage eine sorgfältige Prüfung der „theilweise sehr interessanten Gesichtspunkte" zu. In der anschließenden Abstimmung spricht sich eine knappe Mehrheit für die Beibehaltung von § 3 Abs. 1 Ziffer 2 aus. An der weiteren Debatte zu den §§ 3 und 4 der Regierungsvorlage beteiligt sich Max Weber nicht. Im Verlauf der Erörterung des § 5 der Regierungsvorlage sind Unklarheiten über das in Ziffer 2 Gemeinte Anlaß für eine längere Aussprache. Johannes Kaempf fragt Unterstaatssekretär Anton Rothe, was unter der Bezeichnung, „die Umstände, aus denen die Legitimation derjenigen, welche die Ausgabe veranlassen", zu verstehen sei. Unterstaatssekretär Anton Rothe sucht klarzustellen, daß damit die Berechtigung der Personen gemeint sei, welche die Zulassung beantragen. Als er dies anhand des Beispiels des Kämmerers einer Gemeinde erläutert, der durch einen rechtsgültigen Beschluß der Gemeindeorgane über die Begebung einer Anleihe legitimiert sein müsse, wird eingewendet, das seien nur die Personen, die die „Ausstellung" des Papiers veranlassen, nicht aber ihre „Ausgabe". Als eine Person, die die Ausgabe veranlaßt, könne man auch das Emissionshaus, welches die Anleihe an die Börse bringt, verstehen. Und dann könne sich die geforderte Legitimation auf die Vorlage des Übernahmevertrags zwischen Emittent und Schuldner beziehen. Rothe räumt ein, „daß der Ausdruck vielleicht nicht sehr glücklich gewählt ist und noch eine anderweitige Fassung vertragen würde."
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Nachdem auch Ernst von Mendelssohn-Bartholdy und Siegmund Hinrichsen ihre Deutung von Ziffer 2 vorgetragen haben, führt Max Weber aus:
Der einzig praktische Gegensatz ist doch, ob der Übernahmever- [A 531] trag vorgelegt werden muß oder nicht. Das soll unzweifelhaft nicht der Fall sein. Ist das nun nicht der Fall, dann ist, glaube ich, eine Legitimationsprüfung des Kämmerers etc. nicht weiter erforder5 lieh. Denn juristisch ist es meines Erachtens zweifellos, daß, wenn die Papiere formell korrekt sind, sofern sie alsdann nicht der betreffenden Kommune etc. geradezu entwendet sind, derjenige, der die Papiere in gutem Glauben von seiten des Emissionshauses erwirbt, deren Eigenthümer wird und also Gläubiger der betreffen10 den Kommune oder wer es ist. Es kann also dann doch die Legitimation des Kämmerers etc. nicht mehr in Frage kommen. In der weiteren Diskussion erwähnt Adolph Frentzel den Fall, daß ein Kleinaktionär nach gegenwärtiger Rechtslage die Zulassung an der Börse beantragen könne. Er plädiert für die Streichung des unklaren Ausdrucks. Nach Unterstaatssekretär Anton Rothe spricht neuerlich Max Weber:
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Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: es wird ja doch [A 54 i] nicht leicht vorkommen, daß jemand sagt: ich bringe hier als Vertreter der Stadt Berlin eine Anleihe an die Börse, sondern es pflegt gewöhnlich zu heißen: Auf Grund des vorstehenden Prospekts bringen wir etc. Das ist doch die Formel, die beinahe ausnahmslos gebraucht wird, soweit ein Emittent auftritt und in diesem Falle würde das Verlangen, sich zu legitimiren - sofern es sich nicht auf einen Übernahmevertrag richtet, den man aus irgend welchen anderen Gründen einsehen will - das Verlangen, daß die Legitimation des Kämmerers oder sonstigen Funktionärs vorgelegt werde dazu führen, daß man etwas rechtlich durchaus Unerhebliches prüfte, weil, sofern das Papier wirklich korrekt zustande gekommen ist, und es wird von einem Erwerber, vom Hause Mendelssöhn, erworben, dieser eben nach Artikel 306 des Handelsgesetzbuchs 13 Eigenthümer und also Gläubiger aus demselben wird, ganz gleichgültig ob dazwischen sich Personen geschoben haben, die aus irgend einem formalen Grunde nicht legitimirt gewesen sind. Thatsächlich handelt es sich also bei der ganzen Erörterung nicht um die Frage der Legitimationsprüfung, sondern es fragt sich, ob man das abschneiden will, daß jemand, der nicht Emittent des Pa13 Art. 306 HGB ist unten, S.996f., abgedruckt.
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p i e r s ist, d e r n u r e t w a s d a v o n in s e i n e m P o r t e f e u i l l e h a t , k o m m t u n d sagt: i c h b e a n t r a g e , d a ß d a s a n d e r B e r l i n e r B ö r s e n o t i r t w i r d . A 54 r D a s ist j e t z t z u l ä s s i g u n d soll w i e es s c h e i n t a u c h w o h l | b e s t e h e n b l e i b e n . (Rufe: Ja!) I n d i e s e m Fall m ü ß t e d i e s e r A b s a t z g e s t r i c h e n werden.
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Karl Gamp spricht sich gegen die Streichung des Absatzes aus. Er hält „es allerdings für einen nicht erwünschten Zustand, daß vielleicht gegen den ausdrücklichen Wunsch der Leiter eines Unternehmens, der Aktionäre, aus Spekulations- und Bankinteressen gewisse Aktien in den Kreis der Spekulation gezogen und an der Börse zur Notirung gebracht werden." Auch Johannes Kaempf spricht sich für die Streichung des zweiten Satzteils aus, während Oberregierungsrat Adolf Wermuth noch einmal die Frage nach dem materiell Gewollten stellt: „Soll die Legitimation desjenigen verlangt werden, der die Papiere ausgestellt hat, oder die Legitimation desjenigen, der die Papiere an die Börse bringt, also der die Zulassung beantragt." Siegmund Hinrichsen plädiert für eine Streichung des Zusatzes, weil beide erörterten Fälle praktisch nicht vorkämen. Daraufhin sagt Max Weber: [A 551]
A b e r d e r p r a k t i s c h e U n t e r s c h i e d ist d o c h der, o b j e m a n d , d e r g a r nicht E m i t t e n t ist, s a g e n k a n n : i c h w ü n s c h e a u s i r g e n d w e l c h e n G r ü n d e n , d a ß v o n j e t z t a b e i n e N o t i z stattfindet, u n d i c h g l a u b e , d a ß H e r r G e h e i m r a t h G a m p R e c h t h a t , d a ß m a n s e h r e r n s t darü b e r s p r e c h e n k a n n , o b d a s z u g e l a s s e n o d e r u n t e r d r ü c k t w e r d e n 10 soll.
Nach ihm reden Karl Gamp, Johannes Kaempf, der Vorsitzende Wilhelm Herz und Adolph Frentzel, der im Verlauf auch Max Webers Frage aufnimmt. [A 55 r] Herr Frentzel: Wenn nun Herr Professor Weber fragt: ja, soll jemand der nur Besitzer von Werthen ist ( H e r r W e b e r : O d e r a u c h g a r n i c h t s d a v o n b e s i t z t ) - das ist eine theoretische Frage; wie sollte jemand, der garnichts davon besitzt, wohl dazu kommen? ( H e r r W e b e r : D e r r e i n s p e k u l i r e n will!) Ich will die theoretische Möglichkeit zugeben; aber dann bedenken Sie doch, welche Mühen, Kosten und namentlich welche Verantwortlichkeit zu übernehmen sind. Es wird immer nur einer sein, der Besitzer ist. Es ist wohl noch nie und nirgends eine Einführung durch einen Nichtbesitzer geschehen. Also Herr Professor Weber fragte, in welcher Weise darf der einen solchen Antrag stellen? und da glaube ich - wie die Zulassungsstelle in dem konkreten Falle beschließen wird, weiß ich nicht - seine Legitimation würde in dem Falle sein: ich habe von den und den Werthen einen größeren oder kleineren Besitz; ich wünsche, daß da eine Notiz stattfindet, ich stelle diesen A 561 Antrag. Das kann er thun. Nach meiner | Meinung ist absolut nichts dagegen einzuwenden.
2.
Verhandlungstag
687
Er erinnert daran, daß Bankiers die Anleihe eines Staates auch erworben haben können, ohne daß ein Kommissionsverhältnis besteht, lediglich durch Kauf. Er kenne einen Fall, „wo es der betreffenden Regierung ungemein gleichgültig war, ob die Anleihe nun schließlich d a oder d a notirt wurde." Er meint, man könne dem Besitzer die Möglichkeit nicht verschließen, einen Zulassungsantrag zu stellen. D e m g e g e n ü b e r möchte Karl Gamp d o c h eine Bestimmung aufgenommen sehen, „die es verhindert, g e g e n den Wunsch der Aktionäre und der gesetzlichen Leitung der Aktionäre die Aktien in den Kreis des Börsenhandels hineinzuziehen". Ihnen antwortet Max
Weber:
Ich möchte ganz kurz nur gegenüber Herrn Geheimrath Frentzel [A 56 r] sagen, daß ich glaube, daß er nach dem gegenwärtigen Rechtszustand vollständig Recht hat, ja, daß man sogar noch weitergehen und konstatieren muß, daß eine „Legitimationsprüfung" eines Mannes, der den Antrag auf Zulassung zur Notiz stellt, garnicht erforderlich ist. Es wird ja auch nicht etwa geprüft, ob er auch nur ein einziges Papier der betreffenden Art besitzt. Aber die Frage ist allerdings der Erwägung werth, wie das in Zukunft werden soll. Die praktische Bedeutung liegt auf der Hand. Wenn die Londoner Börse ein ähnliches Verlangen nach Legitimation im Sinne des Herrn Geheimraths Gamp stellte, so würde die deutsche Regierung z. B. haben gefragt werden müssen: bist du damit einverstanden, daß an der Londoner Börse die Konsols und die Reichsanleihen notiert werden? - , während es so über ihren Kopf hinweg geschehen konnte. Aber ich glaube allerdings, daß die Frage zub weit führt und so wenig heute erschöpfend erörtert werden kann, daß sie jetzt nur als Material zur Erwägung für die Erörterungen der Herren Regierungsvertreter dienen kann. Nach einer Wortmeldung T h e o d o r Haßlers wird abgestimmt. Mit großer Mehrheit wird beschlossen, den zweiten Teil von § 5 Ziffer 2 zu streichen. Wenig s p ä ter wurde die Debatte über § 5 der Regierungsvorlage abgeschlossen und die Sitzung beendet.
b A: so
688
A 59
Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
[3. Verhandlungstag, 21. November 1896]
Beginn: 10.30 Uhr Schluß: 17.30 Uhr Beraten wird § 6 der Regierungsvorlage, beginnend mit den Bestimmungen des Abschnitts A. Hierzu lagen einige Anträge vor. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy begründet seinen Antrag, hinter § 6 A Nr. 4 einzuschalten: [A 591] Von den Erfordernissen ad 1, 2 und 3 kann abgesehen werden bei solchen Staaten, Körperschaften oder Anstalten, deren Finanzverhältnisse als allgemein bekannt gelten. Er sieht die Gefahr, daß ohne diesen Zusatz ausländische Wertpapiere, deren Zulassung zum Beispiel in Paris oder London großzügiger gehandhabt werde, vom deutschen Markt abgestoßen werden. Über die Rätlichkeit und Praktikabilität seines Vorschlags entspinnt sich eine längere Debatte, in deren Verlauf der Vorsitzende Wilhelm Herz bekanntgibt: [A 64 I] Herr Professor Weber hat zu dem Antrage des Herrn von Mendelssohn ein A m e n d e m e n t gestellt, und zwar zu sagen statt - „deren c Finanzverhältnisse" - „deren d Kreditwürdigkeit". Nach weiteren Diskussionsbeiträgen spricht Max Weber zur Sache und begründet seinen Änderungsvorschlag:
[A 66 r]
Meine Herren, das Odiöse der Bestimmung unter A liegt ja offenbar darin, daß Staaten wie Rußland und Staaten wie Honduras oder Nicaragua hiernach fast absolut gleichmäßig behandelt werden sollen. Das scheint mir das Berechtigte in den Ausführungen des Herrn von Mendelssohn zu sein, daß das einfach nicht geht, s daß da eine Differenzirung in irgend einer Weise gefunden werden muß. Es muß wenigstens in der Praxis sich dies herausbilden können. Allerdings ist es mir zweifelhaft, ob die Formulirung, die Herr von Mendelssohn gewählt hat, „deren Finanzverhältnisse als allgemein bekannt gelten", eine glückliche ist. Die Finanzverhältnisse 10 z. B. von Griechenland sind als scheußliche und skandalöse außerordentlich viel „bekannter" 14 als z.B. heute noch die Finanzverhältnisse selbst von Rußland oder irgend eines großen Staates, an dessen Kreditwürdigkeit zur Zeit nicht gezweifelt werden kann, und ich habe mir deshalb erlaubt, das Amendement zu stellen, über 15 dessen Fassung und die Wahl des Ausdrucks man ja streiten kann: c A: „dessen
d A: „dessen
14 Griechenland hatte 1893 den Staatsbankrott erklärt.
3. Verhandlungstag
689
„deren Kreditwürdigkeit als allgemein bekannt gilt". Wie gesagt, es wird vielleicht eine glücklichere Fassung gefunden. Ich weiß sehr wohl, daß damit der Zulassungsstelle eine vielleicht zu erhebliche Verantwortung, gewissermaßen die Verpflichtung, den einzelnen Staaten eine Zensur auszustellen, zugeschoben wird. Aber eine gewisse Verantwortung habe ich der Zulassungsstelle allerdings auch zuschieben wollen. Ich glaube, daß dadurch wohl wird vermieden werden können, daß z. B. Staaten wie Spanien heute von einer derartigen gründlichen Prüfung, wie sie | durch die Bestimmung unter A A erzwungen werden soll, dispensirt werden sollen. §. 36 des Börsengesetzes scheint mir keineswegs dem Antrag des Herrn von Mendelssohn im Wege zu stehen. 15 Wenn es da heißt, daß der Emittent „so weit wie möglich" die betreffenden Nachrichten beschaffen soll, so muß das ja, wie allerseits zugegeben wird und ausgeführt worden ist, doch verständig interpretirt werden. Man wird nicht verlangen können, daß auch nur z.B. dasjenige Maß von Prüfung, welches, soviel ich weiß, die Diskontogesellschaft bei Argentinien angewendet hat, indem sie, wenn ich recht berichtet bin, einen Herrn hinübergeschickt hat, um sich die Sache anzusehen 16 - man wird nicht verlangen, daß selbst dieses Maß von Vorsicht überall angewendet wird - zumal bei großen internationalen Abmachungen, wo telegraphisch korrespondirt und kontrahirt wird mit und zwischen den einzelnen bei der Emission in Betracht kommenden Häusern. Wenn das „soweit als möglich" in diesem Sinne der Interpretation bedarf, so wird man erst recht zugestehen müssen, daß der Artikel den selbstverständlichen Vorbehalt in sich enthält, daß die betreffenden verschiedenen Thatsachen angeführt werden sollen, so weit als nöthig, so weit es eben verständiger Weise als nöthig und nützlich erachtet werden kann. Ich bin nun der Meinung, daß die Ausführung dieser verschiedenen Erfordernisse, die hier aufgestellt sind, unter A I z. B. für die Beurtheilung der Qualität einer Anleihe des russischen Reichs nichts, aber auch gar nichts bietet, dieser Beurtheilung gar keine geeignete Handhabe 15 Graf Kanitz hatte behauptet, dem Antrag von Ernst von Mendelssohn-Bartholdy stünde der ausdrückliche Befund der Börsenenquetekommission und schließlich der Wille des Gesetzgebers entgegen, der §36 BörsG beschlossen habe. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 62. 16 Max Weber bezieht sich vermutlich auf eine dahin gehende Aussage von Emil Russell vor der Börsenenquetekommission. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 360.
690
Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses
bietet. Überhaupt für die Beurtheilung irgend eines großen Staates, der regelmäßig budgetirt, kann davon gar keine Rede sein, daß diese Publikation, die hier vorgesehen ist, irgend welchen Werth hätte. Sie enthält eben thatsächlich nur eine gewisse Erschwerung des deutschen Emissionsgeschäftes und, nachdem die Herren gestern 5 einstimmig und glatt abgelehnt haben, die außerbörsliche Einführung von Papieren zu kontroliren,17 so bedeutet das ganze Vorgehen eben nicht einen Schutz des deutschen Publikums in erster Linie, sondern in erster Linie vielmehr lediglich eine Schwächung der Position der deutschen Börsen und der deutschen Emissionshäuser 10 im Verhältniß zum Ausland. Der maßgebende Gesichtspunkt ist dann das Streben nach einer ökonomischen Machtverschiebung zwischen den einzelnen Kategorien großer Interessentengruppen, und dafür sehe ich vom nationalpolitischen Standpunkt kein Bedürfniß ein. Deshalb werde ich für Erschwerungen der Emissionen 15 nicht zu haben sein, nachdem Sie jedes Eingehen auf eine Anregung auch nur ähnlicher Art, wie ich sie gestern ganz bewußt in meinem Antrage gegeben habe, abgelehnt haben. Anschließend gibt der Vorsitzende Wilhelm Herze inen Zusatzantrag von Wilhelm Lexis zum Antrag Mendelssohn-Bartholdy bekannt, [...] statt - „deren Finanzverhältnisse als allgemein bekannt gelten" zu sagen: „deren bereits im Verkehr befindliche Werthpapiere mit Rücksicht auf ihren Zinsfuß einen unzweifelhaft günstigen Kursstand haben." An der Diskussion über die Vorzüge und Mängel der verschiedenen Formulierungsvorschläge beteiligen sich Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, Wilhelm Lexis, Adolph Frentzel, Graf Arnim und Moritz Seligmann. Dabei findet der Gedanke Max Webers, der Zulassungsstelle ein präziseres Urteilskriterium an die Hand zu geben, weitgehend Zustimmung; doch werden gegen seinen und den Vorschlag von Wilhelm Lexis verschiedene Argumente vorgetragen, die vornehmlich die Durchführbarkeit betreffen. Danach ergreift noch einmal Max Weber das Wort:
[A 70 r]
Ich möchte noch ein paar ganz kurze Bemerkungen machen. Herr Graf Arnim meinte, ich sei „schmerzlich bewegt" über die 20 Ablehnung meines Antrages. 18 Das ist wirklich nicht der Fall. Ich habe vorher gewußt, daß er abgelehnt werden würde, und habe ihn 17 Max Weber spielt auf die Ablehnung seines Antrages an. Vgl. oben, S. 678-680. 18 Graf Arnim hatte erklärt: „Dem Herrn Professor Weber gegenüber, den die Ablehnung seines gestrigen Antrages anscheinend sehr schmerzlich berührt hat (Herr Weber: Nein!) möchte ich betonen [...]." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 69.
3. Verhandlungstag
691
gestellt, um festzustellen, ob irgend welche Chance dafür vorhanden wäre, daß nach dieser Richtung vorgegangen wird und in Ergänzung der erstrebten Einschränkung des Emissionsgeschäftes die sehr viel gefährlicheren außerbörslichen ohne Emission erfolgenden Einführungen von Papieren gefaßt werden. Das ist nach den Erklärungen der Herren Regierungsvertreter nicht zu gewärtigen. Ich habe ferner feststellen wollen, daß auch die Herren, die sich selbst als Minorität hier zu bezeichnen pflegen,19 nicht in der Lage sind, einen Weg zu bezeichnen, der wirklich das Publikum schützt gegen den Besitz und Erwerb ungeeigneter Papiere. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben Einschränkungen des deutschen Emissionsgeschäftes keinerlei Werth und ich habe mich dahin salvirt, daß ich für alle solche Einschränkungen, soweit sie für den Schutz des Publikums keinen Zweck haben, sondern nur nach der Richtung der Schwächung der Stellung der deutschen Emissionshäuser hindrängen, nicht zu haben bin. Der fundamentale Fehler in der ganzen Behandlung des Emissionswesens schon von der Börsenenquete und dann im Börsengesetz, der jetzt neuerdings wieder in Konsequenz dessen, ohne daß die Herren, die diese Vorlage gemacht haben, daran etwas haben ändern können, wiederkehrt, trat unter anderem hervor in den Auseinandersetzungen zwischen dem Grafen Arnim und Herrn von Mendelssohn über die „Prospektfabriken".20 Er besteht darin, daß man eben solche kleinen Gründungsemissionen, diese kleinen inländischen Emissionen irgend welcher Aktiengesellschaften, und den großen internationalen Kapitalverkehr über denselben Leisten schlagen will durch Anwendung einer und derselben Bestimmung darauf. Das ist absolut widersinnig, und das geht nicht. Jene „Prospektfabriken" kommen allerdings vor, sie kommen eben vor bei der Kleinarbeit der inneren Gründungsthätigkeit, wie wir sie in den Umgründungen kleiner industrieller Unternehmungen aller möglichen Art erleben. Sie kommen ganz gewiß nicht vor für die Emissionen, von denen heute ausschließlich die Rede gewesen ist und nur die Rede sein kann. 19 Gemeint sind die Vertreter der landwirtschaftlichen Interessen. 20 Graf Arnim hatte behauptet, es gäbe in Berlin eine Reihe gut dotierter, juristisch geschulter Personen, deren Aufgabe es sei, möglichst unklare Prospekte zu formulieren. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy wies die Aussage in ihrer Verallgemeinerung zurück und meinte, daß solche Fälle nur vereinzelt bei kleinen unseriösen Häusern vorkommen könnten. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 66 und 68.
692
Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
Was mein Amendement zu dem Antrag des Herrn von Mendelssohn betrifft, so ziehe ich es zurück und werde meinerseits zunächst für den Antrag des Herrn Kollegen Lexis stimmen, nicht deshalb, weil ich ihn eigentlich für das vollständig zum Ausdruck bringend halte, worum es sich handelt, sondern nur deshalb, weil 5 ich allerdings den Wunsch habe, daß, wenn das Amendement des Herrn von Mendelssohn angenommen wird, konstatirt wird, daß man nicht für zulässig hält das Verfahren einer Zulassungsstelle oder eines Emittenten, welcher sagt: du Publikum kannst dich ja viel leichter informiren über die Finanzen meinetwegen eines Lan- 10 des wie Spanien, das parlamentarisch kontrolirte Budgets in der üblichen Form veröffentlicht, als über die Finanzen eines Staates A 711 wie Rußland, bei dem die Sache wesentlich anders | liegt. Ich werde eventuell, wenn der Antrag von Herrn Professor Lexis abgelehnt wird, auch für den Antrag des Herrn von Mendelssohn in seiner 15 jetzigen Fassung stimmen, aber mit der Deklaration, daß das in dem Sinne geschieht: nicht solche Finanzverhältnisse sind gemeint unter den als „allgemein bekannt geltenden", über die man relativ leicht sich unterrichten könnte, sondern nur solche Finanzverhältnisse, die als gut und normal allgemein bekannt sind. Wenn Herr 20 von Mendelssohn seinen Antrag dahin interpretirt, bin ich ohne Weiteres in der Lage, dafür zu stimmen. Meinen Antrag ziehe ich jedenfalls zurück. In der anschließenden A b s t i m m u n g findet der Z u s a t z a n t r a g von Wilhelm Lexis keine Mehrheit. In namentlicher A b s t i m m u n g wird der A n t r a g von Ernst von M e n d e l s s o h n - B a r t h o l d y mit z w a n z i g g e g e n sieben Stimmen d e r landwirtschaftlichen Interessenten a n g e n o m m e n . Max W e b e r votiert - wie zuvor a n g e k ü n d i g t - mit der Mehrheit. Nach einer h a l b s t ü n d i g e n Pause leitet Graf Arnim mit seinem A n t r a g auf Einsetzung einer Kommission, d e r e n A u f g a b e es sein soll, für d e n „ z w e i t e n G e g e n stand unserer B e r a t h u n g e n " , also für die Denkschrift des B u n d e s der Landwirte, eine diskussionsfähige Vorlage zu erarbeiten, eine längere G e s c h ä f t s o r d n u n g s d e b a t t e ein. Z u m ersten G e g e n s t a n d liege der Regierungsentwurf vor. Für d e n zweiten h a b e der Bundesrat keine e i g e n e n Vorschläge g e m a c h t , s o n d e r n lediglich die Denkschrift d e s B u n d e s der L a n d w i r t e vorgelegt. Diese könne aber nicht alleinige G r u n d l a g e der V e r h a n d l u n g e n sein, s c h o n weil sie d i e s e n Z w e c k bei ihrer A b f a s s u n g nicht im A u g e g e h a b t habe. Sein „ A n t r a g geht dahin, eine Kommission zu wählen aus s i e b e n Mitgliedern, von d e n e n vier Mitglieder d e m S t a n d e der Landwirthe a n g e h ö r e n müßten."
3.
Verhandlungstag
693
Nach den Erklärungen des Unterstaatssekretärs Anton Rothe, warum der Bundesrat zur Denkschrift des Bundes der Landwirte keine eigenen Vorschläge gemacht habe, kündigt Max Freiherr von Soden-Fraunhofen für den Nachmittag den Eingang einer Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrates an, um deren Mitberatung er bittet. 21 Nachdem sich der Vorsitzende Wilhelm Herz und Adolph Frentzel gegen, Karl Gamp für die Bildung einer vorberatenden Kommission aussprachen, erklärt Max Weber:
Vielleicht kürzen die wenigen Bemerkungen, die ich zu machen [A 74 r] habe, die Geschäftsordnungsdebatte ab. Der Antrag des Herrn Grafen Arnim bezweckt ja augenscheinlich, indem er beantragt, daß in der Kommission die Herren Vertreter der Landwirthschaft in der Majorität sein sollten, dahin zu führen, daß die gemeinsamen Ansichten der Herren Vertreter der Landwirthschaft aus dieser Kommission heraus in Form diskutabler Anträge an das Plenum gelangen können. Den gleichen Erfolg, nur auf sehr viel kürzere Weise, aber können die Herren Vertreter der Landwirthschaft dadurch erreichen, wenn sie sich freundlichst unter sich zusammenthun, und solche Anträge dann nach gemeinsamer Vereinbarung an das Plenum bringen, denn das Beisein irgend welcher andern Interessenten bei dieser Verhandlung wird diese Frage nur verzögern, und wir bekommen voraussichtlich ein Majoritäts- und ein Minoritätsvotum, denn es steht wohl ziemlich fest, daß eine Vereinigung auf eine gemeinsame Mittellinie wohl kaum erfolgen wird. Es kann deshalb der Sinn des Antrages des Herrn Grafen Arnim wohl dadurch gedeckt werden, daß, bevor im Plenum mit der Behandlung der Eingabe des Bundes der Landwirthe begonnen wird, eine Frist gegeben wird - eine auch nach Ansicht des Herrn Grafen Arnim ausreichende Frist - , daß geeignete Anträge von den Herren Vertretern der Landwirthschaft hier im Plenum eingebracht werden. Dessenungeachtet wird die Geschäftsordnungsdebatte fortgesetzt. Dem Vorschlag Max Webers gegenübersieht Graf Kanitz den Vorzug einer kommissionsweisen Vorberatung darin, daß an dieser Kommission auch Regierungsvertreter beteiligt wären und man von ihnen etwas über die Absichten der verbündeten Regierungen erfahren könne.
21 Zur Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats vgl. die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 662-664. Denkschrift und Eingabe sind unten, S. 1000-1009, abgedruckt.
694
Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
Adolph Frentzel schließt sich Max Weber an, Karl Gamp spricht sich gegen Webers Vorschlag und für die Bildung einer Kommission aus. Was Max Weber vorschlage, entspreche nicht dem Zweck der beantragten Kommissionsberatung. „Das wissen wir, daß wir das machen können, und hätte es einer derartigen Belehrung nicht bedurft." Nach weiteren Diskussionsbeiträgen ergreift Max Weber neuerlich das Wort:
[A 771]
Ich werde mich sehr kurz fassen. Ich möchte nur bemerken: daß ein Unterschied besteht zwischen einer Kommissionsberathung und einer Berathung einer Gruppe unter sich, das weiß ich, und wenn ich in die gleiche ohne Noth animose Ausdrucksweise verfallen wollte, wie Herr Geheimrath Gamp, dann würde ich meiner- 5 seits für diese Belehrung danken müssen. Ich habe aber darauf hinweisen wollen, daß diese Kommission eine eigenartige insofern sein sollte, als eine Majorität für eine bestimmte Kategorie der hier A 77 r anwesenden Vertreter beansprucht wurde und der | ausgesprochene Zweck der Kommission ja nur sein kann, daß sie, auch nach der 10 durchaus sachlichen Motivirung, die Graf Arnim gab, zu Vorschlägen gelangt, die den Intentionen der Herren Vertreter der Landwirthschaft entsprechen und diskutabel sind. Es läge ja anders bezüglich einer Kommissionsberathung, wenn die Meinung des Herrn Grafen Arnim 22 richtig wäre, daß die Herren Regierungs- 15 Vertreter dabei anwesend sein und den Standpunkt des Bundesraths präzisiren könnten. Aber wir haben wohl dem, was hier gesagt wurde, entnommen, daß dies nicht der Fall ist, und es steht dem Bundesrath seinerseits unzweifelhaft das formale Recht zu, auch ehe er seinerseits in meritorische Erwägungen über die Ein- 20 gäbe des Bundes der Landwirthe eintritt, diese Eingabe zunächst dem Börsenausschuß, damit dieser sich äußert, zu unterbreiten. 23 Dies ist geschehen, und ich glaube, daß in einer solchen Kommission absolut keine anderen Erklärungen von Seiten der Vertreter der Verbündeten Regierungen fallen würden, als die wir nachher im 25 Plenum uns auch wieder machen lassen müssen, und ich meine deshalb in der That, daß es sehr wesentlich sachgemäßer ist, wenn die Herren Vertreter der Landwirthschaft, wenn Sie wollen, unter Zu-
22 Im folgenden Sinne äußerte sich Graf Kanitz, nicht Graf Arnim. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 75. 23 In diesem Sinne hatte sich Unterstaatssekretär Anton Rothe geäußert. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 72 und 75.
3.
Verhandlungstag
695
ziehung derjenigen aus d e m Kreise der H e r r e n Börseninteressenten, die sich d a z u g e n e i g t e r w e i s e n , - u n d ich g l a u b e g a r nicht, d a ß es a n s o l c h e n f e h l e n w i r d - sich d a r ü b e r v e r s t ä n d i g e n , w i e m a n I h ren Intentionen gerecht w e r d e n könnte. Angenommen wird, nach Erörterung verschiedener Kompromißvorschläge, der Antrag von Joseph Johann van den Wyngaert, eine Kommission mit sieben Mitgliedern zu wählen, „wobei sämmtliche Interessenten nach ihrer Schattirung vertreten sind." Die Kommission solle nach Abschluß der Beratungen über den Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel zusammentreten. Die Wahl der Mitglieder wird auf das Ende des Verhandlungstages verlegt. Die Beratung über § 6 der Regierungsvorlage wird wieder aufgenommen. Max Weber meldet sich zu Wort, als der Vorsitzende Wilhelm Herz feststellt, daß sich gegen eine Streichung der Formulierung „Angaben über die w i r t s c h a f t l i che Bedeutung" eines Unternehmens in § 6 B Nr. 1 kein Widerspruch ergebe. In der Bestimmung, der Prospekt müsse hierüber Aussagen enthalten, wird von mehreren Ausschußmitgliedern die Gefahr gesehen, dies könnte ein Anreiz zur Reklame sein. H e r r Weber:
I c h m ö c h t e m i r d o c h e r l a u b e n , d a s B e d e n k e n d a g e - [A 82 r]
g e n z u e r h e b e n , d a ß z w a r allerdings vielleicht d i e s e r A u s d r u c k e i n e g e w i s s e P r o v o k a t i o n z u r R e k l a m e , w i e g e s a g t w u r d e , enthält, d a ß er a b e r w o h l a u c h d e n Z w e c k hat, d i e s e „ R e k l a m e " h e r b e i z u f ü h 5 r e n in d e m S i n n e , d a ß n u n s p ä t e r die E m i t t e n t e n h a f t e n f ü r die A n g a b e n , die sie d a g e m a c h t h a b e n , a u c h w e n n d i e s e A n g a b e n d e n C h a r a k t e r einer R e k l a m e haben. Sie sollen e b e n mit der ihnen obl i e g e n d e n S o r g f a l t A n g a b e n ü b e r die w i r t h s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g m a c h e n . D e s h a l b w ü r d e ich also, o h n e b e s o n d e r e s G e w i c h t auf die 10 S a c h e z u l e g e n , nicht f ü r d i e S t r e i c h u n g s t i m m e n . In der anschließenden Abstimmung wird mehrheitlich für die Streichung gestimmt. Nach Abschluß der Beratung über § 6 der Regierungsvorlage werden die Mitglieder für die Kommission gewählt. Hermann Frese und Ökonomierat Winkelmann haben je sieben Personen benannt. Auf beiden Listen stehen der Vertreter der Müllerei: Joseph Johann van den Wyngaert, als Vertreter des Handels: Adolph Frentzel, Franz Schröter und Heinrich Friedrich Haker, sowie als Vertreter des Deutschen Landwirtschaftsrats: Max Freiherr von SodenFraunhofen. Diese fünf gelten, weil sie auf beiden Listen stehen, als gewählt. Hermann Frese hat ferner Graf Schwerin und Max Weber, Winkelmann die Grafen Arnim und Kanitz vorgeschlagen. Adolph Frentzel benennt noch Karl Gamp, der jedoch „in den nächsten Tagen" verhindert ist. Auf den Einwurf von Adolph Frentzel, daß noch nicht geklärt ist, wann die Kommission zusammentreten solle, erklärt Max Weber:
696
901]
Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
Ich kann nämlich auch nicht eintreten, wenn sie vor Montag Abend oder vor Dienstag früh zusammentritt. Ich würde bis Montag Abend verhindert sein.24 Nach der Feststellung des Vorsitzenden Wilhelm Herz, daß auch Graf Schwerin nicht vor Dienstag zurück sein könne, meldet sich noch einmal Max Weber:
Ich möchte nur bemerken, daß ich natürlich eine Wahl eventuell nicht ablehnen, aber im Interesse der Sache dringend bitten würde, die beiden Herren landwirthschaftlichen Interessenten zu wählen. Es geht dann voraussichtlich schneller. In der anschließenden Wahl, bei der jedes Ausschußmitglied zwei Namen auf einen Zettel schreiben kann, entfallen auf Graf Kanitz 22 Stimmen, Max Weber 14, Graf Arnim 11, Graf Schwerin 1. Graf Kanitz und Max Weber erklären auf Anfrage des Vorsitzenden, ob sie die Wahl annehmen, ihre Zustimmung. Somit sind in die Subkommission alle Interessengruppen - Graf Kanitz als Vertreter der Landwirtschaft und Max Weber als Vertreter der Wissenschaft - gewählt worden. Als am Schluß der Sitzung die Mitglieder der Redaktionskommission für die Stellungnahme des provisorischen Börsenausschusses zu Händen des Bundesrats gewählt werden, kommt es zu einer Auseinandersetzung über den Charakter und Inhalt der Stellungnahme (Bericht oder Gutachten). An ihr ist Max Weber nicht beteiligt.
A 92
[4. Verhandlungstag, 23. November 1896] Beginn: 12.15 Uhr Schluß gegen 15.15 Uhr Max Weber fehlt entschuldigt. Er nimmt somit nicht an der noch anstehenden Beratung der § § 7 - 1 4 der Regierungsvorlage teil. Es wird beschlossen, der Kommission zur Vorberatung der Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrates am nächsten Tag und übernächsten Vormittag freizugeben.
2 4 Max Weber nahm an der Griindungsversammlung des nationalsozialen Vereins in Erfurt teil. Vgl. hierzu die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 663.
5.
Verhandlungstag
697
[5. Verhandlungstag, 25. November 1896, mit Max Webers „Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen"]
A109
Beginn: 13 Uhr Schluß: gegen 17.30 Uhr Der Vorsitzende Wilhelm Herz eröffnet die Sitzung. Nach Mitteilung eines Antrags und verschiedener Wünsche zur Tagesordnung gibt er Max Weber, den die Kommission gebeten habe, „das Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen zu erstatten", das Wort:
Herr Weber: Meine Herren, ich habe es für zweckmäßig erachtet, [A109 r] thunlichst alle einzelnen Argumente, wenigstens die wesentlichsten von ihnen, die in der Kommission von den Herren Vertretern der verschiedenen Ansichten vorgetragen worden sind, in das Referat aufzunehmen, soweit ich das in der Eile thun konnte. Das Referat ist dadurch nicht ganz kurz geworden. Ich habe mich aus diesem Grunde veranlaßt sehen müssen, es niederzuschreiben und muß es nun hier vorlesen, wobei ich um Entschuldigung bitte mit Rücksicht darauf, daß ich es lediglich gestern Abend und heute früh habe fertigstellen können, wenn stilistische und sonstige Schwierigkeiten sich ergeben haben, auch solche in Folge meiner Handschrift. Ich kann nicht anders verfahren, ich muß es dem Herrn Stenographen in die Feder diktiren; denn lesen kann er es nicht. Meine Handschrift ist derart, daß sie dem preußischen Fiskus wiederholt Veranlassung zu Repressen 25 gegeben hat wegen frustrirter Kanzleiarbeit. (Heiterkeit.) Die Herren, die ihre Ansichten unvollständig erwähnt finden, bitte ich, das nachher geltend zu machen. Der Bericht lautet: Der Kommission haben vorgelegen: 1. Die dem provisorischen Börsenausschuß überwiesene Eingabe des Bundes der Landwirthe, 2. die Eingabe des deutschen Landwirthschaftsraths. Die Kommission sah sich veranlaßt, zunächst die in dem Anschreiben des Bundesraths26 offen gelassene Frage der Kompetenz 2 5 Den Begriff „Repressen" schöpft Max Weber vermutlich in Anlehnung an das lateinische „repressio", hier im Sinne von Tadel. 2 6 Gemeint ist das Anschreiben des Bundesrats an die Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses vom 10. November 1896. BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 64. Vgl. hierzu die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 660.
698
Verhandlungen des provisorischen
Börsenausschusses
desselben zum Erlaß der in diesen Eingaben erstrebten oder ähnlicher Bestimmungen zur Erörterung zu stellen, obwohl sie der Meinung war, daß, nachdem einmal die gedachten Eingaben dem Börsenausschuß vorliegen, dieser sich der Erörterung derselben in allen ihren Punkten nicht entziehen solle. 5 In Betreff der Kompetenzfrage wurde allseitig anerkannt, daß die Organisation der Produktenbörse und danach die auf diese sich beziehenden Desiderate der gedachten Eingaben zur alleinigen A110I Zuständigkeit der Landesregierungen gehören; ebenso blieb die Feststellung des Herrn Vertreters der | verbündeten Regierungen 27 10 unwidersprochen, daß die Umschreibung der Befugnisse des Bundesraths in Bezug auf ihre Preisnotirung im §. 35 des Börsengesetzes erschöpfend sei. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich dagegen in Bezug auf die Tragweite der Bestimmungen des §. 6 Satz 2 des Börsengesetzes28 für die Möglichkeit, im Sinne der Eingaben 15 einen Schlußnotenzwang überhaupt und die Benutzung eines bestimmten Schlußnotenformulars herbeizuführen oder sonst in der Richtung der Anträge reglementirend einzugreifen. Während seitens der Vertreter der Börseninteressen die Ansicht aufgestellt wurde, daß nach der Entstehungsgeschichte dieses Paragraphen 20 und den Ausführungen im Kommissionsbericht, Seite 2 desselben,29 dieser Paragraph dem Bundesrath lediglich die Befugniß zum Ausschluß von der Börse oder zur nur bedingungsweisen Zulassung des Handelsverkehrs in bestimmten Artikeln überhaupt an der Börse zugestehe, mithin, da ein solcher völliger Ausschluß des 25 Handels in Getreide von den Börsen von niemand angeregt sei, die Möglichkeit eines Eingreifens im Sinne der vorliegenden Anträge überhaupt nicht gegeben sei, wurde von anderer Seite die Ansicht vertreten, daß dem Bundesrath durch §. 6 Satz 2 30 auch die Befug2 7 Es handelt sich um Unterstaatssekretär Anton Rothe. Vgl. auch die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 668f. mit Anm. 48 f. 2 8 Gemeint ist die Bestimmung des § 6 Satz 3 BörsG. Dieser lautet: „Der Bundesrat ist befugt, für bestimmte Geschäftszweige die Benutzung der Börseneinrichtungen zu untersagen oder von Bedingungen abhängig zu machen." 2 9 Gemeint ist Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1448. Max Webers Seitenangabe bezieht sich auf die Paginierung des Originals der Reichstagsdrucksache. Die IX. Kommission des Reichstags hatte § 6 Satz 3 aufgenommen, weil sie der Ansicht war, dem Bundesrat müsse die Befugnis eingeräumt werden, unsichere Wertpapiere vom Börsenhandel ausschließen und die Benutzung von Börseneinrichtungen für Waren, die nicht für den Börsenhandel geeignet sind, untersagen zu können. 3 0 Gemeint ist die Bestimmung des § 6 Satz 3 BörsG; vgl. oben, Anm. 28.
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niß beigelegt sei, den Verkehr in einem bestimmten Geschäftszweige nur unter der Bedingung der Innehaltung gewisser Formen und nur, soweit er sich in diesen Formen bewegen werde, zur Benutzung der Börseneinrichtungen zuzulassen. Unabhängig von dieser reinen Kompetenzfrage wurde ferner vor einem Eingehen in die Erörterung der Eingaben noch die Frage behandelt, ob, das Bestehen einer Kompetenz des Bundesraths vorausgesetzt, es erwünscht sei, daß der Bundesrath, von dieser etwaigen Befugniß Gebrauch machend, jene Gegenstände seinerseits einheitlich zu regeln unternehme oder dies vielmehr im Grundsatz den Landesregierungen überlassen solle. Von Seiten der Vertreter der Börseninteressen wurde auf den in starkem Maße örtlich bestimmten Charakter der für die Art der gewünschten Reglementirung entscheidenden Verhältnisse, von anderer Seite dagegen auf die Gefahr hingewiesen, daß der sehr verschiedene Charakter der einzelnen deutschen Staatengebilde, namentlich großer Binnenstaaten, wie Preußen, einerseits und der Handelsrepubliken31 andererseits, sich in grundsätzlich gegensätzlicher Behandlung der in Frage stehenden Gegenstände äußern und so den Getreidehandel den Plätzen, welche ihm die umfassendste Freiheit gewähren, auf Kosten bestehender großer Börsen, namentlich der Berliner, zuführen werde. Von den demnächst gestellten Anträgen, dahin gehend: „1. die Kommission theilt dem Plenum ihre Ansicht dahin mit, daß ihrer Auffassung nach der §. 6 des Börsengesetzes, letzter Satze, nicht dahin auszulegen sei, daß die dadurch dem Bundesrath beigelegte Befugniß sich soweit erstreckt, um auf diesem Wege die Befugnisse der Landesregierungen nach §.4 32 in Hinsicht auf den Getreidehandel zu beeinträchtigen, und 2. abgesehen aber von dieser zweifelhaften Frage der Interpretation giebt die Kommission ihre Ansicht dahin ab, daß es jedenfalls erwünscht sei, im Gebiete des deutschen Getreidehandels die Landesregierungen allein ihres Aufsichtsrechts e A: Absatz 31 Gemeint sind die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck. 32 Gemeint ist hier und im folgenden §4 BörsG.
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walten zu lassen, und daß es ferner nicht erwünscht sei, daß auf diesem Gebiete eine reglementarische Einheit herbeigeführt werde, die nach Ansicht der Kommission nicht in der Natur der Sache begründet sei;" vereinigte Absatz 1 4 Stimmen gegen 2 verneinende auf sich, wäh- 5 rend bei Absatz 2 3 zustimmende 3 ablehnenden Voten gegenüber standen. Bei der nun folgenden Einzelberathung der Eingaben hat die Kommission durchweg von Abstimmungen über die zu Tage tretenden Meinungsgegensätze abgesehen. Sie unterbreitet vielmehr 10 dem Plenum nachfolgend lediglich eine Zusammenstellung der in ihrer Mitte zur Geltung gebrachten Auffassungen. | A 110 r I. In Betreff der zunächst besprochenen Frage nach der Art der Betheiligung der Interessenten der Landwirthschaft und Müllerei an der Verwaltung der Produktenbörsen - Abschnitt I der Eingabe 15 des Bundes der Landwirthe, Abschnitt I Nummer 1 und 2 bezw. 3 der Eingabe des Deutschen Landwirthschaftsraths33 - standen sich, was die Frage anbetrifft, ob die Landesregierungen von der ihnen im §. 4 Satz 2 beigelegten Befugniß Gebrauch machen sollten, als Extreme eine Ansicht gegenüber, welche jene Betheiligung über- 20 haupt für unnöthig und für die Berliner Börse speziell in Ermangelung des Bestehens einer Landwirthschaftskammer für den Stadtkreis Berlin auch durch das preußische Gesetz über die Landwirthschaftskammern nicht geboten erachtete,34 und andererseits eine andere, welche die volle Gleichstellung insbesondere der land- 25 wirthschaftlichen Vertreter mit denen des Handels in allen Verwaltungsangelegenheiten der Produktenbörse forderte, während eine dritte die Ausschließung mindestens der Vermögens- und Hausordnungsangelegenheiten der Börsen von der Mitwirkung der nicht zu den betreffenden Korporationen gehörigen Vorstandsdelegirten 30 als durch die Rücksicht auf iura quaesita35 geboten erachtete. Die Vertreter der zweiten oben erwähnten Ansicht, derjenigen also, welche die unbedingte Gleichstellung fordert, forderten in Konsequenz derselben die volle Selbständigkeit der Organisation 33 Vgl. die genannten Abschnitte unten, S. 1000f. und 1007. 34 Die gemeinte Bestimmung, §2 Abs. 4 des Landwirtschaftskammergesetzes vom 30. Juni 1894 ist unten, S. 752 mit Anm. 20, wiedergegeben. 35 Als iura quaesita (lat.) werden die durch einen Rechtstitel erworbenen Rechte bezeichnet. Sie können durch neues Recht nicht ohne weiteres verändert werden.
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der Produktenbörse, während die Vertreter der beiden anderen die volle Durchführung der Absichten des §.4 auch bei einer Börsenverfassung nach Art der gegenwärtigen Berliner durch Zuziehung der gedachten Delegirten zu den betreffenden Sektionen des Vorstandes für thunlich hielten. Daß für den Fall der vollen oder theilweisen Trennung der Verwaltung der Produktenbörsen von den Fondsbörsen und der Zuziehung von Delegirten der gedachten Art zur Verwaltung der ersteren als dritte Börsenabtheilung eine Waarenbörse für die nicht landwirthschaftlichen Produkte erforderlich sei, wurde von einer Seite angenommen, von der andern in Abrede gestellt. Über die eventuell zuzuziehende relative Zahl der Delegirten der Landwirthschaft und Müllerei wurde nicht besonders debattirt. Der Herr Vertreter des Landwirthschaftsraths36 bemerkte für seine Person, daß im Falle der auch von einem andern landwirthschaftlichen Vertreter entschieden befürworteten Ernennung eines besonderen Staatskommissars37 für das Geschäft in landwirthschaftlichen Produkten diese Frage von minder erheblicher Bedeutung sein dürfte. Zur Sprache kam ferner, ob, soweit die Delegirten durch die Landwirthschaftskammern ernannt oder vorgeschlagen würden, diese letzteren nur Mitglieder aus ihrer Mitte entsenden könnten, was von Seiten eines Vertreters von Börseninteressen gegen mehrseitigen Widerspruch behauptet wurde. Von der gleichen Seite wurde aus der Fassung des §. 4 die Ansicht hergeleitet, daß nur praktische Landwirthe, nicht, wie von anderer Seite angenommen wurde, auch z. B. frühere Landwirthe, und keinesfalls Personen einer beliebigen anderen Berufsstellung als Vertreter der Landwirthschaft figuriren dürften, und es wurde ferner speziell die Unzweckmäßigkeit der Entsendung von solchen Personen betont, welche als Vertreter der Landwirthschaft nicht eigene, rein ökonomische Interessen vertreten, sondern eine, sei es durch ihre Stellung im politischen Leben, sei es durch ihre Eigenschaft als berufsmäßige Vertreter von Interessenverbänden, anderweit beeinflußte oder ge-
3 6 Es handelt sich um Max Freiherr von Soden-Fraunhofen. 3 7 An jeder Börse sollte als Aufsichts- und Kontrollorgan der Landesregierung ein Staatskommissar berufen werden. § 2 BörsG. Die Ernennung eines besonderen Staatskommissars für den Produktenhandel war im Gesetz, wie ihn Graf Kanitz hier fordert, nicht vorgesehen.
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bundene Marschroute haben, während von landwirthschaftlicher Seite es als räthlich erachtet wurde, den landwirthschaftlichen Interessenten nicht die Wahl solcher oft zu ihrer Vertretung besonders befähigten Persönlichkeiten zu beschränken. II. Die Berathung wandte sich alsdann zunächst der Erörterung 5 der von den gedachten Eingaben angeregten Reglementirung der börsenmäßigen Geschäftsformen, Punkt I I 1 und 2,3 b, c, d der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Nr. 1 sub 3, 5,7 der Eingabe des deutschen Landwirthschaftsraths,38 und zwar zuerst der Frage zu, A 1111 ob ein allgemeiner | Schlußnotenzwang für Geschäfte über Agrar- 10 Produkte überhaupt oder doch über Getreide und Mühlenfabrikate auch über den Kreis der durch Kursmakler vermittelten Geschäfte und derjenigen Abschlüsse, für welche das Börsensteuergesetz denselben noch statuirt,39 erwünscht und demgemäß gegenüber den Vertragsparteien, sei es durch den Bundesrath, falls §. 6 15 dies gestattete, sei es durch geeignete Bestimmungen der Börsenordnung, für alle an der Börse darüber geschlossenen Geschäfte durchzuführen sei. Nachdem zunächst der Lieferungshandel zum Zweck gesonderter Erörterung ausgeschieden war, ergab eine längere Debatte, bei 20 welcher von Seiten eines Vertreters des preußischen Herrn Landwirthschaftsministers speziell die Bedeutung eines an den Schußnotenzwang leicht anzuknüpfenden Deklarationszwanges für die Erfassung der gehandelten Quanta und Preise zum Zweck korrekter Notizen betont wurde, Übereinstimmung darüber, daß 25 für den Lokohandel und den Handel nach Proben die Durchführung eines Schlußnotenzwanges nicht für erwünscht erachtet werden könne. Auf landwirthschaftlicher Seite war für diese Auffassung die Gefahr der Abdrängung des Handels von der Börse maßgebend. Von anderer Seite wurde ferner auch betont, daß bei dem 30 individuellen Charakter der Geschäftsabschlüsse und ihrer Bedingungen eine Verwerthung der rein ziffermäßig ermittelten bloßen Festsetzungen der Kursziffern für Notirungszwecke in keiner Weise möglich sei.
38 Vgl. die genannten Abschnitte unten, S. 1001f. und 1007f. 39 Mit dem Börsensteuergesetz war 1885 ein Zwang zur Ausstellung einer Schlußnote eingeführt worden, da nicht mehr wie zuvor das Dokument (Schlußnote) besteuert wurde, sondern der Geschäftsabschluß.
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Die Erörterung über die Behandlung des Lieferungshandels führte bei Besprechung der vorgelegten Schlußnotenentwürfe des Bundes der Landwirthe einerseits, der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse andererseits,40 über die zunächst zur Erörterung stehende materielle Frage des Schlußnotenzwanges sofort hinaus, und es erwies sich als nothwendig, die gesammte durch das Verbot des Getreideterminhandels geschaffene Lage in Verbindung mit der Frage der zukünftigen Gestaltung des Lieferungsgeschäfts hineinzuziehen. In Betreff der Rechtsfrage konnte an eine Ausführung des Herrn Vertreters der Verbündeten Regierungen angeknüpft werden, welcher hervorhob, daß die nur für die Zwecke des Gesetzes aufgestellte Definition des börsenmäßigen Termingeschäfts im §.48 des Börsengesetzes an das Stempelgesetz anknüpfe,41 und daß ferner §. 51 Absatz 2 42 unter „Ausschluß von der Börse" nicht weniger, aber auch nicht mehr, als die im Absatz 1 ebenda ausgesprochenen Konsequenzen: Ausschluß von den Börseneinrichtungen und Verbot der Notiz an die Qualität eines Geschäfts als eines sich „in den Formen des börsenmäßigen Terminhandels bewegenden" knüpfen wolle, und daß endlich die Frage, was überhaupt unter „Termingeschäft" im Gegensatz zu sonstigen Zeit- oder Lieferungsgeschäften zu verstehen sei, offen gelassen und damit der Rechtsprechung überlassen sei. Im Übrigen war man darüber allseitig einig, daß 1. das nicht unter den Begriff „börsenmäßiger Terminhandel" fallende beziehungsweise nach Absatz 2 §.51 in dessen Formen sich bewegende Lieferungsgeschäft in keiner Weise berührt werde, wie denn auch dasselbe in der Eingabe des Landwirthschaftsraths unzweideutig als legal behandelt sei, 4 0 Der Bund der Landwirte hatte seiner Denkschrift den Entwurf eines Schlußscheins hinzugefügt; vgl. den Abdruck unten, S. 1005f. Die Schlußscheine für handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte in Weizen, Roggen, Hafer, Futtergerste und Mais vom September 1896 hatte die Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse angesichts des künftigen Getreideterminhandelsverbots (§50 Abs. 3 BörsG) entworfen. 41 Die Definition des Börsenterminhandels im Reichsstempelgesetz lautet: „Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, welche unter Zugrundelegung von Usancen einer Börse geschlossen werden (Loko-, Zeit-, Fix-, Termin-, Prämien-, etc. Geschäfte), über Mengen von Waaren, die börsenmäßig gehandelt werden. Als börsenmäßig gehandelt gelten Waaren, für welche an der Börse, deren Usancen für das Geschäft maßgebend sind, Terminpreise notirt werden." Vgl. den Wortlaut des § 4 8 BörsG unten, S. 985. 4 2 Hier wie im folgenden spricht Max Weber von den Paragraphen des Börsengesetzes.
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und auch von den landwirtschaftlichen Vertretern in der Verhandlung als nothwendig zur Eindeckung von Käufen auch ohne Bezugnahme auf Probe anerkannt worden ist, daß ferner: 2. insbesondere die Identifikation von Termingeschäft und Blan- 5 kogeschäft, wie sie in der Eingabe des Bundes der Landwirthe vorausgesetzt werde, unzutreffend sei. Über den Begriff des börsenmäßigen Termingeschäfts im Gegensatz zum Lieferungsgeschäft fand die von einer Seite gemachte Ausführung 43 keinen Widerspruch, daß dieser Gegensatz kein äu- 10 ßerlicher, in der Formulirung des einzelnen Kontrakts hervortreA111 r tender sei, sondern daß es auf den typischen Charakter | der Termine, auf welche gehandelt wird, also auf ein außerhalb des Einzelgeschäfts liegendes Moment ankomme. Ob ein Termingeschäft vorliege, könne nur festgestellt werden durch Entscheidung der Vor- 15 frage, ob ein Terminmarkt vorhanden sei, d. h. ein Markt, auf welchem massenhaft Abschlüsse, welche auf unter sich gleichen typischen Termin lauten, Gegenstand des Umsatzes und Verkehrs seien. Der Übergang zum Terminhandel sei also ein allmäliger und oft unmerklicher. Gegen einen Lieferungshandel, welcher die Benut- 20 zung der Börseneinrichtungen für sich nicht in Anspruch nehme, finde ein irgend welches Vorgehen börsenpolizeilicher Art im Börsengesetze keine Grundlage, und könne eine Verbreitung von Kursnotizen darüber erst da unter das Verbot des §.51 in Verbindung mit der Strafsanktion des §.77 fallen, wo das Vorhandensein 25 eines Terminmarkts im erörterten Sinne feststehe. Die praktische Unentbehrlichkeit des Lieferungshandels, für welchen der Vertreter der Müllerei speziell auf die schon jetzt für Deutschland bestehende Preisdepression gegen den Weltmarkt44 hinwies, wurde nicht
43 Im folgenden gibt Max Weber seine eigenen Ausführungen wieder. Vgl. unten, S. 731 f. 44 Die Erörterung über die Depression der deutschen Getreidepreise ist auf dem Hintergrund der Aufnahme des Verbots des Getreideterminhandels in das Börsengesetz (§50 Abs. 3) zu sehen. In dessen Folge setzte eine polemische Diskussion über die Auswirkungen des Verbots ein. Die wirtschaftsliberalen Tageszeitungen und der Handelsstand prophezeiten das Sinken der Getreidepreise. Vom Handelsstand ging die Parole aus, den Landwirten könne das Getreide künftig nur zu sehr gedrückten Preisen abgenommen werden, weil mit der Aufhebung des Terminhandels eine Absicherung gegen das Sinken oder Steigen der Preise nicht mehr gewährleistet sei. Die Agrarier dagegen deuteten den kurzfristigen Preisanstieg im Herbst 1896 bereits als Erfolg des künftigen Verbots.
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in Zweifel gezogen,45 und ferner auch von Seiten, die nicht den Börseninteressenten angehören, der Wunsch nach Wiederbeseitigung des einseitigen gesetzlichen Terminhandelsverbots zu Gunsten des Versuchs zur Herbeiführung internationaler Abmachungen darüber ausgedrückt. In der anschließenden Einzelerörterung der vorliegenden Schlußschein-Entwürfe wurde an dem Schlußschein der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse bemängelt zunächst die Bezugnahme auf die vereidigten Sachverständigen.46 Die Erörterung wandte sich dabei der Kritik der in Bezug auf diese bestehenden Zustände zu, und es wurde von landwirthschaftlicher Seite eine Umorganisation im Sinne der Eingabe gefordert und auch aus der preußischen landwirthschaftlichen Verwaltung heraus angeregt, ob nicht die Überweisung dieser Funktionen an thunlichst neutrale, d. h. nicht selbst am Handel betheiligte Personen angebracht wäre. Eine Betheiligung der Landwirthe wurde von Seiten der landwirthschaftlichen Verwaltung in jedem Falle für angezeigt erachtet. Von Seiten der Vertreter der Börseninteressen wurde bemerkt, daß der Handel wesentlich auf die Schleunigkeit und Gleichmäßigkeit des Verfahrens und deshalb auf die wirklich volle Sachkenntniß der betreffenden Personen Gewicht lege, gleichviel, aus welchen Kreisen dieselben etwa stammten. Die grundsätzliche Ausscheidung der am Terminhandel Betheiligten habe grade die besonders Sachkundigen, namentlich die Müller, von der Betheiligung ausgeschlossen, und auch jetzt werde eine grundsätzliche Beseitigung der mit ihren ökonomischen Interessen im Geschäftsverkehr Stehenden grade die Personen ausschließen, welche für die Erfüllung jener Voraussetzungen die meiste Gewähr bieten. Für Sprit sei das Entstehen von Qualitätsstreitigkeiten relativ verschwindend selten, für Stärke und Zucker nicht die Begutachtung durch die Sachverständigen, sondern die chemische Probe das Entscheidende. Des Weiteren wurde unter scharfer Betonung der Schäden des bisherigen Kündigungsverfahrens die Ansicht ausgesprochen, daß 45 Der Ansicht des Müllers Joseph Johann van den Wyngaert widersprach Graf Kanitz später im Plenum; vgl. unten, S. 711. 46 In dem neuen Schlußschein der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse wurde durch die Bezugnahme auf die vereidigten Sachverständigen immer noch an eine Einrichtung des börsenmäßigen Getreidetermingeschäfts angeknüpft.
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der in dem Schlußschein der Freien Vereinigung vorgesehene Dispositionsschein die gleichen Schäden im Gefolge haben werde. Insbesondere stehe die Möglichkeit der Cession des Anspruchs aus dem Geschäft, wie sie das dem Käufer gegebene Recht der Überweisung an einen Dritten statuire,47 mit dem Wesen des Geschäfts als eines Vertrauensverhältnisses im Widerspruch und berühre die Interessen des Verkäufers insofern, als derselbe ein Interesse daran haben könne, bezüglich der Bemängelung der Waare nicht an eine dritte Person, mit der er nicht kontrahirt habe, gewiesen zu sein, welche in dieser Hinsicht eventuell schärfere Anforderungen stellen werde. Dem gegenüber wurde betont, daß das völlige Verbot jeder Erfüllung durch einen Dritten Sonderrechte für Börsengeschäfte schaffen würde, auch äußersten Falles nur den Umlauf eines und desselben Dispositionsscheines hindern und so die jedesmalige A1121 Ausstellung eines neuen, inhaltlich gleichen, | also nur eine Verzögerung der Abwickelung herbeiführen könne, und daß die Bemängelung der Qualität durch einen Empfänger auch in diesem Falle auf den ersten Lieferer der Waare zurückfallen würde, nur daß sie nicht direkt, sondern auf einem Umwege über die Zwischenmänner, welche eine Bemängelung seitens ihres Nachmannes in jenem Falle weiter geben würden, an ihn gelangen würde. Die auch aus der Eingabe des Deutschen Landwirthschaftsraths, Ziffer 7, als dessen Auffassung ersichtliche Ansicht, daß die Lieferungsgeschäfte, soweit erlaubt, auch bei der Notiz, und zwar im Gegensatz zu dem Antrage des Bundes der Landwirthe,48 getrennt als solche berücksichtigt werden müssen, wurde namentlich auf die gesetzliche Vorschrift des §.2949 und auf die Unmöglichkeit, die Geschäftsabschlüsse bei der Notiz ohne Rücksicht auf Erfüllungszeit
47 Gemeint ist die Bestimmung des Schlußscheins: „Der Aussteller des Dispositionsscheines hat denselben seinem Käufer an einem Werktage zwischen 9 - 1 0 Uhr Vormittags zuzustellen; der Letztere ist berechtigt, die Waare an einen Dritten zu überweisen. Macht er von diesem Rechte Gebrauch, so muß er dem Überbringer des Dispositionsscheines sofort den Namen seines Käufers aufgeben." Gegen diese Bestimmung sprach vermutlich Garf Kanitz; vgl. unten, S. 727. 48 Gemeint ist der Abschnitt II Nr. 4 der Denkschrift des Bundes der Landwirte, vgl. unten, S. 1002. 49 Gemeint ist §29 BörsG.
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und sonstigen Vertragsinhalt zu konfundiren, 50 gestützt, und blieb unwidersprochen. III. Schon in Verbindung mit diesen Erörterungen war man in die Besprechung derjenigen Fragen eingetreten, welche durch die gedachten Eingaben in Bezug auf die Gestaltung der Preisnotizen angeregt wurden, und gelangte zunächst zu der Forderung einer Feststellung bestimmter, den Notizen und damit, sei es dem Handel überhaupt, sei es dem Lieferungshandel zu Grunde zu legenden Typen des Getreides. Der Herr Vertreter des Deutschen Landwirthschaftsraths hob hervor, daß der Landwirthschaftsrath seine darauf bezügliche Forderung im Interesse der Information der Produzenten über die Lage ihrer Preischancen aufstellen zu sollen geglaubt habe, wobei zu erörtern bleibe, ob die Typen örtlich verschieden, oder, was allseitig als unmöglich anerkannt wurde, für ganz Deutschland festgestellt werden sollten. Der Herr Vertreter des Deutschen Landwirthschaftsraths äußerte dabei für seine Person Zweifel an der Möglichkeit der Typenfeststellung überhaupt, welche in verstärktem Maße von dem Herrn Vertreter der Müllerei geltend gemacht und mit Hinweis auf die Gründe, welche in der seiner Zeit von den hannoverschen und braunschweigischen Handelsmüllern an den Reichstag gerichteten Eingabe vorgebracht sind,51 begründet wurden. Der Herr Vertreter des preußischen Landwirthschaftsministers führte aus, daß die Schaffung von Typen in den Kreisen der preußischen landwirthschaftlichen Verwaltung früher bei Bestehen des Terminhandels in Getreide im Interesse der Produzenten als erwünscht angesehen worden sei, daß aber bei der jetzigen veränderten Sachlage vielmehr die Auffassung Platz gegriffen habe, daß die Vortheile durch die zu gewärtigenden Nachtheile überwogen würden, da - ganz abgesehen von der Unmöglichkeit der Feststellung von Einheitstypen für Deutschland die zu erwartende Benachtheiligung der zwischen zwei Typen liegenden und der keinem Typ entsprechenden Waare im Preise bei
50 Konfundieren hat hier die Bedeutung von vermengen, vermischen. 51 Gemeint sind: Vorschläge zum Börsengesetzentwurf, betr. Terminhandel mit Getreide an den deutschen Getreidebörsen. Eingabe der freien Vereinigung der hannoverschen und braunschweigischen Handelsmüller an den Reichstag vom Januar 1896. BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5512, Bl. 162f.
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der durch die Produktionsverhältnisse Deutschlands nothwendig gegebenen individuellen Mannigfaltigkeit der produzirten Sorten zum Schaden des Produzenten übermäßig häufig, vielleicht fast regelmäßig eintreten werde, und da die wirthschaftliche Macht des mit den Typen genau vertrauten Händlers gegenüber dem Produ- 5 zenten überdies dadurch gesteigert werde. Als der zu berücksichtigende Wunsch der deutschen Landwirtschaft wurde allseitig festgestellt die Erlangung von Notizen, welche die wenigstens annähernde Abschätzung des Werthes der eigenen Produktion ermöglichen. Von Seiten der Vertretung der preu- 10 ßischen landwirthschaftlichen Verwaltung, ebenso wie von den meisten anderen Seiten wurde dafür die Aufnahme von Gewicht, Erntejahr und Provenienz des Getreides in die Notiz als erforderlich und regelmäßig auch möglich und demgemäß, soweit letzteres der Fall, allseitig als erwünscht bezeichnet. Den Kursmaklern und 15 denjenigen, welche sonst Geschäfte zur Notiz anmelden würden, soll demnach, entsprechend einer Anregung des Vertreters des preußischen Handelsministers,52 es zur Pflicht gemacht werden, soweit thunlich, danach zu verfahren. | A112 r IV. Die Erörterung über die Frühbörsen, wie sie angeregt ist 20 durch die bezeichneten Eingaben, 53 führte zu einer Erklärung von Seiten des Herrn Vertreters des preußischen Landwirthschaftsministers dahin, daß die praktisch in erster Linie in Betracht kommende Berliner Frühbörse als Börse anzusehen sei, während von Seiten des Vertreters des preußischen Handelsministers hervorge- 25 hoben wurde, der preußische Handelsminister54 glaube, daß dies von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Frage, wie maßgebend der Einfluß der betreffenden Versammlung auf die Preisbildung im Allgemeinen sei, geprüft werden müsse. Bei bejahender Beantwortung der Frage speziell für die Berliner Börse soll der Anschluß 30 derselben an die offizielle erstrebt werden. Aus den Kreisen der Herren Vertreter der Börse heraus wurde der Auffassung Ausdruck verliehen, daß die Frühbörse keine Börse sei, jedoch bemerkt, daß grundsätzlich gegen eine etwaige Behandlung dersel5 2 Es handelt sich um Adolf Wendelstadt. 5 3 Gemeint sind Abschnitt II I a der Denkschrift des Bundes der Landwirte und Abschnitt I Nr. 4 der Eingabe des deutschen Landwirtschaftsrats, unten, S. 1002 und 1007. 5 4 Dies war derzeit Ludwig Brefeld.
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ben als Börse durch die Behörden nichts werde eingewendet werden können. V. Die Erörterung wandte sich alsdann der Frage zu, in welcher Weise technisch die Notiz, speziell die Getreidenotiz, behandelt werden solle. Anschließend an eine Auseinandersetzung zwischen dem Herrn Grafen Kanitz und dem Herrn Vertreter der Königsberger Börse,55 die ich in diesem Berichte nicht in extenso wiederzugeben mich für legitimirt erachte, da es sich um rein persönliche Äußerungen der beiden Herren handelte, die sie eigentlich allein selbst korrekt reproduziren können, wurde die Frage aufgeworfen, ob grundsätzlich die Schaffung einer sogenannten Schätzungsnotiz, welche die Wiedergabe der Marktlage bezeichnen solle und daher nach den Ausführungen eines Herrn Vertreters von Börseninteressen auch unter der Voraussetzung, daß geringe, selbst unter Umständen hier und da gar keine wirklichen Umsätze stattgefunden hätten, in das Kursblatt zu setzen sei, ob eine solche Schätzungsnotiz erwünscht sei, oder ob die Notiz vielmehr die vollständig genaue Einzelwiedergabe der einzelnen Abschlüsse, die an einem Tage stattgefunden haben, und nur diese zu erstreben habe. Im Verlauf einer längeren Auseinandersetzung wurde schließlich von Seiten eines Herrn Vertreters der Börseninteressen hervorgehoben, 56 daß es am wünschenswerthesten erscheinen würde, Beides neben einander bestehen zu lassen, also sowohl obligatorisch eine in der Öffentlichkeit deutlich als solche gekennzeichnete Schätzungsnotiz, welche die Markt- und Geschäftslage wiedergeben solle, auf Grund der naturgemäß an sich subjektiven Schätzung der betreffenden betheiligten Kommissare und Funktionäre, und daneben eine umfassende Wiedergabe der Einzelpreise nach gehandelten Quantitäten und Qualitäten. VI. Es ist sodann schließlich noch eingetreten worden in die Erörterung über die Anträge der beiden Eingaben, betreffend die Schaffung eines Nachrichtendienstes,57 und es hat sich diese Erörterung sehr kurz gestaltet mit Rücksicht auf die Eröffnung des 55 Es handelt sich um Franz Schröter. 56 Im folgenden referiert Max Weber die Stellungnahme von Adolph Frentzel, der jedoch unten, S. 712, der Wiedergabe Webers widerspricht. 57 Gemeint sind Abschnitt IV der Denkschrift des Bundes der Landwirte und Abschnitt I Nr. 8 der Eingabe des deutschen Landwirtschaftsrats, vgl. unten, S. 1004 und 1008.
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Herrn Vertreters der Verbündeten Regierungen, wonach das Reichsamt des Innern die Anregung gegeben hat, - welche auch weiter verfolgt f wird - durch telegraphische Übermittelung der Feststellung der Marktpreise an den bedeutenderen deutschen Marktplätzen innerhalb des gesammten Gebietes des Deutschen Reichs Material zu einer alsdann schleunigst zu bewerkstelligenden Zusammenstellung und Publikation dieser Marktpreise zu gewinnen, und daß eine große Zahl der Verbündeten Regierungen diesem Gedanken bereits zugestimmt habe, sodaß seine Durchführung zum 1. Januar zu gewärtigen sei. 58 Von Seiten des Herrn Vertreters des Landwirthschaftsraths wurde ohne Widerspruch von anderer Seite hervorgehoben, daß der gleichmäßige Handel und die gleichmäßige Notirung nach Gewicht nothwendige Voraussetzung der einheitlichen Verarbeitung dieses Materials sein würde und auch sonst in jeder Hinsicht erwünscht sei, wenn schon dadurch für Bayern eine Abänderung des dortigen Braumalzsteuer-Gesetzes 59 sich als erforderlich erweisen würde. | A1131 Meine Herren, das ist der Bericht, den ich habe ausarbeiten können. Die letzten Partien habe ich Ihnen ohne ausgearbeiteten Bericht in möglichster Kürze vortragen müssen, weil mit Rücksicht auf das Ersuchen des Herrn Regierungsraths Müller 60 die vollständige Wiedergabe dessen, was über Preisnotizen gesagt worden ist, erforderlich war, und ich wiederhole nur, da ich nach einem ersten Konzept Ihnen diesen Bericht habe erstatten müssen, so ist nach meiner eigenen Meinung die Chance keine geringe, daß ich hier und da die Ausführungen der einzelnen Herren unzutreffend wiedergegeben habe. (Beifall.)
f A: wird;
58 Der Nachrichtendienst der Bundesregierungen, der im November 1896 zunächst probeweise aufgenommen wurde, sammelte von 51 deutschen Marktorten, den wichtigsten Produktions-, nicht Börsenplätzen, telegraphische Berichte über die Getreidepreise. BBC, Nr. 542 vom 17. Nov. 1896, Ab.BI., S.1; BBC, Nr. 609 vom 29. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1; FZ, Nr. 361 vom 29. Dez. 1896, 2. Mo.BI., S.2; NAZ, Nr. 13 vom 9. Jan. 1897, Mo.BI., S. 1. Diese wurden vom Kaiserlichen Statistischen Amt in Berlin zusammengestellt und als „Berichte von deutschen Fruchtmärkten" im Reichsanzeiger veröffentlicht, erstmals, in: Reichsanzeiger, Nr. 8 vom 11. Jan. 1897,1. Beilage, S. 1. 59 Die Braumalzsteuer wurde in Bayern nach Volumen (Hektoliter), nicht nach Gewicht erhoben. Art. 8 des Braumalzsteuergesetzes. 60 Es handelt sich um Traugott Mueller.
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Der Vorsitzende Wilhelm Herz dankt dem „Referenten für die außerordentlich ausführliche und mühsame schleunige Bearbeitung". Graf Kanitz schließt sich dem an, ergänzt aber Max Webers Bericht zu zwei Punkten, zu denen er gestern geschwiegen habe, so daß der Referent berechtigt gewesen sei, auf Zustimmung zu schließen. Es sei gesagt worden, daß auch von den Vertretern der Landwirtschaft das Bedürfnis des Lieferungsgeschäfts in Getreide anerkannt worden ist. Er seinerseits erkenne ein solches Bedürfnis nicht an und er habe auch noch niemals ein Geschäft auf Lieferung gemacht. Dann habe der Referent gesagt, daß sich bereits jetzt eine Depression der Getreidepreise in Deutschland gegenüber den Weltmarktpreisen kund gebe. Hier wirft Max l i e b e r ein:
„Daß der Vertreter der Müllerei den Hinweis darauf gemacht hat!" 61 Graf Kanitz möchte unter Hinweis auf eigene Beobachtungen hervorheben, daß die Ansicht, als ob der Getreidepreis in Deutschland ungünstiger stehe als der Weltmarktpreis, eine irrtümliche ist. Joseph Johann van den Wyngaert bemerkt zum letzten Punkt des Grafen Kanitz, daß die Äußerung von ihm ausgegangen sei, somit habe er sie zu beweisen. Es handle sich nicht um Lokopreise, sondern um Terminpreise. 62 Sodann habe er gestern die Zurückziehung von Typen nicht damit begründet, daß von Hannover andere Vorschläge gekommen seien. 63 Vielmehr habe er kein Gewicht mehr auf die Festsetzung von Typen gelegt, nachdem das Termingeschäft jetzt fortgefallen ist.
Herr Weber: Ja, ich habe auch nicht in dem Bericht gesagt, daß [A113 r] Herr van den Wyngaert diese Ansicht ausgesprochen habe, weil das 5 in der Eingabe stände, sondern ich habe gesagt: unter Hinweis auf die Ausführungen in der Eingabe.64 Die Begründung seitens des Herrn van den Wyngaert war eine ähnliche wie die in der Eingabe, wenn ich nicht irre. Dem Herrn Grafen von Kanitz möchte ich nur sagen: ich habe 10 diese Äußerung nur als eine rein subjektive des Herrn van den Wyngaert wiedergegeben.
61 Vgl. die Ausführungen Max Webers, oben, S. 704f. mit Anm. 45. 62 Bis zur nächsten Sitzung am 26. November 1896 hatte Joseph Johann van den Wyngaert seinerseits die Terminpreise in- und ausländischer Weizenpreise recherchiert und mußte zugeben, daß der deutsche Weizen zu etwas höherem Terminpreis als der ausländische Weizen notiert worden war. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 153f. 63 Gemeint ist die Eingabe der freien Vereinigung der hannoverschen und braunschweigischen Handelsmüller an den Reichstag vom Januar 1896 (wie Anm. 51). 64 Wie Anm. 63.
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Der andere Irrthum betraf die Anerkennung der Nothwendigkeit des Lieferungsgeschäfts. Da beziehe ich mich auf die Äußerung, die ich so deuten zu müssen glaubte, die Herr Graf von Kanitz über den Unterschied der Situation eines Händlers in Königsberg, der aus Rußland, und eines Händlers, der von Californien aus 5 Getreide beziehe, machte, wo also ohne die regelmäßige Möglichkeit einer Probe und deshalb mit der Nothwendigkeit, einen Lieferungsschlußschein zu haben, gekauft werden müßte. Nach einem weiteren Redebeitrag des Grafen Kanitz spricht Adolph Frentzel. Der Referent habe seine Bemerkung, wie die Notizen an den Börsen für Lokogetreide und Lieferung zu erstellen seien, erwähnt. Er möchte richtig stellen, daß er sich die Notierung der einzelnen Effektivgeschäfte nicht, wie Max Weber berichtet hat, „nach Qualität und Quantität", 65 sondern nur nach Qualität gewünscht habe. Danach eröffnet der Vorsitzende Wilhelm Herz die Diskussion über den ersten Teil der Denkschrift des Bundes der Landwirte. In der ausführlichen Aussprache, die räumliche und organisatorische Trennung der Produkten- von der Effektenbörse herbeizuführen bzw. Landwirte an der Börsenleitung zu beteiligen - beides wird von den Vertretern des Handels als unpraktikabel abgelehnt - , meldet sich Max Weber zu Wort:
[A128 r]
Meine Herren, ich vermisse bei den bisherigen Erörterungen, daß eins zur Sprache gekommen ist, - wobei ich allerdings nicht 10 weiß, ob außer vielleicht Herrn Geheimrath Frentzel in unserer Mitte irgend Jemand ist, der darüber Auskunft geben kann, - nämlich aus welchen Gründen die Trennung der Fondsbörse von der Produktenbörse, wie sie in englischen und amerikanischen Verhältnissen die Regel ist, und die9 im Laufe der Zeit sich spontan ent- 15 wickelt hat, bei uns unmöglich ist. Vielleicht kann Herr Geheimrath Frentzel oder einer der anderen Herren darüber Auskunft geben. Ich weiß es nicht. Ich muß gestehen, daß ich an und für sich eine gewisse erhebliche Sympathie für eine solche Trennung haben würde, und zwar wesentlich aus dem Grunde, weil die Herren von 20 den Fondsbörsen wohl nicht in Abrede stellen werden, daß, wie es speziell wohl auch in Hamburg hervorgetreten ist, die unerfreulichsten an der Börse überhaupt hervorgetretenen Elemente wohl gerade in der Kursspekulation bei dem Fondsterminhandel hervorg A: das 65 Vgl. oben, S. 709 mit Anm. 56.
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getreten sind. Ich glaube, daß diese Ansicht ziemlich allgemein getheilt wird, und aus diesem Grunde wäre es vielleicht nicht unerwünscht, wenn jedenfalls der spekulative Fondshandel nicht in allzu nahe äußere Beziehungen mit dem Effektivgeschäft und mit dem Produktengeschäft überhaupt gebracht würde. A b e r ob es möglich ist, und weshalb in Deutschland eine andere Organisation unmöglich sein soll, weiß ich nicht. Daß sich dafür Gründe denken lassen, liegt auf der Hand. hIn der geringeren Bemühung und der Benutzung der Banquiers, der geringeren geldwirthschaftlichen h Arbeitstheilung überhaupt, die mit der größeren Jugend der deutschen Börse zusammenhängt, kann ein Grund, weshalb sich das bisher nicht auch bei uns entwickelt hat, sehr wohl gefunden werden. A b e r darin kann andererseits doch eine unüberwindliche Schwierigkeit bei dem jetzigen Stande unserer Börsenentwickelung nicht mehr gefunden werden. - Dann, meine Herren, wird sich doch nun wohl nachgerade die Frage erheben, wie soll geschäftsordnungsmäßig verfahren werden? Sollen wir überhaupt hier abstimmen? 66 Es ist vorher von Herrn Geheimrath Gamp der Antrag angekündigt 67 - ich weiß nicht, ob er schon gestellt ist, wenn nicht, werde ich auch keinen stellen - sonst werde ich das bei dem gestellten Antrage zum Ausdruck bringen - , daß es wünschenswerth erscheint, Vertreter der Landwirthschaft und Müllerei an solchen Börsen, bei denen sich ein Handel mit landwirthschaftlichen Produkten vollzieht, | in die Vorstände bezw. die betreffenden Abthei- A 1291 lungen derselben - woraus hervorgehen würde, daß eine Umordnung der Berliner Börse nicht absolut nöthig sein würde, - und ebenso in die Sachverständigen-Kommission zu deputiren, allerdings nicht ein Drittel, 68 sondern eine Anzahl von Herren und diese im Vorstand, insoweit, aber auch nicht weiter, mit beschließenh A: Die geringere Bemühung und die Benutzung der Banquiers, die geringere geldwirthschaftliche 66 Zur A b s t i m m u n g vgl. die Ausführungen des Vorsitzenden unten, S. 716. 67 In d e n Protokollen ist lediglich eine Empfehlung Karl G a m p s festgehalten, der provisorische Börsenausschuß m ö g e der Forderung nach Entsendung von Vertretern der Landwirtschaft und der Müllerei in den Vorstand der Produktenbörse zu zustimmen. Vgl. d e n Wortlaut unten, S. 749f., Anm. 14. 68 Max Weber nimmt B e z u g auf die in der Denkschrift des Bundes der Landwirte und in der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats gestellte Forderung unter Abschnitt I Nr. 3 bzw. Abschnitt I Nr. 2 und 3; vgl. unten, S. 1000 und 1007.
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der Stimme, als es sich um Regelung des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten handelt. Ausgeschlossen müßten ja jedenfalls die Vermögensverwaltung und alle derartigen Angelegenheiten sein. Die volle Gleichstellung in der Verwaltung der Börse würde ich einem der außerhalb stehenden Interessenten, der sich am Verkehr nicht regelmäßig betheiligt, unter keinen Umständen concediren wollen. Es ist hier wiederholt zur Begründung aller möglichen Forderungen davon gesprochen worden, ob die Börse „Selbstzweck" sei und dies verneint worden. Allein auch die landwirtschaftliche Produktion ist kein „Selbstzweck", und wenn man aus jenem Satz allgemeine Folgerungen ableiten will, dann müßte man ja auch auf die Folgerung kommen, daß, ebenso wie die Börse, weil sie eine Institution im Interesse der Produzenten sein würde, von diesen kontroliert werden müsse, so etwa die landwirtschaftliche Produktion, weil sie z.B. eine Institution im Interesse der Konsumenten sei, von diesen zu beaufsichtigen sei. Ich glaube, solche allgemeinen Sentiments sind keine geeigneten Grundlagen praktischer Forderungen. Wenn dann Graf von Arnim die möglichste Öffnung der Börse als das wünschenswerteste bezeichnet hat, so steht das ja mittelbar in einem gewissen Widerspruch mit den sonst auf dem Gebiete der Börsengesetzgebung hervorgetretenen Tendenzen,69 speziell allerdings auch mit meinen persönlichen Anschauungen, die vielmehr dahin gehen würden, eine gewisse, wenn man es unfreundlich ausdrücken würde, plutokratische Abschließung der Börse herbeizuführen, insofern, als ich weniger den schwer zu erbringenden moralischen Befähigungsnachweis, wie ihn die Börsenenquete-Kommission und das Börsengesetz70 erstreben, als vielmehr den ökonomischen Befähigungsnachweis, nämlich den Nachweis eines bestimmten Besitzes, eingeführt sehen möchte, ein Gedanke, an dessen Durchführung zur Zeit nach Lage der Stimmung in Deutschland allerdings gar nicht zu denken ist. Das Monopol, welches, wie Graf von Arnim sagt, der Handel an der Börse besitzt, ist nicht durch künstliche Mittel geschaffen, sondern ist naturgemäß und geht aus der berufsmäßigen Kenntniß des 69 Gemeint sind die Zulassungsbeschränkungen zum Börsenbesuch und zur Teilnahme am Börsenterminhandel. §§7, 54, 55, 57, 58, 61 BörsG. 70 Max Weber nimmt Bezug auf: Börsenenquetekommission, Vorschläge I B und I C; vgl. den Abdruck unten, S. 9 3 8 f „ und auf die §§ 7 - 8 BörsG, vgl. unten, S. 976f.
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Maklers hervor. Wenn ich mich an die frei zugängliche Hamburger Börse hinbegeben würde, würde ich mich da doch sehr von Gott verlassen und außer Stande fühlen - weil man meine Kreditwürdigkeit nicht kennt, andererseits, weil ich den Markt nicht kenne - , 5 irgend etwas von diesem Zutritt zum Verkehr zu profitiren. Nach den sonst herrschenden Anschauungen aber möchte man von einem solchen Zutritt der Landwirthe zur Börse doch nur irgend welche Infektion und Gefährdung dieser Herren, aber keinen Nutzen für sie erwarten. Die Beschwerde darüber, daß die Börse nicht frei 10 zugänglich sei, scheint mir mit diesen Anschauungen schwer vereinbar. Auf die von Max Weber gestellte Frage, warum eine örtliche Trennung von Effekten- und Produktenbörse in Deutschland unmöglich sein soll, antworten im weiteren Verlauf der Debatte Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, Jean Andreae und Adolph Frentzel. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy meint, das Geschäft der Produktenbörse fordere vielfach die sofortige Inanspruchnahme der Fondsbörse und umgekehrt. Über die Londoner Verhältnisse beschweren sich, wie er höre, vielfach die Engländer selbst. Jean Andreae stellt einen Zusammenhang zwischen der Trennung der Börsen in England und den Vereinigten Staaten und ihrer Exklusivität her. Die Trennung der Börsen, selbst verschiedener Warenbörsen, habe sich nach den vorliegenden Bedürfnissen in dieser Form entwickelt. Ähnlich sei es in Mannheim gewesen. Es solle jeder Stadt gestattet sein, „die Verhältnisse derart zu belassen, wie sie sich im Laufe der Jahre gebildet haben". Adolph Frentzel nennt als Grund die Leichtigkeit, mit der Mitglieder beider Börsen ohne Zeitverlust ihre Geschäfte machen können, und betont die Wichtigkeit des Zusammenflusses aller Nachrichten, auch dank der in Berlin im Börsengebäude konzentrierten technischen Einrichtungen. Auch sei es für den Kaufmann wichtig, von den Verhandlungen beider Börsen Kenntnis zu haben, weil sich deren Preise wechselseitig beeinflussen. Er beantragt, über die Frage der Trennung von Fonds- und Produktenbörse nicht abzustimmen, sondern das pro und contra im Bericht an den Bundesrat auszuführen. Als nach einem Antrag von Lexis beschlossen wird, die Debatte zu beenden, liegen, wie der Vorsitzende Wilhelm Herz mitteilt, noch Wortmeldungen vor, darunter eine solche von Max Weber. Doch hat er erst in der folgenden Geschäftsordnungsdebatte wieder das Wort ergriffen. Sie wird ausgelöst, als der Vorsitzende den Antrag von Adolph Frentzel zur Abstimmung stellt. Graf Arnim erklärt sich einverstanden, auf Abstimmungen zu verzichten: „Aber dies muß dann generell ausgesprochen werden." Wenn die Ausschußmitglieder sich dazu nicht in der Lage sehen, schlage er vor, daß auch über diesen Punkt abgestimmt wird.
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Hierzu äußert der
[A 132 I]
des provisorischen
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Vorsitzende:
Meine Herren, wir haben über die erste Vorlage immer abgestimmt, und die zweite Vorlage unterscheidet sich von der ersten dadurch, daß es eine Eingabe des Bundes der Landwirthe ist und des Deutschen Landwirthschaftsraths, die uns zur Begutachtung oder zur Kritik zugegangen sind. Es ist aber keine eigentliche Vorlage des Bundesraths, wie die erste war. Also nach der Erklärung, daß man auf die Abstimmung im Bundesrath wahrscheinlich kein großes Gewicht legen wird, hätten wir auch schon für den ersten Gegenstand unserer Tagesordnung eigentlich gar nicht abzustimmen brauchen, sondern nur die Meinungen zu Protokoll nehmen können. Wenn die Versammlung auf eine Abstimmung verzichten will, stimmen wir nicht ab. Dann würde sich das, glaube ich, aber nur auf I beziehen. Wenn Sie aber Beschluß fassen wollen, über die ganze Vorlage nicht abzustimmen (Ruf: Natürlich! Ruf: Entweder - oder!)
Herr Weber (zur Geschäftsordnung): Ich habe geglaubt, daß mit der Überweisung der Eingabe des Bundes der Landwirthe an die Kommission mit der Motivirung, daß man diese Vorschläge nicht für eine geeignete Unterlage einer Berathung hier hielte, allgemein auf den Gedanken verzichtet wurde, überhaupt hierüber abzustim- 5 men, und, wie eben der Herr Vorsitzende ganz richtig sagte, wenn es vielleicht schon geschäftsordnungsmäßig ein Fehler von uns gewesen ist, über die erste Vorlage abzustimmen, so brauchen wir diesen Fehler doch nicht bei der zweiten zu wiederholen. Kurz darauf wird der Antrag des Grafen Arnim, über die Denkschrift des Bundes der Landwirte und die Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats nicht abzustimmen, mehrheitlich angenommen. Dann ergreift Adolph Frentzel das Wort:
[A 132 r]
Ich möchte noch einen Antrag stellen, meine Herren. Ich glaube, wir sind alle heute sehr erfreut gewesen über den außerordentlich lichtvollen Bericht des Herrn Professors Weber, und ich möchte nun den Antrag stellen, daß diese Versammlung das Mandat, was sie mir im Ganzen gegeben hat, 71 nunmehr theilen und den zweiten Theil Herrn Professor Weber übertragen möge. Wollen Sie ihm die ganze Arbeit übertragen, soll es mir auch recht sein. (Heiterkeit.) Ich will weiter nichts hinzufügen. Ich stelle den Antrag.
Herr Weber: Ja, wenn ich dazu nur bemerken darf: das ist in der 10 Art der Motivirung sehr liebenswürdig von Herrn Geheimrath Frentzel. Aber es hat auch seine erhebliche andere Seite. Ich muß 71 Adolph Frentzel hatte den Auftrag erhalten, ein Gutachten über die Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses und einen Bericht über die Erörterungen der Subkommission zu verfassen.
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Verhandlungstag
III
am nächsten Samstag Abend in Freiburg sein aus amtlichen Gründen,72 die sich äußersten Falls, aber doch nur sehr schwer beseitigen lassen, und ich glaube doch, da Herr Geheimrath Frentzel Vorsitzender der Subkommission gewesen ist, so ist seine Situation 5 diesem Material gegenüber mindestens die gleiche, wie die meinige, ganz von seiner größeren Sachkenntniß abgesehen. Ich weiß nicht, wie lange der Ausschuß noch zu sitzen gedenkt und eventuell auch noch zu sitzen im Stande sein wird. Ich halte ihn für im Stande, daß er noch die ganze Woche sitzt. Wenn man garantiren würde, 10 daß die Sache morgen zu Ende geht, so könnte ich das übernehmen. So kann ich es nicht, zumal ja hier noch die Vertretung vor dem Redaktionsausschuß73 erfordert wird. Herr Frentzel: Dann werde ich mir vielleicht morgen erlauben, meinen Antrag zu erneuern; meine Herren, ich glaube, wir werden dann fertig sein. Die Sitzung wird bald darauf geschlossen.
[6. Verhandlungstag, 26. November 1896] Beginn: 10 Uhr Schluß gegen 18 Uhr Erörtert werden zunächst die in Abschnitt II der Denkschrift des Bundes der Landwirte und in Abschnitt I Ziffer 5 der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats aufgeworfenen Fragen, wie den Mißbräuchen bei der Notierung von Getreidepreisen entgegengetreten und der Nutzen dieser Notierungen für den produzierenden Landwirt erhöht werden könnte. Die Vertreter der Landwirtschaft kritisieren vor allem die Willkürlichkeit der Kursbestimmung durch die Börsenorgane und die Undurchsichtigkeit der Kursnotizen. Sie wünschen sich eine Erfassung der Qualitäten und die Angabe der Quantitäten bei der Kursnotiz. Die Kurse sollen Durchschnittspreise sein, ermittelt aus den Angaben über die tatsächlich abgeschlossenen Geschäfte. Damit diese zur Kenntnis der Börsenorgane gelangen, soll ein Schlußnotenzwang eingeführt und eine dritte Schlußnote dem Börsenkommissariat zur Ermittlung der
72 Aus Briefen an Marianne Weber geht hervor, daß Max Weber w e g e n des provisorischen Börsenausschusses bereits eine Prüfung auf Samstag, den 28. November 1896, v e r s c h o b e n hatte. A b e r auch diesen Termin sagte er ab. Briefe an Marianne Weber v o m 22. und 25. Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer. Deponat BSB München, A n a 446 (MWG II/ 3). 7 3 Der Redaktionsausschuß sollte nach Fertigstellung des Berichts an d e n Bundesrat zusammentreten; vgl. oben, S. 696.
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Kurse zugestellt werden. Auf diesen Schlußnotenzwang konzentriert sich die Diskussion. Mehrfach wird auch gefordert, die Frühbörsen wie Börsen zu behandeln und sie dem Börsengesetz sowie den darin vorgesehenen Aufsichten zu unterstellen. Die Handelsinteressenten bestreiten die Notwendigkeit, die bisherige Praxis zu ändern. Es sei technisch nicht durchführbar, alle Geschäfte mit Hilfe der Schlußnoten in den gebotenen Zeiträumen zu erfassen. Entschieden abgelehnt wird das Ansinnen, alle Geschäfte zur Kenntnis des Börsenkommissariats zu bringen und sie gleichsam öffentlich zu machen. Das werde den Handel von der Börse fernhalten und das Gegenteil von dem bewirken, was erwünscht wäre. Die Regierungsvertreter lehnen die Einführung einer dritten Schlußnote ab, weil - entgegen der Auffassung des Grafen Arnim - auch durch das Börsengesetz keine gesetzliche Grundlage für die Einführung eines Schlußnotenzwangs gegeben sei, wie immer man die Rätlichkeit beurteilen möge. Graf Arnim verweist zum Beweise, daß eine umfangreiche, auf Gesetz beruhende Erfassung von Getreidepreisen und Quantitäten, unterschieden nach Qualitäten, möglich sei, auf das englische Gesetz über die Getreidestatistik vom 10. August 1882 (Com Returns Act) 7 4 und auf die in den Vereinigten Staaten üblichen quotation books, 7 5 in die die Börsenhändler alle Geschäfte einzutragen und welche sie auf Verlangen vorzulegen haben. In seiner Entgegnung weist Adolph Frentzel auf den Zweck der englischen Getreidestatistik hin, die inländische Produktion zu erfassen, während die für die Getreidepreise weit wichtigere Einfuhr und damit der eigentliche Kornhandel unberücksichtigt bleibe. Frentzel erklärt, mit Karl Gamp und Graf Schwerin vollständig in folgendem übereinzustimmen: [A 147 r] Werth haben eigentlich nur Notizen von großen Börsen, an d e n e n viele' G e s c h ä f t e gemacht werden. D a r u m , meine Herren, soll man den Zutritt zur B ö r s e und das H a n d e l n dort nicht erschweren, denn sonst wird m a n bald
i A: viel 74 Die Com Returns Act vom 10. August 1882 bildete - wie ihre Vorläufer seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert - die Grundlage für die statistische Ermittlung der Durchschnittspreise des englischen Getreides nach Quantitäten und Qualitäten. Zu diesem Zweck waren 196 englische Marktorte - nicht Börsenplätze - bestimmt worden. Jeder, der an diesen Orten mit englischem Getreide handelte, war verpflichtet, einmal wöchentlich alle Geschäftsabschlüsse unter Angabe der Preise, Menge und Qualität einem Inspektor mitzuteilen. Nach den Zusammenstellungen der Inspektoren wurden die Durchschnittspreise berechnet. Nicht erfaßt wurden schottisches und irisches Getreide. Ursprünglich hatten die Getreidestatistikgesetze den Sinn, die einheimischen Landwirte vor der Konkurrenz des Importgetreides zu schützen. Com Returns Act vom 10. August 1882 in deutscher Übersetzung, in: Kreuzzeitung, Nr. 305 vom 2. Juli 1896, Mo.BI., Beilage, S. 3; Schumacher, Com returns act. 75 Zu den quotation books vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1059.
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sich das Instrument zerstören, was richtige Notizen giebt, und ich glaube, das ist etwas, was die Herren auch freundlichst beachten sollten. N a c h e i n e r h a l b s t ü n d i g e n P a u s e e r g r e i f t Max
Weberdas
Wort:
Ich muß wohl das Wort ergreifen, obwohl ich das Ergebniß der weiteren Erörterung dieser Frage eigentlich abwarten wollte. Ich darf aber vielleicht doch einige Bemerkungen machen. Ich wollte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Geheimraths Frentzel wenigstens Eins bemerken. Herr Geheimrath Frentzel hat u. A. ausgeführt, daß ein großer Markt oder der möglichst freie Zutritt zum Markt die sicherste Gewähr für eine korrekte Preisbestimmung wäre. Ich habe seiner Zeit die Verhandlungen der Börsenenquete-Kommission ziemlich in's Einzelne hinein verfolgt,76 meine Herren, und erinnere mich genau, daß er damals die, wie ich glaube, zutreffende Ausführung gemacht hat, daß für die Preisnotirung keineswegs die Offerte oder der Abschluß jeder beliebigen Persönlichkeit derjenigen jeder andern äquivalent zu erachten sei. Er ging sogar von der Meinung aus, daß der Börsenkommissar von der Notiz zurückzuweisen hätte nicht nur Abschlüsse, die sich in einer Preislage bewegen, die als abnorm zu erachten ist, sondern auch Abschlüsse, die von nicht als voll kreditwürdig bekannten, also von nicht | kapitalkräftigen Personen gemacht wären, und es A1481 scheint mir daraus wiederum die Konsequenz zu sein - es hat ja jetzt keine praktische Bedeutung - , daß dieser absolut freie Zutritt auch Kapitalloser zum Markt in seinen Wirkungen auf die Preisnotiz etwas höchst Zweifelhaftes wäre. Meine Herren! Ich habe eigentlich dem Herrn Grafen von Arnim zunächst auf einige Bemerkungen antworten wollen. Herr Graf von Arnim hat vorhin den Schlußnotenzwang empfohlen aus einigen Analogien heraus, und zwar einmal der Corn Returns Act, auf die Herr Geheimrath Frentzel schon eingegangen ist. Ich möchte mir dazu zunächst eine mehr persönliche Bemerkung gestatten: er hat dabei Herrn Dr. Schumacher einen kleinen Hieb versetzt, weil dieser in der Nationalzeitung schreibe und dort Mittel und Wege zur Verbesserung des Schlußscheins der „freien Ver-
7 6 M a x W e b e r s referiert im f o l g e n d e n seine Ausführungen in: Ergebnisse quete, oben, S. 379 und Fußnote 46.
der
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Börsenausschusses
einigung" angegeben habe.77 Ich möchte nur hervorheben: daß das gerade in der Nationalzeitung78 geschehen ist, ist wohl kein Grund gegen die Richtigkeit seiner Ansichten. Herr Dr. Schumacher hat die Ausführungen, die sich gegen den Grafen von Arnim richteten, seiner Zeit in der Kreuzzeitung gemacht,79 und - da wir einmal dabei sind - die Sache liegt nun einmal so für uns, meine Herren, wir sogenannten Kathedersozialisten, oder wie wir sonst genannt werden, müssen uns heute irgend wo in der Presse Unterkunft suchen. Wir kommen eigentlich nirgend unter und nirgend zum Wort. Wir sind außerordentlich viel mundtödter (Heiterkeit), als jede Minorität, die sich hier so fühlt. Ich selbst habe gelegentlich die Freundlichkeit der Kreuzzeitung für mich in Anspruch genommen.80 (Herr Graf von Arnim: die Juristenzeitung!) Ganz recht, auch die Juristenzeitung steht mir zur Verfügung, aber nicht für beliebige Ausführungen, sondern für Ausführungen wissenschaftlichen Charakters.81 Ich würde auch kein Bedenken tragen, eventuell die Gastfreundschaft der Nationalzeitung in Anspruch zu nehmen, je nachdem, aber irgend eine bestimmte allgemeine Tendenz und Parteistellung folgt daraus, glaube ich, nicht. Den Bemerkungen des Herrn Geheimraths Frentzel über die Corn Returns Act möchte ich nur das Eine hinzufügen: es wäre sehr irrthümlich, anzunehmen, daß über die Notizen, die auf Grund dieser Erhebungen zu Stande kommen, niemals Streit und Zank gewesen wäre, daß die nicht bemängelt wären, so lange sie eine 77 Gemeint ist Schumacher, Getreidelieferungsgeschäft. „Der kleine Hieb" gegen die Veröffentlichung Hermann Schumachers in der National-Zeitung ist in den gedruckten Protokollen des provisorischen Börsenausschusses nicht enthalten. Protokolliert ist die Bemerkung von Graf Arnim: „Herr Dr. Schumacher hat zwar in einigen Artikeln die Bedeutung der Corn Returns Act abzuschwächen und mich zu widerlegen versucht, indem er nachwies, daß die Corn Returns Act nicht überall in England durchgeführt sei, und ich habe dieses auch nie behauptet." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 140. 78 Die National-Zeitung, eine 1848 gegründete Tageszeitung in Berlin, stand den Nationalliberalen nahe. 79 Gemeint ist Schumacher, Corn returns act. Die „Neue Preußische Zeitung", die Tageszeitung der evangelischen Hochkonservativen, wurde nach dem Eisernen Kreuz im Kopf des Blattes gewöhnlich Kreuzzeitung genannt. 80 Max Weber bezieht sich auf seine Zuschriften an die Kreuzzeitung: Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm, und: Eingesandt, MWG I/4, S. 517-519, S.522f. 81 Max Weber bezieht sich auf seinen zweiteiligen Artikel „Die technische Funktion des Terminhandels", oben, S. 5 9 7 - 6 1 3 .
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wirklich bedeutend erhebliche praktische Bedeutung hatten, nämlich in Zusammenhang standen, so viel ich mich erinnere, - ich speziell kenne die Corn Returns Act in den Einzelheiten nicht - so lange sie, mit der Zugeidsetzung der Kornabgaben82 oder mit der sliding scale83 zu Grunde gelegt wurden. Daß jetzt diese Notizen auf Grund der Akte im Allgemeinen ein gewisses Stillleben führen und wohl, so viel ich weiß - ich weiß es ja nicht, Herr Graf von Arnim weiß es ja vielleicht besser - , nicht sehr stark angefochten wurden in England, das hat wohl seinen Grund in der stark schrumpfenden Bedeutung dieser Notizen. Diese stark schrumpfende Bedeutung geht ja auch daraus hervor, daß das Quantum, welches von diesen Notizen erfaßt wird und welches sie wiedergeben, ein ganz verschwindendes im Verhältniß des gesammten, für die Versorgung des englischen Markts in Betracht kommenden Quantums ist, ein relativ weit geringeres, als das für irgend eine Notiz an irgend einer deutschen Börse, glaube ich. Was zweitens die Quotation Books betrifft, die Herr Graf von Arnim heranzieht, so ist es ein Irrthum zu meinen, daß diese Quotation Books in Amerika schwindelhafte und unvollständige Notizen ausschlössen. Es kommt oft genug vor, daß zwei Leute, die ein Interesse haben, eine bestimmte Notiz herauszubringen, ein fiktives Geschäft auf den Morseapparat bringen.84 Im Übrigen aber ist ein Quotation Book nicht zu verwechseln etwa mit einem Deklarationszwang. Davon ist beim Quotation Book keine Rede. Es ist ja nun als gesetzliche Stütze des Schlußnotenzwanges der §.6 des Börsengesetzes, über dessen Tragweite wir gestern oder vorgestern in der Kommission bereits ein (gehend debattirt haben, A 148 r herangezogen worden.85 Es ist aber selbstverständlich, daß die 82 Durch das Gesetz von 1836 wurde die Kornabgabe (Getreidezehnt) durch eine Geldabgabe ersetzt. Die Geldabgabe wurde nach den Durchschnittspreisen der Getreidestatistiken bemessen. Vgl. oben, Anm. 74. 83 Mit der „gleitenden Zollskala" von 1828 wurde der Preis für Importgetreide an die Durchschnittspreise des englischen Getreides gebunden und zwar dergestalt, daß bei niedrigen Preisen ein höherer, bei höheren Preisen ein niedriger Zoll auferlegt wurde. Die Regelung wurde 1846 durch Gesetz aufgehoben. Schumacher, Corn returns act, I. Teil. 84 Gemeint ist der sog. „ticker", der laufenden Kursnotierungen ausdruckt. 85 Graf Arnim hatte den Regierungsvertretern, die der Meinung waren, der Bundesrat habe keine gesetzliche Möglichkeit, den Schlußnotenzwang einzuführen, entgegengehalten, § 6 Satz 3 BörsG biete dazu eine Handhabe. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 139.
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Tragweite des Ausschlusses von den Börseneinrichtungen, für den dieser Paragraph günstigsten Falles dem Bundesrath die Zuständigkeit giebt, eine doch immerhin recht problematische ist. Durch ein Zurückgreifen auf diesen Paragraphen würde man wohl nur dann etwas wirklich Durchgreifendes erreichen können, wenn man 5 ein Maklermonopol, oder natürlich noch mehr, wenn man einen heute wohl absolut unmöglichen Maklerzwang gesetzlich einführt; und selbst ein Maklermonopol würde ja nur möglich sein unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wenn man etwas, wie etwa das Syndikat der agents de change86 dahinter stellt, eine solche ungeheure 10 Centralstelle, an der Alles zusammenläuft. Es ist für mich aber sehr problematisch, ob das beim Produktenhandel überhaupt möglich wäre; aber das würde die Voraussetzung, glaube ich, einer wirklich erheblichen Tragweite, eines Schlußnotenzwanges sein. Nun noch einige Bemerkungen zu anderen Punkten: 15 Mit Recht glaube ich, ist von den Herrn landwirthschaftlichen Interessenten hier heut die Unterstellung der Frühbörse unter die Börsenordnung gefordert worden. Es ist eigentlich nicht recht einzusehen - ich habe es wenigstens nicht recht einsehen können - , warum das auch von Seiten der Berliner Börse nicht bereits aus ei- 20 genem Antrieb geschehen ist. Daß es jetzt unbedingt zu geschehen hat, scheint mir wohl ganz zweifellos. Es sind auch eigentlich ernstliche Bedenken dagegen vorgestern in der Kommission nicht erhoben worden. Daß der Herr Handelsminister da noch nicht eingegriffen hat, kann ich mir sehr einfach dadurch erklären, daß er 25 überhaupt erst seiner Zeit in complexu in die Erörterung der Ausführung des Börsengesetzes eingetreten ist und bis dahin keine Einzelmaßregel ergriffen hat.87 Ferner war meines Erachtens ganz unzweifelhaft eine berechtigte Forderung von landwirthschaftlicher Seite die Notiz der Quan- 30 ten, die gehandelt sind. Herr Geheimrath Frentzel, der in der Kommission einer Notiz nach Qualität bereitwilligst zustimmte, hat -
86 Gemeint ist die chambre syndicale. 87 Über die für Handelsminister Ludwig Brefeld einstweilen noch unübersichtliche Rechtslage hat der Vertreter des Handelsministeriums Wendelstadt zuvor die Mitglieder des Börsenausschusses informiert. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 141. Zur Behandlung der Berliner Frühbörse als Börse vgl. auch die Ausführungen Max Webers unten, S. 816, Fußnote 6 mit Anm. 81.
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ich habe ihn damals in der Kommission nicht verstanden, er hat das hier rektifizirt - der Feststellung derjenigen Quanten, die der Notiz zu Grunde liegen, entschieden widersprochen88 - , aus welchem Grunde eigentlich, weiß ich nicht. Gerade wenn er die sogenannte Schätzungsnotiz für ein gesundes und berechtigtes Institut hält, gerade dann muß er doch die Konzession machen, daß unbedingt festgestellt werden muß: wie viel ist eigentlich an dem betreffenden Börsentage gehandelt. Namentlich, wenn nun vollends an dem betreffenden Börsentage gar nichts gehandelt ist und doch die Schätzungsnotiz erscheint, so muß das Publikum das wissen. Wenn das richtig ist, was von einem Herrn der Berliner Börse seiner Zeit gegen die Feststellung der Quanten geltend gemacht wurde: ja, was an Waare durch die Berliner Hauptbörse läuft, ist nur ein geringer Bruchtheil des Umsatzes89 -, dann muß erst recht festgestellt werden und dem Publikum in irgend einer angemessenen Weise zur Kenntniß gebracht werden, daß das der Fall ist, und sofern wirklich ein solcher, wie ich glaube, nur durch die einmal vorhandene Gewohnheit zu begründender Widerspruch gegen die Feststellung der Quanta noch erhoben werden sollte, so würde es wohl dankenswerth sein, wenn die Herren Vertreter der Berliner Börse das speziell etwas näher begründeten, warum sie das für bedenklich erachten. Und wenn etwa zum Zweck der Quanten-Ermittelung schließlich doch zur Erzwingung irgend einer Deklaration darüber seitens der Abschließenden gegriffen werden müßte, so kann ich nur sagen, daß mir auch hier die Gegengründe dagegen in ihrer sachlichen Tragweite nicht ganz durchsichtig sind. Ich habe den Eindruck, als ob eigentlich nur das Ungewohnte des Verlangens es wäre (sehr richtig!). Das ist ja ohne Weiteres anzunehmen, daß zunächst die Folge eine ziemlich starke Abnahme, ein Abdrängen der Geschäfte von der Börse wäre. Aber ich zweifle eigentlich nicht daran, daß diese Geschäfte in einiger Zeit der Börse sich wieder zuwenden werden, allerdings unter der einen Bedingung, daß A 1491
88 Adolph Frentzel widerspricht den Ausführungen Max Webers im Kommissionsbericht oben, S. 712. 89 Max Weber nimmt vermutlich Bezug auf die Aussagen des Sachverständigen Heinrich Kochhann gegenüber der Börsenenquetekommission. Vgl. hierzu oben, S.377 mit Anm. 68, und S. 390 mit Anm. 21.
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schlechthin Diskretion in Betreff der Personen-Angaben gewährleistet ist. Ich kann mir ganz gut denken, daß da nicht bloß gewisse dunkle Befürchtungen nach der Richtung bestehen, sondern daß man gedacht hat, es könnte von den Gerichten und von allen möglichen Seiten bei irgend einer Provokation, ja selbst wenn man im Reichstag auf das Material provoziren würde, die Nöthigung entstehen, die Unterlagen der Notiz im Einzelnen zu enthüllen. Dabei könnte dann freilich sehr tief hineingegriffen werden in Engagements und Privatverhältnisse, die heute Niemand der Öffentlichkeit Preis giebt. Deshalb würde ich, wenn heute nachher abgestimmt würde, Bedenken tragen, für irgend einen Deklarationszwang auch in diesem nur der Quantenermittelung dienenden, beschränkteren Umfang zu stimmen. Es wird eben die allererste Aufgabe sein müssen, bei weiterer Verfolgung des Gedankens das absolut auszuschließen. Eine große Tragweite möchte ich dem Gedanken des Schlußnotenzwanges auch in diesem beschränkteren Sinn aus den früher erwähnten Gründen 90 nicht einräumen. Da es aber eine Forderung ist, die weit verbreitet ist, da man, glaube ich, in den Kreisen der landwirthschaftlichen Produzenten damit eine größere Gewähr für die Art der Notiz zu haben meint, und weil in einzelnen Fällen das, wie ich glaube, doch auch zutreffen kann, müßte man doch wirklich sehr entscheidende Gründe gegen den prinzipiellen Gedanken - immer die volle absolute Diskretion vorausgesetzt - vorlegen, um ihn jetzt schon schlechthin von der Hand weisen zu können. Im weiteren Verlauf der Aussprache findet es Johannes Kaempf gerechtfertigt, wenn sich der Handelsstand gegen den Zwang wende, alle Geschäfte dem Börsenvorstand zu melden. „Herr Professor Weber meint allerdings, das wäre nur das Ungewohnte. Aber das Geheimhalten der geschäftlichen Verhältnisse liegt so tief in dem Gefühl des Handelsstandes, daß ich nicht glaube, daß er davon abgehen wird." Alfred Michahelles spricht sich unter anderem dagegen aus, die gehandelten Quanten in eine Meldepflicht einzubeziehen. [A 152 r] Herr Michahelles: Ich halte es entgegen den Ausführungen des Herrn Professors Weber für außerordentlich bedenklich, und für eine ganz schwere Schädigung des Handelsstandes. Es handelt sich da um zweierlei verschiedene Geschäfte, die Berücksichtigung fordern. Derjenige, der den Auftrag be-
90 Oben, S.721 mit Anm.85.
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kommt, für ein anderes Geschäft an der Börse kommissionsweise zu kaufen oder zu verkaufen, wird in den meisten Fällen gar nichts dagegen haben, wenn auch im Quantum das Geschäft angegeben wird. Im Gegentheil, er erlangt durch die Registrirung des Geschäfts eine Legitimation gegenüber seinem Auftraggeber. A b e r ganz anders steht es mit demjenigen, der für eigene Rechnung kauft oder verkauft, und der verdient doch genau dieselbe Berücksichtigung. Wenn heute jemand Getreide kauft, weil er glaubt, es binnen kurzem besser verwerthen zu können, so ist es für den doch nicht angängig, wenn publizirt wird, welches Quantum und zu welchem Preise er gehandelt hat. D e n n dann ist er häufig seiner Konkurrenz wehrlos überliefert. E r kann dann vielfach das Geschäft überhaupt nicht machen. ( H e r r Weber: E r hat
auch kein Interesse an der Notiz!) Er hat ein Interesse daran, das Quantum, das er gehandelt hat, nicht in die Notiz aufzunehmen. ( H e r r Weber:
Er braucht die Notiz überhaupt nicht!) Nein, aber er kann wohl ein Interesse haben, daß das von ihm gemachte Geschäft bei der Notiz berücksichtigt wird, und das ist unter Umständen ein ganz wesentliches Interesse. N a c h d e m sich noch einige Vertreter des Handels g e g e n einen Deklarationszwang der Quantitäten ausgesprochen hatten, wird ein Antrag auf Schluß der Debatte a n g e n o m m e n . Der Vorsitzende Wilhelm Herz ruft nun Abschnitt II Nr. 1 der Denkschrift des Bundes der Landwirte auf. D a g e g e n spricht Karl Gamp. Er ist der Meinung, der gesamte Abschnitt II sei bereits besprochen. Vorsitzender: D e r Herr Vertreter des landwirthschaftlichen Ministeriums [A 154 r] hat ausdrücklich gebeten, jetzt diese Angelegenheit betreffs der Typen zur Sprache zu bringen.
Herr Weber: Das läßt sich ja bei Nummer 7 der Eingabe des Landwirthschaftsraths machen. Nach kurzem Wortwechsel wird der Vorschlag von A d o l p h Frentzel, nicht jed e n Punkt der beiden Eingaben gesondert, sondern vier große Fragen: Typenbildung, Lieferungshandel, Nachrichtendienst und Märkte herauszuschälen, angenommen. Bei der anschließenden Diskussion wird die Forderung, Typen bzw. Standards für die Getreidekontrakte zu formulieren, auch von den Rednern aus der G r u p p e der Landwirte abgelehnt. Als der Vorsitzende Wilhelm Herz vorschlägt, der Börsenausschuß möge sich d e m Votum der Kommission anschließen, äußert Graf Arnim Bedenken, ob das, was für inländisches Getreide auch seiner Meinung nach gelten soll, für das effektive Lieferungsgeschäft mit ausländischem Getreide w ü n s c h b a r sei. Er habe der Kommission nicht angehört und von d e m Bericht der Kommission keine Kenntnis.
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Hierauf ergreift Max Weberdas Wort:
[A 158 r]
Er ist nicht hier.91 Ich weiß nicht mehr genau - soviel ich weiß, habe ich im Bericht gesagt,92 daß, nachdem der Herr Vertreter des Herrn Landwirthschaftsministers93 seine Ansichten in ähnlicher Weise, wie hier, abgegeben habe und ebenso Herr Freiherr von Soden und ebenso der Herr Vertreter der Müllerei das gesagt haben, 5 was sie hier gesagt haben, sämmtliche Mitglieder der Meinung gewesen seien, daß eine Feststellung von Typen zur Zeit nicht empfohlen werden solle. (Zustimmung.) Dem Votum der Kommission wird zugestimmt. Graf Kanitz eröffnet die Aussprache über das Thema „Lieferungshandel" und damit über einen wesentlichen Teil des Abschnitts III der Denkschrift des Bundes der Landwirte, der sich gegen die Umgehung des Terminhandelsverbots richtet. In seiner Rede geht er auch auf die Mißstände beim Kündigungsverfahren ein.
[A160I]
[...] Diese Mißstände müssen unter allen Umständen beseitigt werden. Diesem Gesichtspunkt, welchen ich hier entwickele, trägt der neue Kündigungsschein, ich meine, der Entwurf der Freien Vereinigung, insofern Rechnung, als am Schlüsse gesagt ist: „Die Rechte aus dem Vertrage können nur mit Zustimmung des anderen Theils an einen Dritten übertragen werden." ( H e r r W e b e r : D a s s t e h t s c h o n wörtlich i m j e t z i g e n T e r m i n s c h l u ß schein drin!) 9 4 Ja, Pardon! Aber es steht ferner darin, und zwar gleich im ersten Alinea, letzter Satz: „Der Käufer ist berechtigt, die Waare einem Dritten zu überweisen, sofern ihm nämlich der sogenannte Dispositionsschein ausgehändigt ist". 95 Ja, was heißt das? Darf er überweisen ohne Wissen und Willen seines Kontrahenten resp. Verkäufers? Und wer hat schließlich mit dem Verkäufer abzurechnen, wenn es sich vielleicht um Streitigkeiten über die Qualität der Waare handelt? Dann ist es ja nicht mehr der erste Käufer, sondern der abnehmende Dritte, an welchen der Käufer die Waare überwiesen hat, nach Einhändigung des Dispositionsscheines. Nach weiteren Ausführungen des Grafen Kanitz nehmen Adolph Frentzel und Karl Gamp Stellung. Nach ihnen spricht Max Weber:
[A 165 r]
Meine Herren! Es sind ja sehr viele Argumente, die in der Kommission von verschiedenen Seiten vorgebracht sind, wiederholt 91 Gemeint ist der von Max Weber vorgetragene Bericht. 9 2 Oben, S. 707. 9 3 Gemeint ist Traugott Mueller. 9 4 Die Bestimmung enthält §16 der von Max Weber gemeinten Bedingungen für den Handel in Weizen auf Lieferung innerhalb eines Kalender-Monats, gültig für Geschäfte auf Januar 1894 und spätere Termine, in: Handbuch der Produktenbörse von 1894, S. 6. 9 5 Der eigentliche Wortlaut der Bestimmung im Schlußschein der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse ist oben, S. 706, Anm. 47, wiedergegeben.
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worden. Ich komme daher zum Theil hier in die gleiche Lage, werde das aber möglichst kurz zu machen suchen. Zunächst möchte ich auch eine Bemerkung über den Schlußschein der Freien Vereinigung gegenüber Herrn Grafen von Kanitz machen. Herr Graf von Kanitz monirt gegenüber diesem Schlußschein die seiner Meinung nach bestehende Divergenz zwischen der Untersagung der Übertragung der Rechte auf einen Anderen und der Thatsache, daß das Geschäft nun durch einen Anderen erfüllt wurde. Juristisch sind das eben zweierlei Dinge. Die Vereinbarung, daß die Rechte und Verpflichtungen nicht übertragen werden sollen, besagt, daß nicht ein Dritter ein selbständiges Recht durch Cession soll erwerben, und der Verpflichtete nicht durch Einschiebung eines Anderen sich soll befreien dürfen. Damit ist aber nicht gesagt, daß nicht an Stelle und unter Haftung des Berechtigten und Verpflichteten ein Anderer für dessen Rechnung soll erfüllen oder zur Empfangnahme soll substituirt werden dürfen, was in der That, wie Herr Frentzel hervorhob,96 allgemeinen Rechtsgrundsätzen entspricht. Herr Graf von Kanitz hat in seinem die Kündigung betreffenden Monitum wohl den Begriff der Differenzregulirung nicht so eng gemeint, wie Herr Geheimrath Frentzel das nachher aufgriff, nämlich den Fall, daß jemand in Verzug kommt, sondern es war ihm odiös diejenige Regulirung durch Differenzzahlung, die sich im Wege des Kündigungsverfahrens ergiebt, und er glaubt, das durch eine Beseitigung des Kündigungsverfahrens und des Dispositionsscheines verhindern zu können, namentlich aber durch Unterdrückung des Regulirungspreises, wie sie ja jetzt in Aussicht steht. Das halte ich nun für durchaus unzutreffend, daß diese beiden Dinge - Differenzregulirung und Überweisung durch Kündigungsschein unter Zugrundelegung von Regulirungspreisen - mit einander nothwendig zusammenhingen. Wir kennen mehrere Dutzend verschiedener Formen, in welchen die Skontrirung von Geldund Waarenforderungen unter verschiedenen Personen im Laufe der Zeit vollzogen worden ist. Die Festsetzung eines Kündigungspreises ist auch an der Berliner Börse noch keineswegs so sehr alt, sie ist nur eine technisch besonders vollkommene Form. Sie können auf dem Wege der Skontrirung Lieferungsgeschäfte abwickeln 96 Diese und die folgende Äußerung von Adolph Frentzel finden sich in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 162 und 159.
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unter Benutzung von Check- und Clearing-Instituten, genau mit der gleichen Wirkung, ohne daß dieses odiöse Institut des Kündigungsscheines benutzt wird. Es kann allenfalls eine gewisse Belästigung oder Verzögerung herbeigeführt werden, wenn man das absolut verbietet, aber mehr kann schließlich nicht dabei herausspringen. | A 1661 Dann möchte ich doch zunächst noch etwas in Zweifel ziehen, ob Herr Geheimrath Gamp wirklich den Herrn Grafen von Kanitz richtig interpretirt hat. Es schien mir nämlich doch so, als ob Herr Graf von Kanitz - nur in wesentlich rationellerer Art und auf einem rationelleren Wege, - doch das Gleiche wollte, was auf einem - ich kann esk nicht anders sagen - unglaublich naivem Wege der Bund der Landwirthe gewollt hat, nämlich den Grundsatz durchführen, daß nur derjenige die Waare verkaufen darf, der sie besitzt, oder der zwar nicht schon jetzt sie besitzt, aber mindestens die künftige Verfügung über eine bestimmte Waare sich schon jetzt gesichert hat. Er wollte das Vorhandensein einer Probe verlangen. 97 Das Vorhandensein einer Probe an und für sich schließt aber ganz selbstverständlich das Scheingeschäft nicht aus, sondern im Gegentheil, die übelsten Scheingeschäfte, die wir kennen, bewegen sich in der Form, daß mit fiktiven Proben gehandelt wird. Man müßte also verlangen, daß diese Proben nachweislich einer bestimmten individuellen Waare entnommen sind, und in keinem Falle würde es dem Herrn Grafen von Kanitz genügen können, daß man „Probe" in dem, dem Sprachgebrauch auch nicht entsprechenden, Sinn faßt, daß man sagt: schon wenn eine bestimmte, allgemein festgesetzte, genau beschriebene Qualität verabredet ist, nennen wir das Probe. Dabei würde der Unterschied zwischen dem Geschäft nach Probe, und dem Geschäft, welches nicht ein Geschäft nach Probe ist, verwischt, es käme auf das Maß der Fixirtheit, auf das Maß, in dem sich die „Qualität" einem „Typ" annähert, an. Ein Geschäft nach Typen würde also ein effektives Liefek Fehlt in A; es sinngemäß ergänzt. 97 Die Forderung des Bundes der Landwirte unter Abschnitt III c seiner Denkschrift vgl. unten, S. 1003. Karl Gamp interpretierte die Äußerung des Grafen Kanitz dahin gehend, daß dieser ein effektives Lieferungsgeschäft meine, bei dem formell zwar keine Probe vorliege, aber im Vertrag Herkunft und Qualität des Getreides spezifiziert seien. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 164.
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rungsgeschäft sein. Das ist nicht die Meinung, die Herr Graf von Kanitz hier vertrat; sondern dem Sinne nach vertrat er das Gleiche, was auch der Bund der Landwirthe fordert. Man wird nun von allen Einzelbedenken einen Augenblick wenigstens absehen müssen, um grundsätzlich zunächst zu fragen: wie kommt man dazu, zu sagen, es soll nur jemand eine Waare verkaufen dürfen, deren Besitz und Erwerb er sich bereits gesichert hat? Mit demselben Recht könnte man ja sagen: es soll auch jemand nur eine Waare kaufen dürfen, für die er sich schon einen Abnehmer gesichert hat, oder es soll auch z. B. jemand nur eine Waare, z. B. Getreide produziren dürfen, für die er sich schon einen Abnehmer, einen Konsumenten, zu genügendem Preise natürlich, gesichert hat. Der Zweck läßt sich doch einfach zusammenfassen in dem Satz: es soll ä la hausse, aber nicht ä la baisse spekulirt werden dürfen. Der Haussespekulation ist dadurch gestattet, daß jemand kaufen darf, ohne sich bereits einen Abnehmer gesichert zu haben. Nur die Baissespekulation soll dadurch unterdrückt werden, und es bewegen sich also die Gedanken in derselben Bahn, die immer bisher seit Jahrhunderten ohne Erfolg gegen die Börse beschritten worden ist, denn der Unwille gegen die Börse ist von jeher nicht erregt worden, wenn die Preise in die Höhe gingen, nur wenn sie heruntergingen, schwoll den Gesetzgebern der Zorn. Noch deutlicher tritt die Tendenz zu Tage. - Herr Graf von Schwerin machte mich darauf aufmerksam; ich darf vielleicht davon Gebrauch machen wenn der Gedanke so formulirt wird, daß außerhalb der Börse ein Lieferungsgeschäft ohne vorherige Sicherheit des Besitzers zugelassen sein soll, nur an der Börse nicht, wie das wiederum, ich möchte sagen, massiver in den Vorschlägen des Bundes der Landwirthe enthalten ist, wo im Wesentlichen Folgendes verlangt wird: der Produzent soll seine muthmaßliche Ernte verkaufen dürfen, also auch ä la baisse spekuliren dürfen, denn er kann ja z. B. seine eigene zukünftige Ernte dann ja auch mehrfach verkaufen. Wer will das kontroliren? Der Müller kann das Quantum, das er produziren kann, natürlich ebenfalls mehrfach verkaufen, auch ihm also ist das Spekuliren ä la baisse gestattet. Der Einzige, der nicht ä la baisse soll spekuliren dürfen, ist der Händler. Er darf es nicht, jeder Andere darf es, nur an der Börse darf nicht ä la baisse spekulirt werden, sondern Beruf der Börse ist der Spekulation ä la hausse. A 166 r Das ist der höchst einfache Sinn der Beschränkung des Getreide-
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handels auf das Geschäft nach Probe. Meine Herren, es versteht sich ja: wenn man sich diesen Grundsatz ganz durchgeführt dächte in der ganzen Welt, dann wüßte ich in der That nicht, wie eigentlich das Geschäft sich vollziehen sollte. Man würde also erst eine Ernte zu handeln anfangen können, wenn sie bereits gewachsen ist, wenn sie bereits so weit gediehen ist, daß Proben davon genommen werden können, und nicht vorher. Man könnte nicht vorher die Erntechancen eskomptiren, 98 und wenn Herr Graf von Kanitz gesagt hat, in Königsberg geht das ja mit diesem Kontrakt," dann möchte ich nur fragen: würde das in Königsberg mit diesem Kontrakt so gehen, wenn keine anderen Märkte neben Königsberg da wären, wenn die Preischancen im Wege der Spekulation nicht an den großen Plätzen abgeschätzt würden? Ist Berlin einmal kein solcher großer Platz mehr, so werden es einfach andere sein, die diese Funktion übernehmen. Natürlich, wenn man Berlin auf das Niveau von Königsberg setzen will, wenn man Amsterdam, Rotterdam, London oder was Sie1 nehmen wollen, die Führung einräumen will, die bisher Berlin hatte gegenüber Königsberg und erworben hat im Wege des spekulativen Geschäfts, insbesondere des Terminhandels, dann ist ja alles in Ordnung. Das läßt sich selbstverständlich machen. Und damit möchte ich schließlich noch mit einem Wort auf die Frage eingehen, die Herr Geheimrath Gamp angeregt hat, ohne sie gerade erledigen zu wollen, und die er ja auch nicht hat erledigen können, nämlich welche Tragweite das Verbot des Terminhandels hat. 1 Auch davon ist vorgestern geredet worden, auch davon ist in dem Bericht die Rede, 2 es wird davon auch wahrscheinlich weiter hier geredet werden. Deshalb erlaube ich mir hier auszuführen, was ich da im Wesentlichen auch schon ausgeführt habe: was ist ein erlaubtes Zeit- und Lieferungsgeschäft und was ist ein unerlaubtes, das heißt ein nach §.51 Absatz 2 3 - und auf diesen Absatz kommt I A: sie 98 Hier in der Bedeutung von: Die voraussichtliche Wirkung einer Ernte auf den Börsenkurs im voraus einkalkulieren und den Kurs entsprechend gestalten. 99 Dem Plenum lag ein Königsberger Schlußschein zur Ansicht vor. 1 Die dahin gehenden Äußerungen von Karl Gamp finden sich in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 165. 2 Oben, S. 703-705. 3 Gemeint ist §51 Absatz 2 BörsG.
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es an - sich in den Formen des börsenmäßigen Terminhandels bewegendes Geschäft? Ich glaube, wie gesagt, nicht, daß das Merkmal, welches Herr Geheimrath Gamp aufstellt, irgend wie verwerthbar ist. Auf das Maß der Bestimmtheit der Qualität kann es 5 gar nicht ankommen.4 In Nordamerika ist der Terminhandel nach der ganz anderen Art der dortigen Produktion auf ziemlich fest bestimmten Typen aufgebaut, und gewiß könnte man genau bestimmte Typen mit ganz demselben Effekt, nur mit vielleicht weniger vortheilhafter Wirkung auch bei uns anwenden. Was ist also Ter10 minhandel? Ich habe das schon in der Kommission ausgeführt und kann es nur kurz wiederholen. Die Sache liegt, glaube ich, so, daß, so wenig es irgend welche Geschäfte giebt, die an sich, ihrem objektiven Charakter nach, ihrem Inhalt nach, so daß es jeder daraus sieht, „Differenzgeschäfte" sind, so wenig, wie es ferner an der 15 Börse objektiv ihres Inhalts wegen „legitime" und „illegitime" Geschäfte giebt, so wenig es ihrem Inhalte nach „unreelle" Geschäfte giebt, ihrem Kontext nach gewissermaßen, so daß Jeder schon aus der Schlußnote oder aus dem Schlußschein das ersieht, sondern so, wie es nur Leute giebt, die sich dieser Geschäftsformen zu reellen 20 oder unreellen Zwecken bedienen, so steht die Sache auch mit der Frage des Terminhandels. Man kann es gar keinem einzelnen Geschäft ansehen, ob es ein „Termin"-Geschäft - im technischen Sinn - ist. Wenn ich mir den Terminmarkt wegdenke, so ist ein Geschäft auf fixe Lieferung, mag es nun am Ultimo oder mag es am 15., am 25 vorletzten, an irgend einem beliebigen Tage fällig sein, keinesfalls ein Termingeschäft. Das, was ein Geschäft zum Termingeschäft macht, ist der Umstand, daß ein Markt vorhanden ist, an welchem massenhaft Geschäfte genau des gleichen Typus laufend auf denselben typischen Termin gehandelt werden. Auch die Schlußeinheit ist 30 keineswegs ein Beweis für das Vorhandensein eines Termingeschäfts, denn es wird auch in Cassaspekulationen, in New-York z. B. nach Schlußeinheiten gehandelt. Alle | £znze/merkmale entschei- A1671 den nicht, sondern, daß bestimmte Geschäfte umlaufen, die sich so gleichsehen, wie ein Zwanzigmarkstück dem anderen, und in de4 Karl Gamp definierte: „[...] ich erblicke einen wesentlichen Unterschied zwischen börsenmäßigem Termingeschäft und Lieferungsgeschäft darin, daß es sich in dem einen Falle um den Verkauf eines genus und in dem zweiten um den einer Spezies handelt." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 164.
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nen deshalb dieser große Markt entstehen kann, wo ich jeden Augenblick mich eindecken kann, wo ich jeden Augenblick einen Käufer und Verkäufer finde, und wo deshalb auch z. B. gerade der Fall, den Herr Geheimrath Gamp miterwähnte m , nämlich, daß jemand zur Erfüllung selbst nicht im Stande wäre, ökonomisch betrachtet, nicht eintreten kann, wenn der Mann zahlungsfähig ist, wenn er Kredit überhaupt noch genießt, und deshalb auch die anderweitige Regulirung der Verzugsfolgen und Verzugsvoraussetzungen stattfindet, weil man sich sagt, wo ein Terminmarkt ist, da existirt keine Erfüllungsunfähigkeit für den, der erfüllen will und zahlungsfähig ist, da kann man unter allen Umständen erfüllen. Das sind Termingeschäfte, und nicht ein im Geschäft liegendes Merkmal, sondern dieses außerhalb Liegende ist das Entscheidende. Und wenn dann die Frage entstehen wird: besteht in Berlin trotz des Verbotes ein Terminhandel, der dem §.51, Absatz 2 entspricht, so wird man nicht den Kontrakt ansehen dürfen, der da ist, sondern man wird ansehen müssen die Qualität des Marktes und weiter gar nichts. Diese Qualität wird vielleicht gar nicht so ganz leicht zu ermitteln sein, aber auf sie kommt es thatsächlich allein an, und zwar auch für die Rechtsprechung z.B. über §.77 des Börsengesetzes. - Es ist der Übergang vom Effektivgeschäft zum Termingeschäft ein ganz allmäliger, ein langsamer. Dieser Übergang vollzieht sich durch die allermannigfachsten Zwischenstufen, durch die Zwischenstufen, in welchen wir ihn als Handel auf einige Tage, auf Arrangement, durch die mannigfachen Zwischenstufen, die wir in New-York und Wien und überall sonst finden, bis zu der technisch höchst entwickelten Stufe des Terminhandels, mit deren Totschlag man - ich habe nun einmal diese Ansicht und kann sie nur wiederholen 5 - nur diese technisch höchst entwickelte Organisationsform totgeschlagen hat und eine Art mehr faustrechtlicher Barbarei in den Formen des Spekulationsgeschäfts an die Stelle setzen wird, wie sie in New-York besteht. 6 Ein anderer Effekt wird schlechterdings nicht eintreten, und wenn man sagt: Terminge-
m A: mit erwähnte 5 Vgl. die Ausführungen Max Webers oben, S. 604f. und 609-611. 6 Max Weber meint das von ihm so bezeichnete „Kassa-Prolongationsgeschäft" in New York; vgl. dazu seine Ausführungen oben, S. 501f. und 504.
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schäfte und ähnliche spekulative Lieferungsgeschäfte, die Spekulation überhaupt, sind ja überflüssig, denn ich sehe ja, daß ich, Produzent oder was ich sonst bin, ohne sie lebe, so ist das im Grunde derselbe Irrthum, dem Proudhon verfiel, als er das Geld abschaffen wollte, weil er meinte, es führt ja auch zum Schwindel, es ist undurchsichtig, dahinter verbirgt sich die Übervortheilung im Tauschverkehr. Warum soll ein Schuster seine Stiefel verkaufen und dafür ein Zwanzigfrankstück nehmen, von dem problematisch ist, was er dafür kaufen kann? Weshalb kann man nicht besser in natura ihm den Gegenwerth verabfolgen, so daß er weiß, was er hat? Und er erdachte jene berühmte Naturaltauschbank, wo also dieser Schuster seine Stiefel hingiebt und dann je nach deren „Werth" eine Anweisung bekommt und dann auf Grund der Anweisung andere Gebrauchsartikel entnehmen kann. Proudhon wurde zur rechten Zeit eingesperrt (Heiterkeit), zu seinem wissenschaftlichen Glück, sodaß das nicht vollständig ins Leben trat. 7 Er hatte vergessen, daß an diese ganze Möglichkeit der Werthabschätzung und des Naturaltausches mit Anweisungen ohne Geldgebrauch gar nicht hätte gedacht werden können, wenn die freie Preisbildung nicht gewesen wäre; wenn Proudhon nicht aus den Erfahrungen des freien Marktes gewußt hätte, ein Paar Stiefel repräsentiren ungefähr 10 Francs, x Einheiten Brote repräsentiren nach Maßgabe von Bedarf und Kosten so und so viel, und deshalb muß sich das gegen einander austauschen lassen nach ungefähr dieser Relation. Nicht anders steht es im letzten Grunde heute mit der Spekulation. Auch derjenige, der nicht selbst spekulirt, kann sie dennoch nicht entbehren. Ich stehe sonst nicht auf dem wissenschaftlichen Standpunkt des alten Michaelis, aber die Bedeutung der Spekulation hat er doch im Wesentlichen trotz anderer Grundlagen der Argumentation richtig | geschildert. 8 Ich glaube, wie gesagt, daß Deutschland zwar A 167 r 7 Max Weber bezieht sich hier auf die Broschüre von Pierre-Joseph Proudhon, Banque D'Échange. Die Ursache sozialer Not sah Proudhon im Geld- und Kreditsystem. Durch die Abschaffung von Geld und Zins, meinte er, könne der Tauschwert der Produkte, der nur auf der Arbeit beruhe, gerechter beurteilt werden. Bei der Tauschbank sollten daher die Preise für die Tauschwaren nur nach Arbeitszeit und Auslagen - unter Ausschluß von Gewinn - berechnet werden. Im Februar 1849 eröffnete Proudhon die banque d'échange. 1850 wurde er wegen Preßvergehen zu drei Jahren Haft verurteilt. Diehl, Karl, P. J. Proudhon, in: HdStW 1 6, S. 307-311. 8 Otto Michaelis geht in seiner Schrift: Von der Börse, der Frage der wirtschaftlichen Bedeutung des Spekulationshandels nach. Michaelis (1826-1890) gehörte zu den Vertretern der Freihandelsschule.
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ohne eigenen Terminhandel oder ähnliche spekulative Geschäftsformen wird bestehen können, aber nicht, ohne daß spekulativer Getreidehandel ganz ähnlichen Charakters überhaupt irgendwie bestände, wenn nicht in Deutschland, dann außerhalb, und daß, wenn man das zu unterdrücken sucht, man nur das Eine erzielt, daß 5 - um bei dem Beispiel des Grafen von Kanitz zu bleiben, der Berliner Handel dem Auslande gegenüber in die Stellung von Königsberg zu Berlin gesetzt werden wird, was ich nicht wünsche. Sodann ergreift Franz Schröter das Wort. Er schließt sich mehrfach den Ansichten Max Webers an. Auch er ist der Meinung, daß Königsberg nicht mit Berlin verglichen werden könne. In Königsberg hätten die Berliner Getreide-Terminnotierungen stets eine gewisse preisregulierende Wirkung ausgeübt und zur Stetigkeit der Preise beigetragen. Schröter teilt die Meinung Max Webers, daß Berlin sehr verlieren würde, wenn es auf den Handel nach bestimmten Proben beschränkt würde. Er hält es für wünschenswert, „daß in Berlin ein Lieferungshandel besteht, der sich dem verbotenen Terminhandel annähert". H e r r Graf von Arnim: M e i n e H e r r e n , H e r r n P r o f e s s o r W e b e r s Ä u ß e r u n gen, w e n n ich ihn richtig verstanden, gipfelten in d e n Worten, d a ß wir auf die Stufe der Barbarei h e r a b s i n k e n w ü r d e n ( H e r r W e b e r : Z u r G e s c h ä f t s o r d n u n g ! ) , w e n n wir das b ö r s e n m ä ß i g e Termingeschäft a u f h e b e n . M e i n e H e r r e n , ich b e r u f e m i c h lediglich auf z w e i h u n d e r t M ä n n e r d e s D e u t s c h e n Reichstags, die sich vor d i e s e m Z u s t a n d der Barbarei nicht g e s c h e u t h a b e n , 9 und zwar aus sehr g u t e m Grunde, w e i l die N a c h t h e i l e d e s b ö r s e n m ä ß i g e n Termingeschäfts die V o r t h e i l e ganz augenscheinlich u n d w e s e n t l i c h überrag e n u n d das Präzisionsinstrument in k e i n e r W e i s e s o funktionirt, w i e es v o n der Wissenschaft, d i e in ihrer t h e o r e t i s c h e n A u f f a s s u n g n a t i o n a l - ö k o n o m i A 168 I scher | Fragen in der B e z i e h u n g ja e i n e ganz b e s o n d e r e S c h w ä r m e r e i für diese G e s c h ä f t s f o r m an d e n Tag gelegt hat, a n g e n o m m e n wird. Im weiteren Verlauf seiner Rede führt Graf Arnim, gelegentlich mit direkten Hinweisen auf Aussagen von Max Weber, Gründe an, weshalb das Verbot des Getreideterminhandels sich bislang nicht als schädlich, sondern schon jetzt als nützlich erwiesen habe. Für ihn sei nicht die Frage entscheidend, „ob Berlin eine sehr große blühende Getreidebörse hat", sondern die Frage, ob „Deutschland seinen Getreidebedarf zu angemessenen Preisen beschaffen" kann. Dem Argument, der Importeur brauche die Risikoversicherung des Terminmarktes, hält er entgegen: „Ja, meine Herren, das ist gerade der springende Punkt. Ich wünsche eben nicht, daß durch die Risikoversicherung ein Anreiz zum Import gegeben wird."
9 Bei der zweiten Lesung des Börsengesetzentwurfs stimmten im Reichstag 200 gegen 39 Abgeordnete für das Verbot des Getreideterminhandels. Sten.Ber., 1. Mai 1896, Band 145, S. 2060-2062.
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Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit und um eine weitere Sitzung zu vermeiden, wird ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen. Über das Thema „Nachrichtenwesen" soll nicht mehr gesprochen werden. Zum Thema „Märkte" schließt sich der Börsenausschuß ohne Aussprache dem Votum der Kommission an. Sodann wiederholt Adolph Frentzelseinen Antrag vom Vortag: D a wir nun heute fertig sind, und da die Bedingungen, die gestern Herr [A 170 I] Professor Weber für die Übernahme des Referates stellte, erfüllt sind, möchte ich bitten, zu beschließen, das Referat über diesen zweiten Theil der Tagesordnung Herrn Professor Weber zu übertragen, und ich bitte ihn, das zu übernehmen. Vorsitzender: Herr Professor Weber, wollen Sie die Güte haben, dem A n trag des Herrn Geheimrath Frentzel zu folgen? H e r r Weber: J a w o h l , w e n n d i e V e r s a m m l u n g e i n v e r s t a n d e n ist u n t e r d i e s e r V o r a u s s e t z u n g natürlich. A b e r i c h m ö c h t e m i r d i e fernere Frage erlauben, wann der Redaktionsausschuß
zusammen-
tritt? (Zuruf: Wenn die Referate fertig sind!) M e i n R e f e r a t k a n n m o r 5 g e n A b e n d f e r t i g sein. Herr Frentzel: Das kann ich nicht. Ich brauche zu meinem Referat doch die stenographischen Berichte. H e r r Weber: A l s o in a c h t T a g e n . D a n n m u ß i c h in a c h t T a g e n w i e d e r hier sein. Herr Frentzel: Ich meine, wir werden uns beide an Herrn Geheimrath Herz wenden mit der Nachricht: wir sind fertig, und dann wird Herr Geheimrath Herz die Güte haben, die Redaktionskommission zu berufen. H e r r Weber: S o l l e n w i r in d e r K o m m i s s i o n z u g e g e n s e i n ? [A 170 r] Vorsitzender: Das nehme ich an. Herr Frentzel: Ich halte das für durchaus nothwendig. Die Referenten müssen doch in der Redaktionskommission sein. H e r r Weber:
D a s k ö n n t e ich nur a m S o n n a b e n d der nächsten
10 W o c h e , a n k e i n e m a n d e r e n W o c h e n t a g e . 1 0 Der Vorsitzende Wilhelm Herz bittet noch um rasche Fertigstellung der stenographischen Protokolle. Graf Kanitzdankt dem Vorsitzenden für die „umsichtige und präzise Leitung". Unterstaatssekretär Anton Rothe dankt namens der Reichsverwaltung und gibt den Eindruck wieder, den er aus den siebentägigen Verhandlungen gewonnen habe: „der pränumerando in den Sattel gesetzte Börsenausschuß hat gleich beim ersten Anlauf gezeigt, daß er reiten kann."
10 Max Weber meint Samstag, den 5. Dezember 1896. Die Redaktionssitzung fand schließlich am 7. Dezember 1896 statt. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.665.
Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen
Editorischer Bericht Zur Entstehung Die Hintergründe zur Einberufung des provisorischen Börsenausschusses, wie er zusammengesetzt war und wie er seine Aufgaben erledigt hat, sind im Editorischen Bericht zu „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896", oben, S. 658-672, dargestellt worden und sollen hier nicht wiederholt werden. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich darauf, wie Max Weber vom provisorischen Börsenausschuß zum Berichterstatter bestimmt worden ist sowie auf die Entstehungsbedingungen des „Berichts des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen". Der zum 19. November 1896 einberufene provisorische Börsenausschuß hat an sieben Verhandlungstagen zwei grundverschiedene Gegenstände beraten. Zunächst hat er den ihm vom Bundesrat vorgelegten „Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel" (= Regierungsvorlage) erörtert und in Abstimmungen seine Meinung festgelegt. Das ist an vier Verhandlungstagen geschehen. Die Erörterungen sind stenographiert. Nach Abschluß der Sitzungen des provisorischen Börsenausschusses wurden die Ergebnisse in einem „Gutachten, erstattet von dem provisorischen Börsenausschuß an den Herrn Reichskanzler auf Grund der vom 19. bis 26. November 1896 stattgehabten Berathungen" dargelegt. Den Mitgliedern war mit der Einladung zur ersten Sitzung die Denkschrift des Bundes der Landwirthe, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen 1 vom 19. Oktober 1896 zugesandt worden, über die der Bundesrat ebenfalls ein Gutachten erbeten hat. Über die Denkschrift des Bundes der Landwirte und eine erst während der Sitzung am 21. November überreichte Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats zur Reform der Produktenbörsen 2 beriet der provisori1 Denkschrift des Bundes der Landwirte, abgedruckt unten, S. 1000-1006. 2 Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats, abgedruckt unten, S. 1007-1009.
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sehe Börsenausschuß am 25. und 26-November. Dabei wurde aber, anders als hinsichtlich des ersten Gegenstandes, beschlossen, über die Forderungen der Eingaben nicht förmlich abzustimmen. Und anstelle eines Gutachtens über die einzelnen Punkte der Dokumente sollte lediglich ein Bericht über die Verhandlungen erstellt werden. Zum Berichterstatter über diesen zweiten Teil der Beratungen des provisorischen Börsenausschusses ist Max Weber bestimmt worden. Maßgeblich hierfür war, daß Weber am 25. November im Plenum des provisorischen Börsenausschusses ein Referat über das Resultat zweier Sitzungen einer Unterkommission erstattet hatte. Die Bildung einer Unterkommission bestehend aus sieben Mitgliedern hatte Graf Arnim am dritten Verhandlungstag vorgeschlagen. Nach einer längeren Erörterung war der Vorschlag gebilligt worden. Allerdings hatte Arnims Forderung nach einer Mehrheit für die Vertreter der Landwirtschaft heftigen Widerspruch erregt. Max Weber schlug in diesem Zusammenhang vor, den Vertretern der Landwirtschaft Zeit einzuräumen, in der sie gemeinsame Ansichten entwickeln könnten, um diese dann - ohne erst eine Kommission zu gründen - „in Form diskutabler Anträge an das Plenum gelangen" zu lassen. 3 Dem wurde jedoch nicht entsprochen. Angenommen wurde hingegen der Antrag Joseph Johann van den Wyngaerts, des Vertreters der Müllerei, die sieben Mitglieder der Kommission so zu wählen, „daß die verschiedenen Interessen darin vertreten sind." 4 Hierfür sind dann zwei Vorschlagslisten eingereicht worden. Fünf Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses standen auf beiden und galten deshalb als gewählt: Joseph Johann van den Wyngaert, Franz Schröter, Heinrich Friedrich Haker, Adolph Frentzel und Max Freiherr von Soden-Fraunhofen. Auf der von Ökonomierat Winkelmann zusammengestellten Liste standen noch die Grafen Kanitz und Arnim, auf der des Bremer Kaufmanns Hermann Frese noch Max Weber und der abwesende Graf Schwerin. Bei der Wahl entfielen von insgesamt 24 möglichen Stimmen auf Graf Kanitz 22, Max Weber 14, Graf Arnim 11 Stimmen und auf Graf Schwerin eine Stimme. Unmittelbar vor der Wahl hatte Max Weber noch empfohlen, „die beiden Herren landwirthschaftlichen Interessenten" zu wählen. 5 Weber machte die Annahme seiner Wahl davon abhängig, daß die Kommission jedenfalls nicht schon am darauffolgenden Montag zusammentreten sollte, da er bis „Montag Abend" verhindert sei. 6 In einem Brief an seine Frau schrieb er über das Abstimmungsergebnis: „Zum großen Zorn der Agrarier hat man mich in eine Commission gewählt, in der ich mit dem Grafen Kanitz und einer Anzahl Börsen-Kerls über die
3 Vgl. oben, S.693. 4 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 79. 5 Oben, S.696. 6 Ebd. Max Weber nahm am 23. November 1896 an der Gründungsversammlung des nationalsozialen Vereins in Erfurt teil. Vgl. dazu MWG I/4, S. 612-622.
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Zukunft des deutschen Getreidehandels berathen soll." 7 Tatsächlich blieben die beiden Landwirte in der Kommission in der Minderheit. Der Vorsitzende des Verbandes deutscher Müller Joseph Johann van den Wyngaert konnte wegen seiner Ansichten den Agrariern zugerechnet werden. Und so war das Stimmenverhältnis der Vertreter von Handel und Landwirtschaft, der „Interessenten" - wie Max Weber sie nennt - etwa 3 : 3. Umso interessanter mußte die Position Max Webers sein, der sich selbst als „Vertreier der Wissenschaft" bezeichnete. 8 Die Unterkommission hat unter dem Vorsitz Adolph Frentzels am 24. November ganztägig und am 25. November vormittags in Anwesenheit der Vertreter des Bundesrats Unterstaatssekretär Anton Rothe, des Reichsamts des Innern Adolf Wermuth und Dr. Dungs, und der preußischen Ministerien für Handel bzw. Landwirtschaft Adolf Wendelstadt bzw. Alfred Conrad und Traugott Mueller getagt. Ein förmliches Protokoll ist nicht geführt worden. Max Weber muß gleich am 24. November gebeten worden sein, dem Plenum über die Ergebnisse zu berichten. Denn noch an diesem Abend begann er mit der Niederschrift seines Berichts. 9 In einem Brief vom 25. November an seine Frau schrieb er über die vorangegangenen Sitzungen: „Die Schinderei ist ganz bedeutend, ich habe gestern von 9 Uhr bis 1 und von 2 - 6 gesessen und dann in der Nacht meinen Bericht verfaßt, heute wieder von 1 0 - 6 ohne Pause für mich, da ich, während die Andren frühstückten, 10 ihn fertig machen mußte." 11 Als am 25. November die Plenarsitzung des provisorischen Börsenausschusses um 13 Uhr begann, verlas Max Weber alsbald seinen Bericht. Er betonte gleich zu Beginn seine Absicht, alle Argumente, die von den Vertretern verschiedener Ansichten vorgetragen worden waren, darzustellen und bat ausdrücklich diejenigen, deren Ansichten unvollständig wiedergegeben worden seien, dies geltend zu machen. Doch haben nur zwei Redner nach Abschluß des mit Beifall aufgenommenen Berichts die Gelegenheit wahrgenommen, etwas zu ergänzen. 12 Max Weber hat sich, möglicherweise auch ermutigt durch den Erfolg seiner Berichterstattung, an den Verhandlungen über den zweiten Gegenstand des provisorischen Börsen-
7 Brief an Marianne Weber vom [22.] Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 8 Vgl. unten, S. 746. 9 Max Weber spricht zu Beginn seines Referats davon, daß er „lediglich gestern Abend und heute früh" es habe fertigstellen können. Vgl. oben, S. 697. 10 Gemeint ist das zweite Frühstück in der Mittagszeit. 11 Brief an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 12 Vgl. oben, S. 711f.
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ausschusses weit lebhafter beteiligt als an den Verhandlungen des ersten Gegenstandes. Als am Ende der Verhandlungen am 25. November darüber diskutiert wurde, ob Punkt für Punkt über die Eingaben der landwirtschaftlichen Organisationen abgestimmt werden müsse, sprachen sich mehrere Redner gegen die Abstimmung aus. Auf diese Weise war zwar bei der Beratung über die Regierungsvorlage verfahren worden, aber der Vertreter des Bundesrats selbst riet jetzt ebenfalls davon ab und meinte, man habe „aus dem Berichte des Herrn Professors Weber über die Kommissionsverhandlungen gesehen, wie es möglich ist, auch ohne Abstimmung ein lichtvolles und instruktives Bild über das Ergebniß der Verhandlungen zu geben", und er nähme an, „daß das auch für die Verhandlungen hier im Plenum möglich sein wird." 1 3 Adolph Frentzel stellte unmittelbar danach den Antrag, das ihm von der Versammlung erteilte „Mandat" zur Berichterstattung aufzuteilen und mit dem zweiten Teil Max Weber zu betrauen. Max Weber mochte sich zur Übernahme der Aufgabe jedoch nicht bereit erklären, jedenfalls nicht ohne die Garantie, „daß die Sache morgen zu Ende geht." 1 4 Der Vorsitzende des Ausschusses hielt das für möglich, und Frentzel stellte in Aussicht, seinen Antrag dann zu wiederholen. Am Abend des 25. November schrieb Weber an seine Frau, er werde seine Weigerung, den Bericht an den Bundesrat abzufassen, nicht mehr aufrechterhalten können. Er habe daher soeben telegraphiert, daß er auch am Samstag nicht examinieren könnte. Wenn der Ausschuß am nächsten Tag fertig werde, wollte er den Bericht abfassen und von Freitag auf Samstag nach Hause fahren. 15 Die Beratungen des provisorischen Börsenausschusses wurden am Abend des 26. November beendet - ohne daß alle Punkte der Vorlagen behandelt werden konnten. Frentzel wiederholte seinen Antrag. Weber erklärte sich bereit, „wenn die Versammlung einverstanden ist - unter dieser Voraussetzung natürlich." 16 Er stellte in Aussicht, daß sein Referat am folgenden Abend fertig sein könnte. Adolph Frentzel erklärte, für sein Gutachten die Vorlage der stenographischen Protokolle zu benötigen. 1 7 Deshalb konnte für die Sitzung der am dritten Verhandlungstag gewählten Redaktionskommission kein Termin festgelegt werden. Max Weber ist dann doch am Freitag, den 27. November 1896,
13 Verhandlungen des provisorischen Börsenauschusses, S. 132. 14 Oben, S. 717. Max Weber hatte bereits einen Prüfungstermin von Donnerstag, den 26., auf Samstag, den 28. November, verschoben. Brief an Marianne Weber vom [22.] Nov. 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 15 Brief an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, ebd. 16 Vgl. oben, S. 735. 17 Ebd.
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nach Freiburg zurückgekehrt. Daher hat er vermutlich auch seinen Bericht nicht mehr in Berlin fertig gestellt. Am 5./6. Dezember 1896 fuhr er wieder nach Berlin. Dort fand am Montag, den 7. Dezember 1896, die Redaktionssitzung statt. 18 Ob die Mitglieder der Redaktionskommission Änderungen an dem Gutachten von Frentzel und dem Bericht von Max Weber vorgenommen haben, ist nicht bekannt. Vieles spricht dafür, daß sich Eingriffe von anderer Hand beim Weber-Text nur auf Einzelheiten bezogen haben können. Für die Abfassung seines Berichts standen Weber vermutlich die eigenen Notizen, die er sich während der Verhandlungen in der Unterkommission und im Plenum gemacht hatte, sein Referat über das Resultat der Kommissionsverhandlungen sowie die stenographische Mitschrift der Verhandlungen, die ihm vor der Redaktionssitzung zugeschickt werden sollte, zur Verfügung. Ob er letztere für die Erstellung des Berichts verwendet hat, läßt sich nicht nachweisen. Darüber hinaus hatte er ein Exemplar der Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats zur Hand, ein Formular der „Schlußscheine für handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte in Weizen, Roggen, Hafer, Futtergerste und Mais vom September 1896" der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse, auf das während der Verhandlungen mehrfach Bezug genommen worden war. Max Webers „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" faßt die Ergebnisse der Beratungen und Stellungnahmen der Mitglieder in der Kommission und im Plenum wie der teilnehmenden Beamten zusammen. Waren zu einzelnen Gegenständen im Plenum keine Bemerkungen gemacht worden, hat Max Weber, wie er einleitend ausführt, die Formulierungen seines Referats übernommen. 1 9 Seine eigenen Redebeiträge im provisorischen Börsenausschuß gibt er - mit einer Ausnahme - in gekürzter Form wieder. 20 Ausführlicher als im Börsenausschuß stellt er im Bericht seine Definition des börsenmäßigen Produktenterminhandels dar. 21 In der Kürzung bzw. Ausweitung seiner Aussagen kann eine Wertung des Autors gesehen werden. Er präsentiert im Ausschuß wie im Bericht die ihm wichtigen Themen. Neben der Definition des Börsenterminhandels sind dies: die künftig schwankende Rechtsprechung bezüglich des (börsenmäßigen) Termin-
18 BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Reisekostenabrechnungen Max Webers, Bl. 139-141. 19 Vgl. unten, S.746. 20 Unten, S. 758, 761f.,763, 770f., 772f. 21 Vgl. oben, S. 731f., und unten, S. 774f. Hier folgt er weitgehend dem, was er zuvor im zweiten Teil der Artikelfolge „Die technische Funktion des Terminhandels", oben, S. 605613, entwickelt hatte.
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handels wegen der widersprüchlichen Bestimmungen im Börsengesetz, die organisatorische Trennung der Börsen in Fonds- und Produktenbörsen (nach englisch-amerikanischem Vorbild), die umstrittene Mitwirkung landwirtschaftlicher Vertreter im Vorstand der Produktenbörsen sowie die Erweiterung der Kursnotizen in Getreide durch die Angabe der Quantität und Qualität.
Zur Überlieferung
und Edition
Das Manuskript des Berichts von Max Weber ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der unter der Überschrift steht: „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen", in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896. - Berlin: Reichsdruckerei [o. J.], zweiter Anhang, S. 194- 212 (A). Der Text ist am Ende gezeichnet mit: „Der Berichterstatter. Professor Max Weber." Da Weber als Berichterstatter der Redaktionssitzung am 7. Dezember 1896 beiwohnte, kann der Bericht als von ihm autorisiert gelten. Das Reichsamt des Innern hat die Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses „als Manuskript" in 600 Exemplaren drucken lassen. 22 Sie waren für die Reichsleitung, den Bundesrat, die Bundesregierungen, für die Abgeordneten des Reichstags und die Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses bestimmt. Für die Edition wurde das im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München unter der Signatur MH 11250 überlieferte Exemplar herangezogen. Webers Bericht geht das von Adolph Frentzel verfaßte „Gutachten, erstattet von dem provisorischen Börsenausschuß an den Herrn Reichskanzler auf Grund der vom 19. bis 26. November 1896 stattgehabten Berathungen", ebd., S. 171-193, voraus. Dieses befaßt sich mit dem ersten Beratungsgegenstand des Ausschusses, nämlich dem Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel, für dessen Beratung der Bundesrat den Ausschuß in erster Linie zusammengerufen hatte. Die Stellungnahmen der Kommissions- bzw. Ausschußmitglieder und der teilnehmenden Beamten referiert Max Weber in seinem Bericht ohne namentliche Nennung der Redner. Weber nennt teilweise die Interessengruppe wie „die Handelsvertreter" oder „die landwirtschaftlichen Vertreter" etc. Sehr viel häufiger verwendet er aber Redewendungen wie „die eine Seite",
22 BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5542, Empfangsbestätigung vom 18. Januar 1897, Bl. 171.
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„die andere Ansicht", „dagegen wurde eingewendet" usw. Bereits in seinem „Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen", oben, S. 6 9 7 - 7 1 0 , war Max Weber so verfahren. Diese Darstellungsweise bot sich an, weil die Redner nicht ihre persönliche Ansicht, sondern ihre Interessengruppen oder Institutionen vertraten, und die Landesregierungen hauptsächlich die sie interessierenden Fragen sachverständig und eingehend durchgesprochen haben wollten. Zu den Beratungen in der Subkommission war kein Stenograph herangezogen worden, so daß sich nicht auflösen läßt, welches Mitglied welche Stellungnahme vorgebracht hatte. In der Regel ist auch nicht über die stenographische Mitschrift der Verhandlungen im Plenum eine Zuordnung möglich, weil entweder die in der Kommission geäußerten Meinungen im Plenum nicht oder doch nicht so konkret wiederholt wurden, oder aber weil Weber eine Reihe von Stellungnahmen einer Interessengruppe zu einer einzigen zusammenfaßt, so daß es sich in der Tat um die Stellungnahme einer Interessengruppe handelt. Ist jedoch eine Zuordnung möglich, erfolgt ein Hinweis im Anmerkungsapparat. Identifizierbar sind die mit amtlichen Titel genannten Alleinvertreter einer Interessengruppe oder Institution. Dies sind der Vertreter des Bundesrats: Unterstaatssekretär Anton Rothe, der Vertreter des Deutschen Landwirtschaftsrats: Max Freiherr von Soden-Fraunhofen, der Vertreter der Müllerei: Joseph Johann van den Wyngaert sowie der Vertreter des preußischen Handelsministeriums Adolf Wendelstadt. Bei diesen Personen erfolgte bei der ersten Nennung ein Hinweis im Anmerkungsapparat. Die Mitgliederliste im Anhang zum Editorischen Bericht, oben, S. 671f., gibt Auskunft über die Zugehörigkeit der Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses zu einer Interessengruppe durch die Angabe des Berufs oder des Hinweises, von wem ein Mitglied vorgeschlagen worden ist. Auf die Wiedergabe seiner eigenen Ansichten verweist Max Weber im Bericht dezidiert nur einmal mit der Wendung: „Von Seiten eines wissenschaftlichen Vertreters". 23 Auf die Nachweisung seiner sonstigen im Bericht wiedergegebenen Quintessenzen seiner Aussagen 2 4 wird verzichtet, da seine Reden im provisorischen Börsenausschuß, oben, S. 6 7 3 - 7 3 5 , vollständig wiedergegeben sind. Die Parallellektüre der Beratungsgegenstände, also der Denkschrift des Bundes der Landwirte und der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrat, empfiehlt sich, weil sich erst dadurch die wechselseitigen Bezüge erschließen. Die Denkschrift des Bundes der Landwirte und die Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats sind als Nr. 8 und 9 im Anhang abgedruckt. 2 5
23 Unten, S. 772. 24 Unten, S. 758, 761f„ 763, 770f. und 772f. 25 Unten, S. 1000-1006 und 1007-1009.
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Ebenso im Anhang abgedruckt ist als Nr. 6 das Börsengesetz vom 22. Juni 1896, 26 auf das mehrfach Bezug genommen wird. Die von Max Weber verwendeten oder vom Editor eingeführten Kurztitel für die Rechtstitel sind im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur 27 aufgelöst.
26 Unten, S. 9 7 5 - 9 9 2 . 27 Unten, S. 1069-1089.
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Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen.
Dem provisorischen Börsenausschuß war seitens des Bundesraths mit dem Anschreiben vom 10. November 1896 die Eingabe des Bundes der Landwirthe d.d. Berlin, 19.Oktober 1896, zugegangen1 . Fernerhin wurde demselben noch die Eingabe des deutschen Landwirthschaftsraths vom 21. November d.J. brevi manu überwiesen.2 Wie aus dem gedachten Schreiben des Bundesraths hervorgeht, war dabei die Frage, inwieweit die Eingabe sich an den Bundesrath richte, also die Frage nach der Kompetenz desselben zum Erlaß aller oder einiger der in dieser Eingabe angeregten Bestimmungen, offen gelassen. Demgemäß war auch nicht ein Gutachten des Börsenausschusses über bestimmte einzelne, seitens des Bundesraths in Aussicht genommene Maßnahmen erfordert worden. Daß dies nicht geschehen ist, wurde seitens des Herrn Vertreters der verbündeten Regierungen, gegenüber den Bemerkungen eines landwirthschaftlichen Vertreters3 über diesen Punkt, unter Bezugnahme auf die theils zweifelhafte, theils zweifellos nicht vorhandene Kompetenz des Bundesraths zum Erlaß der an-
1 Gemeint ist das Anschreiben des Bundesrats an die Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses vom 10. November 1896. BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 64. Die vom Bund der Landwirte eingereichte Denkschrift ist unten, S. 10001006, abgedruckt. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 660-663. 2 In der Sitzung des provisorischen Börsenausschusses am 21. November 1896 teilte der erste stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Landwirtschaftsrats Max Freiherr von Soden-Fraunhofen mit, daß er soeben dem anwesenden Unterstaatssekretär Anton Rothe die angekündigte Eingabe überreicht habe und daß jedes Ausschußmitglied einen Abdruck erhalten werde. Rothe hielt eine Mitberatung für wünschenswert, obgleich der Bundesrat noch keine Gelegenheit hatte, über die Bitte des Landwirtschaftsrats um Vorlage beim provisorischen Börsenausschuß zu beschließen. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 77f. Die Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats ist unten, S. 1007-1009, abgedruckt. 3 Unterstaatssekretär Anton Rothe erläuterte auf ein dahin gehende Bemerkung von Graf Arnim den Standpunkt der verbündeten Regierungen (= Bundesrat). Zur Identifizierung der von Max Weber genannten Personen resp. Interessenvertretern vgl. auch den Editorischen Bericht, oben, S. 668 mit Anm. 48f.
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geregten Anordnungen und ferner mit dem Hinweis darauf begründet, daß bei einer vorherigen geschäftlichen Behandlung der Eingabe im Bundesrath, zufolge der Nothwendigkeit der Korrespondenz der Vertreter der Einzelstaaten mit ihren resp. Regierungen, eine Erledigung bis zum Zusammentritt des Börsenausschusses unthunlich gewesen sein würde. - Während ferner die Beschlüsse des deutschen Landwirthschaftsraths durch dessen ersten stellvertretenden Vorsitzenden4 eine legitimirte Vertretung innerhalb des Börsenausschusses fanden, war dies bezüglich der Eingabe des Bundes der Landwirthe nicht der Fall. Bei dieser Sachlage hat der Börsenausschuß zwar, obwohl der erste Satz des §. 3 des Börsengesetzes5 ihn seinem Wortlaut nach auf die Berathung der durch das Gesetz der Beschlußfassung des Bundesraths unterstellten Angelegenheiten beschränkt, geglaubt, die gedachten Eingaben ihrem ganzen Inhalte nach einer Erörterung unterziehen zu sollen, es schien jedoch angemessen, die geschäftliche Behandlung derselben wesentlich anders zu gestalten, als sie bei den auf die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel bezüglichen Vorschlägen geboten war.6 Es mußte davon ausgegangen werden, daß, wenn schon überhaupt für den Bundesrath nicht sowohl das Ergebniß der Abstimmung über die zu begutachtenden Punkte, als vielmehr die verschiedenen im Börsenausschuß zu Tage getretenen Meinungen und die dafür vor-| gebrachten Gründe von Interesse sein müssen, dies in verstärktem A195 Maße in einem Falle gilt, in dem der Bundesrath sich eigener Vorschläge enthalten hat, und daß, während über bestimmt gestellte Fragen formell auch die Ermittelung des Stimmenverhältnisses nicht wohl unterlassen werden kann, dies im vorliegenden Falle zweckwidrig gewesen wäre, vielmehr das Augenmerk allein auf die möglichst vollständige Ergründung der Gesichtspunkte zu richten war, welche für die Stellungnahme der einzelnen an der Berathung betheiligten Meinungs- und Interessengruppen entscheidend wa-
4 Es handelt sich um Max Freiherr von Soden-Fraunhofen. 5 Das Börsengesetz ist unten, S. 975-992, vollständig abgedruckt. 6 Gemeint ist der Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel (Regierungsvorlage). Der provisorische Börsenausschuß war vom Bundesrat zur Vorberatung dieses Entwurfs einberufen worden. Zur Debatte des provisorischen Börsenausschusses vgl. oben, S. 673-696.
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ren. Zur Vorberathung der Eingaben wurde auf Antrag des Vertreters der Müllerei eine Subkommission von 7 Mitgliedern gebildet, über deren Zusammensetzung entgegen dem Antrage eines landwirthschaftlichen Vertreters,7 wonach den Vertretern der Landwirthschaft darin die Mehrheit gesichert werden sollte, nichts beschlossen wurde, und es wurden demnächst durch Stimmenmehrheit zu Mitgliedern 3 Vertreter der Handelsinteressen, 2 der Landwirthschaft, 1 der Müllerei und 1 der Wissenschaft gewählt.8 An den Berathungen der Kommission betheiligten sich die Herren Vertreter der verbündeten Regierungen, sowie des preußischen landwirthschaftlichen und Handelsministeriums.9 Der Bericht über die Kommissionsberathungen, wie er von dem Berichterstatter derselben dem Plenum mündlich erstattet worden ist, findet sich nebst den dazu von einigen Kommissionsmitgliedern gemachten Bemerkungen im stenographischen Protokoll10 und ergiebt, daß in der Kommission zunächst die Frage der Kompetenz des Bundesraths zum Erlaß der in den mehrfach gedachten Eingaben angeregten Bestimmungen erörtert worden ist und sodann nacheinander berathen wurden: 1. die Betheiligung der Interessenten der Landwirthschaft und der Müllerei an der Verwaltung der Produktenbörsen, 2. die Frage der Reglementirung der börsenmäßigen Geschäftsformen, speziell des Schlußnotenzwanges und in Verbindung damit die gesammte durch das Verbot des Getreideterminhandels11 geschaffene Lage, 3. die Frage, ob den Getreidepreisnotizen und damit, sei es dem Handel überhaupt, sei es dem Lieferungshandel, soweit er zulässig bleibt, bestimmte Typen zu Grunde zu legen seien, 7 Der A n t r a g d e s Müllers J o s e p h Johann van den Wyngaert wurde e n t g e g e n d e m Antrag des landwirtschaftlichen Vertreters Graf Arnim a n g e n o m m e n . 8 Die Mitglieder der Subkommission sind Im Editorischen Bericht, oben, S.737, namentlich genannt. 9 An den Sitzungen nahmen als Vertreter des Bundesrats Unterstaatssekretär Anton Rothe, als Vertreter d e s preußischen Landwirtschaftsministeriums Alfred C o n r a d und Traugott Mueller sowie als Vertreter d e s preußischen Handelsministers L u d w i g Brefeld d e s s e n persönlicher Referent Adolf Wendelstadt teil. 1 0 Den Bericht, d e n Max Weber erstattete, und die sich daran anschließenden Bemerkungen der Mitglieder der Subkommission vgl. oben, S. 6 9 7 - 7 1 1 . 11 Der börsenmäßige Getreideterminhandel w u r d e durch § 5 0 A b s . 3 des Börsengesetzes v o m 22. Juni 1896 mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1897 verboten.
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4. die Frage der verwaltungsrechtlichen Behandlung der sogenannten Frühbörsen und ähnlicher Versammlungen, 5. die Frage der technischen Gestaltung des Notizenwesens für landwirthschaftliche Produkte, 6. die Reform des Nachrichtendienstwesens. Auf den Bericht wird hier im Allgemeinen Bezug genommen; soweit im Plenum zu einzelnen Punkten keine weiteren Bemerkungen gemacht sind, ist derselbe nachstehend im Wesentlichen übernommen worden. Das Plenum selbst hat im Verfolg der früher hervorgehobenen Gesichtspunkte Beschlüsse ebensowenig gefaßt, wie die Kommission. Für den Gang der Verhandlungen hat dasselbe im Wesentlichen die Eintheilung der Eingabe des Bundes der Landwirthe zu Grunde gelegt und zu jedem Abschnitt die entsprechenden Punkte der Eingabe des Landwirthschaftsraths herangezogen. Über Abschnitt II der Eingabe des Landwirthschaftsraths (die Märkte betreffend) haben Erörterungen nicht stattgefunden. | Nachstehend werden, im Anschluß an die Hauptabschnitte der A 196 Eingabe des Bundes der Landwirthe, zu jedem derselben die verschiedenen Meinungen über diejenigen Gegenstände ohne genaue Rücksichtnahme auf die Reihenfolge der Erörterungen zusammengestellt, über welche, sei es in der Subkommission, sei es im Plenum in eingehenderer Weise Verhandlungen stattgefunden haben. 1. In Betreff der Vorfrage nach der Kompetenz des Bundesraths zum Erlaß von Anordnungen der in den Eingaben angeregten Art war man zunächst im Anschluß an entsprechende Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters darüber allseitig einig, daß die Organisation der Produktenbörsen und alle auf diese sich beziehenden Desiderate - Abschnitte I, III a, III e der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Abschnitt I, Punkte 1 bis 4 der Eingabe des Landwirthschaftsraths - gemäß §. 4 des Börsengesetzes zur alleinigen Kompetenz der Landesregierungen gehören, ebenso, daß die Umschreibung der Befugnisse des Bundesraths in Bezug auf die durch Abschnitt II, Punkte 3 und 4 und Abschnitt IV der Eingabe des Bundes der Landwirthe, sowie Abschnitt I Nr. 6,7, 8 der Eingabe des Landwirthschaftsraths berührten Preisnotirungen im §. 35 des Börsengesetzes erschöpfend sei, also von seiner Seite in die Art der Notiz im Sinne der dort gegebenen Anregungen durch Erlaß einheitlicher Bestimmungen für alle Börsen direkt nicht eingegrif-
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fen werden könne. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich dagegen in Bezug auf die Tragweite der Bestimmungen des §. 6 Satz 3 des Börsengesetzes für die Frage, ob auf Grund dieses Satzes im Sinne des Abschnitts III, b, c, d der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Abschnitts I Nr. 5 und 7 der Eingabe des Landwirthschaftsraths seitens des Bundesraths reglementirend in den Verkehr mit landwirthschaftlichen Produkten eingegriffen werden und ob insbesondere mit der Folge, daß ein sich diesen etwaigen Vorschriften entziehender Verkehr von der Benutzung der Börseneinrichtungen ausgeschlossen würde, ein Schlußnoten- und Deklarationszwang für Geschäfte in solchen Produkten eingeführt und weiter auch etwa die Benutzung bestimmter Schlußnotenformulare vorgeschrieben werden könne. Seitens der Vertreter der Handelsinteressen wurde die Ansicht aufgestellt, daß nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des gedachten Satzes 12 dieser dem Bundesrath lediglich die Befugniß zum Ausschluß und zu nur bedingungsweiser Zulassung des Verkehrs in bestimmten Artikeln überhaupt an der Benutzung der Börseneinrichtungen zugestehe, mithin im vorliegenden Falle, da ein allgemeiner bedingter oder unbedingter Ausschluß des Getreidehandels überhaupt von der Börse von niemand angeregt werde, ein Eingreifen auf Grund dieser Bestimmung nicht in Frage komme. Die im §. 4 Absatz 2 normirte Kompetenz der Landesregierungen habe der gedachte Satz des §. 6 nicht beeinträchtigen wollen. Von anderen Seiten wurde dagegen die Ansicht vertreten, daß dem Bundesrath durch §. 6 Satz 3 auch die Befugniß beigelegt sei, den Verkehr in einem bestimmten Geschäftszweige nur unter der Bedingung der Innehaltung bestimmter Formen und nur, soweit er sich in diesen bewegen würde, zur Benutzung der Börseneinrichtungen zuzulassen. Unabhängig von dieser reinen Kompetenzfrage war in der erwähnten Subkommission des Ausschusses noch ganz allgemein:
12 Die IX. Kommission des Reichstags war nach der ersten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 1 im Januar 1896 zur Vorberatung einberufen worden. Sie hatte § 6 Satz 3 in den Börsengesetzentwurf aufgenommen, weil sie der Ansicht war, dem Bundesrat müsse die Befugnis eingeräumt werden, unsichere Wertpapiere vom Börsenhandel ausschließen und die Benutzung von Börseneinrichtungen für Waren, die nicht für den Börsenhandel geeignet sind, untersagen zu können. Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1448.
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2. die fernere Vorfrage, ob eine allgemeine gleichmäßige Reglementirung der in den Eingaben zur Sprache gebrachten Punkte durch den Bundesrath \ erwünscht sei, insoweit etwa dessen A197 Kompetenz sich aus dem Börsengesetz oder anderweit begründen lasse, oder ob eine solche Reglementirung in jedem Falle besser den Landesregierungen überlassen würde, zur Erörterung gekommen. Seitens der Vertreter der Handelsinteressen wurde auf die örtlich höchst verschiedene Lage der für eine etwaige Reglementirung entscheidenden Verhältnisse hingewiesen. Diesem Gesichtspunkt wurde von anderen Seiten der Hinweis auf die Gefahr entgegengehalten, daß der sehr verschiedene Charakter der einzelnen deutschen Staatengebilde sich in grundsätzlich gegensätzlicher Behandlung der betreffenden Probleme äußern könnte und daß, wenn insbesondere derartige Unterschiede zwischen den Binnenstaaten - namentlich Preußen - einerseits und den Hansestädten 13 andererseits hervortreten würden, der Handel sich den von den letzteren beaufsichtigten Börsen zu Ungunsten der von den ersteren reglementirten, namentlich zu Ungunsten des Berliner Platzes, zuwenden könnte. Bei der Einzelerörterung über die Anregungen der mehrgedachten Eingaben sind in der erwähnten Subkommission und im Plenum folgende Anschauungen zu Tage getreten. I. In Betreff der Frage der Betheiligung der Interessenten der Landwirthschaft und Müllerei an der Verwaltung der Produktenbörsen - Abschnitt I der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Nr. 1,1 bis 3 der Eingabe des Landwirthschaftsraths - standen sich in der Subkommission eine die Nothwendigkeit und Räthlichkeit dieser Betheiligung entschieden ablehnende und eine andere Ansicht, welche die volle Gleichstellung insbesondere der Vertreter der Landwirthschaft mit denen des Handels verlangte, gegenüber, während eine dritte die Ausschließung mindestens der Vermögensverwaltungs- und Hausordnungsangelegenheiten der Börsen von der Mitwirkung der nicht zu den betreffenden Korporationen gehörigen Vorstandsdelegirten als durch die Rücksicht auf wohlerworbene Privatrechte geboten erachtete. Im Plenum ist die zweit-
13 Gemeint sind die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck.
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gedachte Meinung nicht vertreten worden. 14 Für und gegen diese einzelnen Ansichten wurden wesentlich sehr allgemeine Gesichtspunkte geltend gemacht, insbesondere erörtert, ob der Handel und speziell der Börsenverkehr gar nicht oder doch in geringerem Maße als „Selbstzweck" zu betrachten sei, als andere Thätigkeiten, insbesondere die landwirthschaftliche Produktion, - ob in der Betheiligung an Angelegenheiten, die der Handel als die seinigen in Anspruch nehme, eine Einmischung Unberufener liege und ähnliche. - Seitens der Vertreter der Handelsinteressen wurde namentlich hervorgehoben, daß der Erwerb der Börsenmitgliedschaft durch Landwirthe nur erwünscht sein würde, daß aber ohne eine solche und ohne regelmäßige Theilnahme am Verkehr bei den Delegirten die erforderliche Sachkenntniß nicht zu gewärtigen sei, es auch ohne Analogon in anderen Berufen dastehen würde, daß Personen, die mit eigenen Interessen am Verkehr nicht betheiligt sind und an den Lasten und Kosten seiner Institutionen nicht theilnehmen, trotzdem über die Angelegenheiten dieses Verkehrs und die Verwaltung dieser Institutionen mitbeschließen sollen. Von einer Theilnahme derselben an allen Institutionen, z. B. am Ehrengericht, könne ohnehin, schon nach dem Wesen des letzteren, keine Rede sein. - Man war im Übrigen darüber nicht im Zweifel, daß es sich bei der ganzen Frage im Wesentlichen um Angelegenheiten der binnenstaatlichen Börsen handle, da ein Vorgehen in der Richtung der Forderungen der Eingaben seitens der Hansestädte von den A198 Vertretern der dortigen Börsen 1 5 als un|möglich bezeichnet war und jedenfalls nicht zu gewärtigen sein dürfte. Nachdem ferner in der Subkommission seitens des Vorsitzenden des Landwirthschaftsraths 16 - als seine persönliche Auffassung - bemerkt worden war, daß die eventuell zuzuziehende absolute und relative Zahl der
14 Allerdings hatte Karl Gamp im Plenum dafür plädiert, „daß es ein Akt der Gerechtigkeit und Billigkeit Ist, bei den Fragen der Produktenbörse, oder richtiger, beim Handel der landwirtschaftlichen Erzeugnisse - die Landwirthschaft und [...] die Müllerei, Theil nehmen zu lassen, und zwar nicht bloß mitwirken zu lassen bei einzelnen Akten, [...] sondern sie eben als vollständig gleichberechtigte Faktoren anzusehen." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 124. 15 Gemeint sind Hermann Frese (Bremen), Slegmund Hinrlchsen und Alfred Michahelles (Hamburg). 16 Gemeint ist Freiherr von Soden-Fraunhofen, erster stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Landwirtschaftsrats.
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Delegirten von geringerem Gewicht sei, sofern der auch von anderen landwirthschaftlichen Vertretern erhobenen Forderung nach einem selbständigen Staatskommissar für die Produktenbörse Folge gegeben werde,17 hat sich die Erörterung im Plenum im Wesentlichen den Fragen zugewendet: a) ob für Preußen durch das Landwirthschaftskammergesetz ein fester Rechtsboden nach der Richtung der Nothwendigkeit einer Vertretung der Landwirthschaft in den Börsenvorständen geschaffen sei, und eventuell welche Personen und von wem dieselben in die Vorstände der Produktenbörsen beziehungsweise in die Sachverständigenkommissionen zu delegiren seien; b) ob es geboten oder räthlich oder wenigstens nicht schädlich erscheine, mit einer eventuellen Delegation von Vertretern der Landwirthschaft in die Verwaltung der Produktenbörsen eine Änderung der bestehenden Börsenverfassungen, namentlich der Berliner, im Sinne einer vollständigen Trennung der Produktenbörse von der Fondsbörse herbeizuführen? Endlich wurde c) die Organisation der an den Produktenbörsen, besonders der Berliner, für die Prüfung der Lieferbarkeit der Waaren bestehenden Sachverständigenkommissionen zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Ada. Über die erste Frage wurden in der Subkommission sehr entgegengesetzte Ansichten laut. Es gab zu denselben im Verlauf der Erörterungen der Herr Vertreter des preußischen landwirthschaftlichen Ministeriums folgende Erklärung ab,18 aus welcher zugleich die wesentlichsten der von anderen Seiten in der Subkommission hervorgehobenen Gesichtspunkte ersichtlich sind: „In Preußen liege die Durchführung des Börsengesetzes in erster Linie dem Herrn Minister für Handel und Gewerbe ob, indessen sei bei der Reorganisation der Produktenbörse auch sein Herr Chef 19 betheiligt, und seien für die Vorschläge, die er nach Anhö-
17 Hier wird Bezug genommen auf die Bestimmung des §2 BörsG. 18 Seine im folgenden referierte Stellungnahme wiederholte Geheimrat Alfred Conrad im Plenum. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 121 f. 19 Derzeit Freiherr von Hammerstein-Loxten und im folgenden ist der preußische Handelsminister Ludwig Brefeld gemeint.
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rung der Landwirthschaftskammern und da, wo diese noch nicht beständen, der sonstigen landwirtschaftlichen Provinzialvereine in dieser Beziehung dem Herrn Handelsminister gemacht habe, folgende Gesichtspunkte maßgebend gewesen. In Preußen komme für die Theilnahme von Vertretern der Landwirthschaft an der Verwaltung der Produktenbörsen neben dem Börsengesetze der §. 2 Absatz 4 des Gesetzes über die Landwirthschaftskammern vom 30. Juni 1894 in Betracht, welcher laute: „Den Landwirthschaftskammern wird nach Maßgabe der für die Börsen und Märkte zu erlassenden Bestimmungen eine Mitwirkung bei der Verwaltung und den Preisnotirungen der Produktenbörse und der Märkte, insbesondere der Viehmärkte, übertragen." In dem ursprünglich von der Regierung eingebrachten Entwürfe des Landwirthschaftskammergesetzes habe dieser Absatz gelautet: „Den Landwirthschaftskammern kann nach Maßgabe u.s.w. übertragen werden." 20 In der Kommission des Abgeordnetenhauses zur Vorberathung dieses Gesetzentwurfs21 seien aber die Worte: „kann ... übertragen A 199 werden" umgewandelt | worden in die Worte: „wird ... übertragen", und damit sei die ursprünglich fakultativ gedachte Mitwirkung der Landwirthschaftskammern bei der Verwaltung der Produktenbörse zu einer obligatorischen gestaltet worden. In dieser Fassung sei der Entwurf Gesetz geworden. Diese Bestimmung sollte, wie aus den Materialien zu diesem Gesetze unzweifelhaft hervorgeht, die Bedeutung haben, daß in Preußen dadurch der Regierung die Verpflichtung gesetzlich auferlegt werden sollte, bei Erlaß der Ausführungsbestimmungen zu dem damals in Vorbereitung befindlichen Reichsbörsengesetze den Landwirthschaftskammern eine Mitwirkung bei der Verwaltung der Produktenbörsen einzuräumen.22 Bei 20 In dem von der preußischen Regierung eingebrachten Entwurf: Landwirtschaftskammergesetz 1 lautet §2 Abs. 4: „Den Landwirtschaftskammern kann eine Mitwirkung bei der Verwaltung der Produktenbörsen und bei den Preisnotirungen bei diesen, sowie bei Märkten übertragen werden." 21 Gemeint ist der Entwurf: Landwirtschaftskammergesetz 2. 22 Die Erörterungen zu § 2 Abs. 4 in der Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses finden sich, in: Entwurf: Landwirtschaftskammergesetz 2, S. 1705f. Zur gleichen Zeit, nämlich 1894/95 wurde der Entwurf: Börsengesetz 1 vom Reichsamt des Innern erarbeitet.
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dieser Rechtslage habe sich der Herr Minister für Landwirthschaft nicht nur für berechtigt, sondern für verpflichtet gehalten, zu fordern, daß in den Börsenordnungen überall da, wo Landwirthschaftskammern beständen, für die Vertreter derselben eine Mitwirkung bei der Verwaltung der Produktenbörsen und den Preisnotirungen an denselben vorgesehen werde. Nun frage es sich, was unter dem Worte „Mitwirkung" zu verstehen und wie dieselbe praktisch zu gestalten sei. Zur Auslegung dieses Wortes habe der Herr Landwirthschaftsminister geglaubt, den §. 4 Absatz 2 des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 zu Hülfe nehmen zu sollen, in welchem den Landesregierungen die Befugniß ertheilt wird, die Aufnahme einer bezüglichen Vorschrift in die Börsenordnung anzuordnen: daß in den Vorständen der Produktenbörsen die Landwirthschaft, die landwirtschaftlichen Nebengewerbe und die Müllerei eine entsprechende Vertretung finden. Denn, wie aus den Verhandlungen des Reichstags über diese Bestimmung, die erst in der zweiten Lesung in das Gesetz Aufnahme gefunden habe, hervorgehe, habe dieser Antrag bezweckt, den Landesregierungen die Möglichkeit zu gewähren, denjenigen Rechtszustand, wie er hinsichtlich der Mitwirkung der Landwirthschaft bei der Verwaltung der Produktenbörsen in Preußen durch das Gesetz über die Landwirthschaftskammern bereits geschaffen sei, auch für die übrigen Bundesstaaten zu verallgemeinern. Wie aber der Wortlaut dieser Bestimmung darthue und wie aus der Begründung des Antragstellers hervorgehe, ohne daß ihm in dieser Beziehung widersprochen worden sei, werde diese Mitwirkung als eine Vertretung der Landwirthschaft in dem Vorstande der Produktenbörse aufgefaßt.23 Danach glaube sein Herr Chef, daß dieser Bestimmung des Landwirthschaftskammergesetzes nur dann richtig entsprochen werde, wenn die Vertreter der Landwirthschaftskammern als selbstthätige vollberechtigte Mitglieder in die Vorstände der Produktenbörsen eintreten. Nur dadurch werde ih-
2 3 Die Aufnahme der Bestimmung ins Börsengesetz hatte Graf Kanitz im Reichstag während der zweiten Lesung des Entwurfs: Börsengesetz 2 beantragt. Sten.Ber., 28. April 1896, Band 145, S. 1956; die Verhandlungen zum Antrag Kanitz, ebd., 28./29. April 1896, Band 145, S. 1956-1963 und 1997; der Antrag Kanitz, ebd., 1896, Band 153, Nr. 309, S. 1693; die Bestimmung im Entwurf: Börsengesetz 3, S. 1725.
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nen eine Stellung eingeräumt, in welcher sie ersprießlich ihre Funktionen wahrnehmen könnten. Wie der Kreis ihrer Befugnisse im Einzelnen abzugrenzen sei, insbesondere ob sie bei allen Maßnahmen des Vorstandes, auch denjenigen vermögensrechtlicher Natur mitzuwirken hätten, diese Fragen seien diskutabel und müß- 5 ten in den Börsenordnungen einzeln geregelt werden, hier käme es zunächst nur darauf an, den grundsätzlichen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Wenn ferner der Einwand erhoben sei, der §. 2 Absatz 4 des Landwirthschaftskammergesetzes könne für die Berliner Produk- 10 tenbörse keine Anwendung, finden, weil die Stadt Berlin nach §. 1 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 aus der Provinz Brandenburg ausgeschieden sei und einen A 200 Verwaltungsbezirk für sich bilde und danach eine besondere Landwirthschaftskammer für sie nicht existire, so treffe derselbe 15 nicht zu, denn der §. 2 Absatz 4 a.a.O. laute nicht dahin, daß jeder Landwirthschaftskammer ein Mitwirkungsrecht bei der Verwaltung nur der in ihrem Bezirke bestehenden Produktenbörsen übertragen wird, sondern er habe eine allgemeine Fassung und seine Ausführung sei Sache der Verwaltungsbehörden. 20 Von einer Seite sei ferner die Forderung aufgestellt worden, daß nur Mitglieder der Landwirthschaftskammer selbst in den Vorstand der Produktenbörse eintreten dürften oder daß den Vertretern der Landwirthschaftskammern für den Eintritt wenigstens zur Bedingung gemacht werden müsse, daß sie ihr Gewerbe selbst 25 noch praktisch ausübten.24 Im landwirthschaftlichen Ministerium halte man indessen diese Auslegung des §. 2 al. 4 a.a.O. für zu eng. Die Bestimmung habe vielmehr den Sinn, der Landwirthschaft eine Vertretung in den Vorständen der Produktenbörsen zu sichern, und zwar sollten die Landwirthschaftskammern, als die ge- 30 setzlich berufenen Vertretungen der Landwirthschaft, bei der Auswahl dieser Vertreter mitwirken. Daß letztere aktive Mitglieder der Landwirthschaftskammern sein müßten, sei nicht vorgeschrieben, auch sei die Forderung zu weitgehend, daß sie ihr Gewerbe als
24 Vermutlich handelt es sich um eine Anspielung auf die Forderung der Königsberger Börse. Sie hat diese später tatsächlich durchgesetzt. Vgl. dazu unten, S.813f., Fußnote 4 mit Anm. 72.
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praktische Landwirthe noch selbständig betreiben müßten. An sich sei dieses wünschenswerth, indessen werde es sich bei größeren Börsen gar nicht umgehen lassen, daß diese Personen unter Aufgabe ihrer bisherigen Berufsthätigkeit ihren Wohnsitz in der betreffenden Stadt, in welcher sich die Börse befinde, würden nehmen, täglich letztere besuchen und sich ganz den Börsenangelegenheiten würden widmen müssen. Dieses gelte namentlich für Berlin. Häufig würden daher frühere Landwirthe, die zur Zeit in Berlin lebten und das Vertrauen ihrer Berufsgenossen in besonders hohem Maße genössen, sehr geeignete Personen zur Erfüllung dieser Pflichten sein. Man werde daher den Kreis dieser Personen nicht zu sehr beschränken, sondern den landwirthschaftlichen Vertretungen die Auswahl ihrer Vertrauensmänner thunlichst überlassen müssen, immer unter der Voraussetzung, daß dieselben auch wirklich ihrer ganzen Vorbildung und ihrer jetzigen oder früheren Berufsthätigkeit nach als Vertreter der Landwirthschaft anzusehen seien und nicht, obgleich sonst anderen Berufsständen angehörig, nur zu diesem Zwecke mit der Vertretung der Landwirthschaft beauftragt seien."25 Während die Vertreter der landwirthschaftlichen Interessen im Allgemeinen ähnliche Auffassungen, wie die hier wiedergegebenen, vortrugen, wurden von den Vertretern der Handelsinteressen die schon in der Subkommission geltend gemachten Bedenken im Plenum erneut begründet: Der §.4 des Börsengesetzes, welcher nach der Deutung, welche der Herr Vertreter des preußischen landwirthschaftlichen Ministeriums gegeben habe, für die auf Grund des Landwirthschaftskammergesetzes bestehenden Rechte der Landwirthschaftskammern maßgebend sei, habe keinen Anspruch auf Vertretung in den Börsenvorständen geschaffen, sondern gestatte die Einführung derselben nur. In jedem Falle müsse, entgegen der Auffassung des preußischen landwirthschaftlichen Ministeriums - nach dem Wortlaut des Gesetzes und nach allen Analogien ähnlicher, bestimmten Korporationen eingeräumter Rechte auf Vertretung in einem Gremium, weiter aber auch im
2 5 Hier endet die Wiedergabe der Stellungnahme des Vertreters des Landwirtschaftsministeriums Alfred Conrad. Im folgenden gibt Max Weber die Bedenken von Johannes Kaempf wieder.
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Anschluß an die von dem preußischen Eisenbahnministerium bei dem analogen Falle der Besetzung von Bezirkseisenbahnräthen | A 201 bethätigten Rechtsauffassung26 - , daran festgehalten werden, daß die Landwirthschaftskammern nur Personen aus ihrer Mitte delegiren könnten, nicht aber beliebige andere Personen, auch nicht 5 solche, die irgend einmal Landwirthe gewesen seien. Als ganz besonders unzweckmäßig im Interesse einer sachlichen Verständigung der verschiedenen Interessengruppen würde es zu betrachten sein, falls als Vertreter der Landwirthschaft etwa Personen delegirt würden, die keine eigenen ökonomischen Interessen vertreten 10 würden, sondern, sei es als Inhaber politischer Mandate, sei es als angestellte Interessenvertreter, eine gebundene Marschroute hätten. - Als höchst anstößig wurde seitens eines Vertreters der Magdeburger Zuckerbörse 27 die Delegation von für ihre Mitwirkung remunerirten Personen in die Mitte eines ehrenamtlichen Gremi- 15 ums bezeichnet und ferner ausgeführt, daß am Zuckerhandel als Produktionszweig nicht die Landwirthschaft, sondern die Zuckerindustrie als interessirt und also eventuell zur Delegation von Vertretern befugt gelten müsse. Beidem wurde von landwirtschaftlicher Seite lebhaft widersprochen. 20 A d b. Die vollständige Trennung der Produktenbörse von der Fondsbörse wurde von den landwirthschaftlichen Vertretern angeregt. Auch der Herr Vertreter des preußischen Herrn Handelsministers sprach den Wunsch aus, daß erörtert werde, inwieweit als Folge der Theilnahme landwirthschaftlicher Delegirter an der Verwal- 25 tung der Produktenbörse eine ganz selbständige Organisation dieser letzteren mit besonderer Zulassung, besonderem Ehrengericht und Theilnahme der landwirthschaftlichen Vertreter auch an dieser Institution geboten sei. In der Subkommission und im Plenum wur-
26 Nach §§3 und 10 des Gesetzes, betreffend die Einsetzung von Bezirkseisenbahnräthen und eines Landeseisenbahnrathes für die Staatseisenbahnverwaltung vom I.Juni 1882 setzten sich die Bezirkseisenbahnräte und der Landeseisenbahnrat aus Vertretern des Handelsstandes, der Industrie und der Land- und Forstwirtschaft zusammen. Eine einschränkende Bestimmung für die personelle Besetzung gab es nur für den Landeseisenbahnrat. In dieses Gremium durften keine „unmittelbaren Staatsbeamte" berufen werden. Daß analog dazu, nur Landwirte in den Produktenbörsenvorstand gelangen sollten, vertrat Adolpf Frentzel entgegen der Ansicht von Alfred Conrad. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 127 und 122. 27 Es handelt sich um Wilhelm Zuckschwerdt.
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de die getrennte Organisation von einer Seite als die natürliche Konsequenz der Anwendung des §. 4, letzter Satz, des Börsengesetzes, wie sie für Preußen auf Grund des Landwirthschaftskammergesetzes zu gewärtigen sei, gehalten und auch, da ja die Theilnahme 5 der landwirthschaftlichen Delegirten sich auf die Angelegenheiten des Handels mit landwirthschaftlichen Produkten beschränken solle, die Neu- beziehungsweise Wiederschaffung einer „Waarenbörse" 28 als selbständiger Abtheilung für den Handel mit anderen Waaren als erforderlich bezeichnet, während demgegenüber von 10 anderen Seiten hervorgehoben wurde, daß z. B. eventuell schon im Rahmen der gegenwärtig noch bestehenden Berliner Börsenverfassung durch Angliederung der betreffenden Delegirten an die Sektion des Börsenkommissariats für die Produktenbörse dem Zwecke der gedachten Bestimmung des Börsengesetzes Genüge 15 geschehen würde. Ganz abgesehen aber von der Frage, ob - was im Plenum nicht behauptet worden ist - die örtliche und administrative Selbständigkeit der Produktenbörse etwa nothwendig geworden sei, wurde dieselbe von Seiten mehrerer landwirtschaftlicher Vertreter unter Hinweis auf das Beispiel Mannheims als jedenfalls er20 wünscht bezeichnet, namentlich im Interesse der Beseitigung des zur Zeit gerade wegen der örtlichen und administrativen Kombination des börsenmäßigen Produktenhandels mit ihm fremden Geschäftszweigen, wie der Fondsspekulation, gegen den ersteren bestehenden Mißtrauens. Von einer landwirthschaftlichen Seite wur25 den für die Trennung auch die sehr verschiedenen Gesichtspunkte, welche für die Zulassung zur Theilnahme am Verkehr aufzustellen seien, geltend gemacht: diese könne beim Produktenhandel füglich eine weit freiere, die Börse einem offenen Markt mehr annähernde sein, als für das Fondsgeschäft. Es zeigte sich im Übrigen bei der 30 Erörterung, daß die landwirthschaftlichen Vertreter der Mehrzahl nach weniger auf | diese Trennung, als auf die Vertretung der Land- A 202 wirthschaft in den Vorständen und Organen der Börse, soweit die Verwaltung der Angelegenheiten des Produktenverkehrs in Betracht komme, Gewicht legen. Gegenüber den Ausführungen han-
2 8 An der Berliner Börse war am 3. Januar 1887 eine dritte Sektion, nämlich die Warenbörse eröffnet worden. An der Warenbörse sollten Rohprodukte, Halbfabrikate und Fabrikate der Textilbranche auf Termin gehandelt werden. Die Warenbörse war am I.Januar 1888 jedoch wieder geschlossen worden.
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seatischer Vertreter wurde von einem landwirthschaftlichen Vertreter 29 die Schwierigkeit einer Änderung der dortigen Verhältnisse der Börsenorganisation zugegeben. Von Seiten mehrerer Vertreter der Berliner Börse 30 wurde - abgesehen von den erforderlich werdenden Aufwendungen für Bauten und der Unerwünschtheit der Errichtung mehrerer Ehrengerichte - eine schwere Schädigung des Geschäftsverkehrs als Folge der etwaigen Zerreißung des der schnellen und billigen Erledigung aller Operationen gerade der Effektivhändler, z. B. der Wechselund Valutageschäfte, dienlichen räumlichen Zusammenhanges in Aussicht gestellt und dem Hinweis auf die Entwickelung an den ausländischen, z. B. den englischen und amerikanischen Börsen mit dem Bemerken begegnet, daß die dort sicherlich als Folge der räumlichen Trennung aufgetretenen Kosten und Unbequemlichkeiten vermuthlich zwingender örtlicher Verhältnisse wegen ertragen würden. In ähnlichem Sinne sprach sich auch der Vertreter der Königsberger Börse 31 aus. Ad c. Die Gremien der vereidigten Sachverständigen, gegen deren jetzige Zusammensetzung und Unbefangenheit, sowohl in der Subkommission als im Plenum, von der einen Seite sehr scharfe Angriffe gerichtet 32 und diese von der anderen ebenso scharf als unberechtigt zurückgewiesen wurden, sind eingehender nur in der Subkommission Gegenstand der Besprechung gewesen. Von landwirthschaftlicher Seite wurde eine Umorganisation im Sinne der betreffenden Anträge der Eingaben befürwortet und auch von Seiten der preußischen landwirthschaftlichen Verwaltung die Frage angeregt, ob nicht die Überweisung dieser Funktion an möglichst neutrale, nicht selbst am Handel betheiligte Personen empfehlens-
2 9 Graf Kanitz räumte dies ein gegenüber den Ausführungen von Alfred Michahelles (Hamburg) und Hermann Frese (Bremen). Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 116 und 112. 3 0 Dies waren Wilhelm Herz, Adolph Frentzel und Ernst von Mendelssohn-Bartholdy. Ebd., S. 116, 126 und 130f. 31 Es handelt sich um Franz Schröter. 32 Vermutlich hatten die landwirtschaftlichen Interessenten die Zusammensetzung der Gremien der vereidigten Sachverständigen kritisiert und den Sachverständigen Befangenheit vorgeworfen. Im Plenum äußerte sich lediglich Graf Arnim, der der Subkommission nicht angehört hatte, in dieser Sache. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 128.
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werth sei, in jedem Falle aber eine Betheiligung der Landwirthe als erwünscht bezeichnet. Von Seiten der Vertreter der Handelsinteressen wurde bemerkt, daß der Handel als solcher ein entscheidendes Gewicht nur auf die Schnelligkeit und Gleichmäßigkeit des 5 Verfahrens lege, beides aber nur bei voller Sachkenntniß der betreffenden Personen, gleichviel woher dieselben im Übrigen entnommen würden, gewährleistet sei. Die stetige Theilnahme am Markte unter dem Druck eigener ökonomischer Selbstverantwortlichkeit sei aber eine unersetzliche Schule für jene volle Sachkennt10 niß und der Gedanke des Ausschlusses gerade der Händler deshalb jedenfalls verfehlt. Übrigens seien die Entscheidungen der vereidigten Sachverständigen, z.B. bei Sprit, Zucker, Stärke, von verschwindender Bedeutung, da hier die chemische Probe entscheide, so daß der Streit in der Hauptsache nur für Getreide praktische 15 Tragweite habe. II. Bei Erörterung der Preisnotizen und der damit zusammenhängenden Fragen - Abschnitt II der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Nr. I sub 4, 5, 6, 7 der Eingabe des Landwirthschaftsraths - und des Nachrichtenwesens - Nr. IV der Eingabe des Bun20 des der Landwirthe, Nr. 1,8 der Eingabe des Landwirthschaftsraths - sind im Wesentlichen Gegenstand der Besprechung gewesen: a) die Frage, wie der bisher der börsenmäßigen Reglementirung und damit auch der Erfassung durch die Notizen sich entziehende Verkehr auf den sogenannten Frühbörsen und auf 25 ähnlichen Versammlungen in Zukunft zu behandeln sei, | b) die gesetzliche und faktische Möglichkeit und Räthlichkeit A 203 der Einführung eines Schlußnoten- und Deklarationszwanges für alle Börsengeschäfte über Agrarprodukte oder doch über Getreide- und Mühlenfabrikate, 30 c) die Frage, ob für die Notiz und eventuell für die Schlußnoten überhaupt oder für das Lieferungsgeschäft Typen des gehandelten Getreides festgestellt werden sollen, d) der Nachrichtendienst. Ad a. Was die Behandlung der Vor- und Frühbörsen anlangt, so 35 war man darüber einig, daß es sich hier im Wesentlichen um die Berliner Frühbörse handele, nachdem ein Vertreter der Hamburger Börse bemerkt hatte, daß man die dort bestehenden börsenartigen Versammlungen der einzelnen Händlervereine der Ge-
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sammtbörse in administrativer Beziehung anzugliedern beabsichtige. 33 Daneben wurden nur die Verhältnisse der Stettiner Frühbörse gestreift. Von Seiten der Vertreter der Handelsinteressen wurde für die Berliner sogenannte Frühbörse der Börsencharakter in Abrede gestellt, ebenso die Behauptung, daß die Geschäfte in höheren Preislagen gerade an der Frühbörse zu Stande kämen und demgegenüber behauptet, daß der Börsenkommissar der Hauptbörse bei der sogenannten Schätzungsnotiz auf die Ergebnisse des Frühbörsenverkehrs thunlichst Rücksicht zu nehmen pflege, - was von anderer Seite als schwerlich möglich bezeichnet wurde. Seitens der Handelsinteressenten waren in der Subkommission für den Fall, daß die Ermittelung der Verhältnisse der Frühbörse dieselbe als eine Börse im Sinne des Gesetzes erscheinen lassen würde, Bedenken gegen ihre Einbeziehung in die Berliner Börse nicht erhoben worden. Der Herr Vertreter des preußischen Herrn Landwirthschaftsministers hatte die Auffassung des letzteren dahin bekannt gegeben, daß die Berliner Frühbörse als Börse zu betrachten sei, der Herr Vertreter des preußischen Herrn Handelsministers bemerkte, daß zwar der Börsencharakter derselben und demgemäß die gesetzliche Möglichkeit einer Schließung noch nicht ganz zweifelsfrei erscheine, daß sie aber doch voraussichtlich schon zum 1. Januar entweder geschlossen oder in administrativer Hinsicht als Börse behandelt und in diesem Fall entweder besonders organisirt oder - wahrscheinlicher - der Hauptbörse angegliedert sein werde.34 Die Frage, ob etwa auch die „freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse" als Börse zu behandeln sei, 35 wurde von einem
3 3 Max Weber nimmt hier Bezug auf die Aussage von Alfred Michahelles, der hinsichtlich der Frühbörse bemerkt hatte: „Ich glaube, wir können von allen Landesregierungen voraussetzen, daß sie das bestehende Recht auch lokal ausführen werden, und wenn ein Zusammenkommen von Interessenten wirklich, sei es Morgens oder Mittags oder Abends zur Börse geworden ist und börsenmäßige Formen angenommen hat, dann besteht vom I.Januar [1897] an einfach die Verpflichtung, sich dem Gesetz zu unterwerfen, sich der Börsenordnung unterzuordnen." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 152. 34 Die Berliner Frühbörse wurde nach dem 1. Januar 1897 nicht geschlossen. Sie wurde auch nicht dem Börsengesetz unterstellt, sondern als Mittelding zwischen Börse und Markt behandelt. Vgl. dazu ausführlicher unten, S. 816, Fußnote 6 mit Anm. 81. 3 5 Die Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse war eine Interessenvertretung der Produktenhändler. Vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1044.
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landwirthschaftlichen Vertreter berührt, aber nicht weiter verfolgt. Ad b. Bei der Erörterung über den beantragten Schlußnotenzwang wurde nächst der schon früher berührten Vorfrage nach der 5 gesetzlichen die weitere der technischen Möglichkeit erörtert und dabei auf die Bestimmungen des Börsensteuergesetzes36 und die im Entwurf des neuen Handelsgesetzbuchs auch für die Privatmakler allgemein statuirte Pflicht, Schlußnoten auszustellen und Maklerbücher zu führen, 37 hingewiesen. Eventuell würde die Einfüh10 rung einer geringen Umsatzgebühr - z.B. 10 P£ pro Tonne - als mögliches Mittel zum Zweck der Erzwingung der Ausstellung von Schlußnoten, von denen alsdann ein Exemplar bei der Kursfeststellungsinstanz einzureichen sein würde, erwähnt 3 . 38 Die technische Möglichkeit, auf diesem Wege eine sofort noch am selben Börsen15 tage publikationsfähige Notiz zu erreichen, wurde aus dem Kreise der Handelsinteressenten heraus bestritten mit dem Hinweis darauf, daß die derzeit ausgestellten Schlußnoten erst am folgenden Tage den Kontrahenten zugestellt zu werden pflegen, auch jeden- A 204 falls erst bis zum Abend desselben Tages ausgefertigt werden könn20 ten. Auch wurde die Meinung geäußert, daß bei lebhaftem Geschäft es unmöglich sein werde, aus den Einzelangaben der Schlußnoten rechtzeitig im Wege der Rechnung einen brauchbaren Kurs zu ermitteln, worauf von anderer Seite bemerkt wurde, daß man sich die Art der Kursermittelung keineswegs als eine mechanische, 25 rein rechnerische Operation denke, sondern etwa nach Art der amerikanischen sogenannten „Quotation books". Inwieweit die Bezugnahme auf diese Institution und die englische Corn returns
a Zu erwarten wäre: in Erwägung zu ziehen sein 3 6 Mit d e m Börsensteuergesetz wurde die B e s t e u e r u n g d e s G e s c h ä f t s a b s c h l u s s e s eingeführt und damit ein Z w a n g zur A u s s t e l l u n g von Schlußnoten. 3 7 Die A u s s t e l l u n g von Schlußnoten ist in § 8 2 , die Führung von M a k l e r b ü c h e r n in § 8 9 d e s Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs vorgeschrieben. Das neue Handelsgesetzbuch, a m 10. M a i 1897 vollzogen, trat erst a m I . J a n u a r 1900 in Kraft. 3 8 Die g e s e t z l i c h e Möglichkeit, die A u s s t e l l u n g von Schlußnoten auf d i e s e Art z u erzwingen, erwähnte Graf Arnim. Er sagte: „Was die g e s e t z l i c h e Z u l ä s s i g k e i t anbelangt, s o wäre der A u s w e g in E r w ä g u n g z u ziehen, eine g e r i n g e Steuer auf d i e Schlufenoten z u legen, von etwa 10 Pf. für die Tonne [...]." Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 139.
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act39 alsb Analogien gerechtfertigt sei, blieb streitig; der Verweisung auf die Quotation books wurde der Mangel eines Zwanges zur Benutzung, der Heranziehung der Corn returns act der Hinweis auf den höchst beschränkten Zweck der betreffenden Bestimmungen und den fragmentarischen Charakter der darauf beruhenden, nur einen Bruchtheil der einheimischen englischen Ernte erfassenden Preisberichte entgegengehalten. Auch wurde von den Handelsinteressenten die Frage aufgeworfen, welche Rechtsfolgen an eine Nichtbeurkundung eventuell zu knüpfen sein würden, und betont, daß diese, sofern sie die civilrechtliche Gültigkeit berühren sollten, alsdann nothwendigerweise auf alle Geschäfte über Getreide, auch diejenigen der Produzenten, erstreckt werden müßten, weil sonst der Handel, im Widerspruch mit allen geltenden Rechtsprinzipien, Formvorschriften unterstehen würde, von denen der Verkehr im Übrigen befreit sei. Von Seiten eines landwirthschaftlichen Sachverständigen wurde in einer solchen Ausdehnung nichts Bedenkliches gefunden, während ein anderer landwirthschaftlicher Vertreter die entschiedene Abneigung der landwirthschaftlichen, namentlich der bäuerlichen Bevölkerung gegen jede Publizität ihrer Geschäfte konstatirte. Man war im Übrigen darüber einig, daß zur Zeit jedenfalls nur der Ausschluß nicht bedeutender Geschäfte von der Benutzung der Börseneinrichtungen - sei es durch den Bundesrath, falls §. 6 Absatz 2 des Börsengesetzes40 die Handhabe dafür bieten sollte, sei es durch die Landesregierungen kraft ihrer im §. 4 daselbst umschriebenen Befugnisse, - als Zwangsmittel in Frage kommen könne. Bei der Behandlung der Frage, ob - die gesetzliche und technische Möglichkeit vorausgesetzt - der Schlußnotenzwang erwünscht erscheine, war man darüber im Klaren, daß nicht sowohl die Frage der Beurkundung, als vielmehr die Deklaration der Geschäfte zum Zweck der Notiz der Punkt sei, um den es sich handle. Für die Nothwendigkeit des Deklarationszwanges wurde von den landb In A folgt: auf 39 Zur Corn Returns Act vgl. die Ausführungen oben, S. 718, Anm. 74. 40 Gemeint ist hier § 6 Satz 3 des Börsengesetzes, § 6 besteht nur aus einem Absatz, vgl. unten, S. 976.
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wirtschaftlichen Vertretern die völlige Unbrauchbarkeit der jetzigen Notizen, namentlich derjenigen der Berliner Börse, geltend gemacht, welche sich nach dem 1. Januar mit Fortfall der zur Zeit einzig brauchbaren, nämlich der Loconotiz für Lieferungsqualität, noch steigern werde. 41 Für die behauptete Unbrauchbarkeit der gegenwärtigen Notizen wurden neben der großen Spannung der Berliner Loconotizen und dem Fehlen jeder Angabe über die umgesetzten Mengen in der Subkommission und im Plenum eine große Zahl von Einzelthatsachen angeführt, aus denen hervorgehe, daß gerade die besseren Qualitäten nicht zur Berücksichtigung bei der Notiz zu gelangen pflegen, obwohl für sie höhere als die notirten Höchstpreise nachweislich gezahlt seien. Über die Richtigkeit und Schlüssigkeit dieser Anführungen ergaben sich zahlreiche Meinungsverschiedenheiten, bei denen mehrfach mit einander unvereinbare Behauptungen sich gegenüberstanden, ] und seitens der A 205 Handelsinteressenten im Wesentlichen der Meinung Ausdruck verliehen, die Nichtberücksichtigung besonders guter Qualitäten bei der Notiz, wo sie etwa erfolgt sei, könne nur darin ihren Grund haben, daß dieselben in den betreffenden Fällen nicht auf, sondern außerhalb der Börse gehandelt seien; im Übrigen wurde in Betreff der Berliner Loconotizen 0 noch hervorgehoben, daß dieselben 0 im Gegensatz zu den e mit „bz", „B", „G" etc. angezeichneten, auf thatsächliche Einzelumsätze sich beziehenden Notizen sogenannte „Schätzungsnotizen" seien und dem Zweck einer Veranschaulichung der Marktlage, wie sie sich unter Umständen in keinem der einzeln gemachten Abschlüsse erkennbar wiederspiegele, dienen sollen. Zu diesem Punkt wurde jedoch von anderer Seite in scharfer Weise betont, daß diese Schätzungen subjektive und willkürliche seien und in jedem Falle die Forderung aufgestellt werden müsse, daß in der Notiz deutlich, und zwar deutlicher als jetzt, für jeden Außenstehenden erkennbar gemacht werde, welche Zahlen des Kurszettels auf Schätzung und welche auf thatsächlich ermittel-
c A: Loconotiz
d A: dieselbe
e A: dem
41 Mit Inkrafttreten des Börsengesetzes am 1. Januar 1897 wurde der börsenmäßige Terminhandel in Getreide untersagt (§50 Abs. 3 BörsG). Da der Lokohandel auf der Basis von Standards, also einer festgelegten Lieferungsqualität, dem Termingeschäft nahekommt, war auch diese Form des Lokohandels verboten.
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ten Einzelgeschäften beruhen, - eine Forderung, welche auch von den Vertretern der Handelsinteressen als grundsätzlich berechtigt anerkannt wurde. Von Seiten des Herrn Vertreters des preußischen Herrn Landwirthschaftsministers wurde in der Subkommission und im Plenum zu den Erörterungen über diese Frage Folgendes bemerkt: „Die großen Mängel des gegenwärtigen Notirungsverfahrens seien unzweifelhafte, und es müsse insbesondere das Fehlen jeder Feststellung der gehandelten Mengen als unerwünscht bezeichnet werden. In Betreff der Frage, wie in diesem letzteren Punkt und bezüglich der sonstigen, von den landwirthschaftlichen Interessenten im Wesentlichen nicht unzutreffend geschilderten Übelständen Abhülfe zu schaffen sei, stehe der preußische Herr Landwirthschaftsminister dem Gedanken eines Deklarationszwanges, der allein eine wirklich exakte Unterlage für die Notizen würde liefern können, prinzipiell freundlich gegenüber, habe demgemäß auch Veranlassung genommen, die Aufmerksamkeit des preußischen Herrn Handelsministers auf diesen an sich nicht unberechtigten Gedanken hinzulenken. Zur Zeit jedoch müsse der preußische Herr Landwirthschaftsminister trotz dieser prinzipiellen Stellungnahme den Gedanken als nicht praktikabel ansehen. Es sei zur Zeit die gesetzliche Unterlage für einen solchen Zwang immerhin recht zweifelhaft, für die Erfassung des außerhalb der Börse sich abspielenden Verkehrs sei eine Handhabe in dem Gesetze jetzt sicherlich nicht gegeben, und nach Lage der Verhältnisse müsse der Herr Minister deshalb zur Zeit die Gefahr einer Abdrängung des Verkehrs von der Börse, welche an sich unerwünscht sei und den Zweck der Maßregel vereiteln würde, als vorliegend erachten." 42 Die Gefahr einer solchen Abdrängung wurde auch von dem Vertreter der Handelsinteressen als das in erster Linie ausschlaggebende Bedenken hingestellt, und auch die von anderen Seiten geäußerte Meinung, daß wohl wesentlich das Ungewohnte einer solchen Maßregel es sei, welches zunächst Anstoß erregen würde, daß deshalb der Verkehr vielleicht zeitweise andere Wege suchen, nach
42 Hier endet die Wiedergabe der Stellungnahme des Vertreters des preußischen Landwirtschaftsministeriums, Traugott Mueller. In ähnlicher Weise hatte sich Mueller im Plenum geäußert. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 136 f.
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größerer Gewöhnung an die Deklarationspflicht aber - volle Garantie für absolute Geheimhaltung der deklarirten Schlüsse vor der Öffentlichkeit vorausgesetzt - sich der Börse wieder zuwenden würde, wurde entschieden bestritten. Die Benutzung der Börseneinrichtungen, deren Verlust nach der gegenwärtigen Rechtslage, selbst nach der von anderen Seiten vertretenen Rechtsauffassung, allein als Folge der Nichtdeklaration festgestellt werden | könnte, A 206 sei nicht in dem Maße wesentlich, daß der Handelsstand den Verzicht auf dieselben nicht einer Offenlegung seiner Engagements gegenüber einer wie immer gearteten Behörde vorziehen würde. Neben den Mitgliedern des Börsenvorstandes - auf deren doch selbstverständliche Diskretion von anderer Seite gegenüber diesen Bedenken hingewiesen wurde - würden im Fall der Einrichtung einer derartigen Registrirungsinstanz auch subalterne Personen, die nicht auf der gleichen Höhe der Verantwortung ständen, Einblick in die Engagements erhalten. Die Kursmakler des Börsengesetzes unterständen einer weit weniger straffen Disziplin seitens der Interessenten, als die bisherigen vereidigten Makler, und das Recht zur Einsicht in die Bücher der vereidigten Makler zum Zweck der Kontrole - auf welches von anderer Seite als Beispiel der schon jetzt in gewissem Maße bestehenden Publizität verwiesen wurde - sei schon deshalb, außerdem aber auch seinem Wesen nach etwas völlig Anderes, als die erstrebte systematische Erfassung des gesammten Umsatzes. Nicht - wie von landwirthschaftlieher Seite angenommen wurde - irgend welche bedenklichen, sondern gerade die unverdächtigsten Geschäfte großer Effektivhändler, welche schon heute der Börse am wenigstens bedürften, würden sich derselben alsdann ganz entziehen. Es sei nichts Seltenes, daß eine Partei geradezu als conditio sine qua non des Geschäftsabschlusses die Nichtaufgabe zur Notiz stelle. Endlich stehe gerade die Bedingung, unter welcher allein der Deklarationszwang überhaupt diskutabel sei, daß nämlich die Notiz auf Grund der registrirten Abschlüsse unter strenger Geheimhaltung festgestellt würde, im Widerspruch mit dem wesentlichsten Erforderniß einer der Marktlage entsprechenden, unberechtigten und unkontrolirbaren Einflüssen entzogenen Notiz: der Publizität der Kursermittelung. Von Seiten eines landwirthschaftlichen Vertreters wurde hierzu betont, daß derselbe, im Falle die Abdrängung des Verkehrs von den Börsen als Folge der Registrirung ernstlich zu besorgen sein
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würde, entschiedener Gegner derselben sein würde, daß diese Befürchtung jedoch gerechtfertigt sei, wurde entgegen der vorstehend wiedergegebenen Ausführung von ihm und anderen landwirtschaftlichen Vertretern 43 in Zweifel gezogen. Auch gegenüber den Wünschen, jedenfalls die gehandelten und der Notiz zu Grunde liegenden Quanten festgestellt zu sehen, wurde von Seiten der Handelsinteressenten das gleiche Bedenken erhoben. Zu Gunsten jenes Verlangens war geltend gemacht worden, daß gerade, wenn der oft gehörte Einwand, daß die an der Börse selbst umgesetzten Quanten im Verhältniß zum Gesammtverkehr geringe seien, zutreffe, um so mehr die daraus folgende unerhebliche Bedeutung der Notiz der Öffentlichkeit durch Feststellung der Quanten bekannt gegeben werden müsse, daß aber namentlich neben einer „Schätzungsnotiz", wie sie die Berliner Börse kenne, dies zur Illustration der Bedeutung der Einzelnotizen gefordert werden müsse. Auch handle es sich dabei keineswegs um Publikation der sämmtlichen Einzelquanten der Abschlüsse, sondern man könne sich die Behandlung so denken, daß nur das umgesetzte Gesammtquantum, nach Sorten gegliedert, neben den betreffenden Preisen im Kursblatt erscheine. Dem wurde entgegengehalten, daß zwar für den Kommissionär eine Notiz unter Angabe des Quantums, am besten sogar aller einzelnen Quanten, oft als Ausweis gegenüber den Kunden erwünscht sein könne, daß aber der Eigenhandel die oft sehr große Durchsichtigkeit, welche, zumal an A 207 allen kleineren und | mittleren Börsen, auch bei Kombination der Einzelquanten bestehen würde, zu ertragen außer Stande sei. Von Seiten eines wissenschaftlichen Vertreters wurde zu der Frage der technischen Durchführung der Quantitätsfeststellung noch bemerkt, daß dazu ein Schlußnoten- oder der Deklarationszwang nicht erfordert würde. Es genüge, wenn auf Grund einer, dann freilich unentbehrlichen, Sortenklassifikation die Makler täglich die in den einzelnen Qualitäten gehandelten Quanten mit zur Notiz aufgeben würden.44 Eine Erörterung über diese Anregung hat nicht mehr stattgefunden.
4 3 Es handelt sich um Ökonomierat Winkelmann einerseits und Karl Gamp andererseits. Ebd., S. 149 und 145. 4 4 Diesen Vorschlag hatte Wilhelm Lexis im Plenum gemacht. Ebd., S. 153.
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Ad c. In Betreff der Frage, ob für die Notizen und eventuell auch für etwa vorzuschreibende Schlußscheine bestimmte Typen des Getreides, sei es für alle deutschen Börsen gleichmäßig, sei es für die einzelnen örtlich verschieden, festgestellt und zu Grunde gelegt werden sollten, bestand innerhalb des Ausschusses im Wesentlichen Übereinstimmung dahin, daß zur Zeit eine derartige Maßregel nicht empfohlen werden könne. Die Vertreter der Landwirthschaft befürchteten eine Schädigung des in der Klassifizirung seines Produktes in die Skala der Typen unerfahrenen Produzenten. Der Vertreter der Müllerei45 bemerkte, daß er bei Bestehen des Terminhandels für die regionenweise Schaffung von Typen und die Klassifikation des Getreides nach solchen vor der Andienung eingetreten sei, nach dem Verbot des Terminhandels aber ein unbedingtes Bedürfniß jedenfalls solange nicht erkennen könne, als nicht an Stelle des Terminhandels ein seine Funktionen in wesentlich gleicher Art versehendes typisches Lieferungsgeschäft getreten sein werde, was freilich wohl unentbehrlich und deshalb unausbleiblich sei. Die Schwierigkeiten der Typenfestlegung seien gerade zur Zeit noch sehr große. Im Verlauf der weiteren Entwickelung aber würde bei dem fortschreitenden Sortenausgleich im deutschen Anbau eine fortschreitende Abnahme der Zahl der Sorten, wie sie schon jetzt zu beobachten sei, auch weiterhin hervortreten. Der Herr stellvertretende Vorsitzende des Landwirthschaftsraths vertrat den Antrag desselben, wonach für das Lieferungsgeschäft Typen, im Übrigen Qualitätsgruppen aufgestellt werden sollten, bemerkte jedoch, daß nach seiner persönlichen Ansicht demselben, abgesehen von der Unzweckmäßigkeit einer Duplizität der Gruppirung,46 zur Zeit aus den von anderen Seiten hervorgehobenen Gründen nicht entsprochen werden könne und vielmehr die allgemeine Aufstellung von Qualitätsgruppen zu erstreben sei. Der Herr Vertreter des preußischen Herrn Landwirthschaftsministers erklärte,47 daß die Schaffung von Typen in dem Kreise der
4 5 Es handelt sich um Joseph Johann van den Wyngaert. 4 6 Freiherr von Soden-Fraunhofen sprach von den Schwierigkeiten, die es mache, „zwei Systeme neben einander aufzustellen". Ebd., S. 158. 4 7 Hier und im folgenden ist Traugott Mueller gemeint. Ebd., S. 156f.
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preußischen landwirthschaftlichen Verwaltung früher, bei Bestehen des Terminhandels, entschiedene Sympathie gefunden habe. Zur Zeit jedoch erscheine die Möglichkeit, eine geringe Zahl von Typen für Deutschland zu ermitteln, durch die sehr individuelle Art der deutschen Bodenkultur, wie sie zur Zeit namentlich durch 5 den Übergang vom Qualitäts- zum Quantitätsanbau befördert werde, ausgeschlossen. Gegen die Feststellung einer großen Zahl von Typen aber müßten die Bedenken, welche von landwirtschaftlicher Seite geäußert seien, als durchschlagend erachtet werden. Es würden die zwischen den oder außerhalb der Typen liegenden Sor- 10 ten im Preise relativ gedrückt, die Machtstellung des in der Klassifikation erfahrenen Händlers gestärkt und der Gefahr der Wiederkehr des Terminhandels Vorschub geleistet werden. Erscheine den in die Produktenbörse zu delegirenden landwirthschaftlichen Vertretern die Schaffung von Typen künftig nützlich und möglich, so 15 könne alsdann auf den Gedanken zurückgegriffen werden. | A 208 In Betreff derjenigen Form, welche bei dieser Sachlage gegenwärtig den Notizen im Interesse der Information der Produzenten zu geben sei, wurde von dem Herrn Vertreter des preußischen Landwirthschaftsministeriums und ebenso von anderer, nament- 20 lieh landwirthschaftlicher Seite die Aufnahme des Qualitätsgewichts, der Herkünfte und der üblichen allgemeinen Sorten- oder Qualitätsbezeichnungen, sowie des Erntejahres bezeichnet. Bezüglich des letzteren wurde jedoch von einem landwirthschaftlichen Vertreter das Bedenken geltend gemacht, daß der Zeitpunkt des 25 Beginns desselben unsicher sei und längere Zeit die Provenienzen beider Ernten neben einander am Markte sich befänden. 48 Bezüglich des von dem Vertreter der Müllerei angeregten Qualitätsmerkmals: „für Mahlzwecke geeignet" 49 erhob ein landwirthschaftlicher Vertreter Bedenken unter Hinweis auf die verschiede- 30 ne Leistungsfähigkeit der verschiedenen Mühlenkategorien. Der Herr stellvertretende Vorsitzende des Landwirthschaftsraths vertrat die ad 6 sub Nr. I der Eingabe desselben vorgeschlage-
48 Wie Traugott Mueller sprach sich Max Freiherr von Soden-Fraunhofen für die Typenbildung aus. Gegen die Angabe des Erntejahrs sprach sich Graf Kanitz aus. Ebd., S. 155158. 49 Max Weber zitiert Joseph Johann van den Wyngaert. Graf Arnim erhob Bedenken gegen dieses Qualitätsmerkmal. Ebd., S. 158.
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nen, hiermit in der Hauptsache gleichartigen Vorschläge. In der Subkommission hatte man sich darüber geeinigt, daß demgemäß den Kursmaklern die Aufnahme der oben erwähnten Angaben in die Notiz - soweit dies thunlich sei - zur Pflicht gemacht werden solle. Ad d. (Nachrichtendienst) hatte der Herr Vertreter der verbündeten Regierungen in der Subkommission eine Erklärung dahin abgegeben, daß seitens des Reichsamts des Innern zur Zeit bereits eine Centralisirung der Preisnachrichten aus den wichtigsten Marktorten durch telegraphische Übermittelung der Feststellung der Marktkommissionen an eine Centraistelle, welche dieselbe sofort zu bearbeiten und zu publiziren haben würde, angeregt werde, auch schon jetzt eine so große Zahl von Regierungen sich zu dem Plane freundlich gestellt hätten, daß dessen Inslebentreten schon zum 1. Januar zu gewärtigen sei. 50 Der Herr Vertreter des Landwirthschaftsraths hielt im Zusammenhang damit den allgemeinen Übergang zum Handel nach Gewicht für geboten, welchem freilich die bayerische Steuergesetzgebung 51 zur Zeit noch Hindernisse in den Weg stelle. - In anderem Zusammenhang war von einer Seite auch die Publikation der Einkaufspreise der Proviantämter angeregt worden. Erörterungen fanden über diese verschiedenen Mittheilungen und Bemerkungen im Plenum nicht statt. III. Die Besprechung der Vorschläge über die künftige Gestaltung der Verkehrsformen in Getreide, speziell des Lieferungshandels - Abschnitt III der Eingabe des Bundes der Landwirthe, Nr. I, 7 der Eingabe des Landwirthschaftsraths - mußte sich nach dem inneren Zusammenhang der hier in Betracht kommenden
50 Der Nachrichtendienst der verbündeten Regierungen, der im November 1896 zunächst probeweise aufgenommen wurde, sammelte von 51 deutschen Marktorten, den wichtigsten Produktions-, nicht Börsenplätzen, telegraphische Berichte über die Getreidepreise. BBC, Nr. 542 vom 17. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; BBC, Nr. 609 vom 29. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1; FZ, Nr. 361 vom 29. Dez. 1896, 2. Mo.BI., S.2; NAZ, Nr. 13 vom 9. Jan. 1897, Mo.BI., S. 1. Diese wurden vom Kaiserlichen Statistischen Amt in Berlin zusammengestellt und als „Berichte von deutschen Fruchtmärkten" im Reichsanzeiger veröffentlicht, erstmals, in: Reichsanzeiger, Nr. 8 vom 11. Jan. 1897, 1. Beilage, S. 1. 51 Die Braumalzsteuer wurde in Bayern nach Volumen (Hektoliter), nicht nach Gewicht erhoben. Art. 8 des Braumalzsteuergesetzes.
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Punkte der Erörterung der gesammten, durch das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten geschaffenen Lage zuwenden, und es ist in eine solche auch sowohl in der Subkommission, wie demnächst im Plenum eingetreten worden. 5 Zunächst blieb die Meinungsäußerung eines Vertreters der Handelsinteressen unbeanstandet, daß, insoweit das Lieferungsgeschäft nach Inkrafttreten des Terminhandelsverbots erlaubt geblieben sein werde, auch - in Ausführung der ausdrücklichen Bestimmung des §. 29 Absatz 1 des Börsengesetzes - eine amtliche Preisno- 10 tirung der auf Lieferung gehandelten Waare, und zwar in ÜbereinA 209 Stimmung mit | dem Sinne der Nr. 1,7 der Eingabe des Landwirthschaftsraths, im Widerspruch dagegen mit der ihrem Sinne nach unklaren Äußerung sub II, 4 der Eingabe des Bundes der Landwirthe, getrennt von der Loconotiz stattfinden müsse. 15 Bei der damit zusammenhängenden Erörterung der Frage, welche Art des Getreide-Lieferungshandels nach Lage der neuen Gesetzgebung als nicht verboten zu gelten hat, konnte in der Subkommission an eine Ausführung des Herrn Vertreters der verbündeten Regierungen angeknüpft werden, welcher hervorhob, daß die nur 20 für die besonderen Zwecke des Börsengesetzes selbst aufgestellte Definition des Börsen-Termingeschäfts im §.48 des Gesetzes an das Reichsstempelgesetz anknüpfe, 52 daß ferner nach seiner Auffassung §. 51 Absatz 2 unter „Ausschluß von der Börse" nicht weniger, aber auch nicht mehr, als die im Absatz 1 ebenda ausgespro- 25 chenen Konsequenzen: - Ausschluß von den Börseneinrichtungen und Verbot der Notiz - an die Qualität eines Geschäfts, als eines sich „in den Formen des börsenmäßigen Terminhandels bewegenden" Termingeschäfts knüpfen wolle, und daß endlich die Entscheidung der Frage, was überhaupt unter „Termingeschäft" zu verste- 30 hen sei, offen gelassen und damit der Rechtsprechung überlassen
5 2 Die Definition des Börsenterminhandels nach Tarifnummer 4 b des Reichsstempelgesetzes lautet: „Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, welche unter Zugrundelegung von Usancen einer Börse geschlossen werden (Loko-, Zeit-, Fix-, Termin-, Prämien-, etc. Geschäfte), über Mengen von Waaren, die börsenmäßig gehandelt werden. Als börsenmäßig gehandelt gelten Waaren, für welche an der Börse, deren Usancen für das Geschäft maßgebend sind, Terminpreise notirt werden." Vgl. den Wortlaut des § 48 und den im folgenden genannten § 51 BörsG, unten, S. 985f.
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sei. Daß das Verbot auch der privaten Notiz mit der Folge der Anwendbarkeit der Strafsanktion des §. 77 nach dem Wortlaut des §.51 Absatz 2 aus dem „Ausschluß von der Börse", der zwanglos als „Ausschluß von den Börseneinrichtungen" (Absatz 1 daselbst) gedeutet werden könne, folgen würde, war in der Subkommission in Zweifel gezogen und ebenso auf das Bedenkliche des durch das Gesetz geschaffenen Zustandes eines nothgedrungenen Zuwartens auf die Ergebnisse einer voraussichtlich höchst schwankenden Rechtsprechung hingewiesen worden. Angesichts des Umstandes, daß inzwischen von Seiten der „Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse" ein Schlußscheinformular ausgearbeitet und publizirt worden ist, auch offenbar bereits dem Lieferungshandel zu Grunde gelegt wird, 53 entspann sich zunächst sowohl in der Kommission als im Plenum eine ziemlich ausgedehnte Erörterung über diesen Schlußschein in Verbindung mit der Besprechung der vom Bunde der Landwirthe angeregten Reglementirung des Lieferungshandels. Dabei traten im Wesentlichen folgende Anschauungen hervor: Man war in der Subkommission und, soweit Äußerungen prinzipieller Art gemacht wurden, auch im Plenum darüber einig, daß 1. das nicht unter den Begriff „börsenmäßiger Terminhandel" fallende, sondern im Falle des §. 51 „in dessen Formen sich bewegende Lieferungsgeschäft" in keiner Weise berührt werde, daß ferner 2. die Identifikation von Termingeschäft und Blankogeschäit, wie sie in der Eingabe des Bundes der Landwirthe vorausgesetzt wird, unzutreffend sei. Im Übrigen knüpfe die Erörterung in der Subkommission und im Plenum an die Kritik des gedachten Schlußscheins der „Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse" an, in welcher seitens eines landwirthschaftlichen Vertreters als bedenklich bemängelt wurde einerseits die darin enthaltene Bezugnahme auf die vereidigten Sachverständigen, andererseits die darin vorgesehene Über-
5 3 Die Schlußscheine für handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte in Weizen, Roggen, Hafer, Futtergerste und Mais vom September 1896 hatte die Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse angesichts des künftigen Getreideterminhandelsverbots (§50 Abs. 3 BörsG) entworfen. Sie waren seit dem 1. Oktober 1896 probeweise in Gebrauch. Schumacher, Getreidelieferungsgeschäft, S. 3.
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Weisung der Waare durch Dispositionsschein.54 Mittelst des letzteren werde das Kündigungsverfahren des Terminverkehrs wieder aufleben und damit die durch die Festsetzung von Regulirungs-| A 210 preisen ermöglichte Erfüllung im Wege der Differenzregulirung, und wenn alsdann die Prüfung durch die vereidigten Sachverstän- 5 digen und die Notiz dazutrete, so seien alle Eigenthümlichkeiten des Termingeschäfts auf das „Lieferungsgeschäft" übernommen, und der bedenkliche Einfluß der auf minderwerthigen Qualitäten beruhenden Terminnotiz auf den Locopreis werde wiederkehren. Die Bezugnahme auf die vereidigten Sachverständigen widerspre- 10 che auch der ausdrücklichen Bemerkung des Schlußscheins, wonach die ordentlichen Gerichte allein für Streitigkeiten aus dem Kontrakt zuständig sein sollten, und ebenso widerspreche die Zulassung der Überweisung mittelst des „Dispositionsscheins" der in dem Schlußschein ausdrücklich enthaltenen Ausschließung der 15 Cession der Rechte aus dem Kontrakt, vor Allem aber widerstreite sie der Natur derartiger Abschlüsse überhaupt, welche eine persönliche Vertrauensbeziehung enthielten, und den Interessen des Verkäufers, der mit Recht sich weigere, in Bezug auf Qualitätsbemängelung nicht der möglicherweise weniger coulanten Behand- 20 lung durch einen Dritten, mit dem er garnicht kontrahirt hatte, ausgesetzt zu werden. - Dem wurde entgegengehalten, daß die Bezugnahme auf die vereidigten Sachverständigen, falls sie als anstößig gelte, sich leicht durch Bezugnahme auf eine anderweite ein für alle Mal aufgestellte Liste von Sachverständigen würde beseitigen 25 lassen. Es sei ferner irrig, in der Überweisung der Erfüllung an einen Dritten, unter Verantwortlichkeit des Überweisenden und ohne daß der Dritte ein Recht auf Erfüllung erwerbe, eine Cession zu finden. Der Mechanismus des bisherigen Berliner Kündigungsverfahrens und der Regulirungspreis im Speziellen seien, wie die 30 Erfahrungen der Vergangenheit und anderer Börsen zeigten, nichts für den Terminverkehr Unentbehrliches, sondern nur eine der mög-
54 Gemeint ist zum einen die Bestimmung des Schlußscheins, daß die Begutachtung des Getreides bei Minderwert durch die vereidigten Sachverständigen stattfinden solle. Damit knüpfte der Schlußschein an die Einrichtungen des börsenmäßigen Termingeschäfts an. Zum anderen ist die Bestimmung gemeint, daß der Käufer berechtigt ist, die Ware an einen Dritten zu überweisen. Dadurch könnten, so wurde angeführt, die Interessen des Verkäufers geschädigt werden. Vgl. dazu oben, S. 706 mit Anm. 47.
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liehen Formen der Überweisung; selbst eine etwaige - zur Zeit gesetzlich kaum mögliche - Unterdrückung jeder Überweisung durch formularmäßige Scheine könne höchstens gewisse Unbequemlichkeiten für die Erfüllung durch Scontration schaffen, wel5 che jedoch durch Einrichtung eines Clearingverkehrs unschwer zu überwinden seien, und was die behauptete Benachtheiligung des Liefernden durch Verweisung an einen Dritten anlange, so sei es für ersteren irrelevant, ob die Bemängelung der weiterverkauften Waare ihm direkt durch den letzten Nachmann seines Kontrahen10 ten oder durch die anderenfalls selbstverständliche Weitergabe der Qualitätsrüge seitens der Vormänner bis zurück an ihn zugehe. Von Seiten eines anderen landwirthschaftlichen Vertreters wurde anerkannt, daß der Schlußschein der „freien Vereinigung", indem er davon absehe, als Verzugsfolge die Differenzregulirung zu stipu15 liren und dadurch die Möglichkeit der vollen Schadensliquidation dem gemeinen bürgerlichen und Handelsrecht entsprechend zulasse, insoweit die Rechtsformen des Terminhandels abgestreift habe, dagegen der Ausschluß des Rücktrittsrechts als Verzugsfolge als eine den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, namentlich auch dem 20 Grundsatz, daß nur der selbst Erfüllungsbereite den Verzug des Gegners geltend machen könne, widerstreitende Vereinbarung bezeichnet. Bezüglich der Frage, welche Merkmale dem Terminhandel im Sinne des §.51 Absatz 2 zukommen, hatten mehrere landwirth25 schaftliche Vertreter bemerkt, daß dafür zunächst die Börsenmäßigkeit, welche den - selbstverständlich legitimen - Lieferungsgeschäften der Proviantämter, Bäcker etc. fehle, weiter aber die Terminnotiz und die Differenzregulirung, durch welche Scheingeschäfte und Verkäufe gar nicht vorhandener Waare ermöglicht 30 würden, charakteristisch seien. Es sei nicht einzusehen, warum man nicht | als einzig legitime Form des Handels allgemein nur den Ver- A 211 kauf nach Probef, der z. B. an der Königsberger Börse die Form des legitimen Effektivlieferungsgeschäfts darstelle, anerkennen wolle. Seitens eines anderen landwirthschaftlichen Vertreters wurde im 35 Anschluß hieran als „effektives" Lieferungsgeschäft ein solches bezeichnet, welches nicht generell bezeichnete Waare, sondern eine
f In A folgt: a n e r k e n n e
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„Spezies" betreffe, und diese Bezeichnung näher dahin erläutert, daß es sich um bestimmt nach Herkunft, Sorte etc. bezeichnete Qualitäten handeln müsse. Den Besitz der Waare im Moment des Abschlusses des Lieferungsgeschäfts zu verlangen im Sinne des Vorschlages des Bundes der Landwirthe, sei weder möglich noch auch von irgend welchem Nutzen, da die Fortdauer des Besitzes während der Zeit bis zur Erfüllung unmöglich zur Voraussetzung der Zulässigkeit des Geschäfts gemacht werden und alsdann durch fortwährende Schiebung einer Quantität von Hand zu Hand dem Wortlaut einer etwaigen Bestimmung derart, wie sie der Bund der Landwirthe anrege, genügt werden könne, ohne daß praktisch etwas damit erreicht sei. Von Seiten eines wissenschaftlichen Vertreters wurde hierzu ausgeführt: Weder die Art der Umschreibung der gehandelten Qualitäten, noch die Notiz, noch die Art der Erfüllung seien entscheidende Merkmale des Terminhandels, ebensowenig die allen Zeitgeschäften gemeinsame Festsetzung eines fest bestimmten Lieferungstages oder einer fest bestimmten Lieferungsfrist, oder die auch bei Kassaspekulationsgeschäften übliche Zugrundelegung von Schlußeinheiten, oder überhaupt irgend ein dem einzelnen Abschluß anhaftendes Merkmal. Man könne aus dem Inhalt eines einzelnen Kontraktes dessen Natur als Termingeschäft nicht entnehmen. Das Entscheidende sei vielmehr auch für die Natur des einzelnen Kontrakts als Termingeschäft ein außerhalb desselben liegendes Moment: das Bestehen eines Terrrimmarktes, d.h. das dauernde massenhafte Abgeschlossenwerden und Schweben von unter sich gleichartigen Engagements mit typischen Erfüllungstagen und -Fristen. An diesem Moment hafte die spezifische technische Funktion des Terminhandels: die eigenartige Markterweiterung, welche auf der jederzeit gegebenen Möglichkeit, Abschlüsse auf die typischen Termine am Markt unterzubringen, beruhe. Der Übergang zum Termingeschäft im technischen Sinne sei, wie z. B. das Wiener Arrangementsgeschäft beweise, ein allmäliger und im Einzelfall oft unmerklicher, das Termingeschäft selbst nur die technisch höchstentwickelte Form des börsenmäßigen Lieferungshandels überhaupt. Das bloße Vorhandensein einer „Probe" schließe nach allen Erfahrungen das Scheingeschäft nicht aus. Das Vorlegen einer solchen könne nur als Erforderniß der Sicherung der Verfügung über eine bestimmte individualisirte Waarenmenge vor jedem
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Verkauf seitens eines Händlers verstanden werden. Dieses vom Bund der Landwirthe gestellte, der gesetzlichen Unterlage entbehrende Verlangen bedeute, da ihm das Verlangen der Sicherung eines Abnehmers vor jedem Waaren&aw/ eines Händlers nicht an die 5 Seite gestellt werde, praktisch lediglich, daß dem Händler an der Börse hinfort - im Gegensatz zu allen anderen Berufsklassen - lediglich ä la hausse, nicht ä la baisse in Getreide zu spekuliren gestattet sein solle. Die allgemeine Verhinderung jedes nicht auf präsente oder durch Probe repräsentirte Waare bezüglichen Verkehrs 10 sei heute eine Unmöglichkeit, ein Handel unter Beschränkung auf Verkauf nach Probe an kleinen Börsen sei nur möglich, weil die spekulative Abschätzung der Zukunftschancen der | Preisbildung A212 an den großen Börsen daneben stehe, das einseitige Verbot des Terminhandels in Getreide in Deutschland ohne das Anstreben ei15 ner internationalen Regulirung des Getreide Verkehrs werde deshalb lediglich primitivere Formen des spekulativen Handels an die Stelle setzen und die Funktion der Preisbildung und Risikodekkung den ausländischen Märkten zuführen. Von landwirthschaftlicher Seite 55 wurde dem entschieden wider20 sprochen und ausgeführt, daß nicht das Bestehen eines blühenden Getreidehandels in Deutschland, sondern lediglich die Frage, ob Deutschland seinen Getreidebedarf ohne die schweren Schäden des Terminverkehrs decken könne, von entscheidendem Gewicht sei. Das Verbot des Terminhandels bedeute nur, daß an der Börse, 25 nicht aber daß außerhalb derselben kein Lieferungsgeschäft in Getreide bestehen solle. Nur das Lieferungsgeschäft an der Börse entwickele sich nothwendig zum Terminhandel. Das Vorgehen der „freien Vereinigung" sei trotzdem ohne erhebliche Tragweite, da die Betheiligung Außenstehender an der Spekulation auf dieser 30 Grundlage abgeschnitten sei. Es sei nicht nachweisbar, daß ausländische Märkte aus dem deutschen Terminhandelsverbot Vortheil gezogen hätten, und die Beseitigung des durch die Möglichkeit der Risikodeckung künstlich geschaffenen Anreizes zum Getreideimport sei einer der Zwecke der Beseitigung des Terminhandels ge35 wesen, welche von der Landwirthschaft noch jetzt als höchst ersprießlich betrachtet werde. 5 5 Gemeint ist hier Graf Arnim. Verhandlungen S. 1 6 7 - 1 6 9 .
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Die Erörterung über diesen Gegenstand, in deren Verlauf auch die Frage, ob durch das Terminhandelsverbot ein Druck auf die Preislage des Getreides in Deutschland im Verhältniß zum Weltmarkte ausgeübt werde 56 oder ob umgekehrt die Preisbewegung in Folge des Verbotes stetiger geworden sei, ohne Erzielung einer Ei- 5 nigung erörtert wurde, ist nicht weiter fortgesetzt, vielmehr an diesem Punkte die Berathung abgebrochen worden. Der Berichterstatter.® I
g In A folgt: P r o f e s s o r M a x W e b e r . 5 6 Dies meinte Joseph Johann van den Wyngaert. Ihm widersprach Graf Kanitz, vgl. oben, S. 711 mit Anm.62.
Börsengesetz
Editorischer Bericht Zur
Entstehung
Die H e r a u s g e b e r d e s seit 1890 e r s c h e i n e n d e n H a n d w ö r t e r b u c h s der Staatswissenschaften hatten es sich zur A u f g a b e gemacht, in d i e s e m umfangreichen Sammelwerk für Wissenschaft u n d Praxis a u c h „die wirtschaftliche G e s e t z g e b u n g D e u t s c h l a n d s und aller w i c h t i g e n übrigen Staaten [...] in großer Ausführlichkeit" darzulegen. Dies sollte „aber nicht z u m Z w e c k e einer juristischen Systematik, sondern im Anschluß an die U n t e r s u c h u n g der. Frage, w e l c h e s die Schranken u n d die Erfolge der staatlichen Einwirkung auf d a s Wirtschaftsleben sind," geschehen. 1 Die B ö r s e n g e s e t z g e b u n g gehörte zu den wichtigsten Akten staatlicher Wirtschaftspolitik im Deutschen Reich am Ende des 19. Jahrhunderts. 2 Die Vorbereitungen für einen Gesetzentwurf hatten g e r a d e erst b e g o n n e n , als der sechste u n d letzte B a n d der ersten Auflage des H a n d w ö r t e r b u c h s der Staatswissenschaften 1894 erschien. Allerdings hatte man bereits für 1895 einen Ergänz u n g s b a n d geplant. In ihm sollten frühere Beiträge aktualisiert u n d f e h l e n d e Stichworte nachgeliefert werden. Max Weber hat darin unter d e m Stichwort „Börsenwesen" die Vorschläge der Börsenenquetekommission, die die G r u n d l a g e für das künftige Gesetz bildeten, besprochen. Weber hatte sogar schon, w e n n a u c h nur in k n a p p e n Einschüben, den am I . J u n i 1895 veröffentlichten Entwurf d e s Bundesrats für ein Börsengesetz b e r ü c k s i c h tigt. 3 Als der Verlag im N o v e m b e r 1895 für den „nächsten Winter" einen zweiten S u p p l e m e n t b a n d des H a n d w ö r t e r b u c h s ankündigte, 4 lagen die bundesrätlichen Entwürfe eines Börsengesetzes und eines damit verbund e n e n D e p o t g e s e t z e s aber noch immer nicht d e m Reichstag vor. 5 Selbst w e n n m a n nach der Eröffnung der neuen Reichstagssession eine eilige Vera b s c h i e d u n g erwartet h a b e n sollte, konnte d o c h n i e m a n d damit rechnen,
1 Vorwort der Herausgeber, in: HdStW1 1, S. V. 2 Zur Entstehungsgeschichte des Börsengesetzes vgl. Einleitung, oben, S. 66-91. 3 Vgl. oben, S. 558, 563, 569, 573f„ 578 mit Anm. 48, 582 und 587. 4 Anzeige in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die verwandten Geschäftszweige, Nr. 271 vom 22. Nov. 1895, S. 6762. 5 Der Entwurf: Börsengesetz 1 sowie der Entwurf: Depotgesetz 2 wurden am 3. Dezember 1895 im Reichstag eingebracht.
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noch rechtzeitig für einen im Winter 1896/97 erscheinenden Ergänzungsband des Handwörterbuchs die entsprechenden Artikel zu erhalten. Man wird deshalb vermuten dürfen, daß im November 1895 noch keine Abhandlungen über die Ergebnisse der Börsenreform geplant gewesen sind. Die naheliegende Frage, ob die Verzögerung bzw. Verschiebung des Erscheinens des zweiten Supplementbandes auf Anfang Dezember 1897 in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Wunsch der Herausgeber stand, darin auch noch das umstrittene Reformwerk und nicht erst in der folgenden Auflage des Handwörterbuchs zu behandeln, gar Weber als deren Verfasser zu gewinnen, ist nicht anhand von Quellen zu beantworten. Max Weber war unter den denkbaren Autoren gewiß die nächstliegende Wahl. Mit seinem Artikel „Börsenwesen" hatte er die Behandlung der Börsenreform im Handwörterbuch der Staatswissenschaften eröffnet. Bis 1896 lagen weitere Veröffentlichungen vor, die seine Kompetenz bewiesen. 6 Er wurde mit der Bearbeitung der Artikel über das Börsengesetz und das Depotgesetz beauftragt. 7 Beide Gesetze sind durch die Bank- und Börsenskandale im Jahr 1891 ausgelöst und auch im Gesetzgebungsverfahren als Einheit betrachtet worden. Das Börsengesetz wurde im Reichstag in dritter Lesung am 6. Juni 1896 verabschiedet, das Depotgesetz am 17. Juni 1896. Nachdem der Bundesrat keine Gegenvorstellungen mehr erhob, unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. die Gesetze am 22. Juni bzw. 5. Juli 1896. Max Weber merkt im Artikel „Börsengesetz" mehrmals an, er habe den Text im Februar 1897 geschrieben. Anfang Juli 1897 hat er - vermutlich in den Druckfahnen - Fußnoten hinzugefügt, um die weitere Entwicklung der im Februar noch unklaren Vorgänge zu skizzieren. 8 Da er nicht nur die Bestimmungen des Gesetzes vorstellt und kommentiert, sondern auch auf Ereignisse eingeht, die durch das Gesetz ausgelöst worden sind, läßt sich die Fertigstellung des Textes auf Mitte Februar recht genau datieren. Beispielsweise erwähnt Weber noch die bevorstehende Auflösung der Mannheimer Produktenbörse, über die am 16. Februar 1897 die Frankfurter Zeitung be-
6 Vgl. seine Artikel: Ergebnisse der Börsenenquete, Börse II und Terminhandel, oben, S. 1 9 5 - 5 5 0 , 5 5 8 - 5 9 0 und 5 9 7 - 6 1 3 . 7 Darauf deuten Webers Verweise In seinem Artikel „Börsengesetz", unten, S. 832 und 834, auf seinen Artikel „Wertpapiere". Vgl. letzteren, unten, S. 8 7 6 - 8 8 1 . 8 Hinwelse auf die Entstehung des Textes Im Februar 1897 gibt Max Weber, unten, S. 791, Fußnote 1, S.795, 797, 811, 813, 815, 857 und 859. Vier Fußnoten versieht Weber mit der Datumsangabe Juli 1897: unten, S. 797, Fußnote 2, S. 814, Fußnote 4, S. 815, Fußnote 6, S. 832, Fußnote 10. Die Fußnoten 5, 8 und 9, unten, S.814, 817 und 818, können wegen ihres Inhalts nur anläßlich der Überarbeitung im Juli 1897 hinzugefügt worden sein. Bei den Fußnoten 7, 11 und 12, unten, 817, 840f. und 854, ist eine Datierung nicht möglich.
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richtet hatte. Die weitere Entwicklung der Mannheimer Produktenbörse ergänzt er erst im Juli 1897 in Fußnote 5.9 Mit der Niederschrift des Manuskripts hat Max Weber frühestens im Januar 1897 begonnen, weil zuvor wesentliche Regelungen noch nicht beschlossen waren. Das Börsengesetz vom 22. Juni 1896 hatte nämlich, wie Weber zu Beginn seines Beitrages ausführt, gefordert, daß bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1897 neue Börsen- und Maklerordnungen erlassen werden. Hierfür hatte es einen Rahmen gesetzt. Es überließ den Trägern der Börsen bzw. den Landesregierungen und in speziellen Fällen dem Bundesrat, im Rahmen des Gesetzes konkrete Regelungen für die einzelnen Börsen zu beschließen. Bis zum 1. Oktober 1896 sollten die Entwürfe der Handelskammern resp. kaufmännischen Korporationen den Landesbehörden vorliegen. Die Zusammenarbeit der Handelskammern in Augsburg, München, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Mannheim, Straßburg und in den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck mit den jeweiligen Regierungsstellen war in der Regel reibungslos, da die Regierungen, anders als die preußische, bereit waren, die bisherigen Verhältnisse in den neuen Börsen- und Maklerordnungen zu konservieren. Vom Gesetz abweichende Bestimmungen hinsichtlich der Stellung des Staatskommissars, der Kursmakler und/oder der Bildung des Börsenpreises bedurften nach Genehmigung durch die Landesbehörden noch der Zustimmung des Bundesrats. Dieser hat am 17. Dezember 1896 den vom Börsengesetz abweichenden Bestimmungen über die Feststellung des Börsenpreises durchweg zugestimmt, aber die Anträge, die Staatskommissare an den Börsen in Mannheim und Hamburg auf die ehrengerichtlichen Befugnisse zu beschränken, abgelehnt. Erst kurz vor Jahresende sind die genehmigten, in Preußen zum Teil oktroyierten Börsen- und Maklerordnungen veröffentlicht worden. Der Gesetzgeber hatte in §42 des Börsengesetzes gefordert, daß der Bundesrat Bestimmungen über die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel trifft. Die entsprechende .Bekanntmachung, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel' ist erst am 11. Dezember 1896 erlassen worden. 10 Zur Vorbereitung dieser Verordnung hatte der Bundesrat im November 1896 einen „provisorischen Börsenausschuß" zusammengerufen, in dem auch Max Weber mitgewirkt hat. 11 Neben den ausdrücklichen Aufträgen zur förmlichen Neuregelung bis zum 1. Januar 1897 enthielt das Gesetz auch einige unbefristete Ermächtigungen des Bundesrats und der Landesregierungen. Sie ließen es geraten sein, zunächst abzuwarten, ob und gegebenenfalls in welcher Weise von 9 Vgl. unten, S. 814 mit Anm. 74. 10 Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896. 11 Zum provisorischen Börsenausschuß und Max Webers Mitwirkung vgl. oben, S.673735 und 744-776.
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ihnen Gebrauch gemacht würde. Beispielsweise war über die Verbotstatbestände des § 5 0 Absatz 2 und 3 hinaus der Bundesrat nach §50 Absatz 1 des Börsengesetzes befugt, „den Börsenterminhandel von Bedingungen abhängig zu machen oder in bestimmten Waren oder Wertpapieren zu untersagen." Von der Neigung des Bundesrats, diese Ermächtigung in Anspruch zu nehmen, hing es ab, ob die Börsentätigkeit noch über das gesetzlich Entschiedene hinaus eingeschränkt würde, wie von seiten der Börsen befürchtet wurde. Aber nicht nur der Erlaß von Ausführungsbestimmungen und die notwendige Beschlußfassung über neue Börsen- und Maklerordnungen legten es nahe, eine Besprechung und kritische Analyse des Börsengesetzes für das Nachschlagewerk tunlichst noch etwas hinauszuschieben. Statt Ordnung zu stiften, hat dieses Gesetz nämlich zunächst das Börsenwesen in große Unordnung gestürzt. 12 Der Bund der Landwirte, der das Verbot des Börsenterminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten zu einem seiner „drei großen Mittel" erklärt hatte, feierte die gesetzliche Festlegung in §50 Absatz 3 des Börsengesetzes freilich als bedeutenden Sieg. Die der Börse Nahestehenden waren jedoch zumeist empört. Die Getreidehändler an den Produktenbörsen sahen sich ihres wichtigsten Objekts beraubt. Vielen Börsenmitgliedern war es unerträglich, daß künftig ein Staatskommissar als Kontrollorgan der Landesregierungen die Vorgänge an der Börse und gar die Befolgung der Gesetze überwachen sollte ( § 2 BörsG). Insbesondere erregte die Einführung des öffentlichen Börsenregisters 13 die Wertpapierhändler. In dieses auch im Reichsanzeiger zu publizierende Register sollten sich alle jene eintragen lassen, die an einer Börse rechtswirksam Termingeschäfte machen wollten ( § § 5 4 - 6 9 BörsG) - und sich damit öffentlich dem Vorwurf aussetzen, „Spieler" zu sein. Von agrarischer Seite durchaus beabsichtigt, fühlten sich die Kaufleute in ihrer Ehre verletzt. Umso heftiger war die Reaktion. Bald nach Verabschiedung des Gesetzes formierten sich an den Börsen Kräfte des Widerstands. Reichsweit wurde das Börsenregister boykottiert. Bis zum 31. Dezember 1896 ließen sich nur wenige Firmen eintragen. Die Firmen wollten entweder ganz auf den Terminhandel verzichten und nur noch Kassageschäfte betreiben oder mit Surrogaten das Gesetz umgehen. Die Banken bedienten sich dazu verschiedener Formen des handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfts. Die Berliner Produktenhändler entwarfen einen
12 Alle folgenden Ausführungen stützen sich - soweit nicht anders angegeben - auf die Berichterstattung der Tageszeitungen zwischen Juni 1895 und Juli 1897, in: Allgemeine Zeitung (München), Berliner Börsen-Courier, Frankfurter Zeitung, Kölnische Zeitung, Kreuzzeitung, Norddeutsche Allgemeine Zeitung. 13 Vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1036.
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Schlußschein, in dem von den bisherigen Usancen des Terminhandels abgewichen wurde, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich nicht um ein Termingeschäft, wie es das Börsengesetz definiert hatte (§48 BörsG). Als die preußischen Behörden unter dem Druck der Agrarier, aber auch wegen einer speziellen Gesetzeslage 14 darauf bestanden, daß die Vertreter der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Nebengewerbe und Müllerei vom Landwirtschafts- bzw. Handelsminister in die Vorstände der Produktenbörsen delegiert - nicht wie sonst üblich gewählt - werden sollten, und die Agrarier im preußischen Herrenhaus am 17. Dezember 1896 gar noch forderten, der Vorstand an den Produktenbörsen solle zu gleichen Teilen aus Vertretern des Handels, der Landwirtschaft und der Müllerei gebildet werden, 15 begann der alsbald sogenannte Börsenstreik. Noch am selben Tag, am 17. Dezember, lösten die Börsenmitglieder in Halle die Produktenbörse auf. Dem Beispiel folgten bis zum 30. Dezember 1896 die Kölner, die Berliner und die Stettiner Produktenhändler. Somit waren die größte europäische Getreidebörse in Berlin und die bedeutenderen norddeutschen Getreidebörsen lahmgelegt. 16 Einzig in Mannheim arbeitete im Januar 1897 die für den süddeutschen Raum zentrale Produktenbörse noch. Aber auch dort wurde bereits über einen Auflösungsbeschluß debattiert. Dieser kam am 15. Februar 1897 mit knapper Mehrheit zustande.
14 Die Gesetzgebung zwang die preußische Regierung aus einer Kann-Bestimmung im Börsengesetz eine Muß-Bestimmung in den Börsenordnungen zu machen. Es ging um die Bestimmung des §4 BörsG: Die Landesregierung kann die Aufnahme der Vorschrift, daß in den Vorständen der Produktenbörsen die Landwirtschaft, die landwirtschaftlichen Nebengewerbe und die Müllerei eine entsprechende Vertretung finden, in die Börsenordnung anordnen. Doch verpflichtete § 2 Absatz 4 des 1894 verabschiedeten preußischen Landwirtschaftskammergesetzes die Regierung, eine Vertretung der Landwirtschaft an der Börse durchzusetzen. Denn bereits hier war den Landwirtschaftskammern nach Maßgabe der für die Börsen zu erlassenden Bestimmungen eine Mitwirkung bei der Verwaltung und den Preisnotierungen der Produktenbörse übertragen worden. Doch verschärfte der Handelsminister die Vorgabe. Auf seine Anordnung mußte die Bestimmung in die Börsenordnungen aufgenommen werden, daß die Vertreter der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Nebengewerbe durch den Landwirtschaftsminister und die Vertreter der Müllereien durch den Handelsminister zu Mitgliedern des Vorstands der Produktenbörsen ernannt werden. 15 Nach der Vorgabe des Ministers sollten an der Berliner Produktenbörse fünf Vertreter der Landwirtschaft und ihrer Nebengewerbe sowie zwei Vertreter der Müllereien ernannt werden, in Köln, Stettin und Königsberg jeweils drei Landwirte und zwei Vertreter der Nebengewerbe, an den kleineren preußischen Produktenbörsen nur ein Landwirt resp. ein Vertreter der Nebengewerbe. Im Vorstand der Produktenbörsen saßen 10-15 Vertreter des Handelsstandes. 16 Der Streikbewegung schlössen sich auch kleine preußische Produktenbörsen an, so die oberschlesische Börse in Gleiwitz und die Börsen in Posen und Braunschweig.
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Max Weber f a n d somit, als er sich an die A b f a s s u n g des Artikels „Börsengesetz" machte, hinsichtlich der Produktenbörsen u n d des Wertpapiertermingeschäfts eine g a n z unübersichtliche Situation vor. An die Stelle der Produktenbörsen waren zum Teil „Freie Vereinigungen" getreten. Sie hatten sich auf vereinsrechtlicher Basis konstituiert u n d auf die für eine Börse typis c h e n Einrichtungen wie K ü n d i g u n g s b ü r o s , Liquidationskassen, Makler, Schiedsgerichte, S a c h v e r s t ä n d i g e n k o m m i s s i o n e n , amtliche Kursnotizen etc. verzichtet. Die öffentliche Aufmerksamkeit richtete sich natürlich vor allem auf Berlin. Die Mitglieder der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse, deren Streikbeschluß die Börse mit „stürmischen Demonstrationen" und „begeisterten Hochs" gefeiert hatte, konstituierten sich am 18. Januar 1897 als Verein Berliner Getreide- u n d Produktenhändler. Die Mitglieder versammelten sich in d e m der Börse g e g e n ü b e r l i e g e n d e n Verg n ü g u n g s l o k a l „Feenpalast". Die Verödung der preußischen Produktenbörsen m a c h t e einen tiefen Eindruck. Das Echo der Presse war groß. Es verdeutlicht die mit A g g r e s s i o n e n a u f g e l a d e n e A t m o s p h ä r e dieser Tage u n d Monate. Die liberale Frankfurter Zeitung m a c h t e die preußische Regierung für diese Situation verantwortlich. Der Streik sei die Quittung für preußische Übererfüllung gesetzlicher Vorschriften. Die wirtschaftsliberalen Blätter wie der Berliner Börsen-Courier und die Freisinnige Zeitung begrüßten d e n Streik g e r a d e z u begeistert. Sie riefen den H a n d e l s s t a n d zu a n h a l t e n d e m W i d e r s t a n d auf. Denn d a s eigentliche Ziel der Agrarier sei der Umsturz der b e s t e h e n d e n politischen Verhältnisse. Die regierungsnahe Kölnische Zeitung u n d die gemäßigt liberale Allg e m e i n e Zeitung ( M ü n c h e n ) hielten den Streik für sachlich u n d moralisch b e g r ü n d e t , erhoben j e d o c h w a r n e n d ihre Stimmen: Der H a n d e l s s t a n d werd e nur sich selbst s c h a d e n , weil das Börsengesetz a u c h die freien Vereinig u n g e n treffe. Die Agrarier reagierten a n f a n g s bestürzt. Ihr Ziel sei es nur gewesen, d a s „Spiel" an der Börse zu unterbinden. Ihre Presseorgane Kreuzzeitung, Conservative C o r r e s p o n d e n z u n d Deutsche Tageszeitung forderten aber d a s sofortige Einschreiten der Regierung mit Polizeigewalt. Sie riefen z u m „ K a m p f bis auf's Messer" oder „zu d e n Waffen". 1 7 Die Artikel der u n a b h ä n g i g e n Tageszeitungen wie der Parteipresse v o m liberalen bis äußerst rechten Spektrum vermitteln den Eindruck, als herrschte Bürger-
17 Zeitungsrundschau nach den Zusammenstellungen in: FZ, Nr. 1 vom 1. Jan. 1897, 2. Mo.BI., S. 1, ebd., Nr. 6 vom 6. Jan. 1897, Ab.BI., S. 1; NAZ, Nr. 3 vom 3. Jan. 1897, Mo.BL, S. 1 - 2 ; Kölnische Zeitung, Nr. 1 vom 1. Jan. 1897, Mo.BI., S. 1; Allgemeine Zeitung (München), Nr. 3 vom 3. Jan. 1897, S. 1. Bezeichnenderweise brachte das Regierungsblatt, die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, keinen eigenen Kommentar heraus, sondern beschränkte sich auf den Nachdruck der Leitartikel der Konkurrenz.
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krieg. Der Börsenstreik sei, hieß es, eine „Kriegserklärung der Börsenspieler g e g e n das Gesetz, g e g e n den Staat, g e g e n das ganze Volk". 1 8 Die preußische Regierung war von den Ereignissen offensichtlich überrascht u n d suchte für Kompromisse Z e l t z u gewinnen. Erst am 19. Januar 1897 nahm Handelsminister L u d w i g Brefeld vor d e m L a n d t a g öffentlich Stellung. Er bat, die scharfe Polemik zu unterlassen. Er sei zur Vermittlung bereit. Einzelne B e s t i m m u n g e n der Börsenordnungen könnten zur Zufriedenheit der streitenden Parteien geändert w e r d e n . 1 9 Zwei Tage später bestritt er s c h o n die Rechtmäßigkeit des von den freien Vereinigungen organisierten Handels. N a c h § 1 des Börsengesetzes und seiner B e g r ü n d u n g bedürften a u c h Privateinrichtungen für den Börsenhandel einer staatlichen Genehmig u n g . Er forderte die Getreidehändler auf, eine Börsenordnung zur Genehm i g u n g vorzulegen. Wenn die Kaufleute diese Auffassung nicht teilten, könnten sie eine N a c h p r ü f u n g durch eine Klage beim Verwaltungsgericht erzwingen. Er deutete an, daß am Ende die oberste verwaltungsgerichtliche Instanz über die Frage e n t s c h e i d e n würde. 2 0 Zu einer solchen gerichtlichen Klärung ist es erst lange nach Fertigstellung des Artikels von Max Weber g e k o m m e n . Außer in Berlin konnte der Streit an den anderen preußischen Produktenbörsen durch Kompromisse beendet werden. Auf diese konnte Max Weber zum Teil noch in den Anfang Juli 1897 eingefügten Fußnoten eingehen. 2 1 Der zentrale Konflikt um die Berliner Produktenbörse eskalierte hingegen, d a die Berliner Kaufmannschaft keine Kompromißbereitschaft zeigte. Auf A n w e i s u n g d e s Handelsministers forderte der O b e r p r ä s i d e n t der Provinz B r a n d e n b u r g am 11. Mai 1897 den Vorstand des Vereins Berliner Getreide- u n d Produktenhändler auf, gemäß den Vorschriften des Börsengesetzes eine Börsenordnung einzureichen. 2 2 A m 17. Mai 1897 teilte dieser d e m O b e r p r ä s i d e n t e n mit, er wolle der Verfügung nicht n a c h k o m -
18 Kreuzzeitung, Nr. 2 vom 2. Jan. 1897, Ab.BI., S. 2. 19 Sten.Ber.pr.AH, Band 1, S. 560-562. 20 Ebd., 21. Januar 1897, Band 1, S. 627-629. 21 Vgl. unten, S.813, Fußnote 4, S.815, Fußnote 6, und S.832, Fußnote 10. 22 Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg an den Vorstand des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler vom 11. Mai 1897, in: Heinemann, Das Problem der deutschen Börsenreform, S. 119. - Gutachten hatten den Handelsminister in seiner Auffassung bestätigt, daß es sich bei den Veranstaltungen im Feenpalast um eine Börse handelte. Maßgeblich hierfür war die Mitteilung der Preise über die Geschäftsabschlüsse in den Tageszeitungen. Das Merkmal einer Börse ergebe sich aus der Einwirkung der Preisbildung auf den Gesamtmarkt, die durch das regelmäßige Zusammenströmen von Angebot und Nachfrage an einem Ort hervorgerufen werden. Zu den Gutachten vgl. Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, Nr. 3 vom 31. März 1897, S. 34-41, und die Stellungnahme Brefelds, in: Sten.Ber.pr.AH, 16. März 1897, Band 2, S. 1626.
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men. Vielmehr werde er den von Brefeld am 21. Januar gewiesenen Weg der Klage beschreiten. 23 Allerdings wies das Oberverwaltungsgericht die Klage aus verfahrensrechtlichen Gründen ab. 2 4 Um den Klageweg beschreiten zu können, waren noch einige Verwaltungsakte nötig. Die Voraussetzungen wurden geschaffen, nachdem die für den 29. Mai 1897 vereinbarten sog. „Friedensverhandlungen" 2 5 ergebnislos verlaufen waren. Man hatte sich weiterhin nicht auf einen Bestellungs- bzw. Wahlmodus für die Vertreter der Landwirtschaft im Börsenvorstand einigen können. Handelsminister Brefeld wies jetzt den Polizeipräsidenten von Berlin an, gegen den Verein der Berliner Getreide- und Produktenhändler vorzugehen. 2 6 Mit Verfügung vom 11. Juni 1897 untersagte der Polizeipräsident „die Fortsetzung dieser nicht genehmigten Börsenversammlungen." Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte er „unmittelbaren Zwang" an. 27 Daraufhin stellten die Produktenhändler ihre Versammlungen im Feenpalast ein. Am 20. Juni erhoben sie Klage beim Bezirksausschuß in Berlin, dem Verwaltungsgericht erster Instanz. Für die Art und Weise seines Vorgehens wurde der Handelsminister in der Öffentlichkeit und im preußischen Landtag heftig angegriffen. 28 Vor dem Landtag erklärte er am 25. Juni 1897, daß auf andere Weise keine (gerichtliche) Entscheidung herbeizuführen gewesen wäre, nachdem die Klage des Vereins gegen die Verfügung des Oberpräsidenten vom 11. Mai vom Gericht abgewiesen worden sei. Er hoffe dennoch, daß die vom Oberpräsidenten eingeleiteten Verhandlungen wieder aufgenommen würden, damit man zu einem wirklich legalen Produktenverkehr zurückkehren könne. 2 9 Tatsächlich nahm der Vorstand des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler an einer zweiten Zusammenkunft beim Oberpräsidenten teil. Sie brachte aber kein Ergebnis. Über den Rechtsstreit entschied der angerufene Bezirksausschuß in Berlin am 20. November 1897. Er hob die Verfügung des Polizeipräsidenten vom 11. Juni auf. Aber das letztentscheidende Oberverwaltungsgericht be-
23 Mitteilung des Vorstands des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler, in: BBC, Nr. 232 vom 19. Mai 1897, Ab.BI., S. 2. Der Vorstand berief sich auf die Versammlungsfreiheit (§ 29 der preußischen Verfassung) und auf die Gewerbefreiheit (§ 1 der preußischen Gewerbeordnung). 24 Nach § 127 Zuständigkeitsgesetz konnte beim Oberverwaltungsgericht nur Klage gegen eine Anweisung des Oberpräsidenten erhoben werden, wenn sich der Oberpräsident damit über die Beschwerde gegen eine polizeiliche Verfügung hinweggesetzt hatte. 25 Zit. nach Sten.Ber.pr.AH, 25. Juni 1897, Band 4, S.3258. 26 Ebd., S. 3256. 27 Die Verfügung des Polizeipräsidenten vom 11.Juni 1897, in: Heinemann, Das Problem der deutschen Börsenreform, S. 119. 28 Sten.Ber.pr.AH, 25. Juni 1897, Band 4, S. 3259-3261. 29 Ebd., S. 3256f.
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stätigte ein Jahr später, am 26. November 1898, daß die verbotenen Versammlungen im Feenpalast tatsächlich Börse im Sinne des Börsengesetzes gewesen seien. 30 Die Produktenhändler behalfen sich mit Ersatzkonstruktionen, die ihrerseits den Verdacht erregten, Börse zu sein. Schließlich einigten sich im Januar 1900 - auch auf Druck des Handelsministers - Vertreter der Landwirtschaft und des Handels auf einen Kompromiß. Am I . A p r i l 1900 kehrten die Händler an die Produktenbörse zurück, wo sie nun auf nicht mehr angefochtener Grundlage Geschäfte führten, die - wenn auch nicht der Form, so doch ihrem Wesen nach - Termingeschäfte waren. So entschieden sich die Regierung im Konflikt mit dem Verein Berliner Getreide- und Produktenhändler zeigte, so hinhaltend agierte sie an einer anderen Konfliktfront. Nach Schließung der Produktenbörse hatte sich nämlich der Verkehr an dem ebenfalls in den Börsenräumen stattfindenden Berliner „Frühmarkt" belebt. Auf eine Anfrage des Grafen Arnim.und seiner konservativen Parteigenossen im preußischen Landtag, warum die Regierung den Frühmarkt nicht als Börse im Sinne des Börsengesetzes behandle, antwortete der Handelsminister ausweichend. Er wolle die Entwicklung seit der Schließung des Feenpalasts abwarten. Maßgebend sei, daß das Börsengesetz eine Begriffsbestimmung für die Börse nicht gebe und namhafte Juristen den § 1 des Börsengesetzes sehr unterschiedlich auslegten. 31 Max Weber hat diese Auseinandersetzungen anhand der Tagespresse intensiv verfolgt. Einen Hinweis auf seine Zeitungslektüre enthält sein Handbuchartikel freilich nur einmal. 32 Obwohl die Berichterstattung der Frankfurter Zeitung über Berliner Vorkommnisse im Vergleich zu den Berliner Blättern zeitlich verzögert erfolgte, scheint Max Weber sie vor anderen gelesen und ausgewertet zu haben. Das legen die Zahlenzitate oder die Wiedergabe von Statuten und Geschäftsbedingungen, die nur oder nur so in der Frankfurter Zeitung standen, nahe. 33 Als ergänzende Lektüre zog Weber die Kreuzzeitung 34 und den Berliner Börsen-Courier, den er verschiedentlich wörtlich zitiert, 35 heran. Nachweisbar ist auch die Benützung des Reichsanzeigers, in dem u.a. die Eintragungen ins Börsenregister veröf-
30 Vgl. die Urteile, in: Heinemann, Das Problem der deutschen Börsenreform, S. 118— 133. 31 Sten.Ber.pr.AH, 25. Juni 1897, Band 4, S. 3254-3256. Zum Frühmarkt vgl. den Eintrag „Frühbörse" im Glossar, unten, S. 1045. 32 Auf die Allgemeine Zeitung (München), vgl. unten, S. 836. 33 Vgl. z.B. die Zahlenzitate, unten, S. 861 mitAnm.51 und S. 863 mit Anm. 61, die Wiedergabe von Geschäftsbedingungen, unten, S. 860 mit Anm. 48 und S. 861 mit Anm. 52. 34 Vgl. z. B. unten, S. 813 mit Anm. 68 und Anm. 70, S. 816 mit Anm. 79. 35 Vgl. z. B. unten, S. 858 mit Anm. 41 und 42 .
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fentlicht wurden. 3 6 Weil die Presse kaum auf die Gründe eingegangen ist, die die Regierung bewogen haben, die Lösung des Konflikts mit der Feenpalast-Börse den Gerichten zu überlassen, findet dieser Gesichtspunkt auch keine Berücksichtigung in den Fußnoten, in denen Max Weber noch den letzten Stand der Auseinandersetzungen skizziert. 37 Unterstellt man, daß Max Webers Kenntnisse jeweils auf dem aktuellen Stand gewesen sind, so kann der Zeitraum, wann er seine Fußnoten ergänzt hat, noch enger eingegrenzt werden. Das letzte datierbare Ereignis, auf das er Bezug nimmt, ist die endgültige Zusammensetzung des definitiven Börsenausschusses im Reichsamt des Innern. 38 Sie ist am 27. Juni 1897 öffentlich bekanntgegeben worden. 3 9 Die Fußnote Max Webers könnte sich aber auch auf das erstmalige Zusammentreten des Börsenausschusses am 2. Juli 1897 beziehen. Andererseits sind Verhandlungen über das Schicksal der Produktenbörse, die Weber als noch schwebend beschrieben hat, 40 am 10. Juli 1897 endgültig gescheitert. Das Manuskript muß somit vor dem 10. Juli druckfertig gemacht worden sein - in Heidelberg, wo Max Weber seit Beginn des Sommersemesters lehrte. Der Artikel wurde im selben Jahr publiziert. Ab 1898 erschien die zweite gänzlich umgearbeitete Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. Während Webers Beitrag „Agrarverhältnisse im Altertum" aus demselben Supplementband stark erweitert auch in die zweite Auflage eingegangen ist, sind Webers Bearbeitungen der Ergebnisse der Börsenreformgesetzgebung „Börsengesetz" und „Wertpapiere (Aufbewahrung). Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896" dort nicht mehr enthalten. Ob dies vornehmlich auf persönliche oder sachliche Gründe Webers oder auf die Dispositionen der Herausgeber zurückzuführen ist, kann mangels verwertbarer Quellen nur gemutmaßt werden. Ein Stichwort „Börsenrecht" ist in der zweiten und dritten Auflage des Handwörterbuchs von Franz Josef Pfleger bearbeitet worden. 41 Max Weber hatte dessen bei Walther Lötz in München angefertigte Dissertation über die Ergebnisse der Börsenenquete 4 2 in der vierten Folge seiner Artikelserie in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht „als brauchbare Anfängerarbeit" g e l o b t 4 3
36 37 38 39 40 41 42 43
Vgl. unten, S. 858 mit Anm. 38. Vgl. unten, S. 803, Fußnote 3, und S. 815f., Fußnote 6. Vgl. unten, S. 797f„ Fußnote 2 mit Anm. 23. Z. B. in: BBC, Nr. 295 vom 27. Juni 1897, Mo.BI., 4. Beilage, S. 1. Vgl. unten, S. 816, Fußnote 6. In: HdStW2 2, S. 979-1017, bzw. HdStW3 3, S. 128-160. Pfleger, Börsenreform, II. Teil. Vgl. oben, S. 460, Fußnote *>.
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Zur Überlieferung
und
Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der unter d e m Titel „Börsengesetz", in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis und Edgar Loening. Zweiter Supplementband: Agrarverhältnisse im Altertum - Zinsfuß im Mittelalter. Mit Register zum ersten und zweiten Supplementband, bearbeitet von Dr. Paul Lippert. - Jena: Gustav Fischer 1897, S. 2 2 2 - 2 4 6 , erschienen ist (A). Der Text ist mit „Max Weber" gezeichnet und zweifellos von ihm autorisiert. Der Originaltext ist in einer Frakturschrift gedruckt, die die Umlaute Ä, Ö und Ü sowie ß enthält. Die Seiten des Handwörterbuchs sind zweispaltig gesetzt und seitenweise durchgezählt. Der Seiten- und Spaltenwechsel wird dokumentiert, im Text durch einen senkrechten Strich und am Seitenrand durch den Hinweis A 00 l[inke] oder A 00 r[echte Spalte], Webers Fußnoten, die im Original seitenweise gezählt sind, wurden durchnumeriert. Die Emendationen erfolgen gemäß den Editionsregeln. Webers Binnenverweise werden stillschweigend auf die Edition umgestellt. Nicht emendiert wurde, wenn Max Weber die eigentliche Gliederung eines Gesetzes nach Paragraphen oder Artikeln oder die Gliederung innerhalb eines Paragraphen nach Ziffern oder Nummern unberücksichtigt läßt und wechselweise „§" bzw. „Art." bzw. „Nr." statt „Ziffer" gebraucht. Wenn bei der Angabe mehrerer Paragraphen im Text nur ein §-Zeichen steht, z.B. „§10, 20" statt „§§10, 20", erfolgt keine Ergänzung des §-Zeichens in eckigen Klammern. Eine Ergänzung in eckigen Klammern erfolgt nur dann, wenn der Text sonst nicht verständlich ist. Das Börsengesetz ist im Anhang als Nr. 6, unten, S. 9 7 5 - 9 9 2 abgedruckt. Die von Weber verwendeten oder vom Herausgeber eingeführten Kurztitel für die Rechtstitel (Börsen-, Maklerordnungen etc.) sind im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur aufgelöst. Die Fundortnachweise aus der zeitgenössischen Tagespresse in der Herausgeberrede zu den Anspielungen Max Webers auf die Tagesereignisse erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Denn selbstverständlich kann davon ausgegangen werden, daß Weber seine Informationen auch aus anderen als den vom Herausgeber herangezogenen Zeitungen bezog. Die Frankfurter Zeitung, die Webers Stellungnahmen zur Börsenreform aufmerksam verfolgte, hat in ihrer Ausgabe, Nr. 27 vom 28. Januar 1898, 1. Morgenblatt, S. 1, einen Teilabdruck veröffentlicht. Unter der Rubrik „Deutsches Reich" mit der Datumsangabe „Frankfurt, 27. Januar", wurden die Seiten 866 bis 868 (Textende) nachgedruckt. Der Nachdruck steht unter der Überschrift: „Die Wirkungen des Börsengesetzes." Er setzt ein beim zweiten Absatz der Seite 866: „Das positive Ergebniß der Unterdrückung
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des Terminhandels ist das Emporwachsen von ..." und endet bei der letzten Textzeile ohne Wiedergabe der Literaturangaben. Ausgelassen wurde die Kapitelüberschrift „7. Gesamtbeurteilung". Die Orthographie, Zeichensetzung und Satzstruktur wurden dem Stil der Frankfurter Zeitung angepaßt: z. B. „Coursnotizen" statt „Kursnotizen", „Theil" statt „Teil"; Kommas oder Gedankenstriche wurden durch Strichpunkte oder Punkte ersetzt. Verändert wurden vor allem aber Wortsperrungen, um die Kritik Max Webers am Börsengesetz deutlich hervorzuheben. Webers Wortsperrungen wurden nur zum Teil übernommen. Der Nachdruck hat einen redaktionellen Vor- und Nachspann. Der Vorspann lautet: „Prof. Max Weber in Heidelberg, den die Agrarier gewiß selbst nicht als einen .Manchestermann' bezeichnen werden, dem sie vielmehr das Recht des Urtheilens zugestehen müssen, zieht in dem neuen Ergänzungsbande zum .Handwörterbuch der Staatswissenschaften' das Fazit aus dem Börsengesetz. Professor Weber war vom Bundesrath als Sachverständiger in den provisorischen Börsenausschuß berufen. Er schreibt auf Grund seiner Beobachtungen: [...]." Der Nachspann lautet: „Diese .Ernüchterung' ist andererseits theuer erkauft. Nach den gemachten Erfahrungen wird man wenig Neigung haben, zwar das gesetzliche Verbot des Terminhandels aufzuheben, dafür aber dem Bundesrath die Schnur zur Erdrosselung des freien Handels in die Hand zu geben." Dieser scharf formulierte Nachspann, der ganz dem oben angedeuteten Tenor der Frankfurter Zeitung entspricht, 4 4 beweist, daß es sich hier tatsächlich um einen Nachdruck, nicht aber um eine von Weber selbst initiierte Textvariante handelt.
44 Oben, S. 784.
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a
l. Die Zuständigkeit für die Regelung des Börsenwesens. 2. Organisation der Börsen. 3. Makler- und Notizenwesen. b4. Kommissionsgeschäft.0 5. Emissionswesen. 6. Terminhandel und spekula5 tive Verkehrsformen. 7. Gesamtbeurteilung.3 Das Börsengesetz ist am 22. VI. 1896 vom Kaiser unterzeichnet und nach seinem § 82 in den meisten Bestimmungen am 1.1. 1897, in denjenigen über die Führung der Börsenregister (§§ 54-65) schon am l.XI. und in denjenigen über die Zulassung von Aktien io bei Neugründungen und von ausländischen Anteilscheinen und nicht garantierten Obligationen zum Handel (§39) 1 schon am 1. VII. 1896 in Kraft getreten. Nachstehend sollen die Bestimmungen des Gesetzes und einige bisher ^ bekannt gewordene Ausführungsverordnungen, - ich greife die Börsen in Berlin, Hamburg, 15 Frankfurt und die anscheinend jetzt wachsende Münchens heraus, - unter Ausscheidung der rein technischen und mehr willkürlichen Einzelbestimmungen kurz systematisch Zusammengefaßt und c die wesentlichsten kritischen Bedenken herausgehoben werden. 1. Die Zuständigkeit für die Regelung des Börsenwesens. 20 Es ist darauf verzichtet worden, eine ernstliche Gewähr für die einheitliche Behandlung der einzelnen Börsen zu schaffen. Der Schwerpunkt des Verfügungsrechts über die verschiedenen Punkte ist nicht in die Hände des Bundesrats oder einer Centraiinstanz, sondern in die der Landesregierungen gelegt. Sie haben nament25 lieh das Konzessions- und Schließungsrecht gegenüber den Börsen D Geschrieben Februar 1897.2 | a Petitdruck in A. b Fehlt in A; 4. Kommissionsgeschäft. Ergänzt nach der Kapitelüberschrift, unten, S. 832. c A: zusammengefaßt, und 1 §39 Abs. 1 BörsG betrifft zu Aktiengesellschaften oder zu Kommanditgesellschaften auf Aktien umgewandelte Unternehmen (Umgründungen), nicht eigentlich Neugründungen. Das Börsengesetz ist unten, S. 975-992, abgedruckt. 2 Zum Entstehungszeitraum des Artikels vgl. die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 780f. und 788.
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und die Handhabung der Börsenaufsicht (§ 1), demgemäß insbesondere das Recht zur Genehmigung bezw. Oktroyierung der Börsenordnungen (§4), sowie die nähere Regelung des Kursmaklerwesens (§ 30,32), und können in bestimmten Fällen von der Einreichung eines Prospektes bei gewissen öffentlich garantierten oder 5 kontrollierten Papieren (§ 38 Abs. 3) und von der Innehaltung der Fristen des § 39 (Zulassung von Aktien und auswärtigen Papieren) 3 dispensieren. Überhaupt aber entspricht es dem Sinne des Gesetzes, wenn man annimmt, daß alle den Börsen gegenüber bestehenden Befugnisse der Verwaltung in der Hand der Landes- 10 regierungen liegen, soweit nicht ausdrücklich Reichsbehörden oder Spezialinstanzen für zuständig erklärt sind. Demgemäß beschränken sich die im Interesse der Einheitlichkeit der Verwaltungspraxis den Reichsbehörden verliehenen Befugnisse und Zuständigkeiten den Börsen gegenüber auf die folgenden Punkte: | 15 A 222 r 1) In betreff der Börsen Organisation: Ein Dispens von der Anstellung des Staatskommissars überhaupt (bei kleinen Börsen) oder dessen Beschränkung auf das Ehrengericht bedarf der Zustimmung des Bundesrates (§ 2 Abs. 2). - Der Bundesrat darf also die Schaffung von Ungleichheiten zulassen; 20 d 2) Für den Börsenverkehr. Der Bundesrat darf untersagen oder von Bedingungen abhängig machen a) für bestimmte „Geschäftszweige" die Benutzung der Börseneinrichtungen (§ 6 letzter Satz); b) den Börsenterminhandel allgemein oder in besonderen 25 Waren oder Wertpapieren (§ 50); c) auch ist von der beabsichtigten Zulassung von neuen Waren zum Börsenterminhandel der Reichskanzler zu benachrichtigen und darf die Zulassung erst erfolgen, wenn der Reichskanzler erklärt hat, daß er zu weiteren Ermittelungen keinen Anlaß habe 30 (§49); 3) In betreff der Kursnotizen und des Maklerwesens: Der Bundesrat darf vorschreiben im Interesse der Gleichmäßigkeit
d A: für 3 Hinsichtlich ausländischer Wertpapiere gibt § 3 9 BörsG den Landesregierungen keine speziellen Befugnisse.
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a) allgemein oder für einzelne Börsen amtliche Preisnotizen für bestimmte Waren (§ 352);4 b) einheitliche Grundsätze über Quanta, die bei Waren, und Gebräuche, die bei Wertpapieren der Notiz zu Grunde gelegt sinde (§353). Es bedarf andererseits c) der Zulassung des Bundesrates, wenn von den Vorschriften über die bei der Kursnotiz beteiligten und anwesenden Personen (§ 29 Abs. 1 und 2) und über die Mitwirkung der Kursmakler und den Anspruch von nicht durch diese vermittelten Geschäften auf Berücksichtigung (§30 und 31) abgewichen werden soll ([§] 351). Der Bundesrat darf also die Schaffung von Ungleichheiten zulassen. 4) In betreff des Emissionswesens-. Der Bundesrat bestimmt die Aufgaben der Zulassungsstellen, soweit sie das Gesetz nicht feststellt, und die Voraussetzungen der Zulassung von Wertpapieren, insbesondere aber den Mindestbetrag des Grundkapitales zuzulassender Aktien und den Mindest-Stückbetrag zuzulassender Wertpapiere (§ 42). In allen denjenigen Punkten, bei denen die Zuständigkeit des Bundesrates der Schaffung gleichmäßiger Zustände dienen soll (2 a und b, 3 a und b, 4), können, soweit der Bundesrat keine Bestimmungen getroffen hat, die Landesregierungen solche erlassen.5 Die in den Fällen ad 3 und 4 erlassenen sind dem Reichskanzler mitzuteilen.6 Im übrigen steht dem Bundesrate nur noch zu: a) Die Wahl der Mitglieder des gleich zu erwähnenden Börsenausschusses7 (§3 Abs. 2), davon die Hälfte nach freiem Ermessen; | e A: sind. 4 Hier und bei den beiden nächsten Hinweisen auf § 35 BörsG ist der in 3 Ziffern gegliederte 1. Absatz gemeint. 5 §6 und §50 BörsG - von Max Weber unter Punkt 2 a und b erläutert - enthalten zwar keine Bestimmungen über die Kompetenzen der Landesregierungen. Die Landesregierungen konnten aber, weil die Zulassung einer Börsenordnung der Genehmigung durch die jeweilige Landesregierung bedurfte und die Landesregierungen „die Aufnahme bestimmter Vorschriften in die Börsenordnung anordnen" (§4 Abs. 2 ebd.) konnten, auf die Zulassung von Geschäftszweigen zur Börse (§5 Ziffer 2 ebd.) und die Zulassung von Waren und Wertpapieren zum Börsenterminhandel (§49 Abs. 1 ebd.) Einfluß nehmen. 6 Max Weber nimmt Bezug auf die Vorschriften der §§35 Abs. 2 und 42 Abs. 3 BörsG. 7 Unten, S.796f.
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b) die Bestimmung des Vorsitzenden der ehrengerichtlichen Berufungskammer (§ 17). Man sieht, daß auf dem Gebiete der Börsenorganisation, des Makler- und Notizenwesens in der Hauptsache nur die zwingenden Bestimmungen des Gesetzes, welche, wie sich zeigen wird, 8 ziem- 5 lieh mager sind, soweit Einheitlichkeit schaffen, als sie reichen. Die einzigen Verwaltungsbefugnisse des Bundesrates von einiger Erheblichkeit betreffen die Zulassung und Unterdrückung des Terminhandels, die Verfügung über die Voraussetzungen der Zulassung von Wertpapieren zum Handel und namentlich die sub 2 a wie- 10 dergegebene Bestimmung des § 6, letzter Satz,9 wonach der Bundesrat für bestimmte „Geschäftszweige" die Benutzung von Börseneinrichtungen, worunter zunächst (nach § 1) die Kündigungsbureaus, Liquidationskassen, Liquidationsvereine und „ähnliche" Anstalten, ferner aber auch die Schiedsgerichte, Kursmakler und 15 das amtliche Kursblatt, sowie die Zulassungsstellen und das Börsenregister 10 zu verstehen sind, untersagen oder an Bedingungen knüpfen kann. Dieser letzteren Bestimmung eine so enge Deutung zu geben, wie dies innerhalb des provisorischen Börsenausschusses seitens der Handelsinteressenten geschah: daß der Bundesrat nur 20 den börsenmäßigen Handel in gewissen Artikeln (etwa Getreide, Kammzug) überhaupt mit der gedachten Wirkung untersagen oder an Bedingungen knüpfen könne, ist nicht angängig.11 Vielmehr ist anzunehmen, daß hiernach der Bundesrat die Benutzung jener Börseneinrichtungen auch auf bestimmte Formen des Verkehrs be- 25 schränken, z. B. nur für einen Verkehr, der bestimmte Geschäftsbedingungen oder Schlußnoten zu Grunde legt, gestatten, für andere untersagen kann. Die Existenz des derartig perhorreszierten Verkehrs selbst an der Börse, soweit er jene Einrichtungen nicht in Anspruch nimmt, zu hindern, steht danach nicht in der Hand des Bun- 30
8 Unten, S. 798-818 und 818-832. 9 Oben, S.792. 10 Die Börsenregister für Waren resp. Wertpapiere waren keine Börseneinrichtung, sondern sollten von „jedem zur Führung des Handelsregisters zuständigen Gerichte" (§54 BörsG) geführt werden. 11 Max Weber gibt hier die Ausführungen in seinem Referat vor dem provisorischen Börsenausschuß, oben, S. 698f. wieder. Der sog. provisorische Börsenausschuß tagte vom 19. bis 26. November 1896 im Reichsamt des Innern zu Berlin. Vgl. dazu oben, S. 673735.
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desrats. Hier käme nur das, wie zu zeigen sein wird,12 in seiner Tragweite problematische Terminhandelsverbot und sonst ein etwaiges Einschreiten gemäß etwa zu erlassenden polizeilichen Bestimmungen der Börsenordnungen in Betracht. Und auch der Ausschluß von den Börseneinrichtungen findet in seiner Tragweite die gleiche faktische Schranke, welche anderen Bestimmungen des Börsengesetzes, wie noch erörtert werden wird,13 durch die Anknüpfung der Bestimmungen des Gesetzes an die bisher typische preußische Organisationsform gesetzt ist. Es ist dadurch die faktische Möglichkeit offen geblieben, daß auf dem Boden des Vereinsrechtes sich ein börsenmäßiger Verkehr entwickelt, welcher sich und seine Einrichtungen nach dem bestehenden Rechtszustand der Einsichtnahme des Bundesrates in weitgehendem Maße zu entziehen vermag, je nach dem Zustande der Vereinsgesetzgebung der einzelnen Länder. 14 | Gebrauch gemacht hat der Bundesrat von den ihm verliehenen A 223 r Befugnissen im Interesse der Vereinheitlichung bisher (im Februar 1897) insofern, als er unter dem 11. XII. 1896 die Zulassung von Wertpapieren einheitlich geregelt hat (gemäß § 42).15 Voraussichtlich wird ferner nach § 353 die Vereinheitlichung der technischen Unterlagen der Notiz angebahnt werden.16 Von der Befugnis, amtliche Kursnotizen für bestimmte Waren allgemein vorzuschreiben, ist bisher kein Gebrauch gemacht. Ebenso nicht von der Befugnis zum Verbot des Terminhandels in bestimmten Wertpapieren und Waren (die bestehenden Verbote beruhen auf dem Gesetz). Durch 12 Unten, S. 843-867. 13 Unten, S.802. 14 Max Weber meint - wie er unten, S.804f., ausführt - Art. 29 der preußischen Verfassung: Alle preußischen Staatsbürger haben das Recht, sich ohne behördliche Erlaubnis in geschlossenen Räumen zu versammeln. 15 Gemeint sind die §42 BörsG ergänzenden Bestimmungen der Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896. 16 Ende Dezember 1896 war gemeldet worden, daß der Börsenausschuß, sobald er endgültig gebildet sein würde, Vorschläge erarbeiten sollte, wie Maße und Gewichte für die Feststellung von Warenpreisen und die Umrechnung ausländischer Geldsorten vereinheitlicht werden könnten. BBC, Nr. 608 vom 29. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1. Zu diesem Zeitpunkt hieß es noch, der Börsenausschuß würde in den ersten Wochen nach Inkrafttreten des Börsengesetzes einberufen werden. BBC, Nr. 609 vom 29. Dez. 1896, Ab.BI., S. 2. Realisiert wurde die Vereinheitlichung der technischen Unterlagen der Notiz schließlich erst mit der Bekanntmachung, betreffend die Feststellung des Börsenpreises von Werthpapieren vom 28. Juni 1898, in: RGBl 1898, Nr. 30, S. 915-917.
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Interessenten angeregt wird jedenfalls wiederholt das Verbot des Kammzugterminhandels werden.17 Auch die oben erörterte im § 6 letzter Satz gegebene Befugnis18 ist noch nicht zur Anwendung gekommen. - Dagegen ist von den Dispensbefugnissen der §§ 1 und 351 mehrfach Gebrauch gemacht worden, - soviel mir bekannt, durchweg zu gunsten nichtpreußischer Börsen (s.u.). 19 Nach alledem ist eine Gewähr für die Einheitlichkeit der Grundsätze, nach welchen die Aufsicht über die Börsen gehandhabt wird, nur in höchst unzulänglicher Weise angestrebt und damit, wie die Erfahrung früher gezeigt hat, die Gefahr grundsätzlich verschiedener Handhabung des Gesetzes durch die Landesregierungen, namentlich in den Hansestädten einerseits und agrarisch beeinflußten Binnenstaaten, wie Preußen, andererseits, mit der Folge gegeben, daß der Verkehr diejenigen Börsen aufsucht, wo die Reglementierung am schonendsten gehandhabt wird, zum Schaden anderer Plätze, wie namentlich der Berliner Börse. Zur Begutachtung der der Beschlußfassung des Bundesrates überwiesenen Angelegenheiten - soweit derselbe darnach ein Bedürfnis empfindet - ist ihm ein Börsenausschuß zur Seite gestellt, bestehend aus mindestens 30 vom Bundesrat, zur Hälfte auf Vorschlag der Börsenorgane, zur Hälfte nach Ermessen, jedoch unter 17 Bereits auf der Konferenz der Delegierten der Bundesregierungen vom 28. bis 29. Oktober 1895 im Reichsamt des Innern war über ein Verbot des Kammzugterminhandels in Leipzig diskutiert, aber abschlägig entschieden worden. BBC, Nr. 16 vom 11. Jan. 1897, Ab.BI., S. 2. Ebenso hatte die IX. Kommission des Reichstages, die von Januar bis März 1896 über den Börsengesetzentwurf beriet, entschieden. Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1476-1479. Sachsen hatte am 16. Dezember 1896 im Bundesrat den Antrag auf Verbot des Kammzugterminhandels gestellt, nachdem eine Umfrage unter den sächsischen Kammgarnspinnereien, Wollfabrikanten und sogar den Wollhändlern ergeben hatte, daß ein starkes Interesse daran bestand. Bundesratsdrucksachen Nr. 171 von 1896, BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5520, Bl. 188. Den Antrag Sachsens verwies der Bundesrat am 7. Januar 1897 an die zuständigen Ausschüsse. FZ, Nr. 8 vom 8. Jan. 1897, 1. Mo.BI., S.3. 18 Oben, S. 794. 19 Unten, S. 809, 821 und 827f. Nicht § 1, sondern § 2 Abs. 2 BörsG regelt das Recht des Bundesrats, von der Bestellung eines Staatskommissars bei kleinen Börsen abzusehen resp. die Tätigkeit des Staatskommissars auf die Mitwirkung beim ehrengerichtlichen Verfahren zu beschränken. Der Bundesrat bewilligte in der Sitzung am 17. Dezember 1896 auch für preußische Börsen, nämlich in Düsseldorf, Elbing, Essen, Grimmen und Halle, die Befreiung von der Bestellung eines Staatskommissars und für die Börsen in Grimmen, Halle, Posen, Frankfurt am Main und Magdeburg eine von den Bestimmungen des Börsengesetzes abweichende Feststellung des Börsenpreises. GStA Berlin, Ministerium für Handel und Gewerbe, Rep. 120, Titel C XI 1 Nr. 28, Band 3.
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„angemessener" Berücksichtigung der Landwirtschaft und Industrie, auf 5 Jahre zu wählenden Mitgliedern, mit der Befugnis, Anträge zu stellen und Sachverständige zu hören. Er wird nach Ermessen des Bundesrates einberufen.20 - Bisher hat der Bundesrat 5 einen „provisorischen" Ausschuß zur Begutachtung des erwähnten Erlasses über die Zulassung von Wertpapieren zum Handel21 einberufen, in welchen' von seiner Seite 8 Vertreter der Landwirtschaft, 1 der Müllerei, 2 der Industrie, 2 des Handels, 2 der Wissenschaft delegiert wurden. Der Bundesrat hat demselben auch Ge10 genstände zur Entscheidung überwiesen, die nicht zur gesetzlichen Zuständigkeit einer Reichsinstanz gehörten.22 - Der definitive Börsenausschuß ist bisher (Anfang Februar 1897) noch nicht ge|bildet, scheinbar unter dem Einfluß agrarischer Angriffe auf die A 2241 Zusammensetzung des provisorischen2). - Genügende Erfahrun2) Diese Angriffe haben jetzt (Juli 1897) dahin gewirkt, daß in dem definitiven Börsen- A 224 I ausschuß von 40 Mitgliedern das agrarische Element wesentlich stärker vertreten, die Vertretung der Wissenschaft eliminiert ist. 23 |
f A: welcher 20 Max Weber referiert und zitiert aus § 3 Abs. 1 und 2 BörsG. 21 Gemeint ist die Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896. 22 Gemeint sind die Denkschrift des Bundes der Landwirte und die Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats. Sie waren an den Bundesrat gerichtet worden mit der Bitte um Mitberatung im provisorischen Börsenausschuß. Die darin enthaltenen Forderungen fielen nicht in die Kompetenz des Bundesrats. Beide Eingaben sind unten, S. 1000-1006 und 1007-1009 abgedruckt. 23 Der Bund der Landwirte hatte gegen die seiner Ansicht nach „einseitige Zusammensetzung des provisorischen Börsenausschusses energisch Einspruch" erhoben. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die Berufung von Adolph Frentzel und Ernst von Mendelssohn-Bartholdy sowie Wilhelm Lexis und Max Weber als börsenfreundliche Vertreter der Wissenschaft. BA Potsdam, Reichskanzlei, Nr. 574, Bl. 1 - 7 . Der Bund der Landwirte forderte eine paritätische Zusammensetzung des Börsenausschusses aus 15 Vertretern des Handels und der Industrie sowie 15 Vertretern der Landwirtschaft und Müllerei. Nur so werde gewährleistet, „daß die Begutachtung der einschlägigen Fragen durch den Börsenausschuß dem Bundesrate die möglichst objective Beurtheilung derselben" gestatte. Resolution des Gesamtausschusses des Bundes der Landwirte, in: BBC, Nr. 562 vom 30. Nov. 1896, Ab.BI., S. 2; Eingabe des Bundes der Landwirte an den preußischen Landwirtschaftsminister vom 19. Dezember 1896, BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 187-190. Die Bildung des definitiven Börsenausschusses wurde nicht nur wegen der Forderungen der Agrarier, die von einigen preußischen Ministern unterstützt wurden, verzögert, sondern auch durch die Gesuche verschiedener Börsen, die im Börsenausschuß vertreten sein wollten. BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 195-199, 201 f.; ebd., Reichskanzlei, Nr.574, Bl. 1 - 7 und 9-18. - Die personelle Be-
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gen über die Nützlichkeit des Instituts liegen zur Zeit noch nicht vor. Selbst der allgemeine Charakter desselben ist noch flüssig. Wenn an der von agrarischer Seite durchgesetzten Praxis stenographischer Niederschrift der Verhandlungen festgehalten wird, 24 so ist eine unbefangene, unter dem Streben nach Verständigung bei gegenseitigen Konzessionen erfolgende Aussprache kaum möglich, es wird vielmehr der Börsenausschuß lediglich ein Ort, an welchem die gegenseitigen Argumente der Interessentengruppen möglichst umfassend zur Kenntnisnahme durch den Bundesrat formuliert und fixiert werden und als solcher gewiß nicht wertlos, aber kein Organ, welches dem Bundesrat oder einer anderen Instanz erhebliche Vorarbeiten abnehmen und für den Gang der Gesetzgebung und die Verwaltungspraxis eine Diagonale der Interessen im Wege des Kompromisses schaffen könnte. Dazu ist indessen auch - abgesehen von den einer Verständigung überhaupt ungünstigen derzeitigen Verhältnissen 25 - die Zahl der Mitglieder eine zu große. 2. Organisation der Börsen. Das Börsengesetz traf in Deutschland unter einander höchst verschiedene Organisationsformen der Börsen an. Relativ schwach vertreten war der in England und Nordamerika herrschende Typus des autonomen Vereins, der selbst über die Zulassung neuer Mitglieder entscheidet. Rein ausgeprägt bestand er nur in den sächsischen Börsen (außer Leipzig). 26 In faktischer Aufsichtslosigkeit bestanden ferner die Bayerischen und die Mannheimer
Setzung für den definitiven Börsenausschuß bestimmte der Bundesrat in der Sitzung am 24. Juni 1897. Am 2. Juli 1897 trat der Börsenausschuß zum ersten Mal zusammen. BBC, Nr. 295 vom 27. Juni 1897, Mo.BI., 4. Beilage, S. 1; BBC, Nr. 304 vom 2. Juli 1897, Ab.BI., S.1. 24 Graf Arnim, Mitglied der Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer, hatte im provisorischen Börsenausschuß eine stenographische Mitschrift der Verhandlungen beantragt, weil im Abschlußbericht „die Argumente der Minorität" zu wenig Berücksichtigung fänden. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 36. Als Mitglied der Börsenenquetekommission hatte Graf Arnim in gleicher Weise argumentiert. 25 Zu den eine Verständigung erschwerenden Verhältnissen vgl. die Ausführungen im Editorischen Bericht oben, S. 7 8 1 - 7 8 7 . 26 Autonome, von jeglicher staatlicher Aufsicht freie kaufmännische Vereinigungen gab es in Zwickau (Fondsbörse) und In Chemnitz (Produktenbörse) sowie In Dresden (Fondsresp. Produktenbörse). Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 36 und 38.
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Börse. Daneben waren eine Anzahl von Spezialbörsen, die neben den offiziellen Börsen bestanden, - so die Effektensozietät in Frankfurt a/M., die 5 großen Händlervereine in Hamburg,27 - rein vereinsrechtlich organisiert. Ebenso war der Typus des frei zu5 gänglichen Markts nur in den Hansestädten, - in Hamburg als allgemeine Börse neben den Spezialbörsen der Händlervereine vertreten. Die große Mehrzahl der Börsen, zumal die preußischen, hatten den Charakter von Anstalten, die von staatlich anerkannten und organisierten kaufmännischen Korporationen - meist den 10 Handelskammern oder deren Beauftragten - geleitet waren und der allgemeinen Staatsaufsicht, welche an jene Korporation delegiert war, unterstanden; zugänglich unter bestimmten, wesentlich formalen Voraussetzungen jedem, der sie berufsmäßig des Handelsbetriebes | wegen besuchen wollte. - An diesen Typus als an A 224 r 15 den normalen knüpft das Börsengesetz bei seinen Bestimmungen an. Ihm ist die Börse eine seitens des Staats zu konzessionierende und deshalb auch der Konzessionsentziehung unterliegende Anstalt, welche einschließlich der bereits oben erwähnten Einrichtungen und „Anstalten" des Verkehrs28 vom Staat oder statt sei20 ner von den Handelsorganen zu beaufsichtigen ist (§1) und einer staatlich genehmigten und beliebig amendierten Börsenordnung (§ 4) mit bestimmtem Minimalgehalt an Bestimmungen (§ 7),29 nämlich solchen über Vorstand und Organe, „Geschäftszweige", zugelassene Personen und Art der Kursnotiz, bedarf. - Hier inter25 essieren zunächst nur die Bestimmungen über die Organe der Börsen und die Zulassung von Personen zur Börsenmitgliedschaft und Teilnahme am Handel. In dieser Beziehung sind folgende Punkte gesetzlich festgelegt: 1) An Organen und Aufsichtsinstanzen ist für jede Börse gesetz30 lieh obligatorisch das Vorhandensein folgender Kategorien: 1. der in der Art seiner Zusammensetzung nicht weiter gesetzlich definierte „Börsenvorstand" (§5 sub 9 l, §4 letzter Satz, §8
g A:sub. 2 7 Dies waren die Petroleum-, Sprit-, Kaffee-, Zucker- und Baumwollbörse. 2 8 Oben, S. 794. 2 9 Max Weber gibt im folgenden die Bestimmungen des § 5 - nicht des § 7 - BörsG wieder.
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Abs. 2 Satz l), 30 in dessen Hand die Handhabung der Ordnung in den Börsenräumen liegen soll, mit der Befugnis, wegen Störung der Ordnung, vorbehaltlich der Beschwerde bei der Börsenaufsichtsbehörde - d. h. der Regierung bezw. dem delegierten Handelsorgan (Handelskammer etc.) - zeitweiligen Ausschluß und Geldstrafe zu verhängen (§ 8 Abs. 2).31 Speziell vorgesehen ist nur die Ermächtigung der Landesregierungen, durch die Börsenordnung in den Vorständen der Produktenbörsen eine „entsprechende Vertretung" der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Nebengewerbe und der Müllerei herbeizuführen (§ 4 Abs. 2 Satz 2). - 2. Der von der Regierung, soweit nicht für eine Börse der Bundesrat Dispens erteilt, zu ernennende Staatskommissar, welchem^,] soweit nicht der Bundesrat ihn auf die Teilnahme am Ehrengericht zu beschränken gestattet, die Überwachung - und Berichterstattung - über den Börsenverkehr obliegt, mit dem Recht der Teilnahme an den Sitzungen der Börsenorgane, aber ohne eigne Zwangs- und Verwaltungsbefugnisse (§ 2). - 3. Das Ehrengericht, welches bei Delegation der Börsenaufsicht an ein Handelsorgan durch dieses oder einenh Ausschuß desselben, andernfalls durch gewählte Mitglieder gebildet wird (§ 9). Es hat die Aufgabe, Börsenbesucher, welche im Zusammenhang mit ihrer Thätigkeit an der Börse sich eine mit der Ehre und dem Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbarende Handlung zu Schulden kommen lassen, in kontradiktorischem, ex officio oder auf Antrag des Staatskommissars, A 2251 welcher | allen Verhandlungen beiwohnen darf, zu eröffnendem', auf Beschluß des Ehrengerichts oder Antrag der Parteien in der Hauptverhandlung öffentlichem, Verfahren abzuurteilen;32 das mit Gründen zu versehende Urteil, dessen Publikation beschlossen werden darf und gegen welches den Parteien Berufung an eine aus den präsentierten Mitgliedern des Börsenausschusses gewählte Berufungskammer mit vom Bundesrat ernannten Vorsitzenden zu-
h A: ein
i A: eröffnenden
30 Max Weber benennt einen Mangel des Gesetzes. Obgleich im Gesetz an den genannten Stellen Zusammensetzung und Kompetenz eines Börsenvorstandes angesprochen werden, gibt es keine Bestimmung, die ihn ausdrücklich als Börsenorgan benennt. 31 Max Weber referiert §8 Abs. 2 und 3 BörsG. 32 Max Weber referiert aus den §§10,11 und 14 BörsG.
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steht, kann außer auf Freisprechung auf Verweis, zeitweilige und dauernde Ausschließung lauten. 33 - 4. Die Kursmakler (s. u.), 34 soweit nicht der Bundesrat nach § 35 von der Bestellung solcher dispensiert. - 5. Die Maklerkammer unter der gleichen Voraussetzung. - 6. Die Zulassungsstelle für Wertpapiere (§ 36), eine Kommission, welche zur Hälfte aus Personen bestehen muß, welche nicht in das Börsenregister eingetragen sind, und die Aufgabe hat, über die Zulassung von Wertpapieren zum Handel zu befinden (s. u.). 35 Besondere Börsenschiedsgerichte sind nicht nur nicht obligatorisch, sondern das Gesetz erklärt ein vor Eintritt des Streitfalles abgeschlossenes Kompromiß auf ein derartiges Schiedsgericht als mit verbindlicher Kraft nur zwischen Kaufleuten oder in das Börsenregister Eingetragenen möglich (§ 28). Neu ist von diesen Vorschriften die Abgrenzung der Disziplinargewalt, insbesondere die Geldstrafe, der Staatskommissar, das Ehrengericht, das obligatorische Bestehen einer besonderen Zulassungsstelle, und die Einengung der Schiedsgerichte. Alle weiteren Bestimmungen über die gedachten und die Schaffung noch weiterer Organe ist den Börsenordnungen und Gesetzen oder Verwaltungsordnungen der Einzelstaaten überlassen. Unter diesen hatte Preußen bereits vor Verabschiedung des Börsengesetzes sich in einer bestimmten Richtung hinsichtlich der Organisation der Börsen, und zwar der Produktenbörsen gesetzlich gebunden, nämlich durch die Bestimmung des § 2 Absatz 4 des Gesetzes über die Landwirtschaftskammern vom 20. VI. 1894,36 wonach diesen Organen „nach Maßgabe der für die k Börsen ... zu erlassenden Bestimmungen eine Mitwirkung bei der Verwaltung und den Preisnotierungen der Produktenbörse ... übertragen" k werden soll. Sonstige gesetzliche Unterlagen für die Art der Börsenorganisation bestanden in den Einzelstaaten nicht, da die vorhanden gewesenen durch das Börsengesetz als beseitigt gelten müssen.
k Auslassungszeichen in A. 3 3 Max Weber referiert aus den §§15, 16 und 17 BörsG. 3 4 Unten, S. 819-823. 3 5 Unten, S. 836-843. 3 6 Das Gesetz über die Landwirtschaftskammern war am 30. - nicht am 20. - Juni 1894 erlassen worden.
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2) Von der Zulassung zur Teilnahme am Handel müssen (§ 7) durch die Börsenordnung mindestens ausgeschlossen werden: Weiber,37 bürgerlich Ehrlose und in der Verfügungsgewalt Beschränkte während der Dauer dieser Zustände, betrügerische BankrotA 225 r teurs dauernd, | einfache bis sechs Monate nach Verbüßung oder sonstiger Erledigung der Strafe, Zahlungsunfähige bis zum Nachweis der juristischen Beseitigung dieses Zustandes, die beiden letzten Kategorien im Rückfall ein Jahr lang,38 endlich durch Ehrengerichtsurteil Ausgeschlossene. Andere Ausschlußgründe darf die Börsenordnung enthalten, von den angegebenen die Landesregierung in „besonderen Fällen" Ausnahmen zulassen. Durch diese Konstruktion der „Zulassung" ist das Entstehen monopolistischer autonomer Börsen -Vereine mit selbständiger Verfügung über die Aufnahme von Mitgliedern auf dem Boden des Börsengesetzes rechtlich ausgeschlossen. Landesgesetzlich stand die rechtliche Erzwingbarkeit des Zutrittes zur Börse seitens der dazu Qualifizierten für Preußen durch § 137 des Gesetzes vom l.VIII. 188339 fest, welches eine Verwaltungsklage gewährte und zweifellos in Kraft geblieben ist. Dieser Rechtszustand ist es, an welchen das Gesetz als an den normalen deutlich anknüpft, indem es durch die Bestimmung im § 53 und § 7 Abs. 3 die arbiträre Zurückweisung unzweideutig ausschließt. Hingegen ist nach der anderen Seite eine Vorschrift, daß Schranken irgend welcher Art für den Zutritt zum Verkehr bestehen müssen, nicht vorhanden und steht also der völligen Freigabe des Börsenbesuches durch die Börsenordnung nichts im Wege, sofern nur dabei die Fernhaltung der eben aufgeführten Kategorien des §7 in dem dort angegebenen Umfange verfügt wird. Problematisch bleibt bei diesem Rechtszustande aber: 1) welche Mittel in denjenigen Einzelstaaten, in welchen eine Bestimmung wie die in § 137 des gedachten preußischen Gesetzes nicht besteht, dem Qualifizierten dazu verhelfen, die Zulassung zur Börse zu erzwingen. Es kann dies durch die Börsenordnungen ge-
3 7 Die Formulierung in § 7 Ziffer 1 BörsG lautet, daß „Personen weiblichen Geschlechts" vom Börsenbesuch ausgeschlossen sind. 3 8 § 7 Abs. 2 BörsG bestimmt, daß im Wiederholungsfall „die Zulassung oder Wiederzulassung mindestens für die Dauer eines Jahres verweigert werden" muß. 3 9 Gemeint ist das Zuständigkeitsgesetz.
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schehen, in welchen die Regierungen geeignete Bestimmungen oktroyieren können. Diesen Börsenordnungen unterstehen zunächst nur die als Börsen konzessionierten Veranstaltungen. Dagegen ist es problematisch, durch welche Mittel ein sich etwa bildender, fak5 tisch die Funktion der Börse nachahmender privater Verein genötigt werden kann, sich als Börse mit den Konsequenzen der Anwendbarkeit der Art. 1, 2, 4, 5, 7 behandeln, also sich eine Börsenordnung geben und dadurch z. B. in der freien Verfügung über die Zulassung beschränken zu lassen. Aus dem Gesetz scheint sich als 10 einziges Mittel die „Schließung" (§ 1) renitenter Vereine zu ergeben. Welche Einzelmaßregeln aber außer der einfachen Nichtanerkennung der Vereine als Börsen im Sinne des Börsengesetzes bezw. - soweit sie als solche bereits behandelt worden waren, | - der Ent- A 2261 Ziehung dieser Anerkennung (womit bei Fondsbörsen z. B. die Un15 zulässigkeit des Selbsteintritts gegeben wäre), diese „Schließung" nach sich ziehen soll, ist nicht festgestellt, ebenso sind den Einzelregierungen keine Zwangsmittel an die Hand gegeben, welche die Vereinsgesetze und sonstigen landesgesetzlichen Zuständigkeitsnormen nicht schon in sich enthielten3). 3) Es ist deshalb keineswegs selbstverständlich, daß der Polizeipräsident von Berlin be- A 226 I fugt war, einem Verein, der in einem privaten gemieteten Lokale „börsenartige" Versammlungen abhielt, dies unter Androhung „unmittelbaren Zwanges" durch eine dem Verein und dem Vermieter des Lokals (des Feenpalastes) zugestellte Verfügung zu untersagen. 4 0 |
4 0 Max Weber nimmt Bezug auf den Streik der Berliner Produktenbörse, der auf einstimmigen Beschluß der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse mit Inkrafttreten des Börsengesetzes am I.Januar 1897 begann. Die Freie Vereinigung löste sich am 18. Januar 1897 auf und konstituierte sich neu als Verein Berliner Getreide- und Produktenhändler. Die Vereinsmitglieder trafen sich nun täglich in dem der Börse gegenüberliegenden Vergnügungslokal „Feenpalast", um Geschäfte in Getreide, Mehl, Öl, Petroleum und Sprit abzuschließen. Anlaß für den Streik waren einige Bestimmungen der Berliner Börsenordnung vom 23. Dezember 1896, vor allem aber die, daß Vertreter der Landwirtschaft und Müllerei in den Börsenvorstand durch den Landwirtschafts- und Handelsminister delegiert werden und bei der amtlichen Feststellung der Preise mitwirken sollten. Am 11. Mai 1897 hatte der Oberpräsident der Provinz Brandenburg den Verein aufgefordert, binnen drei Wochen eine Börsenordnung zur Genehmigung einzureichen, da es sich bei den Versammlungen um eine genehmigungspflichtige Börse handle. Der Verein kam dem nicht nach. Am 11. Juni 1897 erging dann die Verfügung des Berliner Polizeipräsidenten an den Vereinsvorstand, aus der Max Weber zitiert. Der Streit wurde schließlich von den Gerichten entschieden. Die Verfügung des Polizeipräsidenten vom 11. Juni 1897, in: BBC, Nr. 269 vom 12. Juni 1897, Mo.BI., S. 1. Zum Börsenstreik vgl. auch den Editorischen Bericht, oben, S. 781-787.
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Daraus ergiebt sich aber, 2) daß das Gesetz überhaupt in Bezug auf sein Anwendungsgebiet den mannigfachsten Zweifeln Raum läßt. Es hat den Begriff „Börse" nicht interpretiert, will aber zweifellos alle „Börsen", gleichviel welches die rechtliche Form ist, in der dieselben ins Leben treten, sich unterwerfen. Unrichtig wäre es also, anzunehmen, daß eine Börse in Gestalt eines privaten Vereins schon dieser ihrer Rechtsform wegen befugt sein solle, sich den Bestimmungen des Gesetzes zu entziehen, dies um so mehr, als Börsen auf dieser Grundlage in Deutschland, wie bemerkt, 41 bei Erlaß des Gesetzes bestanden, schon damals als Börsen galten, und auch z. B. in Bezug auf die Anstellung vereidigter Makler behandelt wurden, und kein Zweifel daran besteht, daß das Gesetz sie mit betroffen hat. Für die Frage, ob regelmäßig stattfindende Versammlungen zum Abschluß von Geschäften begrifflich „Börsen" sind, kommt es auf keinerlei formales Merkmal, sondern lediglich darauf an, ob sie ökonomisch die Funktion von Börsen versehen. 42 - Die Bestimmungen des Börsengesetzes aber sind sämtlich dem preußischen Zustand der Börsenorganisation angepaßt und lassen es fraglich, ob ein privater geschlossener Händlerverband rechtlich als eine öffentliche Veranstaltung, als welche das Gesetz die Börsen voraussetzt, behandelt werden kann. Denn es muß fraglich erscheinen, ob den Aufsichtsbehörden die rechtliche Möglichkeit, das Hausrecht eines solchen
41 Oben, S. 798f. 4 2 Max Weber stimmt hier mit der Auslegung des § 1 BörsG von Wermuth/Brendel, Börsengesetz, S. 24f., überein. Die Frage, ob zur Definition der Börse formale, also juristische, oder aber ausschließlich wirtschaftliche Merkmale ausschlaggebend sind, wurde von namhaften Juristen wie Hugo Alexander-Katz, Julius Baron, Gustav Cohn, Gustav Ruhland und Heinrich Wiener diskutiert. Im Gegensatz zu den letztgenannten vertrat Alexander-Katz, Syndikus des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler, die Ansicht, nicht die wirtschaftlichen Kriterien seien maßgebend, sondern die juristischen, weil sich die rechtliche und richterliche Handhabung nur mit diesen befassen könne, nicht aber mit den Zwecken, die die freien Vereinigungen verfolgen. Alexander-Katz, Hugo, Der Begriff „Börse" und die freien Vereinigungen. - Berlin: Paul Hüttig 1897, S.4; Baron, Julius, Börse und freie kaufmännische Vereinigung, in: Kölnische Zeitung, Nr. 27 vom 11. Jan. 1897, Ab.BI., S. 1; ders., Vom Berliner Getreidehandel, ebd., Nr. 72 vom 25. Jan. 1897, Ab.BI., S. 2; Cohn, Gustav, Der Begriff der Börse und die Zulässigkeit freier kaufmännischer Vereinigungen, in: Deutsche Juristen-Zeitung, II. Jg., Nr. 4 vom 15. Febr. 1897, S. 73-76; Ruhland, Gustav, Der Begriff „Börse" und die Aufhebung des börsenmäßigen Getreide-Terminhandels, ebd., Nr. 6 vom 15. März 1897, S. 121 f.; Wiener, Heinrich, Begriff der Börse, ebd., Nr. 8 vom 15. April 1897, S. 149-154.
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Privatvereins in seinen Lokalitäten zu brechen, z. B. gegenüber der preußischen Verfassung,43 zusteht3).1 Nur für die Fondsbörsen ist durch die Strafandrohung gegen Verbreitung von „Kurslisten", welche Wertpapiere enthalten, für wel5 che eine Zulassung nicht - d. h. nicht bei den amtlich organisierten Zulassungsstellen - nachgesucht wird, ein Hemmnis der Entfaltung freier Börsenvereine im | Gesetze enthalten (§ 77). Für die Produk- A 226 r tenbörsen käme nur das Verbot der Terminhandelsnotizen (§ 51 mit § 77) in Betracht, dessen Tragweite (s. u.)44 problematisch ist. 10 Das Gesetz bedürfte jedenfalls der Ergänzung durch Ausführungsgesetze der Einzelstaaten, um überhaupt eine sichere Gewähr seiner Durchführung zu haben. Solche Gesetze sind bisher nicht erlassen worden. Die thatsächlichen Verhältnisse der „Börsenorganisation", wie sie 15 durch die mit Zustimmung der Regierungen erlassenen oder von diesen oktroyierten Börsenordnungen geschaffen sind, schließen große Verschiedenheiten in sich. Am weitesten geht die Reglementierung der Börsen, wie zu erwarten war, in Preußen. Hier sind regelmäßig nebeneinander Bör20 senordnungen und besondere Maklerordnungen erlassen worden. Die Börsenordnung für Berlin vom 23. XII. 189645 beläßt die Aufsicht über die Börse den „Ältesten der m Kaufmannschaft" und"7 legt die Börsenleitung in die Hand eines Vorstandes von 32 Mitgliedern, wovon 24 von der Korporation der Kaufmannschaft und 25 zwar 15 von den am Fondsverkehr, 9 von den am Produktenverkehr Teilnehmenden, und 8 von den Ältesten je aus ihrer Mitte zu wählen sind; der Vorstand zerfällt in eine Abteilung für die Fondsbörse und eine für die Produktenbörse, welche aus den zu den betr. Handelszweigen gehörigen Delegierten bestehen, zu welchen in 30 dem Produktenbörsenvorstand nach einer gegen den Protest der Börse vom Handelsminister oktroyierten Bestimmung für AngeleI Max Weber verweist zweimal auf die Fußnote 3, vgl. oben, S.803. schaft", und
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4 3 Gemeint ist Art. 29 der preußischen Verfassung. Der Artikel garantiert allen preußischen Staatsbürgern das Recht, sich ohne behördliche Erlaubnis in geschlossenen Räumen zu versammeln. 44 Unten, S. 856f. 45 Berliner Börsenordnung.
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genheiten des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten 5 Vertreter der Landwirtschaft und 2 Vertreter der Müllerei oder anderer Nebengewerbe, die ersteren vom Landwirtschaftsminister, die letzteren vom Handelsminister ernannt, treten sollten. Jeder der beiden Vorstände wählt seinen Vorsitzenden aus der Zahl der von den Ältesten Delegierten. Die Ältesten der Kaufmannschaft besetzen auf jedesmal 3 Jahre die aus 22 Personen bestehende Zulassungsstelle und das aus 5 Mitgliedern aus der Mitte der Ältesten bestehende Ehrengericht. Jeder der beiden Börsenvorstände bestellt jährlich eine zugleich als Untersuchungskommission in Disziplinarsachen fungierende Kommission zur Vorprüfung der Gesuche um Zulassung zum Börsenbesuch und deputiert ein oder mehrere Mitglieder zur amtlichen Kursfeststellung für Effekten bezw. landwirtschaftliche Produkte;46 zur Kursfeststellung für landwirtschaftliche Produkte sind nach der oktroyierten Bestimmung des § 9 Abs. 2 mindestens 2 dern von den oben gedachten Ministerien delegierten Vertreter mit Stimmrecht zuzuziehen. Neben den Börsenvorständen steht die von den Kursmaklern aus ihrer Mitte zu | A 2271 wählende aus 11 Personen bestehende Maklerkammer (Maklerordnung für Berlin vom 8. XII. 1891 § 2), eine Neuschöpfung des Ministeriums.47 Alle diese Instanzen unterliegen der Kontrolle durch die zur Teilnahme an den Sitzungen und an der Preisfeststellung befugten Staatskommissare, deren 2, ein bisheriger Oberverwaltungsgerichtsrat und ein Regierungsassessor, ernannt wurden. 48 Die Börsenvorstände haben selbständig über Zulassung und Aus-
n In A folgt: der 46 Nach § 10 der Berliner Börsenordnung bestellte der Börsenvorstand in seiner Gesamtheit aus seiner Mitte die Mitglieder der „Kommission zur Vorprüfung der Gesuche um Zulassung zum Börsenbesuch". Dagegen sollte die amtliche Kursfeststellung „namens des Börsenvorstands durch ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der betreffenden Abteilung" ( § 9 ebd.) erfolgen. 47 Gemeint ist hier die Berliner Maklerordnung vom 4. Dezember 1896, publiziert am 8. Dezember 1 8 9 6 - nicht 1891. Die Maklerkammer ist keine Neuschöpfung eines preußischen Ministeriums, sondern wurde auf Verlangen der IX. Kommission des Reichstags in das Börsengesetz aufgenommen ( § 3 0 BörsG). Die Errichtung einer Maklerkammer mußte demnach in allen Maklerordnungen vorgeschrieben werden. 48 Zum ersten Staatskommissar für die Berliner Börse wurde Oberverwaltungsgerichtsrat Theodor Hemptenmacher, zum zweiten Regierungsassessor Böttger bestellt. Reichsanzeiger, Nr. 309 vom 30. Dez. 1896, S. 3.
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Schluß vom Börsenbesuch, über Disziplinarmaßregeln gegen Störenfriede und Renitente (nach § 15),49 als welche Ausschließung bis zu einem Jahr oder Geldstrafe von 50-1500 M. zu Gebote stehen, zu entscheiden, ferner die Überwachung der durch die Maklerkammer vorzunehmenden Geschäftsverteilung und die schiedsrichterlichen Funktionen der bisherigen „Sachverständigen-Kommission der Fondsbörse"0 und der „ständigen Deputation der Produktenbörse" zu übernehmen, sie erlassen mit Zustimmung der Ältesten die Bestimmungen über die äußere Regelung des Geschäftsverkehrs. Zum Einschreiten gegen Ordnungsstörungen ist jedes der gewählten Mitglieder kompetent. - Die Maklerkammer 50 hat neben der Begutachtung der Anstellung und Entlassung der Kursmakler die Geschäftsverteilung vorbehaltlich des Rekurses an die Ältesten zu besorgen, die Aufsicht über die Kursmakler zusammen mit dem Staatskommissar zu führen und Disziplinarstrafen bei Pflichtverletzung zu verhängen, sowie Streitigkeiten zwischen den Maklern und auf Antrag eines Auftraggebers zwischen diesem und dem Makler zu schlichten. Die Regelung des Geschäftsverkehrs der Makler steht den Ältesten zu,51 auch unterstehen sie der Börsenleitung und dem Ehrengericht. Für ihre amtliche Thätigkeit kann die Maklerkammer Regeln feststellen. Die Zulassung zum Börsenbesuch (§ 13ff.)52 darf den der Berliner Korporation der Kaufmannschaft Angehörigen, den registrierten Kaufleuten bezw. Handelsgesellschaftsvorständen in Berlin und dessen Vororten und den von diesen mit Geschäften an der Börse beauftragten Handelsgehilfen nicht versagt werden, soweit nicht die gesetzlichen Ausschlußgründe im Wege stehen; anderwärts domizilierten Kaufleuten, Hilfsgewerbetreibenden und Preßvertretern kann der Zutritt unter der Bedingung, keine Geschäfte o A: Fondsbörsen" 49 Max Weber referiert hier und zitiert im folgenden aus den §§6 (Zulassung und Ausschluß) und 19 (Disziplinarbefugnisse) - nicht § 15 - der Berliner Börsenordnung. 50 Im folgenden referiert Max Weber aus der Berliner Maklerordnung. 51 Max Weber benennt hier einen Widerspruch zwischen Reichs- und Landesgesetz. Nach §30 Abs. 2 BörsG steht die Regelung des Geschäftsverkehrs unter den Maklern den Ältesten der Kaufmannschaft zu. In der Berliner Maklerordnung wurde jedoch bestimmt, wie Max Weber zuvor ausführt, daß die Maklerkammer die Geschäftsverteilung unter den Kursmaklern vorzunehmen hat (§9 b ebd.). 52 Max Weber referiert im folgenden aus den §§13-17 der Berliner Börsenordnung.
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zu schließen, gewährt und nach Ermessen entzogen werden. Die Zulassung erfolgt auf Antrag, der durch drei protokollarisch über die Würdigkeit zu vernehmende und 3 Jahre lang für leichtfertige Empfehlung in bestimmter Form disciplinar haftbare Gewährsmänner (§§ 16, 17)53 zu unterstützen ist, durch Ausstellung einer 5 Eintrittskarte. A 227 r In Frankfurt ist der Verkehr an der | bis dahin selbständig als freier Verein bestehenden „Effekten-Sozietät" nunmehr gleichfalls als „Abendbörse" der börsenmäßigen Regelung unterstellt worden,54 ohne daß dies übrigens die Auflösung des Vereins zur Folge 10 gehabt hätte. Nach der Frankfurter (Fonds-)Börsenordnung hat die Handelskammer als Aufsichtsbehörde jährlich einen Börsenvorstand von 5 - 9 Personen zu bestellen. Neben dem Vorstand steht die, wie in Berlin, gewählte und mit ähnlichen Befugnissen ausgestattete 15 Maklerkammer, das von der Handelskammer gewählte Ehrengericht von 5 Personen und die ebenso mit 6 Personen besetzte Zulassungsstelle. Jedes Mitglied ist zum Einschreiten gegen Ordnungsstörer, der Vorstand zur Verhängung zeitweiligen Ausschlusses und von Geldstrafen bis 500 M. befugt. 20 Die Zulassung zum Börsenbesuch, welcher (§ 3) außer den gesetzlich Ausgeschlossenen ferner insbesondere verurteilten Eigentumsverbrechern, Meineidigen, sowie Personen, welche ihre fälligen Börsenverbindlichkeiten nicht erfüllen, mit dem Börsenbeitrag rückständig bleiben oder sich der Entscheidung des Börsen vor- 25 standes über die Usancen nicht unterwerfen, versagt ist, erfolgt, vorbehaltlich der Beschwerde bei der Handelskammer, nach Ermessen des Börsenvorstandes auf den unter Angabe zweier Referenzen schriftlich zu stellenden Antrag an Frankfurter und Auswärtige, ohne daß die Börsenordnung (§ 2) besondere Qualitäten (z. B. 30 die Kaufmannsqualität) vorschriebe. 5 3 §17 der Berliner Börsenordnung bestimmt, falls ein Börsenbesucher innerhalb der ersten drei Jahre nach Zulassung zum Börsenbesuch von demselben ausgeschlossen würde, daß vom Börsenvorstand geprüft werden müsse, ob den Gewährsmännern Tatsachen bekannt gewesen waren, die eine Empfehlung zur Aufnahme des Antragstellers ausgeschlossen hätten. In diesem Fall konnte dem Betreffenden zeitweise oder dauernd das Recht, als Gewährsmann zu fungieren, aberkannt werden. 5 4 Max Weber referiert und zitiert aus § 6 der Frankfurter Börsenordnung vom 16. Dezember 1896.
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Die Börsenordnungen der kleinen Plätze bieten Bemerkenswertes nicht. Für alle außer Berlin und Frankfurt ist von der Bestellung von besonderen Staatskommissaren abgesehen worden, dies Amt wird vielmehr nebenamtlich versehen. 55 In die Produktenbörsen sind überall Landwirte delegiert worden. Die Börsenordnungen der übrigen Staaten weichen in der Behandlung stark ab. Einige seien hervorgehoben. Die Hamburger Börsenordnung vom 23. XII. 1896 hat in geschickter Weise den bisher bestehenden Zustand in die äußere Form, die das Börsengesetz verlangt, gekleidet. Die allgemeine Börse ist (§ 10) nach wie vor allen nicht nach dem Börsengesetz ausgeschlossenen „anständigen männlichen Personen" zugänglich, während der Sperrfrist in der Hauptgeschäftszeit (1 Uhr 30 Minuten bis 2 Uhr 15 Minuten) gegen ein niedriges „Sperrgeld". 56 Zugelassen ist das Stattfinden eines Börsenverkehrs in Räumlichkeiten, die von Vereinen gemietet oder sonst beschafft sind, unter Beschränkung des Zutritts auf die Mitglieder (§ 10). Ob die Mitgliedschaft Qualifizierten versagt werden darf, ist nicht bestimmt, aber wohl zu verneinen. Von den bereits bestehenden Händlervereinen sind der Spiritus-, | Kaffee-, Zucker- und Baumwollhandel in die A 2281 Organisation der Börse als Spezialbörsen derart einbezogen, daß die Börsenordnung auf den Verkehr im Hauptbörsengebäude sowohl als in den besonderen Räumlichkeiten dieser Vereine - die drei letztgenannten haben solche - Anwendung findet (§ 1), die Aufsicht über die Börse der Handelskammer verbleibt, diese den Börsenvorstand von 41 Personen ernennt, welcher in Abteilungen zerfällt, und zwar derart, daß 5 Mitglieder der Handelskammer als „Börsenkommission" die „Allgemeine Abteilung", 57 und aus dem 55 Anfang Januar 1897 stand fest, daß der Dienst der Staatskommissare an den preußischen Börsen nebenamtlich wahrgenommen würde, ausgenommen in Berlin und Frankfurt am Main. Für Berlin waren zwei Staatskommissare, für Frankfurt am Main ein Staatskommissar vorgesehen. Aber nur die des ersten Berliner Staatskommissars wurde als etatmäßige Stelle eingerichtet. Die beiden anderen Stellen sollten zunächst auftragsweise gegen Vergütung versehen werden, da für diese Stellen „das Bedürfnis möglicherweise kein dauerndes" sein würde. NAZ, Nr. 14 vom 9. Jan. 1897, Ab.BI., S. 1. Schließlich versahen alle preußischen Staatskommissare außer dem ersten in Berlin ihr Amt nur nebenamtlich. 56 Max Weber zitiert aus § 10 resp. § 9 der Hamburger Börsenordnung vom 23. Dezember 1896. 5 7 Zitate aus § 4 ebd.
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Gebiete der betreffenden Branchen in verschiedener Zahl von der Handelskammer ausgewählte Personen die Vorstände der Wertpapier-, Spiritus-, Kaffee-, Zucker- und Baumwollbörse bilden. Die Hausordnung handhabt im allgemeinen Börsengebäude die Börsenkommission, in den Spezialbörsen der betreffende Vorstand, mit Geldstrafbefugnis bis 600 M. und Ausschlußrecht auf 3 Monate. Das Ehrengericht besteht aus 5 Mitgliedern der Handelskammer, die Zulassungsstelle soll normalerweise identisch sein mit den aus dem Kreise der Effektenhändler in den Vorstand der Wertpapierbörse delegierten 9 Personen, welche als „Sachverständigen-Kommission für den Effektenhandel" 58 fungieren. Die Leitung der Kursnotizen liegt für Wertpapiere in der Hand eines Mitgliedes dieses Vorstandes, für Produkten ist sie den Spezialvorständen überlassen. Die Beschränkung des Staatskommissars - als welcher vorerst der Sekretär der Senatsdeputation für Schiffahrt und Handel fungiert - auf die Mitwirkung im Ehrengericht hat der Bundesrat abgelehnt. 59 Die Feststellung von Geschäftsbedingungen durch die Börsenaufsichtsbehörde oder den Börsenvorstand der Gesamtbörse ist nicht vorgesehen, ist also wie bisher den Interessenten überlassen. Die Münchener Börsenordnung unterstellt die als Institution des „Münchener Handelsvereins" dort bestehende Fondsbörse der Aufsicht der Handelsabteilung der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern, welche auch das Ehrengericht von 5 Personen besetzt (§§ 2, 3), während die Börsenleitung durch einen vom Vorstand des gedachten Vereins jährlich gewählten Vorstand von 10 Personen geschieht, von welchen je 2 im Wochenturnus amtieren, die Kursfeststellung leiten und die Hausordnung aufrecht erhalten. Der Börsenvorstand selbst (§ 8) 60 regelt die Geschäftsform,
58 Zitat aus §§5 und 24 ebd. 59 Mit der „einstweiligen Wahrnehmung der Geschäfte eines Staatskommissars" wurde Gustav Jacob Kirchenpauer, erster Sekretär der Deputation für Handel und Schiffahrt, vom Hamburger Senat beauftragt. BBC, Nr. 612 vom 31. Dez. 1896, Mo.BI., S. 1. Preußen hatte sich im Bundesrat mit aller Entschiedenheit für die Gleichstellung Hamburgs mit den großen preußischen Börsen in Berlin und Frankfurt am Main eingesetzt und die Stimmen der Kleinstaaten für seinen Antrag gewonnen. BBC, Nr. 592 vom 17. Dez. 1896, Mo.BI., 1. Beilage, S. 4. 60 Max Weber referiert im folgenden auch aus den §§9, 10, 15 und 17 der Münchener Börsenordnung.
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entscheidet endgültig über die Lieferbarkeit von Effekten und schreitet gegen die gesetzlich vom Besuch Ausgeschlossenen, ferner gegen Störer des Börsenfriedens, Renitente und Personen, welche die Lieferbarkeitsentscheidung nicht respektieren oder dem Urteil des Börsenschiedsgerichts nicht Folge leisten, durch Ausschließung, an deren Stelle bei | bloßen Ordnungsvergehen Geld- A 228 r strafe bis 1000 M. tritt, ein. Ein Recht auf die Zulassung zum Börsenbesuch haben (§§ 13, 14)61 außer den amtlichen Funktionären nur die Vera'nsmitglieder, andere Personen, auch Vertreter der Presse, können ohne Angabe von Gründen abgewiesen oder nicht wieder zugelassen werden und erhalten, soweit sie zugelassen sind, die Erlaubnis zum Besuch gegen Lösung von Wochen- oder Monatskarten bei Einführung durch Mitglieder, welche dadurch die (moralische) Verantwortung für ihre Unbescholtenheit übernehmen, die Vertreter der Presse ohne besondere Einführung und unentgeltlich. In Baden ist in Mannheim eine Trennung der Effekten- von der Produktenbörse durch die Interessenten durchgeführt worden.62 Die Beschränkung des Staatskommissars auf das Ehrengericht ist für die Produktenbörse abgelehnt worden.63 Zu diesen großen Divergenzen der offiziellen Rechtslage kommt, daß die thatsächliche Gestaltung der Börsen ihr zur Zeit, soweit die Produktenbörsen in Betracht kommen (Februar 1897), nicht entspricht. Die von dem preußischen Ministerium oktroyierten Bestimmungen der Börsenordnungen, namentlich die Delega-
61 Max Weber referiert im folgenden aus den § § 1 2 - 1 4 der Münchener Börsenordnung. 6 2 In Mannhelm waren die Frucht- und Effektenbörse von jeher getrennt gewesen. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 42. 6 3 Obwohl der Bundesrat den Antrag Badens, den Staatskommissar in seiner Tätigkeit wie bei der Fondsbörse auf das Ehrengericht zu beschränken, abschlägig beschieden hatte, und die badische Regierung den Mitgliedern der Produktenbörse am 17. Januar 1897 erneut erklärte, beim Bundesrat eine Änderung der Bestimmung nicht durchsetzen zu können, bestanden die Mitglieder auf einer Änderung der Bestimmung. Denn mit Inkrafttreten des Terminhandelsverbots in Getreide seien an der Mannheimer Produktenbörse kaum noch Umsätze in Getreide erzielt worden. Somit sei eine „überwachende Thätigkeit" des Staatskommissars überflüssig. Die Aufforderung zur Änderung der Börsenordnung wurde am 22. Januar 1897 mit dem Hinweis auf die sonst notwendige Auflösung der Produktenbörsewiederholt. FZ, Nr. 13 vom 13. Jan. 1897, Ab.BI., S.3; FZ, Nr. 15 vom 15. Jan. 1897, 1. Mo.BI., S.3; FZ, N r . 1 8 v o m 18. Jan. 1897, Mo.BI., S.1; FZ, Nr. 23 vom 23. Jan. 1897, Ab.BI., S.2.
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tion landwirtschaftlicher Vertreter in die Börsenvorstände und gewisse Vorschriften über die Art der Getreidekursnotiz (s. u.)64 gaben den äußeren Anlaß zu einem akuten Konflikt zwischen der Regierung und den Produktenbörsen, dessen tieferer Grund in dem Eindruck der Börsen lag, daß das unsicher und unorientiert hin- und herschwankende Handelsministerium definitiv nach der Seite des Nachgebens gegenüber den in höchst beleidigender Form und Motivierung vorgetragenen agrarischen Wünschen abschwenkte, für die Berliner Börse speziell verbunden mit dem Umstand, daß die Beseitigung des Getreidetermingeschäfts den im Effektivgeschäft keineswegs beherrschenden Platz ohnedies seiner Vormacht im Getreidehandel berauben mußte.65 Offiziell wurde die Einschiebung von nicht der Börse als Mitglieder angehörigen Personen und das in der Kontrolle der Preisnotizen liegende Mißtrauen zum Anlaß des Beschlusses genommen, den zuerst die Hallenser Produktenhändler faßten und welchem sich diep „Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse" und die Börse in Stettin daraufhin anschlössen, die bisherigen offiziellen Börsen nicht mehr zu besuchen, sondern auf dem Boden des Vereinsrechts in gemieteten Lokalitäten ständige Versammlungen zum Zwecke des Geschäftsverkehrs in Produkten einzurichten.66 Die in den westlichen Provinzen und in Braunschweig bestehenden Getreidebörsen lö-
p In A folgt: Berliner 64 Unten, S.825. 65 Zum Bedeutungsrückgang der Berliner Getreidebörse vgl. auch unten, S. 864-866, zur schwankenden Haltung des Handelsministers und den Wünschen der Agrarier vgl. die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 785-787. 66 Die Börsenmitglieder in Halle hatten am 17. Dezember 1896 wegen der Forderungen des Handelsministers die Auflösung der Börse beschlossen. BBC, Nr. 593 vom 18. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1. Die Mitglieder der Berliner und der Stettiner Getreidebörse beschlossen am 30. Dezember 1896, der Börse vom I.Januar 1897 an fernzubleiben. In Stettin konstituierte sich die Freie Vereinigung für den Getreide- und Produktenhandel. Sie löste sich jedoch bald wieder auf. BBC, Nr. 611 vom 30. Dez. 1896, Ab.BI., S. 1; BBC, Nr. 612 vom 31. Dez. 1896, Mo.BI., S. 1 und 3. Beilage, S. 1; Sten.Ber.pr.AH, 16. März 1897, 2. Band, S. 1616-1619. In Halle wurde der Verein für Getreide-und Produktenhändler gegründet. Dieser reichte bald danach seine Satzung samt Mitgliederverzeichnis bei der Polizeibehörde zur Genehmigung ein. BBC, Nr. 613 vom 31. Dez. 1896, Ab.BI., S. 3; BBC, Nr. 12 vom 8. Jan. 1897, Ab.BI., S. 3f.; Zur Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse vgl. den Editorischen Bericht oben, S. 781 -787.
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sten sich sämtlich auf,67 ebenso die Posener und Gleiwitzer,68 und es blieben im Osten nur | die Breslauer Produktenbörse, bei wel- A 2291 eher dem Vernehmen nach der hineinoktroyierte Landwirt Mitglied der Börse geworden war,69 und die Produktenbörsen in Dan5 zig und Königsberg, für welche der Erlaß einer Börsenordnung, so viel bekannt, bis jetzt (Februar 1897) überhaupt noch nicht erfolgt ist,70 bestehen4). In Mannheim scheint die Auflösung der Getreide-
4 > In Königsberg ist inzwischen eine Verständigung erfolgt. In den Börsenvorstand de- A 229 I legieren die Landwirtschaftskammer die Landwirte, das Handelsministerium einen Müller; dieselben müssen ehrenamtlich fungieren und haben Sitz und Stimme in Angelegen-
67 Die Interessenten der Kölner Getreidebörse beschlossen am 22. Dezember 1896, die Getreidebörse mit Inkrafttreten des Börsengesetzes nicht mehr zu besuchen. BBC, Nr. 602 vom 23. Dez. 1896, Ab.BI., S. 3. In Braunschweig löste sich die Getreidebörse am 30. Dezember 1896 auf. An ihre Stelle trat eine Freie Vereinigung für Getreide- und Produktenhandel. BBC, Nr. 611 vom 30. Dez. 1896, Ab.BI., S. 1. 68 In Posen beantragte die kaufmännische Vereinigung am 31. Dezember 1896 die Auflösung der Getreidebörse. Am 8. Januar 1897 wurde der Beschluß gefaßt, den Marktverkehr unter Geltung des Börsengesetzes nicht fortzuführen. Hingegen sollte die Gründung einer Freien Vereinigung der Getreide- und Saatenhändler sowie der Müller vorbereitet werden. Kreuzzeitung, Nr.612 vom 31.Dez. 1896, Ab.BI., S.3; ebd., Nr.4 vom 4.Jan. 1897, Ab.BI., S.3; BBC, Nr. 12 vom 8. Jan. 1897, S. 1. Der Auflösungsbeschluß der oberschlesischen Getreidebörse in Gleiwitz Anfang Januar 1897 und die Gründung einer freien Vereinigung erfolgten aus Solidarität mit Berlin. Die vom Handelsminister geforderten Änderungen für die Börsenordnung hatte die Gleiwitzer Börse im Dezember 1897 zunächst angenommen. FZ, Nr.7. vom 7. Jan. 1897, 2. Mo.BI., S.1; FZ, Nr.45 vom 14.Febr. 1897, 1. Mo.BI., S.1. 69 Max Webers Quelle ist nicht nachweisbar. An der Breslauer Produktenbörse sollte laut § 1 Abs. 2 der Breslauer Börsenordnung vom 12. Dezember 1896 „bis auf Weiteres" allein Spiritus börsenmäßig gehandelt werden. Dafür wurde die Entsendung eines Vertreters der landwirtschaftlichen Spiritusbrennerei durch die schlesische Landwirtschaftskammer in den Börsenvorstand vorgeschrieben. Börsen-Ordnung für Breslau vom 12. Dezember 1896, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Breslau für das Jahr 1897, 88. Band, 1897, S. 1 - 4 . 70 Die Danziger Börsenordnung war zwar schon am 14. Dezember 1896 erlassen, aber noch nicht publiziert worden, wie die Kreuzzeitung bemängelte. Kreuzzeitung, Nr. 5 vom 5.Jan. 1897, Mo.BI., S.3. Eine amtliche Veröffentlichung erfolgte erst 1898, nachdem noch bis Oktober 1897 mit dem Handelsminister nachverhandelt worden war. BBC, Nr.496 vom 22.Okt. 1897, Ab.BI., S.3; Börsen-Ordnung für die Danziger Börse vom 14. Dezember 1896, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Danzig, Jg. 1897, 1898, S. 1 - 3 .
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börse gleichfalls bevorzustehen5). Die Wahlen von Vorständen der betreffenden Börsenabteilungen unterblieben und das Produktengeschäft hörte an der offiziellen Börse in Getreide völlig, in Produkten im übrigen fast völlig auf. Die ausgetretenen Händler konstituierten sich in Berlin, Halle, Stettin - über die übrigen Plätze 5 lagen sichere Nachrichten mir nicht vor - als „Freie Vereinigungen der Produktenhändler",71 welche über die Aufnahme von Mitgliedern autonom entschieden, vermieden den Namen „Börse", unterdrückten jede organisierte Kursnotiz und glaubten^ so der Subheiten des Handels in landwirtschaftlichen Produkten (§ 3 der Börsenordnung). 72 In Magdeburg ist die Produktenbörse nach scheinbarer Verständigung schließlich dennoch auseinandergegangen (Juli 1897). 73 5) Die Börse besteht weiter. Eine Oktroyierung Außenstehender ist nicht erfolgt, Vertreter der Müllerei und Landwirtschaft gehörten dem Vorstande ohnehin an. 74 |
71 Die Vereine wurden unabhängig von ihrem eigentlichen Namen fortan als „Freie Vereinigungen der Produktenhändler" bezeichnet; vgl. oben, S. 812f., Anm.66 und 68. 72 Max Weber referiert aus der Königsberger Börsenordnung vom 19. Mai 1897, die am 1. Juni 1897 in Kraft trat. Die Königsberger Kaufmannschaft hatte gefordert, daß sämtliche Mitglieder des Börsenvorstandes „dem Berufe, welchen sie vertreten, angehören und ihre Funktionen ehrenamtlich ausüben" müssen. Obwohl der Landwirtschaftsminister die Landwirtschaftskammer angewiesen hatte, der Bedingung nachzukommen, entsandte die Landwirtschaftskammer ihren Generalsekretär, der kein ausübender Landwirt war, in den Börsenvorstand. Weil der Generalsekretär nicht bereit war, auf das Amt zu verzichten, sah sich schließlich der preußische Handelsminister gezwungen, die Börsenordnung im Sinne der Königsberger Kaufmannschaft zu ändern. FZ, Nr. 1. vom 1. Jan. 1897, 1. Mo.BI., S. 3; Sten.Ber.pr.HH, 26. Mai 1897, I.Band, S. 358-363. 73 Auf Anregung dreier Vorstandsmitglleder des Magdeburger Vereins für Landwirtschaft und landwirtschaftliches Maschinenwesen war am 28. Mal 1897 mit dem Magdeburger Verein für Getreidehandel die Vereinbarung erzielt worden, die Preisnotierungen an der Produktenbörse ohne Beteiligung von Landwirten wiederaufzunehmen. Als sich im Juni 1897 eines dieser drei Vorstandsmitglieder ganz anders über die Verhandlungen äußerte, deutete der Verein für Getreidehandel die Vereinbarungen als private, ohne offizielle Rückendeckung der provinzialen Landwirtschaftskammer erfolgte Initiative der drei Vorstandsmitglieder. Die Notierungen wurden daraufhin wieder eingestellt. BBC, Nr. 284 vom 21. Juni 1897, Ab.BI., S. 1. 74 Die Generalversammlung der Mannheimer Getreidebörse hatte Mitte Februar 1897 mit 41 gegen 38 Stimmen die Auflösung der Börse beschlossen. Weil unklar war, ob für einen solchen Beschluß nicht eine Zweidrittelmehrheit erforderlich gewesen wäre, wurde die Handelskammer angerufen. Diese entschied am 23. Februar 1897, daß der Auflösungsbeschluß wegen der fehlenden Zweidrittelmehrheit unwirksam sei. FZ, Nr. 47 vom 16. Febr. 1897, 3. Mo.BI., S. 1 und Ab.BI., S. 2; FZ, Nr. 55 vom 24. Febr. 1897, Ab.BI., S.2. Dem Vorstand der Produktenbörse in Mannheim gehörten seit sechs Jahren bereits ein Müller und ein Landwirt an. Ihre Funktion versahen sie ehrenamtlich. Schreiben der Mannheimer Produktenhändler an den Verein Berliner Getreide- und Produktenhändler, In: BBC, Nr. 296 vom 28. Juni 1897, Ab.BI., S. 2.
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sumtion unter das Börsengesetz zu entgehen. Die Statuten des „Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler" verfügen (§ 3), daß „Mitglied jeder selbständige Geschäftsmann (auch Prokurist) oder Produzent" werden kann und über die Aufnahme und die (§ 4) auch wegen „unehrenhafter" Handlungen zulässige Ausschließung endgültig der Vorstand entscheidet. Der Vorstand von 21 auf 2 Jahre gewählten Mitgliedern beruft, jährlich oder auf Antrag von 30 Mitgliedern auch sonst, die Generalversammlung, setzt die jährlichen Beiträge der Mitglieder fest und führt die Verwaltung, wozu Kassenverwalter und Schriftführer dem Vorsitzenden an die Seite gestellt werden (§§ 7-13). 75 Abstimmungen und Wahlen erfolgen mit einfacher Mehrheit, alle sonstigen Bestimmungen sind vermieden. Als Zweck (§ 1) ist a) Wahrung der Ehre und des Ansehens der Mitglieder, b) Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen, besonders ihres Geschäftsverkehrs, bezeichnet und in § 2 „der gesetzlich verbotene Börsenterminhandel" aus der Vereinslokalitäten verbannt. Der Rückgang des Umsatzes an den so | geschaffenen Privatbör- A 229 r sen war gegenüber den bisherigen Umsätzen, namentlich der Berliner Produktenbörse, ein sehr bedeutender. 76 Ein Einschreiten des Ministers hat bisher (Februar 1897) nicht stattgefunden6), derselbe hat vielmehr im Landtage eventuelles Entgegenkommen zuge6) Zur Zeit (Juli 1897) schweben die Verhandlungen noch. 7 7 - Inzwischen hat aber die A 2 2 9 r Berliner „Freie Vereinigung", nachdem sie (Juni 1897) polizeilich als Börse zur Einreichung einer Börsenordnung aufgefordert und demnächst ihre Versammlungen verboten
7 5 Max Weber referiert hier die § § 6 - 1 3 der Statuten des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler. 7 6 Dies geht aus den Börsenberichten der Presse hervor. Nach anfänglich lebhafter Teilnahme am Getreidehandel im Feenpalast berichtete z. B. die Frankfurter Zeitung seit Mitte Januar 1897 über den Rückgang der Besucherzahlen, die geringe Geschäftsbeteiligung und die geringen Umsätze. „Drahtberichte von Produktenbörsen", in: FZ, ab Nr. 12 vom 12. Jan. 1897, Ab.BI., S.4. 7 7 Gemeint sind die unter der Leitung des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg geführten Verhandlungen zwischen den Delegierten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, des Vorstands des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler und der Landwirtschaft. Dabei beharrten die Beteiligten auf ihren Standpunkten. Die Landwirtschaft bestand weiterhin auf der Delegierung der landwirtschaftlichen Vertreter in den Börsenvorstand. Der Handelsstand forderte ihre Wahl analog zur Wahl der kaufmännischen Vertreter. Die Sitzung am 10. Juli 1897 verlief daher ergebnislos. BBC, Nr. 318 vom 10. Juli 1897, Ab.BI., S. 1.
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sagt.78 Inzwischen sind eine Fülle von Projekten agrarischer Interessenverbände zum Ersatz der verlorenen amtlich kontrollierten Kursnotiz aufgetaucht - in Stettin dasjenige einer Zentralverkaufsgenossenschaft,79 in Stolp (!) dasjenige einer von Großgrundbesit-
worden waren, bis zu der von ihr angerufenen Entscheidung des Bezirksausschusses und eventuell des Oberverwaltungsgerichts ihre Existenz eingestellt, so daß eine Produktenbörse in Berlin z. Zt., abgesehen von den organisationslos bestehenden Spritumsätzen, fehlt. 80 - Das definitive Schicksal der „Frühbörse" scheint noch nicht entschieden. Die Regierung beabsichtigt vorerst anscheinend, dieselbe als Mittelding zwischen Markt und Börse zugleich unbehelligt zu lassen, - eine Verlegenheitsauskunft, gegen welche namentlich agrarischerseits lebhaft protestiert wird.81
78 Der preußische Handelsminister Brefeld erklärte am 21. Januar 1897 im preußischen Abgeordnetenhaus, daß er, weil auf seifen der Landwirtschaft und der Kaufmannschaft Aussicht auf Verständigung vorhanden sei, ein polizeiliches Eingreifen, wie es die Agrarier gegen die Versammlungen im Feenpalast forderten, ablehne. Er sei jedoch nicht gewillt, Privatbörsen zuzulassen. Wenn sich durch die Ermittlungen der von ihm beauftragten Gutachter herausstelle, die Freie Vereinigung im Feenpalast sei eine Börse im Sinne des Gesetzes, so müßte diese eine Börsenordnung zur Genehmigung vorlegen. Sten.Ber.pr.AH, 21.Jan. 1897, I.Band, S.627-629. Vgl. auch unten, S.817, Anm. 84. 79 Auf einer am 22. Januar 1897 abgehaltenen Versammlung pommerscher Landwirte wurde beschlossen, eine „Getreideverkaufszentrale mit Sitz in Stettin" zu gründen. FZ, Nr. 23 vom 23. Jan. 1897, 2. Mo.BI., S.2; Kreuzzeitung, Nr. 38 vom 23. Jan. 1897, Ab.BI., S.3. 80 Zur Streitsache zwischen dem Vorstand des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhändler und dem Berliner Polizeipräsidenten vgl. den Editorischen Bericht oben, S.785787. Zum Spiritushandel an der Berliner Börse vgl. unten, S. 826 mit Anm. 33. 81 Max Weber nimmt hier Bezug auf die anläßlich der Interpellation der Konservativen Partei im preußischen Abgeordnetenhaus in der Sitzung am 25. Juni 1897 abgegebene Erklärung des Handelsministers Brefeld. Der Berliner Frühmarkt sei keine Börse im Sinne des Börsengesetzes. Dafür fehlten die folgenden Voraussetzungen: 1. „die zeitliche und örtliche Vereinigung einer Vielheit von Geschäften und Händlern", 2. „ein Maß von Gleichmäßigkeit" der dort abgeschlossenen Geschäfte, das durch Statuten, Reglements, Börsenordnungen, Observanzen und durch Übereinkunft bedingt würde, und 3. „die Rückwirkung auf die Preisbildung außerhalb der Versammlung, in der gehandelt wird, und in der die verschiedenen Preise zur Erscheinung kommen." Daher sei die Frühbörse als Privatmarkt anzusehen, der nicht der polizeilichen Kontrolle unterstellt werden könne. Angesichts der Schließung der Versammlungen im Feenpalast sei allerdings abzuwarten, wie sich der Charakter der Frühbörse entwickeln werde. Würden die Interessenten den Frühmarkt in einen offiziellen Markt oder in eine Börse umwandeln wollen, so sei er dazu gern behilflich. Von der Definition des Ministers unbeeindruckt und gegen dessen „Schwäche" polemisierend, blieben die Agrarier bei ihrer Auffassung, der Frühmarkt sei eine Börse und müsse unverzüglich unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Sten.Ber.pr.AH, 25. Juni 1897, 4. Band, S. 3251-3279, Zitate ebd., S.3255. Vgl. auch den Eintrag „Frühbörse" im Glossar, unten, S. 1045.
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zern eingerichteten Börse (!), 82 anderwärts glaubt man, daß die Landwirtschaftskammer Kursnotizen einrichten könnte oder daß der von der Regierung ins Leben gerufene Nachrichtendienst über die Getreidemarktpreise83 einen Ersatz bieten werde7'. Zur Zeit 5 hält dieser chaotische Zustand noch an, auf die Dauer ist nach den Erklärungen des Ministers ein Kompromiß, bei welchem in Bezug auf die Zusammensetzung des Börsenvorstandes und die Form der Notierung mehr oder minder große Zugeständnisse seitens der Regierung gemacht werden, wahrscheinlich8).84 Sollte etwa sich die 7
> Die Notizen der Landwirtschaftskammern erscheinen in den agrarischen Zeitungen.85 Weder Quantitäts- noch Qualitätsangaben sind beigegeben, die lokalen Besonderheiten des Falls durchaus unkenntlich, die Unterlage der Notiz undurchsichtig, diese selbst wertlos und auf die Preisbewegung einflußlos. 8 > Siehe Fußnote 6. | 82 Der landwirtschaftliche Verein in Stolp, einer Stadt in Hinterpommern mit 23862 Einwohnern, hatte am 24. Januar 1897 die Einrichtung einer unabhängigen Produktenbörse beschlossen und sich daraufhin mit dem Vorsteheramt der Kaufmannschaft in Verbindung gesetzt. Das Vorsteheramt entwarf eine Börsenordnung und stellte sie einer Versammlung von Kaufleuten, Müllern und Getreidehändlern vor. Die Versammlung lehnte aber eine Gründung als aussichtslos ab. FZ, Nr. 28 vom 28. Jan. 1897, 2. Mo.BI., S. 1; Kreuzzeitung, Nr.69 vom 11. Febr. 1897, Mo.BI., Beilage, S.3. 83 Der Nachrichtendienst der Bundesregierungen, der im November 1896 zunächst probeweise aufgenommen wurde, holte von 51 deutschen Marktorten, den wichtigsten Produktions-, nicht Börsenplätzen, telegraphische Berichte über die Getreidepreise ein. BBC, Nr. 542 vom 17. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; BBC, Nr. 609 vom 29. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1; FZ, Nr. 361 vom 29. Dez. 1896, 2. Mo.BI., S.2; NAZ, Nr. 13 vom 9. Jan. 1897, Mo.BI., S. 1. Diese wurden vom Kaiserlichen Statistischen Amt in Berlin zusammengestellt und als „Berichte von deutschen Fruchtmärkten" im Reichsanzeiger veröffentlicht, erstmals, in: Reichsanzeiger, Nr. 8 vom 11. Jan. 1897, 1. Beilage, S. 1. 84 Im preußischen Abgeordnetenhaus erklärte Brefeld am 19. Januar 1897, die kleinen Börsen hätten einen landwirtschaftlichen Vertreter erhalten und Berlin als große Börse fünf. Im Herrenhaus seien mehr gewünscht worden. Dem Wunsch komme er nicht nach, vielmehr sei er bereit, die Zahl der landwirtschaftlichen Vertreter im Börsenvorstand zu reduzieren. Hinsichtlich der Form der Preisnotierung äußerte Brefeld, daß er eine Entscheidung darüber, wie diese gestaltet werden solle, den Börsenvorständen überlassen habe. Er behalte sich vor, eine genauere Differenzierung anzuordnen. Er wolle zwischen den streitenden Auffassungen vermitteln und mit Hilfe des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg eine Verständigung anbahnen. Sten.Ber.pr.AH, 19.Jan. 1897, I . B a n d , S. 5 6 0 - 5 6 2 . 85 Der Bund der Landwirte hatte die Einrichtung einer behördlichen Zentralstelle unter Mitwirkung der Landwirtschaftskammern zum Zweck der Kontrolle der Preisnotierungen an den Börsen gefordert. Denkschrift des Bundes der Landwirte, vgl. unten, S. 1004. Entsprechende Verhandlungen wurden im Januar 1897 aufgenommen. Man kam überein, daß die Landwirtschaftskammern die Preisnotierungen aus den Provinzen in die Wege leiten sollten. FZ, Nr. 18 vom 18. Jan. 1897, Ab.BI., S.2. Ende Januar 1897 nahmen die
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Erledigung verzögern, also der jetzt bestehende Zustand sich länger eingebürgert haben, so kann in Frage kommen, ob nicht statt der einfachen Rückkehr zu dem früheren Zustande die faktisch hergestellte Trennung der Produktenbörse von der Fondsbörse zu acceptieren, und statt des Versuchs, durch Oktroyierung von Inter- 5 essengegnern in die Organe der Börse eine „Kontrolle"86 durchzuführen, es nicht erstrebenswerter sein würde, dieser populären Forderung vielmehr auf dem Wege der völligen Freigabe des Zutrittes zur Produktenbörse nach Hamburger Art entgegenzukommen. | A 2301 Eine Würdigung der Bestimmungen des Gesetzes über die Orga- 10 nisationsfrage ist im übrigen entbehrlich, da nur der Staatskommissar und das Ehrengericht wirklich gesetzliche Neuschöpfungen sind. Bei beiden muß die Art des Funktionierens abgewartet werden. Auch die Unterstellung der Produktenfrühbörsen (Berlin, Stettin) 15 unter die Börsenordnung ist bisher offenbar nicht praktisch geworden9). Die Zucker-Lokobörse in Magdeburg scheint als „Markt" behandelt werden zu sollen.87 3. Makler- und Notizenwesen. Auf dem Gebiet des Maklerwesens fand das Börsengesetz die Ge- 20 gensätze der hanseatischen Börsen, an welchen seit der Einführung des Handelsgesetzbuches faktisch und bald auch gesetzlich die beamteten Makler beseitigt waren,1 und der Binnenplätze vor, an denen sie de jure bestanden, de facto aber einen geringen, und A 230 I
9
) Siehe Fußnote 6 S. 816. |
L a n d w i r t s c h a f t s k a m m e r n die Preisnotierungen auf. Sie wurden in a g r a r i s c h e n Blättern wie der Kreuzzeitung a b g e d r u c k t . Erstmals, in: Kreuzzeitung, Nr. 46 v o m 28. Jan. 1897, Ab.BI., S . 3 . 8 6 Zitat aus der Denkschrift des Bundes der Landwirte; vgl. unten, S. 1000 u n d 1004. 8 7 Im Auftrag des preußischen Handelsministers hatten Geheimrat Lusensky u n d Staatsanwalt Wendelstadt im Dezember 1896 die M a g d e b u r g e r Börse visitiert. Sie k a m e n zu d e m Ergebnis, daß die Versammlungen, in d e n e n mit Lokoware gehandelt würde, „ein Mittelding zwischen Markt und Börse" seien, weil keine Börsenpreise notiert w ü r d e n . Dag e g e n sei die Rohzuckerterminbörse als Börse anzusehen. BBC, Nr. 569 v o m 4. Dez. 1896, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1; FZ, Nr. 337 v o m 4. Dez. 1896, Ab.BI., S. 4. 1 Zur A b s c h a f f u n g der Makler in Bremen u n d H a m b u r g vgl. die A u s f ü h r u n g e n oben, S. 287, Anm. 11.
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zwar, je größer der Platz ist und je stärker der spekulative Handel ihn beherrscht, einen um so geringeren Bruchteil des Verkehrs in den Händen hatten. Die Vorschrift des § 69 Abs. 1 H.G.B. (Verbot eigener Geschäfte) 2 wurde nur an ganz kleinen Plätzen mit stabi5 lern Verkehr innegehalten, an den großen durch Einschiebung von Strohmännern umgangen, sie führte ferner zur Zurückdrängung der amtlichen durch die freien Makler. Die Kursnotiz wurde in Hamburg auf Grund von Anmeldungen der beteiligten Firmen durch Makler im Turnus, anderwärts durch die vereidigten Makler 10 festgestellt in höchst verschiedenen Formen, welche zum Teil ganz verschiedene Prinzipien - Feststellung der Marktläge oder Publikation der Markt Vorgänge - in sich bargen. Diese Verschiedenheiten in Bezug auf die Notiz hat das Gesetz nicht beseitigt. 15 Es ermächtigt zunächst - § 35 - den Bundesrat, die amtliche Notiz für bestimmte Waren allgemein oder für einzelne Börsen vorzuschreiben (Nr. 2),3 auch die Notiz in Bezug auf Quanten bei Waren und Gebräuche bei Wertpapieren einheitlich zu gestalten (Nr. 3), ferner aber (Nr. 1), von den für die Art der Notiz gegebenen Vor20 schritten des Gesetzes zu dispensieren. Im übrigen aber ist für die Notiz nur folgendes allgemein - vorbehaltlich des Dispenses - vorgeschrieben: Die Notiz wird nicht öffentlich, unter Beisein nur des Börsenvorstandes, Staatskommissars, der nach der Börsenordnung etwa zuzuziehenden Vertreter der beteiligten Berufszweige und 25 unter Mitwirkung der von der Landesregierung zu ernennenden und zu vereidigenden „Kursmakler" vom Börsenvorstand bezw. unter dessen Leitung festgestellt (§ 29 Abs. 2, § 30). Die Notiz soll nach § 29 | Abs. 3 der „wirklichen Geschäftslage" entsprechen, mit- A 230 r hin - wie auch § 31 Satz 2 ergiebt4 - alles darüber dem Feststellen30 den bekannt gewordene Material benutzen. Sie soll also einen Preis feststellen, welcher nicht die einzelnen faktisch erzielten Schlüsse, - von denen eventuell kein einziger die „Marktlage"5 2 Art. 69 Ziffer 1 HGB ist unten, S. 989, abgedruckt. 3 Gemeint ist hier und im folgenden der in 3 Ziffern gegliederte 1. Absatz von § 35 BörsG. 4 §31 Satz 2 BörsG räumt dem Börsenvorstand das Recht ein, auch andere Geschäfte als die durch die Kursmakler vermittelten zu berücksichtigen. Ein Anspruch auf Berücksichtigung solcher Geschäftsabschlüsse bei der Preisfeststellung wurde damit jedoch nicht begründet. 5 Mit „Marktlage" umschreibt Max Weber die in §29 Abs. 3 BörsG formulierte „wirkliche Geschäftslage".
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wiedergiebt, - oder ein rein mechanisch aus ihnen zu suchendes Fazit darstellt, sondern die aus der „Marktlage" sich ergebenden Kauf- und Verkauismöglichkeiten, welche die Geschäftslage mit sich brachte, und welche in den Einzelpreisen normalerweise zum Ausdruck kommen wird, zur Anschauung bringt. In prinzipiell unlösbarem Widerspruch damit giebt § 31 Satz 1 aber bestimmten einzelnen Abschlüssen - den durch die Kursmakler vermittelten® - einen Anspruch auf Berücksichtigung. - Sonst ist nur noch (§ 29 Abs. 1) vorgeschrieben, daß die Notiz für Kassa- und Zeitgeschäfte stattfinden soll - wobei „Zeitgeschäfte" wohl nicht notwendig als Termingeschäfte im bisherigen Sinne6 zu interpretieren sind. Über alle übrigen Fragen der Einrichtung und des Inhalts der amtlichen Kurszettel verbreitet sich das Gesetz nicht. Nur ist dem Bundesrat die schon erwähnte Befugnis, einheitliche Quanten und Usancen vorzuschreiben, gegeben (§ 35 Nr. 3). Über die Voraussetzungen der Zulassung der einzelnen Wertpapiere zur Notiz soll unten7 beim Emissionswesen gesprochen werden. Für Waren ist nur für die Terminnotiz eine besondere Zulassung erforderlich (s. u.).8 Welche Waren sonst amtlich notiert werden, bestimmt entweder die Börsenordnung oder, nach den meisten Börsenordnungen, der Börsenvorstand, vorbehaltlich der Befugnis des Bundesrates (§ 35 Abs. 1), die amtliche Notiz vorzuschreiben. Die amtlichen Notizen unterstehen bestimmten strafrechtlichen Garantien in der Art ihrer Entstehung und in ihrer Maßgeblichkeit: 1) Die Verteilung von Preis listen, d. h. mechanisch vervielfältigten Kurszusammenstellungen über nicht zur Notiz zugelassene Wertpapiere oder (s.u.)9 verbotene Termingeschäfte^] ist strafbar (§ II). 10 Ebenso 2) die betrügerische Anwendung auf Täuschung berechneter Mittel zwecks Einwirkung auf den Börsenpreis (§ 75) und 3) die Preßbestechung aktiv und passiv (§ 76).
a A: ermittelten 6 Als Termingeschäfte im bisherigen Sinne sind börsenmäßige Termingeschäfte gemeint. Auf andere Formen des Zeitgeschäfts kommt Max Weber ausführlich zu sprechen, unten, S. 8 6 0 - 8 6 3 . 7 Unten, S. 837-842. 8 Unten, S.845f. 9 Unten, S.846. 10 Diese Strafbestimmung findet sich in § 77 - nicht in § 11 - BörsG.
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Im übrigen ist nur die Stellung der Kursmakler - von deren Bestellung aber der Bundesrat dispensieren kann (§ 35 1 ) und z. B. für Hamburg dispensiert hat - vom Gesetze einheitlich geregelt. Diese, wie bemerkt, 11 von den Landesregierungen nach näherer Bestimmung derselben anzustellenden, nur aus den Kreisen der faktisch das Vermittelungsgewerbe in den betreffenden Artikeln Betreibenden zu wählenden Kursmakler, welche eine bei der Bestellung und | Geschäftsverteilung gutachtlich zu hörende „Makler- A 2311 kammer" 12 als Vertretung besitzen sollen, sind in Bezug auf ihre Buchführungspflicht, Schlußnotenpflicht und alle sonstigen privatrechtlichen Verpflichtungen und Berechtigungen, ebenso in betreff ihrer Zuständigkeit zu gewissen Handlungen, wie Selbsthilfeverkauf u. dergl. völlig gleichartig gestellt, wie nach den Art. 67 Abs. 2, b 71 Abs. 0 1 , 7 2 - 7 4 , 7 6 , 7 9 - 8 3 , 311,343, 348,354, 357, 365, 366,387 des Handelsgesetzbuches die bisherigen „Handelsmakler" des § 66 des H.G.B. 13 Sie sind im Gegensatze zu den bisherigen Handelsmaklern von der Beschränkung auf die Vermittelung inter praesentes (Art. 69 b H.G.B.) befreit (entgegen der Regierungsvorlage),14 ebenso von dem bisherigen absoluten Verbot von Geschäften für eigene Rechnung und in eigenem0 Namen und der Bürgschaftsleistung (Art. 69 b H.G.B.), 15 es ist ihnen vielmehr - ähnlich wie in anderer rechtlicher Formulierung den österreichischen Sensalen, 16 - der Abschluß solcher bezw. die Bürgschaftsleistung soweit b A: 71, A b s .
C A: eigenen
11 O b e n , S. 8 1 9 . 12 M a x W e b e r referiert u n d zitiert hier a u s § 3 0 A b s . 2 B ö r s G . 13 G e m e i n t ist, d a ß d i e B e s t i m m u n g e n d e r v o n M a x W e b e r n a c h d e n § § 3 3 - 3 4 B ö r s G a u f g e z ä h l t e n A r t i k e l d e s H G B ü b e r d i e „ H a n d e l s m ä k l e r " , d i e d u r c h Art. 6 6 H G B als „ a m t lich b e s t e l l t e Vermittler" d e f i n i e r t s i n d , auf d i e „ K u r s m a k l e r " A n w e n d u n g f i n d e n . Der b i s d a h i n ü b l i c h e Begriff „ H a n d e l s m ä k l e r " w u r d e im B ö r s e n g e s e t z d u r c h d e n Begriff „ K u r s m a k l e r " e r s e t z t ( § 3 4 B ö r s G ) . Vgl. d i e A r t i k e l d e s H G B u n t e n , S. 9 6 0 - 9 6 4 , 9 6 7 - 9 7 1 u n d 973. 1 4 D i e B e s t i m m u n g e n t h ä l t Art. 6 9 Ziffer 6 H G B . Statt d e r v o n M a x W e b e r p o s i t i v f o r m u lierten U m k e h r u n g „ B e s c h r ä n k u n g auf d i e V e r m i t t l u n g unter d e n A n w e s e n d e n " lautet sie in d e r n e g a t i v e n F o r m u l i e r u n g in Art. 6 9 Ziffer 6 H G B : „ e s ist d e n M ä k l e r n [ n i c h t ] e r l a u b t , v o n A b w e s e n d e n A u f t r ä g e z u ü b e r n e h m e n " . D i e R e g i e r u n g s v o r l a g e (Entwurf: Börsengesetz 1) hatte in § 3 2 A b s . 2 d i e F o r m u l i e r u n g d e s Art. 6 9 Ziffer 6 H G B u n v e r ä n d e r t ü b e r n o m m e n . D i e IX. K o m m i s s i o n d e s R e i c h s t a g s hat d i e s e B e s t i m m u n g , in: Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1504, g e s t r i c h e n . 15 D i e s e B e s t i m m u n g e n f i n d e n s i c h in Art. 6 9 Ziffer 1 H G B . 16 G e m e i n t ist d e r W o r t l a u t d e s Art. 6 9 a A b s . 2 d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n Gesetzes 4. April 1875. Vgl. d e n A b d r u c k , u n t e n , S. 9 7 4 .
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gestattet, als dies „zur Ausführung der ihnen erteilten Aufträge" nötig ist.17 Sie sollen also nicht „vorgehen"18 und nicht „spekulieren". Ihr einziges Privileg ist die ziemlich problematische schon erwähnte Bestimmung19 des § 31 in betreff des Anspruches der durch sie vermittelten Geschäfte bei der Notiz, vorbehaltlich aber der Befugnis (und - nach § 29 Abs. 3 - Pflicht) der Börsenvorstände, auch andere Geschäfte zu berücksichtigen. Mit den Privatmaklern befaßt sich das Gesetz gar nicht, während der Entwurf eines Handelsgesetzbuches ihre privatrechtliche Stellung, namentlich die Rechtsfolge der sog. „Aufgabe",20 zu regeln unternimmt, in einer Art, welche nicht ganz unwidersprochen geblieben ist.21 Die Ausführungsverordnungen der Landesregierungen haben wirkliche Einheitlichkeit in die Verhältnisse der Makler und Notizen nicht gebracht. Für Preußen hat über die Verhältnisse der Kursmakler die generelle Verfügung des Handelsministers vom 14. XI. 189122 dahin Bestimmung getroffen, daß sie und die nach Bedarf zu bestellenden Stellvertreter für Berlin vom Oberpräsidenten, sonst vom Regierungspräsidenten nach Anhörung der Börsenaufsichtsbehörden (Handelskammer etc.) und eventuell der Maklerkammer - und zwar die Makler unbefristet - angestellt und bei grober Pflichtver-
17 Max Weber zitiert aus § 32 Abs. 1 BörsG. 18 Zum Begriff „vorgehen" vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1067. 19 Oben, S.819f. 20 Die Rechtsverhältnisse der Privathandelsmakler regeln die §§82-93, die Rechtsfolge der „Aufgabe" § 84 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs. In der Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs wird hervorgehoben, daß die Vorschriften des §84 „neu sind" und notwendig wurden, weil bisher „keine volle Klarheit" in Praxis und Rechtsprechung „über die rechtliche Bedeutung des Vorbehalts der Aufgabe" bestand. Denkschrift, in: Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, S. 75. 21 Max Weber spielt hier vermutlich auf die Einwendungen des Rechtsanwalts und Kommentators des HGB, Hermann Staub, an. Staub hat in seinem Vortrag, Kritische Betrachtungen zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, S. 18-20, die zu eng gefaßte Definition des Privathandelsmaklers in § 82 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und die Provisionsregelung in §88 ebd. kritisiert und zusammen mit seinem Kollegen Hermann Veit Simon den Antrag auf „weitere Ausdehnung des Kaufmannsbegriffs" gestellt. Simon, Hermann Veit, Bericht über den Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, erstattet dem deutschen Anwaltstage 1896, in: Makower, Hermann, und Hermann Veit Simon, Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs. - Berlin: J. Guttentag 1896, S.47. 22 Gemeint sind die Bestimmungen über die Bestellung und Entlassung der Kursmakler vom 14. November 1896 - nicht 1891 - , in: Reichsanzeiger, Nr. 275 vom 19. Nov. 1896, S.1.
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letzung oder ansehens- und vertrauenswidrigem Verhalten entlassen werden, daß sie ferner der Börsendisziplin und den Ehrengerichten, sowie den Bestimmungen über die Zulassung zum Handel 23 unterworfen sind und das Nähere für die Einzelbörsen bestimmt werden solle. Für die Berliner Börse bestimmt die Maklerordnung vom 4. XII. 1896 zunächst die | Art der Wahl der früher erwähnten Mak- A 231 r lerkammer und deren schon oben (sub 2) erwähnte Zuständigkeit 24 und regelt die Stellung der Kursmakler dahin, daß dieselben neben der Börsenleitung und dem Ehrengerichte den Verfügungen der Ältesten über die Regelung ihres Geschäftsverkehrs und der Aufsicht der Maklerkammer, welche auch Grundsätze für ihre amtliche Thätigkeit feststellen kann, und des Staatskommissars unterstehen. Verstöße gegen die amtlichen Pflichten werden durch die Maklerkammer vorbehaltlich der Beschwerde an die Ältesten disciplinarisch mit Warnung, Verweis, Geldstrafe bis 500 M., Ausschluß von der Börse bis zu 3 Monaten geahndet. Zu den Amtspflichten gehört außer den gesetzlichen die ständige Anwesenheit während der Börsenversammlungen, soweit nicht vom Börsenvorstand oder den Ältesten Urlaub erteilt wird (§ 20), die tägliche gesonderte Buchung der auf eigenen Namen oder Rechnung übernommenen Verbindlichkeiten oder Bürgschaften (§ 24), welche durch den Staatskommissar und die Maklerkammer durch Einsichtnahme kontrolliert werden kann, und namentlich die Mitwirkung bei der Notiz. Ergeben sich dabei Differenzen, so kann das leitende Vorstandsmitglied protokollarische Erklärungen auf den Amtseid fordern und die Richtigkeit aus den Büchern des Maklers kontrollieren, der alsdann aber berechtigt ist, die Namen der Kontrahenten zu verdecken (§ 21). - Die Geschäftsverteilung unter den Maklern (Gruppenbildung) wird jährlich im Dezember für das folgende Jahr von der Maklerkammer, vorbehaltlich des Einspruchs seitens des Börsenvorstandes oder des Staatskommissars bei den Ältesten, vorgenommen ( § 9 b - 2 5 ) . 2 5 Die Neuerung gegenüber dem bisherigen Zustand besteht in der Hauptsache in der größeren Einschränkung der Machtstellung der Börsenvorstände gegenüber 2 3 D. h. über die Zulassung zum Börsenbesuch. 2 4 Oben, 2. Kapitel, S.806f. 2 5 Max Weber referiert die §§ 9 b und 25 der Berliner
Maklerordnung.
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den Maklern, indem die Disziplin und Geschäftsverteilung in erster Instanz in eine Vertretung aus ihrer eigenen Mitte gelegt ist, letzteres im Gegensatz zu anderen preußischen, so der Frankfurter Börse, und anders als § 30 Abs. 2 des Börsengesetzes, welcher nur eine gutachtliche Anhörung vorschreibt, es erfordert. 26 Eine Ausgestaltung jener Vertretung nach Art der Chambre syndicale als ökonomischer Stütze der Makler ist unterlassen, sie käme auch nur in Frage, wenn früher oder später etwa ein Makler-Monopol geschaffen werden sollte, etwa um so die von agrarischer Seite geforderte „vollständige Erfassung des Verkehrs"27 bei der Notiz zu ermöglichen, was zur Zeit kaum wahrscheinlich ist. Die Vorschriften über die Notiz enthält die Berliner Börsenordnung (§ 27-31). Wertpapiere und Geldsorten, ebenso Getreide, A 2321 Sprit, Öl, Ölsaaten, Petroleum, Mehl, Kartoffel| stärke, sollen täglich, Wechsel mindestens dreimal wöchentlich notiert werden, daneben für die gedachten Produkte am letzten Börsentage jeden Monats die Durchschnittspreise der an diesem Tage über Lieferung auf laufenden Monat geschlossenen Geschäfte. Die Feststellung erfolgt täglich 2 Uhr durch den oder die Delegierten des betreffenden Börsenvorstandes, welcher sich nach seinem Ermessen Information beschaffen kann, bei landwirtschaftlichen Produkten unter Zuziehung von mindestens 2 der früher erwähnten landwirtschaftlichen Delegierten;28 verpflichtet zur Auskunftserteilung über die
26 Im Gegensatz zu § 3 0 A b s . 2 BörsG, wonach bei der Geschäftsverteilung unter die Kursmakler die Maklerkammer lediglich gutachtlich gehört werden muß, bestimmt § 9 b der Berliner Maklerordnung vom 4. Dezember 1896, daß die Maklerkammer die Geschäftsverteilung unter die Kursmakler vorzunehmen hat. Wegen des Widerspruchs zwischen Reichs- und Landesrecht kam es ab Dezember 1896 zu Auseinandersetzungen zwischen den Ältesten der Kaufmannschaft, dem Handelsminister, dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg und der Maklerkammer. Erst im Juni 1897 entschied der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, daß es bei der Bestimmung des § 9 b der Berliner Maklerordnung bleibe. Der Vorstand der Fondsbörse gab daraufhin in der Sitzung am 3. Juli 1897 zu Protokoll, daß diese Entscheidung als Kränkung und Zurücksetzung empfunden werde, da der Handelsminister für Frankfurt am Main eine dem Börsengesetz entsprechende Maklerordnung genehmigt habe. Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, 19. Jg., Nr. 10 vom 30. Dez. 1896, S. 140, 143 und 155-157.; ebd., 20. Jg., Nr. 6 vom 30. Juni 1897, S. 9 5 - 1 0 1 ; BBC, Nr. 306 vom 3. Juli 1897, Ab.BI., S. 2. 27 Max Weber nimmt vermutlich Bezug auf die Denkschrift des Bundes der Landwirte, in der ein Deklarationszwang für alle an der Börse abgeschlossenen Geschäfte über Agrarprodukte gefordert wird. 28 Oben, S. 805f. und 811.
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Preise aller per Kassa oder auf Zeit geschlossenen Geschäfte und Gebote oder Forderungen sind die Kursmakler, eventuell wie erwähnt,29 zu Protokoll auf ihren Eid und unter der Verpflichtung in der erwähnten Art Bucheinsicht zu gewähren. Auf Erfordern haben sie den oder die leitenden Vorstandsdelegierten gutachtlich über die festzusetzenden Kurse zu beraten (§29, [§]9 Abs. 2-4). Für Getreide speziell schreiben die vom Handelsminister oktroyierten §§29a-f die Bezeichnung und Sonderung der einzelnen in Betracht kommenden Sorten nach Ursprung, Gattung, Qualität, Gewicht, Beschaffenheit (Farbe, Trockenheit, Geruch) und Erntejahr 30 vor. Welche Sorten danach gesondert zu notieren sind, soll der Handelsminister nach Anhörung des Börsenvorstandes bestimmen. Soweit in noch anderen Sorten gehandelt ist, sollen wenigstens Inlands- und Auslands-Produkt unterschieden werden. Berücksichtigt werden sollen nur die wirklich gezahlten Preise, und zwar alle, auch die etwa nach Ansicht der Notierenden der „Geschäftslage" nicht entsprechenden, diese letzteren eventuell mit einem auf diesen Umstand bezüglichen Zusatz, und es sollen jedenfalls die höchsten und niedrigsten gezahlten Preise notiert werden. Festgestellt werden soll endlich nach Möglichkeit das gehandelte Quantum und wenn von einer Sorte nichts gehandelt worden ist, diese Thatsache. Damit ist, wie auch § 29 f ausdrücklich bestimmt, die bisherige „Schätzungsnotiz" für Lokoware unterdrückt. Die verlangte Neuerung bezüglich der Notiz der Qualität31 würde am wenigsten bei Hafer, am meisten bei Gerste, fast ebenso sehr aber auch bei Weizen und Roggen eine sehr erhebliche Umgestaltung der bisherigen Berliner Notiz bedeuten. In Königsberg und Danzig waren die Notizen den gestellten Anforderungen schon jetzt in höherem Maß entsprechend. Die Quantitätsnotiz ferner ist für die deutschen Börsen eine Neuerung von großer Erheblichkeit. Bisher wurden nur die täglich gekündigten Quanten notiert. Ins Leben getreten sind die für die Produktenbörse gegebenen Vorschriften nicht, da der Börsenstreik, der neben der schon er2 9 Hier wie im folgenden oben, S. 823. 3 0 Statt „Qualität, Gewicht" resp. „Erntejahr" heißt es in §29 a der Berliner Börsenordnung „Qualitätsgewicht" resp. „Erntezeit". 31 Max Weber referiert im folgenden aus der Stellungnahme von Karl Gamp zur Preisnotierung im provisorischen Börsenausschuß, in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 134.
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wähnten Delegation von Landwirten in die Vorstände 32 auch die A 232 r Anforderungen an die Notizen | zum Ausgangspunkt nahm, die Berliner offiziellen Notizen für Getreide, Rüböl, Kartoffelstärke und Sprit auf Termin gänzlich verschwinden ließ. Nur für Lokospiritus wird noch privatim von der Hauptbörse über die Umsätze be- 5 richtet.33 Die Notizen von der Freien Vereinigung sind formell rein privater Natur, auf privater Information der Presse beruhend. Ob für die Fonds die bisherige Art der Kursnotiz mit ihrem Einheitskurs für Kassageschäfte und die Mehrheit der Terminkurse bestehen bleiben wird, muß die auf Grund der neuen Bestimmun- 10 gen sich entwickelnde Praxis lehren. Eine Reform der Terminpreisnotiz, wie sie die Börsenenquetekommission erstrebte, 34 ist nicht versucht worden. Der bestandene Zustand wird wohl wesentlich stabil bleiben. Für Frankfurt ist durch die Börsenordnung (§ 7-10) 3 5 die Kurs- 15 feststellung folgendermaßen geregelt: Für Kassageschäfte wird normalerweise ein einziger Kurs (offenbar nach Art des bis dahin in Frankfurt bestandenen „Mittelkurses") notiert, und zwar um lV 4 an der Mittags-, um 6 V436 an der Abendbörse, daneben nur für spätere Abschlüsse besondere Kurse. 20 Die Terminkurse werden so notiert, wie früher in Berlin: ein Anfangskurs und alsdann Kurse, welche die Preisschwankungen angeben. Das gleiche kann für lebhaft (d. h. spekulativ) gehandelte Kassapapiere verfügt werden. Auch die äußere Form der Kurse schließt sich den früher in Berlin und Frankfurt geltenden Grund- 25 Sätzen an, d. h. es werden bz.-, B.- und G.-Kurse notiert, welche die Marktlage zum Ausdruck bringen sollen. Private Preislisten über amtlich nicht notierte Papiere darf die Handelskammer zulassen. 32 Oben, S.805f. und 811. 33 Wegen des Börsenstreiks an der Produktenbörse wurde kein Börsenvorstand konstituiert. Ohne ihn durften keine amtlichen Notierungen vorgenommen werden. In Lokospiritus fanden trotzdem amtliche Notierungen statt. Erst am 14. Januar 1897 wurde auf Beschluß des Ältestenkollegiums vom 12. Januar 1897 die amtliche Notierung aufgegeben und eine Notierung in nichtamtlicher Form fortgesetzt. Kreuzzeitung, Nr. 2 vom 2. Jan. 1897, Ab.BI., S. 3; Kreuzzeitung, Nr. 20 vom 13. Jan. 1897, Ab.BI., S.2; BBC, Nr. 22 vom 14. Jan. 1897, Ab.BI., S.3f. 34 Vgl. die entsprechenden Beschlüsse der Börsenenquetekommission oben, S . 3 9 7 404 und Fußnote 95. 35 Max Weber referiert im folgenden aus der Frankfurter Börsenordnung. 36 Gemeint sind 13 Uhr 15 und 18 Uhr 15.
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Die Notiz selbst liegt in den Händen der aus 7 erwählten Maklern bestehenden Maklerkammer - anschließend an bereits früher bestandene Frankfurter Gewohnheiten welche auf Grund der Angaben der Kursmakler nach Stimmenmehrheit die Kurse fest5 setzt.37 Der Unterschied gegenüber den bisherigen Zuständen ist gering, nur die Art der Kursfeststellung der Effekten-Sozietät ist an der „Abendbörse" der Mittagsbörse angenähert. Die Bestimmungen der Maklerordnung für Frankfurt vom 27. XII. 1896 sind denen der Berliner im wesentlichen gleichartig; auffallen muß nur, daß so10 wohl für die Geschäftsverteilung als für die Aufstellung von Regeln für die amtliche Thätigkeit der Makler in Berlin die Maklerkammer da eingeschoben ist, wo in Frankfurt (§27 und 31 der B[örsen-]0[rdnung]) 38 die Handelskammer entscheidet, für den ersteren Fall nach gutachtlicher Anhörung der Maklerkammer, wie sie 15 das Gesetz vorschreibt. Die animose Differenzierung der Bestimmungen gegenüber der Berliner Börse tritt auch darin hervor.39 Für Hamburg ist durch den Bundesrat nach § 35 des B[örsen-] G[esetzes] die Notiz ohne Kursmakler | und abweichend von den A 2331 sonst üblichen Grundsätzen gestattet. Die Börsenordnung be20 stimmt darüber folgendes (§ 32-48): 40 Amtliche Notizen finden für Fonds, Wechselvaluten und Edelmetalle, sowie für den Terminverkehr in Sprit, Kaffee, Zucker, Baumwolle etc.41 stattd und zwar täglich, nach Anweisung des betreffenden Börsen Vorstandes eventuell mehreremal täglich, und zwar werden bz.-, B.- und G.-Kurse no25 tiert, bei Wertpapieren mit dem Zusatz: Kl.e (Kleinigkeit) bei Umsatz unter einer festgesetzten Mindestsumme und: kl. St. (kleine
d Fehlt in A; statt sinngemäß ergänzt,
e A: kl.
3 7 Prinzipiell sollte die Maklerkammer „auf Grund ihrer eigenen Wahrnehmungen und der Mittheilungen, die ihr von den beeidigten Kursmaklern während der Börse gemacht worden sind", die Kurse feststellen. Wenn Zweifel wegen der Schlüsse obwalteten, sollte der Kurs nach Stimmenmehrheit der Maklerkammer festgesetzt werden. § 8 der Frankfurter Börsenordnung. 3 8 Die von Max Weber referierten §§27 und 31 entstammen, wie er zuvor angibt, der Frankfurter Maklerordnung, nicht der Frankfurter Börsenordnung. 3 9 Zur Differenzierung der Bestimmungen vgl. oben, S. 824 mit Anm. 26. 4 0 Bestimmungen über die amtliche Notierung enthalten die § § 3 2 - 4 3 der Hamburger Börsenordnung vom 23. Dezember 1896. 41 Weitere Waren sind in der Hamburger Börsenordnung vom 23. Dezember 1896 nicht aufgeführt.
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Stücke), wenn es sich um Spezialpreise für den Umsatz in kleinen Appoints handelt. Die Kursfeststellung liegt in den Händen von Vorstandsmitgliedern der betreffenden Börsenabteilung, welche diese delegiert. Zur Mitwirkung werden Hilfspersonen aus der betreffenden Branche designiert, bekannt gemacht und durch Handschlag verpflichtet. Imf Fondshandel werden dieselben aus den im Firmenregister eingetragenen Maklern entnommen, ohne daß dieselben jedoch die Pflicht der Kursmakler übernehmen. Für den Fondshandel ist des weiteren auch die bisher übliche Unterlage der Kursfeststellung beibehalten worden. Die in das Firmenregister der Fondsbörse, welches die Sachverständigen-Kommission für den Effektenhandel (= Fondsbörsenvorstand) führt, gegen eine jährliche Gebühr eingetragenen9 Firmen haben das Recht, Kurse auf Anmeldezetteln mit ihrer Unterschrift über Abschlüsse unter den gedachten Firmen bezw. Angebote, die von ihnen gemacht wurden, anzumelden. Falsche Anmeldungen ziehen Ausschluß von dem Anmeldungsrecht auf Zeit oder dauernd oder, bei Fahrlässigkeit, Verwarnung durch die Kommission nach sich. Bei auf Termin gehandelten Papieren wird eine Minimalquantität vorgeschrieben. Die Kurse werden unter Berücksichtigung der angemeldeten Preise, und der durch die mitwirkenden Makler (s. u.)42 vermittelten Abschlüsse, unbeschadet des Rechts anderweiter Ermittelungen, festgestellt und sollen die Marktlage zum Ausdruck bringen. An dem bestehenden Zustand ist also auch in Bezug auf das Makler- und Notizenwesen in Hamburg geradezu so gut wie nichts geändert, insbesondere ist jede Bestimmung über Getreidenotizen unterblieben, in schroffem Gegensatz gegen das Verfahren gegenüber der Berliner Produktenbörse, während andererseits das Fehlen aller Bestimmungen über die Art der Feststellung der Effektenkurse in Berlin im Gegensatz zu Hamburg und Frankfurt auffallen muß. Ziemlich eingehend sind die Bestimmungen der Münchener (Fonds-)Börsenordnung über das Maklerwesen und die Kursfestf A: In
g A: e i n g e t r a g e n e r
4 2 Der Verweis ist unklar, da Max Weber im folgenden auf die Makler in Hamburg nicht mehr eingegangen ist. Gemeint sein könnte, oben, S. 818f.
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Stellung (§ 23-43). Die Kursmakler werden auf Vorschlag des Börsenvorstandes nach Anhörung der Aufsichtsbehörde von der Regierung be| stellt und unterstehen den Vorschriften der Börsenord- A 233 r nung und der Börsendisciplin. Neben ihnen kann der Börsenvor5 stand Vereinsmitglieder als „Börsenagenten" 43 zulassen (§ 36); die Vermittlerthätigkeit ist also konzessionspflichtig. Kursmakler wie Agenten zahlen jährlich eine nach ihren Vereinsbeiträgen abgestufte Gebühr. Die Kursmakler sind zur ständigen Anwesenheit an der Börse verpflichtet, sie sowohl als die Agenten haben die 10 Schlußnotenpflicht (§ 38).44 Die Kursmakler erhalten im Turnus vom Vorstand diejenigen Werte zugewiesen, in denen sie mit dem Anspruch auf Berücksichtigung bei der Notiz handeln (§ 35). Die Kursfeststellung erfolgt durch das jeweils dienstthuende Mitglied des Börsenvorstandes auf Grund der eventuell durch Bücherein15 sieht nachzukontrollierenden Angaben der Kursmakler in Verbindung mit eigenen Erkundigungen um 12V 2 Uhr, nachdem von 113/4 bis 12'/ 4 der Handel in den Schranken der Börsen durch die Kursmakler - d. h. die Entgegennahme von Aufträgen - und von 12 V4 bis 12 V2 die vorläufige Preisfestsetzung in den Schranken 20 stattgefunden hat. Der Kurs ist Einheitskurs, der Vorgang offenbar so, wie bei der Ermittelung der früheren Berliner Kassanotizen. Es soll offenbar derjenige Kurs hier wie dort notiert werden, bei welchem das Maximum der Abschlüsse erledigt werden kann, die Makler in den betreffenden Papieren gleichen sich dabei unterein25 ander aus (§ 35). Der festgestellte Kurs ist nicht eine bloße Registrierung vorher gemachter Abschlüsse, sondern die Feststellung entscheidet darüber, ob und zu welchem Kurs das dem Makler aufgegebene Geschäft zustande kommt. Die Aufträge, welche zu dem festgestellten Kurs erledigt werden können, haben einen Anspruch 30 darauf (für das Nähere cf. § 29). Unmittelbar nach Feststellung des Kurses haben die Makler Aufgaben zu machen (§ 39). Die Börsenordnung bestimmt ferner eingehend die Mindestmargen zwischen Brief- und Geldkursen (§ 30) und verfügt, daß im Falle zu auffälliger Abweichung der Angebots- und Nachfragekurse von der letz35 ten Notiz das Vorstandsmitglied zur Streichung des Kurses schrei4 3 „Börsenagenten" ist Zitat aus Titel X der Münchener Börsenordnung, während in den Paragraphen lediglich der Begriff „Agenten" gebraucht wird. 4 4 Die Schlußnotenpflicht wird in § 39 der Münchener Börsenordnung bestimmt.
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ten kann (§ 32). Augenscheinlich ist die ganze Regelung der Berliner Einheits-Kassa-Notiz getreu nachgebildet. Ebenso regelt die Börsenordnung die Kurtagesätze (§ 42) und interpretiert die ausgerufenen Angebote der Makler und Agenten (§ 43).45 Dabei scheint das „Vorgehen" der Makler nicht als unzulässig behandelt 5 zu werden, wie Erwähnung des Angebotes, nach Wahl zu geben oder zu nehmen, andeutet. Auch fehlt dementsprechend jede Vorschrift über die Kontrolle der Innehaltung der Grenze des § 32 des Börsengesetzes, wie sie nach dem Schlußpassus von Satz 1 desselben die Landesregierung erlassen soll.46 | 10 A 2341 Nach alledem sind erhebliche Fortschritte auf dem Gebiete des Notizenwesens bisher kaum zu verzeichnen, auf dem angefochtensten Gebiet - dem der Getreidenotizen - hat die Überspannung des Reglementierens ein vollständiges Vakuum geschaffen, indem z. Z. an den bisher größten deutschen Getreidebörsen eine amtli- 15 che Notiz völlig fehlt. Dadurch ist die im provisorischen Börsenausschuß ziemlich eingehend besprochene Frage der positiven Gestaltung des Getreidenotizenwesens47 vorerst ins Stocken geraten. Die Verhandlungen zwischen Handelsminister und Börsen vorstand über die Feststel- 20 lung der Sorten, welche nach § 29 a der Berliner Börsenordnung in der eben wiedergegebenen Art 48 bei der Notiz geschieden werden sollten, haben bisher nicht stattfinden können.49 Die Möglichkeit
45 § 4 3 Abs. 1 der Münchener Börsenordnung lautet: „Jedes von den Kursmaklern und Agenten an der Börse öffentlich und laut ausgerufene Offert In auf Zelt gehandelten Effekten versteht sich franko Courtage, wenn nicht ausdrücklich Gegentheillges bedungen wird." 46 Vgl. § 3 2 BörsG unten, S. 981. 47 Die Erörterung findet sich In: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 1 3 4 - 1 5 4 . 48 Oben, S.825. 49 Die Frankfurter Zeitung meldete Mitte Februar 1897, daß noch keine offiziellen, sondern mehrfach nur private Besprechungen zwischen Vertretern der Regierung und den Ältesten der Kaufmannschaft stattgefunden hätten. FZ, Nr. 45 vom 14. Febr. 1897, 1. Mo.BI., S. 1. Erst Mitte Juli 1897 wurden vom Handelsministerium Schritte zur Verhandlungsaufnahme über die Getreidepreisnotierung eingeleitet. Am 4. November 1897 fand Im Handelsministerium unter Vorsitz des Handelsministers und unter Beteiligung von Vertretern der Landwirtschaft und des Königsberger Börsenvorstandes die erste Konferenz statt. Die Freie Vereinigung der Berliner Getreide- und Produktenhändler versagte Ihre Mitwirkung. BBC, Nr. 322 vom 13. Juli 1897, Ab.BI., S. 2; BBC, Nr. 508 vom 29. Okt. 1897, Ab.BI., S. 2; BBC, Nr. 518 vom 4. Nov. 1897, Ab.BI., S. 1.
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und Rätlichkeit Typen des Getreides für die Notiz festzustellen wie dies der Bund der Landwirte allgemein, der Landwirtschaftsrat für das Lieferungszeitgeschäft verlangt hatten, 50 - wurde auch von agrarischer Seite aus und vom preußischen Landwirtschaftsministerium bestritten, 51 da zur Zeit die Sorten des deutschen Anbaues noch im Fluß, wennschon auf dem Wege zur Vereinfachung begriffen seien und da ein Preisdruck der zwischen den Typen liegenden Sorten, ebenso die Benachteiligung des nicht mit den Typen vertrauten Produzenten zu gewärtigen sei. Die amtliche Klassifikation des Getreides, wie sie Nordamerika kennt, ist, wo Inlands- und Auslandsprodukte auf dem Markt konkurrieren, streitfrei nicht möglich. Die ganze Frage war nur, solange der Terminhandel bestand, praktisch, und würde es erst wieder, wenn er in veränderter Form auf Umwegen sich wieder einbürgerte. - Die Möglichkeit, im Sinne des § 29 c der Berliner Börsenordnung auch die der Notiz zu gründe liegenden Quantitäten zu bestimmen, 52 wurde von den Handelsinteressenten bestritten, weil sie die Geschäftsoperationen so durchsichtig machen würde, daß wenigstens der Eigenhandel sich der Bekanntgabe seiner Abschlüsse zur Notiz entziehen würde, 53 - dies selbst dann, wenn die Notiz nicht die Einzelabschlüsse nach Art der quotation books, sondern nur die Gesamtumsatzsummen in den einzelnen Sorten, wie sie aus den Büchern der Kursmakler zu berechnen seien, enthielte. 54 Dies ist in der That nicht ausgeschlossen, da der Eigenhandel an der Notiz ein geringeres Interesse hat, und es muß auch berücksichtigt werden, daß trotz § 31 Satz 1 des Börsengesetzes nach den Bestimmungen des § 31 Satz 2 50 Max Weber bezieht sich auf die in der Denkschrift des Bundes der Landwirte und in der Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats gestellten Forderungen. Vgl. unten, S. 1001 und 1008. 51 In der Subkommlsslon und Im Plenum des provisorischen Börsenausschusses wiesen Max von Soden-Fraunhofen, Vertreter des Landwirtschaftsrats, und Traugott Mueller, Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, die Berücksichtigung der Getreidetypen bei der Notiz als nicht realisierbar zurück. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 136. 52 Die Bestimmung über die Notierung der gehandelten Mengen steht in §29 b, nicht § 29 c, der Berliner Börsenordnung. 53 Mit diesem Argument hatten Alfred Michahelles und Wilhelm Zeiler im provisorischen Börsenausschuß die Bekanntgabe der Quantitäten zurückgewiesen. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 152 f. 54 Diese Form der Quantitätsnotierung hatte Wilhelm Lexis im provisorischen Börsenausschuß angeregt. Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 153.
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und § 29 Abs. 3 nicht nur die Abschlüsse der Kursmakler maßgebend sein sollen. - Der Gedanke eines Deklarationszwanges für alle an der Börse geschlossenen Geschäfte - etwa auf Grundlage der durch Strafandrohung zu erzwingenden allgemeinen AusstelA 234 r lung einer Schlußnote, von | der ein Exemplar der notierenden 5 Behörde einzureichen wäre - war vom Bund der Landwirte und dem Landwirtschaftsrat angeregt55 und erfuhr aus den gleichen Gründen: Preisgabe der geschäftlichen Dispositionen an eine, wenn auch zur Geheimhaltung verpflichtete, amtliche Instanz, den heftigsten Widerspruch.56 Er würde jedenfalls zunächst einen voll- 10 ständigen Kollaps der Börsenumsätze herbeiführen, und es ist die Wahrscheinlichkeit angesichts der letzten Vorgänge nicht zu bestreiten, daßh dieser Kollaps ein dauernder sein würde. Angesichts jener Vorgänge dürften alle so weit gehenden Projekte wohl für absehbare Zeit aus der Diskussion verschwinden10). 15 4. Kommissionsgeschäft. Die Reform des Kommissionsgeschäfts ist teils im Börsengesetz (§ 70-74), teils im Depotgesetz (s. d. Art.) 57 in Angriff genommen. Das Börsengesetz befaßt sich ausschließlich mit der Neuregelung des Selbsteintrittsrechts gemäß dem bisherigen § 376 H.G.B., welcher durch die Bestimmungen der §§ 71-74 ersetzt wird. A 234 r
10
' In Königsberg hat man sich über die Getreidenotiz jetzt (Juli 1897) dahin verständigt, 'daß bei' Getreide nur bz.-Kurse, als solche sämtliche, bei Geschäften durch Kursmakler vereinbarte1* Preise, thunlichst unter Scheidung nach Ursprung, Gattung, Gewicht, Farbe, Trockenheit, Geruch, Erntezeit, mindestens aber unter Scheidung fremder und einheimischer Ware, aufzunehmen sind (§§ 15,16 der Börsenordnung), 58 - also nicht die gehandelten Quanta. \
h A: das
i A: daß, bei
k A: vereinbarten
55 In: Denkschrift des Bundes der Landwirte, unten, S. 1001, und in: Eingabe des Deutschen Landwirtschaftsrats, unten, S. 1008. 56 G e g e n die Ausstellung einer dritten Schlußscheinnote s p r a c h A d o l p h Frentzel, in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, S. 146. 57 Max Weber verweist auf seinen Artikel Wertpapiere mit d e m Untertitel „Das Bankd e p o t g e s e t z v o m 5. Juli 1896". Vgl. unten, S. 8 7 6 - 8 8 1 . 58 Gemeint ist die Königsberger Börsenordnung.
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Der Selbsteintritt ist zulässig bei Wertpapieren jetzt nur noch, soweit eine amtliche Notiz stattfindet, während bei Waren das faktische Bestehen eines „Börsen-1 oder Marktpreises"59 genügt. Daß die in den „Freien Vereinigungen" sich bildenden Preise solche 5 sind, ist unbedenklich, nur der Beweis der Höhe nicht immer leicht. Der Kommittent"1, welcher den Selbsteintritt verhindern will, muß ihn untersagen. Der Kommissionär, der als selbsteintretend gelten will, muß dies ausdrücklich erklären, doch kann natürlich der Kommittentn auf jedesmalige besondere Erklärung des Selbsteintritts 10 verzichten. Unzulässig ist aber ein Verzicht auf eine Erklärung überhaupt darüber, ob durch reale Ausrichtung oder durch Selbsteintritt erfüllt wurde. Es muß spätestens am Tage der Ausführungsanzeige der Selbsteintritt erklärt sein - sei es speziell oder generell - wenn er zulässig sein soll. Ist er nicht in zulässiger Art erklärt und 15 hat dennoch der Kommissionär bei der Anzeige der Ausführung keinen Drittkontrahenten namhaft gemacht, so haftet er für die Erfüllung, trotzdem er nicht die Privilegien des Selbsteintrittes genießt. Der wesentliche Unterschied gegenüber dem bisherigen Zustand ist also, daß alsbald Klarheit über die Rechtsstellung des 20 Kommissionärs geschaffen wird, was bisher mangels einer Frist zur Erklärung des Selbsteintritts nicht der Fall war. In Bezug auf die A 2351 Rechtsfolgen des Selbsteintritts ist klarer als bisher zum Ausdruck gebracht, daß derselbe nur eine Form der Ausführung ist, also die allgemeine Stellung des Kommissionärs als solchen zum Kunden 25 im übrigen nicht alteriert. Das Privileg des selbsteintretenden Kommissionärs besteht in der Beschränkung der Pflicht zur Rechnungslegung auf den Nachweis der Innehaltung des Börsenpreises, welcher zur Zeit der Ausführung, d. h. zur Zeit der Abgabe der Ausführungsanzeige an den Kommittenten, bestand. Auch der 30 selbsteintretende Kommissionär hat die pflichtgemäße Sorgfalt insbesondere in Bezug auf den dem Kommittenten zu berechnenden Preis zu °prästieren60 und 0 den bei Anwendung dieser Sorg-
I A: „Börsen
m A: Komittent
n A: Komittent
5 9 M a x W e b e r zitiert aus § 7 1 A b s . 2 B ö r s G . 6 0 Veraltet für leisten, entrichten.
o A: prästieren, und
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falt günstigsten zu erlangenden Preis zu berechnen.61 Keinesfalls aber darf er einen ungünstigeren Preis als denjenigen berechnen, zu welchem er vor Absendung der Ausführungsanzeige aus Anlaß des Auftrages ein Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen hat. Er darf also den Kommittenten nicht am Kurse „schneiden". Im übrigen darf der berechnete Kurs nicht ungünstiger sein als der amtlich festgestellte, wo ein solcher besteht - also bei Wertpapieren stets - , bei Aufträgen zu bestimmten bezeichneten Kursen (erster Kurs, Mittelkursp, letzter Kurs),62 als der so bezeichnete und, wenn der Kommissionär die Ausführungsanzeige erst nach Schluß der Börse abgiebt, als der am Schluß der Börse bestehende. Alle diese Bestimmungen über die Pflichten des selbsteingetretenen Kommissionärs sind durch Vertrag nicht abänderbar. Absichtliche Benachteiligung der Kommittenten durch falschen Rat oder Auskunft oder durch absichtlich nachteilige Ausführung oder Abwikkelung des Geschäftes ist kriminell strafbar (§ 79). Man wird anerkennen dürfen, daß die gröberen Fälle des Schneidens, qAus-dem-Engagement-Werfensc? und (in Verbindung mit der Strafbestimmung des § 75) des Kursmachens durch diese Bestimmungen ziemlich empfindlich getroffen werden. - Daß die Schäden des Kommissionsgeschäftes damit keineswegs radikal beseitigt sind, liegt auf der Hand und ist bei Besprechung des Depotgesetzes weiter auszuführen. 63 Der zentrale Übelstand war von jeher die mangelhaft durchgeführte Arbeitsteilung zwischen Kommissions- und Eigenhandel in Deutschland. Auf zunehmende Entstehung dieser Arbeitsteilung wird vielleicht die Unterdrükkung und Beschneidung des Terminhandels hinwirken. Die größeren Berliner Banken leiteten schon seit 1896 eine Bewegung zu gunsten der Erhöhung - z. T. Verdoppelung - der Provisionssätze
p A: Maklerkurs
q A: Aus-dem Engagement-Werfens
61 Gemeint ist, daß der selbsteintretende Kommissionär dem Kommittenten gleichsam dafür haftet, keinen anderen als den amtlich festgestellten Kurs in Rechnung zu stellen. Max Weber nimmt Bezug auf §71 Abs. 2 BörsG. 6 2 In §71 Abs. 4 BörsG heißt es: „Bei Aufträgen zu bestimmten Kursen (erstem Kurs, Mittelkurs, letztem Kurs)"; einen Maklerkurs gibt es nicht. 6 3 Max Weber verweist auf seinen Artikel Wertpapiere mit dem Untertitel „Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896". Vgl. unten, S. 876-881.
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(z.T. von V2 auf l%o) ein,64 deren Gelingen allerdings bei der | scharfen Konkurrenz zweifelhaft bleibt, zumal die Frankfurter und A 235 r Münchner Börse der Konkurrenz halber nicht mitthun.65 Setzt sich eine Erhöhung durch, so ist damit ein in der Unzulänglichkeit des Verdienstes an Kommissionsgeschäften liegender Anreiz zur Kombination mit der Eigenspekulation weggefallen. Über die Rückwirkung der Einzelbestimmungen auf die Praxis des Kommissionsgeschäftes läßt sich Bestimmtes naturgemäß noch nicht sagen. Im Produktengeschäft wird die Stellung des Kommissionärs beim Handel auf Grund fester Anstellungen immer mehr den Eigenhändlern angenähert werden. Im Effektengeschäft hat sich die schematische Formulierung „kaufte von Ihnen"66 etc. sofort allgemein eingebürgert und ist naturgemäß in wohl sämtlichen Geschäftsbedingungen der Selbsteintritt als das ein für allemal Gewählte erklärt, so namentlich in den von einer Anzahl „Banken und erster Firmen" vereinbarten Bedingungen für Lieferungs-
64 Bald nach Verabschiedung des Börsengesetzes verhandelten der Verein für die Interessen der Fondsbörse und die Stempelvereinigung über eine „Fixlrung der Minimalsätze für die Provisionsberechnung". Bis Mitte November 1896 wurden die „Provisionsbedingungen im Effekten-Kommissionsgeschäft" erarbeitet, denen Max Weber seine Angaben entnommen hat. Eine endgültige Einigung ist jedoch nicht erzielt worden. Der Verein für die Interessen der Fondsbörse sagte Ende November 1896 weitere Verhandlungen ab, weil einzelne Banken ihren Kunden erklärt hatten, zu den alten Sätzen weiter arbeiten zu wollen. Provisionsbedingungen im Effecten-Commissionsgeschäft, in: BBC, Nr. 536 vom 13. Nov. 1896, Ab.BI., S.2; FZ, Nr. 294 vom 22. Okt. 1896, Ab.BI., S.4; BBC, Nr. 530 vom 10. Nov. 1896, Ab.BI., S.3; BBC, Nr. 562 vom 30. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1. Zu den beiden Vereinen vgl. die Einträge im Glossar, unten, S. 1064 und 1066. 65 Die Frankfurter Banken begrüßten die Bestrebungen der Berliner Banken, die Provisionssätze zu erhöhen. Sie waren jedoch der Ansicht, dieses Vorhaben hätte nur dann Sinn, wenn alle deutschen Bankplätze mitwirken würden, da sich sonst die Konkurrenzsituation unnötig verschärfen würde. Die mittleren Berliner Banken waren der Meinung, die Provisionserhöhung sei nur für die Großbanken von Vorteil, da sie selbst nicht mithalten könnten. FZ, Nr.310 vom 7. Nov. 1896, 1. Mo.BI., S.2; FZ, Nr.318 vom 15. Nov. 1896, 2. Mo.BI., S.3. Der Münchner Handelsverein berief Anfang Dezember 1896 eine Mitgliederversammlung ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Debatte in Berlin schon hinfällig, daher hat die Versammlung die Frage nicht mehr erörtert. Allgemeine Zeitung (München), Nr. 334 vom 3. Dez. 1896, 2. Mo.BI., S.7. 66 „Kaufte von Ihnen" ist die in der Rechnung oder Ausführungsdepesche übliche Formulierung, die dem Kommittenten den Selbsteintritt des Kommissionärs anzeigt.
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geschäfte mit ihrer Kundschaft (abgedruckt z.B. in der Münch. Allg. Ztg. vom 24. XII. 1896).67 5. Emissionswesen. „Zulassung zum Handel" im Sinne des Gesetzes bedeutet für Wertpapiere die Zulassung zur Benutzung der Börseneinrichtungen, einschließlich der Vermittelung der Kursmakler, und zur amtlichen Notiz. Einen Handel selbst, der auf diese Institutionen verzichtet, von den Börsenräumen auszuschließen, hat das Gesetz nicht versucht, sondern nur die private Kursnotiz nicht zugelassener Papiere verboten. Die vom Gesetz mit der Verfügung über die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel betraute und zugleich mit der Befugnis des Ausschlusses auch schon zugelassener Wertpapiere vom Börsenhandel versehene „Zulassungsstelle", deren eine Hälfte nicht im Börsenregister eingetragen sein darf, während für an der Einführung eines Papiers Interessierte im einzelnen Fall Stellvertreter zu berufen sind (§ 36), wird nach der Berliner Börsenordnung durch die Ältesten mit 22 frei gewählten Personen besetzt, in Frankfurt durch die Handelskammer ebenso mit 6, unter Vorbehalt der Zuständigkeit zur Zurücknahme der Zulassung für die Handelskammer selbst,68 in München in Stärke von 10 Personen 69 durch den Vorstand des Handelsvereins mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde; in Hamburg ist die Zulassungsstelle identisch mit der Sachverständigen-Kommission für den Effektenhandel, welche ihrerseits wieder identisch ist mit den aus den Kreisen der 6 7 Das Zitat ist der redaktionellen Einleitung zum Abdruck der Bedingungen der Mitglieder der Stempelvereinigung, in: Allgemeine Zeitung (München), Nr. 355 vom 24. Dezember 1896, 2. Mo.BI., S. 7, entnommen. Vgl. dazu auch unten, S. 861 mit Anm. 50. Der Passus der Bedingungen der Mitglieder der Stempelvereinigung lautet: „Bei der Ausführung aller uns ertheilten Aufträge treten wir dem Auftraggeber gegenüber stets als Selbstcontrahent ein, ohne daß es der im §74 des Börsengesetzes vorgesehenen ausdrücklichen Erklärung bei der Ausführung des einzelnen Auftrags bedarf. Unsere Auftraggeber verzichten also auf die Abgabe dieser Erklärung." 6 8 Max Weber nimmt hier Bezug auf § 20 Abs. 6 der Frankfurter Börsenordnung, wonach die erfolgte Zulassung von Wertpapieren zum Börsenterminhandel jederzeit „aus wichtigen Gründen" von der Handelskammer zurückgenommen werden konnte. Über die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an der Börse entschied jedoch die Zulassungsstelle. § 1 8 ebd. 6 9 Nach § 54 der Münchener Börsenordnung sollten es zwölf Personen sein.
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Effektenhändler von der Handelskammer in den Wertpapierbörsenvorstand ernannten Personen, sofern dieselben ihrer Zusammensetzung nach den Anforderungen des Gesetzes entsprechen; anderenfalls ergänzt die Handelskammer die Zahl auf 9. | Beson- A 2361 5 dere weitere Vorschriften, wie sie das Gesetz zulassen würde - Bestätigung durch die Regierung 70 - , sind bisher nirgends getroffen worden. Der Zulassung durch die Zulassungsstelle bedürfen ausnahmslos alle neu an die Börse eingeführten Papiere, mit der Wirkung (§ 41), 10 daß für nicht zugelassene Papiere die Benutzung der Börseneinrichtungen, insbesondere die Vermittelung von Geschäften darin durch die Kursmakler ausgeschlossen ist, eine amtliche Kursnotiz nicht stattfindet und private Kurszettel bei Strafe (§ 77) nicht veröffentlicht oder mechanisch vervielfältigt verbreitet werden dür15 fen, soweit nicht für diese Privatnotizen die Börsenordnung im Einzelfall Ausnahmen gestattet. Solche Ausnahmen zu gunsten nicht zugelassener Papiere, läßt z.B. die Hamburger Börsenordnung (§ 27) zu für Geschäfte 1) in solchen Wertpapieren, die wegen zu geringen Kapitalbetrages nicht zugelassen werden können, fer20 ner 2) in solchen, für welche an einer deutschen Börse eine amtliche Kursfeststellung stattfindet und 3) für gewisse Einzelfälle, wie gewisse Versteigerungen, Erbschaftsliquidationen etc. Deutsche Reichs- und Staatsanleihen muß die Zulassungsstelle ohne weitere Prüfung zulassen, die Zulassung anderer Papiere 25 kann sie ablehnen und zwar ohne Angabe der Gründe (§ 36), vorbehaltlich einer durch die Börsenordnungen etwa zugelassenen und in denselben näher zu regelnden Beschwerde; eine solche kennen z.B. Berlin (B[örsen-]0[rdnung] §23) binnen 14Tagen an die Ältesten, Frankfurt binnen 14 Tagen an die Handelskammer 30 (B[örsen-]0[rdnung] § 19), München binnen 8 Tagen an die Handelskammer (B[örsen-]0[rdnung] § 56), Hamburg ohne Frist an die Handelskammer (B[örsen-]0[rdnung] § 26), wobei aus den betreffenden Bestimmungen teils direkt (München, Frankfurt) hervorgeht, teils nach der Fassung als selbstverständlich anzusehen ist, 35 daß nur der Antragsteller (in Frankfurt der Emittent) die Beschwerde erheben kann.
7 0 G e m e i n t ist die jeweilige L a n d e s r e g i e r u n g .
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Die Zulassung darf in folgenden Fällen nur unter den angegebenen Voraussetzungen erfolgen: 1) daß die Gesamtsumme der alsbald in den freien Verkehr zu bringenden Stücke eines Schuldners, der noch keine Papiere am Markt hat, sich in Berlin, Frankfurt, Hamburg auf 1 Million, an an- 5 deren Börsen auf 500 000 M. nominal beläuft, vorbehaltlich des Dispenses der Aufsichtsbehörde bezw. Landesregierung bei lokalen Werten (§ 2 der Bundesratsverordnung vom 11. XII. 1891),71 2) daß die Wertpapiere - außer bei Versicherungsaktien - voll gezahlt sind (§ 3 Nr. 1 das.), 10 3) daß sie allein oder auch auf deutsche Währung lauten (§ 3 Nr. 2 das.), A 236 r 4) daß sie an deutschen Plätzen kostenfrei | zahlbar gestellt sind (§ 3 Nr. 3 das.),72 zu 2 - 4 vorbehaltlich des Dispenses durch die Zulassungsstelle, 15 5) bei Aktien und Interimsscheinen inländischer Gesellschaften, daß a) sie auf 1000 M. oder den gesetzlich zulässigen niedrigeren Betrag lauten (§ 2 Abs. 1 und 2 das.), b) Hahr seit der Registrierung der Umwandlung eines Unter- 20 nehmens zur Aktiengesellschaft bezw. Aktienkommanditgesellschaft verstrichen und die erste Bilanz publiziert ist (§ 39 des Gesetzes] Abs. I), 73 6) bei Papieren ausländischer Erwerbsgesellschaften, a) daß die Emittenten die Verpflichtung 5-jähriger Publikation 25 der Bilanzen in deutschen Zeitungen übernehmen (§ 39 des Ges[etzes] Abs. 2), b) bei ausländischen Aktien speziell, daß dieselben auf den ad 5 a bezeichneten Betrag lauten, Dispens der Landesregierung vorbehalten (§ 2 Abs. 3 der Verordnung).74 30
r A: Nominal 71 Diese Bestimmung ist in § 1 der Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896 - nicht 1891 - getroffen. „Lokale Werte" werden dort umschrieben mit „Bedeutung für das engere Wirtschaftsgebiet" eines Börsenplatzes. 7 2 Nach § 3 Ziffer 3 ebd. sollten die Wertpapiere und Zinsen in Deutschland zahlbar und die Aushändigung neuer Zinsbogen kostenfrei sein. 7 3 Gemeint ist das Börsengesetz. 7 4 Gemeint ist die Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896.
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Abgesehen von diesen Voraussetzungen soll die Zulassungsstelle von ihrem Zurückweisungsrecht Gebrauch machen, um l ) d i e Legalität der Papiere zu prüfen, 2) die möglichst vollständige Information des Publikums über alle für die Bonität des Papiers maßgebenden Verhältnisse zu erzwingen und 3) die Schädigung erheblicher allgemeiner Interessen oder eine offenbare Übervorteilung des Publikums zu hindern. 75 Eine Einführung eines Papiers an mehreren Börsen soll nur im Einvernehmen der Zulassungsstellen erfolgen, eine Ablehnung durch eine Zulassungsstelle für alle anderen bindend sein (§ 31).76 Über die Zulassung wird auf schriftlichen Antrag an die Zulassungsstelle entschieden, welcher die „Emissionsfirmen", 77 den Betrag und die Art der einzuführenden Papiere zu enthalten hat. Nicht ausdrücklich bestimmt ist, wer zur Stellung eines solchen Antrages legitimiert ist. Die Erwähnung der „Emissionsfirmen" setzt das Vorhandensein einer solchen als normal, aber wohl nicht als notwendig voraus. Die Frage ist den Börsenordnungen und der Praxis der Zulassungsstellen überlassen. Von den Börsenordnungen enthält z.B. die Hamburger und Frankfurter keinerlei Vorschrift, die Münchener verlangt (§ 57), daß der Antrag s von einer in München domizilierten Bankfirma gestellt werde, die Berliner (§ 25 a, vom Handelsminister oktroyiert) untersagt die Abweisung aus dem Grunde, weil der Antragsteller nicht zu den Börsenbesuchern gehörig oder nicht in Berlin ansässig sei, für diejenigen Papiere, welche nach den (gleich zu erwähnenden) Bestimmungen des § 38 Abs. 2 des Börsengesetzes vom Prospektzwang frei sind, also für Reichs- und Staatsanleihen. Für alle anderen (auch die § 38 Abs. 3 angegebene) wird also | zweifellos die Einführung Monopol A 2371 der Berliner Börsenfirmen bleiben. Weitere Legitimationen, z. B. Zustimmung des Schuldners der zuzulassenden Obligationen und der Aktiengesellschaft, deren Aktien eingeführt werden sollen, sind nicht vorgesehen, der Bundesrat und ergänzend die Landes-
s A: Betrag 75 Max Weber referiert § 36 Abs. 3 BörsG. 76 Diese Bestimmungen finden sich in §37 BörsG. 77 Statt „Emissionsfirmen" heißt es in dem diese Bestimmung enthaltenden §38 Abs. 1 BörsG „Einführungsfirma".
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regierung nach § 42 Abs. 2 und 3 und ebenso die Zulassungsstelle kraft ihrer arbiträren Stellung würden sie verlangen können. Aus den Bestimmungen des § 5 Nr. 4 der Bundesratsverordnung vom 11. XII. 1896, wonach im Prospekt „der Betrag, der in den Verkehr gebracht werden soll", anzugeben ist, kann wohl entnommen wer- 5 den, daß wenigstens bei prospektpflichtigen Papieren nicht jeder beliebige, sondern nur derjenige, welcher über diesen Betrag zu disponieren in der Lage ist, also normalerweise der Emittent, den Antrag soll stellen dürfen. Der Antrag bedarf der Zufügung weiteren Materials nicht bei 10 Reichs- und Staatsanleihen, ferner bei den vom Reich oder einem Bundesstaat voll garantierten Papieren und solchen von Kommunen, kommunalständischen Kreditinstituten und staatlich kontrollierten Pfandbriefanstalten, bei denen die Landesregierung dazu dispensiert.78 Bei allen anderen Papieren sind bestimmte im 15 § 8 der Bundesratsverordnung aufgezählte Nachweisungen und ein Prospekt von ebenfalls bestimmt vorgeschriebenem Inhalt (§§5-7 daselbst, s. u.)79 beizufügen. Dieser vorgeschriebene Inhalt schließt sich ziemlich an die Vorschriften der früher sog. „leitenden Gesichtspunkte", welche die Berliner Ältesten aufgestellt hatten, 80 20 an11). I A 237 I
11J Die wesentlichen für den Prospekt verlangten Angaben sind (soweit sie nicht selbstverständlich sind): a) allgemein: Rechtstitel, Rechtsform und Sicherheiten, etwaiger Verwendungszweck, Betrag (speziell etwaige gesperrte Beträge nach Höhe und Zeit), 81 Vorzugsrechte oder Zurücksetzung hinter anderen bevorzugten Papieren, Abzüge und Beschränkungen bei Zahlungen, 82 Verjährungsfristen 83 (§ 5 der Verordnung); b) außerdem bei auswärtigen öffentlichen Papieren: Übersichten des letzten Etats oder die Angabe, daß kein Etat publiziert worden, Rechnungsabschlüsse, Schuldenstand,
78 Max Weber referiert § 38 Abs. 2 und 3 BörsG. Zu den kommunalständischen Kreditinstituten vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1048f. 79 Gemeint Ist Fußnote 11. 80 Gemeint sind die Leitenden Gesichtspunkte, Neue Fassung November 1894. 81 Laut § 5 Ziffer 4 der Bundesratsverordnung vom 11. Dezember 1896 muß der Prospekt „den Nennbetrag der Emission, und zwar sowohl denjenigen Betrag, welcher in den Verkehr gebracht, als auch denjenigen Betrag, welcher vorläufig ausgeschlossen werden, und die Zelt, für welche dieser Ausschluß erfolgen soll," angeben. 82 In § 5 Ziffer 9 ebd. werden „Zins-, Dividenden- oder Kapitalzahlungen" genannt. 83 Die Verjährungsfristen gelten hinsichtlich „des Anspruchs auf Zinsen oder Dividenden und auf die Kapitalbeträge." § 5 Ziffer 10 ebd.
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Der eingereichte Antrag wird - ohne die Beilagen - im Reichs- A 237 r anzeiger und zwei deutschen Zeitungen veröffentlicht, um so etwaige Einsprüche zu provozieren. Demnächst prüft die Zulassungsstelle, ob die Nachweisungen und der Prospekt den Vorschrif5 ten entsprechen und sonst die formalen und materiellen Voraussetzungen gegeben sind[,j und fordert vom Antragsteller eventuell die Beseitigung der Anstände, mangels deren die Abweisung des Antrages erfolgt (§11 der Bundesratsverordnung).84 Zwischen Publikation des Antrags und Zulassungsbeschluß müssen 3 Tage liegen.
Mitteilung über die Verhältnisse etwaiger im letzten Jahrzehnt unerfüllt gebliebener Verbindlichkeiten (§ 6 A); bei Anleihen von auswärtigen Staaten mit allgemein bekannten Finanzverhältnissen kann davon ausnahmsweise abgesehen werden (§ 9); c) bei Papieren gewerblicher Unternehmungen: Zweck, Umfang, Dauer und Bedingungen etwaiger Konzessionen, Erwerbungsrechte' Dritter, erhebliche Bau- und Betriebsstörungen der letzten 3 Jahre, den Gläubigern eingeräumte besondere Befugnisse (§6B); d) bei Grundkreditpapieren: Tax- und Beleihungsgrundsätze, zulässiges Verhältnis der Emissionen zum Grundkapital und den Hypotheken, Bestand und Umlauf 85 der Obli- A 237 r gationen, Befugnisse der Inhaber derselben, Aufsichtsrecht öffentlicher Verbände (C § 6); 86
e) ferner bei Aktien und Obligationen von Aktien- und Aktienkommanditgesellschaften und entsprechend von Gesellschaften mit beschränkter Haftung außer den Erfordernissen bei a und bezw. bei b, c, d: Tag der Registrierung, Grundkapital, Organisation und Personenbestand von Vorstand und Aufsichtsrat, Art der Berufung der Generalversammlung und der Bekanntmachungen, Geschäftsjahr", Bilanz-, Reservefonds-, Gewinnverteilungs-, Stimmrechts- und Bezugsrechtsverhältnisse, dauernde besondere Vorteile einzelner, ferner Apports, Übernahme 87 und Gründergewinn bei nur 2 Jahre alten Gesellschaften, Dividenden des letzten Jahrfünfts, letzte Bilanz, Schuldenstand,88 Bezugsrechte Dritter (§ 7). Über die Form der vorzulegenden Nachweisungen verbreitet sich § 8. | t A: Erwerbungrechte
u A: Geschäftslage89
8 4 Max Weber referiert aus den § § 1 0 - 1 2 der Bundesratsverordnung
vom 11. Dezember
1896. 8 5 „Bestand und Umlauf" ist in § 6 C Ziffer 3 ebd. definiert als die „Höhe der ausgegebenen, am Schlüsse des letzten Kalendervierteljahres in Umlauf gewesenen Schuldverschreibungen." 86 Gemeint ist § 6 C ebd. 8 7 Ebd. heißt es, daß der Prospekt „die von der Gesellschaft übernommenen vorhandenen oder herzustellenden Anlagen oder sonstigen Vermögensstücke" angeben muß. 88 „Schuldenstand" ist in § 7 Ziffer 13 ebd. definiert als „Höhe der Hypothekenschulden und Anleihen, deren Fälligkeit und Tilgungsart." 8 9 Nach § 7 Ziffer 7 ebd. muß der Prospekt das „Geschäftsjahr der Gesellschaft" angeben, nicht die „Geschäftslage".
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Der Prospekt muß alsdann in den gleichen Zeitungen wie der Antrag veröffentlicht werden und erst am dritten Werktage, sowohl nach dem Tage des Zulassungsbeschlusses, als nach dem Tage der ersten Prospektveröffentlichung, dürfen die Papiere an der Börse eingeführt werden (§ 15 der Bundesratsverordnung).90 Erst als- 5 dann dürfen Geschäfte in diesen Papieren die Börseneinrichtungen benutzen und findet die amtliche Notiz statt; die Publikation und Verbreitung mechanisch vervielfältigter Kurszettel darf die Börsenordnung für besondere Fälle gestatten (s.o.),91 sonst ist sie strafbar (§§ 41, 77 B[örsen-]G[esetz]); eine „nichtamtliche" Notiz 10 findet nicht mehr statt.92 Wenn die Papiere zur Subskription aufgelegt werden, sind ferner vor beendeter Zuteilung Geschäfte darüber von den Börseneinrichtungen ausgeschlossen, es findet eine amtliche Preisnotiz nicht statt, und private Kurszettel dürfen bei Strafe nicht publiziert oder mechanisch vervielfältigt verbreitet 15 werden (§ 40 B[örsen-]G[esetz]: Verbot des sog. „Handels per Erscheinen"). Für den für die Bonität der Papiere erheblichen Inhalt des Prospekts haften die Erlasser des Prospekts (Emittenten) denjenigen, welche die auf Grund desselben zugelassenen Papiere im Inlande 20 A 2381 erworben haben, 5 Jahre lang, und zwar a)bei Un|richtigkeit der Angaben für dolus und grobes Verschulden, b) bei Unvollständigkeit, wenn diese durch „bösliches" Verschweigen oder „bösliche" Unterlassung93 der Prüfung verschuldet ist. Eigenes Verschulden des Geschädigten schließt die Haftung aus, außer wenn „Böslich- 25 keit" des Haftenden vorlag. Es wird im allgemeinen anerkannt werden dürfen, daß die Bestimmungen des Gesetzes über die formellen Voraussetzungen der Zulassung kaum eine auf die Dauer besonders empfindliche Belästigung des Emissionsgeschäftes enthalten und wenigstens die er- 30 höhte Wahrscheinlichkeit gleichmäßiger Behandlung an allen Börsen mit sich bringen. Die neu bezw. nunmehr unzweideutig statu-
9 0 Max Weber referiert aus den §§ 14 und 15 ebd. 91 Oben, S. 836. 9 2 Die amtlichen Kurszettel enthielten vor der Börsenreform in der Regel auch einen „nichtamtlichen Teil". 9 3 Max Weber zitiert aus § 43 Abs. 1 BörsG.
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ierte „materielle" Prüfungspflicht 94 der Zulassungsstelle wird, wie schon öfter hervorgehoben, 95 gerade in den Fällen der großen internationalen Kapitaloperationen wohl ohne erhebliche Tragweite bleiben. Hier ist eine wirkliche Gewähr im allgemeinen nicht zu schaffen, wie alle Erhebungen beweisen. Das Maß der Beschneidung der unsoliden kleinen Gründungsarbeit wird von der Praxis abhängen, da die Bestimmungen, welche fehlerhafterweise sie mit jenen ganz andersartigen Emissionen über denselben Leisten schlugen, abgesehen von der, wenn das Dispensrecht nicht liberal geübt wird, zu weitgehenden einjährigen Frist des § 39, keineswegs sehr eingreifende sind, auch formale Bestimmungen hier nicht entscheiden. Die Haftung muß bei jenen großen Emissionen, wenn das deutsche Emissionsgeschäft nicht mit einem ganz unerträglichen Risiko zu gunsten des ausländischen prägraviert 96 werden soll, faktisch illusorisch bleiben, während sie bei kleinen Gründungen eventuell selbst noch schärfer hätte gefaßt werden können. Vor allem fehlt es aber an jeder Schranke für die Masseneinschmuggelung nicht zugelassener Papiere, die an auswärtigen Börsen notiert werden, im Wege der Preßreklame und Anpreisung durch Cirkular. 97 Dem Verbot der Verbreitung von Kurszetteln über den Handel in diesen Papieren an inländischen steht die Freiheit der Verbreitung der Kursnotizen fremder Börsen über dieselben gegenüber. Der Gesichtspunkt des Schutzes des Publikums ist hinter der agrarischen Tendenz der Erschwerung des deutschen Emissionsgeschäfts zurückgetreten. 6. Terminhandel und spekulative Verkehrsformen. Der thatsächliche Zustand des Spekulationsgeschäftes und speziell des Terminverkehrs und seiner Rechtsformen vor Inkraftreten des Gesetzes kann hier nicht dargestellt werden. Es muß vielmehr auf die an den einzelnen Börsenplätzen publizierten Geschäftsbedingungen und auf die Darstellung der Ergebnisse der Börsenenquete
94 Max Weber nimmt Bezug auf §36 Abs. 3 BörsG. 95 Nicht in diesem, aber im Artikel Börsenwesen, oben, S. 567. 96 Hier in der Bedeutung von belasten. 97 Einen dahin gehenden Antrag hatte Max Weber im provisorischen Börsenausschuß gestellt, oben, S. 674 und 676-680.
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A 238 r im 1. Supplementbande1 und in besonderen | Aufsätzen2 verwiesen werden. Praktisch kommt für die Spekulation in Effekten fast nur das Ultimogeschäft per laufenden Monat, für den Produktenverkehr der Schluß auf Monatstermin mit Ankündigung des Verkäufers in Betracht. Der Effektenterminverkehr war von Bedeutung 5 fast nur in Berlin, Hamburg, Frankfurt, der Terminverkehr in Getreide mehr und mehr nur in Berlin, in Sprit in Berlin, Hamburg, Posen, in Zucker in Hamburg und Magdeburg, in Baumwolle in Hamburg,3 in Kaffee ebendort, in Kammzug3 in Leipzig. Das Gesetz hat zunächst im § 78 eine Strafbestimmung geschaf- 10 fen für die gewohnheitsmäßige gewinnsüchtige Verleitung13 zu Börsenspekulationsgeschäften ohne Rücksicht auf deren Rechtsform. Die Formulierung ist der des Wuchergesetzes analog („Ausbeutung der Unerfahrenheit und des Leichtsinns",4 ferner ist Nichtzugehörigkeit zum Gewerbebetrieb des Verleiteten Voraussetzung). 15 Gegen diese Bestimmung ist nichts zu erinnern. Selbständig hiervon hat das Gesetz in den §§ 48-69 den Börsenterminhandel im Anschluß, aber unter Überbietung der Vorschläge der Börsenkommission5 einzuschränken gesucht und zwar durch folgende Gruppen von Bestimmungen: 20 A. Der Börsenterminhandel ist teils gesetzlich untersagt, teils darf er untersagt und seine Entstehung verhindert werden: I. Verboten ist durch das Gesetz (§ 50 Abs. 2,3): 1) der Börsenterminhandel in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen; 25 a A: Kammzeug
b A: Verbreitung
1 Max Weber verweist auf seinen Artikel Börsenwesen, oben, S. 558-590. 2 Max Weber bezieht sich auf seine Artikelserie „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete", oben, S. 195-550. 3 In Bremen war das Termingeschäfte in Baumwolle weit bedeutender als in Hamburg. 4 Die Formulierung des §78 BörsG „Ausbeutung ihrer Unerfahrenheit oder ihres Leichtsinns" ist analog zu Art. 1 Satz 2 des Wuchergesetzes formuliert. Dieser lautet: „Wer unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen [...]." 5 Die vom Reichstag im Januar 1896 einberufene IX. Kommission hatte wenige, den Entwurf: Börsengesetz 1 verschärfende Abänderungen beschlossen, u. a. das Verbot des Börsenterminhandels in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen. Der Reichstag ging noch darüber hinaus, indem er mit §50 Abs. 3 BörsG das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten hinzufügte. Die IX. Kommission hatte lediglich hinsichtlich der Lieferungsbedingungen und -qualität beim Börsenterminhandel in Getreide Bestimmungen gefordert. Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1483f.; Entwurf: Börsengesetz 3, S. 1729.
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2) der Börsenterminhandel in Anteilen anderer Erwerbsgesellschaften, deren Kapital - und zwar in Papieren der betr. Art R[eichs-]T[ags-]B [ericht] S. 24516 - nicht mindestens 20 Mill. M. beträgt; 3) der c Börsenterminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten - entgegen der Regierungsvorlage und gegen die Ausführungen der Regierungsvertreter mit 204 Stimmen gegen 39 angenommen. 7 II. Der Bundesrat kann (§ 50 Abs. 1) den Börsenterminhandel in jeder Ware und jedem Wertpapier nach Ermessen untersagen oder ihn allgemein oder für einzelne Objekte an Bedingungen knüpfen, also auch einzelne Termingeschäfts/orme«, wie Prämiengeschäfte, Stellagen, Nachgeschäfte untersagen (K[ommisions-] B[ericht] S. 45).8 III. Der Börsenterminhandel bedarf (§ 49), soweit er in einzelnen Waren und Wertpapieren noch nicht besteht, in jedem einzelnen Falle der besonderen Zulassung, - unbeschadet des durch § 50 Abs. 1 statuierten Rechts des Bundesrates (cf.d No. II). Diese Zulassung erfolgt durch die „Börsenorgane", - nach den Börsenordnungen in Berlin (§ 26) den Vorstand der Fonds- bezw. Produktenbörse, in Frankfurt (§ 20) die Handelskammer, in Ham|burg (§ 29) A 2391 die Handelskammer, in München (§ 62) den Börsenvorstand mit Genehmigung der Börsenaufsichtsbehörde. Die Zulassung darf erst erfolgen, nachdem Vertreter der „beteiligten Erwerbszweige" 9 gutachtlich gehört und das Ergebnis dem Reichskanzler mitgeteilt
c A: Der
d A: Bundesrates cf.
6 Max Weber verweist auf die Interpretation des Abgeordneten von Strombeck während der dritten Lesung des Börsengesetzentwurfs im Reichstag am 6. Juni 1896. Strombeck führte aus, daß in §50 mit dem Satz: „wenn das Kapital der betreffenden Erwerbsgesellschaft mindestens 20 Millionen Mark beträgt", gemeint sein müsse: „das Kapital derjenigen Art von Aktien, in welchen das Termingeschäft stattfindet, muß den Betrag von 20 Millionen übersteigen. Es wäre redaktionell richtiger gewesen, wenn man in §50 gesagt hätte: der Börsenterminhandel in Antheilen von anderen Erwerbsgesellschaften kann nur gestattet werden, wenn das Kapital dieser Antheiie mindestens 20 Millionen Mark beträgt." Sten.Ber., 6. Juni 1896, Band 146, S.2451. 7 Das Verbot des Börsenterminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten wurde vom Reichstag in der zweiten Lesung am I . M a i 1896 mit 200 gegen 39 Stimmen angenommen. Sten.Ber., I . M a i 1896, Band 145, S.2060-2062. 8 Gemeint ist der Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1487. Max Webers Seitenangabe bezieht sich auf die Paginierung des ungebunden Originals der Reichstagsdrucksache. 9 Max Weber zitiert aus § 4 9 BörsG.
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ist und dieser erklärt hat, daß er zu weiteren Ermittelungen keinen Anlaß finde. Nach den preußischen Börsenordnungen setzt die Zulassung das bereits längere Zeit dauernde Bestehen eines regelmäßigen Handels in dem Objekt voraus und ist der Antrag auf Zulassung 14 Tage vor der Beschlußfassung zu publizieren, ferner der Vorstand des betr. Unternehmens zu hören und sind die Beschlüsse dem Handelsminister mitzuteilen. Die zulassenden Instanzen sind in Preußen durch die Börsenordnungen ausdrücklich zur Rücknahme wegen mangelnden Geschäfts und „aus wichtigen Gründen" 1 0 ermächtigt. Ein „thatsächlich stattfindender Terminhandel", für den die Zulassung nicht nachgesucht wird, kann durch die „Börsenaufsichtsbehörden", 11 also auch die Landesregierungen untersagt werden. Die Rechtsfolgen sind bei Verbot durch Gesetz oder Bundesrat und bei Ablehnung der Zulassung, - in beiden Fällen gleichmäßig: a) daß - selbstverständlich, - falls ganze Geschäftszweige (so der Getreidehandel) dem Börsenterminhandel verschlossen sind, für die betreffende Branche speziell eine Eintragung in das Börsenregister nicht zulässig ist. Ausdrücklich bestimmt sind ferner im Gesetz als Rechtsfolgen: b) daß die Börsentermingeschäfte in den betr. Objekten von „der Benutzung der Börseneinrichtungen ausgeschlossen" sind e , insbesondere von der Vermittelung durch die Kursmakler und damit von der amtlichen Kursnotiz (§ 51 Abs. 1); c) daß bei Strafe (§ 77) die Veröffentlichung und mechanisch vervielfältigte Verteilung von Kurszetteln darüber verboten ist (§ 51 Abs. 1 Satz 2); d) daß ein „von der Mitwirkung der Börsenorgane unabhängiger Terminhandel" (vom Gesetz nicht „Börsenterminhandel" genannt), soweit er sich in den „für Börsentermingeschäfte üblichen Formen" vollzieht, von der Börse ausgeschlossen ist (§ 51 Abs. 2). Dagegen ist nicht bestimmt, daß die Giltigkeit der entgegen dem Verbote etwa stattfindenden Termingeschäfte irgendwie berührt werde. e Fehlt in A; sind sinngemäß ergänzt. 10 Max Weber zitiert aus § 26 der Berliner Börsenordnung senordnung. 11 Max Weber zitiert aus § 5 2 BörsG.
resp. § 20 der Frankfurter
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B. Der Abschluß und ebenso die Erteilung und Übernahme von Aufträgen und die Vereinigung zu Börsentermingeschäften sind rechtsgiltig nur möglich zwischen denjenigen Personen, welche beiderseits zur Zeit des Abschlusses in ein Börsenregi\ster eingetragen A 239 r 5 waren. Anderenfalls bleibt zwischen im Inland domizilierten Personen der Anspruch daraus nebst Sicherheiten und Schuldanerkenntnissen klaglos, 12 auch wenn das Geschäft im Ausland geschlossen oder zu erfüllen ist, jedoch findet eine Rückforderung des bei oder nach der Abwickelung Geleisteten nicht statt (§§ 6 6 io 68). Hingegen ist seitens Eingetragener oder solcher, welche der Eintragung nicht bedurften (im Ausland domizilierter), ein Einwand auf die Behauptung vertragsmäßigen Ausschlusses der realen Erfüllung nicht zu begründen (§ 69). Den Einwand des Spiels hält das Reichsgericht als hierdurch nicht ausgeschlossen. (Entsch[ei15 dung] v. 29. II. 1891 in Holdheims Monatsschrift] f[ür] Akt[ien-] W[esen] S.l93f.) 1 3 Die Eintragung in das bei den Handelsgerichten des geschäftlichen, eventuell persönlichen, Domizils geführte Börsenregister erfolgt auf Antrag gegen Zahlung von 150 M., muß für jedes folgende
12 Da nach §66 Abs. 1 BörsG in einem Geschäftszweig, für welchen nicht beide Parteien zur Zeit des Geschäftsabschlusses in einem Börsenregister eingetragen sind, durch ein Börsentermingeschäft „ein Schuldverhältnis nicht begründet" wird, kann keine Partei zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche auf den Schutz der Gerichte setzen, also auf Erfüllung etc. klagen. 13 Max Weber verweist auf die vielbesprochene Entscheidung des I. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 29. Februar 1896 - nicht 1891 -, in: Monatsschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, N.F. 5. Jg., 1896, S. 193198. In seiner Urteilsbegründung machte der I. Zivilsenat des Reichsgerichts, ebd., S. 196, auf die Unzulänglichkeit des Börsengesetzentwurfs aufmerksam, indem er anführte: „Wird der zur Zeit dem Reichstag vorliegende Entwurf eines Börsengesetzes Gesetz und haben sich beide Theile in das betreffende Handelsregister eintragen lassen, so würde zwar der eine Kontrahent wider den anderen bei solcher Sachlage nicht auf Erfüllung eines Kaufvertrages klagen können, auch wenn sonst die Bedingungen, unter welchen bei einem Börsengeschäft auf Erfüllung geklagt werden kann, innegehalten worden wären. Denn einen Kauf haben eben die Kontrahenten nicht geschlossen. Der Klage auf die Differenz würde aber die Thatsache nicht entgegenstehen, daß der Schlußzettel über einen Kauf lautet, während thatsächlich ein Differenzgeschäft geschlossen war. Vielmehr haben eben die Parteien das Geschäft, das sie geschlossen haben, damit zum Ausdruck gebracht, daß sie den Schlußschein unterzeichnet haben, wie wenn sie einen Kaufvertrag geschlossen hätten, nur mit dem zwischen ihnen beiden feststehenden und nicht besonders niedergeschriebenen Vorbehalt, daß allein die Differenz geleistet werden soll, wie wenn ein Kauf geschlossen worden wäre."
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Jahr durch je 25 M. Gebühren erhalten werden und kann auf Antrag am Ende jedes Jahres gelöscht werden. Das Register ist öffentlich, das Amtsgericht I Berlin stellt jährlich auf Grund der Angaben der Einzelgerichte die Gesamtliste der Eintragungen zusammen, die im Reichsanzeiger bekannt gemacht wird (§§ 54-65). Die Wir- 5 kung der Eintragung zu gunsten gutgläubiger Dritter ist dem Handelsregister ähnlich geordnet (§ 67). 14 - Sie kann generell oder für bestimmte Geschäftszweige erfolgen. 15 Nicht bestimmt ist, daß etwa nur Geschäfte zwischen Eingetragenen zur Benutzung der Börseneinrichtungen und zur Vermittelung 10 durch die Kursmakler zugelassen seien. Außer diesen Bestimmungen über die Zulässigkeit des Terminverkehrs und die Klagbarkeit der Termingeschäfte enthält das Gesetz nur noch die eine Bestimmung (§ 53), daß bei dem börsenmäßigen Produktenterminhandel der Verkäufer, der nach der Kündi- 15 gung unkontraktliche Ware liefert, in Verzug gerät, auch wenn die Lieferungsfrist noch nicht abgelaufen war, - während z. B. in Berlin nach der früheren Bedingung die wegen Unkontraktlichkeitserklärung frustrierte Kündigung als nicht geschehen behandelt wurde, nach der neuen 16 der Käufer demgegenüber nur das Recht der 20 Übernahme unter Abzug des geschätzten Wertabganges hatte. Über die Geschäftsbedingungen und Rechtsformen des Börsenterminhandels enthalten sonst weder das Gesetz noch die für die preußischen Börsen erlassenen Börsenordnungen Bestimmungen. Die Festsetzung der Bedingungen ist - wie der bald zu besprechende 25 § 48 ergiebt17 - den Börsenvorständen überlassen. Die Hamburger Börsenordnung überweist sie den Vorständen der Wertpapier-, Sprit-, Kaffee-, Zucker- und Baumwollbörsen. Die Münchener A 2401 Börsenordnung hat dagegen | die Bedingungen in ihren Kontext auf-
14 Gemeint ist, daß rechtswidrig eingetragene, resp. trotz erfolgter Löschung im Börsenregister noch in der Gesamtliste aufgeführte Personen weiterhin als im Börsenregister eingetragen gelten, wenn der Gegenkontrahent von der Unwirksamkeit der Eintragung zur Zeit des Geschäftsabschlusses keine Kenntnis hatte. §67 BörsG. 15 Diese Bestimmung gilt jedoch nur für das Börsenregister für Waren. §61 BörsG. 16 Gemeint sind die früheren Bedingungen der Schlußscheine für Weizen, Roggen und Hafer von 1889 und die neuen Bedingungen für den Handel in Weizen (Roggen, Hafer, Mehl, Mais) auf Lieferung innerhalb eines Kalender-Monats, gültig für Geschäfte auf Januar 1894 und spätere Termine. 17 Unten, S.849f.
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genommen. - Die Möglichkeit der Einwirkung auf die Geschäftsformen ist den Landesregierungen durch das Recht, in die Börsenordnungen Bestimmungen über die Bedingungen derjenigen Geschäfte, welche die Börseneinrichtungen benutzen dürfen, zu oktroyieren, gegeben,18 dem Bundesrat durch § 6 Satz 3. Einem Terminverkehr, der auf die Benutzung dieser Einrichtung verzichtet, könnte nur auf Grund der oben wiedergegebenen Untersagungsbefugnisse19 beizukommen sein. Für die Tragweite dieser Befugnisse, ebenso aber der Verbote des § 50 und der Bestimmungen über die Bedeutung des Börsenregisters ist mithin entscheidend die Frage, was diejenigen §§ des Gesetzes, welche von 1) „Börsenterminhandel", 2) „Börsentermingeschäften", 3) „börsenmäßigem Terminhandel", 4) „Terminhandel", 5) „börsenmäßigen Termingeschäften" sprechen, - ad 1 §§ 49,50,51,52,53 - ad 2 §§ 51,55,60,66,69 - ad 3 § 50 - , ad 4 §§ 51, 5220 - , ad 5 § 82 Abs. 4, woneben noch in anderem Zusammenhang der Ausdruck „Zeitgeschäft" sich findet (§ 29), unter diesen unter sich zum Teil zweifellos nicht identisch gemeinten Ausdrücken verstehen. Das Ergebnis für die Frage des geltenden Rechts ist zugleich für die formale Schwäche dieser Gesetzgebung wie für ihre materielle Minderwertigkeit ähnlich bezeichnend, wie die durch das Gesetz in Bezug auf die Börsenorganisation geschaffene Rechtslage. Die Definition des Börsenterminhandels im Sinne des Gesetzes enthält § 48. Danach sind Börsentermingeschäfte Kauf- oder sonstige (?) Anschaffungsgeschäfte21 entweder a) mit festbestimmter Lieferungsze/i oder b) mit festbestimmter Lieferungs/rat, wenn sie 1) nach Geschäftsbedingungen geschlossen werden, die von dem Börsenvorstande für den Terminhandel festgesetzt sind, und wenn 2) für sie an der betr. Börse amtliche Terminpreise festgestellt werden. Wie die kontinuierliche Serie von Bestimmungen in'
t Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt. 18 Die Rechte der Landesregierungen regeln die §§ 1, 4 - 5 und §6 Satz 1 bis 2 BörsG. 19 Oben, S.846. 20 In der Autzählung fehlt der Hinweis auf §48 BörsG, in dem vom „Börsentermingeschäft" (ad 2) und „Terminhandel" (ad 4) die Rede ist. 21 „Kauf- oder sonstige Anschaffungsgeschäfte" ist Zitat aus § 48 BörsG.
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§ 48 ff. zeigt, braucht das Gesetz „Börsentermin/iarcde/" identisch mit: „Thatsächliches Stattfinden von Börsentermingeschäften" 22 im Sinne des § 48. Die Begriffsbestimmung ist bezüglich des Merkmals ad 2 der im Börsensteuergesetz (vom 27. IV. 1894) Tarifnummer 4623 gegebenen9 Definition „börsenmäßig gehandelter Waren" 5 entnommen, nur ist dort nicht von amtlicher Notiz die Rede und statt der Feststellung der Geschäftsbedingungen durch den Börsenvorstand (ad 1) ist dort der Abschluß „unter Zugrundelegung der Usancen einer Börse" genannt. „ßorsenterminhandel" und „iJörsentermingeschäfte" ohne eine 10 solche amtliche Feststellung der Bedingungen und ohne amtliche A 240 r Preisnotiz kennt also das Gesetz seinem | Wortlaut nach entschieden nicht, sondern neben dem ßörsenterminhandel nur den „von der Mitwirkung der Börsenorgane unabhängigen Terminhandel" des § 51 Abs. 2 im Fall der Untersagung oder verweigerten Zulas- 15 sung, und den „thatsächlich stattfindenden Terminhandel" des § 52, der auf die Zulassung, also die amtliche Regulierung und Notiz und damit, wie der Wortlaut des § 52 ergiebt, auf die Verwandlung aus „Terminhandel" inh „ßörsercterminhandel" verzichtet hat. 20
Es fragt sich nun aber: 1) ob die Bestimmungen über das Börsenregister und seine Wirkungen - insbesondere § 66 - auf jenem Begriff von „Börsentermingeschäft" beruhen. Ist dies - wie nach dem Wortlaut des Gesetzes24 nicht wohl zu bezweifeln ist - der Fall, dann erstreckt sich die Klaglosstellung der „Börsentermingeschäfte" nur auf die amtlich regulierten und mit amtlicher Notiz versehenen Termingeschäfte. Alle anderen sind klagbar, dagegen allerdings dem (wenig gefährli-
g A: gegebene
h A: im
22 Zitat aus § 5 2 BörsG; vgl. den Wortlaut der §§ 48 und 52, unten, S.985f. 23 Gemeint Ist Tarifnummer 4 b - nicht 46 - des Reichsstempelgesetzes vom 27. April 1894. Dort lautet die Definition: „Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, welche unter Zugrundelegung von Usancen einer Börse geschlossen werden (Loko-, Zeit-, Fix-, Termin-, Prämien-, etc. Geschäfte), über Mengen von Waaren, die börsenmäßig gehandelt werden. Als börsenmäßig gehandelt gelten Waaren, für welche an der Börse, deren Usancen für das Geschäft maßgebend sind, Terminpreise notirt werden." 24 Zu § 6 6 Abs. 1 BörsG vgl. oben, S. 847, Anm. 12.
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chen) Einwand des Ausschlusses der Effektivlieferung ausgesetzt. Wollte dies der Börsengesetzgeber?25 - Es fragt sich ferner:
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2) wie sich der § 51 zu jenem Begriff des „Börsenterminhandels" verhält. Da es begrifflich Börsentermingeschäfte nur in zugelassenen Handelsobjekten giebt, fragt sich, was das Verbot des ersten Absatzes dieses Paragraphen, wonach Börsentermingeschäfte in untersagten oder nicht zugelassenen Objekten von der Benutzung der Börseneinrichtungen und der Vermittelung durch die Kursmakler ausgeschlossen und private Kurszettel darüber unzulässig sind, eigentlich besagen will. Nicht zugelassene Termingeschäfte sind keine Börsentermingeschäfte. Das Gesetz könnte mit diesem an die Kursmakler und Börsenorgane und an Zeitungen und sonstige Verteiler von Notizen gerichteten Verbote offenbar nur einen nicht amtlich regulierten Terminhandel in Objekten, für welche der amtlich regulierte unzulässig ist, meinen; von diesem aber spricht es in Abs. 2 des § 51, wonach ein „von der Mitwirkung der Börsenorgane unabhängiger Terminhandel", „soweit er sich in den für Börsentermingeschäfte1 üblichen Formen vollzieht", „von der Börse ausgeschlossen ist".26 Der § 51 hätte Sinn, wenn er nur bezüglich dieses vom Abs. 2 betroffenen Terminhandels die Verbotsbestimmungen des Abs. 1 oder die Bestimmung des Abs. 2, wonach er „von der Börse ausgeschlossen" sein soll, getroffen hätte. So ist der Abs. 1 nach der positiven Seite völlig sinnlos und könnte höchstens die Interpretation gestatten, daß er die Tragweite des Verbotes begrenzen wollte, also die civilrechtliche Gültigkeit konstatierte; | 3) fragt es sich, was Abs. 2 des § 51 mit der Bestimmung, daß ein A 2411 amtlich nicht regulierter, sich in der Form des börsenmäßigen Terminhandels vollziehender Terminhandel in verbotenen Objekten i A: Börsentermingeschäften 25 Max Weber beruft sich offenbar auf die Erfahrung, daß der Einwand des Ausschlusses der Effektivlieferung (Differenzeinwand) unter Geschäftsleuten, die in regelmäßigem Geschäftsverkehr stehen und auch Termingeschäfte abschließen, kaum erhoben wird. Tatsächlich ging die Entwicklung dahin, daß Termingeschäfte als unwirksam galten, wenn beide Parteien nicht in das Börsenregister eingetragen waren. Nicht erst der von einer Partei erhobene Differenzeinwand machte sie unwirksam. Aber die Parteien konnten sich auch jetzt einvernehmlich über die Unwirksamkeit hinwegsetzen. 26 Die Formulierung in §51 Abs. 2 lautet: „ist [...] von der Börse ausgeschlossen".
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„von der Börse ausgeschlossen" sein sollte, meint. Der Regierungsvertreter im Börsenausschuß meinte, 27 daß die Verbote des Absatz 1 darunter zu verstehen seien, allein das Verbot der privaten Kursnotizen ist in den Ausdruck nicht wohl hinein zu interpretieren. Dem Ausdrucke nach könnte man an börsenpolizeiliche und ehrengerichtliche Unterdrückung der Geschäftsabschlüsse im Börsenraum denken und dies scheint thatsächlich gemeint zu sein (Motive S.48). 28 Es würde dann also ein prekär gestellter Coulissenverkehr geschaffen sein. Auch kennt das Börsengesetz und kennen die Börsenordnungen sonst die polizeiliche Unterdrückung irgendwelcher Geschäftsabschlüsse nicht, z. B. auch nicht solcher in nicht gemäß § 36 ff. zugelassenen Papieren. 29 - Es ist aber namentlich: 4) zweifelhaft, was das Gesetz unter demjenigen Terminhandel versteht, der nicht unter die Definition des § 48 fällt, also welche Geschäfte von § 51 Abs. 2 und § 52 betroffen werden. Ebenso ist der Begriff des „börsenmäßigen Terminhandels" im Sinne des § 50 Abs. 3 (in Getreide und Mühlenfabrikaten) problematisch. Am ehesten giebt noch § 51 Abs. 2 für seine eigene Tragweite einen Anhalt, denn hier ist auf die für die Börsentermingeschäfte üblichen Formen Bezug genommen. Es kommt hier also wohl auf die äußere Form der Kontraktsverabredungen und etwa auf die Form der Abwickelung - Kündigungsverfahren - in den beim offiziellen Terminhandel üblichen Formen an. Bei Identität dieser greift der „Ausschluß von der Börse" Platz. Die Fassung selbst des Abs. 2 aber ergiebt jedenfalls, daß das Gesetz im allgemeinen nicht nur den Handel unter „Terminhandel" begreift, welcher völlig diejenigen äußeren Formen annimmt, welche dem offiziellen Terminhandel eignen. Und die Bestimmung des § 52 gestattet wenigstens ihrer Fassung nach die Untersagung nicht nur desjenigen Terminhandels, welcher
2 7 Vgl. dazu Max Webers Ausführungen vor dem provisorischen Börsenausschuß, oben, S. 703. 2 8 Max Weber rekurriert auf die Begründung zu §47 des Entwurfs: Börsengesetz 1, S. 28 (dem späteren §51 BörsG). Webers Seitenangabe bezieht sich auf die Paginierung des ungebundenen Originals der Reichstagsdrucksache. 2 9 Nie strittig war, daß in den Börsenräumen auch nicht förmlich zugelassene Wertpapiere gehandelt werden konnten (Freiverkehr).
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solche Formen angenommen hat. Es fragt sich also, welches die Kennzeichen des „Terminhandels" im allgemeinen sind. Das Geiradeterminhandelsverbot nach der Fassung des § 50 Abs. 3 ist an die „Börsenmäßigkeit" geknüpft. Darunter könnte verstanden sein: 1) das Stattfinden auf der Börse, - dann ist das Wort bedeutungslos, da das Gesetz überhaupt nur den Börsenhandel betrifft, auch ein Terminhandel völlig außerhalb der Börse nicht | zu denken ist; es wäre dann jeder „Terminhandel" in Getrei- A 241 r de etc. kraft Gesetzes verboten und weiter würde sich fragen, was „Terminhandel" ist; 2) ist allerdings auch möglich, daß gemeint ist die Verwendung der für den „.Börsenterminhandel" im Sinne des § 48 üblichen Formen, - dann würde das Verbot des § 50 Abs. 3 in Verbindung mit § 51 Abs. 1 möglicherweise für allen derartig äußerlich gestalteten Terminhandel die Verbotsbestimmungen beider Sätze des letztgedachten Paragraphen (auch das Verbot der Privatnotizen) zweifelsfrei anwendbar machen, dem Abs. 1 des § 51 also ausnahmsweise einen praktischen Sinn verleihen, während dies da, wo der nicht unter §48 fallende Terminhandel nur durch den problematischen „Ausschluß von der Börse" bedroht ist, nicht ebenso zweifellos wäre; - 3) endlich: „börsenmäßiger Terminhandel" könnte gleichbedeutend mit „Börsenterminhandel" im Sinne des § 48 sein sollen.
Freilich ergiebt auch die Interpretation des § 52 als anwendbar auf alle Termingeschäfte, des § 51 Abs. 2 als nur auf die in den For25 men des offiziellen Handels sich bewegenden, seltsame Resultate. Es ist dann nämlich in den Fällen, wo Gesetz, Bundesrat oder Börsenorgane den Börsenterminhandel verbieten bezw. auf Antrag nicht zulassen, nur der in jenen bestimmten Formen sich vollziehende Terminhandel nach § 51 Abs. 2 „von den Börsen aus30 geschlossen" (wobei das Verbot der Privatkursnotiz fraglich bleibt), dagegen kann in Fällen, wo kein gesetzliches oder bundesrätliches Verbot besteht und keine Zulassung beantragt ist (§ 52), aller „Terminhandel" verboten werden. Man wird also vielleicht auch den § 52 dahin zu interpretieren haben, daß er mit seiner Ver35 Weisung auf § 51 zugleich in Bezug auf sein Anwendungsgebiet die Einschränkung des Abs. 2 dieses letzten Paragraphen: - „soweit er sich in den für Börsentermingeschäfte üblichen Formen vollzieht" - sich habe aneignen wollen, obwohl er nur auf die Folgen verweist,
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die dieser Paragraph für sein Anwendungsgebiet festsetzt. Die nicht zu überbietende Liederlichkeit der Formulierung dieses Gesetzgebers verliert eben überall bei der Aufstellung einer Bestimmung aus dem Gedächtnis, welche Formulierung wenige Paragraphen vorher verwendet ist. 5 In jedem Falle bedarf es schließlich auch noch der Untersuchung, was der Gesetzgeber unter „Termingeschäft" im weitesten, seinen Bestimmungen möglicherweise zu Grunde liegenden Sinn verstanden haben kann. Denn es ist unzählige Male betont, daß A 2421 „Termingeschäfte" nicht, - wie eine Eingabe des Bundes der Land- 10 wirte an den Börsenausschuß30 | annahm12), - identisch mit Blan/cogeschäft ist, ebenso nicht mit Lieferungsgeschäft auf Zeit, d. h. mit einem derart vereinbarten Erfüllungstermin, daß nicht rechtzeitige Erfüllung = Nichterfüllung ist, m. a. W. der Gesetzgeber hat nicht etwa alle Fixgeschäfte als „Termingeschäft" behandeln wol- 15 len. Der Gesetzgeber ist offenbar von der in Deutschland bestehenden äußeren Form des Terminhandels31 ausgegangen und hat im allgemeinen angenommen, daß ganz allgemein nur die äußere A 242 I
12> Graf Kanitz im Börsenausschuß und der Bund der Landwirte 32 wollten das Lieferungsgeschäft in Zukunft auf das Geschäft nach Probe beschränken. Daß damit allein „fiktive" Umsätze nicht ausgeschlossen sind, ist klar. Der Bund der Landwirte wollte noch weiter gehen, und den Verkauf noch nicht besessener bezw. in die Verfügungsgewalt des Verkäufers gelangter Waren verbieten. Nur der Produzent und der Müller sollten Zukunftsware im Umfang ihrer Prodvktionsföhigkeit verkaufen dürfen. M. a. W. die Börsenspekulation in Getreide sollte dem Händler nur ä la hausse erlaubt sein. Das Lieferungsgeschäft nach Probe ist im übrigen eine Kontraktform, die da angewendet wird, wo in dem Herkunftslande, zufolge des individuellen Charakters der ursprünglich naturalwirtschaftlichen Produktion, keine typische Sortengliederung der Kreszenz 33 möglich ist (Deutschland, Rußland). Wo - wie in Nordamerika - der Handel das prius, der Anbau (für den Export) das posterius ist, denkt Niemand an die Anwendung dieser schwerfälligen Form. |
30 Max Weber nimmt Bezug auf Abschnitt II Nr. 4 der Denkschrift des Bundes der Landwirte, vgl. unten, S. 1002. 31 Charakteristische Merkmale eines Terminkontrakts waren in Deutschland die auch durch Börsenbrauch festgelegten und insoweit der individuellen Absprache unter den Vertragschließenden entzogenen Bestandteile: 1. Lieferungsqualität (Typ), 2. Quantität (Schlußeinheit), 3. Lieferungstermin (Ultimo), 4. Abrechnung (Liquidationsverfahren). 32 Max Weber faßt im folgenden seine Stellungnahme vor dem provisorischen Börsenausschuß zur Forderung des Bundes der Landwirte und von Graf Kanitz zusammen. Vgl. oben, S. 728f. 33 Hier in der Bedeutung von Wachstum, Herkunft eines Produktes.
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Form eines Geschäftes seine Qualität als Termingeschäft erkennen lasse, während ihm zwischendurch dies wieder zweifelhaft gewesen ist (§ 51 Abs. 2). Nun kann aber die äußere Form des einzelnen Kontrakts nicht gut als ein geeignetes Kennzeichen des Terminhan5 dels angesehen werden. Nicht der Umstand, daß ein bestimmtes Effektengeschäft gerade am letzten eines Monats erfüllt werden soll, macht dies Geschäft zum Ultimo-Geschäft. Ebenso nicht, daß ein Geschäft über typische Schlußeinheiten lautet, denn diese kommen auch in der unzweifelhaft nicht zum Terminhandel gehöri10 gen Kassaspekulation (z. B. in New York) vor. Ebenso nicht schon an sich die in bestimmter Weise organisierte Abwicklung; denn diese findet sich auch in dem Wiener „Arrangements"-Geschäft, welches man üblicherweise nicht unter den Terminhandel subsumiert,34 ist überhaupt auch bei Kassaspekulationen möglich; am 15 wenigsten etwa die spezielle Form des jetzt üblichen Liquidationsbezw. Kündigungsverfahrens, welche sich, wennschon mit einigen Unbequemlichkeiten, durch Check- und Clearing-Institute ersetzen ließen. Es giebt keinerlei Merkmal, an kwelchem man an dem einzelnen Kontrakt als solchemk das Termingeschäft zweifellos er20 kennen könnte. Nicht die Art der KontraktsveTabredungen ist es, was ein | Geschäft zum Termingeschäft macht, sondern ein außer- A 242 r halb des Einzelgeschäfts liegendes Moment: das Vorhandensein des T&rmmmarkts, d. h. des stetigen massenhaften Umlaufens von Lieferungsabschlüssen eines unter sich gleichartigen Typus. Das Vor25 handensein eines solchen Marktes - gleichviel wie die einzelnen Kontraktsverabredungen sind - ist es, was die technische Funktion des Terminhandels, insbesondere die ihm eigentümliche „Markterweiterung", nach sich zieht. An diesem Begriff sind nun die Bestimmungen des Gesetzes zu messen. 30 Streicht man aus der Definition des § 48 die amtliche Sanktionierung (amtliche Festsetzung der Bedingungen, amtliche Notiz), so bleiben als Merkmale des nicht amtlichen {nicht „Börsen"-)Terminhandels bestehen: k A: welchen man an den einzelnen Kontrakt als solchen 34 Die Bestimmungen der Wiener Arrangementordnung hatten zwar große Ähnlichkeit mit denen des Berliner Liquidationsvereins für Termingeschäfte, doch ging es in Wien im Prinzip um Kassageschäfte. Vgl. auch den Eintrag „Arrangements-Geschäft" im Glossar, unten, S. 1033.
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1) die Qualität der Lieferungszeit oder -Frist als einer „festbestimmten", 2) das Vorhandensein gleichmäßiger Geschäftsbedingungen (bei „ Börsen "-T[ermin-]H[andel] amtlich festgestellter), 3) das Vorhandensein einer Terminnotiz (bei „Börsen"-T[ermin-]H[andel] einer amtlichen T[ermin-]N[otiz]). Das entscheidende Merkmal ist sub 2 enthalten. Die Geschäftsbedingungen müssen typische sein, beim amtlich sanktionierten Terminhandel durch amtliche Feststellung, außerhalb desselben durch faktische Übung gleichartig gestaltet. Erst wo ein breiter stetiger Markt in solchen Geschäften sich gebildet hat, kann deshalb von dem Vorhandensein von Termingeschäften die Rede sein. Die Terminnotiz ist, wie Nordamerika gezeigt hat, begrifflich zum Terminhandel nicht erforderlich, - die dortigen Börsen haben gelegentlich die Notiz absichtlich unterdrückt, - aber normalerweise vorhanden. Das deutsche Gesetz legt - wie § 51 Satz 2 und das Börsensteuergesetz35 zeigen - auf sie offenbar entscheidendes Gewicht. Im Sinn des deutschen Gesetzes - § 52, 51 Abs. 2, eventuell auch § 50 Abs. 3, würde also Terminhandel das Vorhandensein von Geschäftsabschlüssen mit typischen und fest bestimmten Lieferungszeiten sein, wenn in Abschlüssen dieser Form an der Börse ein stetiger Massen-Marktverkehr (Terminmarkt) stattfindet, und dieser durch regelmäßige Preisnotizen (wennschon privater Art) auf die Preisbildung auch außerhalb der Börse Einfluß nimmt, und ein Termingeschäft ist ein Lieferungs-Zeitgeschäft36 gleichviel welcher äußeren Form, wenn es dem in dieser Weise massenhaft umlaufenden Typus entspricht. Wann ein Terminmarkt sich gebildet hat, ist im Einzelfall sicher oft höchst zweifelhaft. Der Strafrichter aber, der nach § 77 über die Zulässigkeit von Terminkursnotizen zu entA 2431 scheiden hat, und wenn etwa | § 66 auch auf den nicht sanktionierten Terminhandel Anwendung finden sollte, auch der Civilrichter, der über Ansprüche zwischen nicht Registrierten aus Lieferungszeitgeschäften zu befinden hat, müssen diese Feststellung unternehmen, nicht etwa nur der Bundesrat oder die Verwaltungsbehör35 Gemeint ist das Reichsstempelgesetz, vgl. oben, S.850, Anm. 23. 36 Das ergibt sich aus d e m von Max Weber betonten Umstand, daß - e n t g e g e n d e m Begriff - die Verabredung einer Lieferung auf Termin nicht das wesentliche Unterscheidungskriterium Ist.
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de, welche die inappellable Entscheidung nach § 5237 treffen wollen. Sicher ist also an diesem gesamten Rechtszustande überhaupt nur etwa folgendes: I. Einerseits: 1) Soweit der Terminhandel amtlich zugelassen und sanktioniert ist, kann er in klagbarer Form nur zwischen Registrierten stattfinden. 2) Ein Terminhandel in den in § 50 bezeichneten Kategorien darf nicht sanktioniert werden, in anderen kann die Sanktionierung verweigert werden, mit der Folge des Verbotes privater Kurszettel. 3) Der nicht amtlich sanktionierte und regulierte Terminhandel in Objekten, die von einem Verbot oder einer Zulassungsverweigerung nicht betroffen sind, kann mit der sub2 bezeichneten Folge verboten werden, wenn er die Form des amtlichen Terminhandels angenommen hat. Andererseits ist II. das Lieferungsgeschäft, auch auf Zeit, soweit keine Marktbildung in Zeitgeschäften stattfindet, insbesondere keine Notizen auch keine privaten - verbreitet werden, unbedingt gestattet, bedarf - mindestens soweit es die Form des offiziellen Terminhandels meidet - keiner Registrierung der Abschließenden, und ist keinesfalls irgend einem Verbote unterworfen. Alles weitere ist zweifelhaft. Das ganze Gebiet von Vorgängen, welche zwischen diesen Extremen liegen, ist unsicher. Die höchst komplexen Möglichkeiten der Interpretation, welche das Gesetz zuläßt, sind vorstehend wiedergegeben. Fragen wir nun, was diesem geradezu heillosen, mit beispielloser Leichtfertigkeit geschaffenen Rechtszv&t&nd in der faktischen Gestaltung der Verhältnisse entspricht, so läßt sich darüber zur Zeit (Februar 1897) nur ziemlich Unbestimmtes sagen.
3 7 Gemeint sind Entscheidungen, gegen die es keine Möglichkeit gibt, ein Rechtsmittel einzulegen. §52 BörsG gibt den Börsenaufsichtsbehörden das Recht, einen tatsächlich stattfindenden Terminhandel, für dessen Waren oder Wertpapiere die Zulassung nicht nachgesucht wurde, zu untersagen. Die Unanfechtbarkeit der Untersagung Ist im Gesetz ausdrücklich angesprochen.
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1) In das Börsenregister sind eingetragen bis 1.1.1897 für Waren 15938 _ u s in Hamburg, 12 in Leipzig, 28 in Magdeburg, 1 (!) in Berlin, je 1 in Krackow38® i[n] Mecklenburg], Tangermünde, Wittenberg - , für Wertpapiere 94, davon 63 in Hamburg, 18 (!) in Berlin, 6 (vereidigte Makler) in Frankfurt,39 3 in Aachen, je 1 in Kö- 5 nigshütte, Mannheim, Nürnberg, Öhringen - unter diesen 1 (!) Nichtmitglied von Börsen (ein Fischer!). 40 In Berlin haben die in der sog. „Stempelvereinigung" verbundenen großen Bankinstitute die EinA 243 r tragung | beschlossen und wollen Termingeschäfte nur mit Eingetragenen machen - ein Verhalten, wozu Direktoren von Aktien- 10 gesellschaften durch ihre Verantwortlichkeit genötigt werden 41 - , während der „Verein für die Interessen der Berliner Fondsbörse" beschlossen hat, dem Register fern zu bleiben und das Zeitgeschäft auf Treu und Glauben aufrecht zu erhalten. 42 Nur Hamburg hat das Register in nennenswertem Maße in Anspruch genommen, und 15
38 Tatsächlich hatten sich - wie auch die nachfolgenden Zahlen ergeben - insgesamt 162 Firmen in das Börsenregister für Waren eintragen lassen. Reichsanzeiger, Nr. 27 vom 1. Febr. 1897, 7. Beilage, S.2-3. 38a Die übliche Schreibung lautet Krakow. 39 In Frankfurt hatten sich neben zwei Kursmaklern und einem vereidigten Wechselmakler auch drei Banken ins Börsenregister eintragen lassen. 40 Das „Kuriosum", in Berlin habe sich der Fischer Johann Friedrich August Oskar Heyn eintragen lassen, meldete die Frankfurter Zeitung. FZ, Nr. 8 vom 8. Jan. 1897, Ab.BI., S.4. Heyn hatte sich allerdings erst nach dem I.Januar 1897 ins Börsenregister eintragen lassen, so daß er in der von Max Weber angeführten Gesamtliste der Eintragungen, die die Eintragungen bis zum 31. Dezember 1896 berücksichtigt und der Reichsanzeiger am 1. Februar 1897 (wie oben, Anm. 38) veröffentlichte, noch nicht aufgeführt ist. 41 Am 30. November 1896 bekräftigten die „ersten Firmen" Berlins, die „Mitglieder der sog. Stempelvereinigung" (vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1064), ihren Beschluß, sich ins Börsenregister eintragen zu lassen. Sie vereinbarten ferner, ab dem 1. März 1897 nur noch mit eingetragenen Personen und Firmen zu handeln. BBC, Nr. 562 vom 30. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; Zitate ebd. In einem Schreiben an den Verein für die Interessen der Fondsbörse, auf das sich Max Weber stützt, begründete die Stempelvereinigung ihre Entscheidung: „[...] haben wir nach sorgfältiger Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte mit der Verantwortlichkeit der Geschäftsleiter unserer Firmen insbesondere der Directoren von Actiengesellschaften und Geschäftsinhabern von Commanditgesellschaften auf Aktien nicht in Einklang zu bringen vermocht, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes einen anderen Weg zu beschreiten [...]." Abdruck des Schreibens, in: BBC, Nr.563 vom I.Dez. 1896, Mo.BI., 1. Beil., S. 1. 42 Der Verein für die Interessen der Berliner Fondsbörse verabschiedete am 12. November 1896 eine Resolution, in der es heißt: „Die Versammlung vermag die Nothwendigkeit, sich in das Register eintragen zu lassen, nicht anzuerkennen, glaubt vielmehr an die Möglichkeit, das Zeitgeschäft auch fernerhin auf Treu und Glauben aufrecht zu erhalten." Abdruck der Resolution, in: BBC, Nr. 535 vom 13. Nov. 1896, Mo.BI., 2. Beilage, S. 1 - 2 .
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zwar sind es hier zum sehr großen Teil - im Gegensatz zu Berlin Firmen mit geringem Kapital, zumal solche, die am Maklergeschäft beteiligt sind, von denen Aufgabe verlangt wird, und welche von der Maklerbank, mit der sie in Verbindung stehen, zur Eintragung genötigt werden, da die Maklerbank die Rechtsungültigkeit der Einschüsse nicht riskieren kann. 43 Von den großen Banken sind zur Zeit die meisten außerhalb des Registers geblieben. 44 In Produkten ist das Börsenregister außerhalb Hamburgs, wo ein großer Teil der großen Firmen eingetragen ist, sowie in geringerem Maße der Magdeburger Zuckerbörse und der Leipziger Kammzugbörse, so gut wie vollständig unbenutzt geblieben. Die Zunahme der Eintragungen ist bisher (Februar 1897) eine sehr langsame. 45 2) Die faktische Gestaltung des £//